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German Pages 1102 [1103] Year 2011
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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 158
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Marina Tamm
Verbraucherschutzrecht Europäisierung und Materialisierung des deutschen Zivilrechts und die Herausbildung eines Verbraucherschutzprinzips
Mohr Siebeck
IV Marina Tamm, geboren 1973; 1992–97 Studium der Rechtswissenschaft; 2000 Promotion; 2010 Habilitation; Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Wismar.
e-ISBN PDF 978-3-16-151758-7 ISBN 978-3-16-150880-6 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Minion gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
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Vorwort Ohne Werteorientierung ist das Gesetz leer, ohne gesetzliche Vorgaben sind Werte nicht durchsetzungsstark.
Das Denken des modernen kontinental-europäischen Juristen ist in erster Linie auf das Gesetz ausgerichtet. Dies bietet für den Rechtssuchenden den Vorteil der relativen Voraussehbarkeit der Entscheidung. Was Leitlinien der jeweiligen Entscheidung sind, gibt der Gesetzgeber durch die von ihm erlassenen Regelungen vor. Der Richter hat diese angewandt auf den Einzelfall, unter Beachtung des Gewaltenteilungsgrundsatzes, im Regelfall nur nachzuvollziehen. Es ist ihm danach verwehrt, das Ergebnis für den von ihm zu entscheidenden Fall „intuitiv“ zu finden. Beim Umgang mit dem Gesetz kommt der moderne Jurist aber trotz (oder vielleicht sogar wegen) des stetig anwachsenden Normenbestandes nicht umhin, Durchblicke walten zu lassen auf etwas hinter dem Gesetz Stehendes, das von Engisch in seinem Buch „Einführung in das juristische Denken“ (2005), S. 254, einmal ganz allgemein als „Recht hinter dem Gesetz“ bezeichnet wurde. Ich habe in meiner Arbeit, die zunächst gar nicht als Habilitationsschrift angelegt war, sondern als Lehrbuch, die Notwendigkeit dieses „Durchblickes“ für den Bereich des Verbraucherschutzrechtes nachvollzogen. Von dem ursprünglichen Anliegen ausgehend, den Rechtssuchenden einen Leitfaden zur Anwendung des Verbraucherschutzrechtes an die Hand zu geben, das immer umfangreicher und komplexer wird, habe ich versucht, tiefer liegende Schichten des Rechtsbereiches zu erreichen und in wissenschaftlicher und zugleich didaktisch ansprechender Form „aufzuschließen“. Schaut man unter die Oberfläche des Verbraucherschutzrechtes, das einem zunächst in zahlreichen Einzelnormen entgegentritt, ist als Erstes die Frage nach dem Legitimationsgrund zu klären. In Bezug zu nehmen sind hier Asymmetrien zwischen Unternehmern und Verbrauchern, ihre Gründe und die vom Gesetzgeber ausgewählten Instrumente. Zu sinnieren ist aber auch darüber, wie sich Verbraucherschutzrecht generiert (nämlich zumeist durch den EU-Gesetzgeber) und welche Friktionen damit für das deutsche Zivilrecht verbunden sind. Im Übrigen ist die Frage zu beantworten, welche Rolle das Verbraucherschutzrecht im Gefüge des übrigen Zivilrechts spielt, wie der gesamte Bereich strukturiert ist, welche personellen, situativen und vertragsspezifischen Anknüpfungspunkte vom Gesetzgeber in Ansatz gebracht werden und ob es Querverbindungen zwi-
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Vorwort
schen den einzelnen Normen derart gibt, dass der Regelungskomplex schon als ein zusammenhängender begriffen werden kann, über den sich ggf. sogar ein Rechtsprinzip konstituieren lässt. Versucht man zu den Legitimationserwägungen des Verbraucherschutzrechtes vorzustoßen und dabei „an der ersten Schicht unter der Oberfläche“ zu kratzen, wird man erkennen, dass mit diesem Rechtsbereich – ähnlich wie beim Arbeits- und Mietrecht – rollensoziologisch motiviertes Konfliktmanagement betrieben wird. Es geht um Interessenkonflikte, die nach einem Ausgleich verlangen. In einer modernen Demokratie vollzieht sich dieser Ausgleich der kollidierenden Interessen zuförderst über die Legislative und die von ihr erlassenen Gesetze. Da sich das gesellschaftliche (soziale, technologische, wirtschaftliche, kulturelle) Umfeld aber stetig wandelt, muss das Recht, gerade auch das Verbraucherschutzrecht, hierauf reagieren und die Frage nach dem gerechten Ausgleich stets neu stellen und festlegen helfen. Würde das Recht diesen evolutionären Anspruch nicht verfolgen und nur auf Perpetuierung der bestehenden Umstände drängen, würde es seine Funktion, „gesellschaftlicher Integrationsfaktor zu sein“, einbüßen. Vor diesem Hintergrund wird aber auch nachvollziehbar, warum Verbraucherrecht nicht nur hoch dynamisch, sondern auch hoch politisch ist und warum sich Systemfragen, wie die nach einer eigenen rechtsdogmatischen Verkapselung und der Stellung innerhalb des Zivilrechts, bei ihm immer wieder neu stellen. Das Buch will in diese Richtung Denkanregung geben und dazu ermutigen, nach der viele Detailfragen aufwerfenden Ebene der Einzelausprägungen den Bereich des rein Begrifflichen und Instrumentalen zu verlassen. Entstanden ist die Schrift während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock. Dank sagen möchte ich an dieser Stelle meinem akademischen Mentor, Prof. Dr. Klaus Tonner, der mich an das Verbraucherrecht herangeführt hat, der den Werdegang der Arbeit mit zahlreichen Diskussionen begleitete, mir aber stets auch den Freiraum ließ, mein „eigenes“ Werk zu schreiben. Dank sagen möchte ich im Übrigen sehr herzlich Prof. Dr. Reinhard Singer, der es mir in einer Zeit, in der die Rostocker Juristische Fakultät um ihren Bestand bangen musste, ermöglichte, die Habilitationsschrift an der Humboldt-Universität zu Berlin einzureichen. Mein inniger Dank gilt schließlich unserer Lehrstuhlsekretärin Hiltrud Bahlo und meiner Kollegin Kathleen Fangerow, die die unermüdliche Arbeit des Gegenlesens auf sich nahmen. Die Arbeit wurde am 17.11.2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht. Das Habilitationsverfahren wurde am 1.7.2010 beendet. Zur Drucklegung wurde das Werk nochmals aktualisiert. Widmen möchte ich diese Arbeit „meinen drei Männern“: meinem Mann Holger und meinen beiden Söhnen Niklas und Maximilian, die das Entstehen des Buches mit Interesse und dem notwendigen Mutmachen und Verständnis dafür, dass ich ab und an mal „abtauchen“ musste, verfolgten.
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Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
1. Teil
Grundlagen 1. Kapitel: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 A. B. C. D. E.
Was ist Verbraucherschutzrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifische Gefahrenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele des Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittel zur Umsetzung der für den Verbraucherschutz definierten Ziele . Kategorienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 13 19 21 35
3. Kapitel: Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft, Internationalität, politische Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 A. B. C. D.
Herausbildung eines entsprechenden Rechtsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . Verbraucherschutz als Antwort auf neue Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationalität des Verbraucherschutzphänomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftspolitische Neutralität von Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . .
46 50 55 56
4. Kapitel: Querschnittscharakter, Verbraucherschutzoder Verbraucherprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 A. Verbraucherschutzrecht als Querschnittsmaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 B. Verbraucherprivatrecht als Teil des Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . 62 C. Verbraucherschutzrecht oder Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
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Inhaltsübersicht
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 A. Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Verbraucherschutzrecht und der Streit um das Sonderprivatrecht . . . . . 120
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen als Ausdruck unterschiedlicher Legitimationserwägungen . . . 135 A. Verschiedene Verbraucherschutzkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Konsumenten- und die Unternehmersouveränität . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Verbraucherleitbilder bezüglich der Unternehmer-/ Verbraucherherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Unterschiedliche Marktkonzeptionen/Leitbilder – unterschiedliche Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Rollensoziologisches Verbraucherleitbild und die neue Sichtweise von der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136 144 147 162 165
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts . . . . 180 A. Vorläufer des Verbraucherschutzes aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Polizeiordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Erster Meilenstein: Abzahlungsgesetz von 1894 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Weitere Impulse aus der Verbraucherpolitik der letzten fünfzig Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Triebkraft „Europa“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180 181 181 184 189
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/ Verbraucherschutz und Binnenmarkt im Lichte des Mindeststandardprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 A. Verbraucherschutz als Triebkraft für ein Europäisches Zivilgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 B. Das Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Binnenmarkt im Lichte des Mindeststandardprinzips . . . . . . . . . . . 301 C. Zusammenfassende Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Inhaltsübersicht
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2. Teil
Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata 1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 A. Der „Verbraucher“ und der „Unternehmer“ als zentrale Begriffe . . . . . . . 319 B. Allgemein verwendete Instrumente des Verbraucherschutzes . . . . . . . . . 347
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts im vorvertraglichen, vertraglichen und außervertraglichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 A. B. C. D.
Vorvertragliches Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines vertragliches Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderes Verbrauchervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deliktischer Verbraucherschutz durch Produzentenund Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425 462 572 774
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes . . . . . . 806 A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 B. Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808 C. Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 878
3. Teil
Rechtstheorie A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893 B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . 896 C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1071
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XI
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
1. Teil
Grundlagen 1. Kapitel: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 A. Was ist Verbraucherschutzrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Notwendigkeit einer begrifflichen und inhaltlichen Konzentration II. Definition des Verbraucherschutzrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezug zum „Verbrauch“ als tatsächlichem Vorgang . . . . . . . . . . . 2. Bezug zur „Rolle des Verbrauchers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 11 12 12 12
B. Spezifische Gefahrenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Divergierende Interessen zwischen Verbrauchern und Unternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gestörte Selbstregulation des Marktes durch Kräfteungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterschiedliche Begründungsansätze für das Kräfteungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rollensoziologisch bedingte Asymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organisationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Defizite bei der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Reflektion des Ungleichgewichts in der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 14 15 15 16 16 17 18
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Inhaltsverzeichnis
C. Ziele des Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Gesundheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Beförderung optimaler Marktentscheidungen des Verbrauchers . . . 19 III. Niederschlag dieser Ziele in diversen Schutzprogrammen . . . . . . . . 19
D. Mittel zur Umsetzung der für den Verbraucherschutz definierten Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Rechtsetzung auf nationaler und supranationaler Ebene innerhalb Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ebene des primären Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ebene des sekundären Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ebene des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsanwendung durch die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die nationale Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vom Richterspruch zum Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesetzliche und gesetzesbegleitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 22 31 31 31 33 34 34
E. Kategorienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Marktkomplementäre Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regulierung von Markt(über)macht durch Kartellverbote und Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regulierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs durch das Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbraucherinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marktkompensatorische Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Widerspiegelung dieser Elemente im geltenden Verbraucherschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 36 37 37 42 43 44
3. Kapitel: Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft, Internationalität, politische Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 A. Herausbildung eines entsprechenden Rechtsbewusstseins . . . . . . . . . 46 I. Wirtschaftsliberale Grundausrichtung des Zivilrechts zu Anfang des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Einbrüche in die liberale Grundausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Inhaltsverzeichnis
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B. Verbraucherschutz als Antwort auf neue Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. II. III. IV.
Fehlen der Marktübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Existenz von unaufrichtigem Marktverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problem des Nichtbestehens echten Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . Ungleiche Stellung der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 51 52 54
C. Internationalität des Verbraucherschutzphänomens . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Erster Trend: Etablierung nationalen Verbraucherschutzrechts . . . . 55 II. Zweiter Trend: Etablierung zwischenstaatlichen Verbraucherschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
D. Wirtschaftspolitische Neutralität von Verbraucherschutz . . . . . . . . . . 56 4. Kapitel: Querschnittscharakter, Verbraucherschutzoder Verbraucherprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 A. Verbraucherschutzrecht als Querschnittsmaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Querschnittscharakter auf der Ebene der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Querschnittsmaterie auf der Ebene des nationalen Rechts . . . . . . . . 1. Verbraucherschutz durch öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbraucherschutz durch Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbraucherschutz durch Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbraucherschutz durch Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 59 59 60 60 60
B. Verbraucherprivatrecht als Teil des Verbraucherschutzrechts . . . . . . 62 C. Verbraucherschutzrecht oder Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. II. III. IV.
Assoziation bestimmter Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltliche Neuausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 63 65 66
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 A. Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Normendichte oder Quantitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Normenhöhe oder Qualitätsaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
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Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V.
VI.
VII.
1. Modifikation des Zivilrechts durch Verbraucherprivatrecht . . . 2. Folgerung: inhaltliche Aufwertung und stärkere Regelungsstringenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trotzdem: Beibehaltung der Sonderstellungen auch im BGB . . . „Gefährdungslagen“ als Anknüpfung für ein typisiertes Schutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personales Element (Verbraucherschutzrecht i.e.S.) . . . . . . . . . . . 2. Das situative und/oder vertragsspezifische Element (Verbraucherschutzrecht i.w.S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Anknüpfungspunkte in der Diskussion um das Sonderprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktuelles Verbraucherschutzrecht als Mix der verschiedenen Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der gemeinsame Herkunfts- und Wirkungsaspekt des Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herkunftsaspekt: Verbraucherschutzrecht durch europäische Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungsaspekt: Verbraucherschutzrecht als Mittel der EU-Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kennzeichen des Problemimpulses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Ursache: Keine umfassende Regelungskompetenz der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweite Ursache: Notwendigkeit einer gewissen „Rechtsmasse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kennzeichen der überschießenden Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sinn und Zweck der überschießenden Umsetzung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relevanz für die „hochgezüchtete“ deutsche Zivilrechtskodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systembedingtheit von Friktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zivilrecht auf dem Weg zu einem neuen, sozialen Grundkonzept? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbraucherschutzrecht als Materialisierungsantrieb des gesamten Zivilrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streit um die Wechselwirkung zwischen Verbraucherund allgemeinem Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 73 74 75 76 83 84 86 91 91 91 93 94 96 98 98 99 99 100 100 115
Inhaltsverzeichnis
XV
B. Verbraucherschutzrecht und der Streit um das Sonderprivatrecht . 120 I. Was Sonderprivatrecht ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formelle Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handelsrecht und Verbraucherprivatrecht als Testfälle des Sonderprivatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Abwehrstrategien“ der Literatur und ihre kritische Würdigung . .
122 122 126 126 130
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen als Ausdruck unterschiedlicher Legitimationserwägungen . . . 135 A. Verschiedene Verbraucherschutzkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Altliberales Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neues, liberales (Informations-)Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Soziales (Verbraucherschutz-)Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Situativer/vertragsbezogener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verallgemeinernder, rollensoziologischer Ansatz . . . . . . . . . . . . .
137 138 141 142 143
B. Die Konsumenten- und die Unternehmersouveränität . . . . . . . . . . . . 144 I. Die Konsumentensouveränität: Herrschaft der Abnehmer . . . . . . . 145 II. Die Annahme der Produzentensouveränität: Herrschaft der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
C. Die Verbraucherleitbilder bezüglich der Unternehmer-/ Verbraucherherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. II. III. IV.
Homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzuklärender homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutzbedürftiger Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Determination der Leitbilder in Judikative, Legislative und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Plädoyer für das Leitbild des flüchtigen, unmündigen Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Möglichkeiten de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 150 151 152 152 155 156 157 157 158 159
XVI
Inhaltsverzeichnis
D. Unterschiedliche Marktkonzeptionen/Leitbilder – unterschiedliche Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Laissez-Faire-Ansatz des altliberalen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Information und Wettbewerb nach dem liberalen Informationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Abschluss- und Inhaltskontrolle nach dem sozialen Verbraucherschutzmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
E. Rollensoziologisches Verbraucherleitbild und die neue Sichtweise von der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Einführung in den Problemkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klassische und moderne Sichtweise der Privatautonomie . . . . . . . . 1. Klassische Sichtweise der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuere Sichtweise der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Problem der Verifizierbarkeit der Disparität und der Umgang damit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablehnung der Verifizierbarkeit einer Paritätsstörung . . . . . . . . 2. Bejahung der Feststellbarkeit einer Paritätsstörung . . . . . . . . . . . 3. Lösung: Einschätzungsprärogative der Legislative . . . . . . . . . . . . 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165 166 167 170 173 174 175 176 177 179
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts . . . . 180 A. Vorläufer des Verbraucherschutzes aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Polizeiordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 C. Erster Meilenstein: Abzahlungsgesetz von 1894 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 D. Weitere Impulse aus der Verbraucherpolitik der letzten fünfzig Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I. II. III. IV.
AGB-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FernUS-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschriften zum Schutze des Pauschalreisenden . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185 187 188 189
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XVII
E. Triebkraft „Europa“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Allgemeines zur Entwicklung im Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vor der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte . 2. Nach dem Erlass der Einheitlichen Europäischen Akte . . . . . . . 3. Nach der Verabschiedung des Vertrages von Maastricht . . . . . . 4. Nach der Verabschiedung des Vertrags von Amsterdam . . . . . . 5. Der Reform-Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Programme und Beschlüsse der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Richtlinientätigkeit der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richtlinientätigkeit vor der Verabschiedung der EEA . . . . . . . . . 2. Richtlinientätigkeit nach der Verabschiedung der EEA . . . . . . . 3. Die bedeutendsten Richtlinien in einer kurzen chronologischen Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kritische Auseinandersetzung mit neueren Entwicklungen in der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik am Vollharmonisierungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik am Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190 190 191 192 193 195 195 198 199 199 199 237 240 241 262
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/ Verbraucherschutz und Binnenmarkt im Lichte des Mindeststandardprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 A. Verbraucherschutz als Triebkraft für ein Europäisches Zivilgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Rechtstatsächliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EU-Programme/Mitteilungen und Wissenschaftsprojekte . . . . . 2. Vorbereitende und begleitende Projekte in der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbraucherschutz als ein die Rechtsvereinheitlichung in Europa beschleunigender „Nukleus“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Instrumentalisierung des Verbraucherschutzes . . . . . . . . . . . . . . 2. Ziel der Schaffung des Gemeinsamen Referenzrahmens als Vorstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hindernisse für das zu entwickelnde Gemeinschaftsprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268 268 271 283 284 285 287 290 297
XVIII
Inhaltsverzeichnis
B. Das Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Binnenmarkt im Lichte des Mindeststandardprinzips . . . . . . . . 301 I. Kenntlichmachung der Mindestharmonisierung durch die Regelungstechnik der „Öffnungsklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fehlende Vollharmonisierung als Hemmnis für den Binnenmarkt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik an der Vollharmonisierung wegen fehlender Primärrechtskonformität und Aufgreifung dortiger Zielkonflikte . . . . . . . 1. Ausprägungen des Spannungsverhältnisses im Primärrecht . . . 2. Ausprägungen des Spannungsverhältnisses im Sekundärrecht . 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301 303 304 306 309 311
C. Zusammenfassende Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Teil
Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata 1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 A. Der „Verbraucher“ und der „Unternehmer“ als zentrale Begriffe . . . 319 I. Bedeutung: einheitlicher personeller Anknüpfungspunkt für das Verbraucherschutzrecht i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsgeschichte hinsichtlich der Einführung der §§ 13, 14 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Verbraucherbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Verbraucherbegriff im supranationalen Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verbraucherbegriff im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Divergenzen zwischen europäischem und deutschem Verbraucherbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grenzfälle bei der Einordnung nach § 13 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Unternehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Unternehmerbegriff im supranationalen Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Unternehmerbegriff im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . .
319 320 321 321 325 330 331 341 342 342 345
Inhaltsverzeichnis
XIX
B. Allgemein verwendete Instrumente des Verbraucherschutzes . . . . . 347 I. Transparenzgebot und die Pflicht zur Vorabinformation . . . . . . . . 1. Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Pflicht zur (Vorab-)Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sanktionen bei Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verbraucherwiderrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzgeberische Konzeption und ihre Wurzeln . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzesgenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen der wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts . . 6. Überarbeitungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fehlende Dispositivität der Schutznormen, Umgehungsverbote, Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umgehungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
347 349 358 378 385 387 388 390 393 401 415 416 416 417 419
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts im vorvertraglichen, vertraglichen und außervertraglichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 A. Vorvertragliches Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 I. Reglementierung der Werbung nach dem UWG . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten . . . . II. Reglementierung von unbestellten Warensendungen nach § 241a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeit . . . . . .
426 426 428 430 431 432 438 441 441 441 442 443 443 447
XX
Inhaltsverzeichnis
III. Reglementierung von Gewinnmitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlen eines europarechtlichen Hintergrundes . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten . . . .
451 451 452 452 453 456 460
B. Allgemeines vertragliches Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 I. Verbrauchervertriebsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reglementierung von Haustürgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reglementierung von Fernabsatzgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reglementierungen des elektronischen Geschäftsverkehrs . . . . II. Reglementierung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten . . . .
464 465 480 512 530 532 536 542 545 564
C. Besonderes Verbrauchervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 I. Kaufvertrag und Verbrauchsgüterkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilzeit-Wohnrechteverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten . . . . III. Finanzgeschäfte und Verbraucherkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
572 573 573 574 578 581 629 630 631 634 637 640 645 649 650 650 656 664 665
Inhaltsverzeichnis
XXI
IV. Pauschalreisevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten . . . . V. Dienstleistungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Fernunterrichtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Wertpapier-Anlageberatungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Darlehensvermittlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
696 696 697 699 701 701 722 725 725 736 761
D. Deliktischer Verbraucherschutz durch Produzentenund Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 I. II. III. IV. V.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europarechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Produzentenhaftung nach § 823 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Produkthaftung nach dem ProdHaftG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
774 776 778 781 782 783 796
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes . . . . . . 806 A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 B. Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der schwierige Zugang zum Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolgsbarrieren vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Negative volkswirtschaftliche Auswirkungen der mangelnden Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Instrumente zur Problemabhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schlichtung als außergerichtliche Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . 2. Beratungs- und Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuständigkeitsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kollektivverfahren i.w.S. zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kompensatorische Prozessleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
808 810 813 815 817 818 818 821 825 835 869
XXII
Inhaltsverzeichnis
C. Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 878 I. Allgemeiner Vollstreckungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbraucherinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Struktur des Verbraucherinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . 3. Problematik der Prozesskostenhilfe/Stundung der Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Möglichkeit eines „Null-Planes“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Überlegungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen gegen Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
878 879 880 880 886 887 888 889
3. Teil
Rechtstheorie A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893 B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . 896 I. Die (umstrittene) Existenz von Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Bedarf nach Rechtsprinzipien und ihre Funktion . . . . . . . . . . . 1. Die einende (integrierende) Funktion für das gesamte Recht . . . 2. Die interpretierende Funktion bei der Gesetzesanwendung . . . . 3. Die lückenfüllende Funktion bei der Rechtsfortbildung . . . . . . . 4. Die programmierende/richtungweisende Funktion . . . . . . . . . . 5. Die rechtsvergleichende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Herausbildung und Kenntlichmachung von Rechtsprinzipien 1. Das Problem des normativen Maßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unterschiedlich bewertete Ausgangsbasis für den Exzerptionsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Was Prinzipien sind: Zur Beschaffenheit des gesuchten „Objekts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prinzipienmehrheit, innere Spannungen sowie Über- und Unterordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beispiele für die Herleitung von Prinzipien und verwandte Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
898 899 899 901 901 902 907 907 910 911 913 928 931 933
Inhaltsverzeichnis
1. 2. 3. 4.
XXIII
Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (cic) . . . . Die positive Forderungsverletzung (pFV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
934 934 935 936
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938 I. Die Wandelbarkeit von Prinzipien mit dem geltenden Recht . . . . . II. Die gewandelte Exzerptionsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die große Rechtsmasse und ihre thematische Spreizung . . . . . . 2. Die neue Verklammerung durch einheitliche Begriffe und Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die neue Grenzziehung zwischen Verbraucherrecht und sonstigem Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Streit um die Generalisierung(snotwendigkeit) . . . . . . . . . . . 2. Alpha- und Beta-Asymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prinzipienbildung und Verschiebung der Grenze zwischen den Zivilrechtsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. „Aus der sich zusammenballenden Masse entwickelt sich eine neue Kraft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Emergenz als bestimmendes Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Universalität der Erscheinungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Problem: Fehlende Verifizierbarkeit der notwendigen „kritischen Masse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vergleich mit ähnlichen Erscheinungsformen/Inhalt des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fehlender Verstoß gegen höherrangiges, geschriebenes Recht . . . . 1. Unbedenklichkeit in Bezug auf Verfassungsrecht (Art. 2 I, 20 I GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbedenklichkeit in Bezug auf das Primärrecht (Art. 169, 114, 12, 4 II lit. f) AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Schlussfolgerungen für Politik, Gesetzgebung und Judikatur . . . . . 1. Ausgangspunkt: „Wertungstendenz“ und die Ausbalancierung mit anderen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenze: keine konturlose Relativierung der Vertragsbeziehung 3. Ergebnis: Differenzierte Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umsetzung bei der Evaluierung des Rechts/Schaffung neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
939 939 940 942 943 943 944 946 947 947 948 949 950 950 951 961 963 963 964 966 967
XXIV
Inhaltsverzeichnis
5. Konkrete Beispiele zur Umsetzung des Verbraucherschutzprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968 6. Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1071
1
1. Teil
Grundlagen
2
3
1. Kapitel
Einleitung Seit etlichen Jahrzehnten sind Fragen des Verbraucherschutzes Gegenstand rechtlicher Betrachtungen und Auseinandersetzungen.1 Sowohl die Legislative als auch die Judikative sahen sich veranlasst, die Stellung des Verbrauchers zu stärken. Auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung 2 gewann das Thema an Bedeutung. Dabei hat sich das Verbraucherschutzrecht als relativ neues Rechtsgebiet im Wesentlichen in den letzten vierzig Jahren herausgebildet.3 Mit der zunehmenden Entwicklung dieser Materie veränderte sich auch die thematische Ausrichtung der Verbraucherrechtsdiskussion:4 War das Problemfeld des Verbraucherschutzes in den 1960er und 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch deshalb von besonderem Interesse gewesen, um den Schutz des Verbrauchers zu etablieren, so geht es heute hauptsächlich darum, den gewonnenen Status quo zu bewahren und auszubauen sowie die durch dieses Rechtsgebiet aufgeworfenen rechtsdogmatischen Probleme aufzuarbeiten.5 Hatte man sich am Anfang der Verbraucherrechtsentwicklung noch darum gestritten, inwieweit ein besonderes Verbraucher(schutz)recht6 überhaupt existieren sollte,7 d.h. ob ein Problem, 1
Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003); Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003); Gilles, JA 1980, 1 ff.; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Gärtner, JZ 1992, 72, 73 ff.; Damm, JZ 1978, 173 ff.; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995); Hart/Köck, ZRP 1991, 61 ff.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994); Lindner, Verbraucherschutz in der Transformation (2004); Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990); Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002); v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986); Martis, Verbraucherschutzrecht (1998); Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979); Reich, ZRP 1974, 187 ff.; Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976); Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 1993); ders., Förderung und Schutz diffuser Interessen durch die Europäischen Gemeinschaften (1987); Reich/Micklitz, Verbraucherschutz in der Bundesrepublik Deutschland (1980); dies., Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten (1981); Reifner, WRP 1987, 421; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976); Metz, VuR 1992, 386 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004); Volkmer, Verbraucherrechtsberatung (1988). 3 Gärtner, JZ 1992, 72, 73 ff. 4 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 43. 5 Meets, Verbraucherschutzrecht bei Rechtsgeschäften im Internet (1998), S. 1. 6 Zur Terminologie Verbraucherrecht/Verbraucherschutzrecht siehe Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150 f. 7 Vgl. einerseits Reich, ZRP 1974, 187 ff.; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in 2
4
1. Teil: Grundlagen
nämlich das des Schutzes des Verbrauchers, tatsächlich als ein zu einer rechtspolitischen Lösung drängendes zur Kenntnis genommen wird (und wenn ja, wie und wo es regelungstechnisch zu verorten ist),8 so werden diese Fragen heute kaum noch gestellt,9 auch, weil sie gegenwärtig vielen nicht mehr „up to date“ erscheinen. Die thematische Neuausrichtung in der Auseinandersetzung um das Verbraucherschutzrecht ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass bezüglich der Notwendigkeit der Etablierung von verbraucherschützenden Maßnahmen mittlerweile ein breiter Konsens herrscht,10 zumal der Gesetzgeber im Bereich des Verbraucherschutzes in weitem Umfang Fakten geschaffen hat, an denen man auch im Rahmen der Verbraucherrechtsdiskussion nicht mehr vorbeikommt. Unklar und in vielen Bereichen umstritten ist allerdings auch heute noch, welche Schlussfolgerungen sich aus der Anerkennung der Forderung nach Verwirklichung von effektivem Verbraucherschutz ziehen lassen, welche Mittel zur Protektion von Verbraucherinteressen am besten geeignet sind, was das rechte Maß des zwingenden Vertragsschutzes ist,11 aber auch, welche Auswirkung die rechtliche Berücksichtigung des Verbraucherschutzes für die übrige Rechtsordnung zeitigt.12
der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 15; Reich, Markt und Recht (1977), S. 190 ff.; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 18; Damm, JZ 1978, 173 ff.; Hart/Joerges, Verbraucherrecht und Marktökonomie, in: Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts (1980), S. 91 ff., 229; dagegen ursprünglich Westermann, AcP 178 (1978), 150 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff.; kritisch auch Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979), S. 1. 8 Es ging hier um rechtspolitische und auch ideologische Grabenkämpfe zwischen jenen, die sich über ein als sozial apostrophiertes Verbraucherschutzrecht die Veränderung des Sozialmodells des BGB erhofften, und jenen, die sich als Verteidiger der Marktwirtschaft sahen, vgl. dazu Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 1; Hönn, ZfA 2003, 325, 354 ff. 9 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 1: „Die Verbraucherschutzdebatte der 70–iger Jahre hat an Intensität eingebüßt.“ 10 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 16 ff. (dort noch mit umfangreicheren Ausführungen als in der späteren 5. Aufl.). 11 Damm, FS Reich (1997), S. 129, 131; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 16, 22 ff.; Gärtner, JZ 1992, 72, 73; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 13; Ahrens, Die Rolle der Zivilrechtswissenschaft bei der Vorbereitung von „Verbraucher“-Schutzgesetzen (1985), S. 169, 170; Fuchs, Verbraucherschutz in Spanien (1990), S. 21; Zöllner, JuS 1988, 329, 333. 12 Zu diesen Fragen Gilles, JA 1980, 1 ff.; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 30 ff.; Damm, JZ 1978, 173, 174; Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983); v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986); Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981); Reich, Markt und Recht (1977), S. 179 ff.; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979); K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976).
1. Kapitel: Einleitung
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Dass es auf Grund der umfangreichen Tätigkeit des Gesetzgebers im Bereich des Verbraucherschutzrechtes zu quantitativen und qualitativen Veränderungen im gesamten Bereich des Bürgerlichen Rechts gekommen ist, und dass diese Veränderungen auch Rückwirkungen auf die über das Verbraucherrecht hinausgehende übrige Privatrechtsordnung haben, ist unbestritten.13 Keine Einigkeit besteht aber in der Interpretation dieser Auswirkungen.14 Die unterschiedliche Bewertung beruht häufig auf einer divergierenden Einschätzung des Entwicklungsstandes des gegenwärtigen Verbraucherschutzrechtes und ist zudem vielfach Ausdruck der eigenen rechtspolitischen Überzeugung darüber, was Verbraucherschutzrecht ist und wohin es mit ihm gehen soll.15 In rechtspolitischer als auch in rechtsdogmatischer Hinsicht kommt dabei einer Frage ein ganz besonderes Gewicht zu. Die Frage lautet, ob es sich bei den zahlreichen verbraucherschützenden Bestimmungen, die das deutsche Recht kennt, nur um lose, nebeneinander stehende, partielle Abweichungen von allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben handelt16 oder um weit mehr,17 etwa um einen Regelungscluster, der durch ein einheitliches Rechtsprinzip18 getragen wird und unter dessen Oberfläche bereits Anfänge einer kohärenten Rechtsdogmatik19 durchscheinen. Falls dem so wäre, könnten von dem Verbraucherschutz13
Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 13. Restriktiv: Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 16 ff., 141 ff.; dagegen: Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 10; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268 ff. 15 Vgl. dazu Damm, FS Reich (1997), S. 129, 131; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten (1981), S. 11: „In den EG-Ländern ist die Frage noch offen, ob es ein spezielles Verbraucherrecht gibt, oder ob ein solches im Entstehen begriffen ist.“; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 1 ff.; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103 ff.; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150 f.; v. Hippel, Schutz des Schwächeren (1982); Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 48 ff.; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 477: „im Kern ein politischer Streit“; Adomeit, NJW 2002, Heft 43 Editorial mit dem Titel: „Verbraucherschutz – ein letzter Triumph von Karl Marx?“. 16 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 17: „Konturlosigkeit“, S. 75: lediglich Ausdruck einer „verfeinerten Verkehrsmoral“, nicht aber Ausfluss einer typischen Paritätsstörung; ähnlich Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff., 123: der Verbraucherschutzgedanke ist zu „unspezifisch“. 17 Vgl. zur Auseinandersetzung den Übersichtsaufsatz von Gilles, JA 1980, 1, 5; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherberatung (1988), S. 10; Heckelmann, FS Bärmann (1975), S. 427, 431; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268 ff.; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 1. 18 Wenn die Einzelvorschriften zum Schutz des Verbrauchers auf ein einheitliches Rechtsprinzip zurückgeführt werden, wofür hier plädiert wird, dann vollzöge sich ein Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine im Wege der Induktion unter Anwendung der Grundsätze zur Gesamtanalogie, vgl. zum methodischen Vorgehen Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995). 19 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 1; Gärt14
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1. Teil: Grundlagen
recht Impulse20 ausgehen, die zu einer fortschreitenden sozialen Neuausrichtung im (Zivil-)Recht führen könnten,21 die aber natürlich auch Fragen nach der Eigenständigkeit und Abgrenzung des Verbraucherschutzrechts vom übrigen Recht aufwerfen.22 Gerade die unterschiedliche Interpretation des Entwicklungsstandes23 des Verbraucherschutzrechts und die Auseinandersetzung um seine Bedeutung im System des Zivilrechts offenbaren ein grundlegendes Manko bei der Behandlung der Materie: Das Problem ist, dass auf dem Felde des Verbraucherschutzes eigentlich nur sehr wenig geklärt ist. Dieser Umstand gründet sich zweifellos auch darauf, dass die in den 1960er und 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnene rechtspolitische Debatte über den Legitimationsgrund von verbraucherschützenden Maßnahmen mittlerweile abgeebbt ist,24 ohne dass die damals eingebrachten (und bis heute fortgeltenden, spezifischen) Argumente wirklich ausdiskutiert wurden.25 Die in der Folge aufgetretenen, neueren Diskussionen26 ner, JZ 1992, 72, 73; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 16; Westermann, Verbraucherschutz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band III (1983), S. 1–122; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981); kritisch noch Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979), S. 1. 20 Befürwortend: Wilhelmsson, JCP 13 (1990), 1 ff.; kritisch: Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 16: „Motor einer Weiterentwicklung und Aktualisierung des bürgerlichen Rechts?“; ähnlich Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff. 21 Zur Frage, ob das Verbraucherrecht dafür steht, dass es einer sozialen Dimension im Recht bedarf, vgl. Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979); Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 146, 150 f., 559 ff.; v. Hippel, Schutz des Schwächeren (1982); instruktiv Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 48 ff.; siehe zum Ganzen auch Study Group on Social Justice in European Private Law, Social Justice in European Contract Law: a Manifesto, ELJ 2004, 653 ff.; Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002), S. 11 ff.; kritisch Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 213 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff. 22 Kritisch: Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff.; befürwortend: Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268 ff. 23 Siehe hierzu auch Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976), S. XI; vgl. zudem die Auseinandersetzung zu diesem Thema auf dem 50. DJT, Sitzungsberichte H (1974). 24 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 2. 25 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 43; MüKo/ Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 1: Heute stellen sich nach der Neuverortung des Verbraucherrechts ins BGB dieselben Fragen unter anderen Vorzeichen. 26 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 1: Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bleibt es (nun) vorbehalten, die neuen Begrifflichkeiten (§§ 13, 14 BGB) und die ins BGB integrierten Verbraucherrechtsbestimmungen mit Leben zu erfüllen und die das BGB bis dato beherrschende formale Freiheitsethik mit der neu aufgenommenen Verantwortungsethik des Verbraucherrechts zu versöhnen.
1. Kapitel: Einleitung
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über die Reichweite von verbraucherschützenden Maßnahmen und die zu favorisierenden Regelungsinstrumente gestalten sich so denn auch als Fortsetzung der alten Auseinandersetzung in einem neuen Gewande.27 Der Disput um die Legitimation, die Reichweite und die Instrumente des Verbraucherschutzrechtes führt in der Praxis dazu, dass es dem Rechtsuchenden nicht leicht fällt, sich in diesem Rechtsbereich zurechtzufinden. Orientierungsschwierigkeiten treten spätestens dann auf, wenn der Rechtssuchende die Ebene der deskriptiv beschreibenden Gesamtschau der verbraucherschützenden Normen verlässt und sich auf die Suche nach den Querverbindungen unter den diversen Verbraucherschutzvorschriften macht oder gar nach einem verallgemeinerbaren Legitimationsgrund für diese Sonderbestimmungen forscht.28 Denn dieses Unterfangen führt mitten hinein in die weit gefächerte Debatte über Sinn, Zweck und Ausrichtung des Verbraucherschutzrechtes und seiner Regelungsinstrumente.29 Bereits in der Vergangenheit wurde bemängelt, dass das Verbraucherschutzrecht eine Materie ist, die mit soliden Monographien nicht gerade hervorsticht.30 Die sich hier im wissenschaftlichen Bereich auftuende Lücke sucht die vorliegende Arbeit zu schließen. Sie soll einen Beitrag liefern, damit das (vornehmlich europäisch inspirierte) deutsche Verbraucherschutzrecht für den Rechtsuchenden von seiner Wurzel bis in die vielen kleinen Verästelungen hinein verständlicher wird.31 27 Zum Zusammenhang zwischen den im Einzelnen befürworteten Instrumenten des Verbraucherschutzes und den verschiedenen Verbraucherschutzmodellen vgl. Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 25; vgl. auch die polemischen Bemerkungen von Adomeit, NJW 2002, Heft 43 Editorial mit dem Titel: „Verbraucherschutz – ein letzter Triumph von Karl Marx?“. 28 Das Privatrecht bedarf mehr denn je der Klärung und Rechtfertigung seiner gesamtgesellschaftlichen Bezüge. Es geht gerade im Verbraucherrecht darum, den „wuchernden Partikularismus“ einer Rechtsordnung zu überwinden, die in Anpassung an die unbegriffene Komplexität der gesellschaftlichen Umgebung ihr Zentrum verloren zu haben scheint und inkrementalistisch zerfasert, vgl. dazu Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 474. 29 Einen Überblick gibt etwa Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17 f.; siehe dazu ferner Bülow/Artz, NJW 2000, 2049 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 320, 343 ff.; Dreher, JZ 1997, 167, 176 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 282 ff.; Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Vertragsrechts (1996), S. 8; Gärtner, BB 1995, 1753; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 198 ff.; Pfeiffer, in: SchulteNölke/Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 27 ff. 30 So Borchert, NJW 2005, 3267, in der positiven Besprechung zu Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004). 31 Die Arbeit wird sich von der letzten grundlegenden Habilitation zu diesem Thema, die von Drexl stammt (Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998), insoweit abgrenzen, als sie nicht nur auf ein bestehendes Informationsdefizit beim Konsumenten abstellt, sondern umfassend alle Asymmetrien in Bezug nimmt. Außerdem ist sie auf die Darstellung von Verzahnung und Befruchtung von deutschem Zivilrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht angelegt.
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1. Teil: Grundlagen
Deshalb wird es hier darum gehen, nicht nur die einzelnen, inner- und außerhalb des BGB kodifizierten Verbraucherschutzbestimmungen aneinanderreihend darzustellen. Es geht auch und vor allem darum, sie in die allgemeine verbraucherpolitische Grundsatzdiskussion einzubinden und ein Licht auf die von ihnen möglicherweise ausgehende Innovationskraft für das gesamte Zivilrecht zu werfen. Die Aufteilung der Arbeit folgt dieser inhaltlichen Marschroute: So sollen im ersten Teil die allgemein gehaltenen verbraucherpolitischen Grundsatzfragen erörtert werden. Es geht hier um die definitorische Festlegung des Begriffes „Verbraucher(schutz)recht“, zum anderen aber auch um unterschiedliche Marktinterpretationen und die daraus ableitbaren Folgerungen für das Verbraucherrecht und seine Wechselwirkung zum allgemeinen Zivilrecht. Im zweiten Teil des Buches werden die im deutschen Recht konkret verwandten Begriffe des Verbrauchers sowie des Unternehmers sowie die verbraucherschützenden Instrumente wie Informationspflichten, Transparenzgebote, Widerrufs- und Rückgaberechte dargestellt. Hier vollzieht sich der Wechsel von der Ebene der normativen Gesamtbetrachtung zur deskriptiven Gesamtschau all derjenigen Rechtsnormen und ihrer Anwendungsprobleme, die das zivilrechtliche Verbraucherschutzrecht gegenwärtig charakterisieren. Im letzten, dem dritten Teil soll schließlich der wichtigsten Frage nachgegangen werden, nämlich der, ob sich auf Grund der vielen Normen, die das deutsche Verbraucherschutzrecht umschreiben, bereits ein allgemeines Rechtsprinzip i.S. eines „Verbraucherschutzprinzips“ induzieren32 lässt, das den anderen Rechtsprinzipien des Zivilrechts (ggf. auf Augenhöhe) an die Seite gestellt werden kann und das bei der Anwendung und Fortbildung des allgemeinen bürgerlichen Rechts mit zu berücksichtigen ist.33
32 Es geht um den Schluss von besonderen Regelungen auf etwas Verallgemeinerbares, das Verfahren nennt man „Induktion“, vgl. dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 205. 33 Vgl. die zusprechende Überlegung bei Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268 ff.; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, BGB, Bd. 1 (2005), § 14 Rn. 1; ablehnend Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff., 228 ff.
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2. Kapitel
Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel In den vergangenen vier Jahrzehnten1 wurde das Verbraucherschutzrecht in der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis immer weiter ausgebaut. Verbraucherpolitik und die gesetzgeberische Gestaltung von Verbraucherschutzrecht sind jedoch keineswegs als „abgeschlossenes Projekt“ zu betrachten. Die Entwicklung dieser Materie bleibt eine ständige Aufgabe und Herausforderung sowohl für die Gesetzgebung als auch für die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Denn neue technische Entwicklungen, Veränderungen in den Marktformen und die Herausbildung neuer Verhaltensweisen der Marktteilnehmer erfordern eine stete Überprüfung und Anpassung bestehender Vorschriften.2 Das Verbraucherschutzrecht stellt gerade vor diesem Hintergrund eine besonders dynamische Rechtsmaterie dar. Schon deshalb gestaltet sich der Umgang mit ihm nicht einfach.
A. Was ist Verbraucherschutzrecht? Schwierig zu handhaben ist das Verbraucherschutzrecht aber auch, weil bereits eine gewisse Unsicherheit darüber besteht, welche Bereiche des geltenden Rechts das Verbraucherschutzrecht konstituieren.3 Konsensfähig ist insoweit lediglich die Feststellung, dass das Verbraucherschutzrecht ein Sammelbegriff 4 für eine Rechtsmaterie darstellt, die in verschiedenen Bereichen des Rechts auf den rechtlichen Schutz und die Förderung der Interessen der Endverbraucher gerichtet ist.5 1 2
MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 14 ff. V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1984), S. 308; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145,
151. 3 So der zutreffende Befund von Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 14; Gärtner, JZ 1992, 72, 73; Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 9; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 10; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 13: „Es gibt kein allgemein akzeptiertes Vorverständnis über den Gegenstandsbereich “. 4 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 22; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten (1981), S. 12: „Konglomerat aus verschiedenen Elementen“. 5 Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003), S. 1; Dauner-Lieb, Verbraucher-
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1. Teil: Grundlagen
I. Notwendigkeit einer begrifflichen und inhaltlichen Konzentration Damit ist aber noch keine exakte Definition für diesen Rechtskreis gewonnen. Denn die pauschale Umschreibung des Verbraucherschutzrechtes als Recht zum Schutz des Verbrauchers und zur Förderung seiner Interessen birgt im Hinblick auf die Weitläufigkeit dieser Festlegung die Gefahr einer inflationären Verwendung des Begriffes „Verbraucherschutz“6 und damit auch das Risiko einer Entrechtlichung und Entwertung seines Gehaltes.7 Will man nach konkreten Determinanten des Verbraucherschutzgedankens im Recht forschen und soll Verbraucherschutz nicht als bloßes Schlagwort,8 sondern als rechtliche Kategorie (vielleicht sogar i.S.e. Rechtsprinzips)9 verstanden werden, ist bei der Festsetzung des Untersuchungsgegenstandes eine begriffliche und inhaltliche Konzentration unumgänglich. Diese muss darin münden, dass der Begriff Verbraucherschutz verdichtet wird, und zwar derart, dass mit ihm nicht jegliche Wahrnehmung sozialer Verantwortung assoziiert werden sollte, auch wenn sie mittelbar dem Verbraucher zu Gute kommt. In der allgemeinen Diskussion werden allzu oft alle Problemfelder, die in irgendeiner Form das einzelne Rechtssubjekt als „Privatmann“ tangieren, ohne weiteres dem Sachkomplex Verbraucherschutz zugeordnet. So unterschiedliche Bereiche wie die Ernährungs- und Energiepolitik, der Umwelt10- und Tierschutz werden als Regelungsgebiete des Verbraucherschutzes angesehen.11 Diese Sichtweise verstellt jedoch den Blick auf den eigentlichen Kernbestand des Verbraucherschutzrechtes, bzgl. dessen es schon an sich schwierig ist, ihn in schutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 14 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 84; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 3; Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 9. 6 Was zu der weitergehenden Frage führt, ob es sich beim Verbraucherschutz um ein bloßes Schlagwort als ein sich in Beliebigkeit verlierendes Verkaufsargument für Rechtsprodukte handelt oder um ein echtes Rechtsprinzip, vgl. dazu K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 17. 7 Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 14 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 102 spricht von der Gefahr der „Zerfaserung“ und des „Phrasencharakters“. 8 Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 14. 9 Vgl. die programmatische Schrift von K. Simitis, Verbraucherschutzrecht: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), insbesondere S. 16 ff. 10 Obermann, Umweltschutz und Verbraucherinteressen, VD (1976), 97 ff.; Joerges, Verbraucherverhalten und Umweltbelastung (1981); v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 24; kritisch insofern auch Gärtner, JZ 1992, 72, 73. 11 Vgl. etwa die Problemkataloge bei K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 21 ff.; v. Hippel, Verbraucherschutz (2. Aufl., 1979), S. 39; problematisiert von Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 14.
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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seiner Reichweite und Dogmatik zu erfassen. Um das Unterfangen einigermaßen erfolgstauglich zu gestalten, sollen in dem hier verstandenen „engen Sinn“ solche Materien nicht zum Verbraucherschutz gezählt werden, die den einzelnen nicht in seiner spezifischen Rolle als „Verbraucher“ bzw. als „Konsument“ im Verhältnis zum Unternehmer erfassen, sondern als Bürger oder schlicht als Mensch.12 Verbraucherschutzrecht in dem hier verstandenen Sinne ist deshalb kein allgemeiner „Policy-Mix“,13 sondern eine Rechtsmaterie, die auf die Förderung der Durchsetzungskraft der Interessen des Verbrauchers, d.h. des Konsumenten, gerichtet ist, wobei den Konsumenten die in Bezug genommenen Interessen gerade in ihrer Rolle als Endverbraucher von Waren und Dienstleistungen (in typisierender und generalisierender Gegenüberstellung zum Unternehmer) immanent sind.14 II. Definition des Verbraucherschutzrechtes Verengt man das Verbraucherschutzrecht definitorisch derart auf seinen eigentlichen Kerngehalt, dann steht das Wort Verbraucherschutzrecht für ein Konglomerat von Rechtsnormen, das zielgerichtet der Protektion der Interessen der privaten Endverbraucher in ihrem Verhältnis zum Anbieter dient und das insofern gerade für die Stellung des Verbrauchers in seiner Rolle als Abnehmer von Waren und Dienstleistungen Bedeutung erlangt15 und zwar unabhängig davon, ob es direkt an den Begriff des Verbrauchers anknüpft oder nicht.16
12 Beispielsweise wird der Verbraucherschutz mit Richtung auf die Entwicklungsländer dahingehend verstanden, dass er auf Fortschritte in der Trinkwasserversorgung und der Abwasserhygiene zielt und auf die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und pharmazeutischen Produkten, vgl. Gärtner, JZ 1992, 72, 73 f.; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 485–493, im Hinblick auf die Argumentation der Generalversammlung der Vereinten Nationen. 13 Hart/Köck, ZRP 1991, 61 ff.; vgl. auch Reifner, VuR 2004, 130, der polemisierend herausstellt, dass Verbraucherschützer unschönerweise auch in Verbindung mit dem „Tierund Artenschutz“ gebracht werden. 14 Ähnlich Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 2; Wilhelmsson, ELJ 2004, 712 f. 15 Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003), S. 1; Scherhorn, Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik (1975), S. 156 ff., 126 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 84; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten (1981), S. 228 ff.; dies., Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 2; Reich, Markt und Recht (1977), S. 186; v. Hippel, Verbraucherschutz (1986), S. 3, 384 ff.; Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976), S. 7; Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 9; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 10 f. 16 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 8.
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1. Teil: Grundlagen
1. Bezug zum „Verbrauch“ als tatsächlichem Vorgang Durch die Bezugnahme auf den Verbrauch von Waren und Dienstleistungen, die den Verbraucher und seine Stellung am Markt als Abnehmer kennzeichnen, steht das Verbraucherschutzrecht unzweifelhaft in Korrelation zum Prozess des Konsums.17 Der „Verbrauch“ ist eine Kategorie, die einen Markt voraussetzt, auf dem sich Nachfragerwünsche mit Angeboten von Unternehmen der Produktion, des Handels und von Dienstleistungen treffen. Verbraucher ist dann jeder, der als Nachfrager auf dem Markt seine Bedürfnisse zu befriedigen sucht.18 2. Bezug zur „Rolle des Verbrauchers“ Aber auch ein solcher Begriff des Verbrauchs und des Verbrauchers gibt für die Erklärung der ökonomischen Besonderheiten des Verbraucherschutzrechtes noch zu wenig her. Er lässt nämlich den gesellschaftlichen Bezug des „Verbrauchs“ und damit die gesellschaftliche Stellung des Verbrauchers außer Acht. Er kann nicht erklären, warum der Gesetzgeber die „natürliche Tätigkeit des Verbrauchs“ zu einem zentralen Ausgangspunkt seiner Intervention genommen hat. Hierzu bedarf es vielmehr einer wertenden Betrachtung und Einbeziehung der sozio-ökonomischen Rolle des Verbrauchers im Marktgefüge.19 Die besondere sozio-ökonomische Rolle des Verbrauchers ist dabei nicht als Umschreibung für eine bestimmte Klasse von Personen zu sehen.20 Denn jedermann kann Verbraucher sein, solange und soweit er am Markt in der Rolle des Endabnehmers von Waren und Dienstleistungen gegenüber dem Anbieter fungiert.21 3. Resümee Verbraucherschutzrecht konstituiert sich damit nicht nur über die rechtliche Inbezugnahme des tatsächlichen Vorgangs des Verbrauchs, sondern auch und vor allem über den Vorgang des Konsums und die Rolle des Verbrauchers im Marktgeschehen.22
17 Vgl. dazu Rösler, ZfRV 2005, 135, 138. Zur Sonderproblematik der Bürgschaft, die nicht als „Konsum“ verstanden werden kann, vgl. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 10 f.; einschränkend auch Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 9, mit dem zutreffenden Hinweis, dass Informationen nicht „ver“- sondern „gebraucht“ werden. 18 Gärtner, JZ 1992, 72, 76. 19 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 2. 20 Medicus, Schlussbetrachtung, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 607. 21 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 161. 22 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 2; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 52.
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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B. Spezifische Gefahrenlagen Das Verbraucherschutzrecht nimmt den Verbraucher in seiner Rolle als Konsument in besonderem Maße ins Visier, weil sich dieser als am Markt handelndes Rechtssubjekt im Verhältnis zur Anbieterseite besonderen Risiken ausgesetzt sieht, die die Anbieterseite nicht in gleicher Weise treffen, die aber auch im Verhältnis der Verbraucher untereinander in dieser Form nicht zu konstatieren sind. I. Divergierende Interessen zwischen Verbrauchern und Unternehmern Die besonderen Risiken, die den Verbraucher als Gegenspieler des Unternehmers tangieren, haben darin ihren Grund, dass sich Verbraucher und Unternehmer am Markt als Rechtssubjekte mit divergierenden23 ökonomischen Interessen (kontradiktorisch)24 gegenüberstehen, wobei in typisierender Weise ein strukturelles Machtungleichgewicht zwischen beiden zu verzeichnen ist. Grundlage des Interessengegensatzes ist der Umstand, dass in der Produktions- und Distributionssphäre Gebrauchswerte (i.S.v. Waren, Dienstleistungen etc.) erzeugt und umgeschlagen werden, um als Tauschwerte (Geld und ähnliches) zu den Unternehmen zurückzufließen. Für den Konsumenten gilt diese Dialektik des Umschlages von Gebrauchswert in Tauschwert jedoch nicht.25 Er erwirbt Gebrauchswerte um ihrer selbst willen (für seine Daseinsvorsorge) und setzt Tauschwerte, insbesondere Geld, dafür ein, um seine persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen.26 Die ökonomischen Antriebe, Machtverhältnisse und Interessen in einem solchen Prozess sind notwendigerweise anders zu bewerten als in den vorgelagerten Produktions- und Austauschprozessen.27 Die vorbeschriebenen Unterschiede bei den verschiedenen am Markt wirkenden Austauschverhältnissen wären unerheblich, wenn man im Verhältnis Verbraucher/Unternehmer von dem Bestehen einer (Verhandlungs-)Parität ausgehen könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall.28 Und da der Markt den sich in diesen Konstellationen auftuenden Gegensätzen und Ungleichgewichten nicht hinreichend genug durch Selbstregulation Rechnung trägt, muss der Staat regelnd 23
Zum Interessengegensatz schon Scherhorn, Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik (1975), S. 32 f.; vgl. dazu auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 48. 24 Biervert/Fischer-Winckelmann/Rock, Grundlagen der Verbraucherpolitik (1977), S. 48 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 48; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 5. 25 Reich, Markt und Recht (1977), S. 181 f. 26 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 5. 27 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 5. 28 Vgl. etwa Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487: „strukturelle Informations-, Macht- und Kompetenzvorsprünge“; ebenso Hart, KritV 1986, S. 240 f.
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1. Teil: Grundlagen
eingreifen.29 Er tut dies über den Einsatz von marktkomplementären und marktkompensatorischen Mitteln.30 II. Gestörte Selbstregulation des Marktes durch Kräfteungleichgewicht Zwar ist im Rahmen der jedem Rechtssubjekt zustehenden Privatautonomie auch der Verbraucher zunächst aufgerufen, seine Angelegenheiten durch den Abschluss von Rechtsgeschäften selbständig zu regeln.31 Das durch den BGBGesetzgeber für den Abschluss von Rechtsgeschäften antizipierte Gleichgewicht zwischen den Vertragsparteien kann jedoch (wie der Gesetzgeber durch die Etablierung der verbraucherschützenden Vorschriften als Reaktion auf vorhandene Disparitäten selbst einräumt) durch verschiedene Umstände gestört werden. 32 Im Ergebnis ist man sich mittlerweile weitgehend einig darin, dass die Gefahr eines Kräfteungleichgewichts besonders im Verhältnis des Verbrauchers zum Unternehmer virulent wird, wobei im Einzelnen noch umstritten ist, wann und wieso das der Fall ist.33 Dem gesamten Verbraucherschutzrecht ist der als gefestigt geltende Befund unterlegt, dass der Verbraucher im Verhältnis zum Unternehmer durch eine (wie auch immer geartete und begründete) unterlegene Marktstellung 34 gekennzeichnet ist. Als Recht zum Schutz des schwächeren Marktteilnehmers zielt es auf die Etablierung von Regelungen zur Ausbalancierung des bestehenden Kräfteungleichgewichts bzw. auf das daraus resultierende (Verhandlungs-)Ergebnis zwischen den Parteien.
29 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 124; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487. 30 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 47; vgl dazu auch die Ausführungen im 1. Teil, 1. Kapitel, Abschnitt E. 31 Auf europäischer Ebene bedeutet dies, dass der Bürger auf Grund der Privatautonomie in der Lage sein muss, aktiv als Nachfrager von den wirtschaftlichen Grundfreiheiten Gebrauch zu machen, das bedeutet insbesondere von der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit, vgl. dazu Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999), S. 262 ff.; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150. 32 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 23. Zur Ursache der Paritätsstörung und zur Behebung/Kompensation vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel, Abschnitt E II. 33 Dazu ausführlich im 1. Teil, 5. Kapitel, Abschnitt E II. 34 Ring, in Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB Bd. I (2005), § 13 Rn. 2; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487 f.; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 165.
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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III. Unterschiedliche Begründungsansätze für das Kräfteungleichgewicht Der Befund eines bestehenden Kräfteungleichgewichts zwischen Verbraucher und Unternehmer lässt sich – vorsichtig formuliert – etwa dahingehend konkretisieren, dass im Geschäftsleben eine gewisse „Geschäftskompetenz“35 und „Robustheit“36 i.S.d. Selbstbestimmung vorausgesetzt wird, von deren Vorliegen beim Handeln eines Verbrauchers im privaten Bereich zum Zwecke des Konsums gegenüber einem Unternehmer nicht ohne weiteres auszugehen ist.37 Versucht man die Gründe für die unterlegene Rechtsstellung des Verbrauchers etwas konkreter, d.h. juristischer zu fassen, werden in der Literatur und Rechtsprechung zwei unterschiedliche Strömungen sichtbar: 1. Informationsdefizit Zum einen wird geltend gemacht, der Grund für die unterlegene Marktstellung des Verbrauchers liege ausschließlich in einem typisierbaren Informationsdefizit38 begründet. Entgegen dem Informationsaxiom der liberalen Markttheorie39 habe sich nämlich herausgestellt, dass der Verbraucher nicht (jedenfalls nicht typischerweise)40 ein in gleicher Weise wie der Unternehmer informierter Marktteilnehmer sei.41
35 Zu diesem Zusammenhang BGH NJW 1979, 2089, 2091; BGH NJW 1980, 2074, 2076; BGH NJW 1980, 2076, 2078; BGH NJW 1981, 1206 f.; BGH NJW 1994, 2759, 2760, so auch Hadding, Gutachten, zum 53. DJT (1980), S. 119 f.; Schumacher, Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner (1979), S. 85; Schmude, FS Ballerstedt (1975), S. 481, 493; Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 22, 65. 36 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19 f. 37 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 360 ff.; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19 f. 38 Hunzicker, Erziehung zum Überfluß, Soziologie des Konsums (1972), S. 1 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 63 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; ders., AcP 183 (1983), 348 ff.; Zöllner, AcP 188 (1988), S. 91 ff.; Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts (1996); zu Informationsasymmetrien allgemein Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001). 39 Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf (1933); Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz. Über die Grenzen von Staat, Gesellschaft und Privatautonomie (1978); Rittner, AcP 180 (1980), 392 ff.; Biedenkopf, FS Böhm (1965), S. 113 ff.; Mayer-Maly, FS Merkl (1970), 247 ff.; v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I–III (1980–1981). 40 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487. 41 Scherhorn, Gesucht der mündige Verbraucher (2. Aufl., 1974), S. 58; Schumacher, Verbraucherschutz bei der Vertragsanbahnung (1983), S. 57 f.; Assmann/Kübler, Staatliche Verbraucherinformation im Ordnungsgefüge des Privatrechts (1981), S. 25.
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1. Teil: Grundlagen
2. Rollensoziologisch bedingte Asymmetrien Nach anderer Ansicht ist das bestehende Informationsdefizit nicht alleiniges Charakterisierungsmerkmal für die unterlegene Marktstellung des Konsumenten. Denn es lassen sich weitergehende „Asymmetrien“ ausmachen. Vor diesem Hintergrund favorisieren einige ein eher rollensoziologisches Deutungsmodell des Verbraucherschutzes, das über das Informationsdefizit hinaus auch das intellektuelle, psychologische und wirtschaftliche Ungleichgewicht42 zwischen den Parteien in Bezug nimmt.43 3. Organisationsprobleme Die wie dargestellt recht unterschiedlich gedeuteten Gründe für die schlechtere Marktstellung des Verbrauchers werden – so ein weiterer Befund – auf Seiten des Verbrauchers selten durch eine Bündelung der einzelnen Verbraucherinteressen (etwa durch organisatorische Zusammenschlüsse) „aufgefangen“. Der Hintergrund hierfür ist einsichtig. Die Gruppe der Verbraucher ist „inhomogen“.44 Dies bedingt eine „diffuse Interessenlage“45 und das daraus folgende fehlende Gruppenbewusstsein.46 In Abhängigkeit von der konkreten Konsum- bzw. Investi42 Reich, ZRP 1974, 187 ff.; ders., Markt und Recht (1977), S. 49 ff., 193; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979); Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 69; Kümpel, WM 2005, 1 ff.; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 4; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 59 ff.; abgemildert: Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 3. 43 Zu Einzelheiten, wie sich intellektuelle, psychologische und wirtschaftliche Ungleichgewichte im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis darstellen vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel A III 2. 44 Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen durch die Europäische Gemeinschaft (1987); E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81 ff.; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 66; Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 117 f.; kritisch zu dieser Einschätzung Roethe, FS Reich (1997), S. 93, 95; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 31. 45 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 55; E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81 f.; Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 1993), S. 24: „Diffus sind die Interessen (der Verbraucher) an Lebensqualität deshalb, weil potentiell jeder Bürger ein Partizipationsbedürfnis hat, dieses aber für sich lediglich atomisiert, fragmentiert und selektiv auftritt“; ähnlich Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 7 f.; zust. aufgegriffen von Oehler, VuR 2006, 294, 296. 46 Sosehr der Konsum von Kleidung, Nahrung etc. für das Leben von Nöten ist, so wenig trägt die Notwendigkeit des Konsums zur Herausbildung einer Gruppenidentität bei, da es sich um ein Allerweltsinteresse handelt, vgl. dazu Kuhlmann, Verbraucherpolitik (1990), S. 85; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 5 f.; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 66; weniger pessimistisch bewertet die Bildung eines einheitlichen Verbraucherbewusstseins allerdings Reifner, in: Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 32 ff.; kritisch zur Ablehnung von Gruppeninteressen Roethe, FS Reich (1997), S. 93, 95; Oehler, VuR 2006, 294, 296.
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
17
tionssituation (z.B. Nahrungsaufnahme, Altersvorsorge) verfolgen Verbraucher als Marktteilnehmer sowohl singulär als auch in einer Zusammenfassung multiple Motive und Ziele.47 Ganz unterschiedlich vom Gewicht her sind auch die individuellen materiellen Interessen, die üblicherweise die Organisationsfähigkeit und Motivation lenken.48 Es ist ein allgemeines Phänomen, dass Verbraucher sich nur zu einem Zusammenschluss mobilisieren lassen, wenn ihnen das unmittelbare Vorteile bringt.49 Dies führt dazu, dass die Verbraucher in der modernen Wirtschaftswelt eben gerade nicht (oder nur ansatzweise50) zu einer Gegenmachtbildung beitragen,51 wie sie etwa aus dem Bereich des Arbeitsrechts mit den dort angesiedelten, ähnlich gelagerten Inter-Rollenkonflikten durch die Bildung und Betätigung der Gewerkschaften52 bekannt ist.53 4. Defizite bei der Rechtsdurchsetzung Mit diesem Problem geht noch eine „strukturelle Schwäche“54 (der Verbraucherbelange) in Bezug auf ihre prozessuale Durchsetzbarkeit einher.55 Nach H. Koch stehen in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Prozesse vor dem Amtsgericht 47
Oehler, VuR 2006, 294, 300; E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81: „Allgemeinbelange“. Olson, Die Logik des kollektiven Handels (3. Aufl., 1992); Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 60. 49 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 70; Nelles/Beywl/Bremen/Wanders/ Wetting, JCP 5 (1981), 100, 111. 50 Vereinzelte Beispiele einer „Gegenmachtbildung“ sind (für partielle Bereiche) Konsumgenossenschaften, Automobilclubs, Mietervereine oder der Bund der Versicherten, vgl. dazu, aber auch zu Verbraucherorganisationen im europäischen Ausland, Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 68 ff. Zur Bedeutung von Verbraucherzentralen, die als Dachverband von verschiedenen Organisationen agieren, aber eben gerade nicht auf mitgliedschaftlicher Basis einzelner Verbraucher organisiert ist, siehe ebenfalls Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 73 ff. 51 Zur prinzipiellen Schwäche auf Grund der diffusen Interessenlage siehe Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), S. 34 ff.; ders., Markt und Recht (1977), S. 221 f.; ders., ZRP 1974, 187, 193; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 23; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 66; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 67 ff.; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 124; Hart/Köck, ZRP 1991, 61, 63. 52 Zu Zielkonflikten bei der Wahrnehmung von Verbraucherbelangen neben Arbeitnehmerbelangen durch Gewerkschaften siehe Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 71 ff. 53 Vgl. dazu Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 23. Zum Gruppenbildungsgedanken in der Gesellschaft und damit zum Hinausgehen über den Gedanken der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte i.S. einer sozial-ethischen Fortbildung des Rechts siehe auch Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 25. 54 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 2; so auch BVerfGE 89, 214 ff = NJW 1994, 36, 38 f. 55 E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 4; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 56 ff. 48
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1. Teil: Grundlagen
Verbraucher auf der Beklagtenseite.56 Außerdem sei die Erfolgsquote signifikant höher, wenn auf der Klägerseite eine Firma agiert. Daraus wird auch eine prozesstaktische Chancenungleichheit abgeleitet, die gerade im Verhältnis Verbraucher/ Unternehmer zu verzeichnen sei.57 Der Grund für die Ungleichheit der Prozesschancen liegt darin, dass der Verbraucher als „Einmalprozessierer“58 nicht die Erfahrung und Routine des Unternehmers und seiner Berater aufweisen kann. Daraus leitet sich freilich eine generelle Prozessscheu der Verbraucher ab.59 Die EU-Kommission versuchte unlängst das auch von ihr in einer aktuellen Studie60 nachgewiesene Rechtsdurchsetzungsdefizit in Verbrauchersachen durch die Installation einer Verbrauchersammelklage61 zu beheben. Diese ist aber erst in der Diskussion.62 IV. Reflektion des Ungleichgewichts in der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative Unabhängig von der später noch genauer darzustellenden63 – in der Literatur recht unterschiedlich gesehenen – Motivation für den Verbraucherschutz ist der Gesetzgeber in Ausübung der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts recht aktiv geworden. Insofern hat auch er ein bestehendes und typisierbares Kräfteungleichgewicht zwischen Verbraucher und Unternehmer anerkannt. Die Legislative hat in Bezug auf diesen Wertungsbefund in den vergangenen Jahrzehnten etliche Gesetze zum Schutze des Verbrauchers auf den Weg gebracht. Dabei ist es das primäre Ziel der vielfältigen Normen, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Chancen der Verbraucher als Marktteilnehmer gegenüber denen der Anbieterseite nicht generell ins Hintertreffen geraten und über sie ein ausgewoge-
56 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 21; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 3 ff.; Metz, VuR 1992, 386. 57 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 5. 58 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 21; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 58. 59 Koch, ebenda. 60 Vgl. dazu die aktuelle Studie über Probleme von Verbrauchern bei der Einlegung von Rechtsbehelfen bei Verstößen gegen das Verbraucherrecht sowie über die wirtschaftlichen Folgen solcher Verstöße (sog. Problemstudie), S. 42, abrufbar unter http://ec.europa.eu/con sumer/redress_cons/collectiv_redress_htm., auch zitiert im Gründbuch zum kollektiven Rechtsschutz in Verbraucherangelegenheiten, KOM (2008), 794 endg. 61 Siehe dazu das aktuelle Grünbuch über kollektiven Rechtsschutz in Verbraucherangelegenheiten, KOM (2008), 794 endg. 62 Umfassender dazu im Zweiten Teil der Arbeit, 3. Kapitel. 63 Siehe dazu die ausführliche Darstellung im 1. Teil, 6. Kapitel.
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
19
ner Interessenausgleich, der sich auch im Verhandlungsergebnis niederschlägt, erzielt wird.64
C. Ziele des Verbraucherschutzrechts Fächert man die Interessen des Verbrauchers in seiner Rolle als Marktteilnehmer, d.h. als Konsument von Waren und Dienstleistungen, auf, dann verfolgt das Verbraucherschutzrecht im Wesentlichen folgende Zielsetzungen: I. Gesundheitsschutz Es geht zum einen darum, den Verbraucher vor spezifischen Gefahren für seine Gesundheit zu bewahren.65 II. Beförderung optimaler Marktentscheidungen des Verbrauchers Darüber hinaus ist das Verbraucherschutzrecht darauf gerichtet, den Verbraucher im Wirtschaftsleben vor Täuschungen und Übervorteilungen zu schützen. In einem weiter verstandenen Sinne ist auch sicherzustellen, dass der Verbraucher als Rechtssubjekt generell befähigt ist, optimale Marktentscheidungen zu treffen.66 III. Niederschlag dieser Ziele in diversen Schutzprogrammen Der Schutz der Gesundheit des Konsumenten, die Abwendung einer Gefährdung für das Vermögen des Verbrauchers durch Täuschung und Übervorteilung sowie die Förderung einer optimalen Marktentscheidung gehören mittlerweile als „Basisschutzgewährungen“67 zu den anerkannten Zielen der Protektion von Verbraucherinteressen. Dieser Basisschutz dient dazu, das Grundvertrauen des
64
Oehler, VuR 2006, 294, 296; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 21; siehe auch das wichtige Judikat des BVerfG zum strukturellen Ungleichgewicht in BVerfGE 89, 214, 233. 65 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 16 ff.; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 11; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 19; Gärtner, JZ 1992, 72, 74; Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133, 134 f.; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), S. 64 f.; kritisch bezüglich dieses inhaltlichen Kerns des Verbraucherschutzrechtes Medicus, FS Kitagawa (1992), S. 471, 484 ff. 66 Ebenda sowie Oehler, VuR 2006, 294, 295. 67 Oehler, VuR 2006, 294, 300.
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1. Teil: Grundlagen
Verbrauchers in die Marktprozesse i.S.e. „Anfangsreputation des Marktes“ 68 zu fördern. Diese Ziele fanden daher auch Eingang in diverse Schutzprogramme supranationaler Institutionen. Als Beispiel zu nennen ist etwa die am 9.4.1985 von der UNO verabschiedete „Richtlinie für den Verbraucherschutz“,69 die im Wesentlichen die oben genannten allgemeinen Anliegen des Verbraucherschutzes einbindet. Hinweisen lässt sich in diesem Zusammenhang aber auch auf die Verbraucherschutzprogramme der Gemeinschaft vom 14.4.1975 und vom 19.5.198170 und die ihnen nachfolgenden Aktionsplänen.71 Hier hinein spielen zudem die verbraucherpolitischen Leitziele der Bundesregierung aus den Jahren 1971 und 197572 sowie die wegweisende Verbraucherbotschaft73 des amerikanischen Präsidenten Kennedy vom 15.3.1962,74 die alle nachfolgenden Programme maßgeblich inspiriert hat.
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Ebenda. Abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 485 ff. 70 Das erste Programm stammt von 1975 (vgl. die Entschließung des Rates v. 14.4.1975 betreffend des ersten Programms der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutze und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl.EG Nr. C 92/1 v. 25.4.1975). Das zweite Programm stammt aus dem Jahr 1981 (vgl. die Entschließung des Rates v. 19.5.1981 betreffend des zweiten Programms der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutze und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl.EG Nr. C 133 v. 3.6.1981). Beide Programme sind abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 454 ff., 467 ff. 71 Vgl. etwa die (jüngsten) verbraucherpolitischen Strategien 2007–2013. 72 Erster Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik – BT-Drucks. 4/2724, abgedruckt bei v. Hippel in der 2. Aufl. Verbraucherschutzrecht (1979). Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik, BT-Drucks. 7/4181, abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 295 f. 73 Verbraucherbotschaft des Präsidenten Kennedy v. 15.3.1962, Special Message to the Congress on Protecting the Consumer Interest. Wiedergegeben bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 281 ff., nach dem Abdruck der Serie Public of Papers of the Presidents of the United States, John F. Kennedy, Containing the Public Messages, Speeches, and Statements of the President, January 1 to December 31, 1962, S. 235–243. 74 Kennedy erklärte, es gebe vier Verbraucherschutzrechte: „right of safety, right to be informed, right to choose und right to be heard“. Zeitlich nahe intellektuelle Wegbereiter der „Special Message to the Congress on Protecting the Consumer Interest“ waren nicht zuletzt die Bücher von Vance Packard, The hidden Persuaders (1957), und John Kenneth Galbraith, The Affluent Society (1958). Die Kennedy-Botschaft hat in den USA als Katalysator für die moderne Verbraucherschutzbewegung gewirkt. Sie fand zugleich in Europa ihre Entsprechung und zwar im Ersten Verbraucherschutzprogramm der Gemeinschaft aus dem Jahr 1975; zum Ganzen vgl. Rösler, ZfRV 2005, 134, 138. 69
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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D. Mittel zur Umsetzung der für den Verbraucherschutz definierten Ziele Der Verbraucherschutz ist über die diversen Schutzprogramme hinaus zudem ein fester Bestandteil des positiven Rechts geworden. Die in den nationalen und internationalen verbraucherpolitischen Konventionen definierten Ziele werden sowohl vom innerstaatlichen Gesetzgeber als auch von anderen, supranationalen Organen unter Zuhilfenahme gesetzlicher und gesetzesbegleitender Maßnahmen umgesetzt.75 I. Rechtsetzung auf nationaler und supranationaler Ebene innerhalb Europas Für die Verbraucher in Deutschland etabliert sich Verbraucherschutz einerseits durch Rechtsetzung der EU, aber auch durch Rechtsetzung des bundesdeutschen Gesetzgebers: 1. Die Ebene des primären Gemeinschaftsrechts Der Schutz des Verbrauchers ist als Aufgabe für die Organe der EU bereits im Primärrecht (vgl. Art. 4 II lit. f., 12, 114, 169 AEUV sowie in Art. 38 der Grundrechte-Charta) verbürgt. Nach diesen Vorschriften haben die Organe der Gemeinschaft zu Gunsten von 470 Millionen Unionsverbrauchern ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Dabei wird der Konsumentenschutz gem. Art. 12 AEUV (ex Art. 153 II EGV) als Querschnittsmaterie verstanden.76 Die Verbraucherpolitik der Gemeinschaft tritt neben die entsprechenden Kompetenzen der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 4 II lit. f) AEUV, sog. „geteilte Zuständigkeit“), die die primäre verbraucherpolitische Verantwortlichkeit behalten.77 Denn die Gemeinschaft soll laut Art. 169 I AEUV (ex Art. 153 I EGV) nur einen „Beitrag“ zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leisten.78 Allerdings sieht Art. 169 II a AEUV (ex. Art. 153 II lit. a) EGV) noch eine enge Anbindung des europäischen Verbraucherschutzes an das Binnenmarktprojekt vor. Denn beim Verbraucherschutz des Art. 169 II lit. a) AEUV handelt es sich nach der Konzeption des Primärrechts um den Schutz von Verbrauchern in der Rolle von „Marktakteuren“. Es handelt sich damit (noch) nicht um einen umfassend verstandenen sozialen Schutz des Schwächeren.79 Angesichts dieser 75
V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 19 ff. Geiger, EUV/EGV (3. Aufl., 2000), Art. 153 Rn. 9. 77 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625; Geiger, EUV/EGV (3. Aufl., 2000), Art. 153 EGV Rn. 7. 78 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625. 79 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 15; Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht (2006), H.V. Rn. 3. 76
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1. Teil: Grundlagen
„Marktfokussierung“80 des europäischen Verbraucherschutzes ist den Erfordernissen der Protektion der Konsumenten bei der Festlegung und Durchführung der „sonstigen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen“ zur Umsetzung der Binnenmarktkonzeption nach Art. 114 AEUV (ex Art. 95 EGV) mit Rechnung zu tragen. Die Entwicklung des Verbraucherrechts über die Binnenmarktharmonisierung ist angesichts der markt-81 resp. „anbieterorientierten“82 europäischen Verbraucherschutzkonzeption derzeit die praktisch bedeutendste Möglichkeit für die Gemeinschaft, eine Verbraucherpolitik zu entwickeln.83 2. Die Ebene des sekundären Gemeinschaftsrechts Im sekundären Gemeinschaftsrecht der EU generiert sich der Verbraucherschutz vor allem aus Rechtsverordnungen und Richtlinien.84 Dabei stellen die Richtlinien das zentrale, d.h. vordringlich eingesetzte Regelungsinstrument der Gemeinschaft zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes/resp. Verbraucherschutzes dar.85 a. Verordnungen Gemäß Art. 288 S. 2 AEUV sind die Verordnungen des Rates und der Kommission diejenigen Rechtsakte, welche allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Mittels dieses Rechtsinstruments vermag die Gemeinschaft für die Mitgliedstaaten und ihre Bürger verbindliches Recht zu schaffen, das keiner Umsetzung durch die nationalen Instanzen mehr bedarf. Wo die Gemeinschaft Verordnungen erlässt, stellt sie auf Grund einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage im AEUV bzw. EUV die Rechtsvereinheitlichung86 unter den Mitgliedstaaten her. Namentlich im Bereich des Zivilprozessrechtes und des Kollisionsrechtes neigen die europäischen Organe dazu, Verordnungen zu erlassen. Beispiele hierfür sind die Verordnungen über den 80 Zum Problem der Marktorientierung und des sozialen Defizits des Integrationsprozesses vgl. Joerges/Rödl, KJ 2008, 148, 150; Scharpf, 40 Journal of Common Market Studies (2002), 645 ff. 81 Vgl. dazu vorstehende Fußnote. 82 Zur Anbieterorientierung ausführlich Derleder, FS Reich (1997), S. 111 ff. 83 Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 51; Geiger, EUV/EGV (3. Aufl., 2000), Art. 153 Rn. 8; vgl. auch Gebauer/ Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 11 Rn. 25, die dort darauf hinweisen, dass Art. 153 EGV der Gemeinschaft nur als zusätzliche Bestätigung ihrer Kompetenz nach Art. 95 EGV dient und deshalb Art. 153 EGV bislang noch keine entscheidende Bedeutung erlangt hat. 84 Herdegen, Europarecht (2006), S. 168; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 148. 85 Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 869. 86 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), 1. Kapitel, Rn. 57.
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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Gerichtsstand und die Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO,87 auch Brüssel I-Verordnung genannt),88 die Verordnungen zum Zustellungsrecht (EuZVO)89 und zur Beweisaufnahme (EuBVO),90 die Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen,91 die so genannte Rom II-Verordnung92 zur gemeinsamen Regelung kollisionsrechtlicher Fragen im außervertraglichen Bereich93 (die am 11.1.2009 in Kraft treten wird94) und die Rom I-Verordnung95 über auf das vertragliche Schuldrecht anzuwendende Rechtsverhältnisse, die ab dem 17.12.2009 bindende Wirkung entfaltet. b. Richtlinien Wie bereits beschrieben, sind Vorschriften zugunsten des Verbrauchers mit privatrechtlichen Inhalten aber ganz überwiegend nicht in Verordnungen, sondern in Richtlinien festgeschrieben worden;96 wobei die Richtlinien, die sich an die Mitgliedstaaten richten und von diesen umzusetzen sind, nur das zu erreichende Ziel verbindlich vorgeben, und den innerstaatlichen Stellen regelmäßig die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung des Zieles überlassen (Art. 288 S. 3 AEUV).
87 Verordnung EG Nr. 44/2001 v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I-Verordnung = EuGVVO); veröffentlicht in Abl.EG 2001 L 21/1; Berichtigung in ABl.EG 2001 L 307/28; Ergänzung in ABl.EG 2002 L 225/13, ABl.EG 2001 L 307/28; Ergänzung in ABl.EG 2002 L 225/13; ABl.EU 2003 L 236/33; ABl.EU 2004 L 334/3 und ABl.EU 2004 L 381/10. 88 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 3. Kapitel. 89 Verordnung EG Nr. 1348/2000 des Rates v. 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl.EG 2000 L 160/37. 90 Verordnung EG Nr. 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivilund Handelssachen, ABl.EG Nr. L 174/1. 91 Verordnung (EG) Nr. 861/2007 v. 11.7.2007, ABl.EG Nr. L 199/1 v. 31.7.2007; vgl. dazu Haibach, EuZW 2008, 137 ff. 92 Verordnung EG Nr. 664/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl.EU 2007 L 199/4; vgl. dazu Martiny, ZEuP 2008, 79 ff. 93 Vgl. hierzu die Besprechung von Wagner, IPRax 2008, 1 ff. 94 Übersicht bei Basedow, FS Siehr (2000), S. 93 ff. 95 Verordnung EG Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.7.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl.EU 2008 L 177/6; vgl. dazu Martiny, ZEuP 2008, 79 ff.; Mankowski, RIW 2009, 98 ff.; Lehmann/Leible, RIW 2009, 528 ff.; Wagner, TranspR 2009, 103 ff.; Mansel, IPRax 2009, 1 ff. 96 Herdegen, Europarecht (2006), S. 168: „klassisches Instrument“; Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 869.
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1. Teil: Grundlagen
aa. Zielverbindlichkeit der Richtlinie Das Regelungsanliegen einer Richtlinie i.S.d. Art. 288 S. 3 AEUV ist bekanntlich nicht ein abstraktes Ziel wie etwa der „Verbraucherschutz“ an sich, sondern vielmehr ein konkretes Ergebnis, das durch den Rechtsakt befördert werden soll. Der Mitgliedstaat muss auf der Grundlage seiner Rechtsordnung nur entsprechende (Rechts-)Instrumente zur Erreichung des Zieles bereithalten.97 Die Art und Weise, in welcher der Mitgliedstaat die angestrebten Rechtsfolgen erzielt, insbesondere die systematische Einordnung der zu schaffenden Normen in den Kontext der bestehenden Rechtsordnung, bleibt allein ihm überlassen.98 Das Gemeinschaftsrecht abstrahiert mithin von den systematischen oder dogmatischen Gegebenheiten der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und beschränkt sich auf die bloße Vorgabe von Sachverhalts-Folgen-Relationen, welche die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber in ihrer Rechtsordnung realisieren müssen.99 bb. Großzügige Auslegung des Merkmals der Zielverbindlichkeit Das Merkmal der „Zielverbindlichkeit“ wird freilich in der Praxis der Gemeinschaftsrechtsetzung bisweilen recht großzügig gehandhabt. Auch ins Einzelne gehende Regelungsvorgaben, die dem innerstaatlichen Gesetzgeber praktisch sogar eine „Verweisungsumsetzung“ ohne weitere Konkretisierung erlauben (Stichwort: „Es gilt die Richtlinienregelung als nationales Gesetz“), werden heute nahezu als allgemein zulässig angesehen.100 cc. Mittelbare Wirkung der Richtlinie über den Umsetzungsakt und Ausnahmen Formal gesehen bedürfen aber selbst die im Rahmen einer Verweisung umsetzbaren (häufig bis ins Detail gehenden) Richtlinien zur Entfaltung ihrer Wirkung eines nationalen Umsetzungsaktes durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber.101 Dieser rechtssystematische Unterschied der Richtlinie zur Verordnung wurde jedoch durch die EuGH-Rechtsprechung stark eingeebnet, indem Ausnahmen geschaffen wurden, in denen die Richtlinie bereits aus sich heraus (unmittelbar) wirkt. So soll allen Richtlinien bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine gewisse „Vorwirkung“ zukommen.102 Wie der EuGH103 entschieden hat, darf ein Mitgliedstaat während der laufenden Umsetzungsfrist keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgesehen Ziels ernstlich 97
Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht (2005), S. 33; Grundmann, JZ 1996, 274, 283. Walzel/Becker, Jura 2007, 653 ff. 99 Riehm, JZ 2006, 1035, 1037. 100 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 19; Riehm, JZ 2006, 1035, 1036: „vollharmonisierende Richtlinien“. 101 Herdegen, Europarecht (2006), S. 268. 102 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 168; Walzel/Becker, Jura 2007, 653, 660. 103 EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-129/96 – Inter-Environnement Wallonie. 98
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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in Frage zu stellen. Der Gerichtshof leitet dies aus Art. 288 S. 3 AEUV (vormals Art. 249 III EGV) ab.104 Darüber hinaus kann eine Richtlinie nach der Rechtsprechung unmittelbare Wirkung entfalten, wenn sie trotz Fristablaufs nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist und die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall zu gelten.105 Unter diesen Voraussetzungen können sich Einzelne gegenüber dem Staat und vor nationalen Behörden und Gerichten auf die sie begünstigenden Vorschriften einer Richtlinie berufen.106 Die Begründung für diese „vertikale“ Drittwirkung der Richtlinie sieht der EuGH darin, dass der Mitgliedstaat aus seiner Säumnis gegenüber den von einer Richtlinie Begünstigten keinen Vorteil ziehen soll. 107 I.Ü., soweit eine Geltung (unter Privaten) durch die Richtlinie angestrebt wird, kann der Richtlinie bei Fristversäumung zur Umsetzung nur ausnahmsweise, d.h. übergangsweise, auf Grund der im deutschen Zivilrecht verankerten Generalklauseln (§§ 138, 242, 307 BGB) über den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung eine Durchgriffswirkung zuerkannt werden.108 Diese Behelfskonstruktionen entbinden den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber aber im Hinblick auf das Gebot der effektiven Umsetzung109 freilich nicht von seiner grundsätzlichen Pflicht, den Vorgaben der Richtlinie durch die Etablierung klarer und eindeutiger Normen zur Transformation zu entsprechen.110 Kommt er ihr überhaupt nicht nach und ist auch die übergangsweise Anwendung der Generalklauseln nicht möglich, kann es zu einem Schadensersatzanspruch des durch die Nichtumsetzung Benachteiligten gegen den Mitgliedstaat kommen. So hat der EuGH etwa im Rahmen der Francovich-Entscheidung die nicht erfolgte Umsetzung von Richtlinien zum Anlass genommen, die Grundsätze 104 Das BVerwG hat diese Rechtsprechung zum Anlass genommen, im Vorfeld des Inkrafttretens der sog. Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (RL 92/43/EWG v. 21.5.1992) den Bau von Autobahnen in potentiell von dieser Richtlinie erfassten Naturschutzgebieten zu untersagen. Das Gericht begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Mitgliedstaat keine gleichsam vollendeten Tatsachen schaffen dürfe, die ihm die spätere Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung unmöglich macht (BVerwGE 107, 1 ff.). 105 So bereits EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. C-33/70 – SACE, Rn. 14 ff.; EuGH, Urt. v. 4.12.1974, Rs. C-41/74 – van Duyn, Rn. 12 ff.; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 20 Rn. 58; Walzel/Becker, Jura 2007, 653, 656. 106 EuGH, Urt. v. 19.1.1982, Rs. C-8/81 – Becker, Rn. 21 ff. 107 Ebenda, Rn. 22 ff.; vgl. auch Herdegen (2006), S. 174; Walzel/Becker, Jura 2007, 653, 654. 108 EuGH, Urt. v. 5.10.2004, Rs. C-397/01 – Pfeiffer. 109 Vgl. dazu Herdegen, Europarecht (2006), S. 170. Die Richtlinien verpflichten insoweit zu einer effektiven Umsetzung, als dass die verbindliche Geltung des Richtlinieninhalts im innerstaatlichen Recht für den Einzelnen und die nationalen Organe zweifelsfrei gesichert sein muss. Die allgemeinen Generalklauseln können dies auf Grund ihrer Unbestimmtheit nicht auf Dauer sicherstellen. 110 EuGH, Urt. v. 10.5.2001, Rs. C-144/99 – Kommission/Niederlande; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241 Rn. 43.
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1. Teil: Grundlagen
der mitgliedstaatlichen Staatshaftung auszubauen. Danach kann der Einzelne einen Mitgliedstaat auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens in Anspruch nehmen, wenn die verletzte Norm des Gemeinschaftsrechts bezweckt, diesem Rechte zu verleihen und sich der Gemeinschaftsrechtsverstoß darüber hinaus als „hinreichend qualifiziert“ darstellt.111 Letzteres ist im Fall der nicht erfolgten Richtlinienumsetzung regelmäßig zu bejahen. Diese Entwicklung in der Rechtsprechung des EuGH stellt sich in der Rechtswirklichkeit als „Existenzerhaltungsmaßnahme“112 des Gemeinschaftsrechts gegenüber den Mitgliedstaaten dar.113 c. Auslegungsgrundsätze Die mittelbare (aber auch die im Ausnahmefall unmittelbare) Wirkung der Richtlinie zeigt die Einwirkungsbreite europäischen Rechts auf die nationale Rechtsordnung. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass das fortschreitende Zusammenwirken von deutscher und europäischer Normsetzung dazu führt, dass sich der deutsche Gesetzesanwender vermehrt an gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben orientieren muss und dabei auch gezwungen ist, die herkömmliche deutsche Rechtsanwendung und Dogmatik auf ein „einvernehmliches Zusammenspiel“ mit dem europäischen Recht abzustimmen. aa. Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung Die unmittelbare Anwendbarkeit und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts verpflichten die nationalen Gerichte zum einen dazu, gemeinschaftswidrige nationale Regelungen unangewendet zu lassen,114 zum anderen ergibt sich daraus das Postulat, die europäischen Rechtsverordnungen sowie die nationalen Umsetzungsakte der Richtlinien in ihrer Anwendung und Auslegung an den Vorgaben des übrigen Gemeinschaftsrechts auszurichten. Die Abstimmung des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht vollzieht sich über den rechtsdogmatisch bereits verfestigten „Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung“.115 Der EuGH hat auf ihn bereits in einer frühen Entscheidung Bezug genommen, wonach es „Sache des nationalen Gerichts sei“, bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts die Vorgaben des primären wie auch des sekundären Gemeinschaftsrechts soweit als möglich „un111
EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90 – Francovich. So ausdrücklich Ossenbühl, Staatshaftungsrecht (5. Aufl., 1998), S. 496. 113 Im Ergebnis auch Walzel/Becker, Jura 2007, 653, 654. 114 EuGH, Urt. v. 9.3.1978, Rs. C-106/77 – Simmenthal, Rn. 17–18, 21. 115 Vgl. dazu Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 865; Hommelhoff, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 889, 891; M. Schimdt, RabelsZ 59 (1995), 569, 582 ff., der den Begriff der „richtlinienkonformen Auslegung“ für missverständlich hält und allgemein den Begriff der gemeinschaftskonformen Auslegung verwenden will. Hier wird er als übergeordneter Funktionsbegriff verstanden (s.o.). 112
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ter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums“, den das nationale Recht dem Richter gewährt, zu berücksichtigen.116 Der Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung steht seinerseits in einer gedanklichen und entwicklungsgeschichtlichen Linie mit der durch den EuGH geprägten „effet utile“-Regel,117 andererseits weist er aber auch spezifische Berührungspunkte zum übergeordneten Grundsatz der Gemeinschaftstreue118 (Art. 4 III EUV) auf, der eine „Nichtdiskriminierung“119 des Gemeinschaftsrechts verlangt.120 Zur Sicherstellung der einheitlichen Rechtsanwendung europäischen Primär- und Sekundärrechts wird der Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung, soweit Auslegungsspielräume vorhanden sind, durch zwei detailliertere Postulate teils flankiert, teils ausgefüllt. bb. Der Grundsatz der autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts Ein eigenständiges, neben dem Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung des nationalen Rechts stehendes Postulat ist das der autonomen Auslegung des von der Gemeinschaft gesetzten Rechts.121 Der Grundsatz der autonomen Auslegung gilt eigentlich für jedes supranationale (d.h. dem nationalen Recht „enthobene“ Recht), nicht nur für das der Europäischen Gemeinschaft. Die Forderung nach der autonomen Auslegung des supranationalen (Gemeinschafts-) Rechts ist darauf gerichtet, dass die im supranationalen Recht verwandten Begriffe aus sich selbst heraus (quasi „autonom“) – unter Bezugnahme von supranational geprägtem Wortverständnis, Sinn- und Zweck, Gesetzgebungsgeschichte, Rechtsprechung und Systematik des sie umgebenden supranationalen Normgefüges – auszulegen und anzuwenden122 sind.123 Die autonome Auslegung der supranationalen Begriffe ist erforderlich, damit sich aus dem supranationalen 116
EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-322/88 – Grimaldi, Rn. 18. Seit EuGH, Urt. v. 8.4.1976, Rs. C-48/75 – Royer, Rn. 69–73; siehe dazu auch Herdegen, Europarecht (2006), S. 175. 118 Herdegen, Europarecht (2006), S. 171. 119 EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-430 und C-431/93 – van Schijndel, Rn. 19 ff.; EuGH, Urt. v. 2.12.1997, Rs. C-188/95 – Fantask, Rn. 47–52; EuGH, Urt. v. 2.12.1997, Rs. C-126/97 – Eco Swiss. 120 Beides auch angesprochen von Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 869; Herdegen, Europarecht (2006), S. 171. 121 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 99 Rn. 8. 122 BGHZ 84, 343 ff.; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 99 Rn. 8; Häcker, ZVerglRWiss 103 (2004), 464, 483 f.; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 241 Rn. 5; Leipold, FS Musielak (2004), S. 317, 331; Folgar-Deinhardstein, ZfRV 2005, 22, 25 ff. 123 Geben diese Ansatzpunkte für die autonome Auslegung nichts her, ist ergänzend rechtsvergleichend nach der gemeinsamen Grundlage des Begriffs in den Staaten der Gemeinschaft zu fragen, vgl. dazu Häcker, ZVerglRWiss 103 (2004), 464, 484; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 99 f. Rn. 8 f. 117
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1. Teil: Grundlagen
Recht einheitliche Vorgaben ableiten und ihre Wirkung nicht durch unterschiedliche nationale Deutungsweisen eingeschränkt wird. cc. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Umsetzungsaktes Über den Grundsatz der autonomen Auslegung hinaus hat sich aber gerade für den Bereich der durch das Gemeinschaftsrecht geprägten nationalen Umsetzungsvorschriften (auf Grund von Richtlinienvorgaben) eine weitere Auslegungsregel etabliert, die an den Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung124 gedanklich „andockt“; wir sprechen hier – bezogen auf die Richtlinie – von richtlinienkonformer Interpretation.125 Bei der Kreation dieses Auslegungsgrundsatzes hat der EuGH auf die Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue nach Art. 4 III EUV Bezug genommen.126 Auf der Grundlage der richtlinienkonformen Auslegung soll die Rechtsanwendungsgleichheit innerhalb der Gemeinschaft durch die verschiedenen Einzelstaaten bei der Handhabung des umgesetzten Rechts sichergestellt werden. (1.) Inhaltliche Grundsatzvorgaben Inhaltlich ist der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung durch folgendes Postulat gekennzeichnet: Soweit Vorschriften des nationalen Rechts die Vorgaben einer Richtlinie innerhalb des von der Gemeinschaft vorgeschriebenen Anwendungsbereiches übernommen haben, besteht auch ein gemeinschaftsrechtlicher Zwang zur richtlinienkonformen Auslegung.127 Das heißt, dass im Zweifel derjenigen Interpretation der Vorzug zu geben ist, die den (autonom von dem EU-Organ gesetzten und so zu interpretierenden) Vorgaben der Richtlinie am ehesten entspricht.128 Den vier klassischen (national herausgebildeten) Auslegungsmethoden der grammatischen, systematischen, historischen und teleologischen Interpretation129 geht die richtlinienkonforme Auslegung aber nicht etwa per se als eigenständige „fünfte Methode“ vor.130 Vielmehr ist im Rahmen der nationalen 124 EuGH, Urt. v. 10.4.1984, Rs. C-14/83 – von Colson und Kamann, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-106/89 – Marleasing. 125 Herdegen, Europarecht (2006), S. 171; BaRoth/Grüneberg-Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241 Rn. 108; Vogenauer, ZEuP 2005, 234; zu den Grenzen siehe Stürnbrand, JZ 2007, 910 ff. 126 Herdegen, Europarecht (2006), S. 171. 127 Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598, 603, 623 ff.; Hommelhoff, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 889, 891. 128 EuGH, Urt. v. 16.12.1993, Rs. C-334/92 – Wagner Miret; EuGH, Urt. v. 14.7.1994, Rs. C-91/92 – Faccini Dori; EuGH, Urt. v. 17.9.1997, Rs. C-54/96 – Dorsch Consult; EuGH, Urt. v. 21.11.2002, Rs. 473/00 – Cofidis; BGH NJW 1993, 1594; BGH NJW 1992, 1881, 1882; BAG NJW 1993, 1154; Herdegen, Europarecht (2006), S. 171; Vogenauer, ZEuP 2005, 234, 238. 129 Vgl. dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl.), S. 141 ff. 130 Walzel/Becker, Jura 2007, 653, 655; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 96 f.; Baldus/ Beck, ZEuP 1997, 874, 882 f.; Langenfeld, DÖV 1992, 955, 964 f.; Ehricke, RabelsZ 59 (1995),
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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Auslegungsspielräume, also bei Anwendung der überkommenen Interpretationsmethoden, zu ermitteln, welche Variante mit Sinn und Zweck der Richtlinie am besten zu vereinbaren ist. Diese Variante erhält den Vorzug. Es handelt sich demzufolge um eine Methode, welche die in den einzelnen Mitgliedstaaten anerkannten Auslegungsgrundsätze nutzt, um jenes Verständnis zu erzielen, das den Zielvorgaben der Richtlinie am besten entspricht.131 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung beginnt für die Gerichte der Mitgliedstaaten zeitlich mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist bzw. dem Erlass des Umsetzungsgesetzes.132 Allerdings entfalten die Richtlinien schon ab Beginn des Laufes der Umsetzungsfrist eine gewisse Vorwirkung.133 (2.) Das Problem der Behandlung der „überschießenden Umsetzung“ Höchst umstritten im Zusammenhang mit dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung ist die Frage, ob im Fall einer so genannten „überobligatorischen“134 (d.h. überschießenden bzw. erweiterten) Umsetzung ebenfalls ein Zwang zur richtlinienkonformen Handhabung des Umsetzungsaktes im überschießenden Teil besteht. Die Befürworter135 berufen sich auf eine das nationale Recht überlagernde Interpretationsregel des Gemeinschaftsrechts, die der EuGH im Urteil Leur-Bloem dahingehend formuliert hat, dass „ein klares Interesse der Gemeinschaft daran“ bestehe, dass „die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen und Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern“.136 Gegen die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung spricht jedoch der Umstand, dass das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nach seinem Sinn und Zweck nur dann Platz greifen kann, wenn durch eine uneinheitliche Anwendung und Auslegung die Funktionsfähigkeit europäischer Vorgaben auf dem Spiel steht.137 Das ist 598, 612, 616; a.A. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung (1994), S. 247 ff.; Lutter, JZ 1992, 593, 604 f. 131 Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598, 616; Hommelhoff, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 889, 891. 132 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), Einl. zu § 1 Rn. 43; Roth, ZIP 1992, 1056 f. 133 Herdegen, Europarecht (2006), S. 171; EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-129/96 – InterEnvironnement Wallonie. 134 Zum Begriff und Diskussionsstand vgl. Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht (2006); Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts (1998), S. 201 ff.; Mayer/Schürnbrandt, JZ 2004, 545 ff.; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2006), S. 276 ff.; Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien (2003), S. 1 ff.; Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 881 ff. 135 Vgl. etwa Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 883 ff.; Tröger, ZEuP 2003, 525 ff. 136 EuGH, Urt. v. 17.7.1997, Rs. C-28/95 – Leur-Bloem, Rn. 27, 32. 137 EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-264/96 – ICI; Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien (2003), S. 99; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 107 Rn. 23; Habersack/Mayer, JZ 1999, 913 f.; Bärenz, DB 2003,
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1. Teil: Grundlagen
aber nicht schon dann der Fall, wenn die Umsetzung der Richtlinie dem innerstaatlichen Gesetzgeber lediglich den Anlass zum Erlass weitergehender (europäisch nicht geforderter) Maßnahmen lieferte.138 Ein Gebot der einheitlichen Auslegung kann sich allerdings aus dem innerstaatlichen Recht (selbst) ableiten.139 Besondere Beachtung müssen insoweit der Rechtsstaats- und Gleichheitsgrundsatz finden.140 Wenn sich nationale Gerichte über diese Postulate hinausgehend auch bezüglich dem von der Richtlinie erfassten Bereich an dem orientieren, was innerhalb des Regelungsbereiches der Richtlinie zu gelten hat, verfolgen sie mit dieser internen Harmonisierung einen Kohärenzanspruch,141 der der Vermeidung von Wertungswidersprüchen142 dient.143 Vermieden wird auf diese Weise die so genannte „gespaltene Auslegung“ zwischen den Bereichen des nationalen Rechts, die unmittelbar der Richtlinie unterfallen und den Bereichen, die im nationalen Recht überobligatorisch angeglichen werden. Eine solche gespaltene Auslegung hat der BGH etwa bei Haustürgeschäften abgelehnt.144 Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung wirkt damit ggf. mittelbar über den unmittelbar erfassten Bereich hinaus. Man kann insofern von einer gewissen „Ausstrahlungswirkung der Richtlinie“ auf das (eigentlich) richtlinienfreie Recht sprechen,145 da der Gesetzgeber im Zweifel aus Gründen der Notwendigkeit der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung146 keine gespaltene Auslegung beabsichtigt. Anders als im Anwendungsbereich der unmittelbaren Richtlinienvorgaben hat dieser Umstand aber keinen Vorrang vor den übrigen Anwendungs- und Auslegungskriterien, sondern bildet nur eines von mehreren Elementen im Rah375 f.; Mayer-Schürnbrand, JZ 2004, 545 f.; Büdenbender, ZEuP 2004, 36, 47; Pieckenbrock/ Schulze, WM 2002, 521, 527 f.; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), Vor. §§ 433–480 Rn. 4. 138 Hennrichs, ZGR 1997, 66, 76 f.; Schulze, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts (1999), S. 9, 18. 139 Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 881 ff. 140 BGH NJW 2002, 1881, 1884; BGH NJW 2004, 2731, 2732; Bärenz, DB 2003, 375 f. 141 Zu diesem Anspruch des neuen EU Verbraucherrechts vgl. auch Howells/Schulze, in Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Consumer Law (2009), S. 3, 16. 142 Dieser Anspruch entspringt der Rechtsidee, vgl. dazu Sachs, in GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 Rn. 131. 143 So ausdrücklich Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 107 Rn. 23; Schnorbusch, RabelsZ 65 (2001), 654, 661 f.; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 55; Roth, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis (2003), S. 23, 35. 144 BGH NJW 2002, 1881: „Vielmehr erstreckt sich die richtlinienkonforme Auslegung auch auf solche Verträge, die zwar nicht unmittelbar der Richtlinie unterfallen, die aber nach nationalem Recht die Voraussetzungen eines Haustürgeschäfts erfüllen. Die von einem Teil der Literatur […] befürwortete „gespaltene Auslegung“ […] widerspricht der durch das deutsche Recht geforderten Gleichbehandlung der verschiedenen Haustürsituationen.“ 145 Canaris, FS F. Bydlinski (2002), S. 47, 74; Bärenz, DB 2003, 375 f. 146 Zu diesem Postulat vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43; Sachs, in: GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 Rn. 131.
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men einer interpretatorischen Gesamtabwägung.147 Die mittelbar an einer Richtlinie orientierte Auslegung „überschießenden Rechts“ setzt daher eine sorgfältige Prüfung voraus, ob der nationale Gesetzgeber eine einheitliche Auslegung tatsächlich gewollt hat bzw. wollen kann/resp. sollte.148 d. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Existenz einer Verordnung bzw. einer Richtlinie der Gemeinschaft zur Folge hat, dass die Anwendung der Vorschriften des deutschen Zivilrechts, die einen europäischen Ursprung haben, mit „stetem Seitenblick“149 auf die einschlägigen Bestimmungen der Gemeinschaft zu erfolgen hat. 3. Die Ebene des nationalen Rechts Der EU-Gesetzgeber ist hinsichtlich der Verabschiedung diverser Verordnungen und Richtlinien aber nicht allein aktiv bei der Etablierung von Verbraucherschutzrecht; auch die Nationalstaaten sind hieran beteiligt. Verbraucherschutzrecht ist mithin ein Mehrebenenrecht. Auf nationalstaatlicher Ebene entsteht Verbraucherschutzrecht entweder originär durch die Verabschiedung von Sondergesetzen zum Schutz des Verbrauchers, die nicht zwingend europäisch inspiriert sein müssen (vgl. etwa §§ 241a BGB und 661a BGB), oder aber der Verbraucherschutz wird durch nationalstaatliche Umsetzungsakte europäischer Richtlinien sichergestellt; das ist der häufigste Fall (s.o.). II. Rechtsanwendung durch die Gerichte Über die Anwendung und Fortbildung des geltenden Rechts leistet zugleich die Rechtsprechung einen herausgehobenen Beitrag zur Protektion der Interessen des Verbrauchers. 1. Die Rechtsprechung des EuGH In der Rechtsprechung des EuGH ist der Verbraucherschutz bislang vor allem als „zwingendes Erfordernis des öffentlichen Interesses“150 thematisiert worden, das Beschränkungen der Waren- und Dienstleistungsfreiheit durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften legitimieren kann. Im Zusammenhang mit der hier vom 147
Canaris, FS F. Bydlinski (2002), S. 47, 74. So zutreffend Hommelhoff, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 889, 916; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), Vor. § 474 Rn. 4; a.A. wohl Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 847, 884, wonach eine gespaltene Auslegung stets ausscheidet. 149 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 19 Rn. 45. 150 Grundlegend EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon, Rn. 8. 148
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1. Teil: Grundlagen
EuGH verwandten Formel etablierte sich bereits im Jahr 1979 neben Art. 30 EGV (Art. 36 EGV a.F.) eine neue Kategorie von Rechtfertigungsgründen für Grundfreiheitenbeschränkungen durch die Mitgliedstaaten. Das Ziel des Verbraucherschutzes vermag danach eine mitgliedstaatliche Regelung zu rechtfertigen, die eine Grundfreiheit des Anbieters verletzt, sofern die Regelung nicht diskriminierend wirkt und verhältnismäßig ist.151 Aufgabe des EuGH war und ist es, die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Diskriminierungsverbots zu kontrollieren.152 Gerade in Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt er bei unvermeidbaren Einschränkungen der Grundfreiheiten zum Zwecke des Verbraucherschutzes Informationen und Aufklärung gegenüber einschneidenderen Maßnahmen regelmäßig den Vorzug.153 Neben der höchstrichterlichen Klarstellung, dass der Verbraucherschutz auch mitgliedstaatliche Eingriffe in Marktfreiheiten rechtfertigen kann, bringt unter systematischen Kautelen vor allem das Verfahren der Vorlage an den EuGH (Art. 267 AEUV) das Gemeinschaftsprivatrecht im Bereich des Verbraucherrechts voran.154 Für die zivilrechtliche Praxis bietet das Vorlageverfahren die einzige Möglichkeit, den Inhalt der Richtlinien bei Zweifelsfragen letztverbindlich klären zu lassen. Durch ihre Vorlage sorgen die nationalen Gerichte für eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsprivatrechts in allen Mitgliedstaaten. Denn bei den nationalen Rechtsanwendern stoßen die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien-Vorgaben oft auf ein unterschiedliches Vorverständnis.155 Dieses birgt die Gefahr divergierender Auslegungen.156 Die europaweite Effizienz (d.h. Reichweite) des gemeinschaftlichen Verbraucherprivatrechts wäre dadurch beeinträchtigt. Das Vorlageverfahren, das als Inzidentverfahren ausgestattet ist, soll hiervor schützen, indem nationale Gerichte den EuGH als prozessuale Zwischeninstanz in ein laufendes nationales Verfahren einschalten. Sofern nicht ein „acte clair“157 vorliegt, besteht bei einem Zweifel in der Anwendung und Auslegung sogar eine Vorlagepflicht. 151
Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 4. Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), 1. Kapitel, Rn. 7. 153 EuGH, Urt. v. 7.3.1990, Rs. C-362/88 – GB-INNO-BM, Rn. 14 ff.; EuGH, Urt. v. 13.12.1990, Rs. C-238/89 – Pall/Dahlhausen, Rn. 18 ff.; EuGH, Urt. v. 18.5.1993, Rs. C-126/91 – Yves Rocher, Rn. 16 ff.; EuGH, Urt. v. 2.2.1994, Rs. C-315/92 – Clinique, Rn. 22 f. 154 Basedow, FS Brandner (1996), S. 651, 656 und 660 ff.; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), S. 123 ff.; Micklitz, EWS 2006, 1 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 33. 155 Generell zum Problem des unterschiedlichen Vorverständnisses im Umgang mit Normen, Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1978), S. 19 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 33. 156 Hommelhoff, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 889, 893. 157 Ein acte clair ist gegeben, wenn die Antwort auf die Vorlagefrage keinem vernünftigen Zweifel unterliegen kann; zur acte clair-Doktrin siehe EuGH, Urt. v. 6.10.1982, 152
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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2. Die nationale Rechtsprechung Das Bundesverfassungsgericht hat die verbraucherschützende Interpretation des geltenden Rechts in dem grundlegenden (aber keineswegs unumstrittenen)158 Judikat vom 19.10.1993 mit dem Hinweis auf ein bestehendes „strukturelles Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer“ anerkannt und seine Notwendigkeit unterstrichen.159 Das Bundesverfassungsgericht hat es insoweit als Pflicht der Zivilgerichte bezeichnet, insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung der Generalklauseln (aber nicht nur hier) die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 I GG zu beachten, woraus sich ein Gebot für die Gerichte zur Inhaltskontrolle bei Verträgen ableite, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind.160 In der deutschen Zivilrechtsprechung war aber schon lange vor diesem höchstrichterlichen Judikat ein gewisser Trend zur Inhaltskontrolle und damit auch zur Stärkung der Interessen der Verbraucher erkennbar gewesen.161 Insbesondere in der Rechtsprechung des BGH wird der Verbraucherschutzgedanke der Sache nach in vielen Bereichen aufgegriffen und als Auslegungs- und Rechtsfortbildungstopos fruchtbar gemacht.162 Ausdrückliche Bezugnahmen finden sich etwa in einer Entscheidung zum Einwendungsdurchgriff,163 in der cic-Rechtsprechung,164 aber auch in der Renaissance165 und dem Funktionswandel des § 138 BGB,166 der insbesondere im Bereich des Darlehens- und Bürgschaftsrechts167 zum Ausdruck kommt.168
Rs. C-283/81 – C.I.L.F.I.T./Ministero della Sanità, Rn. 16 und 21; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), S. 124; Basedow, FS Brandner (1996), S. 651, 663 ff. 158 Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 2 I GG Rn. 112; Germelmann, NZA 1997, 236, 237; Tettinger, DVBl 1999, 679, 684. 159 BVerfGE 89, 214 ff. = NJW 1994, 36, 38 f.; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 2. 160 BVerfGE 89, 214, 231 ff.; BGHZ 125, 206 ff. 161 Hönn, ZfA 2003, 325, 354. 162 Dies dem BGH ausdrücklich attestierend: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 16. 163 BGH BB 1981, 80, 81 (rechte Spalte). 164 Insbesondere diese Rechtsprechung wurde aufgegriffen von der Regierung in ihrer Begründung zur Schuldrechtsmodernisierung in BT-Drucks. 14/6040, S. 91, als Beweis dafür, dass der Verbraucherschutzgedanke bereits Bestandteil des BGB vor der Schuldrechtsreform war. 165 Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979), S. 388; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 76. 166 Raiser, JZ 1958, 1 ff. 167 BGHZ 125, 206. 168 Vgl. die ausdrücklichen Bezugnahmen auf den Verbraucherschutzgedanken in BGH NJW 1979, 805, 806 f.; BGH NJW 1981, 1206, 1207.
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1. Teil: Grundlagen
3. Vom Richterspruch zum Gesetzesrecht Gerade die deutsche Zivilrechtsprechung bereitete in der Vergangenheit häufig den Boden für die Positivierung „neuen Rechts“ im Interesse des Verbraucherschutzes. In unserem Rechtskreis, der sich dem Gedanken der Kodifikation verschrieben hat, erfolgt zwar die Rechtspositivierung formell nicht durch den Richterspruch, denn dieser erschöpft sich in seiner Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien des konkreten Rechtsstreits. Faktisch trägt aber die Rechtsprechung gleichwohl einen großen Anteil an der Herausbildung modernen Verbraucherrechts, wenn und soweit kontinuierlich Entscheidungsreihen herausgearbeitet werden, die wenngleich keine legale, so doch eine institutionelle Autorität besitzen und somit auch praktische Beachtung finden. Nicht nur im Common-Law-System gilt der auf die Bedeutung der Jurisprudenz bezogene Satz, „The life of the law is not only logic but mainly experience“,169 wobei man diese „experience“ freilich als praktische Handhabung des Rechts, angepasst an die wandelbaren und ggf. gewandelten gesellschaftlichen Bedürfnisse,170 zu begreifen hat. Die Handhabungspraxis der Jurisprudenz gerade beim Aufgreifen neuer Fallgestaltungen verläuft dabei nicht selten in mäandrischen Bewegungen, entlang den Einzeltatbeständen, bis er zwischen den ggf. miteinander ausbalancierten Polen konkreter Sachgerechtigkeit zur Ruhe kommt.171 In diesem Prozess abstrahiert sich aus dem, was im Einzelfall „das Rechte“ ist, erst nach vielen Risiken und Opfern der Beteiligten und der Gläubiger „das Recht“, i.S. einer von der Deformation des Falldenkens allmählich befreiten judiziellen Rechtsnorm heraus.172 Der Richterspruch wird durch abschichtende Abstraktion zur Fallgruppe und diese wird häufig vom Gesetzgeber aufgegriffen, um sie in Gesetzesform zu gießen und ihr damit ein auch tatsächliches „Normengewand“ zu geben. III. Gesetzliche und gesetzesbegleitende Maßnahmen Die gesetzlichen Vorgaben zum Schutze des Verbrauchers und die verbraucherschützenden Judikate der Rechtsprechung konstituieren das gesamte Verbraucherschutzrecht.173 In der Praxis ist die Rechtsmaterie, die das Verbraucherschutzrecht ausmacht, jedoch nicht isoliert zu sehen, denn sie wird häufig durch gesetzesbegleitende Maßnahmen flankiert.174 In den Bereich der gesetzesbegleitenden Verbraucherschutzmaßnahmen fallen alle Aktivitäten, die auf die Erzie169 170 171 172 173 174
Satz aufgegriffen von Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 234. So schon zutreffend herausgestellt in RGZ 106, 272, 275. Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 83 f. Esser, ebenda. V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 25. Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 84.
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hung und Bildung des Verbrauchers, auf die Erhöhung der Selbstkontrolle175 der Wirtschaft, auf die z.T. staatlich geförderte Selbstorganisation der Verbraucher sowie auf die zum rechtlichen Verbraucherschutz übergehende Verbraucherinformation gerichtet sind.176
E. Kategorienbildung Allen gesetzlichen und gesetzesbegleitenden Maßnahmen des Verbraucherschutzes ist dabei eines gemein: Sie lassen sich hinsichtlich ihres Eingriffs- und Wirkmechanismus nochmals unterteilen. Je nach Eingriffsintensität und Wirkungsgrad kann man zwischen marktkomplementären und marktkompensatorischen Instrumenten zum Schutze des Verbrauchers unterscheiden:177 I. Marktkomplementäre Instrumente Unter marktkomplementären (d.h. marktkonformen bzw. marktliberalen)178 Instrumenten179 zum Schutze des Verbrauchers versteht man all diejenigen Regelungen, die Verbraucherschutz primär über die Förderung und Erhaltung des 175 Dazu zutreffend kritisch Kemper, Verbraucherinstrumente (1994), S. 102 ff., mit dem Hinweis, dass die Motivation zur Durchführung der Selbstkontrolle häufig nur darin liegt, staatlichen Regelungen die Notwendigkeit abzusprechen, die dem Verbraucherschutz aber effektiver befördern würden, und weil Selbstkontrolle immer auf Selbstbindung beruht, die nicht jedes Unternehmen gewillt ist, mitzutragen und es insofern auch zu Marktverzerrungen kommt. Interessant, aber praktisch fehlgeschlagen ist der von Kemper (a.a.O.), S. 123 vorgestellte Aspekt der Kollektivverträge in Frankreich, der zu einer partiellen privaten Normsetzung geführt hat. 176 Vgl. hierzu etwa Assmann/Kübler, Staatliche Verbraucherinformation im Ordnungsgefüge des Privatrechts (1981). 177 Kategorienbildung von Reich, Markt und Recht (1977), S. 198, 218 f.; aufgegriffen u.a. von MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 17 ff.; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 123; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 27 Fn. 200; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 11; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 515; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 271, weist zutreffend darauf hin, dass sich beide Ansätze nicht ausschließen. Wilhelmsson (ELJ 2004, 712, 716) unterscheidet in ähnlicher Weise zwischen „commutative justice“ (= corrective justice) und „distributive justice“. 178 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. S. 69 ff., 104; in Bezug auf Dauner-Lieb erwähnt auch von Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 27; vgl. i.Ü. auch Drexl (Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers [1998], S. 9) spricht von „konstitutiven“ Elementen; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 10. 179 Umfassend dazu: Fritsche, Das neue Luftverkehrsrecht und die Liberalisierung des
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1. Teil: Grundlagen
Wettbewerbs durch Kartellverbote und das Verbot unlauteren Wettbewerbs sowie durch Verbraucherbildung und -information befördern sollen.180 Marktkomplementäre Instrumente sind bevorzugte Mittel des so genannten (liberalen Verbraucherschutz- bzw.) Informationsmodells.181 Diese Verbraucherschutzkonzeption beruht auf der Annahme, dass ein funktionsfähiger Wettbewerb die beste Garantie für eine optimale Bedarfsbefriedigung und Bedarfsentscheidung des Verbrauchers bietet.182 Je mehr der Wettbewerb die Anbieter entmachtet,183 je intensiver das Ringen um den Kunden durch den Einsatz der Parameter Preis und Qualität ist,184 um so besser und günstiger kann der Verbraucher seinen Bedarf am Markt realisieren und letztlich durch seine Entscheidung und Verlagerung derselben die wettbewerbsrechtlichen Prozesse steuern. Kein Anbieter kann sich an der jeweiligen Bedarfsentscheidung der Konsumenten vorbeibewegen.185 1. Regulierung von Markt(über)macht durch Kartellverbote und Auflagen Da der Wettbewerb tendenziell auch zu Beschränkungen und zur Bildung von Marktmacht neigt,186 muss Verbraucherschutz in Form von Wettbewerbspolitik zuallererst die Kartellbildung und Vermachtung von Märkten bekämpfen, um wettbewerbliche Strukturen zu erhalten bzw. wieder herzustellen.187 Dies transatlantischen Luftverkehrs (2007); Keßler/Micklitz, Kundenschutz auf liberalisierten Märkten – Energie – (2007); Keßler/Micklitz, Kundenschutz auf liberalisierten Märkten – Telekommunikation – (2008). 180 Vertretend Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 69 ff., 104; beschreibend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 27; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 10; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 25 ff. 181 Vertretend: Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 69 ff.; 105; beschreibend Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 9; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 27, insbes. Fn. 200; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 122; zu diesem Modell siehe Ausführungen im 1. Teil, Kapitel 5, Abschnitt A II. 182 Vgl. Basedow, AcP 200 (2000), 445, 486; Scherhorn, Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik (1975), S. 81 ff. 183 Das ist die gesellschaftspolitische Funktion des Wettbewerbs, vgl. dazu Reich, Markt und Recht (1977), S. 200. 184 Das ist die ökonomische Funktion des Wettbewerbs, vgl. dazu Reich, Markt und Recht (1977), S. 200. 185 Diese Ausgangsposition des traditionellen Markt- und Zivilrechtsverständnisses beschreibend Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 718. 186 Zum fehlenden Markt als Erscheinungsform des Spätkapitalismus (und zur damit hervorgerufenen Gefahr für die bürgerliche Basisideologie) vgl. Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 54. 187 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (19976), S. 21; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 486; Reich, Markt und Recht (1977), S. 200.
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geschieht beispielsweise durch das Kartellverbot und durch Auflagen und Eingriffsbefugnisse, die nach dem (deutschen) GWB188 und den EU-weit wirkenden Art. 101 ff. AEUV189 als Mittel gegen die Bildung übermäßiger Marktmacht eingesetzt werden können.190 2. Regulierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs durch das Lauterkeitsrecht Eine Erweiterung erfährt das wettbewerbsrechtliche Konzept der Verbraucherpolitik durch das Verbot unlauteren Wettbewerbs.191 Es geht hier um das wettbewerbliche Verhalten einzelner Anbieter (Produzenten und Händler) gegenüber dem Verbraucher in Form des Marketings, das (in Deutschland) durch das UWG und auf der Ebene der EU durch eine entsprechende Richtlinie reguliert wird. Dabei ist es durch die Klarstellung im UWG n.F. nunmehr unbestritten, dass das Wettbewerbsrecht, obwohl ursprünglich vom Konkurrentenschutz ausgehend, inzwischen auch den Schutz der Allgemeinheit und der Verbraucher in ihrer Gesamtheit bezweckt.192 Im Recht des unlauteren Wettbewerbs kann der Verbraucher – insoweit, als er potentiell rechtsgeschäftlich tätig werden könnte – Adressat von Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs, namentlich der Adressat von Werbung sein. 3. Verbraucherinformation Flankiert werden die wettbewerbserhaltenden Elemente des Kartell- und Lauterkeitsrechts durch die vom deutschen und europäischen Recht umfassend eingeforderte Verbraucherinformation.193 a. Ausbau der Verbraucherinformation als allgemeine Tendenz Der gesamte Bereich der Informationspolitik des Verbrauchers ist durch die Praxis der Gesetzgebung, aber auch durch die Verbraucherorganisationen in den letzten Jahren stark ausgebaut worden.194 Die Informationspolitik im Rahmen des Verbraucherschutzes geht von der Prämisse aus, dass die herkömmliche Wirtschaftswerbung dem Verbraucher die notwendigen Entscheidungskriterien nicht oder nicht transparent genug vermittelt, die er zu einer sachgerechten Bedarfsentscheidung benötigt.195 188
Zuständig zur Überwachung ist das Bundeskartellamt. Zur Aktivlegitimation von Verbrauchern nach der 7. GWB-Novelle gem. § 33 GWB jüngst Pajunk, Konsumentenschutz im Rahmen privater Kartellrechtsdurchsetzung, Diss. Rostock 2009. 189 Zuständig zur Überwachung ist hier die Europäische Kommission. 190 Reich, Markt und Recht (1977), S. 201 ff. 191 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 8 Rn. 12. 192 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625. 193 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625. 194 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7 f. 195 Reich, Markt und Recht (1977), S. 206.
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1. Teil: Grundlagen
Dabei sind mehrere Aspekte der verbraucherschützenden Informationspolitik zu unterscheiden: Es geht hier zum einen ganz allgemein um das Verbot irreführender Werbung nach dem UWG, aber auch um zahlreiche gesetzliche Gebote zur sachlichen Aufklärung und Information (vgl. etwa § 492 I 5 BGB und die vielen Beispiele in der BGB-InfoV und im EGBGB) bis hin zum allgemein gefassten Transparenzgebot (siehe dazu etwa §§ 307 I 2, 477 I 1 BGB). In einem weiter verstandenen Sinn spielt hier zudem die Beratung der Verbraucher über Waren und Dienstleistungen durch Organisationen, die rechtlich und wirtschaftlich unabhängig sind und deren Hauptbetätigungsfeld die Produktbeurteilung ist, hinein.196 b. Problem: Informationslastigkeit des EU-Verbraucherrechts („Choice-Modell“) Das Informationsmodell197 – auch Choice-Modell genannt –, das auf Verbraucherinformation setzt, wird derzeit stark durch das Gemeinschaftsrecht forciert.198 Es ist jedoch nicht unumstritten. Gerade von (sozialen) Verbraucherschützern wird es eher als „Minimalmodell des Verbraucherschutzes“ bezeichnet,199 da es einer neoliberalen Sicht des Marktes entspringt, 200 die vorwiegend auf Deregulierung, das freie Spiel der Marktkräfte im Wettbewerb bzw. auf die Durchsetzung der Grundfreiheiten des AEUV baut.201 Mit dem Informationsmodell, das über die umzusetzenden Richtlinien auch auf das nationale Recht einwirkt, ist der europäische Verbraucherschutz zunächst prozedural ausgestaltet.202 Hintergrund hierfür sind die primärrechtlichen Vorgaben: Durch die Anbindung des Art. 169 AEUV an Art. 114 AEUV ist das Europäische Verbraucherrecht zum größten Teil in „Maßnahmen zur Vollendung des Binnenmarktes“ 203 eingebunden. In Anbetracht des Primärrechtes erfüllt der ge196
Zur den rechtlichen Grenzen dieser Betätigung vgl. Paschke, AfP 1991, 683. Der Ausdruck wurde erstmals von K. Simitis, Verbraucherschutz. Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 95, verwendet, der sich selbst kritisch zur Leistungsfähigkeit des Informationsmodells äußerte (a.a.O., S. 97 ff.). 198 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7. 199 Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung und Kooperation im Zivilrecht (1997), S. 77 ff.; Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 718; Lurger, Vertragliche Solidarität (1983), S. 14; kritisch auch K. Simitis, Verbraucherschutz. Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 97 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 27 f. 200 Grundlegend dazu Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf (1933); Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz. Über die Grenzen von Staat, Gesellschaft und Privatautonomie (1978; 2. Aufl., 1984); Rittner, AcP 180 (1980), 392 ff.; Biedenkopf, FS Böhm (1965), S. 113 ff.; Mayer-Maly, FS Merkl (1970), S. 247 ff.; v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I–III (1980–1981). 201 Derleder, FS Reich (1997), S. 111. 202 Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 719; Wagner, ZEuP 2007, 180, 196. 203 Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 1993), S. 38; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 123; Micklitz, VuR 2003, 2, 5; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003), § 1 Rn. 1; kritisch Roth, JZ 2001, 475, 481. 197
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meinschaftsrechtliche Verbraucherschutz überwiegend noch keinen selbständigen vom Binnenmarktziel emanzipierten Zweck.204 Der Verbraucherschutz dient auf europäischer Ebene vornehmlich dazu, die grenzüberschreitende Nachfrage zu stimulieren. Spezielle Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers spielen für die Europäische Gemeinschaft nur insofern eine Rolle, als sie die Marktbetätigungsfreiheit i.S.e. „Wahlfreiheit“ einzelner Verbraucher erhöhen.205 Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang von einem „Choice-Ansatz“.206 Hierher gehört auch die vom EuGH zum Ausdruck gebrachte Idee, dass die auf den Grundfreiheiten beruhende Deregulierung der Anbietertätigkeit auch den Interessen des Konsumenten (d.h. der Nachfrager) nütze, ja dass diese Interessen im Rahmen der Grundfreiheiten selbst als sog. „Nachfragerfreiheiten“207 primärrechtlich geschützt werden.208 Das Motto lautet: Je freier der Anbieter agieren könne, desto besser geht es bei entsprechendem Informationsstand über das Angebot auch den Nachfragern.209 Damit die Nachfrage am Markt stimuliert wird, ist zum einen für eine ausreichende Transparenz im Konditionenwettbewerb zu sorgen.210 Zum anderen muss dem europäischen Verbraucher über die Vorgaben des Verbraucherschutzrechtes das Vertrauen211 vermittelt werden, dass er bei einer Inanspruchnahme der Waren- und Dienstleistungsfreiheit außerhalb seines Heimatmarktes ein verlässliches Mindestmaß an Schutz vorfindet.212 Der europäisch motivierte Verbraucherschutz ist vor diesem Hintergrund konzeptionell darauf gerichtet, dass „die Verbraucher ihre Schiedsrichterrolle auf dem Markt optimal ausüben kön-
204 Wiedmann/Gebauer, in: Wiedmann/Gebauer (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 11. 205 Oehler, VuR 2006, 294, 295; Derleder, FS Reich (1997), S. 111; Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 1993), S. 32. 206 Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 263. 207 EuGH, Urt. v. 31.1.1984, verb. Rs. C-286/82 und C-26/83 – Luisi und Carbone; EuGH, Urt. v. 2.2.1989, Rs. C-186/87 – Cowan; EuGH, Urt. v. 7.3.1990, Rs. C-362/88 – GB-INNOBM; Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 657 ff.; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 18 f.; Heiss, ZEuP 1996, 626, 641 ff. 208 Zum Ganzen in diesem Zusammenhang vgl. Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7. 209 Cassis de Dijon-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon). 210 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 6. 211 Wagner, ZEuP 2007, 180, 196; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), S. 230: Sie bleiben häufig im Rahmen des allgemeinen Gemeinschaftsrechts den Mitgliedstaaten überantwortet, die hier ein höheres Schutzniveau gewährleisten können, solange die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung gewährleistet bleiben, vgl. dazu Art. 153 V EGV; siehe auch Reich, a.a.O., S. 228, 230; so auch Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 263 ff. 212 Oehler, VuR 2006, 294, 295; Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 263 f.; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 6.
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1. Teil: Grundlagen
nen“.213 Über diese Ausrichtung entfaltet er die passive Seite der Waren- und Dienstleistungsfreiheit.214 Daher sind Informationspflichten des Unternehmers die bevorzugten, d.h. primären Instrumente des Verbraucherschutzes, wenngleich sie – auch nach dem Gemeinschaftsrecht – nicht die einzig zum Zuge kommenden Mittel sind.215 Der informelle Ansatz des europäisch inspirierten Verbraucherschutzes folgt der Logik der Marktwirtschaft, die selbst ohne den mündigen Verbraucher nicht (oder doch nur sehr eingeschränkt) existieren könnte.216 Soll der Verbraucher den Markt lenken, kann das nur funktionieren, wenn ihm die notwendige Information bereitgestellt, ihm aber auch gewisse Informationslasten zugemutet werden. Denn nur der informierte Marktteilnehmer trifft rationale Entscheidungen.217 In diese Vorstellung fließt das vom EuGH218 und vom Schrifttum219 verwendete Leitbild des „mündigen, informierten Verbrauchers“ problemlos ein. Das Übergewicht der Information im gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutz wird über die Vorgaben der Art. 169 und 114 AEUV hinaus auch als Ausfluss des „Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ verstanden.220 Wenn die Gemeinschaft auf Grund ihrer begrenzten und subsidiären Zuständigkeit nach Art. 5 I–II EUV tätig wird, muss sie verhältnismäßig handeln, Art. 5 III EUV. In Erfüllung der Unterkriterien Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i.e.S. dürfen die Gemeinschaftsorgane zur Einschränkung der Marktfreiheiten nur solche Maßnahmen treffen, die nicht über das Maß hinausgehen, welches 213 Vgl. den Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zum Thema „Verbraucher und Binnenmarkt“, ABl.EG 1993 Nr. C 19/22; Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 263 ff. 214 Zur passiven Dienstleistungsfreiheit vgl. etwa EuGH, Urt. v. 31.1.1984, verb. Rs. C-286/82 und C-26/83 – Luisi und Carbone; Behrends, EuR 1992, S. 145, 159 f.; Heiss, ZEuP 1996, 625, 641. 215 Beschreibend Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 14. 216 Zum Befund Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 6, 45 ff.; Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997); Weatherill, EU Consumer Law and Policity (2005); Oehler, VuR 2006, 294, 295; Reifner, VuR 2004, 130, 131. 217 Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 195; ähnlich Wichard, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 6. 218 EuGH, Urt. v. 7.3.1990, Rs. C-362/88 – GB-INNO-BM, Rn. 14 ff.; EuGH, Urt. v. 13.12.1990, Rs. C-238/89 – Pall/Dahlhausen, Rn. 18 ff.; EuGH, Urt. v. 18.5.1993, Rs. C-126/91 – Yves Rocher, Rn. 16 ff.; EuGH, Urt. v. 2.2.1994, Rs. C-315/92 – Clinique, Rn. 22 f.; EuGH, Urt. v. 6.7.1995, Rs. C-470/93 – Mars, Rn. 24. 219 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 7; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 195; Martin-Ehlers, Die Irreführungsverbote des UWG im Spannungsfeld des freien europäischen Warenverkehrs (1996), S. 82 ff.; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), S. 63; Tilmann, FS Piper (1996), S. 481 ff.; kritisch Doepner, WRP 1997, 999, 1007; Sack, WRP 1998, 264 f. 220 Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 1993), S. 106; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 14: „geringster Eingriff“; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 7; vgl. auch Art. 5 II EGV.
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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für die Erreichung der Ziele des Vertrages erforderlich ist.221 Bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt also, dass immer dann, wenn ein Anliegen des Gesetzgebers schon dadurch befriedigt werden kann, dass die zu schützende Person (hier der Verbraucher) informiert wird, die bloße Information einer inhaltlich zwingenden Regel, die tendenziell einschneidender ist, vorgezogen werden muss.222 Inhaltlich zwingende Regeln sind danach nur zu wählen, soweit nicht eine Informationsregel das Marktversagen ausräumen kann. Das von der EU präferierte Informationsmodell erscheint jedoch nicht immer als genügend leistungsstark,223 um den Anforderungen an eine herzustellende (möglichst umfassende) Vertragsgerechtigkeit zu entsprechen.224 So wenden sich – m.E. zu Recht – Teile der Literatur gegen die Vorrangstellung des Informationsmodells auf europäischer Ebene.225 Pointiert wird etwa gefragt, „wer denn eigentlich den Verbraucher vor dem (marktorientierten) Brüsseler Verbraucherschutz226 schützt?“227 Damit wird nicht per se Kritik an dem Informationsgebot geübt. Dies soll auch hier nicht geschehen.228 Denn die Verbesserung und Sicherung der Informationslage der geschützten Vertragspartei ist an der Grenzlinie zwischen formaler und materialer Vertragsfreiheit eine wichtige Säule des Schwächerenschutzes.229 Die Verbraucherinformation anzustreben ist der nahe liegende Weg, um die vielfach vorhandene informelle Disparität auszugleichen.
221 EuGH, Urt. v. 21.2.1979, Rs. C-138/78 – Stölting; näher Pache, NVwZ 1999, 1033 ff.; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 159. 222 Vgl. dazu etwa die Cassis de Dijon-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon). Das Gericht hielt in dieser Entscheidung die Festsetzung eines Mindestalkoholgehalts von Likören für entbehrlich, da Verbraucherschutz von eventuell in die Irre geleiteten Verbrauchern schon durch eine entsprechende Produktinformation realisiert werden könnte. 223 Schon auf nationaler Ebene zeigt die seit Beginn des letzten Jahrhunderts geführte Auseinandersetzung um die Prämissen der Vertragsfreiheit (formale und materiale), dass die formale Vertragsfreiheit nur eine von mehreren Vorbedingungen für einen „fairen“ Vertragsschluss ist. Gleiches gilt für die Information, welche zur Verfügung zu stellen ist. 224 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 14 f.; K. Simitis, Verbraucherschutz. Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 97 ff.; Funktionsdefizite sieht auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 27 ff. 225 Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 1993), S. 255; Lurger, a.a.O. 226 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 67. 227 Van den Bergh, in Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung und Kooperation im Zivilrecht (1997), S. 77 ff. 228 Hinzuweisen ist aber darauf, dass das Stehenbleiben beim Informationsmodell zu Verschleierung von Interessengegensätzen führt. Denn Machtungleichgewichte, an denen festgehalten wird, werden mit diesem Modell letztlich ideologisch auf die Informationsasymmetrie begrenzt. Die Fokussierung auf diesen Punkt führt im Ergebnis zu einer Manifestierung der asymmetrischen Verteilung von Chancen legitimer Bedürfnisbefriedigung, m.a.W. zu einer Repression derselben (zu diesen typisch spätkapitalistischen Legitimationsmodellen vgl. etwa Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus [1979], S. 44). 229 So auch Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7 f.
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1. Teil: Grundlagen
Da die Gründe für Disparitäten zwischen Verbrauchern und Unternehmern aber vielgestaltig angelegt sind, genügt es nicht (allein), die Verbraucherinformation zu verbessern, es bedarf weiterer Schritte. Dies sah selbst der EU-Gesetzgeber, denn er ist nicht bei der Statuierung von Verbraucherinformationspflichten stehen geblieben. Er setzt zunehmend auch auf Vertragslösungsrechte und Inhaltskontrollmechanismen. Damit zeigt die Gemeinschaft, die derzeit die Entwicklung des Verbraucherrechtes dominiert, die Richtung auf, in die es gehen muss. Der Informationsgrundsatz muss mit dem Ansatz der Inhaltskontrolle sowohl auf europäischer Ebene als auch im Bereich der nationalen Rechtsordnungen in ein lebhaftes „Kooperationsverhältnis“230 treten, in dem sich die einzelnen Schutzinstrumente gegenseitig ergänzen und stützen, sodass beide Säulen des Unterlegenenschutzes (vertragsprozedurale und inhaltliche) gleich stark entwickelt sind. Dies ist jedoch nur dann in nachhaltiger Weise möglich, wenn sich die Gemeinschaft von einem zunächst binnenmarktorientierten Zusammenschluss231 zu einer umfassenden Rechts- und Wertegemeinschaft weiterentwickelt,232 wo es nicht mehr nur darum geht, die Nachfragerrolle des Bürgers am Markt zu entwickeln („aiding to exercise“), sondern – nach der Eingestehung unterschiedlicher Interessenlagen von Verbrauchern und Unternehmern – auch den Schutz vor der einseitigen Einflussnahme der Marktgegenseite zu fördern.233 Nur dann – bei Einbeziehung der tatsächlichen Interessenlagen und Machtungleichverhältnisse – ist die Gemeinschaft den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Verbraucherschutzinstrumente gewachsen.234 II. Marktkompensatorische Instrumente Wettbewerbsregulierung und Informationspolitik betreffen im Wesentlichen eine mittelbare Verbesserung der Stellung des Verbrauchers am Markt und im Recht unter „Einbettung“ in geltende Strukturen, d.h. insbesondere unter strikter Beachtung des Prinzips der Privatautonomie.235 Eine darüber hinausgehende marktkompensatorische Funktion fällt demgegenüber solchen Maßnahmen und Bestimmungen zu, die in das Marktgeschehen in weit stärkerem Maße als durch 230
Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 16. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 67. 232 Joerges/Rödl, KJ 2008, 148, 150 ff.; Scharpf, 40 Journal of Common Market Studies (2002), 645 ff. 233 Oehler, VuR 2006, 294, 295. 234 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 12. 235 Dies herausstellend Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 69, 104; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 486; Reich, Markt und Recht (1977), S. 210. 231
2. Kapitel: Regelungsbereich, spezifische Gefahrenlagen, Ziele, Mittel
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die bloße Sicherstellung des Wettbewerbs und des Informationsaustausches regulierend eingreifen.236 Sie kommen insbesondere dann zum Zuge, wenn das Funktionieren des Marktes auch über den Einsatz von marktkomplementären Instrumenten nicht ausreichend sichergestellt werden kann.237 Als klassische marktkompensatorische Elemente lassen sich Bestimmungen anführen, die auf eine Abschluss- und Inhaltskontrolle von einzelnen Verbraucherrechtsgeschäften bzw. auf die Kompensation der übrigen (auch außerrechtsgeschäftlichen) Unterlegenheitsposition des Verbrauchers zielen.238 Dabei geht es um solch unterschiedliche Fragenkreise wie die Produzentenhaftung, den Schutz der vertraglichen Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit des Konsumenten durch bestimmte verfahrensrechtliche Vorgaben, Inhaltsverbote und die Einräumung von Widerrufsrechten, den Schutz vor unbilligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Vertrag, Regelungen zur Schlechtleistung, den Schutz vor wucherischen Krediten und vor sonstigen „gefährlichen“ Vertragssituationen sowie die Behandlung des Problems der Verbraucherverschuldung.239 Der Ausbau der marktkompensatorischen Instrumente zum Schutz des Konsumenten wird insbesondere durch das soziale Verbraucherschutzmodell240 favorisiert. III. Auswertung Die Unterscheidung zwischen marktkomplementären und marktkompensatorischen Instrumenten zum Schutze des Verbrauchers zeigt, dass das Verbraucherschutzrecht konzeptionell ganz unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Die Entscheidung für das jeweilige Instrument hängt davon ab, inwieweit das Recht die Bedarfsdeckung des Verbrauchers über den Markt als gegeben ansieht und lediglich gewisse – auch für das Marktsystem letztlich bestandsgefährdende – Missbräuche beseitigen will, oder ob im Rahmen einer Verbraucherpolitik in die Marktprozesse selbst interveniert werden soll.241 Im ersteren Fall bietet sich primär eine marktkomplementäre („marktkonforme“) Konzeption an. Im zweiten Fall lässt sich hingegen auch der Einsatz von marktkompensatorischen Elementen rechtfertigen.242 Das gegenwärtige Verbraucherschutzrecht, das wird im nächsten Abschnitt etwas genauer beschrieben, ist durch einen Mix der verschiedenen Instrumente 236 Dauner-Lieb, Herausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 141 ff., 150; Reifner, VuR 2004, 130, 131; beschreibend auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 27. 237 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 9. 238 Vgl. dazu Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie (2001). 239 Ähnlich Reich, Markt und Recht (1977), S. 210. 240 Zur Konzeption vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel, A. III. 241 Reich, Markt und Recht (1977), S. 198. 242 Reich, Markt und Recht (1977), S. 198.
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1. Teil: Grundlagen
zur Bekämpfung von Disparitäten geprägt. In diesem spiegelt sich vornehmlich die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers243 wider, dass Ungleichgewichtslagen zwischen Verbrauchern und Unternehmern nicht nur auf Informationsdefiziten beruhen, sondern u.a. auch auf wirtschaftliche Übermacht zurückzuführen sind. IV. Widerspiegelung dieser Elemente im geltenden Verbraucherschutzrecht In der verbraucherpolitischen Diskussion der letzten Jahre ist eine stärkere Hinwendung zu marktkompensatorischen Elementen feststellbar, auch und gerade weil der Gesetzgeber und die Rechtsprechung die Verfahrens- und Inhaltskontrolle im Verbraucherrecht (aber nicht nur hier) immer stärker ausbauen. Die gegenwärtige Verbraucherschutzpolitik und das geltende Verbraucherschutzrecht gehen zwar vom so genannten Marktparadigma aus,244 welches den wertenden Befund einschließt, dass der Markt ein prinzipiell funktionstaugliches Instrument zum Schutz des Verbrauchers sei. Es müsse allerdings gegen Defekte und Dysfunktionalitäten abgesichert werden.245
243 Zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei der Etablierung von Rechtsinstrumenten bzw. der Festlegung der Interventionsschwelle vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 33 ff. 244 Reich, Markt und Recht (1977), S. 198. 245 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 10.
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3. Kapitel
Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft, Internationalität, politische Neutralität Die Gesamtschau der marktkomplementären und marktkompensatorischen Verbraucherschutzelemente, die dem Verbraucherschutzrecht unterlegt sind, macht eines deutlich: In der Weise, wie der Gesetzgeber unter Zuhilfenahme verschiedenster Verbraucherschutzinstrumente in das Marktgeschehen eingreift, lässt sich Verbraucherschutzrecht heute als Ausdruck eines speziellen rechtlichen Konfliktmanagements begreifen. Seine Besonderheit kommt darin zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber hier in ähnlicher Form1 wie zuvor bereits im Arbeits-2 und Mietrecht3 das Versagen des Marktes4 und (die wie auch immer zu definierenden) Ungleichgewichtslagen5 zwischen den Marktteilnehmern zum Anlass für eine gesetzgeberische Intervention genommen hat.6 1
Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268, 269. Zum Zusammenhang mit dem zivilrechtlichen „Sozialrecht“ siehe Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 21. Im Arbeitsrecht tritt das Ungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in drei Formen auf. Es tritt zum einen schon in der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers zu Tage (hierzu: BAG BB 1992, 1356, 1491; BAG NZA 1996, 33 f.; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen (1979), S. 394; Tamm, Die Entwicklung der Betriebsrisikolehre und ihre Rückführung auf das Gesetz (2001), S. 50 f. Daneben tritt eine Art „institutionelle Abhängigkeit“ in Erscheinung (Ausdruck von Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht II, 15. Aufl., S. 510); Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis (1966), S. 14 f. Ferner ist eine wirtschaftliche Abhängigkeit auszumachen (Kreutz, ZfA 1973, 321, 339 f.; Gamillscheg, AcP 176 (1976), 197, 201, 205 f.; Reuter, ZfA 1975, 85, 86; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht (1972), S. 92; Zeuner, RdA 1975, 84 f. 3 Zu den Parallelen vgl. Raiser, JZ 1958, 1, 3; ders., Die Zukunft des Privatrechts (1971), S. 31 ff.; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 21. 4 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 10, 17; Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 10 ff. 5 Das Argument des „vertraglichen Ungleichgewichts“ ist für viele ein Reizwort (vgl. etwa Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; Adomeit, NJW 1994, 2467 ff.; Dreher, JZ 1997, 167, 177 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 198 ff.; F. Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 ff. In der Rechtsprechung und Literatur ist die Existenz einer Disparität zwischen Verbraucher und Unternehmer jedoch anerkannt, wozu sich auch das BVerfG in BVerfGE 89, 214 ff. bekannte. Das führt zu einer materialisierten Betrachtung vieler Vertragsverhältnisse, vgl. dazu etwa: 2
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1. Teil: Grundlagen
A. Herausbildung eines entsprechenden Rechtsbewusstseins Die das geltende Verbraucherschutzrecht tragende Einschätzung, dass eine Stärkung der Position des Verbrauchers in unserer Privatrechtsordnung notwendig sei, drang allerdings erst im späten 20. Jahrhundert vollumfänglich in das Bewusstsein von Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Das liberal-kapitalistische Modell der bürgerlichen Rechtsordnung hatte nach der Einschätzung von rechtssetzender und rechtsanwendender Gewalt jahrzehntelang gut funktioniert, ohne dass der Verbraucherschutz Anlass zu sozialen Auseinandersetzungen und damit zu Umbauten im rechtlichen System gab.7 I. Wirtschaftsliberale Grundausrichtung des Zivilrechts zu Anfang des BGB Es gehörte zur marktwirtschaftlichen Freiheitsgewährleistung, die sich in der wirtschafts-liberalen Grundausrichtung des BGB niederschlug,8 dass sich der Staat zunächst damit begnügte, den Tauschcharakter von Erwerbsgeschäften auf dem Markt anzuerkennen und zu regeln.9 Darüber hinausgehende soziale bzw. ergebnisbewertende Anknüpfungspunkte wurden nicht prinzipiell, sondern nur ganz ausnahmsweise zugelassen.10 Wichtig und ausreichend war insofern nur, dass sich eine Vertragsleistung nicht per se als gesetzes- oder sittenwidrig erwies.
Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 216 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 207; ders., AcP 200 (2000), 273, 343 ff.; MüKo/Kramer (4. Aufl., 2001), Vor. § 145 Rn. 3; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982); Barnert, Die formelle Vertragsethik des BGB im Spannungsfeld zum Sonderprivatrecht und zur judikativen Kompensation der Vertragsdisparität (1999); Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit (2000); Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 39. 6 Zu diesen Parallelen und dem historischen Schutzrechtsaspekt Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 6 ff.; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150; selbst Dauner-Lieb, Herausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), sieht „gewisse Parallelen“ zwischen den Rechtsbereichen. 7 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 137. 8 Zu der Kritik an der verpassten Chance, soziales Gedankengut im BGB schon bei seiner Konzeptionierung zu verankern vgl. v. Gierke, Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (1889), S. 2, und Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (5. Aufl., 1927), S. 12 ff. 9 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 10; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; Staudinger/Coing/Honsell (2004) Bd. I, Einl. zum BGB Rn. 16. 10 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 165; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 10 ff., führt dort das Mietrecht, das rudimentär im BGB angelegte Arbeitsrecht sowie die §§ 138 II, 243, 1229, 1136 BGB an; ähnlich Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 10, 17 führt das Mietrecht an sowie die §§ 138 II, 243, 1229, 1136 BGB.
3. Kapitel: Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft
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Die Theorie vom Markt und der Marktregulation kam so im klassischen Rechtsliberalismus11 zum Ausdruck, der zu weitgehend inhaltsneutralen Normen führte,12 d.h. zu Regelungen, die den Inhalt eines Vertrages weitgehend der Disposition der Parteien überließen und nicht wertend oder sanktionierend eingriffen.13 Es ist in dieser Weise bezeichnend, dass das Gesetz selbst auch bei grober Unrichtigkeit (§§ 134, 138 BGB) nur eine „negative Richtigkeitsgewähr“ gab, indem es ein Geschäft ausnahmsweise für nichtig erklärte, es aber nicht berichtigte.14 Die Rechtsprechung ist hier später über §§ 138, 242 BGB „lenkender“ tätig geworden, als es ursprünglich Intention des Gesetzgebers war.15 Denn unterstellt wurde zunächst, dass die Tauschprozesse generell zu Wohlfahrt und Gerechtigkeit führen.16 Es ging damit nicht um inhaltliche Ausgeglichenheit oder Gleichwertigkeit der Vertragspositionen: Wie sich der Vertrag auf die Interessen der Partner auswirkt, sollte der Geschicklichkeit der Parteien überlassen bleiben.17 Auf der Grundlage der gewährten formal-abstrakten18 Gleichstellung der Parteien sollte lediglich die Eröffnung formal-gleicher Verhandlungschancen gewährleistet sein. Diese anfängliche Grundausrichtung des BGB führte dazu, dass v. Gierke den Entwurf des BGB auch mit den Worten „der sociale Beruf einer neuen Privatrechtsordnung scheint in seinem Horizont nicht eingetreten zu sein“19 ablehnte. Menger spitzte den von v. Gierke geäußerten kritischen Befund bekanntermaßen in einer polemischen Bemerkung weiter zu.20 Im Kern – und 11 Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf (1933); Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz. Über die Grenzen von Staat, Gesellschaft und Privatautonomie (1978, 2. Aufl., 1984); Rittner, AcP 180 (1981), 392 ff.; Biedenkopf, FS Böhm (1965), S. 113 ff.; Mayer-Maly, FS Merkl (1970), S. 247 ff.; v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I–III (1980–1981). 12 Staudinger/Coing/Honsell, Bd. I (2004), Einl. zum BGB Rn. 16: „Liberalismus i.S.d. BGB bedeutete Marktwirtschaft und Freihandel i.S.v. Adam Smith.“ 13 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 25; zu den historischen und ausländischen Lösungen des Problems von „unfairen Verträgen“ (insbes. die Ausnutzung einer Zwangslage) vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht (1996) Bd. I, S. 198; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 160 ff. 14 Schmidt-Rimpler, FS Raiser (1974), 1, 6 ff. 15 Schmidt-Rimpler, FS Raiser (1974), 1, 6. 16 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 49. 17 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts (1967), S. 103. 18 Siehe hierzu die Ausführungen im 1. Teil., 6. Kapitel, E I. 19 V. Gierke, Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht (1889), S. 2. 20 Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (5. Aufl., 1927), S. 12. Auf S. 15 f. meint er gar: es habe niemals einen Zeitpunkt gegeben, der für soziale schöpferische Tätigkeit im Privatrecht günstiger gewesen sei, als der Beginn der Arbeiten am BGB. Dieser Aufgabe haben sich die Verfasser des Entwurfs aber verweigert: „Vor allem waren die Redakteure darauf bedacht (…) die überaus zahlreichen und aus den verschiedensten Zeitaltern stammenden Partikulargesetze über das bürgerliche Recht in allen deutschen Bundesstaaten zu sammeln und dann dieses massenhafte Material (…) zu sichten, Veraltetes auszuscheiden usw. Dass das Resultat dieser sammelnden und sichtenden Tätigkeit nur ein
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gerade aus heutiger Sicht – ist die damals geäußerte Kritik zwar verständlich. Allerdings bleibt sie dahingehend abzuschwächen, dass das BGB eben ein „Kind seiner Zeit“21 war und für eine visionäre, soziale Ausrichtung des Zivilrechts im Jahr 1900 der Boden noch nicht genügend bereitet war. Es fehlte an einer entsprechenden Dogmatik und an dem Willen bzw. der Kraft von gesetzgebender Gewalt, Judikative und Rechtslehre, ein stärker materialisiertes Vertragsverständnis zu etablieren. II. Einbrüche in die liberale Grundausrichtung Der Gedanke, dass es eines besonderen rechtlichen Schutzes derjenigen Partei bedarf, die von vornherein (wirtschaftlich, intellektuell, psychologisch, informell etc.) keine gleichwertige Verhandlungsposition besitzt, brach sich in Europa auf Grund einer verbesserten wirtschaftlichen Situation, die zu einem raschen Anstieg des Konsums führte, erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Bahn.22 Der Aufschwung der nationalen Volkswirtschaften, der Einkommenszuwachs der Bevölkerung und die Internationalisierung des Handels haben namentlich die europäischen Verbraucher (aber bei weitem nicht nur diese) in der Mitte des 20. Jahrhunderts in die Lage versetzt, in einem bisher nicht vorhandenen Ausmaß Waren zu kaufen und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. 23 Die Wohlstandsentwicklung, die seit dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, hat die in Paragraphen gebrachtes Lehrbuch des geltenden Rechtes mit Ausscheidung des offenbar Veralteten ist und dass der Entwurf ebenso wohl im Jahr 1788 als ein Jahrhundert später hätte erscheinen können, wird bei der gewählten Arbeitsmethode niemand befremden. Ja man kann sich versichert halten, dass die Redakteure, hätten sie die Sklaverei und die Leibeigenschaft in Deutschland als geltendes Recht angetroffen, diese ehrenwürdigen Rechtsinstitute in ihrem Entwurf sorgfältig konserviert haben würden.“ 21 Auch v. Gierke sprach gelegentlich davon, dass es bei dem neuen Gesetzbuch darum gehe, das Privatrecht in das rechte Verhältnis zur „Gesamtentwicklung der Nation, zu den sittlichen und wirtschaftlichen Grundfragen unseres Zeitalters“ zu setzen, siehe dazu v. Gierke, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung 12 (1888), S. 401, 403; ähnlich Menger, der davon gesprochen hat, der Gesetzgeber müsse bei jedem Rechtssatz prüfen, ob er noch den bestehenden Machtverhältnissen entspreche. Da sich zum Zeitpunkt der Entstehung des BGB die besitzlosen Volksklassen zu einer gewaltigen Macht aufgeschwungen hätten, müssten daher bei der Gesetzgebung ihre Interessen verstärkt Berücksichtigung finden, so Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (5. Aufl., 1927), S. 21 ff.; so auch Lobe, Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? (1896) und Fuld, Diskussionsbeitrag zur Beibehaltung des Vermieterpfandrechts, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages (1889), Bd. 4, S. 170 ff. 22 Rösler, ZfRV 2005, 134, 138; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 470; Reich/ Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten (1981), S. 1; vgl. auch Staudinger/Weick (2004), Vorb. § 13 Rn. 3. 23 Vgl. dazu etwa: Galbraith, Gesellschaft im Überfluß (1959); Meyer-Dohm, Sozialökonomische Aspekte der Konsumfreiheit (1965); auch Staudinger/Weick (2004), Vor. §§ 13, 14 Rn. 3.
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reale Möglichkeit der Masse der Bevölkerung zu gewichtigen privatrechtlichen Aktivitäten erheblich vergrößert.24 Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs potenzierten sich für die Verbraucher aber zugleich die Risiken, die mit dem neuen Konsumpotential einhergingen.25 Dies wurde von Soziologen,26 Volkswirten27 und Rechtswissenschaftlern28 bereits vor vielen Jahrzehnten umfänglich herausgearbeitet. Auf Grund des gestiegenen Konsums und des damit angewachsenen Gefährdungspotentials nimmt es nicht Wunder, dass im Anschluss an den wirtschaftlichen Umschwung verbraucherschützende Maßnahmen in einem bis dato noch nicht bekannten Ausmaß forciert wurden. So gesehen ist das Verbraucherschutzrecht in dem hier verstandenen Sinn als eine moderne rechtliche Begleiterscheinung der Konsumgesellschaft zu charakterisieren.29 An diesem Rechtsgebiet wird besonders deutlich, dass die Entwicklung des Rechts immer auch die Veränderung innerhalb der Gesellschaft nachvollzieht.30 Veränderte Bedürfnislagen auf Grund weiter entwickelter Produktivkräfte und Konsummöglichkeiten führen zu Modifizierungen der auf sie bezogenen normativen Strukturen.31
24 Zu diesem Befund vgl. F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 43 Fn. 94; ders., Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts (1967), S. 132; Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit (1970), S. 19; Biedenkopf, FS Coing, Bd. II (1982), S. 21 mit aufschlussreichen Daten über die Vermögensverhältnisse der verschiedenen Bevölkerungsschichten. 25 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 34: „Potenzierte Problemlagen“, es geht hier um neue Trends: etwa die Wettbewerbsausweitung durch E-Commerce und andere Arten des Fernkaufes, um grenzüberschreitenden Warenverkehr (Sprachbarrieren!), den Hang zum sensualen, erlebnisorientierten Kauf, zunehmende Informationsdefizite und allgemein um die Technologieaufgeschlossenheit und Bequemlichkeit der Konsumenten. 26 Wiswede, Soziologie des Verbraucherverhaltens (1972); Jeschke, Konsumentenverhalten (3. Aufl., 1984); Röper, FS Sölter (1982), S. 41 ff.; Troelstrup, Consumer Problems (1952). 27 Meyer-Dohm, Sozialökonomische Aspekte der Konsumfreiheit (1965); Staudinger/ Weick (2004), Vor. §§ 13, 14 Rn. 3. 28 V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 3 f. 29 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 33; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 619: Erscheinungsform der „modernen Industriegesellschaft“; Staudinger/Weick (2004), Vor §§ 13, 14 Rn. 2 geht auf das Anwachsen der Bestimmungen nach dem 2. Weltkrieg ein; deutlicher Gärtner, JZ 1992, 72, 73 spricht von „Überflussgesellschaft“; ähnlich Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EGStaaten (1981), S. 1: „Überflusskonsum“. 30 Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1979), S. 14 ff.; Baumgartner, Kontinuität und Geschichte (1972), S. 18: „Grenzen des Variationsspielraumes (eines Systems) manifestieren sich als Grenzen geschichtlicher (sozio-ökonomischer) Kontinuität“. 31 Habermas, ebenda, S. 22.
50
1. Teil: Grundlagen
B. Verbraucherschutz als Antwort auf neue Gefahren Das Verbraucherschutzrecht beinhaltet heute m.a.W. nichts anderes als die rechtliche Antwort auf die verbraucherspezifischen Handlungsbedingungen und -risiken, die Auswüchse der modernen Konsum- bzw. „Überflussgesellschaft“ sind. 32 I. Fehlen der Marktübersicht Dass das angewachsene Konsumpotential tatsächlich neue, bisher unbekannte Gefahren für den Verbraucher eröffnet/e, findet seinen wesentlichen Grund darin, dass in dem Maße, wie die Allokation von Wirtschaftsgütern zunimmt, die Marktübersicht für die unprofessionelle Nachfragerseite verloren geht.33 Es fehlt damit die reale Möglichkeit, einen Produkt- und Preisvergleich zwischen den verschiedenen, zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses geeigneten Angeboten, anzustellen.34 Die fehlende Marktübersicht wird bereits in der Verbraucherbotschaft des amerikanischen Präsidenten Kennedy vom 15.3.196235 erwähnt. In dieser zeichnet Kennedy zunächst ein äußerst günstiges Bild von der wirtschaftlichen Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Diese Entwicklung wird dann jedoch mit der Feststellung verknüpft, dass der Verbraucher bei der rasanten Entwicklung, die der Markt nimmt, eigentlich überfordert ist. Im Grunde müsste er ein allumfassender Spezialist sein, um sich ein verlässliches Bild von der Qualität, der Preiswürdigkeit und den Risiken der immensen Angebotsvielfalt und Absatzvarianten machen zu können.36 Auch der europäische Verbraucherschutz37 ist von dem Gedanken getragen, dass der Verbraucher einem ausufernden Angebot von Waren und Dienstleistungen ausgesetzt ist, deren inhaltliche Bewertung ihm aus der Hand gleitet. 38 So wird geltend gemacht, es bestehe in der Überflussgesellschaft geradezu eine 32
So zutreffend Damm, FS Reich (1997), S. 129, 130. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 68; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 3 f.; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 137; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 37 ff. 34 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 68. 35 Wiedergegeben bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 281 ff. 36 So in Auswertung der Verbraucherbotschaft Kennedys durch Gärtner, JZ 1992, 72, 73. 37 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 37 ff.; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 37. 38 In diesem Zusammenhang wird auch bemerkt, dass das Waren- und Dienstleistungsangebot immer weniger auf einen zuvor artikulierten Bedarf reagiere, sondern Konsumwünsche vorwegnehme, steuere und geradezu produziere (vgl. v. Hippel, Verbraucherschutz, 3. Aufl., 1986, S. 415). 33
3. Kapitel: Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft
51
„Ohnmacht“ des Verbrauchers gegenüber der Komplexität des Marktes. 39 Diese Feststellung geht auf in dem generellen Befund, dass auf Verbraucherseite ungleich häufiger als auf der des Unternehmers Informationsdefizite auftreten,40 die sich etwa auf das Vorhandensein, den Nutzen, den Preis, die Qualität, versteckte Kosten einer konkreten Leistung bzw. auf Alternativangebote beziehen. Die Konsequenzen derart asymmetrischer Informationsstrukturen sind mannigfaltig: überhöhte Preise, nachteilige Vertragsbedingungen sowie (verdeckte) Qualitätsverschlechterungen.41 Die Feststellung, dass der Verbraucher der Komplexität des Marktgeschehens nicht gewachsen ist und damit als Marktteilnehmer seine Interessen nicht optimal wahrnehmen kann, führt gleichzeitig zu der Einsicht, dass der Markt in der modernen Konsumgesellschaft weit von dem Ideal des funktionierenden Interessenaustausches i.S.d. klassischen Nationalökonomie42 entfernt ist. Die modernen Überflussgesellschaften haben den Verbraucher zu einem Akteur degradiert, der in vielerlei Hinsicht einer Hilfestellung bedarf.43 II. Existenz von unaufrichtigem Marktverhalten Dieser Befund wird durch einen weiteren Gesichtspunkt untermauert, nämlich dem, dass sich in der modernen Konsumgesellschaft zur fehlenden Marktübersicht häufig ein weiteres, zu Lasten des Verbrauchers auswirkendes Marktrisiko gesellt. Das Idealmodell des perfekten Marktes setzt nämlich auch voraus, dass kein unaufrichtiges Marktverhalten existiert.44 Manipulationen in Bezug auf das 39
Gärtner, JZ 1992, 72, 73; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 456. Zum Informationsdefizit vgl.: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 105 ff.; Vahrenkamp, Verbraucherschutz bei asymmetrischer Information (1991), S. 36 ff.; Scherhorn, in: Dedler/Gottschalk/Grunert/ Heiderich/Hoffmann/Scherhorn, Das Informationsdefizit der Verbraucher (1984); Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (3. Aufl., 2000), S. 483 ff.; Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract (1993), S. 102 f.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 28 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 570 ff. 41 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 27 f., spricht in diesem Zusammenhang pointiert von einer „antagonistischen Drehbuchgestaltung – Vollprofi auf der einen und Volltrottel auf der anderen Marktseite“. 42 Vertreter: A. Smith, Der Wohlstand der Nationen (Hrsg. Recktenwald, 6. Aufl., 1993); ihm nachfolgend: Hutt, Economics and the public – A study of competition and opinion (1936); Meyer-Dohm, Sozialökonomische Aspekte der Konsumfreiheit (1965); Jeschke, Konsumentensouveränität in der Marktwirtschaft (1975); ähnlich, d.h. „marktoptimistisch“ auch Mähnling, Werbung, Wettbewerb und Verbraucherpolitik (1983). 43 Gärtner, JZ 1992, 72, 74. 44 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 26; kritisch insofern auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 29; Westermann, AcP 178 (1978), 177 ff. 40
52
1. Teil: Grundlagen
Konsumentenverhalten dürfte es also gar nicht geben.45 Die Wirklichkeit belehrt den modernen Konsumenten aber eines Besseren. In der modernen Konsumgesellschaft ist der Absatzdruck auf Grund der umfänglichen Allokation der Waren so stark, dass unaufrichtiges Marktverhalten keine Ausnahmeerscheinung mehr ist.46 Unlautere und aggressive Verkaufspraktiken sind vielmehr an der Tagesordnung. III. Problem des Nichtbestehens echten Wettbewerbs Ein weiteres Problem besteht darin, dass ein funktionierender Markt auch voraussetzt, dass Wettbewerb überhaupt stattfindet.47 Das Funktionieren des Marktes durch den Wettbewerb und die Gewährleistung von Interessenwahrnehmung im Rahmen der Privatautonomie stehen in einem sich gegenseitig bedingendem Verhältnis.48 Echter Wettbewerb erfordert aber, dass keine monopolistischen Strukturen bestehen.49 Eine Konzentration von wirtschaftlicher Macht durch Konzernbildung und andere Formen von Marktabsprachen auf der Anbieterseite sind allerdings gerade in der modernen Überflussgesellschaft ein häufig anzutreffendes Phänomen.50 Eine Unternehmenskonzentration ist aus Unternehmersicht ein folgerichtiges Instrument zur Marktbeherrschung. So hat schon Max Weber in seinem Grundsatzwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ festgestellt, dass die Unternehmerseite nur solange Interessenten der zunehmenden Erweiterung des freien Marktes stellt, bis es einigen von ihnen gelingt, entweder durch Einhandelung von Privilegien aus der Hand der politischen Gewalt oder in sonstiger Weise Monopole zu erringen, um dann ihrerseits den Markt zu schließen.51 Ungebändigte Privatautonomie strebt daher tendenziell zur Monopolisierung durch Kartellbildung und provoziert somit zugleich ein regulierendes Eingreifen zur Erhaltung des Marktes i.S.d. Sicherung einer Anbietervielfalt.52 45
Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 26. Nawrocki, Komplott der ehrbaren Konzerne (1973); Arndt, Wirtschaftliche Macht (1974); Gotthold, Macht und Wettbewerb in der Wirtschaft (1975); Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten (1981), S. 1. 47 Basedow, AcP 200 (2000), 445, 486. 48 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 9; Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie (2001). 49 Basedow, AcP 200 (2000), 445, 486; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 26; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 3. 50 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 3; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 3; Scherhorn, Verbraucherinteressen und Verbraucherpolitik (1975), S. 30 ff. 51 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (5. Aufl., 1980), S. 384. 52 Dies ist eine der wesentlichen Einsichten der ordo-liberalen „Freiburger Schule“, vgl. dazu Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, § 20 IV 2a. 46
3. Kapitel: Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft
53
Dabei mögen Unternehmenszusammenschlüsse aus Sicht der Unternehmensleitung in der heutigen Wirtschaftswelt erforderlicher denn je sein, etwa um global konkurrieren zu können. Es geht hier aber weniger um die innere, unternehmenseigene ökonomische Rechtfertigung dieser Zusammenschlüsse, als vielmehr um ihre Auswirkungen auf den Markt. Denn bereits mit den Funktionsschwächen des Marktes und den dysfunktionalen Nebenfolgen dieses Steuerungsmechanismus ist die bürgerliche Basisideologie des „gerechten Tausches“ angreifbar, sie hält ihrem Anspruch schlicht nicht mehr stand.53 Der Grund liegt darin, dass die Reduzierung auf nur wenige Anbieter mit jeweils großem Umsatz zur Folge hat, dass der einzelne Konsument nur wenig Einfluss auf Produktentscheidungen und Vertragsinhalte nehmen kann. Die Beherrschung der Massenproduktion und des Massenabsatzes führen folgerichtig zu einer Monopolisierung der Vertragsbedingungen, die i.S.d. Unternehmers standardisiert werden und über den Wettbewerbsdruck (wenn er wegen der einseitigen Marktbeherrschung fehlt) nicht kompensiert werden können.54 Der Markt wirkt hier nicht mehr selbstregulierend.55 Der Gesetzgeber hat dieses Problem im Grundsatz erkannt und aufgegriffen. Er reagiert/e auf die Bildung einseitiger Marktmacht, bei der zu erwarten ist, dass die Freiheit des Vertragsschlusses durch den überragenden Gestaltungsspielraum einer Partei ausgehöhlt wird. Nach deutschem und europäischem Recht wird deshalb der durch die einseitige Marktmacht negativ Betroffene mittels Diskriminierungs- und Kartellverboten (Art. 101 ff. AEUV, §§ 1 ff., 20 GWB; §§ 28, 42 TKG, §§ 20 ff. EnWG) geschützt, die eine zu starke Akkumulation von Marktmacht verhindern sollen.56 Ob das immer gelingt, ist fraglich. Gegenwärtig zeichnet sich gerade in Deutschland eine einseitige, preisdiktierende Marktbeherrschung auf dem Strom- und Gasmarkt, darüber hinaus aber auch bei sonstigen „Netzinhabern“ ab. Dieser steht der Staat fast ohnmächtig gegenüber. Ihr 53 Coing, FS Dölle I, S. 25 ff.; Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 54; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 12; Westermann, AcP 178 (1978), 150, 156 ff.; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 18 ff. 54 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 5. 55 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 16. 56 Vgl. zum Problemkreis der Regulierung von Marktmacht: K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 21 ff.; Keßler/Micklitz, Kundenschutz auf liberalisierten Märkten – Energie – (2008); Keßler/Micklitz, Kundenschutz auf liberalisierten Märkten – Telekommunikation – (2008); Micklitz/Rott/Docekal/Kolba, Verbraucherschutz durch Unterlassungsklagen (2007); Fritsche, Das europäische Luftverkehrsrecht und die Liberalisierung des transatlantischen Luftverkehrs (2007); zur Liberalisierung und dem Problem der Marktmacht bei der Wasserversorgung vgl. Schur, Der Wasserversorgungsvertrag. Verbraucherschutz bei der Privatisierung von Wasserversorgungsunternehmen (2009).
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1. Teil: Grundlagen
kann wohl nur durch eine Trennung von Versorgern und Versorgungsnetz wirksam entgegengewirkt werden könnte, weil dann Preisdiktate für die Durchleitung fallen würden. IV. Ungleiche Stellung der Marktteilnehmer Für jeden Markt, soll er optimal funktionieren, ist neben der Verhinderung einseitiger Beherrschung durch Kartellbildung aber auch im weiteren Sinne eine halbwegs gleiche Stellung der Verhandlungspartner notwendig.57 Damit Privatautonomie zur Gewährleistung eines angemessenen Interessenaustausches Wirkungen zeitigen kann, müssten sich die Verhandlungspartner nicht nur im Hinblick auf bestehende Informationen, sondern auch wirtschaftlich, psychologisch und intellektuell auf „gleicher Augenhöhe“ gegenüberstehen. Im Verhältnis des Verbrauchers zum Unternehmer ist dies jedoch selten zu konstatieren. Mit dem Verbraucherstatus verbindet sich im Verhältnis zum Unternehmer typischerweise eine Disparität bzw. eine „Ungleichgewichtslage“.58 Der Verbraucher und seine Rolle am Markt sind zumeist durch eine isolierte, passive und rezeptive Stellung gekennzeichnet.59 Der Unternehmer ist ihm häufig nicht nur bezüglich vorhandener Informationen, sondern auch wirtschaftlich, intellektuell und psychologisch60 als Marktteilnehmer überlegen.61
57
V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 3. Der Begriff „Ungleichgewichtslagen“ ist vor allem durch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982), in Gebrauch gekommen. 59 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 3. 60 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 37 ff. 61 Diesen Aspekt ins Auge fassend ist das Verbraucherrecht zunächst als Sozialrecht entstanden. Das hängt mit der Einbindung seiner Entstehung in der wohlfahrtsstaatlichen Politik der 70er Jahre zusammen. Der Staat sollte den schwachen Bürger schützen. So sprach man vom Verbraucherschutz in einem Atemzug mit dem Mieterschutz und Umweltschutz. Inzwischen ist aber der Glaube an den schützenden Staat vielerseits abhanden gekommen. Ob damit auch die Funktion des Rechtes eine andere zu sein hat, mag jedoch bezweifelt werden. In diesem Zusammenhang muss die Frage erlaubt sein, was damit gemeint ist, wenn man ins Feld führt, dass mit der Wandlung vom Verbraucherschutzrecht zum Verbraucherrecht die soziale Aufgabe des Vertragsrechts nicht verschwindet, dass diese nur umgepolt wird von einem paternalistischen Staat auf ein Vertragsrecht, das Vertragsfreiheit für beide Seiten ermöglicht (so Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150; ähnlich Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1990), S. 262 ff. 58
3. Kapitel: Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft
55
C. Internationalität des Verbraucherschutzphänomens Im Hinblick auf die hier zunächst nur angedeuteten (später noch genauer zu beschreibenden)62 Disparitäten im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis und ihre Ursprünge besteht bezüglich des Fehlens eines angemessenen Interessenausgleiches63 eine Interventionsnotwendigkeit für den Gesetzgeber, über die derzeit kaum mehr Streit herrscht. Sowohl im nationalen wie im internationalen Bereich werden für die typischerweise zu konstatierenden Ungleichgewichtslagen im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis Konzepte zum Schutz des Verbrauchers entwickelt. Die allgemeine nationale Sensibilisierung für verbraucherpolitische Fragestellungen wird durch parallele internationale Tendenzen in weitem Umfang beschleunigt und verstärkt. Den Verbraucherschutz als rein europäische Entwicklung zu werten, obwohl er hier eine sehr starke Ausprägung erfahren hat, wäre deshalb auch verfehlt.64 Bei den Verbraucherrechtsbewegungen handelt es sich – wie etwa K. Simitis und v. Hippel schon sehr früh aufgezeigt haben – um ein in sämtlichen Industriestaaten auftretendes Phänomen.65 I. Erster Trend: Etablierung nationalen Verbraucherschutzrechts Regelungen zur Protektion von Konsumenteninteressen gibt es heute nicht nur in den Staaten der EU,66 sondern auch in vielen anderen Industrienationen, beispielsweise in Japan,67 Russland,68 China,69 der Türkei,70 Kanada,71 den USA,72 Australien73 und Brasilien.74
62
Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel C. Oehler, VuR 2006, 294, 296; Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (2001). 64 Rösler, ZfRV 2005, 134, 138. 65 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip ? (1976), S. 16 f.; v. Hippel, RabelsZ 45 (1981), 353 ff. 66 Vgl. etwa für Belgien: Boucquey, Le droit européen des consummateurs et ta gestion des détechets (1999); für Spanien: De Uriate, Consumer legislation in Spain (1987); für Frankreich: Pizzo, Droit française et droit communautaire (1987); für Griechenland: Zographos, The law on consumer affairs in Greece (1988); für Russland: E. Schulz, Das Verbraucherrecht in Russland (2006). Ausführungen zum brasilianischen Verbraucherschutzrecht finden sich bei Gozzo, Das Transparenzprinzip und missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (1996), S. 167. 67 Das Japanische Gesetz über den Verbraucherschutz v. 30.5.1968 („Gesetz Nr. 78“) ist in der Übersetzung abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1984), S. 291 ff. 68 Hinweise dazu bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 15. 69 Verbraucherschutz wird in China und der dort herrschenden staatlich gelenkten Wirtschaft nicht nur als Förderung des individuellen Konsuminteresses interpretiert, sondern auch als Belang der Regierung zur Effizienzsteigerung und Produktion besserer Güter, vgl. dazu Gao Tong, JCP 1991, 337 ff.; Meunier-Bihl, Le droit de la consumma63
56
1. Teil: Grundlagen
II. Zweiter Trend: Etablierung zwischenstaatlichen Verbraucherschutzes Über die Ländergrenzen hinweg haben sich zudem überstaatliche Institutionen wie etwa die Europäische Union (vgl. Art. 4 II lit f, 12, 114, 169 AEUV, Art. 38 Grundrechte-Charta), der Europarat75 und die OECD76 des Themas Verbraucherschutz angenommen.77 Selbst die Generalversammlung der Vereinten Nationen begann bereits vor Jahrzehnten damit, Richtlinien für den Verbraucherschutz zu formulieren.78 Die Protektion von Verbraucherinteressen genießt vor diesem Hintergrund heute den Rang eines weltweit anzutreffenden Regelungsfeldes.79
D. Wirtschaftspolitische Neutralität von Verbraucherschutz Das Beispiel des Konsumentenschutzes in China80 (und auch das der rechtlichen Protektion von Verbraucherinteressen in der früheren DDR81 oder den anderen Ostblockstaaten) zeigt/e sehr deutlich, dass der Schutz des Endabnehmers von Waren und Dienstleistungen kein Problem einzelner Rechts- oder Wirttion in République populaire de Chine (1997). Zur internationalen Öffnung der zivilrechtlichen Wissenschaft in China vgl. den Übersichtsaufsatz von Xianzhong Sun, RabelsZ 71 (2007), 644 ff. 70 Vgl. Nachweis bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 14. 71 Ziegel, The Future of Canadian Consumerism, Can. Bar. Rev. 51 (1973), S. 191 f.; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 14. 72 Vgl. Zum US-amerikanischen Reiserecht die Dissertation von Stenzel, US-amerikanisches und europäisches Reiserecht im Vergleich (2009). 73 Harland, Consumer Protection in Australia, RabelsZ 40 (1976), 631 ff. 74 Bulgarelli, Revista de direito mercantil n. 49 (1983), S. 41 ff. 75 Vgl. etwa die Entschließung der Beratenden Versammlung über eine Verbraucherschutz-Charta v. 17.5.1973, die Empfehlung der Beratenden Versammlung über Verbraucherschutz v. 17.5.1973 und den Bericht des Ausschusses für Wirtschaftsfragen und Entwicklung über eine Europäische Verbraucherschutz-Charta v. 15.5.1973, alles abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 446 ff. 76 Verbraucherpolitik in den Mitgliedstaaten, Bericht des Ausschusses für Verbraucherpolitik (1972), abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 414 ff. 77 Vgl. zum Ganzen Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997). 78 Die wesentlichen Dokumente sind abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 281–493. 79 Gärtner, JZ 1992, 72 f. 80 Gleiches gilt für den Verbraucherschutz in den früheren sozialistischen Staaten: vgl. für die DDR: Bericht, Konsequente Durchsetzung der Rechte und Pflichten der Werktätigen in den täglichen Versorgungsbeziehungen, NJ 1974, Beil. zu Heft 42; für Polen: Letowski, Verbraucherschutz in Polen, Rechtslage, Wirklichkeit und Zukunft, RabelsZ 40 (1976), 654 ff. 81 Das ZGB der DDR war bereits aus staatsideologischer Sicht dem Schutz der Interessen der werktätigen Bevölkerung verschrieben. Hier wurde in § 14 ZGB DDR der Grund-
3. Kapitel: Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft
57
schaftsordnungen betraf bzw. betrifft,82 sondern in jeder modernen Konsumgesellschaft thematisiert wird, wenngleich in planwirtschaftlich funktionierenden, zentral gelenkten Wirtschaftsordnungen der Interessengegensatz zwischen Anbietern und Abnehmern von Waren und Dienstleistungen (staatlich verordnet) vielfach heruntergespielt wird; möglicherweise aber auch der Schutz des Schwächeren, weil bereits „staatlich verordnetes Programm“ tatsächlich weiter etabliert ist als in vornehmlich wirtschaftsliberal ausgerichteten, westlichen Rechtsordnungen.83 Dass es das Phänomen von Verbraucherschutzregelungen in diversen politischen Systemen gibt, legt bereits den Schluss nahe, dass die Protektion des Konsumenten ein notwendiger „sozialintegraler Faktor“ in jedem modernen Gesellschaftssystem ist. Insofern stellt sich Verbraucherrecht durchaus nicht als unpolitisches Recht dar. Denn gerade in marktwirtschaftlich orientierten Rechtsordnungen proklamieren Unternehmen und deren Interessenvertreter (ungezwungener vielleicht als in anderen Systemen) das sog. „freie Spiel der Kräfte“ und die notwendige Verhinderung der zu starken „Aufladung“ des Marktes mit sozial- bzw. konsumentenschützenden Elementen.84
satz des „vertrauensvollen Zusammenwirkens“ mit den Unternehmen („Betrieben“) unter Einbeziehung der „Grundsätze der sozialistischen Moral“ zwischen den Bürgern als Konsumenten und den Betrieben als Produzenten von Konsumgütern festgeschrieben. Insgesamt waren die Betriebe gemäß § 12 II ZGB DDR verpflichtet, „ihre zivilrechtlichen Beziehungen zu den Bürgern in Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu begründen und die sich daraus ergebenden Aufgaben zu erfüllen.“ Für die Betriebe untereinander galt ein besonderes Vertragsrecht. 82 Oehler, VuR 2006, 294, 295; Dick, Das Verbraucherleitbild und die Rechtsprechung (1995), S. 1. 83 Oehler, VuR 2006, 294, 295 spricht davon, dass das westlichem Kapitalismus entspringende Verbraucherschutzmodell in natürlicher Weise stärker marktfokussiert ist, indem der Verbraucher vordringlich befähigt werden soll, seine Rolle als Marktteilnehmer wahrzunehmen. 84 Zum geflügelten Wort vom „Sand im Getriebe des unternehmerischen Handelns“ vgl. Stumpf, BB 1985, 963.
58
4. Kapitel
Querschnittscharakter, Verbraucherschutzoder Verbraucherprivatrecht Das Verbraucherschutzrecht ist jedoch nicht nur unter dem bereits beschriebenen Gesichtspunkten ein „universales Recht“, es ist noch durch viele andere Besonderheiten gekennzeichnet und bedarf insofern auch einer Abgrenzung vom sonstigen Zivilrecht.
A. Verbraucherschutzrecht als Querschnittsmaterie Bei der Untersuchung des Verbraucherschutzrechtes offenbart sich nicht nur die Internationalität des Phänomens (s.o.), sondern auch das Merkmal des Querschnittscharakters1 der Materie.2 Im Bereich des Verbraucherschutzes konstituiert sich in auffälliger Weise eine Art Hybridisierung 3 bzw. Pluridisziplinarität 4 des Rechtes. Hintergrund ist, dass sich die klassischen Verbraucherleitziele (Schutz der Integrität des Verbrauchers, Schutz vor Übervorteilung im wirtschaftlichen Bereich und Förderung einer optimalen Marktentscheidung) in ihrer Allgemeinheit nicht auf bestimmte, vorabgesteckte juristische Regelungsbereiche und Klassifizierungskategorien begrenzen lassen, zumal sie einen umfassenden Geltungsanspruch haben.5
1 Geiger, EUV/EGV (2000), Art. 153 Rn. 9; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 620; Reich/Micklitz, Verbraucherschutz in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 5: „Verbraucherrecht überlagert das Öffentliche Recht und das Zivilrecht“; Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003), S. 7; Hart/Köck, ZRP 1991, 61; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 13; ders., ZfVR 2005, 134, 135; Bleckmann, Europarecht, (6. Aufl., 1997), Rn. 2717. 2 Diesen rechtsgebietsübergreifenden Charakter teilt der Verbraucherschutz mit anderen Materien, beispielsweise dem Medien- und Kommunikationsrecht, vgl. dazu Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 14. 3 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 65. 4 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006). 5 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1.
4. Kapitel: Querschnittscharakter, Verbraucherschutz- oder Verbraucherprivatrecht
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I. Querschnittscharakter auf der Ebene der EU Auf der Ebene des AEUV wird dieser umfassende Geltungsanspruch anhand des Art. 12 AEUV (früher 153 II EGV) deutlich. Danach ist den Erfordernissen des Verbraucherschutzes bei der Festlegung und Durchführung (aller) anderen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen Rechnung zu tragen. Die genannte Regelung stellt eine Art „Querschnittsklausel“6 dar, nach deren Vorgaben der Verbraucherschutz als abwägungserheblicher Belang auf alle anderen Regelungsbereiche durchschlägt.7 Der Gedanke des notwendigen Schutzes des Verbrauchers überlagert damit viele Regelungsbereiche und ist mit den zu gewährenden Marktfreiheiten in ein Verhältnis „praktischer Konkordanz“ zu bringen. 8 II. Querschnittsmaterie auf der Ebene des nationalen Rechts Eine Überlagerung verschiedener Regelungsmaterien lässt sich aber auch auf der Ebene des einfachen nationalen Rechts konstatieren.9 Das Verbraucherschutzrecht verknüpft hier Materien, die durch althergebrachte juristische Kategorienbildungen bislang streng voneinander zu trennen waren.10 Der Gedanke des Schutzes des Verbrauchers manifestiert sich in erster Linie in zivilrechtlichen Bestimmungen, die den Verbraucher in seinem Verhältnis zum Unternehmer in unterschiedlicher Weise gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer besser stellen. Verbraucherschutz findet seinen Niederschlag darüber hinaus aber auch und vor allem im Öffentlichen Recht und im Wettbewerbsrecht. I.Ü. werden Verstöße gegen verbraucherschützende Vorgaben in Deutschland in einigen wenigen Fällen sogar durch das Strafrecht sanktioniert. 1. Verbraucherschutz durch öffentliches Recht Im öffentlichen Recht sind vor allem solche verbraucherschützenden Vorschriften zu finden, die eine Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit des Verbrauchers verhindern sollen.11 Es geht hier um staatliches „Schadenspräventionsrecht“.12 Zu dem Kreis der Vorschriften zur „Vor-Marktregulierung“ gehören etwa das LMBG, das ProdSG, das ArzneimittelG, das GSG, diverse Warenkennzeich6
Geiger, EUV/EGV (2000), Art. 153 Rn. 9. Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 21. 8 Das notwendige Verhältnis praktischer Konkordanz zumindest ansatzweise erwähnend Wichard, in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Rn. 14. 9 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1. 10 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 11. 11 Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979), S. 3. 12 Schieble, Produktsicherheitsgesetz und europäisches Gemeinschaftsrecht (2003), S. 31. 7
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1. Teil: Grundlagen
nungsvorschriften sowie die GewO und die dazugehörigen Nebenbestimmungen.13 Im Bereich des öffentlich-rechtlichen (Gewerbe-)Aufsichtsrechts wird der Marktzutritt für Produkte und Anbieter an behördliche Erlaubnisse geknüpft oder die Behörden erhalten die Befugnis, die unternehmerischen Aktivitäten laufend im Hinblick auf Verbraucherinteressen zu überwachen, bestimmte Tätigkeiten zu untersagen oder zu gebieten. Viele dieser verbraucherschützenden Gesetze enthalten flankierend Bußgeldvorschriften für den Fall eines Rechtsverstoßes. Den angeführten Gesetzen aus dem Bereich des öffentlichen Rechts kommt primär eine präventive Kontrollfunktion zu.14 Die rechtlichen (Rahmen-)Bedingungen für Interaktionen der Handlungssubjekte am Markt selbst werden demgegenüber schwerpunktmäßig vom Wettbewerbsrecht und dem Zivilrecht bestimmt.15 2. Verbraucherschutz durch Strafrecht Im Strafrecht ermöglichen die Vorschriften, welche den Betrug, die Körper- und Eigentumsverletzung unter Strafe stellen, im Hinblick auf ihren sanktionierenden Charakter mittelbaren Verbraucherschutz. Teilweise enthalten sogar Verwaltungsgesetze Strafvorschriften für Normverstöße. Sie gehören dann zum so genannten Nebenstrafrecht. 3. Verbraucherschutz durch Wettbewerbsrecht Das Wettbewerbsrecht, das hauptsächlich marktwirtschaftliche Wettbewerbsbedingungen und damit das Funktionieren des Marktes gewährleisten soll, dient im Hinblick auf den Verbraucher dem Schutz vor Täuschung und Übervorteilung. Verbraucherschutzrelevante Gesetze sind hier das GWB, Art. 101 ff. AEUV und das UWG16. 4. Verbraucherschutz durch Zivilrecht Im Zivilrecht ist der Verbraucherschutz neben dem Schutz vor Täuschung und Übervorteilung auch auf die sonstige Abwendung von Gesundheits- und Vermögensschädigungen bei Verbrauchern gerichtet. Der Gedanke des Konsumentenschutzes hat in diesem Rechtsgebiet bereits sehr früh Eingang gefunden.
13 Schieble, ebenda, S. 31. Die „Nach-Marktregulierung“ findet statt über behördliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Produkt- und Gewerbeausübungsüberwachung, dazu Schieble, ebenda, S. 32. 14 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 11. 15 Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979), S. 3. 16 Siehe hierzu die Ausführungen K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip (1976), S. 21 ff.; Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 92 ff.
4. Kapitel: Querschnittscharakter, Verbraucherschutz- oder Verbraucherprivatrecht
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a. Diverse Schutzregelungen in verschiedenen Bereichen Schon lange vor dem Erlass der vielen sektorspezifischen Regelungen zum Schutz des Verbrauchers nach dem 2. Weltkrieg fand er einen ersten Niederschlag im Abzahlungsgesetz17 (AbzG) aus dem Jahr 1894.18 Diesem Gesetz kam in späterer Zeit zusammen mit der Kodifizierung des AGB-Rechts19 eine ganz entscheidende Rolle20 bei der Entwicklung des Verbraucherprivatrechtes zu. Neben den Vorschriften des früheren AGB-Gesetzes, das im Zuge der Schuldrechtsreform in überarbeiteter Form in den Bereich der §§ 305 ff. BGB eingegliedert wurde, und den Vorschriften des novellierten AbzG (später: VerbrKrG), die sich nun in den §§ 491 ff., 655 a ff. BGB wiederfinden, zählen zum zivilrechtlichen Verbraucherschutzrecht das HWiG, das im Zuge der Schuldrechtsreform in die §§ 312, 312a BGB inkorporiert wurde, das FernAbsG mit den Überführungsvorschriften in §§ 312b ff. BGB, die Bestimmungen des Verbrauchsgüterkaufes in den §§ 474 ff. BGB, das Timesharingrecht in den §§ 481 ff. BGB, das Reiserecht in den §§ 651a ff. und das außerhalb des BGB geregelte FernUSG, das ProdHaftG und das UmweltHaftG. Dem zivilverfahrensrechtlichen Verbraucherschutz zuzuordnen sind des Weiteren die Regelungen des UKlaG. Die wachsende Sensibilität für eine verfahrensrechtliche Absicherung des materiell-rechtlichen Verbraucherschutzes führte 1974 zur Verabschiedung der Gerichtsstandsnovelle in der ZPO, die an die Stelle des oft zu Lasten des Kunden missbrauchten Gerichtsstandes freier Gerichtsstandsvereinbarungen ein prinzipielles Verbot von Prorogationen (vgl. § 38 ZPO) setzte. Mit dem Erlass der InsO wurde außerdem die Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) eingeführt, die es auch natürlichen Personen wie Verbrauchern gestattete, eine Insolvenz mit dem Ziel der Restschuldbefreiung zu beantragen.21 Für das internationale Zivilprozessrecht sind zudem die Vorschriften der §§ 15, 16 EuGVVO (früher Art. 13 I EuGVÜ) bedeutsam; für das materielle Kollisionsrecht statuiert Art. 6 der Rom I-VO22 Verbraucherschutz im international-privatrechtlichen Bereich. b. Kategorienbildung im zivilrechtlichen Bereich: Verbraucherschutz i.e.S. und i.w.S. Das zivilrechtliche Verbraucherschutzrecht in seiner ganzen, hier kurz angerissenen Breite, lässt sich des Weiteren unterteilen in ein Gebiet, das nur den Verbraucher und seine Interessen protegiert (so genannter „Verbraucherschutz 17
RGBl. 1894, 450. Vgl. dazu die Darstellung im 1. Teil, 7. Kapitel C. 19 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 147 f. 20 Zur Rolle des AGB-Gesetzes als eines der herausragendsten Reformgesetze auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes vgl. Gilles, JA 1980, 1, 3; ders., NJW 1986, 1131 ff. 21 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 3. Kapitel. 22 Dazu noch später. 18
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1. Teil: Grundlagen
i.e.S.“) und in ein Gebiet, das zumindest auch den Verbraucher schützt und auf diesen Schutz mitabzielt (so genannter „Verbraucherschutz i.w.S.“), wenngleich er definitionsmäßig nicht nur auf ihn im personalen Schutzbereich zugeschnitten ist.23
B. Verbraucherprivatrecht als Teil des Verbraucherschutzrechts Der mit den vorbenannten Regelungen abgesteckte Bereich des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes wird oft mit dem Schlagwort „Verbraucherprivatrecht“ umschrieben. Das Wort Verbraucherprivatrecht dient dabei vor allem der Klarstellung, dass es um Verbraucherschutz auf dem zivilrechtlichen Sektor, also auf dem des privaten Rechts geht.24
C. Verbraucherschutzrecht oder Verbraucherrecht Der klarstellende Hinweis, dass das Verbraucherprivatrecht nur einen Teilausschnitt aus dem großen Bereich des Verbraucherschutzrechts bildet, ist gerade deshalb notwendig, weil es in der jüngeren Literatur25 Tendenzen gibt, das zivilrechtliche Verbraucherschutzrecht seines Schutzaspektes zu entkleiden und dies mittels einer Substitution des Wortes Verbraucherschutzrecht durch den Terminus Verbraucherrecht kenntlich zu machen. Die Motive dafür sind sehr unterschiedlich: I. Assoziation bestimmter Instrumente Ein Grund für den terminologischen Wandel besteht darin, dass bei der Verwendung des Terminus Verbraucherschutz schon Unsicherheit darüber besteht, ob dieses Wort ein Synonym dafür ist, dass Verbraucherschutzpolitik vornehmlich über marktkompensatorische Elemente (etwa i.S.v. Inhaltskontrollen von Ver23 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 32 f.; Tonner, BB 1999, 1769, 1772; ders., JZ 1996, 533, 535; Damm, VersR 1999, 129, 135; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 9; vgl. zum Verbraucherschutz im UWG die Ausführungen im 2. Teil, 2. Kapitel A. 24 Dabei soll nicht verhehlt werden, dass es in der Rechtswissenschaft eine breit angelegte terminologische Auseinandersetzung um die Begriffe Verbraucher(privat)recht und Verbraucherschutzrecht gibt; vgl. zum Ganzen Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150 f.; Tonner/Tamm, WiVerw (2004), S. 89, 90; ausführlicher im 1. Teil, 4. Kapitel B und 5. Kapitel B. 25 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150; Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999), S. 262 ff.
4. Kapitel: Querschnittscharakter, Verbraucherschutz- oder Verbraucherprivatrecht
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trägen) zu gewährleisten sei, oder ob das Wort Verbraucherschutzrecht auch den Schluss auf die Zulässigkeit des Einsatzes von marktkomplementären Elementen (wie etwa die Verbrauchererziehung und -information) erlaubt.26 Die Irritation rührt daher, dass marktkomplementäre Instrumente aufgrund des liberalen Verbraucherschutzansatzes – der sich im „Informationsmodell“ ausdrückt – bevorzugt werden27 und dass das soziale Verbraucherschutzmodell einen zusätzlichen Schutz des Verbrauchers durch interventionistische, marktkompensatorische Mittel propagiert. II. Inhaltliche Neuausrichtung In der rechtswissenschaftlichen Diskussion steht der Terminus Verbraucherschutzrecht aber vor allem deshalb auf dem Prüfstand, weil die Entwicklung im Bereich des Verbraucherschutzrechtes derzeit auf die Herausbildung eines Verbraucherleitbildes28 gerichtet ist, das den aufgeklärten und mündigen Bürger zum Ideal erklärt.29 Dieser bedarf auf Grund der postulierten Aufgeklärtheit und Mündigkeit keiner staatlichen Hilfestellung in Form eines (aufgezwungen) staatlich verordneten Schutzes, da er nach dem Idealbild – genügend informiert – für sich selbst sorgen könne. Ein so verstandenes Verbraucherrecht entfernt sich zweifelsohne von dem Verbraucherleitbild der frühen 1960er und 1970er Jahre, das auf den Schutz des unaufgeklärten, unmündigen Verbrauchers ausgerichtet war.30 Die terminologische Wandlung vom Verbraucherschutzrecht zum Verbraucherrecht soll dem Umstand Rechnung tragen, dass inzwischen der Glaube an den schützenden Staat abhanden gekommen und damit auch die Funktion des Rechts eine andere geworden sei.31 Eingebunden ist dieser Gedanke und diese 26
Hinweis darauf bei v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 24 Fn. 11. Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 123. 28 Vgl. dazu etwa die EuGH-Rechtsprechung zum Unlauterkeitsrecht, besonders deutlich in EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide. 29 EuGH, Urt. v. 13.1.2000, Rs. C-220/98 – Esteé Lauder, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 28.1.1999, Rs. C-303/97 – Sektkellerei Kessler; EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7 f.; Dreher, JZ 1997, 167, 171 f.; Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133, 141; Micklitz, VuR 2003, 2, 5; kritisch Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 110 ff.; Kisseler, WRP 1994, 1, 4; Gloy, FS Vieregge (1995), S. 294, 314; Sack, WRP 1999, 399, 401; v. Deutsch, GRUR 1996, 541, 546. 30 Das Verbraucherrecht ist ursprünglich als „Sozialrecht“ entstanden, d.h. als Recht zum Schutz des Schwächeren, vgl. zur Einordnung v. Hippel, Schutz des Schwächeren (1982); Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 90. Zur Paternalismuskritik vgl. etwa Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff. 31 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150 f.; beschreibend auch Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 90 f. 27
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1. Teil: Grundlagen
neuere Entwicklung im Verbraucherschutzrecht in den europäischen Integrationsprozess, der darauf gerichtet ist, einen Rechtsrahmen dafür zur Verfügung zu stellen, dass die Bürger die ihnen in einer liberalen Wirtschaftsordnung zukommenden Rollen tatsächlich ausfüllen. Auf die Europäische Gemeinschaft bezogen muss der Bürger in der Lage sein, aktiv als Nachfrager von den Grundfreiheiten Gebrauch zu machen. Das bedeutet insbesondere, dass er sich als Verbraucher der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit bedient.32 Damit einher geht die Forderung, „dass die soziale Aufgabe des Vertragsrechts dadurch nicht verschwindet. Sie wird allerdings umgepolt von einem paternalistischen33 geschaffenen Schutzrecht auf ein Vertragsrecht, das Vertragsfreiheit für beide Seiten ermöglicht“.34 Betrachtet man diese Argumentationslinie, drängen sich jedoch Zweifel auf, ob mit dem abhanden gekommenen Glauben an den schützenden Staat, der Staat zugleich seiner Aufgabe enthoben ist, regulierend zugunsten der schwächeren Vertragspartei einzugreifen. Denn faktische Ungleichgewichte35 werden nicht durch ein neu herausgebildetes Verbraucherleitbild beseitigt.36 Gesetzliche Regelungen, die in das Marktgeschehen eingreifen, müssen (auch im Interesse eines funktionierenden Marktes) stets geleitet sein von dem Gedanken der Herstellung materieller Vertragsparität.37 Diese stellt sich aber nicht allein, etwa durch die Liberalisierung des (EU Binnen-)Marktes ein. Denn die formale Gleichstellung der Parteien und die Zurverfügungstellung von Grundfreiheiten, von denen sie nur Gebrauch zu machen haben, gewährleistet nicht aus sich selbst heraus einen Zustand materieller Vertragsparität und das daraus resultierende gerechte Verhandlungsergebnis. Faktische Ungleichgewichte zwischen Anbietern und Nachfragern bleiben erhalten. Dieser Befund wurde in der Vertragslehre bereits umfassend herausgear-
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Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999), S. 262 ff. Paternalismus leitet sich ab vom lateinischen Wort „Vater“. Eine bestimmte Handlung ist paternalistisch, wenn sie zum Wohle der von ihr betroffenen Personen vorgenommen wird und wenn sie auch dann vorgenommen würde, wenn der oder die Betroffenen nicht zustimmen. Beide Gesichtspunkte lassen die Ambivalenz erkennen, die mit diesem Ansatz verbunden ist, vgl. dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl., 2005), S. 359. 34 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 150; ders., in: Tonner/Micklitz, Verbrauchervertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 3. 35 Zum Reizwort Ungleichgewicht bzw. Disparität vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel, Abschnitt E. 36 So auch Kisseler, WRP 1994, S. 1, 4 f. mit einem flammenden Plädoyer zur Verteidigung des Verbraucherleitbildes des früheren deutschen Rechts. Ähnlich, Gloy, FS Vieregge (1995), S. 297, 314 ff.; v. Deutsch, GRUR 1996, S. 541, 546; Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 110 ff.; Sack, WRP 1999, 399, 401, der durch diesen liberalen Kurs sogar die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs bedroht sieht. 37 Ebenda. 33
4. Kapitel: Querschnittscharakter, Verbraucherschutz- oder Verbraucherprivatrecht
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beitet.38 In dem Choice-Modell39 der EU, wenn es allein für sich den Anspruch auf Marktsteuerung und Interessenausgleich reklamieren würde,40 werden Anspruch (was soll damit erreicht werden) und Wirklichkeit (was wird damit erreicht) gegeneinander ausgespielt.41 Denn Interessengegensätze und fehlende Durchsetzungschancen, die benannt werden müssten, um sie ausgleichend „anzugehen“, werden mit ihm nur verschleiert, jedenfalls dann, wenn behauptet wird, Verbraucherinteressen erschöpfen sich allein in der Möglichkeit zum Marktzugang und ausreichender Information. III. Kritik Dass in dieser Abhandlung an dem althergebrachten Terminus Verbraucherschutzrecht festgehalten und dass das Verbraucherprivatrecht hier nur als sektoraler Ausdruck eines übergeordneten, viele Bereiche des Rechtes überlagernden Verbraucherschutzgedankens42 verstanden wird, lässt sich trotz der bereits dargestellten kritischen Einwände und Unsicherheiten, den dieser Terminus heraufbeschwören könnte, vor allem damit rechtfertigen, dass die besonderen Vorschriften, die den Verbraucher und das Verbraucherhandeln betreffen, auch nach 38 Grundlegend: Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935); Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff.; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953); Radbruch, Der Mensch im Recht (1957), insbes. S. 35, 39; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970); Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 254; ders., Kompensation gestörter Vertragsparität (1982); Flume, Allgem. Teil II (1992), S. 8, 10 f.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle und Privatrecht (1992); Brüggemeier, in: Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts (1980), S. 21; so I.Ü. auch BVerfGE 89, 214, 233 ff.; kritisch Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979), S. 1; DaunerLieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff. 39 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 67 f.; Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 45; Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy and the Role of Information in the International Market (2001), S. 173, 185–187, 197, 200; Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997), 315 ff.; Hondius, JCP 2004, 245 ff. 40 Es gibt daneben freilich Instrumentarien zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die – forciert von der Gemeinschaft – über dieses Modell hinausgehen, aber nicht seine Vorrangstellung in Frage stellen. 41 Zu der Tendenz des Ausspielens von Anspruch und Wirklichkeit in der spätkapitalistischen Gesellschaft durch bürgerliche Ideologie siehe Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1979), S. 160. 42 M.a.W. handelt es sich hier um ein „rechtsordnungsimmanentes Schutzprinzip“, so auch Gounalakis, Kabelfernsehen im Spannungsfeld von Urheberrecht und Verbraucherschutz (1989), S. 279, 280; E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81, 87 f. „schuldrechtsimmanenter, allgemeiner Rechtsgedanke“; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 6; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), Einl. I 1; ähnlich Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 185.
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1. Teil: Grundlagen
der Intention des Gesetzgebers natürlich eine Besserstellung43 des Verbrauchers herbeiführen sollen.44 Es geht beim Verbraucher(schutz)recht um nichts anderes als Protektion, d.h. um Schutz eines bestimmten Marktteilnehmers. Die zahlreichen Tendenzen des terminologischen Herausdrängens des Schutzaspektes aus der Materie bieten dem im Bereich des Verbraucherschutzrechtes nach Orientierung Suchenden daher mehr Steine als Brot, denn sie verstellen allesamt die Sicht auf den Sinn und Zweck der Regelungen. IV. Schlussbemerkung In dem hier verstandenen Sinne ist Verbraucher(privat)recht daher teilidentisch mit dem auch das öffentliche Recht, das Strafrecht und das Wettbewerbsrecht umfassenden Verbraucherschutzrecht. Die Verbindung wird über die Intention der Regelungsbereiche hergestellt, d.h. über den auch den zivilrechtlichen Verbraucherschutznormen unterlegten Aspekt des Schutzes des Konsumenten.
43
Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 1. Festhalten will deshalb an den Begriff auch v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 24. 44
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5. Kapitel
Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht Wenn das Verbraucherprivatrecht als Recht zur Protektion des Konsumenten verstanden wird, wird auch deutlich, inwieweit es sich vom übrigen Zivilrecht absetzt.
A. Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus Im Bereich des Zivilrechts ist die Entwicklung des Verbraucherschutzrechts mittlerweile so weit gediehen, dass man von ihm als eine Art Regelungstypus1 spricht.2 Der derzeitige Stand von Gesetzgebung und Rechtspraxis gestattet die Behauptung, dass über die Etablierung der zahlreichen Regelungen zum Schutz des Verbrauchers innerhalb des Zivilrechts bereits ein neues Rechtsgebiet entstanden bzw. im Entstehen begriffen ist.3 Diese Behauptung lässt sich durch eine Vielzahl von Gesichtspunkten untermauern: Hier hinein spielen Argumente bezüglich der zunehmenden Normendichte und -höhe, aber auch gemeinsame Herkunfts- und Wirkaspekte, die die Verbraucherschutzregelungen kennzeichnen. Die zahlreichen Verbraucherschutzbestimmungen sind aber nicht nur durch diese gemeinsamen Besonderheiten gekennzeichnet. Sie verbindet darüber hinaus auch das, was sie (tatbestandlich und normativ) noch nicht sind. Zu diesen positiven und negativen Kennzeichen des Normenkomplexes „Verbraucherschutzrecht“ nun im Folgenden mehr: 1 Allgemein zum Typusbegriff Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit (1968), S. 237 ff. 2 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 161: „special branch of private law with its own distinctive features and evaluations (and, some would say, ideology)?“. 3 Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1; Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976), S. 7; erbitterten Widerstand gegen diese Sichtweise leisten etwa Westermann, AcP 178 (1978), 150 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 23 ff., 141 ff.; vgl. auch Mertens, AcP 178 (1978), 227, 249 ff.; Schwark, JZ 1980, 741 ff.
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1. Teil: Grundlagen
I. Normendichte oder Quantitätsargument Im positiv-verbindenden Sinne ist herauszustellen, dass das zivilrechtliche Verbraucherschutzrecht bereits eine so große Summe von Rechtsnormen umfasst, dass man im Hinblick auf die verbraucherschützenden Bestimmungen nicht mehr von vereinzelten, partiellen Abweichungen vom zivilrechtlichen Normengefüge sprechen kann. Heute werden weit mehr Transaktionen durch solche Rechtsregeln angesprochen, die zum Schutze des Verbrauchers eine Privilegierungsfunktion ausfüllen,4 als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Während verbraucherrechtliche Bestimmungen ursprünglich „exotische“ Randbereiche zum Gegenstand hatten (Haustürgeschäfte, Verbraucherkreditrecht, Reiserecht), regeln die jüngeren Richtlinien verstärkt klassische Domänen des Vertragsrechts (Bsp.: missbräuchliche Vertragsklauseln, Kaufrecht). 5 II. Normenhöhe oder Qualitätsaspekt Neben der zunehmenden Normendichte ist das Verbraucherprivatrecht heute zudem durch eine ansteigende Normenhöhe gekennzeichnet. Die zunächst sektoral zugeschnittenen Vorschriften des Verbraucherprivatrechts gehorchen heute in gewisser Weise gemeinsamen Leitgedanken,6 die als Querverbindungen zwischen ihnen in Erscheinung treten (so genanntes Normenhöhe- oder Qualitätsargument). Sie erst erlauben es, die verschiedenen Bestimmungen zum Schutz des Verbrauchers unter dem einheitlichen Schlagwort „Verbraucherprivatrecht“ zusammenzufassen7 und die Rechtsmaterie8 als eine in sich zusammenhängende zu betrachten; selbst dann, wenn sie sich noch nicht als ein in sich völlig geschlossenes, kohärentes Rechtsgebilde9 präsentiert.
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Zu diesem Aspekt Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 13; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 159 ff. 5 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 1. 6 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. V; Zerres, JA 2002, 166, 167; Nassall, JZ 1995, 689 ff.; Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts – Der EuGH als Zivilrichter (1998), S. 118 f.; Oehler, VuR 2006, 294 ff. 7 Bedenken hinsichtlich dieser Zusammenfassung äußerte vor 25 Jahren noch Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979), S. 1; anders im Hinblick auf den „gefügehaften Zusammenhang“ heute Oehler, VuR 2006, S. 294 ff. 8 Kritisch noch früher etwa Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1976), S. 1. 9 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 152 ff.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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1. Modifikation des Zivilrechts durch Verbraucherprivatrecht Ein gemeinsames Prinzip von verbraucherschützenden Normen tritt bereits darin zu Tage, dass verbraucherschützende Vorschriften in verschiedener Weise die allgemeinen zivil-rechtlichen Normenvorgaben modifizieren:10 a. Inhaltliche Modifikation allgemeiner zivilrechtlichen Vorgaben Inhaltliche Modifikationen werden dadurch kenntlich, dass alle verbraucherschützenden Regelungen ihre Existenz der wertenden Einschätzung des Gesetzgebers verdanken, dass es gerade im Bereich der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, aber nicht nur dort,11 anderslautender Regelungen bedarf, um zur Wahrung der Privatautonomie einen Ausgleich da zu bewirken, wo die Vertragsparität gestört erscheint.12 Für das Verbraucherprivatrecht als eine Spezialmaterie des Privatrechts ist es daher kennzeichnend, dass es gegenüber den allgemein anwendbaren Regelungen des Zivilrechts Besonderheiten für den Fall bestimmt, dass ein „Verbraucher“ beteiligt ist. Die Besonderheit liegt darin, dass der Verbraucher eine bessere Rechtsstellung erhält, als er sie bei Anwendung der allgemeinen Vorschriften erhielte.13 Denn durch den Verbraucherschutz wird zwangsläufig die kommerzielle Angebotsseite (und nur diese) in die Pflicht genommen.14 Das allgemeine zivilrechtliche Instrumentarium wird dabei durch zwingende oder halbzwingende Vorgaben zum Vertragsabschluss und zum Vertragsinhalt (etwa über die Statuierung von Transparenz- und Informationsvorschriften, spezifische Rücktritts- und Widerrufsrechte, Inhalts- und Einbeziehungskontrollen von Vertragsbedingungen und dergleichen mehr) inhaltlich abgewandelt15 und sektoral des allumfassenden Geltungsanspruches beraubt. In concreto schlägt sich die verbraucherrechtliche Modifizierung der Normvorgaben des Zivilrechts darin nieder, dass es nach den Wertvorgaben des „normalen“ Privatrechts jedermann freisteht, jedwede Leistung unter Bezugnahme jedweden Vertragsmusters anzubieten. Dem Anbieter werden hinsichtlich der Vertragsanbahnung, des Typus, der Form und des Inhalts des Vertrages kaum Beschränkungen auferlegt. Demgegenüber statuiert das Verbrauchervertragsrecht sektoral: 10
Weyers, WM 2005, 490, 492. Aber nicht nur diese, sondern beispielsweise auch das Deliktsrecht, wie etwa das ProdhaftG zeigt. 12 Vgl. etwa die Regierungsbegründung für den Bereich des Verbraucherkreditgesetzes in BT-Drucks. 11/5462, S. 11 ff.; für den Bereich des Reisevertrages in BT-Drucks. 8/786, S. 10; zum Fernunterrichtsschutzgesetz vgl. BT-Drucks. 7/4245, S. 12. 13 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 1. 14 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 15. 15 Vgl. dazu Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 177; Borchert, Verbraucherprivatrecht (2. Aufl., 2003), S. 3; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 69. 11
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1. Teil: Grundlagen
– eine staatliche Zulassung und Kontrolle von bestimmten Verträgen (vgl. §§ 12, 13 FernUG), – strenge wettbewerbsrechtliche Regelungen über Werbemaßnahmen, Prospekte oder den Vertretereinsatz (vgl. etwa §§ 16, 17 FernUSG, § 6 WohnungsvermittlungsG, §§ 3 II, 10 AuslandsInvestmG), – einen prinzipiellen Vertragstypenzwang für bestimmte Verträge (vgl. § 2 FernUSG, §§ 651a, 651k BGB), – diverse Schriftformerfordernisse (§ 492 BGB, § 3 FernUSG, § 3 I AuslandsInvestG, §§ 15, 19 KAGG), – Informationspflichten (§§ 31 ff. WpHG;16 die BGB-InfoV, Art. 240 ff. EGBGB) und Transparenzgebote (§ 307 I BGB), – Inhaltsvorgaben durch zwingende Schutzvorschriften (vgl. etwa die kaufrechtlichen Gewährleistungsregelungen, die beim Verbrauchsgüterkauf nur geringfügig modifizierbar sind) und Inhaltskontrollmöglichkeiten (siehe etwa §§ 307 ff. BGB) – sowie eine Unabdingbarkeit von Schutzvorschriften (vgl. § 651m BGB, §§ 2 V, 10 FernUSG, § 475 BGB, § 14 ProdHaftG u.a.m.).17 Modifizierungen etablieren sich durch das Verbraucherprivatrecht auch insofern, als die Vertragslösungsrechte zugunsten des Verbrauchers ausgebaut werden. Während das bürgerliche Vertragsrecht gemäß dem Grundsatz pacta sunt servanda nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Auflösung eines einmal geschlossenen Vertrages bietet und relativ ungünstige Ausgleichsregelungen für den Vertragsbrecher bereithält, räumen die neuen Verbraucherrechte (wie das vielfältig enthaltene Recht zum Widerruf/resp. zur Rückgabe) dem Konsumenten von Waren und Dienstleistungen in weitem Maße erleichterte Abstandnahmemöglichkeiten vom Vertrag ein. b. Konzeptionelle Wertungsunterschiede der beiden Normenbereiche als Grundlage Die Vorschriften des Verbraucherprivatrechts intendieren mit den so zahlreich postulierten Abweichungen zu den Normvorgaben des BGB auch konzeptionelle Wertungsunterschiede.18
16
Vgl. dazu etwa Einsele, JZ 2008, 477 ff. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 269. 18 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 235; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 177; Damm, JZ 1978, 173, 174; kritisch Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff. Zöllner sieht die freiheitsverbürgende Funktion eines weitgehend uneingeschränkt dispositiven Vertragsrechts gefährdet, indem sie durch Schutznormen zugunsten der unterlegenen Vertragspartei ausgehöhlt wird; ähnlich Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 23, 141 ff. 17
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
71
aa. Abwendung vom Modell der freien, gleichen, besitzenden Bürger Während in dem bürgerlichen Modell des BGB mit seiner liberal-individualistischen Grundausrichtung19 ein Rechtssystem Geltung beansprucht, das sich dem Konzept einer Gesellschaft aus freien, gleichen und besitzenden Bürgern 20 in Korrelation zum Marktmodell eines transparenten, sich selbst regulierenden Güter- und Leistungsaustausches unter wirtschaftlich ebenbürtigen Partnern verpflichtet sieht,21 finden wir in der auch von sozialem22 Engagement (i.S.d. Herstellung materieller Vertragsparität23) getragenen Verbraucherschutzgesetzgebung Regelungen vor, die den auf Grund der bestehenden Produktions-, Verteilungs- und Konsumverhältnissen auftretenden Marktinsuffizienzen und Ungleichgewichtslagen unter den Marktteilnehmern Rechnung tragen.24 bb. Folgerungen Im Gegensatz dazu, dass das bürgerliche Vermögensrecht noch vorwiegend auf eine bloße Konstitution und Komplementierung des freien marktwirtschaftlichen Kräftespieles ausgerichtet war, geht es im zivilrechtlichen Verbraucherschutzrecht heute auch um Regulierung und Kontrolle, d.h. um Abbau von Disparitäten oder Kompensation ihrer Folgewirkungen.25 Finden wir im Vermögensrecht des BGB noch überwiegend dispositives Recht und weit reichende subjektiv-private Vertragsgestaltungsmöglichkeiten, so begegnen uns auf Grund der Sonderbestimmungen des Verbraucherprivatrechts jetzt zunehmend zwingende26 Vorschriften und ein weithin objektiviertes, d.h. materialisiertes Vertragsrecht.27 War für das BGB ursprünglich noch das Kodifikationsprinzip eines privatrechtlichen Purismus kennzeichnend, so treffen wir im Zuge der verbrau19
Zu dieser Ausrichtung vgl. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 152 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 25. Im Entstehungsstadium des BGB waren von der 1. Kommission die teilweise skandalösen Zustände im Abzahlungshandel gar nicht zur Kenntnis genommen worden. Die 2. Kommission beließ die Materie absichtlich im AbzG als Spezialgesetz (Benöhr, Konsumentenschutz vor 80 Jahren. Zur Entstehung des Abzahlungsgesetzes von 1894, ZHR 138 [1974], 492 ff.). Die Bestimmungen des AbzG konnten so als eine „Sonderregelung erscheinen, die die allgemeine Regelung des Kaufrechts im BGB unberührt ließ“ (Larenz, Allgemeiner Teil [1960], S. 47), vgl. zum Ganzen auch Damm, JZ 1978, 173, 174 Fn. 14. 20 Westermann, AcP 178 (1978), 150, 152 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 24: „Vermögensrecht (…) zwischen gleichstehenden Bürgern“. 21 Ebenda. 22 Kritisch Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff. 23 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel E. 24 Gilles, JA 1980, 1, 5; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Tonner, FS Derleder, S. 145, 159 f. 25 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487; Gilles, JA 1980, 1, 5; ders., NJW 1986, 1131 ff. 26 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 177; kritisch dazu Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff. 27 Gilles, JA 1980, 1, 5; ders., NJW 1986, 1131 ff.
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1. Teil: Grundlagen
cherrechtlichen Sondergesetzgebung nun zunehmend auf vielfältige Detailvorgaben (vgl. etwa die §§ 305 ff. BGB oder die BGB-InfoV),28 die die einstmalige Zurückhaltung des Gesetzgebers nicht mehr erkennen lassen.29 c. Formelle Modifikation Formell wird die Modifikation der allgemeinen zivilrechtlichen Normvorgaben damit komplettiert, dass die diversen Vorschriften des Verbraucherprivatrechts auch regelungstechnisch als Sondernormen in Erscheinung treten. Sie weisen als äußeres Kennzeichen der inneren „Anderswertung“ auch standortspezifische Besonderheiten auf. aa. Die frühere Sondergesetzgebung außerhalb des BGB Vor der Schuldrechtsreform vom 1.1.2002 ist die Sonderstellung des Verbraucherprivatrechts vor allem durch den Erlass zahlreicher Sondergesetze außerhalb des BGB kenntlich geworden.30 So waren etwa der Bereich des Verbraucherkredites in einem Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG), das AGB-Recht in einem AGB-Gesetz und der Fernabsatz in einem Fernabsatzgesetz (FernAbG) kodifiziert gewesen. bb. Rückführung des Verbraucherrechts ins BGB Die stetig wachsende Zahl der verbraucherrechtlichen Sondergesetze neben dem BGB sorgte bald dafür, dass es zum einen zu einem Kompetenzverlust31 der deutschen Zentralkodifikation (d.h. dem BGB) kam, zum anderen traten zahlreiche Abstimmungsdefizite32 zwischen den verbraucherrechtlichen „Sonderweisen“ und dem allgemeinen Zivilrecht auf. Durch die vielen verbraucherrechtlichen Vor28
Kritisch Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; problematisch sind hinsichtlich der Detailvorgaben insbesondere die Informationspflichten, bei denen es schnell zu einem „Informationsoverload“ kommen kann, instruktiv dazu Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998); aufgegriffen schon bei Reich, Markt und Recht (1977), S. 208; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 639; aktuell besprochen hinsichtlich des Informationsmodells in dem neuen Vorschlag der Richtlinie für Verbraucher v. 8.10.2009, KOM (2008), 614 endg.; von Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279, 283 f.; Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law (2009), S. 3, 14; Nordhausen Scholes, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law (2009), S. 213, 214 ff. 29 Gilles, JA 1980, 1, 5; ders., NJW 1986, 1131 ff. 30 Dörner, Die Integration des Verbraucherrechts in das BGB, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 177, 178; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 235; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), 177. 31 E. Schmidt, JZ 1980, 153, 155; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268. 32 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 160; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 449 ff.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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schriften, die außerhalb des BGB Spezialmaterien regelten, entstand eine weitflächige Zersplitterung des Zivilrechts, 33 die letztendlich die Anwendungstransparenz und Kohärenz des gesamten Bürgerlichen Rechts untergrub.34 Um die daraus resultierenden Rechtsanwendungsgefahren zu bannen, war der Gesetzgeber im Rahmen der Reform des Schuldrechts bemüht gewesen, die verbraucherrechtlichen Spezialmaterien – soweit sie noch nicht im BGB inkorporiert waren – breitflächig (d.h. bis auf wenige Ausnahmen35) ins BGB zu überführen.36 2. Folgerung: inhaltliche Aufwertung und stärkere Regelungsstringenz In der Literatur wird in diesem Zusammenhang z.T. davon gesprochen, dass sich mit der Inkorporierung der verbraucherrechtlichen Sondergesetze in die zivilrechtliche Zentralkodifikation und der Etablierung einheitlicher Begrifflichkeiten in den §§ 13 und 14 BGB weitgehend unbemerkt von der Fachöffentlichkeit eine Art „Revolution“ vollzogen hat, nach der die seit vier Jahrzehnten geführte Debatte um die Einheit des Privatrechts und die Legitimation des Verbraucherschutzrechtes37 wieder neu beginnen kann, diesmal jedoch vor einem grundlegend neuen Hintergrund.38 Zutreffend ist daran, dass das Verbraucherprivatrecht durch seine Neuverordnung im BGB zweifellos eine formal stilistische als auch inhaltlich-normative Aufwertung39 erfuhr, weil es nun kein „Schattendasein“ mehr führt. Schließlich wird das Verbraucherschutzrecht durch die „Hochzonung“ ins BGB in den Bereich des „Zentralen und Dauerhaft Gültigen“ eingegliedert.40 So spricht auch 33
E. Schmidt, JZ 1980, 153, 155. Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, AnwK BGB AT Bd. 1 (2005), § 14 Rn. 1; Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 271. 35 Nicht ins BGB aufgenommen wurden beispielsweise das FernUSG, das ProdhaftG sowie zivilprozessuale Teile des AGBG, die im UKlaG Eingang gefunden haben. 36 Denkbar wäre aber wohl auch eine Zusammenfassung aller verbraucherschützenden Gesetze in einem Sondercode neben dem BGB gewesen, vgl. dazu Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 271. Ablehnend zum Vorschlag eines deutschen Konsumentenvertragsrechts W. H. Roth, JZ 2001, 475, 484 ff. 37 Vgl. dazu Lieb, AcP 178 (1978), 196, 213; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; Westermann, AcP 178 (1978), 151 ff.; Mertens, AcP 178 (1978), 227 ff. 38 So insbesondere MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 1 ff.; ähnlich aber auch Dörner, Die Integration des Verbraucherrechts in das BGB, in: Schulze/SchulteNölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 177 ff. 39 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), Vor. §§ 305 Rn. 3; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 1; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 235. 40 Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, AnwK BGB AT Bd. 1 (2005), § 14; Pfeiffer, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 481, 490; ähnlich Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 266 f. 34
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1. Teil: Grundlagen
der Reformgesetzgeber im Zusammenhang mit der Überführung der Verbraucherschutzgesetze ins BGB davon, dass der Verbraucherschutz (i.S.d. Gewährleistung materialer Vertragsfreiheit) einen schuldrechtsimmanenten Rechtsgedanken verkörpere, was man mit der Überführung der Vorschriften habe zum Ausdruck bringen wollen.41 3. Trotzdem: Beibehaltung der Sonderstellungen auch im BGB Jedoch ist die in diesem Zusammenhang anzutreffende Euphorie in Bezug auf eine Neujustierung des Verbraucherrechts im Gefüge des Zivilrechts zu dämpfen. Denn auch die nun im BGB integrierten Sonderweisen zum Schutz des Verbrauchers, die vermehrt rollensoziologisches Gedankengut in die Zentralkodifikation hineintragen, bestreiten innerhalb des BGB sowohl regelungstechnisch als auch inhaltlich nach wie vor das Dasein von Ausnahmevorschriften, wenngleich ihre Zahl beständig zunimmt.42 Die besondere Stellung des Verbraucherschutzrechts innerhalb des BGB definiert sich nach wie vor über die auch äußerlich kenntlich werdende Abweichung zur Regel. So stehen die Regelungen zu besonderen Vertriebsformen in den §§ 312–312g BGB. Unbestellte Leistungen sind in § 241a BGB geregelt und die Sanktion für unseriöse Gewinnzusagen befindet sich in § 661a BGB. Für die Finanzierungshilfen zwischen Unternehmern und Verbrauchern gibt es im Anhang zum Darlehensvertrag in den §§ 499 ff. BGB besondere Regelungen, ebenso für den Verbrauchsgüterkauf in §§ 474 ff. BGB. Das gesamte Reiserecht wird in den §§ 651a ff. BGB als eine abweichende Sonderregelung des Werkvertrags behandelt. Details zu Informationspflichten werden sogar in eine gesonderte BGBInfoV und im EGBGB eingestellt. Die Besserstellung des Verbrauchers als besonderer Vertragspartner kommt damit lediglich in formellen und inhaltlichen „Anhangnormen“ zu allgemein gehaltenen Regelungen zum Ausdruck.43 Durch die weitläufige Integration des Verbraucherschutzrechts ins BGB verläuft nicht nur die formelle Schnittlinie, sondern auch die der inhaltlichen Wertungsdivergenzen zwischen dem universellen Geltungsanspruch des allgemeinen Privatrechts einerseits und dem punktuellen („Anders-„)Regelungsansatz der verbraucherschützenden Sondernormen nunmehr geradewegs durch das BGB.44
41
BT-Drucks. 14/6040, S. 91. Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 266 f. 43 Vgl. zur Einschätzung auch Dörner, Die Integration des Verbraucherrechts in das BGB, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 177, 178. 44 So ausdrücklich v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 235. 42
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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III. „Gefährdungslagen“ als Anknüpfung für ein typisiertes Schutzbedürfnis Damit sind die Merkmale der verbraucherschutzrechtlichen Regelungen aber noch nicht abschließend beschrieben. Neben der soeben dargestellten inhaltlichen, normativen und formellen Modifikation der zivilrechtlichen Normvorgaben sind die Vorschriften des Verbraucherprivatrechts dadurch gekennzeichnet, dass sie Ausdruck eines gesetzlich artikulierten Schutzbedürfnisses sind, welches ganz bestimmte Gefährdungslagen45 ins Visier nimmt. Ein Schutzbedürfnis auf Grund einer besonderen Gefährdungslage kann nach der Intention der Regelungen angenommen werden, wenn für den Verbraucher/ resp. den Konsumenten wegen seiner besonderen Rolle am Markt Gefahren für Rechtsgüter oder das Vermögen entstehen, denen Anbieter nicht in gleicher Weise ausgesetzt sind und deren Inkaufnahme die Rechtsordnung nicht hinnehmen kann. Knüpfen verbraucherrechtliche Schutzbestimmungen an den Rechtsbegriff des „Verbrauchers“ an, kommt es zu einer „personellen Fokussierung“46 des Schutzbereiches gemäß dem Grundsatz, dass in den vom Gesetz umschriebenen Fällen nur im Verhältnis Verbraucher/Unternehmer eine Störung der Vertragsparität zu erwarten steht, dies für andere Personen jedoch nicht, jedenfalls nicht im Regelfall, zutrifft.47 Manchmal hingegen nehmen die Schutzvorschriften des BGB aber nicht nur den Verbraucher ins Visier, sondern privilegieren darüber hinaus auch Nichtverbraucher, die sich situations- oder vertragstypenspezifisch in einer ähnlichen Gefährdungslage wie der Verbraucher befinden und deshalb eines ähnlichen Schutzes bedürfen.48 Bezogen auf die verschiedenen Schutzzweckansätze (personal-rollensoziologische, situative, vertragsspezifische) unterscheidet man das Verbraucherprivatrecht i.e.S.49 und das Verbraucherprivatrecht i.w.S. Ersteres knüpft primär an ein rollensoziologisches, d.h. an ein personales Element an, das sich in der Bezugnahme auf den Verbraucherstatus in vielen Schutzmaterien Bahn bricht. Das Verbraucherschutzrecht i.w.S., das auch Nichtverbraucher in den 45 Für eine Hierarchie situationsgebundener, vertragstypenbezogener und rollensoziologischer Ansätze setzt sich Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103 ff. ein. 46 Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 86; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19. 47 Reichardt, Der Verbraucher und seine Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 40; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 348; Preis, ZHR 158 (1994), 567, 594. 48 Zum Ganzen vgl. Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 161; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 77; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19 f.; Drexl, JZ 1998, 1046, 1050 f.; ders., Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 282 ff.; Kleindiek, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold, Europäischer Binnenmarkt: Internationales Privatrecht und Rechtsangleichung (1995), S. 304; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 46. 49 Weyers, WM 2005, 490, 492; zum situativen Ansatz der AGB-Kontrolle vgl. etwa Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Vorb. v. § 307 Rn. 27.
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1. Teil: Grundlagen
personalen Schutzbereich einbezieht, rekurriert hingegen nicht auf rollensoziologische Gesichtspunkte, sondern allein und ausschließlich auf situationsund/oder vertragsspezifische Risiken, die es für jedermann durch eine Schutzregelung abzudecken gilt.50 Die hier genannten Anknüpfungspunkte spiegeln sich in der Verbraucherrechtsdiskussion51 und im geltenden Recht52 umfassend wieder: 1. Personales Element (Verbraucherschutzrecht i.e.S.) Die vielen Schutzvorschriften betreffend die von einem Verbraucher gegenüber einem Unternehmer getätigten Rechtsgeschäfte zeigen, dass für die Statuierung von Sonderbestimmungen zugunsten einer (Vertrags-)Partei verbraucherspezifische,53 d.h. rollen-soziologische Überlegungen ausschlaggebend sein sollen.54 a. Die rollensoziologische Motivation der §§ 13, 14 BGB Zu begründen ist dies damit, dass § 13 BGB an die private Nachfragerfunktion des Konsumenten anknüpft. In der Bezugnahme auf die Marktstellung des Verbrauchers perpetuiert sich in benannter Vorschrift der typisierende, rollensoziologische Grundansatz des gegenwärtigen Verbraucherprivatrechts.55 Denn beim Vorliegen eines „Verbrauchergeschäftes“ i.S.d. §§ 13 f. BGB braucht die fehlende Geschäftskompetenz56 bzw. das Schutzbedürfnis des Konsumenten 50 Zu dieser Kategorienbildung vgl. Tonner, BB 1999, 1769, 1772; ders., JZ 1996, 533, 535; Damm, VersR 1999, 129, 135; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 9. 51 Übersicht bei Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 61 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 51; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103 ff. 52 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; Rösler, Europäischen Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 85; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 31; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 9; Tonner, BB 1999, 1769, 1772; ders., JZ 1996, 533, 535; Damm, VersR 1999, 129, 135. 53 Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103. 54 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 69; str., dagegen Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 8; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13, 14 Rn. 70). Die Vertreter eines rollensoziologischen Ansatzes verweisen jedoch darauf, dass ein rollenspezifischer Ansatz auch in verfahrens- und kollisionsrechtlichen Abkommen und Verordnungen der Gemeinschaft, etwa im EuGVÜ, der EuGVVO und im EVÜ auszumachen sei, dazu Jayme/Kohler, IPRax 1991, 361, 362. 55 Vgl. den Hinweis darauf bei Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 361. Das Modell wird von den Autoren jedoch inhaltlich abgelehnt. 56 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 360 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 65; Schumacher, Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner (1979), S. 69 ff.; Schmude, FS Ballerstedt (1975), S. 481, 493 ff. In der Rechtsprechung finden sich zahlreiche Bezugnahmen hierauf, vgl. etwa BGH NJW
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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nicht konkret ermittelt zu werden, da beides auf Grund der unterstellten strukturellen Ungleichgewichtslage57 zwischen Verbraucher und Unternehmer vermutet wird.58 Die unterlegene Marktstellung des Verbrauchers wird somit in typisierender und pauschalisierender Weise durch das Verbrauchermerkmal repräsentiert.59 b. Eingang der rollensoziologischen Motivation in die Spezialmaterien Die Wertungen, die den §§ 13 f. BGB unterlegt sind, fließen über das personale Element natürlich auch in die vielen bereichsspezifischen Verbraucherschutzbestimmungen inner- und außerhalb des BGB ein. Das gilt selbst im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber den Grund für das vermutete Bestehen eines strukturellen Ungleichgewichts in der Gesetzesfassung der §§ 13, 14 BGB nicht weiter verifiziert hat. Denn es würde keinen Sinn machen, spezielle Schutzmaterien für den Verbraucher zu schaffen, die über die normalen – für alle geltenden – situativen bzw. vertragsspezifischen Schutzbestimmungen hinausgehen, wenn es bei der in Bezug genommenen Personengruppe nicht mit ihrem Status, d.h. mit ihrer sozialen Rolle zusammenhängende Gründe für eine weitergehende Privilegierung gäbe. Der Verbraucherbegriff, der den vielen Vorschriften des Verbraucherrechts i.e.S. als funktionaler Anknüpfungspunkt dient, steht damit in einer nicht zu leugnenden Wechselwirkung zu dem hinter ihm stehenden normativ typisierenden Verbraucherleitbild.60
1979, 805, 806; BGH NJW 1979, 808, 809; BGH NJW 1980, 2074, 2076; BGH NJW 1980, 2076, 2078. 57 Vgl. dazu BVerfGE 89, 214 ff.; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 2. 58 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001) Vor. §§ 13–14 Rn. 64 ff. 59 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 69. Während der geschäftserfahrene Kaufmann (Unternehmer) im Handelsrecht – etwa in den §§ 343 ff. HGB – mit schlechterstellenden Regelungen bedacht wurde. Vielfach wird in der positiven Feststellung der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers lediglich die Kehrseite der „negativ“ anerkannten, geringen Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns gesehen, vgl. dazu Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 28. Für beide Bereiche führte dies zu einer Diskussion um die Qualifizierung als Sonderprivatrecht, siehe dazu die Ausführungen im 1. Teil, 4. Kapitel, Abschnitt B. 60 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 10; Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 117 ff.; Damm, VersR 1999, 129, 133; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 6 ff.; dies wohl verkennend, weil die Bedeutung der Diskussion darum herunterspielend Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7 f.
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1. Teil: Grundlagen
c. §§ 13, 14 BGB als „trojanische Pferde“ rollensoziologisch motivierter Andersregelungen Entgegen einer in der Literatur anzutreffenden Interpretationstendenz, die §§ 13 f. BGB als reine Definitionsnormen zu begreifen, d.h. diesen Normen nur eine rechtstechnische Funktion zuzuweisen61 und damit den hinter ihnen stehenden rollensoziologischen Ansatz zu negieren,62 ist es sowohl für das Verständnis des gegenwärtigen Verbraucherschutzrechtes als auch für die weitergehende Diskussion um die im 3. Teil der Arbeit zu untersuchende Möglichkeit der Induktion eines allgemeinen Verbraucherschutzprinzips63 wichtig, bereits an dieser Stelle hervorzuheben, dass sich über die §§ 13, 14 BGB, die von vielen Spezialmaterien in Bezug genommen werden, über das gesamte Zivilrecht „Einbruchstellen“ für rollensoziologisch motivierte Andersregelungen ausfindig machen lassen. Soweit ersichtlich, fehlt es in der Literatur bisher noch an einem solchen (m.E. klarstellenden) Hinweis.64 Die §§ 13, 14 BGB können (was das in ihnen zum Ausdruck kommende Gedankengut betrifft) wie „trojanische Pferde“ betrachtet werden, über die es zu einer Einflechtung rollen-soziologischen Gedankenguts in das Zivilrecht kommt. Dass dieser Aspekt bisher noch nicht genügend herausgestellt wurde, mag z.T. rechtspolitisch motiviert sein, z.T. aber auch damit zusammenhängen, dass die bereichsspezifische Andersregelung für sich genommen nur in einer situativund/oder vertragsspezifischen Modifikation allgemeiner zivilrechtlicher Vorgaben zu Tage tritt, weil nun einmal für eine „Andersregelung“ schon aus Gründen
61
Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 8; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 70 ff. 62 Vgl. etwa Pfeiffer, in: Schulte-Nölke/Schulze, Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 29; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 65 ff.; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19, Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 1; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff., 228; Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 66, 67 f. 63 Vgl. dazu die älteren Überlegungen von Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle (1992), S. 116, 119; Adomeit, NJW 2002, Heft 43 Editorial mit dem Titel „Verbraucherschutz – ein letzter Triumph von Karl Marx?“. 64 Symptomatisch ist etwa die Stellungnahme von Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 9, der ausführt: Durch die generelle Gesetzesfassung sind die §§ 13, 14 BGB gegenüber den rechtspolitischen Diskussionen um die verschiedenen Verbraucherschutzmodelle und die Verbraucherleitbilder gleichsam „neutralisiert“ und „objektiviert worden“. Die Interpretation der bereichsspezifischen Vorschrift müsse also unabhängig von diesen erfolgen. Etwas in diese Richtung deutend allerdings v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 12 mit seinem Hinweis, dass schon der gemeinschaftsrechtliche Verbraucherbegriff auf einer rollenbezogenen Typisierung (sog. normativer Regelungstypus) basiert: ebenso MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13, 14 Rn. 70: „rein funktionaler Begriff“.
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der Rechtssicherheit65 nur diese Anknüpfungspunkte als vom Gesetzgeber konkret vorgegebene Interventionsschwellen66/resp. -anlässe verbleiben.67 Jedoch bezieht die jeweilige situativ oder vertragsspezifisch ausgestaltete Andersregelung (was die Bezugnahme auf §§ 13, 14 BGB mehr als deutlich macht) ihre innere Legitimation letztlich aus der typisierend unterstellten, besonderen, rollensoziologisch motivierten Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers. Der Gesetzgeber macht über diese Normen klar, dass er bezüglich der Regelungen, die das Verbraucherschutzrecht i.e.S. konstituieren, an einer typisierten Betrachtungsweise festhält.68 Müsste man bei jedem Verbraucher das tatsächliche Bestehen eines Informationsdefizits oder Machtungleichgewichts nachweisen oder könnte man die Vermutung schon durch geringe Zweifel in Frage stellen, würde die Rechtssicherheit und -durchsetzung in unzumutbarer Weise erschwert werden. Aus den von §§ 13, 14 BGB beförderten Wertungen kann letztlich auch geschlossen werden, dass die vom Gesetzgeber beim Verbraucherschutzrecht i.e.S. behandelten Fälle als ein generelles, typisiert beschriebenes Versagen der Richtigkeitsgewähr bei Verträgen zwischen professionellen Anbietern und Verbrauchern interpretiert werden müssen,69 die – entgegen einiger Stimmen in der
65 Das Postulat der Rechtssicherheit folgt neben dem der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit bereits aus der Rechtsidee an sich, dazu BVerfGE 3, 225, 237; 7, 89, 92; Benda/ Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; zur so verstandenen Rechtsidee vgl. auch Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187, 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff.; Rollecke, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 20 Rn. 67. 66 Zur Problematik der Festlegung der konkreten Interventionsschwelle bei nie ganz auszugleichenden (rollensoziologischen) Disparitäten vgl. die späteren Ausführungen zur formellen/materiellen Vertragsfreiheit/-gerechtigkeit im 1. Teil, 6. Kapitel E. 67 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 81; in diese Richtung gehend auch MüKo/ Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 65 ff. 68 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 12. Zu den Stärken und Schwächen des Typisierungsansatzes im Verbraucherschutzrecht Krejci, FS Mayrhofer (2002), S. 119 ff. 69 Gedankengang von Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119, der ihn aber dort zugleich verwarf. Das von Fastrich angeführte Argument ist, dass der Gesetzgeber bei den verbraucherschützenden Regelungen hinsichtlich der Missstände und ihrer Ursachen nie zwischen solchen, die auf der Verwendung von AGB beruhten, und solchen, die unabhängig davon auftreten, unterschied. Dies lässt sich jedoch ganz einfach dadurch widerlegen, dass die vielen verbraucherrechtlichen Spezialmaterien auch Individualvereinbarungen, die für den Verbraucher nachteilig sind, in breitem Umfang sanktionieren, sodass dadurch gerade deutlich wird, dass es nicht nur um die Störung der Vertragsparität in der Sondersituation der „Verwendung der AGB“ geht, sondern, dass das vertragliche Ungleichgewicht hier durchaus noch andere Ursachen hat.
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1. Teil: Grundlagen
Literatur70 – gerade aus Gründen der Rechtssicherheit auch keines Gegenbeweises zugänglich sind, sodass die Vermutung nicht widerlegbar ist. Hierfür spricht auch die vom Gesetzgeber verwandte Regelungstechnik. Die systematische Regelung des deutschen Verbraucherbegriffes weicht insofern vom rein funktional verstandenen Verbraucherbegriff des europäischen Rechts ab.71 Im europäischen Recht ist der Begriff des Verbrauchers bislang rein sektorspezifisch in zahlreichen, wenig bis nicht aufeinander abgestimmten Richtlinien niedergelegt.72 Die fehlende Abstimmung der Regelungen mitsamt der verwandten Begrifflichkeiten liegt freilich nicht nur in dem „handwerklichen Ungeschick“ des EU-Gesetzgebers begründet. Es fehlen der Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Art. 169, 114 AEUV (vor dem Vertrag von Lissabon: Art. 95 IV–V, 153 V EGV),73 dem Subsidiaritätsprinzip74 und dem Grundsatz der beschränkten Einzelermächtigung auch die notwendigen umfassenden Gesetzgebungskompetenzen,75 um eine lückenlose Rechtsmasse auf diesem Gebiet zu etablieren, die eine maximal kohärente Ausgestaltung des Verbraucherrechts gestattet. Die EU musste daher zunächst punktuelle Regelungen verabschieden, die tendenziell unkoordiniert waren, weil sie im Hinblick auf die fehlende umfassende Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes auch nicht – so schien es jedenfalls – verknüpft werden mussten. Es bedurfte zunächst der Formung einer gewissen Rechtsmasse, aus der heraus dann in Bezug auf die zu gewährende Rechtssicherheit76 und Effizienz das Postulat der Konsolidierung nachfolgt. Nachdem nun auf Grund der umfangreichen Aktivitäten des EU-Gesetzgebers im Bereich des Verbraucherschutzes die notwendige „kritische Masse“ 70
So insbes. F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 733 f.; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 201 ff., will die Verbrauchereigenschaft als prima-facie-Beweis für das tatsächliche Bestehen eines Ungleichgewichts zwischen den Parteien einsetzen. Erschwerungen für den Entkräftungsbeweis durch Unternehmer will er nicht vorsehen. 71 PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 5; zum europäischen Verbraucherbegriff siehe die Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel A III. 72 Zur Unschärfe des Verbraucherbegriffs im geltenden europäischen Recht vgl. Lurger/ Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 21 f. 73 Zu dem Zusammenspiel dieser Regelungen vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 8. Kapitel B III. 74 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 10. 75 Zur beschränkten Kompetenz der Gemeinschaft im Verbraucherschutzrecht siehe etwa Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625. 76 Zum Postulat der Rechtssicherheit, das aus der Rechtsidee folgt, vgl. BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; grundlegend zur Rechtsidee und ihren „Einzelerscheinungen“ Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff.; Rollecke, in: Umbach/ Clemens (Hrsg.), GG, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 20 Rn. 67.
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an Regelungen etabliert zu sein scheint, unternimmt die Kommission, die sich des Problems bewusst ist, vielfältige Anstrengungen, die Sekundärrechtssetzung zu verändern. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf ihren Grünbuchvorschlag77 vom 8. Februar 2007, in dem verschiedene Instrumente zur kohärenteren Ausgestaltung des europäischen Sekundärrechts erwogen werden.78 Das Streben der Kommission ist dabei auch auf die Einführung einheitlicher Begrifflichkeiten, wie der des Verbrauchers und Unternehmers, gerichtet.79 Erste konkrete Vereinheitlichungstendenzen in Bezug auf den Verbraucher- und Unternehmerbegriff ergeben sich aus dem Vorschlag der Richtlinie über Rechte der Verbraucher vom 8.10.200880 und aus dem neuen Grünbuch der EU-Kommission zur Schaffung eines grenzüberschreitenden B2C-Vertragsrechts, KOM (2010), 348/3 vom 1.7.2010.81 Dass der national etablierte Verbraucherschutz – gelöst von den bislang noch bestehenden engen europäischen (Kompetenz-)Vorgaben82 – in einer Gesamtbetrachtung seine legitimatorische Grundlage in rollensoziologischen Ungleichgewichtslagen findet, macht der deutsche Gesetzgeber bereits durch das von ihm gewählte äußere Regelungskonzept deutlich, welches das hier favorisierte innere Wertungssystem zumindest präjudiziert. Im deutschen Recht hat der Gesetzgeber den Verbraucher- und Unternehmerbegriff (vgl. §§ 13, 14 BGB) nämlich im Allgemeinen Teil des BGB, quasi „vor die Klammer gezogen“, eingestellt. Damit deckt der Wortlaut der §§ 13, 14 BGB eindeutig jedes Rechtsgeschäft83 (das auf die Begrifflichkeiten potentiell Bezug nimmt). Schon wegen dieser umfassenden Andockmöglichkeit ist das deutsche Verbraucherschutzrecht (anders als das europäische) nicht mehr wirklich vertragstypen- bzw. situationsgebunden ausgestaltet, es geht mit der Möglichkeit der Schaffung allumfassender, an §§ 13, 14 BGB angekoppelter Sonderregelungen darüber hinaus.84 Sieht man die Legitimation des Verbraucherschutzrechts i.e.S. in einer besonderen rollen-soziologischen Konstellation zwischen Verbraucher und Unternehmer, wofür §§ 13, 14 BGB sprechen (die ansonsten keinen Sinn ergäben), 85 dann 77 Grünbuch der Kommission zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz v. 8.2.2007, KOM (2006), 744. 78 Zur Kritik siehe etwa Reich/Micklitz, VuR 2007, 121 ff. 79 Vgl. dazu Zimmermann, EuZW 2007, 455, 459 f. 80 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 81 Dazu Tamm, GPR 2010, 525; Tonner, EuZW 2010, 767 ff. 82 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625. 83 PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 6; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), § 13 Rn. 44 ff.; a.A. Bauer/Kock, DB 2002, 44 f.; Henssler, RdA 2002, 133 f. 84 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 81: „bewegliche Elemente von ungleichgewichtsbegründenden Faktoren“. 85 So wohl auch Medicus, FS Kitagawa (1992), S. 471, 481, der dort feststellt, dass Verbraucherschutz aus zwei Elementen besteht: dem personen- und rollenbezogenen (d.h. die Verbrauchereigenschaft) und dem situationsbezogenen; ebenso Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982), S. 307 f.; ablehnend: Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 8;
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1. Teil: Grundlagen
lässt sich daraus schlussfolgern, dass eine generelle Notwendigkeit einer Andersregelung zugunsten des Verbrauchers auch in den Bereichen besteht, in denen vom Gesetzgeber noch keine situativ bzw. vertragsspezifisch ausgestalteten Sonderregelungen etabliert wurden. Die grundsätzlich bereits rollensoziologisch bedingte Notwendigkeit und Legitimation der erforderlichen „Sonderweisen“ ist deshalb auch für die gegenwärtige Ausgestaltung des Verbraucherrechts streng von der durch den Gesetzgeber zusätzlich getätigten Anbindung an situative und vertragsbezogene Elemente zu trennen. Diese „zusätzliche Anbindung“ hat nur einen Grund, nämlich den, dass unabhängig von einem aus dem Machtungleichgewicht zwischen Verbraucher und Unternehmer herrührenden generellen Regelungsdruck zur Materialisierung sämtlicher Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien, dem Gesetzgeber schon aus Gründen der Rechtssicherheit86 (der Gesetzgeber muss sagen, welcher Regelungstatbestand zu welcher Einordnung/Rechtsfolge führt), nur die Möglichkeit verbleibt, an situative bzw. vertragsspezifische Situationen anzuknüpfen.87 Denn nur so ist es möglich, die erforderliche Interventionsschwelle88 im Hinblick auf die typisierend zu unterstellende Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers aussagekräftig zu kontrastieren.89 Eine Generalklausel derart, dass bei der Beteiligung eines Verbrauchers alles anders zu behandeln ist, wäre für eine praktikable juristische Aussage zu unpräzise. 90
MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13, 14 Rn. 70, die auf den rein funktionalen Charakter der Norm abstellen. 86 Zum Postulat der Rechtssicherheit, das sich aus der Rechtsidee an sich ableitet, siehe BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff.; Rollecke, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 20 Rn 66. 87 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 7 Rn. 8. 88 Zur notwendigen Festlegung der Interventionsschwelle bei nie ganz behebbaren (rollensoziologischen) Ungleichgewichtslagen vgl. die Ausführungen zur formellen/materiellen Vertragsfreiheit/-gerechtigkeit im 1. Teil, 6. Kapitel E. 89 Vgl. dazu MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 65 ff.; Pfeiffer, in: SchulteNölke/Schulze, Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 29; jedoch beide mit der überall in der Literatur anzutreffenden Tendenz, das verbraucherspezifische, personale Element vollkommen zu negieren. 90 Gesetze müssen (außerhalb des Bereiches der nur lückenfüllenden Generalklauseln) schon vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzip, aus dem auch ein Bestimmtheitsgebot folgt, „verständliche und praktikable Merkmale enthalten“ und damit eine „inhaltliche Präzisierung“ der Anordnung vornehmen, vgl. dazu BVErfGE 14, 13, 16; 17, 306, 314; 47, 239, 247; Sachs, in: GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 Rn. 125 f.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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Die in der Literatur heftig diskutierte Frage,91 ob die über §§ 13, 14 BGB teilweise legitimierte (rollensoziologisch) typisierte Betrachtungsweise generell einen geeigneten Ansatzpunkt für ein angemessenes Verbraucherschutzrecht bietet, das sich in ganz unterschiedlichen Regelungsbereichen entfaltet (Darlehen, Kaufvertrag, Reisevertrag etc.), muss dahingehend beantwortet werden, dass schon die Rechtssicherheit situative bzw. vertragsspezifische Ausgestaltungen der Andersregelungen verlangt, was aber nicht in Abrede stellen sollte, dass auf Grund eines tendenziell bestehenden Machtungleichgewichtes zwischen Verbraucher und Unternehmer Schutzregelungen in den verschiedensten Bereichen notwendig sind, die ihre Legitimation gerade in der Verbrauchereigenschaft des Abnehmers und der komplementären Stellung des Anbieters finden.92 2. Das situative und/oder vertragsspezifische Element (Verbraucherschutzrecht i.w.S.) In Kontrast zu den vornehmlich personell orientierten Bestimmungen des Verbraucherschutzrechtes i.e.S. sind Fälle denkbar, in denen eine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers nur als Teilaspekt einer umfassenderen Fragestellung begründet werden kann, von der nicht nur Verbraucher, sondern auch andere Rechtssubjekte in ähnlicher Weise auf Grund der besonderen Geschäftsabschlussund/oder Vertragssituation93 betroffen sind. Die Privilegierungsfunktion der Sondervorschrift sollte hier – nach Einschätzung des Gesetzgebers – nicht allein auf den engen Kreis der Verbraucher begrenzt bleiben. Man spricht bei solchen Regelungskomplexen deshalb auch von einem Verbraucherschutzrecht i.w.S., das „personell geöffnet“ allein eine situations- bzw. vertragsbedingte Gefährdungslage zum Anlass einer Regelung nimmt. Beispielhaft zu nennen sind hier etwa die Regelungen des AGB-Rechts,94 die „situativ“ die Gefahr der „untergeschobenen Vertragsbedingungen“ aufgreifen, welche Verbrauchern, aber auch Nichtverbrauchern zugute kommen. An besondere, als verbrauchergefährdend eingestufte Situationen knüpfen auch die Regelungen zu den Haustürgeschäften an.95 Abweichend von diesem situativen Schutzansatz wurde der paritätsgefährdende Vertragstyp des (Verbraucher-)Kreditgeschäftes bzw. der Finanzierungshilfe zumindest teilweise und der Vertragstyp der Pauschalreise sowie des Fernunterrichts als gesondert, d.h. für einen über 91 Zum Themenkreis vgl. Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17; dezidiert auch Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103; Krejci, FS Mayrhofer (2002), S. 119 ff.; Reinhardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 237 ff. 92 So auch v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 233. 93 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle (1992), S. 124. 94 Zur situativ bedingten Gefährdung bei Verwendung von AGB vgl. Fuchs, in: Ulmer/ Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Vorb. v. § 307 Rn. 27. 95 Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103.
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1. Teil: Grundlagen
den Bereich des Verbrauchers hinausgehenden Teil der Bevölkerung, als regelungsbedürftig angesehen.96 3. Die Anknüpfungspunkte in der Diskussion um das Sonderprivatrecht Die Unterscheidung zwischen personalen97 und situativen bzw. vertragsorientierten98 Gefährdungslagen als Anknüpfungspunkt von (Verbraucher-)Schutzvorschriften war bereits für die Diskussion99 um die Berechtigung eines besonderen Verbraucherprivatrechts von ausschlaggebender Bedeutung. Denn im Zusammenhang mit der Etablierung von verbraucherschützenden Normen wurde die legitime Frage gestellt, ob bestimmte Schutznormen nur Verbrauchern zugute kommen sollen, die unabhängig von situativen und vertraglich definierten Gefährdungslagen durch ein rollensoziologisches Verbraucherschutzrecht generell besser zu stellen wären (wofür vornehmlich die Anhänger des rollensoziologischen Verbraucherschutzmodells100 plädierten); oder ob man „personell offene“, situativ bzw. vertraglich bedingte Ungleichgewichtslagen zum Anlass einer Sonderregelung für Verbraucher nehmen sollte, die im Einzelfall auch Nichtverbraucher erfassen konnten, wenn und soweit ihre Schutzbedürftigkeit auf Grund der (Vertrags-)Umstände genauso darstellbar ist.101 Für den letzteren Denk- und
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Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 77. Diesen Ansatz auch und insbesondere rechtspolitisch befürwortend Reich, Markt und Recht (1977), S. 181 ff.; ders., ZRP 1974, 187, 191 ff.; ebenso Bartsch, ZRP 1973, 219, 222; Raiser, JZ 1958, 1, 6; Hart, AG 1984, 66, 72; ähnlich auch Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 46. 98 Vertreter eines eher situativ/vertragsspezifisch ausgestalteten Ansatzes sind etwa Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 17; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 21; Knops, VuR 1998, 363, 364; beschreibend Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 125; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 65 ff.: „situativ schutzbedürftiger Verbraucher“; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 46; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff., 228. 99 Vgl. dazu Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 49; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 15; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 12 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 18 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 76 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts (2004), S. 248 ff.; Koziol, AcP 188 (1988), 183 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Krejci, FS Mayrhofer (2002), S. 119 ff.; Preis, ZHR 158 (1994), 567 ff.; Schwark, JZ 1980, 741, 743; Tonner, JZ 1996, 533 ff.; Rittner, JZ 2007, 1043. 100 Stellvertretend Reich, ZRP 1974, 187, 191 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 69. 101 Zum personalen Ansatz vgl. Reich, ZRP 1974, 187, 191 ff.; zum situativen Ansatz MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 65 f.; über den personalen Ansatz führt die Forderung zu einem generellen Sonderprivatrecht für Verbraucher, zu dieser Feststellung siehe Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 5. 97
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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Regelungsansatz machten und machen sich in erster Linie die Vertreter des situativen Verbraucherschutzmodells102 stark. a. Befürworter und Gegner des Terminus „Sonderprivatrecht“ Die Auseinandersetzung um die dargestellten Anknüpfungspunkte für Andersregelungen und ihre Konstituierungsfunktion für das Verbraucherschutzrecht mündet/e schließlich in der intrikaten Frage, ob das Verbraucherschutzrecht ein „Sonderprivatrecht“ beinhaltet oder zumindest beinhalten sollte.103 Für die Charakterisierung des Verbraucherschutzrechtes als Sonderprivatrecht würden insbesondere dann optimale Bedingungen bestehen, wenn es bei den Sonderweisen zum Schutz des Verbrauchers um inhaltlich-normativ motivierte Abspaltungen vom allgemeinen Zivilrecht ginge, die ähnlich wie das Handelsrecht durch einen besonderen Status, d.h. durch ein personales Element motiviert und gekennzeichnet sind. Wird zur Kontrastierung des Verbraucherschutzrechtes hingegen die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Anleihe an das personale (rollensoziologisch motivierte) Element in Abrede gestellt und die personell unterscheidungslose Anknüpfung an situative bzw. vertragsspezifische Sonderregelungen präferiert, dann lässt sich die Ausbildung eines Sonderprivatrechts nur mit erheblich mehr Begründungsaufwand vertreten, weil dann die verbraucherbetreffenden Andersregelungen auch als „normale“ Weiterentwicklungen allgemeiner zivilrechtlicher Normenvorgaben verstanden werden können.104 b. Inhaltliche Gründe hinter der terminologischen Diskussion Hinter der an der Oberfläche geführten Auseinandersetzung um die terminologische105 Frage steht natürlich ein tiefer liegender Disput um die konzeptionelle Ausrichtung des Verbraucherschutzrechtes. Im eigentlichen Sinne geht es darum, ob die durch das Verbraucherschutzrecht forcierten Modifikationen der allgemeinen zivilrechtlichen Normvorgaben als integraler Bestandteil des Zivil-
102 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15, 26 ff.; Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? (1996), S. 11, 19 ff.; Westermann, AcP 178 (1978), 151 ff.; Mertens, 178 (1978), 227 ff. 103 Grundlegend F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415 ff.; Krejci, FS Mayerhofer (2002), S. 120 ff.; v. Vogel, Verbraucherprivatrecht und allgemeines Privatrecht (2006), S. 196 ff.; Reichard, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 49 f.; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2008), S. 19 ff. Siehe dazu auch die Darstellung der Diskussion und meine Stellungnahme im 1. Teil, 4. Kapitel, Abschnitt B; 1. Teil, 5. Kapitel A. 104 Vgl. Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 15. 105 Den Streit fälschlicherweise auf eine terminologische Frage reduzierend Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 12 Rn. 27.
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rechts zu werten sind oder nicht.106 Im ersteren Fall würde sich aus dem Verbraucherschutzrecht kein Anspruch auf Abkopplung und Eigenständigkeit generieren lassen, und es bedürfte weder einer Kenntlichmachung von normativen noch von methodologischen Unterschieden zwischen den Normenbereichen, weil schon die Existenz etwaiger Unterschiede in Abrede gestellt würde. Nur im zweiten Fall, wenn man den Anspruch auf Eigenständigkeit des Verbraucherschutzrechtes bejahte, könnte sich aus ihm heraus eine eigene soziale Geltungskraft entwickeln, die in ihrer eigenständigen Bedeutung als Impulsgeber für eine weitere „Evolution des Rechts“ in Richtung auf eine umfassende Materialisierung fungieren könnte107 und so neben das tradierte Zivilrecht, bzw. seine Vorstellung von ihm, tritt.108 4. Aktuelles Verbraucherschutzrecht als Mix der verschiedenen Elemente Der nationale Gesetzgeber109 entschied sich beim Erlass von verbraucherschützenden Gesetzen nicht klar für ein bestimmtes rechtstheoretisches Fundament, das ihnen unterlegt sein soll.110 Weder der europäische noch der deutsche Verbraucherschutz basieren auf einem einheitlichen, theoretischen Grundkonzept.111 Der Grund für dieses Defizit liegt darin, dass Situationen, in denen ein Verbraucher für besonders schutzwürdig gehalten wird, sich eher aus einem konkreten Problemimpuls heraus ergeben und daher Anlass zu vielerlei bereichsspezifischen Sonderregelungen bieten.112 Das Verbraucherschutzrecht der Gemeinschaft ist vor diesem Hintergrund organisch gewachsen, d.h. ohne Rückgriff auf ein bestimmtes rechtstheoretisches Fundament. Das Bedürfnis nach einem solchen Fundament ergab bzw. ergibt sich erst jetzt, mit seinem Bedeutungszuwachs, d.h. mit der Ausbreitung des Regelungsclusters, der nach einer Orientierung verlangt, um kohärent weiter zu wachsen. So kommt es auch, dass das Verbraucherschutzrecht de lege lata einen Mix von personellen, situativen und vertragsspezifischen Anknüpfungspunkten aufweist113 und man sich erst im nachhinein darum bemüht, Ordnung in den Re106
Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 15. Damm, FS Reich (1997), S. 129, 131. 108 Dafür Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268 ff. 109 Vgl. dazu Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 71. 110 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 7; Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EUWirtschaftsrechts (2006), H.V. Rn. 34; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 120. 111 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 120; Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts (1996), S. 5; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 514; Pützhoven, EWS 1999, 447, 450; Roth, JZ 2001, 475, 479. 112 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 11; Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2006), H.V. Rn. 34; Oehler, VuR 2006, 294, 295. 113 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 79; Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch 107
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gelungscluster zu bringen, indem man die verschiedenen Materien systematisiert114 bzw. zumindest de lege ferenda um ein einheitliches, in sich geschlossenes Konzept wirbt. In diese Richtung weist etwa der Versuch Hommelhoffs, der ein hierarchisch durchgegliedertes System präferiert, das eine Abstufung zwischen situativen, vertraglichen und rollenspezifischen Anknüpfungspunkten vorsieht. Dieses würde, so wird argumentiert, jedenfalls zur besseren Durchdringung und rechtssystematischen Ordnung des Verbraucherschutzrechtes beitragen. Hommelhoff ist der Ansicht, dass man – ausgehend vom Leitbild des für seinen Eigenschutz möglichst weitgehend gestärkten Verbrauchers – zu förderst situative Schutzansätze verfolgen sollte, danach vertragstypenbezogene Anknüpfungspunkte zu suchen habe und nur als ultima ratio, soweit der gebotene Verbraucherschutz nicht anders bewerkstelligt werden könnte, rollenspezifische Ansätze mit ihrer undifferenzierten und tendenziell grenzenlosen Wirkkraft einflechten sollte.115 Das System, das Hommelhoff forciert, ist allerdings kein von der gegenwärtigen Gesetzeslage zu trennendes Novum, denn es hat sich auf Grund der Tätigkeit des deutschen Gesetzgebers, die oft genug europäisch inspiriert war, bereits weitgehend etabliert. Insbesondere das von Hommelhoff befürwortete Zurückdrängen des personellen Ansatzes – Kritikpunkt war ja seine „undifferenzierte und tendenziell grenzenlose Wirkkraft“ – ist de lege lata im Hinblick auf die notwendig zu gewährende Rechtssicherheit bereits regelungstechnisch umgesetzt worden. Denn die Bezugnahme auf den Verbraucher in seiner rollensoziologischen Funktion reicht für sich gesehen nach der deutschen Gesetzeslage noch nicht aus, um einen Schutz mit dem Gesetz zu untermauern.116 Ausnahmeregelungen für die Personengruppe der Verbraucher sind nur im Zusammenhang mit situativ und vertragsspezifisch umschriebenen Sonderkonstellationen117 zugelassen worden.118 Das gegenwärtige Verbraucherschutzrecht stellt insofern schon jetzt ein „bewegliches interdependentes System“ dar, wonach sich eine Ungleichgewichtslage aus verschiedenen Aspekten ergeben kann.119
des EU-Wirtschaftsrechts (2000), H.V. Rn. 34; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 7; ausführlich für ein abgestuftes Mixsystem dieser Elemente in Form einer Hierarchie Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103. 114 So zutreffend Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 120. 115 Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103. 116 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 160; die gegen ein derart soziologisch konzipiertes Verbrauchervertragsrecht eingebrachten Argumente (vgl. dazu etwa F. Bydlinski, AcP 204 [2004], 311 ff., 380 ff.) können das derzeitige Verbrauchervertragsrecht mithin nicht treffen. 117 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 13. 118 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 13. 119 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 79.
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1. Teil: Grundlagen
a. Niederschlag des personenbezogenen Ansatzes im geltenden Recht Der dem sozialen Verbraucherschutzmodell verhaftete personale Ansatz kommt – wie bereits erwähnt – in allen Bestimmungen des Verbraucherschutzrechtes i.e.S. zum Ausdruck. Denn diese Vorschriften knüpfen mit den Begriffen des Verbrauchers bzw. Unternehmers an den personalen Status der Regelungssubjekte, d.h. an ihre Rolle als private Nachfrager von Konsumgütern und -leistungen, an.120 aa. Anknüpfung an den (einheitlichen) Verbraucherbegriff Die diversen verbraucherprivatrechtlichen Vorschriften verwenden die Schlüsselbegriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ schon seit vielen Jahrzehnten, um den personellen Anwendungsbereich von bestimmten Schutzvorschriften einzuschränken. (1.) Frühere bereichsspezifische Schwankungen Eine Durchmusterung des Verbraucherbegriffes in der deutschen Gesetzgebung vor der Schuldrechtsreform zeigt (so wie es jetzt noch im europäischen Sekundärrecht der Fall ist), dass der Begriff des Verbrauchers in diversen Variationen über viele Einzelregelungen verstreut verwendet wurde.121 So ergaben sich je nach Schutz und Anwendungsbereich des einzelnen Rechtskreises mitunter auch Schwankungen bei der definitorischen Festlegung seiner Reichweite.122 (2.) Neuer, einheitlicher Verbraucherbegriff in § 13 BGB Derartige Schwankungen sind im Gegensatz zur früheren Rechtslage im deutschen Recht heute jedoch kaum noch feststellbar. Denn im Zuge des am 27.6.2000 verkündeten Gesetzes über den Fernabsatz und andere Fragen des Verbraucherschutzes sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro123 wurde mit § 13 BGB eine Legaldefinition für den Verbraucher als zentrale Begrifflichkeit in das BGB aufgenommen.124 Die Legaldefinition des Verbrauchers gemäß § 13 BGB 120 Hintergrund: Der Anwendungsbereich der Schutzbestimmungen würde sonst zu weit geraten, vgl. dazu Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 160. 121 Vgl. dazu Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 1. Erinnert sei etwa an die unterschiedlichen Vorschriften zur Anwendung des Abzahlungsgesetzes (§ 8 AbzG), des AGBG (§ 24 AGBG) und der Bestimmung zur Regelung von Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO), in denen der Kaufmann zugunsten des nicht gewerblich Handelnden („Verbrauchers“) in die Pflicht genommen wird. Auch das Wettbewerbsrecht verwendete den Verbraucher für den Personenkreis, der Waren nicht gewerblich umschlägt. In § 3 TzWrG fand sich der Typologie der Timesharing-RL folgend – der Begriff des „Erwerbers“. § 1 des Haustürwiderrufsgesetzes verwendete den Begriff des Verbrauchers nicht und bezog sich stattdessen auf den „Kunden“. 122 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 18; Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976), S. 13; Reich/Micklitz, Verbraucherrecht in der Bundesrepublik (1980), S. 13. 123 BGBl. I (2000), S. 897. 124 In der Zusammenfassung durch §§ 13, 14 BGB lag alsdann sogleich ein Vorgriff auf
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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vereinheitlicht zusammen mit der in § 14 BGB etablierten Legaldefinition des Unternehmers die für die verbraucherrechtlichen Spezialmaterien erforderlichen Schlüsselbegriffe.125 Diese einheitlichen Definitionen beanspruchen nun für fast alle verbraucherspezifischen Regelungen Geltung.126 So nimmt die überwiegende Mehrzahl der verbraucherschützenden Vorschriften inner- und außerhalb des BGB heute auf sie Bezug.127 Zu nennen wären hier etwa die Bestimmungen: zur Lieferung unbestellter Waren (§ 241a BGB), zum Haustürgeschäft (§ 312 BGB), zum Fernabsatzvertrag (§§ 312b–312d BGB), zum Widerrufs- und Rücktrittsrecht (§§ 355, 356 BGB), zum Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB), zu den Teilzeit-Wohnrechteverträgen (§§ 481 ff., insb. § 485 BGB), zum Verbraucherdarlehen (§§ 491 ff., insbes. § 495 BGB), zu den Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträgen (§§ 499 ff. BGB), zum Verbraucherdarlehensvermittlungsvertrag (§ 655a ff. BGB) und zu Gewinnzusagen (§ 661a BGB). I.Ü. erlangt die Definition des Verbrauchers (ebenso wie jene des Unternehmers) Bedeutung für die Auslegung und Anwendung der: §§ 449 I S. 1, 451a II, III, 451g I, 451h I, 455 III, 466 I, 468 II S. 1, 472 I S. 2, 475 HGB sowie § 2 II UWG n.F., § 17 II a BeurkG, § 2 UKlaG sowie § 1031 V ZPO.128 Über die Verweisungstechnik führt der neue, vereinheitlichte Verbraucherbegriff die verschiedenen verbraucherschützenden Materien hinsichtlich ihres personellen Anwendungsbereiches unverkennbar zusammen und lässt sie als miteinander verknüpft erscheinen.129
die Einfügung der für den Verbraucher geltenden früheren Nebengesetze ins BGB durch die Schuldrechtsreform von 2001; vgl. dazu Schmidt-Räntsch, ZBB 2000, 344, 346; außerdem Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 92; ferner Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 1. 125 Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, AnwK Schuldrecht (2002), § 14 Rn. 9. 126 Zerres, JA 2002, 166, 169. 127 Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, AnwK Schuldrecht (2002), § 14 Rn. 5; Erman/ Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 1; kritisch zur Vereinheitlichung Flume, ZIP 2000, 1427 f. 128 Nicht zur Anwendung gelangt der Verbraucherbegriff des § 13 BGB hingegen im Pauschalreisevertragsrecht. (Im Pauschalreiserecht nach §§ 651a ff. BGB ist der Leistungsempfänger zwar typischerweise ein Verbraucher, dieses Recht ist aber auch dann einschlägig, wenn ausnahmsweise mal ein Unternehmer Reisender ist, vgl. BGH NJW 2002, 2238.) Auch im FernUSG ist der Terminus Verbraucher nicht verwendet worden. Dort verbleibt es bei der alten Begrifflichkeit des Teilnehmers und des Veranstalters, was ebenfalls darin begründet liegt, dass bei diesem Vertrag der Teilnehmer zwar typischerweise, jedoch nicht immer, Verbraucher ist (vgl. etwa Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050). Gleiches gilt für das ProdHaftG. 129 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 4; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 1; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 46; Soergel/Pfeiffer (13. Aufl., 2002), § 13 Rn. 3.
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1. Teil: Grundlagen
bb. Anknüpfung an den (einheitlichen) Unternehmerbegriff Nach den Vorschriften des Verbraucherprivatrechts i.e.S. verlangt das Vorliegen eines „Verbrauchergeschäfts“ im rechtstechnischen Sinne aber mehr als nur das rechtsgeschäftliche Tätigwerden des Verbrauchers auf der Abnehmerseite. Ein besonderes Schutzbedürfnis ist bei einem Geschäft eines Verbrauchers nach der Intention des Gesetzes nur dann zu bejahen, wenn dieser bei seinem Tätigwerden einem Unternehmer gegenübersteht.130 Es muss also auf der Abnehmerseite ein Verbraucher und auf der Anbieterseite ein Unternehmer vorhanden sein (sog. „Komplementärverhältnis“131). Der Begriff des Unternehmers, als Komplementärbegriff zum Verbraucher, umklammert wegen seiner tatbestandsmäßigen Einbindung in das „Verbrauchergeschäft“ ebenso wie der Terminus des Verbrauchers alle verbraucherschützenden Normenkomplexe i.e.S. Ganz maßgeblich für diese Bindungswirkung ist auch hier wieder der Umstand, dass es schon im Vorfeld der Schuldrechtsreform zur Etablierung einer einheitlichen Legaldefinition in § 14 BGB gekommen ist, die nun auf ganz verschiedene bereichsspezifische Vorschriften über entsprechende Verweisungsnormen ausstrahlt. b. Niederschlag des situativen/vertragsspezifischen Ansatzes im Recht Im Gegensatz zu verbraucherprivatrechtlichen Bestimmungen i.e.S., die bestimmte Verbrauchergeschäfte in Bezug nehmen, gibt es – wie bereits skizziert – verbraucherschützende Bestimmungen i.w.S., die das Vorliegen eines „Verbrauchergeschäftes“ i.S.d. §§ 13, 14 BGB nicht zwingend voraussetzen, sondern den Verbraucher und sein rechtsgeschäftliches Tätigwerden nur mittelbar protegieren, und zwar über das Ins-Visier-Nehmen von besonderen Vertragsschlusssituationen und abstrakt „gefährlichen“ Vertragslagen, denen sich auch Nichtverbrauchern ausgesetzt sehen.132 Der Gesetzgeber greift die situativ und vertragsspezifisch sowohl für Verbraucher als auch Nichtverbraucher gefährlich werdenden Konstellationen auf, indem er bestimmte, die Vertragsparität potentiell ins Ungleichgewicht bringende Vertragstypen oder Vertragsabschlussumstände oder -inhalte durch zwingende Regelungen in bestimmte Bahnen lenkt.133 Die Zuordnung auch dieser Sonderregelungen in den Bereich des Verbraucherschutzrechtes lässt sich letztlich damit begründen, dass sich diese Gesetze in der Mehrzahl gerade für Ver-
130
V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 12. V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 12. 132 Reich/Micklitz, Verbraucherrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 13; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 38; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103 ff.; Struck, JA 2004, 68, 70. 133 Raiser, JZ 1958, 1, 6; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 38. 131
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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braucher positiv auswirken134 und ihre Etablierung gerade auch durch ein besonders häufiges Auftreten der beschriebenen Konstellationen in Unternehmer-Verbraucher-Beziehungen mitbestimmt worden ist. IV. Der gemeinsame Herkunfts- und Wirkungsaspekt des Verbraucherschutzrechts Neben der dargestellten Modifikation der zivilrechtlichen Normenvorgaben und der Anknüpfung an personale und situative/vertragsspezifische Gefährdungslagen sind Vorschriften des Verbraucherprivatrechts aber noch durch ein weiteres Merkmal miteinander verknüpft. Sie verbindet vielfach auch ein gemeinsamer Herkunfts- und Wirkungsaspekt zu einem einheitlichen Regelungscluster. Auf diesen Aspekt soll nun im Folgenden etwas genauer eingegangen werden. 1. Herkunftsaspekt: Verbraucherschutzrecht durch europäische Vorgaben Ausdruck des die genannten Bestimmungen verbindenden Herkunftsaspektes ist es, dass verbraucherschützende Vorschriften häufig europäisch inspiriert sind.135 Sie sind entweder eingekleidet in Rechtsverordnungen, die keiner Umsetzung in nationales Recht mehr bedürfen oder sie etablieren sich in den nationalen Rechtsordnungen als Umsetzungsakte europäischer Richtlinien. Das daneben existierende originär nationale Verbraucherschutzrecht hat von seinem Gewicht und seinem Umfang her bisher nicht den Stellenwert erlangt, der dem europäisch veranlassten Konsumentenschutzrecht zuzumessen ist. 2. Wirkungsaspekt: Verbraucherschutzrecht als Mittel der EU-Rechtsangleichung Die gemeinsame, europäische Herkunft des größten Teils des Verbraucherschutzrechtes führt darüber hinaus dazu, dass auch und gerade über das europäisch forcierte Konsumentenschutzrecht in subtiler Weise136 eine Rechtsangleichung137 (vgl. Art. 169, 114 AEUV) betreffend der nationalstaatlichen Rechtsordnungen in den EU-Mitgliedstaaten eintritt (Wirkaspekt), an dessen Ende – so die Optimisten und Protagonisten dieser Entwicklung – ein europäisches Zivilrecht stehen wird. Das Ziel der Rechtsangleichung gab bereits der EWG-Ver134
Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 1 Fn. 7. Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 196. 136 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 4. 137 Herdegen, Europarecht (2006), S. 420. Die Rechtsangleichung vollzieht sich vornehmlich über die vielen Richtlinien der EU. Der qualitativ darüber hinausgehende Schritt der Rechtsvereinheitlichung wird durch die Rechtsverordnungen der EU vollzogen, wobei freilich anzumerken ist, dass ihre Anzahl viel geringer als die der Richtlinien ist. 135
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1. Teil: Grundlagen
trag der Gemeinschaft und ihren Organen als eigenständige Aufgabe vor (Art. 3h EWGV). Die Rechtsangleichung zielt auf die Rechtsordnungen in den einzelnen Mitgliedstaaten: Unterschiede zwischen nationalen Rechtsvorschriften sollen abgebaut, diese „näher zueinander gebracht“138 werden. Trotzdem die Angleichungspolitik der EU in den vergangenen Jahren allerlei Schwankungen unterworfen war,139 kennzeichnen drei Elemente die Harmonisierungspolitik der Gemeinschaft: Marktbezug und Ausgleich von Ungleichgewichtslagen, die eigenständige Rechtspolitik der Gemeinschaft und die Betrachtung der EU als Integrationsfaktor.140 Über Art. 169 AEUV ist der europäische Verbraucherschutz heute marktbezogen ausgestaltet. Im Zuge des primär verfolgten Binnenmarktzieles141 soll die Etablierung EU-weiter Verbraucherschutzstandards noch bestehende Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten abbauen helfen und die mit der Marktliberalisierung für den Verbraucher verbundenen Gefahren eindämmen. In Deutschland, aber nicht nur hier, strahlt bei der Umsetzung europäischer Richtlinien zum Schutze des Konsumenten europäisch inspiriertes Verbraucherschutzrecht in weitem Maße auch in die nationale, zivilrechtliche Großkodifikation hinein.142 Es etabliert und vermehrt sich ein Rechtsgemisch aus rein nationalen Regelungen und gemeinschaftsrechtlich Vorgeprägtem.143 Gerade im Hinblick auf die Schuldrechtsmodernisierung wird wohl jedem Juristen klar sein, wie weit das deutsche Zivilrecht bereits in Bewegung gekommen ist und welche weiterführenden Änderungen aus der gleichen, d.h. europäischen Richtung folgen könnten. Spätestens mit der vor dem Regelungsdruck des europäischen Rechts in Angriff genommenen Überarbeitung dieser Rechtsmasse ist „ein Hauch Europas (…) in die Zimmer jedes Richters, Anwalts und Rechtsgelehrten geweht und lässt eine weitergehende Europäisierung des deutschen Zivilrechts erahnen“.144 Die nationalen Zivilrechtskodifikationen, so auch das BGB haben durch die europäische 138
Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 72. Schwartz, FS von der Groeben (1980), S. 333 ff.; Everling, FS Pescatore (1987), S. 228 ff. 140 Ausführlich Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 73. 141 Dazu Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2. Aufl., 2009), Art. 153 Rn. 12; kritisch dazu Joerges, KJ 2008, 148 ff.; Scharpf, 40 Journal of Common Market Studies (2002), 645 ff. 142 Indem die viel zu lang vertagte Modernisierung des deutschen Schuld- und Verjährungsrechtes offiziell die Umsetzung der drei Richtlinien über den Verbrauchsgüterkauf, den E-Commerce und die Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Geschäftsverkehr zum Reformanlass genommen hat, wird jedem Anwender die Ernsthaftigkeit der Europäisierung des Schuldrechts klar, so zutreffend Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 273. 143 Engelhardt, Europäisches Verbrauchervertragsrecht im BGB (2001), S. 43 ff.; Seidel, Einflüsse des europäischen Rechts auf das deutsche Verbraucherschutzrecht (2001), S. 37. 144 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 274. 139
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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Rechtsangleichung ihren einstigen Stellenwert als sakrosanktes nationales „Kulturdenkmal“145 verloren.146 V. Kennzeichen des Problemimpulses Wie bereits an früherer Stelle angedeutet,147 liegt ein großes Defizit des EU-Verbraucherschutzrechts, das vielfältige (Umsetzung-)Probleme aufwirft, darin begründet, dass es auf europäischer Ebene bislang noch an einem einheitlichen Gesamtkonzept fehlt, was insbesondere dadurch kenntlich wird, dass alle Regelungen nur bereichsspezifisch ausgerichtet und wenig aufeinander abgestimmt sind.148 Die Gemeinschaft hat die durch die wirtschaftliche und technische Entwicklung bedingten Einzelprobleme im Bereich des Verbraucherschutzes hauptsächlich im Rahmen der Umsetzung des Binnenmarktprojektes aufgegriffen und somit nur bruchstückhafte Ausschnitte aus der Lebensrealität (des Verbrauchers) zum Anlass einer Regelung genommen.149 Die europäisch inspirierten Rechtsakte auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes bilden allesamt nur Abbilder verschiedener Problemimpulse150.151 Die Gemeinschaft betrieb und betreibt keine vorausplanende Regulierung zum Zwecke der Konfliktsverhütung.152 Die notwendige gesetzgeberische Aktion wird von einem um das andere Mal durch die bloße Reaktion verdrängt, welche sich dann auf eine nachträgliche Kontrolle und punktuelle Beseitigung neu aufgetretener Missstände beschränkt.153 Auch dies ist ein Merkmal, was die verbraucherschutzrechtlichen Regelungen verbindet, freilich in einem zunächst eher nachdenklich anmutenden Sinne. Es stellt insofern auch keine wirklich treffende Beschreibung der aktuellen Situation dar, wenn der bisherige Ansatz des Gemeinschaftsprivatrechts (zum 145
Metapher Flumes (ZIP 2000, 1427), hier von ihm gegen die Einpassung vorgebracht. Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 274. 147 Siehe dazu die Ausführungen im 1. Teil, 4. Kapitel A. 148 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 11; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545; vgl. auch Rittner, JZ 1995, 849, 851; Oehler, VuR 2006, 294, 295. 149 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 152; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 266; Oehler, VuR 2006, 294, 295. 150 Gilles, JA 1980, 1; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Damm, JZ 1978, 173, 175; Gärtner, JZ 1992, 72, 78 „punktuelle Regelungen“; Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 10 f. 151 Reich/Micklitz, Verbraucherrecht in der Bundesrepublik (1980), S. 13; Gilles, JA 1980, 1; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 3; Struck, JA 2004, 68. 152 Tröger, ZEuP 2003, 525 ff.; Gärtner, JZ 1992, 72, 78. 153 Kötz, RabelsZ 50 (1986), 1, 5; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 72; Tröger, ZEuP 2003, 525, 536; Gilles, JA 1980, 1; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545; Rittner, JZ 1995, 849, 851 spricht in diesem Zusammenhang von „europarechtlichen Inseln im nationalen Recht“. 146
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1. Teil: Grundlagen
Schutz des Verbrauchers) als „pointillistisch“154 bezeichnet wird, da den diese impressionistische Stilrichtung repräsentierenden Künstlern stets eine auf sehr exakte, detaillierte Studien zurückgehende Vorstellung von dem zu schaffenden Gesamtbild vorschwebte, bevor sie die ersten Farbtupfer setzten, was aber für die einem inkonsistenten Sammelsurium vergleichbaren Rechtsakte der Gemeinschaft auf dem Gebiet des (Verbraucher-)Privatrechts nicht konstatiert werden kann.155 Ein in sich stimmiges Gesamtkonzept für das Verbraucherprivatrecht i.S.e. umfassenden und ausgewogenen Interessenlösung lässt sich im Hinblick auf diese Regelungstendenz freilich nicht entwickeln. Das (noch?) bestehende methodische und konzeptionelle Defizit156 des EUVerbrauchersekundärrechts bleibt nun freilich nicht ohne Auswirkung auf die nationalen Rechtsordnungen, in die es zu implementieren ist. Häufig versuchen die nationalen Gesetzgeber, gerade solche mit Zivilrechtkodifikationen hohen Abstraktionsgrades und Systematik, über den Weg der überschießenden Umsetzung von Richtlinien, die sich ankündigenden bzw. bestehenden systematischen Verwerfungen abzumildern, was ihnen jedoch nicht immer gelingt. 157 1. Erste Ursache: Keine umfassende Regelungskompetenz der Gemeinschaft158 Dass den Rechtsakten der EU kein einheitliches Verbraucherschutzkonzept unterlegt ist, findet m.E. einen seiner tieferliegenden rechtlichen Gründe in dem primärrechtlich festgeschriebenen Grundsatz der beschränkten Einzelermächtigung sowie dem Subsidiaritätsprinzip159 und kann daher der Gemeinschaft und den von ihr geschaffenen Rechtsakten – sieht man von den rein handwerklich bedingten Defiziten einmal ab – auch nur eingeschränkt vorgehalten werden.160
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Kötz, RabelsZ 50 (1986), 1, 5; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 102. Tröger, ZEuP 2003, 525, 536; ähnlich Reichard, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 46. 156 Martinek, Überregulierung im europäischen Verbraucherschutzrecht, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 511, 512, spricht von einem gewucherten und hypotrophen Systemgeschwür; zum Problem der fehlenden Kohärenz vgl. auch Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 160: „ill-coordinated“; Rittner, DB 1996, 25, 26; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 266. 157 Zu diesem Problemkreis ausführlicher noch später im 1. Teil, Kapitel 7, E V 1. 158 Dazu auch Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 159 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 194. 160 Zum Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der begrenzten Einzelzuständigkeit auch in diesem Zusammenhang vgl. Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 156 ff.; Armbrüster, RabelsZ 60 (1996), 72, 77; Remien, ZfRV 1995, 121, 132; Mayer/Schürnbrand, JZ 2006, 545. 155
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a. Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit Von Anfang an war das Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit ein struktureller Grundsatz der Gemeinschaft.161 Denn die Gemeinschaftsorgane erfüllen nach dem Primärrecht die ihnen zugewiesenen Aufgaben „nach Maßgabe der Verträge“. Dies gilt auch für die Union insgesamt, vgl. Art. 2 EUV. Die Gemeinschaft darf insbesondere beim Erlass von Sekundärrechtsakten nur innerhalb der Grenzen der ihr zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig werden (Art. 5 II EUV).162 Die Kompetenzzuweisung nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelzuständigkeit umschreibt das Gegenteil zur Allzuständigkeit der Mitgliedstaaten, die anders als die Union auch die „Kompetenz-Kompetenz“ besitzen.163 b. Subsidiaritätsprinzip Das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 III EUV (Präambel, Art. 2 EUV) bedeutet eine Verschärfung des Einzelzuständigkeitsprinzips in bestimmten Fällen. Wenn eine nicht ausschließlich konkurrierende oder parallel/gemischte Gemeinschaftskompetenz vorliegt, darf diese von der EG nur dann ausgenutzt werden, wenn der „Subsidiaritätstest“ ergeben hat, dass die in Betracht gezogenen Maßnahmen wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.164 Das Subsidiaritätsprinzip verlangt kumulativ die Einhaltung dreier Voraussetzungen: Erstens muss die Maßnahme der Gemeinschaft notwendig sein, weil ihre Ziele nicht ausreichend auf der Ebene der Mitgliedstaaten erreicht werden können („Notwendigkeitstest“). Zweitens müssen die mit der Maßnahme verfolgten Ziele wegen des Umfangs oder der Wirkung der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können („Effizienztest“). Drittens muss zwischen der ersten und der zweiten Bedingung ein unmittelbarer Begründungszusammenhang bestehen.165 Der Unterschied zwischen dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und dem Subsidiaritätsgrundsatz (i.e.S.) liegt darin, dass es im ersten Fall um eine Zuweisung der Kompetenz geht, im zweiten Fall hingegen um eine Ausübung der (zuvor zugewiesenen) Kompetenz.166 Auch aus der Konzeption der Kompetenzzuweisung 161 Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 ff.; Tröger, ZEuP 2003, 525 ff.; Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 684; Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 80; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 370 f. 162 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 158. 163 Tröger, ZEuP 2003, 525 ff.; Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 684; Pieper, Subsidiarität, Ein Beitrag zur Begrenzung der Gemeinschaftskompetenzen (1994), S. 184 f. 164 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 12; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 9; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 159. 165 Ebenda. 166 Bleckmann, DVBl. 1992, 335 ff.; Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 675.
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1. Teil: Grundlagen
folgt aber – ebenso wie aus der Kompetenzausübung – eine widerlegliche Vermutung dafür, dass sie in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten ist.167 Art. 169 AEUV bietet – das ist in diesem Zusammenhang entscheidend – leider noch keine wirkliche Legitimationsgrundlage für ein eigenständiges, vom Binnenmarktprojekt (vgl. Art. 114 AEUV) gelöstes, europäisch inspiriertes Verbraucherschutzrecht.168 Der AEUV lässt den Verbraucherschutz mit anderen Prinzipien kollidieren und die Kollision ist im Wege der Einzelfallabwägung zu lösen, wobei er nach der gegenwärtigen primärrechtlichen Ausformung eine Stütze des Binnenmarktprojektes ausmacht und insofern diesem zu dienen bestimmt ist.169 Rechtspoltisch wäre eine solche, vom Binnenmarktprojekt auch legitimatorisch emanzipierte europäische Verbraucherschutzkonzeption aber natürlich wünschenswert. Und dies nicht nur wegen der Möglichkeit der Herausbildung eines homogenen, in sich kohärenten Regelungsclusters, sondern auch, weil gerade über die Etablierung eines einheitlichen, in sich gebündelten europäischen Konsumentenschutzrechtes die notwendige soziale Integration170 innerhalb der EU befördert würde. Dazu müsste sich die EU freilich viel stärker als bisher ihrer sozialen Verantwortung stellen, was sich auch darin niederschlagen müsste, dass die primärrechtlichen Kompetenzen der Gemeinschaft bezüglich des (sozialen) Verbraucherschutzes erweitert würden.171 Ob es hierzu kommen wird, ist eine rechtspolitische Frage, die auch damit zusammenhängt, inwieweit es den Mitgliedstaaten opportun172 erscheint, weitere Regelungskompetenzen im Bereich des Verbraucherschutzes auf die EU zu übertragen. 2. Zweite Ursache: Notwendigkeit einer gewissen „Rechtsmasse“ Als überraschend in Bezug auf die Sichtung des gegenwärtigen Verbraucherschutzrechtes könnte es nun (gerade im Hinblick auf die eben dargestellte fehlende Ermächtigung der EU zur Etablierung eines umfassenden, über das Bin167 Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 675; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 12; Grub, in: Lenz/Borchard (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 9. 168 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 194. 169 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 38. 170 Joerges, KJ 2008, 148, 150 ff.; Scharpf, 40 Journal of Common Market Studies (2002), 645 ff. 171 Die künftige Tragweite des Art. 153 EGV für das private Verbraucherschutzrecht lässt sich noch nicht absehen, siehe dazu Gebauer/Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 11; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999), S. 101. 172 Dazu, dass ein Gemeinwesen nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf sozialer Integration aufbauen muss vgl. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1973); ders., Rekonstruktion des Historischen Materialismus (1976).
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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nenmarktziel hinausgehenden, in sich kohärenten Verbraucherschutzrechtes) empfunden werden, dass Deutschland als Mitgliedstaat vielfach selbst verbraucherschutzrechtliche Fragestellungen nur problemimpulshaft angeht, obwohl doch eigentlich zunächst eine umfassende Regelungskompetenz besteht. Auch in Deutschland werden verbraucherschützende Gesetze in vielen Fällen nur als „Reaktion“ auf konkrete Problemanlasssituationen erlassen. Und selbst dann hinkt die Legislative oft noch der Judikative hinterher,173 die durch verschiedene verbraucherschützende Entscheidungen gerade auch in Anwendung der Generalklauseln (§§ 242, 138 BGB) Maßstäbe gesetzt hat, welche in vielen Fällen bei der Herausbildung originären deutschen Verbraucherschutzrechts nur noch durch den Gesetzgeber adaptiert werden.174 Dieser Befund lenkt den Blick auf einen jeder modernen Rechtsmaterie anhaftenden Aspekt, der neben eventuellen kompetenzrechtlichen Problemen (die auf EU-Ebene sicher bestehen)175 immer „mitläuft“. Er macht deutlich, dass Verbraucherschutzrecht wie jedes Rechtsgebiet, das im Entstehen begriffen ist, zunächst der Entwicklung einer gewissen Rechtsmasse, die sich an konkret aufgetretenen Problemlagen ausrichtet (woran auch sonst?), bedarf, bis aus dem vorhandenen Bestand, egal auf welcher Ebene, der des Nationalstaates oder einer supranationalen Instanz wie der der EU, eine Konsolidierung i.S.d. Herstellung einer inneren und äußeren Kohärenz176 eintreten kann (und muss). Recht wächst phänotypisch organisch.177 So gesehen handelt es sich bei der schrittweisen Generierung des Verbraucherschutzrechtes aus sukzessiv, d.h. problemimpulshaft erlassenen Sonderregelungen auch um keine wirklich eigentümliche Entwicklungstendenz, die nur dem Verbraucherschutzrecht anhaftet. Sie fällt nur deshalb beim Verbraucherschutzrecht besonders auf, weil der bisherige zivilrechtliche Rechtsbestand – jedenfalls in Deutschland – bereits in der Vergangenheit in besonders hohem Maße konsolidiert wurde.
173 Zur Tendenz der Verlagerung der Regelungsverantwortung auf die Legislative und des dadurch bedingten Fehlens eines systematischen Ansatzes vgl. Oehler, VuR 2006, 294, 295 f. 174 Da politische Entscheidungsprozesse im Bereich des Verbraucherschutzes den tatsächlichen Entwicklungen oft hinterherhinken, stellt sich natürlich auch die grundsätzliche Frage, ob Verbraucherinteressen auf diesem Wege effektiv zur Geltung verholfen werden kann. Die ökonomische Theorie der Politik (Ahrns/Feser, Wirtschaftspolitik [1982], S. 6 ff.) stellt die These auf, dass Politiker nicht primär nach gesellschaftlicher Wohlfahrt trachten, sondern danach, Wählerstimmen zu maximieren; vgl. zum Ganzen auch Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 6 Fn. 53. 175 Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625. 176 Zu diesem Anspruch des neuen EU Verbraucherrechts siehe Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 16. 177 Selbst die Verfasser des BGB konnten auf das vorher gewachsene Recht zurückgreifen und mussten es im Zuge der Neuordnung nur ergänzen.
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1. Teil: Grundlagen
VI. Kennzeichen der überschießenden Umsetzung Wie bereits angeklungen ist, versuchen einige nationale Gesetzgeber178 bei der Umsetzung der eingangs beschriebenen europäisch bedingten Problem-ImpulsVorgaben, das Defizit der dem Sekundärrecht anhaftenden fehlenden rechtssystematischen Durchdringung dadurch zu mindern, dass sie über ihr beschränktes Regelungsgebot hinausgehen und die Richtlinienvorgaben in „überschießender Weise“ umsetzen, um die Konsistenz ihres nationalen Rechts bei der Transformation und für die spätere Handhabung so weit als möglich aufrecht zu erhalten. 1. Sinn und Zweck der überschießenden Umsetzung im Allgemeinen Häufig kann nur auf dem Wege der überschießenden Umsetzung eine irritationsfreie Einbindung der Richtlinien in das nationale Recht stattfinden.179 Der Hintergrund hierfür ist, dass es bei der Transformation der Richtlinien in keinem Fall nur zu einer Addition und übersichtlichen Darstellung sowie Gliederung von neuen rechtlichen Vorgaben in das vorhandene „äußere“ nationale Rechtssystem kommt (und kommen kann), das auf diese Weise modifiziert wird. Die Addition einer neuen Rechtsmasse zur alten bedingt notwendigerweise auch Änderungen des bestehenden inneren Systems, d.h. des Zusammenspiels der die Einzelvorschriften bestimmenden Grundsätze, ihrer Reichweite und wechselseitigen Beschränkungen. Dies führt zu Abstimmungsnotwendigkeit im Hinblick auf die Gewährleistung eines insgesamt in sich stimmigen Rechtsgebildes. Das Postulat der äußeren wie inneren Abstimmung und der darauf beruhenden Neujustierung des betroffenen Rechtsbereiches ergibt sich dabei nicht lediglich aus einem juristisch-ästhetischen Grundansatz der kodifizierten Rechtsordnung, sondern vornehmlich aus dem ihr innewohnenden Gebot der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit.180
178 Weder in Griechenland noch in Österreich beschränkte man sich etwa auf die bloße Umsetzung der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf, sondern sah zur Wahrung der Systemgerechtigkeit Bedarf für eine aus europäischer Sicht überobligationsmäßige Anpassung der allgemeinen Kaufrechtsordnung. In einigen anderen Ländern mit „modernen“ Kaufrechten wie z.B. dem 7. Buch des niederländischen Burgerlijk Wetboek und dem schwedischen Köplagen konnte sich der Gesetzgeber nur deshalb ruhigen Gewissens zurücklehnen, ohne die Bürde der grundlegenden Neujustierung zu tragen, weil sich diese jungen Kaufrechtsordnungen ebenso wie die Richtlinie am Vorbild der CISG orientieren, sodass naturgemäß geringerer Abstimmungsbedarf bestand, zum Ganzen Tröger, ZEuP 2003, 525, 527 ff. 179 Tröger, ZEuP 2003, 525 ff. 180 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (2. Aufl., 1983), S. 40 ff.; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 31 ff.; ders., Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 16; Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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2. Relevanz für die „hochgezüchtete“ deutsche Zivilrechtskodifikation Die Schwierigkeit der Aufgabe, die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung zu wahren,181 steigt freilich erheblich mit dem Grad der erreichten Systematisierung und Geschlossenheit des vorhandenen Normbestandes. Es ist deshalb plausibel, dass sich gerade in einem relativ geschlossenen Normenumfeld das „Störungspotential“ des Sekundärrechts stark erhöht. So kommt es nicht von ungefähr, dass sich gerade der deutsche Gesetzgeber mit seiner „hochgezüchteten“ Zivilrechtskodifikation182 oft genötigt sieht, das Mittel der überschießenden Umsetzung anzuwenden, um die europäischen Vorgaben in seine nationale Systematik so einzupassen, dass innere und äußere Verwerfungen so gering wie möglich gehalten werden.183 3. Systembedingtheit von Friktionen Die überschießende Umsetzung von Richtlinienvorgaben ist damit ein sehr häufig auftretendes, in kodifikatorischen Rechtsordnungen geradezu systembedingtes Kennzeichen184 europäisch inspirierter Verbraucherschutzvorschriften. Denn schon die Koexistenz unterschiedlicher Ansätze, dem punktuell-problemorientierten Ansatz des Gemeinschaftsrechts einerseits und dem grundsätzlich systematisch-umfassenden nationalen Kodifikationsansatz, führt fast zwangsläufig zu Friktionen,185 da der nationale Gesetzgeber entweder aus Gründen der Systemwahrung seiner Umsetzungspflicht mit entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Konsequenzen nicht nachkommt oder aber zur Sicherstellung der Europarechtskonformität Brüche im System der nationalen Kodifikation hinnehmen müsste, die zu spürbaren Funktionsverlusten der betroffenen Rechtsordnung führen könnten. Ersteres ist schon wegen gemeinschaftsrechtlicher sanktionsbewährter Pflichten nicht möglich, daher bleibt nur der Weg der widerspruchslosen Einpassung durch modifizierte, auf Grund des Mindeststandardprinzips186 ermöglichte überschießende Umsetzung. 181 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 16; Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 182 Zu diesem Befund vgl. Flessner, JZ 2002, 14, 16. 183 Tröger, ZEuP 2003, 525 ff.; Hommelhoff, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 889, 914; Habersack/Mayer, JZ 1999, 913, 914; Schulze, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Auslegung des europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts (1999), S. 9, 17; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545; Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 847, 880; Schnorbusch, RabelsZ 65 (2001), 654, 669. 184 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 52 ff.; Tröger, ZEuP 2003, 525, 528: „strukturell bedingte Verwerfungen“. 185 Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 228; vgl. auch Tröger, a.a.O. 186 Zum Inhalt des Mindeststandardprinzips und seiner „Gefahrdung“ auf europäischer Ebene durch aktuelle Rechtsentwicklungen vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel, E V; vgl. auch Tröger, a.a.O.
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1. Teil: Grundlagen
VII. Zivilrecht auf dem Weg zu einem neuen, sozialen Grundkonzept? Das Verbraucherschutzrecht ist aber daneben auch durch eine Tendenz der Materialisierung des Zivilrechts gekennzeichnet. Der dem sozialen, d.h. rollensoziologisch motivierten Verbraucherschutzkonzept innewohnende generalisierende Anspruch, der darin zum Ausdruck kommt, dass im Verhältnis Verbraucher/ Unternehmer stets eine Störung der Parität zu erwarten ist,187 die zu einer rechtlichen Kompensation drängt, ist im geltenden deutschen Zivilrecht gerade auf Grund der verbleibenden Regelungslücken freilich noch nicht vollkommen zum Durchbruch gelangt. Allumfassende, alle Regelungsbereiche durchziehende Sonderanknüpfungen an §§ 13, 14 BGB fehlen noch. Es existieren aber immerhin (unstrittig) bereichsspezifisch wirksame Vorschriften, die im Verhältnis Verbraucher/Unternehmer etwas Besonderes vorsehen. 1. Verbraucherschutzrecht als Materialisierungsantrieb des gesamten Zivilrechts? Ein originär soziales/rollensoziologisches Element,188 das für eine „materiale“ Neuausrichtung des gesamten Zivilrechts als Impulsgeber fungieren könnte,189 lässt sich im Hinblick auf den aktuellen Bestand des deutschen190 Zivilrechts191 jedoch ggf. über einen Kunstgriff begründen, bei dem auf das äußere System zum inneren geschlossen wird. Die Herleitung gelingt nur, wenn es möglich ist, aus den bislang nur sektoral angelegten Einzelregelungen zum Schutz des Verbrauchers ein einheitliches Rechtsprinzip192 zu induzieren.193 187
Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 713. Kritisch dazu mit dem Hinweis auf die „systemsprengende Kraft“: F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141: „stellt Privatrechtsordnung in Frage“; Schubel, JZ 2001, 1113; Roth, JZ 2001, 480. 189 Vorsichtig in diese Richtung neigend Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 266 ff.; eher euphorisch MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 1; so schon seit langem Wilhelmsson, JCP 13 (1990), 1 ff.; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979), S. 38 ff.; für eine Materialisierung des europäischen Vertragsrechts eintretend Roppo, ERCL 2009, 304 ff. 190 Für das europäische Zivilrecht gestaltet sich eine soziale Fundierung wegen seiner geringeren Regelungsdichte noch viel schwieriger. Trotzdem gibt es Versuche, die auch hier in eine soziale Deutung münden, vgl. dazu etwa Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004). 191 Zum Parallelproblem der wechselseitigen Annäherung von Bürgerlichem Recht und Arbeitsrecht vgl. Hönn, ZfA 2003, 325, 355 f. 192 Vgl. dazu Rösler, Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 264. 193 Vgl. dazu meine Ausführungen im 3. Teil. Siehe dazu ferner Gärtner, JZ 1992, 72, 73: „Fraglich ist, inwieweit sich die verstreuten verbraucherrechtlichen Normen auf übergreifende rechtspolitische Zielvorstellungen zurückführen lassen, etwa auf den Schutz des Schwächeren“; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), wirft nur den Gedanken auf, entwickelt und fundiert ihn aber nicht methodisch; in ähnlicher 188
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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Ob dies möglich ist oder nicht, hängt freilich von einer wertenden Betrachtung ab, die auch auf die möglichen Folgen194 einer solchen Deutung eingehen muss. Sie wird am Ende der Untersuchung, im dritten Teil, nach der umfassenden Gesamtschau des vorhandenen Verbraucherschutzrechts, das die notwendige Abwägungsmasse darstellt, die erst „gesichtet“ werden muss, erfolgen. Notwendig determiniert wird die anzustellende Wertung von einer Analyse der derzeitigen Regelungsdichte und -technik195 des deutschen Verbraucherschutzrechts196 sowie von einer etwaig auszumachenden Regelungstendenz, die zu der Schlussfolgerung Anlass geben könnte, dass die Herausbildung eines Verbraucherschutzprinzips als Ausfluss des Schwächerenschutzes auch „im Trend der Zeit“ liegt.197 a. Die Regelungsdichte Was verbirgt sich nun aber hinter dem Schlagwort „Analyse der Normendichte“? In der Vergangenheit wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur verschiedentlich in Abrede gestellt, dass es im deutschen Recht so etwas wie ein allgemeines Rechtsprinzip zum Schutz des Verbrauchers gibt.198 Dabei rekurrierte man überwiegend auf die „fehlende Breitflächigkeit“ des bestehenden Normensystems zur Protektion von Verbraucherinteressen. Mangels dieser, so die Auffassung, lasse sich kein allgemeines Rechtsprinzip herleiten. Mittlerweile hat sich diese Situation aber (dank der regen Tätigkeit des Gesetzgebers) geändert. Im zweiten Teil der Arbeit wird daher darzustellen sein, wie viele Bereiche des Rechts bereits von verbraucherspezifischen Regelungen besetzt sind, und in welchem quantitativen Verhältnis sie zu den sie modifizierenden allgemeinen Regelungen stehen.199 Der Gedanke, der die Analyse des Regelungsstandes trägt, liegt dabei auf der Hand: Gerade dann, wenn eine sehr große Regelungsdichte ausgemacht wird, Weise den Gedanken aufwerfend, ihn aber nicht rechtsmethodisch entwickelnd: Westermann, Verbraucherschutz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band III, (1983), 1–122; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981); Hart/ Köck, ZRP 1991, 61 ff.; ausdrücklich ablehnend, Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff., 228; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff. 194 Zur Rechtsfortbildung über Prinzipien vgl. die Ausführungen im 3. Teil A II. 195 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 15 ff. 196 K. Schmidt, BB 2005, 837 ff. 197 Wilhelmsson, ELJ 2004, 713 ff.; Damm, FS Reich (1997), S. 129, 131. 198 Siehe dazu ferner Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1984), S. 16, 141 ff.; hinterfragend aber letztlich nicht beantwortend, obwohl dem Verbraucherrecht positiv gegenüberstehend, K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976). 199 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 267: „Multiplikatorwirkung der peu à peu etablierten Vorschriften“.
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1. Teil: Grundlagen
fällt es eher schwer zu behaupten, dass es sich beim Erlass von verbraucherschützenden Bestimmungen wirklich noch um lose, nebeneinander stehende, bereichsspezifische Ausnahmeregelungen handelt. Die derzeitige Regelungsdichte ist also ein wichtiger Indikator dafür, ob es um weit mehr geht; etwa um viele kleine Bausteine, in denen allesamt soziales, d.h. rollensoziologisches Gedankengut inkorporiert wurde, das mit einer gewissen Tendenz zur Verdichtung und Verallgemeinerbarkeit auch auf das gesamte Zivilrecht ausstrahlt.200 b. Die Regelungstechnik Neben der Regelungsdichte ist die Regelungstechnik von ausschlaggebender Bedeutung. Denn nicht nur die Anzahl der in eine inhaltliche Richtung weisenden Sondervorschriften deutet auf ein allgemeines Rechtsprinzip hin; wichtig ist auch ihre „äußere Vernetzung“.201 Es kommt also zudem darauf an, wo, in welcher Weise, d.h. in welchem Grad innerlich verschränkt, der Gesetzgeber die vorhandenen Sondernormen zum Schutz des Verbrauchers geregelt hat. Hierbei sind zwei Wertungsgesichtspunkte ausschlaggebend: Bereits deutlich herausgestellt wurde, dass es im deutschen Zivilrecht mit der Inkorporierung des Verbraucherschutzrechts in das BGB zu einer regelungstechnischen Trendwende202 kam und dass dem Standort einer Regelung immer zugleich eine gewisse Indizwirkung für ihren Stellenwert zukommt.203 Bekanntermaßen hat der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsreform die in der großen Mehrzahl außerhalb des BGB verorteten Bestimmungen des Verbraucherpri200 Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 13: „Verbraucherrecht betrifft schon wegen des sich ständig ausweitenden Teils der rechtlichen Steuerung von Produktion und Distribution nicht mehr einen Teil des Rechts, der im Verhältnis zum übrigen Privatrecht als systemfremd angesehen werden kann, weil es in seiner Ausweitung das Privatrecht insgesamt verändert.“ 201 Zum Zusammenspiel von innerem und äußerem System vgl. die grundlegende Arbeit von Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 139 ff. 202 Die lange vorherrschende Tendenz der Ausgliederung ausgerechnet von „sozialen Schwerfeldern“ des Privatrechts in Sondergebiete hatte in Deutschland eine lange Tradition. Sie hatte im Grunde genommen schon mit dem Abzahlungsgesetz von 1894 begonnen. Dieser Trend, die politisch und sozial brisanten Regelungsmaterien aus dem allgemeinen Privatrecht herauszuhalten, setzte sich dann fort in der Herausbildung eines eigenständigen Arbeitsrechts, des Wohnungszwangswirtschaftsrechts und der späteren sozialen Mieterschutzrechte, siehe zu diesem Problemkreis Gilles, JA 1980, 1, 4; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Damm, JZ 1978, 173 ff.; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 9 ff.; Kübler, JZ 1969, 645 ff.; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung (1978), S. 88 ff. 203 Zur Symptomatik und dem Stellenwert der früheren Verbannung des Verbraucherprivatrechts in Sondergesetze außerhalb des im wesentlichen durch die Großkodifikation bestimmten Privatrechtssystems vgl. Damm, JZ 1978, 173; Gilles, JA 1980, 1, 2; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 266 ff.; Hönn, ZfA 2003, 325, 353 f.; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 227.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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vatrechts fast gänzlich ins BGB überführt. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden nicht nur die materiell-rechtlichen Vorschriften des AGBGesetzes, sondern zugleich auch das HWiG, das FernAbsG, das TzWrG und das VerbrKrG ins BGB übernommen. Wenngleich die Integration dieser Gesetze primär zu dem Zweck geschah, der vorhergehenden Rechtszersplitterung unter Rechtssicherheits- und Transparenzgesichtspunkten Einhalt zu gebieten, um die zunehmende Erosion des Privatrechts des BGB abzuwenden,204 haben die Vorschriften des Verbraucherprivatrechts dadurch doch automatisch zugleich eine gewisse Aufwertung erfahren.205 Denn sie wurden den in der Großkodifikation vorzufindenden allgemeinen Regelungen und Prinzipien des Privatrechts dicht an die Seite gestellt.206 Diesen Befund stützt auch die amtliche Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, in der es heißt, die Integration der Sonderweisen in das BGB sei notwendig gewesen, weil der Vertrag zwischen dem Verbraucher eine typische Erscheinungsform des schuldrechtlichen Vertrages sei.207 Außerdem sei, so die Begründung weiter, der Verbraucherschutz seit vielen Jahren ein schuldrechtsimmanenter Schutzgedanke, der schon seit längerem Eingang in das BGB gefunden habe.208 Es liegt nun aber auf der Hand, dass der beschriebene Regelungstrend nicht ohne inhaltlich-normative Rückwirkungen auf das übrige, in der Großkodifikation enthaltene Zivilrecht bleibt. Die Neuverortung des Verbraucherschutzrechtes im BGB deutet jedenfalls darauf hin, dass der Verbraucherschutz nicht 204 BT-Drucks.: „… es ist auch im Schuldrecht an der Zeit, die das BGB immer mehr überwuchernden schuldrechtlichen Sondergesetze zu sichten und ihren dauerhaften Bestand in das BGB zu integrieren“; vgl. dazu auch Hönn, ZfA 2003, 325, 353. 205 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), Vor. §§ 305 Rn. 3; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 1; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 270. 206 Bemerkenswert und aufschlussreich sind insofern die Argumente gewesen, die zuvor für eine Verortung der verbraucherschützenden Gesetze außerhalb des BGB vorgebracht wurden. So berief man sich einerseits auf kodifikationstechnisch formale Gründe und andererseits darauf, dass die Eingliederung der neuen Rechtsmaterie in das BGB dessen „systematischer Einheit“ beeinträchtige oder angesichts der Spezifika und Perfektionismen der Sondergesetze die Allgemeinheit der Regelungen des BGB störe, seiner Ästhetik, Übersichtlichkeit etc. zum Nachteil gereiche. Von inhaltlicher Art geprägt sind dagegen die Argumente, die sich auf die erleichterte politische Durchsetzbarkeit, den Experimentiercharakter der Vorschriften usw. beziehen. Auf den eigentlichen hochpolitischen Kern der Auseinandersetzung zielten jene Einwände, die bei der Aufnahme der neuen Verbraucherrechtsmaterien in das BGB Gefahren für dessen inhaltliche Einheit und seine individualistisch-liberale Konzeption heraufbeschworen und hinter einer solchen Maßnahme eine partielle Abkehr von überkommenen bürgerlich-rechtlichen Grundprinzipien oder eine „stille Reform des bürgerlichen Vermögensrechts“ in Richtung einer Sozialisierung vermuteten oder schlicht befürchteten. Zum Ganzen siehe Damm, JZ 1978, 173, 174 f.; Gilles, JA 1980, 1, 4 f.; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Westermann, AcP 178 (1978), 150 ff. 207 BT-Drucks. 14/6040, S. 91. 208 BT-Drucks. 14/6040, S. 91.
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1. Teil: Grundlagen
(mehr) als „juristische Eintagsfliege“ betrachtet werden kann, weil gerade die Zentralkodifikation „idealtypisch auf die Zusammenfassung des dauerhaft Gültigen“ 209 und Wesentlichen zielt und dass vor diesem Hintergrund auch ein Wertungsaustausch mit dem übrigen Zivilrecht vonstatten geht. Parallel zur Verortung der verbraucherrechtlichen Sonderbestimmung ist ein zweiter Aspekt entscheidend, nämlich der der regelungstechnischen Allgemeinheit der in §§ 13, 14 BGB etablierten Normen, die bereits durch die Kodifizierung im Allgemeinen Teil deutlich wird. Hierdurch werden (potentiell) für alle Bereiche des allgemeinen und besonderen Schuldrechts „Andockregelungen“ geschaffen, wobei, wie bereits gezeigt wurde,210 die Allgemeinheit der in §§ 13, 14 BGB getroffenen Regelungen selbst wiederum nur rollensoziologisch erklärlich ist. c. Verbraucherschutz im Trend einer generellen Materialisierungstendenz Unabhängig davon, was die Auswertung der Regelungsdichte und Regelungstechnik in wertender Betrachtungsweise an Ergebnissen hervorbringt, die vollends erst im 2. Teil erfolgt, ist klar, dass sich das BGB, d.h. das klassische Zivilrecht – jedenfalls was die Auslegung und Anwendung seiner Regelungen anbetrifft – schon viele Jahre vor der Etablierung und regelungstechnischen Aufwertung der verbraucherschutzrechtlichen Sondermaterien gewandelt hat. Dafür sorgte insbesondere die Rechtsprechung,211 die in dem Bestreben, zu einer materialisierten Betrachtung der Rechtsbeziehungen der Vertragspartner zu gelangen, von der Rechtswissenschaft 212 unterstützt wurde.213 Im Zuge der Anwendung des BGB sind Jurisprudenz und Rechtslehre nämlich nicht bei dem einstigen „Sozialmodell“ 214 der bürgerlichen Zentralkodifikation stehen geblieben.215 Rechtsprechung und Lehre haben vielmehr – im Wege einer „stillen Umwälzung des Privatrechts“ 216 – an die Stelle der formalen Freiheitsethik eine materielle Ethik so209
Pfeiffer, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 481, 490. 210 1. Teil, 5. Kapitel A III 1 a. 211 Vgl. etwa BVerfGE 89, 214 ff. 212 Wilhelmsson, ELJ 2004, 712 ff.; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970); Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982). 213 Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 253. 214 Vgl. zum Begriff: Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Gesetzesbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 16 ff. In ideologiekritischer Absicht hatte O. Kahn-Freud schon 1931 das „Sozialideal“ des Reichsarbeitsgerichts untersucht (O. Kahn-Freund, Das soziale Ideal des Reichsarbeitsgerichts, in: Th. Ramm [Hrsg.], Arbeitsrecht und Politik [1966], 149 ff.). In deskriptiver Absicht hatte Wieacker zwei Jahrzehnte später den äquivalenten Begriff des Sozialmodells eingeführt, als er aus den klassischen Gesetzbüchern des Privatrechts das liberale Rechtsparadigma entzifferte. 215 Mit dem Ausdruck Sozialmodell ist dabei das implizierte Bild von der eigenen Gesellschaft gemeint, das der Praxis der Rechtsdurchsetzung und Rechtsanwendung eine Perspektive bzw. eine Orientierung gibt, so Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 468 216 Westermann, AcP 1978 (178), 150, 156; Kübler, FS Raiser (1974), S. 697, 707.
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zialer Verantwortung gesetzt, die auch den faktischen Ungleichgewichtslagen der Verhandlungspartner Rechnung trug/trägt.217 Erklären lässt sich diese Veränderung im Privatrecht durch ein gewandeltes rechtsparadigmatisches Vorverständnis218 der Privatautonomie: Man ist zunehmend dazu übergegangen anzuerkennen, dass der Marktmechanismus nicht in der Art funktioniert, wie es im liberalen Rechtsmodell219 unterstellt wird. Deshalb kann das Prinzip rechtlicher Freiheit nur auf dem Weg der Materialisierung220 bestehender Rechte und durch die Schaffung neuer Rechtsnormen, die den faktischen Ungleichgewichtslagen Rechnung tragen, durchgesetzt werden.221 Dabei ist die Einbeziehung faktischer Asymmetrien – auch im allgemeinen Zivilrecht – nicht als konstruktivistische Korrektur ökonomischer Freiheitsräume zu verstehen, „sondern umgekehrt als Beitrag zur Garantie privater Autonomie“222. Die allgemein im Zivilrecht, d.h. selbst im „klassischen“ Bürgerlichen Recht, anzutreffende Materialisierungstendenz kann dazu herangezogen werden, deutlich zu machen, dass die Herausbildung einer materialisierten Betrachtung der Verbraucher-Unternehmer-Beziehung i.S.e. allgemeinen Schutzprinzips ihrerseits nur ein besonderes Spielbein des sich immer stärker durchsetzenden Gedankens der Notwendigkeit des Schutzes des Schwächeren ist. Wie sich dieser Gedanke entwickelt hat, wie er regelungstechnisch umgesetzt wird und wie weit er gediehen ist, sollen die folgenden Passagen aufzeigen. aa. Zivilrechtliche Generalklauseln als Einfallstore der Umwälzung Für die „stille Umwälzung des Privatrechts“ i.S.e. anderen Handhabung althergebrachter Vorschriften wurden und werden von der Rechtsprechung und der Literatur vor allem die zivilrechtlichen Generalklauseln (§§ 138, 134, 123, 242 BGB) 217 Wilhelmsson, ELJ 2004, 712 ff.; Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherberatung (1988), S. 12. 218 Man interpretiert allgemeinhin Normsätze nicht nur aus dem Kontext des Rechtskorpus heraus, sondern aus dem Horizont eines jeweils leitenden Vorverständnisses der zeitgenössischen Gesellschaft. Insofern ist die Interpretation des Rechts auch eine Antwort auf die Herausforderungen einer in bestimmter Weise wahrgenommenen gesellschaftlichen Situation, siehe dazu Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 468; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 33. Dabei ist der Streit um das „richtige“ Vorverständnis im Kern ein politischer Streit; vgl. dazu auch Wilhelmsson, ELJ 2004, 712 ff. 219 Vgl. dazu Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf (1933); Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz. Über die Grenzen von Staat, Gesellschaft und Privatautonomie (1978; 2. Aufl., 1984); Rittner, AcP 180 (1980), 392 ff.; Biedenkopf, FS Böhm (1965), S. 113 ff.; Mayer-Maly, FS Merkl (1970), S. 247 ff.; v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I– III (1980–1981). 220 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 320 ff.; Geiß, FS zum 50–jährigen Bestehen des BGH (2000), Bd. I, S. 199, 207 f. spricht in seinem Geleitwort von der Aufgabe der Judikatur, Spannungen zwischen Norm und Rechtswirklichkeit unter Wahrung der Rechtseinheit zu bewältigen. 221 Damm, FS Reich (1997), S. 129, 131. 222 Damm, ebenda; vgl. auch Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie (2001).
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1. Teil: Grundlagen
instrumentalisiert.223 Diese boten von Anfang an die Möglichkeit einer Verfahrens- und Inhaltskontrolle im Falle des Vorliegens einer Disparität. Ihre Lückenfüllungs- und Anpassungsfunktion für das Recht wird dadurch legitimiert, dass kein Gesetzgeber in der Lage ist, alle einen Sachverhalt prägenden Motive, Interessen und Sachzwänge durch bis ins Detail kodifizierte Regelungen unter Einbringung deskriptiver Merkmale zu berücksichtigen.224 Insbesondere dadurch, dass Generalklauseln keine bloße Subsumtion unter feststehende Tatbestandsmerkmale ermöglichen, sondern in weitem Maße Wertungen erfordern, geht es in der Sache bei der Rechtsanwendung durch die Gerichte häufig um Rechtssetzung,225 die neue Entwicklungen in der Gesellschaft aufgreift.226 Bereits der bewusste Verzicht des Gesetzgebers auf eine (vollständige) Konkretisierung der unbestimmten Tatbestandsmerkmale beinhaltet eine inzidente Delegation der Rechtssetzungsbefugnis auf die Gerichte, wenngleich der Gesetzgeber den Entwicklungsprozess im steten Auge hat und haben muss.227 Die Gerichte sind im Hinblick auf die Generalklauseln befugt, Konkretisierungen vorzunehmen und sie dadurch für die Praxis erst handhabbar zu machen. Diese Befugnis birgt freilich in einem auf Kodifikation ausgelegten Rechtssystem sowohl Chancen als auch Risiken:228 Zum einen wird dem Richter ein Stück „offen gelassener Gesetzgebung“ überantwortet,229 die Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht und der Einbindung sozial-ethischer Wertungen im Hinblick auf die notwendige Fortbildung des Rechtes dienlich ist. Zum anderen birgt jedes Richterrecht das Risiko des Einbruchs irrationaler, rein subjektiver Wertungen, denen es vorzubeugen gilt. Gerade die Einbeziehung sozial-ethischer Wertungen 230 ermöglicht aber auch die notwendige Anpassung des Rechts an gesellschaftliche Veränderungen.231 Zwar ist der Wortlaut der §§ 242, 138, 826 BGB seit Beginn der Aufnahme ins 223
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 325; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 62; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 164. 224 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 282; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 148; MüKo/Roth (4. Aufl., 2003), § 242 Rn. 27. 225 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1999), S. 63; Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 104 Rn. 3: „Vermischung der Kompetenzen von Legislative und Judikative ist (hier) unter dem Aspekt der Gewaltenteilung unbedenklich“; siehe auch BVerfGE 32, 311, 317. 226 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 174, weist zutreffend darauf hin, dass die Rechtsprechung der Kodifikation Gedanken entnimmt, die kein Gesetzgeber dort „hineingelegt“ hat. Sie lässt damit die zeitideologischen Grundlagen eines Textes in dem Maße beiseite, in dem sie veralten. 227 BaRoth/Grüneberg-Sutschet (2. Aufl., 2007), § 242 Rn. 2. 228 MüKo/Roth (4. Aufl., 2001), § 242 Rn. 27; Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 103 Rn. 2: „Glanz und Elend der Generalklauseln“; grundlegend Weber, AcP 192 (1992), 516 ff. 229 Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln (1933), Weber, JuS 1992, 631, 633: „Freifahrtsscheine“. 230 MüKo/Roth (4. Aufl., 2003), § 242 Rn. 11; PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 242 Rn. 12. 231 Basedow, AcP 200 (2000), 445, 471.
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BGB im Wesentlichen gleich geblieben, in Bezug auf Inhalt und Bedeutung haben die Generalklauseln aber verschiedene „Entwicklungsstufen“ durchlaufen.232 In einer mehr als 100–jährigen Entwicklung ist der Inhalt der Regelungen durch das Herausarbeiten von Funktionskreisen und zugehörigen Fallgruppen auf der Grundlage von Präjudizien näher präzisiert worden. Die zur Entstehung eines richterlichen Rechtssatzes führende Rechtsbildung vollzieht sich im Rahmen des notwendigen Ausfüllungs- und Verdichtungsprozesses dabei stets im Zusammenhang mit der Entscheidung eines konkreten Falles. Rechtsbildung und Wertung beeinflussen sich hierbei gegenseitig. Ein übergeordneter Rechtssatz, der über den konkreten Fall hinauswirkt, wird i.d.R. nicht ad hoc entstehen, sondern erst in einem allmählich sich vollziehenden Reife- und Prüfungsprozess auf Grund einer Mehrheit von Präjudizien.233 Hinsichtlich der „Neuausrichtung des BGB“ i.S.e. verstärkt festzustellenden Materialisierung ist es nun von großer Bedeutung, dass die für typisierte Fallgruppen gewonnenen Rechtssätze bei der Anwendung der Generalklauseln nur „Leitnormen“ darstellen. Sie dürfen zum einen nicht dazu verleiten, die besonderen Umstände des einzelnen Streitfalles zu übersehen. Zum anderen sind sie auch ohne abweichende Besonderheit des Einzelfalls nicht für alle Zeit unumstößlich. Denn Richterrecht als Ergebnis richterlicher Normbildung steht im Gegensatz zum Gesetzesrecht unter dem Vorbehalt ständiger Überprüfung seiner Richtigkeit bei der Entscheidung künftiger Einzelfälle. Es besitzt, sofern es nicht zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist, nicht die gleiche normative Verbindlichkeit wie Gesetzesrecht.234 Frühere von der Rechtsprechung aufgestellte Rechtssätze können anhand neuer Fälle geändert, ergänzt oder aufgehoben werden. 235 Die unvermeidliche Vermischung der Arbeit von Legislative und Judikative ist bei Generalklauseln unter dem Aspekt der Gewaltenteilung unbedenklich,236 da der Gesetzgeber hier bewusst Gestaltungsspielräume der Judikatur überantwortet (s.o.). Unübersehbar führt jedoch die Verankerung von Generalklauseln im Gesetz auch zu einer gewissen Konvergenz237 mit dem auf dem case law beruhenden common law-System, das sich von vornherein auf das Ver232 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 242 Rn. 2; Staudinger/Looschelders/Olzen (2004), § 242 Rn. 37 ff. 233 Zur Bedeutung von Präjudizien im Normentstehungsprozess siehe Raisch, Vom Nutzen überkommenen Auslegungskanones für die praktische Rechtsanwendung (1988), S. 65 ff. 234 Larenz, Methodenlehre (6. Aufl., 1991), S. 429 ff. 235 Allerdings sollte das Gericht seine Abweichung in nachvollziehbarer Weise begründen. Sonst läuft die Rechtsprechung Gefahr, in eine situationsbedingte Einzelfallrechtsprechung abzugleiten, die keine sichere Beurteilungsgrundlage gewährleistet und keine Prognose künftiger richterlicher Entscheidungen ermöglicht. 236 Vgl. BVerfGE 32, 311, 317 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 66. 237 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 104 Rn. 3.
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ständnis gründet, dass der Richter im Gegensatz zum Modell der civil code-Systeme nicht „mouth piece“ des Gesetzgebers, sondern „law maker“ ist. (Paradoxerweise steht man aber gerade im englischen common law der Anerkennung von Rechtsgrundsätzen mit generalklauselhafter Weite oder gar der Einführung gesetzlicher Generalklauseln wegen des damit vermeintlich verbundenen Machtzuwachses des Richters äußerst skeptisch gegenüber.238 Realistischerweise geht es hier nicht um Machtzuwachs, sondern um ein anderes Rollenverständnis des Richters.) (1.) Ursprüngliche restriktive Anwendung Im BGB von 1900 waren die Elemente, die eine inhaltlich-wertende Bezugnahme des Verfahrens- oder des Verhandlungsergebnisses ermöglichten, durch die Heranziehung von konkretisierungsbedürftigen Generalklauseln allerdings noch sehr restriktiv angelegt, womit sich eine breitflächige Anwendung zur Verfahrens- und Inhaltskontrolle verbot.239 Es handelte sich bei den allgemein gehaltenen Bestimmungen nach damaligem Verständnis um ein Kontrollinstrument i.S.e. „Zeugnisses moralischer Gesundheit“, weniger um Vorschriften mit Gerechtigkeits- und Sozialbezug.240 (2.) Heutige breitflächige Anwendung Über die Jahre hinweg hat sich die Funktion und Handhabung der Generalklauseln jedoch gewandelt,241 gerade dadurch, dass sie von der Rechtsprechung und der Literatur mittlerweile auf Grund eines geänderten Vorverständnisses von der Privatautonomie242 sehr breitflächig zur Reglementierung von Ungleichgewichtslagen angewandt wurden. Man kann hier etwa die Bürgschaftsrechtsprechung des BGH243 anführen oder den (umstrittenen) diesbezüglichen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1993,244 in welchem das höchste deutsche Gericht es als Pflicht der Zivilgerichte bezeichnete, insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung der Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 I GG zu beachten, woraus sich ihre Pflicht zur Inhaltskontrolle bei Verträgen ergebe, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärken sind. 238
Vgl. dazu Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs (1997), passim. 239 Zimmermann, The New German Law of Oblegation (2005), S. 164. 240 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 17. 241 Umfassend zu diesem Funktionswandel Raiser, JZ 1958, 1 ff. 242 Generell zum Problem des an die Rechtsnorm herangetragenen (sich wandelnden) Vorverständnisses, Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1978), S. 18 ff. 243 Vgl. etwa BGHZ 125, 206 ff. 244 BVerfGE 89, 214 ff. = NJW 1994, 36 ff.
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bb. Weitere Schutzvorschriften für die schwächere Vertragspartei Das Verbraucherschutzrecht ist auf diesen allgemeinen Materialisierungstrend, der durch die Anwendung der Generalklauseln befördert wurde, „aufgesprungen“. Es treibt die Materialisierung des übrigen Privatrechts, in das es sich mehr und mehr einfügt, voran. Insofern steht es im Einklang mit der generellen Regelungstendenz des Richters/Gesetzgebers, die schwächere Vertragspartei besser zu schützen. Zu denken ist hier etwa an die Regelung des § 566 BGB, wonach der Kauf nicht die Miete bricht, an §§ 557 ff. BGB (Regelungen zur Mieterhöhung), an § 616 BGB und an §§ 623 ff. BGB245, §§ 305 ff. BGB und an §§ 31 ff. WpHG246 sowie an viele andere Vorschriften.247 d. Materialisierung führt nicht zu einer „Krise des Privatrechts“ Die gegenseitige Befruchtung von Verbraucherschutzrecht und der soeben erläuterten „allgemeinen Materialisierung“ im Privatrecht wird als Wertungsbefund auch durch den Gesetzgeber gestützt. Er schlug hinsichtlich der Inkorporierung des immer dichter werdenden Netzes an verbraucherschützenden Vorschriften in das BGB von den vorbenannten althergebrachten Generalklauseln zu den neuen, bereichsspezifischen Bestimmungen einen breiten Begründungsbogen, der all diese Vorschriften hinsichtlich ihrer Intention als „miteinander verknüpft“ erscheinen lässt, indem er anmerkte, dass das BGB schon mit den §§ 138, 123, 242 ein breites Anwendungsfeld für den Verbraucherschutz (!) bereithält, und er unterstrich seine Sichtweise mit dem weiterführenden Hinweis, dass die von der Rechtsprechung zur Haftung aus culpa in contrahendo entwickelten Informationspflichten ebenfalls auf den Gedanken des Verbraucherschutzes zurückgehen.248 Diese Aussage läuft darauf hinaus, dass auch der Schuldrechtsreform-Gesetzgeber den „Verbraucherschutz“ nicht ausschließlich als „extravagante Besonderheit“ des allgemeinen Vertragsrechts begreift, die von diesem allgemeinen Recht abgeschieden neben die althergekommenen bürgerlich-rechtlichen Institutionen tritt. Er versteht das Verbraucherrecht vielmehr als einen exemplarischen und wesentlichen Ausfluss der allseits um sich greifenden Materialisierungstendenz im Privatrecht.249 Teile der Literatur treten ihm dabei zur Seite,250 andere kritisieren diese Sichtweise scharf,251 sodass ein heftiger ideologischer Streit darüber entbrannt ist, 245
Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 164. Grundlegend dazu Einsele, JZ 2008, 477 ff. 247 Vgl. die neuen §§ 305 ff. BGB, die aus dem AGBG ins BGB inkorporiert wurden sowie die: §§ 312–312g; § 313; § 314; § 343; §§ 355 ff., die §§ 651a ff. BGB und die nach der Schuldrechtsmodernisierung in den §§ 433 ff., §§ 631 ff. BGB neugefassten Gewährleistungsrechte. 248 BT-Drucks. 14/6040, S. 91. 249 Vgl. dazu die Begründung in BT-Drucks. 14/6040, S. 91. 250 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 178. 251 Dreher, JZ 1997, 167, 176 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; ders., AcP 183 (1983), 327 ff., 246
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ob der sich ständig erweiternde Bereich verbraucherrechtlicher Schutzgesetze „Freund oder Feind des allgemeinen Vertragsrechts“252 ist. M.E. führt die um sich greifende Materialisierung im Privatrecht nicht zur normativen Einschränkung des Prinzips der rechtlichen Freiheit oder gar zu einer „Krise“253 des Privatrechts.254 Denn der dargestellte sozial-ethisch begrüßenswerte Prozess ist nur auf die Abschaffung solcher Privilegien gerichtet, die mit der von echter Privatautonomie geforderten Gleichverteilung der faktischen Freiheit unter den Parteien unvereinbar sind.255 Wenn hier die stärkere Einbringung von Materialisierungstendenzen in das Zivilrecht als Fortentwicklung des Bürgerlichen Rechts verstanden wird, die nicht per se systemwidrig ist, so entfernt sich damit das Bürgerliche Recht aber natürlich Schritt für Schritt von seinem einstigen formalen Ausgangspunkt. Allein dieser Umstand führt jedoch noch nicht zu einem Systembruch, sonst wäre das System insgesamt nicht entwicklungsfähig, was dem Gedanken des sich an geänderte Bedürfnislagen notwendig „anpassungsfähig“ haltenden Rechts insgesamt abträglich wäre. Herauszuheben ist hier, dass es stets einen Toleranzbereich gibt, in dem die Sollwerte eines Gesellschafts- und Rechtssystems schwanken können, ohne dass es gleich bestandskritisch gefährdet wird und seine Identität (definiert man sie vom Ausgangspunkt her, hier die der bürgerlichen Rechtsordnung) sogleich verliert.256 Recht entwickelt sich nämlich organisch, in vielen kleinen Schritten und kann sich natürlich auch so (über viele kleine Etappen – die einen „spontanen Bruch“ gerade verhindern) von seinem Ausgangspunkt entfernen, ohne diesen ganz aufzugeben oder auch nur aus den Augen zu verlieren.257 e. Flexibilität des BGB und Grund seiner konzeptionellen Wandelbarkeit Die in der Rechtsprechung und Literatur zu verzeichnende Hinwendung zu einer materialisierten Betrachtung der Vertragsbeziehungen über die Generalklauseln legt ein eindrucksvolles Zeugnis für die Flexibilität des BGB ab.258 Der 349; Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? (1996), S. 11 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 3, 11, 15 ff. 252 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 10. 253 Vgl. dazu die Schrift von Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens (1974); Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 3. 254 So aber: Dreher, JZ 1997, 167, 176 ff.; Lieb, AcP 183 (1983), 327, 349; ders., AcP 178 (1978), 196 ff.; Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? (1996), S. 11 ff. 255 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 484; Wagner, ZEuP 2007, 180, 192; Höfling, Vertragsfreiheit (1991), S. 44; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht (1996), S. 77 ff.; Grundmann, JZ 2005, 860, 863 f. 256 Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1979), S. 12. 257 Zur Möglichkeit, das sich Recht stets (in eine andere Richtung fortentwickeln muss) und welche Bedeutung dabei Rechtsprinzipien haben, mit denen als Kontrollinstanz eine Rückkopplung erfolgen muss, vgl. im 3. Teil, A II 4. 258 Hier ist zu vergegenwärtigen, dass Max Weber im Jahre 1910 die Anschauung ver-
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Befund zeigt, das Recht auch beim Fehlen einer expliziten Neuregelung kein ruhendes Kontinuum darstellt.259 Große Teile des BGB lassen sich jenseits ihrer ursprünglichen Intention und Handhabung mittlerweile für eine materialisierte Bewertung der Parteibeziehungen und des Verhandlungsergebnisses nutzbar machen.260 Der tiefer liegende Grund der Wandelbarkeit des Kodifikation liegt, wie bereits Wieacker 261 zutreffend herausgestellt hat, darin begründet, dass die soziale Anthropologie und die materiale Sozialethik, die einem jedem Gesetzeswerk unterlegt sind, wegen der „technischen Eigentümlichkeit der verwendeten hoch entwickelten Begriffssprache“, der „Entstofflichung“ und dem „Verlust an Anschaulichkeit“, zu der die Abstraktheit der Normen, 262 gerade auch die der Generalklauseln führt, im positiven Sinne die typische Anpassungsfähigkeit eines Gesetzeswerkes beflügelt. Gerade infolge der beschriebenen formalen Eigenschaften der Zivilrechtskodifikation kann sich (im Extremfall) eine Gesellschaft von Grund auf geändert haben, ohne dass sich die äußere Gestalt und die juristische Technik einer Kodifikation mit ihnen wandelt.263 Am Ende ist es möglich, dass der gleiche Kodifikationstyp, selbst dasselbe Gesetzbuch von vornherein entgegengesetzten Lebensbedingungen oder Weltanschauungen ähnlich gute Dienste leisten.264 Diese Flexibilität des zunächst starr/unwandelbar scheinenden Systems schafft freilich Verunsicherung,265 weil die Orientierungskraft der positiv-rechttrat, dass schon durch eine Uminterpretation „bei vollem Bestehen bleiben des BGB eine sozialistische Wirtschaftsordnung entstehen könne“; vgl. dazu Weber, Verhandlungen des Ersten deutschen Soziologentages v. 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt/M. (1911), S. 269 f.; ähnlich Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung (4. Aufl., 1991), S. 3; vgl. dazu auch SchulteNölke, NJW 1996, 1705, 1709. 259 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 18; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 136. 260 Zu den Regelungsspielräumen im Schuldrecht instruktiv Zöllner, AcP 196 (1996), S. 1 ff.; zur Flexibilität des BGB insgesamt Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 253; vgl. auch BVerfGE 89, 214, 231 ff. 261 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 3; ähnlich Basedow, AcP 200 (2000), 445, 471. 262 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995) beschreibt i.d.S. auf S. 282 die dem „abstrahierten Denken innewohnende Tendenz der Sinnentleerung“. 263 So auch Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (1992), S. 118; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 6 führte aus, dass sich die Behandlung von Problemen abgelöst von dem starren System der begrifflichen Regelung, die einst in einem historischen Kontext entstand, wandeln kann (und dies auch regelmäßig der Fall ist), wenn und weil sich der außerrechtliche „Vorhof“ ändert. 264 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 3. 265 Döhring, Die gesellschaftlichen Grundlagen der juristischen Entscheidung (1977), S. 153 ff.; Esser spricht vom „Opfer der Ideale der Rechtssicherheit für die Interessen sozialer Evolution“, vgl. Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 26.
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lichen Regelungen eingeschränkt wird, zumal es Autoren gibt, die sich angesichts der (offensichtlichen) Beschränktheit des positiven Rechtssystems von der Begriffslogik der Einzelnormen gänzlich lösen und an ihre Stelle normabgehobene rechtsethische Problemerörterungen setzen wollen.266 Es wird insofern geltend gemacht, dass sich das starre, doktrinäre System mehr und mehr als Hemmung im Hinblick auf die rechtsethische Problemlösung und Grundsatzbildung darstelle, auf die eine moderne Jurisprudenz angewiesen sei.267 Andererseits stellt sich die hier m.E. eindeutig mit „ja“ zu beantwortende Frage, ob nicht diese „Hemmungen“ wiederum unersetzliche Rechtsgarantieren268 und wichtige Kontrollstationen für Gesetzgebung und Jurisprudenz bilden.269 Es ist wohl so, dass einerseits nur die Wandelbarkeit des Rechts in Form seiner Handhabung die notwendige Voraussetzung für die Anpassung an den durch die Sozietät herangetragenen Bedarf nach (Neu-)Ordnung bietet.270 Es kommt insofern zu einer Rechtsevolution,271 die häufig zunächst durch die Überwindung des doktrinären, begriffslogischen Systems infolge entsprechender Auslegung, Analogie/teleologischer Reduktion etc. auf den Weg gebracht wird.272 Andererseits folgt bereits aus der Rechtsidee, dass auch und gerade das geschriebene Recht ein Mindestmaß an Orientierung bieten muss.273 Daher sind Gesellschafts- und Rechtssysteme vor die Aufgabe gestellt, ihre Grenzen und ihren Bestand durch die Bewältigung der Komplexität der unsteten Umwelt fortzuentwickeln, indem neue Einflüsse/Bewertungen nach Möglichkeit auch Eingang in das positive Recht finden.274 Es geht dabei darum, die „Anpassungsfähigkeit des Rechts“, die sich daran bemisst, ob es neue Probleme nicht nur durch die Jurisprudenz, sondern auch durch die Gesetzgebung aufgreift (und sozialverträglich steuern kann), auszunutzen. 275 Dies geschieht z.T. be266
Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1951). Wilburg, ebenda; kritisch auch Leisner, Krise des Gesetzes (2001), S. 175 ff. 268 Recht hat den Anspruch, transparent zu sein und somit, Orientierung zu bieten. 269 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 7. 270 Döhring, Die gesellschaftlichen Grundlagen der juristischen Entscheidung (1977), S. 153 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 136; Leisner, Krise des Gesetzes (2001), S. 184 ff. 271 Instruktiv dazu Helsper, Gesetzgebung und Evolution (1986); ders., Die Vorschriften der Evolution für das Recht (1989). 272 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 102; so schon weit früher auch Puchta, Pandekten (1883), S. 22, der bereits herausstellte: „Wenn der Richter sich von den äußeren Quellen verlassen findet, so hat er den anzuwendenden Rechtssatz aus den Prinzipien des bestehenden Rechts zu schöpfen; ausgehend von der Natur der Sache erhält er ihn auf dem Wege der juristischen Konsequenz und der Analogie“. 273 Esser, ebenda, S. 7; vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 3, die aus der Rechtsidee das Gebot nach Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit folgern. 274 Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 14. 275 Soziale/rechtliche Systeme können sich in einer überkomplexen Umwelt nur dadurch behaupten, dass sie entweder Systemelemente oder Sollwerte oder beides ändern, vgl. dazu 267
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reits über die Generalklauseln, z.T. über Rechtsfortbildung ohne explizite Änderung bestehender Regelungen (durch Analogie und teleologische Reduktion), in großem Umfang aber auch über die stete Herausbildung expliziten Sonderprivatrechts, weil nur konkrete (Neu-)Regelungen das sicherzustellende größte Maß an (Neu-)Orientierung bieten.276 Abschließend lässt sich feststellen, dass erst die Preisgabe der schematischen Sicherheitsgarantie den Weg dazu frei macht, die tieferen Rechtsgarantien juristischen Denkens, dogmatischer Selbstkontrolle und lege artis gebildeter Grundsätze und Traditionen zu erforschen. Denn die ewige Antinomie zwischen den Postulaten der Rechtssicherheit und der Anpassung an das Leben ist damit nur in eine reale Ebene gerückt worden, in der sich erneut die konkrete Aufgabe stellt, Übertreibungen in beiden Richtungen Einhalt zu gebieten.277 Insofern gilt es, sowohl das angeblich starre positivistische System als auch die immer wieder auftauchenden Systemdurchbrechungen (seitens der Rechtsprechung) als Elemente eines einheitlichen Funktionskreises herauszustellen, der erst die methodisch geleitete und rational nachvollziehbare Rechtsfortbildung in Bezugnahme auf das sich wandelnde Umfeld ermöglicht. f. Ergebnis: Keine zu schroffe Gegenüberstellung alten und neuen Rechts Die anhand der Rechtsprechung und Literatur nachweisbaren Materialisierungstendenzen bei der Anwendung althergebrachter Zivilrechtsnormen belegen, dass sich der moderne, heute in breitem Umfang gesetzgeberisch propagierte Verbraucherschutz aus der historischen Perspektive keinesfalls als „terra nova“ gestaltet.278 Es besteht ideengeschichtlich Anschlussfähigkeit 279 an die wachsende Tendenz in der Jurisprudenz und der Rechtswissenschaft, das Problem gestörter Vertragsparität aufzugreifen. 280 Es handelt sich so gesehen mehr um eine Evolution, statt um eine Revolution des Rechts.281 Im Hinblick auf die heutige Anwendung 282 des gegenwärtigen Zivilrechts – insbesondere in Anbetracht der Eder, Komplexität, Evolution und Geschichte (1973), S. 18; Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 12. 276 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 325. 277 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 27. 278 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18; Wilhelmsson, ELJ 2004, 712 f. 279 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 58 f.; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001) Vor. §§ 13–14 Rn. 17 Fn. 38 ff.; Hart, ZHR 140 (1976), 31 f.; Joerges, Beiheft 51 ZHR 1981; Wilhelmsson, ELJ 2004, 712 f.; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19. 280 Wilhelmsson, ELJ 2004, 712 f.; Zimmermann (The New German Law Of Obligations [2005], S. 161 ff.) schlägt hier sogar einen sehr weiten Bogen, indem er den dem Verbraucherschutz verhafteten Gedanken zur Unterstützung der schwächeren Partei bereits zurückführt auf „the maximum interest rates for loans, the senatus consultum Vellaeanum, and the laesio enormis of Roman law“. 281 So ausdrücklich schon zur sog. Verortungsdiskussion v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 230. 282 Zum notwendigen Wandel bzgl. der Anwendung des Rechts bei gleicher Norm-
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Handhabung der Generalklauseln – ist daher auch vor einer allzu schroffen Gegenüberstellung283 von altem, „klassischem Vertragsrecht“ und „neuem Verbraucherprivatrecht“ zu warnen.284 Diese Warnung vor einer zu apodiktischen Abgrenzung beider Materien bezieht sich allerdings nur auf die Anwendung des allgemeinen Zivilrechts, wie sie sich heute durch Rechtsprechung und Literatur gestaltet. Denn bezüglich der althergebrachten gesetzgeberischen Konzeption285 der Normenbereiche – allgemeines Zivilrecht/Verbraucherschutzrecht – bestehen nach wie vor erhebliche Wertungsunterschiede.286 Der Grund liegt darin, dass die verbraucherschützenden Vorschriften eine andere Intention als die Regelungen des allgemeinen Zivilrechts verfolgen.287 Denn während sich in den Bestimmungen des allgemeinen Zivilrechts vornehmlich der Gedanke der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte widerspiegelt,288 der von Beginn an das BGB beherrschte,289 sind die Regelungen des Verbraucherprivatrechtes konzeptionell ganz anders gelagert. Sie enthalten allesamt Lösungsmodelle für typisierte Ungleichgewichtslagen und überwinden daher den einstigen Gerechtigkeitsgedanken der formalabstrakten Gleichstellung der Rechtssubjekte.290 Bezogen auf das Ergebnis, die Mehrung verbraucherfreundlichen Gedankenguts, ziehen Rechtsprechung, Literatur und Gesetzgebung jedoch seit vielen Jahrzehnten an einem Strang, wobei die Rechtsprechung zumeist die „Fühsituation siehe etwa Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 136. 283 Zur Gegenüberstellung vgl. etwa: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 f.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; F. Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 ff. 284 Ähnlich Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19 f.: „So verstanden ist das Verbraucherrecht mit den tradierten zivilrechtlichen Wertungsprinzipien vereinbar“; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 159; a.A. Gilles, JA 1980, 1: Zwischen den Verbraucherschutzrechten auf der einen und den Prinzipien des im wesentlichen in der Großkodifikation des BGB enthaltenen „allgemeinen Privatrechts“ lassen sich tief greifende Wertungsunterschiede ausmachen; ebenso Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff., der die freiheitsverbürgende Funktion der Privatautonomie als gefährdet ansieht. 285 Die Unabhängigkeit der objektiven, an den sich wandelnden Gegebenheiten der Gesellschaft angepassten Interpretation eines Gesetzes vom historischen Willen des Gesetzgebers und der daran zunächst ausgerichteten Kodifikation ist mittlerweile anerkannt, vgl. dazu Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 257. 286 Wagner, ZEuP 2007, 180, 192; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 482; Grundmann, JZ 2005, 860, 863 f.; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 469 ff.; a.A. Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 231 ff. 287 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 271. 288 Wagner, ZEuP 2007, 180, 193; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 482; Grundmann, JZ 2005, 860, 863 f.; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 165. 289 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 482 ff. 290 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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rungsrolle“291 übernimmt. Sowohl der Gesetzgeber als auch die Judikatur bewirken dabei eine verstärkte Hinwendung des Rechts auf immer spezieller gefasste Lebensbereiche („Materialisierung durch Spezifizierung“),292 die von allgemeinen, bereits geregelten unterschieden werden. Als Anknüpfungspunkte für eine Andersbehandlung dienen in erster Linie situative oder vertragsspezifische Umstände, aus denen eine Beeinträchtigung oder zumindest die Gefahr einer Störung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit resultiert.293 2. Streit um die Wechselwirkung zwischen Verbraucherund allgemeinem Zivilrecht Der bereits auf der Grundlage des allgemeinen Zivilrechts vollzogene Wandel bei der Auslegung und Anwendung bürgerlich-rechtlicher Normen zeigt, dass das vormals liberal ausgerichtete Privatrecht in seiner Normenvielfalt nicht ein bloßes Konglomerat von Rechtsnormen abbildet, in denen die Regelungen hinsichtlich ihrer Anwendung und Auslegung keiner Anpassung an gesellschaftliche Änderungen fähig sind.294 Ebenso wenig stellen das klassische Zivilrecht und das inhaltlich-normativ von ihm zu trennende Verbraucherprivatrecht bloße Teilbereiche der Zivilrechtsordnung dar, die lose nebeneinander stehen und durch unzulässige Wände derart inhaltlich und formell voneinander abgekapselt sind, dass kein geistig-wissenschaftlicher (Wertungs-)Transfer zwischen ihnen möglich ist.295 In welchem Umfang und Ausmaß eine wechselseitige Beeinflussung zwischen den Normenbereichen jedoch tatsächlich stattfindet und gewollt ist, wird unterschiedlich gesehen.296 291 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 6 Fn. 53; Hart/Köck, ZRP 1991, 64 f.; Gilles, JA 1980, 1 f.; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Gärtner, JZ 1992, 72, 78; anders wohl Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1. 292 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 485. 293 Zu dem Aufgreifen dieser Umstände: Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; Drexl, JZ 1998, 1046, 1050 f.; Kleindiek, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold, Europäischer Binnenmarkt: Internationales Privatrecht und Rechtsangleichung (1995), S. 304; Pfeiffer, in: Schulte-Nölke/Schulze, Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 29. 294 Zöllner, AcP 176 (1976), 221 ff.; Schünemann, FS Brandner (1996), S. 279, 293 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 343 f.; Barnet, Die formelle Freiheitsethik des BGB im Spannungsverhältnis zum Sonderprivatrecht und zur judikativen Kompensation der Vertragsdisparität (1999). 295 V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 45; Gilles, JA 1980, 1, 6; ders., NJW 1986, 1131 ff.; zu Annäherungstendenzen zwischen dem Verbraucherschutzrecht und dem allgemeinen Zivilrecht vgl. auch Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002), S. 360 ff. 296 Das ungeklärte Verhältnis von Privatrecht und Sonderprivatrecht ist und war Thema vieler Dissertationen und Habilitationen, so etwa: Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982); Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle und Privatrecht (1992); Preis, Grund-
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a. Interpretation und Entwicklung des Zivilrechts im Geiste des Verbraucherrechts Falls man – wie hier vertreten – in der Etablierung von verbraucherschützenden Vorschriften und ihrer inhaltlichen Aufwertung durch die Inkorporierung ins BGB297 Anfänge einer weitergehenden sozialen Ausrichtung des gesamten bürgerlichen Rechts erblicken sollte,298 wäre die rechtspolitisch brisanteste und umstrittenste Methodenfrage der gegenwärtigen Zivilrechtstheorie, nämlich die, ob das traditionelle bürgerliche Vermögensrecht künftig im Geiste der neuzeitlichen Verbraucherrechte interpretiert, innoviert und reformiert werden muss, 299 mit einem eindeutigen „Ja“ zu beantworten. Insofern ginge von den neu verorteten verbraucherschützenden Normen ein gewisser Innovationsschub für das gesamte Zivilrecht aus, der zu einem noch weitergehenderen Paradigmenwechsel führen würde, als es derjenige bereits beinhaltet, der schon in der Vergangenheit zu verzeichnen ist.300 Der Gedanke der materiellen und damit auch sozialen Gerechtigkeit würde damit auch methodologisch viel stärker in das Konzept der Privatautonomie zu integrieren sein als es bisher der Fall war.301 b. Ablehnung der Interpretation und Entwicklung des Zivilrechts im Geiste des Verbraucherrechts Ist man hingegen der Ansicht, dass das allgemeine Privatrecht vom dem als systemsprengend302 eingestuften Gedankengut der verbraucherrechtlichen Sondergesetze so weit als möglich freizuhalten ist, weil es sich mit diesem nicht verträgt,303 wäre das (eigenständige) Wertesystem des Verbraucherprivatrechts auch fragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht (1992); Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997); Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998). 297 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 1. 298 Pointiert ausgedrückt handelt es sich um ein Vordringen interventionistischen Privatrechts und ein Zurückdrängen des (altliberalen) freiheitsgewährenden Privatrechts, vgl. dazu Kocher, KJ 2002, 133, 154 („versteckte Rechtsinhaltsänderung“); Schubel, JZ 2001, 1113, 1114 („systemsprengende Ausstrahlungsfalle“); ähnlich Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 267; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 232. 299 Hinweis bei Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 16 ff. 300 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 267; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13, 14 BGB Rn. 1: „Der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bleibt es (nunmehr) vorbehalten, die das BGB beherrschende formale Freiheitsethik mit der neu aufgenommenen Verantwortungsethik des Verbraucherrechts auszusöhnen; ders., a.a.O. Rn. 14: „Die Aufnahme des Verbraucherprivatrechts in das BGB könnte der erste Schritt zu einer möglichen inhaltlichen Umorientierung des gesamten bürgerlichen Rechts sein.“ 301 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 14. 302 Schubel, JZ 2001, 1113, 1114; Roth, JZ 2001, 480, 486. 303 F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983); Zöllner,
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nach seiner Integration ins BGB für das übrige Zivilrecht relativ bedeutungslos.304 Die Sonderrechte zugunsten des Verbrauchers hätten dann nur den Stellenwert ganz singulärer, prinzipienwidriger, auf spezifische, atypische sozioökonomische Sachverhalte und Konfliktlagen zugeschnittener Materien, die im Hinblick auf ihren Sondercharakter restriktiv auszulegen sind und nicht analogiefähig wären. Die Integration der Regelungen zum Schutz des Verbrauchers würde dann nur ihrer „Domestizierung“305 dienen. Von diesem Standpunkt aus wären sie auch verallgemeinerbaren Wertungen unzugänglich.306 Die verschiedenen verbraucherschützenden Regelungskomplexe wären dann unter Verleugnung ihrer spezifischen sozialen Zwecksetzung, ihrer rechtstechnisch, inhaltlich und methodisch zu begründenden Generalisierungspotenz unter Verkürzung ihrer möglichen innovatorischen Tragweite als ganz normale privatrechtliche Vorschriften einzustufen, die als solche nicht vor dem Hintergrund ihres eigenen Wertungsgefüges, sondern im Lichte des allgemeinen Zivilrechts zu interpretieren wären.307 c. Ergebnis In der Literatur wurde bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, dass ein und dieselbe Veränderung als Lern- und Fortentwicklungsprozess des Rechts, aber auch als Auflösungserscheinung und Systembruch verstanden werden kann.308 Beide Auffassungen spiegeln sich in der dargestellten Auseinandersetzung um die Bewertung der derzeitigen Rechtsentwicklung wieder. Die Sichtweise auf den Prozess der fortschreitenden Änderung des bürgerlichen Rechts hängt vom jeweiligen Standpunkt ab. M.E. ist derjenige, dass sich das bürgerliche Recht durch die Inbezugnahme von Materialisierungstendenzen fortentwickelt und an neue Problemlagen anpasst, der vorzugswürdige. Hierdurch wird dem Gedanken entsprochen, dass sich Recht stets verändern kann und dies auch muss. Bei der Inbezugnahme der materiellen Vertragsparität als normatives Bewertungs- und Steuerungselement und der Idee der notwendigen RechtsevoluAcP 196 (1996), S. 1, 15 ff.; den Streit beschreibend Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 10. 304 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19: „Bestandteil des allgemeinen Zivilrechts“; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 1: „nicht länger Sonderprivatrecht, sondern Teil des allgemeinen Zivilrechts“; so auch Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), Einl. BGB Rn. 1. 305 So der Ausdruck von v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 230, der dort ebenfalls der Interaktion beider Bereiche nachgeht. 306 Vgl. Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; danach sind verbraucherrechtliche Vorschriften „wertungssystematisch Bestandteil des allgemeinen Zivilrechts“ und folglich „so zu interpretieren, dass sie sich harmonisch in das (allgemeine) Zivilrechtssystem einfügen“. 307 Überblick bei Gilles, JA 1980, 1, 6; Heckelmann, FS Bärmann (1975), S. 427, 431. 308 Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1979), S. 12.
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tion309 kommt es durch die zunehmenden Regelungen des Verbraucherschutzrechts lediglich zur Aufstellung eines weiteren „Filters“ hinter den der allgemeinen vom althergebrachten BGB bereits veranlassten Auslesefaktoren (wie §§ 134, 138, 242 BGB). Dieser sich immer weiter entwickelnde Ausleseprozess, der namentlich durch das Verbraucherrecht (zuvor aber bereits durch das soziale Mietrecht und das Arbeitsrecht) befördert wurde, beseitigt erstere „Passierpunkte“ der Vertragsfreiheit/Privatautonomie nicht, auch schließ er sie nicht aus. Er ergänzt sie vielmehr, in dem er in Fortführung der ihnen bereits früh zuerkannten Auslesefunktion weitere „Evaluationsgesichtspunkte“ für andere, neu identifizierte paritätsgefährdende Gemengelagen in typisierbarer Form an die Seite stellt. Die Frage ist lediglich, ob man diesen Schritt der immer weiter fortschreitenden Feinsteuerung des Rechts in Richtung auf ein Maximum an zu etablierenden Flankierungen zur Herstellung materieller Vertragsgerechtigkeit mitmachen möchte oder ihn rundweg ablehnt. Zu einer Systemgefährdung führt er sicherlich nicht. Denn zum einen ist eine gewisse Filterfunktion im Hinblick auf paritätsgefährdende Elemente durch die Generalklauseln, aber etwa auch durch die §§ 104, 125 BGB etc., bereits seit je her dem bürgerlichen Recht immanent. Zum anderen muss sich das Recht – um seiner selbst Willen – auch an neue Problemlagen „herantasten“ und diese i.S.d. Rechtspositivismus310 durch das Etablieren von Regelungen aufgreifen; sonst verliert es seine Steuerungsfunktion, 311 weil es letztlich „auf der Stelle“ tritt und überaltert.312 Auch würde es sich dem der jeweiligen Gesellschaftsstufe immanenten spezifischen Systemzusammenhang von Recht und Gerechtigkeit (der sich mit jeder Etappe immer wieder neu findet und dabei hin zu einem immer enger werdenden Verbund zwischen beiden entwickelt)313 verweigern.314 309
Zum evolutionären Gedanken im Recht vgl. Helsper, Die Vorschriften der Evolution für das Recht (1989); ders., Gesetzgebung und Evolution (1986). 310 Grundlegend dazu Luhmann, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1 (Hrsg.: Lautmann/Maierhofer/Schelsky, Bielefeld 1970, S. 175); ders., Rechtssoziologie, Bd. 2 (1972), S. 207 ff. 311 Dazu, das Recht eine Funktionsvoraussetzungen für den Markt ist (weil der ohne Spielregeln nicht arbeiten kann), andererseits aber auch der Sozialintegration dient, siehe bereits Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (5. Aufl., 1980), S. 255; deutlich auch Brüggemeier, Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts (1980), S. 20 ff. 312 „Offenbar gibt es einen Toleranzbereich, in dem die Sollwerte eines Gesellschaftsbzw. Rechtssystems schwanken dürfen (und sie dies auch müssen), ohne dass das System bestandskritisch gefährdet wird und seine Identität verliert“, vgl. Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 12. Man könnte noch hinzufügen, dass das Ausnutzen der Schwankungsbreite in Richtung Fortentwicklung auch notwendig ist, weil sonst die Gesellschaft selbst an sozialintegrativer Kraft verliert und damit in Gefahr gerät. 313 „Grenzen des Variationsspielraumes manifestieren sich als Grenzen geschichtlicher Kontinuität“, so Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 18; ebenso Baumgartner, Kontinuität und Geschichte (1972). 314 Zur gesellschaftlichen Evolution, die einen Wandel im Recht bedingt und den sie
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Man mag das mit dieser Sichtweise von der Rechtsevolution315 verbundene Einstehen für den fortschreitenden Prozess der Materialisierung des Zivilrechts kritisieren,316 da diese Entwicklung die Anforderungen an die Selbstverantwortung des einzelnen – jedenfalls in den in Bezug genommenen Lebenssituationen317 – tendenziell abschwächt und damit die zur Selbstregulierung erforderlichen Kräfte weniger „anspornt“.318 Aber dieser mögliche negative Begleitaspekt führt nicht am Befund der Unterlegenheit typisierbarer Personengruppen als Ausgangspunkt der ratio der Schutzinstrumente vorbei. 319 Denn es nützt nichts, unerlässlich zur Wahrnehmung von Selbstverantwortung aufzurufen, wenn diese mangels entsprechender Verhandlungsmacht nur formal existent bleibt und sich (empirisch belegbar) nicht in Ergebnissen niederschlagen wird. 320 Hier führt die Selbstverantwortung nur zur „formal selbstverantwortlich“ herbeigeführten Selbstunterwerfung, die durch das Untätigsein des Gesetzgebers lediglich gestützt würde (wogegen sich etwa auch das Bundesverfassungsgericht mit seiner Sicht auf die Privatautonomie, die „voraussetzt, dass die Bedingungen
nachzeichnenden Theorien, vgl. Brüggemeier, in: Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts (1980), S. 11, 12. Zur marxistischen Kapitalismustheorie und der soziologischen Systemtheorie als wichtigste Erscheinungsformen siehe Japp, Krisientheorie und Konfliktpotentiale. Diskussion: Kritische Sozialwissenschaft (1975). 315 Dazu Helsper, Gesetzgebung und Evolution (1986); ders., Die Vorschriften der Evolution für das Recht (1989). 316 Lieb, AcP 183 (1983), 364; ders., DNotZ 1989, 274 ff.; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht (1975), S. 29 ff., 37 ff.; Zöllner, AcP 188 (1988), 91, 98; Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 2 I Rn. 112; Germelmann, NZA 1997, 236, 237; Tettinger, DVBl 1999, 679, 684. 317 Das Gesetz greift die Verbraucher-Unternehmer Positionen vielfach auf. Der Selbstverantwortung unterliegen aber weiter alle nicht vom Protektionsgedanken erfassten Bereiche, insbesondere alle Verbraucher-Verbraucher-Geschäfte, sodass man nicht davon sprechen kann, der Verbraucher würde es auf Grund umfassender Protektion gänzlich verlernen, selbstverantwortlich zu handeln. I.Ü. bleibt es ihm unbelassen, eigene Interessen auch gegenüber dem Unternehmer umfassend vorzubringen und durchzusetzen. Das Verbraucherrecht stellt insoweit nur „Sicherheitsgurte“ bereit für die Situationen, in denen das typischwerweise nicht gelingt. 318 Vgl. dazu Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1 (2002), Art. 2 I Rn. 112: „Verbraucherschutz darf nicht zur Entmündigung der großen Mehrheit der Privatrechtssubjekte führen, denen damit die Fähigkeit, rechtlich bedeutsame Handlungen vorzunehmen, contra legem (§§ 104 ff. BGB) abgesprochen wird. 319 Wer das leugnet, müsste eigentlich auch eine Abschaffung des sozialen Mietrechts und des Arbeitsrechts fordern, so zutreffend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 13. 320 Raiser, JZ 1958, 1, 3 ff.; Bartolomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 35; Coing, FS Dölle I (1963), 40 ff.; Westermann, AcP 178 (1978), 150, 176 ff.; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht (1975), S. 12 f.; Fikentscher, FS Hefermehl (1971), 41, 45; Schmidt-Salzer, NJW 1971, 173, 174; Gamillscheg, AcP 176 (1976), 197, 205 ff.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970); Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982).
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der Selbstbestimmung des einzelnen auch tatsächlich vorhanden sind“, 321 verwehrt, indem es in typisierbaren Ungleichgewichtslagen über die §§ 104 ff., 138, 242 BGB hinaus einer Flankierung der privatautonomen Entscheidung322 durch die Rechtsordnung fordert).323
B. Verbraucherschutzrecht und der Streit um das Sonderprivatrecht Die vorstehenden Überlegungen und Darstellungen legen ein Zeugnis dafür ab, dass die materielle Vertragsparität ein notwendiger Bestandteil und ein Ziel des Vertragsrechts und darüber hinaus des gesamten bürgerlichen Rechts ist.324 Sie bezeugen auch, dass sich die Vorschriften des Verbraucherprivatrechts als „Ausbau und Weiterführung von Schutztendenzen“325 begreifen lassen, die sich bereits in der Anwendung der allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften artikulieren. Gerade dieser Umstand bringt es jedoch mit sich, dass immer wieder Streit darüber entsteht, ob das Verbraucherschutzrecht als ein Sonderprivatrecht verstanden werden kann oder nicht.326 Die eigentliche Kernfrage lautet in diesem Zusammenhang: Überzeugt ein Privatrechtssystem, das dem allgemeinen Zivilrecht in der einen Richtung ein Kaufmannsrecht und in der anderen Richtung ein Verbraucherrecht zur Seite stellt?327 Es geht hier um die sinnvolle äußere (aber auch innere) Ordnung des Rechts,328 bei der die Problematik im Vordergrund steht, inwieweit verbraucherschützende Vorschriften als Bestandteil eines allgemeinen Zivilrechts und seiner Kodifikation begriffen werden sollten329 321
BVerfGE 103, 89, 100 zum Unterhaltsverzicht. Es stellt sich hier die Frage, ob gesetzgeberische Maßnahmen „Eingriffe“ in die Privatautonomie (so eher Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar Bd. I, [2002], Art. 2 I GG Rn. 112 ff.) oder Gewährleistungsgarantien i.S.d. Definition des Schutzbereiches von Art. 2 I GG sind, im letzteren Sinne Art. 2 I GG deutend BVerfGE, a.a.O. und viele andere mehr, so etwa Murswiek, in Sachs (Hrsg.), GG Kommentar (4. Aufl., 2007), Art. 2 I Rn. 55a, 55 b. 323 BVerfGE 89, 214, 231; kritisch dazu Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar Bd. I, (2002), Art. 2 I GG Rn. 112 ff. 324 BVerfG 89, 214, 231 ff.; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 253. 325 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 164; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487 f. 326 Einen Überblick darüber gibt Damm, FS Reich (1997), S. 129, 133 f.; Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), s. 49 f. 327 So auch die grundlegende Fragestellung bei K. Schmidt, BB 2005, 837; Staudinger/ Weick (2004), § 13 Rn. 15; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 76 ff.; Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 297; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 161. 328 Zum Zusammenspiel beider Komponenten vgl. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 139 ff. 329 Damm, FS Reich (1997), S. 129, 133 f. 322
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– eine Fragestellung, die mit der Schuldrechtsreform von 2001 schon deshalb nicht obsolet geworden ist, weil sie sich mit den sich abzeichnenden Überlegungen zur Kodifikation eines europäischen Zivilrechts neu stellen kann330 und mit den derzeitigen Bestrebungen der Gemeinschaft zur Vollharmonisierung331 im Verbraucherrecht ganz sicher neu aufzuwerfen sein wird. Komplexität gewinnt diese Debatte dadurch, dass sie einmal auf der Ebene der Interpretation der bestehenden Gesetzeslage „läuft“ und zum anderen auch auf der Ebene der Rechtspolitik geführt wird.332 In der wissenschaftlichen Diskussion wurde in der Vergangenheit noch kein Konsens darüber erzielt, in welchem Verhältnis das Verbraucherprivatrecht zum sonstigen Privatrecht steht bzw. (zukünftig) stehen sollte.333 Deshalb ist es auch umstritten, ob man den auf die Protektion von Verbraucherinteressen gerichteten Regelungscluster als eine Art Sonderprivatrecht deklarieren muss, das neben oder gar gegen die überkommene Systematik des BGB zur Geltung kommen sollte, oder nicht.334 Bei der Auseinandersetzung geht es zwar vordergründig nur um eine terminologische Frage.335 Sie steht jedoch in einem engen Kontext zu dem Problemkreis der systematischen Verortung und des Stellenwerts des Verbraucherrechts im System des Zivilrechts.336 Es geht um eine Verhältnisbildung von „Allgemeinem Privatrecht“ und „Besonderem Privatrecht“.337 Die jeweilige Parteinahme für oder gegen den Terminus „Sonderprivatrecht“ wird natürlich von dem jeweiligen rechtspolitischen Vorverständnis338 über die Reichweite der (Neu-)Veror330
Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17. Vgl. dazu meine kritischen Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel, E V; Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 332 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17. 333 Vgl. zur Kurzdarstellung des Streitstandes: Gilles, JA 1980, 1; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 45; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 14 ff.; Soergel/ Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 17. 334 Zur Diskussion vgl. Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 15; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 17 ff.; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 17 ff.; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 119; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 12 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 1 ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 76 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts (2004), S. 248 ff.; Damm, JZ 1978, 173, 174 ff.; Gärtner, BB 1995, 1753 ff.; Heiss, JZ 1997, 83 f.; Hönn, JZ 1983, 677, 679 ff.; Koziol, AcP 188 (1988), 183 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; ders., AcP 183 (1983), 327, 351 ff.; Preis, ZHR 158 (1994), 567 ff.; Pützhoven, EWS 1999, 447, 448; Reich, ZRP 1974, 187 ff.; Schwark, JZ 1980, 741, 743 ff.; Tonner, JZ 1996, 533 ff. 335 Dass es sich allein um eine terminologische Frage handelt behauptet etwa Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 12 Rn. 27. 336 So zutreffend v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Privatrecht (2006), S. 227 ff. 337 Damm, FS Reich (1997), S. 129, 134. 338 Zur Bedeutung des Vorverständnisses bei der Interpretation des Rechts vgl. Haber331
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tung des Verbraucherprivatrechts im bürgerlichen Recht und über den Grad seiner inhaltlichen Verzahnung mit ihm geprägt.339 I. Was Sonderprivatrecht ist Über Sonderprivatrecht nachzudenken, heißt über die Einheit der Rechtsordnung insgesamt nachzudenken und damit über die immerwährende Aufgabe zu sinnieren, ob und wie sich abgelöste oder tendenziell ablösbare Teile des Privatrechts zu einem Ganzen in das rechte Verhältnis setzen lassen. Die Frage, ob das Verbraucherprivatrecht als ein „Sonderprivatrecht“ einen vom übrigen Zivilrecht unabhängigen Geltungsanspruch verfolgt und als ein Rechtsbereich zu verstehen ist, dem dann auch potenziell eigene Wertungsmaßstäbe unterlegt sind und der damit zugleich in der Lage wäre, Tendenzen einer Nivellierung der Unterschiede zwischen ihm und dem allgemeinen Zivilrecht vorzubeugen (gleichwohl aber einen Wertungsaustausch zwischen beiden Bereichen zulässt), wird in der Literatur recht unterschiedlich beurteilt.340 Die Schwierigkeit der Beantwortung dieser Fragestellung liegt darin begründet, dass in der Rechtswissenschaft der Beurteilungsmaßstab für die Identifizierung von Sonderprivatrechten noch nicht genügend gefestigt ist. So gehen schon die Vorstellungen darüber, was ein „Sonderprivatrecht“ ausmacht, weit auseinander.341 1. Formelle Kriterien Manche stellen für die Abgrenzung zwischen allgemeinem Zivilrecht und dem besonderen Zivilrecht, d.h. dem „Sonderprivatrecht“, auf rein formelle Kriterien ab. Man unterscheidet danach, ob es sich bei den in Bezug genommenen Vorschriften um solche außerhalb der zivilrechtlichen Grundkodifikation, d.h. des BGB, handelt oder nicht.342 Zutreffend ist hieran, dass der Gesetzgeber die „Bemas, Faktizität und Geltung (1997), S. 468; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1978), S. 18 ff. 339 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 15: „Mit der wertungsmäßigen Integration in das BGB sollte auch die heftige Diskussion darüber beendet sein, ob das Verbraucherrecht zur Erosion des Privatrechts (…) führt“; ähnlich Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 12; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 1. 340 Einen Überblick gibt Damm, FS Reich (1997), S. 129, 133 f. 341 Vgl. dazu Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 12 Rn. 27, 28; K. Schmidt, BB 2005, 837. 342 Hofmann, Handelsrecht (11. Aufl., 2002), S. 1 f.; zur häufig zu Unrecht im Vordergrund stehenden Verortungsdiskussion vgl. auch A. Wolf, ZRP 1978, 249; Schwark, JZ 1980, 741 ff.; tendenziell in diese Richtung neigend wohl auch Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 15; allgemein zur Kodifikation des Verbraucherrechts außerhalb des BGB Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 72 ff.; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 450 f.; Duve, Jura 2002, 793, 794 ff.; Gernhuber, WM 1998, 1797; Gilles, JA 1980, 1, 6; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Hondius, FS Reich (1997), S. 311 ff.; Joerges, AG 1983, 57, 66 f.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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sonderheit“ einer Regelung oft darin zum Ausdruck brachte (und teilweise auch noch bringt), dass er sie auch äußerlich der allgemeinen zivilrechtlichen Gesamtkodifikation gegenüberstellt/e und folglich in einem Gesetzeswerk außerhalb des BGB verortet/e.343 Der Grund für die frühere Regelungstendenz, die in diese Richtung ging, lag darin, dass man dadurch an dem primär formal verstandenen Begriff der Vertragsfreiheit des BGB zumindest vordergründig344 festhalten konnte.345 Außerdem sprechen oft regelungstechnische Aspekte dafür, die zunächst noch nicht „erprobten“, neuen (Spezial-)Materien nicht sofort in die Zentralkodifikation einzufügen. So soll – wie es bereits Planck bei der Schaffung des BGB formulierte – die Spezialgesetzgebung (gemeint war das AbzG und die Frage der Einfügung in das BGB) auch weiterhin außerhalb der Zentralkodifikation erfolgen, wenn es sich um Gegenstände handle, die „noch in der Entwicklung begriffen sind und eine feste Gestaltung noch nicht gewonnen haben, oder über deren gesetzliche Regelung die Ansichten noch nicht genügend geklärt sind“. 346 Der Vorteil dieses Regelungsansatzes liegt darin, dass die noch nicht völlig konzertierten, neuen Bereiche so eine Genese durchlaufen können, die eine Anpassung an moderne Entwicklungstendenzen und Bedürfnisse des Marktes ermöglicht, ohne dass eine ständige inhaltliche und äußere Neuabstimmung mit den Regelungen der Zentralkodifikation notwendig ist. Der Verortung einer Regelung außerhalb der Zentralkodifikation (hier der des BGB) kommt jedoch nur eine Indizwirkung 347 für das Vorhandensein von Sonderprivatrecht zu. Diese leitet sich daraus ab, dass die Regelungstechnik ein Instrument betrifft, mit dem man deutlich machen kann, ob und welche inhaltlichen Rückwirkungen die betroffenen Regelungen auf die Prinzipien der übrigen Privatrechtsordnung348 zeitigen (sollen).349 Falls Wertungsunter343 Hondius, FS Reich (1997), S. 311 ff.; Tröger, ZEuP 2003, 525, 526; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 17 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268; Gilles, JA 1980, 1, 3; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 227 ff.; zur gesetzgebungspolitischen Diskussion vgl. ferner: Damm, JZ 1978, 173 ff.; A. Wolf, ZRP 1978, 249 ff.; Schwark, JZ 1980, 741 ff. 344 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982). 345 Hönn, ZfA 2003, 325, 355. 346 Planck, AcP 75 (1889), 327, 407. 347 So zutreffend Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 18 f.; K. Schmidt, BB 2005, 873; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 227. 348 V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 45; Damm, JZ 1978, 173 ff.; Leiphold, Verbraucherschutz – Todesstoß oder Überlebenschance für das Bürgerliche Recht?, in: Studi in honore Liebmann Bd. 4 (1979), S. 2693 ff.; Landfermann, RabelsZ 45 (1981), 124 ff.; Lieb, AcP 183 (1983), 327, 348 ff.; Westermann, Verbraucherschutz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Band III (1983), S. 1 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983). 349 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008),
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schiede350 zwischen den „Sonderweisen“ und dem allgemeinen Zivilrecht vorhanden sind und eine Rückwirkung der besonderen Vorschriften auf das allgemeine Zivilrecht ausgeschlossen oder zumindest eingegrenzt werden soll (vielleicht auch, weil man fürchtet, dass es sonst zu einer Sprengung des allgemeineren Systems kommt),351 dann kann man dies regelungstechnisch dadurch kenntlich machen, dass man diese Normen „vor den Toren“ der Großkodifikation in Sondergesetzen verankert, die dann mangels ihrer zentralen Stellung weder in das Bewusstsein des Gesetzesanwenders rücken noch in das Zentrum der wissenschaftlichen Betrachtung. Vor dem Hintergrund dieses Zusammenhanges sind Standort und Funktion des Verbraucherschutzes in Deutschland natürlich ein seit vielen Jahrzehnten intensiv diskutiertes Problem.352 Die bloße Gestaltungstechnik des Gesetzgebers lässt allerdings keinen zwingenden Schluss auf die Etablierung eines Sonderrechtskreises zu. Die zu Unrecht vielfach im Vordergrund stehende Frage, ob verbraucherrechtliche Innovationen formal in Sondergesetzen verfolgt oder in das BGB integriert werden sollen, 353 lässt sich überhaupt erst vor dem Hintergrund einer wertungsgemäßen Legitimation materiell-sonderprivatrechtlicher Entwicklungen richtig einordnen. 354 Die Etablierung von Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers außerhalb des BGB begründet nur ein (formelles) Indiz für ein Sonderprivatrecht, weil das äußere System, d.h. die juristische Konstruktion, häufig bestrebt ist, materielle Wertungen systematisierend aufzugreifen.355 Dieser indizielle Zusammenhang356 ist aber, gerade wenn dieser Anspruch nicht besteht oder ihm nur unvollS. 49; K. Schmidt, BB 2005, 837; Gilles, JA 1980, 1, 3; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268. 350 Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 19; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 23. 351 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268; Gilles, JA 1980, 1, 3; ders., NJW 1986, 1131 ff. 352 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 17 ff.; K. Schmidt, BB 2005, 873 ff.; Köhler, BGB AT (28. Aufl., 2004), § 2 Rn. 8 ff.; Westermann, AcP 178 (1978), 150 ff.; Mertens, AcP 178 (1978), 227 ff.; Weyer, WM 2005, 490, 494 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 23; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415 ff., 426. Gleiches gilt aber auch für das Handelsrecht als Sonderprivatrecht, vgl. Weyers, WM 2005, 490, 493. 353 Vgl. etwa A. Wolf, ZRP 1978, 249 ff.; Schwark, JZ 1980, 741 ff.; Gilles, JA 1980, 1 ff.; ders., NJW 1986, 1131 ff. 354 So zutreffend: Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 19; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1981), S. 23. 355 Zum Zusammenhang von innerem und äußeren System vgl. schon Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 139 ff.; später auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 309. 356 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 309 führen dazu aus, dass es das „Anliegen“ einer sowohl wert- wie systematisch orientierten Rechtsordnung ist, dass innere System durch entsprechende Strukturgebung auch äußerlich sichtbar zu machen.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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kommen nachgegangen wird, nicht zu hoch anzusetzen. Denn gerade in diesem Fall stellt sich die Frage, warum eigentlich die vielleicht auch nur regelungstechnisch, d.h. stilistisch, inspirierte Zweckmäßigkeitsentscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Spezialbereiche aus der Zentralkodifikation auszugliedern bzw. an ihr vorbei zu regeln, ein Sonderprivatrecht begründen soll und die umgekehrte Entscheidung dies nicht zulässt.357 Was soll es so besonders machen, wenn man tendenziell alles anders verorten kann und dies teilweise bei der Implementierung von verbraucherrechtlichen Vorgaben der EU in anderen Ländern (Beispiele für Sondergesetzgebungen bieten Italien, Frankreich, Spanien, Österreich; Beispiele für die Integrationslösung finden sich etwa in den Niederlanden und vielen neuen Mitgliedstaaten) auch geschieht?358 Ganz davon abgesehen würde das primäre Abstellen auf die „Regelungssystematik“ des Gesetzgebers m.E. auch die weitergehende, intrikate Frage aufwerfen, wie man allgemeines Zivilrecht und Sonderprivatrecht im Case-Law System sinnvoll voneinander abgrenzen kann/soll. Diese Frage ist nicht nur theoretischer Natur, da sie sich hier für die Rechtswissenschaft (insbesondere bzgl. der Prinzipienbildung) genauso stellt wie in kodifizierten Rechtssystemen. Nur lässt sie sich im Case-Law-System noch viel weniger auf formeller, d.h. regelungstechnischer Grundlage entscheiden, da hier die logische Konstruktion des Kodifikationsdenkens, d.h. das „äußere System“,359 so gut wie keine Rolle spielt.360 Die aufgeworfenen Probleme und Fragen deuten m.E. eindringlich darauf hin, dass das formelle Kriterium der regelungstechnischen Verankerung, d.h. das „äußere System“, nicht aussagekräftig genug ist und daher nicht alleiniger bzw. primärer Ausgangspunkt sein kann, um die Bedeutung einer oder mehrerer (verbraucherschützender) Regelungen auch im Verhältnis zum übrigen bürgerlichen Recht abschätzen zu können, sodass allein die vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten inhaltlichen Differenzierungen – mithin das so genannte „innere System“ – als entscheidend für die Charakterisierung eines Sonderprivatrechts herauszustellen sind.361 Denn erst aus diesen Differenzierungen und dem Normzweck ergibt sich eindeutig, welche Vorschriften als „Sondernormen“ gedacht sind und welche zum Kreis der allgemeinen Regelungen gehören.362
357 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 49; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 19. 358 K. Schmidt, BB 2005, 837. 359 Zur Unterscheidung von äußerem und inneren System siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 263 ff. 360 Vgl. dazu Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 220. 361 K. Schmidt, BB 2005, 837; Weyers, WM 2005, 490, 492. 362 Weyers, WM 2005, 490, 491.
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1. Teil: Grundlagen
2. Materielle Kriterien Vorzugswürdig erscheint es daher, eher auf inhaltliche, d.h. materielle Abgrenzungskriterien abzustellen.363 Auf dieser Ebene gibt es Versuche, für die Identifizierung von Sonderprivatrecht entweder: – an „Gesetze für besondere, (d.h. situativ bzw. vertragsspezifisch ermittelte) Anwendungsbereiche“ 364 oder – an „Sonderregelungen für bestimmte Rechtssubjekte“ 365 anzuknüpfen.366 In den durch diese Differenzierungskriterien aufgestellten Rahmen lassen sich sowohl das Handelsrecht als auch das Verbraucherprivatrecht eindeutig als Sonderprivatrechte kennzeichnen.367 3. Handelsrecht und Verbraucherprivatrecht als Testfälle des Sonderprivatrechts Der Grund ist, dass es sich bezüglich beider Rechtsmaterien bei genauerer Betrachtung um besondere Rechtskreise für (bestimmte) Rechtsgeschäfte handelt, die von typisierten Personen (dem Verbraucher bzw. dem Kaufmann/Unterneh363 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 12 Rn. 27, 28; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415 ff.; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 19; Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 23; K. Schmidt, BB 2005, 837; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2008), S. 19 ff. 364 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 12 Rn. 28; Medicus, AT BGB (7. Aufl., 1997), Rn. 13 („Berufsgruppen oder Lebensbereiche“); Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), Einl. Rn. 1 („Berufsgruppen oder Sachgebiete“). 365 Vgl. Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 12 Rn. 28; Brox, Handels- und Wertpapierrecht (17. Aufl., 2004), Rn. 4; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 361: „Konglomerat von Rechtsvorschriften, die nur zwischen professionellen und nicht professionellen Teilnehmern am Rechtsverkehr Anwendung finden“; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2008), S. 19 ff. 366 Dies nicht genügend herausarbeitend Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 50. 367 Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge (2009), S. 6 ff.; Hier hinein spielt aber natürlich auch das Arbeitsrecht als Sonderprivatrecht. Die oft in einem Atemzug erwähnte Gegenüberstellung des Handels- bzw. Verbraucherschutzrechtes gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht beruht lediglich auf dem Umstand, dass in der positiven Feststellung einer Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers lediglich die Kehrseite der negativ anerkannten, geringen Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns gesehen wird, vgl. dazu: Hadding, Gutachten zum 53. DJT (1980), S. 115 f.; U. Hübner, Handelsrecht (1980), S. 2 f.; Schwark, Die Abgrenzung von Schuldrecht und Handelsrecht als legislatorisches Problem, in: Kindermann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung (1983), S. 11; kritisch dazu: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 28 ff.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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mer) vorgenommen werden. Es geht um zwei Materien, die durch ein „geschäftsbezogen-durchbrochenes, subjektives System“ gekennzeichnet sind. Das Verbraucherprivatrecht beinhaltet Sonderregelungen für Verbraucher bei der Eingehung und Abwicklung von „Verbrauchergeschäften“ und das HGB zielt auf Sonderregelungen für in §§ 1 ff. HGB definierte Kaufleute, die sich über § 343 HGB insbesondere bei der Eingehung und Abwicklung von „Handelsgeschäften“ auswirken. Der einzige Unterschied zwischen dem Verbraucherprivat- und Handelsrecht besteht darin, dass das Handelsrecht durch die Inbezugnahme des Kaufmannsbegriffs an einen Statusbegriff anknüpft. Denn „Kaufmann“ i.S.d. §§ 1 ff. HGB ist die in Bezug genommene Person in jeder Hinsicht und ununterbrochen: bezüglich der Registrierung, des Firmenrechts, der Rechnungslegung und der sonstigen Publizitätspflichten. Auch wenn die betreffende Person einmal ein Privatgeschäft tätigen sollte – ein nur bei natürlichen Personen denkbarer Tatbestand! –, legt sie die Kaufmannseigenschaft damit nicht ab. So gesehen ist der in §§ 1 ff. HGB festgeschriebene Kaufmannsbegriff gegenüber dem Unternehmerbegriff des § 14 BGB auch konstitutionell ein Aliud.368 Die Konstitution des Kaufmannsbegriffes als Statusbegriff bildet die Grundlage einer Einwendung gegen die Charakterisierung des Verbraucherprivatrechts als Sonderprivatrecht. Gegen sie wird in vergleichender Bezugnahme auf den Kaufmannsbegriff im Handelsrecht herausgestellt, dass „Verbraucher“ im Unterschied zum Kaufmann jedermann sein könne. Somit sei es im Unterschied zum Handelsrecht auch nicht möglich, das Verbraucherprivatrecht als einen „Sonderrechtskreis“ darzustellen. Dieser Einwand ist jedoch deshalb irreführend, weil sich bereits § 14 BGB in seiner praktischen Anwendung und Auswirkung als ein naher „Verwandter“369 des § 343 HGB erweist, der wiederum funktional mit §§ 1 ff. HGB verknüpft ist. Denn über § 343 HGB370 wird der in §§ 1 ff. HGB konstituierte Kaufmann erst in seiner Funktion als Person, die im Rechtsverkehr agiert, einer Sonderregelung zugeführt.371 § 343 BGB bewerkstelligt dies, indem er das von §§ 1 ff. HGB festgeschriebene „subjektive System“372 durchbricht, weil 368
K. Schmidt, BB 2005, 837, 838. K. Schmidt, BB 2005, 837, 838. 370 So hängt die Einordnung als „Handelsgeschäft“ gemäß § 343 HGB davon ab, dass die betreffenden Geschäfte zum Betriebe des Handelsgewerbes gehören, was die Privatgeschäfte des Kaufmanns ausschließt. Bereits dies verdeutlicht, dass eine rein personale Anknüpfung handelsrechtlicher Sonderregelungen nicht möglich ist. Das subjektive System wird hier durchbrochen, so auch Canaris, Handelsrecht (23. Aufl., 2000), § 22 Rn. 13; Siems, Der personelle Anwendungsbereich des Handelsrechts nach dem Handelsrechtsreformgesetz (1999), S. 3. Dies wird unterstrichen durch die Differenzierung im Fall einseitiger Handelsgeschäfte, vgl. dazu Weyer, WM 2005, 490, 493. 371 Medicus, in: Honsell u.a. (Hrsg.), Privatrecht und Methode, FS Kramer (2004), S. 211, 212. 372 U. Hübner, Handelsrecht (1980), S. 1; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 31. 369
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1. Teil: Grundlagen
durch ihn im vierten Buch des HGB eben nicht ein Typus von Rechtssubjekten, sondern ein Typus von Rechtsgeschäften beschrieben werden soll.373 Das Handelsrecht knüpft somit zwar formell an die Person des Kaufmanns an, bezieht sich jedoch inhaltlich auf das sachliche Substrat seiner Tätigkeit, das Unternehmen bzw. die unternehmensbezogenen Geschäfte.374 Diese Sichtweise des Handelsrechts, die über § 343 HGB das Agieren des in §§ 1 ff. HGB statusmäßig festgeschriebenen „Kaufmanns“ in den Mittelpunkt rückt, korrespondiert i.Ü. mit der alten, bereits von Raisch eingebrachten Forderung, das Handelsrecht als das Sonderrecht des „Unternehmers“ für Unternehmergeschäfte aufzufassen.375 Partiell deckt sich dieser Ansatz auch mit dem von K. Schmidt, der bereits seit langem für ein „unternehmensbezogenes“ Sonderprivatrecht plädiert. Durch die über § 343 HGB bereits gewährleistete Inbezugnahme der Rolle der agierenden Personen zu einem anderen Rechtsträger, die über die rechtsgeschäftliche Tätigkeit dieser Person bestimmt wird, nähert sich das Handelsrecht dem Verbraucherprivatrecht an. Denn auch die §§ 13, 14 BGB beinhalten letztlich mit den in Bezug genommenen Begriffen des „Verbrauchers“ und des „Unternehmers“ geschäftsbezogene Tatbestände.376 In beiden Fällen wird das rechtssubjektsbezogene, typisierende System rechtsgeschäftsfokussiert durchbrochen;377 nur dass das subjektive System des HGB über den Statusbegriff des Kaufmanns dort viel fester perpetuiert ist.378 Sieht man über diesen – nach der hier vertretenen Auffassung – vernachlässigbaren Unterschied zugunsten einer funktionalen Betrachtungsweise hinweg, 379 dann erweist sich nicht nur das Handelsrecht, sondern auch das Verbraucherprivatrecht als zivilrechtliches Sonderprivatrecht. 380 373
Weyer, WM 2005, 490, 493. Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht Bd. 1 (9. Aufl., 1975), S. 4; Capelle/ Canaris, Handelsrecht (19. Aufl., 1980), S. 92 ff.; besonders ausgeprägt Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 31. 375 Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung von Handelsrecht (1965), S. 179 ff. 376 So auch K. Schmidt, BB 2005, 837, 842. 377 In der Literatur wurde wegen der engen Verwandtschaft von Handelsrecht und Verbraucherrecht vorgeschlagen, das Verbraucherrecht als besonderes Handelsrecht, wo nicht der Kaufmann mit dem Kaufmann in Geschäftsbeziehung tritt, sondern der Kaufmann/ resp. der Unternehmer zusammen mit dem Verbraucher agiert, zu begreifen, vgl. dazu Grundmann, ZHR 163 (1999), 635, 665 ff., 669 ff. 378 Staudinger/Habermann (2004), § 14 Rn. 14; Pfeiffer, NJW 1999, 169; BaRoth/SchmidtRäntsch (2. Aufl., 2007), § 14 Rn. 6. 379 Das österreichische, reformierte Handelsrecht hebt die Unterscheidung zwischen Unternehmer und Kaufmann übrigens schon jetzt (dank der Einflussnahme von K. Schmidt) völlig auf, vgl. dazu, Dehn/Krejci, Das neue UGB (3. Aufl., 2008), S. 1 ff. Auf S. 141 ff. ist das das österr. HGB ändernde UGB abgedruckt. In § 1 ist der UGB Unternehmer dort als jemand definiert, der ein Unternehmen betreibt. 380 K. Schmidt, BB 2005, 837, 839. 374
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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Die Besserstellung des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer im Verbraucherprivatrecht und die Schlechterstellung des Kaufmanns/resp. des Unternehmers im Handelsrecht spiegeln damit auch normativ nur zwei Seiten ein und derselben Medaille wider.381 Der positiven Feststellung der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers steht auf der Kehrseite der Medaille die „negativ“ anerkannte, geringe Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns gegenüber.382 a. Geringe Schutzbedürftigkeit der Kaufleute Die geringe Schutzbedürftigkeit der Kaufleute kommt im Handelsrecht gerade in den §§ 343 f. HGB zum Ausdruck, wenn die dort enthaltenen Vorschriften etwa an die Wirksamkeit einer Bürgschaft unterschiedliche Anforderungen stellen, je nachdem, ob der Bürge Kaufmann ist oder nicht (§ 350 HGB), wenn sie die mögliche Relevanz eines Schweigens im Rechtsverkehr von der Kaufmannseigenschaft des Schweigenden abhängig machen (§ 362 HGB) oder wenn sie nur dem Kaufmann Untersuchungs- und Rügepflichten (§ 377 HGB) auferlegen. Hier hinein spielt aber auch die Vertragsstraferegelung des § 348 HGB. Als Rechtfertigung für diese Bestimmungen wird (neben dem starken Bedürfnis des Handelsverkehrs nach Flexibilität, schneller Abwicklung und genügendem Gestaltungsspielraum) stets die höhere Fähigkeit des Kaufmanns zum Selbstschutz in Ansatz gebracht, die er auf Grund einer besonderen Geschäfts- und Rechtserfahrung typischerweise besitzt. Aus diesen Sonderregelungen des HGB lässt sich bereits der Schluss ziehen, dass eine allgemeine Differenzierung nach schutzbedürftigen Personengruppen in der Dualität von HGB und BGB angelegt ist,383 nur dass sie sich auch im HGB als Sondermaterie zunächst über sachbereichsspezifische Normen Bahn bricht. b. Erhöhte Schutzbedürftigkeit des Nichtkaufmanns bzw. des Verbrauchers Eine frühe, an die Gegenüberstellung von Kaufmann und Nichtkaufmann anknüpfende Unterscheidung fand sich für das Verbraucherrecht in § 8 AbzG, der den Geltungsbereich des Abzahlungsgesetzes384 auf Personen beschränkte, die nicht als Kaufleute im Handelsregister eingetragen waren. Diese Regelung beruhte auf der Idee der besonderen Schutzbedürftigkeit des nicht als Kaufmann
381 Weyer, WM 2005, 490, 492; Preis, ZHR 158 (1994), 567, 574, 590; Gärtner, BB 1995, 1753, 1754 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 360; Pfeiffer, in: Schulte-Nölke/Schulze, Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 30. 382 Hadding, Gutachten zum 53. DJT, S. 115 f.; U. Hübner, Handelsrecht (1980), S. 2 f.; Schwark, Die Abgrenzung von Schuldrecht und Handelsrecht als legislatorisches Problem, in: Kindermann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung (1983), S. 11 ff. 383 So etwa U. Hübner, Handelsrecht (1980), S. 2 f.; dagegen Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 33. 384 RGBl. 1894, 450.
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1. Teil: Grundlagen
ins Handelsregister eingetragenen Abzahlungskäufers, die aus seiner geschäftlichen und wirtschaftlichen Unterlegenheit resultierte.385 Eine weitere, wichtige, an die traditionelle Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten anknüpfende, persönliche Differenzierung ergab sich schließlich aus § 24 AGB-Gesetz. Gemäß § 24 S. 1 AGB-Gesetz fanden die §§ 2, 10, 11, 12 des Gesetzes, das insbesondere durch die Eröffnung von Prüfungsund Korrekturmöglichkeiten im Wege der Inhaltskontrolle gemäß §§ 9 ff. AGBGesetz Schutz vor einseitiger Ausnutzung privatautonomer Gestaltungsfreiheit durch den Verwender gewähren soll, auf solche AGB keine Anwendung, die gegenüber einem Kaufmann verwendet werden, wenn der Vertrag zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehört. Damit wurde zum ersten Mal ein allgemeiner qualitativer Unterschied zwischen Konsum und gewerblicher Tätigkeit gemacht und eine allgemeine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers gegenüber dem erwerbswirtschaftlich Tätigen anerkannt.386 Die Referate und Diskussionsbeiträge zum 50. DJT387 sowie die intensive und kontrovers geführte Diskussion um das AGBGesetz388 spiegeln jedenfalls sehr deutlich wider, dass die Problematik des Schutzes vor unangemessenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen unmittelbar als dem Sachkomplex „Verbraucherschutz“ zugehörig angesehen wurde. II. „Abwehrstrategien“ der Literatur und ihre kritische Würdigung Allerdings werden sowohl auf der Ebene der Rechtspolitik als auch auf derjenigen des geltenden Rechts gegen jegliche Versuche, einen Sonderrechtsbereich zugunsten des Verbrauchers zu etablieren, erhebliche Einwände erhoben. Diese sind vor allem normativer Natur. Vertreter einer am herkömmlichen Recht orientierten Rechtsauffassung leisten dem Prozess der Entwicklung und Verselbständigung des Verbraucherprivatrechtes erbitterten Widerstand und versuchen, es in die überkommene Kategorie von Zivilrecht einzupassen. 389 So werden Wertungswidersprüche zwischen dem allgemeinen Zivilrecht und den besonderen Bestimmungen zugunsten des Verbrauchers generell in Abrede gestellt, 390 was 385 Vgl. dazu Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 1; Pramann, DB 1974, 2093; Heckelmann, FS Bärmann (1975), S. 427, 428, 432; Benöhr, ZHR 138 (1974), 492 ff. 386 Dies zugestehend: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 41. 387 Vgl. schon die Fragestellung: „Welche gesetzgeberischen Maßnahmen empfehlen sich zum Schutze des Endverbrauchers gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen?“. 388 Lindacher, BB 1972, 296 ff.; Brandner, JZ 1973, 613 ff.; M. Wolf, JZ 1974, 465 ff.; Eith, NJW 1974, 16 ff.; Dietlein, NJW 1974, 969 ff.; Reich, ZRP 1974, 187; Nicklisch, BB 1974, 941 ff.; Löwe, BB 1974, 1033. 389 Zu diesem Befund und diesen Versuchen entgegentretend: Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1. 390 Symptomatisch: Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005).
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
131
zur Folge hat, dass auch kein Bedürfnis zur Deklarierung der verbraucherschützenden Vorschriften als „Sonderprivatrecht“ besteht.391 Die Leugnung der Eigenständigkeit und des eigenständigen Geltungsgrundes von Sonderprivatrechten geht dabei Hand in Hand mit der Vorstellung, den Regelungscluster des Verbraucherprivatrechts392 seinem materiellen Gehalt nach als Bestandteil des allgemeinen Privatrechts zu begreifen. Im Ergebnis zielen diese Vorstellungen rechtspolitisch natürlich darauf ab, den Vorschriften des Verbraucherprivatrechts jede das übrige Zivilrecht beeinflussende, eigenständige Wirkkraft und Impulsgebungsfunktion abzusprechen.393 Spitzt man diese Ansicht zu, dann wären die Normen des Verbraucherprivatrechts „überflüssig“, weil bereits die allgemeinen Regeln zugunsten der Kompensation des gestörten Vertrages (§§ 119 ff., 242, 138 BGB) der richtige Ort seien, um etwaige „Defizite“, die zwischen den Vertragsparteien bestehen könnten, zu bekämpfen. 394 Die in der vorbenannten Argumentation mitschwingende Euphorie gegenüber der Problemlösungskraft des allgemeinen Zivilrechts ist jedoch zu dämpfen. Denn durch eine entsprechend ausgestaltete Anwendung der Normen des allgemeinen Zivilrechts kann die Rechtsprechung zwar neu auftretende Problemlagen über §§ 119 ff., 242, 138 BGB aufgreifen. Diese Vorgehensweise ist jedoch kein Königsweg. Denn mit der Präferierung eines „generell“ im allgemeinen Zivilrecht aufgehenden Schutzes für Verbraucher würde man sich bei der Entwicklung allgemeingültiger Standards allzu sehr auf die Rechtsprechung verlassen und letztendlich den Gesetzgeber seiner Funktion berauben. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit395 erscheint diese Vorgehensweise unzweckmäßig zu sein. Im Fall von Generalklauseln und ihrer Heranziehung treten nämlich sonderrechtsspezifische, eine Andersregelung notwendig machende Anknüpfungspunkte nicht im geschriebenen Tatbestand hervor,396 sodass sie auch dem ju391
Vgl. etwa Westermann, AcP 178 (1978), S. 120 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), S. 196 ff.; Rittner, JZ 2007, 1043 (kritisch zur Unterscheidung zwischen B2C und B2B). 392 Für die Charakterisierung des Verbraucherprivatrechts als Sonderprivatrecht: K. Schmidt, BB 2005, 837, 838; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1; dagegen: Westermann, AcP 178 (1978), S. 120 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), S. 196 ff.; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415, 708 ff.; ähnlich wohl auch Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 2 ff. 393 Gärtner, BB 1995, 1753; Pfeiffer in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 481, 494; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 13; zusammenfassend zur Diskussion: F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 415 ff.; ders., ab S. 708 ff. reserviert zum Verbraucherschutzrecht. 394 F. Bydlinski, AcP 204 (2004), 311, 362 f., 364 ff. 395 Grundlegend zu diesem Postulat BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff. 396 Zu dem Problem, der Korrelation zwischen Umfang (Anwendungsbereich) der Norm und ihrem Inhalt, der mit zunehmenden Umfang des Anwendungsbereiches bei der
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1. Teil: Grundlagen
ristischen Laien nicht erkennbar werden, z.T. aber auch für den Juristen einen hohen Begründungsaufwand mit sich bringen.397 Für die Gewähr eines ausreichenden Maßes an Rechtssicherheit398 ist es jedoch unerlässlich, dass der Gesetzgeber das tatsächlich geltende Recht auch ins Gesetz hineinschreibt 399 und es den Bürgern (ungeachtet der fortbestehenden und hier nicht prinzipiell geleugneten Notwendigkeit von Generalklauseln)400 nicht zumutet, in breiter Front – praeter oder sogar contra legem – entwickelte Rechtsgrundsätze zur Auslegung und Anwendung der Generalklauseln mühsam aus der Rechtsprechung herauszufiltern;401 zumal umfangreiche Fallgruppen zu den allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts, die bei fehlenden gesetzlichen Spezialvorschriften unabweislich wären,402 auch dann zu einem eigenem Verbraucherschutzrecht führen würden, wenn dies nicht in Paragraphenform gegossen würde (Stichwort: „verstecktes Verbraucherrecht“).403 Für das Verbraucherrecht wird dieser notwendige (evolutionäre)404 Schritt daran deutlich, dass in dem Moment, in dem man der Rechtsprechung allein und auf „breiter Fläche“ die Führungsrolle bei der Herausbildung von Verbraucherrecht zuerkennt,405 zugleich die Gefahr von Transparenzverlusten und Einbrüchen für die notwendig zu gewährende Rechtssicherheit heraufbeschwören Verwendung abstrakter Begriffe abnimmt, vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 2008), S. 283. 397 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 325; Weyers, WM 2005, 490, 491; Heck, AcP 92 (1902), 438, 462 f. 398 Zur Problematik der unsicheren Ergebnisse bei der Verwendung von Normen mit immer höherer Abstraktionsstufe siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 285. 399 So kann auch in diesem Zusammenhang nur darauf hingewiesen werden, dass bereits Luhmann in seinem grundlegenden Werk zum Rechtspositivismus herausarbeitete, welche entscheidende evolutionäre Errungenschaft die Herausbildung von konkreten Normsätzen darstellt, mit der es dazu kommt, von den Zufälligkeiten des Richterrechts abzugehen zu können, vgl. Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1: Die Funktionen des Rechts in der modernen Gesellschaft (Hrsg. Lautmann/Maihofer/Schelsky), 1970, S. 175 ff. 400 Instruktiv: Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 87; R. Weber, AcP 192 (1992), 516 ff. 401 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 87; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 167; Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 7 Rn. 8: „Das Gesetz muss also sprechen“. 402 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 325. 403 So zutreffend: Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 168; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1. 404 Zum Gedanken der Rechtsevolution vgl. Helsper, Gesetzgebung und Evolution (1986); ders., Die Vorschriften der Evolution für das Recht (1989). 405 Zu dieser Begründungs- und Entwicklungstendenz des marktorientierten, den Sozialschutz und stärkere Intervention verdrängenden Ansatz des Verbraucherschutzes vgl. auch Oehler, VuR 2006, 294, 295.
5. Kapitel: Das Verbraucherprivatrecht als Regelungstypus und Sonderprivatrecht
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würde. Das Gleiche gilt für das Risiko, dass die weiten Interpretations- und Regelungsspielräume, die der Judikatur im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Generalklauseln eröffnet sind, Anlass geben könnten, sie in eine den Verbraucherinteressen gegenläufige Richtung zu lenken,406 etwa, indem man die Idee der Materialisierung des Zivilrechts restriktiv umsetzt. Die Rechtsprechung lässt sich bislang zwar für das Verbraucherschutzrecht instrumentalisieren. Sie ist jedoch kein allzeit verlässlicher Garant für die Herausbildung eines ausreichenden und transparenten Maßes an Rechtssicherheit in diesem Bereich und zur Beibehaltung des Materialisierungsansatzes auch in der Zukunft. Vertritt man wie hier den Standpunkt, dass das Verbraucherprivatrecht eigenen Wertungsmodellen folgt und sich mit diesen von allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften absetzt, die sich nur in ihrer konkreten Auslegung durch die Rechtsprechung auf die Wertungsvorgaben des Verbraucherprivatrechts zubewegen (können), dann kann das Verbraucherprivatrecht nicht als Bestandteil des allgemeinen Zivilrechts begriffen werden, jedenfalls nicht, wenn man dabei das Zivilrecht im überkommenen (herkömmlichen) formaljuristischen Sinne in Bezug nimmt. Damit wird nicht verkannt und in Abrede gestellt, dass auch das allgemeine Zivilrecht einer sozialen Dimension bedarf, dass heißt einer das Zivilrecht weiter durchdringenden Materialisierung, die sich auch in Gesetzen niederschlägt, um Vertragsfreiheit zugleich in solchen Ungleichgewichtslagen herzustellen, die bisher zu keiner Spezialgesetzgebung geführt haben und die nicht nur den Verbraucher betreffen.407 I.S.d. Anwendungstransparenz des bürgerlichen Rechts und zur Entlastung der Rechtsprechung müssen jedoch typische, den Verbraucher betreffende Problemlagen als materielles „Sonderprivatrecht“ kodifiziert sein.408 Der Imperativ im Verbraucherrecht muss mithin – dem Transparenzgebot Rechnung tragend – lauten: einfache und übersichtliche „Sonderregelungen“ für einen besonderen und komplexer werdenden Lebenskreis.409 Der Schutz des Verbrauchers wird bei dieser Betrachtung auf zwei Ebenen sichergestellt, der des allgemeinen und der des besonderen Zivilrechts. Für einen so interpretierten Schutz des Konsumenten spricht im Ergebnis auch der hier favorisierte Effekt, dass es zu keiner Nivellierung von bestehenden Unterschieden zwischen den Rechtsmaterien kommt, sodass einerseits die Gefahr eines drohenden Verfalls des Schutzniveaus des Verbraucherprivatrechts gebannt ist,410 406
Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 1; Ott, FS Raiser (1974), S. 403 ff. 407 Dies gilt insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen im Verhältnis zu Großunternehmen, aber auch bei neuen Problemlagen im Verhältnis zum Verbraucher, soweit der Gesetzgeber noch nicht reagiert hat, vgl. dazu Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 168. 408 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 168. 409 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 46; so auch der programmatische Titel von Epstein, Simple Rules for a Complex World (1995). 410 Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU
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1. Teil: Grundlagen
das Verbraucherprivatrecht aber andererseits – weil es konzeptionell kein bloßes Anhängsel des allgemeinen Zivilrechts darstellt – seine eigenständige Innovations- und Impulsgebungskraft behält, die auch auf das allgemeine Zivilrecht ausstrahlen kann. Legt man den Schwerpunkt bei der Identifizierung von Sonderprivatrecht also auf den materiellen Aussagegehalt der verbraucherschützenden Normen, die sich von anderen (Grund-)Aussagen des BGB jenseits der auch i.S.d. Verbraucherschutzes interpretierten Generalklauseln unterscheiden, führt dies zum einen zu einem verlässlichen Maßstab zur Kennzeichnung von Sonderprivatrecht. Er erlaubt es aber auch, Zweifel daran zu haben, ob die in Deutschland mit der Schuldrechtsreform im Vordringen befindliche Integrationslösung, d.h. die systematische Verortung von Verbrauchervertragsrecht innerhalb des BGB, eine „Domestizierung“ des Verbrauchervertragsrechts hin zum historisch liberalen Ansatz411 der Grundkodifikation bewirken kann. Allein die örtliche Nähebeziehung garantiert nach diesem Ansatz nämlich noch nicht, dies hat v. Vogel412 zutreffend herausgearbeitet, dass sich die Regelungen des Verbrauchervertragsrechts den zentralen Wertungen der bürgerlich-rechtlichen Kodifikation unterwerfen. Stattdessen erscheint es ebenso wahrscheinlich, dass die inkorporierten Regelungen des Verbraucherrechts auf tragende Grundsätze des allgemeinen Vertragsrechts, das sich ohnehin im Wandel befindet,413 ausstrahlt und dass sich Letzteres nach und nach weiter in Richtung einer materialisierten Betrachtung der Vertragsbeziehung verändert. Dass insoweit schon auf Grund der Existenz der Rechtsmassen (Verbraucherprivatrecht/allgemeines Privatrecht) eine innere Auseinandersetzung zwischen den Bereichen stattfinden muss und stattfindet, die zum einen noch bestehende Wertungsunterschiede der Ansätze aufzeigt, zum anderen aber auch Abstimmungs- und Angleichungstendenzen nach sich zieht, ist naheliegend.
Contract Law (2009), S. 3, 8; Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 57 ff.; Hart/Joerges, in: Assmann/Brüggemeier/ Hart/Joerges (Hrsg.), Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts (1980), S. 83, 103, 137 f.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 268. 411 Dazu Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf (1933); Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz. Über die Grenzen von Staat, Gesellschaft und Privatautonomie (1978, 2. Aufl., 1984); Rittner, AcP 180 (1980), 392 ff.; Biedenkopf, FS Böhm (1965), S. 113 ff.; MayerMaly, FS Merkl (1970), 247 ff.; v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I–III (1980– 1981). 412 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 231. 413 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel E.
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6. Kapitel
Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen als Ausdruck unterschiedlicher Legitimationserwägungen Mit der Konzeption des Verbraucherprivatrechts eng verknüpft ist der Themenkreis seiner Legitimation. Dieser ist für das gesamte Verständnis des zivilrechtlichen Verbraucherschutzrechtes außerordentlich bedeutsam.1 Denn bei der Diskussion um den Legitimationsgrund von verbraucherschützenden Vorschriften geht es um rechts-wissenschaftliche Grundlagen des Verbraucherschutzrechtes, die daran anknüpfen, dass der Schutz des Verbrauchers als normatives Problem nur dann richtig zu fassen ist, wenn die Stellung des Verbrauchers als Teilnehmer am Markt verstanden wird.2 Eine Untersuchung der legitimatorischen Grundlagen des Verbraucherschutzrechtes ist auch nicht deshalb müßig, weil sich das historisch gewachsene, erprobte und insoweit gefestigte Verbraucherschutzrecht ohnehin nicht mehr „zurückschrauben“ ließe. Ein solcher Standpunkt wäre vordergründig.3 Denn schon im Hinblick auf die künftige Weiterentwicklung und Interpretation des Zivilrechts,4 gerade in Anbetracht der Auseinandersetzung um die Verallgemeinerungsfähigkeit der Schutzintentionen einzelner Verbraucherschutzregelungen, ist eine Untersuchung der Legitimation der „Sonderweisen“ zugunsten des Verbrauchers unerlässlich. Nur dann, wenn offen gelegt wird, woran die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers anknüpft, lassen sich Aussagen über die notwendigen Instrumente und die Reichweite des für notwendig befundenen Verbraucherschutzes treffen. Nähert man sich den Begründungsansätzen des Verbraucherschutzrechtes, wird deutlich, dass Ausgangspunkt einer jeden Verbraucherschutzkonzeption die jeweilige Marktinterpretation ist.5 Verbraucherpolitik, Rechtswissenschaft 1
Hart/Köck, ZRP 1991, 61. Zu diesem Zusammenhang Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 13; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 51 ff. 3 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 37. 4 Dauner-Lieb, ebenda. 5 Es geht hier um wirtschaftswissenschaftliche Analysen und Theorienbildungen, vgl. dazu: Oehler, VuR 2006, 294 ff.; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 15; 2
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1. Teil: Grundlagen
und Rechtspraxis orientieren sich an den Funktionsvoraussetzungen und -bedingungen des Marktes.6 Das ist auch verständlich, denn der Schutz des Verbrauchers als Marktteilnehmer gelingt nur durch die rechtliche Inbezugnahme der sozio-ökonomischen Ausgangslage „Markt“, auf dem der Verbraucher (und sein Gegenpart: der Unternehmer) als Wirtschaftssubjekte agieren. Da jedoch die tatsächlichen Gegebenheiten des Marktes in weitem Umfang Deutungen zulassen, geht es bei der Marktinterpretation in erster Linie um verbraucherpolitische „Grundannahmen“, die der jeweiligen Verbraucherschutzkonzeption als Begründungselemente unterlegt sind und an denen die (rechtlichen) „Bedürfnisse der Gegenwart“7 ausgerichtet werden.
A. Verschiedene Verbraucherschutzkonzeptionen Im Zusammenhang mit der Legitimation von verbraucherschützenden Maßnahmen steht an erster Stelle die Feststellung, dass das gesamte Verbraucherschutzrecht rechtspolitisch dazu dient, den Verbraucher als Marktteilnehmer gegenüber der Anbieterseite zu protegieren. Es geht, wie es Dauner-Lieb zutreffend formulierte, um eine „Ungleichbehandlung“8 der Marktteilnehmer zugunsten des Verbrauchers. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion konnte allerdings noch keine Einigkeit darüber erzielt werden, warum, in welchen Situationen und mit welchen Mitteln der Verbraucher eines besonderen Schutzes bedarf.9 Die Meinungen gehen hierüber auseinander.10 Insbesondere wird darum gestritten, ob es richtig ist, den modernen Verbraucherschutz mit dem Hinweis auf die bestehende wirtschaftliche, psychologische und intellektuelle Übermacht11 des Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 14; Grundlach, Konsumentenkredit und Einwendungsdurchgriff (1979), S. 25 ff.; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979), S. 202 ff.; Scherhorn, Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik (1975); Holzscheck/Hörmann, ZIP 1982, 1172 ff. 6 Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 15. 7 Zum Zusammenhang von Markt- und Rechtsinterpretation und den „Bedürfnissen der Gegenwart“ siehe Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (2001), S. 114 ff. 8 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 23. 9 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 16 ff. 10 Zu diesen Modellen vgl. Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 2 ff.; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 17 ff.; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 25 ff.; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 1 ff. 11 Als Fälle und Auswirkungen der intellektuellen und psychologischen Unterlegenheit der Verbraucher gegenüber der Anbieterseite werden etwa die fehlende Marktübersicht, mangelnde Vertrautheit mit wirtschaftlichen und rechtlichen Grundtatbeständen, mangelnde Berücksichtigung der Grenzen eigener Fähigkeiten und der Wandelbarkeit von Lebensumständen, ein den finanziellen Möglichkeiten nicht entsprechendes Bedürfnis nach Konsum, Anfälligkeit für externe Verhaltenssteuerung und eine Prozessscheu angeführt.
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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Unternehmers zu legitimieren, die die Herstellung von Waffengleichheit i.S.e. Parität gebietet;12 oder ob es hierfür notwendig ist, den eher allgemein gehaltenen Gedanken des Marktversagens13 infolge einer Informationsasymmetrie14 zwischen den potentiellen Vertragsparteien zu bemühen, der zu entsprechenden Einschränkungen der Vertragsfreiheit zwingt.15 Vor dem Hintergrund der differierenden Ansichten stehen sich zwei im Grundsatz konträre Verbraucherschutzmodelle gegenüber, die sich mit den Worten „(alt-)liberales“ und „soziales Verbraucherschutzmodell“ umschreiben lassen. I. Altliberales Modell Auf der Grundlage des so genannten „altliberalen Modells“16 werden Vertrag und Wettbewerb zur Wahrung der Verbraucherinteressen als ausreichend angesehen.17 Im Vertrag kämen die Interessen der Parteien optimal zum Ausdruck und zum Ausgleich.18 Der sich selbst regulierende Markt und der darauf stattfindende Wettbewerb unter den mündigen, formal gleichgestellten19 Marktteilnehmern bietet die besten Garantien für den Schutz des Konsumenten. Der Markt wird hier als sich selbst regulierendes und die Chance der Vertragsgerechtig12 BVerfGE 89, 214, 231 ff.; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 253; v. Hippel, Schutz des Schwächeren (1982); Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 30 ff.; Hillermeier, BB 1976, 725, 727; Schmude, FS Ballerstedt (1975), S. 481, 485, 493; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß (1989), S. 25; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 35. 13 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487; Bator, Quarterly Journal of Economics 72 (1958), 351 ff. 14 Mit dem Begriff Informationsasymmetrie werden Situationen umschrieben, die dadurch gekennzeichnet sind, dass im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Informationen über Umstände, denen für den Abschluss und den Inhalt des Vertrages Bedeutung zukommt, unter den Parteien ungleich verteilt sind; vgl. hierzu Vahrenkamp, Verbraucherschutz bei asymmetrischer Informationsverteilung (1991), S. 15; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 3; Hunzicker, Erziehung zum Überfluß, Soziologie des Konsums (1972), S. 1 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 68 ff.; 74. 15 Kötz, JuS 2003, 203, 212 ff.; Reifner, VuR 2004, 130, 131; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 37 Rn. 86; Horn, AcP 176 (1976), S. 307, 320 f.; Köhler, ZHR 144 (1980), 602 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 330 f.; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1136. 16 Zum Begriff vgl. auch Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 3. 17 Beschreibend Oehler, VuR 2006, 294, 295 ff. 18 Beschreibend Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 3, vertretend: Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf (1933); Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz. Über die Grenzen von Staat, Gesellschaft und Privatautonomie (1978, 2. Aufl., 1984); Rittner, AcP 180 (1980), 392 ff.; Biedenkopf, FS Böhm (1965), S. 113 ff.; Mayer-Maly, FS Merkl (1970), S. 247 ff.; v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I–III (1980–1981). 19 Die formale Gleichstellung der Parteien bildet ein prozedurales Element, das das „richtige Ergebnis“ hervorbringen soll, vgl. dazu Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff.
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1. Teil: Grundlagen
keit bietendes Instrument betrachtet, in das nicht eingegriffen werden soll. Der Schutz des Verbrauchers wird – wie der Schutz anderer Marktteilnehmer auch – über diesen autonomen Regulator gewährleistet,20 wobei man freilich sein Funktionieren unterstellt. Das altliberale Verbraucherschutzmodell steht damit für den so genannten „Laissez-faire“-Gedanken und die Ablehnung jeglicher staatlicher Intervention.21 Diese extrem wirtschaftsliberale Position war vor allem im 19. Jahrhundert weit verbreitet,22 findet aber auch heute noch ihre Anhänger.23 So hielt man etwa vor der Schaffung des AGB-Gesetzes einen Eingriff des Staates in die Vertragsfreiheit in Form einer erweiterten Inhaltskontrolle für überflüssig und sah stattdessen das Heilmittel im Konditionenwettbewerb. Auch bei Dreher 24 und Basedow25 ist die Position im Kern erkennbar, dass funktionierende Märkte Verbraucherschutzbestimmungen weitgehend obsolet werden lassen. II. Neues, liberales (Informations-)Modell In einer etwas abgemilderteren Form finden sich heute Grundzüge dieser Verbraucherschutzkonzeption in dem neueren, liberalen Verbraucherschutzmodell, das auch als Informationsmodell beschrieben wird, wieder.26 Dieses basiert ebenfalls auf einem weitgehend wirtschafts-liberalen Ansatz. Danach ist der Verbraucher in der Lage, ökonomisch rational zu handeln und seine Interessen hinreichend wahrzunehmen, sofern er nur angemessen informiert und aufgeklärt wird. Nur dann werde nämlich die nach dem Vertrag charakteristische Äquivalenz und die für den Wettbewerb unentbehrliche Transparenz geschaffen. Im Unterschied zum altliberalen Modell wird der Umstand, dass der Konsument ein 20
Beschreibend Oehler, VuR 2006, 294, 295 f. Dreher, JZ 1997, 167 ff. 22 Zu diesem Befund vgl. etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 482 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit (1991), S. 44 ff.; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens (1974), S. 20 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht (1996), S. 77 ff.; Wagner, ZEuP 2007, 180, 192; Grundmann, JZ 2005, 860, 863 f. Zu der sich an der Grundkonzeption des BGB entzündenden Kritik siehe etwa: v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (1889), S. 2, und Mengers, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (5. Aufl., 1927), S. 12 ff. 23 Zu diesem Befund Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 3; ein bedeutender Anhänger ist etwa v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I–III (1980–1981). 24 Dreher, JZ 1997, 167 ff. 25 Basedow, AcP 200 (2000), 445, 486. 26 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 4; Lieb, AcP 178 (1978), S. 196 ff.; ders., AcP 183 (1983), 348 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 63 ff.; Vahrenkamp, Verbraucherschutz bei asymmetrischer Informationsverteilung (1991), S. 15; Zöllner, AcP 188 (1988), 91 ff.; ders., Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat (1996); Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts (1996). 21
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informierter Marktteilnehmer sei, nicht allgemein unterstellt. Vielmehr werden zur umfassenden Information des Verbrauchers gezielte Maßnahmen gefordert. Vor diesem Hintergrund gehen die Vertreter des Informationsmodells von einem gewissen Informationsdefizit auf der Seite des Verbrauchers aus.27 Sie anerkennen, dass der Verbraucher nicht dem Informationsaxiom der altliberalen Markttheorie entspricht, und dass die „formale Gleichstellung der Rechtssubjekte am Markt“28 durch die typisierbare, asymmetrische Informationsverteilung zwischen den Marktteilnehmern Verbraucher/ Unternehmer zumindest hinsichtlich ihrer Gerechtigkeits- und Ausgleichsfunktion gestört ist. 29 Man räumt ein, dass der Verbraucher über das Warenangebot und die Warenbedingungen oft nicht umfassend genug informiert ist.30 Es fehlt eine ausreichende Markttransparenz,31 was z.T. auf willkürliche Produktdifferenzierung und auf ein beinahe unübersehbares Warenangebot zurückzuführen ist. Auch bedingt die Komplexität von Waren und Dienstleistungen, dass es dem Verbraucher schwer fällt, Güter zu beurteilen. Räumt man ein Informationsdefizit auf Seiten des Verbrauchers ein, nicht aber andere Ungleichgewichte (wirtschaftlichen, psychologischen und intellektuellen Ursprungs), dann ist es naheliegend, dass im Mittelpunkt einer solchen Verbraucherschutzkonzeption vornehmlich die Förderung einer privatautonomen Verbraucherentscheidung steht.32 Hierfür bedarf es wiederum einer Verbraucher27 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 4: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 63 ff.; Vahrenkamp, Verbraucherschutz bei asymmetrischer Informationsverteilung (1991), S. 15; Schumacher, Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner (1976), S. 77 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 570 ff. 28 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 52. 29 Vgl. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 63; kritisch: K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 83 ff.; Reich, Markt und Recht (1977), S. 198 ff. 30 Was z.T. darauf beruht, dass Anbieter nicht ausreichend genug informieren, z.T. aber auch damit zusammenhängt, dass der Verbraucher mit dem Postulat des „omnipotenten Informationsassimilanten“ überfordert sei. Der Anteil der Informationssucher in der Bundesrepublik beträgt ca. nur 10–20 % der Verbraucher. Die Möglichkeit der Erhöhung dieses Anteils kann realistischerweise nicht als sehr groß eingeschätzt werden. Der Grund liegt darin, dass Standard-Merkmale von tatsächlichen Informationssuchern hohes Einkommen, hohe formale Bildung und hohe Anforderungen an Qualität sind, vgl. zum Ganzen: Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 3 Fn. 14; Kuhlmann, Verbraucherpolitik (1990), S. 338. 31 Scherhorn, Gesucht, der mündige Verbraucher (1974), S. 58; Schumacher, Verbraucherschutz bei der Vertragsanbahnung (1983), S. 57 f.; Assmann/Kübler, Staatliche Verbraucherinformation im Ordnungsgefüge des Privatrechts (1981), S. 25. 32 Beschreibend Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18; Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 292 ff.; Vahrenkamp, Verbraucherschutz bei asymmetrischer Informationsverteilung (1991), S. 15; zu diesem Modell der EU vgl. Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 6, 45 ff.
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1. Teil: Grundlagen
erziehung 33 zum mündigen Bürger und die Beförderung einer ausreichenden und umfassenden Verbraucherinformation.34 Von den Anhängern dieses Konzepts wird „vorausgesetzt“,35 dass die Erziehung des Verbrauchers und die Vermehrung und Verbesserung des Informationsangebotes ausreichend sei, um den Konsumenten zu einer rationalen Entscheidung zu verhelfen.36 Damit der informierte Verbraucher auf einem funktionierenden Markt agieren kann, müssen aber natürlich auch die Rahmenbedingungen zur Entfaltung seiner Selbstheilungskräfte geschaffen werden. An erster Stelle steht dabei die Sicherung eines ausreichenden Wettbewerbs. Der Gefahr der Verfälschung und Verzerrung des Wettbewerbs wird grundsätzlich durch die Beförderung der Marktentscheidungen informierter Verbraucher vorgebeugt.37 Darüber hinausgehende staatliche Eingriffe sind daher nur flankierend und „dezent“38 anzusetzen.39 Im Ergebnis basiert das dergestalt umrissene Informationsmodell auf der liberal-ökonomischen Vorstellung, dass der Staat möglichst nicht in wirtschaftliche Vorgänge eingreifen solle. Charakteristisch für diese Sichtweise ist die Forderung, den staatlich-interventionistischen Verbraucherschutz auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken.40 Die im Informationsmodell zum Ausdruck kommende Grundhaltung, der Markt biete das beste Steuerungsinstrument für das Verhalten seiner Teilnehmer und deren Verhandlungsergebnis, steht in engster gedanklicher Verbindung mit dem ursprünglichen „Sozialmodell“41 des 33 Vgl. zur Verbrauchererziehung etwa Scherhorn, Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik (1975), S. 56 ff., der ansonsten eher ein Anhänger des sozialen Schutzmodells ist. Da die Verbrauchererziehung allerdings nicht unmittelbar in das Marktgeschehen eingreift, sondern nur entsprechend der ordo-liberalen Forderung die Rahmenbedingungen des Marktes verbessert, lässt sie sich nahtlos in das Informationsmodell integrieren, so zutreffend: Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 28. 34 Ebenda. 35 Um nicht zu sagen „unterstellt“. 36 Vgl. Gröner/Köhler, Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft (1978), S. 43. Z.T. wird auch von den Anhängern des benannten Modells anerkannt, dass dies, etwa bei AGB, nicht der Fall sei, weshalb eine Inhaltskontrolle notwendig werde, so Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 74; ähnlich Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 86 ff. 37 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 64. 38 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 25. 39 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 103 ff.; ebenso Gröner/Köhler, Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft (1987), S. 32: Wettbewerb als „unbestechliche Kontrollinstanz“. 40 So zutreffend zusammenfassend Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 25. 41 Der Begriff „Sozialmodell“ wurde von Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 16 ff., geprägt, später aber von vielen übernommen, vgl. etwa Hönn, in: Gedächtnisschrift Schulz (1987), S. 86 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 24.
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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BGB, dessen wesentliches Element die formal-abstrakte Gleichheit42 der Rechtssubjekte war und ist.43 Vor diesem Hintergrund erschließt sich sogleich, dass mit dem Informationsmodell eine personen- oder verwendungszweckbezogene Differenzierung der Rechtsbeziehungen unter den Marktteilnehmern, wie sie etwa von den Anhängern des sozialen Verbraucherschutzkonzepts gefordert wird, unvereinbar ist.44 III. Soziales (Verbraucherschutz-)Modell Im Kontrast zum liberalen Informationsmodell steht der soziale Verbraucherschutzansatz.45 Vom Blickwinkel des sozialen Verbraucherschutzes aus wird der Konsument als ein dem Unternehmer grundsätzlich unterlegener Marktteilnehmer angesehen, dessen „Schwäche“ auch durch noch so viel Information, Erziehung und Aufklärung nicht ausreichend kompensiert werden kann. Denn die Position des Verbrauchers ist – so die Grundthese – durch eine strukturelle Unterlegenheit, die wirtschaftlich, psychologisch und intellektuell bedingt ist, gekennzeichnet.46 Für die Kompensation derartiger Ungleichgewichtslagen47 reiche die bloße Information des Verbrauchers nicht aus, da zum einen noch gar nicht bewiesen sei, dass die bloße Verbraucherinformation rationale Marktentscheidungen des Verbrauchers tatsächlich in einem ausreichenden Umfang be42 Die Garantie „formaler Gleichheit“ und somit die Ablehnung von Sonderrechten für Teile der Gesellschaft wird als Garant für eine freiheitliche Gesellschaft angesehen. Letztlich beruht diese Vorstellung auf der Erfahrung aus der Zeit der Feudalstaaten. Der Staat fungierte dort vornehmlich als Selbstbedienungsladen des herrschenden Adels (und meist auch des Klerus), was mit Hilfe staatlich eingeräumter Sonderrechte rechtlich flankiert wurde. Die Forderung nach formaler Gleichheit ist deshalb ein Grundprinzip eines freiheitlichen Rechtsstaates. Um die individuelle Freiheit zu gewährleisten, wird dem Staat lediglich die Aufgabe zugewiesen, der Wirtschaft einen Ordnungsrahmen zu setzen, innerhalb dessen sich die Wirtschaftssubjekte frei betätigen können, vgl. zum Ganzen, Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 25 Fn. 184. 43 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts (1983), S. 54 ff. 44 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts (1983), S. 26, 61, 141 ff.; ähnlich: Görner/Köhler, Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft (1987), S. 37. In einem gewissen Gegensatz zu dieser Haltung steht ihre Einsicht, dass in der Praxis Kompromisse möglich und unvermeidbar sind (Dauner-Lieb, a.a.O., S. 151), was durch das geltende Recht bestätigt wird. 45 beschreibend Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18: „soziales Schutzkonzept“. 46 Zu dem Begriff der strukturellen Unterlegenheit vgl. BVerfGE 89, 214 ff. = NJW 1994, 36, 38 f.; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 2; Reich, Markt und Recht (1977), 185; vgl. ferner Reich in ZRP 1974, 187 ff.; weitere Vertreter: Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487; Hart, KritV 1986, S. 240 f.; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979). 47 Der Begriff der „Ungleichgewichtslagen“ ist vor allem durch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982), in Gebrauch gekommen.
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1. Teil: Grundlagen
fördern kann,48 und zum anderen selbst eine rational getroffene Marktentscheidung ihrer Durchsetzung gegenüber der Position des Unternehmers beraubt ist, wenn und weil strukturelle Schwächen ihren Vollzug hemmen. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des Verbrauchers, die von diesem Modell verstärkt neben der intellektuellen Disparität in Bezug genommen wird, bezieht sich auf das fehlende Vorhandensein einer relativ ausgeglichenen Marktstruktur zwischen beiden Seiten. Insofern wird zutreffend geltend gemacht, dass der Verbraucher regelmäßig für sich alleine auftritt. Gerade weil er höherwertige Güter nur selten und in kleineren Mengen nachfragt, ist seine individuelle Marktmacht im Vergleich zur Anbieterseite nicht annährend gleich entwickelt. Das ist der Grund dafür, weshalb seine Verhandlungsstärke nicht an die des Unternehmers heranreicht.49 Psychologisch ist der Verbraucher gegenüber dem Unternehmer insofern häufig im Nachteil, als ersterer gerade auf Grund von informationellen und wirtschaftlichen Defiziten seine Rechte oft nicht kennt bzw. sie gehemmt ist, durchzusetzen.50 Auf der Grundlage des sozialen Verbraucherschutzmodells wird deshalb die Forderung erhoben, die verbraucherschützenden Instrumente über das Postulat der Information und der Schaffung von Wettbewerbsbedingungen hinaus zu erweitern. Mit ihm verbindet sich ein eher interventionistisches, mit dem Instrument des zwingenden Rechtes agierendes Verständnis von Verbraucherschutz,51 bei dem der Gesetzgeber und die Gerichte auf die gestörte Vertragsparität 52 durch verbraucherfreundliche Anwendung des geltenden Rechts, durch zwingende Schutzvorschriften und Korrekturen des Vertragsinhalts reagieren. Auf der Grundlage dieser Forderung positionieren sich heute zwei Untermodelle:53 1. Situativer/vertragsbezogener Ansatz Tritt die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers nur in bestimmten, situativen oder besonderen vertraglichen Problemlagen zu Tage, dann genügen partielle Korrekturen des geltenden Rechts, z.B. im Bereich des Verbraucherkredits, der Haustürgeschäfte und des Fernunterrichts, 54 um den Schutz des Verbrauchers als Ver48 Kritisch gegen das Rationalitätsaxiom vor allem Oehler, VuR 2006, 294, 295 ff. Wirtschaftssubjekte werden seiner Meinung nach durch ein ganzes Konglomerat unterschiedlichster Faktoren zu bestimmten Entscheidungen bestimmt. 49 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 59 ff.; Hillmeier, BB 1976, 725, 727; Schmude, FS Ballersted (1975), 481, 485, 489; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß (1989), S. 25. 50 Zu den Zugangs- und Erfolgsbarrieren vor Gericht und den Hintergründen vgl. die Ausführungen im 2. Teil, 3. Kapitel. 51 Beschreibend Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18; Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 713. 52 BVerfGE 89, 214, 231 ff.; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 253. 53 Übersicht bei Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 5. 54 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 65 f.: „situativ schutzbedürftiger Verbraucher“.
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tragspartner ausreichend sicherzustellen. Auf der Tatbestandsseite steht dieser Ansatz zwischen dem liberalen und dem sozialen Schutzmodell. Denn es entspricht eher dem liberalen Verbraucherschutzmodell (namentlich dem Ideal privatrechtlicher Gleichheit), einen Verbraucherschutz, der über die bloße Informationsausstattung des Verbrauchers hinausgeht, unabhängig von rollen-soziologischen Betrachtungen nur nach Maßgabe situativer und vertragsspezifischer Besonderheiten eingreifen zu lassen.55 2. Verallgemeinernder, rollensoziologischer Ansatz Anders gestaltet sich der verallgemeinernde rollensoziologische Ansatz. Nach diesem ist der Verbraucher nicht nur in bestimmten Situationen, sondern – wegen der Zugehörigkeit zur „Gruppe der Verbraucher“ – in jeder Beziehung gegenüber dem Unternehmer hinsichtlich einer bestehenden asymmetrischen Verteilung der Machtverhältnisse zu protegieren, um das diagnostizierte Ungleichgewicht aufzuwiegen bzw. im Ergebnis auszugleichen.56 Denn gerade auch die Konzentration von finanzieller Macht (und nicht nur die von Informationen), bedingt ein strukturelles Ungleichgewicht,57 auf Grund dessen der Verbraucher per se, nicht nur hinsichtlich bestimmter Vertragsformen und Abschlusssituationen, gegenüber dem Unternehmer benachteiligt ist.58 Wird das strukturelle Ungleichgewicht als ein grundsätzliches, in der Person des Verbrauchers59 und/oder in dem Umstand des durch ihn getätigten Konsums verstanden, so muss der Staat durch weit greifende Maßnahmen die gestörte Parität,60 die zwischen den Marktteilnehmern herrscht, kompensieren. Dieses Verständnis von der Rolle des Verbrauchers mündet sodann in der Forderung nach 55 Dezidiert zu dieser Unterscheidung und den Zusammenhängen: Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 103 ff.; ders., Verbraucherschutz im System des deutschen und europäisches Vertragsrechts (1996), S. 8; Bülow, NJW 2002, 1145; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 320 ff., 343 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 141 ff.; Dreher, JZ 1997, 167, 176 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 282 ff.; Gärtner, BB 1995, 1753; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 198 ff.; ders., AcP 183 (1983), 348 ff.; Pfeiffer, in: SchulteNölke/Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 27 ff.; Preis, ZHR 158 (1994), 567 ff. 56 Beschreibend Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 124. 57 Zur Sprengkraft des Begriffes und zur Funktion als „Reizvokabel“ vgl. MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13, 14 BGB Rn. 63 ff. 58 BVerfGE 89, 214 ff. = NJW 1994, 36, 38 f.; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 2; Reich, Markt und Recht (1977), S. 181 ff. 59 BVerfGE 89, 214 ff. = NJW 1994, 36, 38 f.; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 2; Reich, Markt und Recht (1977), S. 182 ff.; ders., ZRP 1974, 187, 191 ff.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 59 ff.; Hillmeier, BB 1976, 725, 727; Schmude, FS Ballerstedt (1975), 481, 485, 493; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß (1989), S. 25; beschreibend Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19 60 BVerfGE 89, 214, 231 ff.; Hönn, FS Kraft (1998), S. 151, 153.
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1. Teil: Grundlagen
einem umfassenden Sonderprivatrecht für Konsumenten.61 Liberale Verbraucherschutzmodelle, die allenfalls die Verbraucherinformation befördern, führen danach nicht dazu, dass den faktischen Machtungleichgewichten am Markt entgegengewirkt wird. Sie stellen lediglich eine ideologische Rechtfertigung nicht weitergehender staatlicher Regulierungshandlungen dar, derer es aber bedürfte, um die vorhandenen strukturellen Unterschiede, die sich mit Interessengegensätzen verbinden, tatsächlich ernst zu nehmen und auszubalancieren.62
B. Die Konsumenten- und die Unternehmersouveränität Veranschaulicht man sich die verschiedenen Verbraucherschutzkonzeptionen, so liegt die Wechselwirkung zwischen der geforderten Eingriffsintensität des Gesetzgebers in das Marktgeschehen und der Diagnostizierung einer bestehenden Marktmacht der einen bzw. anderen Seite auf der Hand. Die Bewertung des Bestehens von Konsumenten- bzw. Unternehmersouveränität liefert die gedankliche Grundlage für jedes „Schutzmodell“. Inwieweit der Markt dem Verbraucher die „Macht“ gibt, sich wirksam gegen die Anbieterinteressen durchzusetzen, d.h. inwieweit der Konsument als Marktteilnehmer in seinen Entscheidungen wirklich „souverän“ ist und insofern keines Schutzes bedarf (oder eben doch, weil er wenig bis keine „Marktmacht“ besitzt), wird von den verschiedenen Modellen – dies ist nicht anders zu erwarten – sehr unterschiedlich beurteilt. Das altliberale Verbraucherschutzmodell ging noch von einer Konsumentensouveränität aus. Diese Vorstellung macht sich grundsätzlich auch das liberale Informationsmodell zu eigen, mit dem wesentlichen Unterschied, dass der Verbraucher auf Grund der heutigen Komplexität der Wirtschaftswelt zunächst genügend informiert werden müsse, um souveräne Marktentscheidungen zu treffen. Das soziale Verbraucherschutzmodell steht der Annahme einer Konsumentensouveränität – selbst bei vorheriger Information des Verbrauchers als Marktteilnehmer – dagegen grundsätzlich kritisch gegenüber.
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K. Schmidt, BB 2005, 837 ff.; beschreibend Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1979), S. 44, spricht zutreffend davon, dass es über das bürgerliche Marktmodell, wenn es nicht vom Staat eingreifend und genügend stark reguliert wird, zu einer „Repression von Bedürfnissen“ kommt. Rechtssysteme müssen jedoch einen Beitrag zur sozio-ökonomischen Integration liefern (Habermas, ebenda, S. 39). 62
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I. Die Konsumentensouveränität: Herrschaft der Abnehmer Die auf Adam Smith (1723–1790) zurückgehende klassische Theorie der Marktwirtschaft63 setzt eine am Markt bestehende Konsumentensouveränität 64 voraus. Diese Theorie besagt, dass der Verbraucher durch sein Nachfrageverhalten am Markt die Güterproduktion lenkt. Der Produzent reagiere nur auf die von der Nachfrageseite geäußerten Präferenzen65 und ist somit lediglich Produktanpasser.66 Die Produktionsveränderung beinhaltet für die Anbieterseite die einzige Möglichkeit, auf die am Markt geäußerten Bedürfnisse rückkoppelnd einzugehen. Der Preis, den der Produzent am Markt für sein Produkt erzielen könne, sei lediglich Ausdruck der Knappheit und der Verbraucherbedürfnisse. So gesehen ist der Preis für ihn eine Größe, die er seinerseits nicht selbst, d.h. autonom festlegen kann. Daraus wird abgeleitet, dass es der Konsument sei, von dem die eigentlichen Lenkungskräfte am Markt ausgehen, weil er durch seine Bedarfsentscheidung und Bedarfsverlagerung die Produktions- und Distributionsentscheidung des Produzenten maßgeblich bestimme.67 Der traditionelle moralphilosophische Grundbegriff der Gerechtigkeit wird bei Smith zum „natürlichen Preis“. Die empirischen – vom Konsumenten bestimmten – Marktpreise „gravieren“ um ihn so lange, bis sie mit ihm deckungsgleich sind.68 Die These von der „Marktherrschaft der Abnehmer“ findet aber (natürlich) keine ungeteilte Zustimmung.69 Gegen sie wird vor allem eingewandt, dass sie von der Existenz eines idealtypischen Marktes ausgehe, der gegenwärtig nicht konstatierbar sei.70 In der heutigen Wirtschaftswelt reagiert der Produzent nicht mehr nur auf eine vorhandene Nachfrage, sondern versucht, diese zu lenken und neue Bedürfnisse zu schaffen. Dabei kommt dem Produzenten zum einen die Marktunvollkommenheit (wie z.B. die mangelnde Markttransparenz oder der 63
Dazu Ahrns/Feser, Wirtschaftspolitik (1982). Grundlegend hat Hutt den Begriff der Konsumentensouveränität geprägt, Hutt, Economics and the public (1936); später: Meyer-Dohm, Sozialökonomische Aspekte der Konsumfreiheit (1965), S. 65 ff.; Jeschke, Konsumentensouveränität in der Marktwirtschaft (1975), S. 39 ff.; marktoptimistisch auch Mähling, Werbung, Wettbewerb und Verbraucherpolitik (1983). 65 Der Kunde ist nach dieser Vorstellung also der König, vgl. dazu Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 13 Fn. 101. 66 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 13. 67 Meyer/Dohm, Sozialökonomische Aspekte der Konsumfreiheit (1965), S. 38 ff.; vgl. dazu auch Roethe, FS Reich (1997), Beitrag mit dem Titel: „Der Konsument – autonom. Seine Interessen – spezifisch“, S. 93 ff. 68 Smith, Untersuchung über Natur und Wesen des Volkswohlstandes, Bd. I (2. Aufl., 1920), S. 74. 69 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 14; Reich, Markt und Recht (1977), S. 183; ders., ZRP 1974, 187, 190. 70 Kuhlmann, Verbraucherpolitik (1990), S. 31; Meyer-Dohm, Sozialökonomische Aspekte der Konsumentenfreiheit (1965), S. 63 ff. 64
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1. Teil: Grundlagen
nicht funktionierende Wettbewerb) entgegen, zum anderen aber auch ein in der Person des Verbrauchers und seiner Stellung am Markt angelegtes Verhandlungs- und Durchsetzungsdefizit. Außerdem habe der Verbraucher keinen fest umrissenen unveränderbaren Bedarf. Sein Bedarf und seine Präferenzen sind durch die Anbieterseite maßgeblich beeinflussbar. I.Ü. werden die Konsumentenentscheidungen durch den Verbraucher nicht unbedingt rational getroffen. Starker Widerspruch an der Vorstellung von einer bestehenden Konsumentensouveränität kommt beispielsweise von Egner und Kroeber-Riel, die die These als „ontologischen Irrtum“71 bzw. als „alteingesessene Ideologie zur Rechtfertigung von Produzentenverhalten“ kritisieren.72 Am pointiertesten in diesem Zusammenhang ist wohl die Stellungnahme von Biervert/Fischer-Winkelmann/ Rock, die von einer „Ideologie von der Herrschaft der beherrschten Verbraucher“ zur Abstützung der herrschenden ökonomischen und gesellschaftlichen Machtstrukturen sprechen.73 Vor dem Hintergrund dieser Kritik wird die These von der Konsumentensouveränität heute auch kaum noch deskriptiv verwendet, sondern nur noch normativ, d.h. zur Beschreibung eines zu erreichenden Idealzustandes in Ansatz gebracht.74 Die Herstellung von Konsumentensouveränität ist dann eine Zielvorstellung, die es zu erreichen gilt. II. Die Annahme der Produzentensouveränität: Herrschaft der Anbieter Gewissermaßen den Gegenpol zur These der Konsumentensouveränität bildet die Vorstellung einer am Markt bestehenden Produzentensouveränität.75 Sie besagt, dass allein die Anbieter bzw. Produzenten über das Marktangebot und die Konditionen bestimmen, und dass die Bedürfnisse der Verbraucher von den Marketingaktivitäten der Anbieter beinahe beliebig geformt werden können.76 Der Konsument habe danach keinen maßgeblichen Einfluss auf die Produktion und das Kräftespiel am Markt. Die entscheidenden Lenkungskräfte gingen 71 Biervert/Fischer-Winkelmann/Rock, Verbraucherpolitik in der Marktwirtschaft (1977), S. 32 und 35. 72 Kroeber-Riel, Verbraucherverhalten (1993), S. 676 f. Die Unternehmer bräuchten dann nicht für negative Folgen des Marketings einzustehen, da sie sich ja nur nach den Wünschen des souveränen Verbrauchers gerichtet hätten. 73 Biervert/Fischer-Winkelmann/Rock, Grundlagen der Verbraucherpolitik (1977), S. 94. 74 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 15. 75 Biervert/Fischer-Winckelmann/Rock, Verbraucherpolitik in der Marktwirtschaft (1977); Berens, Fremdbestimmung des Konsumenten bei der Vertragsanbahnung insbesondere durch Irreführung (1998); Domenicus, Schutz des Verbrauchers vor irreführender Werbung: Bedeutung und Reichweite des wettbewerbsrechtlichen Rücktrittsrechts 1990); Kroerber-Riel, Verbraucherverhalten (1993); Reich, Markt und Recht (1977), S. 183; ders., ZRP 1974, 187, 190. 76 Galbraith, Gesellschaft im Überfluß (1959), S. 168 ff.; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 3.
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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vom Produzenten aus. Die marktbestimmende Position des Produzenten ergebe sich aus einer völlig ungleichen, zuungunsten des Verbrauchers ausschlagenden Machtverteilung unter den Marktteilnehmern, die schon daraus resultiere, dass dem einzelnen isolierten, ökonomisch unbedeutenden Haushalt eine geballte ökonomische Potenz auf Seiten der Anbieter gegenüberstehe, die in der Lage sei, Spezialkenntnisse zu erwerben und diese in Marketingmaßnahmen umzusetzen.77 Da die Herrschaft des Produzenten nicht als wünschenswert angesehen wird, leitet sich aus dieser Einschätzung die Notwendigkeit eines starken Schutzes des Verbrauchers ab.78 Die in der Literatur vertretene These der Konsumentensouveränität schließt dabei nicht aus, dass im Einzelfall ein geschickter Konsument oder eine Gruppe von Konsumenten (besonders höhere Einkommensklassen) für sich optimale Bedingungen zur Befriedigung des Bedarfes erreichen und dass Anbieter natürlich nicht völlig an den Bedürfnissen des Marktes vorbeiproduzieren können.79 Diese partiellen Einbrüche in dem Konzept der Unternehmersouveränität ändern jedoch prinzipiell nichts an der typischerweise vorhandenen Marktlenkung und -beeinflussung durch die Anbieterseite.
C. Die Verbraucherleitbilder bezüglich der Unternehmer-/Verbraucherherrschaft Eine weitere Auswirkung bezüglich der unterschiedlichen Verbraucherschutzkonzeptionen lässt sich hinsichtlich des Menschenleitbildes konstatieren, an dem sich jedes Modell orientiert, wenn es um Marktlenkungskräfte und mögliche Ausgleichmechanismen für etwaige Ungleichgewichte geht.80 Das Menschenleitbild, das hinsichtlich der hier zu untersuchenden Materie auf das sog. Verbraucherleitbild bezogen sein soll, erfüllt eine doppelte Funktion: Dem Gesetz77 78 79
Kuhlmann, Verbraucherpolitik (1990), S. 37. Biervert/Fischer-Winkelmann/Rock, Grundlagen der Verbraucherpolitik (1977), S. 37. Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980),
S. 3. 80 Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2006), H.V. Rn. 29; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 151 ff.; Blaurock, JZ 1999, 801, 802; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 32 f.; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995); Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts (2004), S. 257 ff.; Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts (1996), S. 6 ff.; Niemöller, Das Verbraucherleitbild in der deutschen und europäischen Rechtsprechung (1999), S. 27 ff.; Helm, FS Tilmann (2003), S. 135 ff.; Ahrens, WRP 2000, 812 f.; Dreher, JZ 1997, 167, 170 ff.; Höland, FS Reich (1997), S. 195 ff.; Keßler, VuR 1999, 415, 419 f.; Knops, VuR 1998, 363, 364 f.; Reich, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 501 f.; Schünemann, FS Brandner (1999), S. 279, 282 ff.; skeptisch zu dieser Diskussion Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EGWirtschaftsrechts (2006), H.V. Rn. 27 f.
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1. Teil: Grundlagen
geber dient es als Leitmotiv beim Erlass verbraucherschützender Maßnahmen.81 Der Rechtsprechung ist das jeweilige Verbraucherleitbild bei der Auslegung der verbraucherschützenden Normen behilflich. Dass sich die Leitbilder von Legislative und Judikative nicht immer decken und selbst die Rechtswissenschaft darüber uneins ist, welches Leitbild als richtig erkannt werden sollte, verwundert kaum. Denn anders als der Verbraucherbegriff ist das Verbraucherleitbild nirgends niedergelegt und angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen im Verbraucher-/Unternehmerlager auch (rechts-) politisch aufgeladen, sodass es hierüber heftige Auseinandersetzungen gibt, die z.T. in einer Art „Glaubenskrieg“82 münden. Innerhalb der Diskussion um das richtige Verbraucherleitbild wird im Wesentlichen darum gestritten, ob der jeweiligen Verbraucherschutzkonzeption das Leitbild des mündigen (durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen) Durchschnittsverbrauchers zu Grunde zu legen ist, das auf der klassischen Vorstellung des homo oeconomicus basiert, der nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung jeweils die für ihn optimale Entscheidung trifft, oder ob auf das Leitbild des uninformierten, schutzbedürftigen Verbrauchers abgestellt werden sollte.83 I. Homo oeconomicus Das Verbraucherleitbild des altliberalen Verbraucherschutzkonzeptes beruht auf der Vorstellung des selbstverantwortlichen Marktteilnehmers, dem zugemutet wird, seine Interessen eigenständig wahrzunehmen und entsprechende Risiken selbst zu tragen. Hierin kommt die klassische Sichtweise der Markttheorie zum Ausdruck, die auf das Menschenleitbild des homo oeconomicus84 bzw. des REMM (resourceful, evaluating, maximising man)85 rekurriert.86 Der homo oeconomicus hat – unabhängig von seinen sozialen Lebensumständen, Einkommen, beruflichen und persönlichen Kenntnissen – die Fähigkeit, seine wirtschaft-
81 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 32 f.; Blaurock, JZ 1999, 801, 802. 82 So Knops, VuR 1998, 363 f.; Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 117 f.: „Die Diskussion über die Linie der (früheren) BGHRechtsprechung wird im Schrifttum mit verhärteten Fronten und fast schon erbittert geführt. Dies hat zu einer weiten Meinungsskala von glühender Zustimmung bis zur ätzenden Verdammung geführt …“ 83 Zum Diskussionsstand vgl. Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 6. 84 Vgl. etwa Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 52. 85 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (3. Aufl., 2000), S. 46. 86 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 14.
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lichen Belange frei und selbstverantwortlich zu gestalten, d.h. im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten für die Befriedigung seiner verschiedenen Lebensbedürfnisse zu sorgen.87 Er ist also – so die Grundannahme – in der Lage, eine auf seine Persönlichkeit und seine speziellen Lebensumstände zugeschnittene Bedürfnishierarchie zu entwickeln und eine Zweck-Mittel-Relation zwischen verfügbarem Einkommen, eigenen Präferenzen und dem Preis der angebotenen Güter herzustellen. Da der homo oeconomicus aber auch (zumindest tendenziell) eine Optimierung seiner gegenwärtigen Lebensumstände anstrebt, zwingt ihn die Knappheit der verfügbaren Mittel, von der Fähigkeit zum Treffen rationaler Entscheidungen Gebrauch zu machen, und zwar insofern, als er vor der Erwerbsentscheidung Informationen sammelt, was die Preise, Quantität, Qualität und die sonstigen Konditionen betrifft.88 Der homo oeconomicus maximiert als souverän handelndes Marktsubjekt seinen Nutzen – wozu rationales Handeln notwendig ist. Die Nutzenmaximierung setzt allerdings zweierlei voraus: Zum einen muss der Verbraucher über seine Bedürfnisse und über alle Güter einschließlich ihrer Angebotsvielfalt genügend informiert sein.89 Zum anderen bedarf es eines funktionierenden Marktes, und zwar in der Form, wie ihn einst – der Theorie nach – Adam Smith entworfen hat (und wie er in späteren Modellen von anderen90 übernommen und weiterentwickelt wurde). Smith beschrieb in seinem Standardwerk, dass nicht nur Geld und Bodenertrag, sondern auch Arbeit und Arbeitsteilung die Ursache für den Volkswohlstand bilden. Er prägte damit den Gedanken von Marktprozessen, welche, trotz individuell-eigennützigen Handelns, zum Wohl aller Wirtschaftsakteure, d.h. zu einer Erhöhung der allokativen und produktiven Effizienz und damit letztendlich im Interesse des Verbrauchers wirken. Der Markt hat nach den idealisierenden Ansichten Smithscher Prägung die alleinige (dienende) Aufgabe der Befriedigung von Verbraucherbedürfnissen.91 Katalysator dieses Ziels soll der Wettbewerb sein, der die Verbraucherwohlfahrt durch den Anreiz zu mehr Innovationen, zu mehr Auswahl, zu besserer Qualität für weniger Geld vorantreibt. Der Konsument – so die Annahme – steuere diesen Prozess letztendlich durch sein eigenes Konsumverhalten. Er ist der Souverän der marktwirtschaftlichen 87
Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 53. 88 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 53. 89 Kuhlmann, Verbraucherpolitik (1990), S. 30, bezeichnet dies als Informations- und Rationalitätsaxiom. 90 Meyer-Dohm, Sozialökonomische Aspekte der Konsumentenfreiheit – Untersuchungen zur Stellung des Konsumenten in der marktwirtschaftlichen Ordnung (1965), S. 43 ff. 91 A. Smith, Der Wohlstand der Nationen (Hrsg.: Recktenwald, 6. Aufl., 1993), S. 558.
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1. Teil: Grundlagen
Prozesse. Er ist der „Kapitän“, dem die industriellen Steuermänner zu gehorchen hätten.92 93 Da in einem solchen System allein der Verbraucher über die Produktion bestimmt, erübrigt sich im Prinzip jede Form eines von außen gesteuerten Konsumentenschutzes.94 II. Aufzuklärender homo oeconomicus Heute ist aber weitgehend anerkannt, dass sich ein „vollkommener Wettbewerb“ Smithscher Prägung nicht von allein einstellt, sondern dass hierzu zum einen eine staatliche Ordnungspolitik – besonders in Form einer Wettbewerbspolitik – erforderlich ist,95 zum anderen aber auch eine Verbraucherinformation. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse findet das altliberale Verbraucherschutzmodell heute kaum mehr Anhänger. Es wird mehr und mehr durch das sog. Informationsmodell verdrängt, nach dessen Konzeption der Markt nicht immer aus sich selbst heraus funktioniert, sondern nur dann, wenn der Verbraucher als Marktteilnehmer über seine Marktchancen ausreichend informiert ist, sodass er „richtige“96 Marktentscheidungen treffen kann und der Staat durch das Setzen zutreffender Rahmenbedingungen einen ausreichenden Wettbewerb ermöglicht. Das Informationsmodell erhebt daher den informierten (besser: informationsbedürftigen und informierbaren)97 Verbraucher zum neuen Leitbild einer Verbraucherschutzpolitik und -gesetzgebung und setzt auf eine aktive, staatlich mitgelenkte Wettbewerbsregulierung und -förderung. Das Leitbild vom „aufgeklärten“ („mündigen“) Verbraucher kommt heutzutage sehr deutlich in der Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck.98 Der EuGH 92 Ausdrücke von Mises, in: Baader (Hrsg.), Logik der Freiheit – Ein Ludwig-vonMises-Brevier (2000), S. 37; aufgegriffen von Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 25. 93 Von der klassischen Nationalökonomie auf den klassischen Rechtsliberalismus übertragen, schlug sich diese Haltung in den Kodifikationen des 19. Jahrhunderts nieder, die zu weitgehend inhaltsneutralen Regelungen führte, so zutreffend Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 26. 94 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 14. 95 E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81, 82; Ahrns/Feser, Wirtschaftspolitik (1982), S. 41 ff.; Koch, Wirtschaftswissenschaften für Juristen (1976), S. 137 ff. Umstritten ist jedoch, wie diese Wettbewerbspolitik aussehen soll, namentlich, wie weit der Gesetzgeber in den Markt eingreifen soll. Das Meinungsspektrum reicht hier von einem weitgehenden „laissez-faire“ bis hin zu stark interventionistischen Eingriffen, vgl. zum Ganzen Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 14 Fn. 108. 96 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 487. 97 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (2006), Art. 153 Rn. 7 f.; Staudinger/ Weick (2004), § 13 Rn. 6. 98 EuGH, Urt. v. 7.3.1990, Rs. C-362/88 – GB-INNO-BM, Rn. 14 ff.; EuGH, Urt. v. 13.12.1990, Rs. C-238/89 – Pall/Dahlhausen, Rn. 18 ff.; EuGH, Urt. v. 18.5.1993, Rs. C-126/91 – Yves Rocher, Rn. 16 ff.; EuGH, Urt. v. 2.2.1994, Rs. C-315/92 – Clinique, Rn. 22 f.; EuGH,
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hat sich insbesondere seit dem Cassis-de-Dijon-Urteil99 in zahlreichen Entscheidungen zu den Warenverkehrsfreiheiten sowie zu Wettbewerbs- und Kennzeichnungsvorschriften direkt oder indirekt zum gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherleitbild geäußert.100 Er bekennt sich in einer Reihe jüngerer Entscheidungen klar zum Informationsmodell101 und geht vom Leitbild des verständigen, informierten oder zumindest informierbaren Gemeinschaftsbürgers bzw. Durchschnittsverbrauchers aus, der, und so muss es in korrekter Übersetzung der englischen und französischen Sprachfassungen der Urteile lauten, „angemessen aufmerksam“ und „kritisch“ ist.102 Das gleiche Verbraucherleitbild findet sich in den verbraucherpolitischen Programmen103 und der wissenschaftlichen Literatur104 zum europäischen Verbraucherschutzrecht. Der Grund dafür liegt darin, dass „der (herzustellende, europäische) Binnenmarkt mit seinen tradiert unterschiedlichen Verhältnissen nur funktionieren kann, wenn auch den um Wahlmöglichkeiten bereicherten Verbrauchern Informationslasten zugemutet werden“.105 III. Schutzbedürftiger Verbraucher Das soziale Schutzmodell rekurriert demgegenüber auf ein völlig anderes Verbraucherleitbild, nämlich dem des schutzbedürftigen Verbrauchers. Auf der Grundlage dieses Leitbildes ist der Verbraucher von vornherein und zwangsläufig der anderen Marktseite (strukturell) unterlegen.106 Entsprechend den zwei Unterformen des Modells ist der Verbraucher entweder umfassend schutzbedürftig, weil er der Anbieterseite schon aus wirtschaftlichen/psychologischen und intellektuellen Gründen typischerweise nie auf Augenhöhe gegenüber
Urt. v. 6.7.1995, Rs. C-470/93 – Mars, Rn. 24; so zum Befund auch Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 6. 99 EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon. 100 So auch der Befund von Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7. 101 Grub, ebenda. 102 EuGH, Urt. v. 14.7.1998, Rs. C-385/96 – Goerres; EuGH, Urt. v. 13.1.2000, Rs. C-220/98 – Esteé Lauder; EuGH, Urt. v. 28.1.1999, Rs. C-303/97 – Sektkellerei Kessler; EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide; so zum Befund auch Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 6. 103 So die Feststellung von Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7. Zu den Programmen vgl. die Übersicht im 1. Teil, 2. Kapitel D III. 104 Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 6; Howells/Wilhelmsson, EU Consumer Law (1997); Weatherill, EU Consumer Law and Policy. 105 So Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 195. 106 BVerfGE 89, 214 ff. = NJW 1994, 36, 38 f.; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 2; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 4.
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steht107 oder seine Schutzbedürftigkeit ergibt sich zumindest vor dem Hintergrund eines speziellen Anlasses, d.h. situativ bzw. vertragsspezifisch. IV. Determination der Leitbilder in Judikative, Legislative und Rechtswissenschaft Da das Verbraucherleitbild sowohl dem Gesetzgeber als auch der Judikative eine gewisse Orientierungshilfe beim Erlass bzw. bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen bietet, ist es für die praktische Rechtsanwendung von besonderem Interesse, welchem Leitbild sie den Vorzug geben.108 Nachdem die deutsche Rechtsprechung, namentlich der BGH,109 bei der Auslegung und Anwendung vor allem des deutschen Wettbewerbsrechts zunächst das Leitbild des unmündigen, schutzbedürftigen Verbrauchers zugrunde legte, folgt die Judikative110 – angestoßen durch den EuGH111 (was in der Literatur nicht nur auf Zustimmung stößt)112 – nun dem Leitbild des mündigen Verbrauchers. 1. Judikatur Während das Berliner Kammergericht noch im Jahre 1994 konstatierte, dass sich der EuGH noch nicht auf ein bestimmtes Verbraucherleitbild festgelegt habe,113 kann mittlerweile von einem nahezu kohärenten Verbraucherleitbild des EuGH ausgegangen werden, welches über den Grundsatz der richtlinien-
107 Dem korrespondieren rollensoziologische Verbraucherdefinitionen, vgl. dazu Reich, ZRP 1974, 187, 190 f., 194; Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1980), S. 4. 108 Die Bedeutung des Leitbildes für die Auslegung sollte allerdings nicht überschätzt werden. Da Leitbild und konkreter Normenbestand einen hermeneutischen Zirkel (Larenz/ Canaris, Methodenlehre [1995], S. 298) bilden, wonach die Einzelregelungen das Leitbild prägen, welches wiederum die Lesart der einzelnen Regelungen determiniert, bleiben letztlich die Wertungen des positiven Rechts maßgeblich. Im Ergebnis so auch Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003), S. 264, 267; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 427; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 33. 109 Vgl. etwa BGH GRUR 1959, 365 f.; BGH GRUR 1969, 415 ff.; BGH GRUR 1992, 450 ff.; BGH GRUR 1993, 127. So i.Ü. früher auch der österreichische OGH, vgl. dazu OGH ÖBl 1976, 18; OGH OBl 1993, 161; OGH ÖBl 1994, 20; OGH ÖBl 1995, 67; OGH ÖBl 1997, 20; OGH MR 1999, 186. 110 BGH GRUR 2000, 506, 508. 111 EuGH, Urt. v. 13.1.2000, Rs. C-220/98 – Esteé Lauder, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 28.1.1999, Rs. C-303/97 – Sektkellerei Kessler; EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide; EuGH, Urt. v. 6.7.1995, Rs. C-470/93 – Mars; EuGH, Urt. v. 7.3.1990, Rs. C-362/88 – GB-INNO-BM. 112 Vgl. dazu meine nachfolgenden Ausführungen unter 3. 113 Kammergericht Berlin, EuZW 1994, 541, 543.
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konformen Auslegung114 auch auf die nationale (deutsche) Rechtsordnung ausstrahlt.115 a. EuGH Das Verbraucherleitbild des EuGH hat den mündigen Verbraucher in seiner Gestalt als „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“116 zum Gegenstand und basiert auf der eingangs referierten klassischen Vorstellung des homo oeconomicus, der nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung jeweils die für ihn optimale Entscheidung trifft. Dabei ist das vom EuGH präferierte Menschenleitbild zunächst für die Grundfreiheitsrechtsprechung entwickelt worden.117 Denn das Gericht sah es als entscheidend an, dass der Verbraucher über sämtliche entscheidungsrelevante Informationen verfügt und mit diesen auch die eigenen Interessen fördernd umgehen kann. Das Recht auf Zugang zu nicht irreführenden Werbeinformationen wurde deshalb von ihm als gemeinschaftsrechtliches Grundrecht eingestuft.118 Später wurde dann das auf dieser Basis entwickelte Verbraucherleitbild auch für die Interpretation von Sekundärrechtsakten fruchtbar gemacht.119 Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Gilt es zu klären, ob die Art und Weise der Informationserteilung durch den Unternehmer den Richtlinienvorgaben entspricht, so kann der maßgebliche Empfängerhorizont nur unter Zuhilfenahme des Verbraucherleitbildes ermittelt werden.120 Zu konstatieren bleibt: Der EuGH verfolgt bei der Bestimmung des Verbraucherleitbildes keinen deskriptiven, sondern eher einen normativen Ansatz. Er definiert den Verbraucher so, wie er ihn gern hätte, damit er von den auch ihm gewährten Marktfreiheiten optimal Gebrauch machen kann und die Freiheit des Binnenmarktes selbst wiederum über die Ausübung von Marktlenkungskräften sicherstellt.121 114 Herdegen, Europarecht (8. Aufl., 2006), S. 171 f.; vgl. dazu vorne im 1. Teil, 2. Kapitel D I 2 c cc. 115 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 23; Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005), S. 201 ff. 116 St. Rspr., vgl. dazu etwa: EuGH, Urt. v. 13.1.2000, Rs. C-220/98 – Esteé Lauder, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 28.1.1999, Rs. C-303/97 – Sektkellerei Kessler, Rn. 36; wie hier Dreher, JZ 1997, 167, 171 f.; Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133, 141; ablehnend Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts (1996), S. 4 f.: „in keiner Weise durchdacht und reflektiert“, ders., ebenso in AcP 192 (1992), 71, 93 f. 117 Siehe nur EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon. 118 EuGH, Urt. v. 7.3.1990, Rs. C-362/88 – GB-INNO-BM. 119 Einschätzung v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 33. 120 V. Vogel, ebenda. 121 Hierin zeigt sich ganz deutlich ein gegenseitiges Ausspielen von Anspruch und Wirklichkeit, das für spätkapitalistische Gesellschaften als Scheinrechtfertigung für die ungleiche Chancenverteilung typisch ist, vgl. zum Problem des Ausspielens von Anspruch und
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b. BGH Der BGH ging – entgegen dem EuGH – ursprünglich vom Leitbild des unmündigen, hilflosen und daher permanent schutzbedürftigen Verbrauchers aus.122 Nach Ansicht des BGH ist der normale Durchschnittsverbraucher als „flüchtiger Informationskonsument“ einzustufen, der grundsätzlich unkritisch gegenüber Werbeaussagen sei und über ein eher niedriges Bildungsniveau verfüge.123 Diese Auffassung wurde – wie bereits angesprochen – zunächst für das Wettbewerbsrecht124 vertreten. Eine klare Abgrenzung zwischen wettbewerbsrechtlichem und vertragsrechtlichem Verbraucherleitbild ist jedoch kaum möglich125 und erscheint schon wegen der Schutzzweckparität von Verbraucherschutz und Wettbewerbsschutz im Lauterkeitsrecht auch nicht geboten.126 Der BGH verfolgte mit seiner Einschätzung einen in hohem Maße empirisch getragenen Ansatz, indem er auf den tatsächlich am Markt vorzufindenden Durchschnittsverbraucher abstellte und nicht auf den, wie man ihn als Markt-
Wirklichkeit etwa Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 160; C. Offe, Klassenherrschaft und politisches System (1972), S. 88. 122 BGH GRUR 1957, 128, 130 (der flüchtige Verbraucher stellt keine grammatikalischen Überlegungen an und es dürfen bei ihm keine Fachkenntnisse vorausgesetzt werden); BGH GRUR 1959, 365, 366 (der flüchtige Verbraucher ist kein Betrachter, der Ankündigungen, genau, vollständig und mit kritischer Überlegung würdigt); BGH GRUR 1984, 457, 459 (der flüchtige Verbraucher liest keine gesamte Werbebroschüre, sodass es auf die Wirkung einzelner, vom flüchtigen Betrachter mehr oder minder zufällig herausgegriffener Wendungen ankommen kann); BGH GRUR 1992, 450, 452 f. (der flüchtige Verbraucher übersieht auf Grund des Gesamteindrucks eines Versicherungsschreibens einen gelb umrandeten mit „Achtung“ beginnenden Aufklärungszusatz); BGH GRUR 1993, 127, 128 (für die Irreführung des flüchtigen Verbrauchers reicht es aus, dass eine blickfangmäßig herausgestellte Gestaltung einer Anzeige einen unzutreffenden Eindruck vermittelt, auch wenn dieser bei näherem Zusehen und Überlegen korrigiert werden könnte). 123 BGH ebenda; zustimmend: Ackermann, WRP 1996, 502 f.; Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 117 ff.; Dauses, RIW 1998, 750 („schlafmützig und tumb“); Deutsch, GRUR 1996, 541, 546; Gloy, FS Vieregge (1995), S. 297, 314; Kisseler, WRP 1994, 1, 4; Kraft, Das Bild des Verbrauchers im deutschen Wettbewerbsrecht unter dem Einfluss des Europäischen Verbraucherschutzrechtes (1999), S. 45; Sack, WRP 1999, 399, 401. 124 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 8. 125 Mailänder, in: Schnelle/Bartosch (Hrsg.), Europarecht in der Unternehmens- und Beratungspraxis (2004), S. 393 ff.; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 625; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 6; M. Schmidt, JZ 2007, 78 ff. 126 Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 117 ff.; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 7; Meyer, WRP 1993, 215, 222; Fezer, WRP 2003, 127, 128; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 37. Eingehend zum Verhältnis von Vertrags- und Wettbewerbsrecht Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002), S. 38 ff., 277 ff.
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akteur gerne hätte.127 Wie bereits dargestellt, ist er von dieser Sichtweise, gebunden an die EuGH-Judikate, jedoch mittlerweile abgerückt.128 2. Legislative In ähnlicher Weise wie die Rechtsprechung orientiert/e sich auch der europäische Gesetzgeber im Grundsatz am Leitbild des „informierten bzw. informierbaren Verbrauchers“, wenngleich er diese Modellannahme im Hinblick auf die von ihm gewählten Instrumente wohl nicht zum alleinigen Ausgangspunkt seiner Konzeption macht.129 Der Vorschlag130 für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnen-marktinternen Geschäftsverkehr, der auch in die endgültige Richtlinienfassung einging,131 enthielt so denn auch in Art. 2 lit. a) erstmalig eine gesetzliche Definition des Durchschnittskonsumenten. In Bezug genommen wurde von ihr der „durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Verbraucher“. Der europäische Gesetzgeber geht allerdings davon aus, dass dem Verbraucher die eigene Informationsbeschaffung über das jeweilige Produkt oder die Dienstleistung nur in begrenztem Umfang zugemutet werden kann. Die Richtlinien enthalten daher zahlreiche Informationspflichten des Unternehmers, die eine selbstbestimmte Entscheidung des Verbrauchers ermöglichen sollen. Geschützt wird dabei allerdings nur die Aufnahme der Information, nicht auch deren richtige Verarbeitung. Als eine konzeptionelle Durchbrechung (oder zumindest Einschränkung)132 der Modellannahme vom aufgeklärten, mündigen Verbraucher muss allerdings der Umstand gewertet werden, dass sich der Richtliniengeber nicht allein auf die Anordnung zwingender Informationsvorschriften beschränkt, sondern dem Verbraucher darüber hinaus zusätzliche (marktkompensatorische) Schutzmechanismen, wie etwa Widerrufsrechte, zwingende Gewährleistungsrechte und 127 So der Befund von: Ackermann, WRP 1996, 502 f.; Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 117 ff.; Kemper/Rosenow, WRP 2001, 370, 371; Kraft, Das Bild des Verbrauchers im deutschen Wettbewerbsrecht unter dem Einfluss des Europäischen Verbraucherschutzrechtes (1999), S. 49; Niemöller, Verbraucherleitbild in der deutschen und europäischen Rechtsprechung (1999), S. 38 f. („empirisch-deskriptiv“). 128 Vgl. etwa BGH GRUR 2000, 506, 508. 129 Vgl. dazu Blaurock, JZ 1999, 801, 802; Dreher, JZ 1997, 167, 171. 130 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern, KOM (2003), 356 endg.; Keßler/Micklitz, BB 2003, 2073, 2078; Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1057. 131 RL 2005/29/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern. 132 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 36.
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Mittel zur Inhaltskontrolle an die Hand gibt.133 Da auch diese Regelungen regelmäßig nicht disponibel ausgestaltet sind, der Verbraucher auf den staatlicherseits eingeräumten Schutz also nicht verzichten kann, wird mitunter die darin hineingelesene „europäische Teilentmündigung“ des Konsumenten kritisiert.134 Die Kritik erscheint jedoch überzogen. Denn gerade der Verbraucherinformation wurde in der Politik der Gemeinschaft stets ein besonderes Gewicht eingeräumt.135 Ihr kam und kommt schon vor dem Hintergrund des auch gemeinschaftsrechtlich verfestigten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, welcher nicht erst, aber doch wesentlich durch die Cassis-Rechtsprechung136 etabliert wurde, stets der Vorrang vor anderen verbraucherpolitischen Instrumenten mit eher marktkompensatorischem Charakter zu.137 3. Rechtswissenschaft Die Diskussion über das „richtige“ Verbraucherleitbild wird heute vor allem in der Wissenschaft noch erbittert geführt. Die Meinungsskala reicht hier von der glühenden Zustimmung138 des vom EuGH favorisierten Verbraucherleitbildes bis zur Verdammung139 desselben. Die alte Rechtsprechung des BGH wird dabei häufig mit dem (zutreffenden) Hinweis verteidigt, sie orientiere sich an den Realitäten des Wirtschaftslebens. Denn es ging bei ihr immerhin noch darum, empirische Befunde, die nun einmal das Verhalten des Durchschnittsverbrauchers erfassen, der mitnichten aufgeklärt und mündig agiert, in Ansatz zu bringen.140
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Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 68. Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 93. 135 Zum Choice-Ansatz des Gemeinschaftsrechts, seinem Hintergrund und der daran geübten Kritik vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel E I 3. 136 EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 417, 621. 137 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 36; Dauses, RIW 1998, 750, 756 f.; Dreher, JZ 1997, 167, 170; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 1. Teil Rn. 26. 138 Emmerich, FS Gernhuber (1993), S. 857 ff. 139 Kissler, WRP 1994, 1, 4 ff., mit einem flammenden Plädoyer zur Verteidigung des Verbraucherleitbildes des unmündigen, schutzbedürftigen Verbrauchers. Ähnlich auch Gloy, FS Vieregge (1995), S. 297, 314, der einen Rückfall in das schlimmste „Manchestertum“ befürchtet; Sack, WRP 1999, 399, 401, sieht bei dem liberalen Kurs sogar die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs bedroht; Deutsch, GRUR 1996, 541, 546 spricht von „gefährlichen Freiräumen“; kritisch zum europäischen Verbraucherleitbild auch Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2008), S. 43 f. 140 Ebenda, sowie Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 110 ff. 134
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4. Resümee Es bleibt festzuhalten, dass sich gegenwärtig der Kern eines europäischen Verbraucherleitbildes konstituiert hat. Die europäische Modellannahme vom Verbraucher beruht auf vordringlich normativen Erwägungen und hat den informierten (oder jedenfalls informierbaren) Konsumenten zum Adressaten von legislativem und judikativem Handeln erkoren, wobei dieser seine Entscheidungen – so die Annahme – im Wesentlichen selbstbestimmt treffen kann. Auch wenn der europäische Gesetzgeber den Verbraucher offensichtlich in weiterem Umfang für schützenswerter hält als der EuGH (da er in umfangreicher Weise auch marktkompensatorische Mittel und eben nicht nur Informationen als verbraucherschützende Elemente in seiner Gesetzgebung verankert), gehen beide doch vom Leitbild des mündigen Verbrauchers aus. Darauf bezugnehmend wird eine informierte Entscheidung des Konsumenten als Marktakteur angestrebt. Unterschiedliche Vorstellungen bestehen nur insoweit, als der europäische Gesetzgeber weitergehende Schutzmaßnahmen für nötig hält. Die Verbraucherleitbilder weichen aber im Hinblick auf diese Divergenz nicht so stark voneinander ab, wie dies zunächst den Anschein haben mag.141 Insbesondere scheint es übertrieben, dem mündigen Verbraucher in der Rechtsprechung des EuGH einen unmündigen, hilflosen Verbraucher in den Sekundärrechtsakten gegenüber stellen zu wollen.142 Schon das auch von der Gesetzgebung anerkannte Primat der Verbraucherinformation vor einschneidenderen, marktkompensatorischen Maßnahmen steht dem entgegen. V. Plädoyer für das Leitbild des flüchtigen, unmündigen Verbrauchers Dass das vordringlich vom EuGH geprägte Leitbild vom mündigen Verbraucher in der Literatur aber nicht nur Fürsprecher findet, liegt gerade deshalb auf der Hand, weil dieses Leitbild seine Funktion als Grundlage für gesetzgebende Maßnahmen und Judikate verfehlt. „Rechtliche Maßnahmen“ sind marktlenkend und sollen dies auch sein. Damit sie den Markt und das Kräftegleichgewicht auf ihm in die für richtig erkannte Richtung steuern, ist aber zunächst die „Ist-Situation“ zu klären143 und klar von der „Soll-Situation“ zu trennen. Dass dies auf der Ebene der EU derzeit der Fall ist, muss jedoch bezweifelt werden.144 In dem vom 141
V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 36. So aber Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 93; Danco, WM 2003, 853, 858. 143 Fezer, JZ 1986, 817, 822 ff. 144 Fezer, JZ 1986, 817, 822; Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 567; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 119; Kind, Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 501, 503; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 639; Lurger, Grundfragen der Vertragsvereinheitlichung in der Europäischen Union (2002), S. 72, 311; abgeschwächte Kritik bei Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 24. 142
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1. Teil: Grundlagen
EuGH präferierten Leitbild drückt sich seine Wunschvorstellung und ein gewisser Marktoptimismus aus.145 Es kennzeichnet insgesamt das Bestreben der Gemeinschaft, die von der Anbieterseite genutzten Marktfreiheiten nicht mit „übermäßigen Beschränkungen“ zugunsten des Verbrauchers zu belasten.146 Dabei ist diese Ambition wiederum selbst nur Ausdruck des grundsätzlich bestehenden „Zielkonflikts“147 von Verbraucherschutz- und Binnenmarktkonzeption.148 1. Forderung de lege ferenda Ein grundlegender Angriffspunkt in Bezug auf das moderne, vom EuGH geprägte Verbraucherleitbild ist dabei, dass der EuGH sein Leitbild nicht auf empirische Untersuchungen zurückführt, obwohl man dies von einem Leitbild, das wiederum Ausgangspunkt von legislatorischen und judikativen Rechtsakten ist, eigentlich erwarten sollte;149 dies schon deshalb, weil man den Markt nur dann steuern kann, wenn man die „Marktmacht“ der unterschiedlichen Parteien richtig erfasst und daran lenkend ansetzt. Der informierte, aufmerksame und verständige („mündige“) Durchschnittsverbraucher dürfte sich nach einer empirischen Untersuchung150 als wünschenswertes Ziel der europäischen Binnenmarktentwicklung darstellen lassen, aber keinesfalls als gegenwärtig real existierende Marktlenkungsmacht. Es drückt sich gerade in dem Leitbild 145 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 43 f. 146 So ausdrücklich Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16. 147 Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f.; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff. 148 Zu diesem Zielkonflikt zwischen Markt- und Sozialaspekten (auf nationaler Ebene, der sich aber natürlich auch auf der supranationalen Ebene stellt) vgl. schon die legendäre Auseinandersetzung zwischen W. Abendroth und E. Forsthoff um die Gestalt der neuen Bundesrepublik, wiedergegeben bei A. Fischer-Lescano/O. Eberl, Blätter für deutsche und internationale Politik 51 (2006), 577 ff. Bereits die Gründungsväter des Ordoliberalismus bestanden i.Ü. auf der Inter- und Konterdependenz der beiden Sphären, vgl. dazu W. Eucken, Grundzüge der Wirtschaftspolitik (1952; 6. Aufl., 1990), S. 180 ff.; siehe dazu ferner Wegmann, Früher Neoliberalismus und europäische Integration: Interdependenz der nationalen, supranationalen und internationalen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, 1933–1965, (2002), S. 369 ff. 149 Gegen die gemessen an der Realität zu optimistische Leitbildvorstellung schon sehr früh Limbach, KritV 1986, 171; Reich, Markt und Recht (1977), 183 f.; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht (1979), S. 202, vgl. auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 16. Ob ein empirisch ermitteltes Verbraucherleitbild in letzter Konsequenz ebenfalls auf einer „normativen“ Grundlage beruht und somit ebenfalls nicht wirklich realitätsnäher ist (so: Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers [1998], S. 430; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht [2006], S. 35) muss bezweifelt werden. 150 Zur Notwendigkeit einer solchen Untersuchung bezüglich der Herausbildung einer die Wirklichkeit reflektierenden Verbraucherschutzkonzeption vgl. Oehler, VuR 2006, 294, 300.
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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des mündigen, informierten oder informierbaren Verbrauchers die Vorrangstellung der den Freihandel nicht gefährden wollenden Binnenmarktfokussierung des derzeitigen EU-Verbraucherrechts aus. Der soziale, materiell an den realen Markt(lenkungs)kräften orientierte („echte“) Verbraucherschutz bliebe, agierte man allein auf der Grundlage dieses Leitbildes, unterentwickelt, weil es neben der Verbraucherinformation keiner weiteren „lenkenden“ Rechtsparameter mehr bedürfte.151 152 Es stellt sich schon insofern die Frage, wieso – wenn der EuGH dazu nicht in der Lage ist, das Verbraucherleitbild aus der Realität zu „schöpfen“ – die Mitgliedstaaten nicht selbst darüber bestimmen können sollen, für wie schutzwürdig sie den Verbraucher halten und ob es überhaupt einen „europäischen Durchschnittsverbraucher“ gibt.153 Ist der finnische, spanische, österreichische, litauische, rumänische Verbraucher nicht an völlig unterschiedliche kulturelle Muster, Verhaltensweisen und Marktverhältnisse gewöhnt und über diese sozialisiert,154 sodass ein europaweites Leitbild zum Trugbild wird und dieses daher weniger dem Verbraucherschutz, sondern allenfalls der rechtlichen Harmonisierung des Binnenmarktes dient, die vordringlich den Unternehmen zu Gute kommt? Ist es in Anbetracht der bestehenden (auch kulturellen) Unterschiede überhaupt erstrebenswert, die EU-weit so verschiedenen Verbraucher an einem rein binnenmarktorientierten Verbraucherleitbild zu messen und sie ihm zu unterstellen?155 2. Möglichkeiten de lege lata Ein Ansatzpunkt, das als verfehlt angesehene Leitbild des EuGH im Rahmen der nationalen Anwendung der umgesetzten Richtlinien zu korrigieren, wäre die Heranziehung des Mindeststandardprinzips, auf Grund dessen die Zugrundelegung eines anderen Verbraucherleitbildes zur Anhebung des Verbraucherschutzniveaus an sich möglich sein müsste, solange dadurch der Wettbewerb am Binnenmarkt insgesamt nicht unverhältnismäßig verzerrt wird.156 151 Fezer, JZ 1986, 817, 822; Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 567; v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 119; Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information (1998), S. 501–503; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 639; Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002), S. 72, 311; abgeschwächte Kritik bei Dick, Das Verbraucherleitbild in der Rechtsprechung (1995), S. 24. 152 Eine detailliertere Auseinandersetzung und Kritik folgt im 1. Teil, 6 Kapitel C. 153 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2008), S. 44. 154 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2008), S. 44. 155 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 67; Wilhelmsson, in: Wilhelmsson/Paunio/Pohjolainen (Hrsg.), Private Law and the Many Cultures of Europe (2007), S. 243 ff. 156 Diskutiert etwa auch bei Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005), S. 67 f.
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1. Teil: Grundlagen
Das Mindeststandardprinzip ist jedoch auf Grund der Veränderungen im Lauterkeits- und Werberecht in einigen Bereichen nicht mehr ganz up to date. Während die Richtlinie 84/450/EWG noch hierauf basierte,157 nehmen die Reformrichtlinien (RL 97/55/EG und RL 2006/114/EG) darauf nicht mehr umfassend Bezug.158 Die letztgenannte, aktuelle Richtlinie (RL 2006/114/EG) trifft beispielsweise eine wesentliche Unterscheidung, mit der eine Teilabkehr vom Mindeststandardprinzip in die Wege geleitet wird. Dort ist nämlich in Art. 8 I geregelt: „Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrecht zu erhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenden Schutz der Gewerbetreibenden und Mitbewerber vorsehen. Unterabsatz 1 gilt (allerdings) nicht für vergleichende Werbung, soweit es sich um den Vergleich handelt.“ Damit geht die Richtlinie jedenfalls bzgl. der vergleichenden Werbung schon zum Vollharmonisierungskonzept über, das den Mitgliedstaaten in dem bestimmten Bereich keine Möglichkeit mehr belässt, einen höheren Verbraucherschutzstandard beizubehalten bzw. zu etablieren. In der Literatur ist man vor dem Hintergrund dieser Rechtsänderung überwiegend der Meinung, dass die notwendige europarechtskonforme Auslegung der europäisch inspirierten Rechtsakte für eine Orientierung am Verbraucherleitbild des EuGH spricht. Denn es geht darum (so die Argumentation), eine gewisse Einheitlichkeit in der Rechtsanwendung sicherzustellen.159 So sah es wohl auch der BGH.160 M.E. ist dieser apodiktischen Ablehnung der Heranziehung des national bestimmten Verbraucherleitbildes in jeder Form, in der sie von der EU befördert wird, entgegenzutreten. Geht man von dem der Richtlinie 84/450/EWG unterlegten Mindeststandardprinzip aus, so verlangt dieses gerade keine Herabsenkung eines etwaig höheren (nationalen) Verbraucherschutzniveaus durch die Anwendung eines vom EuGH abweichenden Verbraucherleitbildes, solange die Binnenmarktkonzeption dadurch insgesamt nicht ins Wanken gerät.161 Auch die neue Richtlinie (RL 2006/114/EG) hat das Vollharmonisierungskonzept nur für einen bestimmten Bereich – dem der vergleichenden Werbung – in Bezug genommen. Dass nun aber der Binnenmarkt durch ein von Land zu Land differierendes Verbraucherleitbild in nicht hinnehmbarer Weise verzerrt wird, ist nicht eingängig, zumal eine gewisse Wettbewerbsverzerrung schon deshalb hinzunehmen, weil dies nach dem geltenden Mindeststandardprinzip, das zumindest teilweise 157
Vgl. Art. 7 der Richtlinie 84/450/EWG. Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Rn. 3.40 ff.; Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005), S. 168 ff.; Piepenbrock, GRUR Intern. 2005, 997 ff. 159 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 23; Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005), S. 68. 160 BGH GRUR 1990, 985, 987; BGH GRUR 1997, 380, 381; BGH GRUR 1998, 949, 951; BGH GRUR 2000, 73, 75; BGH GRUR 2000, 506, 508. 161 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f. 158
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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noch der neuen Richtlinie (RL 2006/114/EG) in Art. 8 I unterlegt ist, im Interesse der Zulassung eines national höheren Verbraucherschutzes hinzunehmen ist162 und es bei der Richtlinienumsetzung um Rechtsharmonisierung und eben nicht um eine Totalangleichung 163 geht. Wann das Binnenmarktkonzept durch ein eventuell höheres nationales Verbraucherschutzniveau als insgesamt gefährdet angesehen werden muss, und es zu einer Harmonisierung kommen darf, die an eine Totalangleichung heranreicht (d.h. ab welchem Ausmaß an Marktverzerrung die „kritische Grenze“ überschritten ist, ob bereits bei 10 %, bei 20 %, oder ob die Grenze zugunsten des national höheren Verbraucherschutzstandards weit höher anzusetzen ist), lässt sich wohl nur in steter Abwägung der durch die Gemeinschaft im AEUV anvisierten gegenpoligen Ziele „Binnenmarkt“ und „Verbraucherschutz“ ermitteln.164 Die beiden gegenpoligen Ziele Binnenmarktöffnung/Verbraucherschutz (in einem Verhältnis praktischer Konkordanz165) angemessen auszubalancieren, ist eine anspruchsvolle und notwendige Aufgabe. An grundlegenden, rechtstheoretischen Arbeiten hierzu fehlt es aber noch, zumal – und das erschwert die Aufgabe – um das eine und andere Mal immer wieder bestritten wird, dass es dieses Ausgleichs überhaupt bedarf, da Binnenmarkt und Verbraucherschutz nicht zwingend in einem sich gegenseitig abstoßenden Verhältnis stehen würden.166 Dies zu behaupten, bedeutet jedoch, die unterschiedlichen Interessenlager (Verbraucher/ Unternehmer), die sich bei der Gestaltung des Binnenmarktes einbringen – und zwar, das ist das Problem, in unterschiedlicher Stärke167 – zu nivellieren. Überle162
Ähnlich Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 302. Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (2006), Art. 153 Rn. 7 f.; Herdegen, Europarecht (2006), S. 169.; siehe dazu die Ausführung im 1. Teil, 7. Kapitel E V 1. 164 Ähnlich auch Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 41 f., der als einer von wenigen die Problematik anreißt: „Hier offenbart sich die Widersprüchlichkeit des EG-Rechts … faktisch ist es (nämlich so), dass jede rechtsverbindliche Maßnahme (auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes sich) mittelbar oder unmittelbar auf den Binnenmarkt auswirkt“. 165 Vgl. dazu meine Ausführung zum Verhältnis Binnenmarkt und Sozialverfassung im 1. Teil, 8. Kapitel B III 1. 166 Siehe dazu die m.E. viel zu opportunistischen Ausführungen von Tonner, in: Tonner/ Tamm, FS Stauder (2006), S. 527, 552: „Binnenmarkt und Verbraucherschutz widersprechen sich nach der konkreten primärrechtlichen Ausgestaltung der Gemeinschaft nicht grundsätzlich.“ Wenn dem so wäre, bedürfte es m.E. keiner dem Art. 95 EGV in Art. 153 EGV gegenübergestellten (von der Binnenmarktkonzeption in Art. 95 EGV aber leider nicht völlig losgelösten) Verbraucherschutzkonzeption. Schon durch die Regelungstechnik hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er sich des bestehenden Spannungsverhältnisses zwischen beiden bewusst ist. Nur leider hat er dieses nicht wirklich im Interesse des Verbraucherschutzes aufgelöst, da alle verbraucherschützenden Maßnahmen nach Art. 153 EGV stets auch an dem Binnenmarktprimat nach Art. 95 EGV gemessen werden. Insofern ist Art. 153 EGV auch an Art. 95 EGV „zurückgekoppelt“. 167 Der Industrielobbyismus ist ein typisches Phänomen in Konsumgesellschaften, vgl. dazu Oehler, VuR 2006, 294, 295. 163
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1. Teil: Grundlagen
gungen der Kommission im Grünbuch von Februar 2007168 werden diese grundlegenden Fragestellungen jedoch möglicherweise bald als überholt erscheinen lassen. Denn dann würden durch das Vollharmonisierungsprinzip169 im materiellen Verbraucherrecht überhaupt keine nationalen Abweichungen mehr möglich sein.170 Lauterkeits- und Verbraucherrecht wären in diesem Sinne zwei parallel-laufende, sich hier und da jedoch überschneidende Regelungsbereiche, die auf ein EU-weit einheitliches abgesenktes Schutzlevel171 für die Unternehmer/ Verbraucher hinausliefen, was zu bedauern wäre.172
D. Unterschiedliche Marktkonzeptionen/Leitbilder – unterschiedliche Instrumente Unabhängig von der Frage der Verbraucherleitbilder und ihres umstrittenen Anwendungsbereiches entsprechen den Verbraucherschutzkonzeptionen – ausgehend von den ihnen zugrunde liegenden Menschenleitbildern und den ihnen zugeordneten Lenkungskräften – verschiedene Rechtsinstrumente,173 über die sie das Ziel „Verbraucherschutz“ verfolgen. I. Laissez-Faire-Ansatz des altliberalen Modells In einem Marktmodell, in dem der Verbraucherschutz bereits durch das freie Spiel der Kräfte am Markt sichergestellt wird, erübrigt sich jede eigenständige Protektion von Verbraucherinteressen durch den Staat, da der Verbraucher für sich selbst sorgen kann, eben weil er ein souveräner Marktteilnehmer ist.174 In168
KOM (2006), 744 endg. Vgl. dazu jüngst Micklitz, VuR 2009, 110 ff. 170 Wilhelmsson, ZEuP 2008, 225 ff. 171 Erste Niederschläge des abgesenkten Schutzniveaus ergeben sich bereits aus dem Vorschlag der Kommission zu einer „Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“ v. 8.10.2008 (KOM [2008], 614 endg.), dazu kritisch etwa Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff., die auf. S. 285 detailliert hierzu Folgendes auflisten: Art. 28 IV des Richtlinienvorschlags sieht die Einführung einer Rügepflicht im Verbrauchsgüterkauf auch für Verbraucher vor. Art. 26 II des Richtlinienvorschlags setzt das Wahlrecht des Käufers bei der Nacherfüllung außer Kraft. Gestrichen wurde im Vorschlag der Regressanspruch des Letztverkäufers gegen seinen Vorlieferanten; vgl. ferner zum Richtlinienvorschlag Effer-Uhe/Walsen, GPR 2009, 7 ff.; Jud/Wendehorst, GPR 2009, 68 ff.; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Tettinger, ZGS 2009, 106 ff. 172 Zur Warnung im Lauterkeitsrecht Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Einl. 3.40; vgl. auch Reich, EuZW 2008, Heft 22 S. V; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff. 173 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 69. 174 Vgl. die Darstellung der Strömung bei Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung 169
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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folgedessen gilt hier der Laissez-faire-Grundsatz. Auf der Grundlage dieses Ansatzes würde man sagen: „Der Markt ist des Verbrauchers bester Freund“. II. Information und Wettbewerb nach dem liberalen Informationsmodell Indem man die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers aus fehlendem Wettbewerb oder einem Mangel an Markttransparenz sowie einem typischen Erfahrungs- und Informationsdefizit gegenüber der Unternehmerseite ableitet, kommen der Verbraucherschutzpolitik ganz bestimmte, zumindest im Ansatz klar begrenzte Funktionen zu.175 Sie hat einerseits Marktstrukturschwächen und Wettbewerbsverzerrungen zu bekämpfen oder, wenn dies nicht möglich ist, zu kompensieren.176 Auf der Grundlage des Menschenbildes des homo oeconomicus,177 aus dem sich das Verbraucherleitbild des selbstverantwortlichen Verbrauchers generieren lässt, besteht die Aufgabe der Rechtsprechung und des Gesetzgebers vornehmlich darin, den Wettbewerb aufrecht zu erhalten und dafür Sorge zu tragen, dass sich der Verbraucher selbstbestimmt ökonomisch rational verhalten kann. Übermachtkontrolle durch Regulierung von Kartellen und das Zurückdrängen unlauteren Wettbewerbs sind deshalb die bevorzugten Instrumente des neuen, liberalen Verbraucherschutzkonzepts. Es setzt auf Verbraucherinformation und -bildung.178 Diese Mittel zum Schutz des Verbrauchers sind in ihrem Ursprung als marktliberal bzw. marktkomple-
des Verbrauchers (1998), S. 104 ff.; ebenso die hinweisende Darstellung bei Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 121. 175 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 66. 176 Vgl. zu diesen Zusammenhängen: MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 17 ff.; Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 9; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 66; Reich, Markt und Recht (1977), S. 200 ff.; K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 83 ff. 177 Kirchgässner, Homo Oeconomicus (2. Aufl., 2002), der meint, der homo oeconomicus habe einen Siegeszug durch die Sozialwissenschaften angetreten (S. VIII). Für die Fortentwicklung des Schuldrechts ausgerichtet am Leitbild des homo eoconomicus Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht: Herausforderung durch Behavioral Law and Oeconomics, JZ 2005, 216. 178 Vgl. dazu Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 69; beschreibend Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2006), H.V. Rn. 29. Eine so verstandene Verbraucherpolitik hat sich in der Bundesrepublik in einer Reihe von Gesetzen niedergeschlagen: im UWG, der mittlerweile außer Kraft gesetzten PreisAngVO, im Gesetz über das Meß- und Eichwesen, im LMBG. Ausdruck dieser Herangehensweise ist aber auch die Gründung und Unterhaltung der Stiftung Warentest (1964) und die finanzielle Unterstützung der Verbraucherzentralen im Hinblick auf die Sicherstellung der Verbraucheraufklärung, vgl. zum Ganzen Hart/Köck, ZRP 1991, 61, 62.
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1. Teil: Grundlagen
mentär179 zu kennzeichnen, da in das freie Spiel der Kräfte nicht bzw. nur behutsam – über Marktflankierungen – eingegriffen wird (s.o.). Über die Verbraucherbildung und -information hinausgehender Mittel zum Schutze des Verbrauchers bedarf es nach dieser Verbraucherschutzkonzeption nicht, sodass interventionistische Eingriffe des Gesetzgebers bezüglich des Zustandekommens und der Abwicklung von Verträgen im Grundsatz abgelehnt werden.180 III. Abschluss- und Inhaltskontrolle nach dem sozialen Verbraucherschutzmodell Stellt man hingegen in Abrede, dass sich jeder Marktteilnehmer, auch der Verbraucher, wie ein homo oeconomicus am Markt verhält,181 weil man davon ausgeht, dass sich am Markt auch durch noch so viel Wettbewerb und Information keine wirkliche Verbrauchersouveränität einstellt, dann muss die Verbraucherschutzpolitik die Grenzen des Informationsmodells überschreiten.182 Vor diesem Hintergrund werden neben marktkomplementären Maßnahmen auch marktkompensatorische, d.h. stärker interventionistische Mittel zum Einsatz zu bringen sein, mit denen auch das Zustandekommen und der Inhalt von Verträgen einer Kontrolle zugeführt wird.183
179 Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 70: „systemkonform“. Zu dem Gegensatzpaar marktkomplementär/marktkompensatorische Mittel vgl. Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 123; Reich, Markt und Recht (1977), S. 198 ff. und die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel E I. 180 Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 70. 181 Fezer, JZ 1986, 817 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 16, 22; Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten (7. Aufl., 1999), S. 653, 664; Galbraith, The Good Society (1996), S. 15; Reich, Markt und Recht (1977), S. 183 f. halten die Konsumentensouveränität für realitätsfern. 182 Die Einschränkung der Privatautonomie durch die vielen Vorgaben aus verbraucherschützenden Regelungen inner- und außerhalb des BGB zeigen, dass der Gesetzgeber beim Informationsmodell nicht stehen geblieben ist. Beim näheren Hinsehen wird allerdings auch deutlich, dass die derzeitige Verbraucherpolitik nicht als eine Ablösung des Marktparadigmas angesehen werden kann, vgl. Hart/Köck, ZRP 1991, 61, 62 183 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 185; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 67 f.
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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E. Rollensoziologisches Verbraucherleitbild und die neue Sichtweise von der Privatautonomie Das der jeweiligen Verbraucherschutzkonzeption unterlegte Verbraucherleitbild zieht nicht nur bestimmte Regelungsinstrumente nach sich, die entweder marktkonform ausgestaltet sind oder nicht, es steht zugleich in einem inneren Zusammenhang zu der Auseinandersetzung um die aus dem Grundsatz der Privatautonomie zu ziehenden Schlussfolgerungen bezüglich protektionistischer Maßnahmen zugunsten einer Partei. I. Einführung in den Problemkreis Wie bereits beschrieben, modifiziert das Verbraucherprivatrecht in vielfältiger Form die allgemeinen zivilrechtlichen Normenvorgaben.184 Ansetzend an diesem Punkt stellt sich nun die Frage, ob es insofern auch zu einer Veränderung unseres Verständnisses von der Privatautonomie kommt. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob man den Grundsatz der Privatautonomie bereits über den Gedanken der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte als verwirklicht ansieht,185 oder ob es dazu mehr bedarf, etwa auch186 eines materiellen Verständnisses187 vom Kontrakt und seinen Voraussetzungen und damit ggf. auch umfangreicher dirigistischer Maßnahmen, die die materielle Vertragsgerechtigkeit als gewünschtes Ergebnis befördern. Geht es bei der Gewährleistung von Privatautonomie nur um die Sicherstellung einer formal verstandenen Gleichheit im Rechtsstatus der Parteien, dann liegt es an den wirtschaftlich denkenden, vernünftig handelnden Marktteilnehmern, diese Freiheit in der Ausgangsbasis für sich nutzbar zu machen. Sollte sich 184
Weyers, WM 2005, 490, 492. So im Grundsatz Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 70 f.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts (1967), S. 103 ff. 186 Um Missverständnissen vorzubeugen, sei schon hier klargestellt, dass formal verstandene Vertragsfreiheit ein hohes Gut ist, da sich aus ihr bestimmt, welche Freiheit die Vertragspartner zum Vertragsschluss haben. Wenn hier von materieller Vertragsfreiheit die Rede ist, so ist damit gemeint, dass die Rechtsordnung den Raum für Vertragsfreiheit tendenziell so bestimmt, dass die Vertragspartner auch real die Chance haben, zu angemessenen Vertragsabschlüssen zu kommen, vgl. dazu Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982), S. 298 f. 187 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 124; Bartsch, ZRP 1973, 219, 222; Raiser, JZ 1958, 1, 6; Hart, AG 1984, 66, 72; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 159 f.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982), S. 298 f.; ders., ZfA 2003, 325, 355; SchmidtRimpler, AcP 147 (1941), 130 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 49; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 33. 185
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1. Teil: Grundlagen
aber herausstellen, dass die Chancengleichheit schon im Ausgangspunkt durch bestehende Kräfteungleichgewichte unter den Parteien unterlaufen wird, dann bedarf der unterlegene Marktteilnehmer eines zusätzlichen, intervenierenden Schutzes durch den Staat; dies gilt jedenfalls dann, wenn man dem Vertrag die Sozialfunktion188 der Richtigkeitsgewähr189 beimisst. Insofern steht die Diskussion über die formale und materiale Freiheit der Rechtssubjekte in einem engen Kontext zur spezielleren Streitfrage um das richtige Verbraucherleitbild, d.h. um die Bewertung des Verbrauchers als Regelungssubjekt.190 II. Klassische und moderne Sichtweise der Privatautonomie Unbestritten gehören Privatautonomie und Zivilrecht nach dem deutschen Rechtsverständnis zusammen. Das gesamte Zivilrecht baut auf dem Gedanken auf, dass die Rechtssubjekte ihre Rechtsbeziehungen privatautonom festlegen können und ihnen solch eine freie Gestaltung ihrer Verhältnisse auch ermöglicht werden muss. Untersucht man aber nun die Auswirkungen verbraucherschützender Normen genauer, wird eines ganz deutlich: Schon dadurch, dass der Verbraucherschutz nach der derzeitigen Gesetzeslage die kommerzielle Angebotsseite durch diverse191 marktkomplementäre und marktkompensatorische Maßnahmen in die Pflicht nimmt, verschiebt sich auch das ursprünglich stark liberal geprägte Gefüge der Privatrechtsordnung.192 Das gegenwärtige Verbraucher-
188 Grundlegend: Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (2001), S. 120 ff.; so schon im Zusammenhang mit der Entstehung des BGB, Ehrlich, Die sociale Frage im Privatrechte, in: Juristische Blätter. Eine Wochenschrift 21 (1892), S. 97 ff. Ehrlich sah die soziale Aufgabe des Privatrechts darin, vor allem einen möglichst innigen Zusammenschluss der an einer Gesamtheit teilnehmenden Personen zu ermöglichen. Er bezeichnete das als einen bedeutenden Schritt für die künftige Organisation der Menschheit (Ehrlich, Die sociale Frage, a.a.O., S. 134). 189 Raiser, JZ 1958, 1 ff.; Mestmäcker, JZ 1964, 441, 443; Kramer, Die Krise des liberalen Vertragsdenkens. Eine Standortbestimmung (1974); Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung (1977); Kilian, AcP 180 (1980), 47, 76; F. Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 39. Vom funktionalen Denken geprägt ist auch der Ansatz von M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970) und von Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982). 190 Zu diesem Kontext im Zusammenhang mit Gedanken zur formellen/materiellen Vertragsfreiheit vgl. auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 16. 191 Grundlegend zu den verschiedenen Möglichen Mitteln Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994). 192 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff.; siehe hierzu auch Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 14 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 51 ff.; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 121 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 36; kritisch zu dieser Entwicklung Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 23, 33.
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schutzrecht tangiert so gesehen gerade im Hinblick auf seine interventionistischen Instrumente die „klassische“ Sichtweise der Privatautonomie.193 Während das klassische Privatrecht die individuelle Selbstbestimmung i.S.d. negativen Freiheit, tun und lassen zu dürfen, was man will, gerade auch durch die Vertragsfreiheit als gewährleistet ansah, hat sich diese Situation durch die Materialisierung des bürgerlichen Rechts gründlich verändert.194 1. Klassische Sichtweise der Privatautonomie Die klassische Sichtweise der Privatautonomie baut auf dem Gedanken der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte auf, der jeder marktliberalen Zivilrechtskodifikation unterlegt ist.195 So verbürgte auch das am 1.1.1900 in Kraft getretene BGB die formal-abstrakte Gleichheit der Rechtssubjekte, was seinerzeit ein großer Fortschritt196 war, da die Rechtsstellung der Personen nicht mehr länger nach Stand und Geburt definiert wurde.197 Das Postulat der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte entsprach und entspricht der bis heute andauernden Vision des autonomen Individuums und einer Gesellschaft mit möglichst staatsfernen Freiräumen.198 Die Optionsspielräume der formal-gleichgestellten Rechtssubjekte sollen so wenig wie möglich von Verboten und Geboten beschränkt werden, damit die autonome Lebensgestaltung i.S.d. Verfolgung eines vernünftig gewählten Lebensentwurfes, der
193 So zutreffend Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 49. 194 Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 3; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 479. 195 Beschreibend Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 482 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit (1991), S. 44 f.; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens (1974), S. 20 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht (1996), S. 77; Grundmann, JZ 2005, 860, 863 f. 196 Es lassen sich hier Stufen in der Rechtsentwicklung feststellen: Während am Anfang das Statusrecht stand, das auf der Zugehörigkeit zu einer festen Hierarchie mit abgestufter Rechtsfähigkeit fußte (Stichwort: „Recht als Privileg“), hat das Kontraktrecht den Menschen individualisiert und ihn gleichzeitig als Person durch Rechtsgleichheit und Privatautonomie „nivelliert“. Das soziale, vom Rollenverständnis getragene Recht geht demgegenüber auch auf tatsächliche Machtverhältnisse ein, vgl. zu dieser Entwicklung Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 65. Der darin enthaltene Differenzierungsgedanke bei der Schutzwürdigkeit von Rechtsgenossen ist Gerechtigkeitsgebot und verwirklicht ein mehr materiales Freiheitsverständnis, so zutreffend Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 66; mit kritischer Anm. zu dieser Entwicklung F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 768. 197 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 25. 198 Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens (1974); F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 158 f., 753 f.; St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 498 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht (1996), S. 93 f.; Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 481.
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die Eigenständigkeit, die Selbstverantwortlichkeit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit kennzeichnet, umgesetzt werden kann.199 Das BGB hatte sich in seiner ursprünglichen Konzeption diesem Gedanken verschrieben und er wirkt – mittlerweile auch verfassungsrechtlich abgesichert (vgl. Art. 2 I GG)200 – als Fundament des Grundsatzes der Privatautonomie bis heute fort.201 In dem Sinne der formal – durch die gleiche Rechtsstellung – gewährten Handlungsfreiräume beschränkte sich das BGB (ursprünglich) darauf, den unmittelbaren Austausch von Leistung und Gegenleistung zu regeln. Es verwies alle weiteren, mit dem Abschluss von Rechtsgeschäften verfolgten Ziele, wie den Konsum, als für das Funktionieren des Markt- und Preismechanismus unerheblich in den Bereich unbeachtlicher Motive.202 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die konkreten Lebensumstände, Fähigkeiten und Verhaltensweisen der Rechtssubjekte nach der Intention des BGB-Gesetzgebers grundsätzlich nicht in Ansatz zu bringen waren.203 Es ging nicht um eine konkrete, sondern nur um eine abstrakte Gleichstellung der Rechtssubjekte,204 die ihnen lediglich die rechtliche Chance einräumen sollte, in gleicher Weise wie der andere Vertragspartner eigene Interessen im Wege des Ausgleichs zur Geltung zu bringen. Die über die formal-abstrakte Gleichstellung der Rechtssubjekte konzipierte Privatautonomie impliziert zugleich das so genannte Selbstschutzdogma („caveat emptor“205 – Soll er doch aufpassen!). So kommt das hierauf aufbauende Zivilrecht auch weitgehend ohne Markt- und Vertragsinterventionen aus. Die Regulierung von Rechtsgeschäften durch äußere Vorgaben (und eine daran ansetzende Überwachung durch die Gerichte)206 erübrigt sich, da bereits die formal-abstrakte Rechtsgleichheit der Handelnden eine Chancengleichheit bei der Verhandlung nach sich zieht, die ein angemessenes Verhandlungsergebnis er199
Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 481. Vgl. E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81, 85. 201 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1974), S. 5; ders., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 482 ff.; Grundmann, JZ 2005, 860, 863 f.; Wagner, ZEuP 2007, 180, 192; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 278 ff. mit seinem Beharren auf die grundlegende Ordnungsfunktion dieses Prinzips. 202 Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979), S. 70 ff. 203 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 54. 204 Reifner, Alternatives Wirtschaftssystem am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979), S. 38 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 54 f. 205 Wörtlich: Es hüte sich der Käufer! 206 Zu dem positiven Aspekt der Entlastung der Gerichte durch die privatautonome Gestaltung der Rechtssubjekte und die Förderung der Leistungsfähigkeit durch Selbstverantwortung und „Belohnungseffekt“ vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 20 f. 200
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warten lässt.207 Die Umsetzung der ordnungs- und sozialpolitischen Ausgleichsfunktion des Kontrakts wird (bis auf das Verbot von gesetzes- und sittenwidrigen Geschäften) dem freien Spiel der Kräfte überlassen.208 Daraus folgt aber auch, dass es in Bezug auf das Postulat der formal-abstrakten Gleichstellung der Rechtssubjekte nicht um eine tatsächliche Ausgeglichenheit oder Gleichwertigkeit der Handlungsergebnisse geht. Wie sich der Vertrag auf die Interessen der Parteien auswirkt, soll im Prinzip ihrer Geschicklichkeit überlassen bleiben.209 Allein die Chance210 der Richtigkeitsgewähr,211 die durch die formale Gleichstellung der Parteien eröffnet ist, soll einer so konzipierten Privatrechtsordnung genügen. Dafür, dass die formal-abstrakte Gleichstellung der Parteien die einzig zu fordernde Voraussetzung für die in der Vertragsfreiheit einbegriffene Richtigkeitsgewähr des Vertrages sei, wird angeführt, die „objektive Angemessenheit“ des Verhandlungsergebnisses ergäbe sich primär aus der (subjektiven) Sicht der Parteien. Wer sich die Aufgabe stellt – so wird hervorgehoben – durch Kontrolle und Kompensation von Ungleichgewichtslagen einen materiell gerechten Interessenausgleich zu bewirken, setze sich utopische Ziele. Denn es ist nicht realisierbar, durch eine Korrektur der äußeren Funktionsbedingungen einen jeder möglichen Ungleichgewichtslage entsprechenden gerechten Ausgleich zu erzielen, weil (1.) die Ungleichgewichtslagen komplexer Natur sind und (2.) kein gesicherter Maßstab dafür besteht, was ein gerechtes Vertragsergebnis ist.212 Im Übrigen würde aber (3.) auch die Rechtssicherheit darunter leiden, wenn jedes privatautonom ge207 Grundsätzlich dazu: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 54 ff.; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18. 208 Beschreibend Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 18; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 49. 209 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts (1967), S. 103; beschreibend und den positiven Aspekt der formalen Gleichstellung mitbetonend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 20 f. 210 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970); Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 56. 211 Zu Entwicklung des Gedankens der Richtigkeitsgewähr Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130, 149 ff.; ders., FS Raiser (1974), S. 3 ff.; ähnlich Flume, Allgem. Teil II (1992), S. 8, 10 f.; E. Schmidt, JZ 1980, 153, 154; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 159 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 56; Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 52 f. 212 Vertretend Lieb, AcP 183 (1983), 362 ff.; Zöllner, AcP 176 (1976), 237 ff.; als normativ zu wertendes Problem ansehend, für das noch eine Lösung gefunden werden muss Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982), S. 99 ff.; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht (1993), S. 218; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 25 f.; zu diesem problematischen Punkt vgl. auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 320, 343 ff.
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staltete und gestaltbare Rechtsverhältnis im Nachhinein mittels einer behördlichen/gerichtlichen Evaluation in seinem Zustandekommen und Bestand verändert werden könnte.213 Da diese Probleme bislang noch nicht gelöst wurden, fehle es schlicht an der „Operationalität“ der Herstellung echter Privatautonomie/Vertragsfreiheit.214 In diesem Sinne bliebe – so die Vertreter dieser Ansicht – allein der Rekurs auf die Lehre Schmidt-Rimplers.215 Nach ihr soll jedem Vertrag, den zwei Rechtssubjekte auf der Basis der formal-abstrakten Gleichstellung schließen, auch die Idee der „Richtigkeit“ zur Seite stehen, und zwar insofern, als sich durch ihn nicht nur das subjektiv Gewollte, sondern zugleich auch eine zu unterstellende (weil anders nicht herstellbare) objektiv angemessene Ordnung entfaltet.216 2. Neuere Sichtweise der Privatautonomie In der neueren zivilrechtlichen Literatur führten insbesondere die grundlegenden Überlegungen von Raiser 217 und Wieacker218 zu einer zunehmend kritischen Sichtweise des (nur) formalen Verständnisses von der Privatautonomie. Der neueren Interpretation der Privatautonomie unterlegt ist die Forderung nach einer wertenden Einbeziehung faktischer Gegebenheiten i.S.v. paritätsgefährdenden Umständen.219 Ihr steht die Erkenntnis zur Seite, dass es in unserem modernen Wirtschaftsleben allzu oft Fallgestaltungen gibt, in denen sich die originär implizierte Ordnungs- und Ausgleichsfunktion des Vertragsmechanismus auf Grund der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte nicht bewährt, 220 weil ihre erforderlichen Funktionsvoraussetzungen nicht gegeben sind. 221 Zwar verwirklichen sich Privatautonomie und Vertragsfreiheit auf dem Felde des Vertragsrechts zunächst über den Abschluss von autonom geschlossenen Verträgen. Das der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit unterlegte Postulat 213 Hinweisend auf dieses Problem Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 25 f. 214 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 41 f. 215 Grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 132 ff., 152 ff., 161 und FS Raiser (1974), S. 3 ff. 216 Schmidt-Rimpler, ebenda; vertretend Zöllner, AcP 176 (1976), 230, 237 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 362 ff.; beschreibend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 14; Wagner, ZEuP 2007, 180, 192. 217 Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935). 218 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953). 219 Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 3; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 254. 220 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 14 ff.; Reich, Markt und Recht (1977), S. 256 ff.; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 160: „Interessenausgleich (…) misslingt“. 221 BVerfGE 89, 214, 233 ff.; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 3.
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der Ordnungs- und Ausgleichsfunktion des Kontrakts wird jedoch nur dann optimal verwirklicht, wenn die Willensbildung der Parteien dabei nicht nur grundsätzlich frei von rechtlichen Hindernissen ist, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht keinen Beeinträchtigungen unterliegt.222 Dieses „ganzheitliche“ Verständnis von Privatautonomie und Vertragsfreiheit leitet sich aus dem Umstand bzw. dem Axiom ab, dass dem Einzelnen die Rechtsmacht, eigene Angelegenheiten ohne Einflussnahme Dritter zu regeln, nicht um der Rechtsmacht selbst willen eingeräumt wird, sondern zu förderst deshalb, weil sich über sie die Koordinationsordnung des Marktes i.S.d. Herbeiführung eines angemessenen Interessenaustausches entfalten soll.223 Dem Recht kommt somit stets auch eine ethische Dimension zu.224 Dass es diese von Anfang an, insbesondere ab dem Zeitalter der Kodifikation, in sich trägt, zeigt etwa schon der Umstand, dass es von Anbeginn an Verbote/Beschränkungen rechtlicher Gestaltungsfreiheit gab.225 Im Wesentlichen wird seit vielen Jahrzehnten akzeptiert, dass sich insbesondere der freie wirtschaftliche Austausch im Rahmen rechtlich geprägter Institutionen unter einer normativen Ordnung abspielen muss.226 Eine ausreichendes Verständnis oder gar eine zureichende Begründung ihres Inhalts kann jedoch nicht vermittelt werden, wenn man nicht darauf abstellt, dass Privatautonomie und Vertragsfreiheit dazu dienen, dass die Selbstbestimmung einer Person und der Gedanke des gerechten Interessensausgleiches auch faktisch sicherzustellen sind 227 und dass sich das Recht 222 So BVerfGE 89, 214, 233 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 254 ff.; siehe auch Radbruch, Der Mensch im Recht (1957), S. 35, 39, der darauf hinweist, dass erst die Anknüpfung an ein materialisiertes, soziales Recht „hinter der nivellierten Abstraktion des Personenbegriffes die individuelle Eigenart, die soziale Macht und Ohnmachtstellung sichtbar“ macht. 223 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 20: „Die Gesamtbilanz würde zeigen, dass die heutige Interpretation des bürgerlichen Rechts vielfach nicht mehr daran denkt, die Privatrechtsordnung ihrem ursprünglichen Sinn gemäß als Aggregat von subjektiven Rechten, von „Willensmacht“ der Individuen anzusehen, sie betrachtet vielmehr die Rechtsverhältnisse wesentlich als Sozialfunktionen, die nach Maßgabe vorgegebener, vertraglich übernommener Verantwortungen ausgeübt werden; ebenso Flume, Allgemeiner Teil II (1992), S. 1. 224 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze(19889, S. 45 f. 225 F. Bydlinski (a.a.O. Fn 98), weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass hier hinein Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit, der Ausschluss von List, Drohung oder Wucher gehören, aber auch viele andere Erscheinungen, die heute als „sozialer Schutz“ begriffen werden. 226 Vgl. hierzu etwa Streissler, Privates Produktiveigentum, in: Eigentum – Wirtschaft – Fortschritt (1970), S. 90; davon geht aber auch v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. I (1980), S. 123 ff. aus. 227 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277. Daneben legitimiert sich die Vertragsfreiheit natürlich auch durch ihre Nähe zu übergeordneten Werten wie dem Demokratie- und dem Gewaltenteilungsprinzip, näher dazu Canaris, JZ 1987, 994 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 1 ff.
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somit – bezogen auf die Vielzahl der herbeizuführenden objektiv angemessenen Austauschverhältnisse – auch in seiner Sozialfunktion228 entfaltet. Gemessen an diesem unterschiedlichen Verständnis von dem, was Recht leisten soll, kristallisiert sich ein grundlegender Unterschied zwischen der von den differierenden Ansatzpunkten her zu gewährenden formalen bzw. tatsächlichen Freiheit der Person heraus. Das weiter entwickelte, neuere Vertragsmodell unterscheidet sich vom liberal-formalen Verständnis der Vertragsfreiheit vor allem dadurch, dass es die bloß rechtliche (und in diesem Sinne „formale“) Freiheit und Gleichheit der Parteien nicht als ausreichend ansieht, um die inhaltliche Richtigkeit bzw. Gerechtigkeit des Vertrages zu gewährleisten. Sie verlangt vielmehr Freiheit und Gleichheit nicht nur de iure, sondern auch de facto,229 für das Individuum und die Gesellschaft, die nur als „gerechte“ funktionsfähig ist. Dies führt unweigerlich zu der Forderung nach einer materialisierten230 Betrachtung des Vertragsrechts. In der Auseinandersetzung um die formal und material231 verstandene Vertragsfreiheit bzw. Vertragsgerechtigkeit wird von den Vertretern des neuen Vertragsdenkens232 treffend geltend gemacht, es sei das ewige Dilemma der Privat228
Repgen, Die soziale Funktion des Zivilrechts (2001), S. 120 ff.; auch F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 45 f., spricht im Zusammenhang mit der ethischen Dimension des Rechts den „sozialen Schutz“, der nicht anderes erklärbar ist als durch ihre Einbeziehung, ausdrücklich an. 229 Wagner, ZEuP 2007, 180, 192. 230 Zum Begriff material/materialisiert vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 282 f.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit (2005), S. 23. Formale Gerechtigkeitskonzeptionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie allein die strikte Neutralität gegenüber dem einzelnen (in seinem formalen Rechtsstatus mit dem anderen gleichgestellten) Individuum betonen; kurz, Gerechtigkeit ohne Ansehung der Person gewähren. Grundlage eines formalen Begriffs der Vertragsgerechtigkeit ist der Gedanke, dass das freiverantwortlich Vereinbarte schon und nur auf Grund seiner Freiwilligkeit gilt und als gerecht anzuerkennen ist. Demgegenüber sind solche Gerechtigkeitstheorien, die wenigstens zum Teil auf die inhaltliche Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen bzw. die inhaltliche Angemessenheit des Vertrages in Anbetracht des konkreten Vertragszwecks und des faktischen Kräftegleichgewichts abstellen, als material zu bezeichnen. 231 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277; Kramer, Die Krise des liberalen Vertragsdenkens (1974), S. 20 f.; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 158 f., 753 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht (1996), S. 63 f.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 498 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 7, 208 f., 266 ff.; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 259; Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 3. Eine etwas andere Akzentuierung findet sich bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 33 f., 39 f., der zwischen „formaler“ Vertragsfreiheit und „materieller Vertragsgerechtigkeit“ unterscheidet. 232 Wagner, ZEuP 2007, 180, 192; Zweigert, FS v. Rheinstein, Bd. II (1969), S. 493, 503; Raiser, Vertragsfunktion und Vertragsgerechtigkeit, FS zum 100–jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. I (1960), S. 101, 129; etwas kritischer dazu: Canaris, FS Lerche (1993), S. 872, 882; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 43; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 22 ff.
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autonomie (und des Vertrages als ihr grundsätzliches Gestaltungsmittel), dass die rechtliche Freiheit der Parteien ständig durch ungleiche Machtverteilung in Frage gestellt wird:233 Denn die Privatautonomie baut bekanntlich zu förderst auf der Selbstbestimmung der Rechtssubjekte auf.234 Sie kann sich jedoch nur dort „ganzheitlich“ entfalten, wo tatsächlich die Fähigkeit zur Wahrnehmung autonomer Rechtsgeschäfte auf Grund einer gewissen materiellen Durchsetzungsmacht besteht.235 Existiert keine annährend gleiche faktische Durchsetzungsmacht unter den Parteien, dann muss dies zur Folge haben, dass der Gedanke der formell-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte als prozeduraler Ansatz zur Herbeiführung eines gerechten Verhandlungsergebnisses durch eine materialisierte Betrachtung der Parteibeziehungen i.S. eines inhaltlichen Kontrollansatzes „ergänzt“ (nicht „ersetzt“!) wird.236 Die zu fordernde Ergänzung des prozeduralen durch den inhaltlichen Ansatz folgt zwingend daraus, dass die grundlegende und primäre Ordnungsfunktion in einer der Selbstbestimmung der Individuen dienenden Privatrechtsordnung durch eine allgegenwärtige Inhaltskontrolle grundsätzlich in Frage gestellt wäre. Daher darf es zu einer Inhaltskontrolle nur dort kommen, wo von vornherein auf Grund eine (typisierbaren) Asymmetrie unter den Parteien keine faktische Gleichheit der Verhandlungspositionen zu erwarten ist.237 Andererseits bedarf es hier aber auch einer die Verhandlungschancen oder das Ergebnis beeinflussenden inhaltlichen Überprüfung, da der prozedurale Ansatz allein seinem Ziel nicht gerecht werden kann. 3. Resümee Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses beinhaltet die auf eine materialisierte Betrachtung der (Vertrags-)Beziehungen hinauslaufende Inhaltskontrolle nur ein weiterentwickeltes Regelungsinstrument, das neben die Garantie der for233
Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 482. Flume, Allgemeiner Teil II (1992), S. 1; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277; Medicus, Allgemeiner Teil (1994), Rn. 176. 235 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970); Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982); Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 483 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277. 236 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung und Richterfreiheit (2005), S. 23 ff. 237 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982); Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle und Privatrecht (1992); Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht (1992); Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994); Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998); Zöllner, AcP 176 (1976), 221 f.; ders., AcP 188 (1988), 85 f.; ders., AcP 196 (1996), 1 f.; Schünemann, FS Brandner (1996), S. 279, 293 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 343 f.; Barnet, Die formelle Vertragsethik des BGB im Spannungsverhältnis zum Sonderprivatrecht und zur judikativen Kompensation der Vertragsdisparität (1999). 234
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mal abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte tritt, um dem von beiden Mechanismen angestrebten Ziel der Gewährung echter Vertragsfreiheit so nahe als möglich zu kommen. Daraus folgt zugleich, dass es sich bei der Postulierung einer materialen Freiheitsethik im Zivilrecht keineswegs um eine normative Einschränkung des Prinzips der rechtlichen Freiheit bzw. der Privatautonomie handelt, sondern nur um die Abschaffung solcher (faktischer) Privilegien, die mit der von diesem Prinzip geforderten Gleichverteilung der Verhandlungschancen unvereinbar sind.238 Mit dem hier aufgezeigten dialektischen Verständnis von rechtlicher und tatsächlicher Entscheidungsfreiheit lässt sich auch das Spannungsverhältnis239 zwischen formaler/prozeduraler und materialer/inhaltlicher Freiheitsgewährung i.S.d. Privatautonomie und des ihr unterlegten Äquivalenzgedankens240 begreifen und für ein modernes Vertragsdenken nutzbar machen. III. Problem der Verifizierbarkeit der Disparität und der Umgang damit Von der Thematik des notwendigen materialen Verständnisses von der Privatautonomie (als normative Forderung) ist das Problem der Verifizierbarkeit der Störung der Vertragsparität und die Festlegung der Interventionsschwelle zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist darin begründet, dass man sich relativ einig darin ist, dass es bei einem Kräfteungleichgewicht der Parteien zu einer Paritätsgefährdung und damit zu einem Unterlaufen der sozialen Austauschfunktion des Vertrages kommen kann.241 Die Frage ist nur, wann sich solch eine Paritätsgefährdung einstellt und wie man ihr begegnen kann, und zwar ohne privatautonom gestaltbare Rechtsverhältnisse einer auf jeden Einzelfall bezogenen Flexibilisierbarkeit durch nachwirkende Kontrolle zuzuführen.242 Dies wäre schon unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit kontraproduktiv und würde im Übrigen auch dazu führen, die nicht zu verkennende Antriebsfunktion der Privatautonomie außer Kraft zu setzen (s.o.).243
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Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 484. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 278. 240 Zum materiellen Äquivalenzprinzip vgl. M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970), S. 35; J. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre (1986), S. 59 ff., 94 ff.; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), S. 756 f.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (8. Aufl., 1997), § 2 Rn. 24. 241 BVerfGE 89, 214, 231 ff.; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 18. 242 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 71 Fn. 259. 243 Außerdem würde die Entlastung der Gerichte, die die Privatautonomie bewirkt, vollumfänglich außer Kraft gesetzt, vgl. dazu Zöllner, AcP 176 (1976), 222, 246; Westermann, AcP 178 (1978), 169 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 20 f. 239
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
175
1. Ablehnung der Verifizierbarkeit einer Paritätsstörung In der Literatur gibt es – worauf bereits hingewiesen wurde – Stimmen, die die Problematik der Paritätsgefährdung generell als nicht handhabbares „Rechtsphantom“ betrachten, und zwar gerade deshalb, weil nach ihrer Ansicht eine Störung der Vertragsparität rechtlich nicht verifizierbar sei.244 Insbesondere Zöllner war von Anbeginn ein Kritiker des Paritätsgedankens.245 Er hat mit großem Engagement gefordert, sich vom Topos der Ungleichgewichtigkeit ganz zu verabschieden.246 Denn Ungleichgewichtigkeit – so Zöllner – sei weder beschreibbar noch messbar. In eine ähnliche Richtung weißt etwa die Stellungnahme Adomeits, der auf dem Standpunkt steht, Disparitäten seien naturgegeben und deshalb überall vorhanden. Die im Unternehmer-Verbraucherverhältnis bestehende Disparität als Ansatzpunkt für gesetzgeberische oder judikative Gegenmaßnahmen zu nehmen, verbiete sich schon deshalb, weil bereits die Anerkennung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit (vgl. Art. 2 I GG)247 verlange, dass man von der Inbezugnahme einer unterschiedlichen Verhandlungsstärke, die sich aus Unterschieden in der Intelligenz, Erfahrung, dem Charakterbild, wirtschaftlichen Ungleichheiten, Marktüberlegenheit ableiten lasse, absehen müsse.248 Wie im 3. Teil249 (anlässlich der Abstimmung des auf einfachgesetzlicher Grundlage herausgebildeten Verbraucherschutzprinzips mit den höherrangigen Verfassungsvorgaben)250 noch zu zeigen sein wird, ist diese Behauptung jedoch undifferenziert. Denn obgleich die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG die Freiheit einschließt, im Rechtsverkehr autonom zu handeln und insofern auch ein Kernbereich staatlich nicht reglementierten Handelns, insbesondere in nicht strukturell-asymmetrischen Verhandlungsstrukturen verbleiben muss, wird die Handlungsfreiheit gerade dann, wenn strukturell bedingte Disparitäten bestehen, doch nach Ausgestaltung ver-
244 Kritisch etwa Lieb, AcP 178 (1978), 196, 200 ff.; Zöllner, AcP 176 (1976), 221 ff.; jetzt auch Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 41: „Mysterium der Unterlegenheit“. 245 Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 236 ff. 246 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 26 ff.; ähnlich Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? (1996), S. 11, 19 ff. 247 Umfassend zum verfassungsrechtlichen Gewährleistungsbereich des Grundrechtes der allgemeinen Handlungsfreiheit und der daraus ableitbaren Privatautonomie im 3. Teil unter C VII 1. 248 Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468. 249 Siehe dazu die Ausführungen im 3. Teil, C VII 1. 250 Aus dem einfachen Gesetz heraus exzerpierte Prinzipien bilden insoweit ganz allgemein „Mittler“ zwischen dem einfachen Gesetz und der Verfassung, der sie – wenn sie diese Funktion wahrnehmen wollen – schon aus normhirarchischen Gründen nicht entgegenstehen dürfen.
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1. Teil: Grundlagen
langen251 und zwar unter Bezugnahme des Austauschzweckes des Vertrages und etwaiger typisierbarer Machtungleichgewichte.252 2. Bejahung der Feststellbarkeit einer Paritätsstörung Die Anhänger des hier favorisierten Gedankens der materiellen Vertragsgerechtigkeit stellen auch und gerade im Verhältnis Verbraucher/Unternehmer (aber nicht nur dort)253 auf das Vorhandensein einer Paritätsstörung ab, die es mit Hilfe eines geeigneten Prozederes bzw. durch darüber hinausgehende inhaltlich-substanzielle254 Festlegungen – jedenfalls so weit als möglich – zu beheben gilt.255 Zutreffend wird insofern geltend gemacht, dass es zwar schwierig sei, Parität oder Imparität zu definieren, weil die Gründe hierfür mitunter hochkomplex sind. Aus der schwierigen Verifizierbarkeit von Ungleichgewichtslagen lässt sich aber nur die rechtstechnische Operationalität des Phänomens und die Instrumente, mit denen man ihm begegnet, in Frage stellen.256 Es lässt sich daraus nicht etwa schlussfolgern, dass es Imparität überhaupt nicht gebe und dieses Problem deshalb nicht zu einem reglementierenden Aufgreifen aufrufe.257 Die Herstellung materieller Vertragsgerechtigkeit mag zwar schwierig sein, sie bleibt aber in jedem Fall als normative Forderung schon vor dem Hintergrund des Telos des Vertrages bestehen.258 251 Vgl. dazu BVerfGE 89, 214, 232; Hillgruber, in: Clemens/Unberath (Hrsg.), GG, Mitarbeiterkommentar, Bd I (2002), Art. 2 I GG Rn 106 ff.; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 2 I GG Rn 55a ff. 252 Vgl. dazu Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111 Rn. 130: „Der Staat habe zwar grundsätzlich die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen zu respektieren. Wo einer der Vertragspartner jedoch ein so starkes Übergewicht habe, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen könne, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um, wenn über grundrechtlich verbürgte Positionen verfügt werde, den Grundrechtsschutz (auch des Verhandlungsschwächeren) zu schützen“. 253 Zu unterschiedlichen Paritätsverschiebungen (Alpha- und Beta-Asymmetrien) siehe im 3. Teil unter C III 2. 254 Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 255 ff. 255 Hart/Köck, ZRP 1991, 61, 62; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 8 f.: „In der Tat können schon bestehende Regelungen des Rechts … i.S.d. Sicherung der (…) Selbstbestimmung verstanden werden“. Rechtspraktisch notwendig ist es, dass die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit als Wirksamkeitsvoraussetzung von Rechtsgeschäften als Ausdruck der Selbstbestimmung gesetzlich abgesteckt wird, damit keine Unsicherheit bei der Überprüfung der Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften entsteht. Bedenklich daher M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970), S. 124 f., der diese gesetzliche Festlegung nicht fordert; diesbezüglich m. E. zu recht kritisch Fikentscher, FS Hefermehl (1971), S. 41, 46. 256 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 7 ff. 257 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 14 f. 258 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 71 Fn. 259.
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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3. Lösung: Einschätzungsprärogative der Legislative Die Schwierigkeiten einer präzisen und justitiablen Grenzziehung im Spannungsverhältnis zwischen formaler Vertragsfreiheit und materieller Vertragsgerechtigkeit legen es – so die m.E. richtige Ansicht – nahe, die Entscheidungskompetenz primär dem Gesetzgeber zu überantworten.259 In diesem Sinne gestaltet sich auch die einzig denkbare, d.h. praktikable Lösung im Umgang mit dem Problem der Verifizierbarkeit bzw. (Un-)Behebbarkeit von Ungleichgewichten. Primär der Gesetzgeber ist danach dazu aufgerufen, Imparitäten zu verifizieren. Die notwendigen Mehrheitsentscheidungen260 im Gesetzgebungsverfahren verbürgen für das Regelungsanliegen nicht nur den Anspruch, demokratisch legitimiert zu sein.261 Für die jeweilig aufgegriffene Materie, für die die Interventionsschwelle festgelegt wird, spricht auch der Umstand, dass die Regelung durch eine breite Mehrheitsmeinung getragen wird.262 Diese als richtig zu akzeptierende Mehrheitsmeinung und die daraus folgende gesetzgeberische Entscheidung beziehen sich (1.) auf die nur normativ feststellbaren Disparitäten, d.h. ihr Vorhandensein (in typisierbaren Fällen) und (2.) auch darauf, geeignete Rechtsinstrumente bereit zu stellen, um dem forcierten Ergebnis des gerechten Vertrages fördernd zur Seite zu stehen. Wird die Feststellung, das Aufgreifen und der Umgang mit den vorhandenen, nicht zu leugnenden Ungleichgewichtslagen der wertenden Einschätzung des Gesetzgebers überantwortet (wobei der Wissenschaft und der Rechtsprechung natürlich die Aufgabe zufällt, gesetzliche Regelungen durch das Aufgreifen bestimmter Themen „vorzubereiten“ und voranzutreiben), dann ist mit dem Instrument der gesetzlichen Regelung zugleich die Typisierung 263 sichergestellt, de259 Höfling, Vertragsfreiheit (1991), S. 54; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 76; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 33 f. 260 Das Ideal der Einigung aller ist für die Entscheidungen im Staat nicht zu realisieren. Maßgeblich ist deshalb die Entscheidung der Mehrheit, die sich dem Willen aller immerhin annähert, so zutreffend Sachs, in GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 R. 21; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I S. 610 ff.; grundlegend Zippelius, Die Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips in der Demokratie (1987). 261 Angesprochen ist das notwendig hinreichende Legitimationsniveau einer alle bindenden Regelungsvorgabe in einem modernen Staat, vgl. dazu Schapp, in v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2001), Art. 20 Rn 21. 262 Es geht hier darum, dass sich über die Demokratie nicht nur eine breite Mehrheitsentscheidung an sich verwirklicht, sondern dass damit zugleich indiziert ist, nicht nur Sonderinteresse, sondern Gemeinwohlaspekte zu verwirklichen, vgl. zur Funktion der Demokratie als Staatsstrukturgrundsatz Rollecke, in: Umbach/Clemens, GG, Mitarbeiterkommentar, Bd I (2002), Art. 20 Rn 151. In der Demokratie verbinden sich die tatsächliche Freiheit des Individuums, Recht und Politik zur normativen Entscheidung, die in Gesetzen ausgedrückt auch die notwendige „Anpassung des Rechts“ an geänderte gesellschaftliche Gegebenheiten sicherstellt, Rollecke, ebenda, Rn 155. 263 Es müssen insofern abstrakte Gesichtspunkte festgelegt werden. Ähnlich in Bezug
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1. Teil: Grundlagen
rer es unweigerlich bedarf, damit die Privatautonomie und die ihr entspringenden positiven Effekte (Selbstverwirklichung, Antrieb zur Leistung, Entlastung des Staates) sowie die Rechtssicherheit264 nicht grenzenlos und willkürlich derogiert werden. Es liegt natürlich auf der Hand, dass eine völlige Parität zwischen den (Vertrags-)Parteien nie herstellbar sein wird. Die zu fordernde Vertragsparität ist insofern auch nur als Optimierungsgebot zu verstehen.265 Deshalb wird es beim Aufgreifen der Disparität und beim Festlegen der Interventionsschwelle auch von ganz besonderer Bewandtnis sein, von welchem Gewicht die Ungleichgewichtslage sein muss, damit der Gesetzgeber (bzw. vorgreifend eventuell schon die Rechtsprechung) aktiv werden darf/muss. Wann eine Situation als „nicht mehr hinnehmbar“266 zu einer Regelung aufruft, lässt sich aber ebenso wie der Umstand des Bestehens einer Disparität nur normativ ermitteln. Auch hier muss sich die Gesetzgebung (und ggf. ihr vorgreifend die Rechtsprechung) um die Ausfüllung ihrer Einschätzungsprärogative bemühen, da dafür kein generell feststehender Maßstab/bzw. legitimer Maßstabsgeber neben der Legislative ausgemacht werden kann.267 Die Festlegung der jeweiligen Gewichtigkeit der Imparität kann dabei nur in konkreter Anpassung an die vielen denkbaren, unterschiedlichen Lebens- und Regelungssachverhalte erfolgen.268 Eine jeder Lebensund Regelungssituation gerecht werdende allgemeine Faustformel gibt es nicht. Das stellt jedoch nicht in Abrede, dass für ganz unterschiedliche Sachverhalte eine konkrete Interventionsschwelle gefunden werden kann und muss,269 wobei auf die Herausbildung teleologisch präziser Entscheidungskriterien Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag (1997), S. 337 ff., 339. Zustimmend für den speziellen Bereich des Institutsmissbrauchs Habersack, Vertragsfreiheit und Drittnorm (1992), S. 76. 264 Grundlegend dazu BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff. 265 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 280; Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, ARSP Beiheft 25 (1985), 15 ff. 266 Zum notwendigen Gewicht der Paritätsstörung vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970), S. 122: „Unzumutbarkeit“; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 18: „gravierend“. 267 Bezüglich der Spezifizierung der notwendigen Inhaltskontrolle außerhalb gesetzlicher Tatbestände kann auf die Habilitationsschrift von Fastrich (Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht [1992]) Bezug genommen werden, in der die Entwicklung eines normativen Leitbildes durch die Rechtsprechung zur Verhinderung unangemessener Benachteiligungen gefordert wird. 268 Zur Notwendigkeit der Herausarbeitung von „Fallgruppen“ Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 256. 269 Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 256. Für die Vereinheitlichung der Bewertungsmaßstäbe zwischen Arbeits- und allgemeinem Zivilrecht in diesem Bereich vgl. Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht (1992).
6. Kapitel: Unterschiedliche Verbraucherschutzkonzeptionen
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es der Gesetzgebung und sekundär der Rechtsprechung stets zukommt, fortwährend „nachzujustieren“. 4. Resümee Es liegt an dem zuständigen Legislativorgan, das sich an den jeweiligen gesellschaftlichen Bedürfnislagen orientiert, wie eng oder wie weit der „Filter“ der materiellen Vertragsgerechtigkeit, der dem primären „Filter“ der formellen Vertragsfreiheit falltypisierend hintanzustellen ist,270 gespannt wird, d.h. wofür er durchlässig sein soll und wofür nicht mehr. Diese Sichtweise führt zu einem der jeweiligen gesellschaftlichen Bedürfnislage angepassten Verständnis des Einbringens des Gedankens der materiellen Vertragsgerechtigkeit in das Zivilrecht. Der Gesetzgeber wird damit auch als dazu legitimiert angesehen, die konkrete Interventionsschwelle271 (und damit das für notwendig erachtete Gewicht der Imparität) in Bezug auf die nie bis ins Letzte abbaubaren komplexen Ungleichgewichtslagen festzulegen.
270 Das „Primat“ gebührt, wie Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 39 ff., richtig herausstellte, der formalen Selbstbestimmungsfreiheit, die als erster allumfassender, wenngleich sehr durchlässiger Filter notwendig vor alle Rechtsgeschäften gespannt wird und damit Eingangsvoraussetzung eines gerechten Vertragsergebnisses ist. 271 Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 256.
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1. Teil: Grundlagen
7. Kapitel
Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts In ähnlicher Weise wie sich das gesamte (Zivil-)Recht insgesamt über mehrere Etappen von einem Ständerecht1 zu einem liberalen Marktrecht von formal gleichgestellten Parteien2 und von diesem Ausgangspunkt zu einem auf materielle Vertragsparität zielenden Regelungswerk herausgebildet hat, lässt sich auch die Entwicklung des spezifischen Rechtes zum Schutz des Konsumenten im deutschen Rechtskreis über mehrere Entwicklungsstufen nachzeichnen. Einen Überblick über die Entwicklungsschritte soll der nun folgende Abschnitt vermitteln.
A. Vorläufer des Verbraucherschutzes aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit Der Sache nach lassen sich rudimentäre Ansätze zum Schutze des Verbrauchers weit zurückverfolgen.3 So besteht für das moderne Verbraucherschutzrecht bereits eine gewisse ideengeschichtliche Anknüpfungsmöglichkeit an lebensmittelrechtliche Vorschriften sowie an diverse Vorgaben zur Verhinderung von Wucher und Übervorteilung, daneben aber auch an frühe Bestimmungen zur Qualitätskontrolle von Waren und Dienstleistungen, wie man sie bereits in manchen Stadtrechten und landesherrlichen Vorschriften des Mittelalters und der frühen 1
In diesem war die Rechtsstellung zunächst nach Stand und Geburt definiert. Dies entsprach der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, welche die Vision des autonomen Individuums und einer Gesellschaft mit möglichst staatsfernen Freiräumen des 19. Jahrhunderts, die positiverweise als Recht allen Subjekten gewährt wurde. Diese Vorstellung entspricht aber freilich auch dem Selbstschutzdogma („Caveat emptor“ – Soll er doch aufpassen!), vgl. dazu Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 49. 3 Vgl. etwa Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 161: „The tradition of legislation protecting weaker parties against disadvantageous contract terms has a long pedigree; it reaches back to the maximum interest rates for loans, the senatus consultum Vellseanum and the laesio enormis of Roman law“; zum Ganzen siehe auch Stromer von Reichenbach, Verbraucherschutz in der Vergangenheit, in: Dichtl (Hrsg.), Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft (1975), S. 97 ff.; Geyer, Der Gedanke des Verbraucherschutzes im Reichsrecht des Kaiserreichs und der Weimarer Republik (2001). 2
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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Neuzeit antraf.4 Angeführt werden in diesem Zusammenhang etwa Preisfestsetzungen und das Reinheitsgebot für Bier in der Bayrischen Landesordnung von 1516 oder die hessische Verordnung über Viehhandel, Fleisch- und Brotpreise von 1527.5 Indirekt versuchten die regionalen Gesetzgeber Warenangebot und Wettbewerb zu beeinflussen, indem sie Bauern aus der Region oder durchreisende Kaufleute zum Angebot ihrer Waren verpflichteten.6
B. Polizeiordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts Weiterführend sind auch in den Polizeiordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts zahlreiche Regelungen verankert gewesen, die als frühe Vorläufer des modernen Konsumentenschutzes angesehen werden können. Bekannt sind beispielsweise Regelungen zum Schutz von Darlehensnehmern7 oder von Mietern8. In Wettbewerbsregelungen des 19. Jahrhunderts stand der Gedanke des Konsumentenschutzes z.T. schon neben dem des Schutzes von Mitbewerbern.9
C. Erster Meilenstein: Abzahlungsgesetz von 1894 Abgesehen von diesen sehr frühen Erscheinungsformen des Konsumentenschutzes wurde der Gedanke der Protektion des geschäftsunerfahrenen Privatmanns mit dem Erlass des Abzahlungsgesetzes (AbzG) von 1894 aufgegriffen.10 Dieses Gesetz stellte einen Meilenstein bei der Kodifizierung eines speziellen Konsumentenschutzes dar.11 Die Massenproduktion diverser Produkte war bereits im Zeitpunkt der Schaffung des Gesetzes stark angestiegen. Abzahlungskäufe eröffneten neue Märkte. Gerade die finanziell minderbemittelten Schichten der Bevölkerung waren durch diese Art von Vertragsgestaltung in die Lage versetzt worden, für ihre Verhältnisse auch sehr teure Produkte zu erwerben, um sie dann ratenweise abzuzahlen. 4
Staudinger/Weick (2004), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 2. Staudinger/Weick, ebenda. 6 Staudinger/Weick, ebenda. 7 Kunkel/Schmelzeisen/Thieme (Hrsg.), Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte (1969), 2. Bd., 1 Hb., S. 475, 481, 733. 8 Ebenda, S. 268 ff. 9 Lammel, Recht zur Ordnung des Wettbewerbs, in Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/3 (1986), S. 3757 ff., 3762. 10 Siehe dazu die Besprechungen von Benöhr, ZHR 138 (1974), 492 ff.; Schubert, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germanische Abteilung), 102 (1985), S. 130 ff.; Martis/Meinhof, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2005), S. 1 Rn. 1. 11 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 13 Rn. 31. 5
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1. Teil: Grundlagen
In der Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts wurden beispielsweise mehr als die Hälfte der 500.000 Nähmaschinen, die jährlich in Deutschland produziert wurden, auf Grund von Abzahlungskäufen abgesetzt.12 Diese Nähmaschinen wurden in den meisten Fällen von Frauen gekauft, die damit in Heimarbeit nähten. Die Abzahlungskäufe brachten aber nicht nur Vorteile für die Käufer mit sich, die quasi auf Kredit kauften. Sie eröffneten auch spezifische Risiken, die in gravierende Nachteile umschlagen konnten. Eines dieser Risiken bestand in der so genannten Verfallklausel, die beinhaltete, dass im Falle der einmaligen Nichtzahlung einer Rate der Verkäufer ermächtigt war, das Kaufobjekt zurückzunehmen, wobei er gleichzeitig die schon bezahlten Raten behalten durfte.13 Im Jahr 1891 befasste sich der Deutsche Juristentag mit diesen und anderen Problemen des Abzahlungskaufes.14 Zur gleichen Zeit wurden dem Reichstag bereits mehr als 1000 Petitionen zu diesem Thema eingereicht.15 Der Abzahlungskauf avancierte somit zu einem wichtigen Gesichtspunkt der deutschen Rechtspolitik. Im Ergebnis wurde das Abzahlungsgesetz verabschiedet, dessen Regelungen darauf hinauslaufen, dass die Handels- und Vertragsfreiheit in solchen Situationen einer Einschränkung bedarf, in der eine Partei, auf Grund ihrer schlechteren wirtschaftlichen Position, effektiv dazu gezwungen war, die von der anderen Seite vorgefertigten Vertragsbedingungen zu akzeptieren.16 Denn das Prinzip „pacta sunt servanda“ konnte in diesen Situationen keine befriedigenden Ergebnisse herbeiführen.17 Das Abzahlungsgesetz verbot Verwirkungsklauseln.18 Daneben führte es verbindliche Regelungen zum Schutz des Käufers in Bezug auf bestimmte Vertragsbeendigungen und verzögerte Zahlungen ein.19 Das Abzahlungsgesetz war allerdings nicht schlichtweg auf die Protektion von „Verbrauchern“ i.S.d. heutigen § 13 BGB gerichtet, da der Begriff des Verbrauchers bzw. des Konsumenten in der Form, wie er heute gebräuchlich ist, damals noch nicht eingeführt war.20 In § 8 AbzG fand sich vielmehr eine Unterscheidung zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann, wonach der Anwendungsbereich des AbzG auf Personen beschränkt war, die nicht als Kaufleute im 12
Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 165. Schubert, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germanische Abteilung) 102 (1985), 130, 146 ff. 14 Vgl. Ph. Heck, Wie ist den Missbräuchen, welche sich bei den Abzahlungsgeschäften herausgestellt haben, entgegen zu wirken?, Gutachten, in: Verhandlungen des Einundzwanzigsten deutschen Juristentages, Bd. II (1891), S. 131 ff. 15 Benöhr, ZHR 138 (1974), 492, 499 ff. 16 Benöhr, ZHR 138 (1974), 492, 499 ff. 17 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 166. 18 Vgl. §§ 1, 3, 5 AbzG. 19 Siehe dazu §§ 2, 4 II AbzG. § 4 I AbzG gab den Richtern das Recht exzessive Vertragsstrafeklauseln auf ein angemessenes Maß herabzusetzen; diese Regelung ist später in § 343 BGB in allgemeiner Form aufgenommen worden. 20 Staudinger/Weick (2004), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 2. 13
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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Handelsregister eingetragen waren.21 Hierin schlug sich die wertende Einschätzung des Gesetzgebers nieder, dass die Schutzbedürftigkeit des Nichtkaufmanns lediglich die Kehrseite der durch das HGB (vgl. § 343 HGB) anerkannten geringen Schutzbedürftigkeit des Vollkaufmanns darstelle.22 Die besondere Schutzbedürftigkeit des Abzahlungskäufers wurde aus seiner geschäftlichen Unerfahrenheit und wirtschaftlichen Unterlegenheit abgeleitet.23 Dennoch kam diesem Gesetz für die „Verbraucher“-Schutzdiskussion ein ganz besonderes Gewicht zu.24 Denn auf der Grundlage des AbzG wurde für eine als schutzwürdig angesehene Personengruppe (die Nichtkaufleute) eine vom damals gerade in Arbeit befindlichen BGB abweichende, die Vertragsfreiheit zwingend einschränkende Regelung getroffen und damit zum Ausdruck gebracht, dass die bisherigen Institute des Bürgerlichen Rechts, insbesondere das Prinzip der Privatautonomie, in bestimmten, typisierbaren Fallgruppen keinen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten.25 Um den Ausnahmecharakter der Regelung, die damals eine soziale Innovation darstellte, deutlich zu machen, entschloss man sich, sie in einem Sondergesetz zu verankern.26 Einen entscheidenden Bedeutungszuwachs, wenn nicht sogar einen Bedeutungswandel, erfuhr das AbzG einige Jahrzehnte später durch die Reformnovellen von 196927 und 197428. Die durch diese Gesetze neu eingeführten, bereits ganz im Zeichen eines sonderprivatrechtlichen Verbraucherschutzes stehenden Vorschriften29 veränderten und erweiterten den Regelungsbereich des AbzG einmal insoweit, als mit der Statuierung von Formvorschriften und Widerrufsrechten neben dem Verzug des Abzahlungskäufers nunmehr auch das Zustandekommen und Wirksamwerden von Abzahlungsgeschäften thematisch erfasst wurde mit der Folge, dass sich der abzahlungsrechtliche Schutz nicht mehr nur auf belastende Abwicklungsbedingungen, sondern auch auf die Freiheit der Willensbildung und Willensentscheidung bezog.30 Zum anderen wurde der ausschließlich auf den Ratenkauf einer beweglichen Sache unter Eigentumsvorbe21
Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 166. U. Hübner, Handelsrecht (1980), S. 2 f.; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 166; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 1. 23 Pramann, DB 1974, 2093; Heckelmann, FS Bärmann (1975), S. 427, 428, 432; Benöhr, ZHR 138 (1974), 492. 24 Feststellend: Benöhr, ZHR 138 (1974), 429, 501 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 35. Zur Problematik des systematischen Standorts vgl. Gilles, JA 1980, 1 ff., ders., NJW 1986, 1131 ff. 25 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 166; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 35. 26 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 167. 27 Änderungsgesetz v. 1.9.1969 (BGBl. I, S. 1541). 28 2. Änderungsgesetz v. 15.5.1974 (BGBl. I, S. 1169). 29 Zu den Reformnovellen vgl. Reich, JZ 1975, 550 ff.; Löwe, NJW 1974, 2257 ff. 30 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 35 f. 22
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1. Teil: Grundlagen
halt zugeschnittene Rahmen des historischen AbzG durch eine entsprechende Anwendung einiger abzahlungsrechtlicher Vorschriften auf andere Vertragstypen erweitert. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass durch das AbzG die wesentliche Problematik der zivilrechtlichen Relevanz persönlicher, typisierbarer Lebensumstände von Rechtssubjekten zum ersten Mal ausdrücklich angesprochen wurde. Damit war zumindest der atmosphärische Boden für eine daran anknüpfende Frage nach der grundsätzlichen Berechtigung bzw. Notwendigkeit einer über den historischen Anwendungsbereich hinausgehenden Differenzierung nach persönlicher Schutzbedürftigkeit der Rechtssubjekte bereitet.31
D. Weitere Impulse aus der Verbraucherpolitik der letzten fünfzig Jahre In Anknüpfung an diese frühen Erscheinungsformen des Schutzes von Nichtkaufleuten lässt sich einiges von dem, was man heute mit dem Stichwort Verbraucherschutzrecht deklariert, weit zurückverfolgen. 32 Und trotzdem sind es vor allem die letzten fünfzig Jahre gewesen, welche die neuere Entwicklung auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechtes geprägt haben.33 Denn erst aus diesem Zeitraum stammt die große Mehrzahl derjenigen Impulse, die zu einem gezielten, sich ständig verdichtenden Verbraucherschutzrecht führten. Charakteristische Schritte in diese Richtung waren auf nationalstaatlicher Ebene: – die Verschärfungen und Erweiterung des Abzahlungsgesetzes seit 1969; – ein erster Bericht zur Verbraucherpolitik der Bundesregierung aus dem Jahr 1971;34 – der im Jahr 1974 durchgeführte 50. Deutsche Juristentag, auf dem gesetzliche Maßnahmen zum Schutze des Endverbrauchers gegen Allgemeine Geschäftsbedingungen und Formularverträge empfohlen wurden; – die Einsetzung einer Arbeitsgruppe beim Bundesjustizministerium, die konkrete Vorschläge zum Schutze der Verbraucher gegen unangemessene Vertragsbedingungen erarbeiten sollte, welche im 1976 verabschiedeten AGB-Gesetz35 mündeten;
31 Vgl. Reich, JZ 1975, 550 ff.; kritisch: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 37. 32 Vgl. etwa die Ausführungen von v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 269– 271. 33 Habermas, Faktizität und Geltung (1997), S. 470; Gärtner, JZ 1992, 72, 73. 34 BT-Drucks. 6/2724. 35 BGBl. I 1976, S. 3317.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
185
– die Reglementierung von Fernunterrichtsverträgen im Jahre 1976 durch den Erlass des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG);36 – die Regelung von Pauschalreisen durch die Einführung der §§ 651a ff. BGB. I. AGB-Gesetz Der wohl wichtigste gesetzgebende Akt auf dem Feld des („Verbraucher“-)Vertragsrechtes in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war der Erlass des AGB-Gesetzes, der eine Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle von einseitig vorgefertigten Vertragsbedingungen eröffnete und letztendlich darauf hinauslief, unfairen Klauseln die Wirksamkeit zu versagen.37 Dabei bestand die Bedeutung des AGB-Gesetzes nicht so sehr darin, dass es das damalige Recht substantiell änderte, denn die Rechtsprechung betrieb schon seit den Zeiten des Reichsgerichts unter Zuhilfenahme der §§ 24238, 13839 BGB eine AGB-Kontrolle. Auch war das AGB-Gesetz kein Akt, der nur auf den Schutz des Verbrauchers zielte, da sein personeller Anwendungsbereich weit über diese Personengruppe hinausging (vgl. § 24 AGB-Gesetz).40 Gleichwohl beinhaltete es einen Meilenstein auf dem Weg zur Ausbildung eines privatrechtlichen Verbraucherschutzes, da es in der Praxis seinen hauptsächlichen Anwendungsbereich beim Schutz des Verbrauchers gegen unfaire Klauseln des Unternehmers (i.S.d. „Verwenders“) fand41 und das bisher durch die Rechtsprechung dominierte Fallrecht in einem Legislativakt verallgemeinernd zusammenfasste. Fragestellungen im Zusammenhang mit unfairen Klauseln sind zwar schon aus dem römischen Recht bekannt,42 aber erst nach der industriellen Revolution avancierten sie zu allseits gegenwärtigen und nachhaltigen Problemen.43 Diese resultierten daraus, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen in der Praxis sehr häufig gebraucht und einseitig (und nicht etwa von einer unabhängigen, dritten Partei) gestellt werden. Der Partei, die diese Geschäftsbedingungen formal akzeptierte, fehlte häufig die notwendige Vertragsgestaltungsmacht, um die für sie nachteiligen Klauseln zu erkennen und zu „entschärfen“. Die Rechtsprechung reagierte auf die Zunahme von Allgemeinen Geschäftsbedingungen 36
BGBl. I 1976, S. 2525. Ausführlich zur AGB-Kontrolle im 2. Teil, 2. Kapitel, B. II. 38 BGHZ 22, 90; 41, 151, 154; 54, 106, 109; 60, 353, 360. 39 RGZ 62, 264, 266; 103, 82, 83. 40 Vgl. dazu Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 96 ff., vgl. dazu: Gilles, JA 1980, 1 ff.; ders., NJW 1986, 1131 ff.; Damm, JZ 1978, 173, 175. 41 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (9. Aufl., 2004), § 43 n. 1.7; Köhler, BGB Allgemeiner Teil (26. Aufl., 2002), S. 259; kritisch Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 175 f. 42 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 174. 43 Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 174. 37
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1. Teil: Grundlagen
zunächst verhalten, dann jedoch unter Anwendung allgemeiner Instrumentarien (vgl. §§ 138, 242 BGB) immer entschiedener, um die unterlegene Vertragspartei vor dem Effekt nachteiliger Klauseln in Schutz zu nehmen.44 Der BGH bediente sich zunächst einer verdeckten Kontrolle, indem er den Begriff der „überraschenden Klausel“ entwickelte, die nicht Vertragsbestandteil wurde. Er ging erst später zu einer offenen Inhaltskontrolle über. Eine Allgemeine Geschäftsbedingung wurde von der Rechtsprechung als nicht rechtmäßig und daher unbeachtlich angesehen, wenn sie den Anforderungen aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) dadurch nicht entsprach, dass sie die Partei, der sie gestellt wurde, unangemessen benachteiligte. Eine unangemessene Benachteiligung konnte sich insbesondere daraus ergeben, dass die Klausel von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung abweicht oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist.45 Im Jahre 1976 entschloss sich dann der Gesetzgeber, die Rechtsprechung in eine gesetzliche Form zu überführen. Im Gesetzgebungsprozess entbrannte eine heftige Debatte darüber, ob man ein reines Verbraucherschutzgesetz oder ein eher allgemein gehaltenes Gesetz zum Schutz gegen unfaire Klauseln erlassen sollte.46 Der Gesetzgeber entschied sich schließlich für einen Kompromiss, nachdem das Gesetz grundsätzlich allen Personen gegen Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle eröffnen sollte (vgl. dazu insbesondere §§ 1, 9 AGB-Gesetz), wobei das Gesetz Verbrauchern allerdings eine detaillierter geregelte Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle (vgl. §§ 2, 10, 11 AGB-Gesetz) zubilligte. Die spätere Rechtsprechung ebnete diese Unterschiede jedoch breitflächig ein, indem sie die Grundgedanken der Klauselkataloge indizierend mit Hilfe des § 9 AGB-Gesetzes als Generalklausel auch in Verträgen zwischen Unternehmern zur Geltung brachte.47 Die später verabschiedete EG-Richtlinie gegen missbräuchliche Vertragsklauseln von 199348 ist dagegen allein auf den Schutz des Verbrauchers beschränkt. 44
Vgl. dazu etwa BGHZ 22, 90; 60, 353, 360; 54, 106, 109. Siehe zu dieser zusammenfassenden Aussage Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), 175. Später wurde diese Rechtsprechung in § 9 AGB-Gesetz implementiert und dann in § 307 II BGB überführt. 46 Symptomatisch war die Diskussion auf dem 50. Deutschen Juristentag 1974 in Hamburg, vgl. dazu Verh. zum 50. DJT, Sitzungsbericht H (1974); vgl. dazu auch den Bericht zur Verbraucherpolitik, BT-Drucks. 6/2724, S. 8; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 175. 47 Vgl. dazu etwa BGH NJW 1993, 2438; BGH NJW 1994, 1004; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 176; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 310 Rn. 27 mit dem Hinweis, „die (heutigen) §§ 308 und 309 haben die Bedeutung von Indizien für eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners, sind also mittelbar bei der Inhaltskontrolle nach § 307 zu berücksichtigen“. 48 RL 93/13/EWG, ABl.EG Nr. L 95/29. 45
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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Sie ist in vielfältiger Form vom deutschen AGB-Gesetz inspiriert gewesen und enthält einige Besonderheiten.49 Im Zuge der notwendigen Umsetzung der Richtlinie nahm der deutsche Gesetzgeber zunächst nur eine Minimalanpassung vor und führte erst bei der Überführung des AGB-Gesetzes ins BGB weitere Änderungen durch. Eine der wesentlichen Änderungen bestand in der ausdrücklichen Aufnahme des Transparenzerfordernisses (vgl. § 307 I 2 BGB), für das bereits zuvor wiederum der Boden durch die Rechtsprechung geebnet worden war.50 Neu war auch, dass in den Klauselkatalogen nun jede Haftungsbeschränkung bei Körper- und Gesundheitsschäden ausgeschlossen wurde (vgl. § 309 Nr. 7 a. BGB). Zur effektiven Etablierung einer AGB-Kontrolle hatte der Gesetzgeber 1976 in § 13 AGB-Gesetz zugleich eine Verbandsklagebefugnis statuiert.51 Diese hat sich nach allgemeiner Auffassung bewährt.52 Anlässlich der Überführung des AGB-Gesetzes in das BGB wurde sie in ein spezielles Gesetz extrahiert, dem heutigen Unterlassungsklagengesetz (UKlaG); bedeutsam ist hier insbesondere der § 1 UKlaG.53 II. FernUS-Gesetz Der Gesetzgeber hatte daneben auch das Feld des Fernunterrichtes für sich entdeckt.54 Fernunterricht ist eine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch private Initiative entwickelte Unterrichtsmethode, die erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienstbar gemacht wurde. Er ermöglicht bildungswilligen Bürgern, die nicht am Direktunterricht in Tages- oder Abendschulen teilnehmen können, sich weiterzubilden. Nach dem 2. Weltkrieg erlebte der Fernunterricht in Deutschland im Zeichen des „lebenslangen Lernens“ einen bedeutenden Aufschwung.55 Bald wurde aber auch klar, dass die Marktkräfte allein nicht ausreichen würden, um den Konflikten, die aus der Verquickung von pädagogischen
49
Vgl. dazu Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 97. BGHZ 104, 82, 92; 106, 42, 49; 106, 259, 264; 108, 52, 57; 115, 177, 185; MüKo/Kieninger (5. Aufl., 2007), § 307 Rn. 51. 51 Nassall, in Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1051. Die Verbandsklagebefugnis ist insoweit abzugrenzen von der Gruppenoder Sammelklage. 52 Schaumburg, Die Verbandsklage im Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht (2006), S. 47 ff.; Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 97. 53 Umfassend zum Verbraucherschutz durch Unterlassungsklagen Micklitz/Rott/Docekal/Kolba, Verbraucherschutz durch Unterlassungs-Klagen (2007). Hier finden sich insbesondere Länderberichte zur Umsetzung der entsprechenden Unterlassungsklagenrichtlinie. 54 Ausführlich dazu im 2. Teil, 2. Kapitel, C V 1. 55 Vgl. dazu Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes am Beispiel des Fernunterrichtsschutzgesetzes (1983), S. 75 ff. 50
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1. Teil: Grundlagen
Anliegen mit geschäftlichen Interessen der Fernunterrichtsveranstalter resultieren, gerecht zu werden.56 Die immer lauter werdende Kritik richtete sich vor allem gegen die Qualität der Lehrgänge, gegen die Geschäftsmethoden, aber auch gegen die Vertragsbedingungen.57 Aus diesen Gründen sah sich der Gesetzgeber veranlasst, am 24. August 1976 das „Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht“ zu verabschieden, das am 1. Januar 1977 in Kraft trat. Die Einführung des Verbraucherkreditgesetzes vom 17.12.1990 bedingte im Folgenden eine Anpassung des § 9 FernUSG, der zuvor das Verhältnis zum Abzahlungsgesetz regelte. Sodann kam es infolge der Einführung des „Gesetzes über die Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechtes“ vom 27.6.2000 zu weiteren Änderungen, die sich nicht nur auf die Anpassung des FernUSG an die §§ 355, 357 BGB n.F. = §§ 361a, 361b BGB a.F. beschränkten, sondern darüber hinaus die materielle Rechtslage modifizierten. Anders als viele andere Verbraucherschutzgesetze wurde das FernUSG im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung nicht in das BGB inkorporiert. Inhaltlich enthält es in den §§ 3, 4, 7 Bestimmungen, die Einfluss auf das Entstehen des Vertrages haben. § 8 FernUSG statuiert für die §§ 2, 7 FernUSG ein Umgehungsverbot, während die §§ 2 bis 9 FernUSG bestimmen, dass von diesen Vorschriften nicht zum Nachteil des Fernunterrichtsteilnehmers abgewichen werden darf. Für finanzierte Fernunterrichtsverträge gilt § 358 BGB entsprechend (§ 4 I 2 FernUSG). III. Vorschriften zum Schutze des Pauschalreisenden Im Jahr 1979 hat der Gesetzgeber die §§ 651a ff. BGB in die zentrale Zivilrechtskodifikation eingefügt,58 welche im Zuge der Verabschiedung der Pauschalreiserichtlinie von 1990 überarbeitet werden mussten. Weitere Änderungen folgten in den Jahren 2001 und 2002. Alle Vorschriften des Pauschalreiserechts sind einseitig zwingend (vgl. § 651m BGB). Geschützt durch diese Vorschriften wird aber nicht nur der Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, sondern der „Reisende“ an sich, wobei allerdings auch hier wiederum anzumerken ist, dass die Bestimmungen zum Pauschalreiserecht im Endeffekt breitflächig dem Verbraucherschutz zu Gute kommen. Das Pauschalreiserecht enthält weitestgehend ein in sich abgeschlossenes System für Probleme des Nichtantritts der Reise und Reisemängel, die dem Ziel eines angemessenen Interessenausgleiches zwischen Reisendem und Reiseveranstalter dienen. Die besonderen Informationspflichten, welche dem Reiseveranstalter gegenüber dem Kunden infolge der Vertragsanbahnung auferlegt 56
Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 246. Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes am Beispiel des Fernunterrichtsstundengesetzes (1983), S. 75 ff. 58 Ausführlicher zum Pauschalreiserecht im 2. Teil, 2. Kapitel unter C IV. 57
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
189
sind, wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit in die BGB-Informationspflichtenverordnung eingestellt. IV. Schlussbemerkung Abgesehen vom AGB-Gesetz beinhalteten die gesetzgeberischen Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers in den 70er Jahren in Deutschland nur punktuelle Regelungen,59 denen es an wirtschaftlicher Breitenwirkung zugunsten eines umfassenden Konsumentenschutzes mangelte.60 Das Bild, das sich im Hinblick auf die Entwicklung des Verbraucherschutzes in Deutschland abzeichnete, war in dieser Zeit ein ähnliches wie in anderen europäischen Staaten. Anfang der 1970er Jahre wurde das Thema Verbraucherschutz in allen Ländern Westeuropas und gleichzeitig61 auf der Ebene der damaligen EWG62 aufgegriffen.
E. Triebkraft „Europa“ Obwohl – wie ausgeführt – die Entwicklung des Verbraucherschutzrechtes zunächst auf der Ebene der Nationalstaaten in Gang gesetzt wurde, gingen und gehen die entscheidenden Impulse für die Fortentwicklung des Verbraucherschutzrechtes doch von der Gemeinschaft aus.63 Die ersten Anregungen zur Verwirklichung einer Verbraucherpolitik auf Gemeinschaftsebene entstanden im Rahmen der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs 1972 in Paris.64 Diese forderten eine Verstärkung der Koordination von Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers.65 Eine Reihe von Maßnahmen folgten.
59 Basedow, AcP 200 (2000), 445, 449 ff.; Möllers, JZ 2002, 121 ff.; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), 160: „ill-coordinated“. 60 Staudinger/Weick (2004), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 4; noch kritischer MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. § 13 Rn. 19 f.: „politisch kraftlos und gesetzgeberisch konzeptionslos“. 61 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 Rn. 22 ff. 62 Grub, in: Lenz/Borchard (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 178; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13, 14 Rn. 23 ff.; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003), Teil II, III, IV; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 3 ff. 63 Lurger, in: Streinz, EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 3 ff.; Tonner, JZ 1996, 533 ff. über „Die Rolle des Verbraucherrechts bei der Entwicklung des europäischen Zivilrechts“. 64 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4. 65 Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133, 134.
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1. Teil: Grundlagen
I. Allgemeines zur Entwicklung im Primärrecht Die allgemeine Entwicklung des Verbraucherrechts auf europäischer Ebene lässt sich anhand von vier Etappen kennzeichnen: 1. Vor der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte Die erste Etappe umfasst den Zeitraum ausgehend vom Pariser Gipfel im Jahr 1972 bis zur Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahr 1986. In diesem Zeitraum war der Themenbereich des Verbraucherschutzes für die Europäische Kommission schon kein völliges Neuland mehr.66 a. Rudimentäre Ansätze im Primärrecht Rudimentäre Ansätze zum Themenkreis Verbraucherschutz waren im Primärrecht schon sehr früh verankert worden. So war der Verbraucherschutz etwa durch die Festlegung des gemeinsamen Zieles der „Verbesserung der Lebensbedingungen“ in der EWG – zumindest mittelbar – angesprochen gewesen (vgl. dazu die Präambel des EWG-Vertrages). Daneben gab es partikuläre Randbestimmungen zum Verbraucherschutz etwa im Agrarbereich (Art. 3 II i.V.m. Art. 39 I lit. e EGV a.F.), im Wettbewerbsrecht (Art. 85 III, Art. 86 S. 2 lit. b EGV a.F.) und im Beihilferecht (Art. 92 II lit. a EGV a.F.). b. Einrichtung spezieller Beratungsstellen und Ausschüsse Um das europäische Verbraucherschutzrecht auszubauen, wurde ein Jahr nach dem Pariser Gipfel, d.h. 1973, eine spezielle „Dienststelle für Umwelt- und Verbraucherschutz“ eingerichtet, zu der ein „Beratender Verbraucherausschuss“ („Comité Consultatif des Consommateurs“), der sich aus diversen supranationalen Verbraucherorganisationen zusammensetzte, etwas später hinzutrat.67 Dieser Ausschuss wurde 1989 zum „Verbraucherrat“ umbenannt und auch für nationale Verbraucherorganisationen geöffnet.68 Im Jahr 1995 wurde er schließlich durch einen neuen Verbraucherausschuss ersetzt und im Jahr 2000 nochmals umorganisiert.69 Ihm kommt heute eine aktivere Rolle in der Beratung der Kommission zu als früher.70
66 Hierzu: Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 8; Reich, Sydney Law Review 14 (1992), 23 f. 67 ABl.EG 1973 Nr. C 283/18. 68 ABl.EG 1990 Nr. L 38/40; van Miert, EuZW 1990, 401, 402 f. 69 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 3. 70 Ebenda.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
191
c. Impulse aus der EuGH-Rechtsprechung – „Cassis de Dijon“ (1979) Auch der Europäische Gerichtshof erkannte die besondere Bedeutung des Verbraucherschutzes im europäischen Binnenmarkt an. So hat er im Jahr 1979 im Fall „Cassis de Dijon“71 in besonderer Weise hervorgehoben, dass zwingende Gründe des öffentlichen Rechts eine Beeinträchtigung der Handelsfreiheit rechtfertigen können, und der Verbraucherschutz wurde ausdrücklich als ein solcher zwingender Grund angesehen. Der Gerichtshof etablierte damit eine neue Kategorie von Rechtfertigungsgründen für Grundfreiheitenbeschränkungen durch die Mitgliedstaaten, die neben die Art. 30 ff. EGV (heute Art. 34 ff. AEUV) traten bzw. treten. Das Ziel des Verbraucherschutzes vermag dabei eine mitgliedstaatliche Regelung zu rechtfertigen, die eine AEUV-Grundfreiheit des Anbieters verletzt, sofern die Regelung nicht diskriminierend wirkt und verhältnismäßig ist.72 Mit der 1979 ergangenen Entscheidung zum Fall „Cassis de Dijon“73 avancierte der Verbraucherschutz zu einer Schranke der Grundfreiheiten und erhielt damit einen besonderen Stellenwert auf dem gemeinsamen Markt.74 Seit diesem Leiturteil ist anerkannt, dass in Ermangelung einer gemeinschaftsweiten Harmonisierung die Freiheit des grenzüberschreitenden Warenverkehrs in der Gemeinschaft von den Mitgliedstaaten einseitig u.a. aus Gründen des Verbraucherschutzes eingeschränkt werden kann. Allerdings müssen die getroffenen Regelungen auch wieder verhältnismäßig sein und dürfen nicht diskriminieren. Erfordernisse des Verbraucherschutzes können etwa ein nationales Verbot verwechselungsfähiger Produktaufmachung oder irreführender Werbung oder auch nationale Vorschriften über Produktkennzeichnung rechtfertigen.75 2. Nach dem Erlass der Einheitlichen Europäischen Akte Die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahr 198776 schuf mit Art. 100a EGV a.F. (später Art. 95 EGV, heute Art. 114 AEUV) eine umfassende neue Kompetenz zum Erlass von Richtlinien zur Förderung des Binnenmarktes, die mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss erlassen werden konnten. Ebenso wurde der „Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes“ als Gemeinschaftsziel in Art. 3 EGV aufgenommen. Art. 100a EGV stellte von da an die zentrale Rechtsgrundlage für die Verwirklichung von sekundärrechtlichem Verbraucherschutz dar.77 Im Jahr 1985 folgte eine Mitteilung der Kommission 71 EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon; vgl. dazu auch Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 417. 72 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 4. 73 EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon. 74 Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), S. 32. 75 Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133 . 76 ABl.EG 1987 Nr. L 169/29. 77 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 5.
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1. Teil: Grundlagen
über neue Impulse in der Verbraucherpolitik,78 die samt zweier Entschließungen des Rates aus den Jahren 1986 und 198979 die Unzufriedenheit mit dem geringen Fortschritt im gemeinschaftsrechtlich koordinierten Verbraucherschutz zum Ausdruck brachten.80 Sie mündeten 1990 in dem ersten dreijährigen verbraucherpolitischen Aktionsplan der Kommission. 3. Nach der Verabschiedung des Vertrages von Maastricht Eine nochmalige erhebliche Aufwertung81 erfuhr das Themenfeld des Verbraucherschutzes durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992. Mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages wurde der Verbraucherschutz in den Rang eines Verfassungsziels der neuen Union gehoben.82 Zwei Bestimmungen wurden zu diesem Zweck in den Vertragstext neu eingefügt: Nach Art. 3 lit. s EGV umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft nunmehr auch „einen Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes“. Diese Grundbestimmung wird selbst wiederum ausgefüllt durch den neu eingefügten Art. 129a EGV, der erstmals eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Verbraucherpolitik enthielt.83 Mit dieser Bestimmung wurde der Verbraucherschutz in Form eines eigenständigen Politikbereichs in das Primärrecht aufgenommen.84 Die Verbraucherpolitik wird gegenüber anderen Zielen des EGV herausgestellt und es werden vor allem durch die Aufnahme der „Querschnittsklausel“85 (Abs. 2) die Einwirkungsmöglichkeiten des als horizontale Aufgabe angelegten Verbraucherschutzes gegenüber anderen Politikbereichen verstärkt. In der Literatur spricht man in diesem Zusammenhang auch davon, der Verbraucherschutz habe durch den Vertrag von Maastricht eine neue Rolle erhalten, nämlich „the role of a little sister wich had to subordinate to the other policies“.86 Der Verbraucherschutz ist durch seine eigenständige Herausstellung als Politikziel seit diesem Zeitpunkt kein vollständiges Annex zu anderen Politiken mehr, vielmehr steuert das neu herausgestellte Politikziel die Entwicklung der ande78
Kommission, KOM (85), 315 endg. Entschließung des Rates v. 23.6.1986 betreffend die künftige Ausrichtung der Politik der EWG zum Schutz und zur Förderung der Interessen der Verbraucher, ABl.EG 1986 Nr. C 167/1; Entschließung des Rates v. 9.11.1989 über die künftigen Prioritäten bei der Neubelebung der Verbraucherschutzpolitik, ABl.EG 1989 Nr. C 294/1. 80 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 6. 81 Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 17; Grub, in: Lenz/ Borchardt, EUV/EGV (2006), Art. 153 Rn. 1; Reich, VuR 1999, 3 ff. 82 Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133. 83 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (2006), Art. 153 Rn. 1. 84 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), Kapitel 1 Rn. 23. 85 Geiger, EUV/EGV (2000), Art. 153 Rn. 9. 86 Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2007), S. 12; Stuyck, CMLRev. (2001), 1, 367. 79
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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ren Bereiche entscheidend mit, wenngleich es noch nicht losgelöst87 von der Binnenmarktzielsetzung nach Art. 95 EGV (jetzt Art. 114 AEUV) fungiert.88 Verbraucherschutz ist danach immer noch Marktpolitik, aber eben auch eines ihrer wichtigsten Bestandteile. Die Veränderungen, die im Primärrecht vonstatten gingen, veranlassten im Ergebnis auch den Rat89 dazu, der Kommission die Annahme eines zweiten dreijährigen Aktionsplans auf dem Felde des Verbraucherschutzes im Jahr 1992 anzutragen, der in der angetragenen Form verabschiedet wurde.90 Ihm schloss sich die Verabschiedung eines dritten Drei-Jahresprogrammes für die Jahre 1996– 1998 (sog. „Verbraucherpolitische Prioritäten“) an.91 4. Nach der Verabschiedung des Vertrags von Amsterdam92 Der im Anschluss an den Vertrag von Maastricht geschlossene Amsterdamer Vertrag führte zu Veränderungen in der Fassung des Art. 129a EGV a.F., der mit Art. 153 EGV auch eine andere „Hausnummer“ erhielt. Es kam in diesem Zusammenhang zu einer inhaltlichen Klarstellung. Art. 153 I EGV sollte angeben, was die Aufgabenbereiche der Gemeinschaft im Verbraucherschutz sind. Die Regelung, die das Politikziel festlegte, wurde diesbezüglich umformuliert, sodass sie über den durch Erwerb und die Nutzung von Gütern geprägten Verbraucherschutz nach der Vorgängerregelung hinausging. Verbraucherschutz als Regelungsziel sollte auf die allgemeine Förderung der Interessen der Verbraucher erweitert werden und damit die Praxis der Gemeinschaft absichern.93 Die neue Regelung macht diese erweiterte Auslegung des Politikfeldes dadurch kenntlich, dass sie die in den Verbraucherschutzprogrammen der EU immer wieder auftauchenden „fünf fundamentalen Rechte“ des Verbrauchers in sich aufnahm.94 Nach Art. 153 I EGV leistet die Gemeinschaft zur „Förderung der Interessen der Verbraucher“ fortan einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher. Sie fördert weiter das Recht auf Information sowie die Verbrauchererziehung und die Bildung von Vereinigungen zur Wahrung der Verbraucherinteressen.
87 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 15; ders., in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2. Aufl., 2009), Art. 153 Rn. 12. 88 Grub, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 1. 89 Entschließung des Rats über künftige Prioritäten für den Aufbau der Verbraucherschutzpolitik v. 13.7.1992, ABl.EG 1992 Nr. C 186/1. 90 Kommission, KOM (1993), 378 endg. 91 Kommission, KOM (1995), 519 endg. 92 Zum späteren Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007, der eine Reform der Institutionen und der Verfahren festlegt, vgl. Terhechte, EuR 2008, 143 ff. 93 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 8. 94 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 9.
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1. Teil: Grundlagen
Der „Schutz der Gesundheit der Verbraucher“ ist von Art. 153 EGV n.F. als konsumbezogenes Regelungsziel festgehalten worden. Er erfasst deshalb nicht die allgemeine Krankheitsprävention,95 sondern knüpft an die Nutzung von Waren und Dienstleistungen des Verbrauchers an. Zusammen mit dem „Schutz der Sicherheit“ integriert er die auf den Schutz der Rechtsgüter bezogenen Verbraucherschutzmaßnahmen. Der „Schutz der wirtschaftlichen Interessen“ geht darüber hinaus und erfasst alle Maßnahmen, die die Wahl- und Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers stärken und sie vor wirtschaftlichen Nachteilen durch den Erwerb schützen sollen.96 Unter der Förderung der „Rechte auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen“ sind Aktivitäten zu verstehen, die unabhängig von konkreten Erwerbsvorgängen die Position der privaten Nachfrager und Nutzer von Waren und Dienstleistungen verbessern sollen. Mit der Wiedergabe dieser Rechte des Verbrauchers wurde die alte Aufzählung des Art. 129a EGV a.F. in den Art. 153 I EGV übernommen, aber auch deutlich erweitert. Denn in Art. 153 I EGV werden nun Information, Erziehung und die Gründung von Interessenvereinigungen ausdrücklich als „Rechte des Verbrauchers“ anerkannt.97 Die Gemeinschaft erhält in Art. 153 I EGV die Aufgabe, diese Rechte des Verbrauchers mit einem „Beitrag“ zu fördern. Die Erweiterung des Aufgabenbereiches lädt zu neuen Maßnahmen im Bereich der Verbraucherinformation, -erziehung und der kollektiven Verbraucherrechte ein. Indem in der Aufzählung in Abs. 1 das Wort „Beitrag“ beibehalten wurde, wurde zugleich klargestellt, dass sich an der Kompetenzstruktur zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes nichts geändert hat. Sie besitzen eine geteilte Kompetenz. Die neu in Art. 153 II EGV übernommene Querschnittsklausel verpflichtet bereits seit dem Vertrag von Amsterdam alle Gemeinschaftsorgane sowie die Mitgliedstaaten, bei der Ergreifung und Durchführung von allen anderen Gemeinschaftspolitiken „den Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen“. Diese Formulierung beinhaltet eine wesentliche Stärkung des horizontalen Verbraucherschutzes in der Gemeinschaft.98 Die Handlungsformen, die der Gemeinschaft zur Wahrnehmung ihres verbraucherpolitischen Programms zur Verfügung stehen, werden von Art. 153 III EGV beschrieben. Die Gemeinschaft kann danach (durch Mehrheitsentscheidungen) Maßnahmen zur Rechtsangleichung in Verwirklichung des Binnenmarktprojekts nach Art. 95 EGV ergreifen (vgl. Art. 153 III lit. a. EGV). Da95 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 9; zum Problemkreis insgesamt: W. Berg, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU (1997), S. 504. 96 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), ebenda; ähnlich schon Heiss, ZEuP 1996, 625, 630 ff. 97 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 9. 98 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 9.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
195
rüber hinaus hat sie die Verbraucherpolitik der Mitgliedstaaten in jeder anderen Weise zu unterstützen, zu ergänzen und zu überwachen (Art. 153 III lit b. EGV). Art. 153 III lit. a EGV deckt sich darin mit seiner Vorgängerbestimmung. Nur lit. b.) wurde leicht verändert. Anstatt der in Art. 129a EGV a.F. beschriebenen „spezifischen Aktionen“, deren Bedeutung ohnehin nie ganz geklärt werden konnte,99 dürfen nun „Maßnahmen“ erlassen werden. Diese müssen, wie zuvor, die Politik der Mitgliedstaaten „ergänzen“ oder „unterstützen“, alternativ möglich ist aber auch die „Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten“. 5. Der Reform-Vertrag von Lissabon Der Reformvertrag von Lissabon vom 13.12.2007 hat mit seinem Inkrafttreten am 1.12.2009 zu einer grundlegenden Umgestaltung der Primärrechtsverträge geführt. Aus dem EGV wurde der AEUV; der EUV blieb in gewandelter Form erhalten. Der Reformvertrag von Lissabon überführte Art. 153 EGV samt der Binnenmarktanbindung (Art. 95 EGV, neu: Art. 114 AEUV) in eine neue „Hausnummer“, nämlich in Art. 169 AEUV. Er lässt die Regelung jedoch bis auf die Einfügung der Querschnittsklausel in Art. 12 AEUV weitgehend unverändert.100 In Art. 4 II lit. f) AEUV wird der Verbraucherschutz ausdrücklich zur geteilten Zuständigkeit zwischen EU und den Mitgliedstaaten erklärt. II. Programme und Beschlüsse der Gemeinschaft Die zunehmende Verankerung der Verbraucherpolitik im Primärrecht wurde durch verschiedene verbraucherpolitische Programme vorbereitet und begleitet. Auf der Grundlage des als „Initialzündung“ für die Verbraucherpolitik der Gemeinschaft herauszustellenden Pariser Gipfels der Staats- und Regierungschefs der EWG im Jahr 1972 wurde im Jahr 1975 das erste Programm der EWG über eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher verabschiedet.101 Schon zwei Jahre zuvor, nämlich 1973, etablierte die Kommission eine Dienststelle für Umwelt- und Verbraucherschutz.102 Auf das erste Programm von 99
Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), S. 40 f. Insbesondere war umstritten, ob auch rechtsverbindliche Richtlinien und Verordnungen unter lit. b) erlassen werden konnten oder nur unverbindliche Handlungsformen erlaubt waren, vgl. dazu Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 9. 100 Zum Reformvorhaben Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2. Aufl., 2009), Art. 153 Rn. 6. 101 Entschließung des Rates v. 14.4.1975, ABl.EG Nr. C 92/1; beschreibend Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4. 102 Dieses wurde 1989 in eine selbständige Dienststelle für Verbraucherschutz und 1995 in ein unabhängiges Generaldirektorat (GD 24 Gesundheit und Verbraucherschutz) erhoben, vgl. dazu Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 179; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 3.
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1. Teil: Grundlagen
1975103 folgte im Jahr 1981104 das zweite Verbraucherprogramm. In diesem wurden die grundlegenden verbraucherpolitischen Garantien aus dem ersten Programm wieder aufgenommen und auf andere Bereiche (z.B. Industrie-, Landwirtschafts- und Wettbewerbspolitik) ausgedehnt.105 1985 verabschiedete die Kommission eine Mitteilung an den Rat über einen „Neuen Impuls für die Politik zum Schutz der Verbraucher“.106 Es folgte 1986 die Entschließung des Rates über die „Künftige Ausrichtung der Politik der EWG zum Schutz und zur Förderung der Interessen der Verbraucher“107 sowie 1989 die Entschließung des Rates betreffend „Künftige Prioritäten bei der Neubelebung der Verbraucherpolitik“.108 Im März 1990 beschloss die Kommission einen dreijährigen verbraucherpolitischen Aktionsplan für die EWG 1990–1992.109 Der Plan zielte insbesondere darauf ab, die Verbraucherinformation zu verbessern, Mindestsicherheitsanforderungen bei der Produktherstellung zu gewährleisten und die Verbraucher im Kreditbereich und bei Pauschalreisen abzusichern. Der Rat verfolgte 1992 den Verbraucherschutz weiter durch die Entschließung über künftige Prioritäten für den Ausbau der Verbraucherpolitik,110 der vorrangige Maßnahmen in sechs Politikbereichen anführte, die denen aus dem Jahr 1975 weitgehend entsprachen.111 In der Fortführung des ersten Aktionsplans wurde 1993 der zweite verbraucherpolitische Aktionsplan der Kommission 1993–1995112 veröffentlicht, dessen wesentliche Ziele die Konsolidierung der bereits bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und die Entwicklung von Prioritäten waren, mit denen das Verbraucherschutzniveau angehoben und den Verbrauchern ihre Rechte besser bewusst gemacht werden sollten. Bezweckt waren auch hier wieder Maßnahmen zur (besseren) Verbraucherinformation, die Intensivierung der Abstimmung mit den Verbraucherorganisationen sowie die Erleichterung des Zugangs zum Recht.113 Außerdem wurde in diesem Aktionsplan ein Grünbuch über Ver-
103 Entschließung des Rates v. 14.4.1975 betreffend eines ersten Programms für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutze und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl.EG Nr. C 92/1 v. 25.4.1974. 104 Entschließung des Rates v. 19.5.1981 betreffend eines zweiten Programms der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutze und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl.EG Nr. C 133/1. 105 Vgl. dazu Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4. 106 KOM (1985), 314 endg. v. 23.7.1985. 107 ABl.EG 1986 Nr. C 167/1. 108 ABl.EG 1989 Nr. C 294/1. 109 KOM (1990), 98 endg. v. 3.5.1990. 110 ABl.EG 1992 Nr. C 186/1. 111 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4. 112 KOM (1993), 378 endg. v. 28.7.1993. 113 Vgl. dazu Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
197
brauchsgütergarantien und Kundendienstbedingungen angekündigt, welches am 15.11.1993114 erschienen ist. Im Anschluss an die beiden vorherigen Initiativen legte die Kommission einen dritten Dreijahresplan „Verbraucherpolitische Aktivitäten 1996–1998“ am 31.10.1995115 vor, der als vorrangige Aktionen zehn (allerdings sehr allgemein gehaltene) Ziele benennt: Verbesserung der Verbrauchererziehung und -information, Vervollständigung und Aktualisierung der erforderlichen Rahmenbedingungen zur vollen Berücksichtigung von Verbraucherinteressen im Binnenmarkt, Verbraucher und Finanzdienstleistungen, Schutz der Verbraucherinteressen bei essentiellen Leistungen der öffentlichen Versorgung, Maßnahmen zur Nutzung der Chancen in der Informationsgesellschaft, Maßnahmen zur Stärkung des Vertrauens in Nahrungsmittel, Förderung eines praktischen Ansatzes in der Frage eines auf Dauer umweltverträglichen Konsums, Konsolidierung und Ausweitung der Vertretung der Verbraucherinteressen, Unterstützung der MOEStaaten bei der Ausgestaltung der Verbraucherpolitik und verbraucherpolitische Erwägungen in den Entwicklungsländern. Auf der Grundlage des Dokuments „Verbraucherpolitik: Bisherige Errungenschaften“116 hat die Kommission den vierten „Verbraucherpolitischen Aktionsplan für die Jahre 1999–2001“117 veröffentlicht. Dieser legt drei Hauptaktionsbereiche fest: Stärkung der Rolle der Verbraucherorganisationen, Verbesserung der Lebensmittelsicherheit sowie verstärkte Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher insbesondere bei Finanzdienstleistungen und in anderen Gemeinschaftspolitiken. Einen weiteren wichtigen Schritt zur Förderung und Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus stellt die Ratsentscheidung vom 28.6.1999 über die Verbraucherpolitik in der EG 1999–2001118 dar. Der Rat präzisiert darin die Ziele des vierten Aktionsplanes und erhebt darauf gegründete, konkrete Forderungen.119 Vor dem Hintergrund der Euro-Bargeldeinführung, technischer Entwicklungen und der bevorstehenden EU-Erweiterung hat die Kommission am 7.5.2002 eine neue verbraucherpolitische Strategie 2002–2006120 vorgelegt. Die drei Hauptziele waren: Erstellung eines gleichmäßig hohen Schutzniveaus innerhalb der EG (was u.a. durch Vollharmonisierung von Richtlinien erreicht werden sollte),121 wirksame Durchsetzung von Rechtsvorschriften zugunsten der Ver114
KOM (1993), 509 endg. KOM (1995), 519. 116 SEK (1998), 564 v. 26.3.1998. 117 KOM (1998), 696 endg. 118 ABl.EG 1999 Nr. C 2006/1 119 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4. 120 KOM (2002), 208 endg., ABl.EG 2002 Nr. C 137/2. 121 Zur Kritik an den Vollharmonisierungsbestrebungen vgl. etwa Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 115
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1. Teil: Grundlagen
braucher sowie eine angemessene Beteiligung der Verbraucherverbände an der Gestaltung der Gemeinschaftspolitik. Die für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständige bulgarische Kommissarin Kuneva legte im März 2007 die neue Verbraucherschutzstrategie der Kommission für die Jahre 2007–2013 vor.122 Sie umfasst 20 Maßnahmen legislativer und nichtlegislativer Art. Ein zentrales Ziel der aktuellen Strategie ist es, das EUVerbraucherschutzrecht zu vereinfachen. Erste Erkenntnisse erwartet sich die Kommission durch das Grünbuch zur Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstandes,123 das im Februar 2007 vorgestellt worden ist. Für Aufregung vor allem bei der Industrie (und Begeisterung bei den Verbraucherschutzverbänden) sorgt die Erwägung der Kommission,124 die sich mittlerweile bereits durch ein Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzung in Verbraucherangelegenheiten125 konkretisiert hat und darauf zielt, eine gemeinschaftsumspannende Verbraucher-Sammelklage einzuführen.126 Hierzu sollen jedoch zunächst erst Studien und Anhörungen von Sachverständigen in die weiteren Überlegungen einbezogen werden, die noch nicht abgeschlossen sind. Einen weiteren Schritt zur Konsolidierung des Verbraucherrechts stellt das am 1.7.2010 vorgestellte Grünbuch der EU-Kommission zu grenzüberschreitenden B2C-Verträgen127 da, das auf die Durchsetzung des Vollharmonisierungsprinzips in einer noch zu schaffenden 28. Rechtsordnung (qua Verordnung) hinausläuft. III. Die Richtlinientätigkeit der Kommission Die enge Anbindung des durch Art. 153 III lit. a) EGV (nun durch Art. 169 AEUV) primärrechtlich festgeschriebenen Verbraucherschutzziels an das Binnenmarktprojekt in Art. 95 EGV (nun Art. 114 AEUV) nutzte die EU-Kommission, um zahlreiche Richtlinien zu verabschieden, die neben dem Abbau von Handelsschranken auch dem Verbraucherschutz dienten.128
122
KOM (2007), 33 endg. KOM (2007), 744 endg. 124 Vgl. hierzu die aktuelle verbraucherpolitische Strategie (2007–2013), KOM (2007), 99 endg. 125 KOM (2008), 794 endg. 126 Eine ausführliche Darstellung und Bewertung des geplanten neuen Schutzinstruments findet sich im 1. Teil, 8. Kapitel, B V. 127 KOM (2010), 348/3 v. 1.7.2010; vgl. dazu Tamm, GPR 2010, 525 ff.; Tonner, EuZW, 2010,767 ff. 128 Zum Ganzen vgl. Micklitz, VuR 2003, 2, 3 f. 123
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
199
1. Richtlinientätigkeit vor der Verabschiedung der EEA Bereits vor der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte wurden von der Gemeinschaft trotz des Einstimmigkeitserfordernisses im Rat (vgl. Art. 100 EWGV a.F.) zahlreiche Sekundärrechtsakte geschaffen, die zur Vereinheitlichung von Kennzeichnungs-, Verpackungs-, Bezeichnungs- und ähnlichen die Grundfreiheiten beschränkenden Vorschriften bei diversen Produkten wie Lebensmitteln, Pharmazeutika und Haushaltsgeräten beitrugen und damit direkt auf Verbraucherinteressen einwirkten.129 2. Richtlinientätigkeit nach der Verabschiedung der EEA In der Folgezeit wurden viele weitere Richtlinien verabschiedet, so etwa die Richtlinie über E-Commerce, die Fernabsatzrichtlinie und die Dienstleistungsrichtlinie. 3. Die bedeutendsten Richtlinien in einer kurzen chronologischen Übersicht Nachfolgend sollen die bedeutendsten Richtlinien der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts überblicksartig dargestellt werden. Ein vertieftes Eingehen auf den jeweiligen Sekundärrechtsakt erfolgt erst im Zusammenhang mit der Darstellung der nationalen Transformationsvorschiften, d.h. des europäisch inspirierten nationalen Verbraucherrechts im 2. Teil der Arbeit. a. Werberichtlinien und artverwandte Bestimmungen zum unlauteren Geschäftsverkehr Die älteste (mittelbar) auch dem Verbraucherschutz dienende Richtlinie befasst sich mit irreführender Werbung. Da irreführende Werbung in besonderem Maße geeignet ist, zur Verfälschung des Wettbewerbs beizutragen, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Richtlinie 79/112/EWG vom 18.12.1978130 über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung bereits sehr früh eine Regelung gegen Marktverzerrungsfaktoren etabliert. Die Richtlinie 79/112/EWG stellte eine Vorläuferregelung für die allgemeine Richtlinie 84/450/EWG vom 10.9.1984131 über irreführende Werbung dar. Letztere beinhaltet Kriterien zur Bemessung von irreführender Werbung und verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete und wirksame Maßnahmen gegen diese Art der unlauteren Marktbeeinflussung zu ergreifen.132
129
Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 4. ABl.EG 1979 Nr. L 33; Änderungsrichtlinien 91/72 v. 16.1.1991, ABl.EG 1991 Nr. L 42/27 und 93/102 v. 16.11.1993, ABl.EG 1993 Nr. L 291/14. 131 ABl.EG 1984 Nr. L 250/17. 132 Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133, 135. 130
200
1. Teil: Grundlagen
Die Richtlinie 84/450/EWG beruhte noch auf Art. 100 EWGV a.F. Die Regelung beschränkte sich gemäß Art. 7 I auf eine Teilharmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften durch die Festsetzung von objektiven Mindestkriterien, anhand derer sich feststellen lässt, ob eine Werbung irreführend ist und von Mindestanforderungen in Bezug auf die Einzelheiten des Schutzes gegen eine solche Werbemaßnahme abweicht.133 Sie folgte damit dem Gedanken des Mindeststandardprinzips und hinderte die Mitgliedstaaten nicht daran, einen weiterreichenden Schutz zugunsten der Verbraucher zu etablieren. Damit lag der Richtlinie das klassische Instrument zur Angleichung des Wettbewerbsrechts in den Mitgliedstaaten zugrunde.134 Bei der Beurteilung, ob eine Werbeaussage als irreführend einzuordnen ist, soll nach Meinung des EuGH auf die Sichtweise eines informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abgestellt werden.135 Als irreführende Werbung i.S.d. Richtlinie wird allgemeinhin der Versuch verstanden, die Abnehmer durch Angaben anzulocken, welche konkrete, rationale Erwartungen auslösen, die der Realität nicht entsprechen.136 Obwohl der Gesetzgeber auf Grund des Mindeststandardprinzips, das der Richtlinie unterlegt war, prinzipiell Werbeverbote und -einschränkungen erlassen konnte, die über das in der Richtlinie festgeschriebene Mindestmaß hinausgehen, war er auch hierbei wiederum gewissen Einschränkungen unterworfen. Denn der EuGH prüfte solche Werbeverbote regelmäßig auf ihre Vereinbarkeit mit der primärrechtlich verankerten Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit.137 Sofern Werbeverbote bzw. -einschränkungen als Maßnahmen marktfreiheitsbeschränkende Wirkungen zeitigen (was regelmäßig der Fall ist), können diese Regelungen aus Gründen des Verbraucherschutzes und/oder des Lauterkeitsschutzes zwar gerechtfertigt sein,138 allerdings nur dann, wenn sie die (regelmäßig vom EuGH recht hoch angesetzte) Hürde der Verhältnismäßigkeitsprüfung passiert haben.139 Die Grenze der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme soll – nach Ansicht des EuGH – bereits dann überschritten sein, wenn dem Verbraucherschutz auch durch das Anbringen entsprechender Informationen (als milderes Mittel) Genüge getan werden
133 Fezer, in: Fezer (Hrsg.), UWG (2005), Einl. E. IV. Rn. 16; Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Einl. Rn. 3.41; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 23. 134 Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 886 f. 135 EuGH, Urt. v. 6.7.1995, Rs. C-470/93 – Mars; EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide; EuGH, Urt. v. 13.1.2000, Rs. C-220/98 – Esteé Lauder, Rn. 27–30. 136 Schricker, GRUR Int. 1990, 112, 113. 137 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 23; Köhler, in: Köhler/Piper, UWG (3. Aufl., 2002), Einf. Rn. 69 f. 138 Berg, ebenda; Köhler, ebenda. 139 Köhler, in: Köhler/Piper, UWG (3. Aufl., 2003), Einf. § 74.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
201
kann.140 Hierin kommt sehr deutlich das Vorrangprinzip des europäischen Informationsmodells141 zum Ausdruck. Diese auf dem Mindeststandardprinzip fußende Problematik hat sich jedoch nach der verstärkten Ausrichtung auf den Vollharmonisierungsansatz im Werbe-/Lauterkeitsrecht überholt, weil die ursprünglich bezweckte Teilharmonisierung „den europäischen Flickenteppich des Lauterkeitsrechts nicht beseitigen konnte“142 und daher aus Sicht der Kommission zur Stärkung des europäischen Binnenmarktes eine straffere Harmonisierung geboten war. Vor diesem Hintergrund ergaben sich Änderungen im gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrecht dergestalt, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 84/450/EWG durch die Richtlinie 97/55/EG143 (die gestützt auf Art. 100a EGV erging) auf vergleichende Werbung – vgl. Erwägungsgrund 7 – erstreckt wurde. Die neue werbungsreglementierende Richtlinie heißt seitdem „Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung“. Zugleich wurde festgelegt, „dass Art. 7 der Richtlinie 84/450/EWG, wonach die Mitgliedstaaten Bestimmungen aufrecht erhalten oder erlassen können, die einen weiterreichenden Schutz der Verbraucher vorsehen, nicht für die vergleichende Werbung gelten soll“. Auf der Grundlage dieser Richtlinie ist für den Bereich der vergleichenden Werbung eine abschließende Harmonisierung erfolgt.144 Es ist daher bei vergleichender Werbung prinzipiell unzulässig, strengere nationale Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers zu etablieren.145 Eine Bestätigung erfuhr das Vollharmonisierungskonzept – wie bereits aufgezeigt146 – in der daran ansetzenden Richtlinie über vergleichende und irreführende Werbung (RL 2006/114/EG),147 die in ihrem Art. 8 I einen höheren Verbraucherschutzstandard des Mitgliedstaates weiterhin erlaubt, diesen jedoch für die vergleichende Werbung ausdrücklich ausschließt. Eine Ausdehnung148 über den Bereich der Werbung als Teilbereich des Lauterkeitsrechts wurde dem Vollharmonisierungskonzept sodann in der allgemeinen Richtlinie der Gemeinschaft über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/ EG) zuteil.149 Die Richtlinie verbietet in ihrem Art. 5 nun ganz generell alle „unlauteren Geschäftspraktiken“, wozu gemäß Art 6 ff. solche gehören, die irrefüh140
EuGH, Urt. v. 12.3.1987, Rs. C-178/84 – Reinheitsgebot für Bier, Rn. 35 ff.; EuGH, Urt. v. 14.7.1988, Rs. C-407/85 – Drei Glocken, Rn. 16. 141 Vgl. dazu die näheren Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel ,E I 3 b. 142 Fezer, in: Fezer (Hrsg.), UWG (2005), Einl. E. IV. Rn. 16. 143 ABl.EG 1997 Nr. L 290/18. 144 EuGH, Urt. v. 8.4.2003, Rs. C-44/01 – Pippig. 145 EuGH, ebenda; Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Einl. Rn. 3.43. 146 Siehe dazu meine Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel, C V 2. 147 RL 2006/114/EG v. 12. 12.2006, ABl.EG Nr. L 376/21. 148 Vgl. dazu Micklitz, VuR 2009, 110 ff. 149 RL 2005/29/EG v. 11.5.2005, ABl.EG Nr. L 149/22.
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1. Teil: Grundlagen
rend sind, aber auch solche, die als „aggressiv“ in Erscheinung treten (vgl. dazu Art. 8 ff.). Darüber hinaus wurden von der Gemeinschaft weitere Maßnahmen erlassen, damit der Verbraucher die ihm zuerkannte „Schiedsrichterrolle“ am Markt ausüben kann.150 Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat flankierend zu der zuletzt dargestellten allgemeinen Werberichtlinie eine Reihe von speziellen Werberichtlinien verabschiedet. So enthält die Richtlinie 89/552/EWG über die Ausübung der Fernsehtätigkeit151 in Art. 11 eine Regelung über die Ausstrahlung von Fernsehwerbung zwischen bzw. während Fernsehsendungen. Die Richtlinie untersagt generell Fernsehwerbung für Tabakerzeugnisse sowie für rezeptpflichtige Arzneimittel und ärztliche Behandlungsmethoden (Art. 14). Überdies ist eine Umwandlung der Richtlinie 89/55/EWG in eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste in Vollzug gesetzt worden.152 Fernsehwerbung für alkoholische Getränke ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (Art. 15). Für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes durch die Förderung einer informierten Verbraucherentscheidung ist zudem die umfassende Information über Preise von zentraler Bedeutung. Diesem Anliegen soll mit der Preisangaben-Richtlinie 98/6/EG153 Rechnung getragen werden. Neben den Vorschriften zur Angabe von Preisen gibt es mittlerweile aber auch eine Reihe von Regelungen über Produktbezeichnungen, die im Rahmen der Markteröffnung für ein Produkt zu beachten sind. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Lebens- und Arzneimittel. In Bezug auf Lebensmittel ist die Richtlinie 2000/13/EG154 maßgeblich, in der alle bisherigen Änderungen der ursprünglichen Richtlinie 79/112/EWG über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln155 zusammengefasst und ersetzt wurden. Für den hochsensiblen Bereich der Arzneimittel hatte man bereits im Jahr 1965 eine spezielle Richtlinie auf den Weg gebracht, die Vorschriften über die Etikettierung und die Angaben auf der Verpackung und dem Beipackzettel enthielt.156 Auch für Kosmetika157 und für Tabakerzeugnisse158 gelten mittlerweile detaillierte Kennzeichnungsvorschriften. 150 Zum Choice-Modell Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 45 ff.; Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997), 315 ff.; Weatherill/Micklitz, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy and the Role of Information in the International Market (2001), S. 173, 185 ff. 151 ABl.EG 1989 Nr. L 298/23; geändert durch RL 97/36/EG, ABl.EG 1997 Nr. L 202/60. 152 Vgl. dazu Schulze-Lauda, EuZW 2007, 417 f. 153 ABl.EG 1998 Nr. L 80/27; zum Anwendungsbereich und zu Defiziten ausführlich Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003). 154 ABl.EG 2000 Nr. L 109/29. 155 ABl.EG 1979 Nr. L 33/1. 156 ABl.EG 1965/369. 157 Vgl. Art. 6 der Kosmetikrichtlinie 76/768/EWG, ABl.EG Nr. L 262/169. 158 Richtlinie 2001/37/EG, ABl.EG 2001 Nr. L 194/26.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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b. Die Haustürwiderrufsrichtlinie Abgesehen von der Werbung für bestimmte Produkte und von ihrer Kennzeichnung nahm sich die Gemeinschaft sehr bald auch der Problematik der Haustürgeschäfte an. Eine diese Vertriebsform reglementierende Richtlinie, die so genannte Haustürwiderrufsrichtlinie (85/577/EWG),159 wurde am 20. Dezember 1985 als erste Harmonisierungsrichtlinie im Bereich des Vertragsrechts erlassen.160 Sie bezieht sich auf den anbieterinitiierten Vertragsabschluss außerhalb von Geschäftsräumen, insbesondere auf Vertragsanbahnungen in Privatwohnungen und am Arbeitsplatz des Verbrauchers. Der deutsche Gesetzgeber nahm mit den Vorläuferregelungen der heutigen §§ 312 ff. BGB, dem früheren Haustürwiderrufsgesetz (HWiG), die Umsetzung der Richtlinie vorweg. Die Gesetzgebungsarbeiten im Bundesrat und Bundestag erfolgten parallel zur Richtlinienberatung in Brüssel mit der Folge, dass das zunächst erlassene Haustürwiderrufsgesetz nicht auf die entsprechende Richtlinie abgestimmt war.161 Dennoch hielt es der deutsche Gesetzgeber, als Ende 1987 die Frist zur Umsetzung der Richtlinie ablief, nicht für erforderlich, seine Vorschriften an die europäischen Vorgaben anzupassen. Hieraus ergeben sich eine Reihe von Unstimmigkeiten.162 Erst nachdem der EuGH in der Rechtssache Heininger163 Unvereinbarkeiten mit der Richtlinie aufgezeigt hatte, nahm der Gesetzgeber Korrekturen vor.164 Die europäische Haustürwiderrufsrichtlinie fußt auf der Entschließung des Rates von 1975 über eine bessere Verbraucherschutzpolitik.165 Bereits das erste Verbraucherschutzprogramm der Gemeinschaft bezweckte den Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Handelspraktiken, insbesondere bei Geschäften an Haustüren und in vergleichbaren Situationen. Um dieses Ziel zu erreichen, legte die Kommission im Jahr 1977 ihren ersten Richtlinienvorschlag vor.166 Bereits in ihm ging es darum, der typischerweise vorliegenden Überrumpelungsgefahr bei Vertragsabschlüssen an der Haustür, in öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz etc. wirksam zu begegnen, indem dem Verbraucher ein unver159
ABl.EG 1985 Nr. L 372/31. Ausführlich Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), S. 204 ff. 161 Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 178 Rn. 1. 162 Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 7. 163 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger, Rn. 48; umfassend zum Fall Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 186 Rn. 16 ff. 164 Weil die deutschen Regelungen auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte noch heute nicht genau mit den europäischen Vorgaben übereinstimmen, erfordert die Auslegung des Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften im besonderen Maße eine Überprüfung anhand der europarechtlichen Vorgaben. 165 Entschließung v. 14.4.1975, ABl.EG 1975 Nr. C 92/1 ff. 166 ABl.EG 1977 Nr. C 22/6 ff. 160
204
1. Teil: Grundlagen
zichtbares Widerrufsrecht eingeräumt wird, über welches er schriftlich und detailliert zu belehren ist. Das von der Gemeinschaft schon sehr früh befürwortete Regelungsvorhaben verzögerte sich auf EU-Ebene aber zunächst auf Grund von Widerständen aus der Wirtschaft und der Bundesregierung.167 Erst als sich Jahre nach dem ersten Verbraucherschutzprogramm der Gemeinschaft auch in Deutschland die Einführung des Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften abzeichnete, stimmte die Bundesregierung einer europäischen Regelung zu. Vor diesem Hintergrund beschloss der Rat am 20.12.1985 in Bezugnahme auf Art. 100 EWGV die „Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“. Nach ihren Vorgaben wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, binnen vierundzwanzig Monaten nach Bekanntgabe der Richtlinie am 23.12.1985 die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Umsetzung zu treffen (Art. 9 der Richtlinie). Hinsichtlich des Abschlusses eines Haustürgeschäfts sichert Art. 5 der Hautürwiderrufsrichtlinie dem Verbraucher ein nicht zur Disposition gestelltes Widerrufsrecht zu, über welches der Verbraucher vom Gewerbetreibenden informiert werden muss. Durch die Gewährung des Widerrufsrechts sollt/e dem Verbraucher eine Bedenkfrist („cooling-off period“) eingeräumt werden, um übereilte Entscheidungen von erheblicher Tragweite wieder rückgängig machen zu können.168 Sollte der Vertragspartner von seinem Recht auf Widerruf nicht informiert worden sein, steht ihm ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zu. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass diese Regelung vom nationalen Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden kann.169 Auch ein Realkredit170 und Bürgschaftsverträge171 sowie der Erwerb von Teilzeitwohnrechten an Wohngebäuden172 können vom Geltungsbereich der Richtlinie erfasst sein. 167 Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 183 Rn. 5. 168 Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 182 Rn. 5. 169 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger. 170 EuGH, ebenda, Rn. 40. 171 Der EuGH hat in der Rs. Dietzinger (EuGH, Urt. v. 17.3.1998, Rs. C-45/96 – Dietzinger, Rn. 22 f.) wie folgt differenziert: Zwar kann ein Bürgschaftsvertrag grundsätzlich unter die Richtlinie fallen, doch folgt aus dem Wortlaut von Art. 1 der Richtlinie und dem akzessorischen Charakter der Bürgschaft, dass unter die Richtlinie nur eine Bürgschaft für eine Verbindlichkeit fallen kann, die ein Verbraucher im Rahmen eines Haustürgeschäfts gegenüber einem Gewerbetreibenden als Gegenleistung für Waren oder Dienstleistungen eingegangen ist. Da die Richtlinie außerdem nur die Verbraucher schützen soll, kann sie nur einen Bürgen erfassen, der sich zu einem Zweck verpflichtet hat, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Nach dem Verbraucherbegriff der Haustürwiderrufsrichtlinie fällt ein Bürgschaftsvertrag, der von einer nicht im Rahmen der Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen wird, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie, wenn er die Rückzahlung einer Schuld absichert, die der Hauptschuldner im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit eingegangen ist. 172 EuGH, Urt. v. 22.4.1999, Rs. C-423/97 – Travel Vac, Rn. 26.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
205
Die bereits dargestellte Regelungsintention der Haustürwiderrufsrichtlinie, dem Verbraucher eine nachträgliche Bedenkfrist einzuräumen, um sich ggf. wieder vom an der Haustür geschlossenen Vertrag zu lösen, ist klar in ihren Erwägungsgründen beschrieben, die den Art. 1–10 vorangestellt wurden. Der Richtliniengesetzgeber ließ sich bei ihrer Niederschrift davon leiten, dass der gemeinsame Markt behindert werde, wenn die Mitgliedstaaten, wie zum Teil geschehen, den missbräuchlichen Handelspraktiken bei Haustürgeschäften mit unterschiedlichen Maßnahmen begegnen. Um dies zu vermeiden, sah es die Gemeinschaft als geboten an, die einschlägigen Bestimmungen anzugleichen. Ähnlich wie es andere Richtlinien ermöglichen, offeriert auch die Haustürwiderrufsrichtlinie dem innerstaatlichen Gesetzgeber in Art. 8 die Option, strengere nationale Bestimmungen zu erlassen. Insofern ist sie ganz dem Mindeststandardprinzip verpflichtet.173 Bis zum Jahr 2000 erfuhren die deutschen Bestimmungen zur Reglementierung der Haustürgeschäfte, die in das Haustürwiderrufsgesetz aufgenommen wurden, trotz des zwischenzeitlichen Richtlinienerlasses – wie bereits eingangs beschrieben – keine inhaltlichen Änderungen. Im Zuge der Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie strebte der Gesetzgeber jedoch eine gewisse Vereinheitlichung des deutschen Verbraucherschutzrechts an. So verwies das Haustürwiderrufsgesetz mit Wirkung zum 30.6.2000174 wegen der Widerrufsmodalitäten auf die neuen §§ 361a und 361b BGB a.F. (heute §§ 355 ff. BGB), die für alle Verbrauchergeschäfte ein einheitliches Widerrufs- und Rückgaberecht einführten. Außerdem wurden die europarechtlichen Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ in das BGB eingefügt. Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung übernahm der Gesetzgeber das Haustürwiderrufsrecht in das BGB. Seit dem 1.1.2002 beinhaltet nun § 312 BGB das Recht des Verbrauchers, Haustürgeschäfte zu widerrufen, und § 312a BGB regelt das Verhältnis zu anderen Vorschriften. Die sonstigen Vorgaben des früheren Haustürwiderrufsgesetzes sind in anderen Bestimmungen eingefügt worden. Wann das Widerrufsrecht erlischt, bestimmt sich nach § 355 BGB, der mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des EuGH175 wiederum mit Wirkung zum 1.8.2002 neu gefasst worden ist.176 Das Umgehungsverbot und die Unabdingbarkeit finden sich nunmehr in § 312g BGB. Die Regelung über den ausschließlichen Gerichtsstand wurde in § 29c ZPO kodifiziert. 173 Vgl. dazu Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 10. Zur konkreten Reichweite des Art. 8 der Richtlinie, die noch wenig geklärt ist, siehe dazu Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 184 Rn. 10. 174 Vgl. das Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherschutzrechts sowie zur Umstellung der Vorschriften auf den Euro v. 27.6.2000, BGBl. I, S. 857, 955. 175 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger. 176 Vgl. das Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten v. 23.7.2002, BGBl. I, S. 2850, das zum 1.8.2002 in Kraft trat.
206
1. Teil: Grundlagen
c. Die Produkthaftungsrichtlinie In ungefähr den gleichen Zeitraum wie die Verabschiedung der Haustürwiderrufsrichtlinie fällt die Inkraftsetzung der Produkthaftungsrichtlinie (85/374/ EWG).177 Auf der Grundlage dieser Richtlinie hat der Gesetzgeber einen Rechtsrahmen geschaffen, mit dem das Prinzip der verschuldensunabhängigen Produkthaftung in der Gemeinschaft eingeführt wurde.178 Kompetenzrechtlich ist die Richtlinie auf Art. 100 EWGV a.F. gestützt worden. Ähnlich wie andere dem Binnenmarktziel und zugleich dem Verbraucherschutz verpflichtete Richtlinien versuchte die Gemeinschaft über sie mit der Aufnahme bestimmter Haftungsbegrenzungen und dem ihr immanenten Verbot der Einführung höherer Schutzstandards179 auf der einen Seite, mit der Etablierung einer Gefährdungshaftung auf der anderen Seite, einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen den Konsumenten und Produktherstellern herbeizuführen.180 Die Bedeutung des Produkthaftungsrechts für den europäischen Binnenmarkt ist groß. Ein Regelungsbedürfnis dieses Rechtsbereiches wurde schon sehr früh anerkannt, da es für den Hersteller und Verkäufer von Waren enorme wirtschaftliche Auswirkungen hat, in welchem Umfang sie für den Fehler eines Produkts haftbar gemacht werden können, andererseits aber auch ein legitimes Interesse der Verbraucher besteht, auf einem hohem Niveau geschützt zu sein, ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat die schadhafte Ware produziert oder in den Verkehr gebracht wurde.181 Die ersten Anfangsüberlegungen für ein europäisches Produkthaftungsrecht stammten noch aus den sechziger Jahren. Nach langjährigen Vorarbeiten trat die eigentliche Richtlinie zur Produkthaftung dann aber erst 1985 in Kraft. Eine wichtige Änderung erfuhr die Produkthaftungsrichtlinie 1999, als unter dem Eindruck der Rinderseuche BSE die zuvor ausdrücklich ausgenommenen landwirtschaftlichen Naturprodukte in den Anwendungsbereich der Richtlinie mit aufgenommen wurden.182 Die Richtlinie beinhaltet eine reine Deliktshaftung, wobei die Besonderheit darin besteht, dass der Hersteller eines Produkts verschuldensunabhängig für Schäden, die auf einen Produktfehler zurückzuführen sind, haftet (vgl. Art. 1 der Richtlinie).183 Gehaftet wird für einen durch einen Defekt des Produkts herbeigeführten Schaden, wobei ein Defekt dann vorliegt, wenn das Produkt nicht die 177
ABl.EG 1985 Nr. L 210/89. Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 22. 179 Dazu Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 41. 180 Heiderhoff, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 626 Rn. 6. 181 Heiderhoff, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 626 Rn. 5. 182 Zur Änderung vgl. Staudinger, NJW 2001, 275 ff. 183 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 22; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), Einf. Vor. § 1 ProdHaftG Rn. 1. 178
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
207
Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände (insbesondere seiner Darbietung, seines Gebrauchs, des Zeitpunkts des Inverkehrbringens) berechtigterweise erwartet werden kann (Art. 6 der Richtlinie). In Parallele zu der in Deutschland bereits zuvor auf der Grundlage des § 823 I BGB entwickelten Rechtsprechung zur Produzentenhaftung184 werden in § 3 ProdHaftG (als Umsetzungsregelung für den gemeinschaftsrechtlichen Fehlerbegriff nach der Richtlinie) bestimmte Fehlerkategorien hineingelesen, die vom Konstruktionsfehler185 über den Fabrikationsfehler186 bis hin zum Instruktionsfehler187 reichen.188 Zur Realisierung eines Schadensersatzanspruches hat der Geschädigte nur den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen (Art. 4 der Richtlinie). Die Entlastungsmöglichkeiten für den Hersteller sind auf Grund der Richtlinie eng gefasst: Er kann der Haftung nur durch den Nachweis entgehen, dass der Fehler des Produkts auf verbindliche hoheitlich erlassene Normen zurückzuführen ist oder beim Inverkehrbringen des Produkts nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik objektiv unerkennbar war (Art. 7 der Richtlinie). Dagegen wird er nicht entlastet, wenn er lediglich nachweist, dass er sich an bestehende (unverbindliche) Normen, anerkannte Regeln der Technik usw. gehalten hat. Die Haftung verjährt in drei Jahren ab Kenntniserlangung des Klägers von den haftungsauslösenden Umständen (Art. 10 I der Richtlinie). Unabhängig davon erlöschen Ansprüche auf Grund der Produkthaftung zehn Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produkts (Art. 11). Die Haftung nach der Richtlinie ist gerade wegen der verschuldensunabhängigen Einstandspflicht des Herstellers besonders verbraucherfreundlich. Allerdings trägt der Geschädigte einen Selbstbehalt (vgl. Art. 9 a). Von der Produkthaftung ausgenommen ist die Haftung für Schäden am fehlerhaften Produkt selbst, sodass der sachliche Anwendungsbereich nicht sehr weit greift. Anders sieht es beim persönlichen Anwendungsbereich bezüglich des mit der Produkthaftung Belasteten aus, denn der Herstellerbegriff ist sehr ausufernd gefasst. Als Hersteller gilt jede Person, die das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt herstellt, sowie jede Person, die sich durch Anbringung ihres Namens, ihres Warenzeichens oder ihres Erkennungszeichens auf dem Produkt als Hersteller ausgibt (Art. 3 I). Daneben haften auch Personen wie Hersteller, die das Produkt im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit zum Vertrieb in die Gemeinschaft eingeführt haben (Art. 3 II). Die Richtlinie berührt nicht die Ansprüche 184
Vgl. dazu die vertiefte Darstellung im 2. Teil, 2. Kapitel D IV 1. BGH BB 1984, 2150. 186 BGHZ 129, 53 ff.; OLG Koblenz NJW-RR 1999, 1624. 187 BGHZ 106, 273; BGH NJW 1994, 932. 188 Zu diesen Fehlerkategorien, die nach der deutschen Rechtsprechung in § 3 ProdHaftG hineingedeutet werden und damit die Rechtsprechung zur Produzentenhaftung nach § 823 I BGB hinsichtlich der Fehlerarten auf das ProdHaftG übertragen, Palandt/ Sprau (68. Aufl., 2009) Rn. 8 ff. zu § 3 ProdHaftG. 185
208
1. Teil: Grundlagen
des Geschädigten aus vertraglicher oder sonstiger deliktischer Haftung, die nach nationalem Recht bestehen (Art. 13). Mit der Richtlinie 1999/34/EG hat der Gesetzgeber den Geltungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie auch auf unverarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse ausgedehnt.189 Wie bereits eingangs bei der Zielrichtung der Regelung angedeutet, stellt die Richtlinie hinsichtlich der Produktgefährdungshaftung (nicht hinsichtlich anderer Haftungsgrundlagen) eine abschließende Regelung dar, sodass es keinen weiteren Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers gibt, etwa in dem Sinn, dass er eine Besserstellung des Geschädigten im Wege einer „überschießenden“ Umsetzung versucht. Dies hat der EuGH jüngst klargestellt, indem er sich darauf berief, dass die Abweichungsmöglichkeiten, welche den Mitgliedstaaten in den Art. 15 I lit. a) und b), Art. 16 eingeräumt sind, eng ausgelegt werden müssen.190 Mithin wird die Produkthaftungsrichtlinie für den von ihr geregelten Bereich (Herstellergefährdungshaftung) als vollharmonisierende Richtlinie verstanden. Die Vorgaben der Produkthaftungsrichtlinie wurden hautsächlich durch das am 1.1.1990 erlassene Produkthaftungsgesetz (mit eineinhalbjähriger Verspätung) umgesetzt. Sonderregelungen wurden daneben im Arzneimittelgesetz, im Atomgesetz und im Gentechnikgesetz aufgenommen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Produkthaftungsrichtlinie war und ist gerade in Ländern groß, in denen die Produzenten- bzw. Produkthaftung auf Grund der originären schadensrechtlichen Vorschriften eng ausgestaltet war.191 In Deutschland war die Bedeutung des Produkthaftungsgesetzes allerdings bis zur Einführung der Schadensrechtsreform dadurch beschnitten, dass bis zu diesem Zeitpunkt bei einem Haftungstatbestand nach dem ProdHaftG kein Schmerzensgeld gewährt werden konnte (§ 847 BGB a.F.), was sich nun geändert hat, vgl. § 253 II BGB n.F. d. Die Verbraucherkreditrichtlinie Im Bereich des Finanzrechts wird dem Verbraucherschutz vor allem durch die Verbraucherkreditrichtlinie (87/102/EWG)192 Rechnung getragen.193 Sie wurde am 22. Dezember 1986 – gestützt auf Art. 100a EGV – verabschiedet. Inhaltlich fußt sie auf einen Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 1979.194 Die Ziele 189 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 22. 190 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), Einf. Vor. § 1 ProdHaftG Rn. 2; EuGH, Urt. v. 25.4.2002, Rs. C-183/00 – Gonzáles Sánchez; EuGH, Urt. v. 9.2.2006, Rs. C-127/04 – O’ Byrne. 191 Kullmann, ZEuS 2002, 55 ff.; Heiderhoff, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 628 Rn. 13. 192 ABl.EG 1987 Nr. L 42/48. 193 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 34. 194 ABl.EG 1979 Nr. C 80/4.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
209
der Verbraucherkreditrichtlinie werden in ihren Erwägungsgründen näher beschrieben. In erster Linie dient sie dazu, Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die gemeinschaftsweit ein angemessenes Schutzniveau für Verbraucher gewährleistet werden soll. Außerdem verfolgt die Richtlinie das Ziel, Wettbewerbsverzerrungen infolge unterschiedlicher Rechtsvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten zu vermeiden. Die Verbraucherkreditrichtlinie aus dieser Zeit nahm sich eines gesellschaftlich immer wichtiger werdenden Themas an, das der zunehmenden Überschuldung privater Haushalte.195 Durch umfangreiche Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers wurden durch ihre Vorgaben weitreichende Rechtsangleichungen vorgenommen. Auf Grund der Richtlinie sollte zum einen sichergestellt werden, dass der private Kreditnehmer über die Kreditkosten, die Kreditbedingungen und den Umfang seiner Verpflichtungen aus dem Kredit angemessen informiert wird. Außerdem räumt sie dem Verbraucher das Recht ein, die Kreditschuld zu jedem Zeitpunkt vorzeitig zu tilgen (Art. 6). Im Hinblick auf die umfassend zu gewährende Kundeninformation enthält die Richtlinie als wesentliches Absicherungselement das Schriftformerfordernis mit der Verpflichtung zur Ausweisung diverser Bestandteile im Vertrag (Art. 4 der Richtlinie). Durch die Angabe der Kreditbedingungen sollte aber nicht nur die Vergleichbarkeit der Angebote inländischer und ausländischer Geldinstitute verbessert werden, die Transparenz dieser Angaben sollte auch dazu führen, die Wettbewerbsbedingungen für den Kreditgeber im europäischen Binnenmarkt anzugleichen. Die ursprüngliche Verbraucherkreditrichtlinie (87/102/EWG) wurde 1990 geändert.196 Auf Grund der Abänderungen wurde eine einheitliche Methode für die Berechnung des effektiven Jahreszinses eingeführt. Von Anfang an war die Verbraucherkreditrichtlinie dem Mindeststandardprinzip verpflichtet gewesen, das in Art. 15 zum Ausdruck kam. Dem nationalen Gesetzgeber verblieb bei der Umsetzung der Richtlinie somit ein weiter Gestaltungsspielraum zum Erlass weiterreichender verbraucherfreundlicher Vorschriften. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber umfassend Gebrauch gemacht: Beispiele hierfür sind die Normierung eines Widerrufsrechts (§§ 495, 355 BGB) sowie des Verbraucherverzugs (§§ 497, 498 BGB).197 Die am 12.2.1987 veröffentlichte Verbraucherkreditrichtlinie musste bis zum 1.1.1990 umgesetzt werden (vgl. dazu Art. 16). Sie wurde in Deutschland allerdings erst mit einiger Verspätung in Form des am 1.1.1991 verabschiedeten Verbraucherkreditgesetzes (VerbrKrG) in einfaches Gesetzesrecht transformiert. Der Erlass des Verbraucherkreditgesetzes führte in Deutschland zur Ablösung des seit nahezu hundert 195
Siehe dazu auch Siems, EuZW 2008, 454 ff. ABl.EG 1990 Nr. L 61/14. 197 Welter, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 452 Rn. 1. 196
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1. Teil: Grundlagen
Jahren geltenden Abzahlungsgesetzes (AbzG).198 Das neue Gesetz warf jedoch in der Folgezeit eine Fülle von Auslegungsfragen auf und führte in der Praxis zu zahlreichen Unsicherheiten. Um diese zu beheben, wurde zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten ein Änderungsgesetz199 mit Wirkung zum 1.5.1993 erlassen. Im Zusammenhang mit der Schuldrechtsmodernisierung überführte man das Verbraucherkreditrecht sodann vollständig in das BGB, und zwar in die §§ 488, 491 ff. Vor kurzem ist das Verbraucherkreditrecht inhaltlich erneut durch Richtlinienvorgaben der EU geändert worden, wobei in der Revision auch das Mindeststandardprinzip in weiten Teilen aufgegeben wurde. Der erste Entwurf einer Änderungsrichtlinie zum Verbraucherkredit vom 11.9.2002200 sah bereits eine gemeinschaftsweite Harmonisierung des Verbraucherschutzes vor, und zwar i.S.e. Totalharmonisierung.201 Nach der Kommission sei diese Änderung erforderlich, um das unterschiedliche Verbraucherschutzniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten zu beseitigen.202 Inhaltliche Bestandteile der ersten von der Kommission vorgelegten Neukonzeption waren: eine Neudefinierung des Anwendungsbereichs der Richtlinie, die Einbeziehungen neuer Bestimmungen für Kreditgeber und Kreditvermittler, die Schaffung eines strukturierten Rahmens zur besseren Information der Krediteinrichtungen, Regelungen zur umfassenden Unterrichtung der Verbraucher wie auch etwaiger Sicherungsgeber, eine ausgewogenere Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibenden und eine Verbesserung der Modalitäten und Praktiken zur Handhabung von Zahlungsausfällen.203 Der Vorschlag stieß jedoch in der Bankenbranche und z.T. auch in den Mitgliedstaaten auf heftige Kritik.204 Auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat dazu ablehnend Stellung genommen; er bevorzugte den Erlass einer Mindestharmonisierungsrichtlinie;205 Gleiches gilt für das Europäische Parlament, das sich der Kritik angeschlossen hatte.206 Der von den beiden Gremien unterbrei198
AbzG v. 16.5.1894 (RGBl. S. 450). BGBl. I, 1993, S. 509. 200 KOM 2002, 443 endg. Siehe dazu die Stellungnahmen von Riesenhuber, ZBB 2003, 325 ff.; Franck, ZBB 2003, 334 ff.; Danco, WM 2003, 853 ff.; Hoffmann, BKR 2004, 308 ff. 201 Zur Auswertung vgl. Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 151; Welter, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 452 Rn. 2. 202 Green Book on Financial Services: Protecting Consumer Interests, COM (1996), 209. 203 Die Änderungen wurden besprochen von Kaiser, VuR 2002, 385 ff. 204 Vgl. dazu die bei Rott, WM 2008, 1104, 1105 wiedergegebenen Meinungen. 205 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 16./17.7.2003 (KOM (2002), 434 endg. – 2002/0222 (COD) – ABl.EG 2003 Nr. C 234/9: „Es wird daher empfohlen, eine Mindestklausel beizubehalten und durch eine genaue Definition der Bereiche zu ergänzen, in denen die Mitgliedstaaten eigene Maßnahmen für einen höheren Verbraucherschutz bei Verbraucherkrediten ergreifen können.“ 206 Vgl. den Zweiten Bericht über den Vorschlag für die Richtlinie des Europäischen 199
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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tete Vorschlag zur Beibehaltung der Mindestharmonisierung wurde allerdings von der Kommission im Jahr 2004 abgelehnt,207 eine Überarbeitung des ersten Entwurfes jedoch in Aussicht gestellt.208 Der geänderte Richtlinienvorschlag wurde schließlich im Oktober 2005 eingereicht.209 Nach einer Vorlage eines Gutachtens über die Folgenabschätzung210 hinsichtlich der befürchteten Absenkung des Verbraucherschutzniveaus bei Einführung des Vollharmonisierungsprinzips im April 2007 konnte Ende Mai 2007 im Rat die politische Einigung erzielt werden. Beschlossen wurde eine Vollharmonisierung211 „in den geregelten Bereichen“. Soweit die Richtlinie die Vorschriften als solche des „harmonisierten Bereiches“ ausweist (vgl. Art. 22 I), sollten sie nicht mehr die Möglichkeit bereithalten, dass der Mitgliedstaat i.S.d. Etablierung eines höheren Verbraucherschutzniveaus über die Festlegungen hinausgeht.212 Die endgültige Richtlinie (RL 2008/48/EG)213 wurde am 23.4.2008 verabschiedet. Ein entsprechendes Transformationsgesetz wurde vom Bundestag im Jahr 2009 erlassen.214 Durch dieses Gesetz wurde das deutsche Verbraucherkreditrecht (in Teilen aber auch das Recht des Verbraucherwiderrufes) mit Wirkung zum 10.6.2010 geändert. Art. 5 I der neuen Verbraucherkreditrichtlinie enthält eine lange Liste an Punkten, über die der Verbraucher als Kreditnehmer rechtzeitig vor Abschluss des Vertrages zu unterrichten ist, hierzu gehören u.a. die Laufzeit des Kredits, der Gesamtkreditbetrag und die Kosten, die bei Abschluss des Kreditvertrages entfallen. Dabei sieht die endgültige Fassung der Richtlinie nun auch vor, dass Kreditgeber ein in allen Mitgliedstaaten gleichlautendes Standardformular benutzen müssen, das der Richtlinie als Anlage beigefügt ist. Dieses soll zugunsten der
Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kredit an Verbraucher (KOM (2002), 443), Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, Berichterstatter: J. Wuermeling, A5–0224/2004 endg., S. 7. 207 Vgl. den geänderten Vorschlag v. 28.10.2004 für die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG, KOM (2004), 747 endg., S. 3 – 2002/0222 (CDO). 208 Vgl. dazu EuZW 2005, 706. 209 KOM (2005), 483 endg., vgl. dazu die Stellungnahmen von Bülow/Artz, WM 2005, 1153; Blaurock, FS Horn (2006), S. 697 ff.; Hoffmann, Die Reform der Verbraucherkreditrichtlinie (87/102/EWG) (2007); Rott, WM 2008, 1104 f. 210 Study of the problem of Consumer Indebtedness, Final Report (2001). 211 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 95; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 81. 212 Rott, WM 2008, 1104, 1105. 213 Vgl. dazu ABl.EU 2008 L 133/66 v. 22.5.2008. 214 RegE, BT-Drucks. 16/11643 v. 21.1.2009; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13669 v. 1.7.2009; BGBl. I 2009, S. 2355 v. 3.8.2009.
212
1. Teil: Grundlagen
Verbraucher die Kreditkonditionen vergleichbar machen und einen echten Binnenmarkt herstellen helfen. Die Frage ist allerdings, ob diese Reduzierung von Marktzugangshindernissen durch Harmonisierung wirklich erheblich sein wird. Empirische Studien legen eher das Gegenteil nahe, nämlich, dass der geringe Anteil an grenzüberschreitenden Krediten in erster Linie auf natürlichen (und damit nicht auf juristischen) Marktbarrieren beruht. Eine kritische Position wird insofern vor allem in zwei 130 Seiten umfassenden Untersuchungsberichten des britischen Beratungsunternehmens Oxera vertreten, die von Wirtschaftsverbänden in Auftrag gegeben wurden.215 Folgende Gesichtspunkte sind danach in erster Linie bei der Kreditvergabe relevant: Reputationsvor- bzw. -nachteile, natürliche Grenzen wie z.B. kulturelle Unterschiede, auf die sich Banken einzustellen haben, Verteilungskanäle, die sich zwischen Ländern unterscheiden, Schwierigkeiten, sich auf Unterschiede der Risikobewertung in einem fremden Land einzustellen sowie Rechtsdurchsetzungsfragen. Dieser empirische Background hätte es wohl gerechtfertigt, das Mindeststandardprinzip im Bereich des Verbraucherkreditrechts selbst in Anbetracht der gewollten Marktharmonisierung beizubehalten, die Kommission ist dem nicht gefolgt. Der darauf beruhenden Befürchtung, dass das Verbraucherschutzniveau in den harmonisierten Bereichen sinken kann, tritt die Kommission insoweit entgegen, als sie eine vorvertragliche Beratungspflicht bei der Kreditvergabe neu etabliert. Der Kreditgeber ist nun nämlich verpflichtet, „dem Verbraucher angemessene Erläuterungen zum angebotenen Kreditvertrag zu geben, (…) damit der Verbraucher in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob der Vertrag seinen Bedürfnissen und seiner finanziellen Situation gerecht wird“ (Art. 5 VI der RL).216 In gewisser Weise wird durch die neue Richtlinie auch die Beurteilung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers festgeschrieben. Im Hinblick darauf, dass es sowohl für den konkreten Verbraucher als auch für den Banken- und Finanzmarkt (d.h. makroökonomisch) sinnvoll ist, Kreditrisiken abzufragen und ernst zu nehmen, ist dieser neue Ansatz grundsätzlich zu begrüßen. Seine Bedeutung lässt sich anschaulich an der „Sub-Prime-Mortgage-Crisis“ in den USA verdeutlichen. Hier hatten US-amerikanische Banken in den letzten Jahren verstärkt auch solchen Verbrauchern Darlehen gewährt, die über keine adäquaten Sicherheiten verfügten. Als auf Grund steigender Zinssätze im Sommer 2007 immer mehr Kreditnehmer ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten, gerieten amerikanische Baufinanzierer in finanzielle Engpässe. Dies wirkte sich negativ auf die gesamte internationale Finanzwelt aus. Es ist deshalb durchaus 215 Oxera (Oxford Economic Research Association), Assessment of the Economic Impact of the Proposed EC Consumer Directive, Juni 2003 und Oxera, What is the Impact of the Proposed Consumer Credit Directive? April 2007, beides abrufbar unter http://www. oxera.com/. 216 Vgl. dazu Siems, EuZW 2008, 454, 458.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
213
vernünftig, eine Überhitzung des Kreditmarktes zu verhindern. Ein Baustein dazu können Kreditvergaberichtlinien sein, die europaweit gelten. Allerdings bleibt fraglich, ob die neue Verbraucherkreditrichtlinie in diesem Punkt wirklich effektiv ist. Der Hintergrund für diese kritische Fragestellung ist der Umstand, dass ursprünglich diskutiert worden war, den Kreditgeber auf den Grundsatz der sog. „verantwortungsvollen Kreditvergabe“ zu verpflichten. Der Kreditgeber sollte danach durch Aufklärungspflichten, in die die Prüfung der Kreditfähigkeit eingebunden und streng reglementiert war, in die Verantwortung dafür genommen werden, Verbraucher vor nachteiligen Verträgen und insbesondere vor drohender Überschuldung zu bewahren (Art. 4–7 des ursprünglichen Entwurfs). Dieser Ansatz ist im Laufe der Verhandlungen allerdings erheblich „modifiziert“ worden,217 und zwar in dem Sinn, dass er bis zur Bedeutungslosigkeit „entschärft“218 wurde. „Von ihm ist in der jetzige Richtlinie kaum etwas übrig geblieben.“219 Heute findet er sich lediglich in Form eines Bekenntnisses, gleichsam als „Selbstverpflichtung von Kreditgeber und Kreditvermittler“, in Anknüpfung an die ohnehin bestehende „gute Praxis“ in Art. 8 der Richtlinie statuiert.220 Favorisiert wurde damit letztendlich eine Lösung, die aus Sicht der Gemeinschaft dem Leitbild des mündigen Verbrauchers „besser gerecht“ wird. Dass dieses Leitbild freilich falsch ist, weil es sich von der Wirklichkeit entfernt, wurde bereits dargelegt.221 Auf Grund des Standard-Formulars soll der Verbraucher aber immerhin die Angebote verschiedener Kreditinstitute besser vergleichen können.222 Was aber letztendlich nach der standardisierten Anfrage den „kreditwürdigen Verbraucher“ kennzeichnen soll, d.h. wie konkret die Informationen zu bewerten sind, die der Kreditgeber abzuklären hat, wird auch nach dem zur Selbstverpflichtung der Banken abgeschwächten „responsible lending-Grundsatz“ nicht mitgeteilt.223 Das führt dazu, dass dieser Grundsatz nicht nur durch seine feh217 Gegen den ursprünglichen Entwurf hatte etwa das Bankinstitut der Ruhruniversität Bochum in seinem Gutachten zum Richtlinienvorschlag eingewandt, dass mit dieser überschuldungspräventiven Regelung der Zugang unterer Bevölkerungsschichten zum Kredit ausgeschlossen würde. Diesem Argument schloss sich auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme an. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hatte sich vor diesem Hintergrund zunächst sogar geweigert, sich überhaupt mit dem Entwurf zu befassen, um die Kommission zur Vorlage eines neuen Vorschlags zu zwingen. Das ist im Ergebnis am 7.10.2005 (KOM 2005, 483) auch geschehen, vgl. dazu Benedict, ZEuP 2008, 395, 398 f. 218 So ausdrücklich Rott, WM 2008, 1104, 1105; ähnlich auch Siems, EuZW 2008, 454, 456. 219 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 81; Siems, EuZW 2008, 454, 456. 220 Zum Ganzen siehe Benedict, ZEuP 2008, 395, 399. 221 Siehe dazu meine Ausführungen unter 1. Teil, 6. Kapitel, C. 222 Vgl. die Besprechung des Vorschlags der Richtlinie bei Metz, VuR 2007, 361, 362. 223 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 91.
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1. Teil: Grundlagen
lende Rechtsbindungskraft „besticht“, sondern auch auf Grund der offensichtlichen „Flucht in die Generalklausel“ auf Tatbestandsseite224 nicht effektiv umgesetzt wurde und daher keinen flächendeckenden überschuldungsvorbeugenden Verbraucherschutz sicherstellen kann. Aus Transparenzgründen ist es freilich anzuerkennen, dass zu den Informationen, die im Standardformular angegeben werden müssen, die Gesamtkosten des Kredits gehören. Unter zwei Voraussetzungen zählen dazu nun auch Versicherungsprämien: Ihre Höhe muss dem Kreditgeber bekannt sein;225 der Abschluss der Versicherung muss zwingende Voraussetzung dafür sein, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird (Art. 3 lit. g). Der effektive Jahreszins wird unter Berücksichtigung dieser Kosten berechnet (Art. 3 lit. i). Wird ein Kreditantrag wegen einer Datenbankabfrage abgelehnt, muss der Kreditgeber den Verbraucher nach den neuen Richtlinienvorgaben überdies unverzüglich und unentgeltlich über das Ergebnis dieser Abfrage und die Angaben der betreffenden Datenbank unterrichten (Art. 9). Auch dies ist neu. Ein Auskunftsanspruch, worauf sich die Angaben der Datenbank gründen, besteht allerdings nicht. Hervorzuheben ist weiter, dass § 492 I 1 BGB, wonach Verbraucherdarlehensverträge, sofern nicht eine strengere Form vorgeschrieben ist, schriftlich abgeschlossen werden müssen, auf Grund des Art. 10 I 3 der neuen Richtlinie erhalten bleiben kann. Dies war bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene sehr umstritten gewesen. In der neuen Verbraucherkreditrichtlinie ist überdies zugunsten des Verbrauchers ein europaweites Rücktrittsrecht von vierzehn Tagen (vgl. Art. 14 der Richtlinie) und eine Begrenzung der Vorfälligkeitsentschädigung (Art. 16 der Richtlinie) verankert worden. Das deutsche Recht ist jedenfalls im ersten Punkt den europäischen Vorgaben vorausgeeilt. So ergibt sich das vierzehntägige Widerrufsrecht des Kreditnehmers (Verbrauchers) bereits aus § 495 BGB. Eine Änderung ergibt sich in Deutschland für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung durch den Verbraucher, und zwar insoweit, als § 489 I Nr. 2 BGB a.F. (der ein Kündigungsrecht vorsieht) dahingehend umzuschreiben ist, dass in diesem Fall dem Kreditgeber ein (beschränktes) Recht auf Entschädigung zusteht.226 Voraussetzung ist nach der Neuregelung (Art. 16 I), dass die vorzeitige Rückzahlung in einen Zeitraum fällt, für den ein fester Sollzins vereinbart wurde. In diesem Fall richtet sich die Höhe der Entschädigung nach der Länge des Zeitraums zwischen der vorzeitigen Rückzahlung und dem Ablauf des Kreditvertrags. Überschreitet dieser Zeitraum ein Jahr, darf die Entschädigung bis zu 1 % des vorzeitig zurückgezahlten Kreditbetrags nicht überschreiten; ist der Zeitraum geringer als ein Jahr, liegt die Obergrenze bei 0,5 % (vgl. Art. 16 II–V). 224
Benedict, ZEuP 2008, 395, 399. Hierzu gibt es bereits Spekulationen im Hinblick auf mögliche Umgehungen durch die Banken, vgl. dazu Metz, VuR 2007, 361, 362. 226 Dazu Siems, EuZW 2008, 454, 456. 225
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
215
Für den deutschen Verbraucher ist bedauerlich, dass § 498 I Nr. 2 BGB a.F. nicht aufrechterhalten bleiben kann.227 Danach ist der Verbraucher zwar erst nach Ablauf von sechs Monaten nach Empfang der Darlehenssumme berechtigt, das Darlehen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zu kündigen. Eine Vorfälligkeitsentschädigung muss er jedoch nicht zahlen. Die neue Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG löst mit Wirkung zum 12.5.2010 die alte Richtlinie 87/102/EWG ab. Das Umsetzungsgesetz228 zeitigt ab dem 10.6.2010 Wirkungen. e. Die Richtlinie über Pauschalreisen Besonders regelungsbedürftig erschien der Kommission überdies das Pauschalreiserecht. Sie verabschiedete dazu im März 1988 einen Richtlinienvorschlag. 229 Dieser fußte auf dem im Mai 1986 vom Ministerrat angenommenen „Neuen Impuls“ der Verbraucherpolitik.230 Nach Forderungen bezüglich Änderungen bei den Informationspflichten und der Haftung des Reiseveranstalters/Vermittlers legte die Kommission eine überarbeitete Fassung vor,231 die schließlich in nochmals modifizierter Form Gegenstand des Ende 1989 formulierten Gemeinsamen Standpunktes wurde,232 der bereits der ein halbes Jahr später verabschiedeten Richtlinie entsprach. Die Pauschalreiserichtlinie (90/314/EWG)233 ist die erste Richtlinie, die auf der Grundlage von Art. 100a EGV, d.h. nach dem Mehrheitsprinzip erlassen wurde. Auf Grund der Regelungsdichte unterscheidet sie sich deutlich von den vorher erlassenen Richtlinien. Der Zweck der Richtlinie besteht nach der Begründung darin, den Reisekunden (der typischerweise aber nicht notwendig „Verbraucher“ ist) in die Lage zu versetzen, in allen Mitgliedstaaten Pauschalreisen zu vergleichbaren Bedingungen zu buchen und damit einen einheitlichen Mindestschutz zu gewähren. Über dieses verbraucherpolitische Ziel hinaus dient sie der Herstellung eines europäischen Binnenmarktes durch angeglichene Rechtsvorschriften (vgl. Art. 1 der Richtlinie).234 Der Begriff der Pauschalreise ist in Art. 2 der Richtlinie festgelegt worden, und zwar so, dass darunter „die im Voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei Dienstleistungen“ i.S.d. lit. a.) bis c.) (Beförderung, Unterbringung, touristische Dienstleistungen) zu verstehen ist. 227
So Metz, VuR 2007, 361, 362. Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie v. 29.7.2009, BGBL. I, 2009, S. 2355 v. 3.8.2009; zum RegE vgl. Böhm, BKR 2009, 221 ff.; Strohmeyer, ZBB 2009, 167 ff.; Lang/Kühn, WM 2009, 1310 ff. 229 ABl.EG 1988 Nr. C 96/5. 230 EG Bulletin Beilage 6/86. 231 ABl.EG 1989 Nr. C 190/10. 232 ABl.EG 1990 Nr. C 149/1. 233 ABl.EG 1990 Nr. L 158/59. 234 Tonner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 508 Rn. 1 ff. 228
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1. Teil: Grundlagen
Die Regelung sieht umfangreiche Informationspflichten für den Reiseveranstalter bzw. Vermittler vor (Art. 3 und 4 der Richtlinie). Die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrages regelt Art. 5 der Richtlinie. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Richtlinie dem Reisenden auch einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens gibt, der aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung resultiert.235 Ob er damit einen gemeinschaftsrechtlichen Schadensbegriff statuierte, der über den Anwendungsbereich der Pauschalreiserichtlinie hinausgeht, bleibt offen. Flankiert wird das Gewährleistungsrecht durch die Einrichtung eines Insolvenzsicherungssystems.236 Von zentraler Bedeutung in diesem Zusammenhang ist Art. 7 der Richtlinie, wonach der Veranstalter nachweisen muss, dass die Erstattung gezahlter Reisepreise und die Rückbeförderung im Fall der Insolvenz bzw. bei Zahlungsunfähigkeit sichergestellt ist. Auch die Pauschalreiserichtlinie fußt auf dem Grundsatz des Mindeststandardprinzips, das bedeutet, dass der nationale Gesetzgeber weitergehende verbraucherschützende Regelungen erlassen darf (vgl. dazu Art. 8 der Richtlinie). Die Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie in das deutsche Recht erfolgte 1994.237 Der Gesetzgeber fügte dazu Änderungen in die seit 1979 bestehenden §§ 651a ff. BGB ein und bemühte sich dabei, deren System, insbesondere die verschuldensunabhängige Gewährleistung (vgl. § 651c BGB), unangetastet zu lassen. Die zahlreichen Informationspflichten fanden Eingang in Art. 3 und 4 Reise-InfoVO.238 Kernstück der Umsetzung war die Insolvenzabsicherung, die in § 651k BGB Eingang fand. Erhebliche Probleme tauchten jedoch hinsichtlich der verzögerten Transformation auf. Nach Art. 9 der Richtlinie wäre eigentlich eine Umsetzung bis zum 31.12.1992 erforderlich gewesen. Noch vor der Normierung entsprechender Bestimmungen im deutschen Recht im Jahr 1994 kam es im Sommer 1993 zur Insolvenz eines Reiseveranstalters, der über keine Insolvenzabsicherung verfügte. Einige der Reisenden machten Schadensersatzansprüche aus Staatshaftung wegen verspäteter Umsetzung der Richtlinie gegen die Bundesrepublik Deutsch-
235
EuGH, Urt. v. 12.3.2002, Rs. C-168/00 – Leitner. Die spektakulären MP-Travel und Marlo Pleiten, auf Grund derer im Sommer 1993 mehrere tausend Urlauber in ihren Ferienorten „gestrandet“ sind, zeigten die praktische Notwendigkeit der Insolvenzsicherung in der Reisebranche. Da infolge der verspäteten Umsetzung der Richtlinie der (neu eingefügte) § 651k erst im Juli 1994 wirksam wurde, kam es zu Staatshaftungsprozessen einiger Reisender gegen die Bundesrepublik Deutschland, in deren Rahmen der EuGH die Haftung der Bundesrepublik wegen verspäteter Umsetzung mit recht eindeutigen Ausführungen bejahte, vgl. dazu EuGH, Urt. v. 8.10.1996, verb. Rs C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94, C-190/94 – Dillenkofer. 237 BGBl. I, 1994, 1322; einführend dazu Bartl, TransportR 1994, 409 ff.; Eckert, DB 1994, 1069 ff.; Führich, NJW 1994, 2446 ff.; Isermann, ZAP 1994, Fach 6, 229 ff. 238 BGBl. I, 1994, 3436. 236
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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land geltend.239 Auf Grund eines Vorabentscheidungsverfahrens befasste sich der EuGH mit der Angelegenheit, der in einem 1996 dazu ergangenen Urteil seine Rechtsprechung bekräftigte, wonach ein Mitgliedstaat seinen Bürgern hafte, wenn sie gemäß dem Gemeinschaftsrecht einen Anspruch hätten haben müssen, dieser aber wegen eines qualifizierten Verstoßes des Mitgliedstaates gegen das Gemeinschaftsrecht nicht besteht.240 Die Bundesrepublik Deutschland zahlte in der Folgezeit 11 Millionen DM an die Geschädigten.241 Der EuGH stellte in dem Judikat zudem klar, dass auch jede Anzahlung von der Insolvenzabsicherung umfasst sein muss, woraufhin der deutsche Gesetzgeber den § 651k änderte.242 Gleichwohl weiter bestehende Zweifel hinsichtlich der Gemeinschaftskonformität der Bestimmungen führten zur nochmaligen Nachbesserung durch das 2. Reiserechtsänderungsgesetz und schließlich auch zur Regelung der Gastschullandaufenthalte in § 651l BGB. Durch die Schuldrechtsreform wurden weitere Veränderungen vorgenommen,243 zudem die spezielle Reise-InfoVO in die BGB-InfoV eingefügt, wobei sich die einschlägigen Bestimmungen zu den Informationspflichten nun in den §§ 4–10 BGB-InfoV befinden.244 f. Die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 1993 wurde die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (93/13/EG)245 verabschiedet. Das deutsche Recht kannte zu diesem Zeitpunkt bereits gesetzliche Reglementierungen von AGB-Klauseln. Sie sind seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in den §§ 305 bis 310 BGB enthalten. Zuvor waren sie in den seit dem 1.4.1977 in Kraft befindlichen Regelungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) normiert gewesen. Die europäische Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen musste bis zum 31.12.1994 umgesetzt werden. Der deutsche Gesetzgeber hatte die Klausel-Richtlinie allerdings erst mit mehr als eineinhalbjähriger Verspätung, nämlich erst am 25.7.1996, ins deutsche Recht implementiert. Die Umsetzung erfolgte zunächst mittels einer Änderung des AGB-Gesetzes, das in seinem den internationalen Anwendungsbereich betreffenden § 12 geän239
LG Bonn, NJW 1994, 2489. EuGH, Urt. v. 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94, C-190/ 94 – Dillenkofer. Der EuGH bestätigte damit EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90 – Francovich. 241 Vgl. dazu Stöhr, NJW 1999, 1063 ff. 242 BGBl. I, 1996, S. 2090. 243 Die bisher halbjährige Verjährungsfrist wurde erweitert und auf zwei Jahre ausgedehnt (vgl. § 651g), gleichzeitig wurde die Möglichkeit geschaffen, sie durch AGB auf ein Jahr zu verkürzen (vgl. § 651m S. 2 BGB). 244 Vgl. die Neubekanntmachung v. 2.8.2002, BGBl. I 2002, 3002. 245 ABl.EG 1993 Nr. L 95/29 240
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1. Teil: Grundlagen
dert und i.Ü. durch den neu eingefügten § 24a betreffend Verbraucherverträge ergänzt worden war. Ferner wurde das AGB-Gesetz mit dem Hinweis versehen, dass es der Umsetzung der Klausel-Richtlinie diene. Im Zuge der Schuldrechtsreform ist dann das AGB-Gesetz unter weiteren Änderungen in das BGB überführt worden. Flankiert werden die in §§ 305 ff. BGB neu eingestellten materiell-rechtlichen Regelungen durch die Verfahrensvorschriften des Unterlassungsklagegesetzes (UKlaG).246 Seit der Integration der Richtlinienvorgaben in das deutsche Recht sind die Vorschriften zu den AGB richtlinienkonform auszulegen.247 Die Notwendigkeit einer europaweiten Initiative zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln war schon vom ersten Gemeinschaftsprogramm für eine Politik zum Schutz der Verbraucher bekräftigt worden, welches 1975 angenommen worden war.248 Am 14.2.1984 legte die Kommission dem Rat eine Mitteilung über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vor. Der erste Richtlinienvorschlag wurde am 27.7.1990 unterbreitet, 249 der nächste im März 1992 diskutiert.250 Die schließlich am 5.4.1993 erlassene Richtlinie findet ihren Ursprung in dem gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 22.9.1995.251 Grundlage der Richtlinie ist der frühere Art. 100a EGV, wonach der Rat Richtlinienkompetenz für die Herstellung des gemeinsamen Binnenmarktes hatte. Richtlinienkompetenz für den Verbraucherschutz besitzt der Rat erst auf Grund des durch den Vertrag von Maastricht zum 1.1.1993 in Kraft gesetzten § 129a EWG.252 Im Hinblick auf diese kompetenzrechtlichen Grundlagen diente die Richtlinie gemeinschaftsprimärrechtlich nicht dem Verbraucherschutz, sondern der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen253 durch unterschiedliche verbraucherschützende Vorschriften der nationalen Rechte der Mitgliedstaten.254 Die Richtlinie bezweckt eine teilweise Harmonisierung des Verbrauchervertragsrechts in-
246 Zum Unterlassungsklagegesetz vgl. Micklitz/Rott/Docekal/Kolba, Verbraucherschutz durch Unterlassungsklagen (2007). 247 Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 142 Rn. 1. 248 Entschließung des Rates v. 14.4.1975 – ABl.EG Nr. C 92/1 v. 24.4.1975. 249 ABl.EG Nr. C 243/2 v. 28.9.1990. 250 ABl.EG Nr. C 73/7 v. 24.3.1992. 251 ABl.EG Nr. C v. 25.1.1993. 252 Instruktiv zum gesetzgeberischen Hintergrund Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 149 Rn. 5 f. 253 In den der Richtlinie vorangestellten Erwägungen des Rates wird denn auch in erster Linie auf die zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über AGB bestehenden Unterschiede verwiesen, wodurch die einzelnen Märkte uneinheitlich seien, was wiederum zu Wettbewerbsverzerrungen, besonders bei der Vermarktung in anderen Mitgliedstaaten, führen könne. 254 Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 149 Rn. 6 f.
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nerhalb der Gemeinschaft255 und regelt vor allem die Inhaltskontrolle von „nicht im Einzelnen ausgehandelten“ Vertragsklauseln in Verbraucherverträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern (vgl. dazu Art. 3 II). Eine Vertragsklausel ist gemäß Art. 3 I der Richtlinie als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen den Geboten von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. Als Hinweis zur Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Klauseln werden im Anhang beispielhaft eine Reihe von Klauseln aufgelistet, die für missbräuchlich erklärt werden können, es aber nicht zwingend sein müssen (Art. 3 III).256 Steht die Missbräuchlichkeit der Klausel fest, ist diese unwirksam (Art. 6).257 Gerade die Sanktionsvorschrift in Art. 6 der Richtlinie macht die (nicht unproblematische) Verzahnung zwischen europäischen Vorgaben und nationalem Recht sichtbar. Solange die im Wirtschaftsleben häufig vorkommenden Vertragstypen in den Zivilrechten der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt sind, bleibt die mit der Klausel-Richtlinie erstrebte Rechtsvereinheitlichung notwendigerweise lückenhaft. Denn zwischen der Kontrolle missbräuchlicher Klauseln und dem ergänzenden materiellen Recht besteht eine enge Wechselwirkung. Dieses dient nämlich nicht nur dazu, Unzulänglichkeiten von Seiten des Vertragspartners zu beheben, sondern auch, die Lücken zu füllen, die sich nach Streichung von für missbräuchlich erklärten Klauseln ergeben. Die Forderung nach einer (weiteren) Angleichung des Privatrechts erhält deshalb auch durch die Klausel-Richtlinie gemeinschaftsrechtliches Gewicht.258 Um so weit als möglich jetzt schon Vereinheitlichung und Transparenz zu schaffen, hat die Kommission eine Datenbank für missbräuchliche Vertragsklauseln eingerichtet (so genannte CLABDatenbank 259). Damit soll die Anwendung der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen überwacht werden. Die Bedeutung der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen reicht heute über ihr unmittelbares Regelungsziel, der Harmonisierung des Binnenmarktes hinsichtlich der Wettbewerbsvoraussetzungen von 255
Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153
Rn. 30. 256 Trotzdem die Klauseln im Anhang nur eine beispielhafte Aufzählung enthalten, ergibt sich jedoch aus der Vorgeschichte der Richtlinie und der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urt. v. 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Océano Grupo), dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich auch an den Anhang gebunden sind. Da die Vorgaben des Anhangs sich nur teilweise in §§ 308, 309 BGB wiederfinden, müssen sie auch in der Anwendung von § 307 I, II BGB einfließen, vgl. dazu Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 9. 257 EuGH, Urt. v. 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Océano Grupo. 258 Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 152 Rn. 12. 259 http://europa.eu.int/clap.
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Anbietern, weit hinaus. Sie dient nämlich auch der Schaffung eines einheitlichen europäischen Mindeststandards im Verbraucherschutz260 und bildet – gerade wegen der Bedeutung der AGB – einen wichtigen Ausgangspunkt bei der Vereinheitlichung des Vertragsrechts. Der verbraucherschützende Ansatz ergibt sich bereits aus Art. 8 der Richtlinie, der verbraucherfreundlichere nationale Regelungen zulässt und damit das ursprünglich intendierte Vereinheitlichungsziel i.S.d. Mindestharmonisierung begrenzt.261 g. Die Timesharing-Richtlinie Mit der 1994 verfassten Timesharing-Richtlinie262 (94/47/EG)263 wurden – angestoßen von der Kommission – zum ersten Mal Mindestvorgaben für einen Vertragstyp vorgegeben, der vorher nur in wenigen Mitgliedstaaten gesetzlich geregelt war. Die Richtlinie fußt auf einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.10.1988.264 In ihrem zweiten Richtlinienvorschlag265 ging die Kommission auf zwischenzeitlich geäußerte Änderungsanregungen des Europäischen Parlaments266 sowie der Kritik aus dem Schrifttum267 ein. Am 26.10.1994 wurde die überarbeitete Timesharing-Richtlinie von Rat und Parlament verabschiedet. Zweck der Richtlinie ist es, eine minimale Grundlage an gemeinsamen Vorschriften auf dem Gebiet des Timesharing zu etablieren, die das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes und damit auch des Schutzes der Erwerber gewährleisten (vgl. Erwägungsgrund 2 der Richtlinie). Die Richtlinie steht vor diesem Hintergrund in der Tradition des Mindeststandardprinzips. Kompetenzrechtlich beruht sie auf Art. 100a EGV. Inhaltlich geht es bei der Timesharing-Richtlinie um den entgeltlichen Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an einer Wohnimmobilie268 (Art. 1, 2 der Richtlinie). Die Richtlinie sieht im Wesentlichen Informationspflichten für den Anbieter von „Timesharing-Anteilen“ vor, die insbesondere vor irreführenden oder unvollständigen Angaben schützen sollen (Art. 3 der Richtlinie).269 Zudem enthält sie ein Schriftformerfordernis (Art. 4 der Richtlinie) und ein befristetes Rücktrittsrecht zugunsten des Verbrauchers (Art. 5 der Richtlinie). In Deutsch260
Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 8. Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 154 Rn. 19 spricht sogar von „konterkarieren“. 262 Zum Ganzen siehe Kappus, EWS 1996, 273 ff. 263 ABl.EG 1994 Nr. L 280/83. 264 ABl.EG 1988 Nr. C 290/148. 265 ABl.EG 1993 Nr. C 299/8 ff. 266 ABl.EG 1993 Nr. C 176/95 ff. 267 Martinek, ZEuP 1994, 470, 490. 268 Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997). 269 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 33. 261
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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land wurde die Richtlinie knapp vier Monate vor Ablauf der Transformationsfrist durch das am 1.1.1997 in Kraft getretene „Gesetz über die Veräußerung von Teilzeitnutzungsrechten an Wohngebäuden“ (TzWrG) umgesetzt. Die Transformation der Fernabsatzrichtlinie durch das Fernabsatzgesetz vom 27.6.2000 sowie der Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen nahm der Gesetzgeber zum Anlass für eine Reform des Teilzeit-Wohnrechtegesetzes.270 Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung wurden die Bestimmungen des Teilzeit-Wohnrechtegesetzes zudem in das BGB integriert. Die entsprechenden Regelungen finden sich seither in den § 481 ff. BGB i.V.m. §§ 355 ff. BGB sowie in Art. 242 EGBGB. Im Rahmen der Überarbeitung des verbraucherrechtlichen Besitzstandes auf europäischer Ebene, der sukzessive voranschreitet, hatte die Kommission 2007 einen neuen Richtlinienvorschlag für den Rechtsbereich vorgelegt.271 Er fand mittlerweile Eingang in die neue Richtlinie zum Timesharing (RL 2008/122/EG),272 die am 14.1.2009 von der Gemeinschaft verabschiedet wurde. Das deutsche Umsetzungsgesetz datiert vom 17.1.2011.273 h. Die Richtlinie über Fernabsatzverträge Heute enthalten die §§ 312b bis d BGB sowie das EGBGB bestimmte Regelungen zu Fernabsatzverträgen. Sie postulieren ein Widerrufsrecht und gewisse Erfordernisse hinsichtlich der Verbraucherinformation. Die Fernabsatzrichtlinie von 1997 regelt schwerpunktmäßig Vertragsschlüsse zwischen beruflich Tätigen und Verbrauchern, die unter Einsatz einer „Fernkommunikationstechnik“ zustande kommen. Damit sind alle Kommunikationsmittel gemeint, die zum Vertragsschluss bei nicht gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien führen (vgl. Art. 2 der Richtlinie). Die Richtlinie betrifft etwa den Vertragsschluss per Brief, Katalog, Telefon, Telefax, E-Mail, Tele- oder Mediendienste. Die benannte Richtlinie erfasst damit alle Bereiche des Versandhandels sowie Verträge, die im Internet, per Telefax oder am Telefon geschlossen werden.274 Sie sieht zum Schutz des Verbrauchers, der mit seinem Vertragspartner zu keinem Zeitpunkt persönlich in Kontakt tritt und keine Möglichkeit hat, das Produkt näher zu betrachten, spezielle Informationspflichten für den Anbieter vor (vgl. Art. 3 der Richtlinie, umgesetzt in § 312c BGB), die teilweise schriftlich bestätigt werden müssen. Der 270 Neubekanntmachung des Teilzeitwohnrechtegesetzes v. 20.12.1996 (BGBl. I, 2154) in der v. 30.6.2000 bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung, BGBl. I, S. 957. 271 Hinsichtlich des neuen Richtlinienvorschlags der Kommission vgl. KOM (2007), 303. 272 RL 2008/122/EG v. 14.1.2009, ABl.EG Nr. L 33/10. 273 Gesetz zur Modernisierung der Regelungen über Teilzeit-Wohnrechteverträge, Verträge über langfristige Urlaubsprodukte sowie Vermittlungsverträge und Tauschsystemverträge v. 17.1.2011, BGBl. I 2011, S. 34 ff. 274 Grundlegend dazu: Pützhoven, Europäischer Verbraucherschutz im Fernabsatz (2001); Martinek, NJW 1998, 207 ff.
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1. Teil: Grundlagen
Verbraucher hat darüber hinaus auch in dieser Konstellation ein Widerrufsrecht (vgl. Art. 6 der Richtlinie, umgesetzt in § 312d BGB). Die Richtlinie enthält zudem Bestimmungen über die Zusendung unbestellter Waren und Dienstleistungen (Art. 9 der Richtlinie) sowie der Zahlung mittels einer Zahlungskarte (Art. 8 der Richtlinie), die in §§ 241a, 676h BGB Eingang fanden. Inhaltlich ist die Fernabsatzrichtlinie – anders als viele andere Richtlinien im Bereich des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes – vornehmlich auf die Vollharmonisierung des geregelten Bereiches gerichtet, sodass nur in den Gebieten, in denen es die Richtlinie ausdrücklich vorsieht (d.h. „ausnahmsweise“) strengere nationale Schutzbestimmungen zugunsten des Verbraucher erlassen werden können (vgl. Erwägungsgrund 13 der Richtlinie).275 Der Grundsatz der Mindestharmonisierung276 ist hier mithin in sein Gegenteil verkehrt worden. Die von der Richtlinie erfassten unterschiedlichen Problemfelder waren der Grund dafür, dass ihre Entwicklung auf Gemeinschaftsebene sehr inhomogen verlief. So findet sich beispielsweise das Ziel des Schutzes der Verbraucher bei Zusendung unbestellter Waren bereits im ersten Verbraucherschutzprogramm von 1975 verankert.277 Erst das zweite Verbraucherschutzprogramm von 1981278 griff dann jedoch die Verwendung neuer Technologien zum Fernabsatz als Problematik auf. Die Kommission richtete daraufhin ihr besonderes Augenmerk zunächst auf die Abfassung einer Teleshopping-Richtlinie.279 Sie untersuchte parallel dazu aber auch eine Regelung zum Distanzvertriebsverfahren in umfänglicher Form. Das bereitete schließlich den Weg für das Konzept einer Regelung für das gesamte Phänomen „Fernabsatz“.280 Im Jahr 1992 legte die Kommission erstmals einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie vor.281 Der Regelungsvorschlag enthielt, was besonders bemerkenswert ist (weil damit in gewisser Weise auch die mitgliedstaatliche Vertragsschlussdogmatik beeinflusst wird),282 Vorgaben zum Vertragsschluss dergestalt, dass die Einladung zum Vertragsschluss zwingend vom Gewerbetreibenden abgegeben werden musste, um unter den Bereich der Normen zu fallen.283 Nach langem Ringen der beteiligten Institutionen um Detailfragen wurde schließlich am 20. Mai 1997 der 275 Siehe dazu Schinkels, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 233 Rn. 13. 276 Zum Bestehen dieses Grundsatzes unter Berufung auf Art. 153 EGV vgl. Micklitz/ Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 34. 277 Vgl. ABl.EG 1975 Nr. C 92/7 ff. Rn. 24 iii 5. Spiegelstrich. 278 ABl.EG 1981 Nr. C 133/1 Rn. 33. 279 Zum Ziel der Teleshoppingrichtlinie siehe etwa v. Miert, EuZW 1990, 401, 405. 280 Vgl. zum Regelungshintergrund Schinkels, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 230 Rn. 5. 281 ABl.EG 1992 Nr. C 156/14 ff. 282 Schinkels, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 231 Rn. 6. 283 Dazu Micklitz, VuR 1993, 129, 138.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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Durchbruch erzielt und die Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz verabschiedet. Rekurrierte man für die Haustürwiderrufsrichtlinie kompetenzrechtlich noch auf Art. 100 EWGV, stützte man die Fernabsatzrichtlinie zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung bereits auf Art. 100a EGV a.F. Schon vor dem kompetenzrechtlichen Hintergrund wird deutlich, dass die Fernabsatzrichtlinie ebenfalls der Vollendung des Binnenmarktes diente. Hierauf deuten auch ihre Erwägungsgründe hin, die daneben aber auch betonen, dass mit der Richtlinie zugleich ein hohes Verbraucherschutzniveau in der Gemeinschaft sichergestellt werden soll (vgl. Art. 13 der Richtlinie). Es geht auch an dieser Stelle um die Gewährung des grenzüberschreitenden Handels über den Fernabsatzvertrieb, bei dem der Verbraucher nicht befürchten muss, in eine „terra incognita“ zu geraten. Die bereits mit der Haustürwiderrufsrichtlinie erprobten Kompensationsinstrumente (Widerrufsrecht und Informationspflicht) sollten daher auch hier zum Einsatz gelangen. Das weitere Regelungsziel, den Verbraucher vor Zahlungsansprüchen bei unbestellten Waren und Dienstleistungen zu schützen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 5), ist demgegenüber darauf gerichtet, eine besondere Vertriebsform ganz zu unterbinden. Der deutsche Gesetzgeber erließ zur Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie mit dem „Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung auf den Euro“ vom 27.6.2000284 ein sog. Artikelgesetz, das in wesentlichen Teilen am 30.6.2000 in Kraft getreten ist. Damit schuf er einerseits ein Verbrauchergesetz zum Fernabsatz außerhalb des BGB. Andererseits wurden aus Gründen der begrifflichen Geschlossenheit zentrale Definitionen für den Verbraucher und den Unternehmer sowie die Regelungen des Widerrufs- und des Rückgaberechts des Verbrauchers (§ 361a, b BGB a.F.) in das BGB eingefügt.285 Mit der Schuldrechtsmodernisierung hat der Gesetzgeber 2001 allerdings entschieden, die verbraucherrechtliche Sondergesetzgebung außerhalb des BGB nur noch ausnahmsweise aufrecht zu erhalten. Die Vorschriften über den Fernabsatz, die bis dato im Fernabsatzgesetz standen, wurden in diesem Zusammenhang in das BGB überführt und finden sich heute in den §§ 312b bis d BGB sowie (hinsichtlich der Informationspflichten) im EGBGB (früher in der BGB-InfoVO). Weitere Umsetzungen der Richtlinienvorgaben – namentlich die zu unbestellten Warenzusendungen und dem Verbraucherschutz bei Zahlungen mit Karten – wurden in den neu geschaffenen §§ 241a und § 676h BGB untergebracht.286 284 285
BGBl. I, 2000, S. 897 ff. Zum systematischen Ansatz des Fernabsatzgesetzes vgl. Tonner, BB 2000, 1413,
1414 ff. 286 Der in diesem zeitlichen Zusammenhang ebenfalls eingefügte § 661a BGB hat allerdings nichts mit einer europäischen Richtlinienvorgabe zu tun. Hier manifestiert sich originäres staatliches Verbraucherschutzrecht.
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1. Teil: Grundlagen
i. Die Richtlinie über Unterlassungsklagen Die Gemeinschaft war jedoch auch auf zivilprozessualem Gebiet zugunsten des Verbraucherschutzes tätig (und ist es noch heute287). Das deutsche Unterlassungsklagengesetz verdankt seine Entstehung der Schuldrechtsreform und der damit verbundenen Einführung der materiell-rechtlichen Teile des AGBGesetzes in das BGB. Die auf diese Weise „heimatlos“ gewordenen Vorschriften des AGB-Gesetzes hat der Gesetzgeber in einem neuen Verfahrensgesetz, dem sog. Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) zusammengefasst.288 Die heute im UKlaG stehenden Bestimmungen beruhen ihrerseits auf der Umsetzung der europäischen Unterlassungsklagen-Richtlinie.289 Die 1998 verabschiedete – auf Art. 100a EGV gestützte – Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen (98/27/EG)290 stellt die erste zivilprozessuale Richtlinie dar. Ziel der Regelung ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Unterlassungsklagen zum Schutz von Kollektivinteressen der Verbraucher. Mit ihrer Hilfe soll die grenzüberschreitende Durchsetzung von Verbraucherinteressen auf der Grundlage von Unterlassungsklagen erleichtert werden. Dies gestaltete sich bislang im Hinblick auf § 13 AGB-Gesetz oder § 13 UWG a.F. als äußerst schwierig.291 Inhaltlich geht es um die Rechtsdurchsetzung von Verbraucherschutzorganisationen oder öffentlichen Stellen, die für den Schutz von Kollektivinteressen zuständig sind. Art. 3 der Richtlinie definiert insoweit die klagebefugten Einrichtungen. Die Richtlinie ordnet an, dass „qualifizierten Einrichtungen“ die Möglichkeit eröffnet wird, „zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher“ in anderen Mitgliedstaaten Unterlassungsklage wegen Verstoßes gegen die im Anhang der Richtlinie aufgeführten Richtlinien zu erheben. Hinter dem Begriff der „qualifizierten Einrichtung“ stehen zwei unterschiedliche Rechtsschutzkonzepte, die durch die Zusammenfassung unter einem einheitlichen Oberbegriff rechtlich für gleichwertig erklärt werden. Den Mitgliedstaaten ist es freigestellt, sich nur für eine oder auch für beide Möglichkeiten gleichzeitig zu entscheiden (vgl. Erwägungsgrund 10). Die erste Art des Rechts287 Vgl. dazu das Grünbuch über die kollektive Durchsetzung von Verbraucherangelegenheiten, KOM (2008), 794 endg. 288 Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BTDrucks. 14/6040, S. 274. 289 Vgl. dazu die Richtlinie 98/27/EG v. 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl.EG Nr. L 166/51). Darüber hinaus sind die Bestimmungen aber auch zurückzuführen auf die Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG v. 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, vgl. dazu Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1054 Rn. 18. 290 ABl.EG 1998 Nr. L 166/51. 291 Zur Problematik der Verbandsklage und dem neuen Vorschlag der Sammelklage vgl. die Darstellung im 2. Teil, 1. Kapitel B IV 2.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
225
schutzes ist die Klage von Verbänden („Organisationen“), deren Zweck auf den Verbraucherschutz gerichtet ist (Art. 3 lit. b). Darüber hinaus bietet die Richtlinie als zweite Art des Rechtsschutzes den Mitgliedstaaten die Option, speziell für den Verbraucherschutz zuständige Stellen mit den in der Richtlinie vorgesehenen Handlungsbefugnissen zu betrauen. Art. 7 der Richtlinie statuiert die Befugnis der Mitgliedstaaten, weitergehende Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers zu erlassen und unterstellt die Richtlinie damit dem Mindeststandardprinzip.292 j. Die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf und Garantien293 Neben den oben genannten Regelungsfeldern haben auch Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Kaufrechts auf dem Gebiet der Gemeinschaft eine lange Tradition.294 Einen ersten Anlauf zur EU-weiten Regelung des Kaufrechts unternahm die Kommission allerdings erst am 15.11.1993, als sie einen entsprechenden Grünbuchvorschlag295 präsentierte. Nach Stellungnahmen des Europäischen Parlaments296 und des Wirtschafts- und Sozialausschusses297 erarbeitete sie daraufhin 1996 einen ersten Vorschlag für eine „Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien“.298 Dieser wurde verändert und war im September 1998 Grundlage des Gemeinsamen Standpunktes.299 Die danach fertig gestellte Richtlinie über Verbrauchsgüterkäufe und -garantien (1999/44/ EG) wurde am 25.5.1999 verabschiedet300 und trat am 7.7.1999 in Kraft. Bis zum 292 Umfassend mit Länderberichten zur Umsetzung der Richtlinie Micklitz/Rott/Docekal/Kolba, Verbraucherschutz durch Unterlassungsklagen (2007). 293 Umfassend dazu Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechtsrichtline (2002). 294 Ernst Rabels arbeitete beispielsweise 1928 einen Entwurf für ein einheitliches Recht bei grenzüberschreitenden Warenkäufen aus (vgl. Rabels, Das Recht des Warenkaufs, 1928). Dieses wurde Grundlage für ein länderübergreifendes Regelwerk in Form des Haager Kaufrechtsübereinkommens v. 1.7.1964. In seiner Bedeutung wurde es jedoch vom Wiener UNKaufrechtsabkommen v. 11.8.1980 (CISG) beträchtlich geschmälert. Der Erfolg des CISG ist enorm. Es gilt jedoch nicht in allen Mitgliedstaaten der EU (so etwa nicht in Großbritannien, Irland und Portugal). Hinzu kommt, dass das CISG Warenkäufe zum persönlichen Gebrauch nicht umfasst. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich das Bedürfnis nach einer EU-weiten Regelung im Bereich des Kaufrechts, die auch die Kaufverträge privater Endabnehmer (namentlich der Verbraucher) umfasst. 295 Sog. „Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienste“, KOM (1993), 509 endg; vgl. dazu Horak, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgüterkauf und Kundendienst, in: Schermeier (Hrsg.), Reform des Gewährleistungsrechts – europäische Rechtsangleichung (1998), S. 225 ff. 296 ABl.EG 1994 Nr. C 205/562. 297 ABl.EG 1994 Nr. C 295/14. 298 KOM (1995), 520 endg., ABl.EG 1996 Nr. C 307/8 = ZIP 1996, 1845; vgl. dazu Amtenbrink/Schneider, VuR 1996, 367; Kircher, ZRP 1997, 290; Micklitz, EuZW 1997, 229 ff.; Schlechtriem, JZ 1997, 441. 299 ABl.EG 1998 Nr. C 333/46; ABl.EG 1999 Nr. C 98/226; vgl. Schmidt-Räntsch, ZIP 1998, 849. 300 ABl.EG 1999 Nr. L 171/12.
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1. Teil: Grundlagen
1.1.2002 musste sie von den Mitgliedstaaten der EU in nationales Recht umgesetzt werden (Art. 11 I der Richtlinie). Die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf regelt seit ihrem Erlass alle Kaufverträge zwischen Verbrauchern als Käufer und Unternehmern als Verkäufer, die Verbrauchsgüter betreffen. Unter solchen Gütern versteht man alle beweglichen körperlichen Gegenstände (vgl. Art. 1 II lit. b der Richtlinie). Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung des Kaufrechts für das Wirtschaftsleben wird die Verabschiedung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie als ein besonders wichtiger Baustein hinsichtlich der Schaffung eines einheitlichen Europäischen Schuldvertragsrechts angesehen.301 Ziel der auf Art. 95 EGV302 gestützten Richtlinie ist sowohl die Verbesserung des Binnenmarktes als auch die Erhöhung des in der Gemeinschaft bestehenden Verbraucherschutzniveaus (vgl. Erwägungsgrund 1 und 2 der Richtlinie). Durch die Neuregelung, die EU-weit Mindeststandards (vgl. Art. 1 I, 8 II der Richtlinie) bei Verbrauchsgüterkaufverträgen einführt, soll es den Verbrauchern ermöglicht werden, Waren im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates frei und ohne Sorge um die rechtlichen Begleitfragen einzukaufen. Eine Rechtsangleichung war nach Ansicht der Kommission im Bereich des Kaufrechts dringend erforderlich, da die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verkauf von Verbrauchsgütern bislang äußerst uneinheitlich waren (Erwägungsgrund 3 der Richtlinie). Die Ausrichtung auf die Mindestharmonisierung macht es möglich, dass weitergehende mitgliedstaatliche Regelungen, die dem Verbraucherschutz dienen, zulässig sind, sofern sie im Einklang mit dem sonstigen Primärrecht stehen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist in persönlicher Hinsicht auf Geschäfte zwischen Verbrauchern und Unternehmern beschränkt (Art. 1 II lit. a der Richtlinie). Es handelt sich daher um Verbraucherschutzrecht im engeren Sinne. Der bedeutendste Regelungskomplex303 der Richtlinie beschäftigt sich mit der Haftung für die „Vertragswidrigkeit“ des gekauften Gutes. Wichtig ist insofern, dass Art. 2 der Richtlinie einen weiten Mangelbegriff festlegt (vgl. dazu § 434 BGB) und Art. 3 ein abgestuftes Rechtsfolgensystem statuiert, dem heute das in § 437 BGB verankerte deutsche Gewährleistungsrecht korrespondiert. Allerdings werden die Rechte des Verbrauchers durch die Aufnahme einer Ausschlussfrist von zwei Jahren in Art. 5 I zeitlich limitiert (vgl. dazu § 438 I Nr. 3 BGB), wobei das Vorliegen eines Mangels beim Gefahrübergang gemäß Art. 5 III der Richtlinie vermutet wird, wenn sich der Mangel innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach 301 Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 351 Rn. 8; Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie: Kommentar (2002), Einl. Rn. 20. 302 Kritisch zur kompetenzrechtlichen Grundlage Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 352 Rn. 9. 303 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 32: „Kernpunkt“.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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Übergabe zeigt (vgl. § 476 BGB). Insofern wurde zugunsten des Verbrauchers, der ein Verbrauchsgut von einem Unternehmer kauft, eine zeitlich befristete Beweislastumkehr verankert. Beim Verkauf gebrauchter Güter ist jedoch weiter zu beachten, dass nach § 7 II der Richtlinie eine vertragliche Verkürzung der Frist für die Geltendmachung des Mangels zugelassen ist (siehe dazu § 475 II BGB). Art. 4 der Richtlinie (§ 478 BGB) befasst sich sodann mit dem Rückgriffsrecht des Letztverkäufers, das es ihm ermöglichen soll, immer dann, wenn er dem Verbraucher auf Grund einer Vertragswidrigkeit haftet, den oder die Letztverantwortlichen innerhalb der Lieferkette in Anspruch zu nehmen. Die Vorschriften der Richtlinie sind gemäß Art. 7 I 1 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie halbzwingend ausgestaltet, und zwar insofern, als sie nicht zum Nachteil des Verbrauchers abbedungen werden können (vgl. § 475 I BGB). Ein weiterer wichtiger Regelungskomplex der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie befasst sich mit Vorgaben zu Garantieerklärungen des Verkäufers bzw. Herstellers. Da es bei bestimmten Waren heute gängig ist, dass der Verkäufer oder der Hersteller Einstandspflichten in zeitlich befristeter Form „garantiert“, falls sich der Mangel innerhalb einer bestimmten Zeit nach Übergabe zeigt, sah die Kommission auch hier entsprechenden Regelungsbedarf. So wurde in Art. 6 I der Richtlinie zunächst festgelegt, dass der Garantiegeber an die von ihm abgegebene Garantieerklärung (einschließlich der Werbung) gebunden ist. Die abgegebene Erklärung muss zudem „einfach und verständlich“ formuliert sein sowie gewisse Informationen enthalten (Art. 6 II der Richtlinie, vgl. § 477 BGB). Weitere Regelungen zur Garantie wurden in Art. 6 III-V aufgenommen. Die große Aufmerksamkeit,304 die die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie gerade in Deutschland auf sich zog, hatte zum einen etwas damit zu tun, dass sie in Kernbereiche des Schuldrechts eingriff,305 zum anderen aber auch damit, dass sie im Verbund mit zwei anderen Richtlinien (der Zahlungsverzugsrichtlinie und der ECommerce-Richtlinie) zum Anlass der Schuldrechtsmodernisierung genommen wurde,306 wenngleich auf Grund der begrenzten Reichweite der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch die Möglichkeit bestanden hätte, nur eine „kleine Lösung“307 304 Ackermann, JZ 2002, 378 ff.; Bereska, ZGS 2002, 59 ff.; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2119 ff.; Dauner-Lieb, JZ 2001, 1 ff.; Ehmann/Rust, JZ 1999, 853; Hänlein, DB 1999, 1641; Hoffmann, ZRP 2001, 347 ff.; Hübner, EuZW 1999, 481 ff.; Lehmann, JZ 2000, 280 ff.; Reich, NJW 1999, 2397. 305 Micklitz, EuZW 1999, 485; Huber, FS Henrich (2000), S., 297 ff.; ders., NJW 2002, 1004. 306 Doehner, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (2004); Börner, ZIP 2001, 2264 ff.; Brüggemeier, WM 2002, 1376 ff.; Lehmann, JZ 2000, 280 ff. 307 Andere Mitgliedstaaten haben bestehende Regelungen zum Verbraucherkauf schlicht ergänzt (so die skandinavischen Länder, die Niederlande und das Vereinigte Königreich) oder entsprechende Regelungen als Sondergesetze neben der zentralen Zivilrechtskodifikation eingeführt (so etwa Österreich, Italien, Belgien, Portugal).
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1. Teil: Grundlagen
zu suchen.308 Der ausschlaggebende Grund für die Inangriffnahme einer „großen Lösung“ in Form der Überarbeitung des gesamten Schuldrechts war die Forderung nach der Erhaltung der Systemkohärenz.309 Im Zuge der Einarbeitung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in eine überarbeitete Gesamtrechtskodifikation wurde der Großteil der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in das allgemeine Kaufrecht übernommen, das für sämtliche Kaufverträge gilt (vgl. §§ 433 ff. BGB). Ein anderer Teil wurde als „Anhang“ zu den allgemeinen Regelungen in die §§ 474–479 BGB eingefügt, die nur das B2C-Geschäft betreffen. k. Die Richtlinie über die elektronische Signatur und die E-Commerce-Richtlinie Auch im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs sind deutsches und europäisches Recht seit jeher eng miteinander verwoben.310 So hatte Deutschland schon im Jahr 1997 (im Vergleich mit anderen Ländern also sehr früh), mit dem Signatur-311 und dem Teledienstegesetz Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen und für das Angebot von sog. Telediensten im Internet bereitgestellt. Ungefähr zeitgleich legte die Kommission eine europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr“312 vor. Aus ihr sind zwei für das Zivilrecht einschlägige Richtlinien hervorgegangen: Es handelt sich zum einen um die Signaturrichtlinie313 und zum anderen um die E-Commerce-Richtlinie314. Die Signaturrichtlinie legt einen europäischen Rechtsrahmen für elektronische Unterschriften fest. Dieser Rahmen sollte die Verwendung elektronischer Signaturverfahren im Bereich der Gemeinschaft sicherstellen und zugleich erleichtern. Das Vertrauen in diese Form der Besiegelung des Vertragsschlusses musste gefördert werden, um den technologischen Fortschritt in dem Bereich wirkungsvoll für den Binnenmarkt einsetzen zu können (vgl. Erwägungsgrund 4 der Richtlinie). Außerdem hatte die Richtlinie die gegenseitige Anerkennung der elektronischen Signatur sicherzustellen, womit nicht kompatible Einzelregelungen zu unterbinden waren (Art. 1 I, Erwägungsgrund 5 der Richtlinie). Die grundsätzliche Anerkennung der elektronischen Signatur und ihre Gleichstellung mit der handschriftlichen Unterschrift sollte jedoch nicht dazu dienen, Einfluss auf die Reichweite der Formvorschriften der Mitgliedstaaten zu nehmen (Art. 1 II, Erwägungsgrund 21). Die einschlägigen Richtlinienvorgaben sind da308
Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 ff.; dies., ZIP 2001, 1389 ff. Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 357, Rn. 27; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 33. 310 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 264 Rn. 1. 311 Gesetz v. 1.8.1997, BGBl. 1997 I, 1870. 312 KOM (1997), 157 endg. v. 16. 4.1997. 313 Richtlinie 1999/93/EG v. 13.121999, ABl.EG Nr. L 13/12 v. 19.1.2000. 314 Richtlinie 2000/31/EG v. 8.6.2000, ABl.EG Nr. L 178 v. 17.7.2000. 309
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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mit nicht darauf gerichtet festzulegen, in welchen Fällen elektronische Signaturen im Einzelnen eingesetzt werden können und welche konkreten Rechtsfolgen die Verwendung einer elektronischen Signatur hat. 315 Inhaltlich gibt die Signaturrichtlinie drei Sicherheitsstufen für die elektronische Signatur vor. Die unterste Kategorie bildet die so genannte einfache elektronische Signatur. Diese besteht schlicht aus Daten, die die Zuordnung des elektronischen Dokuments zu einem bestimmten Absender (Authentifikation) ermöglichen (vgl. Art. 2 I der Richtlinie). Hier findet auch die eingescannte handschriftliche Unterschrift in einer Textverarbeitungsdatei Anwendung.316 Einen Schritt weiter geht die so genannte fortgeschrittene elektronische Signatur. Sie bezieht sich auf die Situation, dass die Signatur ausschließlich einem einzigen Verwender, der die Mittel zu ihrer Erstellung kontrolliert, zugeordnet werden kann, die Identität des Verwenders offen gelegt wird und sicher gestellt ist, dass eine nachträgliche Veränderung im signierten elektronischen Dokument erkennbar ist (Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie).317 Davon zu trennen ist die so genannte qualifizierte elektronische Signatur. Dadurch, dass die Richtlinie bestimmte Sicherheitsstandards für die Erstellung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur festlegt, ist mit dieser Form der elektronischen Signatur die letzte Sicherheitsstufe erreicht (so genanntes qualifiziertes Zertifikat, vgl. Art. 2 Nr. 10, 11 der Richtlinie i.V.m. Anhang I und II). Die Signaturrichtlinie war von den Mitgliedstaaten bis zum 19.7.2001 umzusetzen gewesen (Art. 13 I der Richtlinie). In Deutschland erfolgte die Transformation mit dem „Gesetz über die Rahmenbedingungen für die elektronische Signatur und zur Änderung weiterer Vorschriften“, wodurch das Signaturgesetz von 1997 neu gefasst wurde.318 Das Signaturgesetz regelt heute, ergänzt durch die so genannte Signaturverordnung,319 die technischen und organisatorischen Anforderungen an elektronische Signaturen sowie die Vorgaben für die Zertifizierungsdiensteanbieter. Die Anerkennung der elektronischen Signatur im Zivilrecht als der Unterschrift gleichgestelltes Beweismittel bestimmt das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr.320 Neu eingeführt wurde insoweit die Definition der elektronischen Signatur in § 126a BGB und deren Gleichstellung mit der Schriftform in § 126 III BGB. Zudem wurde die ZPO um einen Anscheinsbeweis für die Echtheit der elektronischen Signatur (vgl. § 292a ZPO) er315 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 286 Rn. 8 ff. 316 Haubold, ebenda. 317 Siehe hierzu Roßnagel, NJW 2001, 1817 ff. 318 Dazu Geis, MMR 2000, 667 ff.; Redeker, CR 2000, 455; Roßnagel, NJW 2001, 1817 ff. 319 Verordnung zur elektronischen Signatur v. 16.11.2001, BGBl. I, 2001, 3074. 320 Gesetz v. 13.7.2001, BGBl. 2001 I, 1542; vgl. dazu Roßnagel, NJW 2001, 1817, 1825 f.; Müglich, MMR 2000, 7 ff.
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1. Teil: Grundlagen
gänzt und die Klarstellung vorgenommen, dass elektronische Dokumente dem Augenscheinsbeweis unterliegen (§ 371 S. 2 ZPO). Die bedeutendere der beiden eingangs genannten Richtlinien ist allerdings die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vom 8.6.2000 (2000/31/ EG).321 Denn elektronische Signaturen sind bislang in der zivilrechtlichen Praxis nur sehr begrenzt zum Einsatz gekommen.322 Das Internet und damit auch der Handel über dieses Medium hat sich bereits seit Mitte der 1990er Jahre stark ausgebreitet. Wie die meisten Wirtschaftsteilnehmer erkannte daher auch die Kommission sehr bald, dass hier Handlungsbedarf besteht, denn die großen Chancen der geschäftlichen Nutzung dieses Bereichs mussten mit den Risiken für die Verbraucher und ihr Interesse an einer geregelten Handhabung abgeglichen werden. In diesem Sinne sollten die mitgliedstaatlichen Regelungen über den elektronischen Geschäftsverkehr harmonisiert werden. Hinsichtlich des dargetanen Handlungsfeldes legte die Kommission in einer ersten Mitteilung von 1996 zunächst den Rahmen für die Einbindung der relevanten Interessengruppen in einem Rechtssetzungsprojekt zum elektronischen Geschäftsverkehr fest.323 Daran schloss sich die „Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr“324 an und sodann ein daraus entwickelter 1998 vorgestellter Richtlinienentwurf.325 Dieser mündete wiederum in dem Gemeinsamen Standpunkt326 aus dem Jahr 2000, der auch die Zustimmung der Kommission und des Parlamentes fand und der jetzigen Fassung der Richtlinie entspricht.327 Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, dass die E-CommerceRichtlinie eine derjenigen Regelungen ist, die nicht ausschließlich dem Schutz von Verbrauchern dient. Sie reglementiert nämlich alle rechtlich relevanten Erklärungen auf elektronischem Wege – egal, wer die Erklärenden sind. Die Richtlinie soll ebenso wie die vielen anderen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakte im Bereich des Zivilrechts einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt (Art. 1 I der Richtlinie).328 Der Begriff der Dienste der Informationsgesellschaft fasst die Sachverhalte zusammen, deren Regelung die Richtlinie anstrebt: nämlich Dienstleis321
ABl.EG 2000 Nr. L 178/1. Zu diesem Befund Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 288 Rn. 16. 323 KOM (1996), 392 endg. 324 KOM (1997), 157 endg. 325 KOM (1998), 586 endg., ABl.EG Nr. C 30/4 v. 5.2.1999. 326 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 22/2000 vom Rat festgelegt am 28.2.2000, ABl. EG Nr. C 128/32 v. 8.5.2000. 327 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 289 Rn. 18. 328 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 31. 322
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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tungen, die auf Distanz durch elektronische Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung hin in der Regel gegen Entgelt erbracht werden (Art. 2 lit. A i.V.m. Art. 1 der Richtlinie). Die Regelung verfolgt inhaltlich einen Querschnittsansatz, indem sie alle Stadien des elektronisch abgewickelten Geschäfts erfassen soll. Ausgeklammert bleibt nur die Vertragserfüllung, soweit sie nicht ausnahmsweise selbst wieder auf elektronischem Weg erfolgt. Im Unterschied zu anderen Richtlinien rückt die E-Commerce-Richtlinie in weiten Teilen vom Mindeststandardprinzip ab. Abgesehen vom Inhalt der Informationspflichten in Art. 5, 6 und 10 der Richtlinie sowie von der Regelung zur Werbung (Art. 7 der Richtlinie) bilden ihre Regelungsvorgaben innerhalb ihres Anwendungsbereiches einen abschließenden Rahmen für die Rechtssetzung der Mitgliedstaaten.329 Kernregelung der E-Commerce-Richtlinie ist zudem das so genannte Herkunftslandprinzip330 (Art. 3 der Richtlinie), das in § 4 TDG umgesetzt wurde.331 Das Herkunftslandprinzip umfasst einmal den Aspekt des Regelungsmaßstabes, zum anderen den der Überwachung der Einhaltung des mitgliedstaatlich bestimmten Schutzlevels.332 In ersterer Hinsicht ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Online-Diensten alleine die Rechtsordnung des Landes maßgeblich, in dem der Dienstanbieter seine Niederlassung hat.333 Der Ort der Niederlassung ist danach zu beurteilen, wo der Dienstanbieter den Schwerpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit von einer festen Einrichtung aus auf unbestimmte Zeit ausübt.334 Der Mitgliedstaat ist aber zum anderen auch verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben durch die auf dem eigenen Territorium niedergelassenen Diensteanbieter zu überwachen. Um die genaue sachliche Reichweite des Herkunftslandprinzips zu ermitteln, müssen die Regelungen zum Anwendungsbereich der Richtlinie in Art. 1 IV, V, die Defini329
Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 290 Rn. 21. 330 Soweit eine Vollharmonisierung noch nicht möglich ist, versucht die Kommission die Verwirklichung des Binnenmarktes durch die Einführung des Herkunftslandprinzips zu fördern (so Köhler, in: Baumbach/Hefermehl [Hrsg.], UWG [23. Aufl., 2004], Einl. Rn. 3.40.). Rechtspolitisch ist die Einführung des Herkunftslandprinzips sehr umstritten, vgl. dazu Bodewig, GRUR Int. 2000, 475 ff.; Fezer/Koos, IPRax 2000, 349 ff.; Groeschke/ Kiethe, WRP 2001, 230 ff.; Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 886; Schricker/HenningBodewig, WRP 2001, 1367, 1370. Das Herkunftslandprinzip findet sich erstmals in der Fernabsatzrichtlinie (Art. 2, 2a, 3) und wurde sodann in der Richtlinie über elektronischen Geschäftsverkehr verankert (Art. 3). 331 Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Einl. Rn. 3.46; Sack, WRP 2002, 271 ff.; Spindler, RIW 2002, 183 ff. 332 Grundlegend Drasch, Das Herkunftslandprinzip im interntionalen Privatrecht (1997). 333 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 290 Rn. 22; Köhler, in: Baumbach/Hefermehl, ebenda; Berg, in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 31. 334 Instruktiv dazu ist der Erwägungsgrund 19 der Richtlinie.
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1. Teil: Grundlagen
tion des koordinierten Bereichs in Art. 2 lit. h und die im Anhang aufgeführten Ausnahmen zum Herkunftslandprinzip berücksichtigt werden. Der Umgang mit dem Herkunftslandprinzip gestaltet sich jedoch nicht einfach. Bereits im Rechtssetzungsverfahren wurde an seiner Verankerung Kritik mit dem (zutreffenden) Hinweis geübt, dass es ohne eine weit reichende materiell-rechtliche Harmonisierung dazu kommt, dass sich die jeweils laxesten nationalen Vorschrift durchsetzen werden und somit ein „race to the bottom“ ansteht.335 Denn die Unternehmen, die ihren Sitz in einem Staat mit strengeren wettbewerbsrechtlichen Anforderungen einrichten, werden dadurch gegenüber solchen Unternehmen benachteiligt, die ihren Sitz in einem Staat mit geringeren wettbewerbsrechtlichen Anforderungen haben. Diese Ungleichbehandlung begünstigt das Abwandern von Unternehmen aus Mitgliedstaaten mit hohem Protektionslevel, bei denen dann ein politischer Druck aufkommt, ihr Schutzniveau zu senken. Außerdem, so wird vorgebracht, sei das Verhältnis des Herkunftslandprinzips zum Internationalen Privatrecht unklar.336 Abgesehen von diesen Problemen, auf die hier später noch etwas vertiefter eingegangen werden soll,337 liegt der Schwerpunkt der materiellen Regelung der ECommerce-Richtlinie auf der Postulierung von Informationspflichten für Anbieter im Internet.338 Hinsichtlich seiner Verantwortlichkeit ist in Kapitel II Abschnitt 4 der Richtlinie ein abgestuftes Haftungssystem vorgesehen. Danach wird der Umfang der Haftung von Diensteanbietern – was interessengerecht ist – von dem Grad ihrer Einflussnahme auf die übermittelte Information abhängig gemacht.339 Die Richtlinie sieht hier keine besonderen Haftungstatbestände vor, sondern schließt unter bestimmten Voraussetzungen die Einstandspflicht der Vermittler vollständig aus. Vermittler, die lediglich die technische Infrastruktur für die elektronische Kommunikation zur Verfügung stellen und Daten nur durchleiten (Routing, Art. 12 der Richtlinie) oder zwischenspeichern oder zur Beschleunigung von Übertragungsvorgängen längerfristig speichern (Catching, Art. 13 der Richtlinie), haften in der Regel überhaupt nicht für Rechtsverstöße, die sich aus dem Inhalt von übertragenen Daten ergeben. Dienstleister, die Daten im Auftrag von Nutzern speichern (Hosting, Art. 14 der Richtlinie), was Betreiber von Internetforen und Auktionshäusern mit einbezieht,340 haften nur für Rechtsverstöße, 335
Vgl. etwa Hoeren, MMR 1999, 192, 194; Mankowski, GRUR Int. 1999, 909, 913. Hoeren, MMR 1999, 192, 195. 337 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel E V 1. 338 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 290 Rn. 23; Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Einl. 3.38. 339 Die Abstufung umfasst drei Kategorien: die reine Durchleitung (Art. 12), das Caching (Art. 13) und das Hosting (Art. 14). 340 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 291 Rn. 25. 336
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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wenn ihnen der Inhalt von Daten bekannt oder auf Grund grober Fahrlässigkeit unbekannt ist und sie diese Daten nach Kenntnis nicht unverzüglich aus dem Internet nehmen oder sperren. Die E-Commerce-Richtlinie war bis zum 17.1.2002 umzusetzen (Art. 22 I der Richtlinie). Art. 9 der Richtlinie wurde ebenso wie die Regelungen der Signaturrichtlinie durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Geschäftsverkehr entsprochen. Die Richtlinienvorgaben zum elektronischen Vertragsschluss wurden im Zuge der Schuldrechtsreform in den neu ins BGB eingefügten § 312e aufgenommen. Die übrigen Vorgaben inkorporierte man mit dem Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr (EGG)341 in das deutsche Recht. Dieses wiederum überführte die meisten Regelungen ins Teledienstegesetz (TDG)342. l. Die Dienstleistungsrichtlinie Das bis zu diesem Zeitpunkt wohl am heftigsten umstrittenste Regelungsvorhaben auf dem Gebiet des sekundären Gemeinschaftsprivatrechts betraf den am 25.2.2004 vorgestellten Entwurf343 der so genannten Dienstleistungsrichtlinie.344 Kaum ein Gesetzgebungsvorhaben der Gemeinschaft hat bislang so kontroverse Reaktionen345 ausgelöst wie der Vorschlag der Kommission für eine „Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt“.346 Wohl kaum ein Kommissar geriet für ein wirtschaftspolitisches Projekt so unter den Beschuss der Öffentlichkeit, wie der für die Ausarbeitung verantwortliche Niederländer Frederik Bolkenstein. Im Ergebnis stellt die schlussendlich 2006 verabschiedete Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG)347 eine der wenigen Vorgaben der EU dar, die auf Grund des enormen Widerstandes aus Politik und Wissenschaft nur in wesentlich reduzierter und modifizierter Form erlassen werden konnte.348 Gemäß dem zunächst favorisierten Herkunftslandansatz sollte es den Erbringern von Dienstleistungen laut der Richtlinie erlaubt sein, in anderen Mitgliedsstaaten der EU nach den Vorschriften ihres Heimatlandes tätig zu werden. Parallel dazu sollte die Überwa341 Gesetz v. 14.12.2001, BGBl. 2001 I, 3721, vgl. dazu Bröhl, MMR 2001, 67 ff.; Nickels, CR 2002, 302. 342 BGBl. I 1997, S. 1870, zuletzt geändert am 14.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3721. 343 KOM (2004), 2 endg., ABl.EG Nr. C 98/35. 344 Grundlegend: Albath/Giesler, EuZW 2006, 38 ff.; Basedow, EuZW 2004, 423 ff.; Calliess, Die Dienstleistungsrichtlinie (2007); Korte, EWS 2007, 246 ff.; Kugelmann, EuZW 2005, 327 ff. 345 Kritisch etwa: Möstl, DÖV 2006, 281 ff.; Basedow, EuZW 2004, 423 ff.; Mankowski, IPRax 2004, 385 ff.; befürwortend: die Stellungnahme der DIHK v. 13.2.2006 „Dienstleistungsrichtlinie – Aktuelle Informationen über den Kompromiss zum Herkunftslandprinzip“. 346 KOM (2004), 2 endg. v. 25.2.2004. 347 ABl.EG 2006 Nr. L 376/36. 348 „Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet“, so ausdrücklich Hatje, NJW 2007, 2357.
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1. Teil: Grundlagen
chung dieser Tätigkeit grundsätzlich den Behörden des Herkunftslandes überlassen bleiben. Dagegen wurde ins Feld geführt, dass es zu einer „Überbetonung von Anbieterinteressen komme“.349 Denn naturgemäß setzt sich auf Grund des Herkunftslandprinzips der niedrigste Qualitätsstandard durch, da er im Preiskampf der „günstigste“ ist. Günstig kann eine Dienstleistung aber nur angeboten werden, wenn sie im Verhältnis zu anderen durch Recht und Kontrolle des Heimatstaates weniger Beschränkungen unterliegt.350 Mit der Ablehnung des Herkunftslandprinzips bei der Dienstleistungsrichtlinie wird aber zugleich auch die (äußerst marktliberale) Ausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik351 angegriffen, mit der neuerdings vom bis dato verfolgten Mindeststandardprinzip abgerückt wird. Auf Grund des Protestes der europäischen Öffentlichkeit352 wurden zahlreiche Änderungen vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, die auch im Rat bei einer Reihe von Mitgliedstaaten auf Zustimmung stießen. Am 4.4.2006 hat die Kommission sodann einen geänderten Richtlinienvorschlag vorgelegt.353 Dem daraus hervorgehenden Gemeinsamen Standpunkt354 stimmte das Europäische Parlament am 15.11.2006 ohne wesentliche Änderungen zu. Der Rat fasste seinen Beschluss am 11.12.2006, und die Richtlinie wurde am 27.12.2006 im Amtsblatt der EG veröffentlicht.355 Die Mitgliedstaaten hatten nun bis zum 28.12.2009 Zeit, die Vorgaben der Richtlinie umzusetzen. Das ursprüngliche Ziel der Dienstleistungsrichtlinie bestand darin, der Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU zum vollen Durchbruch zu verhelfen, indem ausländische Dienstleister, die bei ihrer Tätigkeit einzuhaltenden Standards an die ihnen gewohnten Vorgaben aus den Heimatländern ausrichten können sollten. Dieses Ziel ist nur punktuell erreicht worden. Hinsichtlich der Stärkung der Dienstleistungsfreiheit ging und geht es um eine Zielsetzung, die in Art. 2, 3 und 14 EGV primärrechtlich legitimiert ist. Gestützt wurde auch die überarbeitete Richtlinie auf Art. 47 II 1 und 3 sowie Art. 55, 71, 80 II EGV. Die mittlerweile in Kraft gesetzte Dienstleistungsrichtlinie besteht – grob gesprochen – aus drei Regelungskomplexen: verfahrensrechtliche und organisatorische Vorschriften (Art. 5–8 und Art. 22–46), Vorschriften zur Niederlas349 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 209. 350 Vgl. dazu die umfangreiche Kritik am Herkunftslandprinzip im 1. Teil, 7. Kapitel, E V 2. 351 Vgl. dazu Hatje, NJW 2007, 2357. 352 Zur generellen Notwendigkeit der Herstellung einer „breiten europäischen Öffentlichkeit“, die sich bei der Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie zeigt, sonst aber selten zu beobachten ist siehe Grimm, JZ 1995, 581 ff. 353 KOM (2006), 160 endg. v. 4.4.2006. 354 ABl.EG Nr. C 270 v. 7.11.2006, S. 1. 355 KOM (2006), 160 endg., ABl.EG 2006 Nr. C 151/17.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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sungsfreiheit der Dienstleistungserbringer (Art. 9– 15) sowie Bestimmungen zur Dienstleistungsfreiheit (Art. 16–21). Letztere bilden das Herzstück der Richtlinie und waren zugleich Stein des Anstoßes gewesen. Sie standen ursprünglich für die Verankerung des Herkunftslandprinzips, bilden dies heute aber nur noch sehr eingeschränkt ab. Als äußerliches Zeichen der Änderung ist bereits aus der Überschrift des betreffenden Kapitels der Ausdruck „Herkunftslandprinzip“ herausgenommen worden. Außerdem wurde der Anwendungsbereich des Art. 16 (entgegen dem ursprünglichen Ansinnen) weit eingeschränkt. Gemäß Art. 17 sollen nunmehr nämlich Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse komplett ausgenommen werden. Bedenkt man, dass der EuGH den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung einräumt, welche Tätigkeiten unter diese Kategorie fallen sollen,356 wird die Tragweite der Einschränkung deutlich. 357 Auch inhaltlich wurde das weiterhin in Art. 16 verankerte Herkunftslandprinzip entschärft. Denn nach Art. 16 I der Richtlinie „achten die Mitgliedstaaten das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen“. Die frühere Freistellung vom Recht des Bestimmungslandes ist entfallen. Selbst in administrativ-praktischer Hinsicht bleibt es bei der Kontrolle der Dienstleistungserbringer durch die Behörden des Empfangsstaates.358 Die Mitgliedstaaten dürfen – und hier wird der Unterschied zum früheren Vorschlag deutlich – die Ausübung von Dienstleistungen in ihrem Hoheitsgebiet von eigenen Anforderungen abhängig machen. Diese sind jedoch so auszugestalten, dass sie nicht diskriminierend, sondern erforderlich und verhältnismäßig sind. Jene Gründe, die Anforderungen des Empfangsstaates für die Erbringung der Dienstleistungen erlauben, sind in Art. 16 III der RL taxativ aufgezählt. Sie beziehen sich auf die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Gesundheit, den Schutz der Umwelt und den Arbeitnehmerschutz.359 Die Rechtfertigungsgründe sind damit so weit gewählt, dass der nationale Gesetzgeber keine großen Begründungsschwierigkeiten haben dürfte, eigene Standards durchzusetzen. 356 EuGH, Urt. v. 23.10.1997, Rs. C-159/94 – Kommission/Frankreich, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Rs. C-320/91 – Corbeau; EuGH, Urt. v. 27.4.1994, Rs. C-393/92 – Almelo. 357 So ausdrücklich zum Ganzen Hatje, NJW 2007, 2357, 2361; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 209. 358 Hatje, NJW 2007, 2357, 2361. 359 Auffallend ist, dass der Schutz der Verbraucher – jenseits des Gesundheitsschutzes – nicht in der Liste erscheint. Dies wird in der Literatur (vgl. etwa Korte, EWS 2007, 246, 251) damit erklärt, dass die Richtlinie den Verbrauchern durch die weit reichenden Informationspflichten in Art. 21 und 22 eine ausreichende Selbsthilfemöglichkeit an die Hand gibt, sodass diese nicht mehr des Schutzes durch den Staat bedürfen. Außerdem sind das Vertragsrecht und das Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse von der „Freiheit der Dienstleistungserbringung“ des Art. 16 zur Gänze ausgenommen, sodass sich darüber der Verbraucherschutz genügend „Bahn brechen kann“.
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1. Teil: Grundlagen
Art. 16 II der Richtlinie nennt in diesem Zusammenhang aber eine Reihe von „Obergrenzen“, die der Standard setzende Mitgliedstaat nicht überschreiten darf. Dazu zählt etwa die an den Dienstleistungserbringer herangetragene Pflicht, im Inland eine Niederlassung zu unterhalten (lit. a). Eine solche Pflicht würde die Dienstleistungsfreiheit völlig derogieren. Es darf den Dienstleistungserbringern im Gegenzug aber auch nicht verboten werden, im Bestimmungsland jene Infrastruktur zu errichten, die sie zur Erbringung der betreffenden Dienstleistung benötigen (lit. c). Auch ist den Dienstleistungserbringern nicht die Pflicht aufzuerlegen, bei einer Behörde eine Genehmigung einzuholen oder (außer im Fall einer gegenteiligen gemeinschaftsweiten Regelung) sich in ein Register eintragen zu lassen bzw. Mitglied bei einer inländischen Berufsvereinigung zu werden (lit. b) bzw. sich von einer Behörde einen besonderen Ausweis für die Ausübung der Dienstleistung ausstellen zu lassen (lit. e). Die Richtlinie gilt nach Art. 2 I allerdings nur für selbständige Tätigkeiten, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, wobei ein weiter Katalog von Bereichsausnahmen in Art. 2 II, III Eingang fand. Besonders hervorzuheben ist, dass gemäß Art. 3 der Richtlinie alle spezifisch berufsrechtlichen Richtlinien (vgl. etwa die Fernsehrichtlinie 89/552/EWG und die Rechtsanwaltsrichtlinie 98/5/EG) gegenüber der allgemeinen Vorgabe für Dienstleistungen Vorrang haben. Ganz i.S.d. Sichtweise, dass die Dienstleistungsfreiheit sowohl eine Anbieter- als auch eine Nachfragerfreiheit beinhaltet,360 verbietet Art. 19 der Richtlinie auch Einschränkungen der Dienstleistungsempfänger, welche eine Dienstleistung eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers in Anspruch nehmen möchten. Die Dienstleistungsempfänger können demnach nicht verpflichtet werden, bei einer Behörde eine Genehmigung einzuholen oder dieser gegenüber eine Erklärung abzugeben. Außerdem ist eine diskriminierende Beschränkung der Erlangung finanzieller Unterstützung verboten. (Bereichs-)Ausnahmen von dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit, der in Art. 16 der Richtlinie wie dargestellt statuiert wurde, sind in Art. 17 festgelegt. Danach findet die Regelung beispielsweise keine Anwendung auf den Post-, Elektrizitäts- und Gassektor, auch nicht auf die Dienste der Wasserverteilung und -versorgung sowie auf die der Abfallwirtschaft. Eine weitere Ausnahme vom Anwendungsbereich des Art. 16 der Richtlinie wird in Art. 17 insofern postuliert, als dort „Bestimmungen betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse einschließlich der Form von Verträgen“ als nicht einbezogen gelten. Ebenso bestimmt Art. 3 II der Richtlinie, dass die Vorschrift die Regeln des internationalen Privatrechts nicht betreffe. Obwohl die Formulierung etwas verwirrend erscheint,361 bedeutet dies wohl, dass die Richtlinie (insbesondere Art. 16) 360 Vgl. dazu Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 210. 361 Kampf, IPRax 2008, 101 ff.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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keinerlei Änderungen an den IPR-rechtlichen Vorgaben und im materiellen (national geprägten) Vertrags- und Deliktsrecht herbeiführen will.362 Ein besonders wichtiger Bestandteil der Richtlinie betrifft die Pflicht des Empfangsstaates, die Dienstleistungsfreiheit durch Informationen, die zu geben sind, umfassend zu fördern (Art. 21, 22). Weitere Vorschriften beziehen sich auf die Möglichkeit des Mitgliedstaates, den Abschluss einer Berufshaftpflicht vorzuschreiben (Art. 23), die Aufhebung sämtlicher absoluter Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe (Art. 25) und Maßnahmen zur Qualitätssicherung (Art. 26) sowie zur Streitbeilegung (Art. 27). Die größte Errungenschaft der Dienstleistungsrichtlinie wird in der Verwaltungsvereinfachung gesehen, die sie hervorbringen wird. Denn Dienstleistungserbringer sollen fortan all jene Verfahren und Formalitäten, die zur Aufnahme und (Fort-)Führung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat notwendig sind, durch einen so genannten „einheitlichen Ansprechpartner“ (EAP) abwickeln können (Art. 6 I). Diese neu einzurichtenden EAPs ändern nicht notwendig etwas an der Zuständigkeit der Behörden in den nationalen Systemen (Art. 6 II), sie können auch als bloße „Kommunikationsstelle“ i.S.e. zentralen Anlaufpunktes fungieren,363 die dem Dienstleistungserbringer u.a. mit der Verpflichtung zur Informationserteilung (Art. 7) unterstützend zur Seite zu stellen sind. Überdies müssen aber alle Verfahren und Formalitäten, die für die Aufnahme der Tätigkeit erforderlich sind, gemäß Art. 8 der Richtlinie auch problemlos aus der Ferne auf elektronischem Wege abgewickelt werden können. Die im deutschen Recht zu erwartenden Änderungen sind vor allem solche, die die Verwaltungsabläufe und gewerbeaufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahren betreffen.
IV. Schlussbemerkung Abschließend soll hinsichtlich der in diesem Abschnitt dargestellten impulsgebenden Schritte zur Verwirklichung eines länderübergreifenden Verbraucherschutzes Resümee gezogen werden: Vergleicht man die beiden Entwicklungsströme des Verbraucherschutzes, den nationalen und den europäischen, so lässt sich wohl sagen, dass sich in den 1970er Jahren die Mitgliedstaaten der EWG und die Gemeinschaft auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zunächst wie Konkurrenten verhielten, wobei die Mitgliedstaaten zu Beginn der Entwicklung einen eindeutigen Vorsprung hatten.364 Der Grund dafür war zum einen das Ein362 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 212. 363 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 215. 364 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 147.
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1. Teil: Grundlagen
stimmigkeitserfordernis des seinerzeitigen Art. 100 EWGV. Zum anderen war damals aber auch das Bedürfnis nach harmonisierten Regelungen noch nicht so weit gediehen. Dabei waren gemäß den unterschiedlichen Rechtskreisen, denen die Mitgliedstaaten angehörten,365 auf nationalstaatlicher Ebene zunächst sehr unterschiedliche Vorstellungen und Modelle entwickelt worden, um den Schutz des Verbrauchers voranzutreiben. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ging die Initiative zum Ausbau und zur europaweiten Harmonisierung des Verbraucherschutzes aber fast vollends von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft über.366 Dieser Umstand wurde erheblich begünstigt durch die Einheitliche Europäische Akte von 1985 und die damit eingeführte Binnenmarktkompetenz in Art. 100a EGV, die Mehrheitsentscheidungen im Rat erlaubte.367 Seit der Einführung dieser Bestimmungen beruhen alle relevanten Gesetzgebungsakte im Bereich des Verbraucherrechts auf Richtlinien bzw. auf Rechtsverordnungen, die aus Brüssel stammen.368 Die zunehmende Aktivität der EU, namentlich der Europäischen Kommission auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes führte ab den 1980er Jahren dazu, dass der Elan einer nationalstaatlich geprägten Verbraucherschutzpolitik erlahmte. Die nationale Verbraucherschutzgesetzgebung beschränkte369 sich ab diesem Zeitraum im Wesentlichen darauf, die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in deutsches Recht umzusetzen.370 Lediglich das VerbrKrG von 1990 enthielt einige Regelungen, die auf die interne deutsche Diskussion und nicht auf Brüsseler Vorgaben zurückzuführen waren. Erst im Jahr 2003 wurde in Deutschland wieder ein eigenes Verbraucherschutzprogramm verabschiedet.371 Angesichts der aufgezeigten verstärkten Verankerung des Verbraucherschutzes im Primärrecht wird deutlich, dass sich der Verbraucherschutz auf der Ebene des Gemeinschaftsprimärrechts verfestigt hat und im Hinblick auf die Einbindung in Art. 153 EGV und nach dem Vertrag von Lissabon in Art. 4 II lit. f), 12, 365 Es gab den common-law, den romanischen, den deutsch-rechtlich und den skandinavisch geprägten Rechtskreis, vgl. hierzu Kötz, ZEuP 1998, 493; Micklitz, VuR 2003, 2, 3. 366 Als sich in dieser Zeit die Europäische Kommission der Verbraucherpolitik vollends bemächtigte, fand sie als Rohmaterial ein durch die Mitgliedstaaten recht heterogen entwickeltes Verbraucherrecht vor, vgl. dazu Reich/Micklitz, Verbraucherschutz in den Mitgliedstaaten (1979). 367 Reich/Micklitz, Verbraucherschutz in den Mitgliedstaaten (1979). 368 Vgl. Art. 249 III EWG; das Instrument der Verordnung, die unmittelbar geltendes Europäisches Recht schafft, spielt im Bereich des Schuldrechts nur eine untergeordnete Rolle, siehe dazu: Zerres, Marketingrecht (2002), S. 114 Fn. 271; zum Ganzen siehe auch Tonner, FS Derleder (2005), 145, 148; ders., BB 1999, 1769 f.; Grundmann, NJW 2000, 14 ff.; Ulmer, JZ 1992, 1 ff. 369 Diese Beschränkung war ausdrückliches Leitmotiv der Vorschläge zur Umsetzung der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, vgl. Nr. III der Begründung des Referentenentwurfes, BB 1995, 110, 112. 370 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 3. 371 Aktionsplan Verbraucherschutz, BT-Drucks. 15/959.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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169 AEUV zu einem „rechtsordnungsimmanenten Schutzprinzip“372 i.S.e. „abwägungserheblichen Belanges“ angewachsen ist. Der AEUV rechtfertigt allerdings wie sein Vorgänger, der EGV, über die dargestellten Vorschriften bislang noch keine eigenständige, von anderen Vertragszielen und Kompetenzbereichen unabhängige und umfassende Verbraucherschutzpolitik.373 Dies findet seinen Grund darin, dass die der EU zur Verfolgung einer Verbraucherschutzpolitik in Art. 169 II AEUV eingeräumten Kompetenzen zum einen schon dadurch begrenzt sind, dass die EU nur einen „Beitrag“ zur Verbesserung des Verbraucherschutzes leistet.374 Zum anderen statuiert Art. 169 II lit. a.) AEUV eine Eingrenzung der zum Verbraucherschutz notwendigen Maßnahmen auf solche, die „im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes nach Art. 114 AEUV“ erforderlich sind. Die Gemeinschaft hat danach keine umfassende Kompetenz zur Regelung des Privatrechts, auch nicht zur umfassenden Normierung des Rechtsbereichs zwischen dem Verbraucher und Unternehmer als Teilbereich des Zivilrechts.375 Konzeptionell ist der Bereich des Verbraucherschutzes auf europäischer Ebene somit immer noch integraler Bestandteil all derjenigen Maßnahmen, die auf eine Vollendung des Binnenmarktes zielen.376 Dieser Umstand führt dazu, dass Art. 169 AEUV ebenso wie seine Vorgängervorschrift (Art. 153 EGV) für das Privatrecht bislang noch keine nachhaltige Bedeutung gewonnen hat. So stützte die Gemeinschaft ihre Richtlinien schon in der Vergangenheit stets auf die Binnenmarktharmonisierungsklausel, früher Art. 95 EGV, heute Art. 114 AEUV.377 Art. 169 AEUV dient ihr lediglich als zusätzliche Bestätigung ihrer Kompetenz, die darauf hinaus läuft, mit dem Binnenmarkt, quasi als dessen Annex auch den
372
Gounalakis, Kabelfernsehen im Spannungsfeld von Urheberrecht und Verbraucherschutz (1989), S. 279, 280; E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81, 87 f.: „schuldrechtsimmanenter allgemeiner Schutzgedanke“; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 6. 373 Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 51; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 18: „Eine eigenständige und umfassende Verbraucherpolitik ist jedenfalls nach dieser Vorschrift nicht zulässig“; ebenso Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EGV/EUV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 9. 374 Dies in Gewährleistung des Subsidiaritätsprinzips, so zutreffend Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2. Aufl., 2009), Art. 153 Rn. 12. 375 So ausdrücklich Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 51. 376 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 18; Micklitz, VuR 2003, 2, 5; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (1993), S. 29 ff.; zum historischen Hintergrund: Roth, JZ 2001, 475, 479. Interessanterweise beruhten die Richtlinienvorschläge auf Vorschlägen der für den Verbraucherschutz zuständigen Generaldirektion und nicht auf der Generaldirektion für den Binnenmarkt. 377 Vgl. dazu auch Tonner/Tamm, FS Stauder (2006), S. 527, 551.
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1. Teil: Grundlagen
Verbraucherschutz auszubauen.378 Die künftige Tragweite des Art. 169 AEUV für das Privatrecht lässt sich noch nicht absehen.379 V. Kritische Auseinandersetzung mit neueren Entwicklungen in der Gemeinschaft Die Entwicklung des Verbraucherschutzrechtes vollzieht sich in letzter Zeit gerade auf europäischer Ebene immer rasanter. Dies lässt vermuten, dass die Gemeinschaft dieses Gebiet auch in Zukunft (und vielleicht noch stärker als bisher) für sich monopolisieren wird, um die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes voranzutreiben. Dieser Umstand birgt allerdings die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass die Mitgliedstaaten dann keinen eigenständigen Beitrag mehr zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus erbringen können. Anlass zu dieser Befürchtung liefert insbesondere die derzeitige Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstandes (des so genannten acquis communautaire), die von der Kommission in ihrem Grünbuch vom 8.2.2007380 als notwendiges Element zur Vervollkommnung des Binnenmarktes angesehen und zur Diskussion gestellt wurde. Ziel ist, das Vertrauen der Verbraucher in den EUBinnenmarkt zu erhöhen und dadurch mehr grenzüberschreitenden Konsum zu erreichen. Damit soll ein wesentlicher Teil derjenigen Ambitionen umgesetzt werden, die sich die Kommission mit der Verbraucherpolitischen Strategie 2007– 2013381 auf die Fahnen geschrieben hat. Das Grünbuch zielt ab auf die Konsolidierung des verbraucherrechtlichen acquis, durch Schaffung gemeinsamer Begrifflichkeiten und einheitlicher Instrumente, was begrüßt werden muss. In der 4. Option des Grünbuchs wird dazu allerdings auch für die übrigen verbraucherschutzrechtlichen Standards der Vollharmonisierungsansatz vertreten. Erste Schritte in Bezug auf den geplanten Systemwechsel vom Mindeststandardprinzip zur Vollharmonisierung wurden bereits Ende 2008 bezüglich der Verabschiedung eines Vorschlags einer „Richtlinie über Rechte der Verbraucher“382 unternommen.383 In dem Vorschlag werden vier Richtlinien (die Fernabsatz-Richtlinie, die Haustürwiderrufs-Richtlinie, die Verbrauchsgüter378 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), Kapitel 1 Rn. 25. 379 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), Kapitel 1 Rn. 25. 380 KOM (2006), 744 endg. v. 8.2.2007; dazu kritisch Micklitz/Reich, VuR 2007, 121 ff.; Twigg-Flesner, ERCL 2007, 198 ff.; Tamm, EuZW 2007, 756 ff. 381 KOM (2007), 33. 382 KOM (2008), 614 endg, v. 8.10.2008. 383 Vgl. dazu umfassend und kritisch Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; dies., CMLRev 2009, 471; Schinkels, JZ 2009, 774 ff.; Effer-Uhe/Walsen, GPR 2009, 7 ff.; Jud/Wendehorst, GPR 2009, 68 ff.; Tettinger, ZGS 2009, 106.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
241
Richtlinie und die Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln) zu einem einzigen horizontalen, kohärent ausgestalten Rechtsinstrument zusammengeschaltet. Weiter geht aus dem Richtlinienvorschlag hervor, dass die Verbraucherkredit-Richtlinie, die Timesharing-Richtlinie, die Pauschalreise-Richtlinie und die Unterlassungsklagen-Richtlinie in den Konsolidierungsprozess einbezogen werden sollen. Erste Aktionen in diese Richtung wurden bereits unternommen. So kam es zur Verabschiedung einer neuen Verbraucherkreditrichtlinie384 und zum Erlass einer revidierten Timesharing-Richtlinie.385 Dem Ansinnen der Kommission, die Konsolidierung des verbraucherrechtlichen acquis auf der Grundlage des Vollharmonisierungsansatzes voranzutreiben, ist aber genauso entgegenzutreten, wie dem (scheinbar gegenteiligen) Ansatz, der aus dem Herkunftslandprinzip folgt, welches etwa der E-Commerce-Richtlinie zugrunde liegt. Die Gründe dafür sollen nachfolgend dargetan werden. 1. Kritik am Vollharmonisierungsansatz386 Der Grund für die kritische Auseinandersetzung mit dem „neuen Konzept“387 der Vollharmonisierung rührt daher, dass damit offensichtlich das bestehende Verbraucherschutzniveau nach unten hin eingeebnet wird.388 a. Ausnutzung der schon im Primärrecht angelegten Zielkonflikte Das Ergebnis, dass in einer dem Vollharmonisierungsansatz immanenten einheitlichen europäischen Verbraucherschutzregelung tendenziell nicht der in einem Mitgliedstaat vorhandene höchste Verbraucherschutzstandard angestrebt wird, hängt bereits mit der vordringlichen Marktordnungsorientierung des gemeinschaftlichen Verbraucherschutzrechts zusammen, 389 auf die bereits an anderer Stelle hingewiesen wurde.390 Aus Art. 169, 114 AEUV ergibt sich primärrechtlich, dass die Gemeinschaft ihre vordringliche Zwecksetzung in der
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2008/48/EG, ABl.EG 2008 Nr. L 133/66. Vorschlag: KOM (2007), 303; endgültige Fassung RL 2008/122/EG v. 14.1.2009, ABl. EG Nr. L 33/10. 386 Dazu schon Tamm, EuZW 2007, 756 ff.; dies., KJ 2007, 391 ff. 387 Micklitz/Reich sprechen von dem „Beginn des Endes einer Ära“ in ihrem Titel des Beitrags in der EuZW 2009, 279. 388 Ausführlich dazu Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 8; Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 51 ff.; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff.; Reich, in: FS Stauder (2006), S. 357, 374 ff.; ders., EuZW 2008, Heft 22, S. V; Grub, in: Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 4. Aufl., (2006), Art. 153 Rn. 10. 389 Grub, in Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10. 390 Zum Verhältnis von Binnenmarkt und sozialem Verbraucherschutz vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel E I und 1. Teil, 6. Kapitel A II/ C IV. 385
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1. Teil: Grundlagen
Erreichung eines gemeinsamen Binnenmarktes sucht und findet.391 Der zu etablierende Gemeinsame Markt ist seinerseits durch zwei Elemente geprägt, die offene Marktwirtschaft mit freiem, unverfälschtem Wettbewerb392 und die Gewährleistung der Grundfreiheiten,393 also insbesondere der Warenverkehrsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit und der Freiheit des Zahlungsverkehrs.394 In der Literatur spricht man diesbezüglich auch von einer Markt- bzw. „Anbieterorientierung“395 der Europäischen Rechtsordnung. Bereits aus dem unternehmerischen Interesse an der Herstellung eines weitgehend unreglementierten, freien Binnenmarktes und dem diesem Streben entgegenstehenden Interesse der Verbraucher an der möglichst extensiven Herausbildung von Schutzvorschriften liegt ein Konfliktverhältnis zwischen (Binnen-) Marktverfassung und Sozialschutz (i.S.v. Verbraucherschutz) begründet.396 Der Unternehmer wünscht einen (Binnen-)Markt mit einheitlichen, rechtlichen Rahmenbedingungen, die schon aus Kostengründen möglichst nicht mit zu stark verbraucherschützenden Elementen „aufgeladen“ werden sollen.397 Der Verbraucher dagegen ist eher an einem extensiven Schutz seiner Interessen (auch durch hoheitliche Interventionen) interessiert. b. Wandelbarkeit des „hohen Verbraucherschutzniveaus“ Die dargestellte primäre Zwecksetzung der Gemeinschaft führt nun im Zusammenhang mit dem Umstand, dass der AEUV – wie sein Vorgänger, der EGV – leider nicht in griffiger Form definiert, was unter dem einzuhaltenden hohen Verbraucherschutzniveau zu verstehen ist (wo es beginnt, wo es endet),398 zu der auf der Hand liegenden Gefahr, dass bei einer Vollharmonisierung eine Absenkung des Schutzniveaus einsetzt.399 Es steht zu befürchten, dass das von Art. 4 II lit. f.), 12, 114, 169 AEUV verlangte hohe Niveau mit dem Hinweis relativiert wird, dass 391
Vgl. Art. 2 EGV; so zum Ganzen auch Derleder, in FS Reich (1997), S. 111; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 11. 392 Art. 3 I lit g.), Art. 4 I, Art. 98, 105 I EGV. 393 Art. 14 II EGV. 394 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1136 f.; Kluth, AöR 122 (1997), 573, 578 ff.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 56. 395 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 67; Derleder, FS Reich (1997), S. 111. 396 Lurger, a.a.O., Art. 153 Rn. 2; dies., Vertragliche Solidarität (1998), S. 11; Tietje, in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union (2003), Art. 95 Rn. 74; Tonner/Tamm, FS Stauder (2006), S. 527, 550. 397 Zum geflügelten Wort vom „Sand im unternehmerischen Getriebe“ vgl. Stumpf, BB 1985, 963. 398 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006) Art. 153 Rn. 10; Lurger, a.a.O., Art. 153 Rn. 15. 399 Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 57 ff.; Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 8; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Reich, VuR 2007/3, S. II, IV; ders., EuZW 2008, Heft 22 S. V;
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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„Verbraucherschutz zwar ein wichtiges Ziel der EU, aber keineswegs ihr wichtigstes oder gar einziges ist“400.401 c. Beispiele für die bereits beginnende Absenkung des Schutzniveaus im Sekundärrecht Praktische Beispiele für die bereits beginnende Absenkung des Schutzniveaus im Sekundärrecht vor dem Hintergrund des Vollharmonisierungsansatzes lassen sich schon jetzt vielgestaltig vorfinden. aa. Unlauterer Wettbewerb So zeigt sich etwa die Richtlinie über missbräuchliche Geschäftspraktiken402 der Vollharmonisierung verpflichtet, selbst wenn diese vollständig erst im Jahre 2013 in Kraft tritt.403 Der deutsche Gesetzgeber hatte im Vorfeld dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben eine eigene Reform des UWG durchgeführt, bei der er autonome rechtspolitische Vorstellungen und die zu erwartenden Vorgaben der Richtlinie auszubalancieren versuchte.404 Allein des Vollharmonisierungsgebotes wegen hat der nationale Gesetzgeber das UWG erneut reformiert, obwohl dazu aus nationalen rechtspolitischen Gründen kein Anlass bestand.405 Das UWG ist durch die Reform im Ergebnis nur komplizierter geworden, ohne dass dies für die praktische Anwendung oder auch nur für den Verbraucherschutz einen Vorteil mit sich gebracht hätte – es sei denn, man sieht einen solchen bereits in der erstmaligen Normierung positiver Informationspflichten im Lauterkeitsrecht, die jetzt in § 5a UWG n.F. statuiert wurden. Mit dem Einbringen eigener Vorstellungen, etwa einer Verschärfung der Vorschriften über Telefonwerbung,406 hätte sich der nationale Gesetzgeber vor dem Hintergrund der o.g. neuen Richtlinie allerdings – und das gilt es hier im Hinblick auf den mit der Richtlinie verfolgten Vollharmonisierungsansatz hervorzuheben – zurückhalten müssen, gäbe es kein rechtliches „Schlupfloch“, diese verbraucherfreundliche Regelung dennoch zu etablieren.407 Die Rechtfertigung des Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244 ff. 400 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 13.5.1997 – C-233/94 – Einlagensicherungssysteme, Rn. 48. 401 So auch Grub, a.a.O., Art. 153 Rn. 10. 402 Richtlinie 2005/29/EG v. 11.5.2005, ABl.EG Nr. L 149/22. 403 Zu der Übergangsperiode vgl. Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law (2006), S. 36. 404 UWG-Reform 2004, BGBl. 2004 I, 1414 ff.; dazu Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005) 105 ff. 405 UWG-Reform 2008, BGBl. 2008 I, 1069 ff.; vgl. dazu Witte, ITRB 2008, 179 ff.; Keßler/Micklitz, VuR 2009, H. 3; vgl. dazu umfassend Tonner/Tamm, JZ 2009, 277ff. 406 Umfassend dazu Tonner/A. Reich, VuR 2009, 95 ff. 407 So mit einem Gesetzentwurf zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung, der sich auf vorvertragliche Instrumente konzentriert, BT-Drucks. 16/10734, vgl. dazu auch
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1. Teil: Grundlagen
Verbots der unaufgeforderten Telefonwerbung in Art. 7 UWG n.F. wird national darin gesucht (und wohl auch gefunden), dass die noch aktuelle DatenschutzRichtlinie von 2002408 partiell für den betroffenen Bereich als vorrangig anzusehen ist. Diese erlaubt den Mitgliedstaaten bislang noch unterschiedlich strenge Lösungen einzuführen bzw. aufrechtzuerhalten. Ohne ihre Vorrangigkeit wäre das deutsche Verbraucherschutzniveau im Bereich der Telefonwerbung bereits jetzt dem Vollharmonisierungsansatz zum Opfer gefallen, was das Problem der Absenkung des Verbraucherschutzniveaus relativ deutlich vor Augen führt.409 bb. Verbraucherkredit Negativ bemerkbar macht sich der neue Vollharmonisierungsansatz der Kommission bereits im Verbraucherkreditrecht. Als der Gesetzgeber im Jahre 1990 mit dem Verbraucherkreditgesetz die damalige Verbraucherkreditrichtlinie von 1987410 umsetzte, ging er weit über die gemeinschaftliche Richtlinienvorgabe hinaus. Nicht nur das Widerrufsrecht war in der Richtlinie nicht enthalten, auch die Vorschriften über die so genannte Schuldturmproblematik (Behandlung der Verzugszinsen, Anrechnung von Teilleistungen) und über die Gesamtfälligstellung in den heutigen §§ 497 und 498 BGB stellen autonomes deutsches (Verbraucher-)Recht dar. Die letztgenannten verbraucherrechtlichen Ansätze finden sich in der neuen Richtlinie 2008/48/EG411 allerdings nicht wieder.412 Naturgemäß enthält die neue Verbraucherkreditrichtlinie, die den Grundsatz der Vollharmonisierung verfolgt, auch wenn sie in speziell ausgewiesenen Bereichen Öffnungsklauseln für ein Mehr an Verbraucherschutz belässt,413 auch noch keine Vorgaben, die die jüngst durch das Risikobegrenzungsgesetz eingeführten Ergänzungen der §§ 488 ff. BGB414 legitimieren. Sollte sich auch hierauf das Vollharmonisierungskonzept (ggf. im Gewande der so genannten „targeted harmonisation“)415 erstrecken, wären derartige aktuelle und autonome Eingriffe des nationalen Gesetzgebers auch nicht mehr möglich und müssten „rückabgewickelt“ werden. Der deutsche Gesetzgeber hatte diese eigenständigen gesetzgeberischen Impulse bislang nur dadurch rechtfertigen können, dass die neue VerTonner/A. Reich, VuR 2009, 95 ff. Der Gesetzentwurf ist jetzt in Kraft getreten, vgl. dazu BGBl I 2009, S. 3181 ff. v. 5.10.2009. 408 Richtlinie 2002758/EG, ABl Nr. L 201/37 v. 31.7.2002. Zum gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund der Telefonwerbung Micklitz/Schirmbacher, WRP 2006, 148. 409 Im Einzelnen Tonner/A. Reich, VuR 2009, H. 3. 410 Richtlinie 87/102/EWG, ABl.EG Nr. L 42/48 v. 12.2.1987. 411 Richtlinie 2008/48/EG v. 23.4.2008, ABl.EU Nr. L 133/66 ff. v. 22.5.2008. 412 Kritisch dazu etwa Rott, WM 2008, 1104 ff; zum Ganzen Tonner/Tamm, a.a.O. 413 Zum „durchbrochenen“ Vollharmonisierungskonzept der neuen Verbraucherkreditrichtlinie siehe Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244 ff. 414 BGBl. 2008 I, 1666; dazu Langenbucher, NJW 2008, 3173. 415 Zur „Begrenztheit“ des Vollharmonisierungsansatzes bei der targeted harmonisation vgl. Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 23.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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braucherkreditrichtlinie so verstanden wird, dass sie den Bereich zur weitergehenden Regelung offen hält.416 cc. Vorschlag der Richtlinie über Verbraucherrechte In dem Vorschlag der Kommission über eine „Richtlinie über Rechte der Verbraucher“ vom 8.10.2008417 wird u.a. auch eine Überarbeitung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Aussicht genommen. Diese soll nach Ansicht der Kommission darin münden, dass nun dem Verkäufer Rügepflichten innerhalb von zwei Wochen auferlegt werden (vgl. Art. 28 IV des Richtlinienvorschlags). Nach deutscher Rechtslage bestehen derartige Rügepflichten aber bislang nicht. Diese sieht nur § 377 HGB innerhalb des Handelskaufes für Kaufleute vor. Würde sich der auf die Vollharmonisierung abzielende Richtlinienvorschlag jedoch in diesem Punkt durchsetzen, müsste der deutsche Gesetzgeber seine insoweit bestehende verbraucherfreundliche Gesetzeslage ändern. Eine Absenkung (des hohen deutschen) verbraucherrechtlichen Schutzniveaus würde sich überdies gemäß dem neuen Richtlinienvorschlag auch daraus ergeben, dass Art. 26 II die Pflicht des Gewerbetreibenden, der nicht vertragsgemäßen Lieferung durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung abzuhelfen, an dessen (!) Wahlrecht (das auch in AGB vorformuliert sein kann!) knüpft. Dies würde das bisherige deutsche Regelungsmodell, nach dem grundsätzlich dem Käufer das Wahlrecht bzgl. Nachlieferung oder Nachbesserung zusteht, in sein Gegenteil verkehren.418 Überdies streicht der Richtlinienvorschlag die Möglichkeit eines Händlerregresses.419 Zu einer Zurückdrängung von Verbraucherrechten führt der neue Richtlinienvorschlag über die Rechte der Verbraucher vom 8.10.2008 auch im Bereich der Reglementierung von AGB. Der neue Entwurf der Richtlinie unterbindet den etwas diffusen Ansatz der diesbezüglichen früheren Richtlinie 93/13/EG, der allerdings noch Raum für die Frage ließ, ob Individualklauseln jedenfalls unter bestimmten Bedingungen in die AGB-Kontrolle eingeschlossen sind. Die avisierte Vollharmonisierung würde es selbst in diesem Bereich den Mitgliedstaaten verwehren, Individualklauseln einer Kontrolle zu unterziehen. In der Literatur wird hierauf bezogen erwogen, dass damit auch eine vom sonstigen AGB-Kontroll-Maßstab losgelöste allgemeine Auffangkontrolle am Maßstab des §§ 138, 242 versperrt wäre,420 was den generellen Fragenkomplex aufwirft, inwieweit die
416 BR-Drucks. 848/08 mit dem RegE eines Umsetzungsgesetzes zur VerbraucherkreditRichtlinie; zum verabschiedeten Transformationsgesetz selbst vgl. BGBl. I 2009, S. 2355 v. 3.8.2009; vgl. Tonner/Tamm, a.a.O. 417 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 418 Kritisch dazu Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279, 285. 419 Micklitz/Reich, ebenda; vgl. Tonner/Tamm, a.a.O. 420 Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279, 286.
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1. Teil: Grundlagen
Anwendung nationaler Generalklauseln zukünftig aus dem vollharmonisierten Rechtsbereich herauszuhalten ist.421 Änderungen sind nach dem neuen Richtlinienvorschlag auch bezüglich des Verbraucherwiderrufs geplant.422 Die Regelung des Entwurfes betrifft zwar zunächst nur die beiden Formen des Direkt- und Fernabsatzes, für die eine einheitliche Widerrufsfrist von 14 Tagen eingeführt werden soll. Dies wird bei den weiteren Konsolidierungsbemühungen aber unzweifelhaft auch Auswirkungen für andere Bereiche haben, aus denen sich verbraucherschützende Widerrufsrechte ableiten. Der Entwurf differenziert in Bezug auf den Beginn der Widerrufsfrist zwischen den beiden Formen des Produktabsatzes. Hervorzuheben ist insoweit, dass Art. 12 II nicht verlangt, dass der Vertrag zustande kommt. So kann die Widerrufsfrist abgelaufen sein, bevor überhaupt ein Vertrag geschlossen wurde. Außerdem stellt der Entwurf an keiner Stelle klar, dass erst die Belehrung über das Widerrufsrecht die Frist in Gang setzt. Zudem muss der Verbraucher nach Art. 14 des Entwurfes den Gewerbetreibenden über seinen Entschluss zur Ausübung des Verbraucherwiderrufs informieren, entweder in eigenen Worten oder mittels der Benutzung eines Standard-Widerrufsformulars. Die bloße Rücksendung der Sache (so wie es im deutschen Recht § 356 BGB vorsieht) soll nicht genügen.423 dd. Pauschalreiserecht Schließlich sei noch auf das Pauschalreiserecht hingewiesen. Ein Vorschlag für eine neue Pauschalreiserichtlinie ist erst für (nach) 2010 angekündigt.424 Die bisherige Pauschalreiserichtlinie statuierte eine Verschuldenshaftung des Veranstalters im Hinblick auf Reisemängel, die mit einer Umkehr der Beweislast für das Verschulden gekoppelt wurde. Das deutsche Recht geht hier (verbraucherschützend) einen Schritt weiter. Es führte in § 651c BGB eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung für Gewährleistungsfälle ein. Diese „Haftung ohne Verschulden“ war nur auf Grund des Mindeststandardcharakters der bisherigen Richtlinie zu rechtfertigen. Im Zuge der anstehenden Neuregelung des Rechtsbereiches durch die Gemeinschaft stellt sich jedoch auch an dieser Stelle die Frage, ob diese verbraucherschützende Vorgabe der auf einem niedrigeren Schutzni421
Dagegen spricht jedoch, dass auch das europäische Recht (wenngleich ungeschriebene) Einschränkungen i.S.v. Treu und Glauben etc. kennt, weil diese der Rechtsidee immanent sind. Auch diese Schränken die Ausübung des Gemeinschaftssekundärrechts ein. Diese generalklauselartigen Einschränkungen laufen von ihrer „Stoßrichtung“ her parallel zu den deutschen Generalklauseln; zum Ganzen Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff. 422 Vgl. hierzu Schinkels, JZ 2009, 774 ff. 423 Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279, 284.; zu weiteren Auswirkungen in Bezug auf das Widerrufsrecht vgl. meine Ausführungen im 1. Teil, 8. Kapitel, B III; Tonner/Tamm, a.a.O. 424 So Kommissarin Kuneva am 8.1.2009 in Beantwortung einer Anfrage im Europäischen Parlament v. 25.11.2008, E-6327/08.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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veau basierenden Einheitsregelung ohne Abweichungsmöglichkeit für die Mitgliedstaaten weichen muss.425 d. Verhaltener Widerstand der Mitgliedstaaten Der Widerstand in den Mitgliedstaaten gegen das Vollharmonisierungskonzept der Kommission war bislang nicht konsistent und nachhaltig. Relativ stark fiel er nur im Zusammenhang mit der Verabschiedung der neuen Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken aus. Der dazu ergangene Vorschlag der Kommission sah nämlich noch ein Herkunftslandprinzip sowie einen uneingeschränkten Vollharmonisierungsansatz vor.426 Das Herkunftslandprinzip wurde auf Grund der Kritik der Mitgliedstaaten gestrichen; die Realisierung der Vollharmonisierung ist schließlich, da sie politisch nicht durchsetzbar war, bis 2013 (mit der Option einer weiteren Herauszögerung ihrer Umsetzung) verschoben worden. Kompromisssuchender und -bereiter zeigten sich sowohl Mitgliedstaaten als auch Kommission allerdings in anderen zu regulierenden Bereichen. Zu nennen ist hier etwa der Bereich der Teilzeitnutzungsrechte und der des Verbraucherkredits. Bei der Neuregelung dieser Verbraucherrechtssegmente realisierte die Kommission bereits in den entsprechenden Richtlinienvorschlägen ein eingeschränktes Vollharmonisierungskonzept (so genannte „targeted harmonisation“), um den Mitgliedstaaten das „Einschwenken“ auf den neuen Kurs zu erleichtern. Danach soll sich die Harmonisierung auf den Regelungsbereich der einzelnen in der Richtlinie benannten Vorschriften beschränken, während davon unabhängige rechtliche Regelungen der Mitgliedstaaten, die die einzelnen Richtlinienregelungen nicht berühren, wenngleich sie im weiteren Sinne das rechtliche Umfeld bilden, zulässig bleiben sollen.427 Auf die Abgrenzungsproblematik, die insofern aufgeworfen wird und die ein Ausnutzen des verbleibenden Handlungsrahmens rein faktisch als für die Mitgliedstaaten „gefährlich“ erscheinen lässt, wurde bereits hingewiesen. Leider haben sich die Mitgliedstaaten hierauf trotzdem eingelassen.
425 Ausführlicher zu dieser Problematik Tonner, Pauschalreiserecht und Teilzeitwohnrechte – Zur Reform des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz (2008), S. 31 ff; siehe auch Tonner/Tamm, a.a.O. 426 KOM (2003) 356; ausführlich dazu Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005) 167 ff.; Kessler/Micklitz, BB 2003, 2073. 427 Teilweise wird noch innerhalb der einzelnen Vorschriften differenziert. So ist beim Widerrufsrecht nach der neuen Timesharing-Richtlinie zwar die Widerrufsfrist von 14 Tagen nicht veränderbar, jedoch die Modalitäten ihrer Berechnung, im Einzelnen dazu Gaedtke, VuR 2008, 130; grundlegend Tonner/Tamm, a.a.O.
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1. Teil: Grundlagen
e. Rechtliche und soziologische Erwägungen Der Widerstand gegen die bereits in ersten Ansätzen vollzogene Installation des Vollharmonisierungskonzepts durch die Gemeinschaft darf nicht nur vereinzelt (wie etwa vom deutschen Bundesministerium der Justiz)428 geübt werden. Er darf insbesondere nicht nur aus der Politik kommen, er muss auch und vor allem von der Rechtswissenschaft getragen sein. Dabei hat er sich gegen jeden (weiteren) Schritt zu richten, den die Kommission in Bezug auf die Revision des Verbraucheracquis unternimmt, wenn und soweit er den Mitgliedstaaten die Absenkung des bestehenden Verbraucherschutzniveaus abverlangt. Ob das neue Grünbuch der EU-Kommission bzgl. grenzüberschreitender B2C-Verträge – KOM (2010), 348/3 v. 1.7.2010 – das das Vollharmonisierungskonzept auf den Bereich des Verbraucher-Unternehmer-IPR überträgt, und somit die verbraucherfreundliche Wohnsitzregelung des Art. 6 der ROM I-VO verdrängt,429 Akzeptanz findet, ist noch offen. aa. Der Vorrang des Primärrechts Gerade der Rechtswissenschaft müsste sich sehr deutlich offenbaren, dass die derzeitigen Bestrebungen der Kommission keineswegs primärrechtskonform sind. Der Vorrang des Primärrechts vor dem Sekundärrecht ist jedoch unbestritten. Das Primärrecht – sei es in Form des Vertragsrechts oder in Form allgemeiner Rechtssätze – bildet den Maßstab für die Rechtmäßigkeit jedes Sekundärrechtsaktes.430 Die Gemeinschaftsorgane dürfen daher nur nach Maßgabe der vertraglichen Befugnisse handeln (Art. 5 I, II EUV). bb. Fehlende Primärrechtskonformität des Vollharmonisierungskonzepts431 An dem Vorrang des Primärrechts und seiner Festlegungen gehen die derzeitigen Bestrebungen der Kommission jedoch vorbei. Denn weder der EUV noch der AEUV rechtfertigen eine die mitgliedstaatliche Gesetzgebung in ihrem Kernbereich gänzlich verdrängende Verbraucherschutzpolitik der EU,432 wie sie dem Vollharmonisierungskonzept immanent ist. Der AEUV beschränkt die Gemeinschaftsaktivitäten vielmehr auf einen „Beitrag (der Gemeinschaft neben dem der Mitgliedstaaten) zur Verbesserung des Verbraucherschutzes“, vgl. Art. 4 II lit. f.), 169 II AEUV. Die gleiche Aufgabenverteilung wies der EGV aus.433 428 429 430
Sehr deutlich Zypries, ZEuP 2009, 225. Dazu Tamm, GPR 2010, 525 ff.; Tonner, EuZW 2010, 767 ff. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EGV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 249 EGV
Rn. 9. 431
Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 EGV Rn. 10; so auch Micklitz/Reich, EuZW 1992, 593; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003), S. 40. 433 Kritisch zur Vollharmonisierung Reich/Micklitz, VuR 2008, 349 ff.; zur durch 432
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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Bereits diese primärrechtliche Festlegung charakterisiert und beschränkt die Gemeinschaftsaufgaben.434 Sie tut es zwingend, da sich in ihr auch und gerade die im Wechselspiel von Grundfreiheiten und den „zwingenden Erfordernissen“ der Mitgliedstaaten angelegte Aufgabenverteilung fortsetzt.435 Es handelt sich hierbei um das den primärrechtlichen Vorschriften implizit unterlegte „Prinzip der geteilten Verantwortung“ zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft, das in Art. 4 II lit. f.), 169 II AEUV festgeschrieben ist. Die Kompetenzverteilung zielt darauf, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer eigenständigen Verbraucherpolitik zu belassen und eventuelle „Nachzügler“ an gesetzte EU-Minimal-Standards behutsam heranzuführen, was sowohl dem Binnenmarkt als auch dem Verbraucherschutz nützt. Der Grundsatz der Zurückhaltung und Rücksichtnahme gegenüber den prinzipiell anzuerkennenden nationalen Regelungsinteressen und -begehren folgt auch unabhängig von der Regelungsmaterie des Verbraucherrechts ganz generell aus dem „Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit“ und dem „Subsidiaritätspostulat“. Diese erlauben der Gemeinschaft – in Anerkennung der grundsätzlich auf nationaler Ebene angesiedelten Regelungskompetenzen – nur dann zu handeln und Regelungsbereiche an sich zu ziehen, wenn das einschlägige Problem durch die Mitgliedstaaten nicht „in ausreichendem Maße“, d.h. effizient genug, gelöst werden kann,436 wobei freilich auch die „Effizienzfrage“ nicht allein der Gemeinschaft zur Beantwortung überlassen bleiben darf. (1.) Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit Von Anfang an war das Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit ein struktureller Grundsatz der Gemeinschaft. Dies ließ sich schon aus verschiedenen Bestimmungen des EGV (vgl. Art. 3, 7, 202, 211, 249 EGV) ableiten. „Zusammengeführt“437 wurden die im EGV verstreuten Ausflüsse dieses Grundsatzes in Art. 5 I EGV, der heute sein Pendant in Art. 5 I, II EUV findet. Die Gemeinschaft wird danach „innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele“ tätig.438 Das Prinzip bringt zum Ausdruck, dass die Gemeinschaft nur solche Materien regeln kann, die ihr im Vertrag zugewiesen sind. Sie beschränkt sie zudem auf die Anwendung der vertraglich vorgesehenen Instrumente und weist Anwendung und Vollzug der Normen grundsätzlich den Art. 153 EGV legitimierten Verordnung im Bereich des Verbraucherrechts aber früher Reich, JCP 28 (2005) 383; siehe Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff. 434 Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 9 Rn. 55. 435 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 EGV Rn. 10. 436 Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 9 Rn. 55; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545; Tröger, ZEuP 2003, 525; Tonner/Tamm, a.a.O. 437 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 5 EGV Rn. 8. 438 So schon früher zu den Einzelnormen Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht des EWG-Vertrags (1991), S. 16 ff.
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1. Teil: Grundlagen
Mitgliedstaaten zu.439 Nach Art. 5 I EGV, der heute seine Entsprechung in Art. 5 I, II EUV findet, ist die Frage zu stellen, ob die EU überhaupt tätig werden kann (Kann-Frage).440 Danach ist für jeden verbindlichen Rechtsakt nicht nur irgendeine, sondern die richtige Kompetenzgrundlage – auch im Zusammenhang mit ihren eventuellen Grenzsetzungen – zu suchen.441 Die Herausbildung des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherrechts stützt die Kommission derzeit hauptsächlich auf Art. 169 II lit a.) i.V.m. Art. 114 AEUV (früher Art. 153 i.V.m. Art. 95 EGV). Im Mittelpunkt dieses Konzeptes steht die Herstellung des Binnenmarktes. Dieser Plan kann aber – auch und gerade in Abwägung der von Art. 5 I, I EUV, Art. 169 II AEUV gezogenen Grenzen – keinesfalls zum „Sesam öffne dich“ für eine ungezügelte Gemeinschaftsaktivität442 werden. (2.) Subsidiaritätsgrundsatz und Erforderlichkeitspostulat Jenseits der bereits aus Art. 5 I, II EUV folgenden Festlegung, dass die Gemeinschaft keine Allzuständigkeit in Wahrnehmung staatlicher Regelungskompetenzen – und dieses Ergebnis absichernd – auch keine „Kompetenz-Kompetenz“ hat,443 begründet diese Norm den Grundsatz, dass nationale Kompetenzen die Regel sind, solche der EU hingegen die Ausnahme darstellen.444 Art. 5 I, II EUV statuiert insofern bereits eine erste (grundlegende) Vermutung für die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.445 Auf diesen Gedanken aufbauend wird über das Subsidiaritätsprinzip, das in Art. 5 I, III EUV eine Verankerung gefunden hat, weiter primärrechtlich postuliert, dass der kleineren Einheit der Vorrang im Handeln („Zuständigkeitsprärogative“) gegenüber der größeren Einheit nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zukommt.446 Diese Regelung konstituiert eine Verschärfung des Einzelzuständigkeitsprinzips in bestimmten Fällen, wonach dann, wenn eine nicht ausschließliche, konkurrierende oder parallel/gemischte Gemeinschaftskompetenz vorliegt (vgl. dazu Art. 4 ff. AEUV), diese von der Gemeinschaft nur dann ausgenutzt werden darf, wenn der „Subsi439
Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 5 EGV Rn. 8. Möschel, NJW 1993, 3025, 3026. 441 Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 9 Rn. 55. 442 Dieser Gedanke ist bereits anlässlich des sog. Tabakwerbeurteils des EuGH (EuGH, Urt. v. 12.11.1996, Rs. C-84/94 – Vereinigtes Königreich/Rat zum Ausdruck gekommen; vgl. dazu auch Calliess, Anm., EuZW 1996, 757 f.; Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 479. 443 Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 9 Rn. 55; Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, 720, 721; Schwartz, AfP 1993, 409, 410, Lambers, EuR 1993, 229, 232. 444 BVerfGE 89, 155, 210 (Maastricht); Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV, Art. 5 EGV Rn. 12; Emiliou, E.L.R. 1992, 383, 401; Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 20. 445 V. Borries, FS Deringer (1993), S. 22, 28; Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV, Art. 5 EGV Rn. 12. 446 Zu diesem allgemeinen Inhalt jeden Subsidiaritätsprinzips vgl. bereits Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht (1968). 440
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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diaritätstest“ ergeben hat, dass die in Betracht gezogene Maßnahme wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene447 erreicht werden könne.448 Flankiert wird der Subsidiaritätsgrundsatz schließlich gemäß Art. 5 I, IV EUV weiter durch das Gebot der Erforderlichkeit („Interventionsminimum“) für die Inanspruchnahme von Regelungsgewalt der Gemeinschaft im Verhältnis zum Mitgliedstaat. Mit anderen Worten heißt dies: Bevor die Gemeinschaft handeln kann, müssen gemäß Art. 5 EUV drei Fragen positiv beantwortet werden: Nach Art. 5 I, II EUV die „Kann-Frage“, nach Art. 5 I, III EUV die „Ob-Frage“ und nach Art. 5 I, IV EUV die „Wie-Frage“ (sog. Schrankentrias).449 (3.) Einschränkungen der Einschränkungen für gemeinschaftsrechtliches Handeln? Nachdem damit zunächst Argumentationsgesichtspunkte gegen das Vollharmonisierungskonzept der Gemeinschaft herausgearbeitet wurden, muss zugestanden werden, dass alle hier genannten Prinzipien und Gebote freilich nicht einseitig gesehen werden dürfen. So besteht zwischen dem Subsidiaritätsprinzip und dem Solidaritätsprinzip prinzipiell ein enger Zusammenhang.450 Dass die Mitgliedstaaten ihrerseits im Hinblick auf die Ziele der Gemeinschaft zur Unterstützung verpflichtet sind, ergibt sich nämlich auch aus dem Primärrecht (Art. 4 III EUV: Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit). Das Gemeinwohl entfaltet sich demnach im Solidaritätsprinzip einerseits und im Subsidiaritätsprinzip andererseits. Hieraus folgt u.a. auch ein Spannungsverhältnis zu den Grundfreiheiten des Vertrages. So kann selbst das Primärrecht, das Grundfreiheiten statuiert, Einschränkungen der den Mitgliedstaaten durch das Mindeststandardprinzip gewährten Autonomie hervorbringen. Seit dem Cassis-Urteil aus dem Jahre 1979451 ist beispielsweise anerkannt, dass auch Verbraucherschutzvorschriften der Mitgliedstaaten grundsätzlich als „Behinderungen des freien Warenverkehrs“ im Sinne des jetzigen Art. 28 AEUV aufgefasst werden können. Zwar stellt der Verbraucherschutz der Mitgliedstaaten dem EuGH zufolge ein legitimes Allgemeininteresse dar, jedoch sind die nationalen Vorschriften nur dann mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar, wenn sie ihrerseits „verhältnismäßig und nicht-diskriminierend“ sind und daher die gemeinschaftsrechtlichen Zielvorgaben, denen sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben, nicht unnötig (stark) einschränken. Der EuGH hat dies in einer lan447 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 5 Rn. 1 f.; Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 7 Rn. 25 ff.; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 159. 448 Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 7 Rn. 28. 449 Zur Verletzung des Subsidiaritäsprinzips durch die Gemeinschaft beim Übergang zum Vollharmonisierungskonzept kritisch auch Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 480. 450 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 5 EGV Rn. 4. 451 EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon.
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1. Teil: Grundlagen
gen Kette von Entscheidungen – vor allem in den achtziger Jahren – herausgearbeitet.452 (a.) Position des EuGH Die Position des EuGH im Cassis-Urteil ist vor dem Hintergrund des Primärrechts als Schranke für das nationale Recht zu sehen. Prinzipiell gilt diese Grenzsetzung, die Ausdruck des o.g. Solidaritätsprinzips ist, aber auch für das aus dem Primärrecht abgeleitete Gemeinschaftssekundärrecht. Zwar hat das Gericht eingeräumt, dass Richtlinienumsetzungsvorschriften grundsätzlich nicht an dem engen durch das Cassis-Urteil vorgegebenen Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen sind, weil einheitliche Vorschriften, die durch sie (auf welchem Niveau auch immer) etabliert werden, den freien Warenverkehr nicht behindern und damit geradezu sinnstiftend für den Binnenmarkt sind.453 Allerdings gilt dies nur für diejenigen Vorschriften, die wirklich diesen Vereinheitlichungseffekt nach sich ziehen.454 Unterschiedliche mitgliedstaatliche Vorschriften, die bislang auf der Grundlage des Mindeststandardprinzips noch in verschiedenen Bereichen zulässig waren, können den Kontrollmechanismus Behinderung – Allgemeininteresse – Verhältnismäßigkeit sehr wohl auslösen, dies gilt insbesondere für national „überschießende“ Umsetzungsmaßnahmen. Dass die Überprüfung nationaler Maßnahmen am Maßstab des Allgemeininteresses und der Verhältnismäßigkeit nicht nur in Bereichen gilt, in denen noch keinerlei gemeinschaftliche Harmonisierung stattgefunden hat, sondern auch für überschießende Maßnahmen bei Mindestharmonisierungen Bedeutung erlangt, hat der EuGH in der Gysbrechts-Entscheidung betont.455 Daraus darf freilich nicht der Schluss gezogen werden, dass ein verhältnismäßiges Allgemeininteresse auf der Linie des Mindeststandards verläuft und darüber hinausgehende Maßnahmen der Mitgliedstaaten „unverhältnismäßig“ wären. Dies hat der EuGH nicht gemeint, denn er hat eine der beiden angegriffenen „überschießenden“ belgischen Regelungen passieren lassen. Eine Mindeststandardklausel erlaubt den Mitgliedstaaten also auch nach dem Gysbrechts-Urteil weitergehende Regelungen, die nicht mit der Warenverkehrsfreiheit kollidieren – Gysbrecht bedeutet keineswegs eine Einführung der Vollharmonisierung „durch die Hinter452 EuGH, Urt. v. 26.6.1980, Rs. C-788/79 – Obstessig I; EuGH, Urt. v. 9.12.1981, Rs. C-193/80 – Kommission/Italien; EuGH, Urt. v. 12.3.1987, Rs. C-178/84 – Reinheitsgebot für Bier; EuGH, Urt. v. 14.7.1988, Rs. C-407/85 – Drei Glocken; EuGH, Urt. v. 20.6.1991, Rs. C-39/90 – Denkavit; EuGH, Urt. v. 8.4.1992, Rs. C-62/90 – Kommission/Deutschland; vgl. auch die Belege bei Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse i.S.d. Cassis-Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV (1997), S. 85 ff.; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl. 2003), S. 64 ff. 453 EuGH, Urt. v. 11.12.2003, Rs. C-322/01 – Doc Morris. 454 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-205/07 – Gysbrechts; zu den vorhergehenden Schlussanträgen der GA Trestenjak kritisch Reich/Micklitz, VuR 2008, 349. 455 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-205/07 – Gysbrechts.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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tür“.456 Die Mitgliedstaaten sind allerdings nicht völlig autonom, denn ihre weiterführenden Maßnahmen stehen unter der Verhältnismäßigkeitskontrolle des EuGH. Die Abwägung zwischen den Binnenmarktzielvorgaben der Gemeinschaft und das sie potentiell beeinträchtigende nationale Recht muss allerdings – dies gilt auch für die Rechtsprechung des EuGH – mit Augenmaß und ausreichender Sensibilität vollzogen werden, und zwar dergestalt, dass ein hohes nationales Verbraucherschutzniveau zunächst einmal ein anerkennenswertes Allgemeininteresse darstellt. Dieses legitimiert sich aus dem „hohen Maß an sozialem Schutz“, das nach Art. 2 EGV (nun Art. 9 AEUV) bereits Bestandteil der Gemeinschaftsaufgabe ist, sodass eine parallele Zielverfolgung der Mitgliedstaaten bei dieser Aufgabe nicht per se gemeinschaftsunsolidarisch sein kann. Die Frage ist daher allein, was man als „unverhältnismäßige“ Einschränkung des Gemeinschaftsrechts bezeichnet, wo die Grenze zu der Unverhältnismäßigkeit in Bezug auf das nationale Verbraucherschutzniveau zu ziehen ist. Schon weil diese Frage letztlich nur normativ beantwortet werden kann (und die Gemeinschaftsorgane quasi immanent einer Kompetenzerweiterung zustreben)457 zeigt sich an der EuGH-Rechtsprechung deutlich, dass letztlich die eigenständige Verbraucherpolitik der Mitgliedstaaten abstrakt nicht nur durch das Vollharmonisierungskonzept der Kommission bedroht ist, sondern – jedenfalls potentiell – auch durch die Verhältnismäßigkeitskontrolle des EuGH. (b.) Position der Literatur Die Position in der Literatur ist zu dieser Problematik noch nicht konsistent: Ein Teil besteht auch weiterhin darauf, dass der Gemeinschaft schon durch das Primärrecht Schranken gesetzt sind, den Regelungsbereich des privaten (Verbraucherschutz-)Rechtes zu dominieren oder gar allein agierend auszufüllen.458 Schon die enge Anbindung des Verbraucherschutzes an das Binnenmarktpro456
A.A. Reich/Micklitz, VuR 2008, 349 f. Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 9 Rn. 63 führt zur Kompetenzdiskussion aus: „Der Weg einer Kompetenzabgrenzung auf Grund schärferer Konturen nach dem Vorbild föderaler Verfassungen ist wohl (als einziges) geeignet, dem „Kompetenzhunger“ der Gemeinschaftsorgane zu dämpfen.“ 458 Berg, in: Schwarze (Hrsg,), EU-Kommentar (2. Aufl., 2009), Art. 153 Rn. 12; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV, Art. 153 EGV Rn. 2, 10; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003), S. 40; ders., EuZW 2008, Heft 22, S. V; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244 ff.; kritisch so schon zum Projekt des Einheitlichen Zivilgesetzbuches: Wagner, ZEuP 2007, 180, 183; Wiesner, DB 2005, 871, 873; Meyer, BB 2004, 1285, 1287; Fricke, VersR 2005, 1474, 1476; Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870, 873; Rittner, JZ 1990, 838, 842; ders., JZ 1995, 852; ders., Ein Gesetzbuch für Europa?, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), FS (1996), S. 451 ff.; Schwartz, ZEuP 1994, 569 ff.; Bangemann, ZEuP 1994, 378 ff.; Steindorff, Grenzen der EG-Kompetenzen (1990), S. 90 ff.; Lecheler, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2006), H.V. Rn. 35; Borchert, NJW 2005, 3267; Flessner, JZ 2002, 14 ff. 457
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jekt lasse eine Ausweitung der Kompetenzen der Gemeinschaft – zu denen es bei der Umstellung auf den Vollharmonierungsansatz fraglos kommt – nicht zu. Insofern wird gegen dieses Konzept zumindest von einem großen Teil erbitterter Widerstand geleistet,459 gerade auch, weil die Kommission nicht geneigt ist, die „best practice“460 der Mitgliedstaaten zu ermitteln und zum Regelungsmaßstab zu nehmen. Andere stehen dem Bestreben der Gemeinschaft nicht rundweg ablehnend gegenüber, fordern aber einen bestimmten formalen Abstimmungsmodus zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft, wobei die Fragen des Verbraucherschutzniveaus oder legitimatorische Probleme im Zusammenhang mit den den Mitgliedstaaten verbleibenden geringen Spielräumen leider kaum aufgegriffen werden.461 cc. Wettbewerb der Systeme, Demokratie- und Föderalismusprinzip und Grundsatz des partnerschaftlichen Zusammenwirkens462 Dass die Unternehmen, möglicherweise aber eben auch die Verbraucher, an einem stärker vereinheitlichten Recht prinzipiell interessiert sein könnten, weil es (wenn es funktioniert)463 Transaktionskosten sparen kann und mehr Transparenz schafft, kann zwar nicht grundsätzlich bestritten werden.464 Dieser potentielle Vorteil von EU-Ambitionen, die derzeit in die Vereinheitlichungsrichtung laufen, ist aber mit vielen anderen Aspekten, d.h. nicht nur mit dem soeben dargestellten auf der Hand liegenden Problem der Absenkung des Verbraucherschutzniveaus, abzuwägen. Dabei sind die nachfolgend zu nennenden Abwägungskriterien in Überlegungen zur Vollharmonisierung zwingend mit einzubeziehen. Sie sind jedenfalls insofern „auch“ binnenmarktrelevant, als sie auf das Selbstverständnis der EU abzielen.
459 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV und EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 EGV Rn. 10; Reich, in: FS Stauder (2006), S. 357, 374; ders., EuZW 2008, Heft 22, S. V; Micklitz/ Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Micklitz, in: Howells/Schulze, Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47 ff.; Micklitz/Reich/Rott, Understandig EU Consumer Law (2009), S. 190. 5.10; Rott/Terryn, ZEuP 2009, 456, 458 ff.; Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997), S. 19; Struyck, CMLRev 2000, 367, 381; Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244 ff. 460 Zu dieser Forderung in Bezug auf das neue Grünbuch der EU-Kommission zum grenzüberschreitenden B2C-Verkehr, KOM 2010, 348/3 v. 1.7.2010, Tamm GPR 2010, 525 ff. 461 Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 28. 462 Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 463 Zu den Effizienzverlusten bei der Inkorporierung vollharmonisierter Richtlinien in nationales Recht und dem Friktionspotential noch später. 464 Basedow, CMLRev (1996), 1169, 1181; Flessner, JZ 2002, 14.
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(1.) Heterogenität der Mitgliedstaaten als eigenständiger Wert – Wettbewerb der Systeme Bedeutsam ist insofern schon, dass der europäische Gedanke, der die Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten in begrüßenswerter Weise (nicht nur, aber eben auch) auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes ein gutes Stück vorangebracht hat, seit jeher getragen war von dem Bewusstsein von Differenz und Vielfalt.465 So ist das Prinzip der „Dialogik“ geradezu signifikant für Europa und den Europäischen Integrationsprozess. Das Prinzip der Dialogik steht für ein befruchtendes Aufeinandertreffen von Unterschieden, Antagonismen, Konkurrenzen und Komplementaritäten.466 Gerade aus dem Gegensatz von Einheit und Vielfalt467 erklärt sich die eigentümliche Dynamik und Entwicklungsfähigkeit der europäischen Kultur468 und nicht minder der in ihr einfließenden nationalen Rechte.469 Die grundsätzliche Kritik gegen die von der Kommission angestrebte Vollharmonisierung im Bereich des Verbraucherrechts betrifft daher bereits die Nichtanerkennung des eigenständigen Bedeutungsgehaltes der heterogenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Ihre unterschiedliche Gestaltung ist Ausfluss von differenzierten Vorstellungen im rechtskulturellen Bereich, die sich etwa bzgl. der materiellen Lösungsmodelle, aber auch bzgl. prozeduraler Elemente und der Neigung zur gerichtlichen Rechtsverfolgung feststellen lässt.470 Diese Unterschiede sollten als sich gegenseitig befruchtende Elemente angesehen werden. Vorwärtsdrängend in einem positiven Sinne ist die Vielfalt der Systeme insofern, als sie die Basis für einen Wettbewerb der Mitgliedstaaten um die besten Lösungsmodelle liefert, an dem auch die Gemeinschaft (und über sie jeder einzelne Mitgliedstaat) partizipieren und von ihm profitieren kann. Ohne einen solchen Wettbewerb der nationalen Systeme fehlt es bei neuen Regelungen auf EU-Ebene an „vorlaufenden“ Referenzmodellen. Dies führt dazu, dass es keine guten, d.h. ausgewogenen und (praxis-)erprobten Lösungen gibt.471 Auch dieser Aspekt spricht gegen den von der Kommission hinsichtlich des Verbraucheracquis avisierten neuen Vollharmonisierungsansatz.472
465 Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt (2002), S. 242 ff.; ders., in : Joas/Wiegandt (Hrsg.), Die kulturellen Werte Europas (2005), S. 144 ff.; Muschg, Was ist europäisch? Reden für einen gastlichen Erdteil (2005), S. 67 ff.; Zimmermann, JZ 2007, 1. 466 Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt (2002), S. 129; Morin, Europa denken (1991); Häberle, JZ 2007, 183, 184. 467 So zutr. Zimmermann, JZ 2007, 1, 2. 468 Muschg, a.a.O., S. 56 f. 469 Zimmermann, JZ 2007, 1, 2 ff. 470 Vgl. dazu Gessner, FS Reich (1997), S. 163 ff. 471 Calliess, ZEuP 2006, 742, 754. 472 Für die Kompetenzteilung schon früher Reich, CMLRev 1992, 861, 890; jetzt Reich/ Micklitz, CMLRev 2009, 471, 476; für einen „legal pluralism“ auch Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997), S. 19.
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(2.) Demokratie- und Föderalismusgedanke als identitätsstiftend für die EU Gegen den neuen Ansatz der Vollharmonisierung können aber auch Demokratie- und Föderalismusgedanken vorgetragen werden.473 Die Gemeinschaft fußt bekanntlich auf demokratischen Grundsätzen. Schon das Wort „Demokratie“ beinhaltet aber eine ständige und umfassende Beteiligungs- und Einbringungsmöglichkeit von in der Gesellschaft vorhandenen unterschiedlichen Vorstellungen. Die Chance zur Einflussnahme vergrößert sich, je mehr Regelungsebenen es gibt und je größer die in dem Modell verankerten basisdemokratischen Elemente sind. In diesem Sinne lebt die Demokratie in dem europäisch gewachsenen Verständnis auch und gerade von föderaler Gewaltenteilung. Die Bürger müssen demnach an der Lösung der Probleme der Gesellschaft so dezentral wie möglich beteiligt werden. Dies gilt auch und gerade für den für sie im täglichen Leben so einschneidenden Bereich des Verbraucherschutzes. Bisher hat die EU diesen Gedanken durch den Grundsatz der beschränkten Einzelermächtigung und das Subsidiaritätsprinzip (vgl. Art. 5 EUV) anerkannt. Jetzt rückt sie ausweislich ihrer Zielsetzung im Grünbuch und dem Richtlinienvorschlag schrittweise davon ab. (3.) Gebot des partnerschaftlichen Zusammenwirkens474 Bereits vor dem Hintergrund des eben dargestellten Nutzens des Wettbewerbes der Regelungssysteme, dem Demokratie- aber auch dem Föderalismusgedanken ist zu fordern, dass sich die zentrale Ebene in die notwendigen Gesetzgebungsprozesse nicht vorzeitig durch eigene Lösungen einschaltet. Dem Solidaritätspostulat475 des Gemeinschaftsrechts kontrastiert damit auch das Gebot des partnerschaftlichen Zusammenwirkens. Die Gemeinschaft als zentrale Ebene darf auch vor diesem Hintergrund die allseitig nutzbringende eigenständige Kreativität der Mitgliedstaaten nicht völlig ausbremsen und ihre eigene auf Grund der Staatsqualität bestehende Verantwortlichkeit für die Gesetzgebung völlig aushöhlen. Gewinnbringender sowohl für die Gemeinschaft als auch die Mitgliedstaaten wäre es, wenn sich die EU und ihre Organe in fortwährender Identifikation und Rückbesinnung auf ihre ursprüngliche Zielsetzung dem Problem widmen, dass die mitgliedstaatlichen Lösungen und die Geschwindigkeit der Entwicklung in den Mitgliedstaaten nicht allzu sehr auseinanderdriften. Bestens zur Sicherung dieses Zweckes geeignet ist – jedenfalls im Bereich des Verbraucherschutzes – das bislang praktizierte Mindeststandardprinzip. Wenn man dieses ernst nimmt, haben die Organe der EU nicht die Aufgabe, einen voll473 Zum föderalen Gedanken, der dem Kompetenzhunger der Gemeinschaft entgegenzustellen ist und die Diskussion lenken sollte, Herdegen, Europarecht (10. Aufl., 2008), § 9 Rn. 63. 474 Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 475 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 5 EGV Rn. 4 f.
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harmonisierten Binnenmarkt herzustellen. Sie haben lediglich die Pflicht, die Entwicklung in den Mitgliedstaaten zu verfolgen und in regelmäßigen Abständen durch Anpassung des Mindeststandards die „am wenigsten Aktionsfreudigen“ an das allgemeine Entwicklungstempo und den Entwicklungsfortschritt im Bereich des Verbraucherschutzes heranzuführen. Auf keinen Fall darf es vor dem Gebot des partnerschaftlichen Zusammenwirkens dazu kommen, dass die Mitgliedstaaten durch den Umsetzungszwang der immer schneller getakteten und immer weniger Spielraum belassenden EUVorgaben „überfordert“ werden. Dies steht aber zu befürchten, wenn etwa wie im Bereich des Verbrauchsgüterkaufes nach der Transformation der entsprechenden Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die vor einigen Jahren stattfand, nun schon wieder ein neuer Richtlinienentwurf476 konzipiert wird, der auf das Vollharmonisierungskonzept umschwenkt und damit die mitgliedstaatlichen Integrationslösungen (bzgl. derer sich erst langsam eine Rechtsprechung etabliert), zu „sprengen“ droht.477 (4.) Zu befürchtender Effizienzverlust des nationalen Rechts 478 Bei einer Beibehaltung des derzeit verfolgten Vollharmonisierungsansatzes würde das relativ hohe Verbraucherschutzniveau in einigen Mitgliedstaaten um den Preis der Einheitlichkeit des Rechts geopfert479 und das, obwohl die zu erwartende Rechtsvereinheitlichung nur begrenzt in Rechtsklarheit und damit effektiver Rechtsanwendung münden würde. Denn das Ziel, das die Kommission mit der Zusammenfassung und Vereinfachung der Kernrichtlinien erstrebt, die bestehende Rechtszersplitterung abzuschaffen, wird nach derzeitigem Rechtsstand nur vordergründig erreicht. Der Grund hierfür liegt darin, dass die totalharmonisierenden Richtlinien zwar Vorgaben beinhalten, die von jedem Mitgliedstaat ohne Veränderung umzusetzen sind, sodass innerhalb des Rahmens der Vorgabe Abweichungen ausbleiben werden. Jedoch müssen die Richtlinien auch wie bisher in nationales Recht transformiert werden. Gerade an dem Umsetzungsergebnis und seinen weitergehenden Auswirkungen auf die übrige (nationale) Rechtsordnung bemisst sich aber, ob der angestrebte Schutz für den Verbraucher auch bei ihm ankommt, d.h. „effektiv“ wird. Das wird jedoch entgegen der Regelungsintention der Kommission bereits deshalb nicht der Fall sein, weil sich bei der Transformation von „vollharmonisierenden Richtlinien“ Einpassungsprobleme von einem noch nicht da gewesenen
476 Vgl. dazu den neuen Richtlinienvorschlag über die Rechte der Verbraucher v. 8.10.2008, KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 477 Kritisch insofern auch Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279, 284. 478 Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 479 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV und EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 EGV Rn. 10.
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1. Teil: Grundlagen
Ausmaß in das nationale Recht ergeben, die seine eigene Kohärenz und Effizienz unweigerlich in Mitleidenschaft ziehen werden.480 (a.) Die bisherige Bedeutung der Möglichkeit einer überschießenden Umsetzung Bis zum heutigen Zeitpunkt konnten die nationalen Gesetzgeber481 – sofern sie dies wollten – 482 bei der Umsetzung der europäischen Problem-Impulsvorgaben483 das Defizit der dem Sekundärrecht anhaftenden fehlenden rechtssystematischen Durchdringung und seiner fehlenden Abstimmung mit dem nationalen Normengefüge weitestgehend dadurch „abmildern“, dass sie über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinausgingen.484 Um mit einer Metapher zu sprechen, konnten die nationalen Legislativorgane die aus Brüssel vorgegebenen „Rechtsbausteine“ durch die Möglichkeit der überschießenden Umsetzung485 in der Vergangenheit so „zurechtschleifen“, dass sie bzgl. der nationalen Rechtsordnung „passfähig“ wurden. Das von Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers486 erstellte Verbraucherrechts-Kompendium belegt eindrucksvoll, dass die nationalen Gesetzgeber von der Möglichkeit der überschießenden Umsetzung zum Erhalt der Kohärenz der nationalen Rechtsordnung durchgängig Gebrauch gemacht haben, weil sie – das impliziert die Untersuchung – auch darauf angewiesen waren. Nun soll den Mitgliedstaaten diese Möglichkeit genommen werden.487 480 Die Integration des vollharmonisierenden EU-Rechts ebenso problematisierend Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 7. 481 Weder in Griechenland noch in Österreich oder in Deutschland beschränkte man sich etwa auf die bloße Umsetzung der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf, sondern sah zur Wahrung der Systemgerechtigkeit Bedarf für eine aus europäischer Sicht überobligationsmäßige Anpassung der allgemeinen Kaufrechtsordnung. In einigen anderen Ländern mit „modernen“ Kaufrechten wie z.B. dem 7. Buch des niederländischen Burgerlijk Wetboek und dem schwedischen Köplagen konnte sich der Gesetzgeber nur deshalb ruhigen Gewissens zurücklehnen, ohne die Bürde der grundlegenden Neujustierung zu tragen, weil sich diese jungen Kaufrechtsordnungen ebenso wie die Richtlinie am Vorbild der CISG orientierten, sodass naturgemäß geringer Abstimmungsbedarf bestand, zum Ganzen Tröger, ZEuP 2003, 525, 527 ff. 482 Viele sehen da durchaus auch keinen Bedarf, weil sie bestehende Abstimmungsnotwendigkeiten im inneren und äußeren System einfach ignorieren oder hier keine hoch ambitionierten Ansprüche verfolgen, was aus Gründen der Kohärenz der (nationalen) Rechtsordnung aber problematisch ist. 483 Kötz, RabelsZ 50 (1986), 1, 5; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 102. 484 Tröger, ZEuP 2003, 525 ff. 485 Vgl. dazu Jäger, Die überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht (2006). 486 Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium (2008). Bezeichnenderweise sprechen sich die Autoren dieser von der Kommission in Auftrag gegebenen Untersuchung für eine allenfalls selektive Vollharmonisierung aus, vgl. dazu SchulteNölke/Twigg-Flesner/Ebers, a.a.O., S. 797. 487 Kritisch zu diesem absehbaren Friktionspotential in Bezug auf die neue Verbraucherkreditrichtlinie auch Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244, 245.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
259
Die bisherigen nationalen Handlungs- und Anpassungsmöglichkeiten werden durch den neuen Regelungsansatz eingeschränkt und der Hinweis darauf, dass davon nur die ausdrücklich von einer Richtlinie als solche bezogenen Bereiche i.S.d. „targeted harmonisation“ erfasst sein werden (andere aber nicht), trägt zur Problemlösung wenig bei.488 Es ist nämlich – das zeigt bereits das Beispiel der neuen Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) – unglaublich schwierig und wenig Rechtssicherheit bietend, die der Vollharmonisierung unterstellten Bereiche von den Feldern, die ihr nicht unterfallen, abzugrenzen.489 Hier ergeben sich viele Auslegungs- und Zweifelsfragen, die letztlich dazu führen, dass der EuGH ständig angerufen werden müsste,490 um eine Rechtskonsolidierung in diesen zentralen Bereichen herbeizuführen. Für die Rechtsprechung bedeutet die Vollharmonisierung (die vereinzelt, so wie in der neuen Verbraucherkreditrichtlinie umgesetzt, so genannte „Schlupflöcher“ i.S.v. Öffnungsklauseln für ein „Mehr“ an Verbraucherschutz bereithalten kann) eine unbedingte Verpflichtung, im Anwendungsbereich der Richtlinie alle Abgrenzungs- und Auslegungsfragen dem EuGH nach Art. 267 lit. a) AEUV (vor dem Vertrag von Lissabon nach Art. 234 EGV) vorzulegen. Die bisher gelegentlich vorgefundene Praxis, zur Vermeidung einer Vorlage im Zweifel zugunsten des Verbrauchers zu entscheiden491 und sich dabei ggf. auf die Mindestharmonisierungsklausel zu stützen, ist insoweit gemeinschaftsrechtlich unzulässig.492 Die allumfassende Vorlagepflicht an den EuGH (gerade auch in Bezug auf die schwierige Abgrenzung zwischen dem vollharmonisierten und nicht vollharmonisierten Bereich) wird die zeitnahe und kohärente Rechtskonsolidierung aber – so die m.E. nicht von der Hand zu weisende Befürchtung – im Zweifel nicht befördern. (b.) Aus dem Wegfall sich ergebende Folgeprobleme Die sich aus dem Wegfall der Option der überschießenden Umsetzung ergebenden Probleme für die Anwendung des nationalen Rechts sind nicht gering einzuschätzen. Denn im Hinblick auf den zu erwartenden Kohärenzverlust493 der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sei daran erinnert, dass das Gemeinschaftsrecht im Bereich des Zivilrechts noch lange nicht so weit gediehen ist, dass es 488
Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279, 280; Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 53. 489 Rott/Terryn, ZEuP 2009, 456, 458. 490 Micklitz, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 47, 59. 491 Vgl. etwa BGH NJW 2005, 53, 55 zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzauktionen; BGH NJW 2006, 846 zur Einbeziehung von Sicherungsrechten in den Anwendungsbereich der Regeln über Haustürgeschäfte; BGH NJW-RR 2007, 1673, 1676 zur Anwendung des Verbraucherkreditrechts auf den Schuldbeitritt eines Gesellschaftergeschäftsführers. 492 Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244, 245. 493 Vgl. dazu jüngst Micklitz/Reich, EuZW, 2009, 279 ff.; Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 190; Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244.
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1. Teil: Grundlagen
sich mit einer nationalen Zivilrechtsordnung (bzw. -kodifikation) messen lassen könnte.494 Das (sekundäre) Gemeinschaftsrecht im Bereich des Zivilrechts ist bislang äußerst fragmentarisch geregelt, wenngleich die viel beschriebenen „Inseln“ 495 des europäisch inspirierten Zivilrechts sich langsam, aber stetig zu Archipelen ausweiten.496 Eine europäisch geleitete Gesamtkodifikation, die (theoretisch) auch peu á peu in die nationalen Rechtsordnungen hineingetragen werden könnte, steht (unabhängig von der Problematik des Wertes einer solchen Vollharmonisierung497 und des dazu nötigen politischen Willens und der Akzeptanz der Bevölkerung) noch nicht einmal mittelfristig zu erwarten. Die Diskussion498 über das europäische Vertragsrecht verläuft viel zu langsam,499 als dass man schon heute darauf setzen und das Mindeststandardprinzip aufgeben könnte, auch wenn die Kommission die Überarbeitung des verbraucherrechtlichen acquis und das Entstehen von gemeinschaftlichem Vertragsrecht miteinander verbinden möchte. (5.) Grundsätzliche Zweifel an der hohen Relevanz der Vollharmonisierung 500 Die Vielzahl der oben genannten Einwendungen gegen die Vollharmonisierung lassen das neue Konzept der EU-Kommission bereits als sehr problematisch erscheinen. Das Problem verschärft sich weiter dadurch, dass der „Belebungseffekt für den Binnenmarkt“, der von einem nicht nur angeglichenen, sondern völlig egalisierten Verbraucherrecht innerhalb der EU ausgeht, zwar nicht prinzipiell bestritten werden kann, aber doch begrenzt sein dürfte. Eingeschränkt ist er einerseits schon dadurch, dass von ihm nur ein Teilausschnitt der Rechtsgeschäfte, nämlich lediglich solche zwischen Verbraucher und Unternehmer, aber nicht B2B- und C2C-Geschäfte erfasst wären. Ein einheitliches Marktrecht wird es durch diese Maßnahmen mithin noch nicht geben. Überdies machen empirische Untersuchungen, die etwa im Zusammenhang mit der auf Teilharmonisierung gerichteten neuen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie angestellt wurden, deutlich, dass ein vereinheitlichtes Recht, das hier zudem 494 Zum Stand des Gemeinsamen Referenzrahmens vgl. etwa Zimmermann, ZEuP 2007, 109 ff.; zu den weiteren Schritten nach Vorliegen des Draft Common Frame of Reference Schulze/Wilhelmsson, ECLR 4 (2008), 154 ff. 495 Ritter, JZ 1995, 849, 851. 496 Das Bild stammt von Basedow, AcP 200 (2000), S. 445. 497 Dazu vgl. oben. 498 Gebauer/Wiedemann, in: Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 5; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145 ff.; Zimmermann, ZEuP 2007, 109 ff.; Lehne, ZEuP 2007, 1, 2; Dauner-Lieb, Anwaltsblatt 2006, 430, 434; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 374 ff.; Weatherill, in: Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland – Stand und Perspektiven (2005), S. 15, 27 ff. 499 Vgl. den Zweiten Fortschrittsbericht zum europäischen Vertragsrecht, KOM (2007), 447. 500 Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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nur in einem Segment wirkt, selbst von den Unternehmen nur als einer von vielen, vielfach eher untergeordneten Faktoren im Zusammenhang mit Schranken für den Freihandel gesehen werden.501 Die angesprochenen Untersuchungen legen nahe, dass der geringe Anteil an grenzüberschreitenden Krediten (mit Waren und Dienstleistungen anderer Art wird es ähnlich sein) in erster Linie auf natürliche Grenzen (etwa die Sprachenvielfalt)502 und nicht auf juristische Marktbarrieren zurückzuführen ist. Eine kritische Position zu Vollharmonisierung in Bezug auf die Belebung des Binnenmarktes – die von der EU-Kommission leider nicht genügend gewürdigt wurde – wird insofern etwa in zwei 130 Seiten umfassenden Untersuchungsberichten des britischen Beratungsunternehmens Oxera503 vertreten, wobei diese Berichte von Wirtschafts- und nicht etwa von Verbraucherverbänden in Auftrag gegeben wurden. Folgende Gesichtspunkte sind danach in erster Linie bei grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften aus Sicht der Unternehmen relevant: Reputation, kulturelle Unterschiede, auf die man sich einzustellen hat, Verteilungskanäle, die sich zwischen Ländern unterscheiden, Schwierigkeiten, sich auf Unterschiede der Risikobewertung in einem fremden Land einzustellen sowie Rechtsdurchsetzungsfragen. Schon dieser empirische Hintergrund hätte es erfordert, das Mindeststandardprinzip voll aufrecht zu erhalten.504 f. Ergebnis Es ist am Ende der kritischen Würdigung des von der Kommission befürworteten und schon teilweise umgesetzten Vollharmonisierungskonzepts festzuhalten, dass bereits das Argument der Kommission, Verbraucher und Unternehmer würden nur dann grenzüberschreitend tätig werden und das Binnenmarktpotential ausschöpfen, wenn über die Rechtsangleichung hinaus eine Rechtseinheit hergestellt wird, zwar zunächst nachvollziehbar erscheint, aber hinsichtlich der o.a. Marktforschungsstudien in seiner Bedeutung doch vernachlässigbar ist. 505 Die beim jetzigen Rechtsstand noch auszumachende Rechtsdiversität ist hinter anderen Marktzugangshemmnissen (rechtstatsächlicher Art) ein subsidiärer Faktor. Diese Klarstellung ist auch deshalb wichtig, weil sie mit dazu dient, das Verhältnis zwischen dem Regelungsziel, das über die Vollharmonisierung als In501 Siems, EuZW 2008, 454, 458; Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 474; Vogenauer/ Weatherill, ELRev 2005, 821, 834 f. 502 Zum „Recht auf Sprache“ in Europa i.S.d. Vielgestaltigkeit vgl. etwa Berteloot, in: Gemeinsame Prinzipien des Europäischen Privatrechts (2003), S. 357 ff.; Jarass, ebenda, S. 371 ff.; Moréteau, ebenda S. 405 ff. 503 Oxera (Oxford Economic Research Assoziation), Assessment of the Economic Impact of the Proposed EC Consumer Directive, Juni 2003 und Oxera, What is the Impact of the Proposed Consumer Credit Directive?, April 2007, beides abrufbar unter htt://www. oxera.com/. 504 Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 476; Wilhelmsson, ZEuP 2008, 225. 505 Noch stärker: Micklitz/Reich, a.a.O.: „überhaupt nicht nachgewiesen ist“.
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1. Teil: Grundlagen
strument erreicht werden soll, mit den zu erwartenden negativen Folgewirkungen in ein ausbalanciertes Verhältnis zu setzen. In Bezug auf die Folgewirkung ist zunächst auf die schon in Gang befindliche (und ggf. weiter voranschreitende Gefahr der) Herabsetzung des Verbraucherschutzniveaus hinzuweisen. Sie führt dazu, dass die Regelungen der Gemeinschaft nicht mehr die Gewähr dafür bieten, dass zwischen der Binnenmarktzielsetzung und dem Sozial- bzw. Verbraucherschutz innerhalb der EU ein angemessenes und ausgewogenes Verhältnis besteht. Für den Verbraucher(schutz) ist dies als ein Rückschritt hinter den bisherigen Rechtsstand zu bewerten. Kritik am Vollharmonisierungskonzept muss sich aber auch vor dem Hintergrund (rechts-)soziologischer Erwägungen entzünden. Denn wenn die Gemeinschaft die legislative Tätigkeit in einem bestimmten Bereich – hier dem des Verbraucherschutzes – soweit an sich zieht, dass die Mitgliedstaaten als Akteure aus dem Rechtssetzungsprozess völlig verdrängt werden und Regelungsvorgaben der Gemeinschaft (ohne wirkliche Spielräume lediglich 1:1) umzusetzen haben, kommt es zu einem nicht zu rechtfertigenden Verlust an demokratischer Rückkopplung und an föderaler Gewaltenteilung. Überdies folgen daraus eine Störung des Gebots des partnerschaftlichen Zusammenwirkens zwischen Gemeinschafts- und Mitgliedschaftsebene und ein Effizienzverlust des nationalen Rechts, weil Einpassungsschwierigkeiten des EU-Sekundärrechts nicht mehr durch eine „überschießende Umsetzung“ abgebaut werden können. Der Befund ist nicht hinnehmbar und muss unausweichlich dazu führen, dass das Vollharmonisierungskonzept der Kommission abzulehnen ist. 2. Kritik am Herkunftslandprinzip Aber auch ein bei der Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstandes und dem Erlass neuer Regelungen möglicher (breitflächiger) Übergang zum Herkunftslandprinzip, der etwa mit der E-Commerce-Richtlinie506 schon jetzt eine wichtige Stütze im acquis communautaire findet, ist für die Zukunft hinsichtlich der Neustrukturierung des Gemeinschaftsprivatrechts nicht wünschenswert. a. Einführung: Genese des Herkunftslandprinzips Die Ursprünge des Herkunftslandprinzips liegen bekanntlich in der Dogmatik des freien Warenverkehrs begründet.507 Der EuGH dehnte beginnend mit der Dassonville-Entscheidung aus dem Jahr 1974508 in seinem 1979 ergangenen Cassis de Dijon-Urteil509 den Grundsatz des freien Warenverkehrs von einem Diskri506 507
Vgl. Dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 2. Kapitel, B I 2. Grundlegend Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht
(1997). 508 509
EuGH, Urt. v. 11.7.1974, Rs. C-8/74 – Dassonville. EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon.
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
263
minierungs- zu einem Beschränkungsverbot aus. Nur bei so genannten Verkaufsmodalitäten gilt nach der Keck-Formel weiterhin lediglich ein Diskriminierungsverbot.510 I.Ü. ist – negativ formuliert – jede staatliche Maßnahme verboten, die geeignet ist, den freien Warenverkehr unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Positiv formuliert ist danach eine Ware, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt oder in Verkehr gebracht wurde, grundsätzlich in der gesamten Gemeinschaft verkehrsfähig.511 Insofern kann man von einem bereits in der Warenverkehrsfreiheit und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH angelegten „Herkunftslandprinzip“ sprechen. Heute findet das Herkunftslandprinzip in verschiedenen Richtlinien (vgl. etwa die E-CommerceRichtlinie) zudem eine Stütze im gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht. b. Problem: Untergrabung der Rechtsangleichung Das Herkunftslandprinzip führt bei Aufrechterhaltung unterschiedlicher Rechtsstandards freilich zu einer Verfestigung der Rechtsdiversität in der Gemeinschaft.512 Es steht damit im Gegensatz zum erklärten Gemeinschaftsziel der Herstellung des Binnenmarktes über die Rechtsangleichung, die im Verbraucherrecht mehr und mehr auf eine Vollharmonisierung hinausläuft. Das Konfliktverhältnis wird faktisch dadurch „entschärft“, dass auch im Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips eine Angleichung der Geschäftspraktiken stattfinden wird, weil schon aus Kostengründen die Tendenz besteht, dass durch Sitzverlagerung des Unternehmens bestehende (hohe) nationale Schutzlevel zu unterlaufen.513 Vor diesem Hintergrund werden sich auch die Mitgliedstaaten aufgefordert sehen, die Schutzstandards für Verbraucher zu senken, um in der Gemeinschaft ein für Unternehmen „attraktives“ nationales Recht anbieten zu können.514 Für den Verbraucherschutz führt das Herkunftslandprinzip wegen dieser Tendenz zweifelsohne zu einer beklagenswerten Schutzverkürzung. c. Herkunftslandprinzip und Gefahr der Absenkung der Schutzstandards Dies gilt jedenfalls, solange und soweit die Gemeinschaft in den geregelten Bereichen nicht für einheitliche (einzuhaltende) Mindeststandards sorgt. Erfahrungen im Bereich des Warenverkehrs haben gezeigt, wie voraussetzungsvoll der 510 Grundlegend EuGH, Urt. v. 24.11.1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 – Keck und Mithouard. 511 EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon. 512 Referierend Piepenbrock, GRUR Int. 2005, 997, 1001. 513 Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Einl. Rn. 3.40. 514 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 290; Hoeren, MMR 1999, 192, 194; Mankowski, GRUR Int. 1999, 909, 913 ff.; ders., ZVerglRWiss 100 (2001), 137, 138; Bodewig, GRUR Int. 2000, 475 ff.; Fezer/Koos, IPRax 2000, 349 ff.; Groeschke/Kiethe, WRP 2001, 230; Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2000, 885, 886; Piepenbrock, GRUR Int. 2005, 997, 1001; Schriecker/Henning-Bodewig, WRP 2001, 1367, 1370.
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1. Teil: Grundlagen
Grundsatz des Herkunftslandes in Bezug auf einheitliche Mindeststandards ist. Denn er stützt sich auf die ausdrückliche oder konkludente gegenseitige Anerkennung von bestehenden rechtlichen Niveaus. Deshalb jedoch kann das Herkunftslandprinzip als Regelungsansatz sinnvollerweise auch nur dort in Ansatz gebracht werden, wo weitgehende rechtliche Übereinstimmungen bereits bestehen, die wiederum Grundlage eines entsprechendes Vertrauens (auch in vergleichbare wirtschaftliche und soziale Verhältnisse) sein können.515 Ein solches Regelungsniveau würden die derzeitigen Mitgliedstaaten aber erst nach einer weitgehenden Rechtsangleichung erreicht haben.516 Bislang ist diese noch nicht gegeben. Schon die heftig umstrittene Dienstleistungsrichtlinie ist bekanntlich gerade daran gescheitert, dass die arbeits- und sozialrechtlichen Standards in den Mitgliedstaaten noch sehr unterschiedlich sind, sodass weder die umfassenden rechtlichen Übereinstimmungen bestehen, noch ein Vertrauen darauf, dass eine gegenseitige Anerkennung mitgliedstaatlicher Herkunftsstandards möglich ist und deshalb auch nicht eingefordert werden kann.517 Vor dem Hintergrund der derzeitigen Diversität der (sozial- und ordnungs-)rechtlichen Grundlagen besteht vielmehr die Gefahr eines Negativ-Wettbewerbs der Anbieter i.S.e. Buhlens um die niedrigsten Schutzstandards durch Sitzverlagerung ins Ausland, s.o.518 Der Gemeinschaftsgesetzgeber ist bereits vor diesem Hintergrund aufgerufen, zunächst vergleichbare Mindestschutzstandards zu schaffen. Wenn diese etabliert würden, würde sich auch der Aufwand der Unternehmen, den sie wegen der Rechtsdiversität in den verschiedenen Absatzmärkten derzeit noch bestreiten müssen (und den sie beklagen), 519 verringern. d. Problem der ungeklärten Reichweite Ungeachtet dieses wirtschafts- und sozialpolitisch wenig wünschenswerten Ergebnisses ist auch die Reichweite des Herkunftslandprinzips bislang völlig ungeklärt.520 Auf der Hand liegt nur, dass gewisse nationale Einschränkungen der Grundfreiheiten, die den Binnenmarkt mitvereinheitlichen, möglich sein müssen und insofern auch der Rechtsstandard der Mitgliedstaaten in den Randbereichen schwanken darf.521 Gerade vor dem Hintergrund der zu gewährenden 515
So ausdrücklich und m.E. zutreffend Hatje, NJW 2007, 2357, 2360. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 202. 517 Vgl. dazu Albath/Giesler, EuZW 2006, 38 ff.; Basedow, EuZW 2004, 423 ff.; Calliess, Die Dienstleistungsrichtlinie (2007); Korte, EWS 2007, 246 ff.; Kugelmann, EuZW 2005, 327 ff. 518 Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (Hrsg.), UWG (23. Aufl., 2004), Einl. Rn. 3.40.; Piepenbrock, GRUR Int. 2005, 997, 1101. 519 Dazu Piepenbrock, GRUR Int. 2005, 997, 1001. 520 Dazu Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 290. 521 EuGH, Urt. v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon. 516
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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Grundfreiheiten im Zusammenhang mit der Etablierung eines einheitlichen Binnenmarktes hat die Cassis-Rechtsprechung, entgegen mancher Erwartungen, die europäische Harmonisierung durch die derzeit noch praktizierte Rechtsangleichung über Richtlinien, die auch Abweichungen „produzieren“, weil sie Umsetzungsspielräume eröffnen, keineswegs überflüssig gemacht.522 Denn durch die Cassis-Rechtsprechung wurden diese Abweichungen (damals noch zur Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus) zwar grundsätzlich zugelassen, aber eben nur in einem gewissen Rahmen. Die Eingrenzung der Abweichungsmöglichkeit muss im Prinzip aber auch bei einem durch das Herkunftslandprinzip eröffneten „Ausbruch nach unten“ gelten. An einer konsistenten Rechtsdogmatik in diesem Bereich fehlt es aber bislang noch. Probleme bezüglich der Reichweite des Herkunftslandprinzips ergeben sich aber unter einem anderen Aspekt: Hinterfragenswert ist nämlich insbesondere das Verhältnis zum Internationalen Privatrecht.523 Das Herkunftslandprinzip soll dem Anbieter bekanntermaßen (beispielsweise für seine Aktivitäten im elektronischen Geschäftsverkehr, vgl. dazu die E-Commerce-Richtlinie, hier Art. 3) den ihm aus seinem Niederlassungsstaat bekannten Rechtsrahmen erhalten. Das kann rechtstechnisch auf zwei Wegen bewerkstelligt werden: Zum einen kann auf die Aktivitäten des Anbieters ausschließlich die Privatrechtsordnung des Herkunftsstaates angewendet werden. Das Herkunftslandprinzip legt dann das anwendbare Privatrecht fest, wäre also selbst eine Norm des Internationalen Privatrechts. Zum anderen könnte das Herkunftslandprinzip aber auch erst eingreifen, nachdem das anwendbare Privatrecht nach den herkömmlichen IPR-Regeln bestimmt wurde. Das Herkunftslandprinzip würde dann zu einer Kontrolle, des anwendbaren Sachrechts führen: Stellt dieses höhere Anforderungen an den Anbieter als das Recht im Staat seiner Niederlassung, so würden diese gleichsam „gekappt“. Das Herkunftslandprinzip korrigiert dann also das anwendbare Recht auf der Ebene des Sachrechts.524 Welche dieser beiden rechtstechnischen Sichtweisen etwa der E-CommerceRichtlinie zugrunde liegt, die sich dem Herkunftslandprinzip verpflichtet sieht, ist aber äußerst umstritten.525 Der Wortlaut der Regelung über das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie (Art. 3) legt die Annahme einer IPR-Norm 522
Hatje, NJW 2007, 2357, 2360. So schon das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie problematisierend Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 314. 524 Haubold, ebenda. 525 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 314; Fezer/Koos, IPRax 2000, 349; Grundmann, RabelsZ 67 (2003), 246 ff.; Lurger/Vallant, MMR 2002, 203 ff.; Mankowski, GRUR Int. 1999, 909 ff.; ders., ZVerglRWiss 100 (2001), 137 ff.; Sack, WPR 2001, 1408; Gounalakis, ZHR 165 (2001), 324 ff.; Thüken, IPRax 2001, 21. 523
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1. Teil: Grundlagen
nahe, die die übrigen Kollisionsregeln des nationalen Rechts überlagert. 526 Dort ist nämlich davon die Rede, dass jeder Mitgliedstaat die in seinem Gebiet niedergelassenen Diensteanbieter den Anforderungen seines eigenen Rechts unterwerfen muss. Ein Mitglied der verantwortlichen Kommissionsabteilung äußerte sich jedoch bereits in einem anderen Sinne, nämlich in dem, dass durch Art. 3 der ECommerce-Richtlinie das Internationale Privatrecht (i.S.d. Art. 1 IV der E-Commerce-Richtlinie) nicht berührt werde. Das Herkunftslandprinzip in der Richtlinie sei trotz seiner Wirkung nicht dem IPR zuzurechnen, denn es gelte nicht nur im Zivilrecht, sondern beanspruche auch im öffentlichen Recht Geltung.527 Dass etwas wie eine IPR-Klausel wirkt, es aber nicht sein soll, erscheint vor dem Hintergrund des klassischen kollisionsrechtlichen Verständnisses jedoch als etwas „seltsam“.528 Die Frage der Handhabung der Regelung wird daher wohl erst vor dem EuGH (in einem Vorlagebeschluss) letztentschieden werden, wobei die beiden möglichen Verständnisweisen – wie aufgezeigt – dann entscheidungserheblich werden, wenn das nach den Regeln des Internationalen Privatrechts anwendbare Recht (typischerweise ist dies das Recht des Empfangsstaates) geringere Anforderungen stellt als das Recht des Herkunftslandes.529 e. Ergebnis Vor dem dargestellten Hintergrund der drohenden Gefahr der Absenkung des Verbraucherschutzniveaus in den Mitgliedstaaten, aber auch im Hinblick auf die noch ungeklärte Reichweite des Herkunftslandprinzips, erscheint auch dieser Regelungsansatz letztlich nicht wünschenswert. Er ist vielmehr – ebenso wie das bereits zuvor referierte Modell der Vollharmonisierung – zugunsten des beizubehaltenden Mindeststandardprinzips aufzugeben. Dass sich das Konzept der Vollharmonisierung und des Herkunftslandprinzips auch dogmatisch widersprechen (s.o.) und damit die Regelungskohärenz des Gemeinschaftsrechts insgesamt in Mitleidenschaft ziehen, ist hier nur ein begleitend hervorzuhebender Negativfaktor.
526
Dafür etwa Thüken, IPRax 2001, 21; Mankowski, CR 2001, 630, 631. Crabit, Rev.Dr.U.E. 2000, 749 ff. 528 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 316. 529 Haubold, ebenda. 527
7. Kapitel: Historische Entwicklung des Verbraucherprivatrechts
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8. Kapitel
Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/ Verbraucherschutz und Binnenmarkt im Lichte des Mindeststandardprinzips In Anbetracht der regen Tätigkeit der Gemeinschaft, die hier bereits in Bezug auf diverse Regelungsansätze referiert wurde, stellt sich die Frage, wohin die Entwicklung auf Gemeinschaftsebene führen wird bzw. führen sollte.1 Diese Frage ist auch deshalb aufzuwerfen, um den bisher kritisch entgegengetretenen Konzepten (der Vollharmonisierung auf der einen Seite und dem Herkunftslandprinzip auf der anderen Seite) etwas Konstruktives entgegenzusetzen, das sich i.Ü. durch das Primärrecht legitimieren lassen können sollte.
A. Verbraucherschutz als Triebkraft für ein Europäisches Zivilgesetzbuch Ganz i.S.d. Vollrechtsharmonisierung stehen – das liegt auf der Hand – die Bestrebungen zur Ausarbeitung eines einheitlichen Europäischen Zivilgesetzbuches.2 Die Vollrechtsharmonisierungsambitionen der Kommission im hard law, d.h. im Richtlinienrecht, sind geradezu inspiriert von dem Gedanken eines zu schaffenden Gemeinschaftszivilrechts, für das schon seit einigen Jahren „Vorarbeiten“ geleistet werden. Die Rechtsharmonisierungsbestrebungen im hard law bedingen geradezu ein vorausschauendes Weiterdenken in den Bereichen, die noch nicht vom Richtlinienrecht erfasst, d.h. „vergemeinschaftet“ wurden. Die Kraft des Faktischen greift damit über zum Visionären.3
1 Zu dieser Frage vgl. auch Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 49 ff.; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 5; Tonner, FS Derleder (2005), S. 145 ff. 2 Entschließung v. 26.5.1989, ABl.EG 1989 Nr. C 158/400, ZEuP 1993, 613; vgl. dazu Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 27; Grundmann, NJW 2002, 393 ff.; ders., JZ 2005, 860 ff.; Möllers, JZ 2002, 121, 132 ff.; Schwintowski, JZ 2002, 205 ff. 3 Zum Ordnungsanspruch des Rechts bei Herausbildung einer entsprechenden Rechtsmasse vgl. schon Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 139 ff.
268
1. Teil: Grundlagen
I. Rechtstatsächliches Mit der Herausbildung einer entsprechenden Rechtsmasse rückt – das ist auch nicht anders vorstellbar4 – das fortzuentwickelnde innere und äußere System5 des Gemeinschaftsrechts verstärkt in das Diskussionsfeld der Wissenschaft,6 die neben der beratenden Hinzuziehung bei der Revision des Verbraucheracquis, d.h. dem hard law, in unterschiedlicher Form an wissenschaftlichen Vorarbeiten zum (zukünftigen) Europäischen Privatrecht beteiligt ist. Das „vorausschauende Weiterdenken des bisherigen Rechtsbestandes“ geschieht auch und gerade, um der Entwicklung des Richtlinienrechts überhaupt ein „System“ zu geben, das es bislang auf Grund des pointillistischen Regelungsansatzes der Gemeinschaft noch nicht hatte. Ein System benötigt es schon aus Effektivitätsgründen, nämlich zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer gewissen Ordnung i.S.e. äußeren und inneren Anwendungskohärenz. 1. EU-Programme/Mitteilungen und Wissenschaftsprojekte Den historischen Ausgangspunkt der bis heute anhaltenden Diskussion zur Etablierung eines Europäischen Privatrechts und eines Europäischen Zivilgesetzbuches bildeten die Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 26.5.1989 und vom 6.5.1994.7 In diesen wurde hervorgehoben, dass das Europäische Parlament den bisher verfolgten punktuellen Regelungsansatz auf dem Gebiet des Privatrechts für die fortschreitende Integration innerhalb der Gemeinschaft nicht mehr als den Erfordernissen und Zielsetzungen des Binnenmarktes entsprechend ansieht. Das Europäische Parlament regte in diesem Zusammenhang eine weitere Vereinheitlichung wirtschaftsnaher Bereiche an. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere8 findet sich als nächstes die Aufforderung nach Erstellung einer Studie zur Frage, ob für das reibungslose Funktionieren von zivilrechtlichen Verfahren die Vorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden 4 Vgl. zur notwendigen Verknüpfung der Themenfelder auch Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 59 f.; Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1131 ff.; Wilhelmsson/Twigg-Flesner, ERCL (2006), 441 ff. 5 Zu dieser Gegenüberstellung bezogen auf das Zivilrecht vgl. schon Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 139 ff.; später Canaris/Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 264. 6 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), §§ 7 ff.; ders., System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003), § 4; Tröger, ZEuP 2003, 525 ff.; Grundmann, in: ders., (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 1 ff.; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 453. 7 ABl.EG Nr. C 158/400 v. 26.6.1989; ABl.EG Nr. C 205/518 v. 25.7.1994; vgl. dazu Tilmann, ZEuP 1995, 534. 8 ABl.EG Nr. C 377/323 v. 29.12.2000; bekräftigt durch die Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Laeken (14/15.12.2001) Nr. 37, 45; vgl. BullEU. 12–2001, Ziff. I.15 und I.19.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
269
müssen; hierüber hatte die Kommission bis 2001 Bericht zu erstatten. In der dann erfolgten Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht vom 11.7.2001 knüpfte die Kommission9 an den bereits erwähnten punktuellen und selektiven Ansatz der Rechtsangleichung an und war bemüht, unter Beteiligung von Wissenschaft und Praxis den Bedarf für weitreichende privatrechtliche Harmonisierungsmaßnahmen zu entwickeln. Im Zentrum des Interesses standen Bereiche, in denen die punktuelle Harmonisierung an ihre funktionalen Grenzen stößt und verbleibende Unterschiede im Vertragsrecht einem funktionierenden Binnenmarkt entgegenstehen. Als Problemfelder wurden exemplarisch der Abschluss, die Auslegung und die Durchführung grenzüberschreitender Verträge ebenso beschrieben wie etwaige prohibitive Effekte der verbleibenden Rechtsunterschiede, z.B. durch höhere Transaktionskosten. Auch Erschwerungen in der Rechtspraxis auf Grund divergierender Umsetzungen von Gemeinschaftsrechtsvorgaben wurden aufgezeigt. Im Anschluss an die umfangreichen (zumeist kritischen) Stellungnahmen10 bzgl. der auf das „Ansichziehen des gesamten Zivilrechts“ mit dem Ziel der Vollharmonisierung gerichteten Mitteilung der Kommission, wurde am 12.2.2003 allerdings eine weitere Mitteilung der Kommission – gerichtet an das Europäische Parlament und den Rat – veröffentlicht.11 In dieser „ruderte“ die Kommission bezüglich ihres ursprünglichen Bestrebens insofern zurück, als auf Grund der ablehnenden Stellungnahmen der Wissenschaft die sektorspezifischen Maßnahmen der Rechtsangleichung zunächst grundsätzlich beibehalten werden sollten und die Idee der zeitnahen, umfassenden Kodifikation eines europäischen Zivilrechts aufgegeben wurde. Gesprochen wird nunmehr offiziell nur noch von einem zu etablierenden Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen, der kein hard law abbildet, sondern lediglich ein „optionales Instrument“ beinhaltet soll und damit einen weiteren, von den Parteien, insbesondere im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, einsetzbaren Rechtsrahmen zur Verfügung stellt.12
9
KOM 2001, 398 endg. Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht (1996), Berger, ZEuP 2001, 4 ff.; Jansen, ZEuP 2001, 30 ff.; Halfmeier, ZEuP 2001, 837 ff.; Schwintowski, JZ 2002, 205 ff.; Taschner, FS Schlechtriem (2003), S. 275 ff.; Dauner-Lieb, NJW 2004, 1431 ff.; vgl. bereits zum Problem der nicht bestehenden Gemeinschaftskompetenz Basedow 200 (2000), 445, 483; Berg, in: von der Groebern/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 18; Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Privatrechtes in der EU (2002). 11 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht, ein Aktionsplan (KOM (2003), 68 endg.), vgl. dazu Staudenmayer, EuZW 2003, 165 sowie die Entschließung des Rates zum Thema „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht“, ABl.EG Nr. C 246/1 v. 14.10.2003. 12 Schulze, EuZW 2007, 449; Zimmermann, EuZW 2007, 455 ff. 10
270
1. Teil: Grundlagen
Allerdings wurde für die Entwicklung des hard law, bei dem diverse „Problemkreise“13 identifiziert wurden, ebenfalls Maßnahmen zur Herausbildung einer größeren Kohärenz in Aussicht gestellt.14 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen soll in diesem Zusammenhang als „tool box“, aus dem sich die Kommission bedienen können soll und will, eingesetzt werden.15 Der acquis communautaire wird nach der Vorstellung der Europäischen Kommission als „Basisquelle“ für den von ihr geforderten Gemeinsamen Referenzrahmen16 heranzuziehen sein, der seinerseits nach der sehr vagen Funktionsbeschreibung im Aktionsplan „den Gemeinschaftsorganen helfen soll, eine kohärentere Ausgestaltung der geltenden und künftigen Gemeinschaftsvorschriften im Bereich des europäischen Vertragsrechts zu gewährleisten“.17 Problematisch ist allerdings, dass konkrete Festlegungen dazu, wie die Kommission diese so genannte „tool box“ für die Revision und Fortentwicklung nutzen will, noch nicht ersichtlich sind, sie sich daneben aber auch grundsätzlicher Kritik ausgesetzt sieht, weil der Referenzrahmen eine nicht demokratisch legitimierte Vorwirkung für das künftige hard law erzeugt. Am schwierigsten abzusehen ist, ob und inwieweit sich der Referenzrahmen als Grundlage für ein mit in Aussicht genommenes „optionales Instrument“, i.S.e. gemeinschaftsrechtlich durch Rechtsakt festgelegten Vertragsrechts, eignet, das die Parteien bei Abschluss des Vertrages nutzen können.18 Hier ist noch Vieles der zukünftigen Entwicklung überlassen. Jedenfalls teilweise dürften die Bestrebungen zur vertragsrechtlichen, d.h. auf Willensakt beruhenden, Einbindung des DCFR dann überholt sein, wenn der DCFR in Form einer 28. Rechtsordnung für grenzüberschreitende B2C-Verträge zum festgesetzten hard law wird und damit nicht mehr „optional“ ist, sondern bindendes Recht, etwa in Form einer Rechtsverordnung. In diese Richtung weisen nunmehr die neuen Grünbuchpläne der EU-Kommission, vgl. KOM (2010), 348/3 v. 1.7.2010. Auf die Frage des Umgangs mit dem DCFR wird im Folgenden einzugehen sein (vgl. dazu den nächsten Abschnitt unter II). Einstweilen sollen zunächst die diversen akademischen Ansätze bezüglich der (Teil-)Etablierung eines zu schaffenden europäischen Vertragsrechtes einführend referiert werden.
13 Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission (KOM (2003), 68 endg. Nr. 3 Rn. 14 ff., in der insbesondere die Inkohärenz des Gemeinschaftsrechts sowie die Zersplitterung des nationalen Rechts hervorgehoben werden. 14 KOM (2004), 651 endg., Abschnitt 2.1.1. 15 Vgl. dazu KOM (2003), 68 endg.; Schulze, EuZW 2007, 449; Zimmermann, EuZW 2007, 455 ff. 16 Unter dem Titel „Common Frame of Reference and the Existing EC Contract Law“ hat Reiner Schulte-Nölke im April 2008 einen ersten Sammelband veröffentlicht. 17 KOM (2003), 68 endg. 18 Vgl. dazu Staudenmayer, EuZW 2005, 103 ff.; Grundmann, JZ 2005, 860 ff.; Lehne/ Scholemann-Lehne, Auf dem Weg zu einem europäischen Zivilgesetzbuch (2006), S. 64.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
271
2. Vorbereitende und begleitende Projekte in der Rechtswissenschaft Die Überlegungen der Gemeinschaft zur Entwicklung eines einheitlichen europäischen Zivilrechts, zu dem sondierende Vorarbeiten nötig waren, stießen – das ist wohl nicht überraschend – bei vielen Wissenschaftlern auf fruchtbaren Boden, die sich z.T. unabhängig von den Gemeinschaftsorganen und den nationalen Regierungen des o.g. Projektes annahmen.19 Es mehren sich (nun) Publikationen von privaten Wissenschaftlergruppen, mit denen das Fundament zur Vereinheitlichung des materiellen Vertrags- und Vermögensrechts in Europa gelegt werden soll.20 Gegenwärtig21 gibt es eine größere Anzahl von Forschungsteams, die an den Grundlagen des Europäischen Zivilrechts arbeiten und weite Teile des materiellen Privatrechts22 im engeren Sinne abdecken. Hierzu zählen: die Commission on European Contract Law, die European Group of Tort Law, die Projektgruppe Restatement of European Insurance Contract Law, das Common Core-Projekt, die Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler, die Commission on European Family Law, die Acquis-Gruppe sowie die Ius Commune Casebooks und die Netzwerkgruppe Common Principles of European Private Law und Uniform Terminology of European Private Law. Alle Gruppen bestehen aus Wissenschaftlern23 und sind international besetzt. Sie variieren jedoch im Untersuchungsgegenstand, ihrem Anspruch und ihrer Arbeitsmethodik.24 Unterteilt man die aktuellen Projekte nach ihrem Primärziel, so 19 Einen umfassenden Überblick dazu gibt etwa Wurmnest, ZEuP 2003, 714 ff. Dieser Abschnitt baut maßgeblich auf die grundlegend systematisierenden Arbeiten Wurmnests auf, führt jedoch auch weiter. 20 Lando/Beale, Principles of European Contract Law, Part I and II (2000); Lando/Clive/ Prüm/Zimmermann, Principles of European Contract Law, Part III (2003); Gandolfi, Code Européen des Contracts – Avant Project (2001); Zimmermann/Whittaker, Good Faith in European Contract Law (2000); Gordley, The Enforceability of Promises in European Contract Law (2001); van Gerven/Lever/Larouche (Hrsg.), Tort Law (2000); Beale/Hartkamp/ Kötz/Tallon (Hrsg.), Contract Law (2002); Koziol (Hrsg.), Unification of Tort Law: Wrongfulness (1998); Spier (Hrsg.), Unification of Tort Law: Causation (2000); Magnus (Hrsg.), Unification of Tort Law: Damages (2001); Koch/Koziol (Hrsg.), Unification of Tort Law: Strict Liability (2002); Basedow/Fock (Hrsg.), Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Band I–III (2002/2003). 21 Bereits 1993 schloss die sog. Storme-Gruppe ihre Arbeiten zur Harmonisierung des Zivilprozessrechts ab, vgl. Storme (Hrsg.), Rapprochement du Droit Judiciare de l’Union européen – Approximation of Judiciary Law in the European Union (1994). Sie sprach sich für eine umfassende Harmonisierung des Zivilprozessrechts aus; Storme, RabelsZ 56 (1992), 290 ff.; Kerameus, RabelsZ 66 (2002), 1 ff. Zudem hat eine Arbeitsgruppe Grundregeln eines European Trust Law erarbeitet, siehe dazu Hayton/Kortmann/Verhagen, Principles of European Trust Law (1999). 22 Darüber hinaus begleitet die Groupe européen de droit international privé die Ausarbeitung von Kollisionsrecht durch die EU wissenschaftlich. 23 Vereinzelt arbeiten in einigen Gruppen auch hohe Richter und Anwälte mit, z.B. in der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler, vgl. dazu Sturm, JZ 2001, 1097 ff. 24 Zu diesem Befund vgl. den Übersichtsbeitrag von Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 715 ff.
272
1. Teil: Grundlagen
lassen sich vier Ansätze ausmachen. Einige Arbeitsgruppen wollen einen Common Core von Gemeinsamkeiten der nationalen Privatrechte abbilden, ein zweiter Ansatz erarbeitet Grundregeln des Privatrechts, und ein dritter Ansatz will einen Kodifikationsentwurf eines europäischen Zivil- bzw. Vertragsgesetzbuchs schaffen. Für den vierten Ansatz stehen die Projekte, die aus den gemeinschaftsrechtlichen acquis communautaire Grundsätze des europäischen Privatrechts ableiten oder aus dem Gemeinschaftsrecht und den nationalen Rechten ein neues ius commune entwickeln. Insbesondere für diesen Ansatz ist der Bestand, aber auch die weitere Entwicklung des europäisches Verbraucherschutzrechtes bedeutungsvoll, weil er diesen Bereich als Kernmaterie eines umfassend zu etablierenden europäischen Zivilrechts in Bezug nimmt. Im Detail lassen sich die Unterschiede der verschiedenen Arbeitsgruppen folgendermaßen umschreiben: a. Common Core des Privatrechts Zwei Gruppen erarbeiten rechtsvergleichend einen Common Core von Gemeinsamkeiten der nationalen Privatrechtsordnungen. Sie untersuchen die nationalen Privatrechte und bilden Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede der untersuchten Rechte in ihrem rechtsvergleichenden Bericht ab. Die Aufdeckung gemeinsamer Strukturen, die den nationalen Regelungen zugrunde liegen, sowie des funktionalen Zusammenwirkens der Rechtsinstitute soll sowohl das Verständnis für die (eigenen) Rechtsinstitute fördern als auch die Kompromissbereitschaft erhöhen, ein wertungsgerechtes Ergebnis auf einem rechtstechnisch eventuell abweichenden Weg zu erzielen. Allerdings entwickelt dieser Ansatz keine eigenen Lösungen, um bestehende Differenzen der nationalen Rechte zu überbrücken. Insofern bleibt er auch in Bezug auf die Herausbildung eines umfassenden europäischen Privatrechts fragmentarisch. aa. Common Core of European Private Law Zum Common Core-Bereich zählt zum einen das Projekt des Common Core of European Private Law, welches 1993 auf Initiative von Ugo Mattei und Mauro Bussani in Trient gegründet wurde (deshalb wird es oft auch „Trienter Kreis“ genannt). Ziel des Projektes ist es, einen Grundbestand von gemeinsamen Rechtssätzen aus den Rechten der Mitgliedstaaten abzuleiten.25 Dieser wird dabei falllösungsorientiert erarbeitet. Ein neues, um unüberbrückbare Lücken/Divergenzen angereichertes Recht soll nicht geschaffen werden. Denn diese Aufgabe obliegt nach Ansicht der Arbeitsgruppe allein dem Gesetzgeber und der Rechtspolitik. Bislang gingen aus den Arbeiten der Gruppe zwei Werke hervor. Beide und von Schulte-Nölke, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 29, 33. 25 Zu diesem Projekt und seinem fallorientierten Ansatz Bussani/Mattei, Making European Law. Essays on the Common Core Project (2000); die Homepage des Projekts ist zu erreichen unter http://www.jus.unitn.it/dsg/common-core.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
273
sind auf dem Gebiet des Vertragsrechts angesiedelt. Ein Buch wurde von Zimmermann/Whittaker herausgegeben und beschäftigt sich mit der Rechtsfigur von Treu und Glauben im Vertragsrecht.26 Die zweite große Veröffentlichung behandelt die Durchsetzbarkeit von Versprechen im Vertragsrecht und entstand unter der Leitung von Gordley.27 bb. Commission on European Family Law Dem Ansatz einer Extraktion des Common Core sieht sich eine weitere Gruppe verpflichtet, die auf dem Gebiet des Familienrechts nach gemeinsamen Rechtsüberzeugungen forscht. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf der Grundlage rechtsvergleichender Analysen die Harmonisierung des Familienrechts in Europa rechtstheoretisch zu begleiten. Seit dem 1. September 2001 wurde die Projektarbeit durch die Gründung einer ständigen Kommission für europäisches Familienrecht (Name: Commission on European Family Law = CEFL) institutionalisiert.28 Die CEFL berücksichtigt bei ihrer Arbeit die Rechte der Mitgliedstaaten der EU sowie die Rechtsordnungen der Schweiz, Norwegens sowie einiger Beitrittskandidaten und Russlands. Ihre Arbeitsergebnisse veröffentlicht sie in der European Family Law Series. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf zwei Werke hinzuweisen: einem zu Scheidungsgründen29 und einem zum Geschiedenenunterhalt.30 cc. Stellungnahme Die Erarbeitung eines Common Core an Rechtsregeln ist notwendige Vorstufe auf dem Weg zur Rechtsvereinheitlichung in Europa. Allerdings würde man sich wünschen, dass die sich diesem Ansatz verpflichtenden Arbeitskreise, um ihrem Ziel, ein einheitliches europäisches Privatrecht zu schaffen, näher zu kommen, nicht auf dieser Stufe stehen bleiben, sondern in einem zweiten Schritt Lösungsvorschläge zur Überbrückung vorgefundener Divergenzen anböten. Dabei soll im Weiteren nicht in Abrede gestellt werden, dass es dann allein Aufgabe des Gesetzgebers ist, sich daran „abzuarbeiten“. Diesen Folgeschritt vollzieht zumindest der im Folgenden dargestellte Ansatz, der sich dem Restatement-Gedanken verpflichtet sieht.
26
Zimmermann/Whittaker, Good Faith in European Contract Law (2000). Gordley, The Enforcehability of Promises in European Contract Law (2000). 28 Vgl. dazu Boele-Woelki (Hrsg.), Perspectives for the Unification and Harmonisation of Family Law in Europe (2003). 29 Boele-Woelki/Braat/Sumner (Hrsg.), European Family Law in Action: Vol. I: Grounds for Divorce (2003). 30 Boele-Woelki/Braat/Sumner (Hrsg.), European Family Law in Action, Vol. II: Maintenance between former Spouses (2003). 27
274
1. Teil: Grundlagen
b. Grundregeln des Privatrechts („Restatement-Gedanke“) Angelehnt an die Vorstellung der US-amerikanischen Restatements31 wollen weitere Arbeitsgruppen im Wege der Rechtsvergleichung funktionale Grundregeln eines europäischen Privatrechts aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten exzerpieren. Der erste Bezug zu den US-amerikanischen Restatements erfolgt bereits durch die Darstellung der Grundregeln: Eine pointiert formulierte Grundregel (principle) wird so wie im US-amerikanischen Restatement-Bereich durch einen Kommentar (comment) sowie rechtsvergleichende Anmerkungen (notes) ergänzt.32 Eine weitere Ähnlichkeit besteht darin, dass sowohl die aufzustellenden Grundregeln als auch die US-amerikanischen Restatements eine Mischung aus bestehenden (gemeinsamen) Rechtsregeln und neu geschaffenen Rechtssätzen darstellen.33 Zwischen beiden (Grundregeln und Restatements) bestehen jedoch auch strukturell bedingte Unterschiede. Bei den zu erarbeitenden Grundregeln des europäischen Privatrechts dürfte der Anteil der neu geschaffenen Rechtssätze im Vergleich zu den US-amerikanischen Restatements größer sein, da die Divergenzen zwischen den nationalen Rechten in Europa im Vergleich zum US-amerikanischen Recht (der Bundesstaaten) deutlich größer sind, sodass man zwar in einzelnen Punkten einheitliche Grundregeln zusammenfassen und wiedergeben kann, in der Mehrzahl der Fälle jedoch neue funktionale Lösungen gefunden werden müssen.34 Auch dürfte es das US-amerikanische Recht, das durch eine bundesstaatliche Struktur sowie das common-law-System geprägt ist, leichter haben, „Regelvorschläge“ aufzugreifen. Die europäischen Regelkompendien (mit Ausnahme der common-law-Rechtsordnungen) sehen sich hier größeren Problemen ausgesetzt, da die Regelvorschläge („Grundregeln“) in eine ausdifferenzierte Kodifikation eingegliedert werden müssten.35
31 Die Restatements werden vom American Law Institut (ALI) erarbeitet und bilden zum einen gemeinsame Rechtssätze der Staaten ab, enthalten aber dort auch neue Rechtsregeln, wo die Entscheidungen in den Einzelstaaten stark divergieren und die Mitglieder des ALI eine neue Lösung suchen müssen, Schindler, ZEuP 1998, 277, 280. 32 Vgl. dazu die Darstellung von Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 722. 33 Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 722. 34 Siehe dazu Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002), S. 150 ff.; a.A. Zimmermann, Comparative Foundations of a European Law of Set-Off and Prescription (2002). Dieser sieht keine großen Unterschiede zwischen Grundregeln und Restatements: Das Recht der US-amerikanischen Bundesstaaten sei trotz gemeinsamer Grundlagen im common law ebenfalls in weiten Teilen nicht uniform, sodass auch die Restatements in vielen Bereichen ein neues Recht zu entwickeln haben. 35 Siehe dazu auch Krüger, Rechtssicherheit von unten (2005).
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
275
aa. Commission on European Contract Law („Lando-Kommission“) Prominentestes Beispiel aus diesem Bereich ist die „Commission on European Contract Law“, aus der die PECL („Principles of European Contract Law“, auch „Lando-Principles“) hervorgegangen sind.36 Die Commission of European Contract Law wurde 1980 als Netzwerk zur Harmonisierung des europäischen Privatrechts ins Leben gerufen. Unter ihrem Begründer Ole Lando dient(e) ihre Arbeit dazu, durch das Aufstellen von Prinzipien des europäischen Privatrechts sowohl dem Gemeinschafts- als auch dem nationalen Gesetzgeber eine Orientierungshilfe für künftige Rechtsakte in Ausrichtung auf die Etablierung eines gemeinsamen Europäischen Privatrechts zu geben. 37 Praktisch bewähren können sich die PECL zudem dadurch, dass jede Vertragspartei eines internationalen Vertrages die Möglichkeit besitzen soll, ihre Verträge den PECL zu unterwerfen.38 Die Arbeit der Lando-Gruppe stützt sich in ihrem Rechtsvergleich primär auf die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten als Quellen. Allerdings werden sie nicht ausschließlich herangezogen. Da auch auf die internationale Rechtspraxis in Form des Wiener UN-Kaufrechts (CISG)39 und die Principles of International Commercial Contracts des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts von 1994 (UNIDROIT-Grundregeln)40 zurückgegriffen wird, verfolgt die Lando-Gruppe eigentlich einen sehr weit gesteckten rechtsvergleichenden Ansatz. Als Forschungsergebnisse hat die Lando-Gruppe 1995 Teil I der Principles of European Contract Law herausgegeben und 1999 Teil II zusammen mit einer konsolidierten Fassung von Teil I veröffentlicht.41 Teil III ist Anfang 2003 erschienen.42 Mit Abschluss der Arbeiten für Band III hat sich die LandoGruppe formal aufgelöst. bb. European Group on Tort Law In den Bereich des Restatement-Ansatzes fällt im Weiteren die European Group on Tort Law, die sich 1993 auf Initiative von Jaap Spier in Tilburg („Tilburg Group“)43 konstituierte. Ziel der Gruppe ist die Ausarbeitung von Grundregeln 36 Vgl. dazu Lando, in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der europäischen Gemeinschaft (1993), S. 567; ders., RIW 2005, 1 ff.; Remien, ZVglRWiss 87 (1988), 105 ff.; Zimmermann, ZEuP 2000, 391 ff.; ders., ZEuP 2003, 707 ff. 37 Beschreibend Basedow, AcP 200 (2000), 445, 459. 38 Zu diesen Zielen vgl. Lando, Am. J. Comp. L. 40 (1992), 573, 577; ders., ERPL 5 (1997), 525 ff.; grundlegend Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 722 ff. 39 Ausführlich zum UN-Kaufrecht Magnus, ZEuP 1995, 202 ff.; ders., ZEuP 1997, 823 ff.; ders., ZEuP 1999, 642 ff. 40 Eine deutsche Übersetzung findet sich in ZEuP 1997, 890 ff. 41 Lando/Beale, Principles of European Contract Law, Part I and II (2000). 42 Lando/Clive/Prüm/Zimmermann, Principles of European Contract Law, Part III (2003). 43 Spier/Haazen, ZEuP 1998, 469 ff.
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1. Teil: Grundlagen
eines Europäischen Deliktsrechts, welche in ein (später zu schaffendes) europäisches Zivilgesetzbuch einfließen könnten. Daneben sollen die Prinzipien auch als allgemeine Rechtsgrundsätze bei der Auslegung von Einheitsrecht oder für EG-Richtlinien dienen.44 Die European Group of Tort Law zieht als Quellen für ihre Arbeiten die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten, aber auch die der USA, Israels, der Schweiz und Südafrikas heran. Als Forschungsergebnisse hat sie zunächst zwei Bände vorgelegt. Die erste Publikation45 beleuchtet allgemeine Mechanismen der nationalen Rechte, die eine zu beobachtende Ausuferung der deliktischen Haftung begrenzen könnten. In ihrem zweiten Werk46 untersucht die Gruppe im Anschluss daran rechtsvergleichend acht Fälle zur deliktischen Haftung für reine Vermögensschäden, Produkthaftung sowie zur Haftung für schwere Gesundheitsschäden. Zudem wurden weitere rechtsvergleichende Bände zur Rechtswidrigkeit, Kausalität, Schaden(sersatz), Gefährdungshaftung und Mitverschulden erarbeitet.47 cc. Project Group „Restatement of European Insurance Contract Law“ Ähnlichkeiten zu den beiden oben genannten Wissenschaftlergruppen weist die Projektgruppe Restatement of Insurance Contract Law auf, welche 1999 gegründet wurde und wegen ihres Sitzes in Innsbruck auch „Innsbruck-Gruppe“ genannt wird. Ziel der Gruppe ist die Ausarbeitung von Grundregeln zur Harmonisierung von zwingenden und halbzwingenden Normen des Versicherungsvertragsrechts. Daneben sollen die Ergebnisse auch nationalen Gesetzgebern als Modellgesetz dienen und Vertragsparteien eines Versicherungsvertrages die Möglichkeit geben, in ihrem Vertrag auf sie Bezug zu nehmen.48 Bei der Ausarbeitung des Restatements werden jedoch nicht nur die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten verglichen und als Ausgangspunkt für das (zu schaffende) europäische Versicherungsvertragsrecht genommen, sondern auch das Gemeinschaftsrecht selbst. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu den beiden oben genannten Restatement-Gruppen.49 dd. Stellungnahme Die Lando-, Tilburg- und Innsbruck-Gruppe arbeiten nach bewährten Mustern der Rechtsvergleichung. Qualitativ weitergehend als der Common Core-Ansatz ist derjenige des Restatements schon deshalb, weil beim Auffinden von Divergenzen der Rechtsordnungen neues Recht durch einen Modellvorschlag kreiert 44
Magnus, ZEuS 2002, 127, 136. Spier (Hrsg.), The Limits of Liability, Keeping the Floodgates Shut (1996). 46 Spier (Hrsg.), The Limits of Expanding Liability, Eight Fundamental Cases in a Comparative Perspective (1998). 47 Nachweise dazu finden sich bei Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 727. 48 Zum Ganzen vgl. Legerer, NVersZ, 2000, 16 ff.; Rudisch, VersR 2000, 827 ff. 49 Dazu Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 729. 45
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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wird. Allerdings beziehen die Lando- und die Tilburg-Gruppe (anders als die Gruppe zum Versicherungsvertragsrecht) nicht das Gemeinschaftsrecht in ihre Untersuchungen ein, obgleich dies ohne größeren Aufwand möglich gewesen wäre. Es gibt sowohl im Vertrags- als auch im Deliktsrecht eine Reihe von EUVorschriften, die sich geradezu dafür anböten, so etwa die zum Schutz des Verbrauchers. Die Einbindung des EU-Sekundärrechts ist hier vielleicht deshalb nicht erfolgt, weil es zunächst – d.h. bei Arbeitsaufnahme dieser Gruppen – noch nicht so stark entwickelt war, wie es heute der Fall ist. Seine Einbindung ist jedoch bei der Schaffung eines europäischen Gemeinschaftsprivatrechts und ggf. Zivilgesetzbuches aus einer Vielzahl von Gründen vorzugswürdig. Das beruht auf folgenden Umständen: Zum Ersten wird die Gemeinschaft trotz der Diskussionen über den Umfang der Gemeinschaftskompetenzen50 bei allen Harmonisierungsschritten des europäischen Privatrechts eine zentrale Rolle spielen. Eine neue, europäische zivilrechtliche Gesamtkonzeption wird nicht über Nacht entstehen und sich mit dem Gefüge des bestehenden Gemeinschaftsrechts arrangieren müssen. Denn die Europäische Gemeinschaft wird sicherlich nicht ihr in den letzten vierzig Jahren mühsam entwickeltes supranationales Recht und die darin enthaltene Konsensfindung der Mitgliedstaaten aufgeben. Zum zweiten betonen beide Netzwerke, dass die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes der Gemeinschaft ohne weitergehende Harmonisierung in Frage gestellt werde.51 Dann ist es auch nur konsequent, das Recht des Binnenmarktes bei der Ausarbeitung von Rechtsregeln für den gemeinsamen Markt einzubeziehen.52 Lässt man das zu schaffende Gemeinschaftsprivatrecht als Sonderrecht neben einem europäischen Sekundärrecht als Rechtsquelle bestehen, führt dies zu einem Verlust der Ordnungsfunktion des europäischen Zivilrechts, ähnlich wie im deutschen Recht die Schaffung von Sondergesetzen zu einer Zersplitterung des Schuldrechts und zu einem Ordnungsverlust des BGB beigetragen hat.53 c. Kodifikation des Privatrechts Der dritte hier vorzustellende Ansatz ist der am weitesten gehende. Nach ihm soll jedenfalls für Teilbereiche des Privatrechts bereits ein rechtssatzförmiger (subsumtionsfähiger) Kodifikationsentwurf geschaffen werden. Damit wird die 50 Siehe dazu etwa Basedow, AcP 200 (2000), 445, 483; Berg, in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 18, der betont, dass eine eigenständige, umfassende Verbraucherpolitik durch Art. 153 EGV nicht legitimiert ist. 51 Lando/Beale, Principles of European Contract Law, Part I and II (2000); Magnus, ZEuP 1998, 602, 603 f. 52 Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 730. 53 Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 731; zum französischen Recht, das dieses Problem auch kennt und nun ebenfalls eine „große Lösung“ im Schuldrecht anstrebt, vgl. die Übersichtsaufsätze von Sonnenberger, ZEuP 2007, 421 ff. und Fauvarque-Cosson, ZEuP 2007, 428 ff.
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1. Teil: Grundlagen
Ebene der bloßen Auflistung von rechtsvergleichend erstellten Grundregeln des europäischen Privatrechts verlassen. aa. Study Group on a European Civil Code Diesem Gedanken sieht sich etwa die Study Group on a European Civil Code verpflichtet, die 1998 von Mitgliedern der Lando-Kommission initiiert wurde und die den von der Lando-Gruppe eingeschlagenen Weg fortführt. Inhaltlich beschäftigt sie sich mit der rechtssatzförmigen Ausarbeitung eines europäischen Vermögensrechts.54 Die Gruppe stützt ihre zu entwickelnden Modellgesetze primär auf die Rechte der Mitgliedstaaten der EU. In einem Positionspapier wird eine Aufteilung des European Civil Code in 16 Abschnitte vorgeschlagen, der so allgemeine Regelungen, allgemeine und besondere Vorschriften des Schuldrechts, Regelungen der ungerechtfertigten Bereicherung, der Geschäftsführung ohne Auftrag, das Delikts- und das Sachenrecht und auch das Recht der Kreditsicherheiten umfassen soll.55 Bisher liegen für einzelne Bereiche detaillierte Arbeitsberichte der sog. „task forces“56 vor.57 2007 veröffentlichte die Study Group zudem den Band Principles of European Law betreffend „Lease of Goods“ (PEL LG).58 Diese wurde Anfang 2008 ergänzt um den Band „Sales“ (PEL S).59 Die von der Study Group herausgearbeiteten Ergebnisse werden von der Literatur vor allem als akademische Ausarbeitungen bewertet, denen gegenwärtig noch jeder praktische Umsetzungsbezug fehlt.60 bb. Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler Daneben gibt es einen rechtssatzförmig gefassten Entwurf für ein einheitliches Europäisches Zivilgesetzbuch, der von der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler verfasst wurde.61 Die Akademie der Europäischen Privatrechtswissenschaftler wurde 1992 auf Initiative des italienischen Rechtsgelehrten Guiseppe Gandolfi in Pavia gegründet.62 Die Akademie basiert ihren Vorentwurf primär auf zwei Rechtssysteme: Das IV. Buch des italienischen Code Civil von 1942 54
V. Bar, Die Study Group on a European Civil Code, FS Henrich (2000), S. 1, 3. http://www.sgecc.net/media/download/02_12structure.pdf; beschreibend Zimmermann, EuZW 2007, 455, 459. 56 Vgl. www.sgecc.net under „organisation“. 57 Vgl. dazu v. Bar, ZEuP 2001, 515 ff.; Basedow/Fock (Hrsg.), Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Band I–III (2002/3). 58 Principles of European Law, Study Group on a European Civil Code, Lease of Goods (PEL LG), prepared by Lilleholt/Victorin/ Fötschl/ Kono/Meidell/Tørum (2007). 59 Principles of European Law, Study Group on a European Civil Code, Sales (PEL S), prepared by Hondius/Heutger/Jeloschek/ Sivesand/Wiewiorowska (2008). 60 Zimmermann, EuZW 2007, 455, 460. 61 Gandolfi (Hrsg.), Code Européen des Contracts – Avant-project – Livre premier (2001); ebenso Gandolfi, ZEuP 2002, 1 ff.; Sonnenberger, RIW 2001, 409 ff.; Sturm, JZ 2001, 1097, 1099; Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 727 ff.; Merkt, ZHR 171 (2007), 491 ff. 62 Vgl. dazu Sturm, JZ 1991, 555. 55
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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und den in den sechziger Jahren im Auftrag der englischen Law Commission von Mc Gregor ausgearbeiteten Contract Code.63 Der erste Teil des Vorentwurfes („VE“) ist 2001 erschienen.64 cc. Stellungnahme Beide Wissenschaftlerteams arbeiten an Modellentwürfen für ein europäisches Zivilgesetzbuch, das hinsichtlich seiner Regelungsdichte und -tiefe über die Arbeiten der vorgenannten Forschungsgruppen weit hinausreicht. Ob diese Regelungsdichte der Entwürfe ausreicht, um wirklich Grundlage einer umfassenden Kodifikation zu sein, wird die Diskussion in der Rechtswissenschaft und -politik zeigen. Jedenfalls zeugen die Arbeiten beider Teams davon, dass ein allein auf das Vertragsrecht fokussiertes europäisches Privatrecht Funktionsdefizite aufweisen würde. Gearbeitet wird daher auch an einer Harmonisierung von Annexbereichen, wie der (Rück-)Abwicklung von Verträgen sowie dem Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse. Allerdings enthalten sie keine Ausarbeitungen zum Grundstücks- und Familienrecht, sodass sie von der Schaffung einer umfassenden europäischen Zivilrechtskodifikation doch noch um einiges entfernt sind.65 d. Gemeinschaftsrecht als Quelle eines europäischen Privatrechts Viele der hier vorgestellten Projektgruppen stützen ihre Vorarbeiten für ein europäisches Zivilgesetzbuch allein auf einen Vergleich der nationalen Rechte. Es gibt aber auch Wissenschaftlerteams, die ihre Forschungsarbeiten zum europäischen Zivilgesetzbuch aus den Grundsätzen des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts ableiten oder sich Mischansätzen aus europäischen und nationalen Regelungen zugetan fühlen. aa. Ius Commune Casebooks for the Common Law of Europe Der frühere EuGH-Generalanwalt van Gerven hatte schon sehr frühzeitig auf die Bedeutung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts bei der Ausarbeitung eines harmonisierten europäischen Privatrechts, das schließlich in einem europäischen Zivilgesetzbuch münden soll, hingewiesen. Auf ihn geht die Reihe „Casebooks for the Common Law of Europe“ zurück, deren Ziel die Aufdeckung bestehender common principles ist, die sich sowohl aus dem Gemein-
63 Die Akademie begründet diese Vorauswahl mit der Brückenfunktion des italienischen Code Civil, der eine Synthese des deutschen und französischen Rechts darstelle. Der Contract Code sei interessant, da er das englische und schottische Recht abbilde und zudem der Entwurf einer Kodifikation des Common Law sei, vgl. dazu Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 736; Sonnenberger, RIW 2001, 409 ff. 64 Gandolfi, Code Européen des Contrats – Avant Projet (2001). 65 Ähnlich Wurmnest, ZEuP 2001, 714, 738.
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1. Teil: Grundlagen
schaftsrecht als auch aus den nationalen Rechtsordnungen speisen. Bislang sind drei dieser Bücher erschienen.66 bb. Acquis-Gruppe Nach der Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht67 schloss sich unter der Leitung von Gianmaria Ajani und dem Koordinator Hans SchulteNölke im Mai 2002 die so genannte Acquis-Gruppe zusammen, die aus mehr als 40 Rechtswissenschaftlern aus EU- Staaten besteht.68 Sie hat es sich zur Aufgabe gesetzt, Konturen eines europäischen Privatrechts aus dem acquis communautaire abzuleiten (Principles of the Existing EC Privat Law)69 und für die weitere Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene nutzbar zu machen. Die Gruppe veröffentlichte ihre Forschungsergebnisse bislang in der Reihe Casebook Entscheidungen des EuGH.70 Die Entscheidungen des EuGH und des EuG werden dort sowohl aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts als auch aus der Perspektive der Rechte der wichtigsten Mitgliedstaaten der EU kommentiert. Anfang 2007 hat Schulte-Nölke im Auftrag der Gemeinschaft zum Verbraucheracquis ein 700– seitiges Werk erstellt und im Internet veröffentlicht.71 Mitte 2007 hat die AcquisGruppe ein Werk mit dem Titel „Contract I, Pre-contractual Obligations, Conclusion of Contract, Unfair Terms“ als diese Materie zusammenfassende Prinzipien des existierenden EU-Vertragsrechts auf den Markt gebracht. Ein weiteres Buch mit dem Titel „Principles, Definitions and Model Rules of European Privat Law“, welches die Studienarbeiten der Study Group on a European Civil Code und der Research Group on EC Law (sog. Acquis Group) zusammenfasst, ist Anfang 2008 erschienen.72
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Van Gerven/Lever/Larouche/von Bar/Viney, Tort Law – Scope of Protection (1998); Van Gerven/Lever/Larouche (Hrsg.), Tort Law (2000); Beale/Hartkamp/Kötz/Tallon (Hrsg.), Contract Law (2002); zum Ganzen Wurmnest, ZEuP 2003, 214, 277 ff.; Merkt, ZHR 171 (2007), 491 ff. 67 KOM (2001), 398 endg. = ABl.EG 2001 Nr. C 255/1 v. 13.9.2001. 68 Vgl. Schulte-Nölke/Vogel, EuR 2002, 750 ff.; Schulte-Nölke, ZEuP 2002, 893 ff.; ders., ZGS 2002, 261 ff. 69 Beschreibend Zimmermann, EuZW 2007, 455, 460. 70 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Casebook Europäisches Verbraucherrecht (1999); Schulze/Engel/Jones (Hrsg.), Casebook Europäisches Privatrecht (1999); Saenger, Casebook Europäisches Gesellschafts- und Unternehmensrecht (2002); Magnus/Wurmnest (Hrsg.), Casebook Europäisches Haftungs- und Schadensrecht (2002). 71 http://ec.europa.eu/consumer/cons-int/safe-shop/acquis/com_analysis_en.pdf. 72 Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, prepared by the Study Group on a European Civil Code and the Research Group of C Private Law (Acquis Group) based in part on a revised of the Principles of European Contract Law, edited by Christian von Bar, Eric Clivee, Hans Schulte-Nölke, Hugh Beale, Johnny Here, Jérôme Huet, Peter Schlechtriem, Matthias Storm., Stephen Swann, Paul Varul, Anna Veneziano and Fryderik Zoll (2008).
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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cc. Zusammenfassung Das von den Wissenschaftsgruppen in Aussicht genommene europäische Vertragsrecht entwickelt sich vor dem hier dargestellten Hintergrund in mehreren Phasen bzw. auf mehreren Ebenen.73 Die erste Ebene betrifft den RestatementAnsatz. Es ging und geht darum, aus den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten im Wege der wertenden Rechtsvergleichung Prinzipien für ein europäisches Vertragsrecht zu destillieren. Den Anfang machte die Arbeitsgruppe von Ole Lando, die seit den achtziger Jahren Principles of the European Contract Law erarbeite. Auf ähnlichem Weg versucht nunmehr eine aus verschiedenen Forschergruppen zusammengesetzte Study Group für das gesamte Feld des Vermögensrechts Restatements auf rechtsvergleichender Basis zu erarbeiten. Teilweise unterscheiden sich diese und weitere Gruppen trotz des übereinstimmenden Rückgriffs auf die Vergleichung des nationalen Rechts in Methode und Ziel erheblich. Die Palette reicht hier von Arbeitsmitteln bis zu Gesetzentwürfen. Den Weg des Entwurfes eines kompletten europäischen Vertragsgesetzbuches etwa hat die Akademie der Europäischen Privatrechtswissenschaftler mit ihrer unter Giuseppe Gandolfi koordinierten Arbeit gewählt. Kennzeichnend für all diese Arbeitsgruppen ist, dass die beteiligten Wissenschaftler in ihrem Vorverständnis praktisch zwangsläufig von der nationalen Rechtstradition geprägt sind, in der sie ausgebildet wurden. Von der Zusammensetzung der jeweiligen Gruppe hängt deshalb auch ganz maßgeblich das jeweilige Arbeitsergebnis ab.74 Daraus folgt, dass Europäisches Vertragsrecht nicht zwingend „Europäisches“ Vertragsrecht ist.75 Die zweite Phase der Bemühungen um ein europäisches Vertragsrecht wird gekennzeichnet durch einen neuen methodischen Ansatz, der seinen Ausgangspunkt nicht in den geltenden nationalen Vertragsrechtsordnungen nimmt, sondern im bestehenden europäischen Gemeinschaftsvertragsrecht, dem so genannten acquis communautaire.76 Kernidee ist es, die Kluft zwischen den akademischen Entwürfen des Restatement-Ansatzes und dem ohne Gesamtplan gewachsenen Vertragsrecht der Gemeinschaft zu überbrücken.77 Dieser Ansatz war zu Beginn der achtziger Jahre, als die Lando-Kommission ihre Arbeit aufnahm, noch undenkbar, denn zu dieser Zeit hatte die privatrechtliche Rechtssetzung der Gemeinschaft eben erst begonnen. Seit der Mitte der achtziger Jahre
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Vgl. dazu Schulze, EuZW 2007, 130, 131 f.; Merkt, ZHR 171 (2007), 491, 509. So die Auswertung von Merkt, ZHR 171 (2007), 491, 510. 75 Ebenda. 76 Unter dem Titel „EC Consumer Law Compendium. The Consumer Acquis and its Transposition in the Member States“ ist das Buch 2008 von Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/ Ebers (Hrsg.) als erstes zusammenfassendes Werk zum EU-Verbraucherrecht erschienen. Ein Jahr zuvor, war sein Inhalt bereits online abrufbar. 77 Merkt, ZHR 171 (2007), 491, 510. 74
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1. Teil: Grundlagen
kam es jedoch in schneller Folge zur Inkraftsetzung einer ganzen Reihe von privatrechtlichen Rechtsakten der EG. Bringt man die Unterschiede der skizzierten Projekte – Restatement einerseits acquis communautaire andererseits – auf den Punkt, so lässt sich der erste Ansatz beschreiben als Entwurf der rechtsvergleichenden Wissenschaft mit relativ präzisen Regeln und ausgeprägter Systematik, aber fast ohne jeden Bezug zum geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaft. Der zweite Ansatz hingegen stützt sich auf die Rechtsakte der Gemeinschaft und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes mit einer Vielzahl einzelner Bestimmungen für das Verbrauchervertragsrecht, aber nahezu ohne jeden systematischen Zusammenhang.78 Er ist auch Ausgangspunkt des Gemeinsamen Referenzrahmens, der von der Kommission gefordert wird. In einer Stellungnahme zu den beiden unterschiedlichen Herangehensweisen bei der Herausbildung des europäischen Vertragsrechts wäre zunächst klarzustellen, dass der zweite Ansatz (acquis communautaire) in jedem Fall die Basis des Entwicklungsprozesses zu sein hat, jedenfalls, dann wenn die Arbeiten zum europäischen Zivilgesetzbuch irgendwann einmal konkrete praktische Bedeutung erlangen soll. Das bestehende Gemeinschaftssekundärrecht aus den Überlegungen für eine Gesamtkonzeption des europäischen Zivilrechts ganz auszublenden, hieße nämlich 40 Jahre Binnenmarktrecht der Gemeinschaft zu ignorieren, was nicht zielführend sein kann.79 Andererseits gilt es hervorzuheben, dass man allein mit der Analyse des Gemeinschaftsrechts noch kein in sich geschlossenes europäisches Privatrecht entwickeln kann, selbst wenn man aus den sektoralen Regelungen zunächst versucht, übergeordnete, eigenständige Rechtsprinzipien80 zu induzieren. Es gibt dann immer noch Bereiche, in denen das Gemeinschaftsprivatrecht zu lückenhaft ist, um Aussagen herzuleiten.81 Und die vorhandenen Lücken schließen sich erst allmählich, werden aber durch die Kompetenzbeschränkungen der Gemeinschaft wohl nicht ganz wegfallen. Will man dennoch ein europäisches Vertragsrecht schaffen, müssen diese Lücken (ggf. übergangsweise) aufgefüllt werden mit Rechtsgrundsätzen, die als jedenfalls überwiegend „gemeinsame“ aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu gewinnen sind. Hinsichtlich der verbleibenden Differenzen der Rechtsordnungen sind rechtsfortbildend neue Lösungen zu suchen.82 78
Merkt, ZHR 171 (2007), 491, 512; Schulze, ZEuP 2003, 714 ff. Basedow, Legal Studies 18 (1998), 121, 144; Schwintowski, JZ 2002, 205, 208; Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 743. 80 Zu dieser Notwendigkeit bei der Herausbildung eines Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens siehe Schulze, ZEuP 2007, 130, 142. 81 Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 742; Schulze, ZEuP 2007, 130, 142. 82 Dazu Tamm, GPR 2010, 525 ff, hier im Zusammenhang mit dem neuen Grünbuch, KOM 2010, 348/3. 79
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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3. Resümee Abschließend bleibt zu sagen, dass mit dem Aktionsplan der Kommission vom 12.2.200383 das Projekt eines europäischen Vertragsrechts die Ebene der rein akademischen Diskussion bereits verlassen hat.84 Es stellt sich nur noch die Frage, wie schnell diese Entwicklung voranschreitet und ob sie stärker als bisher institutionalisiert wird. Die Ausarbeitung eines Europäischen Privatrechts hat – auch in Bezug auf die Anzahl der beteiligten Wissenschaftlergruppen und Ansätze – eine Eigendynamik entwickelt, bei der man nicht mehr sagen kann, dass ein solches Recht erst vollkommen neu geschaffen werden müsse.85 In einigen Bereichen kann man bereits konstatieren, dass es durch das primäre und sekundäre Gemeinschaftsprivatrecht erste Weichenstellungen gibt und dass eine Reihe von Arbeiten schon wichtige Bereiche des europäischen Privatrechts (wie es einmal sein wird) zumindest schemenhaft erkennen lassen. Rechtssatzförmig gefasst liegen Vorschläge für ein gemeineuropäisches Recht jetzt für Teile des Privatrechts in Form der „Principles of European Contract Law“ der LandoKommission (European Principles, PECL) sowie in Form des Vorentwurfs für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler (Akademieentwurf) vor.86 Diese Vorarbeiten werden zweifellos nicht ungenutzt bleiben. Es steht außer Frage, dass die Arbeiten der hier vorgestellten verschiedenen wissenschaftlichen Netzwerkgruppen die europäische Privatrechtsdiskussion erheblich stimuliert haben und die Arbeit der Kommission bei der Überarbeitung und Fortentwicklung des Besitzstandes beeinflussen werden.87 Freilich benötigen die verschiedenen Wissenschaftlergruppen für ihre weitere Arbeit, die schließlich einmal den europäischen Gesetzgeber durch ihre Bandbreite und ihren Tiefgang inspirieren soll, auch in Zukunft viel Zeit und Geld,88 dies auch, weil die Forschungsergebnisse nicht nur „Programm“ bleiben. Es geht nicht mehr nur um eine perfekte, breit angelegte rechtswissenschaftliche Ausarbeitung, in der sich die Mitgliedstaaten mit ihren gemeinsamen Rechtstraditionen wieder finden können, sondern auch um einen weiter zu führenden diskursiven Willensbildungsprozess innerhalb der Gemeinschaft. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob man als Anhänger des neuen ius commune eher wie einst Thibaut einer schnellen Kodifikation zugeneigt ist oder in der Tradition
83 KOM (2003), 68 endg. = ABl.EG Nr. C 63/1 v. 15.3.2003. Dem war die Mitteilung v. 11.7.2001 vorausgegangen, KOM (2001), 398 endg. = ABl.EG Nr. C 255/1 v. 13.9.2001; Staudinger, VuR 2001, 353; v. Bar, ZEuP 2001, 799. 84 Tonner, FS Derleder (2005), S. 145. 85 So jedoch noch Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht I (1996). 86 Überblick über weitere Projekte bei Zimmermann, ZEuP 2000, 391 ff. 87 Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 732. 88 Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 743.
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1. Teil: Grundlagen
von Savigny89 stehend einen langsameren, aber nachhaltigeren, womöglich irritationsfreieren Kodifikationsprozess bevorzugt.90 In jedem Fall wäre zur effektiven Zusammenführung der Ergebnisse aber wohl auch eine Institutionalisierung der Forschungs- und Integrationsarbeit in Form der Errichtung eines European Law Instituts sinnvoll.91 II. Verbraucherschutz als ein die Rechtsvereinheitlichung in Europa beschleunigender „Nukleus“? Nach den beschriebenen Ansätzen zur Etablierung eines europäischen Zivilrechts, die in der Wissenschaft vertreten werden, und den dazu ausgeführten „vordenkenden“ Projekten, stellt sich nun die Frage, welche Rolle das Verbraucherprivatrecht in diesem in Gang gesetzten Prozess der Rechtsvereinheitlichung tatsächlich spielt.92 Dies wird maßgeblich davon abhängen, wie die Kommission mit ihm umgeht. Dabei zeigt sich ganz deutlich die Tendenz, das Politikfeld des Verbraucherschutzes zu instrumentalisieren, um dem Ziel, der Schaffung eines umfassenden Gemeinschaftsprivatrechtes, näher zu kommen.93 Das Verbraucherprivatrecht, das als „Motor“ den europäischen Integrationsprozess im hard wie im soft law ankurbelt, wird dabei über mehrere Ebenen genähert: Es gibt inzwischen ein europäisches (genauer gesagt ein EU-spezifisches) Verbrauchervertragsrecht, das bereits Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Abhandlungen war.94 Daneben entwickelt sich ein eigenständiges „Antidiskriminierungsrecht“ mit vertragsrechtlichen Auswirkungen, das über den bisherigen Ansatz im Arbeitsrecht hinausgeht.95 Überdies beschäftigt sich eine Reihe
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Es werden hier sehr deutlich Parallelen sichtbar zwischen der Kodifikationsdiskussion in der EU und dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland ausgetragenen Kodifikationsstreit, vgl. dazu Zimmermann, The Law Quarterly Review (LQR) 112 (1996), 576 ff. 90 Zu dieser historischen Parallele bei der nun geführten Diskussion um den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen vgl. auch Basedow, AcP 200 (2000), 445, 461; Ulmer, JZ 1992, 1, 5; Wagner, ZEuP 2007, 180; Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 309. 91 Der Vorschlag wurde bereits von Schmid im Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 10 (1999), 33, 59 ff. und in der JZ 2001, 674, 680 ff. in die Diskussion eingebracht. 92 Instruktiv dazu Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291 ff. 93 Zum Befund Micklitz/Reich/Rott, EU Consumer Law (2009), S. 57 ff.; Tröger, ZEuP 2003, 525, 538; Schlechtriem, ZEuP 2002, 213, 214 f.; Tonner, JZ 1996, 533 ff.; Micklitz, VuR 2003, 2, 3. 94 Vgl. dazu etwa: Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003); Weatherill, EU Consumer Law and Policy (2005). Andere sprechen von einem “europäischen Recht der Unternehmensgeschäfte“, so etwa Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht: das europäische Recht der Unternehmergeschäfte (1999). 95 Vgl. dazu Reich, Diskriminierungsverbote im Gemeinschaftsrecht, in: Mitteilungen der Vereinigung junger Zivilrechtslehrer (2006), S. 1 ff.
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bemerkenswerter Monographien von Grundmann,96 Lurger,97 Furrer,98 Riesenhuber,99 Rösler,100 Smits101 etc. damit, eine Theorie, Struktur und Dogmatik des „europäischen Vertragsrechts“, das vom Verbrauchervertragsrecht aus „anwächst“, zu entwerfen. Sie räumen ihm damit eine besonders prominente Stellung im System des europäischen Privatrechts ein. 1. Instrumentalisierung des Verbraucherschutzes Die Fortbildung und Angleichung verbraucherschützender Vorgaben als Kernbestand des europäischen Gemeinschaftsrechts ist seitens der Kommission zunächst auf eine Verbesserung des Binnenmarktes durch Erleichterung grenzüberschreitender Verbrauchertransaktionen gerichtet.102 Dies ist jedoch nur ein erster Schritt. Man ist offensichtlich nicht gewillt, hier stehenzubleiben.103 Alle Bestrebungen auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes sind auf europäischer Ebene von der Überlegung inspiriert, dass das Verbraucherrecht als „Grundstock“104 oder gar als „Speerspitze“ bzw. „Nukleus“ 105 für die Entwicklung des europäischen Privatrechts genutzt werden soll. Das Verbraucherschutzrecht, das über Art. 169 II lit. a), 114 AEUV (früher: 153, 95 EGV) noch in Maßnahmen zur Vollendung des Binnenmarktes eingebunden ist, diese aber maßgeblich mitbeflügelt, dient als Mittel zum Zweck.106 Unter dem Primat des Abbaus von Handelsschranken ist die europäische Entwicklung in diesem Bereich auf die Herausbildung verbraucherschützender Vorschriften als Bestandteil einer auch politisch, sozial,107 kulturell und wirtschaftlich verstandenen Bürgergemeinschaft gerichtet.108 Die Unterschiede, die in den Mit96
Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999). Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002). 98 Furrer, Zivilrecht im gemeinschaftsrechtlichen Kontext: das europäische Kollisionsrecht als Koordinierungsinstrument für die Einbindung des Zivilrechts in das europäische Wirtschaftsrecht (2002). 99 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006). 100 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004). 101 Smits, The Making of European Private Law (2002). 102 Zu den Zielen der EG vgl. insbes. Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 1993), S. 29 ff.; Roth, JZ 2001, 479; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 473 ff.; Engel, ZfRV 40 (1999), 121 ff.; Schwartz, ZEuP 1994, 569, 573 ff. 103 Vgl. dazu den unfassenden Beitrag von Schulte-Nölke/Schulze, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002). 104 Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 303. 105 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 10; Micklitz, EuZW 1997, 229, 36; Tonner, JZ 1996, 533, Reich, JZ 1997, 609 f. 106 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Micklitz, VuR 2003, 2, 5. 107 Joerges/Rödl, KJ 2008, 148, 150 ff. 108 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; 97
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gliedstaaten der EU noch bezüglich der Verbraucherschutzstandards bestehen, müssen dazu aus Sicht der Kommission noch weiter eingeebnet werden.109 Geleitet durch diese Einschätzung wird der europäische Verbraucherschutz, der zunächst nur auf eine Mindestharmonisierung durch Richtlinien gerichtet war,110 mehr und mehr für das Projekt eines zu etablierenden gemeinsamen zivilrechtlichen Referenzrahmens als Vorstufe zum europäischen Zivilrecht nutzbar gemacht.111 Er bildet die Brücke, damit man „nach und nach von der Mindestharmonisierung abgehen und zu einer vollständigen Harmonisierung gelangen kann“,112 nicht nur im visionären europäischen Zivilrecht, sondern auch im hard law. Als Beispiele113 für die neue Strategie, die bereits in das Richtlinienrecht Eingang fand, seien die Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen und die neue Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) erwähnt.114 Deutlich kommt der auf eine größere Rechtsvereinheitlichung gerichtete Vollharmonisierungsansatz zudem im neuen Grünbuch zur Überarbeitung des verbraucherrechtlichen acquis von Februar 2007115 zum Ausdruck.116 Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f.; Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999), S. 263. 109 Zum Befund Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 40 f.; Meyer, BB 2004, 1285, 1287. 110 Danach sind strengere Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten zulässig. Dies gilt allerdings nur im Verhältnis zu den spezifischen EG-Maßnahmen nach Art. 153 III b) EGV; vgl. Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 26 Rn. 11; Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 34; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 621; Reich, JCP (2005), 383 ff. Für Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes nach Art. 153 III a) EGV findet nicht Art. 153 V EGV Anwendung, sondern es greift Art. 95 IV-V EGV, wonach „wichtige Erfordernisse“ i.S.v. Art. 28 EGV, zu denen nach der „Cassis-de-Dijon-Entscheidung“ auch verhältnismäßige und nicht diskriminierende nationale Regelungen des Verbraucherschutzes gehören können, die Anwendung strengerer Bestimmungen rechtfertigen können, vgl. dazu Grub, in: Lenz/Borchard (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 45; ähnlich Reich/Micklitz, VuR 2007, 121, 125. 111 Zu den Fortschritten dieses Projekts siehe die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 11.10.2004 – Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftsrechtlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen, KOM (2004) 651 endg., ZEuP 2005, 462 ff.; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein kohärentes europäisches Vertragsrecht, ABl.EG 2003 Nr. C 63/1. 112 Europäische Kommission, Verbraucherpolitische Strategie 2002–2006, KOM (2002), 208 endg., S. 16. 113 Dazu auch Micklitz/Reich/Rott, EU Consumer Law (2009), S. 41; zum Befund vgl. auch Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 374. 114 Die Kommission stützt die Notwendigkeit einer Vollharmonisierung offensichtlich auf die Rechtsprechung des EuGH seit der sog. Tabakentscheidung (EuGH, Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-376/98 – Tabakwerberichtlinie), wo in der Tat die Mindestharmonisierungsklausel der Tabakwerberichtlinie 98/43/EG als gegen die Grundsätze des Binnenmarktes verstoßend „gebrandmarkt“ wurde. 115 Grünbuch der Kommission zur Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstandes v. 8.2.2007, KOM (2006), 744 endg. 116 Zur Kritik an diese Entwicklungstendenz, die auf die Abschaffung des Mindest-
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Gleiches gilt für den jüngsten „Vorschlag zu einer Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“117 und das Grünbuch der EU-Kommission zum grenzüberschreitenden B2C-Vertragsschluss vom 1.7.2010118. 2. Ziel der Schaffung des Gemeinsamen Referenzrahmens als Vorstufe Um ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht zu entwickeln, in dem das europäische Verbraucherschutzrecht eine herausragende Rolle einnehmen wird, errichtete die Europäische Kommission das sog. CFR-Netzwerk und erfüllt damit die Forderung aus der Wissenschaft, die Ergebnisse aus akademischen Ausarbeitungen zum europäischen Zivilrecht institutionalisiert zusammenzuführen. a. Vorgehensweise CFR steht für „Common Frame of Reference“ (Gemeinsamer Referenzrahmen).119 In dem CFR-Netzwerk sollen ca. 160 Praktiker sicherstellen, dass Dokumente zu unterschiedlichen Themenbereichen des Vertragsrechts, die von Rechtswissenschaftlern im Auftrag der Kommission ausgearbeitet worden sind, nutzerfreundlich zusammengetragen werden.120 Außerdem wurden von den Mitgliedstaaten Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich ebenfalls mit dem Europäischen Vertragsrecht befassen. Ziel war es, bis Ende 2007 einen Gemeinsamen Referenzrahmen auszuarbeiten.121 b. Zielstellung Der Gemeinsame Referenzrahmen ist zwar primär nur auf die Festlegung gemeinsamer Begriffe und Grundsätze des europäischen Vertragsrechts in Revision des geltenden Verbraucheracquis gerichtet.122 Inhaltlich gehen die Vorstellungen der Kommission aber wesentlich weiter.123 Über die Festlegung gemeinstandardprinzips zielt, vgl. Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 41 ff.; Reich/Micklitz, VuR 2007, 121, 125; Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 117 KOM (2008), 614 endg., v. 8.10.2008. 118 KOM (2010), 348/3 endg. v. 1.7.2010. 119 Zum derzeitigen Stand des CFR siehe Zimmermann, ZEuP 2007, 109 ff.; ders., EuZW 2007, 455 ff.; Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1114. 120 Lehne, ZEuP 2007, 1 mit Hinweis auf KOM (2005), 456 endg. 121 Vgl. dazu Lehne, ZEuP 2007, 1, 2; zu den diesbezüglichen Forderungen aus der Wissenschaft vgl. etwa Dauner-Lieb, Anwaltsblatt 2006, 430, 434. 122 Dieses Konzept ist etwa beschrieben in Nr. 24 des Aktionsplanes der EG-Kommission v. 12.2.2003, KOM (2003) 68 endg. Das Dokument ist abrufbar auf der Website der Kommission (http:/europa.eu.int/comm); vgl. hierzu auch Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1114; Meyer, BB 2004, 1285, 1287; siehe zudem Verbraucherpolitische Strategien 2002– 2006, KOM 2002 (208) = ABl.EG Nr. C 137/2 v. 8.6.2002. 123 Wiesner, DB 2005, 871, 872 f.; Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 228; repräsentativ für dieses Problem sind etwa die Schlusshinweise von Zimmermann in seinem Generalbericht auf dem 4. Europäischen Juristentag 2007, siehe dazu Zimmermann, European Contract Law, EuZW 2007, 455 ff.
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1. Teil: Grundlagen
samer Begriffe und Grundsätze des europäischen Vertragsrechts soll in dem zu schaffenden Referenzrahmen nämlich auch materielles Schuldrecht geregelt werden und dabei vor allem diejenigen Vertragsarten, die im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr von Bedeutung sind. Zudem sollen allgemeine Bestimmungen über den Abschluss, die Wirksamkeit, die Auslegung sowie die (Nicht-)Erfüllung von Verträgen und die daraus resultierenden Ansprüche eine Regelung erfahren. In gleichem Maße ist anvisiert worden, das Sachenrecht und das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung einer einheitlichen europäischen Regelung zuzuführen. Am Umfang der ins Auge gefassten Regelung zeigt sich, dass es der Kommission nicht nur um das Fundament gemeinsamer Begrifflichkeiten geht, sondern bereits um ein weit gespanntes Regelwerk, um ein europäisches Zivilrecht.124 Die Kommission125 strebt mit diesem „Vordenkerprojekt“ faktisch eine Totalharmonisierung an.126 Der Gemeinsame Referenzrahmen, der bis 2009, also noch unter der BarrosoKommission, fertig gestellt werden sollte und es dem Grundsatz nach mit dem 2008 veröffentlichten Entwurf im Wesentlichen auch bereits ist,127 stellt zwar kein förmliches Gesetz dar. Gleichwohl wird er aber als ein autoritativer Referenztext für das europäische Vertragsrecht konzipiert,128 der – von seiner Konzeption her129 – durch den hierzu legitimierten Gesetzgeber ohne weiteres in Geltung gesetzt werden könnte.130 Dass der zu erstellende Gemeinsame Europäische Referenzrahmen die Grundlage für das herannahende Europäische Zivilgesetzbuch sein soll,131 wird in Brüssel bislang nur deshalb nicht deutlich artikuliert, weil gerade durch das Insistieren auf den bloßen (nichtgesetzlichen) „Referenzcharakter“ des Werkes vermieden wird, darauf eingehen zu müssen, dass es der EU einstweilen noch an einer Kompetenzgrundlage für die Vollharmonisierung fehlt.132 Auf den weit gesteckten Inhalt des DCFR soll im Folgenden et124
Vgl. Nr. 59, 62 und 63 des Aktionsplanes (Zitat aus der o. g. Fn.). Zu diesem Befund siehe etwa: Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 374 ff.; Weatherill, in: Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland – Stand und Perspektiven (2005), S. 15, 27 ff. 126 Kritisch dazu: Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 374; Wiesner, DB 2005, 871, 874. 127 Vgl. dazu den Besprechungsaufsatz von Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529 ff. 128 Siehe dazu die Mitteilung der Europäischen Kommission v. 12.2.2003 (A More Coherent European Contract Law: An Action Plan): KOM (2003), 68 final; vgl. dazu auch Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1114. 129 Der DCFR ist bereits als Gesetzbuch angelegt, dazu Kramer, AcP 208 (2008), 248 ff. 130 Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 533. 131 Kramer, AcP 208 (2008), 428 ff.; Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 533. 132 So zutreffend: Basedow, AcP 200 (2000), 445, 482; Wagner, ZEuP 2007, 180, 183. Zum Kompetenzdefizit im Weiteren vgl. auch: Wiesner, DB 2005, 871, 873; Meyer, BB 2004, 1285, 1287; Fricke, VersR 2005, 1474, 1476; Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870, 873; Wilhelmsson, ZEuP 2008, 225 ff. 125
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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was näher eingegangen werden. Dieser wird den Anspruch des DCFR, „Vorstufe“ eines europäischen Zivilrechtes zu sein,133 von sich aus verdeutlichen. c. Arbeitsergebnisse Der 2008 fertig gestellte erste Entwurf134 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (so genannter DCFR) besteht aus sieben Büchern und zwei Anhängen.135 Das etwas heterogene Buch I enthält sechs Regeln. Sie betreffen den Anwendungsbereich und die Auslegung des DCFR, bestimmen die Bedeutung der Begriffe „schriftlich“, „Textform“, „Signatur“ und fünf weitere Formelemente. Sie verweisen sodann auf die beiden Anhänge. Der eine von ihnen bietet einen Katalog von 122 Definitionen (!), von denen viele im Text des DCFR wieder auftauchen, der andere beherbergt eine ausführliche Regelung der Berechnung von Fristen samt einem eigenen kleinen Definitionskatalog, der sich nur auf diesen Anhang bezieht. Nach Auskunft der Verfasser des DCFR136 dienen die Bestimmungen in Buch I als kurzer und allgemeiner Leitfaden zur Benutzung des Regelwerkes. Die Bücher II und III des Entwurfes enthalten, was in Deutschland als Regelungen zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und zum Schuldrecht bezeichnet werden würde,137 d.h. Vorschriften zum Vertragsschluss, zur Stellvertretung, zur Gültigkeit, zur Auslegung und zum Inhalt von Verträgen, zur Aufrechnung und Verjährung. Eine „Verbindlichkeit“, die Rechtsfolgen zeitigt, wird als eine Leistungspflicht einer Partei gegenüber einer anderen definiert („ … a duty to perform which one party to a legal relationship … owes to another party“, Art. III.–1:101). Der Begriff bezieht sich sowohl auf rechtsgeschäftliche als auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse, die Entstehungsgrund der Verbindlichkeit sein können.138 Der Vertrag ist damit nur eine von vielen Verbindlichkeiten. Allerdings steht diese im Vordergrund des Buches II. Die Regelungsvorgaben, die insoweit getroffen werden, sind z.T. auch auf andere Rechtsgeschäfte (einseitige Versprechen, die Erteilung der Vollmacht, Genehmigungs-, Aufrechnungs- und Rücktrittserklärungen) übertragbar. Bemerkenswert, weil starke Parallelen zum deutschen System aufzeigend, ist ferner, dass Buch II und Buch III mit einem Allgemeinen Teil beginnen, der Definitionen und tragende Grundsätze (Vertragsfreiheit, Formfreiheit, Treu und Glauben) enthält. 133
Hierzu umfassend Schulte-Nölke, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 29 ff. 134 Als Buch erschienen unter dem Titel: Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (DCFR). zunächst Interim Outline Edition (2008); inzwischen endgültige Online Edition (2009). 135 Grundlegend für diesen Abschnitt ist der Aufsatz von Eidenmüller/Faust/Grigoleit/ Jansen/Zimmermann, a.a.O., die diese Ergebnisse bereits zusammentrugen. 136 Vgl. dazu den Einleitungstext, a.a.O. 137 Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 530. 138 Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 531.
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1. Teil: Grundlagen
In Buch IV wurden sodann Regelungen zu besonderen Vertragstypen untergebracht. Es kodifiziert in seinen bislang sechs Unterabschnitten beispielsweise Vorschriften zum Kauf, zur Miete beweglicher Sachen, zu Verträgen über Dienstleistungen (unter Ausschluss des Arbeitsrechts), zum Auftrag, zu Handelsvertreter-, Franchise- und Vertriebsverträgen sowie zu persönlichen Sicherheiten (Bürgschaft, Garantie). Die Bücher V, VI und VII befassen sich im Anschluss daran mit der Geschäftsführung ohne Auftrag, der außervertraglichen Haftung und der ungerechtfertigten Bereicherung – auch insofern weist der Entwurf zum DCFR Parallelen zur Anordnung der Schuldverhältnisse im BGB auf. Eingefügt in das traditionell-privatrechtliche Regelungssystem sind als Regelungssplitter über das gesamte Werk verstreut Vorgaben des ius novum des acquis communautaire. So fanden in den DCFR Eingang: der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, Informationspflichten, unbestellte Zusendung von Waren oder Dienstleistungen, Widerrufsrechte (dies alles in Buch II), die Regeln über Verbrauchsgütergarantien und eine Vielzahl weiterer verbraucherschützender Maßnahmen (Buch IV). In dem 2008 veröffentlichten Entwurf, der noch als unvollständig beschrieben wurde und deshalb auch nur als „Interim Outline Edition“ fungierte, der mittlerweile aber bereits durch eine online abrufbare, endgültige Ausgabe von 2009 ersetzt wurde, fehlen Regelungen zu Vertragstypen wie dem Darlehensvertrag und die Schenkung sowie eigenständige Bücher über den Erwerb und den Verlust von Eigentum an beweglichen Sachen (vorgesehen für Buch VIII), die Sicherheit an beweglichen Sachen (vorgeschlagen für Buch IX) und Trusts (in Aussicht genommen für Buch X). Weite Bereiche wurden überdies ausdrücklich aus dem noch zu vollendenden Regelungsvorhaben ganz ausgeklammert, so etwa die Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen, das Erb- und Familienrecht, das Wertpapierrecht, das Arbeitsrecht, das Grundstücks- und Gesellschaftsrecht.139 Noch kein Konsens konnte darüber erzielt werden, ob Grundregeln des europäischen Sicherungsvertragsrechts Eingang in Buch IV finden und ob sich die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen nur auf allgemeine Geschäftsbedingungen oder auch auf Individualvereinbarungen bezieht.140 3. Hindernisse für das zu entwickelnde Gemeinschaftsprivatrecht Völlig unklar im Hinblick auf das Vorandrängen des europäischen Integrationsprozesses im hard wie im soft law ist jedoch, wie weit die Idee einer Kodifikation bis ins Detail für das heutige Europa überhaupt passt.141
139 140 141
Vgl. dazu Art. I.-1:101 (2). Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 532. Ernst, AcP 208 (2008), 248 ff.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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a. Funktionale Grenzen des Restatementgedankens Wie der Gemeinsame Referenzrahmen zeigt, ist diese Idee im Ansatz zunächst mit der Vorstellung eines „Restatements“ des bereits geltenden Rechts verbunden. Als grundlegende Bausteine für das zu schaffende europäische Privatrecht hat man damit insbesondere auf das europäische Sekundärrecht und gemeinsame Rechtsüberzeugungen der Mitgliedstaaten Rückgriff zu nehmen. Diese beiden Säulen erfüllen eine grundlegende „Zulieferfunktion“, indem Pflöcke eingezogen werden, um die eine Fortentwicklung stattfinden kann. Mit dem Restatementgedanken steht die Idee der Schaffung eines europäischen Privatrechts in der Tradition der nationalen Zivilrechtskodifikationen. So konnten sich der Code Civil und das BGB jeweils im Wesentlichen darauf beschränken, das als Gesetz zu reformulieren, was bereits zuvor von Rechts wegen gegolten hatte: Der Code Civil beruht auf dem allgemeinen Recht, wie es in der naturrechtlich geprägten Darstellung Domats und Pothiers142 seinen Ausdruck gefunden hatte, das BGB auf dem von der Rechtsprechung aktualisierten und von der Pandektenwissenschaft systematisierten römischen Recht, wie es von Windscheid zusammengefasst war.143 Außerhalb des europäischen Sekundärrechts und gemeinsamer Rechtsüberzeugungen ist aber für weite Teile des Rechts der Mitgliedstaaten ein solches Restatement schwer darstellbar, da die Rechtssysteme in vielen Bereichen auch in den von ihnen vorgenommenen Wertungen und Lösungen sehr verschieden sind.144 So bestehen gerade im außervertraglichen Schuldrecht, aber auch im Sachenrecht und im Vertragsrecht erhebliche Divergenzen zwischen den einzelnen Rechtsordnungen.145 Die Kodifikation des europäischen Privatrechts muss deshalb in vielen Bereichen auch auf die Schaffung neuen Rechts hinauslaufen. Das zeigt für das Vertragsrecht – den Kernbereich des DCFR – bereits der 2008 vorgelegte Entwurf. „Wie sehr der DCFR im Bereich von Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung Neuland betritt, wird schon aus einem ersten Überblick über die Struktur des Abschnittes über die Erbringung von Dienstleistungen („services“) deutlich: Er enthält nach dem Allgemeinen Teil … besondere Unterabschnitte über Herstellung, Bearbeitung, Verwahrung, Entwürfe, Rat oder Informationen sowie die (medizinische) Behandlung. 142 Jansen, JZ 2006, 536, 537; a.A. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), S. 78 ff., 84 ff. 143 Vgl. dazu Koschaker, Europa und römisches Recht (1966), 205; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts (1996), 137 ff., 142 ff. 144 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 109; Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht (1996), S. 24, spricht von einer Widerspiegelung der „Vielfalt und Farbigkeit des Lebens“; Jansen, JZ 2006, 536, 537. 145 Ausführlich Jansen, Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität (2004), S. 31 ff. m.w.N.
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1. Teil: Grundlagen
Für viele dieser besonderen (in der Terminologie des deutschen Rechts) Dienstund Werkverträge enthalten die bestehenden europäischen Kodifikationen keine Regelungen. Ungewohnt für einen englischen Juristen dürfte es (auch) sein, die Miete beweglicher Sachen als einen schuldrechtlichen Vertrag klassifiziert zu finden, überraschend für einen deutschen Juristen ist, dass der Auftrag (Mandate) zum einen kein notwendig unentgeltliches Rechtsgeschäft und zum anderen auf die Regelung des Innenverhältnisses zwischen Vertreter und Vertretenem bei der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung beschränkt ist.“146 Vor diesem Hintergrund wird erklärlich, dass die Verfasser eines gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens gezwungen sind, nicht nur zu sondieren und zusammenzufassen, sondern auch etwas Neues zu kreieren, sodass der Restatement-Gedanke – soll der DCFR eine sinnvolle Einheit bilden – an funktionale Grenzen stößt. b. Richtlinientätigkeit als einzige Möglichkeit – aber: Inkohärenz und Irritationspotential beim Fehlen eines einheitlichen Gesamtkonzepts Nach wie vor nicht geklärt ist, welcher Weg für die Schaffung eines weitgehend einheitlichen europäischen Privatrechts der beste ist. Es geht hier vor allem um die nicht unwesentliche Frage, wie sich das zu entwickelnde moderne europäische Privatrecht bruchlos in das traditionelle, überlieferte Vertragsrecht der Mitgliedstaaten integrieren lässt.147 Die nicht von der Hand zu weisende faktische Eingliederungsproblematik entfiele nur bei: – einer flächendeckenden, das nationale Privatrecht in einem Akt restlos ersetzenden europäischen Gesamtkodifikation – oder aber (in einem weitaus langwierigeren Prozess) bei der schrittweisen Privatrechtsangleichung über Richtlinien, wobei diese dann einem einheitlichen Grundkonzept eines europäischen Privatrechts folgen müssten, das die Mitgliedstaaten Schritt für Schritt durch Modifikation ihrer Rechtsordnungen nachzuvollziehen hätten. Nur letzterer Weg ist m.E. tatsächlich gangbar,148 da er bereits die gegenwärtige Rechtspraxis abbildet und für einen Wechsel in der Angleichungsstrategie, d.h. ein Abgehen von der schrittweisen Angleichung über Richtlinien, weder ein Konsens erzielt werden könnte noch in ausreichendem Maße EU-rechtliche Kompetenzen149 erkennbar sind. So käme es auch zu keinem Stillstand in 146 So die Auswertung des ersten Entwurfs zum DCFR von Eidenmüller/Faust/Grigoleit/ Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 531. 147 Basedow, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik (1999), S. 79, 81 f.; Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 234; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2006), S. 159 f., 196 f. 148 Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 237. 149 Vgl. Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 18, der betont, dass keine umfassende und eigenständige Kompetenz der Gemeinschaft zur Regelung des Verbraucherschutzes nach Art. 153 EGV besteht.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts. Der Gemeinsame Referenzrahmen würde danach nur ein (notwendiges!) kohärentes Gehäuse bilden, das bestimmte Formen vorgibt, in welches das weiter zu entwickelnde europäische Richtlinienrecht (und über dieses das nationale Recht) systemgetreu einzubauen ist.150 So käme es zu einem sinnvollen Zusammentreffen der beiden dualen Systeme: ius commune und ius communitatis.151 Die Privatrechtsangleichung, die gegenwärtig zum größten Teil über Richtlinien erfolgt, ist bislang noch insoweit angreifbar, als sie nicht in ein einheitliches, klares Gesamtkonzept eines europäischen Privatrechts eingepasst ist, weil ein solches noch nicht existiert. Mangels des erforderlichen Gesamtkonzepts besteht nun die nicht zu leugnende Gefahr, dass die in den nationalen Kodifikationen repräsentierte Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung152 in Reflexion der Inkohärenz EU-rechtlicher Vorgaben selbst wiederum leidet,153 da der nationale Gesetzgeber nicht frühzeitig entsprechende Weichenstellungen hin auf ein „Gesamtkonzept“ durch entsprechend umfassende Anpassung seiner Rechtsordnung vornehmen kann.154 Er kann nur punktuell „nachfassen“, was Systembrüche nicht ausschließt, falls nicht ständig „große Lösungen“155 umgesetzt werden, die jedoch wiederum den Nachteil haben, dass sie in ihrer inhaltlichen Ausrichtung schwer voraussehbar und umsetzbar sind und somit die Rechtssicherheit156 beeinträchtigen. Die Nichtbezugnahmemöglichkeit eines einheitlichen europäischen Gesamtkonzepts würde zwangsläufig die Gefahr immer größer werdender Effizienzverluste sowohl des Gemeinschaftsrechts als auch der nationalen Rechtsordnungen heraufbeschwören.157 Um Missverständnissen vorzubeugen, ist an dieser Stelle zu betonen, dass sich die Kritik an dem bereits eingeschlagenen Weg der schrittweisen Privatrechtsvereinheitlichung über Richtlinien nicht an der mangelnden Rücksichtnahme des Gemeinschaftsprivatrechts auf die Systeme der nationalen Rechtsordnung 150 Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 237; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 485; Staudenmayer, Die Richtlinien des Verbraucherprivatrechts – Bausteine für ein Europäisches Vertragsrecht, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 63 ff. 151 Basedow, AcP 200 (2000), 445, 485; Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 237. 152 Zu diesem Postulat F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 16; Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 153 Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 234 f. 154 Tenreiro, FS Reich (1997), S. 339 ff. 155 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 5; Staudinger/Beckmann (2004), Vorbem zu § 433 ff. Rn. 33. 156 Zum Postulat der Rechtssicherheit, das bereits aus der Rechtsidee folgt, vgl. BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff. 157 Tröger, ZEuP 2003, 525, 535.
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1. Teil: Grundlagen
entzündet oder gar an dem Instrument der Richtlinie überhaupt. Denn die Gemeinschaft ist – wie bereits herausgestellt wurde – wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und des Subsidiaritätsgebots (Art 5 I, II, III EUV) kompetenzrechtlich gar nicht in der Lage, eine Vollharmonisierung uno acto vorzunehmen.158 Auch lässt die Gemeinschaft den Mitgliedstaaten gerade über das von ihr gebrauchte Instrument der Richtlinien breiten Raum für eine weitgehend irritationsfreie Einbindung in die nationale Rechtsordnung. Das Problem ist nur, dass die Möglichkeit der nationalen Rechtsordnungen zur harmonischen Implementation des Gemeinschaftsprivatrechts mit zunehmender Regelungsdichte dieses Rechts, welches bislang selbst keinem „einheitlichen Grundkonzept“ folgt, naturgemäß irgendwann einmal an die Grenzen der Überforderung stoßen wird.159 Dies bereits zeigt, warum ein Europäischer Referenzrahmen als Orientierungsmaßstab für die zukünftige Entwicklung im Gemeinschaftszivilrecht erforderlich ist. Nur dieser kann sowohl für den europäischen Gesetzgeber als auch für die nationalen Legislativorgane das notwendige Gerüst zur kohärenten Fortentwicklung eines Schritt für Schritt weiter zu harmonisierenden Rechts bereitstellen.160 Freilich korrespondiert dem auf den Weg gebrachten Referenzrahmen dann notwendigerweise auch die Pflicht der Gemeinschaft, bei seiner Herausbildung auf den acquis communautaire Bezug zu nehmen und das Orientierungsinstrument nicht vollkommen am bestehenden Recht „vorbei“ zu entwickeln. Es käme ohne Beachtung dieser Anforderung zu einem Bruch mit dem Grundsatz des partnerschaftlichen Zusammenwirkens. c. Weitere Einwände gegen das zu schaffende europäische Gemeinschaftsprivatrecht Der Idee der Bewerkstelligung eines europäischen Zivilrechts und eines dergestalten Gesetzbuches, bei dem das Verbraucherrecht als Impulsgeber fungieren könnte, stehen jedoch noch Einwendungen anderer Art, die sowohl rechtspolitischer als auch legitimatorischer Natur sind, entgegen.161 Auch auf diese soll nachfolgend eingegangen werden.
158 Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 683; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 18; zum Diskussionsstand bezüglich der Gemeinschaftskompetenzen in diesem Punkt vgl. Basedow, AcP 200 (2000), 445, 473 ff.; Engel, ZfRV 40 (1999), 121 ff.; Schwartz, ZEuP 1994, 569, 573 ff. 159 Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 731 ff. 160 In diese Richtung deutend auch Schulze, ZEuP 2007, 130, 144. 161 Umfassend zur (kritischen) Diskussion Micklitz (Hrsg.), Rechtseinheit oder Rechtsvielfalt in Europa? Rolle und Funktion des Verbraucherrechts in der EG und den MOSStaaten (1996).
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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aa. Heterogenität der Mitgliedstaaten als eigenständiger Wert162 Die Kritik gegen das zu schaffende gemeineuropäische Privatrecht und damit auch (mittelbar) gegen den DCFR betrifft zum einen die Heterogenität der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die Ausfluss von Unterschieden auch im rechtskulturellen Bereich, etwa bezüglich materieller Lösungsmodelle, aber auch hinsichtlich prozeduraler Elemente und der Neigung zur gerichtlichen Rechtsverfolgung, sind,163 welche um ihrer selbst willen nicht eingeebnet werden sollten.164 Im Kern geht es hier um die Anerkennung einer widerleglichen Vermutung der Funktionsfähigkeit und Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen („funktionale Äquivalenz“),165 die bereits in dem international privatrechtlichen Grundsatz der Comitas (unter dem Vorbehalt des Ordre Public) supranational anerkannt ist.166 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die von Kübler zum Ausdruck gebrachte Kodifikations- und Systematisierungsskepsis, die die Forderung enthält, dass innerhalb einer modernen Gesellschaft die Vielfalt der verschiedenen Ordnungsvorstellungen und Gruppeninteressen auch zum Ausdruck gebracht werden sollten.167 Dem schließt sich nun Zimmermann168 in zutreffender Weise an. Bereits Joerges169 hatte die gegenwärtigen Bemühungen zur Herausbildung eines europäischen Privatrechts, die in Richtung Vollharmonisierung gehen, auch deshalb kritisiert, weil sie die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung des Verbraucherrechts auf nationaler Ebene tendenziell ausbremsen. Es würde hier keine nationalen Impulse mehr geben. Joerges hatte sich bei seiner Kritik vor allem auf Ansätze in den politischen Wissenschaften, etwa bei Scharpf 170 und Weiler171 gestützt, die auf die mehrfache Einbindung der Menschen in verschiedene Gemeinwesen, das nationale und das europäische, hinweisen und daraus die Sinnhaftigkeit einer tatsächlich praktizierten Mehrebenengesetzgebung abgeleitet haben. Joerges geht es bei seiner Kritik nicht grundsätzlich um eine Zurückdrängung des europäischen Angleichungsprozesses, sondern um eine methodische Handreichung zur notwendigen weiteren Entwicklung des europäischen Pri-
162 163
Ähnlich schon Tamm, EuZW 2007, 756 ff.; dies., KJ 2007, 391 ff. Dazu ausführlich Gessner, FS Reich (1997), S. 163 ff.; vgl. auch Zimmermann, JZ 2007,
1113 ff. 164
Calliess, ZEuP 2006, 742, 754; abgeschwächt Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 235, der die „Individualität“ der mitgliedstaatlichen Rechte bei einer Vollharmonisierung durch die Gemeinschaft als „stark herausgefordert“ ansieht. 165 Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 228. 166 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 ff. 167 Kübler, JZ 1969, 645 ff.; ders., DRiZ 1969, 379 ff. 168 Zimmermann, JZ 2007, 1113 ff. 169 Joerges, ELJ 3 (1997), 78 ff.; vgl. auch Joerges/Rödl, KJ 2008, 149 ff. 170 Scharpf, Journ. Eur. Publ. Pol. 1 (1994), 219 ff. 171 Weiler, The Constitution of Europe (1999), S. 344 ff.
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1. Teil: Grundlagen
vatrechts, die eben auf mehreren Ebenen vorangetrieben werden soll. In diesem Sinne ist der Stellungnahme ohne jede Einschränkung beizupflichten. bb. Fehlende EU-Kompetenz bezüglich der Vollharmonisierung172 Über diese Vorstellungen hinausgehende kritische Äußerungen betreffen im Weiteren grundlegend kompetenzrechtliche Probleme, diese Materie EU-weit zu regeln.173 Gerade die enge Anbindung des Verbraucherschutzes an das Binnenmarktprojekt lässt das eine um das andere Mal vermuten, dass einige verbraucherschützende Richtlinien gerade dann, wenn sie nicht mit dem Binnenmarktprojekt in Einklang zu bringen sind, weil sie ihm nicht dienlich sind, rechtstechnisch auf keinem gesicherten Fundament174 stehen.175 Auf einer abstrakteren Ebene geht es damit auch um die Beachtung des in Art. 5 I, II, III EUV verankerten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung sowie des Subsidiaritätsgrundsatzes.176 Darüber hinaus stößt auch und gerade die Besetzung der die Vorarbeiten betreibenden Gremien (etwa die der Lando-Kommission) mangels legitimatorischer Absicherung auf heftige Kritik.177
172
Tamm, EuZW 2007, 756 ff.; dies., KJ 2007, 391 ff. Kritisch insofern vor allem: Basedow, AcP 200 (2000), 445, 483; Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1113, 1114 ff.; Wagner, ZEuP 2007, 180, 183; Wiesner, DB 2005, 871, 873; Meyer, BB 2004, 1285, 1287; Fricke, VersR 2005, 1474, 1476; Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870, 873; Rittner, JZ 1990, 838, 842; ders., JZ 1995, 852; ders., FS Mestmäcker (1996), S. 451 ff.; Schwartz, ZEuP 1994, 569 ff.; Bangemann, ZEuP 1994, 377 ff.; Steindorff, Grenzen der EG-Kompetenzen (1990), S. 90 ff.; Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2006), H.V. Rn. 35; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 194; Borchert, NJW 2005, 3267; Flessner, JZ 2002, 14 f.; zu den in Frage kommenden Kompetenzgrundlagen vgl. Engel, ZfRV 40 (1999), 121 ff.; a.A. Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 113. 174 Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 15 ff.; Zimmermann, The New German Law of Obligations (2005), S. 195; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 374. 175 Siehe insbes. Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 18, der dort zutreffend herausstellt, dass die Gemeinschaft keine eigenständige, umfassende Kompetenz im Verbraucherschutzbereich hat. In der jüngeren Verbraucherschutzliteratur wurden und werden jedoch Versuche unternommen, dieses Ansinnen der Europäischen Kommission auch argumentativ auf der kompetenzrechtlichen Ebene zu legitimieren (vgl. dazu etwa Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, 2004). 176 Zum Ganzen grundlegend: Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 12; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 9; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 159: Pieper, Subsidiarität, Ein Beitrag zur Begrenzung der Gemeinschaftskompetenzen (1994), S. 184 f.; Mayer/ Schürnbrand, JZ 2004, 545; Tröger, ZEuP 2003, 525 ff.; Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 683; Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 80; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 370 f. 177 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 28 mit dem weiterführenden Hinweis, dass sich gerade bei der Commission on European Contract Law die Frage stellt, nach welchen Kriterien deren Mitarbeiter ausgewählt und ausgewechselt wurden. 173
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
297
cc. Demokratiedefizit Kritik an den derzeitigen Vorarbeiten zum Europäischen Zivilgesetzbuch wird aber auch hinsichtlich des Verfahrens geäußert, und zwar insofern, als auf ein bestehendes Demokratiedefizit verwiesen wird. Dabei geht es schon bezüglich der von der Kommission in Auftrag gegebenen Ausarbeitung eines Gemeinsamen Referenzrahmens (aber im Prinzip auch bei den anderen Wissenschaftsgruppen) um den Umstand, dass die Erarbeitung der Entwürfe lediglich den aus den verschiedenen Mitgliedstaaten dazu berufenen Professoren aufgetragen wurde. Sie nehmen die Stellung eines Quasi-Gesetzgebers ein. Dies wird als technokratisch und das Demokratieprinzip sprengend angesehen.178 Durch die Diskussion der Entwürfe in der fachwissenschaftlichen Presse (bzw. beim Referenzrahmen durch die Arbeitskreise der sog. „Stakeholder“) wird der Mangel an demokratischer Kontrolle und Legitimation nicht geheilt, sondern insbesondere aus Sicht der Study Group on Social Justice sogar noch verstärkt, weil gut organisierte Lobbygruppen überproportionalen Einfluss auf den Rechtssetzungsprozess gewinnen.179 dd. Mögliche finanzielle Probleme einer vollkommenen Rechtsumstellung 180 Schlussendlich werden auch volkswirtschaftliche Erwägungen gegen das Projekt eines Gemeinsamen Europäischen Zivilrechts ins Feld geführt, wie etwa die, dass mit der breitflächigen Einführung eines neuen europäischen Privatrechts erhebliche Umstellungs- und Anpassungskosten verbunden wären.181 Dem wird jedoch gerade von Basedow entgegengehalten, dass schon jetzt die unterschiedlichen Vertragsrechte der Mitgliedstaaten hohe Transaktionskosten mit sich bringen, die insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, schwer zu schaffen machen, sodass es auch volkswirtschaftlich durchaus Sinn ergibt, eine Vereinheitlichung des Rechts innerhalb Europas auf den Weg zu bringen, wenn man es nur richtig anfängt und umsetzt.182 4. Resümee In Abwägung der soeben dargestellten potentiellen Vor- und Nachteile, der befürwortenden und ablehnenden Stellungnahmen im Hinblick auf die Vereinheitlichungsbestrebungen ergibt sich ein differenziertes Bild, bei dem zu unterscheiden ist zwischen dem Ob und dem Wie der Herausbildung allgemeiner Regelungen des DCFR: Der primäre Vorteil eines einheitlichen europäischen Zivilrechts 178
Das Problem aufgreifend Wagner, ZEuP 2007, 180, 186 f.; Micklitz, GPR 2007, 2 ff. Study Group on Social Justice in European Private Law (2004) 10 ELJ 653, 655. 180 Tamm, KJ 2007, 391 ff.; dies., EuZW 2007, 756 ff. 181 Ott/Schäfer, in: dies. (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen (2002), S. 203, 207 ff., 221 ff. 182 Basedow, CMLRev (1996), 1169, 1181. 179
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1. Teil: Grundlagen
würde darin bestehen, dass es zu mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit allein dadurch führt, dass das Privatrecht im europäischen Binnenmarkt an Kohärenz gewinnt.183 Grundlegende Reformen kommen auch in Anbetracht der damit einhergehenden volkswirtschaftlichen Umstellungskosten184 aber nur dann in Betracht, wenn mit ihrer Hilfe nachhaltige Verbesserungen für die sie initiierenden und vorantreibenden Mitgliedstaaten der EU erzielt werden können. Liegt die Verbesserung in der Schaffung eines wesentlich stringenteren und übersichtlichen gemeinsamen Rechts, werden auch Transaktions- und sonstige Kosten beim grenzübergreifenden Handel sinken.185 Der Binnenmarkt wird auf Unternehmerseite allein dadurch eine neue Qualität erhalten. Auch der Verbraucher zieht daraus seinen Vorteil. Denn durch die gesteigerte Rechtstransparenz kommt es letztlich zu einem effizienteren, weil auch in den „rechtlichen Randbedingungen“ des Geschäfts durchschaubaren Konditionenwettbewerb, bei dem der Verbraucher die ihm zugedachte Schiedsrichterrolle am Markt stärker als bisher wahrnehmen kann. Für das im Primärrecht verankerte Binnenmarktprojekt und seine Teilnehmer sind die Vereinheitlichungsbestrebungen uneingeschränkt förderlich und als konsequentes Mittel anzusehen. In Bezug auf das Binnenmarktprojekt besteht für das auszubauende Gemeinschaftsprivatrecht mithin ein gesellschaftliches Bedürfnis.186 Dass die Weichen zur Etablierung eines vereinheitlichten europäischen Privatrechts durch die Zunahme des europäischen Sekundärrechts, aber auch durch die wissenschaftlichen Grundlegungen und Vorarbeiten der zahlreichen, hieran arbeitenden Wissenschaftlergruppen bereits gestellt wurden, ist offenkundig. Letztlich ist gerade die rechtstheoretische Vorarbeit dieser Experten unerlässlich und nicht hoch genug zu schätzen.187 Denn der Rechtspraxis fehlt oft genug die notwendige systembildende Kraft zur Schaffung des erforderlichen, die Einzelrechtsakte integrierenden und ihre Fortentwicklung lenkenden rechtstheoretischen Gesamtkonzepts. Gerade deshalb muss sich die Rechtswissenschaft selbstbewusst zur „Führerin der Praxis und Gesetzgebung“188 machen, allerdings darf sie Praxis und Gesetzgebung nie aus den Augen verlieren. 183
Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 230. Zu der Problematik der „Umstellungskosten“ im Recht (hier aus Anlass der Schuldrechtsreform) und der damit zusammenhängenden volkswirtschaftlichen Probleme vgl. etwa Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 33. 185 Basedow, CMLRev 1996, 1169, 1181; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 370 f.; Jansen, JZ 2006, 536, 540. 186 Flessner, JZ 2002, 14. 187 Eidenmüller/Faus/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 533 ff.; Lehne, ZEuP 2007, 1, 3. 188 „Sie muss die Fackel tragen, und in ihrem Licht folgen Richter wie Gesetzgeber“, Vogenauer, ZEuP 2005, 234, 244; ähnlich Lehne, ZEuP 2007, 1, 3: „Vorreiter“; zum Verhältnis der Rechtsprechung und der Wissenschaft bei der Normbildung, die vielfach an vorhergehende Präjudizien anknüpft vgl. auch Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 82. 184
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
299
Zur Herausbildung eines einheitlichen europäischen Gemeinschaftsprivatrechts gibt es auch in Anbetracht des bereits eingeschlagenen Weges keine wirkliche Alternative mehr. Nur durch ein europäisches Gesamtkonzept vom Zivilrecht lässt sich nämlich in der Zukunft das durch zusammenhangslose Einzelrechtsakte der EU hervorgerufene „Störungspotential“ für die nationalen Rechtsordnungen so weit eindämmen, dass die nationalen Rechtsordnungen „auf dem Weg zu Europa“ ohne Effizienzverluste arbeiten können. Der Gemeinsame Referenzrahmen, der über die bloße Zusammenfassung des bereits bestehenden Sekundärrechts und allgemeiner Rechtsprinzipien hinausgehen soll, könnte den Organen der EU die erforderliche Orientierungshilfe beim Ausbau des Sekundärrechts zur Verfügung stellen. Die von ihm ausgehende Sekundärrechtsentwicklung wäre dann auch für die nationalen Gesetzgeber vorhersehbarer als bisher. Nicht zuletzt diese Vorhersehbarkeit würde es ihnen ermöglichen, ihre (nationalen) Rechtsordnungen so auszubauen, dass sich das EU-Sekundärrecht nahtloser in sie einfügt als es bis jetzt der Fall ist. Die Legislativorgane der Mitgliedstaaten wären durch die Existenz des Gemeinsamen Referenzrahmens nämlich in die Lage versetzt, die eigene Rechtsordnung – auch in den von europäischen Vorgaben bisher nicht betroffenen Bereichen – optional auf „Kurs Europa“ zu bringen. Das Gemeinschaftsprivatrecht, das im Hinblick auf den zu schaffenden Referenzrahmen nur eine Orientierung bieten müsste, würde damit stärker als bisher durch parallel laufende Rechtsetzungsakte der Basis (d.h. der Mitgliedstaaten) geprägt und unterfüttert, was schon im Hinblick auf die grundlegende Gleichwertigkeit der mitgliedschaftlichen Rechtsordnung, des föderalen Aspekts und der damit zu erwartenden Akzeptanz des aus dieser Richtung entwickelten Gemeinschaftsprivatrechts zu begrüßen wäre.189 Das Recht des Mitgliedstaates als Bestandteil einer europäischen Rechtsgemeinschaft anzusehen, ist neu. Diese Einordnung ist aber logisch, gerade dann, wenn man nach dem in Europa herrschenden Recht und gemeinsamen Rechtsüberzeugungen fragt, die sich daraus nähren. I.Ü. ist zu betonen, dass die Arbeit der verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsgruppen zur Schaffung des Gemeinschaftsprivatrechts aber nicht die notwendigen Gesetzgebungsakte des Gemeinschaftsgesetzgebers ersetzen kann und soll. Sie sollen und können nur vorausschauend „zuarbeiten“.190 Insofern greift auch der vorgebrachte legitimatorische Einwand („Demokratiedefizit“) nicht vollkommen durch, jedenfalls dann nicht, wenn der Gesetzgeber, der das europäische Vertragsrecht gestalten soll und muss, über die Regelungsvorgaben des Referenzrahmens wirklich noch einmal reflektiert und das Für und Wider abwägt, sodass der Referenzrahmen lediglich eine wissenschaftliche Anregung 189 Flessner, JZ 2002, 14, 15; vgl. dazu auch die Dissertation von Krüger, Rechtseinheit von unten? (2005). 190 Zu verfahrenstechnischen Fragen der Zuarbeitung vgl. Ernst, AcP 208 (2008), 248, 249 f.
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1. Teil: Grundlagen
auf der Grundlage eines durchdachten Gesamtkonzepts darstellt. Diese Vorgehensweise muss jedoch eingefordert und sichergestellt werden. Es ist Aufgabe des Kreises der interessierten Öffentlichkeit, darauf zu dringen, damit sich der DCFR nicht aus sich selbst heraus – jenseits jeder demokratischen Legitimierung – verselbständigt.191 Wird diese Prämisse beachtet, dann leisten die verschiedenen Wissenschaftlergruppen in Wahrnehmung der ihnen zustehenden Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit gerade das, was von ihnen als Vertreter der Rechtswissenschaft erwartet wird: fundierte und die Legislative und Rechtspraxis befruchtende Vorarbeit. Soweit es um die Gesetzgebung vorbereitenden Arbeiten von Expertengruppen geht, bleibt der schlichte Befund, dass es bis heute schon auf nationaler Ebene keine einzige europäische Privatrechtskodifikation gibt, die allein vom politischen System, d.h. der Legislative, erarbeitet worden wäre.192 Ob und inwieweit bestimmte (nicht nur vom wissenschaftlichen Interesse geleitete) Lobbygruppen Einfluss auf die Vorarbeiten zum europäischen Zivilgesetzbuch nehmen werden, muss natürlich kritisch hinterfragt werden. Die überproportionale Einflussnahme nichtwissenschaftlicher Sonderinteressen auszuschalten, ist und darf aber nicht nur Anliegen des Europäischen Rechtsintegrationsprozesses sein, sondern betrifft im Prinzip jeden gesetzgeberischen Wirkbereich. Die von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zu tätigenden weiteren Integrationsschritte bedürfen freilich einer Abstimmung im Hinblick auf eine starke mitgliedschaftliche Rückkoppelung, bei der die schrittweise gewonnenen Erfahrungswerte ausgetauscht werden. Schon um die hier so oft betonte Funktionsfähigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und des Binnenmarktes nicht zu überfordern (was als Postulat dem Gebot der Rücksichtnahme entspringt), wären zunächst einmal behutsame, zeitlich weit versetzte Schritte in Richtung auf die Weiterentwicklung des acquis communautaire (d.h. den gegenwärtigen Bestand des europäischen Privatrechts) erforderlich und vorzugswürdig.193 Weil der acquis communautaire jedoch bei weitem nicht alle regelungsbedürftigen Bereiche des europäischen Zivilrechts abdeckt, sind daran anschließend weitere gesetzgeberische Maßnahmen notwendig. Zur legitimatorischen Absicherung dieses Prozesses, der einmal in einem Europäischen Gesetzgebungsprojekt Form annehmen wird, bedarf es nach den oben dargestellten, hier nicht auszuräumenden kompetenzrechtlichen Bedenken freilich einer Änderung im Primärrecht,194 wenn es nicht bei der Entwicklung ei191
Dazu jüngst auch Tamm, GPR 2010, 525. Grundlegend dazu: Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 324 ff.; zu diesem Punkt auch Wagner, ZEuP 2007, 180, 187. 193 Jansen, JZ 2001, 536 f. 194 Zu den Diskussionen um die weitere Verselbständigung der Verbraucherpolitik im Primärrecht, d.h. auch die notwendige Unabhängigkeit der legislativen Kompetenz, die nicht mehr nur auf Art. 95 EGV zu stützen wäre, Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU 192
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
301
nes nur unverbindlichen Referenzrahmens bleibt, was nicht zu erwarten steht.195 Bekennt sich die Gemeinschaft – aufbauend auf entsprechende wissenschaftliche Vorarbeiten – erst einmal zur Schaffung eines umfassenden Europäischen Zivilrechts (und -gesetzbuches), dürfte jedoch selbst die Kompetenzfrage keine unüberwindliche Hürde darstellen. Denn das Primärrecht ist nicht unveränderlich.196 Insofern bedürfte es dann aber auch einer Auflösung bzw. Neujustierung des Spannungsverhältnisses zwischen Binnenmarkt und Sozialschutz. Damit beschäftigt sich der folgende Abschnitt.
B. Das Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Binnenmarkt im Lichte des Mindeststandardprinzips Die Europäische Kommission behauptet gerade auch mit Blick auf das Regelungsziel des zu schaffenden gemeinsamen europäischen Vertragsrechts, dass es derzeit noch ein Hemmnis für die effektive Durchsetzung von Verbraucherinteressen sei, wenn verbraucherschützende Vorschriften in ihrem Schutzumfang in den Mitgliedstaaten der EU differieren.197 Dass es zu solchen Unterschieden kommt, hängt mit den unterschiedlichen Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten zusammen,198 in die das EU-Recht auf der Grundlage des bisherigen Mindestharmonisierungsansatzes und des Mindeststandardprinzips noch dazu recht uneinheitlich inkorporiert wird.199 I. Kenntlichmachung der Mindestharmonisierung durch die Regelungstechnik der „Öffnungsklausel“ Nach den Vorgaben der Gemeinschaft im Bereich des Verbraucherschutzes ist es den Mitgliedstaaten gegenwärtig noch weitgehend freigestellt, durch weitere nationale Vorschriften bzw. durch eine sog. „überschießende Umsetzung“ von Consumer Law (2009), S. 19 f.; Kerber/Vanbergh, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy and the Role of Information in the International Market (2001), S. 7. 195 Flessner, JZ 2002, 14; zu den Änderungen im Reformvertrag von 2007, die Art. 153 fast unverändert lassen und nur deutlicher die geteilte Kompetenz zwischen Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft hervorheben vgl. Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2. Aufl., 2009), Art. 153 Rn. 6. 196 Ggf. auch weit interpretieren, so ebenfalls zum Ganzen Wagner, ZEuP 2007, 180, 183. 197 ABl.EG Nr. C 158/400 v. 26.6.1989; ABl.EG Nr. C 205/518 v. 25.7.1994; dazu Tilmann, ZEuP 1995, 534. 198 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 109. 199 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 26 Rn. 11; Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 302; Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 266; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 10 ff.; Reich, FS Stauder (2006), S. 357 ff.
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1. Teil: Grundlagen
den Richtlinienvorgaben, die nur einen Mindeststandard sichern sollen,200 abzugehen, um ein höheres nationales Verbraucherschutzniveau zu etablieren.201 Im Hinblick auf den Grundsatz der Mindestharmonisierung, der in Art. 169, 114 AEUV angelegt ist,202 der sich aber auch auf das Subsidiaritätsprinzip203 und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung204 stützen lässt, enthalten fast alle verbraucherschützenden Richtlinien der EU „Öffnungsklauseln“205 zugunsten strengeren nationalen Rechts. Auch der EuGH hat die Mindeststandardregelungen im eigentlichen Verbraucherrecht bislang nicht beanstandet.206 Ein gutes Beispiel für das in Form einer Richtlinie zum Ausdruck kommende Mindeststandardprinzip ist die „Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“,207 die ihre Zielsetzung, ein einheitliches Mindestschutzniveau zu erreichen, dadurch kenntlich werden lässt, dass Verbesserungen des Standards durch den nationalen Gesetzgeber (in Art. 8) ohne weiteres erlaubt sind. Gleiches gilt aber auch für Art. 15 der früheren Verbraucherkreditrichtlinie und für Art. 8 der Haustürgeschäfterichtlinie. Strengere Schutzvorschriften stehen damit im Hinblick auf die auch primärrechtliche Absicherung des Verbraucherschutzes nicht prinzipiell im Widerspruch zum EU-Recht,208 es sei denn, etwas anderes lässt sich nach dem Willen des EU-Gesetzgebers dem Pri200 Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 34 ff., 40 ff.; Reich, JCP (2005), 383 ff.; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 45 f. 201 Geiger, EUV/EGV (3. Aufl., 2000), Art. 153 Rn. 7. 202 So auch Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 37; Reich, JCR (2005), 383 ff.; Reich/Micklitz, VuR 2007, 121, 125; Grub, in: Lenz/Borchard (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 44. 203 Dazu: Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 12; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 9; Oppermann, Europarecht (3. Aufl., 2005), S. 153; Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 683; siehe I.Ü. auch Ziffer 7 des Subsidiaritätsprotokolls, das vorsieht, dass bei Maßnahmen der Gemeinschaft „so viel Raum für nationale Entscheidungen bleiben (soll), wie dies im Einklang mit dem Ziel der Maßnahme und den Anforderungen des Vertrages möglich ist“, vgl. dazu in diesem Zusammenhang auch Reich/Micklitz, VuR 2007, 121, 128. 204 Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 ff.; Tröger, ZEuP 2003, 525 ff.; Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 683; Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 80; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 370 f. 205 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 52 ff.; Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 266; Riehm, JZ 2006, 1035; PWW/ Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 6; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 22; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050; Lorenz, NJW 1998, 2937, 2939. 206 EuGH, Urt. v. 25.4.2002, Rs. C-183/00 – Gonzáles Sánchez, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 25.3.2004, Rs. C-71/02 – Karner, Rn. 33 ; EuGH, Urt. v. 2.5.2006, Rs. C-217/04 – Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, Rn. 43. 207 ABl.EG 1992 Nr. C 73/7. 208 Reich/Micklitz, VuR 2007, 121, 125; Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 266; BGH NJW 2001, 1132, 1133.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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mär- bzw. Sekundärrecht ausdrücklich entnehmen. Eine Schranke zieht insofern beispielsweise die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, die explizit bestimmt, dass die Mitgliedstaaten „keine anderen als die in ihr festgelegten Bestimmungen vorsehen dürfen“.209 II. Fehlende Vollharmonisierung als Hemmnis für den Binnenmarkt? Es liegt nun aber auf der Hand, dass von einem (voll-)harmonisierten Verbraucher(vertrags)recht für das Projekt des europäischen Binnenmarktes eine viel stärkere integrative Kraft ausgehen würde als von einem nur teilweise vereinheitlichten Recht zum Schutz des Konsumenten.210 Unter diesem Effektivitätsgesichtspunkt hat die EU schon seit einiger Zeit von dem so genannten Minimalstandardprinzip211 peu à peu Abstand genommen.212 So bekennt sich die Kommission gerade auch im Bereich des Verbraucherschutzrechts ganz offen zum neuen Ziel der Vollharmonisierung.213 Die Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht lässt erkennen, dass sie die Politik der Vollharmonisierung künftig auch auf die bisherigen Kern-Richtlinien auszudehnen beabsichtigt.214 In die gleiche Richtung zielen nach Meinung einiger215 die Schlussanträge der Generalanwältin Trestenjak in der Rechtssache Gysbrechts (C-205/07, v. 17.7.2008),216 mit denen das national hohe Verbraucherschutzniveau als den „Binnenmarkt hemmend“ angesehen und somit als gemeinschaftswidrig deklariert wurde.217
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Erwähnungsgrund Nr. 13 der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen. 210 Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 40; Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 302; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 374 ff.; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003) Art. 153 Rn. 38 mit dem zutreffenden Hinweis, dass das marktöffnende Vereinheitlichungsziel durch das Mindeststandardprinzip stark beeinträchtigt wird. 211 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. §§ 13–14 BGB Rn. 29 ff. 212 So zum Befund auch Tonner, FS Derleder (2005), S. 145, 148; dagegen Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 250; ähnlich Borchert, NJW 2005, 3267. 213 Europäische Kommission, Verbraucherpolitische Strategie 2002–2006, KOM 2002 (208) endg., S. 13, 16. 214 KOM (2004), 651 endg. v. 11.10.2004. 215 Reich/Micklitz, VuR 2008, 349 f.; eine eigene Stellungnahme zu den Schlussanträgen der GA in diesem Fall findet sich im 1. Teil, 7. Kapitel E IV 1 e bb (3) (b). 216 Fall unter der Überschrift „Vollharmonisierung durch die Hintertür?“ besprochen von Reich/Micklitz, VuR 2008, 349 ff. 217 Man darf gespannt sein, ob der EuGH dieser Argumentation folgt. Für die anstehende Revision des Verbraucheracquis kommt dem Urteil jedenfalls Präjudizwirkung zu, vgl. dazu auch Reich/Micklitz, VuR 2008, 349, 351.
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1. Teil: Grundlagen
III. Kritik an der Vollharmonisierung wegen fehlender Primärrechtskonformität und Aufgreifung dortiger Zielkonflikte Aus der Sicht der Verbraucherschützer ist dieser Tendenz zur Vollharmonisierung des hard law allerdings kritisch zu begegnen.218 Dabei soll es in diesem Abschnitt nicht darum gehen, die einzelnen Kritikpunkte, die bereits gegen das Vollharmonisierungskonzept vorgebracht wurden, noch mal „aufzuwärmen“. Vielmehr soll hier beleuchtet werden, weshalb die Gemeinschaft ihre Zwecksetzung (primärrechtlich abgesichert) mehr und mehr in einem vollharmonisierten Binnenmarkt sucht. Im 1. Teil, 7. Kapitel, wurde bereits unter E V 1 ausgeführt,219 dass mit einem Abgehen von dem Grundsatz der Mindeststandards, der für eine langsame, schrittweise Angleichung der Rechtsstandards sorgt(e) zu befürchten steht, dass Verbraucherrechte mittelfristig um den Preis der Einheitlichkeit von Marktpraktiken abgebaut werden.220 Denn bereits jetzt muss es sich, wie der EuGH festgestellt hat, bei einem „hohen Schutzniveau“ nicht um das jeweils höchste in der Gemeinschaft bestehende (nationale) Schutzniveau handeln.221 Dass eine europäische Verbraucherschutzregelung tendenziell nicht den in einem Mitgliedstaat vorhandenen höchsten Verbraucherschutzstandard anstrebt, hängt – darauf soll nun in diesem Abschnitt etwas vertiefter eingegangen werden – schon mit der primären Marktordnungsorientierung des Europäischen Verbraucherschutzrechts zusammen,222 die über Art. 169, 114 AEUV (vor dem Vertrag von Lissabon: Art. 153 und 95 EGV) primärrechtlich Ausdruck gefunden hat. Während das tradierte europäische Vertragsrecht mittlerweile am gerechten Ausgleich zwischen den Parteien interessiert ist und den Verbraucherschutz folgerichtig allein als Schutz der Selbstbestimmung strukturell unterlegener Parteien bzw. als Ausbalancierung von Informationsdefiziten und Marktversagen begreift,223 geht es im Europäischen Recht immer auch, wenn nicht gar vordringlich, 218 Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 302; Reich, FS Stauder (2006), S. 357, 374 ff.; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Grundmann, JZ 1996, 274, 279 f.; Taschner, in: Everling/Roth, Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt (1997), S. 157, 165 ff. 219 Dort wurde zudem auch das Herkunftslandprinzip unter 2. kritisch „mitbesprochen“. 220 Wilhelmsson, ZEuP 2008, 225, 229. 221 EuGH, Urt. v. 13.5.1997, Rs. C-233/94 – Einlagensicherungssysteme, Rn. 48; so ausdrücklich auch Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 13; Micklitz/Reich, EuZW 1992, 593, 594 f.; Micklitz/Weatherill, JCP 16 (1993), 285, 301 f.; Reich, ZEuP 1994, 381, 398. 222 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 3 „Rechtsangleichungsmaßnahmen können daher auch zur Absenkung des Schutzniveaus in einzelnen Mitgliedstaaten führen“. 223 Oehler, VuR 2006, 294, 296; in diesem Sinne ausführlich Zimmermann, German Law Of Obligations (2005), S. 160 ff., 174 ff., 205 ff., 213 ff. m.w.N.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
305
darum, das Privatrecht zur Verfolgung marktordnungspolitischer Ziele nutzbar zu machen.224 Deshalb ist die Materialisierung hier auch noch lange nicht so weit gediehen, wie etwa in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten.225 Sowohl auf der Grundlage des bisherigen Rechts als auch in Bezug auf rechtstheoretische Überlegungen zur Gestaltung eines europäischen Zivilgesetzbuches stehen das Binnenmarktprojekt der Gemeinschaft und der Verbraucherschutz in einem antagonistischen Verhältnis.226 Dieses resultiert daraus, dass die Gemeinschaft ihre primäre Zwecksetzung in der Erreichung eines gemeinsamen Europäischen Binnenmarktes findet und sucht.227 Der zu etablierende Gemeinsame Markt ist seinerseits durch zwei Elemente geprägt, die offene Marktwirtschaft mit freiem, unverfälschtem Wettbewerb228 und die Gewährleistung der Grundfreiheiten,229 also insbesondere der Warenverkehrsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit und der Freiheit des Zahlungsverkehrs. Die Integration durch den EGV bzw. durch den ihn nach dem Reformvertrag von Lissabon ersetzenden AEUV beruht in erster Linie auf Marktwirtschaft, Wettbewerb und Freiheiten der Marktteilnehmer.230 In der Literatur spricht man hier zuweilen auch von einer Marktbzw. „Anbieterorientierung“231 der europäischen Rechtsordnung. Nur als mitzureflektierendes Abwägungsziel sind, das macht der stetige Bezug des Art. 114 AEUV als binnenmarktorientierte Kompetenznorm deutlich, der europäischen Rechtsordnung Aspekte des Schutzes und der Förderung der Interessen der Verbraucher durch Art. 169 AEUV „eingepflanzt“ worden.232
224 Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000); Jansen, JZ 2006, 536, 538. 225 So ausdrücklich und m.E. zutreffend Jansen, JZ 2006, 536, 538 mit Hinweis auf Heiderhoff, ZEuP 2003, 769 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 59 ff., 67 ff.; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 EGV Rn. 15; Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht (2006), H. V. Rn. 3; vgl. auch Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 715: „There is no common European philosophy of welfarism“. Für eine Materialisierung des europäischen Vertragsrechts setzt sich insbesondere Roppo, ERCL 2009, 304 ff. ein. 226 Vgl. die Formulierung von Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 17: „ Consumer protection in the international market – a contradiction in itself?“ 227 Vgl. Art. 2 EGV; so zum Ganzen auch Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2. Aufl., 2009), Art. 153 Rn. 16: „Hauptzweck“; Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 6; Derleder, FS Reich (1997), S. 111; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 11; zum Begriff des „Marktes“ i.S.d. EG-Vertrages Schmidt-Leithoff, FS Rittner (1991), S. 604 ff. 228 Art. 3 I lit g.), Art. 4 I, Art. 98, 105 I EGV. 229 Art. 14 II EGV. 230 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1136 f.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 56. 231 Derleder, FS Reich (1997), S. 111; Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 7; Howells/Wilhelmsson, ELRev 2003, 370. 232 Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 12.
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1. Teil: Grundlagen
Bereits aus dem unternehmerischen Interesse an der Herstellung eines weitgehend unreglementierten, freien Binnenmarktes und dem diesem Streben entgegenstehenden Interesse der Verbraucher an der möglichst extensiven Herausbildung von Schutzvorschriften folgt ein Konfliktverhältnis zwischen (Binnen-) Marktverfassung und Sozialschutz (i.S.v. Verbraucherschutz).233 Der Unternehmer wünscht einen (Binnen-)Markt mit einheitlichen, rechtlichen Rahmenbedingungen, die schon aus Kostengründen möglichst nicht mit zu stark verbraucherschützenden Elementen „aufgeladen“ werden sollen.234 Der Verbraucher dagegen ist eher an einem extensiven Schutz seiner Interessen, auch durch hoheitliche Interventionen, interessiert. 1. Ausprägungen des Spannungsverhältnisses im Primärrecht Schon im Primärrecht zeichnet sich der Konflikt zwischen Binnenmarktkonzeption und Verbraucherschutz, d.h. zwischen den Interessen des Unternehmers an einem freien Binnenmarkt und der von den Verbrauchern eingeforderten Protektion ihrer Anliegen, deutlich ab. Denn der EU-Gesetzgeber hat den Verbraucherschutz in Art. 169 AEUV einerseits als Begleitfaktor, andererseits aber auch als Schranke für die zu gewährleistende Marktfreiheit installiert.235 Der Verbraucherschutz als Marktfreiheitsschranke darf nach der Konzeption des AEUV das in Art. 114 AEUV verankerte Binnenmarktprojekt nicht gänzlich aus den Angeln heben. Vielmehr unterliegt der zu gewährleistende Verbraucherschutz seinerseits einem binnenmarktpolitischen Rechtfertigungsbedürfnis.236 Das Verhältnis von Binnenmarkt und Verbraucherschutz ist damit als eine Art „Schranken-Schranke“ zu charakterisieren: Die im Binnenmarkt zu gewährleistenden Marktfreiheiten finden ihre Grenze in dem zu gewährenden „hohen Verbraucherschutzniveau“. Dieses darf jedoch seinerseits das Ziel der Herstellung des Binnenmarktes nicht vollkommen derogieren.237 Man könnte sich vor dem Hintergrund der primärrechtlichen Verbindung von Binnenmarkt und Verbraucherschutz auf den Standpunkt stellen, dass ein Ausgleich der in dieser Verbindung enthaltenen Zielsetzung mittels der Herstellung einer prakti233
Derleder, FS Reich (1997), S. 111; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 2; dies., Vertragliche Solidarität (1998), S. 11; Tietje, in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union (2007), Art. 95 Rn. 74; Joerges/Rödl, KJ 2008, 148, 150 ff.; Tonner/ Tamm, FS Stauder (2006), S. 527, 550. 234 In diesem Sinne auch von Spannungsverhältnis sprechend Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 15. 235 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f. 236 Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 62 f.; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f. 237 Ebenda.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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schen Konkordanz238 zu ermitteln ist. Allerdings ließe man damit außer Acht, dass nach der gegenwärtigen Rechtslage gerade durch die Rückkopplung des Verbraucherschutzes an das Binnenmarktprojekt Ausgangs- und Endpunkt des europäischen Verbraucherschutzes der herzustellende Binnenmarkt und damit der in den Marktfreiheiten zum Ausdruck kommende Grundsatz der formalen Privatautonomie ist.239 Beim Verbraucherschutz des Art. 169 AEUV handelt es sich nach der Konzeption des Vertrages um den Schutz von Verbrauchern als Marktakteure,240 nicht hingegen um einen umfassend „material“ verstandenen (d.h. auch sozialen) Schutz des Schwächeren auch in anderen Lebensbereichen.241 a. Marktförderung i.S.v. Gewährleistung der Privatautonomie Das gerade auch in der Markt- bzw. Anbieterorientierung242 des Primärrechts zum Ausdruck kommende Prinzip der Privatautonomie ist keine Besonderheit des Gemeinschaftsrechts. Es ist allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten immanent.243 Dieser Grundsatz trägt dem Gedanken Rechnung, dass es für einen funktionierenden Markt – inner- und außerhalb der Landesgrenzen – unerlässlich ist, dass die Marktteilnehmer selbstbestimmt ihre Interessen wahrnehmen können. Nur über das selbstbestimmte Auftreten der Teilnehmer ist die Chance244 für einen ausgeglichenen Vertragsschluss gegeben. Auf der Ebene des nationalen Rechts korrespondiert dieser Gedanke mit der Idee der formal abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte. Diese Gleichheit ist als prozedurales Element zu verstehen, dergestalt, dass die abstrakte Gleichheit der Rechtssubjekte 238 Dies wohl auch vertretend (allerdings nicht detailliert beschreibend) Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 14. 239 Höland, FS Reich (1997), S. 195, 213; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f. Zur Theorie der Funktionsäquivalenz des Verbraucherschutzes in Bezug auf das Binnenmarktprojekt, das den EU-weit „grassierenden“ Verbraucherschutz bezüglich seiner ggf. auch eigenständigen (sozialen) Schutzziele zurückzudrängen versucht, siehe Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 260. 240 Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 7, 9, 17 ff. 241 Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 62 f.; Oehler, VuR 2006, 294, 295; Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f.; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 15; Lecherler, in: Dauses (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht (2006), H.V. Rn. 3; zum sozialen Defizit im europäischen Integrationsprozess allgemein vgl. Joerges/Rödl, KJ 2008, 148, 150 ff. 242 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Derleder, FS Reich (1997), S. 111. 243 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 62; Canaris, FS Lerche (1993), S. 889 f.; Rittner, JZ 1990, 838, 840 f.; EuGH, Urt. v. 16.6.1998, Rs. C-162/96 – Racke, Rn. 49. 244 Zur Fokussierung auf die bloße Chance zum gerechten Vertragsschluss als Gegenstück zur material verstandenen Vertragsgerechtigkeit, die auch eine Rückkopplung beim Ergebnis herstellt, vgl. die ausführliche Darstellung im 1. Teil, 6. Kapitel E.
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1. Teil: Grundlagen
ein wesentliches Ausgangselement zur Herbeiführung eines interessengerechten Vertrages ist.245 Das Prinzip der „Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“246 integriert zudem sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch auf der Ebene der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen den gemeinsamen Kern der Grundfreiheiten, nur dass diese Grundrechte auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts die Möglichkeit privatautonomen Handelns über die nationalen Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg erweitern.247 Die Privatautonomie wird diesbezüglich als „wahre (primäre) Grundfreiheit“ der Europäischen Gemeinschaft bezeichnet.248 b. Verbraucherschutz i.S.v. Grenzziehung Die Anerkennung der privatautonomen Gestaltungsmacht als wesentliche Grundfreiheit auf nationaler und supranationaler Ebene kann jedoch keine völlige Freiheit von Bindungen nach sich ziehen, die schon aus Gründen des Gemeinwohls und der materiellen Vertragsgerechtigkeit geboten sind.249 Dabei stellt sich freilich die Frage, inwieweit sich (auch distributive) Gerechtigkeit in einer ökonomischen Wirtschaftsverfassung behaupten kann,250 die bei der Entwicklung des europäischen Privatrechts zunächst in Form von Verbraucherschutzrecht zum Ausdruck kommen könnte und müsste. Aus Art. 169, 114 AEUV (früher: 153 und Art. 95 EGV), aber auch aus der primärrechtlichen Rechtsprechung des EuGH251 sind jedenfalls Grundaussagen zur notwendigen, andererseits aber auch zur (noch) zulässigen Reichweite des Verbraucherschutzes zu entnehmen. Diese Grundaussagen sind allerdings sehr zurückhaltend ausgestaltet. Schon aus der Gegenüberstellung von Art. 169 und 114 AEUV ergibt sich aber (1.), dass den Vertragsschließenden das Vorhandensein eines gewissen Spannungsverhältnisses252 zwischen Marktorientierung und Verbraucherschutz be245 Höfling, Vertragsfreiheit (1991), S. 44 ff.; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens (1974), S. 20; Enderlein, Rechtspartnernalismus und Vertragsrecht (1996), S. 77; Wagner, ZEuP 2007, 180, 192; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 482; Grundmann, JZ 2005, 860, 863 f. 246 So die Definition der Privatautonomie von Flume, BGB AT, Bd. II (1992), § 1, 1, S. 1. 247 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 62; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1134 f. 248 Mülbert, ZHR 159 (1995), 2, 8. 249 Wilhelmsson, Perspectives of Critical Contract Law (1992); Brownsword/ Howells/ Wilhelmsson, Welfarism in Contract Law (1994); Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 262 ff.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 63 spricht etwas undifferenziert vom Sozialstaatsprinzip als Einschränkungsgebot. 250 Zu dieser Frage Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 248, Beitrag mit dem Titel: „Legitime Erwartungen als Gerechtigkeitsprinzip des Europäischen Privatrechts“. 251 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.1.1992, Rs. C-373/90 – Nissan, Rn. 12. 252 Micklitz/Reich/Rott, Understanding, EU Consumer Law (2009), S. 6, 17; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 41 spricht von einer „Abgrenzungs- und Auslegungsproblematik zwischen Art. 95 und Art. 153 EGV“.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
309
wusst gewesen sein musste. Dieses Spannungsverhältnis wurde im Primärrecht (2.) derart zugunsten des auf Freihandel fokussierten Binnenmarktes „aufgelöst“, dass der Gemeinschaft bei dem über die Binnenmarktkompetenz (mit-) entwickelbaren253 Verbraucherschutz bedeutend mehr Handlungsspielräume zustehen als i.Ü.254 2. Ausprägungen des Spannungsverhältnisses im Sekundärrecht Für die vornehmlich binnenmarktorientierte Ausrichtung des Verbraucherschutzes255 im Primärrecht nimmt es nicht wunder, dass fast alle einschlägigen Richtlinien auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes i.S.v. Art. 169 II lit. a.) AEUV auf Art. 114 AEUV (früher: Art. 95 EGV) gestützt werden.256 Diese enthalten regelmäßig eine duale Begründung, die auf einen freiheitsfördernden Zweck für die Unternehmer, der durch die Vereinheitlichung der Rechtslage entsteht, und auf eine positiv-integrative Aufgabe verweist, der den Verbraucherschutz innerhalb der Gemeinschaft verbessert.257 Allerdings hat sich bei der Entwicklung des Sekundärrechts, das sich insofern über das Primärrecht hinaus „verselbständigt“ hat, gerade der marktöffnende Zweck immer weiter „ausgedünnt“;258 sodass heute zumeist der eindeutige Hauptzweck der Richtlinien die Hebung des Verbraucherschutzes und nur „Nebenzweck“ auch eine Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen i.S.d. Förderung des freien Handels ist.259 Im Sekundärrecht genießt der Verbraucherschutz also einen weit höheren Stellenwert als im Primärrecht. Der Hintergrund dieser Verselbständigung der „reinen“ verbraucherpolitischen Zwecksetzung (und damit auch der Ambivalenz von Primär- und Sekundärrecht) mag zum einen dadurch zu erklären sein, dass alle verbraucherschützenden Richtlinien den verbraucherpolitischen Programmen der EG bzw. der EU entspringen und in der zuständigen Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz entwickelt worden sind. Sie entstammen also keinem Programm 253 Vgl. dazu Geiger, EUV/EGV (2000), Art. 153 Rn. 4; Micklitz, in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Yearbook of Consumer Law (2008), S. 35 ff. 254 Auch aus der Existenz des Art. 2 EGV kann man ableiten, dass das Primärrecht Markt und Wettbewerb nicht als alleiniges Ziel gestaltet sehen will, sondern insbesondere der Verbraucherschutz als Mittel zur Verwirklichung von weiteren gemeinschaftsrechtlichen Zielen und Gerechtigkeitsgeboten fruchtbar macht, vgl. dazu Rittner, JZ 1990, 838, 840 f.; Dreher, JZ 1999, 105 f.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006), S. 64 f. 255 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 67. 256 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 33. 257 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 39; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 33. 258 Vgl. dazu auch Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4 ff.; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), S. 56. 259 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 33.
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1. Teil: Grundlagen
zur Realisierung des Binnenmarktes. Insofern nahm man schon bei ihrer Entwicklung die Binnenmarktfokussierung nicht so ernst, wie es das Primärrecht eigentlich erforderte.260 Ein weiterer Grund für die Verselbständigungstendenz des Verbraucherrechts auf der Ebene des europäischen Sekundärrechts ist zweifelsohne die gewählte (in Art. 169 AEUV, früher: Art. 153 EGV angelegte261) Regelungstechnik. Alle vertragsrechtlichen Verbraucherschutzrichtlinien sind ausdrücklich als Mindeststandard konzipiert.262 Im Interesse des Binnenmarktes läge eine möglichst weitgehende Rechtsangleichung. Mindeststandardklauseln führen jedoch dazu, dass Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten erhalten bleiben,263 womit das marktöffnende Vereinheitlichungsziel freilich beeinträchtigt wird. Gerade durch die breitflächige Verwendung von Mindeststandardklauseln wird dem nationalen Gesetzgeber die Option zu Andersregelung eingeräumt,264 was eben auch die Möglichkeit nach sich zieht, den EU-rechtlich gebotenen Verbraucherschutzstandard durch einen höheren nationalen Standard zu komplementieren.265 Die gegenwärtige verbraucherfreundliche Ausrichtung des Sekundärrechts entfernt sich damit zweifelsohne von den vornehmlich auf Markt- und Unternehmerfreiheiten fokussierten Vorgaben des Primärrechts.266 Es lässt sich hier zumindest eine gewisse „Akzentverschiebung“267 ausmachen. Zu fordern bleibt, dass der aus Verbraucherschutzsicht eindeutig zu befürwortende Trend des bisherigen268 Sekundärrechts, zukünftig auch im Primärrecht berücksichtigt und damit zumindest „nachfolgend“ legitimiert wird. 260
Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 4. Reich/Micklitz, VuR 2007, 121, 125. 262 Hoffmann, FS Reich (1997), S. 291, 302; Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 266; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10. 263 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 19. 264 Ebenda. 265 Kritisch gegenüber Mindeststandardklauseln Grundmann, JZ 1996, 274, 279 f.; Pfeiffer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union (2007), Art. 153 Rn. 37. Die h.M. schätzt die Mindeststandardklauseln jedoch positiv ein, weil sie dazu dienten, dass Mitgliedstaaten mit einem traditionell relativ hohen Verbraucherschutzniveau (Deutschland, Österreich, Skandinavien) durch eine Harmonisierungsmaßnahme nicht gezwungen werden, dieses Niveau deutlich zu senken, wodurch das Ziel der Verbesserung des Verbraucherschutzes in Gefahr geraten würde, vgl. dazu Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 38; Tonner/Tamm, FS Stauder (2006), S. 527, 552. 266 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16. Und die sich an sie knüpfenden nationalen Umsetzungsakte treiben ihrerseits – systembedingt – den Schutz des Verbrauchers an. Überspitzt könnte man sagen, der gemeinschaftsrechtliche Verbraucherschutz ist auf der Ebene des einfachen Rechts anders (d.h. umfassender) verwirklicht. 267 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 33. 268 Mit dem jüngsten Regelungsansatz der Vollharmonisierung scheint sich jedoch die verbraucherfreundliche Entwicklungstendenz durch Absenkung der Schutzstandards wieder umzukehren. 261
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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3. Resümee Die Ausnutzung des vom EuGH im Rahmen der Zweckverfolgung nach Art. 114 AEUV (früher: Art. 95 EGV) akzeptierten Spielraums durch den Primärrechtsgesetzgeber hat zu einer von der primärrechtlichen Konzeption abweichenden, verstärkten Schutzpolitik auf der Ebene des Sekundärrechts zugunsten des Verbrauchers geführt. Nimmt man den Verbraucherschutz ernst, so ist dieser durch den (Sekundärrechts-)Gesetzgeber praktizierten „Weiterentwicklung“ des Primärrechts zuzustimmen.269 Argumentativ zu rechtfertigen wäre die Fortführung dieser Akzentverschiebung zu den primärrechtlichen Vorgaben damit, dass jede Erhöhung des Verbraucherschutzes auf dem Binnenmarkt das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt (auch durch die Etablierung eines gerechten Interessenausgleiches)270 hebt und es ihnen über diesen Weg – nämlich vor dem Hintergrund des materialen Verständnisses der Vertragsfreiheit – tatsächlich ermöglicht, ihre wichtige Marktfunktion als Nachfrager auch binnenmarktweit aktiver auszuüben, was wiederum dem Funktionieren des Binnenmarktes dient.271 Das nicht zu leugnende Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Verbrauchers und denen des Unternehmers, das sich auch im europäischen Primär- und Sekundärecht (allerdings mit unterschiedlichen Akzentsetzungen) niederschlägt,272 sollte dem Gedanken der materialen Vertragsgerechtigkeit 273 entsprechend im Wege der Herstellung einer „praktischen Konkordanz“274 zum Ausgleich gebracht werden.275 Das Sekundärrecht gewährleistet bisher die Koexistenz von Unternehmer- und Verbraucherinteressen auf hohem Niveau. Die Entwicklung im Primärrecht hinkt dieser Entwicklung mit der vornehmlichen Binnenmarktfixierung des Verbraucherschutzes hinterher. Zur nachhaltigen Stabilisierung276 und Fortentwicklung des (durch das Sekundärrecht sichergestellten) hohen Verbraucherschutzniveaus wäre es wohl sinnvoll, den Verbraucher269 Derleder, FS Reich (1997), S. 111; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EGV/EUV (2003), Art. 153 Rn. 33. 270 Oehler, VuR 2006, 294, 296; Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (2001). 271 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EGV/EUV (2003), Art. 153 Rn. 33. 272 Grundlegend dazu: Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 11. 273 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel, E. 274 Dafür wohl auch Derleder, FS Reich (1997), S. 111. 275 Ähnlich zu deuten wohl auch Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, 254, der von einem notwendigen Zusammenspiel von „Markt- und Sozialintegration“ spricht. 276 Die Gemeinschaft hat bei der Bestimmung dessen, was sie für den Schutz des Verbrauchers als notwendig erachtet, zweifellos einen großen Ermessensspielraum und kann ihre verbraucherpolitischen Konzepte, den Entwicklungen der Gesellschaft folgend, auch immer wieder abändern und verfeinern sowie erweitern. Sie darf allerdings nicht hinter ein schon bestehendes gemeinschaftliches Schutzniveau zurückfallen, sondern muss dieses immer weiter fortschreiben und erhöhen (sog. „Verschlechterungsverbot“ bzw. eine „Rückschlagsperre“), vgl. dazu Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 15.
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1. Teil: Grundlagen
schutz als Zielsetzung der EU vom Binnenmarktprojekt in einem viel weiteren Maße als bisher zu emanzipieren.277 Der Verbraucherschutz wäre so zu konzipieren, dass er nicht mehr – wie bisher – faktisch als unselbständiger „Partner“278 die Binnenmarktzielsetzung begleitet.279 Er müsste als gleichberechtigtes, konkurrierendes Regelungsziel neben das des herzustellenden Binnenmarktes treten.280 Damit würde auch der Nivellierung der unterschiedlichen Zielsetzungen beider Bereiche abgeholfen. Gerade die neueren Entwicklungen im Sekundärrecht der EU lassen die Diagnose zu, dass der Verbraucherschutz nicht länger ein gänzlich von seiner Wirkung auf den Binnenmarkt abhängiges, sondern mittlerweile ein relativ eigenständiges (soziales) Ziel verfolgt, dem dann auch auf der höher gelagerten rechtlichen Ebene Rechnung zu tragen ist.281 Der von der Europäischen Kommission eingeleitete Prozess der Abkehr vom Mindeststandardprinzip würde dem Ausbau des europäischen Verbraucherschutzes freilich zuwiderlaufen. Faktisch besteht diese Gefahr nach dem gegenwärtigen Stand des Primärrechts schon deshalb, weil es bisher an griffigen Kriterien zur Definition eines „hohen Schutzniveaus“ fehlt.282 Infolge der von der Kommission angestrebten Vollharmonisierung283 ist ein beginnendes „race to the bottom“ nicht auszuschließen.284 Vollständig harmonisierende Verbraucherschutzrichtlinien müssten dann unter Hinweis darauf, dass „Verbraucherschutz zwar ein wichtiges Ziel der Gemeinschaft, aber keineswegs ihr einziges ist“,285 hingenommen werden.286 277
In diese Richtung tendiert auch Derleder, FS Reich (1997), S. 111. Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 17 und Stuyck, CMLRev 2000, 1, 367, sprechen im Zusammenhang mit dem primärrechtlichen Politikziel des Verbraucherschutzes von „little sister“ (wich has to subordinate to the other policies). 279 Zu diesem Befund der Vorrangstellung des Binnenmarktes vgl. auch Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 14. 280 So schon Derleder, FS Reich (1997), S. 111: Verbraucherschutz in einer umfassenden Dimension sollte nicht einfach nur ein mögliches Nebenprodukt einer wettbewerbsorientierten Marktordnung sein, sondern zunehmend ein gleichberechtigtes, von der Binnenmarktzwecksetzung noch stärker abgrenzbares Politikziel, vgl. auch Joerges/Rödl, KJ 2008, 148 ff. 281 Joerges/Rödl, KJ 2008, 148, 150 ff.; Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 12. 282 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 15. 283 Zum Befund Grub, in: Lenz/Borchard (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10. 284 So ausdrücklich auch Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 25; Wilhelmsson, ZEuP 2008, 225, 229. 285 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 13.5.1997, Rs. C-233/94 – Einlagensicherungssysteme, Rn. 48. 286 So auch Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999), S. 269; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 10; Wichard, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 13. 278
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
313
Gerade auch um diese Entwicklung auszuschließen, wäre eine baldige Änderung des Primärrechts hin zu einer stärkeren Verselbständigung des Verbraucherschutzes und einer stringenteren Abgrenzung vom Binnenmarktziel m.E. wichtig.287 Sie ist aber auch mittelfristig wohl nicht zu erwarten. Ob der Schutz unternehmerischer Marktfreiheiten und der Interessen der Verbraucher auch in Zukunft, zumindest durch die Sekundärrechtsakte, in der EU so angemessen wie bisher austariert werden wird, bleibt abzuwarten.
C. Zusammenfassende Schlussbetrachtung Das Gemeinschaftsrecht sollte sich sowohl de lege ferenda als auch de lege lata nicht auf seine Marktfunktionalität reduzieren lassen. 288 Es muss neben seiner Marktbezogenheit289 auch tiefere Schichten des gesellschaftlichen Zusammenlebens erfassen. Denn nur die EU, die sich über eine Wirtschaftsgemeinschaft hinaus zu einer Rechtsgemeinschaft entwickelt, kann den gegenwärtigen Herausforderungen in der Gemeinschaft gerecht werden. 290 Der zu erwartende Ausbau des Primärrechts zu einem verfassungsähnlichen Wertesystem, das sich von reiner Markteffizienz und einseitiger Marktfunktionalität emanzipiert und neben dem liberalen Freiheitsschutz bewusst auch auf den Schutz des Schwächeren setzt,291 bildet in jedem Fall die unerlässliche Grundlage für die Fortentwicklung des Sekundärrechts, das eventuell einmal in einem umfassenden ius commune münden wird.292 Als Vorstufe zur Schaffung des Gemeinsamen Europäischen Zivilrechts und -gesetzbuches wird ein Gemeinsamer Referenzrahmen zu etablieren sein. Jenseits aller damit zusammenhängender – hier in den vorherigen Abschnitten be287
Zum sozialen Defizit des Europäischen Integrationsprojekts, das es abzustellen gilt, vgl. Joerges/Rödl, KJ 2008, 148 ff.; Scharpf, 40 Journal of Common Market Studies (2002), 645 ff. 288 Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 724 ff. 289 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 16; Basedow, FS Everling (1995), S. 49, 67 f. 290 In diesem Sinne auch Derleder, FS Reich (1997), S. 111, 127, der allerdings ein eher pessimistisches Bild zeichnet: „Der Ausbau demokratischer Prinzipien und die Schließung der Grundrechtslücke wären dringend notwendig. Dass verspätete Nationen zu menschenfeindlichen Gesellschaftsformationen werden können, hat die Geschichte des Jahrhunderts gezeigt. Ein verspätetes (den notwendigen Schutz der schwächeren Marktakteure nicht umfassend realisierendes) Europa kann das Zusammenbrechen der europäischen Solidarstrukturen begünstigen, gegen das die … Nationalstaaten je für sich nur sehr geringe Erfolgsaussichten haben“. 291 Vorarbeiten leistete dazu bereits Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004); vgl. auch Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 724. 292 So schon Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 12; ähnlich auch Micklitz, FS Reich (1997), S. 245, Beitrag mit dem programmatischen Titel: „Legitime Erwartungen als Gerechtigkeitsprinzip des Europäischen Privatrechts“.
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1. Teil: Grundlagen
sprochener – Kritik auf der einen und den befürwortenden Stellungnahmen auf der anderen Seite ist darauf hinzuweisen, dass es bei diesem Projekt in keinem Fall nur darum gehen darf, rein wissenschaftlich das vorhandene Material an Gemeinschafts- und nationalem Recht zusammenzutragen und aufeinander abzustimmen. Damit wäre eine wichtige Chance vertan. Gerade weil bei der Harmonisierung der Rechtsordnungen hinsichtlich verbleibender Differenzen die Notwendigkeit zur Rechtsfortbildung besteht, ist der Zeitpunkt für eine sozial schöpferische Tätigkeit gegeben.293 Dieser Aufgabe dürfen sich die Verfasser des Referenzrahmens, der einmal in ein Europäisches Zivilgesetzbuch münden wird, nicht verweigern. Der (wenngleich nationale) Gesetzgeber hatte eine ähnliche Chance bereits bei der Schaffung des BGB vertan, weshalb er sich – berechtigterweise – auch erhebliche Kritik einhandelte. Auf diese – wie es mir scheint – auf der Hand liegende Entwicklungsparallele sei hier hingewiesen: So bedachte Menger den Entwurf zum BGB mit folgenden Worten: „Vor allem waren die Redakteure darauf bedacht (…) die überaus zahlreichen (…) Partikulargesetze über das bürgerliche Recht in allen deutschen Bundesstaaten zu sammeln und dann dieses massenhafte Material (…) zu sichten (…). Dass das Resultat dieser sammelnden und sichtenden Tätigkeit nur ein in Paragraphen gebrachtes Lehrbuch des geltenden Rechtes mit Ausscheidung des offenbar Veralteten ist und dass der Entwurf ebenso im Jahr 1788 als ein Jahrhundert später hätte erscheinen können, wird bei der gewählten Arbeitsmethode niemand befremden. Ja man kann sich versichert halten, dass die Redakteure, hätten sie die Sklaverei und die Leibeigenschaft als geltendes Recht angetroffen, diese (…) in ihrem Entwurf sorgfältig konserviert haben würden.“294 Die Schaffung eines Gemeinsamen Referenzrahmens darf nicht nur dem Gedanken der reinen Rechtslehre verschrieben sein. Dieses Projekt sollte sich auch dem sozialen/gerechtigkeitsorientiertem Anliegen des Rechts, so wie es etwa in der materiellen Vertragsethik zum Ausdruck kommt, 295 in besonderem Maße zuwenden.296 Dem zu schaffenden Gemeinsamen Referenzrahmen sollte mithin auch eine soziale/materiale Dimension zufallen.297 Dies gilt es schon deshalb zu betonen, weil der Gedanke der Parität der Vertragspartner, der zunächst über die „Wohlfahrtsstaatlichkeit“ befördert wurde, trotz seiner sehr unterschiedlichen Modi ein gemeinsames europäisches, in den Nationalstaaten aus gutem 293
Joerges/Rödl, KJ 2008, 148 ff.; Tamm, GPR 2010, 525 ff. Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (5. Aufl., 1927), S. 12. 295 Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (2001); vgl. dazu auch die Darstellung im 1. Teil, 6. Kapitel, E. 296 Joerges, KJ 2008, 148, 150 ff. Zum Legitimationsproblem für das Gemeinwesen beim Fehlen der sozialen Komponente vgl. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1973); ders., Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus (1976). 297 In diesem Sinn auch Wagner, ZEuP 2007, 180 ff. 294
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
315
Grunde298 gewachsenes Erbe ist,299 welches die Mitgliedstaaten als Input in den Integrationsprozess einbringen sollten. In den „Schuhen“ Mengers stehen heute auf europäischer Ebene vor allem die Mitglieder der so genannten Study Group on Social Justice in European Private Law, die sich im Jahr 2004 formiert hat und die Wiedergeburt des Sozialen – hier verstanden als politisches Programm – auf der Ebene des Europäischen Rechts fordern. In dem im Jahr 2004 veröffentlichten Manifest wenden sich die Mitglieder der Gruppe gegen einen technokratischen Ansatz bei der Harmonisierung der europäischen Privatrechte.300 Einen solchen Ansatz diagnostiziert die Gruppe z.Z. zutreffend auf Seiten der Europäischen Kommission, die die Privatrechtsangleichung allein unter dem Verdikt der Herstellung des Binnenmarktes sehe. Dieses Ziel sei zwar berechtigt, als Grundlage für die Vereinheitlichungsbemühungen jedoch zu schmal, weil es einen Großteil der Regelungsziele des modernen Vertragsrechts ausblende. Notwendig sei ein neues Konzept, das die technokratischen Verkrampfungen des Kommissionsansatzes zugunsten der Politik einer sozialen Gerechtigkeit vermeidet.301 Dem ist umfassend zuzustimmen. Aus dem europäischen Integrationsprozess und der Verfassung Europas darf es keinen Ausschluss oder auch nur ein Zurückdrängen des „Sozialen“ geben.302 Denn der Ausschluss des Sozialen aus der Gemeinschaft ist ein potentielles Versäumnis für diejenigen, die davon ausgehen, dass die Bürgerinnen und Bürger moderner Demokratien berechtigt sein müssen, ihre Auffassungen zum Verhältnis von ökonomischer Rationalität und sozialer Gerechtigkeit zur Geltung zu bringen. Zum zweiten handelt es sich bei der Einbringung sozialer/wohlfahrtsstaatlicher Elemente um grundlegende Ordnungsvorstellungen, die schon zum Erhalt der Funktionsfähigkeit unserer modernen Gesellschaft darauf abzielen, nicht nur den (Binnen-)Markt, sondern auch Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.303 Dieses sind keineswegs triviale Anliegen, nicht einmal auf nationaler Ebene.304 Die EU muss sich das Soziale neben dem Abbau von Handelshemm298 Zum Legitimationsproblem für das Gemeinwesen bei Ausblendung der sozialen Komponente vgl. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1973); ders., Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus (1976). 299 T. J. Postwar, A History of Europe Since 1945 (2005), S. 777 f.; Joerges/Rödl, KJ 2008, 148, 152. 300 Study Group on Social Justice in European Private Law (2004) 10 ELJ 653, 655 ff. 301 Wagner, ZEuP 2007, 180, 184; vgl. auch Wilhelmsson, ELJ 2004, 712, 724. 302 Joerges/Rödl, KJ 2008, 149, 150. 303 Vgl. dazu Scharpf, 40 Journal of Common Market Studies (2002), S. 645 ff. Es muss hervorgehoben werden, dass schon die Gründungsväter des Ordoliberalismus, deren wir die Theorie der ökonomischen Verfassung verdanken, auf der Inter- und Konterdependenz beider Ebenen bestanden, siehe hierzu Eucken, Grundzüge der Wirtschaftspolitik (1952; 6. Aufl., 1990), S. 180 ff.; Wegmann, Früher Neoliberalismus und europäische Integration: Interdependenz der nationalen, supranationalen und internationalen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, 1932 – 1965, (2002), S. 369 ff. 304 Erinnert sei hier nur an F. A. Hayek und seine These, die Wende zum Wohlfahrts-
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1. Teil: Grundlagen
nissen zum Anliegen machen; dieses Postulat gilt umso mehr, je weiter im Zuge des ökonomisch forcierten Integrationsprozesses die Sozialstaatlichkeit auf nationaler Ebene erodiert. Wenn die Gemeinschaft dazu nicht Willens oder in der Lage ist, provoziert sie zwangsläufig Forderungen nach einer Begrenzung der Integration.
staat führe auf The Road to Serfdom (1944). Um diesen Fragenkomplex ging es in der legendären Auseinandersetzung zwischen W. Abendroth und E. Forsthoff in Bezug auf die Gestalt der neuen Bundesrepublik, siehe dazu A. Fischer-Lescano/O. Eberl, Der Kampf um ein soziales und demokratisches Recht. Zum 100. Geburtstag von W. Abendroth, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 51 (2006), S. 577 ff.
8. Kapitel: Die Idee des einheitlichen europäischen Zivilrechts/Verbraucherschutz
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2. Teil
Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata Der zweite Teil des Buches trägt die Überschrift „Rechtstatsächliches“, weil er sich den konkreten rechtlichen Ausgestaltungen des zivilrechtlichen Verbraucherschutzrechts in Deutschland zuwendet. Es geht darum, den Verbraucherschutz, so wie er sich derzeit in Rechtsnormen konkretisiert hat, darzustellen und dabei die unterschiedlichen Interventionsschwellen und eingesetzten Instrumente zu begutachten. Über die hier anzustellenden vielfältigen „Einzelbetrachtungen“ hinaus dient dieser Teil letztlich dazu, der im dritten Teil gestellten Frage nachgehen zu können, ob sich auf Grund der Normenvielfalt und inneren Verbindung der bestehenden Verbraucherschutzregelungen nicht bereits ein einheitliches Schutzprinzip zugunsten des Verbrauchers im deutschen Recht nachweisen lässt.1
1 Dies ist jedoch auf Grund der Gesamtschau der verbraucherrechtlichen Regelungen allenfalls im Wege der Induktion möglich. Die Induktion ist ein Vorgang, bei der es um den Schluss vom Besonderen (d.h. der Vielzahl von in die gleiche Richtung laufenden „Besonderheiten“) auf das Allgemeine geht; zur Analogie vgl. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (2. Aufl., 1991), S. 478; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 205.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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1. Kapitel
Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts Um die Normenvielfalt und innere Verknüpfung der verbraucherschützenden Regelungen aufzuzeigen, eignet sich am besten eine systematische Darstellung. I.d.S. wendet sich das erste Kapitel des 2. Teils zunächst allgemeinen Begriffen und Instrumenten des Verbraucherschutzrechtes zu, die die situativen und vertragsspezifischen Sonderregelungen, die später darzustellen sind, verbinden.
A. Der „Verbraucher“ und der „Unternehmer“ als zentrale Begriffe Die das Verbraucherschutzrecht definitorisch umschließenden Begriffe sind bekanntermaßen die des „Verbrauchers“ und des „Unternehmers“. Sie grenzen seinen personellen Schutzbereich ein und sind mittlerweile in §§ 13, 14 BGB legal definiert. Mit ihrer Darstellung soll hier begonnen werden. I. Bedeutung: einheitlicher personeller Anknüpfungspunkt für das Verbraucherschutzrecht i.e.S. Die §§ 13 und 14 BGB wurden in die zivilrechtliche Zentralkodifikation auf der Grundlage des am 27.6.2000 verkündeten Gesetzes über „Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro“2 eingefügt. Seit diesem Zeitpunkt gibt es einen vereinheitlichten Verbraucher- und Unternehmerbegriff. Bedeutung erlangen die Definitionsnormen insoweit, als die inner- und außerhalb des BGB vorhandenen verschiedenen (situativen und vertragsspezifisch ausgestalteten) Sonderregelungen3 zum Schutze des Verbrauchers auf sie Bezug nehmen. Der durch §§ 13, 14 BGB neu etablierte, einheitlich geregelte personelle Anwendungsbereich der Verbraucherschutznormen trägt damit ganz maßgeblich zur Systembildung und Kohärenz der Materie bei. 2 3
BGBl. 2000 I, S. 897. Ein Überblick über diese Normen findet sich im 2. Teil.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
II. Gesetzgebungsgeschichte hinsichtlich der Einführung der §§ 13, 14 BGB Die prominente Stellung, die die §§ 13, 14 BGB im BGB einnehmen, war jedoch nicht von Anfang an so geplant gewesen. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung über „Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechtes sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro“ vom 9.2.20004 sah ursprünglich vor, den „Verbraucher“ und „Unternehmer“ in einem neu einzufügenden § 361a III BGB zu definieren, was die Allgemeingültigkeit dieser Begriffe und ihre verbindende Wirkung für das gesamte Verbraucherrecht beeinträchtigt hätte. Hinsichtlich der Begrifflichkeiten nahm der Regierungsentwurf Anleihe an §§ 24, 24a AGB-Gesetz.5 Der Bundesrat ist in seiner Stellungnahme vom 25.2.20006 nicht näher auf die vorgesehene Regelung in § 361a III BGB eingegangen. Deshalb musste die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ihren Vorschlag auch nicht verteidigen. Die entscheidende Weichenstellung für die Einführung der §§ 13, 14 BGB erfolgte in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 12.4.2000.7 In der Anhörung des Rechtsausschusses haben es die Sachverständigen ausdrücklich begrüßt, dass die zentralen Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ in das BGB eingeführt und dort einheitlich geregelt werden sollten. Sie haben sich dann jedoch gegen den von der Bundesregierung bevorzugten Standort in § 361a III BGB ausgesprochen. Man empfahl vielmehr die Einführung zweier neuer Paragraphen, die im ersten Teil des ersten Buches im Abschnitt „Personen“ eingefügt und so den vielen anderen spezifischen Vorschriften als Bezugnahmemöglichkeit vorangestellt werden sollten (§§ 13, 14 BGB). Diese Beschlussempfehlung passierte im Folgenden unbeanstandet das Vermittlungsverfahren8 und ist sowohl unter systematischen9 als auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten zu begrüßen. Ausgehend vom Recht der EU ist der Verbraucherschutz zu einem wesentlichen Schutzprinzip des bürgerlichen Rechts geworden. Es ist daher konsequent, dass das BGB in den §§ 13, 14 den Verbraucher und Unternehmer als Zentralbegriffe des bürgerlichen Rechts einsetzt.10
4
BT-Drucks. 14/2658. Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn., 2; K. Schmidt, JuS 2006, 2. 6 BR-Drucks. 25/2000. 7 BT-Drucks. 14/3195. 8 BT-Drucks. 14/3452 v. 25.5.2000. 9 Ähnlich verfährt das HGB, das in seinem ersten Abschnitt Kaufleute und Nichtkaufleute von einander abgrenzt. 10 Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 2; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 1; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 1; a.A. K. Schmidt, JuS 2006, 1 ff. 5
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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III. Der Verbraucherbegriff Nach dem in §§ 13 f. BGB niedergelegten rollensoziologisch11 motiviertem Konzept der Kompensation gestörter Vertragsparität12 genießt eine natürliche Person den Schutz verbraucherprivatrechtlicher Regelungen, wenn sie in geschäftlichem Kontakt zu einem Unternehmer tritt und dabei als „Nachfrager“ von Waren oder Dienstleistungen fungiert. 1. Der Verbraucherbegriff im supranationalen Gemeinschaftsrecht Die Einführung des § 13 BGB ist (ebenso wie die des § 14 BGB) darauf zurückzuführen, dass der deutsche Gesetzgeber zum Erhalt der Kohärenz des deutschen Zivilrechts einen einheitlichen personellen Anwendungsbereich für alle verbraucherschützenden Vorschriften befürwortete.13 Der Regelungsdruck zur Einführung der Bestimmungen rührte vom EU-Recht her, dessen immer zahlreicher werdende, zum großen Teil bereichsspezifisch angelegte, inkohärente14 Richtlinienmasse ins innerdeutsche Recht zu inkorporieren war, was eine große Herausforderung darstellte. a. Der europarechtliche Hintergrund des Verbraucherbegriffs Der in § 13 BGB niedergelegte Verbraucherbegriff hat somit einen europäischen Ausgangspunkt.15 Zwar existiert auf der Ebene des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts noch kein einheitlicher Verbraucherbegriff,16 weil die Richtlinien der Gemeinschaft für die unterschiedlichen Regelungsbereiche verschiedene personelle Anwendungsbereiche definieren.17 Die rege gesetzgebe-
11
Siehe dazu die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel III 1; i.Ü. vgl. Oechsler, Schuldrecht (2003), Rn. 30; Kümpel, WM 2005, 1 ff.; ablehnend Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 8; Artz, in: Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 23 Rn. 2; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 70, die von einem rein funktional verstandenen Verbraucherbegriff in § 13 BGB sprechen. 12 Gerade durch die Einführung der §§ 13, 14 BGB werden die Verbraucher als eine im Verhältnis zum Unternehmer typischerweise unterlegene Marktgruppe angesehen, vgl. dazu Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 1. 13 Vgl. dazu BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 2. 14 Schlechtriem, ZEuP, 2002, 213 ff.; Calliess, AcP 203 (2003), 586 ff.; Martinek, NJW 1997, 1393 ff.; ders., 1998, 207. 15 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 24 Rn. 4; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 2; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 1; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 4. 16 Höland, FS Reich (1997), S. 195, 212; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 7; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 6; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (3. Aufl., 1996), Rn. 15. 17 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 2; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 6.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
rische Tätigkeit der EU zum Schutz des Verbrauchers führt jedoch dazu, dass sich vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts zumindest nach und nach ein europäischer Begriffskern für den Terminus des Verbrauchers herauskristallisiert.18 Rechtsquellen dafür lassen sich im Primär-, Kollisions- und Richtlinienrecht ausmachen. aa. Das Primärrecht als Rechtsquelle Im Primärrecht befinden sich hinsichtlich des europäischen „Verbraucher“-Begriffs noch recht wenige, allenfalls rudimentär vorhandene Anhaltspunkte. So wird dort die Person des Verbrauchers – ohne eine begriffliche Definition zu geben19 – lediglich von Art. 4 II lit. f.), 12, 169 AEUV in Bezug genommen. bb. Das Kollisionsrecht als Rechtsquelle Anders sieht es im Kollisionsrecht aus. Hier werden dem Verbraucher etwa über Art. 15 EuGVVO privilegierende Regelungen zuerkannt, die zugleich mit einer gewissen Umschreibung der zu schützenden Person versehen sind. So spricht etwa Art. 15 I EuGVVO von einem „(…) Vertrag, den eine Person (der Verbraucher), zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann (…)“. In Art. 6 I der Rom I-VO findet sich die gleiche Definition. Die zitierten Vorschriften machen deutlich, dass der europäisch geprägte Verbraucherbegriff schon auf Grund der kollisionsrechtlichen Vorgaben auf eine (Privat-)20 Person abzielt, die zu privaten Zwecken agiert.
18 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 2 f.; Berg, in: Schwarze, EGV/EUV (2000), Art. 153 Rn. 6 f.; Heiss, ZfRV 1995, 54, 60; Reich, ZEuP 1994, 381, 389 f.; Roth, JZ 1999, 529, 531; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006) Rn. 181; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 17. 19 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 10. 20 Anders als die Richtlinien verlangt das Kollisionsrecht nicht explizit eine „natürliche“ Person. Daraus wird z.T. geschlussfolgert, dass auch juristische Personen in den Anwendungsbereich der Regelung fallen, sofern nur das konkrete Geschäft nicht dem gewerblichen Bereich zuzurechnen sei (vgl. dazu Faber, ZEuP 1998, 854, 862). Nach der Ansicht des EuGH schützen auch diese kollisionsrechtlichen Normen jedoch nur den nicht berufsund erwerbsbezogen handelnden privaten Endverbraucher, und zwar in Gestalt als Einzelperson, siehe dazu EuGH, Urt. v. 21.6.1978, Rs. C-150/77 – Bertrand/Ott, Rn. 21; EuGH, Urt. v. 19.1.1993, Rs. C-89/91 – Shearson Lehmann Hutton Inc./TVB Treuhandgesellschaft für Vermögensverwaltung und Beteiligungen mbH, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 3.7.1997, Rs. C-269/95 – Benincasa, Rn. 17.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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cc. EU-Richtlinien als Rechtsquellen Eine Anleihe für einen europäischen Begriffskern des Verbrauchers kann i.Ü. aus den konsumentenschützenden Richtlinien der EU genommen werden, wenngleich für die einzelnen Regelungsbereiche – wie bereits vorausgeschickt wurde – Unterschiede in den Rändern zu verzeichnen sind.21 (1.) Richtlinien, die in den Rändern vom Begriffskern stärker abweichen So ist im Versicherungs-, Banken- und Anlagerecht sowie nach der Pauschalreiserichtlinie der geschützte Vertragspartner häufig jeder „Kunde“ eines professionellen Anbieters – und zwar unabhängig davon, ob er zu privaten oder beruflichen Zwecken handelt.22 Auch im Lebens- und Gesundheitsschutz der Produkthaftungsrichtlinie stellt die EU nicht auf den Verbraucher, sondern auf jede Person ab, die das Produkt erworben hat, sodass die Haftung des Produktherstellers auch zugunsten des beruflich Tätigen eröffnet ist. In ähnlicher Weise gelangen selbständig und freiberuflich Tätige in den personalen Schutzbereich etwa der Handelsvertreterrichtlinie, der Zahlungsverzugsrichtlinie, der Überweisungsrichtlinie und der E-Commerce-Richtlinie.23 (2.) Richtlinien, die in den Rändern kaum vom Begriffskern abweichen Die Mehrzahl der EU-Richtlinien verwendet jedoch den Begriff des Verbrauchers in einem Zusammenhang, wie er im Kollisionsrecht üblich ist. Angesprochen sind stets Geschäfte, die eine natürliche Person vornimmt, „die (…) zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen und gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“.24 Die EU-Richtlinien enthalten mit diesem Passus eine Art Negativformulierung.25 Denn dort wird darauf Bezug genommen, dass jemand „zu einem Zweck handelt, der nicht (…)“.26 Die Verbrauchereigenschaft einer Person ergibt sich – positiv formuliert – aus dem Umkehrschluss.
21 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 3 f.; Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 4; Reich, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003). 22 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 11. 23 Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EU/EGV (2003), Art. 153 Rn. 11. 24 Vgl. die RL 85/577/EG v. 20.12.1985 zum Haustürwiderruf; RL 87/102/EWG v. 22.12.1986 zum Verbraucherkredit; die RL 94/47/EG v. 26.10.1994 zum Time-Sharing; zum Ganzen: Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 66 ff.; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 7; Faber, ZEuP 1998, 854 ff.; Pfeiffer, Der Verbraucherbegriff als zentrales Merkmal im europäischen Privatrecht, in: Schulte-Nölke/Schulze, Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 21 ff. 25 Staudinger/Weick (2004), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 18. 26 Zu den Konsequenzen, die sich aus dieser Formulierungsweise ergeben, siehe Faber, ZEuP 1998, 854, 878 ff.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
b. Entstehung eines festen Begriffskerns für den gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherbegriff In Bezugnahme auf das Kollisionsrecht und die Mehrzahl der europäischen Richtlinien zum Schutz des Konsumenten kann von der Existenz eines Begriffskerns für den Verbraucher im bestehenden Recht27 ausgegangen werden.28 Dieser soll nach dem Ansinnen der Kommission gemäß ihrem Grünbuchvorschlag29 vom Februar 2007 in eine allgemeine Kodifizierung münden, die dann in Konsolidierung der bislang nur bereichsspezifischen Verbraucherschutzregelungen diese im personellen Anwendungsbereich verbindet. Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits mit dem „Vorschlag der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“ von 200830 unternommen, der einen einheitlichen Verbraucherbegriff (basierend auf dem Begriffskern der bisherigen Richtlinien) enthält. Dort ist nun in Art. 2 I festgelegt worden: „Verbraucher ist jede natürliche Person, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen“. Jenseits der Problematik des Richtlinienvorschlages,31 der bereits dargestellt wurde, ist die begriffliche Konsolidierung jedenfalls zu begrüßen.32 Festzuhalten bleibt, dass de lege lata nach den europäischen Vorgaben eine natürliche Person als schutzbedürftig zu betrachten und daher i.w.S. als „Verbraucher“ anzusehen ist, wenn die Person bei den von der Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.33 Diese Definition findet sich nahezu in allen Richtlinien, die dem Verbraucherschutz im Vertragsrecht dienen. Fast gleichlautend wird der Verbraucherbegriff in einem Definitionsvorschlag des Europäischen Parlaments bestimmt. Demnach ist der Verbraucher eine „natürliche Person, die für die betreffende Tauschaktion nicht im Rahmen einer gewerblichen oder 27 Nicht eingegangen werden soll hier auf den DCFR und die verschiedenen Ausarbeitungen der o.g. Wissenschaftsgruppen. 28 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 3 f.; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 4; Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 66 ff.; Berg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV (6. Aufl., 2003), Art. 153 Rn. 7; Staudinger/Weick (2004), Vor. §§ 13, 14 Rn. 18; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 6; Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999), S. 276 f. 29 Grünbuch der Kommission v. 8.2.2007, KOM (2006), 744 endg. 30 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 31 Zum darin enthaltenen kritikwürdigen Vollharmonisierungskonzept vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel, E V 1. 32 Zu den Auswirkungen des vollharmonisierten gemeinschaftlichen Verbraucherbegriffs Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 481 ff. 33 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 3 f.; Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 66 ff.; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 6; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 11; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 3; Staudinger/Weick (2004), Vor. §§ 13, 14 Rn. 18.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
325
beruflichen Tätigkeit handelt oder vorgibt, zu handeln“.34 Der EuGH hält in seiner Rechtsprechung ebenfalls an einem engen Verbraucherbegriff fest, der auf die Marktteilnahme zu privaten Zwecken abstellt.35 Ob der gemeinschaftsrechtliche Verbraucherbegriff auf einer rollensoziologischen Typisierung des privaten Endkonsumenten basiert oder lediglich aus einer Ansammlung bereichsspezifischer, nicht allgemeiner Regelungen hervorgeht, ist umstritten; weit überwiegend wird Letzteres vertreten.36 Für diese Ansicht mag (bezogen auf das Gemeinschaftsrecht) sprechen, dass der Entwicklungsstand der Systematisierung, d.h. auch der inhaltlichen und kodifikatorischen Verzahnung der verschiedenen Regelungen zum Schutz des Verbrauchers hier noch nicht so weit fortgeschritten ist wie auf der Ebene des nationalen, deutschen Zivilrechts. Deshalb ist es auch verständlich, dass der EuGH die in den Richtlinien definierten persönlichen Anwendungsbereiche der Schutzvorschriften überwiegend einschränkend auslegt, 37 was gegen einen generalisierenden, rollensoziologischen Ansatz des europäischen Verbraucherbegriffs vorgebracht werden könnte. Ein weiterer Begleitumstand ist dabei, dass ein solcher Ansatz dem gegenwärtig marktfokussierten Blick38 des Gemeinschaftsrechts, bei dem die Materialisierungstendenzen noch nicht so weit entwickelt sind wie auf der Ebene des deutschen Zivilrechts,39 zuwiderlaufen würde. Letztlich braucht der bestehende Streit über die Möglichkeit einer rollensoziologischen Typisierung des europäischen Verbraucherbegriffs hier nicht entschieden werden, da es an dieser Stelle lediglich um seine rollensoziologische Typisierbarkeit im deutschen, d.h. nationalen Zivilrecht geht. 2. Der Verbraucherbegriff im nationalen Recht Handhabbar wird die Regelung des § 13 BGB dadurch, dass sie zwei konstitutive Elemente aufweist. Diese beziehen sich zum einen auf den in Bezug genommenen Personenkreis und zum anderen auf die Zweckrichtung der Handlung.
34
ABl.EG 1983 Nr. C 68/92. Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 3.7.1997, Rs. C-269/95 – Benincasa, Rn. 12 ff.; Grub, in: Lenz/ Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 6. 36 Für den nicht verallgemeinerungsfähigen Charakter PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 5; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 12; dagegen (wohl) Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV (2. Aufl., 2002), Art. 153 Rn. 5: „Verbraucherschutz ist daher rollenbezogen“. 37 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), § 13 Rn. 33 f. 38 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel E I und 1. Teil, 6. Kapitel C II/D II; zur Maktfokussierung siehe auch Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 7 f. 39 Für eine (zukünftig) starke Ausrichtung des Gemeinschaftsrechts auf den Materialisierungsgedanken, der Ungleichgewichte in Bezug nimmt, Roppo, ERCL 2009, 304 ff. 35
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
a. Natürliche Personen als bezogener Personenkreis Der Personenkreis erschließt sich dadurch, dass der „Verbraucher“ nach den Vorgaben des § 13 BGB nur eine natürliche Person sein kann, die ein Rechtsgeschäft zum Zwecke des privaten Konsums abschließt oder beabsichtigt abzuschließen (vgl. z.B. §§ 241a, 312c I BGB). Das Merkmal der natürlichen Person soll von der Einbeziehung juristischer Personen (z.B. AG, GmbH, KGaA, eG, rechtsfähige Stiftungen, eingetragene Vereine, Kirchengemeinden, Universitäten, Gebietskörperschaften) sowie von den ihr weitgehend angenäherten Gesellschaftsformen – etwa der OHG und KG – abgrenzen, die als nicht schutzwürdig angesehen werden.40 Letztere werden mit Aufnahme ihres Geschäfts, spätestens jedoch mit Eintragung41 in das Handelsregister, nicht mehr als natürliche Personen betrachtet, selbst wenn sich hinter ihnen nur Personenzusammenschlüsse verbergen. Dies soll selbst dann gelten, wenn die sich zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks zusammenschließenden Personen – etwa in Form eines Idealvereins – keine gewerblichen Zwecke verfolgen.42 Umgekehrt sind alle natürlichen Personen ohne Rücksicht auf ihren intellektuellen oder ökonomischen Status als Verbraucher anzusehen, sofern sie mit ihrem Geschäft einen privaten Zweck verfolgen.43 aa. Kritik an dem engen Anwendungsbereich Die Ausklammerung der juristischen Personen aus dem Schutzbereich des Verbraucherrechts wird zwar von einem Teil der Literatur mit dem Argument kritisiert, dass es nicht einleuchtet, dass ein kleiner Idealverein über größere Geschäftskompetenz verfügen soll als die hinter ihm stehenden Einzelpersonen, welche unstreitig als Verbraucher anzusehen sind.44 Außerdem war in der Verbraucherschutz-Charta des Europarates von 1973 ein weiter Verbraucherbegriff zugrunde gelegt worden, der auch legal personas ausdrücklich einschloss.45 bb. Rechtfertigung des engen Anwendungsbereichs Die Typisierung des Regelungssubjekts dient jedoch letztlich der Rechtssicherheit, sodass eine Ausweitung des bezogenen Personenkreises nicht in Frage kommt.46 Wo der Gesetzgeber den Verbraucherbegriff modifiziert verstanden 40
Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 5; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 31; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 25. 41 Martins, MDR 1998, 1189, 1190. 42 EuGH, Urt. v. 22.11.2001, verb. Rs. C-541/99 und C-542/99 – Cape; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 2. 43 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 30; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 8; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 2. 44 Faber, ZEuP 1998, 854, 860, 684; Schulte-Nölke/Schulze/Pfeiffer, Europäische Rechtsangleichung und Privatrechte (1999), S. 21, 39; Remien, ZEuP 1994, 34, 42. 45 Zu diesem Argument als kritischen Einwurf bei der Diskussion bezüglich der engen Fassung des § 13 BGB vgl. Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 31. 46 Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 25 Rn. 8.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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wissen wollte, hat er dies ausdrücklich geregelt (vgl. etwa § 512 BGB).47 Würde man dies anders sehen und nicht auf formelle Kriterien (hier die Eigenschaft als „natürliche Person“) abstellen, wäre der Anwendungsbereich der verbraucherschutzrechtlichen Bestimmungen sehr unscharf und im weitesten Sinne Wertungen unterworfen. An die Stelle vorgegebener formeller Merkmale würde dann ein unübersichtliches Fallrecht treten, das der Rechtssicherheit abträglich wäre.48 Auch wenn also im Einzelfall ein kleiner Idealverein (oder eine Pfarrgemeinde) als individuell schutzbedürftig angesehen werden müssen, signalisiert schon die Wahl der Organisationsform dem Rechtsverkehr, dass die handelnde Person mit einer gewissen Professionalität agiert,49 mag auch – verglichen mit dem „Know-How“ eines wirtschaftskräftigen Unternehmens – die Professionalität, die zur Führung eines kleinen Idealvereins erforderlich ist, vernachlässigenswert erscheinen. Sie ist zum Schutze des Rechtsverkehrs und unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit als ausreichend zu erachten, um die für die Organisation agierenden Personen – gerade in ihrem Zusammenschluss – vom privaten, einzelnen Menschen als Endverbraucher abzuheben. b. Privatrechtliche Zweckrichtung des Verhaltens Der Gesetzgeber gibt nach der eingangs gegebenen Definition einen bereichsspezifischen Verbraucherbegriff vor. Als Verbraucher wird die natürliche Person danach nur dann angesehen, wenn sie bei der Bezugnahme auf das Geschäft, das sie tätigt, keiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit nachgeht.50 aa. Gewerbedefinition Der von § 13 BGB zur Abgrenzung der privaten von der selbständigen beruflichen Sphäre verwandte Begriff des Gewerbes ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff des Gewerbes nach der GewO oder dem Begriff des Handelsgewerbes im HGB.51 Darunter ist jede auf Dauer angelegte, selbständige, auf Gewinnerzielung gerichtete, nach außen erkennbare, planmäßige Tätigkeit mit Ausnahme der Ausübung eines freien Berufes zu verstehen.52 Der bürgerlich-rechtliche Begriff des Unternehmers gemäß § 14 BGB ist jedoch viel weiter gesteckt. Der Unternehmer agiert nämlich zu beruflichen Zwecken; weitere Eingrenzungen gibt es nicht. Auch ein Freiberufler kann danach Unternehmer sein. Eine Eintragung 47
Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 5. So ausdrücklich und zutreffend Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 31. 49 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2. Aufl., 2006) Rn. 198. 50 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 13; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 4; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 20; Lorenz, JuS 2000, 833, 839; Flume, ZIP 2000, 1427, 1428. 51 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 5. 52 Hk-BGB/Dörner (5. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2. 48
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
im Handelsregister nach §§ 1 ff. HGB ist nicht nötig, weil es auch auf den Umfang des Geschäftes des Unternehmers nicht ankommt, solange das konkrete Geschäft, nur beruflichen Zielen dient. bb. Selbständige berufliche Tätigkeit Nicht als Verbraucher handelt gemäß § 13 BGB der selbständig beruflich Tätige. Selbständige berufliche Tätigkeit ist im Gegensatz zur gewerblichen Tätigkeit jedes sonstige berufliche Handeln, das nicht in einem Arbeitsverhältnis oder sonst abhängigem Dienstverhältnis erfolgt.53 Bei der Abgrenzung der selbständigen von der unselbständigen beruflichen Tätigkeit kann § 84 I S. 2 HGB herangezogen werden. Danach liegt Selbständigkeit vor, wenn es die berufliche Tätigkeit dem Handelnden erlaubt, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten und die Arbeitszeit frei zu bestimmen.54 Zu den beruflich selbständigen (aber nicht gewerblich handelnden) Personen in diesem Sinn zählen etwa Ärzte, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Architekten, Künstler, Schriftsteller, Privatlehrer und Wirtschaftsprüfer.55 cc. Zusammenfassung Da es nur auf die Zweckrichtung des konkret in Rede stehenden Geschäfts ankommt, können auch Selbständige und Gewerbetreibende „Verbraucher“ i.S.d. § 13 BGB sein, sofern sie sich hinsichtlich des konkret zu bewertenden Geschäfts außerhalb ihres gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeitsfeldes bewegen.56 c. Beispiele Zu der den Verbraucherbegriff prägenden privaten Sphäre gehören etwa Rechtsgeschäfte, die für den Urlaub, im Bereich der Freizeit, des Haushalts, des Sports, der Gesundheitsvorsorge, aber auch für die Verwaltung und die Anlage von eigenem Vermögen (z.B. Geldanlage in Mietshäusern oder Wertpapieren) vorgenommen werden.57 Bei der Verwaltung eigenen Vermögens wird der Verbraucher nicht zum Unternehmer,58 soweit er Leistungen nachfragt. Tritt der Verbraucher hingegen als gewerbsmäßiger Anbieter – etwa als Vermieter von Wohnungen –
53 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 15; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 14 Rn. 7; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6. 54 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 15. 55 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 15. 56 Hk-BGB/Dörner (5. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2. 57 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 2; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK, BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 27. 58 BGH NJW 2002, 368.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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in den Wettbewerb ein, handelt er unternehmerisch und nicht mehr zu privaten Zwecken.59 d. Beurteilungsmaßstab Hinsichtlich der Zuordnung zum privaten oder unternehmerischen Bereich entscheidet nicht der innere Wille des Handelnden. Aus Verkehrsschutz- und Verbraucherschutzgesichtspunkten (§§ 133, 157 BGB) ist vielmehr auf objektive Kriterien,60 d.h. auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts abzustellen, wobei dieser ggf. durch eine Auslegung der das Rechtsgeschäft begleitenden objektiven Umstände zu ermitteln ist. Der subjektive Empfängerhorizont der jeweils anderen (Vertrags-)Partei ist danach unerheblich. Der private oder selbständige berufliche bzw. gewerbliche Zweck der handelnden Partei muss dem (Vertrags-)Partner aus den Gesamtumständen nicht notwendig erkennbar sein.61 Andernfalls würde der durch die speziellen Verbraucherschutzvorschriften (beispielsweise §§ 474 ff. BGB) bezweckte unabdingbare Schutz der Verbraucher faktisch der Disposition der Parteien unterworfen.62 Diese grundsätzlich objektive Bestimmung der Zwecksetzung schließt freilich Korrekturen durch die eigenständigen Rechtsinstitute der Rechtsscheinshaftung (des Rechtsmissbrauchsverbot und der Irrtumslehre), die „nebenher laufen“ können, nicht aus, insbesondere wenn sie der Schutzrichtung der besonderen Verbraucherschutzbestimmungen, die objektiv zur Anwendung kommen, nicht widersprechen.63 Aber selbst wenn bei Anwendung der Grundsätze der Rechtsscheinshaftung ein Widerspruch zur verbraucherschützenden Intention von Vorschriften des Schuldrechts auftreten sollte, lässt sich dieser (und damit die Anwendung der Rechtsscheinshaftung) ausnahmsweise durch § 242 BGB legitimieren,64 wenn etwa der Verbraucher bewusst eine Unternehmereigenschaft vortäuscht. In diesem Fall ist er nicht schutzwürdig.65 Das Gleiche gilt für den umgekehrten Fall, dass ein Unternehmer bewusst vortäuscht,66 Verbraucher zu 59
Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 27. OLG Düsseldorf ZGS 2006, 119, 120; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 10; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23; Müller, NJW 2003, 1975, 1979; Herresthal, JZ 2006, 695, 697. 61 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23; Herresthal, JZ 2006, 695, 698 f.; Schroeter, JuS 2006, 682, 683; (sehr strittig) a.A. etwa Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 3; Müller, NJW 2003, 1975, 1979; Heinrichs, NJW 1996, 2190. 62 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23. 63 So zutreffend differenzierend MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23; Herresthal, JuS 2006, 695. 64 Der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben gilt auch gegenüber Verbrauchern, die insofern keiner Privilegierung bedürfen, vgl. dazu Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 963; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23. 65 BGH NJW 2005, 1045; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 3. 66 BGH NJW 2005, 1045; Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 28 Rn. 15. 60
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
sein, d.h. vorgibt, die Sache privat zu nutzen, obwohl er dies nicht tut.67 Das bewusste Vortäuschen der Unternehmer- bzw. Verbrauchereigenschaft, die nicht vorliegt, muss der Vertragspartner freilich beweisen. Zeitlicher Anknüpfungspunkt für die (zunächst objektiv zu ermittelnde) Verbraucher- oder Unternehmereigenschaft ist der Geschäftsabschluss. Es findet insofern stets eine ex-ante Betrachtung statt.68 Eine nachträgliche Umwidmung des Zwecks ist nicht möglich.69 3. Divergenzen zwischen europäischem und deutschem Verbraucherbegriff Die von § 13 BGB gewählte Definition ist nur in ihrem Kern deckungsgleich mit dem europäischen Verbraucherbegriff; an den Randbereichen ergeben sich gewisse Verschiebungen. Der Grund dafür ist folgender: Auf der Grundlage des eingangs dargestellten europäischen Begriffskerns des „Verbrauchers“ (der sich vor allem mit Hilfe der Richtlinien konturieren lässt) hindert jegliche berufliche Zweckbestimmung und nicht nur die selbständig-berufliche (wie nach § 13 BGB) den persönlichen Anwendungsbereich der Verbraucherschutzvorschriften.70 Infolgedessen ist beispielsweise der Arbeitnehmer, der zu abhängig-beruflichen (und gerade nicht zu selbständigen-beruflichen) Zwecken Güter und Dienstleistungen erwirbt – indem er etwa Arbeitsbekleidung oder einen Pkw für die Fahrt zur Arbeit kauft – nach deutschem Recht Verbraucher,71 nicht jedoch nach dem europäischem Sekundärrecht.72 Der Verbraucherbegriff nach deutschem Recht ist damit weiter gefasst als der europäische.73 Trotz der Abweichung zum Richtlinienrecht ist die in § 13 BGB festgeschriebene (weite) Verbraucherdefinition statthaft.74 Denn die meisten Richtlinienvorgaben billigen dem nationalen Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der eu67
BGH NJW 2005, 1045; Tiedtke, JZ 2008, 452, 453, der in dem Fall etwa die Anwendung der §§ 474 ff. BGB versagen will. 68 BGH NJW 2000, 3496, 3497; OLG Hamm BKR 2002, 93; Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 28 Rn. 15; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 19; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 43; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 31; Heinrichs, NJW 1996, 2190 f. 69 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 28 Rn. 15; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), § 13 Rn. 29; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 19. 70 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 30; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 6; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050. 71 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 15; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050; Hk-BGB/Dörner (5. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 3. 72 Däubler, NZA 2001, 1329, 1333 f.; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050; Hk-BGB/Dörner (5. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 3; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 21. 73 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 30; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 22. 74 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 30; Hk-BGB/Dörner (5. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2;
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ropäischen Bestimmungen die Vornahme „weitergehender“ verbraucherschützender Maßnahmen ausdrücklich zu.75 Sie beinhalten insofern eine Option für eine Ausdehnung des Verbraucherschutzes i.S.e. „Öffnungsklausel“.76 Primärrechtlich wird diese Option durch den Grundsatz der Mindestharmonisierung verbürgt.77 Freilich gilt dieser Grundsatz nicht schrankenlos. So dürfen die nationalen Vorschriften die Grundfreiheiten nicht in unverhältnismäßiger Weise verletzen.78 4. Grenzfälle bei der Einordnung nach § 13 BGB Auf der Grundlage der deutschen Verbraucherrechtsdefinition nach § 13 BGB ergibt sich eine Vielzahl von kontrovers diskutierten „Grenzfällen“, die hier nur überblicksartig dargestellt werden sollen, um das Verständnis für diese für das Verbraucherrecht so zentrale Norm zu schärfen. a. Gesetzlich vorgeschriebene Fälle Im Grundsatz ordnet § 13 BGB an, dass der Verbraucherstatus bei Vornahme des Rechtsgeschäfts vorhanden sein muss, um die privilegierenden Vorschriften aus dem Bereich des Verbraucherschutzrechtes anwendbar zu machen. In wenigen Spezialfällen sieht das Gesetz allerdings selbst Ausnahmen vor, indem es auch Nichtverbraucher ausdrücklich als Verbraucher behandelt. aa. Der Existenzgründer Ein solcher Fall ist etwa der des Existenzgründers, allerdings nur in einer speziellen Situation:79 So gelten qua gesetzlicher Spezialvorgabe verbraucherschützende Regelungen gemäß § 512 BGB bereits beim Abschluss von Darlehensverträgen (§§ 491 ff. BGB) und sonstigen Finanzierungshilfen (§§ 506 ff. BGB) auch für solche natürlichen Personen, die im Begriff sind, „Unternehmer“ zu werden.80
Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 3; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 13 Rn. 3. 75 Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 44. 76 PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 6; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 22; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050; Lorenz, NJW 1998, 2937, 2939. 77 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 290 Rn. 21; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 6. 78 MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), § 13 Rn. 37. 79 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 16; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 13. 80 Die Existenzgründung kennzeichnet sich durch den Kredit, welcher für die Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit bestimmt ist oder, mit anderen Worten, der einer noch nicht ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit dient; vgl. dazu Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 30 Rn. 24.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Als Existenzgründer werden nach der Legaldefinition des § 512 BGB (ex. § 507 BGB) alle natürlichen Personen angesehen, die zur Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit ein Darlehen in Anspruch nehmen, sich eine sonstige Finanzierungshilfe gewähren lassen oder einen Ratenlieferungsvertrag abschließen. Existenzgründer i.S.d. § 512 BGB ist auch, wer zwar bereits ein Unternehmen betreibt, mit den Kreditmitteln aber ein neues, mit dem bereits betriebenen Unternehmen nicht im Zusammenhang stehendes Zweitunternehmen begründen will.81 Die bloße Erweiterung der bereits bestehenden gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit genügt hingegen nicht, um in den Anwendungsbereich der privilegierenden Regelungen zu gelangen.82 Für die Frage, ob ein Darlehensnehmer noch in der Gründerphase ist, oder ob er die Tätigkeit, der das Darlehen dienen soll, bereits aufgenommen hat, ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages maßgeblich.83 Das Ende der Existenzgründerphase wird in der Regel dann erreicht sein, wenn nach außen hin die Bereitschaft signalisiert wird, am Markt aufzutreten, etwa durch die Eröffnung des Ladenlokals oder durch die Aufnahme der Produktion.84 Schon aus dem Vorhandensein der Sonderbestimmung des § 512 BGB lässt sich im Umkehrschluss herleiten, dass in den nicht besonders geregelten Fällen die unternehmerische Existenzgründung i.Ü. dem Bereich der geschäftlichen Tätigkeit zuzurechnen ist.85 Im Allgemeinen gilt daher: Existenzgründer sind außerhalb des Bereiches der §§ 491 ff., 512 BGB keine Verbraucher. Auch die zugrunde liegenden europäischen verbraucherprivatrechtlichen Richtlinien sowie Art. 6 der Rom I-VO und Art. 15 der Brüssel I-VO kennen die Figur des Existenzgründers als zu schützende Person nicht.86
81 BGH NJW 1998, 540; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2008), § 507 Rn. 2; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 507 Rn. 2. 82 BGH NJW-RR 2000, 719; 2000, 1221; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 507 Rn. 2; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 3. 83 BGHZ 128, 162. 84 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 507 Rn. 2. 85 EuGH, Urt. v. 3.7.1997, Rs. C-269/95 – Benincasa; BGH NJW 2005, 1273, 1275; OLG Oldenburg NJW-RR 2002, 641 f.; OLG Düsseldorf NJW 2004, 3192; OLG Rostock, ZIV 2003, 332; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 55; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 16; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 32; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 25; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 30 Rn. 23; a.A. OLG München NJW-RR 2004, 913; Prasse, MDR 2005, 961 ff. 86 Der am 11.9.2002 veröffentlichte Vorschlag der EU-Kommission zur Überarbeitung des Verbraucherkreditrechts, KOM (2002), 443 endg. (dazu Kaiser, VuR 2002, 385 ff.) nahm den Begriff des Existenzgründers ebenso wenig auf wie der überarbeitete Entwurf v. 28.10.2004, KOM (2004), 747 endg. (dazu Bülow/Artz, WM 2005, 1153) und die neue Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG, die in ihrem Art. 3 verschiedene Definitionen vorsieht, aber sich nicht zum Existenzgründer i.S.e. Definitionsvorgabe äußert.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
333
bb. Die Verbraucherinsolvenz für kleine Unternehmen § 512 BGB regelt einen Sachverhalt, gemäß dem Unternehmer als Verbraucher behandelt werden. § 304 I 2 InsO erfasst die umgekehrte Konstellation. Danach hat der Gesetzgeber auch Unternehmern die Einleitung einer „Verbraucher“-Insolvenz gestattet, wenn und soweit es sich um „überschaubare Vermögen“ handelt und gegen sie „keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Die Regelung erfasst insbesondere gescheiterte Existenzgründungen, deren Zahl auf 40.000 bis 90.000 pro Jahr geschätzt wird.87 Der Gesetzgeber ging angesichts dieses Umstandes von einem ähnlichen Schutzbedürfnis wie in Fallgestaltungen mit reinem Verbraucherbezug aus.88 cc. Der Reisende/Teilnehmer nach §§ 651a ff und dem FernUSG I.Ü. nehmen das Pauschalreiserecht (§§ 651a ff. BGB) und das FernUSG den Reisenden und den Teilnehmer ganz pauschal in Bezug, sodass, begrenzt für diese Sachmaterien, auch der Unternehmer, d.h. der zu geschäftlichen Zwecken Handelnde, ausnahmsweise mitgeschützt ist.89 b. Nicht gesetzlich geregelte Problemfälle Problematisch im Zusammenhang mit der Bestimmung der Verbrauchereigenschaft bleiben allerdings neben den gesetzlich intendierten Ausnahmen all diejenigen Fälle, die teleologische Zuordnungsfragen aufwerfen, zu denen sich der Gesetzgeber nicht explizit geäußert hat. aa. Die GbR Bezogen auf die GbR ist die Verbrauchereigenschaft nach wie vor heftig umstritten.90 Dass § 13 BGB davon spricht, dass nur eine natürliche Person Verbraucher sein kann, zwingt nach richtiger Ansicht nicht zu der Annahme, dass mehrere natürliche Personen in einem eventuellen Zusammenschluss nicht auch als Verbraucher zu bewerten sind. Dies gilt jedenfalls, solange dieser Zusammenschluss noch nicht als „juristische Person“ zu qualifizieren ist.91 Handelt es sich um eine 87
MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 31. Als Ursache des Scheiterns werden teils mangelnde Kenntnisse und Vorbereitung des Existenzgründers genannt. Teilweise werden aber auch Finanzierungsmängel und vorschnelle Kündigungen von Krediten ins Feld geführt. Die durchschnittliche Verschuldung von gescheiterten Selbständigen liegt bei 125.000 Euro, vgl. dazu MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 31. 89 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 14. 90 Zur Darstellung des Streits vgl. Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 35. 91 BGH NJW 2002, 368 = WM 2001, 2379; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 6; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 35; Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 26 Rn. 11; a.A. Elssner/Schirmbacher, VuR 2003, 247 ff.; Dauner-Lieb/ Dötsch, DB 2003, 1666 ff.; Vortmann, ZIP 1992, 229, 232; Krebs, DB 2002, 517 ff.; Fehrenbacher/Herr, BB 2002, 1006. 88
334
2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Verbindung mehrerer natürlicher Personen, ohne dass eine gesetzlich intendierte rechtliche Verselbständigung eingetreten ist (wie es typischerweise bei der OHG oder KG gemäß §§ 124, 123, 161 HGB der Fall wäre), kommt es für die Beurteilung der Verbrauchereigenschaft des Zusammenschlusses allein auf den konkret verfolgten Geschäftszweck an. Die GbR ist demnach als Verbraucher anzusehen, wenn das zu bewertende Geschäft rein privaten Zwecken dient.92 Der Einbeziehung der GbR in den Adressatenkreis verbraucherprivatrechtlicher Richtlinien steht auch die EuGH-Rechtsprechung nicht entgegen. Der EuGH betonte zwar, dass eine andere als eine natürliche Person nicht als Verbraucher i.S.d. Art. 2 der Klausel-Richtlinie in Betracht komme. Jedoch stellt die GbR nach deutschem Verständnis keine juristische Person dar, und es ist dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, den Verbraucherschutz über die Vorgaben der verbraucherprivatrechtlichen Richtlinien, die dem Prinzip der Mindestharmonisierung gehorchen, hinaus auszudehnen.93 bb. Der GmbH-Geschäftsführer Der mögliche gesellschaftsrechtliche Hintergrund etwaiger Personenzusammenschlüsse zwingt angesichts der notwendigen Abgrenzung des Verbrauchers vom Unternehmer gemäß §§ 13, 14 BGB zudem zu einer Überprüfung der Stellung des GmbH-Geschäftsführers.94 Dies vielleicht auch deshalb, weil ein GmbHGeschäftsführer typischerweise mehr Geschäftserfahrenheit aufbringt als ein durchschnittlicher Verbraucher und er so gesehen nicht zwingend in den Genuss von speziellen Schutzvorschriften gelangen muss. Allerdings knüpft § 13 BGB – wie eingangs dargestellt – aus Gründen der Rechtssicherheit an formale Kriterien und nicht an die konkrete Schutzbedürftigkeit der Person an, sodass das Argument schon deshalb nicht verfängt. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass der GmbH-Gesellschafter formal betrachtet nicht „Unternehmer“ ist. Denn er selbst betreibt kein ihm rechtlich zugehöriges Geschäft. Vielmehr stellt der GmbH-Geschäftsführer das Organ eines (anderen) Unternehmens dar. Bei diesem ist er nur angestellt.95 Handelt also der GmbH-Geschäftsführer lediglich in seiner Organstellung für 92
Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 26 Rn. 11; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 2; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 3; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 6; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 8; Martis, MDR 1998, 1190 f.; Pützhoven, Europäischer Verbraucherschutz im Fernabsatz (2001), S. 37; a.A. Dauner-Lieb/Dötsch, DB 2003, 1666; Mülbert, WM 2004, 905 ff. 93 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 26 Rn. 11; Mülbert, WM 2004, 905, 909. 94 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 15; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 9; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 33. 95 So ausdrücklich BGHZ 133, 71, 78 = WM 1996, 1258 = NJW 1996, 2156; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 15; Rohlfing, MDR 2007, 809; a.A. OLG Oldenburg WM 2000, 1935, 1939.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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das Unternehmen, dann wird die Abgrenzungsproblematik eigentlich nicht virulent, da das vertretene Unternehmen gemäß §§ 164 ff. BGB aus dem Geschäft selbst berechtigt und verpflichtet wird.96 In diesem Sinne wurde zutreffend entschieden, dass der GmbH-Geschäftsführer, der eine Schuld seiner Gesellschaft übernimmt oder sich für sie verbürgt, alle Verbraucherrechte ausüben darf.97 Ein GmbH-Geschäftsführer kann also Verbraucher sein, auch wenn er den Schuldbeitritt zum Kredit seiner GmbH erklärt.98 Der BGH hat diese Entscheidungsleitlinien in aktuellen Judikaten bestätigt.99 Dies gelte nicht nur, wenn der Beitretende Mehrheitsgesellschafter und Alleingeschäftsführer100 oder Hauptgesellschafter und Mitgeschäftsführer der kreditnehmenden Hauptschuldnerin ist,101 sondern auch dann, wenn es sich bei ihm um den geschäftsführenden Alleingesellschafter handele. Die gegenteilige Ansicht102 entspricht nicht der Gesetzeslage und rechtfertigt sich auch nicht aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung.103 Es fehlt nämlich an einer Gesetzeslücke. Ein Gesellschafter einer GmbH ist nach wie vor kein Kaufmann, da er nicht persönlich haftet.104 Für ihn sollten mithin auch nicht die Vorschriften für den Unternehmer, sondern die des Verbrauchers gelten. cc. Der Arbeitnehmer Abgrenzungsprobleme entstehen aber auch bei Rechtsgeschäften des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer ist unstreitig Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, wenn er Dienstleistungen oder Güter zur Ausübung seiner unselbständigen beruflichen Tätigkeit erwirbt. Nach der Rechtsprechung des BAG und Teilen der Literatur soll dies aber auch dann gelten, wenn er innerhalb des Arbeitsverhältnisses gegenüber seinem Arbeitgeber rechtsgeschäftlich auftritt.105 96
Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 33. BGHZ 165, 43 Rn. 14; BGHZ 133, 76 ff.; BGH NJW 2000, 3133; BGH ZIP 2004, 1648 f.; BGH NJW 2006, 431; BGH BB 2007, 2251; Tiedtke, JZ 2008, 452, 460; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 9; a.A. Dauner-Lieb/Dötsch, DB 2003, 1667; Kleindiek, FS Otte (2005), S. 185 ff. 98 Ebenda. 99 BGH NJW 2006, 431 = WM 2006, 81; BGH BB 2007, 2251. 100 BGHZ 133, 71, 77, 78. 101 BGHZ 144, 370, 380; BGH WM 1997, 710. 102 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 355; Kurz, NJW 1997, 1828 f.; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 33. 103 Tiedtke, JZ 2008, 452, 460. 104 Tiedtke, ebenda. 105 BAG NJW 2005, 3305, 3308; ArbG Hamburg ZGS 2003, 79; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 15; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6; Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 173, 178; Reim, DB 2002, 2434, 2437; Reinecke, DB 2002, 583, 578; Herbert/Oberrath, NJW 2005, 3745; Hümmerich, NZA 2004, 818 m.w.N.; a.A. Ring, in: DaunerLieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 13; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 44; Bauer/Kock, DB 2002, 42 f.; Bauer, NZA 2002, 169, 171; Joussen, NZA 2001, 745, 97
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
(1.) Praktische Bedeutung des Streits Relevant wird die Anwendbarkeit der Verbraucherrechte auf den Arbeitnehmer besonders in drei Fallkonstellationen: Zum einen ist bei Rechtsgeschäften gemäß § 288 II BGB, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, ein höherer Verzugszins zu zahlen. Zum anderen gewinnt diese Problematik Bedeutung bei der Frage, ob Änderungs- und Aufhebungsverträge, die dem Arbeitnehmer am Arbeitsplatz „aufgeschwatzt“ werden, nach § 312 BGB widerrufen werden können. Im Rahmen der Anwendbarkeit des AGB-Rechts ist zudem die Regelung des § 310 III BGB zu beachten. Insbesondere gelten dann die Arbeitsbedingungen gemäß § 310 III Nr. 1 BGB als vom Unternehmer „gestellt“. (2.) Argumente Für die Gleichsetzung der Begriffe Arbeitnehmer/Verbraucher kann immerhin auf den Wortlaut des § 13 BGB abgestellt werden. Denn in der vom Gesetzgeber gewählten Umschreibung ist prinzipiell auch der unselbständig tätige Arbeitnehmer mit eingeschlossen.106 Es ist insofern nicht möglich, die Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers bei Arbeits-, Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen innerhalb des Arbeitsverhältnisses schon mit dem Argument zu verneinen, dass diese Verträge nicht den Vertrieb von Gütern oder Dienstleistungen zum Inhalt haben.107 Auch das Argument, dass der Arbeitnehmer bereits durch die Sondermaterie des Arbeitsrechts geschützt werde,108 überzeugt im Regelungszusammenhang mit § 13 BGB nicht. Denn § 13 BGB ist nicht vertragstypenbezogen ausgestaltet.109 Er gilt als abstrakte, vor die Klammer gezogene Definitionsvorschrift für jedes Rechtsgeschäft eines Verbrauchers,110 auch dann, wenn es zu einer Überlappung unterschiedlich motivierter und geregelter Schutzwirkungen kommen würde. Zudem macht eine teleologische Eingrenzung des Anwendungsbereiches des § 13 BGB bezogen auf den Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber gerade deshalb keinen Sinn, da sich der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in einer vertragstypischen „rollenspezifischen“ Unterlegenheitsposition befindet.111 Gesetzeshistorisch lässt sich überdies argumentieren, dass der Gesetzgeber den 749; Löwisch, NZA 2001, 465, 466; Lingemann, NZA 2002, 181, 184; offengelassen noch von BAG NZA 2004, 600; zweifelnd K. Schmidt, JuS 2006, 5. 106 BAG NJW 2005, 3305, 3308; ArbG Hamburg ZGS 2003, 79; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 15; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 10; Herbert/Oberrath, NJW 2005, 3745 ff.; Bauer/Martin, DB 2002, 42 f.; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049 f.; Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 173, 178; Reim, DB 2002, 2434, 2437; Reinecke, DB 2002, 583, 587; Wendehorst, DStR 2000, 1311. 107 A.A. Bauer/Kock, DB 2002, 42 f. 108 So insbesondere Bauer/Kock, DB 2002, 42 f. 109 PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 10. 110 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6. 111 Boemke, BB 2002, 96 f.; Gotthard, ZIP 2002, 277 f.; Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 173, 176.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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Arbeitnehmer auch schon vor Einführung des § 13 BGB als Verbraucher betrachtete.112 Neu ist nur, dass er den Verbraucherbegriff jetzt z.B. durch die Bezugnahme in § 288 I, II BGB auch für Materien fruchtbar gemacht hat, die bisher kein spezifisches Verbraucherrecht darstellten.113 Das bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber jede Vorschrift des Verbraucherrechts auf alle Arten von Rechtsgeschäften des Arbeitnehmers hat anwenden wollen. Die Möglichkeit einer Einschränkung des Schutzes des Arbeitnehmers besteht somit auf der Ebene der spezifischen Schutzrechte.114 Eine Eingrenzung erfahren z.B. die §§ 305 ff. BGB durch § 310 III und IV BGB.115 Auch die Haustürwiderrufsregeln sollten nicht auf Arbeitsverträge erstreckt werden, da im Regelfall keine Überrumpelungssituation vorliegt, wenn am Arbeitsplatz arbeitsvertragsspezifische Abreden geschlossen werden.116 Solche Ausnahmen sind jeweils für die betreffende Art von Geschäften aus ausdrücklichen Regelungen oder der Natur des Geschäftes zu begründen.117 Insgesamt wirkt die – nicht neue – Einbeziehung des Arbeitnehmers in den Verbraucherbegriff daher weiter, als sie tatsächlich ist.118 dd. Gemischte Zwecksetzung (sog. „dual use“) Der Wortlaut des § 13 BGB enthält keinen Anhaltspunkt für die Behandlung von Fällen der gemischten Zweckbestimmung. Das bereitet gerade in den Situationen Schwierigkeiten, in denen das Handeln der natürlichen Person nicht eindeutig dem privaten oder gewerblichen Bereich zugeordnet werden kann.119 (1.) Probleme bei der Zuordnung des Handelns einer Person Die Problematik dieser Fälle soll nachfolgendes Beispiel illustrieren: Ein Rechtsanwalt kauft einen PC, um damit einerseits seinen beruflichen Aufgaben, andererseits aber auch seinen privaten Zwecken nachzugehen. Denkbar ist es, die Verbrauchereigenschaft in diesen sog. „dual use“-Fällen zu verneinen, da das Geschäft hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit nicht teilbar ist und die fehlende Schutzbedürftigkeit hinsichtlich des einen Teils auf den an112
BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6. Annuß, NJW 2002, 2844 f.; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6. 114 BAG NJW 2005, 3310; vgl. zu § 312 BAG NJW 2004, 2401; SAE 2005, 63 mit Anm. Mankowski; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 10; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 24). 115 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6. 116 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/ Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 24; Brors, ZGS 2003, 34, 36. 117 BAG NJW 2005, 3310; vgl. auch zu § 312 BAG NJW 2004, 2401; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 10. 118 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 6. 119 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 17; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 45; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 7. 113
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
deren ausstrahlt.120 In der Literatur wird hierfür z.T. geltend gemacht, dass man auf die in § 344 HGB zur Verfügung gestellte Zweifelsregelung abstellen könnte und damit das Geschäft stets dem gewerblichen oder selbständigen beruflichen Bereich zuzuordnen habe.121 Die Anwendbarkeit der Vermutungsregel ist jedoch abzulehnen, da diese zu einer unzumutbaren Beweislastverteilung zu Lasten des Verbrauchers führen würde,122 die europarechtswidrig123 wäre. §§ 13, 14 BGB bezwecken den Ausgleich vermuteter struktureller Ungleichheit und sind damit im Unterschied zu den handelsrechtlichen Regelungen gerade nicht auf Publizität und Vertrauensschutz gerichtet.124 Schon auf Grund des Fehlens einer vergleichbaren Interessenlage scheidet deshalb die analoge Anwendung des § 344 HGB aus.125 Aber auch die Gegenansicht, die bei einer dualen Zwecksetzung pauschal auf die Verbrauchereigenschaft abstellt, weil bei einem derartigen Handeln der verbraucherschützende Zweckbereich zumindest mit tangiert sei, ist abzulehnen, da man fast jede beruflich nutzbare Sache auch irgendwie privat (mit-)nutzen kann, sodass damit das Kriterium der privaten Zwecksetzung in der faktischen Anwendbarkeit die unternehmerische Zwecksetzung völlig aushöhlen könnte.126 Einzig sinnführend erscheint es, mit der h.M. die Abgrenzung danach zu vollziehen, ob das Handeln zu privaten oder zu selbständigen beruflichen Zwecken dominiert.127 Es ist bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäfts mithin das Schwergewicht der avisierten Nutzung zu ermitteln. (2.) Probleme bei der Zuordnung des Handelns mehrerer Personen Mischfälle manifestieren sich aber nicht nur, wenn eine Person aufgrund geteilter Zweckrichtung handelt, sondern auch dann, wenn mehrere Personen agieren, aber nur ein Teil von ihnen Verbraucher ist. Dazu ein Beispiel: Ein Ehepaar kauft gemeinsam ein Auto. Von ihnen ist aber nur ein Partner selbständig berufstätig und handelt beim Autokauf zu eben diesem Zweck. Hier zwingt § 13 BGB zur Anwendung des Verbraucherrechts auf den Teil der Handelnden, für 120 V. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 569, 575; Faber, ZEuP 1998, 854 ff.; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 7. 121 Faber, ZEuP 1998, 866 ff. 122 MüKo/Micklitz (5. Aufl., 2007), § 13 Rn. 34; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 14 Rn. 7. 123 Pfeiffer, NJW 1999, 173 f.; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 14 Rn. 7. 124 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 17; MüKo/Micklitz (4. Aufl., 2001), § 14 Rn. 27. 125 Ebenda. 126 OLG Oldenburg WM 1997, 813 f.; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 4; v. Westphalen, BB 1996, 2101; Schwerdtfeger, DStR 1997, 499, 500. 127 OLG Rostock OLG-NL 1994, 77; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 38; Pfeiffer, NJW 1999, 169, 173; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 17; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009) Rn. 4; Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 47; Hk-BGB/Dörner (5. Aufl., 2007), § 13 Rn. 2; Pützhoven, Europäischer Verbraucherschutz im Fernabsatz (2001), S. 42; Wendehorst, DStR 2000, 1311.
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den die Voraussetzungen vorliegen.128 Für den anderen Teil gilt das Verbraucherrecht hingegen nicht.129 Zu welchen Rechtsfolgen diese unterschiedliche Behandlung der Beteiligten führt, hängt von der Fallsituation ab. So kommt es etwa bei der Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrages dazu, dass der Vertrag insgesamt nicht gekündigt werden kann, wenn einer der Beteiligten Verbraucher ist und ihm gegenüber die Voraussetzungen für die Kündigung nicht vorliegen.130 ee. Einschaltung Dritter Nicht unproblematisch hinsichtlich der Beantwortung der Frage, ob die Verbrauchereigenschaft vorliegt oder nicht, ist zudem die Zuordnung des das Hauptgeschäft unterstützenden Handelns Dritter. (1.) Fälle der Sicherungsleistung durch Dritte Der Dritte, der für ein Nicht-Verbrauchergeschäft eine Sicherheit leistet, kann Verbraucher sein.131 Eine andere Frage ist es jedoch, ob das vom Dritten getätigte Sicherungsgeschäft dem Schutzzweck einer bestimmten verbraucherschützenden Vorschrift unterfällt.132 Der EuGH verneint diese Voraussetzung für die Verbraucherkreditrichtlinie und nimmt die Abgrenzung in zutreffender Weise nicht mehr bei der Frage der Verbrauchereigenschaft vor.133 Nachdem der BGH jüngst herausgestellt hatte, dass auch ein GmbH-Geschäftsführer als Verbraucher anzusehen ist, selbst wenn er für seine Gesellschaft eine Schuld übernimmt oder für sie bürgt,134 hat auch der für das Bürgschaftsrecht zuständige XI. Senat des BGH einige Zeit später konsequenterweise entschieden, dass das Widerrufsrecht eines Verpfänders gemäß § 312 I S. 1 BGB nicht von der Verbrauchereigenschaft des persönlichen Schuldners oder aber einer auf diesen bezogenen Haustürsituation abhängt.135 Vor diesem Hintergrund ist im Zusammenhang mit dem Haustürwiderruf von Bürgschaften nunmehr davon auszugehen, dass diese Frage in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung136 nicht mehr vom Charakter der Hauptschuld abhängig gemacht werden kann. Vielmehr ist ausschließlich darauf abzustellen, ob der Bürge Verbraucher ist und die Bürgschaftserklärung im Rahmen 128
Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 18. BGH NJW 1996, 2156; BGH NJW 1997, 654; BGH WM 2000, 1632, 1635. 130 BGH WM 2000, 1632, 1635; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 18; BaRoth/ Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 8. 131 BGH NJW 1996, 2156; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 50; a.A. noch EuGH, Urt. v. 17.3.1998, Rs. C-45/96 – Dietzinger. 132 PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 11. 133 EuGH, Urt. v. 23.3.2000, Rs. C-208/98 – Berliner Kindl Brauerei AG. 134 BGH NJW 2006, 431; zustimmend Rohlfing, MDR 2007, 809 ff. 135 BGH NJW 2006, 845. 136 BGH NJW 1998, 2356. 129
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einer Haustürsituation abgegeben wurde.137 Folglich ist auch die Rechtsprechung zur so genannten „doppelten Haustürsituation“ aufgegeben worden. Die Begründung des BGH, dass die Gefahr einer Überrumpelung in einer ungewöhnlichen räumlichen Situation unabhängig davon bestehe, ob die Hauptschuld ein Verbraucherdarlehen oder ein gewerblicher Kredit sei, überzeugt voll und ganz. (2.) Stellvertretung Auch die Vertretung ist ggf. nicht einfach bzgl. der Anwendung des § 13 BGB zu beurteilen. Ob es beim Vertretergeschäft auf den Vertreter oder den Vertretenen hinsichtlich der Anwendbarkeit der verbraucherschützenden Vorschriften ankommt, ergibt sich nicht aus § 13 BGB, sondern aus dem Schutzzweck der jeweils einschlägigen Vorschrift. Sofern diese situativ angelegt ist, wie etwa § 312 BGB, so kommt es auf den Vertreter an. I.Ü. ist die Einordnung des Vertretenen maßgeblich.138 ff. Rechtsgeschäftliches und vorvertragliches Handeln Verbraucher ist nach § 13 BGB eine natürliche Person, die außerhalb ihres Gewerbes oder ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit „Rechtsgeschäfte abschließt“. Damit ist zunächst die Vornahme von Rechtsgeschäften aller Art angesprochen. Das wichtigste und häufigste Rechtsgeschäft, das der Verbraucher vornimmt, ist der Vertragsschluss. Darauf begrenzt sich die Anwendbarkeit des § 13 BGB jedoch nicht. Der Verbraucher wird nach § 13 BGB auch dann zu schützen sein, wenn er selbst nicht rechtsgeschäftlich handelt, sondern ihm etwa eine unbestellte Ware zugesandt wird (vgl. § 241a BGB), ihm gegenüber der Eindruck einer Gewinnzusage erweckt wird (siehe § 661a BGB) oder er im Vorfeld eines Vertrages auf Informationen des Unternehmers angewiesen ist.139 Dabei ist es nur eine Frage der Konstruktion, ob man für rechtsgeschäftsähnliches und vorvertragliches Verhalten des Verbrauchers § 13 BGB analog anwendet140 oder aber, ob man darauf insistiert, dass § 13 BGB vom „Abschluss“ des Rechtsgeschäftes spricht. Darin unterscheidet sich diese Vorschrift zwar sehr fein, aber dennoch entscheidend von der üblichen Terminologie des BGB. Im BGB werden nämlich Rechtsgeschäfte vorgenommen und Verträge geschlossen, aber nicht „abgeschlossen“. Durch die Verwendung dieses aus dem FernAbsG entlehnten Begriffes will § 13 BGB andeuten, dass nicht nur die technische Vornahme des Rechtsgeschäfts oder der technische Abschluss eines Vertrages erfasst sein sollen, sondern auch das Vorfeld von Rechtsgeschäften, insbesondere ihre 137
So prognostizierend Rohlfing, MDR 2007, 809, 810; ebenso Fischer, VuR 2006, 199 ff. Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 51; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 11; a.A. wohl Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 11, der generell auf den Vertretenen und seine Schutzbedürftigkeit abstellt. 139 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 40; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 6. 140 So Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 26; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 12. 138
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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Anbahnung.141 Ohne die Anwendbarkeit des § 13 BGB hätten insbesondere die §§ 241a, 661a BGB keinen sinnvollen Anwendungsbereich.142 gg. Private Vermögensanlage Probleme wirft daneben die Einordnung der privaten Vermögensanlage auf. So stellt sich die Frage, ob und inwieweit etwa der Erwerb von Aktien oder Immobilien zur gewinnbringenden Anlage von Vermögen als privater Zweck eingeordnet werden kann. Einigkeit herrscht wohl darüber, dass die Vermögensanlage nicht grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich verbraucherprivatrechtlicher Regelungen herausfällt.143 Erwirbt ein Pensionär ein Zweifamilienhaus, um Erspartes anzulegen, so wird er durch die Vermietung der beiden Wohnungen nicht zum Unternehmer.144 Gleiches gilt bei der Verneinung einer unternehmerischen Zielsetzung aber auch dann, wenn Aktien bzw. andere Gesellschaftsanteile (etwa die einer GmbH) erworben werden. Ob eine unternehmerische Zielsetzung vorliegt, soll sich nach dem Umfang des betriebenen Geschäftes beurteilen.145 Freilich fällt es hierbei schwer, eine Rechtssicherheit gewährende Grenze festzulegen. Ausgeschlossen ist jedenfalls die pauschale Orientierung an der Höhe der Investition(en).146 Anzusetzen ist vielmehr am Kriterium des organisatorischen und zeitlichen Aufwandes, den die Verwaltung des Vermögens erfordert.147 Kommt es zur Einstellung von Angestellten, etwa eines Hausverwalters, oder richtet die natürliche Person einen Büroraum zur Vermögensverwaltung ein, spricht einiges für eine selbständig-beruflich betriebene Vermögensverwaltung. Entscheidend ist, ob die Verwaltung des Vermögens das Bild eines planmäßig betriebenen Geschäftsbetriebs vermittelt.148 5. Beweislast Bezüglich der Beweislast greift die Grundregel, dass im Streitfall die Darlegungsund Beweislast derjenige trägt, der aus den darzulegenden und zu beweisenden Umständen Rechte herleiten will. Daraus folgt, dass der Verbraucher grundsätz141 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 22; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 11. 142 Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), AnwK BGB AT Bd. I (2005), § 14 Rn. 35. 143 BGH NJW 2002, 368, 369; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 14; Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 28 Rn. 21. 144 BGH NJW 2002, 368, 369. 145 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 14. 146 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 29 Rn. 21; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 14 (anders noch in der Vorauflage). 147 BGH NJW 2002, 368, 369; OLG Frankfurt/M. ZMR 2004, 577: Verwaltung von 14 Grundstücken mit über 40 Wohnungen; Artz, JZ 2002, 457; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 14. 148 BGH NJW 2002, 368, 369; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 14; Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 29 Rn. 21.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
lich die Beweislast dafür trägt, dass auch hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 13 BGB eine Verbraucherschutzvorschrift eingreift.149 Eine Beweislastumkehr zu Gunsten der natürlichen Person ist, anders als noch in § 1 I 1 VerbrKrG a.F. („es sei denn …“), nicht vorgesehen.150 Diese Grundregel ist für den Unternehmer in der Praxis, bei der die Zweckrichtung des Verhaltens seines Vertragspartners nicht deutlich wird, allerdings wenig hilfreich. Er muss nämlich damit rechnen, dass es den natürlichen Personen, mit denen er es zu tun hat, durchaus auch gelingen wird, den Beweis der privaten Zwecksetzung zu erbringen. Rechnet der Unternehmer damit, dass der Großteil seiner Kunden in Form von natürlichen Personen das Geschäft zu privaten Zwecken tätigt, wird er diese entgegen der Beweislastverteilung aus Gründen der Praktikabilität auch als Verbraucher behandeln. Dieses Phänomen ist in jüngerer Zeit zutreffend als „praktisch überschießende Anwendung“ der Verbraucherschutzvorschriften bezeichnet worden.151 IV. Der Unternehmerbegriff Als Komplementärbegriff wurde dem „Verbraucher“ sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Zivilrecht der Begriff des „Unternehmers“ gegenüber gestellt.152 1. Der Unternehmerbegriff im supranationalen Gemeinschaftsrecht Der Begriff des Unternehmers weist mehrere Wurzeln auf. Er nähert sich aus dem Gemeinschaftsrecht153 und rekurriert daneben auf § 24 S. 1 Nr. 1 AGB-Gesetz154 Vor dem Hintergrund der gemeinschaftsrechtlichen Prägung des Verbraucherrechts soll hier vor allem der erstgenannten Wurzel nachgegangen werden.
149 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 28 Rn. 17; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 13 Rn. 4; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 20; PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 13 Rn. 13; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 10; a.A. Berger, JuS 2001, 649, 651; ders., Jura 2001, 289. 150 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 28 Rn. 17; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 10; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 13 Rn. 20; Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 53 ff. 151 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 13 Rn. 10. 152 Dazu Staudinger/Weick (2004), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 20; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2. 153 Umfassend dazu Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 74 f.; Erman/ Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 1. 154 Zu beidem vgl. Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 310 Rn.5; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2.
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a. Europarechtlicher Hintergrund des Unternehmerbegriffs Trotzdem der Begriff des Verbrauchers im deutschen Recht maßgeblich auf das Gemeinschaftsrecht zurückzuführen ist, kennt das Gemeinschaftsrecht keine einheitliche, in sich völlig kohärente Definition für den Unternehmer als Gegenpart des Verbrauchers.155 aa. Das Primärrecht als Rechtsquelle Völlig unergiebig für die Begriffsbestimmung ist das Primärrecht. bb. Das Kollisionsrecht als Rechtsquelle Rudimentäre Ansätze einer Begriffsbestimmung für den Unternehmer lassen sich auf europäischer Ebene jedoch im Kollisionsrecht ausmachen. Denn dort wird in Art. 15 I lit. c) EuGVVO im Rahmen der Definition der „Verbrauchersache“ die Voraussetzung aufgestellt, dass der Vertragspartner des Verbrauchers eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Hieraus lassen sich bereits gewisse Schlussfolgerungen für den europäischen Unternehmerbegriff ziehen.156 cc. EU-Richtlinien als Rechtsquelle Der europarechtliche Unternehmerbegriff speist sich überwiegend aus dem Richtlinienrecht.157 Allerdings ergeben sich auch hier Verschiebungen in Randbereichen, sodass die Richtlinien als Rechtsquelle nur einen Aufschluss über den Begriffskern geben. Während die Haustürgeschäfterichtlinie in Art. 2, Spiegelstrich 2 den Gewerbetreibenden „als natürliche oder juristische Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet wird“ kennzeichnet, versteht die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln hierunter leicht abweichend „eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlichen Bereich zuzurechnen ist“. Die Verbraucherkredit-Richtlinie (in alter wie in neuer Form, zur neuen RL vgl. Art. 3) stellt dem Verbraucher stattdessen den „Kreditgeber“ als natürliche oder juristische Person gegenüber, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit einen Kredit gewährt. Andere Richtlinien sprechen vom „Verkäufer“ in Form des Gewerbetreibenden, wie die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. Die ursprüngliche Teilzeitwohnrechte-Richtlinie hatte auf den Begriff des 155 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 14; Staudinger/Weick (2004), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 20. 156 Staudinger/Habermann (2004), § 14 Rn. 8. 157 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 14 Rn. 2; Staudinger/Weick (2004), Vor. §§ 13, 14 Rn. 20.
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„Verkäufers“ (von Teilzweitwohnrechten) rekurriert und verstand darunter jede natürliche oder juristische Person, die auf Grund eines Vertrages im Rahmen ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit Verbrauchsgüter verkauft bzw. jede natürliche oder juristische Person, die im Rahmen ihrer Berufsausübung durch die unter diese Richtlinie fallenden Vertragsabschlüsse das im Vertrag vorgesehene Recht begründet, überträgt oder zu übertragen sich verpflichtet. Die neue Timesharing-Richtlinie legt ganz allgemein den Begriff des Gewerbetreibenden zugrunde. In der Fernabsatz-Richtlinie wird auf den „Lieferer“ Bezug genommen. Die Pauschalreise-Richtlinie, die dem Verbraucher den „Veranstalter“ bzw. den „Vermittler“ gegenüberstellt, ist wie die Produkthaftungs-Richtlinie, in welche der Verbraucher und seine Rechte ins Verhältnis zum „Hersteller“ gesetzt werden, für die Ableitung eines gemeinschaftsrechtlichen Unternehmerbegriffes weniger nutzbringend.158 Dies gilt auch für die E-Commerce-Richtlinie, die vom „Diensteanbieter“ als Vertragspartner des Verbrauchers spricht. Die Zahlungsverzugs-Richtlinie definiert das „Unternehmen“ als jede im Rahmen ihrer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelnde Organisation, auch wenn die Tätigkeit von einer einzelnen Person ausgeübt wird. Die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher bestimmt sodann den „Anbieter“ als Gegenpol zum Verbraucher und definiert ihn als jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, die im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit Dienstleistungen auf Grund von Fernabsatzverträgen erbringt. b. Entstehen eines festen Begriffskerns für den gemeinschaftsrechtlichen Unternehmerbegriff Gemeinsam ist allen diesen Begriffen, dass der Unternehmer in seinen verschiedenen Ausprägungen als Vertragspartner des Verbrauchers durch seine Funktion bestimmt wird. Im Wesentlichen lässt er sich beschreiben als derjenige, der mit einem Verbraucher einen Vertrag zu einer gewerblichen oder sonstigen selbständigen beruflichen Tätigkeit abschließt oder abschließen möchte.159 Ähnlich legt i.Ü. der neue „Vorschlag der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“ von 2008160 den Begriffskern des Unternehmers fest, wenngleich hier von einem „Gewerbetreibenden“161 gesprochen wird. In Art. 2 II des Richtlinienvorschlags heißt es insofern: „Gewerbetreibender ist jede natürliche oder juristische Person, die bei von dieser Richtlinie erfassten Zwecken handelt, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden 158
Staudinger/Habermann (2004), § 14 Rn. 6. So auch Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005), S. 74; Staudinger/Habermann (2004), § 14 Rn. 9. 160 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 161 Der Begriff ist freilich gemeinschaftsrechtlich zu interpretieren. 159
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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können“. Aufmerksam machen sollte allerdings den deutschen Rechtsanwender der daran anschließende Passus, in dem es heißt: „ … sowie jede Person, die im Namen oder im Auftrag eines Gewerbetreibenden handelt“, denn damit wird auch der Vertreter des Unternehmers bei Ausführung des Vertretergeschäfts Gewerbetreibender/Unternehmer. 2. Der Unternehmerbegriff im nationalen Recht Im deutschen Zivilrecht fand der Unternehmerbegriff als Komplementärbegriff zu dem des Verbrauchers Eingang in § 14 BGB. Die Legaldefinition in § 14 BGB gilt für alle Regelungen, in denen der Begriff des Unternehmers in Bezug genommen wird.162 Eine Ausnahme hierzu bildet jedoch das Werkvertragsrecht, das einen besonderen Unternehmerbegriff163 verwendet.164 a. Natürliche oder juristische Person als bezogener Personenkreis Ein Unternehmer ist nach § 14 I BGB eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft. Gleiches gilt für die rechtsfähige Personengesellschaft, die in § 14 II BGB definiert wird. aa. Natürliche Personen Da nach der Regelung auch natürliche Personen Unternehmer sein können, werden hiermit auch Einzelkaufleute, Freiberufler sowie Land- und Forstwirte erfasst. bb. Juristische Personen Als juristische Personen kommen sowohl solche des privaten Rechts (AG, KGaA, GmbH, e.G., Verein, Stiftung) als auch die des öffentlichen Rechts (öffentlichrechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen) in Betracht. Für Letztere ist dies anerkannt, soweit sie privatrechtliche Verträge schließen. b. Rechtsfähige Personengesellschaft Mit der Bezugnahme auf die rechtsfähige Personengesellschaft in § 14 I und II BGB will der Gesetzgeber in erster Linie die Personenhandelsgesellschaften, namentlich die OHG und KG (vgl. §§ 124, 161 II HGB), als Unternehmer definiert sehen. Denn diese Gesellschaftsformen stellen zwar noch keine juristische Person i.S.d. § 14 I BGB dar. Sie sind dieser aber gerade durch die ihnen nach § 124 162 Siehe dazu etwa §§ 241a, 310 III, 312 ff., 355 ff., 474 ff.; 481 ff., 491 ff., 661a BGB; § 1031 V ZPO, § 414 III HGB. Nicht auf den Unternehmerbegriff verweisen die Vorschriften des Pauschalreiserechts in § 651a BGB und im FernUSG. 163 Vgl. dazu Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 1; Staudinger/Habermann (2004), § 14 Rn. 15. 164 Eine eigene Definition des Begriffs Unternehmers enthalten darüber hinaus noch § 2 UStG und § 5 GewStG.
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HGB verliehene Fähigkeit, „Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen“, weitestgehend angenähert. Aber auch die GbR kann in den Anwendungsbereich des § 14 BGB fallen. Trotzdem es an einer Parallelvorschrift zu § 124 HGB für die in §§ 705 ff. BGB geregelte Gesellschaft des bürgerlichen Rechts mangelt, ist man sich auf Grund der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes165 weitgehend einig, dass auch die GbR Unternehmereigenschaft genießen kann. Dies gilt aber nur, wenn und soweit die ausgeübte Tätigkeit der Gesellschaft auf die Wahrnehmung eines gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zweckes ausgerichtet ist.166 Bei privater Zweckrichtung des Geschäftes unterfällt sie dem Anwendungsbereich des § 13 BGB.167 c. Gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit als Zweckrichtung des Verhaltens Entscheidend für den Unternehmerstatus nach § 14 I BGB ist, dass die in Bezug genommene Person bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts „in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit“ handelt. Unter der gewerblichen Tätigkeit versteht man jede planmäßige, auf Dauer angelegte, selbständig wirtschaftliche Tätigkeit gegen Entgelt,168 wobei keine Gewinnerzielungsabsicht verlangt wird.169 Eine selbständig berufliche Tätigkeit, wenngleich keine gewerbliche, üben auch Angehörige der freien Berufe aus.170 Bereits vor dem Hintergrund, dass gemäß § 14 BGB auch ein Freiberufler Unternehmer sein kann und dass es weder auf seinen Geschäftsumfang noch auf die Eintragung im Handelsregister ankommt, divergieren die Begriffe „Unternehmer“ und „Kaufmann“ im deutschen Zivilrecht. Anders als etwa im österreichischen (Handels-)Recht171 wurden die Begriffe Unternehmer und Kaufmann nicht derart in einer neuen Reform konsolidiert, dass man im Handelsrecht – so wie von K. Schmidt seit langem gefordert172 – ganz allgemein an den Begriff des Unternehmers anknüpft.173 Nach derzeitigem Rechtsstand geht das Merkmal des Unternehmers (so wie in § 14 BGB festgeschrieben) weit über das in §§ 1 ff. HGB 165
BGHZ 146, 341, 347 = NJW 2001, 1056; BGHZ 196, 341 ff. OLG Koblenz NJOZ 2002, 2732, 2733; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 7. 167 Staudinger/Weick (2004), § 13 Rn. 35. 168 Artz, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 35 Rn. 40; Hk-BGB/Dörner (5. Aufl., 2007), § 14 Rn. 3; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 14 Rn. 6; Erman/Saenger (11. Aufl. 2004), § 14 Rn. 9 ff.; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 14 Rn. 2; Soergel/Pfeiffer (2002), § 14 Rn. 13; Rohlfing, MDR 2007, 809, 810. 169 BGH NJW 2006, 2250; zustimmend aufgenommen von Rohlfing, MDR 2007, 809, 810. 170 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 14 Rn. 15. 171 Vgl. zur Handelsrechtsreform in Österreich, bei der der Kaufmannsbegriff zugunsten des Unternehmerbegriffs aufgegeben wurde, Dehn/Krejci, Das neue UGB (3. Aufl., 2008). 172 K. Schmidt, Handelsrecht (6. Aufl., 2008), § 4, S. 79 f. 173 Zum Handelsrechtsreformgesetz von 1998 und seine Auswirkungen auf die Schaffung des Unternehmerbegriffs vgl. Staudinger/Weick (2004), Vor. zu §§ 13, 14 Rn. 21. 166
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statuierte Modell hinaus, welches die Freiberufler ausklammert und i.Ü. an einen entsprechenden Geschäftsumfang für die Kaufmannseigenschaft anknüpft (vgl. § 1 II HGB), ansonsten aber jedenfalls die Eintragung ins Handelsregister erfordert.174 Auch die Gewinnerzielungsabsicht ist für den handelsrechtlichen Kaufmannsbegriff konstitutiv, für § 14 BGB ist sie es nicht.175 d. Beurteilungsmaßstab Wie die Einordnung als Verbraucherhandeln hängt auch die Qualifikation des Unternehmerverhaltens entscheidend von der Zweckrichtung ab. Aus Verkehrsschutzgründen (§§ 133, 157 BGB) kommt es bei der Klassifizierung des Verhaltens (genauso wie beim Verbraucherhandeln) nicht auf den inneren Willen des Beteiligten, sondern auf die objektiv zu bestimmende Qualität des Verhaltens an. Die Beweislast für die Unternehmereigenschaft seines Vertragspartners trägt der Verbraucher, da er sich auf die Geltung ihn privilegierender verbraucherprivatrechtlicher Sonderregelungen beruft.176
B. Allgemein verwendete Instrumente des Verbraucherschutzes Im Anschluss an das Eingehen auf die zentralen Begriffe des Verbrauchers und des Unternehmers sollen nun (ebenfalls „vor die Klammer gezogen“) allgemeine Instrumente des Verbraucherschutzes dargestellt werden, die in fast allen Regelungsbereichen, die verbraucherrechtliches Gedankengut aufweisen, zur Anwendung gelangen. Besonders bedeutsam sind hier etwa das Transparenzgebot und die Pflicht zur Vorabinformation, aber auch das Widerrufsrecht des Verbrauchers. I. Transparenzgebot und die Pflicht zur Vorabinformation Ein häufiger gemeinsamer Aspekt verbraucherschützender Vorschriften ist die Statuierung der Obliegenheit des Vertragspartners zu einer für den Kunden transparenten Vertragsgestaltung und -abwicklung. Sie ist für das gesamte Verbraucherprivatrecht essentiell. Denn der Kunde muss wissen, worauf er sich einlässt, um (auch materiell und nicht nur formell) eine privatautonome Entscheidung treffen zu können. Durchschaubare Informationen in ausreichender An174 Soergel/Pfeiffer (2002), § 14 Rn. 7; Pfeiffer, NJW 1999, 169 ff.; BaRoth/SchmidtRäntsch (2. Aufl., 2007), § 14 Rn. 6; Gärtner, BB 1995, 1735. 175 BGH v. 29.3.2006 – VIII ZR 173/05 = MDR 2006, 1271 = NJW 2006, 2250, ebenso Rohlfing, MDR 2007, 809, 810. 176 OLG Celle NJW-RR 2004, 1645, 1646; LG Hof VuR 2004, 109; Artz, in: Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 36 Rn. 42.
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zahl über die wesentlichen Faktoren im Zusammenhang mit dem Vertrag bieten den einfachsten Weg zur Herstellung einer optimalen Entscheidungsgrundlage auf Seiten des Verbrauchers. Diesem Ziel dienen das Transparenzgebot und die Verpflichtung des Unternehmers zur Abgabe diverser Vorabinformationen.177 In zeitliche Relation gebracht, betreffen beide Instrumente – Transparenzgebot und Vorabinformation – den Bereich des „vorvertraglichen Verbraucherschutzes“. Dabei sind sie auf den Abbau (und nicht die völlige Beseitigung!)178 der bestehenden „Informationsasymmetrie“ gerichtet. Diese Klarstellung scheint an dieser Stelle notwendig zu sein. Denn soll das der Privatautonomie immanente Prinzip der individuellen Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung nicht völlig aufgegeben werden, kann es keine vollständige Informationsparität zwischen den Parteien geben.179 Sie ist unter dieser Prämisse auch gar nicht erstrebenswert. Eine etwaige Verpflichtung des Anbieters, sämtliche ihm verfügbare Informationen an seinen Vertragspartner weiterzugeben, würde ihn jedes Verhandlungsvorteils berauben und letztlich den Anreiz zur Geschäftstätigkeit stören. Sichergestellt werden muss daher nur ein „angemessener Informationsaustausch“.180 Die Forderungen nach mehr Transparenz und Information entspringen dem sog. „Choice-Ansatz“ des Verbraucherschutzes.181 Dieser Aspekt hat in den letzten Jahren nicht zuletzt auf Grund der Richtlinientätigkeit der europäischen Union an Bedeutung gewonnen.182 So räumte die Europäische Kommission dem Verbraucherschutz mittels Verbraucherinformation in ihren „Verbraucherpolitischen Prioritäten 1996–1999“183 den ersten Rang ein. Legitimiert ist ihre hierauf bezogene Tätigkeit durch Art. 169 AEUV (früher: Art. 153 EGV), der primärrechtlich ein „Informationsgrundrecht“184 des Verbrauchers statuiert.185 Im „Vorschlag einer Richtlinie über Rechte der Verbraucher“ von 2008186 sind erstmals allgemeine Informationspflichten (in konsolidierter Form) den weiteren materiell-rechtlichen Vorgaben in Kapitel II Art. 5–7 für die neu geregelten ver177
So ausdrücklich Zerres, JA 2002, 166, 169. Eine völlige Parität wird nie erreichbar sein, vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt zur gewandelten Sichtweise von der Privatautonomie. 179 Zutreffend Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 187. 180 Kemper, Verbraucherinstrumente (1994), S. 187. 181 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 8; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1137; Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7; Micklitz/Reich/ Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 21 ff.; Struck, JA 2004, 68, 71. 182 Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2213. 183 KOM (1995), 519 endg., abgedruckt in: Brunner/Rehbinder/Stauder (Hrsg.), Jahrbuch des Schweizer Konsumentenrechts (1996), S. 632–640. 184 Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999), S. 272 „zentrales Grundrecht des Verbrauchers“; vgl. auch Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 216. 185 Zur Problematik des Informationsmodells vgl. die ausführliche Darstellung im 1. Teil, 2. Kapitel E I 3 und 1. Teil, 6. Kapitel D II. 186 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 178
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schiedenen Richtlinienbereiche vorangestellt worden, was zu begrüßen ist, da dies die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts erhöht.187 1. Transparenzgebot Das Gebot der „Transparenz“ ist in rechtlicher Hinsicht nicht einfach handhabbar. Es handelt sich hier um einen schillernden Rechtsbegriff, der sich oft zwischen den Kategorien der Auslegung sowie der Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle von vertraglichen Bestimmungen bewegt.188 Es geht hier um Informationen, die dem Verbraucher derart zur Verfügung gestellt werden sollen, dass sie in seine Bewertung bei einer Kauf- bzw. sonstigen Entscheidung mit einfließen können. Unabhängig davon, dass Untersuchungen gezeigt haben, dass die Informationseffizienz bei derselben Information zwischen den Geschlechtern, den Altersstufen und den sozialen Schichten schwankt, dass dabei auch das in Bezug genommene Produkt eine Rolle spielt189 und es somit keinen einheitlichen Informationsassimilanten gibt, soll hier die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit der Beförderung der Verbraucherentscheidung durch Information nicht generell in Frage gestellt werden. Dies ist die Voraussetzung dafür, sich nun im weiteren Gedanken über die Transparenz der zur Verfügung zu stellenden Information machen zu können. a. Allgemeines Inhaltlich statuiert das Transparenzgebot die Verpflichtung des (potentiellen) Vertragspartners, das umworbene eigene Produkt sowie die Rechte und Pflichten der anderen Partei durch entsprechende Informationen möglichst klar und verständlich zu beschreiben.190 Jegliche Irreführung des anderen Teils ist danach zu vermeiden.191 Durch dieses Gebot soll sichergestellt werden, dass der Vertrag und die zu ihm hinführenden Informationen so abgefasst werden, dass sie zumindest ein durchschnittlich gebildeter Kunde geistig „hintersteigen“ und damit in all seinem Für und Wider abwägen kann.192 Dieser Umstand ist Voraussetzung zur Vermeidung einer inhaltlichen Benachteiligung des Vertragspartners.193 187
Dazu in Bezug auf das Vollharmonisierungskonzept kritisch Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 485. 188 Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211. 189 Zum Ganzen siehe Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 267 ff. m.w.N. 190 BGHZ 106, 49 ff.; BGH NJW 2000, 651; BGH NJW 2001, 2014, 2016; Wolf, in: Wolf/ Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), § 307 Rn. 237; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 307 Rn. 16. 191 BGHZ 106, 42, 49; BGHZ 108, 52, 57; BGHZ 115, 177, 185; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/ Ring (Hrsg.), Das neue Schuldrecht (2002), § 6 Rn. 31, S. 197. 192 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 286; Lindacher, in: Wolf//Horn/Lindacher (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), § 307 Rn. 235; Köndgen, NJW 1989, 946 f., 952. 193 Dorndorf/Däubler, in: Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert (Hrsg.), AGB-Kontrolle im
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Die transparente Information/Vertragsgestaltung ist für den Vertragspartner zum einen für die Rechtswahrung beim Vertragsschluss, zum anderen aber auch im Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung von Bedeutung: Liegt eine Intransparenz beim Vertragsschluss vor, kann dies dem Vertragspartner die Möglichkeit nehmen, den Vertrag sachgerecht zu beurteilen.194 Dadurch werden ihm der Marktvergleich und die Wahrnehmung von Ausweichmöglichkeiten erschwert. Es kommt hier zur Gefahr einer „Vereitelung von Marktchancen“, die an sich benachteiligende Wirkung entfaltet.195 Zum anderen kann die Unklarheit im Rahmen der Vertragsdurchführung zu einer Erschwerung der Rechtswahrnehmung durch den Vertragspartner führen. Eine unklare vertragliche Klausel begründet immer die abstrakte Gefahr, dass der Vertragspartner im Konfliktfall seine Rechte und Pflichten falsch einschätzt oder aus anderen Gründen nicht zweckmäßig durchsetzt. Damit wird er veranlasst, „vor scheinbaren Rechten des Verwenders zu kapitulieren“.196 Das Postulat der transparenten Vertragsgestaltung zielt gerade zur Wahrung der Markt- und Rechtsdurchsetzungschancen des potentiellen Vertragspartners auf weit mehr als die bloße Offenlegung der vertraglichen Basisinformationen, diese sind bereits für die Vertragsart und die vertragliche Einigung unerlässlich. Das Transparenzgebot ist darauf gerichtet, dass die einschlägigen Vertragsparameter jenseits der Frage eines wirksamen Vertragsschlusses durch entsprechende Willenserklärungen auch nach Inhalt, Ausmaß und Form so zu präsentieren sind, dass es dem anderen Vertragsteil tatsächlich möglich ist, die gesamten Umstände des Vertrages abzuwägen. Das Gebot zur transparenten Vertragsgestaltung wurde und wird – auch jenseits der verbraucherrechtlichen Verfestigung – als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstanden, weil einfache Informationsangebote, die aus § 242 BGB herrühren können, allein nicht sicherstellen, dass die erforderlichen Informationen in übersichtlicher Weise angeboten werden. So kann beispielsweise die Gefahr bestehen, dass Informationsangebote mit zusätzlichen, überflüssigen Angaben überfrachtet und dadurch unverständlich werden. Gleiches gilt für den Umstand, dass Fakten in einer für den Laien nicht verständlichen Fremd-, weil Fachsprache präsentiert werden.197 Dabei ist die Intransparenz von Vertragsbestimmungen nach der gesetzgeberischen Konzeption bereits per se, ohne Hinzutreten einer inhaltlichen Benachteiligung (schon wegen des Arbeitsrecht (2. Aufl., 2008), § 307 Rn. 146; vgl. auch den Ansatz von Singer, Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen (2007), S. 19: Legitimation durch Verfahren. 194 BGHZ NJW 1989, 582, 583. 195 OLG Celle NJW-RR 1995, 1113; Dorndorf/Däubler, in: AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht (2. Aufl., 2008), § 307 Rn. 147, 150; Köndgen, NJW 1989, 943, 950; Heinrichs, FS Trikner (1995), S. 157, 163. 196 Dorndorf/Bonin, in: Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert: AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht (2. Aufl., 2008), § 307 Rn. 148; Koller, FS Steindorff (1990), S. 667 ff. 197 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 205.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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entsprechenden Gefährdungspotentials), ein selbständiges Merkmal der unangemessenen Vertragsgestaltung.198 Eine geltungserhaltende Reduktion einer intransparenten Regelung, die vielleicht inhaltlich gar nicht benachteiligend wirkt, kommt daher nicht in Betracht.199 Nur auf diese Weise lässt sich der notwendige Druck zur transparenten, den Konsumenten nicht in die Irre führenden Vertragsgestaltung wirklich herstellen. Um dem Transparenzgebot zum Durchbruch zu verhelfen, ist es freilich wichtig, es juristisch handhabbar zu machen. Insofern ist die Frage zu beantworten, wann eine Information oder Vertragsgestaltungsform transparent bzw. intransparent ist. Hier nun muss sich die Rechtswissenschaft interdisziplinär mit der Sprachwissenschaft verzahnen, denn genau hier ist sie auf deren Erkenntnisse angewiesen. In der Sprachwissenschaft werden seit langem Texte im Hinblick auf ihre Verständlichkeit für den durchschnittlichen Leser analysiert. Bekannt sind etwa die umfangreichen Studien, die die Verständlichkeit von Beipackzetteln untersuchten und damit auch die Effektivität der „Verbraucherinformation“ testeten.200 Als wesentliche Gründe für die Unverständlichkeit/Intransparenz der dort gegebenen Informationen wurden etwa genannt: die Verwendung von Fach- und Fremdwörtern (97 %), die Textkomplexität (46 %), die schlechte Gliederung (19 %) und die kleine Schrift (30 %).201 Damit sind einige wichtige Parameter genannt, die bei der transparenten Verbraucherinformation/Vertragsgestaltung eine Rolle spielen. Diese wurden auch bereits im rechtswissenschaftlichen Schrifttum, etwa in Bezug auf die notwendige Reform von Verbraucherwiderrufsbelehrungstexten und anderen Informationspflichten, nutzbar gemacht.202 Eine auf amerikanischen Ergebnissen basierende Formel bezieht zudem Satzund Wortlängen sowie die Anzahl von Präpositionen zur Bestimmung der Textkomplexität mit ein.203 Hieraus errechnet sich sodann der genannte MCM-Wert.
198 BGHZ 136, 394, 401; BGH NJW 1998, 2059, 2061; 2000, 651, 652; Micklitz, in: Kothe/ Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann, Das neue Schuldrecht – Kompaktkommentar (2003), § 307 Rn. 2 a.E; a.A. Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 307 Rn. 330; differenzierend Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 286, der geltend macht, dass eine gesonderte Feststellung der inhaltlichen unangemessenen Benachteiligung entbehrlich ist, weil hierfür bei formaler Intransparenz jedenfalls eine unwiderlegliche Vermutung spricht. 199 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 306 Rn. 592 ff. 200 Hohgräwe, Verständlichkeit von Instruktionstexten und das Informationsverhalten von Arzneimittelverbrauchern (1988). 201 Hohgräwe, ebenda; Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 270. 202 Verdienstvoll insoweit Brönneke, Widerrufsrecht und Belehrungspflichten (2009), S. 50 ff. 203 Beschreibend: Friedrichs, Produkthaftung und Verbraucherinformation bei Arzneimitteln, Dipl.-Arbeit – Fachbereich Gesellschaftswissenschaften – der Bergischen Universität Wuppertal (1987); Hohgräwe, Verständlichkeit von Instruktionstexten und das Infor-
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Dieser differenziert in fünf Verständlichkeitsstufen, wobei die nachfolgende Tabelle der Veranschaulichung der MCM-Werte dient:204 MCM-Wert
Charakteristik
Beispiel
bis 5 über 5–10 über 10–15 über 15–20 über 20
äußerst schwer schwer anspruchsvoll normal einfach
manche wissenschaftliche Abhandlung Gesetzestexte, Fachliteratur Spiegel; Hesse: Steppenwolf Sachbuch, Tageszeitung Regenbogenpresse, Unterhaltungsliteratur
Die soeben dargestellten, auf Grund der Erkenntnisse aus der Sprachwissenschaft herausgearbeiteten Verständlichkeitsstufen, ließen sich auf Mitteilungen/ Texte, die der Verbraucherinformation dienen und für die das Transparenzpostulat gilt, nicht nur für den Bereich der medizinischen Instruktionshaftung („Beipackzettel“) nutzbar machen. Sie ließen sich mühelos auf alle Sachverhalte übertragen, für die der Gesetzgeber eine transparente Mitteilung/Vertragsgestaltung fordert. Vorzugswürdig wäre insoweit, eine Mitteilung bzw. einen Text nur dann als transparent anzusehen, wenn er den MCM-Wert „normal“ aufweist. In jedem Fall ist auf Grund des MCM-Wertes ein verlässliches, wissenschaftlich fundiertes Raster gegeben, um die Verbraucherinformation auf ihre Verständlichkeit zu überprüfen. Dieses könnte zum einen in der Konstellation, in der der Verbraucher die Intransparenz der Information/Vertragsgestaltung inzident gerichtlich feststellen lässt, angelegt werden (Individualklage). Zum Zweiten ist es aber auch möglich, dass anspruchsberechtigte Stellen i.S.v. § 3 UKlaG massenhaft verwendete intransparente Verbraucherinformationen/ Vertragsgestaltungen gerichtlich überprüfen und mit einem Unterlassungsanspruch belegen lassen, vgl. § 2 UKlaG. Dieses Vorgehen hätte den Vorteil, dass es eine gewisse Breitenwirkung erzeugt und damit dem Transparenzgebot auch in der Rechtspraxis zum Durchbruch verhilft. b. Gesetzgeberische Konzeption Untersucht man die gesetzgeberische Konzeption des Postulats zur transparenten Vertragsgestaltung, so hat dieses vielfältige Facetten. Bekanntlich betrifft es auch keine neuzeitliche Erfindung.205 Es entspringt vielmehr einer alten, ehrenvollen Rechtstradition, die in unserer Informationsgesellschaft, in der es zuweimationsverhalten von Arzneimittelverbrauchern (1988), S. 43; Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 273. 204 Vgl. dazu Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 273; Friedrichs, ebenda, S. 93; Hohgräwe, ebenda, S. 43. 205 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 285 Rn. 560.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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len (wenn nicht ständig!) zu Reizüberflutungen206 und Nicht- bzw. Fehlinformationen kommt, auch tatsächlich an Bedeutung gewonnen hat. Inhaltlich steht seine Entwicklung in einem engen Zusammenhang mit der Unklarheitenregelung im Bereich des AGB-Rechts. Und diese fußt bekanntlich auf römisch-rechtlichen Vorbildern.207 Der Grundsatz der Auslegung unklarer Vertragsbedingungen zu Lasten des Klauselverwenders wurde im Zusammenhang mit AGB im deutsch-rechtlichen Raum erstmals vom Reichsgericht revitalisiert und zunächst vor allem auf Versicherungsverträge208 angewendet. Er wurde als gewohnheitsrechtlich anerkannte „interpretatio contra assecuratorem“ konkretisiert.209 Später fand dieser Gedanke Eingang in die AGB-Rechtsprechung des BGH.210 Auf Gemeinschaftsebene wurde die Transparenzrechtsprechung für derart richtungweisend gehalten, dass ein Transparenzgebot nach deutschem Vorbild211 in Art. 4 II und V 1, 5 der Klausel-Richtlinie zu missbräuchlichen AGB übernommen wurde. Während das Transparenzgebot in Deutschland bis in die frühen 90–iger Jahre als eine Entwicklung des Versicherungs- und Bankvertragsrechts gelten konnte, 212 die im allgemeinen Zivilrecht nur eine untergeordnete Rolle spielte, ist mittlerweile – auch auf Grund der Umsetzung der KlauselRichtlinie – dieses Postulat in den Mittelpunkt des rechtswissenschaftlichen Interesses gerückt.213 Das angesprochene Gebot basiert auf dem Gedanken, dass Vertragsbedingungen bezogen auf den durchschnittlichen Verwender/resp. Verbraucher so klar und verständlich darzulegen sind, dass die wirtschaftlichen Belastungen und 206 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung (1995), S. 18; Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 266. Auch bzgl. der europäisch geprägten Verbraucherinformationspflichten spricht man vielfältig von einem „information overkill“, vgl. dazu etwa Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 14; Nordhausen Scholes, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 213, 214. 207 Bekannt ist etwa die Digestenstelle Celsus D. 34, 5, 26: „Cum queritur in stipulatione, quid acti sit, ambiquitas contra stipulatorem est.“ Sie gehörte schon lange vor dem Inkrafttreten des AGB-Gesetzes zum Standardrepertoire der zivilrechtlichen Rechtsprechung, vgl. etwa RGZ 120, 18, 20; 142, 353, 356; BGHZ 5, 111, 115; 47, 207, 216; 106, 42, 49; 108, 52, 57; 115, 177, 185; OLG Stuttgart, VersR 1999, 832, 833; LG Köln WM 2001, 1946, 1947. 208 Basedow, VersR 1999, 1045. 209 St. Rspr. seit ROHG 4, 59, 60; RGZ 10, 158, 160; RGZ 18, 142, 144. 210 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 2. Kapitel B II. 211 Siehe hierzu die ausdrückliche Bezugnahme in der Stellungnahme des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz v. 28.2.1991 für den Ausschuss für Recht und Bürgerrechte zu dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (KOM (1990) 322 endg./2 – C3– 0319/90 – SYN 285), PE 146 243/endg. S. 4 sowie im Bericht des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte zu dem Kommissionsvorschlag v. 9.4.1991, PE 145 256/endg. S. 22. 212 vgl. dazu Ausführungen von Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2214. 213 Nachweise bei Staudinger, WM 1999, 1546, 1549 ff.; vgl. auch Monographie von Kreienbaum, Transparenz und AGB-Gesetz (1998).
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Nachteile so transparent sind, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann.214 Erforderlich ist also eine Produkt-, Vertragsabschluss- und -abwicklungsklarheit. Denn es geht in jedem Fall um die Realisierung einer aufgeklärten Einwilligung („consentment éclaire“215), die voraussetzt, dass die entscheidungserheblichen Informationen in ausreichender Deutlichkeit zur Verfügung stehen.216 Bei der Prüfung hinreichender Transparenz – gerade im Rahmen der AGBKontrolle, aber nicht nur hier – ist auf den Verständnishorizont und die Erwartungen eines typischerweise bei der betreffenden Vertragsart zu erwartenden Kunden abzustellen.217 Bei der Ermittlung der Erkenntnismöglichkeit des durchschnittlichen Verbrauchers tut sich natürlich – ebenso wie im Werberecht218 – die Frage nach dem zu Grunde liegenden Verbraucherleitbild auf. Abzustellen ist hier wohl auf den Durchschnittsverbraucher.219 c. Einzelne gesetzliche Ausformungen Der Transparenzgedanke kommt in Deutschland in vielen einzelnen Vorschriften, die ihre Wurzeln zum Großteil im europäischen Sekundärrecht 220 finden, zum Ausdruck. aa. Allgemeine Geschäftsbedingungen Im Bereich des AGB-Rechts ist das Transparenzgebot bereits seit langem als tragendes Prinzip verankert,221 wobei es seine Anfänge in der Rechtsprechung zu §§ 242, 138 BGB findet,222 daneben aber auch in den Vorgaben der Klausel-Richtlinie gemäß Art. 4 und 5,223 die für Verbraucherverträge Geltung beanspruchen. 214 Brandner, FS Locher (1990), S. 317, 319; Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 307 Rn. 325; BGH ZIP 2001, 1052, 1054; BGH ZIP 2001, 1061, 1062. 215 Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2215. 216 Reifner, VuR 2004, 130, 131. 217 BGHZ 112, 115; 116, 1, 7; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 307 Rn. 19; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 288; Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 307 Rn. 344. 218 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel E I und 1. Teil, 6. Kapitel C. 219 Herausgearbeitet namentlich für Versicherungsverträge, vgl. Präve, VersR 2000, 138, 140. 220 Zum Transparenzerfordernis in dem neuen Vorschlag einer Richtlinie für Verbraucher siehe Nordhausen Scholes, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 213, 234 f. 221 Köndgen, NJW 1989, 946; Heinrich, FS Trinkner (1995), S. 157 ff.; a.A. Benedict, NJW 2000, 191. 222 Grundlegend BGH NJW 1989, 222; BGH NJW 1989, 582; zum Zusammenhang der Bewertungsmaßstäbe von §§ 242, 238 BGB sowie dem Treu und Glaubens Grundsatz in Art. 3 der Klauselrichtlinie mit § 9 AGB a.F. § 307 I 2 BGB vgl. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), § 307 Rn. 1 ff. 223 „Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein“,
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Bei der Umsetzung der Klausel-Richtlinie konnte davon abgesehen werden, das Transparenzgebot in § 24a AGB-Gesetz oder an anderer Stelle des Gesetzes ausdrücklich zu normieren, weil es bereits zu den gültigen Kriterien der Kontrolle nach § 9 AGB-Gesetz gehörte.224 Die Richtlinienkonformität des Zustandes war jedoch nicht unbestritten. Vor allem ein Urteil des EuGH vom 10.5.2001 verdeutlichte den Handlungsbedarf.225 Im Hinblick auf die Klausel-Richtlinie 93/13/ EWG postulierte der EuGH in dieser Entscheidung eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur klaren und eindeutigen Umsetzung durch entsprechende Vorschriften, eine etwaige nationale Rechtsprechung genüge nicht. Den Anforderungen der Klausel-Richtlinie hat der Gesetzgeber mit der neuen Bestimmung des § 307 I 2 BGB entsprochen.226 (1.) § 307 I 2 BGB als Grundlagennorm Gemäß den AGB-rechtlichen Vorgaben gehört es zur Pflicht des AGB-Verwenders, die Rechte und Pflichten des Vertragspartners durch eine entsprechend transparente Ausgestaltung und geeignete Formulierung der Vertragsbedingungen durchschaubar, richtig, bestimmt und möglichst klar227 darzustellen.228 Bereits im früheren AGB-Gesetz wurde das Transparenzgebot breitflächig in die Generalklausel des § 9 I AGB-Gesetz hineingelesen.229 Die Unangemessenheit der AGB konnte sich danach aus ihrer unklaren oder unübersichtlichen Ausgestaltung oder daraus ergeben, dass der Verwender seiner Informationsfunktion bei Vorformulierung der Klauseln nicht nachkommt, indem er den Kunden über dessen vertragliche Rechte und Pflichten im Unklaren lässt oder irreführt.230 Durch die ausdrückliche Aufnahme des Transparenzgebotes in § 307 I 2 BGB wurde diese Rechtsprechung231 durch den Gesetzgeber kodifiziert. Von der Literatur wird die explizite Anerkennung des Transparenzgebotes durch Einarsiehe auch den Erwägungsgrund 20; vgl. dazu auch die Ausführungen von Stoffels, AGBRecht (2003), S. 285. 224 Vgl. hierzu die Begründung des RegE BT-Drucks. 13/2713, S. 6; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 285; Ulmer, EuZW 1993, 337, 344; Brandner, MDR 1997, 313; kritisch Staudinger, WM 1999, 1546 ff.; Leible, EuZW 2001, 439. 225 EuGH, Urt. v. 10.5.2001, Rs. C-144/99 – Kommission/Niederlande. 226 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 286. 227 BGHZ 106, 42, 49 f.; BGHZ 112, 115, 116 ff.; BGH NJW 1991, 1889; BGH NJW 1992, 1097, 1098; BGH NJW 1993, 3261, 3262; BGH NJW 1995, 2286 ff.; BGH NJW 1997, 1068; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 285; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 58. 228 Zu Einzelheiten vgl. die Darstellungen zu AGB im 2. Teil, 2. Kapitel B II. 229 BGHZ 97, 65, 73; BGH NJW 1984, 171, 172 f.; BGH NJW 1886, 1887. 230 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 59. 231 BGHZ 104, 82, 92; BGHZ 106, 42, 47; BGHZ 106, 259, 164; BGHZ 108, 52, 57; BGHZ 115, 178, 185; BGH NJW 2000, 651.
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beitung ins Gesetz begrüßt. Sie wurde schon seit langem gefordert,232 auch weil es nach der Rechtsprechung des EuGH einer expliziten Regelung bedurfte. Der EuGH stellte insoweit fest, dass die bloße Anwendung des Transparenzgebots durch die Rechtsprechung ohne gesetzgeberische Verankerung der Umsetzung der Klausel-Richtlinie nicht genügt.233 (2.) Weitere Ausformungen des Transparenzgebotes in den §§ 305 ff. BGB Von der Berücksichtigung des Transparenzgebotes im Rahmen der Inhaltskontrolle abgesehen, hat das Postulat seinen gesetzlichen Niederschlag bereits in der Obliegenheit des Verwenders nach § 2 I Nr. 2 AGB-Gesetz (§ 305 II Nr. 2 BGB) gefunden, wonach dem Kunden bei Vertragsschluss die Möglichkeit der zumutbaren Kenntnisnahme zu verschaffen ist.234 In gleichem Zusammenhang ist aber auch das nach § 3 AGB-Gesetz (§ 305c I BGB) statuierte Einbeziehungshindernis bei „überraschenden Klauseln“ zu sehen.235 Bei der Auslegung der AGB nach § 5 AGB-Gesetz (§ 305c II BGB) wird zudem im Individualfall jede für den Vertragspartner nachteilige Zweitbedeutung, die sich aus einer Mehrdeutigkeit des formulierten Textes ergibt, ausgeschaltet, während im Verbandsprozess eine Unklarheit dazu führt, dass eine zur Prüfung anstehende Klausel in der „kundenfeindlichsten Bedeutung“ der Inhaltskontrolle unterzogen und gegebenenfalls verboten wird.236 Selbst das über § 6 AGB-Gesetz, § 306 BGB herleitbare Verbot der geltungserhaltenden Reduktion einer unwirksamen AGB-Bestimmung237 bezweckt eine klare und verständliche Information des Vertragspartners über den Vertragsinhalt durch den Klauseltext und stellt daher eine Erscheinungsform des Transparenzgebots dar.238 Schließlich liegt auch der Grund mehrerer expliziter Klauselverbote in dem Mangel an Transparenz der jeweiligen Bestimmungen. Dies trifft z.B. zu für § 10 Nr. 1 und 2 AGB-Gesetz (§ 308 Nr. 1 und 2 BGB: Unbestimmtheit bei Annahme-, Leistungs- und Nachfrist), § 11 Nr. 13a AGB-Gesetz (§ 309 Nr. 10 BGB: ungenügende Konkretisierung bei Wechsel des Vertragspartners), § 11 Nr. 10b AGB-Gesetz (§ 309 Nr. 8b BGB: Irreführungsverbot durch unvollständige Angabe der Rechte im Gewährleistungsfall).239 232
Staudinger, WM 1999, 1546, 1550 ff.; Micklitz, in: Lehofer/Mayer (Hrsg.), Geschäftsbedingungen in Österreich und in der Europäischen Union (1998), S. 9 ff., 35 233 EuGH, Urt. v. 10.5.2001, Rs. C-144/99 – Kommission/Niederlande. 234 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 285. 235 Ebenda und Dorndorf/Däubler, in: Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert: AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht (2. Aufl., 2008), § 307 Rn. 142. 236 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 52; Dorndorf/Bonin, in: Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert: AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht (2. Aufl., 2008), § 307 Rn. 142. 237 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 306 Rn. 592 ff. 238 Ebenda; so auch OLG Koblenz WM 1984, 1259. 239 Dorndorf/Bonin, in: Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert: AGB-Kontrolle im Arbeits-
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bb. Besondere Vertriebsformen und Vertragsarten Die Pflicht zu einer klaren und durchschaubaren Vertragsgestaltung hat ferner jenseits des AGB-Rechts bei den verschiedenen Vertriebsformen und Vertragsarten einen gesonderten gesetzlichen Niederschlag gefunden. So muss etwa der Unternehmer, der seine Produkte über Fernabsatzverträge vertreibt, gemäß § 312c I 1 BGB über die in § 246 § 1 I 1 Nr. 1–12 EGBGB genannten Umstände „klar und verständlich“ informieren. Auch im Zusammenhang mit dem elektronischen Geschäftsverkehr besteht die Pflicht des Unternehmers, die einschlägigen in Art. 246 § 3 Nr. 1–5 EGBGB beschriebenen Informationen nicht nur rechtzeitig zu erteilen, sondern auch „klar und verständlich“ wiederzugeben (vgl. § 312e I Nr. 2 BGB). Hinsichtlich der durch eine Vorschrift eingeräumten Widerrufsmöglichkeit muss der Unternehmer den Verbraucher gemäß § 360 I 1 BGB zudem durch eine „deutlich“ gestaltete Widerrufsbelehrung informieren. Möglich ist hier die Benutzung eines Musters zur Widerrufsbelehrung, § 360 II BGB. Das Transparenzgebot gilt auch für das eingeräumte Rückgaberecht und die diesbezügliche Belehrung, § 360 II BGB. Selbst der mit einem Verbraucher schriftlich zu fixierende Darlehensvertrag muss aus Transparenzgründen bestimmte Angaben (§ 492 I, II BGB i.V.m. § 247 §§ 6–13 EGBGB) enthalten. Hierauf verweisen auch die Vorschriften für den Zahlungsaufschub und sonstige Finanzierungshilfen (§§ 506 I, 507 II 1 BGB). Beim Verbrauchsgüterkauf hat die abgegebene Garantieerklärung speziell für den Verbraucher „einfach und verständlich zu sein“ (§ 477 I BGB) und inhaltlich die von § 477 I Nr. 1–2 BGB bestimmten Informationen zu umfassen. Ein Prospekt, der von einem Unternehmer zum Vertrieb eines Timesharing-Produkts verwendet wird, ist gemäß § 483 I BGB in einer der Amtssprachen der Gemeinschaft abzufassen, wobei die Informationspflichten nach § 482 I BGB i.V.m. Art. 242 § 1 EGBGB zu beachten sind. Außerdem ist für diesen Vertrag aus Gründen der Transparenz in § 484 BGB die Einhaltung der Schriftform vorgeschrieben. § 482 I 2 BGB schreibt für den Timesharing-Vertrag explizit vor, dass die dem Verbraucher in Textform zur Verfügung zu stellenden Informationen „klar und verständlich“ sein müssen. Für den Pauschalreisevertrag statuiert § 4 I BGB-InfoV, dass der Reiseveranstalter, der einen Prospekt verwendet, die Angaben nach dieser Bestimmung so gestalten muss, dass sie „deutlich lesbar, klar und genau“ sind. Wird der Reisesicherungsschein auf der Rückseite der Reisebestätigung abgedruckt, ist hierauf „in deutlich hervorgehobener Form“ hinzuweisen (§ 9 IV S. 1 BGB-InfoV). Im Fokus all der hier nur beispielhaft aufgezählten besonderen Erfordernisse aus dem Verbraucherschutzrecht steht immer die für den Verbraucher klare, d.h. durchschaubare Unterrichtung über die zu erbringende Leistung bzw. Vertragsrecht (2. Aufl., 2008), § 307 Rn. 142; Niedenführ, Informationsgebote des AGB-Gesetzes (1986), S. 4 ff.
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gestaltung, an die etwa durch Schriftformerfordernisse, Belehrungs- und Gestaltungsanforderungen besondere Voraussetzungen gestellt werden.240 2. Die Pflicht zur (Vorab-)Information Das Transparenzgebot betrifft allerdings nur den eher formellen Aspekt der Darreichungsform der Information. Es ist auf das „Wie“ der Aufklärung gerichtet. Dass der jeweilige Kunde überhaupt über bestimmte Umstände durch seinen Vertragspartner zu informieren ist und wo die Grenzziehung der Pflicht zur (Vorab-)Information verläuft, betrifft eine andere Frage, die nicht selten gerade im Hinblick auf die einzuhaltende Balance zwischen der Aufrechterhaltung einer „informationellen Anreizstruktur“241 einerseits und dem ggf. vorhandenen Informationsvorsprung bezüglich vertragskardinaler Umstände242 andererseits rechtspolitisch aufgeladen diskutiert wird.243 Abstrakt gesehen muss die Grenzziehung zwischen Selbstschutz und einzufordernder Information/Fremdaufklärung nach dem gewandelten Verständnis von der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit dort beginnen, wo das caveat-emptor-Prinzip zu kurz greift, um auch faktisch eine Entscheidungsfreiheit der Beteiligten (Verbraucher) zumindest in für den Vertragspartner ersichtlich kardinalen Bereichen sicherzustellen.244 a. Grundlagen der Entscheidungsfindung: Wer hat was offenzulegen? In diesem Sinne muss Ausgangspunkt jeglicher gesetzgeberischer und richterlicher Aktivitäten die Erkenntnis sein, dass eine tatsächlich selbstbestimmte Entscheidung nur dann getroffen werden kann, wenn Grundlagen für die Entscheidungsfindung vorhanden sind und diese nicht auf Fehlvorstellungen beruhen.245 aa. Erster Grundsatz: Selbstverantwortung für Informationsbeschaffung Aus dem natürlichen Interessengegensatz der am Vertragsschluss Beteiligten und der zunächst zu unterstellenden Möglichkeit, dass allen Parteien dieselben Informationsquellen zur Verfügung stehen, folgt der Grundsatz, dass eine Partei die andere nicht über alle irgendwie vertragsschlussrelevanten Umstände 240
Grundmann, JZ 2000, 11333, 1135 ff.; Roth, JZ 2001, 475, 480 ff. Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 259; ders., Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 93 ff.; grundlegend Arrow, in: National Bureau of Economic Research (Hrsg.), The Rate and Direction of Inventive Activity (1962), S. 609. 242 Fleischer, ebenda, S. 257. 243 MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 97. 244 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 181; MüKo/ Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 101 ff. 245 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 47; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 180. 241
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von sich auf aufzuklären hat.246 Ein gewisser Informationsvorsprung der anderen Partei ist somit grundsätzlich anzuerkennen, schließlich lassen sich nur so die „Selbststeuerungskräfte“ der Rechtssubjekte zugunsten eines selbstbestimmten Interessenausgleiches aktivieren,247 sodass jede Partei zunächst selbst gehalten ist, sich für den eigenen Geschäftsbereich die notwendigen Informationen zu besorgen.248 Demzufolge hat sich der Erwerber einer Ware oder Dienstleistung über deren Beschaffenheit, Qualität und Zwecktauglichkeit im eigenen Interesse selbstverantwortlich zu unterrichten, 249 wobei der hinter diesem Grundsatz stehende Gedanke („emptor debet esse curiosus“) nicht nur für das Kaufrecht gilt, er ist vielmehr von allgemeingültiger Natur,250 wenngleich er (allein) auf dem formalen Verständnis der Privatautonomie251 fußt.252 bb. Zweiter Grundsatz: Fremdinformationspflicht bei nicht hinnehmbarem Informationsgefälle Der vorbenannte Grundsatz wird in den letzten Jahrzehnten allerdings zunehmend relativiert. Durch die Rechtsprechung und den Gesetzgeber sind die Aufklärungspflichten der Verhandlungspartner kontinuierlich verstärkt worden.253 Diese Entwicklung beruht auf einem anderen Verständnis der Privatautonomie, das nicht mehr rein formal, sondern auch material definiert wird. Dieses gewandelte Verständnis der Privatautonomie erlangt nun gerade auch hinsichtlich der Existenz und Reichweite der (vor-)vertraglichen Aufklärungspflichten an Bedeutung. Unter grundsätzlicher Anerkennung eines letztverbleibenden Interessengegensatzes unter Vertragspartnern und des daraus hinzunehmenden Interessenvorsprungs der einen vor der anderen Partei geht es darum, im Fall eines faktischen Verhandlungsungleichgewichtes, etwa in Form einer strukturell be-
246 BGH NJW 1997, 3230, 3231; PWW/Schmidt-Kessel (2007), § 242 Rn. 56; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 186; BaRoth/Grüneberg-Sutschet (2. Aufl., 2003), § 311 Rn. 70; Erman/Kindl (11. Aufl., 2004), § 311 Rn. 29; Krebs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/ Ring, AnwK Schuldrecht (2002), § 242 Rn. 16. 247 Arrow, in: National Bureau of Economic Research (Hrsg.), The Rate and Direction of Inventive Activity (1962), S. 609; Fleischer, Vorvertragliche Pflichten im Schnittfeld von Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsprivatrecht, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 259; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 101. 248 BGH NJW 1997, 3230; OLG München WM 1994, 236; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 101. 249 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 106. 250 PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 242 Rn. 56; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 101; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 181. 251 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel E. 252 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 181. 253 MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 98.
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dingten Informationsasymmetrie,254 (aber nicht nur hier)255 die „Gewichte“ zu verschieben, um die Entscheidungsfreiheit der unterlegenen Partei auch faktisch dort zu gewährleisten, wo essentielle Interessen betroffen sind. Wann essentielle Interessen im Spiel sind, ist natürlich eine Wertungsfrage, ebenso, wann von einer nicht mehr hinnehmbaren Informationsasymmetrie auszugehen ist.256 Es geht hier wieder um die Problematik der Festlegung der Interventionsschwelle, die für den gesamten Prozess der Materialisierung des Zivilrechts bedeutsam ist.257 Für das Schuldrecht, und hier insbesondere für das Verbraucherrecht, haben Judikatur und Gesetzgeber beide Fragestellungen durch die Etablierung zahlreicher Informationspflichten bereits in vielen Fällen explizit beantwortet.258 Die Informationspflichten sind teils allgemein gehalten, teils verbraucherspezifisch259 ausgestaltet. Ihre Zunahme zeigt, dass die Materialisierung der Vertragsbeziehungen in zwei Strängen verläuft, zum einen über das allgemeine Zivilrecht, zum anderen über das Verbrauchervertragsrecht. c. Einzelne gesetzliche Ausformungen Die parallelen Entwicklungen im allgemeinen Zivilrecht und im Verbrauchervertragsrecht sind von dem Gedanken getragen, dass das „caveat-emptor“-Prinzip in bestimmten Konstellationen einer Eingrenzung bedarf.260 254 Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 257 f.; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 104 ff. 255 Betroffen sind auch auf Grund individueller Umstände hervorgerufene Informationsgefälle, wenngleich dem Informationsaustausch auch hier Grenzen gesetzt sind. 256 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 187; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 101 f. 257 Zur Festlegung der Interventionsschwelle und die hierfür bedeutsame Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel E. 258 Zu gleichlaufenden Tendenzen bei Verträgen zwischen Verbrauchern und Unternehmern im österreichischen, schweizerischen, französischen und italienischen Zivilrecht siehe Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 257 f.; zum österreichischen Recht Schumacher, Verbraucherschutz bei der Vertragsanbahnung (1983); zum schweizerischen Recht Lauer, Vorvertragliche Informationspflichten (insbesondere gegenüber Verbrauchern) nach schweizerischem, deutschen und französischem Recht (1983) sowie Hartmann, Die vorvertraglichen Informationspflichten und ihre Verletzung. Klassisches Vertragsrecht und modernes Konsumentenschutzrecht (2001), zum französischen Recht: Alisse, L’obligation de renseignements dans les contrats (1975); zum italienischen Recht Grisi, L’obbligo precontrattuale di informatizione (1990) und Musy, Il dovere di informatione (1999). 259 Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 257 m.w.N. 260 Assmann, Prospekthaftung (1985); Fleischer, ZEuP 2000, 772 ff.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag (1981), S. 310; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten (2001); Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 181.
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aa. Aufklärungspflichten gemäß Treu und Glauben Eine ganz allgemeine gesetzliche Grundlage für Aufklärungspflichten (und damit für die Eingrenzung des Grundsatzes der Selbstinformation) bilden bereits die §§ 242, 311 II, 241 II BGB.261 Da § 242 BGB ebenso wie § 311 II BGB schon im Hinblick auf seine generalklauselartige Fassung die Funktion eines Einzelfallkorrektivs besitzt, geht es beim Umgang mit dieser Regelung zunächst noch nicht um strukturell bedingte Asymmetrien unter den Parteien, sondern um individuelle Informationsvorsprünge262 von einem nicht unerheblichen Ausmaß, die zur Eindämmung zwingen. Gleichwohl lassen sich einzelne auf §§ 242, 311 II, 241 II BGB gestützte Judikate zu Fallgruppen verdichten und insofern auch vom Einzelfall abstrahierend Leitlinien zur Konkretisierung der Regelungen herausbilden. Sowohl bei der individuellen als auch bei der abstrakten Anwendung der §§ 242, 311 II, 241 II BGB ist entscheidend, ob eine Aufklärungspflicht nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung in dem zu entscheidenden Einzelfall erwartet werden darf oder nicht.263 (1.) Die Generalklausel als flexibles Handlungsinstrument im allgemeinen Schuldrecht Die Etablierung von Aufklärungspflichten auf der Grundlage der §§ 242, 311 II, 241 II BGB ist letztlich Ausdruck dessen, dass Informationspflichten im Bereich des deutschen Schuldrechts auch außerhalb des strukturell bedingten Machtungleichgewichts in der Unternehmer/Verbraucher-Beziehung anerkannt sind, wenngleich in einem reduziertem Ausmaß.264 (Indem das deutsche Recht zur Regulation von Ungleichgewichten im informellen Bereich auch auf eine Generalklausel setzt, unterscheidet es sich maßgeblich etwa vom common law Recht, das generell nur dort Aufklärungspflichten als existent ansieht, wo sich diese aus einem speziellen Gesetz oder einer expliziten Abrede ergeben.265) Verstehen lässt sich die Annahme, dass Aufklärungspflichten aus der Natur der Sache/des Vertrages folgen, auch wenn sie nicht explizit von den Parteien oder dem Gesetzgeber angesprochen werden, vor dem Hintergrund der Vielge261 Umfassend zum Ganzen Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß (1989); Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung (1997). 262 Ebenso gilt dies für § 311 BGB, vgl. dazu MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 102: „Einzelfallumstände“. 263 BGH NJW 1970, 653, 655; BGH NJW 1993, 2107; BaRoth/Grüneberg-Sutschet (2. Aufl., 2007), § 311 Rn. 71; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 102 f. 264 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 19. 265 Vor diesem Hintergrund lassen sich u.a. die zahlreichen expliziten Aufklärungspflichten der EU im Bereich des Verbrauchervertragsrechts verstehen, die nur als „explizite“ (quasi zum Ausgleich der nicht bestehenden Möglichkeit der Instrumentalisierung einer Generalklausel zum Statuieren von Informationspflichten) im anglo-amerikanischen Recht Geltung erlangen und daher ein beachtliches Schutzniveau im Bereich Aufklärung in dieses Recht transportieren können.
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staltigkeit der (vor-)vertraglichen Beziehungen der Parteien, die unüberschaubar und deshalb nicht „durchkodifizierbar“ sind. Die Informationsbedürfnisse und die Verantwortlichkeit der Vertragspartner für eine entsprechende Informationspreisgabe ergeben sich daher unausgesprochen aus der konkreten Vereinbarung und ihrer tatsächlichen Umstände.266 § 242 BGB kommt dieser Anforderung besonders entgegen, denn aus dem Grundsatz von Treu und Glauben lässt sich ein „bewegliches System“ von Informationspflichten ableiten. 267 Erst dann, wenn das Informationsgefälle 268 von vornherein bezüglich einer Vielzahl von möglicherweise auftretenden Fällen „strukturell“ bedingt ist (wie etwa im Unternehmer/Verbraucher-Verhältnis), gebietet der Gedanke der Rechtssicherheit eine gesetzgeberische Klarstellung und Verfestigung besonderer Informationspflichten.269 Diese lassen sich gleichwohl hinsichtlich der Tendenz der Ausbalancierung eines Machtgefälles als „Spezialauskopplung“ von § 242 BGB verstehen, wenngleich die meisten im deutschen Recht vorhandenen verbraucherspezifischen Informationspflichten durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben überlagert sind. Ihre gemeinschaftsrechtliche Herkunft steht jedoch einer inneren Verzahnung mit nationalen Treu- und Glaubens-Vorgaben nicht entgegen; diese Sichtweise gebietet schon der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung.270 Der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben und die darauf zurückzuführenden allgemeinen vorvertraglichen Informationspflichten, die nach den Regelungen der culpa in contrahendo deklarativ aufgegriffen271 und sanktioniert werden, stehen in keinem Konkurrenzverhältnis zu den speziellen verbraucherrechtlichen Informationspflichten; vielmehr ergänzen und beeinflussen sich beide Regelungsebenen, was es erlaubt und zugleich auch notwendig macht, einige grundsätzliche Gedanken zum Umgang mit § 242 BGB auch hier einzuflechten. 266
Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 183. Ebenso Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 20, in Bezug auf das in § 311 BGB hineinzulesende Sanktionssystem für die vorvertragliche Informationspflichtverletzung. 268 PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 242 Rn. 58; Krebs, in: Dauner-Lieb/Heidel/ Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 242 Rn. 17. 269 Vgl. dazu die Ausführungen zum Sinn und Zweck des Sonderprivatrechts in Abgrenzung vom Fallgruppenrecht nach § 242 BGB im 1. Teil, 5. Kapitel B II. 270 „Das Recht hat mit einer Stimme zu sprechen!“, zum Grundsatz der notwendigen Einheit der Rechtsordnung siehe etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 271 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 18, weisen zutreffend darauf hin, dass die cic-Regeln keine eigenständigen Regelungen enthalten, sondern eine Art Merkposten schaffen, um die Rechtsfigur der cic (und den Gedanken des Grundsatzes von Treu und Glauben auch im vorvertraglichen Bereich) im BGB zu verankern. 267
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(2.) Anwendungsbeispiele Zur Sicherstellung der notwendigen Rechtssicherheit272 im Umgang mit § 242 BGB und der Verhinderung des Einbruches irrationaler (rein subjektiver) Wertungen haben Rechtsprechung273 und Rechtslehre274 bereits sehr früh vielfältige Versuche unternommen, das Spektrum solcher Umstände auszuloten und zu systematisieren, aus denen sich allgemeinhin Aufklärungspflichten ergeben. Herausgekommen ist dabei eine Art „Dreiklang-Formel“, wonach jede Vertragspartei bei der Geschäftsanbahnung und -abwicklung der jeweils anderen Informationen nach Treu und Glauben über solche Umstände abverlangen kann, die: – sie nicht besitzt (und deren Besitz auch nicht vorausgesetzt werden kann),275 – für sie aber erkennbar von besonderem Gewicht sind, – wobei der aufklärungsverpflichteten Partei die Informationsweitergabe zumutbar sein muss.276 (a.) Bei konkreter Nachfrage Im Hinblick auf die vorbenannten abstrakten Kriterien zur Konturierung einer (vor-)vertraglichen Aufklärungspflicht besteht eine solche nach § 242 BGB zum einen, wenn eine konkrete Nachfrage einer Partei vorliegt. Ihr wird entsprochen, indem die Frage entweder vollständig und richtig beantwortet oder aber ihre Beantwortung abgelehnt wird.277 Ausweichende und unrichtige Antworten füh272 Allgemein zum Postulat der Rechtssicherheit, das aus der Rechtsidee folgt, BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1979), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff. 273 RGZ 103, 47, 50; RGZ 111, 2333, 234 f.; RGZ 120, 249 ff.; BGHZ 71, 86, 396 = BGH NJW 1978, 1802, 1804; BGH WM 1987, 319; BGH NJW-RR 1989, 211; BGH NJW 1989, 763; BGH NJW-RR 1991, 439, BGH NJW 1995, 45, 47. 274 Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 304 ff.; Emmerich, Jura 1987, 561; ders., FS Honsell (2002), S. 209; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001); Gottwald, JuS 1982, 877 ff.; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung (1997); Klinger, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht (1981); Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten (2000); Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung aus culpa in contrahendo (1999); Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten (2002); Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 183 ff.; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 101 ff.; Singer, FS 50 Jahre BGH, Bd. I (2000), S. 381 ff.; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten (2001); Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 95 275 Zur Eingrenzung der Informationspflicht nach dem Gedanken der Voraussetzung allgemeiner Grundkenntnisse vgl. Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 258. 276 Ebenda, vgl. auch Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 242 Rn. 37; PWW/SchmidtKessel (3. Aufl., 2008), § 242 Rn. 57 ff.; Krebs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 242 Rn. 17; Erman/Kindl (11. Aufl., 2004), § 311 Rn. 29 f.; MüKo/ Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 102 ff.; Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 103 ff. 277 BGHZ 74, 383, 392; BGH NJW 1967, 1222; BGHZ 77, 1914; BaRoth/Grüneberg-
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ren zu einer Haftung aus (vor-)vertraglicher Pflichtverletzung, §§ 311 II, 241 II, 280 I BGB. (b.) Bei fehlender Nachfrage, aber vertragskardinaler Bedeutung Ungefragt bestehen Aufklärungspflichten bezüglich solcher Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich – d.h. auch für einen objektiven Dritten erkennbar – von ausschlaggebender Bedeutung sind.278 Das gilt vor allem für Umstände, die den Vertragszweck erheblich gefährden279 oder sogar vereiteln280 könnten.281 Die einzelnen Momente, die bei der wertenden Analyse in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, sind recht vielgestaltig. Ein nur einigermaßen vollständiger Überblick über die in diesem Zusammenhang herausgebildeten Aufklärungspflichten kann auf Grund der Ausdehnung, die sie vor allem in der Rechtsprechung erfahren haben, nicht gegeben werden, da das den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Im Folgenden soll daher der so begründete Anwendungsbereich der Informationspflicht nur durch einige wenige Beispiele dargestellt werden. (aa.) Bedenken bezüglich der Gültigkeit des Vertrages. Von besonderer Bedeutung ist zunächst der Umstand, dass der Vertrag insgesamt ungültig sein könnte. Diesbezüglich hat sich auf der Grundlage des § 242 BGB schon sehr früh der Grundsatz herausgebildet, dass im Rahmen von Verhandlungen jede Partei die jeweils andere ungefragt auf Bedenken gegen die Gültigkeit des geplanten Vertrages hinweisen muss.282 Dahinter steht die Auffassung, es widerspreche Treu und Glauben, den Gegner in der Vorstellung zu belassen, der geplante Vertrag sei wirksam, sofern man selbst insoweit Zweifel hat.283 Klärt man in diesem Fall nicht von sich aus auf, läuft man Gefahr, sich treuwidrig zu verhalten, was der anderen Partei möglicherweise Einwendungen gegen die Rechtsausübung bis hin zu einem Vertragslösungsrecht oder einem Schadensersatzanspruch eröffSutschet (2. Aufl., 2007), § 311 Rn. 74; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 105; PWW/ Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 242 Rn. 56: „Pflicht zur Wahrhaftigkeit“. 278 MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 106 ff.; Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 257 mit dem Hinweis, dass dies auch makroökonomisch sinnvoll sei, denn es koste etwas, die Attribute der angebotenen Gegenleistung zu prüfen, und diese Kosten können bei Informationsbereitstellung durch die Gegenseite gespart und damit Tauschvorgänge gefördert werden. 279 RGZ 97, 325, 327; BGH BB 1954, 360; OLG München BB 1959, 538; v. Wilmowsky, JuS 2002, Beilage 1/1, S. 11. 280 RGZ 120, 249, 252; BGH NJW 1978, 41; BGH DB 1978, 979. 281 PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 242 Rn. 58; Krebs, in: Dauner-Lieb/Heidel/ Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 311 Rn. 17 f.; BaRoth/Grüneberg-Sutschet (2. Aufl., 2007), § 311 Rn. 72; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 106 ff. 282 Canaris, FS 50 Jahre BGH, Bd. I (2000), S. 129, 179 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie (2001), S. 456 ff.; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 107 ff. 283 Ebenda.
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net. Beispiele sind Formverstöße, die fehlende Genehmigung eines Vertrages, die fehlende Vertretungsmacht eines für eine Partei tätig gewordenen Vertreters, sonstige Mängel, die der Wirksamkeit des Vertrages entgegenstehen könnten, einschließlich von Verstößen gegen die §§ 134, 138 BGB sowie tatsächliche Hindernisse für die Durchführbarkeit des Vorhabens.284 (bb.) Bereitstellung notwendiger Mindestinformationen zum Vertragsgegenstand. Für besondere Vertragsarten wurden in Bezug auf die kardinale Stellung bestimmter Momente spezifische Leitlinien herausgearbeitet, die das Äquivalenzinteresse der Gegenseite in besonderem Maße betreffen und für diese daher von ausschlaggebender Bedeutung sind. Es geht hier um das Gewicht einer bestimmten Information im Hinblick auf die Durchführbarkeit des Vertrages.285 In Bezug auf die unüberschaubare Vielzahl von Fallgestaltungen verwundert es nicht, dass sich eine umfangreiche Kasuistik herausgebildet hat, auf die hier nur ein kurzes Schlaglicht geworfen werden kann. Beim Kauf eines gebrauchten Kfz besteht hinsichtlich der kardinalen Bedeutung eines Unfallgeschehens für das Äquivalenzinteresse die Pflicht, ungefragt auf eine Unfallverwicklung des Kfz hinzuweisen, wenn der Unfall nicht lediglich zu einem Bagatellschaden (etwa einigen Kratzern) geführt hat. 286 Vor dem gleichen Hintergrund ist die Hinweispflicht des gewerblichen Verkäufers bei einem bevorstehenden Modellwechsel oder einer bereits erfolgten Modelländerung zu sehen.287 Bei Grundstücken ist über den Schädlingsbefall im Gebälk (Hausbockkäfer) und im Mauerwerk (Hausschwamm, Trocken- und Nassfäule) ungefragt hinzuweisen,288 ebenso auf bestehende Altlasten289 oder die baurechtliche Unzulässigkeit der ausgeübten Nutzung.290 Beim Abschluss eines Mietvertrages gilt allgemein, dass der Vermieter z.B. über die Gefahr besonderer Störungen oder über das Risiko der vorzeitigen Vertragsbeendigung ungefragt aufmerksam machen muss, weil auch dieser Umstand das Äquivalenzinteresse der Gegenseite in besonderer Weise betrifft.291 Weitere in diesem Zusammenhang ungefragt mitteilungsbedürftige Punkte sind bei der Wohnraummiete die Anordnung der Zwangsversteigerung- oder Zwangsverwaltung292 oder auch der Umstand, dass für die Wohnung eine Preisbindung besteht, sodass der Mieter ggf. mit einer Fehlbelegungsabgabe rechnen
284 285 286 287 288 289 290 291 292
Zu diesem Fallgestaltungen vgl. MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 107. MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 106: „Gewicht“. BGHZ 29, 148; 63, 383, 386; BGH NJW 1982, 1386. BGH NJW 1999, 2190, 2191. KG NJW-RR 1989, 972; BGH LM § 463 Nr. 8; Celle MDR 1971, 392. BGH NJW 2001, 64. BGH NJW-RR 1988, 1290. MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 149. OLG Hamm NJW-RR 1988, 784.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
muss.293 Unaufgefordert offenzulegen ist zudem die Höhe der zu erwartenden Nebenkosten294 sowie die Absicht, Umbaumaßnahmen durchzuführen, wenn diese für die Mieter nachteilige Auswirkung haben (z.B. Änderung der Kundenströme bei gemietetem Ladenlokal).295 Ein weiteres Hauptanwendungsfeld für vorvertragliche Informationspflichten ergibt sich beim Vertragsschluss mit Versicherungen und Banken sowie bei der Kapitalanlage im weitesten Sinne.296 Der rechtsdogmatische Ansatzpunkt für die an diese Vertragsschlusssituationen ansetzenden Aufklärungspflichten ist zum einen das Gewicht der Information für den Vertrag, zum anderen aber auch das bestehende Informationsgefälle zwischen den Parteien, das sich aus dem (einseitigen) Zugang zu den Informationsquellen ergibt:297 Hinsichtlich des Abschlusses von Versicherungsverträgen gilt beispielsweise, dass die Versicherungsgesellschaft nach § 242 BGB eine Aufklärungspflicht hat, wenn die Vorstellungen des Versicherungsnehmers erkennbar unrichtig sind298 oder wenn dieser in Bezug auf den mit dem Versicherungsschutz angestrebten Zweck hinsichtlich der Versicherungsart bzw. dem Versicherungsumfang unterversichert ist.299 Bei der Vermittlung von Kapitalanlagen300 trifft den Anlageberater oder -vermittler in aller Regel die Pflicht zur vollständigen und zutreffenden Unterrichtung der Kunden über sämtliche für die Anlage entscheidenden Umstände. Hierzu gehören auch die Richtigstellung etwaiger Unrichtigkeiten des Anlageprospekts und die Weitergabe aller zugänglichen Informationen über die angebotene Kapitalanlage.301 Der Kunde ist nach der sog. Bond-Entscheidung302 (die der Normierung der §§ 31, 32 WpHG vorausgegangen war) anlegergerecht und anlagegerecht zu informieren.303 Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen in der Person des Kunden gehören insbesondere sein Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und seine Risikobereitschaft (konservativ/ spekulativ). Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung dieser Momente auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten („anlegergerecht“) sein. 293
AG Osnabrück, WoM 1995, 309. OLG Hamm OLGZ 1980, 26; LG Frankfurt/M. NJW-RR 1987, 659. 295 OLG Dresden NZM 2001, 336. 296 So die Einschätzung von MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 98; zur Einbeziehung Dritter in den Haftungskreis in Form der Prospekthaftung vgl. BaRoth/GrünebergSutschet (2. Aufl., 2007), § 311 Rn. 105 ff. 297 So insbesondere MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 104. 298 BGHZ 2, 87, 90; BGHZ 40, 23, 27; OLG Frankfurt/M. 1987, 578, 579. 299 OLG Frankfurt/M. NJW 1998, 3359; OLG Hamm VersR 1984, 853; OLG Nürnberg NJW-RR 1994, 1515; zu weiteren Einzelheiten vgl. BaRoth/Grüneberg-Sutschet (2. Aufl., 2007), § 311 Rn. 93 f. 300 Ausführlich dazu im 2. Teil, 2. Kapitel C V 2. 301 BGHZ 74, 103, 108; BGHZ 111, 314, 317; BGH NJW 2001, 2021. 302 BGHZ 123, 126 ff. 303 BGHZ 123, 126, 129 = NJW 1993, 2433; Einsele, JZ 2008, 477 ff. 294
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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Für das Anlageobjekt hat sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsenmarktes) und den speziellen Risiken zu unterscheiden, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageobjekts (Kurs-, Zins-, Währungsrisiko) ergeben. Für den Umfang der Beratungspflicht ist insbesondere von Bedeutung, ob die beratende Bank das Objekt in ihr Anlageprogramm aufgenommen hat. Dann muss sie sich auch bei ausländischen Papieren über deren Güte informieren; auf die Börsenzulassung oder den Inhalt des Zulassungsprospekts darf sie sich nicht verlassen. 304 Fehlen der Bank derartige Erkenntnisse, muss sie dies dem Kunden mitteilen.305 (cc.) Erweiterungen des Informationspflichtenkreises durch das novellierte UWG? Unabhängig von den spezifischen Fallgestaltungen (und Fallstricken) der „gesicherten“ deutschen Kasuistik wurde der Bereich der vorvertraglichen Information durch die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken vom 11.5.2008306 gestärkt. Damit wurde bzgl. der Vertragsanbahnung seitens des Unternehmens schon für den Bereich der invitatio ad offerendum ein in Bezug auf B2B- und B2C-Geschäfte abgestuften System der notwendigen Informationsvergabe festgelegt, das auf grundlegende Informationen abzielt. Mit diesem soll dem wettbewerbsrechtlichen Gebot der Irreführung durch Unterlassen entgegengewirkt werden. Es wirkt daher auch zunächst nur als wettbewerbsrechtlicher (Abwehr-)Anspruch. Jedenfalls für den Bereich des UWG wird damit aber ein Paradigmenwechsel vollzogen,307 denn der Fallgruppe des unlauteren Handelns durch Unterlassen (von Informationen) wird sie ein neues, starkes Gewand gegeben. Problematisch ist freilich, dass das UWG dem Verbraucher bekanntlich kein individuelles Klagerecht gegen das wettbewerbswidrige Verhalten von Unternehmern einräumt. Klagebefugt zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen sind nach dem UWG nur Verbraucherverbände und sonstige als klagebefugt angesehene Organisationen. Auf die Rechtsposition des Verbrauchers schlagen die im UWG statuierten Pflichten des Unternehmers daher nicht unmittelbar durch. Es ist aber denkbar, und keineswegs abwegig, dass die Änderungen des UWG, in das neue Wertungsgesichtspunkte in Bezug auf Verhaltenspflichten der Unternehmer untereinander eingearbeitet wurden, zumindest mittelbar auch auf den privatrechtlichen Bereich der Verbraucher-UnternehmerBeziehung Einfluss nehmen.308 Für diesen im Kommen befindlichen „Wertungs304 305 306 307 308
Ebenda; BaRoth/Grüneberg (2003), § 311 Rn. 99. BGHZ 123, 126, 129 = NJW 1993, 2433; BGH NJW-RR 2000, 998. ABl.EG Nr. L 149/22. Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 92. Denn die Informationspflichten stammen aus einer im b2c-Bereich geltenden Richt-
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bogen“, der freilich noch nicht genau abgesteckt wurde, spricht schon die Gesetzesgenese der neuen UWG-Regelung, d.h. der Umstand, dass die konkrete Ausgestaltung der Information in der neuen Lauterkeitsrechtsrichtlinie im Wesentlichen den (materiellen!) verbraucherrechtlichen Richtlinien des Gemeinschaftsrechts entnommen wurde, sodass damit lauterkeits- und vertragsrechtlicher Bereich (wenngleich zunächst nur auf Gemeinschaftsebene) noch weiter verschränkt wurde. Festmachen lässt sich die gemeinschaftsrechtliche „Verzahnung“ der beiden Bereiche auch und gerade daran, dass der am 8.10.2008 vorgelegte Entwurf für eine Richtlinie über die Rechte des Verbrauchers309 in Art. 5 einen allgemeinen vertragsrechtlichen Informationsanspruch, der konzeptionell Art. 7 IV der Richtlinie 2005/29/EG entlehnt ist, aufgreift.310 Vor diesem Hintergrund steht zu erwarten, dass auch das zukünftige Verbrauchersekundärrecht die Maßstäbe, die das Wettbewerbsrecht setzt, übernehmen wird, was dann wiederum Auswirkungen auf die nationalen Rechtsordnungen hätte, die diesen Schritt „nachvollziehen“ müssten. (dd.) Bei besonderer Vertrauensbeziehung. Jenseits des europarechtlichen Fragenkreises einer eventuellen Ausweitung von Informationspflichten im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis kann sich eine Aufklärungspflicht aus § 242 BGB aus einer besonderen Vertrauensbeziehung der Parteien untereinander ergeben. Relevanz soll diese Fallgruppe etwa bei familiärer oder persönlicher Verbundenheit besitzen. Gleiches gilt bei langjähriger vertrauensvoller Geschäftsverbindung, einem Dauerschuldverhältnis mit engem persönlichem Kontakt oder der Vereinnahmung einer Sachwalterstellung. In letzterem Sinne kam es in den letzten Jahren insbesondere zu einem Ausbau der Prospekthaftung.311 Grundlegende theoretische Vorarbeiten zu der Fallgruppe der Aufklärungspflicht auf Grund besonderer Vertrauensbeziehung lieferte Ballerstedt, der der Doktrin der vorvertraglichen (Aufklärungs-)Pflicht mit der berühmten Formel vom „gewährten und in Anspruch genommenen Vertrauen“ Gestalt verlieh. Danach ist in jedem Abschnitt der Verhandlungen das geforderte und gewährte Vertrauen entscheidend dafür, ob und welche Schutz-, Erhaltungs-, Erklärungs- oder Unterlassungspflichten entstehen.312 Der BGH hat diese „elastische Formel“313 bereitwillig aufgegriffen und bestärkt – durch die
linie und beanspruchen deshalb gerade in diesem Verhältnis Beachtung und eine effektive Umsetzung. 309 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 310 Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 93; Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 484 ff. 311 Vgl. dazu MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 182 ff. 312 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 506. 313 Ausdruck stammt von Fleischer, Vorvertragliche Pflichten, in: Schulze/SchulteNölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 254.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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grundlegende Abhandlung von Canaris314 – die vorvertragliche Haftung für fehlende Aufklärung verschiedentlich auf enttäuschtes Vertrauen zurückgeführt. 315 (d.) Verbindung zwischen den Fallgruppen: Individualund Institutionenschutz Die in Bezug auf § 242 BGB (§§ 311 II, 241 II BGB) herausgebildeten Fallgruppen zu (vor-)vertraglichen Informationspflichten zeigen ganz deutlich, dass über den Individualschutz hinaus, auf den sie zunächst gemünzt sind, im Zuge der notwendigen (erst Rechtssicherheit gewährenden) Systematisierungsbemühungen auch Gedanken des Institutionenschutzes ins Spiel kommen.316 Die Einschätzung des allgemeinen vorvertraglichen Pflichtenprogramms hat sich insofern über die vergangenen Jahrzehnte gewandelt. Lehrte man noch herkömmlicherweise, dass sich dieses allein auf den Gedanken des Vertrauensschutzes stütze, der sich auf einen engen persönlichen Kontakt der Vertragspartner gründe, mehren sich in jüngerer Zeit die Stimmen derer, die einer alleinigen vertrauenstheoretischen Informationspflichtenbegründung kritisch oder sogar ablehnend gegenüberstehen.317 Eines von mehreren318 Argumenten gegen die alleinige Heranziehung des Vertrauensschutzgedankens bezüglich der Etablierung einer (vor-)vertraglichen Aufklärungspflicht ist, dass dieser Ansatz Überzeugungskraft allein dort entfalten kann, wo die Vertragsanbahnung tatsächlich durch einen intensiven persönlichen Kontakt der Verhandlungspartner geprägt ist. Hier liegt der nicht wegzuredende klassische Anwendungsbereich des individuellen Vertrauensschutzaspekts; hier verlaufen aber auch seine Grenzen.319 In allen übrigen Fällen, bei denen es zur Statuierung von (vor-)vertraglichen Aufklärungspflichten kommt – d.h. bei kon314
Canaris, Die Vertrauenshaftung im Zivilrecht (1971). So schon früh angedacht bei Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie (2. Aufl., 1969), S. 197 f.; Diesel, Die Macht des Vertrauens (1947), S. 26 ff.; Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität (1968). 316 Umfassend und instruktiv Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 254 ff. 317 Siehe dazu etwa Benedict, Culpa in Contrahendo, Habilitationsschrift an der Humboldt Universität zu Berlin (2008); v. Bar, ZGR 1983, 476, 490 ff.; Gernhuber, Das Schuldverhältnis (1989), § 8 I 6, S. 177–179; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 639 ff.; Loges, Die Begründung neuer Aufklärungspflichten und der Gedanke des Vertrauensschutzes (1991), S. 70 ff., Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis (1987), S. 20 ff.; Picker, AcP 183 (1983), 369, 418 ff.; E. Schmitz, Dritthaftung aus culpa in contrahendo (1980), S. 44 ff. 318 Ein weiteres Argument ist, dass es dem Vertrauensschutzgesichtspunkt an Selektionskraft und Tiefenschärfe fehle, vgl. dazu Gernhuber, Das Schuldverhältnis (1989), § 8 I 6, S. 179; ähnlich Larenz, FS Ballerstedt (1975), S. 397, 399 ff. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass dies jedem abstrakten Rechtsprinzip gemein ist. 319 So zutreffend Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 255. 315
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kreter Nachfrage oder vertragskardinaler Bedeutung eines Umstandes für den Vertrag – geht es um generalisiertes Vertrauen320 i.S.e. standardisierten Redlichkeitserwartung, wobei dieses Vertrauen auch und gerade zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs unumgänglich ist.321 Die gerade in den Fallgruppen der §§ 242, 311 II, 241 II BGB zum Ausdruck kommende Überschneidung von Individual- und Institutionenschutz schlägt dabei keine Brücke zwischen völlig funktionsunterschiedlichen Ansätzen. Denn der schon makroökonomisch322 gebotene Schutz der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs sichert auf längere Sicht auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und ergänzt die individuelle Vertrauensschutzebene um eine weitere. Umgekehrt trägt der individuelle Schutz zur Stabilisierung des Gesamtsystems bei.323 bb. Besondere verbraucherschützende Vorschriften zur vorvertraglichen Aufklärungspflicht Neben der hier zunächst erörterten, aus der Generalklausel des § 242 BGB (i.V.m. § 311 II, 241 II BGB) herrührenden allgemeinen Informationspflicht bei einer „besonderen und offenbaren Interessenlage“ der anderen Partei, hat der Gesetzgeber – häufig angestoßen durch die Gemeinschaft 324 – in weitem Umfang explizite Regelungen über vorvertragliche Informationspflichten im deutschen Zivilrecht verankert, die nur für das Unternehmer/Verbraucher-Verhältnis gelten. 325 Die vorvertraglichen Informationspflichten nach § 242 (und §§ 311 II, 241 II) BGB werden insofern durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben breitflächig „überlagert“ und inhaltlich spezifiziert.326 320 Petermann, Psychologie des Vertrauens (3. Aufl., 1996), S. 20; Ripperger, Ökonomik des Vertrauens (1998), S. 101; Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 243, 256. 321 Welser, ÖJZ 1973, 281, 284; Assmann, Prospekthaftung (1985), S. 239. 322 Grundlegend zum makroökonomischen Vertragsmodell siehe Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), in diesem Zusammenhang siehe S. 178 ff. 323 Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 256 f. 324 Erman/Kindl (11. Aufl., 2004), § 311 Rn. 17. 325 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 187 ff.; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1135; Reifner, VuR 2004, 130, 131 326 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 18.; vgl. auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 571: „Es ist das bleibende Verdienst der Verbraucherschutzdiskussion, den untrennbaren Zusammenhang zwischen der sachgerechten Wahrnehmung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit und dem Informationsstand der Vertragsparteien ins allgemeine Bewusstsein gerufen zu haben […]“
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(1.) Verbraucherschützende Informationspflichten als detaillierte Regelungen Im Unterschied zu § 242 (und §§ 311 II, 241 II) BGB sind die verbraucherschützenden Informationspflichten häufig sehr detailgenau im Gesetz geregelt, wenngleich die Regelungstechnik i.S.d. Herstellung einer stärkeren Kohärenz verbesserungswürdig erscheint. Denn teilweise sind die Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher in der schuldrechtlichen Regelung des einzelnen verbraucherrechtlichen Vertrages oder der Abwicklungsvorschrift selbst benannt (vgl. § 360 BGB zur Widerrufs- und Rückgabebelehrung); teilweise gelten sie durch Verweis dieser Vorschriften auf die Informationspflichtenverordnung (BGB-InfoV), so etwa beim Pauschalreisevertrag nach §§ 4 ff. BGBInfoV, teilweise aber auch durch Verweise auf die neuerdings im EGBGB eingestellten Informationspflichten. Für den Fernabsatzvertrag ergeben sich so die Informationspflichten des Unternehmers aus § 312 I BGB i.V.m. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB. Für die Information bzgl. des Widerrufs- und Rückgaberechts im Rahmen von Fernabsatzverträgen verweist § 312d II BGB auf die Bestimmungen des EGBGB. Im elektronischen Geschäftsverkehr sind hingegen die Informationspflichten nach § 312 I Nr. 2 BGB i.V.m. Art. 246 § 3 EGBGB bedeutsam. Im Timesharing-Recht kommt es auf die Regelungen der § 482 I BGB i.V.m. Art. 242 § 1 EGBGB an. Im Darlehensvertragsrecht hat der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher die Informationspflichten nach § 491a BGB i.V.m. Art. 247 EGBGB bzgl. der Aufklärung im vorvertraglichen Bereich zu beachten. Der Vertrag selbst muss die Informationen nach § 492 II BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6–13 EGBGB enthalten. Bzgl. der Darlehensvermittlung statuieren neuerdings die § 655a II BGB i.V.m. Art. 247 § 13 EGBGB entsprechende Informationspflichten. (2.) Anwendungsbeispiele Das Aufkommen von verbraucherschützenden Informationspflichten im deutschen Zivilrecht ist gerade auf Grund der Vorgaben der Gemeinschaft327 stark angestiegen.328 Aus der Vielgestaltigkeit der Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher folgt, dass es nicht die eine, verallgemeinerbare Informationspflicht gegenüber dem Verbraucher gibt. Eine Generalisierung im Nachhinein, die den Umgang mit den vielen Informationen vereinfachen könnte, ist auch gar nicht möglich. Zum einen liegt dies im sektorspezifischen Regelungsansatz des Gemeinschaftsrechts begründet, der wiederum einen kompetenzrechtlichen Hintergrund hat, weswegen das Gemeinschaftsprivatrecht auch noch keine expliziten Generalklauseln ausbilden konnte, die Grundlage der Herleitung von Informa327 Vgl. z.B. Art. 6 der Verbraucherkreditrichtlinie, Art. 4 der Fernabsatzrichtlinie, Art. 5 der E-Commerce-Richtlinie. 328 Grundmann, JZ 2000, 1133 ff.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
tionspflichten hätten sein können.329 Zum anderen nehmen die verbraucherspezifischen Informationspflichten detailgenaue Abschichtungen vor, weil sie – wie alle übrigen verbraucherschützenden Vorgaben – nicht allein an die Verbraucherstellung oder die Verbraucher/Unternehmer-Beziehung anknüpfen. Vielmehr hat der Gemeinschaftsgesetzgeber auf Grund vertrags- oder situativer Einzelgesichtspunkte die jeweilige Interventionsschwelle unterschiedlich festgelegt.330 Darüber hinaus ist die Detailfülle auch als Zugeständnis zum anglo-amerikanischen Rechtskreis zu bewerten. Denn in diesem werden Informationspflichten nur als explizit statuierte anerkannt, sodass hier europäische Generalklauseln zur Sicherstellung einer (vor-)vertraglichen Information vor dem Hintergrund des besonderen Charakters des betroffenen mitgliedstaatlichen Rechts nicht transformationsfähig, weil anerkenntnisfähig wären. Die Vielzahl der im engeren und im weiteren Sinne verbraucherschützenden Informationspflichten macht aber trotz des Fehlens einer verallgemeinerbaren Einzelvorschrift deutlich, dass sich die Informationsverantwortlichkeit in Bezug auf die Summe der Einzelinformationen in der Verbraucher/UnternehmerBeziehung vom Verbraucher auf den Unternehmer verschiebt.331 Dass der Verbraucher die zur Verfügung gestellte Information aufnehmen und zweckentsprechend einsetzen kann, wird dabei unterstellt.332 Überspitzt könnte man sagen, der Verbraucher trägt ab der Schwelle des vom Gesetzgeber aufgestellten Transparenzgebots das Nutzungsrisiko i.S.d. zweckentsprechenden Verwertbarkeit der zur Verfügung gestellten Informationen. Die statuierten Informationspflichten sollen ihn lediglich in die Lage versetzen, eine informierte Entscheidung treffen zu können. Ob er dies auch tut, ist seine Sache.333 Hierin spiegelt sich der informelle Ansatz der Gemeinschaft wieder, die in erster Linie marktkomplementäre Mittel zur Marktregulation einsetzt und damit zunächst dem Gedanken der formalen Vertragsfreiheit entspricht.334 Die im Verbraucherrecht nach den vorbenannten spezifischen Regelungen geltenden Informationspflichten sind umfänglich und an verschiedenen Stellen des Zivilrechts geregelt. In Anknüpfung an die vom Gesetzgeber gewählte 329 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 18. 330 Berg, VuR 1999, 335, 344 ff.; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten (2001), S. 173 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 185. 331 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 181; ähnlich MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 104. 332 Ebenda. 333 BT-Drucks. 14/2658, S. 38; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001); Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 181 f.; Grundmann, JZ 2000, 1133 ff.; Pfeiffer, Der Vertragsschluss im Gemeinschaftsrecht, in: Schulze/ Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten im Acquis communautaire (2003), S. 103, 115. 334 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 66 ff.; Grundmann, JZ 2000, 1133 ff.
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innere Regelungstiefe und äußere Regelungstechnik sollen sie auch in dieser Abhandlung etwas später im konkreten Zusammenhang zu den sie betreffenden einzelnen Verträgen (Beispiel Timesharing, Reisevertrag) und Vertragsabschlusssituationen (Beispiel: Fernabsatz) erörtert werden. Zusammengefasst, d.h. „vorgezogen“ dargestellt sollen an dieser Stelle lediglich diejenigen Diskussionsschwerpunkte werden, die diese Einzelregelungen allesamt verbinden, wobei es insbesondere um die Problematik der praktischen Handhabung der Informationen, das richtige Maß ihres Umfangs und die Sanktionen auf Grund eines Pflichtverstoßes gehen soll. (a.) Praktische Handhabung: Trend zur Standardisierung Herauszustellen ist zunächst, dass die in einer Verbraucher/Unternehmer-Beziehung angebahnten Verträge auf Grund der umfangreichen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu den Informationspflichten des Unternehmers in einem Standardisierungstrend begriffen sind,335 der gemeinschaftsweit eine Rechtsharmonisierung im vertraglichen Vorfeld bewirkt. Es kommt in diesem Sinne zu einer gewissen „Uniformisierung des Vertrages“. Die Folgen sind Vertragsmuster, die inhaltlich gleichlaufend auf typische Vertragsschlusskonstellationen zugeschnitten sind. In der Anlage 1 zu § 9 BGB-InfoV findet sich beispielsweise ein gesetzliches Muster für den Sicherungsschein bei Pauschalreisen. Für die Widerrufsund Rückgabebelehrung verweist § 360 III 1 BGB auf ein gesetzliches Muster, das in der Anlage 1 zum EGBGB enthalten ist. Überaus deutlich wird der Trend zur Standardisierung zudem auf Grund der aktuellen Richtlinie zum Verbraucherkredit,336 die dem gewerblichen Kreditgeber die Pflicht auferlegt, ein bestimmtes Standardformular mit EU-weit einheitlichem Inhalt und einer einheitlichen Gestaltungsform zu benutzen.337 Diese Mustertexte sollen Rechtssicherheit bieten, soweit eine entsprechende verbraucherschützende Pflicht seitens des Unternehmers besteht. Der Trend zur Standardisierung bei Verträgen zwischen Unternehmern und Verbrauchern ist aber nicht nur auf Impulse des Gesetzgebers zurückzuführen. Entsprechende Musterformulare werden natürlich im breiten Umfang zur Absicherung der Unternehmen auch von Branchenverbänden erstellt. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang etwa an die überall verwendeten Fragebögen der Banken bei der Anlageberatung zur Eruierung des Anlegerprofils,338 mit denen der
335 Die Standardisierung findet auch bei zu transportierenden AGB als ähnlich kompakte Inhalte statt, vgl. dazu Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. 4. 336 Richtlinie 2008/48/EG v. 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG; vgl. dazu auch Benedict, ZEuP 2008, 395, 398 f.; Rott, WM 2008, 1104 ff. 337 Umfassend dazu Siems, EuZW 2008, 454 ff. 338 Vgl. zur Anlageberatung(spraxis) Einsele, JZ 2008, 477 ff.
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Kreditgeber letztlich Vorgaben der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie und der entsprechenden Umsetzungsvorschriften im deutschen WpHG einhalten will. (b.) Problem der Überregulierung und Fremdkörperwirkung Die detailliert ausgestalteten Informationspflichten führen mitunter zu einer Erschwerung des Vertragsschlusses.339 Die umfangreichen Kataloge von Informationspflichten haben insbesondere an das Gemeinschaftsrecht den Vorwurf der Überregulierung herangetragen.340 Derartiger Kritik ist zuzugeben, dass die gemeinschaftsrechtlich geprägten, detailfreudig geregelten Informationspflichten in der Tat341 als in die nationale Rechtsordnung schwer integrierbare Fremdkörper hineinwirken.342 Jedoch erklären sich die komplex ausformulierten Informationspflichten durch die Sachzwänge der europäischen Rechtssetzung.343 Im deutschen Recht sind – wie bereits oben erwähnt – ausdrücklich geregelte Informationspflichten häufig bereits deshalb überflüssig, weil auf Grund von Regelungsvorgaben des allgemeinen Schuldrechts (der Generalklausel des § 242 BGB als auch dem Rechtsinstitut der cic, das in §§ 311, 241 II BGB verankert wurde) die Konkretisierung des vorvertraglichen Pflichtenprogramms hinsichtlich der „Generalvorgaben“ der Rechtsprechung überlassen bleiben kann. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts fehlen jedoch solche allgemein gehaltenen Regelungen, auch im Hinblick auf die Schwierigkeit einer etwaigen Implementation in die common-law-Rechtsordnung. Weil es nun daran fehlt, ist auch eine einheitliche Konkretisierung der vorvertraglichen Pflichten durch die Rechtsprechung bislang noch nicht gewährleistet.344 Um einheitliche Standards für alle Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu begründen, hat der Richtliniengesetzgeber häufig kaum eine andere Handlungsmöglichkeit als die detaillierte Rechtssetzung. Die deutsche Rechtsordnung muss sich daher im Hinblick auf diese gemeinschaftsrechtlichen Sachzwänge wohl zumindest übergangsweise etwas toleranter zeigen und kleinere Einbrüche in ihre Systematik und Stringenz hinnehmen.345 Anzumerken ist in 339 Vgl. Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information, aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 442 ff.; allgemein zum Problem des „information overload“ auch MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 639. 340 Insbesondere im Reiserecht, vgl. z.B. BR-Drucks. 167/88; BT-Drucks. 11/3701. 341 Zum Purismus als Kennzeichen des deutschen Zivilrechts vgl. Gilles, JA 1980, 1, 5; ders., NJW 1986, 1131 ff. 342 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schulrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 18. 343 Tonner, EWS 1993, 197 ff.; ders., Reiserecht in Europa, Pauschalreisen in EG-Binnenmarkt (1992), S. 138 ff. 344 Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 19. 345 Für das Modell der Auslagerung aus der Zentralkodifikation – ähnlich dem französischen Recht – macht sich insbesondere Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 572 stark.
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diesem Zusammenhang, dass sich vor dem Hintergrund der quantitativen und qualitativen Weiterentwicklung346 des Gemeinschaftsrechts die zu verkraftenden Systembrüche wohl in Grenzen halten werden. Schon der Vorschlag der neuen „Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“347 strengt jedenfalls für die dort eingestellten Verbraucherschutzrichtlinien (Haustürwiderrufsrichtlinie, Richtlinie über unfaire AGB-Klauseln, Richtlinie über Fernabsatzverträge und die Richtlinie über Verbrauchsgüterkaufverträge), die als Kernrichtlinien des materiellen Verbraucherrechts bezeichnet werden können, bereits eine Konsolidierung der vielfältigen, bereichsspezifisch ausgerichteten Informationspflichten des Unternehmers an. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Kapitel II Art. 5–7 des Vorschlags einer Richtlinie über Rechte der Verbraucher, der jetzt schon Informationspflichterfordernisse348 aus den vier von dem Richtlinienvorschlag einbezogenen Richtlinienbereichen, die neu geregelt werden sollen, kohärent zusammenfasst und damit ein Stück weit in die gewünschte Richtung geht. (c.) Problem der Implementierung De lege lata muss man sich allerdings überlegen, wie man mit dem Problem der Implementierung der großen Anzahl von komplex geregelten gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Vorabinformationen, die zumindest noch übergangsweise das EU-Recht kennzeichnen, umgeht.349 Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Hinblick auf die Flut von Informationspflichten dazu entschlossen, die notwendige Kohärenz sowohl für den Unternehmer als auch den Verbraucher dadurch sicher zu stellen, dass er die meisten Informationspflichten im Zuge der Schuldrechtsreform in die so genannte „BGB-InfoV“ eingestellt hat.350 Mit der Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie wird jetzt noch eine andere Regelungstechnik gewählt, denn danach sollen die Informationspflichten aus dem Verbraucherkreditbereich in das EGBGB eingestellt werden. Weil der Gesetzgeber diese Umgruppierung aber nicht mit allen im Verbraucher/Unternehmer-Verhältnis wirkenden Informationspflichten tat (vgl. dazu die vorgenannten Ausführungen), bestehen Zweifel daran, ob das Ziel der kohärenten Einflechtung der Regelungen in das deutsche Zivilrecht erreicht wurde. Schon wegen der 346
Zu erinnern ist hier an die vielfältigen Bestrebungen zur Entwicklung eines Europäischen Vertragsrechts(gesetzbuches) und an das Grünbuch der Kommission zur kohärenten Weiterentwicklung des Verbrauchervertragsacquis, KOM (2006), 744 endg. v. 8.2.2007. 347 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 348 Dazu umfangreich Nordhausen Scholes, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law (2009), S. 213, 218 ff.; kritisch zu Art. 5 des Vorschlags Micklitz/Reich, CMLRev 2009, 471, 484 ff. 349 Zum Implementierungsproblem vgl. Fleischer, in: Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 264. 350 Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 19.
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unterschiedlichen Verortung (BGB, BGB-InfoV, EGBGB, andere Nebengesetze) ist die Rechtslage im Bereich der verbraucherspezifischen Vorabinformation in Deutschland nach wie vor verwirrend.351 Auch vor diesem Hintergrund, aber hauptsächlich in Bezug auf die inhaltliche Komplexität der Vorschriften, wird in der Literatur empfohlen, eine generelle Norm über Aufklärungspflichten von Unternehmen in das Gesetzbuch, quasi als eine Art Generalklausel (als Synthese aus der Vielzahl der Einzelregelungen) aufzunehmen,352 um den Regelungscluster insgesamt zu entschlacken und übersichtlicher zu gestalten. Dies würde jedenfalls die Effizienz und Anwendungstransparenz der Regelungen zu den Vorabinformationen erhöhen.353 Ob eine größere Stringenz und der Abbau der Komplexität der Regelungen – so wie gefordert – vor dem Hintergrund der detailgenauen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts und dem Gebot der effektiven Umsetzung (das eben gerade keinen Rückgriff auf eine abstrakte Generalklausel nach deutschem Verständnis erlaubt) überhaupt möglich ist, ist aber zweifelhaft, was nicht bedeutet, dass hier nicht jeder Versuch der Umgestaltung der Regelung hin zu mehr Stringenz und Kohärenz sowohl bei der Verortung als auch der inhaltlichen Ausgestaltung nachdrücklich unterstützt wird. Er darf allerdings – und darauf ist streng zu achten – zu keinen inhaltlichen „Qualitätseinbußen“ hinsichtlich der Gemeinschaftsvorgaben führen. Gerade bezüglich der sich hier auftuenden Gratwanderung zwischen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und deutschem Optimierungsdrang bezüglich der inneren wie äußeren Regelungstechnik bleibt es eine Herausforderung und mutige Aufgabe für die deutsche Rechtswissenschaft, diesbezügliche Verbesserungsvorschläge an den Gesetzgeber heranzutragen. (d.) Problem der „Informationshypertrophie“ seitens des Verbrauchers Aber nicht nur der nationale Gestaltungsauftrag – hin zu mehr Stringenz und Kohärenz – stößt an Grenzen, soweit inhaltliche Vorgaben des Gemeinschaftsrechts tangiert werden. Auf dem Prüfstein steht neben der äußeren Gestaltung des Rechts durch den Gesetzgeber auch die Sinnhaftigkeit der Informationsfülle, die mittlerweile das Problem der „Informationshypertrophie“ seitens des Verbrauchers aufwirft.354 Vermehrt wird in den letzten Jahren in m.E. zutreffender 351
Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 216. Für das konsequente Zuendeführen des Auslagerungsmodells Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 572. 352 Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 216; Roth, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), S. 139 353 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1140. 354 Vgl. dazu Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 504 ff.; Wendlandt, VuR 2004, 117, 119; MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 5; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 639; Staudinger/Martinek (2004), Vor § 481 Rn. 57; Nordhausen Scholes, in: Howells/ Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Consumer Law (2009), S. 213, 214 ff.;
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Form im Zusammenhang mit den umfangreichen gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Informationspflichten des Unternehmers darauf hingewiesen, dass die gewählte Form und der Umfang der gesetzlichen Positivierung von Informationspflichten die Gefahr einer Informationsüberlastung („Informationsbombardement“355) birgt, die sich kontraproduktiv für den Verbraucher auswirkt.356 Denn die Erfahrung lehrt, dass der Mensch parallel nicht mehr als fünf bis neun Informationseinheiten aufnehmen und verarbeiten kann.357 Das derzeit von der Gemeinschaft praktizierte Informationsmodell ist hinsichtlich seiner konkreten Handhabung vor diesem empirischen Hintergrund kritisch zu hinterfragen.358 Wird die Information so wie bisher verabreicht, dann verkommt das Informationsangebot zum „Beipackzettelmodell“ (und ein Beipackzettel wird bekanntlich kaum gelesen, da er nur schwer verständlich ist 359). Wichtige Informationen verpuffen auf diese Weise und dieser Umstand ist nicht dazu angetan, die gewünschte, „informierte“ Entscheidung des Verbrauchers zu befördern.360 Zur Sicherstellung der Effizienz des Informationsangebotes wäre es notwendig, dass der Adressat die dargebotene Information überhaupt verarbeiten kann.361 Dies setzt wiederum voraus, dass das Datenmaterial dem DatenkonHowells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Consumer Law (2009), S. 3, 14. 355 Martinek, NJW 1997, 1393, 1396. 356 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 5; Wendlandt, VuR 2004, 117, 119 ff.; Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/ Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 264; van den Bergh, Wer schützt den europäischen Verbraucher vor dem Brüsseler Verbraucherschutz?, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung und Kooperation im Vertragsrecht (1996); Schäfer, Grenzen des Verbraucherschutzes und adverse Effekte des Europäischen Verbraucherrechts, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000); Martinek, Unsystematische Überregulierung und kontraintentionale Effekte im Europäischen Verbraucherschutzrecht oder: weniger wäre mehr, ebenda, S. 511, 518 ff.; Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2215; Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 266. 357 Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information (1998), S. 442; Whincup, Consumer Legislation in the United Kingdom and the Republic of Ireland (1980), S. 42; Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/ Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 264 f. 358 Ausführlich Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information (1998), S. 442 ff.; Grundmann, ECLRev 2008, 239 ff.; Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 14; Nordhausen Scholes, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 213, 214. 359 Vgl. dazu die Untersuchungen von Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 267 ff.; Hohgräwe, Verständlichkeit von Instruktionstexten und das Informationsverhalten von Arzneimittel-Verbrauchern (1988), S. 99 f. 360 Die Grenzen des Informationsmodells werden in BGH WM 1993, 848 auch vom BGH aufgezeigt. 361 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 639; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 219.
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sumenten (hier insbesondere dem Verbraucher) in jedem Fall „dosiert“362 und „geordnet“363 angeboten wird. Diese Voraussetzung erfordert eine Evaluation der derzeitigen europarechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Information des Verbrauchers bereits auf Gemeinschaftsebene, die auf eine Straffung i.S.e. Konzentration auf das Wichtigste ausgerichtet sein muss.364 Sollte eine Straffung bzw. Reduktion (i.S.d. Beschränkung der Pflichtangaben auf überschaubare „Schlüsselinformationen“)365 nicht möglich sein, was allerdings zweifelhaft ist, ist in jedem Fall eine Hervorhebung herausragender Informationen366 durch bestimmte Gestaltungsformen anzudenken, damit nicht der wichtige Teil einer komplexen Information von einer Flut nebensächlicher Daten überdeckt wird. Erkenntnisse der Sozialforschung, insbesondere die der Sprachwissenschaft,367 sind gerade in diesem Bereich mit denen der Rechtswissenschaft, mehr als es in der Vergangenheit geschehen ist, zu verknüpfen. Insofern bedarf es dringend eines Umdenkens bei der Festlegung der Informationspflichten auf Gemeinschaftsebene. Nötig ist nicht ein nicht mehr zu steigerndes quantitatives Maß an Informationen, sondern ein Optimum im Hinblick auf ihre Effizienz.368 3. Sanktionen bei Pflichtverletzungen Zu erörtern in dem oben genannten Zusammenhang ist nicht zuletzt auch das Problemfeld der Sanktionen von Pflichtverletzungen. In einigen Fällen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst hierfür Vorgaben geschaffen. Soweit er dies jedoch nicht tat, ist der nationale Gesetzgeber aufgerufen, zu handeln. Schon vor dem Hintergrund des Gebotes der effektiven Rechtsumsetzung darf er es nicht bei bloßen „Ordnungsaufrufen“ belassen. Die innerstaatliche Gesetzgebung und Judikatur haben vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass auch in diesen Fallgestal362 Für eine Reduktion Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 14. 363 Brönneke, Widerruf und Belehrungspflichten (2009), S. 33 spricht u.a. von der Notwendigkeit „klarer Strukturierung“ der Texte. 364 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1140; konkrete Vorschläge zu einer Neufassung unterbreitet etwa Brönneke, Widerrufsrecht und Belehrungspflichten (2009), S. 36 ff. 365 Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Contract Law (2009), S. 3, 14; Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 531; Staudinger/Martinek (2004), Vor § 481 Rn. 57; weitere Information sollten nur bei Wunsch des Kunden vermittelt werden, so Wendland, VuR 2004, 117, 123 f. 366 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 219; Brönneke, Widerruf und Belehrungspflichten (2009), S. 28 ff. 367 Vgl. Meyer, Instruktionshaftung (1992), S. 267 ff. 368 Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 264 f.
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tungen etwaige Pflichtverletzungen dem Unternehmer keine Vorteile bringen,369 sondern mit konkreten Nachteilen verbunden sind. Wie der deutsche Gesetzgeber und die Rechtsprechung diese Aufgabe zusammen mit der Rechtswissenschaft bewältigt, soll nachfolgend exemplarisch an einigen Regelungsbereichen erörtert werden, die bereits ein Schlaglicht auf die dabei aufkommenden verallgemeinerbaren Probleme werfen. a. Im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Im Rahmen des AGB-Rechts kommt insbesondere dem Transparenzgebot (neben den sonstigen Vorgaben der Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle) eine umfassende Bedeutung zu. In Bezug auf die Sanktionierung der Verletzung des Transparenzgebotes wird vertreten, dass (die einzelnen) intransparenten Klauseln ebenso wie missbräuchliche Klauseln nach Art. 6 I der Klausel-Richtlinie der EU für den Verbraucher unverbindlich sein sollen.370 Diese Wertung wird für das deutsche AGB-Recht durch § 306 I BGB übernommen. Nach den deutschen Vorschriften zum AGB-Recht ist eine intransparente Klausel gemäß § 306 I BGB unwirksam,371 während der Vertrag i.Ü. grundsätzlich bestehen bleibt. Zweifelhaft ist jedoch, ob die Klausel-Richtlinie nicht dann, wenn eine leistungsbestimmende Klausel im Kern intransparent ist, oder darüber hinaus ganz allgemein in den Fällen, in denen das Transparenzgebot vornehmlich auf die Sicherung einer informierten Abschlussentscheidung zielt, ein darüber hinausgehendes Vertragslösungsrecht erforderlich macht.372 Ein solches einseitiges Vertragslösungsrecht des Kunden ließe sich, so man es denn für europarechtlich geboten erachtet, auf mehreren Wegen begründen. Entweder man sieht in dem Transparenzverstoß ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verschulden bei Vertragsschluss, das nach den cic-Regeln zu behandeln ist. Oder aber man setzt bei § 306 I BGB an und verneint ein wirksames Geschäft. 373 Im Ergebnis ist es wohl nicht nur europarechtlich geboten, sondern auch sinnvoll, eine isolierte Unverbindlichkeit der intransparenten Klausel nach § 306 I BGB nur dann anzunehmen, wenn der Restvertrag ohne sie überhaupt sinnvoll Bestand haben kann.374 Dies ist nicht der Fall, wenn es sich um eine Klausel handelt, die die Hauptleistung und damit das Äquivalenzinteresse maßgeblich beeinflusst. Die Verletzung der Orientierungstransparenz gebietet es bei der Betroffenheit einer Hauptleistungspflicht ein wirksames Geschäft insgesamt abzulehnen. 369
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 219. Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2215. 371 BGHZ 115, 121 f.; BGHZ 136, 394, 401 f.; so auch BT-Drucks. 14/6040, S. 154. 372 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 292. 373 Zu diesen Alternativen vgl. Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 292; Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2215 f. 374 Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2216. Hinsichtlich der Klauselrichtlinie folgt dies schon aus dem Wortlaut des Art. 6 I, 2. Hs. 370
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b. Im Bereich spezifischer Verträge Aber auch außerhalb des AGB-Rechts hat sich hinsichtlich der einzufordernden Transparenz bei Vertragsbedingungen und den Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher der Grundsatz entwickelt, dass die Informationen hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Darreichungsform effektiv sein müssen. Ansonsten wird die jeweilige Vertragspflicht als „verletzt“ angesehen, was unterschiedliche Konsequenzen haben kann. (1.) Verbraucherdarlehen Dem Transparenzgebot und der Pflicht zur Vorabinformation im Bereich des Verbraucherdarlehens dienen insbesondere die Regelungen der §§ 491a f. BGB.375 Gemäß § 491a I BGB muss der Unternehmer beim Verbraucherdarlehensvertrag den anderen Teil schon vorvertraglich über die in Art. 247 EGBGB festgelegten Umstände informieren. I.Ü. bedarf der Vertrag der Schriftform, § 492 I 1 BGB. Der schriftliche Vertrag hat gemäß § 492 II BGB die Angaben nach Art. 247 §§ 6–13 EGBGB auszuweisen. Ab dem Tilgungszeitpunkt darf der Verbraucher gemäß § 492 III 2 BGB einen Tilgungsplan nach § 247 § 14 EGBGB verlangen. Die Rechtsfolgen eines Vorstoßes gegen die Schriftformvorgabe und die Unterlassung der Aufnahme der in § 492 II BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6–13 EGBGB geregelten Informationen in den Vertrag bestimmen sich nach § 494 BGB. Ähnlich wie im Bereich des AGB–Rechts ist hier eine Vertragsnichtigkeit vorgesehen, sofern die Schriftform insgesamt nicht eingehalten wurde oder die Angaben nach Art. 247 §§ 6 und 9–13 EGBGB fehlen, vgl. § 494 I BGB. Relativiert wird die Vertragsnichtigkeit nach § 494 II BGB im Zuge der Empfangnahme des Darlehens. Denn der Vertrag soll in dieser Situation bestehen bleiben (§ 494 II 1 BGB), allerdings nur in modifizierter Form. Denn der dem Verbraucherdarlehensvertrag zugrunde gelegte Sollzinssatz ermäßigt sich danach zwingend auf den gesetzlichen Zinssatz, § 494 II 2 BGB. Weitere Modifizierungen zugunsten des Verbrauchers sind bzgl. des effektiven Jahreszinses in § 494 III BGB, für nicht angegebene Kosten in § 494 IV BGB, zur Anpassung der Teilzahlungen in § 494 V BGB und bzgl. fehlender Angaben zur Laufzeit und zum Kündigungsrecht in § 494 VI BGB vorgesehen. Besondere Informationen während des Vertrages regelt § 493 BGB. (2.) Finanzierungshilfen Das Transparenzgebot und die Pflicht zur Vorabinformation fanden auch Eingang in den Bereich des Zahlungsaufschubes und der Finanzierungshilfen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Bedeutsam ist in diesem Zu-
375 Nach Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes zur neuen Verbraucherkreditrichtlinie wird hier nur noch ein Verweis auf die neu in das EGBGB eingestellten Informationspflichten für diesen Bereich stehen.
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sammenhang § 506 I BGB, der für diese Geschäfte auf § 491a BGB, daneben aber auch auf § 492 II, III BGB und somit auch auf die Pflichtangaben nach Art. 247 §§ 6–13 und § 14 EGBGB verweist. (3.) Verbrauchsgüterkaufvertrag Für den Verbrauchsgüterkaufvertrag postuliert § 477 I 1 BGB, dass eine Garantieerklärung einfach und verständlich abgefasst sein muss. Dem Verbraucher ist auf sein Verlangen die Erklärung in Textform auszuhändigen, § 477 II BGB. Inhaltliche Vorgaben ergeben sich aus § 477 I 2 BGB. Welche Sanktion im Fall eines Pflichtenverstoßes eingreift, regelt § 477 BGB allerdings nur teilweise.376 Dieser bestimmt nur, dass die Wirksamkeit der Garantieverpflichtung nicht dadurch berührt wird, dass eine der Anforderungen aus § 477 I, II BGB nicht erfüllt wurden. Die weiteren Rechtsfolgen müssen aus dem allgemeinen Recht gewonnen werden. Dazu wäre es wichtig, die Bestimmungen des § 477 I, II BGB als gesetzliche Konkretisierung von Aufklärungspflichten zu verstehen, die dem Verkäufer als vertragliche Nebenpflicht (§ 241 II BGB) obliegen.377 Eine Verletzung dieser Pflichten könnte dann einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 I BGB auslösen, ggf. i.V.m. § 311 II BGB, der ausnahmsweise (nämlich bei Ursächlichkeit der fehlerhaften Unterrichtung für den Abschluss des Vertrages) auch auf die Aufhebung des Vertrages gerichtet sein kann (§ 249 I BGB).378 Bei einem Verstoß gegen § 477 I 1 BGB kann in dieser Vorschrift eine Erweiterung der (nur für AGB geltenden) Unklarheitenregelung des § 305c II BGB bzw. des aus § 307 I 2 BGB folgenden Transparenzgebotes zu sehen sein; unklare Formulierungen müssen dann zugunsten des Verbrauchers ausgelegt werden.379 380
376
Vgl. zu dieser Regelungslücke Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 477 Rn. 4. Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 477 Rn. 4. 378 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 477 Rn. 12; Erman/Grünewald (11. Aufl., 2004), § 477 Rn. 2); Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 477 Rn. 4; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 477 Rn. 14. 379 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 477 Rn. 4; diese Sanktion ist auch im RegE, BTDrucks. 14/6040, S. 246 vorgesehen; kritisch dazu BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 477 Rn. 12, der eine Analogie ablehnt, weil ein Transparenzverstoß im AGB-Recht Nichtigkeit einer abtrennbaren Klausel voraussetzt und die Abtrennbarkeit hier bezweifelt wird, was m.E. jedoch fraglich ist. 380 Hiervon zu trennen sind die wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen der Nichtbeachtung von § 477 I, II BGB. Zum einen können unrichtige Garantieerklärungen als irreführende Werbung i.S.v. § 5 UWG anzusehen sein. Daneben kommt ein Verstoß gegen das Verbot unlauteren Handelns unter dem Gesichtspunkt des „Vorsprungs durch Rechtsbruch“ gemäß § 4 Nr. 11 UWG in Betracht. Ferner besteht ein Unterlassungsanspruch nach § 2 I, II 1, 1. Fall UKlaG; zum Ganzen Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 477 Rn. 5; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 477 Rn. 13. 377
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(4.) Teilzeit-Wohnrechteverträge Für Teilzeit-Wohnrechteverträge ordnet nach Umsetzung381 der neuen Timesharing-Richtlinie 2011 der nun aktuelle § 482 I BGB zum Schutz des im Einzelfall unkundigen Verbrauchers vor unverständlicher Information und nicht erkennbaren Vertragsinhalten382 eine Pflicht zur Vorab-Informationsvergabe in schriftlicher Form an, wobei dem Vertragsschluss regelmäßig die Wohnsitzsprache des Verbrauchers zugrunde zu legen ist (§ 484 BGB). Werden die Vorgaben zur Vertragssprache nicht eingehalten, wird der Verstoß gegen das Sprach-/resp. Transparenzgebot mit der Vertragsnichtigkeit geahndet (§ 483 III BGB). Ähnlich wie beim Verbraucherdarlehen ist eine Schriftform für den Vertrag vorgesehen sowie eine Aushändigung der Vertragsurkunde (§ 484 I, III BGB). Wurde der Vertrag nicht in schriftlicher Form abgeschlossen, ist er nach § 125 BGB nichtig.383 Inhaltliche Pflichtangaben ergeben sich aus der Verweisung in §§ 484 I 1 BGB i.V.m. Art. 242 § 1 EGBGB. Verstöße gegen den vorgeschriebenen Inhalt durch eine oder mehrere fehlende Angaben führen regelmäßig nicht zur Vertragsnichtigkeit, sondern haben die Sanktion des § 485a II BGB zur Folge: Die Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts beginnt danach erst, wenn dem Verbraucher die mitzuteilende Angabe schriftlich übermittelt worden ist (§ 485a II 1 BGB). I.Ü. erlischt das Widerrufsrecht abweichend von § 355 IV BGB erst (d.h. spätestens) drei Monate und zwei Wochen ab dem Zeitpunkt der Informationserteilung, vgl. § 485a II 2 BGB. (5.) Pauschalreisevertrag Auch im Pauschalreiserecht hat der Gesetzgeber Regelungen im Hinblick auf das Transparenzgebot und bestimmte vorvertragliche Informationspflichten seitens des Reiseveranstalters getroffen. So besteht gemäß § 651a III 1 BGB etwa eine Pflicht des Veranstalters, nach dem Vertragsschluss dem Reisenden unverzüglich eine Vertragsurkunde (sog. Reisebestätigung) zur Verfügung zu stellen. § 651a III 2 BGB verweist über Art. 238 EGBGB auf die in der BGB-InfoV (hier §§ 4–9) detailliert geregelten Pflichtangaben des Veranstalters, die sowohl im Prospekt als auch in der Reisebestätigung aufgeführt sein müssen. § 4 I BGB-InfoV legt in diesem Zusammenhang fest, dass der Prospekt klare und genaue Angaben über die dort aufgeführten Reisemerkmale enthalten muss. Das Transparenzgebot und die Pflicht zur Vorabinformation sind in dieser Vorschrift miteinander verschmolzen worden. Der Pflicht zur Vorabinformation dient auch § 5 BGB-InfoV, der die Unterrichtung über Pass- und Visaerfordernisse sowie gesundheitspolizeiliche Erfordernisse postuliert. Gleiches gilt für § 6 BGB-InfoV, der eine Pflicht zur Aus-
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Gesetz v. 17.1.2011, BGBl. I 2011, S. 34 ff. Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 483 Rn. 1. Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 484 Rn. 7.
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händigung einer Reisebestätigung bestimmten Inhaltes festschreibt sowie für die folgenden Spezialbestimmungen. Besondere Vorgaben hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung der Informationspflichten enthalten aber weder die §§ 651a ff. BGB noch die BGB-InfoV. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung wichtig, dass bei einer Verletzung des Transparenzgebotes oder der Pflicht zur Vorabinformation das allgemeine schuldrechtliche Instrumentarium zur Anwendung gelangen kann. c. Im Bereich besonderer Vertriebsarten Auch für den Bereich der besonderen Vertriebsarten hat das Unterlaufen der vorgegebenen Informationspflichten recht unterschiedliche Folgen. Die möglichen Sanktionsfolgen reichen von einer mit dem dispositiven Vertragsrecht in ergänzender Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu schließenden Vertragslücke, der Anfechtung der auf Grund fehlender bzw. fehlerhaft abgegebener Information abgegebenen Willenserklärung384 bis zur Vertragsanpassung über die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und die Statuierung von Schadensersatzpflichten über eine cic nach § 311 II BGB.385 In Einzelfällen können sich auch Fristen verschieben, so etwa der Fristbeginn bei der Ausübung des Widerrufsrechts, wenn über die Widerrufsmöglichkeit durch den Unternehmer nicht hinreichend genug informiert wurde (vgl. § 355 III 3 BGB). d. Bei Fehlen einer expliziten Sanktionsvorschrift Hat der Gesetzgeber, wie so häufig, keine Vorgaben hinsichtlich der Rechtsfolgen bei einer Pflichtverletzung getroffen, ist diese „Lücke“ durch das allgemeine schuldrechtliche Instrumentarium zu schließen. 386 Auf Grund der Vielgestaltigkeit der insoweit bestehenden Regelungsmodelle ist die Rechtslage jedoch nicht so klar wie es scheint. Es bestehen allein für die Frage einer Lösung vom Vertrag eine Reihe von Möglichkeiten: ein (Verbraucher-)Widerruf, sofern ein Widerrufsrecht besteht, ein Schadensersatzanspruch aus cic (§ 311 II BGB),387 der theoretisch bis zur Vertragsaufhebung (§ 249 BGB) gehen kann388 oder sich auf § 823 II BGB i.V.m. der Verletzung eines Schutzgesetzes stützt. Denkbar ist aber auch eine Anfechtung389 (nach §§ 119 ff. BGB).390 Man könnte zudem erwägen, dass 384
Vgl. dazu Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 5. BGH NJW 2006, 3139; Emmerich, JuS 2006, 1021 ff.; Möllers/Weichert, LMK 2006, 31 ff.; Thiesen, NJW 2006, 3102 ff.; Kersting, JZ 2008, 714 ff. 386 Zu diesem Befund vgl. Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 19. 387 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 189. 388 BGH NJW 2006, 3139; Emmerich, JuS 2006, 1021 ff.; Möllers/Weichert, LMK 2006, 31 ff.; Theisen, NJW 2006, 3102 ff.; Kersting, JZ 2008, 714 ff. 389 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 5. 390 Zu all diesen Regelungsmodellen der vorvertraglichen Informationspflichtverlet385
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der Vertrag wegen der Unbestimmtheit der Hauptleistungspflicht schon nicht wirksam geschlossen worden ist.391 Mangels des Fehlens einer gesetzgeberischen Klarstellung nimmt es nicht Wunder, dass hier unterschiedliche Ansätze vertreten werden. Ohne diese im Einzelfall auszuloten, soll für das Problem an dieser Stelle nur insoweit sensibilisiert werden, als dass darauf hinzuweisen ist, dass die Regelungen auch hinsichtlich der Fristen zur Rechtsausübung sehr stark voneinander abweichen. Wertungswidersprüche bei einem Nebeneinander der Regelungsmodelle können daher kaum vermieden werden.392 Auch vor diesem Hintergrund geht die Literatur bei der „Lückenschließung“ ganz überwiegend davon aus, dass die verbraucherschützenden vorvertraglichen Informationspflichten nicht anders zu behandeln sind als die im übrigen Schuldrecht auf der Grundlage der cic entwickelten Aufklärungspflichten,393 sodass auch die Rechtsfolgen der cic zur Anwendung gebracht werden. I.Ü. sollen allgemeine Rechtsbehelfe hinsichtlich eines etwaigen subjektiven Dissenses infolge gravierender Informationsmängel, wie die Anfechtung, zur Anwendung gebracht werden.394 e. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot und die Pflicht zur Vorabinformation schon die Unwirksamkeit des Vertrages nach sich ziehen kann, aber auch seine Vernichtbarkeit infolge Anfechtung auszulösen vermag oder (wo dies aus Verbraucherschutzgründen nicht tunlich erscheint) eine fehlerkongruente Vertragsanpassung erfolgt.395 I.Ü. ist ein Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der cic denkbar, der bis zur Vertragsaufhebung gehen kann.396
zung vgl. Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 20; Grigoleit, Reformperspektiven der vorvertraglichen Informationshaftung, ebenda, S. 269 ff. 391 Ebenda. 392 Roth, JZ 1999, 529, 533 ff. 393 Schulze/Schulte-Nölke, ebenda, S. 20; Fleischer, Vorvertragliche Pflichten am Beispiel der Informationspflichten, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 264; Roth, JZ 1999, 529, 533 ff.; Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 216. 394 Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 216. 395 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 1, 20. 396 Schulze/Schulte-Nölke, ebenda, S. 20; einschränkend zur Vertragsaufhebung aber die neue Rechtsprechung des BGH, vgl. dazu BGH NJW 1998, 302; dagegen liefert Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 387 ff., 511 ff. allgemeine Vorschläge in dem hier vertretenen Sinne zum Ausbau der cic zu einem allgemeinen Rechtsinstitut des Schutzes vor einem unerwünschten Vertrag.
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II. Das Verbraucherwiderrufsrecht Neben dem Transparenzgebot und der Pflicht zur Vorabinformation ist das Konsumentenschutzrecht ganz wesentlich durch den Ausbau eines einseitigen Vertragslösungsrechts zugunsten des Verbrauchers gekennzeichnet. Widerrufsrechte gehören neben Informationspflichten zum „traditionellen Instrumentarium des Verbraucherschutzrechts“.397 Der europäische und deutsche Gesetzgeber hat sich mit der Regelung von Widerrufsrechten, die dem Verbraucher bei bestimmten (nicht allen!)398 Geschäften gegenüber dem Unternehmer die Möglichkeit der nachträglichen Abstandnahme vom Vertrag einräumen, gegen das (vor allem in Frankreich früher gängige) Modell der zwingenden Einräumung und Einhaltung einer Bedenkzeit vor Abgabe der Willenserklärung entschieden. In Frankreich war dies insbesondere für komplexe Geschäfte wie den Immobiliarkredit vorgesehen gewesen.399 Die Übernahme dieses Modells in EU-weiter Form war wohl vor allem deshalb nicht opportun, weil ein umfassenderer Schutzansatz verfolgt wurde. Es sollten nämlich nicht nur komplexe, wirtschaftlich sehr bedeutsame Rechtsgeschäfte in den Bereich einer zwingend zu gewährenden Überlegungsfrist für den Verbraucher einbezogen werden, sondern auch solche Erklärungen/Verträge, die auf Grund von Überrumpelungssituationen zustande gekommen sind. Im letzteren Fall ist eine vorvertragliche Bedenkzeit faktisch nicht gegeben, auf sie zu insistieren, würde bestimmte Vertragsabschlüsse ganz verhindern. Und zwei unterschiedliche Modelle einzuführen (vorvertragliche/nachvertragliche Bedenkzeit) wäre wohl für den Rechtsanwender zu schwierig gewesen, obgleich das Modell der vorvertraglichen Bedenkzeit freilich den Charme besitzt, Rückabwicklungsprobleme, die beim derzeitigen Widerruf bestehen, ganz zu verhindern.400 Außerdem greift es in die Vertragsbindung, die gar nicht erst zustande kommt, nicht ein. Die Besonderheit des hauptsächlich Verbrauchern gewährten nachvertraglichen Vertragslösungsrechts liegt darin, dass das Widerrufsrecht eine Abstandnahme vom Vertrag nicht deshalb ermöglicht, weil die Rechtsordnung dem geschlossenen Vertrag von vornherein die Bindungskraft versagt, wie es etwa beim sittenwidrigen Vertrag (§ 138 BGB) oder beim Vertrag mit einem Geschäftsun397 BT-Drucks. 14/2658, S. 16; Brönneke, Widerrufsrechte und Belehrungspflichten (2009), S. 5: „Herzstück“. 398 Zu dem Diskurs über die Möglichkeit einer Verallgemeinerung, d.h. der breitflächigen Einführung eines Widerrufsrechts, vgl. meine Ausführungen im 3. Teil bei den Schlussfolgerungen für die Gesetzgebung und Rechtsprechung. Eine Verallgemeinerung wird dort abgelehnt. 399 Instruktiv dazu Kemper, Verbraucherinstrumente (1994), S. 226 f. 400 Die Vorzüge dieses Modells herausstellend Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 256 f.
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fähigen der Fall ist (§§ 104 ff. BGB), oder weil eine Leistungsstörung dem Verbraucher als Vertragspartner ein Rücktrittsrecht eröffnet. Der Verbraucher hat im Fall des Widerrufsrechts vielmehr ein besonderes Gestaltungsrecht. Dass dieses ein „tatbestandsloses Reuerecht“401 darstellt, stimmt allerdings nicht (ganz). Denn der Widerruf verlangt das Vorliegen eines bestimmten Widerrufstatbestandes, d.h. einer besonderen Vertrags(schluss)situation. Diese wird vom Gesetz in enumerativer Weise aufgezählt. Erst wenn sie gegeben ist, ist der Verbraucher „frei“, seine Abstandnahme vom Vertrag innerhalb der für den Widerruf geltenden Frist zu erklären. „Frei“ hinsichtlich der Ausübung des Widerrufsrechts ist der Verbraucher bei Bestehen einer Abstandnahmemöglichkeit vom Kontrakt insoweit, als er anders als bei der Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB nicht an bestimmte Gründe i.S.d. notwendigen Vorliegens von Irrtümern gebunden ist. Zudem entfällt jeder bei der Vertragslösung nach §§ 119 ff. BGB erforderliche Vertrauensschadensersatz. Erforderlich ist nicht einmal, dass der Unternehmer als Widerrufsgegner eine Vertragsstörung, wie es sonst nach den Regelungen der §§ 311 II, 241 II, §§ 280, 281 oder §§ 323, 324, 326 V, 437 Nr. 2, 440, 634 Nr. 3, 636 BGB notwendig ist, verursacht bzw. verschuldet hat.402 Der rechtsgeschäftliche Ansatz zur Modifizierung privatrechtlicher Dogmatik beim Verbraucherwiderruf ist allerdings nicht unumstritten. Während die einen dieses Rechtsinstitut als für „rechtsethisch völlig legitim“403, wenn nicht gar für notwendig und erweiterungsbedürftig404 erachten, bewerten es andere als „nicht recht durchdachtes“, „unreifes“ Rechtsgut und als „systemwidrig“, weil mit dem Bild des BGB vom mündigen Bürger, der sich an einen einmal geschlossenen Vertrag halten sollte, unvereinbar.405 Besonderer Zündstoff liegt nach Ansicht einiger überdies in dem Umstand begründet, dass dem deutschen Gesetzgeber auf Grund der Vorgaben der europäischen Verbraucherschutzrichtlinien bis zu einem gewissen Grad die Hände gebunden sind.406 Jenseits der Problematik von Vorgaben der Gemeinschaft ist die Verankerung des verbraucherschützenden Widerrufsrechts im deutschen Recht letztendlich dadurch zu rechtfertigen, dass in ihm der sich im gesamten Zivilrecht spürbar ausbreitende Gedanke der Kompensation gestörter Vertragsparität zum Ausdruck kommt.407 Und solange die widerrufsbelasteten Konstellationen vertrags401
So aber v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006),
S. 232. 402
Zu dieser Besonderheit Meller-Hannich, Jura 2003, 369, 370. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 344. 404 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 255: „Das starre Enumerationsprinzip“ muss fallen. 405 Gernhuber, WM 1998, 1797; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 119 zu §§ 1b–d AbzG. 406 Reiner, AcP 203 (2003), 1, 11. 407 Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 1; Bülow, 403
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bzw. situationsabhängig eingegrenzt werden und zudem dem Vertrauen des anderen Teils in die Wirksamkeit des Vertrages durch die zeitliche Begrenzung der Ausübung des Widerrufsrechts entsprochen wird, kann man bei § 355 BGB noch nicht von dem „Einzug einer Rechtsfigur des tatbestandslosen Reuerechts in die allgemeine Zivilrechtskodifikation sprechen“, vor der man warnen müsse, weil sie die Gefahr weiterer Lockerungen der vertraglichen Bindung berge und somit den Grundsatz pacta sunt servanda in schleichender Form auflöse.408 Notwendig ist hier ein Vorgehen mit Augenmaß, d.h. ein richtiges Ausbalancieren zwischen Grundsatz und Ausnahme, das der Gesetzgeber m.E. bislang in untadeliger Weise vorgenommen hat.409 1. Allgemeines Verbraucherschützende Widerrufsrechte gibt es schon seit über dreißig Jahren.410 Im Jahre 1974 wurde erstmals außerhalb von völlig randläufigen Spezialgesetzen411 ein das deutsche Zivilrecht etwas breitflächiger beeinflussendes Widerrufsrecht geschaffen, und zwar durch die Aufnahme des § 1c in das Abzahlungsgesetz (AbzG). Schon bald wurde jedoch erkannt, dass nicht allein nur Abzahlungsgeschäfte, sondern auch viele andere Gefahrenlagen zugunsten einer dem Verbraucher einzuräumenden „nachträglichen Bedenkfrist“ einer ähnlichen Regelung bedurften.412 Widerrufsrechte als nachvertragliche Mittel zum Schutz von Verbrauchern sind daher nach und nach für mehrere besonders sensible Bereiche eingeführt worden. Der Gesetzgeber hat mit den Widerrufsrechten ein gänzlich neues Mittel zum Schutz der Entscheidungsfreiheit geschaffen.413 Dieses steht in einem Spannungsfeld zwischen der formalen und materiellen Vertragsfreiheit/Vertragsgerechtigkeit, denn Widerrufsrechte durchbrechen den Grundsatz „pacta sunt servanda“.414 Aber so wie es grundsätzlich unbedenklich ist, zum Schutz in: Bülow/Artz, Handbuch des Verbraucherprivatrechts (2005), S. 70 Rn. 1; Roth, JZ 2001, 480 ff.; Zerres, JA 2002, 166, 169 408 So aber v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 233. 409 Schon im Zuge der Debatte um die Reform des deutschen Lauterkeitsrechts wurde die Forderung erhoben, ein eigenständiges, verschuldensunabhängiges Vertragslösungsrecht des Verbrauchers in Fällen des unlauteren Wettbewerbs vorzusehen (Fezer, WRP 2003, 127 ff.; ablehnend Sack, BB 2003, 1073, 1081; Weiler, WRP 2003, 423 ff.) Hiergegen hat sich der Gesetzgeber (BT-Drucks. 15/1487) jedoch gerade mit dem Hinweis auf den Grundsatz pacta sunt servanda gesperrt, womit er besonderes Augenmaß bewies. 410 Reiner, AcP 203 (2003), 1, 2 f. 411 Vgl. dazu § 11 AuslInvG und § 23 KAAG im Jahr 1969, § 4 FernUSG im Jahr 1976. 412 Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 4. 413 Kemper, Verbraucherinstrumente (1994), S. 227; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 343. 414 In diesem Sinne auch Tonner, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Verbrauchervertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 1.
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der Entscheidungsfreiheit Formvorschriften aufzustellen und dem Vertragspartner Informationspflichten aufzuerlegen und dadurch die Privatautonomie einzuschränken, ist es ebenso vertretbar, wenn der Gesetzgeber einer Partei eine nachvertragliche Überlegungsfrist einräumt.415 Allerdings muss der Gesetzgeber ebenso wie beim Aufstellen von Formvorschriften dafür einen triftigen Anlass haben. Denn eine Inflation der Widerrufsrechte würde den Grundsatz der Vertragsbindung völlig aushöhlen und die Rechtssicherheit gefährden.416 Aus diesem Grunde sind Widerrufs- und Rückgaberechte nur vereinzelt dort eingeführt worden, wo individual-psychologische Verführungen wirksam sind417 und zum schnellen Geschäftsabschluss verleiten,418 denen auch durch vorvertragliche Informationspflichten nicht ausreichend begegnet werden kann. Widerrufsrechte als marktkompensatorische Instrumente des Verbraucherschutzes sind aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dem „milderen Mittel“ der Verbraucherinformation stets nachgeordnet,419 und dies sollte auch so bleiben. 2. Gesetzgeberische Konzeption und ihre Wurzeln Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts …“ am 30.6.2000420 haben verbraucherschützende Widerrufsrechte und deren Durchführungsregelungen den Kernbestand des deutschen Privatrechts erreicht, nämlich das BGB.421 Durchführungsvorschriften gab es zunächst in Gestalt der § 361a, b BGB und seit der Schuldrechtsmodernisierung vom 1.1.2002 in der sprachlich und inhaltlich überarbeiteten Fassung der §§ 355–359 BGB (neu hinzugekommen sind 2010 die §§ 359a und 360 BGB). Weil der Einstieg in den Verbraucherwiderruf jedoch durch Vorschriften außerhalb des Komplexes der §§ 355 ff. BGB ausgelöst wird, regelt § 355 I BGB nur die Rechtsfolge. Die Regelung selbst räumt dem Verbraucher kein Widerrufsrecht ein, sondern ist nur dann anwendbar, wenn sich der „Auslöser“ für den Widerruf aus einer anderen Norm ergibt. Die Besonderheit des § 355 BGB besteht darin, dass diese Regelung sodann für alle Widerrufsrechte einheitliche422 Modalitäten zur Ausübung des Widerrufsrechts vorgibt.423 Es findet quasi eine Ausübungs- und Rechtsfolgenbündelung statt. § 355 BGB regelt das „Wie“ des Wi-
415 416 417 418 419 420 421 422 423
Canaris, AcP 200 (2000), 273, 344. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 344. Struck, JA 2004, 68, 72. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 9. Grundmann, JZ 2000, 1133, 1137 f. BGBl. I, 897. MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 1. Zum Vereinheitlichungszweck vgl. Begr. RegE FernAbsG, BT-Drucks. 14/2658, S. 29. MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 1.
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derrufs, während das „Ob“ (d.h. die Existenz des Widerrufsrechts) den Gegenstand spezieller Vorschriften bildet.424 Jedoch kann bereits das einheitlich gestaltete Prozedere bei der Durchführung des Verbraucherwiderrufs als Beleg dafür gewertet werden, dass der Gesetzgeber die an verschiedener Stelle geregelten Widerrufsrechte – ungeachtet ihrer Unterschiede im Einzelfall – als eine „normative Einheit“ begreift, die auch gesetzessystematisch zum Ausdruck zu bringen war. Freilich besteht diese vollständige Einheit zunächst nur auf der Rechtsfolgenseite. Auf der Tatbestandsebene verbindet die meisten Widerrufsrechte lediglich die Verbraucher-Unternehmer-Beziehung, die das Widerrufsrecht auslösenden Verträge und Situationen sind recht verschieden. In der Literatur wird – auch in Bezugnahme auf die verschiedenen Anknüpfungspunkte der Widerrufsrechte – vorgebracht, dass es keinen Grundsatz gäbe, wonach im Rechtsverkehr die Interessen des Verbrauchers immer gegenüber dem Unternehmer zu bevorzugen wären.425 Dem ist jedoch zu widersprechen. Es scheint überzeugender, den derzeitigen Bestand an verbraucherschützenden Widerrufsrechten insgesamt als Ausfluss des einheitlichen Rechtsgedankens des Verbraucherschutzes zu begreifen, der sich freilich bislang nur in Einzelnormen, auch beim Widerruf, Bahn gebrochen hat, der aber einer gemeinsamen normativen Wurzel entspringt und infolge der derzeitigen Normendichte und -höhe bereits eine gewisse Verdichtungs- und Generalisierungstendenz auch auf der Tatbestandebene aufweist.426 Freilich finden sich die Vorschriften, welche ein Widerrufs- bzw. Rückgaberecht anordnen und dadurch die §§ 355 ff. BGB „aktivieren“, formal betrachtet, noch über das gesamte BGB, z.T. auch außerhalb dessen, verstreut. Sie beruhen zum einen auf Vorgaben des europäischen Sekundärrechts. Teilweise handelt es sich jedoch auch um Besonderheiten des deutschen Rechts.427 Für Haustürgeschäfte schreibt Art. 5 der Haustürgeschäfterichtlinie 85/577 ein so apostrophiertes Rücktrittsrecht vor, Art. 6 der Fernabsatzrichtlinie 97/7 und Art. 6 der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen 2002/7565 benennen dieses Vertragslösungsrecht ebenfalls. Noch kein Widerrufsrecht enthielt die alte Verbraucherkreditrichtlinie 87/102/EWG. Die deutschen Widerrufsrechte nach §§ 495, 499, 500, 501, 505 BGB waren nationale Optionen entsprechend Art. 15 424
MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 17. Reiner, AcP 203 (2003), 1, 8. 426 Ein Beleg hierfür ist etwa die Schlussfolgerung, dass aus § 355 BGB selbst der halbzwingende Charakter der Norm herauszulesen ist, weil diese Norm als Abwicklungsregelung den Rechtscharakter des Schutzgesetzes mit den Normen, die das Widerrufsrecht einräumen, teilt; vgl. dazu MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 4; Staudinger/Kaiser (2004), § 355 Rn. 65; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009). 427 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 26 f.; Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 216; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 1. 425
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der alten Verbraucherkreditrichtlinie gewesen.428 Die neue Verbraucherkreditrichtlinie hat dieses Defizit jedoch durch Statuierung eines eigenen Widerrufsrechts beseitigt, dessen Niederschlag sich nun in §§ 495, 510 I 1 BGB findet. Nach deutschem Recht verweisen die §§ 312 I 1, 312d I 1, 485 I, 495 I, 510 I 1 BGB sowie § 4 I FernUSG auf § 355 BGB. Demgegenüber erstreckt sich die Vereinheitlichung des § 355 BGB nicht auf das in § 126 InvG geregelte Widerrufsrecht zugunsten von Kapitalanlegern429 sowie auf die versicherungsrechtlichen Widerrufsrechte nach §§ 8, 48c VVG.430 Wo europäisches Sekundärrecht umzusetzen war, stellt sich das Erfordernis der Richtlinienkonformität. Während die Haustürgeschäfterichtlinie in ihrer deutschsprachigen Fassung ein Rücktrittsrecht bestimmt, ist in der Fernabsatzrichtlinie von einem Widerrufsrecht die Rede, sodass die Überlegung angebracht ist, ob im Fall von Haustürgeschäften eine richtlinienkonforme Umsetzung nur in einem Rücktrittsrecht gemäß §§ 346 ff. BGB liegen kann und die Ausgestaltung als Widerruf nur für Fernabsatzverträge angezeigt wäre. Diese Überlegung führt jedoch in die Irre. Denn die Richtlinien, die Vertragslösungsrechte einräumen, sind nicht so zu verstehen, dass den Mitgliedstaaten eine bestimmte dogmatische Konstruktion der Lösung vom Vertrag vorgeschrieben wird. Sie haben vielmehr nur die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dem Verbraucher die Lösung vom Vertrag zu ermöglichen, in welcher dogmatischen Form auch immer.431 3. Gesetzesgenese Die Vorschriften der §§ 355 ff. BGB wurden im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung neu gefasst. Sie gehen überwiegend auf die Bestimmung des früheren FernAbsG432 zurück, durch welche die nunmehr aufgehobenen § 361a und § 361b neu in das BGB aufgenommen worden waren. Erhebliche Änderung erfuhr § 355 BGB durch das OLG-Vertretungsänderungsgesetz, mit dessen Art. 25 die Vorgaben der so genannten Heininger-Entscheidung des EuGH umgesetzt wurden.433 Ergänzend führte das BMJ mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der BGB-InfoV vom 1.8.2002434 ein Muster für die Widerrufsbelehrung ein. § 355 III BGB a.F. wurde im Zuge der Umsetzung der Richtli428 Siehe auch Siems, EuZW 2008, 454 ff. zum neuen Widerrufsrecht in der neuen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG. 429 Vgl. dazu Nickel, ZBB 2004, 197, 202 f.; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 18. 430 Fischer, DB 2002, 253, 255; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2008), § 355 Rn. 18. 431 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 28. 432 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro v. 9.2.2000 (BGBl. I, S. 897 mit Berichtigung S. 1139); vgl. zum gesetzgeberischen Hintergrund MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 1. 433 Vgl. dazu unten. 434 BGBl. 2002 I, S. 2958.
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nie 2002/65/EG ergänzt. Die jetzige Fassung der §§ 355 ff. BGB ist auf das „Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdienste-Richtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht“ vom 29.7.2009 mit Wirkung zum 11.6.2010 zurückzuführen.435 I.Ü. plant die Kommission derzeit, die verschiedenen Widerrufsrechte auf EU-Ebene zu harmonisieren. In dem „Vorschlag einer Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“,436 der 2008 verabschiedet wurde, finden sich im 2. Kapitel Regelungen zur einheitlich gestalteten Dauer und den Beginn der Widerrufsfrist (Art. 12), zu den Folgen bei Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht (Art. 13), zur Ausübung des Widerrufsrechts (Art. 14) und seine Wirkung (Art. 15), zu den Pflichten der Vertragspartner nach Ausübung des Widerrufsrechts (Art. 16– 17) und zur Ausstrahlung auf akzessorische Verträge. Die Kommission avisiert in diesem Bereich eine Vollharmonisierung. Setzt sie sich mit ihrem Ansinnen durch, bliebe den nationalen Gesetzgebern kein Spielraum mehr für im Verbraucherschutz weitergehende nationale Regelungen, sodass die deutschen Bestimmungen – zumindest punktuell437 – geändert, d.h. auch im Schutzniveau „zurückgefahren“ werden müssten.438 Die textliche Ausgestaltung des Widerrufsrechts hat bei der Erneuerung des Schuldrechts verschiedene Phasen durchlaufen. Früher hieß es in den entsprechenden Bestimmungen zum Konsumentenschutz „die Willenserklärung wird erst wirksam“. Heute regelt § 355 I 1 BGB, dass der Verbraucher an seine „auf den Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden ist“, wenn ein form- und fristgerechter Widerruf erklärt worden ist. Dies hat Folgen für die konzeptionelle Ausgestaltung des Vertragslösungsrechtes, das sich von einem Recht zur Beseitigung eines schwebend (un-)wirksamen Vertrags zu einem rücktrittsähnlichen Beseitigungsrecht eines wirksamen Vertrages i.S.e. schwebenden Wirksamkeit439 gewandelt hat. a. Das Altkonzept der schwebenden Unwirksamkeit Ursprünglich galt, dass – in Bezug auf die meisten verbraucherschützenden Widerrufsrechte – der widerrufliche Vertrag als „schwebend unwirksam“ zu charakterisieren war.440 Das VerbrKrG, das HWiG und das TzWrG basierten auf 435
BGBl. I, S. 2355. Vgl. dazu KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008 437 Kritisch hierzu Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff. 438 Vgl. zu den Details noch weiter hinten im 2. Teil, 1. Kapitel B II 6. 439 BT-Drucks. 14/2658, S. 47; OLG Koblenz NJW 2006, 919, 920; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 28; dies., NJW 2000, 2049, 2052; Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1282; Lorenz, JuS 2000, 833, 835 ff.; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 31. 440 Meller-Hannich, Jura 2003, 369; 373; Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 73 Rn. 9. 436
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dieser Konstruktion.441 Anders sah es nur in randläufigen Widerrufsbereichen wie denen des § 4 FernUSG a.F., § 8 IV VVG442 und § 126 InvG443 aus, wo von einer „schwebenden Wirksamkeit“ gesprochen werden konnte. Ein umfassendes Konzept der schwebenden Wirksamkeit in Bezug auf den verbraucherschützenden Widerruf ist erst bei Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie durch den damaligen § 361a BGB mit Wirkung vom 1.10.2000 eingeführt worden. Nach der früheren Konzeption der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages wurde die Willenserklärung des Verbrauchers erst rechtlich bindend, wenn er sie nicht fristgerecht widerrief. Es gab also zunächst keinen Vertrag, keine Bindung und keine Erfüllungsansprüche. Erst mit Ablauf der Widerrufsfrist ohne Erklärung des Widerrufs konnte der Vertrag voll wirksam werden. Das so gestaltete Widerrufsrecht konnte sich in der deutschen Privatrechtsordnung an kein Referenzmodell anlehnen,444 namentlich war es weit davon entfernt, ein Rücktrittsrecht zu sein oder dem Modell der schwebenden Unwirksam nach § 108 II BGB (das bei Geschäften von Minderjährigen verwandt wird) gleichzustehen. Denn die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters zeitigt dort gemäß § 184 BGB Rückwirkung, während beim Widerruf die Vertragswirksamkeit lediglich ex nunc durch die Untätigkeit des Widerrufsberechtigten eintrat.445 b. Das neue Konzept der Wirksamkeit bis zum Widerruf Nach dem zweiten (neueren) Konstruktionstyp, „dem Wirksamkeitsmodell“, ist die Willenserklärung des Verbrauchers von Anfang an wirksam, d.h. die beiderseitigen Erfüllungsansprüche entstehen unmittelbar mit Vertragsschluss,446 soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Der Verbraucher ist aber an seine bis dato wirksame Willenserklärung „nicht mehr gebunden“ (§ 355 I BGB, § 361a I BGB a.F.) bzw. „nicht gebunden“ (§ 4 I 1 FernUSG) a.F.), wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf begründet hier eine rechtsvernichtende Einwendung. Für die Beschreibung des Zustandes der Willenserklärung und des Vertrages während der Widerrufsfrist hat sich der Begriff der „schwe441
Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 156. Obwohl angesichts der neutralen Fassung des VVG vielfach die Ansicht vertreten wurde, es handelt sich auch hier um eine schwebende Unwirksamkeit, so Gernhuber, WM 1998, 1797, 1798; Schirmer, VersR 1996, 1045, 1048; a.A. aber Certa, Widerruf und schwebende Unwirksamkeit nach den Verbraucherschutzgesetzen (2000), Rn. 40; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 156. 443 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 156; Boemke, AcP 197 (1997), 161, 168; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2051; Lorenz, NJW 1995, 2258, 2261. 444 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 157. 445 Daraus zog der BGH die Konsequenz, dass der Widerruf nach dem Konzept der schwebenden Unwirksamkeit kein Gestaltungsrecht sei (BGH NJW 1995, 57); zu Recht kritisch dazu Gernhuber, WM 1998, 1797 ff.; Fuchs, AcP 196 (1996), 312, 350; Meller-Hannich, Jura 2003, 369, 374 Fn. 50. 446 Bülow, ZIP 1999, 1293 ff.; K. Schmidt, JuS 2000, 1096 ff.; Heiderhoff, ZEuP 2001, 276, 285 ff.; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 355 Rn. 1. 442
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benden Wirksamkeit“ etabliert. 447 Heute wäre es wohl aber besser, weil genauer, von „vernichtbarer Wirksamkeit“ zu sprechen. Das Wirksamkeitsmodell tauchte zum ersten Mal im FernUSG in dessen ursprünglicher Fassung von 1976 auf. Der Gesetzgeber hat es mit leicht verändertem Wortlaut seit dem 30.6.2000 zunächst in den §§ 361a, b BGB und seit dem 1.1.2002 in den §§ 355 ff. BGB zum allgemeinen Standard erhoben.448 Nach gegenwärtigem Stand ist die Vertragslösung durch Widerruf alles in allem als ein dem Rücktrittsrecht449 angenähertes gesetzliches Gestaltungsrecht450 anzusehen, bei dem durch Erklärung des Widerrufs die Grundlage für den vertragsbezogenen Leistungsaustausch beseitigt wird. Der Widerruf verändert insofern die zwischen den Parteien bestehende Rechtslage nach wirksamem Vertragsschluss, als er die rechtsgeschäftliche Bindung des Verbrauchers beseitigt und beide Parteien von bereits entstandenen Leistungspflichten freistellt. Bereits erbrachte Leistungen sind vom jeweiligen Empfänger zurückzugewähren. Das Schuldverhältnis fällt aber nicht ganz weg. Es bleibt modifiziert in Form eines Abwicklungsschuldverhältnisses bestehen,451 das durch gesetzliche Verweisung zur Anwendung der Regelungen des Rücktrittsrechts (§§ 357, 346 ff. BGB) führt. 4. Anwendungsvoraussetzungen Die Anwendungsvoraussetzungen zur wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts ergeben sich aus dem Zusammenspiel der den Widerruf einräumenden Vorschriften sowie den von §§ 355 ff. BGB aufgestellten Modalitäten. a. Verbraucher/Unternehmer-Verhältnis Aus der Gesamtschau der Normen ergibt sich, dass das Widerrufsrecht insbesondere ein Schutzmechanismus zugunsten des Verbrauchers innerhalb von Verbraucherverträgen, d.h. in einer Verbraucher/Unternehmer-Beziehung ist.452 447 BT-Drucks. 14/2658, S. 47; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 28; Erman/ Saenger (11. Aufl., 2004), § 355 Rn. 2; ablehnend, weil für entbehrlich haltende Beschreibung Meller-Hannich, Verbraucherschutzrecht im Schuldvertragsrecht (2005), S. 159. 448 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/2658, S. 47, zu § 361a BGB: „Übernahme der Konstruktion des FernUSG“. 449 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 355 Rn. 2; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 1; BaRoth/Grothe (2. Aufl., 2007), § 355 Rn. 3; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049 ff.; MellerHannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 159; dies., Jura 2003, 369, 373 f.; Lorenz, JuS 2000, 833, 835; Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1282 („modifiziertes gesetzliches Rücktrittsrecht“); v. Kroppenfels, WM 2001, 1360, 1364; a.A. Reiner, AcP 203 (2003), 1 ff.: „anfechtungsähnliches Gestaltungsrecht“. 450 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 355 Rn. 1; Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 72 Rn. 7. 451 Ebenda. 452 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 355 Rn. 3; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 11.
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Gesetzestechnisch stellt der Gesetzgeber diese Anwendungsvoraussetzung durch die amtlichen Überschriften des Zweiten Untertitels (§§ 355 bis 360 BGB) als auch durch § 355 BGB heraus, wobei als Verbrauchervertrag in diesem Sinn auch der Fernunterrichtsvertrag i.S.v. § 2 FernUG gedeutet wird.453 b. Gegenstand des Widerrufs: Die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung Gegenstand des Widerrufs ist die zum Vertragsschluss auf den Weg gebrachte Willenserklärung.454 Darauf, ob die Willenserklärung – durch Annahme seitens des anderen Teils – bereits zum Vertragsschluss geführt hat, kommt es nicht an.455 Das Gesetz geht zwar, wie die Regelung im Fünften Titel und die Ausgestaltung des Widerrufsrechts zeigen, davon aus, dass die Ausübung des Vertragslösungsrechts zur Rückabwicklung eines bereits geschlossenen Vertrages führt. Nach dem Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen steht dem aber nicht entgegen, dem Verbraucher schon zuvor (d.h. vor wirksamem Vertragsschluss) den Widerruf seiner Willenserklärung zu gestatten und ihm damit die Möglichkeit zu geben, den Vertragsschluss von vornherein zu verhindern.456 Da er nicht verpflichtet ist, die Ware oder Leistung des Unternehmers vor Ausübung des Widerrufs zu prüfen, kann der Verbraucher frei über den Widerruf entscheiden; das wird durch das Fehlen einer Begründungspflicht (vgl. § 355 I 2 BGB) bestätigt. c. Spezialgesetzliche Verweisungsvorschriften als Anknüpfungspunkte Da sich die Funktion des § 355 BGB darauf beschränkt, die Grundsätze für die Ausübung und die Rechtsfolgen eines spezialgesetzlich eingeräumten Widerrufsrechts festzulegen, bedarf es allerdings einer die Existenz des Widerrufsrechts einräumenden Spezialnorm, welche auf § 355 BGB ausdrücklich verweist.457 Vorschriften, welche die Anwendung von § 355 BGB über das Widerrufsrecht bestimmen, sind § 312 I 1 (Haustürgeschäfte), § 312d I 1 (Fernabsatzgeschäfte), § 485 I BGB (Teilzeit-Wohnrechtegeschäfte), § 495 I, II BGB (Verbraucherdarlehen), § 510 I 1 BGB (Ratenlieferungsgeschäfte) und § 4 FernUSG (Fernunterrichtsgeschäfte).
453
Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 12. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 162. 455 Reich, EuZW 1997, 581, 585; Schneider, ZGS 2003, 21, 23; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 2; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 20. 456 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 20; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 162 f.; Certa, Widerruf und schwebende Unwirksamkeit nach den Verbraucherschutzgesetzen (2000), S. 117; Henrich, FS Medicus (1999), S. 199, 206; Reich, EuZW 1997, 581, 585. 457 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 10; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 161. 454
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Eigene, nicht auf §§ 355 ff. BGB verweisende Vertragslösungsmodelle enthalten versicherungsrechtliche Widerrufsrechte gemäß §§ 8, 48c VVG458 und das in § 126 InvG459 geregelte Widerrufsrecht von Kapitalanlegern. Vorschriften, welche die Anwendung von § 356 BGB über das Rückgaberecht vorsehen, sind §§ 312 I 2, 312d I 2 und § 508 I 2 BGB. Der Verbrauchsgüterkauf, die Verbraucherdarlehensvermittlung, der Vertragsschluss im elektronischen Geschäftsverkehr und der Pauschalreisevertrag begründen dagegen für sich allein kein Widerrufs- bzw. Rückgaberecht; als verbundene Geschäfte nach § 358 BGB können sie allerdings an Lösungsrechten teilhaben.460 Ist der E-Commerce-Vertrag aber zugleich ein Fernabsatzvertrag, was fast immer der Fall ist, besteht für ihn ein Widerrufs- und Rückgaberecht wie für jeden anderen Fernabsatzvertrag nach § 312d I BGB. d. Widerrufsberechtigter Das Recht zum Widerruf seiner zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung461 steht nach Maßgabe der Spezialvorschriften dem jeweiligen Verbraucher (nach §§ 2 I, 4 I FernUSG: dem Teilnehmer) als Vertragspartner zu,462 während der Unternehmer (nach § 2 FernUSG: der Veranstalter) nach gesetzlicher Regel an seine Willenserklärung gebunden bleibt. Beim rechtsgeschäftlichen Handeln unter Einschaltung eines Vertreters wird das Widerrufsrecht dem Vertretenen als Partner des Verbrauchervertrages zugeordnet. Denn ihn treffen die Folgen der Willenserklärung, die er widerruft. Vom Umfang der Vollmacht hängt es alsdann ab, ob diese auch die Ausübung des Widerrufs im Namen des Vertretenen umfasst.463 Ist am Abschluss eines Verbrauchervertrages eine Mehrheit von Verbrauchern beteiligt, können sie das Widerrufsrecht grundsätzlich unabhängig voneinander ausüben.464 Problematisch ist dann jedoch die Rückabwicklung, wenn und soweit sich daran nicht „alle“ beteiligen. e. Rechtsnatur und Inhalt des Widerrufs Die Rechtsnatur des Widerrufsrechts ist durch den Gesetzgeber nirgends genauer beschrieben worden. Deshalb besteht in der Rechtswissenschaft diesbezüglich noch immer Diskussionsbedarf. Die h.M. geht davon aus, dass es sich 458
Fischer, DB 2002, 253, 255. Nickel, ZBB 2004, 197, 202 f. 460 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 71 Rn. 2. 461 Zur Willenserklärung als Gegenstand des Widerrufs durch den Verbraucher, vgl. dazu MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 20. 462 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 355 Rn. 4; bezüglich der Besonderheiten im Fall der Mithaftung, Vertretung und Rechtsnachfolge vgl. Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 76 Rn. 19 ff. 463 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 23. 464 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 24; zum Belehrungsadressaten in diesen Fällen vgl. Martis/Meinhof, MDR 2004, 4, 6. 459
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
beim Verbraucherwiderrufsrecht, das nach §§ 355 ff. BGB ausgeübt wird, entweder um ein auf die Verhinderung des Vertragsschlusses gerichtetes Gestaltungsrecht465 handelt oder aber um eine rechtshindernde Einrede.466 In jedem Fall steht es jedoch hinsichtlich seiner Rechtsfolgen dem Rücktrittsrecht nahe,467 wenngleich gewisse Abweichungen von den §§ 346 ff. BGB zu verzeichnen sind. Ausgeübt wird das Widerrufsrecht durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Verbrauchers (oder seines hierzu bestimmten Vertreters).468 Mit der Widerrufserklärung muss der Verbraucher, der sich vom Vertrag lösen will, zum Ausdruck bringen, dass er seine zum Vertragsschluss führende Willenserklärung zurücknimmt. Eine Begründung ist hierfür nicht erforderlich (§ 355 I 2, 1. HS). Das Wort „Widerruf“ muss nicht verwendet werden.469 Es genügt, wenn der entsprechende Wille aus dem Wortlaut der Erklärung oder aus sonstigen Umständen deutlich wird.470 Als Gestaltungsrecht i.w.S. ist der Widerruf jedoch grundsätzlich bedingungsfeindlich und nach seinem Wirksamwerden unwiderruflich.471 f. Form der Erklärung Die Erklärung muss aus Gründen der Rechtssicherheit formgerecht erfolgen. Zur Formwahrung stehen dem Berechtigten nach § 355 I 2 BGB zwei Möglichkeiten zur Wahl: die Erklärung in Textform oder die Rücksendung der Sache. Für die Textform gilt grundsätzlich § 126b BGB.472 aa. Erklärung des Widerrufs in Textform, § 126b BGB Im Unterschied zur Schriftform genügt in diesen Fällen die Fixierung der Erklärung in einer Urkunde oder die Erklärung des Widerrufs in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe von Schriftzeichen geeigneten Weise (z.B. Telefax oder E-Mail). Einer Unterschrift des Erklärenden bedarf es nicht. Allerdings muss der Erklärende aus der abgegebenen Erklärung ersichtlich sein und sie muss den Eindruck der Abgeschlossenheit erwecken. 465 Krämer, ZIP 1997, 93, 94 f.; Boemke, AcP 197 (1997), 161, 177; Heinrichs, FS Medicus (1999), S. 177, 182; a.A. Reiner, AcP 203 (2003), 1 ff., der die Verbindung zur Anfechtung zieht. 466 BGHZ 113, 222, 225; BGHZ 131, 82, 85; Lorenz, JuS 1999, 177, 188. 467 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007) Rn. 29: „modifiziertes Rücktrittsrecht“. 468 BGHZ 109, 97, 103; Staudinger/Kaiser (2004), § 355 Rn. 24; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 34; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 6. 469 BGH NJW 1990, 320, 321; BGH NJW 1993, 128, 129; BGH NJW 1996, 2156, 2158; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 355 Rn. 3; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 34; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 355 Rn. 6. 470 Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 6; Martis/Meinhof, MDR 2004, 5 ff. 471 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 355 Rn. 6; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 34. 472 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 35.
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bb. Konkludente Erklärung des Widerrufs durch Rücksendung, § 356 BGB Die zweite Variante des Rücktritts, die Rücksendung der Sache, erfordert keine zusätzliche textliche Erklärung, sondern ist selbst als eine inzidente Rücktrittserklärung anzusehen.473 Das Rückgaberecht des § 356 BGB ist nichts anderes als eine besondere Form der Erklärung der Abstandnahme vom Vertrag durch (konkludenten) Widerruf mittels Rücksendung der Sache oder Rücknahmeverlangen. Voraussetzung der Erklärung des Widerrufs durch Rücksendung ist die entsprechende Zulassung dieser Variante der Abstandnahme vom Vertrag durch eine verbraucherrechtliche Sachnorm, vgl. etwa §§ 312 I 2, 312d I 2, 508 I 2 BGB. Das Rückgaberecht kommt nur in Betracht, wenn der Vertrag auf die Lieferung einer Sache gerichtet ist.474 Mit dieser Rücktrittsalternative ist der Gesetzgeber auf weniger geschäftsgewandte Verbraucher und deren gewohntes Verhalten im Versandhandel eingegangen.475 g. Widerrufsfrist Der Widerruf gewährt dem Berechtigten jedoch schon aus Gründen der Zumutbarkeit für den Vertragspartner kein endlos langes Vertragslösungsrecht. Er muss innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist ausgeübt werden. Nach § 355 II 1 BGB beträgt die Frist zum Widerruf der Vertragserklärung grds. zwei Wochen, wobei die Absendung der Widerrufserklärung bzw. der Ware innerhalb dieser Zeit zur Fristwahrung genügt.476 Modifizierungen ergeben sich allerdings nach § 355 II 3 BGB. Danach beträgt die Widerrufsfrist bei nachvertraglicher Unterrichtung des Vertragspartners über das Widerrufsrecht nicht nur zwei Wochen, sondern einen Monat. aa. Fristberechnung Die Berechnung der Frist richtet sich nach §§ 187 I, 188 II BGB.477 Sie endet mit dem Ablauf desjenigen Tages der zweiten Woche, der durch seine Benennung dem Tag des Fristbeginns entspricht. Fällt dieser Tag auf einen Samstag oder Sonntag oder auf einen staatlichen Feiertag am Wohnsitz des Verbrauchers, so endet die Frist nach § 193 BGB erst am nächsten Werktag. Für die Ingangsetzung der Frist verlangt der Gesetzgeber gemäß § 355 III 1 BGB (vorbehaltlich der ge473
Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 163; Hk-BGB/ Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 7; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 35. 474 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 164. 475 Roth/Schulze, RIW 1999, 924, 927. 476 Darin liegt eine Verdoppelung der vor dem Inkrafttreten des FernAbsG für den Widerruf nach §§ 7 I VerbrKrG, 1 I HaustürWG geltenden Wochenfrist und eine Verlängerung der 10–Tage-Frist des § 5 I TzWrG a.F. Nach § 4 I FernUSG galt diese Frist allerdings schon früher. 477 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 78 Rn. 78; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 37.
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setzlichen Sonderbestimmungen), dass eine ordnungsgemäße Belehrung des Berechtigten gemäß § 360 BGB spätestens bei Vertragsschluss über sein Widerrufsrecht erfolgt ist.478 Bei Fernabsatzverträgen genügt nach § 355 II 2 BGB auch eine unverzüglich nach Vertragsschluss in Textform erteilte Widerrufsbelehrung, sofern eine Unterrichtung nach § 246 § 1 I Nr. 10 EGBGB erfolgte. bb. Rechtsnatur, Inhalt, Gestaltung und Zeitpunkt der Belehrung Die Widerrufsbelehrung ist nicht Teil des Vertragsschlusstatbestandes und keine Äußerung eines rechtsgeschäftlichen Willens. Sie beinhaltet eine zusätzliche Mitteilung, die als geschäftsähnliche Handlung479 neben den Vertragsschluss bzw. neben etwaigen zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen tritt, auf welche jedoch die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechende Anwendung finden.480 Als Mindestinhalt müssen in der Widerrufsbelehrung gemäß § 360 I 2 Nr. 1–4 BGB folgende Angaben enthalten sein: der Hinweis an den Berechtigten, dass ein Widerrufsrecht ohne Begründung481 ausgeübt werden kann und dass zur Ausübung nur die Erklärung bzw. die Rücksendung der Sache innerhalb der Widerrufsfrist genügt (§ 360 I 2 Nr. 1–2 BGB), der Name und die ladungsfähige Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist (§ 360 I 2 Nr. 2 BGB) und ein Hinweis auf Dauer und Beginn der Widerrufsfrist sowie darauf, dass zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung oder der Sache genügt (§ 360 I 2 Nr. 4 BGB). Die Belehrung ist gemäß § 360 I 1 BGB dem Verbraucher als Partei des Vertrages zu erteilen.482 Für das Rückgaberecht und die diesbezügliche Belehrung sind ähnliche Anforderungen durch § 360 II BGB statuiert worden. Die Anforderungen an die äußere Form der Belehrung über den Widerruf ergeben sich aus § 360 I 1 BGB. Für die danach erforderliche „deutliche Gestaltung“ entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels bedarf es eines auffälligen Druckbildes. Der BGH setzt dies mit einem „unübersehbaren Hinweis“ gleich, etwa durch Sperrschrift, Fett- oder Farbdruck.483 Die Belehrung darf keine ablenkenden oder verwirrenden Zusätze enthalten; zulässig sind jedoch übersichtlich gestaltete erklärende Annexe.484 Bei der Zusammen478
Zur Ausnahme vgl. § 4 I 2 FernUSG. Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 79 Rn. 28; Windel, JuS 1996, 812, 815. 480 Ulrici, NJW 2003, 2053, 2055. 481 AG Siegburg NJW-RR 2002, 129; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 46. 482 Zur Problematik, wenn auf Seiten des Verbrauchers mehrere Personen beteiligt sind (Gesamtschuld, Schuldbeitritt, Schlüsselgewalt, Bürgschaft und Sicherungsverträge, Schuldübernahme, Vertragsübernahme, Minderjährigenbeteiligung), vgl. Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 80 ff. Rn. 30 ff. 483 BGH NJW 1996, 1964, 1965. 484 BGH NJW 2002, 3396, 3398. 479
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fassung von Belehrung und Vertragsinhalt in einer einheitlichen Urkunde ist die räumliche Trennung der Belehrung vom Vertragstext nötig.485 I.Ü. ergibt sich schon aus allgemeinen Regeln, dass bei einem in deutscher Sprache angebahnten Vertrag auch die Widerrufsbelehrung in dieser Sprache zu erfolgen hat.486 Der Versuch des deutschen Gesetzgebers, den belehrungspflichten Unternehmern die Umsetzung der Informationspflichten durch eine Musterwiderrufsbzw. Rückgabebelehrung zu erleichtern, scheiterte in der Vergangenheit: Die ursprünglich vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Mustertexte wurden von Gerichten zum Teil als nichtig,487 zum Teil als wettbewerbswidrig488 angesehen und in der konkreten Situation für nicht anwendbar erklärt.489 Eine nach langem Zögern unternommene Reform der Musterbelehrungstexte in den Anlagen 2 und 3 zur BGB-InfoV (a.F.) im Frühjahr 2008 konnte die Probleme nicht abschließend beheben.490 Nunmehr unternimmt der Gesetzgeber mit dem Mustertext der Anlage 1 und 2 zum EGBGB, auf den in § 360 III 1, 2 BGB (n.F.) verwiesen wird, einen erneuten Anlauf zur gesetzeskonformen Standardisierung. cc. Nachholung der zunächst nicht ordnungsgemäßen Belehrung Der Unternehmer kann eine bei Vertragsschluss unterbliebene, unvollständige oder fehlerhafte Widerrufserklärung nachholen.491 In diesem Fall beträgt die Widerrufsfrist allerdings einen Monat ab erfolgter Belehrung, § 355 II 3 BGB. Diese Verlängerung der Widerrufsfrist hat sanktionalen Charakter und soll den Unternehmer veranlassen, dem Verbraucher die Widerrufsbelehrung im eigenen Interesse rechtzeitig zukommen zu lassen.492 Inhaltlich sind an die nachträgliche Erklärung die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die rechtzeitige (ordnungsgemäße) Belehrung. dd. Zurverfügungstellung der Vertragsurkunde Bei schriftlich zu schließenden Verbraucherverträgen (vgl. §§ 484 I 1, 492 I 1, 506 I BGB) tritt nach § 355 III 2 BGB als weiteres Erfordernis für den Fristbeginn das Zurverfügungstellen der Vertragsurkunde an den Widerrufsberechtigten hinzu. 485 BGHZ 126, 56, 60 f.; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 355 Rn. 16; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 48. 486 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 355 Rn. 12. 487 LG Halle MMR 2006, 774; LG Koblenz MMR 2007, 190. 488 KG NJW 2006, 3215; OLG Hamm MMR 2007, 377 f.; OLG Hamburg MMR 2006, 675. 489 Vgl. hierzu Brönneke, Widerrufsrecht und Belehrungspflicht (2009), S. 5, 56. 490 Brönneke, ebenda, S. 50 ff. 491 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 54. Die Möglichkeit der Nachholung ist vom EuGH in Sachen „Schulte“ (EuGH, Urt. v. 25.10.2005, Rs. C-350/03 – Schulte) implizit gebilligt worden, vgl. dazu Hoffmann, ZIP 2005, 1985; a.A. noch Reiter/Methner, VuR 2004, 52, 54. 492 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 54.
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Die Vorschrift trägt insbesondere den Besonderheiten des Verbraucherdarlehensrechts und des Rechts der Teilzeit-Wohnrechteverträge Rechnung,493 die im Zusammenhang mit dem Schriftformerfordernis schon immer die Aushändigung einer Vertragsurkunde an den Verbraucher vorsahen.494 ee. Beweislast Im Hinblick auf die Beweislast für den Beginn der Widerrufsfrist bestimmt § 355 III 3 BGB, dass diese den Unternehmer trifft. Dieser hat die ordnungsgemäße Belehrung des Verbrauchers sowie die sonstigen für den Fristbeginn maßgeblichen Umstände zu beweisen.495 Beim Beweis zu Lasten des Verbrauchers bleibt es aber für die Einhaltung der danach zu berechnenden Frist. Da die Frist durch rechtzeitige Absendung gewahrt wird, hat der Verbraucher nur diese Tatsache, nicht aber den Zugang beim Unternehmer innerhalb der Zweiwochenfrist zu beweisen. Der Beweis ist in aller Regel durch den Poststempel geführt; freilich ist der Briefumschlag mit Stempel nicht im Besitz des Verbrauchers. Jedoch hat dieser, wenn nicht aus § 810 BGB, so doch aus § 242 BGB ein Einsichtsrecht,496 vorausgesetzt der Unternehmer hat den Briefumschlag noch in seinem Besitz. Da auch dies nicht immer mit Sicherheit gewährleistet ist, ist es am sichersten, sich eine entsprechende Aufgabebestätigung von der Post ausstellen zu lassen. ff. Rechtsfolgen einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung Hat der Unternehmer den Verbraucher nicht oder nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht nach § 360 BGB belehrt, so ist das Widerrufsrecht entgegen der Grundregel des § 355 IV 1 BGB gemäß § 355 IV 3, HS. 1 BGB zeitlich unbefristet wahrnehmbar. Dies soll nach § 355 IV 3, HS. 2 BGB auch dann gelten, wenn der Unternehmer bei einem im Fernabsatz geschlossenen Finanzdienstleistungsvertrag mit einem Verbraucher die in 246 § 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 Nr. 1–3 EGBGB vorgesehenen Informationspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Die Regelung, dass das Widerrufsrecht spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss erlischt (§ 355 IV 1 BGB), und dass bei Warenlieferungen die Sechsmonatsfrist erst am Tag des Eingangs der Warenlieferung beim Empfänger beginnt (§ 355 IV 2 BGB), hat nach neuester Rechtslage497 kaum praktische Bedeutung. 493
Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 89
Rn. 60. 494 Wobei die Aushändigung nach § 5 II S. 2 TzWrG a.F. ausdrücklich, nach § 7 II VerbrKrG sinngemäß zur weiteren Voraussetzung für den Fristbeginn gemacht wurde. 495 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 90 Rn. 62; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 55. 496 BGH NJW-RR 1992, 1072; Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 90 Rn. 62. 497 § 355 III BGB a.F., der für die Ausübung sämtlicher Widerrufsrechte eine einheitliche Höchstfrist von sechs Monaten nach Vertragsschluss vorsah, musste auf Grund der Heininger-Entscheidung des EuGH (EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger;
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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5. Rechtsfolgen der wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts Von der Rechtsfolge her begründet das Widerrufsrecht nach wohl h.M. ein auf Gestaltungsakt beruhendes, dem Rücktrittsrecht angenähertes Vertragslösungsrecht.498 Denn im Gegensatz zur früheren Rechtslage beseitigt der wirksame Widerruf eine zunächst bestehende vertragliche Pflichtenlage und setzt an seine Stelle ein Rückabwicklungsschuldverhältnis.499 a. Rückabwicklungsschuldverhältnis Die gegenüber dem früheren Recht veränderte Ausgestaltung der zwar jeweils spezialgesetzlich begründeten, durch § 355 BGB jedoch einheitlich geregelten Rechtsfigur des Widerrufs führt dazu, dass die Bindung beider Vertragspartner sofort mit Vertragsschluss eintritt, dann jedoch durch Ausübung des Widerrufs beseitigt werden kann. Die wirksame Ausübung des Widerrufs führt zum Wegfall der primären Leistungspflichten der Beteiligten500 und zu der mit ex-nuncWirkung eintretenden Umwandlung des Verbrauchervertrags in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis.501 Auf Grund der Verweisung des § 357 I 1 BGB auf die Vorschriften der §§ 346 ff. BGB gelten im Grundsatz die Rechtsfolgen bei Ausübung eines gesetzlichen Rücktrittrechts. Allerdings kommt den in § 357 II, III BGB und in den einschlägigen Spezialvorschriften enthaltenen Modifikationen Vorrang zu. An die Stelle der vertraglichen Erfüllungsansprüche, die erlöschen, treten im Fall bereits erbrachter Leistungen die Erstattungsansprüche (§ 346 I, II, III BGB), gezogene Nutzungen sind herauszugeben (§§ 346 I, 347 I BGB), Aufwendungen auszugleichen (§ 347 II BGB). Parteien des Rückgewährschuldverhältnisses sind die Vertragspartner. Daran ändert sich auch nichts, wenn z.B. auf Bitten des Käufers die Sache direkt an einen Dritten ausgeliefert wurde. Ebenso wie im Bereicherungsrecht ist nach vgl. auch BGH NJW 2002, 1881 ff. und BGH NJW 2003, 199 ff.) novelliert werden. Da Art. 4 III der Haustürwiderrufsrichtlinie eine zeitliche Begrenzung des Widerrufsrechts nur für den Fall vorsieht, dass der Verbraucher zuvor über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, darf der nationale Gesetzgeber das Haustürwiderrufsrecht bei ausgebliebener Belehrung nach Ansicht des EuGH grundsätzlich nicht befristen. Das am 1.8.2002 in Kraft getretene OLGVertretÄndG ergänzte § 355 III durch einen neuen Satz 3. Der Verbraucher hat nunmehr gemäß § 355 III 3, 1. Hs. grundsätzlich ein unbefristetes Widerrufsrecht, wenn die Widerrufsbelehrung unterblieben ist. 498 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 29; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 1; BaRoth/Grothe (2. Aufl., 2007), § 355 Rn. 3; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 357 Rn. 2; a.A Reiner, AcP 203 (2003), 1 ff.: „anfechtungsähnliches Gestaltungsrecht“. 499 Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 6; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 357 Rn. 2. 500 BT-Drucks. 14/6040, S. 194. 501 BGHZ 88, 46, 48; BGH NJW 1998, 3268 f.; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 32; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 357 Rn. 2.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
§ 346 I BGB im Drei- und Mehr-Personen-Verhältnis grundsätzlich „übers Eck“ abzuwickeln. Eine Ausnahme gilt jedoch für den Widerruf des verbundenen Vertrages gemäß § 358 III BGB. aa. Rückgewähr und Nutzungsersatz Der Verbraucher hat gegen den Unternehmer gemäß §§ 357 I 1, 346 I, 348 BGB einen Anspruch auf Rückgewähr seiner bereits erbrachten Leistungen „Zug um Zug“. Dies gilt auch umgekehrt zugunsten des Unternehmers. Zu den vom Verbraucher erbrachten Leistungen gehört bspw. das Entgelt, das gezahlt wurde. Aber nach einer aktuellen Entscheidung des EuGH sind von der Rückabwicklung auch die Hinsendekosten502 betroffen, die der Verbraucher zunächst getragen hat. An die Stelle der Rückgewähr kann gemäß § 346 II BGB ein Wertersatzanspruch treten, der jedoch unter den Voraussetzungen nach § 346 III BGB entfällt. In der Rückabwicklung von Verbrauchsgüterkaufverträgen ist § 474 II 1 BGB zu beachten. Danach wird der Verbraucher bei der Rückgabe einer mangelhaften Sache von Nutzungs- und Wertersatz freistellt. Konstruiert ist diese Regelung als Ausnahme von § 439 IV BGB, der für alle übrigen rückabzuwickelnden Kaufverträge einschränkungslos auf das Rücktrittsrecht verweist. Notwendig wurde diese gesetzgeberische Änderung auf Grund des sog. QuelleUrteils503 des EuGH. Sofern jedoch nicht der Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufes betroffen ist und keine Änderungen gelten, sind nach § 346 BGB die tatsächlich erbrachten Leistungen an den Vertragspartner zurückzugeben, beim gekoppelten Vertrag ausnahmsweise auch an oder über den Dritten. 504 Hierzu gehört grundsätzlich auch die Originalverpackung.505 Sachen und Rechte sind in Natur zurückzugewähren. Bei Geldleistungen wird die Rückgewähr des Geldwertes, nicht die Rückgabe der individuellen Geldzeichen geschuldet; eine Gutschrift reicht aus.506 Der abgezogene Skonto mindert die Rückgewährpflicht. Vertragskosten fallen nicht unter § 346 I BGB. Gemäß § 346 I BGB schulden die Vertragspartien nach einem (Verbraucher-) Widerruf nicht nur die Rückgewähr der empfangenen Leistung, sondern auch einen Nutzungsersatz.507 Anzusetzen ist die zeitanteilige lineare Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamt-
502 EuGH, Urt. v. 15.4.2010, Rs. C-511/08 – Heine = EuZW 2010, 432; so schon früher Brönneke, MMR 2004, 127, 130. 503 EuGH, Urt. v. 17.4.2008, Rs. C-404/06 – Quelle. 504 OLG Hamburg NJW 1958, 178; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 346 Rn. 5. 505 OLG Frankfurt/Main MDR 2006, 919 f. 506 BGH NJW 2006, 211, 213. 507 Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 131.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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nutzungsdauer,508 nicht dagegen ein üblicher509 oder fiktiver Mietzins. Die Höhe des Anspruchs auf Überlassungsvergütung ist wiederum begrenzt durch das Erfüllungsinteresse des Unternehmers,510 also durch den Verkaufs- oder Leistungspreis, der mit dem Verbraucher ausgehandelt worden war. Bei der Berechnung des Erfüllungsinteresses sind nach h.M. Mehrwertsteuer und Transportkosten mit einzubeziehen,511 was jedoch höchst zweifelhaft ist, weil diese Posten ja gerade den Reingewinn des Händlers schmälern und darum nicht ihm und seinem Erfüllungsinteresse zugute kommen. Nach § 346 BGB sind zunächst nur die tatsächlich gezogenen Nutzungen herauszugeben. Für nicht gezogene Nutzungen kann jedoch – soweit die dort genannten Voraussetzungen zutreffen – eine Ersatzpflicht nach § 347 BGB bestehen. (1.) Grundsatz der Rückgewähr- und ggf. Wertersatzpflicht, §§ 346 I, II BGB Ist nach der Natur der Sache eine Rückgewähr nicht möglich, hat der Rückgewährschuldner nach § 346 II Nr. 1 Wertersatz zu leisten. Das Gleiche gilt nach § 346 II Nr. 2 BGB, wenn der Rückgewährschuldner den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet hat und, nach § 346 II Nr. 3 BGB, wenn sich der empfangene Gegenstand verschlechtert hat oder untergegangen ist, wobei allerdings die Verschlechterung wegen bestimmungsmäßiger Ingebrauchnahme außer Acht bleibt. Hat der Schuldner die Unmöglichkeit der Rückgewähr sogar zu vertreten, tritt neben den Anspruch auf Wertersatz aus § 346 II BGB ein Schadensersatzanspruch aus § 346 IV BGB. Bedeutung erlangt die Wertersatzpflicht nach § 346 II Nr. 1–3 BGB insbesondere für folgende Fallgestaltungen, die häufig Anlehnung an die alte Rechtslage nehmen: In Anknüpfung und Erweiterung des Rechtsgedankens des § 346 S. 2 a.F. BGB besteht nach § 346 II Nr. 1 BGB eine Wertersatzpflicht insbesondere für geleistete Dienste, weil hier die Rückgabe im Hinblick auf die Natur der Sache ausgeschlossen ist. Die Wertersatzpflicht gilt aber analog auch für Werkverträge über Bauwerke und Verträge über sonstige unkörperliche Leistungen wie Konzerte, Reisen, Gutachten. § 346 II Nr. 2 BGB greift hingegen den Rechtsgedanken der §§ 352, 353 a.F. BGB auf. Die neue Regelung wandelt die einstige Ausschlussvorschrift für das Rücktrittsrecht in eine Wertersatzpflicht um.512 Als „Verbrauch“ wird man in Anlehnung an § 92 BGB den bestimmungsgemäßen tatsächlichen Verbrauch (Verzehr von Lebensmitteln, Verbrennen des 508 BGHZ 115, 47, 50, 52 ff., 57; OLG Karlsruhe NJW 2003, 1950; OLG Koblenz NJWRR 1999, 702; Reinicke/Tiedke, ZIP 1992, 217, 220 f.; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 132. 509 So aber noch nach Maßgabe des § 3 HWiG OLG Köln NJW-RR 1995, 1008, 1009; Reinicke/Tiedke, ZIP 1992, 217, 220. 510 BGH NJW-RR 1991, 1011; OLG Koblenz NJW-RR 1989, 112. 511 BGH NJW-RR 1991, 1011; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 132. 512 Vgl. dazu BT-Drucks. 14/6040, S. 195.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Heizmaterials etc.) verstehen können. Abzugrenzen – mit Blick auf § 346 II 1 Nr. 3 BGB ist davon der Gebrauch einer Sache. Die Begriffe „Veräußerung“ und „Belastung“ umschreiben jeweils den (wirksamen) dinglichen Rechtsvorgang. Die Wörter „Verarbeitung“ und „Umgestaltung“ sind im Hinblick auf § 950 I 1 BGB auszulegen. Die Regelung des § 346 II Nr. 3 BGB tritt an die Stelle der §§ 347, 350 und § 351 BGB a.F. Sie ist als Auffangvorschrift zu verstehen und kommt daher gegenüber den Nr. 1 und 2 nur subsidiär zur Anwendung. Mit dem Begriff „Untergang“ soll die vollständige Vernichtung der Sache in Bezug genommen werden. Als (bloße) „Verschlechterung“ ist hingegen (wie § 346 II 1 Nr. 3, 2. HS BGB zu erkennen gibt) nicht die Abnutzung durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme gemeint, sondern nur die weitgehende, darüber hinausgehende Ingebrauchnahme des Gegenstandes.513 Andere Fälle der Unmöglichkeit wie etwa der Fall des Diebstahls der Sache beim Rückgewährschuldner oder die Verbindung oder Vermischung erwähnt das Gesetz nicht. Allerdings sind hier die Nr. 2 und 3 entsprechend anzuwenden, da in diesen Vorschriften der Grundsatz zum Ausdruck kommt, dass der Rückgewährschuldner grundsätzlich das Zufallsrisiko zu tragen habe.514 Nach § 346 II 2 BGB ist für die Höhe des Wertersatzes in erster Linie die im Vertrag bestimmte Gegenleistung zugrunde zu legen, soweit eine solche fehlt, sind die objektiven Wertverhältnisse maßgebend. Bzgl. der Gegenleistung ist nur auf die geschuldete abzustellen, sodass Minderungsansprüche aufgrund Mangelhaftigkeit mit einzubeziehen sind. (2.) Ausnahmen vom Grundsatz der Rückgewähr und des Wertersatzes, § 346 III BGB Das System der Wertersatzpflicht nach § 346 II BGB wird von § 346 III Nr. 1–3 BGB für vielfältige Fallkonstellationen eingeschränkt. Auch in dieser Bestimmung leben „alte Spezialvorschriften“, wenngleich in modifizierter Form, wieder auf. So soll die Pflicht zum Wertersatz entfallen, wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat (Nr. 1), soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre (Nr. 2), und wenn im Fall eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obgleich dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Verbleibt dem Zurücktretenden eine Bereicherung, ist diese nach § 346 III 2 BGB herauszugeben. In der praktischen Anwendung bezieht sich die Ausnahme von der Wertersatzpflicht nach Nr. 1 vor allem auf Fälle von Sachmängeln im Kaufrecht (§ 437 Nr. 2 BGB) und im Werkvertragsrecht (§ 634 Nr. 3). Sie ist aber auch auf andere 513 514
BT-Drucks. 14/6040, S. 193, 196; OLG Saarbrücken OLGR 2007, 773. Arnold, Jura 2002, 154, 157; Annuss, JA 2006, 184, 186.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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vertragliche Fallgestaltungen der Mängelhaftung anwendbar, in der es zum Rücktritt kommt.515 Mit Nr. 2 sind hingegen wiederum Situationen erfasst, in denen der Rückgewährschuldner nicht die Wertersatzpflicht treffen soll, weil nicht er, sondern der Gläubiger die Verschlechterung bzw. den Untergang der Sache (auch im untechnischen Sinne) zu vertreten hat516 oder der Schaden beim anderen Teil ebenso eingetreten wäre. Der Begründung des Gesetzentwurfes ist zu entnehmen, dass hier die Fälle im Vordergrund stehen, in denen ein Sachmangel zum Untergang geführt hat.517 Schließlich wird durch die Nr. 3 (nur für das gesetzliche Rücktrittsrecht) die dem § 346 II BGB zugrunde liegende Gefahrtragungsregelung zugunsten des Rückgewährschuldners modifiziert, indem die Wertersatzpflicht entfällt, wenn die eigenübliche Sorgfalt beachtet wurde. Bezugspunkt der Bestimmung ist § 277 BGB. Hier liegt die Obergrenze der Privilegierung. Den Ausschlag für die Bevorzugung der Interessen des Rückgewährschuldners gibt der Umstand, dass der andere Vertragsteil regelmäßig für den Rücktrittsgrund verantwortlich ist.518 (3.) Wertersatz auch für nicht gezogene Nutzungen und Aufwendungsersatz, § 347 BGB § 347 I 1 BGB bestimmt, dass der Rücktrittsschuldner ausnahmsweise nicht nur die tatsächlich gezogenen Nutzungen herauszugeben hat, sondern auch Wertersatz für die unterbliebene Nutzziehung schuldet, allerdings nur dann, wenn mit der unterbliebenen Nutzziehung den Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprochen wurde. § 347 I 2 BGB enthält für den Fall des gesetzlichen Rücktritts eine Privilegierung durch eine Begrenzung der Einstandspflicht in Bezug auf die (nur) anzulegende eigenübliche Sorgfalt. Für Aufwendungen im Sinne von freiwilligen Verwendungen, die für die herauszugebende Sache geleistet wurden, statuiert § 347 II BGB eine zusätzliche Ausgleichspflicht. Der Verwendungsersatz beschränkt sich allerdings auf notwendige Verwendungen. Hierunter versteht man nur solche Aufwendungen, die zur Erhaltung der Sache oder ihrer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung erforderlich waren.519 (4.) Modifikationen nach § 357 BGB (Weitere) Modifikationen bei der Handhabung der rücktrittsrechtlichen Vorschriften der §§ 346 ff. BGB ergeben sich beim Verbraucherwiderruf aus § 357 I 2, II und III BGB und nach dem neuen Urteil des EuGH520 auch im Zusammenhang mit der „richtigen“ Anpassung der §§ 439 IV, 346 I Alt. 2 BGB an die Vorga515
Arnold, Jura 2002, 154, 158; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 346 Rn. 11. Vgl. BGHZ 78, 216, 222 ff. 517 BT-Drucks. BT-Drucks. 14/6040, S. 196. 518 BT-Drucks. 14/6040, S. 196. 519 BGHZ 64, 333, 339; 131, 220, 223. 520 EuGH, Urt. v. 17.4.2008, Rs. C-404/06 – Quelle; vgl. hierzu die ausführliche Darstellung im Kaufrecht, 2. Teil, 2. Kapitel C I 5. 516
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ben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie; letztere Entscheidung wird im Abschnitt zum Kaufrecht besprochen. In § 357 I 2, II, III BGB wird der Verbraucher bereits teilweise gegenüber den sonstigen Zurücktretenden privilegiert, andererseits sind jedoch auch gewisse Benachteiligungen gesondert normiert worden. Dazu nun im Folgenden mehr. (a.) Abweichender Verzugsbeginn, § 357 I 2 BGB Als Folge des § 357 I 2 BGB ersetzt der Widerruf die Zahlungsaufforderung des § 286 III BGB.521 Damit tritt dreißig Tage nach Widerruf automatisch Verzug ein. Der Gesetzgeber beabsichtigte damit, den Eintritt des Verzugs des Unternehmers mit seiner Rückzahlungspflicht unabhängig von einer Zahlungsaufforderung des Verbrauchers zu ermöglichen. Bewusst hat er damit die Verzugsregelung des § 7 II der Fernabsatzrichtlinie für alle anderen Verbraucherschutzregelungen übernommen.522 Unabhängig davon kann der Verbraucher den Verzug des Unternehmers aber auch durch eine Mahnung herbeiführen, wobei seine Rückerstattungsforderung bereits mit Zugang des Widerrufs fällig wird.523 (b.) Rücksendepflicht, Gefahr- und Kostentragung, § 357 II BGB Nach einem (Verbraucher-)Widerruf hat der Verbraucher seiner Rückgewährpflicht dadurch zu entsprechen, dass er die Rücksendung der empfangenen Leistung – soweit technisch möglich – vornehmen muss, § 357 II 1 BGB. Eine wichtige Privilegierung des Verbrauchers findet sich dabei in § 357 II 2 BGB. Das Gesetz sieht danach eine besondere Gefahrtragungsregel vor, wonach die Versendung auf Gefahr des Unternehmers erfolgt.524 Die Regelung bezweckt, dem Verbraucher während der Widerrufsfrist tatsächlich eine freie Entscheidung über die Geltung oder Nichtgeltung des Vertrages einzuräumen, ohne ihn durch eine eventuell fehlschlagende/fehlgeschlagene Rückgewähr negativ zu beeinflussen.525 Im Ergebnis wird danach der Verbraucher auch bei Untergang oder Verschlechterung der Sache auf dem Rücktransport von der Rückgewährpflicht befreit,526 wobei er seinen eigenen Rückerstattungsanspruch behält.527 Ausdrücklich wird damit die Rücksendung als Schickschuld ausgestaltet. 521
BT-Drucks. 14/3195, S. 33. BT-Drucks. 14/2658, S. 47; 14/6040, S. 199. 523 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 165; Lorenz, JuS 2000, 833, 837 Fn. 41 m.w.N. 524 Die EG-Richtlinien regeln die Frage der Gefahrtragung während der Rücksendung der Ware nicht eindeutig. Aus Art. 6 II 2 der Richtlinie 97/7/EG lässt sich aber ableiten, dass der Verbraucher nicht das Risiko des Verlustes oder der Beschädigung der Ware tragen soll. So zutreffend auch Micklitz/Pfeiffer/Tonner/Willingmann, Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001), S. 249, 265. 525 Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1283; vgl. BT-Drucks. 14/2658, S. 3–5. 526 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 357 Rn. 5. 527 Unabhängig von dieser ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Tragung der Transportgefahr schon auf den Gedanken zurückgeführt werden, dass auch beim Rücktransport der Wohnsitz des Schuldners weiterhin Leistungsort bleibt und es sich bei der 522
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Auf Grund der Regelung des § 357 II 2 BGB trägt allein der Unternehmer die Kosten der Rücksendung. Eine hiervon abweichende Kostentragungspflicht zu Lasten des Verbrauchers sieht § 357 II 3 BGB nur für den Fall vor, dass der Verbraucher eine („Klein“-)Bestellung bis zu einem Wert von 40,- Euro getätigt hat, sofern die gelieferte Ware der bestellten entspricht. In dieser eng begrenzten Konstellation kann der Unternehmer dem Verbraucher ausnahmsweise die Kosten des Rücktransportes gemäß § 357 II 3, 2. HS BGB vertraglich auferlegen. Soweit der entsprechende Paketbeförderungsdienst dies zulässt, kann der Verbraucher, um seiner Rückgewährpflicht zu entsprechen, die Ware nach § 357 II 2 BGB „unfrei“ zurücksenden. Wenn auf den Verbraucher die Kosten der Rücksendung allerdings wirksam vertraglich abgewälzt wurden, muss der Unternehmer nicht annehmen. Ob der Verbraucher bei fehlender vertraglicher Kostenabwälzung die gelieferte Ware zurückhalten kann, bis ihm der Unternehmer einen Vorschuss für die Rücksendekosten gezahlt hat, lässt sich der gesetzlichen Regelung nicht entnehmen.528 Die besseren Gründe (Vermeidung von Hemmnissen zur Ausübung des Verbraucherwiderrufs) sprechen allerdings für ein entsprechendes Zurückbehaltungsrecht. Der Höhe nach sind die dem Verbraucher ggf. zu erstattenden Rücksendekosten nicht auf den günstigsten Tarif beschränkt, denn § 357 II 2 BGB spricht von den „regelmäßigen“ Kosten der Rücksendung (ohne weitere Einschränkungen). Eine davon abweichende AGB-Klausel wäre damit unwirksam.529 Gesetzlich nicht ausdrücklich angesprochen wurde die notwendige Kostenfreistellung des Verbrauchers von den Aufwendungen der Neuverpackung und der Neuauszeichnung. Der Sinn des Widerrufsrechtes, dem Verbraucher, der die Ware vor Vertragsschluss nicht prüfen kann, deren Begutachtung zu ermöglichen, rechtfertigt es hier allerdings, eine Analogie zu § 357 II 2 BGB vorzunehmen. Denn wenn der Verbraucher die Ware zum Zweck der Prüfung erst auspacken muss, kann ihm das nicht zum Nachteil gereichen. Die hierfür anfallenden Kosten dürfen daher nicht auf ihn abgewälzt werden.530 Nicht gesetzlich kodifiziert wurde ferner die Kostentragungspflicht für die Hinsendung. Nach der bisher h.M. war es unzulässig, dem Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausübt, mit diesen Kosten zu belasten.531 Diese Ansicht ist jeVerpflichtung zur Rücksendung somit um eine Schickschuld handelt, wobei der Versendungsempfänger gemäß § 447 BGB die Gefahr des Transports tragen muss, vgl. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 46. 528 Dafür Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2052, die § 669 analog anwenden wollen; dagegen H. Roth, JZ 2000, 1013, 1018; Berger, Jura 2001, 289, 293. 529 LG Düsseldorf VuR 2002, 452. 530 Micklitz/Pfeiffer/Tonner/Willingmann, Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001), 249, 269. 531 OLG Frankfurt/M. CR 2002, 642 bestätigt durch BGH NJW 2003, 1665 ff.; Brönneke, Widerrufsrecht und Belehrungspflichten (2009), S. 19; ders., MMR 2004, 127 ff.; Würdinger/ Ringshandl, MMR 2008, 49 ff.
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doch nicht ohne Widerspruch geblieben.532 Der BGH hat dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt.533 Letzterer hat mittlerweile entschieden, und zwar in dem Sinn, dass die Kosten der Hinsendung bei Rückabwicklung des Vertrages vom Unternehmer zu tragen sind.534 Wünschenswert wäre nunmehr eine entsprechende Klarstellung im Gesetzestext des § 357 II 2 BGB, die etwa folgendermaßen aussehen könnte: „Kosten und Gefahr der Versendung (Hin- und Rücksendung) trägt bei Widerruf und Rückgabe grundsätzlich der Unternehmer.“535 (c.) Wertersatz bei bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme, § 357 III BGB Der Verbraucher hat de lege lata536 dem Unternehmer gemäß § 357 III 1 BGB537 im Gegenzug einen Ersatz für die Wertminderung der Ware zu leisten, die durch „Ingebrauchnahme“ entstanden ist.538 Diese „Deprivilegierung“,539 die eine Ausnahme von § 346 II Nr. 1 BGB darstellt, trifft den Verbraucher nach einigen Stimmen in der Literatur allerdings nicht unerwartet.540 Er kann sich auf seine Wertersatzpflicht einstellen, weil diese nur dann eintritt, wenn der Unternehmer den Verbraucher spätestens bei Vertragsschluss hierauf in Textform hinweist.541 Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass eine Wertersatzpflicht nach gegenwärtiger Gesetzeslage nicht besteht, wenn die Verschlechterung der Ware ausschließlich auf eine „Prüfung“ der Sache i.S.v. § 357 III 3 BGB zurückzuführen ist. Die gesetzliche Regelung differenziert also zwischen der Benutzung zu Prüfungszwecken und der Ingebrauchnahme zum Zwecke der Nutzung. Nur für Wertminderungen durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme haftet der Verbraucher. 532
OLG Nürnberg NJW-RR 2005, 1581. BGH ZIP 2008, 2367. 534 EuGH, Urt. v. 15.4.2010, Rs. C-511/08– Heine = EuZW 2010, 432; so schon Brönneke, MMR 2004, 127, 130. 535 So auch Brönneke, Widerruf und Belehrungspflichten (2009), S. 19. 536 Im Gegensatz zur früheren Regelung in § 361a II 6, 2. HS BGB a.F. 537 Abweichend von § 346 II S. 1 Nr. 3 BGB. 538 Zu beachten, allerdings nur im Zusammenhang mit einer Rückabwicklung des Verbrauchsgüterkaufes wegen ggf. vorhandener Mängel der Kaufsache, ist eine neue Entscheidung des EuGH betreffend des Nutzungsersatzes, der in der Vergangenheit oft bewirkt hatte, dass der Verkäufer von der Ausübung seines Rechtes zur Rückabwicklung des Vertrages keinen Gebrauch gemacht hatte, weil dieser Ersatz ihn wirtschaftlich belastet hat. Der EuGH hat insoweit die deutsche Regelung gerügt und eine andere Regelung/Handhabung angemahnt, vgl. zur Richtlinie 1999/44/EG EuGH, Urt. v. 17.4.2008, Rs. C-404/06 – Quelle. 539 Im Gegensatz zu § 346 II, III BGB sieht nämlich § 357 III BGB vor, dass Wertersatz auch bei einer Verschlechterung der Sache auf Grund bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme zu leisten ist, nicht allerdings schon auf Grund der Prüfung, § 357 III S. 2 BGB. Der Verbraucher haftet also verschuldensunabhängig, wenn er auf diese Folge und die Vermeidungsmöglichkeit hingewiesen wurde. Gleichzeitig entfällt bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung die Haftungserleichterung des § 346 III S. 1 Nr. 3 BGB. 540 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 28. 541 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 357 Rn. 9. 533
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In der neueren Literatur wird dennoch – m.E. zu Recht – generell Kritik an der Wertersatzpflicht geübt und zwar mit dem Hinweis darauf, dass diese Regelung insgesamt nicht europarechtskonform und die Abgrenzung Prüfung bzw. Ingebrauchnahme der Ware zu unpraktikabel sei.542 Der Verbraucher wird hier mit finanziellen Lasten („Kosten“ im europarechtlichen Sinne) belastet, denen keine Bereicherung auf seiner Seite gegenübersteht. Dies widerspricht schon Art. 6 II 2 der Fernabsatzrichtlinie. Für den Bereich der Vertragsrückabwicklung bei Verbrauchsgüterkaufverträgen musste der deutsche Gesetzgeber bekanntermaßen nach dem Quelle-Urteil des EuGH543 bereits eine Sonderregelung (§ 474 II 1 BGB), die den Verbraucher von der Pflicht zum Wertersatz freistellte, in das BGB einfügen. Es fragt sich aber, ob die Stellung dieser Regelung (vereinzelt 544 im Verbrauchsgüterkaufvertragsrecht) berechtigt ist oder ob es nicht generell einer Entlastung des Verbrauchers bei allen Verbraucherrücktrittssituationen durch Änderung des § 357 III BGB bedarf. (d.) Ausschluss weitergehender Ansprüche, § 357 IV BGB Weitergehende Ansprüche gegen den Verbraucher, z.B. aus §§ 280 I, 241 II, 311 II, 812 ff., 823 BGB werden allerdings auch nach geltendem Recht gemäß § 357 IV BGB ausgeschlossen. bb. Verbundene Geschäfte, §§ 358, 359 BGB Der Verbraucher wird durch besondere Regelungen in den §§ 358, 359 BGB darüber hinaus vor Risiken geschützt, die ihm durch die Aufspaltung eines wirtschaftlich einheitlichen Geschäfts in rechtlich selbständige Verträge drohen. Gäbe es diese Regelungen nicht, könnte eine nicht gewollte Bindung des Verbrauchers durch den vom Widerruf nicht erfassten anderen Vertrag den Sinn und Zweck des Widerrufsrechts konterkarieren.545
542 Micklitz, ZEuP 1999, 875, 887; Micklitz/Reich, BB 1999, 2093, 2095; Tonner, BB 2000, 1413, 1416; Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 215; Brönneke, Widerrufsrecht und Belehrungspflichten (2009), S. 19 ff.; ders., MMR 2004, 132; Rott, VuR 2001, 78, 80 ff.; Artz, VuR 2001, 391, 393 f.; Fischer, DB 2002, 253, 256 f.; a.A. Härting, MDR 2002, 61, 66 f.; Gößmann, MMR 1998, 91; Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1154 f. Der österreichische OGH hat eine vergleichbare Regelung unbeanstandet gelassen und die Frage der Richtlinienkonformität nicht dem EuGH vorgelegt (OGH VuR 2006, 242). Das AG Lahr fasste im Oktober 2007 als erstes deutsches Gericht einen Vorlagebeschluss zum EuGH (AG Lahr MMR 2008, 271). 543 EuGH, Urt. v. 17.4.2008, Rs. C-404/06 – Quelle. 544 Im FernUSG besteht eine Parallelvorschrift etwa in § 4 III FernUSG, vgl. Fischer, VuR 2002, 193, 196. 545 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005), S. 179, dort auch ausführlich zur Problematik der Schrottimmobilienfälle.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
(1.) Grundsatz des Widerrufsdurchgriffs Zu den Rechtsfolgen des ausgeübten Widerrufsrechts nach §§ 358, 359 BGB gehört die Erstreckung des Widerrufs auf „verbundene“ Kreditverträge. § 358 III BGB definiert den verbundenen Vertrag in Übereinstimmung mit § 9 I 2 VerbrKrG a.F., verallgemeinert die Regelung aber, indem Verbraucherdarlehensverträge nunmehr mit allen Verträgen über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung verbunden werden können. Die Kriterien der vollständigen oder teilweisen Finanzierung des anderen Vertrages und der wirtschaftlichen Einheit mit der dazugehörigen Definition in § 358 III 2 BGB wurden unverändert übernommen. Der sog. „Widerrufsdurchgriff“ wird von § 358 I, II BGB statuiert, der den verbraucherschützenden Vorgaben des Art. 6 IV der Richtlinie 97/7/EG Rechnung trägt. § 358 I BGB regelt insofern den Widerruf des finanzierten Geschäfts, der auf den Kreditvertrag „durchschlägt“. § 358 II BGB behandelt den umgekehrten Fall. Aus Gründen des Verbraucherschutzes wird in § 358 I, II BGB die rechtliche Trennung von Grund- und Finanzierungsgeschäft damit z.T. aufgehoben und ihr Schicksal miteinander verknüpft. Denn der Widerrufende hat kein Interesse daran, an einem Kreditvertrag festzuhalten, wenn er den Kredit nicht mehr benötigt, weil er sich vom zu finanzierenden Vertrag losgesagt hat. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass das zu finanzierende Grundgeschäft und der Kreditvertrag tatsächlich als „verbundene“ Verträge zu betrachten sind, nur dann ist es den Vertragspartnern zumutbar, dass die rechtliche Aufspaltung des Geschäfts zu ihren Lasten überwunden wird. Das ist dann der Fall, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrages dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden, § 358 III 1 BGB. Dabei gilt: (a.) Zwecksetzung Der zum Zweck der Finanzierung des Hauptvertrages gewährte Kredit muss die Zwecksetzung (Finanzierung des Hauptvertrages) selbst nicht ausdrücklich beinhalten. Es ist also keine Vereinbarung der Parteien hierüber notwendig, vielmehr reicht die tatsächliche Zweckbindung aus.546 Andererseits wirkt eine getroffene Zweckvereinbarung gemäß § 358 III 2 BGB indiziell. (b.) Wirtschaftliche Einheit Auf Grund der wirtschaftlichen Einheit wird trotz der rechtlichen Trennung das Schicksal des einen Vertrages mit dem anderen verbunden. Dieser „Brückenschlag“ verlangt allerdings, dass vom Verständnishorizont eines vernünftigen Durchschnittsverbrauchers eine wirtschaftliche Einheit zwischen beiden Verträgen vorliegt. Nach der gesetzlichen Vorgabe in § 358 III 3 BGB ist von einer solchen dann auszugehen, wenn der Unternehmer selbst die Gegenleistung des Verbrauchers finanziert, oder im Falle der Finanzierung durch den Dritten, 546
Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 37.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrages der Mitwirkung des Unternehmers bedient. Dabei hat der Gesetzgeber („insbesondere“) nur exemplarische Fälle angesprochen. In die Gesamtbetrachtung fließt daneben auch ein, ob eine Zweckabrede getroffen wurde, die Valuta direkt an den Verkäufer geflossen ist, ständige Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien bestehen, die gekaufte Sache zur Sicherung an die Bank übereignet wurde etc.547 (c.) Bipolare Abwicklung des Kreditgeschäfts als Verbundgeschäft In dem klassischen Fall des verbundenen Geschäfts sind drei Personen beteiligt (Verbraucher, Verkäufer, Bank). Diese Dreiecksbeziehung kann für den Verbraucher nachteilige Wirkungen bei der Rückabwicklung der beiden Verträge haben, da er sich nach Widerruf des einen Vertrages (der gemäß § 358 II, III BGB auch den anderen betrifft) zwei Rückabwicklungsgegnern gegenüber sieht und Leistungen eventuell übers Dreieck schon „verschoben“ wurden. Zugunsten des Verbrauchers sieht das Gesetz deshalb eine „bipolare“ Abwicklung des Kreditgeschäfts als Verbundgeschäft bei erfolgtem Mittelzufluss vor, bei der der Verbraucher so gestellt wird, als sei der Kreditgeber auch der Verkäufer. Das Gesetz umschreibt diese Privilegierung des Verbrauchers folgendermaßen: „Ist der Kreditvertrag bei Wirksamwerden des Widerrufs oder der Rückgabe dem Unternehmer bereits zugeflossen, so tritt der Kreditgeber im Verhältnis zum Verbraucher hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs (oder der Rückgabe) in die Rechte und Pflichten des Unternehmers ein“, § 358 IV 3 BGB. Die Konsequenz ist, dass der Verbraucher auch die empfangene Ware an den Kreditgeber (und nicht an den Verkäufer!) zurückzusenden hat.548 (2.) Besondere Problematik der Heininger-Entscheidung Der EuGH kam in seiner „Heininger-Entscheidung“549 zu dem Ergebnis, dass auch Realkreditverträge dem Schutz der Haustürgeschäfterichtlinie550 unterliegen, da es sich beim Darlehensvertrag auch dann nicht um ein – den Widerruf ausschließendes – Recht an einer Immobilie i.S.v. Art. 3 II lit. a der Haustürwiderrufsrichtlinie handelt, wenn das Darlehen grundpfandrechtlich abgesichert sei. Im Anschluss an diese Entscheidung gelangte auch der XI. Senat des BGH551 im Wege richtlinienkonformer Auslegung des § 5 II HWiG zur Widerruflichkeit des Darlehensvertrages. Für die Verbraucher erwies sich dieses Urteil jedoch als wertlos. Denn sie konnten zwar den Darlehensvertrag widerrufen, nicht aber den Grundstücks547
BGH WM 1980, 159. Micklitz/Pfeiffer/Tonner/Willingmann, Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001), S. 249, 276; zum Ganzen Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), 37 ff. 549 EuGH, Urt. v. 25.10.2005, Rs. C-229/04 – Crailsheimer Volksbank. 550 ABl.EG 1985 Nr. L 372/31. 551 BGHZ 150, 248 ff. 548
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
kaufvertrag, der notariell beurkundet werden muss und damit nach § 1 II Nr. 3 HWiG (= § 312 III Nr. 3 BGB) vom Widerrufsrecht ausgeschlossen ist. Der Widerruf des Darlehensvertrages hätte nur Auswirkungen auf den Kaufvertrag, wenn es sich um verbundene Geschäfte nach § 9 VerbrKrG (= § 358 III 3 BGB) handeln würde. Dies hat der BGH allerdings hinsichtlich zahlreicher Fälle aus der Zeit vor der Einführung des § 358 III 3 BGB552 verneint und sich dabei auf eine ständige Rechtsprechung bezogen, nach der der finanzierte Erwerb einer Immobilie grundsätzlich nicht als verbundenes Geschäft einzuordnen war. An dieser Auffassung hat er festgehalten.553 Hierin wurde er durch die Regelung in § 3 II Nr. 2 VerbrKrG (= § 491 III Nr. 1 BGB in der bis zum 1.11.2002 geltenden Fassung) bestärkt, wonach die Vorschriften über verbundene Geschäfte auf Realkredite keine Anwendung fanden. Lag jedoch mangels grundpfandrechtlicher Absicherung kein Realkredit vor, blieb § 9 VerbrKrG anwendbar.554 In der Zwischenzeit hat der Gesetzgeber durch Art. 25 OLG-Vertretungsänderungsgesetz555 die in § 491 III Nr. 1 BGB a.F. geregelte Ausnahme für grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen beseitigt. In § 358 III 3 BGB finden sich nunmehr die Voraussetzungen, unter denen ein Verbundgeschäft (auch für Realkredite und Grundstückskaufverträge) anzunehmen ist. Aber auch das brachte die betroffenen Verbraucher nicht weiter. Denn mit Urteil vom 16.5.2006556 bestätigte der IX. Senat seine bisher bereits vertretene Auffassung, der Darlehensnehmer habe im Falle eines wirksamen Widerrufs eines Realkreditvertrages gemäß § 3 I HWiG einen Anspruch auf sofortige Erstattung des ausgezahlten Nettokreditbetrags sowie auf dessen marktübliche Verzinsung. Dieser Anspruch – so der BGH – stehe dem Darlehensgeber zu, obwohl er das Geld im Regelfall direkt an den Verkäufer auszahlt. Denn nach Auffassung des BGH557 hat der Darlehensnehmer durch die weisungsgemäße Auszahlung an den Verkäufer den Darlehensbetrag i.S.v. § 3 I HWiG „empfangen“. Das Problem an dieser Sichtweise ist jedoch, dass der sofort fällige Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers dem Darlehensnehmer (Verbraucher) wirtschaftlich gesehen die Möglichkeit nimmt, sein Widerrufsrecht überhaupt auszuüben. Durch die bereits erfolgte Gesetzesänderung hat der Verbraucher so gesehen keine effektive Besserstellung im Vergleich zur alten Rechtslage erlangt. Ist das aber der Fall, dann stellt sich die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland den Vorgaben aus Art. 4 S. 3 der Haustürgeschäfterichtlinie gerecht geworden ist. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die 552
BGHZ 150, 248, 262. BGH NJW 2003, 199; 2003, 422; WM 2004, 620, 622; 2005, 127; 2005, 72, 74; 2005, 1520, 1523; 2006, 1196, 1197. 554 BGH NJW 2003, 3703. 555 BGBl. I 2002, 2850 556 BGH WM 2006, 1194; vgl. dazu schon früher BGHZ 152, 331. 557 BGH WM 2006, 1194, 1198. 553
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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verhindern, dass die Verbraucher bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung die Folgen der Verwirklichung der Risiken der Immobiliaranlagen zu tragen haben.558 In der Entscheidung vom 16.5.2006559 hatte insofern auch der XI. Senat eine bestehende richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts in Zweifel gezogen. Sollten sich diese Zweifel als richtig erweisen, wofür hier plädiert wird, verstieße die Bundesrepublik Deutschland gegen die Umsetzungsverpflichtung mit der Folge, dass Verbraucher, die grundpfandrechtlich gesicherte Darlehensverträge in einer Haustürsituation abgeschlossen haben, und nicht entsprechend belehrt worden sind, einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland gelten machen können.560 (3.) Grundsatz des Einwendungsdurchgriffs Der Einwendungsdurchgriff des früheren § 9 III VerbrKrG wurde mit Hinweis auf die systematische Nähe zu § 358 BGB im unmittelbaren Anschluss an die Vorschrift (nämlich in § 359 S. 1 BGB) untergebracht und soll deshalb auch hier sukzessive mitbesprochen werden. Er statuiert ein Recht des Verbrauchers, bei verbundenen Verträgen i.S.d. § 358 III BGB Einwendungen aus dem einen Vertrag auch im anderen Vertrag geltend machen zu können. cc. Rückgewähr von Sicherheiten Ob Sicherheiten, die der Verbraucher vereinbarungsgemäß bestellt hat, zurückzugewähren sind, richtet sich nach dem Sicherungszweck:561 Ist dem Sicherungsvertrag zu entnehmen, dass der Sicherungsgegenstand auch Ansprüche des Unternehmers für den Fall des Widerrufs sichern sollte, ist der Sicherungszweck noch nicht erledigt und die Sicherheit nicht zurückzugewähren.562 Bezog sich der Sicherungszweck lediglich auf die Ansprüche des Unternehmers für den Fall des endgültigen Wirksambleibens des Vertrags (was eher ausnahmsweise anzunehmen sein dürfte),563 ist die Sicherheit zurückzugewähren.564 Im Falle eines Eigentumsvorbehaltes ist die Sachlage allerdings umgekehrt: Das Besitzrecht des Verbrauchers fällt durch den Widerruf weg, sodass er der Vindikation des Vorbehalts- Unternehmers ausgesetzt ist.565
558 Vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 25.10.2005, Rs. C-229/04 – Crailsheimer Volksbank; EuGH, Urt. v. 25.10.2005, Rs. C-350/03 – Schulte. 559 BGHZ 168, 1 = JZ 2006, 1067. 560 Vgl. dazu Tiedtke, JZ 2008, 452, 462; Kahl/Essig, WM 2007, 525 m.w.N. 561 Bülow, in: Bülow/Artz, Handbuch Verbrauchervertragsrecht (2005), S. 136 Rn. 239. 562 BGH NJW 2003, 885; LG Stuttgart BRK 2002, 954. 563 BGH NJW 2004, 158. 564 Bülow, in: Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 136 Rn. 239. 565 Ebenda.
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dd. Schadensersatz Nach der gesetzlichen Anordnung in § 357 III BGB hat der Verbraucher nur den „Wertverlust“ auszugleichen, der durch Ingebrauchnahme der zurückzugebenden Sache entstanden ist. Auf Grund allgemeiner Vorschriften haftet er allerdings auch für „Schäden“, die nach Ausübung des Widerrufsrechts an der Sache entstehen (§§ 357 III 1, 346 V, 280 I, 241 II BGB).566 Diese Schadensersatzpflicht, die nach §§ 249 ff. BGB die allgemeine Wertersatzpflicht übersteigen kann, rechtfertigt sich gerade daraus, dass der Widerrufsberechtigte nach Ausübung des Widerrufs gehalten ist, besonders sorgsam mit der Sache umzugehen, weil er um die Rückgabeverpflichtung weiß.567 b. Unabdingbarkeit §§ 355–358 BGB enthalten auf Grund der Schutzfunktion ein einseitig zwingendes Recht.568 Sie stehen vertraglichen Vereinbarungen insoweit entgegen, als sie den Verbraucher belasten, nicht aber soweit sie ihn begünstigen. Dies folgt auch ohne ausdrückliche Regelung nach Art der §§ 312g, 487, 511 BGB und § 10 FernUSG aus der Auslegung des § 355 BGB selbst.569 Denn als vereinheitlichende Bestimmungen der einzelnen Widerrufrechte, die Schutzgesetze zugunsten des Verbrauchers darstellen, teilt § 355 BGB (zusammen mit den folgenden Regelungen) deren Zweckrichtung.570 Aus dem Vorgesagten folgt, dass der Verbraucher auf sein Widerrufsrecht nicht durch vertragliche Vereinbarung mit dem Unternehmer wirksam verzichten kann.571 Von den Vorgaben der §§ 355–358 BGB kann zum Nachteil des Verbrauchers nur insoweit abgewichen werden, als das Widerrufsrecht des § 355 BGB durch das Rückgaberecht des § 356 BGB ersetzt wird und der Verbraucher nach § 357 II 3 BGB die Kosten der Rücksendung bei einer Bestellung bis zu einem Betrag von 40 Euro nach entsprechender „Verlagerungserklärung“ des Unternehmers trägt.572
566
vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 195. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 47; a.A. BGH NJW 1990, 322. 568 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 269; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 4; Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 91 Rn. 64; Staudinger/Kaiser (2004), § 355 Rn. 65; BaRoth/Grothe (2. Aufl., 2007), § 355 Rn. 2. 569 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 4; allgemein zur Ermittlung des zwingenden oder dispositiven Charakters einer Vorschrift im Wege der Auslegung vgl. Brehm, Allgemeiner Teil des BGB (5. Aufl., 2000) Rn. 50. 570 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 4. 571 Bülow, in: Bülow/Artz (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), § 355 Rn. 64. 572 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 355 Rn. 6. 567
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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c. Gerichtsstand § 29c ZPO räumt dem Verbraucher bei Ausübung des Widerrufsrechtes sodann einen prozessualen „Heimspielvorteil“ ein, denn der Verbraucher braucht den Unternehmer bei entstehenden Streitigkeiten nicht an seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz verklagen (§§ 13 ff. ZPO). Er kann dies gemäß § 35 ZPO aber, wenn er es möchte. Für den Unternehmer, der auf Grund eines Haustürgeschäfts klagt (vgl. § 29c ZPO I 2 ZPO), ist der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Verbrauchers andererseits als „ausschließlicher“ durch das Gesetz vorgesehen. Der Unternehmer kann also gegen den Verbraucher auf Grund eines Haustürwiderrufsgeschäfts nur an dessen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort Klagen geltend machen.573 6. Überarbeitungsvorschläge Die europäische Kommission hat am 8.10.2008574 einen Entwurf für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher vorgelegt.575 Dieser soll u.a. die Haustürrichtlinie und die Fernabsatzrichtlinie ersetzen und zielt vor diesem Hintergrund auch auf die Vereinheitlichung des Widerrufsrechts. Es ist dabei von größter Brisanz für die deutsche Regelung zur Ausübung des Widerrufsrechts (§ 355 BGB), dass der Kommissionsentwurf gemäß seinem Absatz 4 den so genannten Vollharmonisierungsansatz verfolgt. Setzt sich der Entwurf durch, was derzeit noch völlig offen ist, dann muss die deutsche Vorschrift umgestaltet werden und dies in mehrerlei Hinsicht. Der Kommissionsentwurf sieht nämlich zum einen in seinem Art. 13 zur Verbraucherrechterichtlinie für den Fall der Verletzung der Pflicht zur förmlichen Belehrung vor, dass die Frist drei Monate nach dem Tag abläuft, an dem der Gewerbetreibende seine anderen vertraglichen Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllt hat. Auf Grund des Vollharmonisierungsansatzes müsste der deutsche Gesetzgeber diese Vorgabe 1:1 übernehmen und darf hiervon nicht mehr zugunsten des Verbrauchers – wie bisher mit der Regelung des „ewigen Widerrufsrechts“ in § 355 IV 3 BGB – abweichen.576 Die Neuregelung des Verbraucherwiderrufs im Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie sieht außerdem in Art. 14 vor, dass der Verbraucher den Gewerbetreibenden über seinen Entschluss, den Vertrag zu widerrufen, auf einem dauerhaften Datenträger zu informieren habe. Eine Widerrufsausübung durch bloße Rücksendung der Ware, wie derzeit noch in § 356 BGB vorgesehen, wäre damit hinfällig. Änderungen ergäben sich aber auch bzgl. der Länge der Widerrufsfrist in Bezug auf die Belehrung. Nach § 355 II 1 BGB umfasst die regelmäßige Frist 573
Zum Ganzen vgl. Boente/Riehm, Jura 2002, 222, 224. KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008. 575 Vgl. dazu auch Effer-Uhe/Walsen, GPR 2009, 7 ff.; Jud/Wendehorst, GPR 2009, 68 ff.; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Tettinger, ZGS 2009, 106; Schinkels, JZ 2009, 774 ff. 576 Zu dieser gravierenden Auswirkung vgl. Schinkels, JZ 2009, 774, 776. 574
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
für den Widerruf derzeit noch zwei Wochen. Sie beginnt nach § 355 III 1 BGB grundsätzlich mit der ordnungsgemäßen Belehrung in Textform. Beim Warenabsatz ist zudem zu beachten, dass § 312d II 1 BGB hierfür eine Sonderregelung dergestalt trifft, dass die Frist nicht vor Erhalt der Ware zu laufen beginnt. Eine weitere Spezialregelung findet sich in § 355 II 3 BGB, der anordnet, dass immer dann, wenn eine Belehrung über das Widerrufsrecht in Textform erst nach Vertragsschluss erfolgt, die Widerrufsfrist auf einen Monat zu verlängern ist. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die textsatzförmige Belehrung vor Vertragsschluss bei online-Auktionen technisch kaum möglich ist. Anders der Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie: Nach Art. 12 II soll beim Fernabsatz von Waren die Widerrufsfrist zwar auch erst an dem Tag zu laufen beginnen, an dem der Verbraucher die Ware erhält. Auch die förmliche Belehrung über das Widerrufsrecht hat der Unternehmer, sofern sie nicht bei Vertragsschluss erfolgte, nach Art. 11 IV nachzuholen, und zwar spätestens bis zur Lieferung der Ware. Erfüllt er diese Pflicht, soll die Frist zur Ausübung des Widerrufsrechts allerdings nur 14 Tage betragen. Auf Grund des Vollharmonisierungsansatzes des Richtlinienentwurfs wäre der deutsche Gesetzgeber auch diesbezüglich gezwungen, das hohe deutsche Verbraucherschutzniveau mit der Widerrufsfrist von einem Monat aufzugeben.577 Außer dem Transparenzgebot, den Informationspflichten und dem Widerrufsrecht bestehen aber noch andere typische Instrumente, die der Gesetzgeber zur Flankierung des etablierten verbraucherrechtlichen Schutzstandards vorgesehen hat. Auf diese soll im folgenden Abschnitt eingegangen werden. III. Fehlende Dispositivität der Schutznormen, Umgehungsverbote, Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeit Einleitend ist insofern herauszustellen, dass man verbraucherschützende Normen auch daran erkennt, dass sie nur zugunsten des Verbrauchers abdingbar sind (nicht also zu seinen Lasten),578 dass für sie Umgehungsverbote eingeführt wurden und dass das Gesetz für Verbrauchergeschäfte eine Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeit statuiert. 1. Unabdingbarkeit Die meisten Bestimmungen zum Schutz des Verbrauchers sind zwingend und damit unabdingbar. Der Grund liegt darin, dass die Regelungen zur Protektion des Konsumenten ihren Schutzauftrag nicht vollumfänglich erfüllen könnten, stän577 Zur Kritik am Vollharmonisierungsansatz vgl. meine Ausführungen im 1. Teil, 8. Kapitel B III. 578 Grundmann, JZ 2000, 1133.
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den sie stets zur freien Disposition der Parteien.579 Die Möglichkeit einer Andersregelung würde nämlich zu häufig ausgenutzt und zu Lasten des Verbrauchers gehen. Die Frage, „warum der Verbraucher sich nicht in freier Entscheidung auf eine Aushöhlung seines Schutzes einlassen können soll“, 580 ist schlicht damit zu beantworten, dass die Entscheidung des Verbrauchers selten „frei“ und von Verhandlungsparität getragen ist. Deshalb hat der Gesetzgeber nur zugunsten des Verbrauchers eine Abweichung zugelassen. Dies gilt insbesondere für den Fernabsatz, das Haustürgeschäft und den elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312g S. 1 BGB), den Verbrauchsgüterkauf (§ 475 BGB), das Teilzeitwohnrecht (§ 487 S. 1 BGB), den Verbraucherkredit (§ 511 S. 1 BGB), für Pauschalreisen (§ 651m S. 1 BGB), die Kreditvermittlung (§ 655e I 1 BGB) und den Fernunterrichtsvertrag (§ 10 FernUSG). Auch die Regelungen zur Abwicklung des (Verbraucher-)Widerrufs in § 355 BGB sind grundsätzlich halbzwingender Natur. Sie stehen vertraglichen Vereinbarungen insoweit entgegen, als diese Abreden den Verbraucher belasten, nicht aber, soweit sie ihn begünstigen. Dies folgt auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung aus der Auslegung der §§ 355 ff. BGB.581 Denn als einheitliche, die einzelnen Bestimmungen zum Widerruf verbindende Grundlage der Abwicklung teilt § 355 BGB den Schutzzweckcharakter der speziellen Widerrufsbestimmungen.582 Außerhalb des spezifischen Verbraucherrechtes legt für den Bereich des Bankrechts § 676e BGB a.F. die fehlende Disponibilität der Schutzvorschriften fest. Die §§ 307 ff. BGB sorgen zudem dafür, dass nur die „nicht auf dem Index der gesetzlichen Bestimmungen“ stehenden Klauseln der freien Disposition der Vertragspartner unterliegen.583 2. Umgehungsverbote Mit der fehlenden Abdingbarkeit von verbraucherschützenden Normen steht das Verbot von Umgehungsgeschäften in engem funktionalem Zusammenhang. Bei der Statuierung von Umgehungsverboten ging es dem Gesetzgeber darum, keine Lücken in seinem Schutzkonzept zuzulassen: Wenn schon Schutzvorschriften nicht der Disposition der Parteien unterliegen, muss selbstredend verhindert werden, dass das unerwünschte Ergebnis auf anderem Wege – nämlich durch eine „Umgehung“ der Schutznorm – zustande kommt. Umgehungsverbote knüpfen an den objektiven Tatbestand einer „Ausmanövrierung“ des Gesetzesverbotes an. Ein objektiver Umgehungstatbestand liegt 579
Wilhelmsson, European Contract Law 2004, 712, 713; Grundmann, JZ 2000, 1133. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 363. 581 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 355 Rn. 4; Staudinger/Kaiser (2004), § 355 Rn. 65; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 355 Rn. 2. 582 Ebenda. 583 Auch für den Fall des Wohnungsmietvertrages ist der Satz „Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.“ ein häufiger Refrain bei der Paragraphenlektüre in den §§ 535 ff. BGB, vgl. dazu Struck, JA 2004, 68, 70. 580
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
immer dann vor, wenn eine gesetzlich verbotene Regelung, die auf ein verbotenes Ergebnis zielt, durch eine andere rechtliche Gestaltung erreicht wird.584 Entscheidend ist insoweit eine wirtschaftliche Betrachtung. Um das Umgehungsverbot nicht der Möglichkeit einer Aushöhlung anheim zu stellen, ist der Nachweis einer Umgehungsabsicht beim Verwender einer entsprechenden Umgehungsregelung nicht erforderlich. Allein das Vorliegen des objektiven Tatbestandes, der zu dem gesetzlich nicht erwünschten Ergebnis führt, genügt. 585 Ausdrückliche Verbote von Umgehungsgeschäften finden sich in den §§ 306a, 312g S. 2, 475 I 2, 487 S. 2, 511 S. 2, 655e I 2 BGB und § 8 FernUSG. Sie prägen gerade die verbraucherschützenden Bereiche. Ob derart explizite Umgehungsverbote statuiert werden mussten, ist natürlich hinterfragenswert. Notwendig zur weitgehenden Abdrängung von Umgehungsgeschäften wären sie wohl schon deshalb nicht, weil sich das Verbot des „agere in fraudem legis“ – bei richtigem Verständnis der Schutznormen – bereits aus der Verbotsnorm selbst ergibt,586 sei es, weil es sich beim Umgehungsverbot um ein eigenständiges Rechtsinstitut handelt, das die Schutznormen überlagernd verbindet,587 sei es kraft teleologischer Reduktion jedes einzelnen Normenbereiches.588 Die entsprechenden Bestimmungen sorgen daher nur noch dafür, an den Umstand, „dass eine Umgehung nichts nützt“, klarstellend und mahnend zu erinnern. Die ausdrückliche Klarstellung ist im Bereich des Verbraucherschutzrechtes zu begrüßen, weil hierin auch der Transparenzgedanke589 einfließt. Zur Rechtsfolge eines Umgehungsgeschäftes bleibt festzuhalten, dass, auch wenn die einzelne Regelung, die die Gesetzesumgehung unterbinden soll, selbst keine ausdrückliche Klarstellung zur Handhabung eines Sanktionstatbestandes trifft, diese doch auf der Hand liegt. Ist ein (objektiver) Umgehungstatbestand gegeben, bleibt er zwangsläufig wirkungslos. Die umgangene verbraucherschützende Vorschrift kommt voll zum Tragen.590
584 H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 306a Rn. 3 f.; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Anwaltskommentar, Schuldrecht (2002), § 306a Rn. 1; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 306a Rn. 3. 585 Vgl. etwa für den Bereich des AGB-Rechts BGH NJW 1996, 2092, 2093; Hennrichs, in: Dauner/Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Anwaltskommentar, Schuldrecht (2003), § 306a Rn. 1; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 306a Rn. 3; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 306a Rn. 1; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 306a Rn. 4. 586 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 41 Rn. 91 m.w.N.; Teichmann, Die Gesetzesumgehung (1962), S. 78 ff. 587 So Teichmann, Die Gesetzesumgehung (1962), S. 78 ff. 588 Stoffels, AGB-Recht(2003), S. 41 Rn. 91. 589 Dazu schon oben (im Zusammenhang mit Informationspflichten). 590 Vgl. hierzu etwa BGH WM 2005, 876; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 306a Rn. 1; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 306a Rn. 1.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
419
3. Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeit Das „Umgehungsverbot“, das nur bei der Anwendbarkeit deutschen Rechts Geltung beansprucht, könnte seinerseits jedoch unterlaufen werden,591 wenn verbraucherschützende Normen in Gänze dadurch abdingbar wären, dass die Parteien vereinbaren, die Gültigkeit ihres Geschäftes bestimme sich auf der Grundlage einer anderen Rechtsordnung.592 Solch eine Vereinbarung findet heute leicht einen sachlichen Bezug. Denn die Öffnung der Grenzen, bessere und billigere Reisemöglichkeiten, eine erhöhte Mobilität und das Internet führen zu einer Vielzahl von Sachverhalten mit Auslandsberührung. Der Abschluss grenzüberschreitender Kauf-, Darlehens-, Finanzierungs- und Bürgschaftsverträge gehört heute zum Alltag.593 Insbesondere die verwickelten Probleme bei grenzüberschreitenden Verbrauchergeschäften werden seit langem lebhaft diskutiert.594 a. Die alte Rechtslage nach Art. 27, 29, 29a EGBGB a.F. Sowohl der deutsche als auch der europäische Gesetzgeber waren bestrebt, bei der Regelung des Kollisionsrechts, das bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bestimmt, welches Sachrecht Anwendung findet, die formale Privatautonomie (vgl. dazu heute Art. 3 II Rom I-VO)595 nur so weit zu beschränken, wie es nötig ist, damit der innerstaatlich und über die EU gewährte Verbraucherschutz nicht vollkommen ausgehöhlt wird. Der deutsche Gesetzgeber hatte nach Maßgabe europäischer Vorgaben, die zunächst aus dem EVÜ596 folgten, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis festgelegt und dieses in die Art. 27 ff. EGBGB a.F. integriert. Danach konnten die Parteien grundsätzlich das für einen Schuldvertrag maßgebliche Recht frei in Form einer Rechtswahlvereinbarung bestimmen (Art. 27 EGBGB a.F., so nun auch Art. 3 der Rom I-VO).597 Die Rechtswahl wird durch einen kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrag wahrgenommen.598 Eine ausdrückliche Einschränkung der Rechtswahlfreiheit postulierte der Ge-
591
Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 11 Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003), S. 66; Lorenz, RIW 1987, 577 ff. 593 Wagner, TranspR 2009, 103. 594 Vgl. dazu etwa Callies, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit auf dem elektronischen Weltmarktplatz (2006); Loacker, Der Verbrauchervertrag im internationalen Privatrecht (2006); Sachse, Der Verbrauchervertrag im Internationalen Privat- und Prozessrecht (2006); Martiny, ZEuP 2008, 79, 94 ff.; Clausnitzer/ Woopen, BB 2008, 1798 ff. 595 Zum Grundsatz der Privatautonomie im Kollisionsrecht Althammer, JA 2008, 772, 773; Martiny, ZEuP 2008, 79 ff.; Mankowski, RIW 2003, 4 ff. 596 EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980, ABl.EG 1980 L 266/1 = BGBl. 1986 II, S. 809; in konsolidierter Fassung nach mehreren Beitrittsübereinkommen ABl.EU 2005 C 334/1. 597 Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1789, 1799. 598 Palandt/Heldrich (68. Aufl., 2009), Art. 27 EGBGB Rn. 1. 592
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
setzgeber allerdings schon früher in Art. 29 EGBGB a.F. (ergänzt durch Art. 29a EGBGB a.F.) für Verbraucherverträge. d. Die neue Rechtslage nach Art. 6 der Rom I-VO Mit der Verabschiedung der Rom I-VO hat sich allerdings nicht nur die materielle Rechtslage ein Stück weit geändert. Der deutsche Gesetzgeber hat auch seine bisherige Regelungstechnik aufgegeben, die gemeinschaftsrechtlich durch Verordnung geregelten IPR-Sachverhalte, in das EGBGB zu implementieren und dem sonstigen IPR an die Seite zu stellen. So kam es zur Streichung der §§ 27 ff. EGBGB. Die Rom I-VO ist nun alleinige Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherkollisionsrechts; sie findet sich nicht mehr dupliziert im EGBGB. Das Internationale Verbrauchervertragsrecht war zentraler Diskussionsgegenstand und Hauptstreitpunkt, als das EVÜ in die Rom I-VO599 „verwandelt“ wurde.600 Seine neue Heimat ist nun nicht mehr Art. 5 EVÜ (der im deutschen Recht in den Art. 29, 29a EGBGB a.F. seine Entsprechung fand), sondern Art. 6 der neu geschaffenen Rom I-VO. Wirkung entfaltet die Rom I-Verordnung gemäß ihrem Art. 28 für alle Verträge, die ab dem 17.12.2009 geschlossen werden. Die ursprüngliche Intention601 der Kommission lief noch darauf hinaus, die Rechtswahlmöglichkeit für die Parteien bei internationalen Verbraucherverträgen komplett abzuschaffen. Dieser Vorstoß ist gescheitert.602 Art. 6 II 1 der Rom I-VO bestimmt nun: „Ungeachtet des Absatzes 1 können die Parteien das auf den Vertrag anzuwendende Recht wählen“. Allerdings wird eine wichtige Einschränkung gemacht. Die Rechtswahl darf nämlich auch nach Art. 6 II 2 der Rom I-VO nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm nach Art. 6 I der Rom I-VO zusteht. Der Günstigkeitsvergleich, der schon nach altem Recht (Art. 5 EVÜ/Art. 29, 29a EGBGB) anzustellen war, lebt damit nach der Rom I-VO in Art. 6 II 2 fort. Für das Verbraucherrecht kommt es mit der Rom I-VO zu kleinen Schutzzuwächsen insofern, als sich der sachliche Anwendungsbereich der neuen Regelung (Art. 6 Rom I-VO) nun auf alle Verträge, die zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossen werden, erstreckt und nicht mehr Kauf- und Dienstleistungsverträge in den Mittelpunkt stellt. 599
VO EG Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl.EU 2008 L 177/6; vgl. dazu auch die Darstellungen von Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 ff.; Wagner, TranspR 2009, 103 ff. 600 Zum Befund vgl. Mankowski, RIW 2009, 98. 601 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), von der Kommission vorgelegt am 15.12.2005, KOM (2005), 650 endg. 602 Zu den inhaltlichen Diskussionen siehe Mankowski, ZVerglRWiss 105 (2006), 120, 150 ff.
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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Der situative Anwendungsbereich hat damit das Modell des Art. 15 I lit. c) EuGVVO603 übernommen.604 Es wurden jedoch in Art. 6 der Rom I-VO auch eine Reihe von Ausnahmen etabliert, was in der Literatur, da der ursprüngliche Ausnahmekatalog damit erweitert wurde, zum Teil auf Bedenken bzw. Kritik605 stößt. Das Modell, an das Art. 6 der Rom I-VO jetzt anknüpft, ist ähnlich dem des Art. 15 I lit. c) EuGVVO auf das „Ausrichten“ unternehmerischer Tätigkeit auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers als zentrales Kriterium gerichtet.606 Dieses soll jenseits der Tätigkeit des Unternehmers im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausreichend sein, um die Anknüpfung an den Verbrauchergerichtsstand herbeizuführen, vgl. dazu Art. 6 I lit. a) und b) der Rom I-VO. Der Widerstand der Unternehmen,607 der bereits nach den entsprechenden Grünbuchvorschlägen608 zu Tage trat, hat dies nicht zu verhindern vermocht.609 Jenseits der damit erreichten sachlichen Schutzbereichsausweitung für das Verbraucherrecht ist positiv auch hervorzuheben, dass durch die Rom I-VO die Rechtswahl nichtstaatlicher Regelwerke (UNIDROIT, Principles of European Contract Law, Draft Common Frame of Reference) wie schon nach dem EVÜ, aber anders, als nach dem ursprünglichen Entwurf der VO vorgesehen,610 nicht verankert wurde.611 Begrüßenswert ist dieser Umstand deshalb, weil diese Regelwerke derzeit noch nicht den hohen Schutzstandard aufweisen und derart konsolidiert sind (und damit Rechtssicherheit bieten), wie sich dies aus dem Verbrauchersekundärrecht als hard law ergibt.612 Es ist derzeit noch zu früh, den Parteien die Wahl solcher einheitlicher Regeln zu erlauben, auch wenn sie sich neben dem nationalen Recht entwickeln.613 Im „Unscheinbaren“ haben sich jedoch im neuen Verbraucherkollisionsrecht nach der Rom I-VO auch Modifikationen ergeben, die den Unternehmer und 603
Vgl. dazu meine Ausführungen im zivilprozessualen Abschnitt, 2. Teil, 3. Kapitel. So schon Martiny, ZEuP 2008, 97 ff., zum Entwurf der Rom I-VO. 605 Mankowski, RIW 2009, 98 ff. 606 Zu dieser Neuerung v. Hein, IPRax 2006, 16 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 ff.; Mankowski, RIW 2009, 98 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 ff.; Wagner, TranspR 2009, 103 ff.; Martiny, ZEuP 2008, 79 ff.; vgl. auch BGH NJW 2006, 1672. 607 Vgl. dazu die Hinweise bei Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1801, der hier auf die Kritik des DIHK und anderer Unternehmen/Institutionen eingeht. 608 Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung, von der Kommission vorgelegt am 14.1.2003, KOM (2002), 654 endg. 609 Zum Befund Mankowski, RIW 2009, 98. 610 KOM (2005), 650 endg, dort Art. 3 II und Begründung S. 5. 611 Althammer, JA 2008, 772, 773; Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1799; Martiny, ZEuP 2008, 79 ff.; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 624. 612 Das Verhältnis der Rom I-VO zum DCFR ist allerdings immer noch strittig. Darauf hinweisend Martiny, ZEuP 2007, 212 ff.; ders., ZEuP 2008, 79, 88 mit Bezugnahme von Heiss/Downes, Eur.Rev.Priv.L. 13 (2005), 693 ff. 613 Martiny, ZEuP 2008, 79, 88 ff. 604
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
seine Position stützen. Denn der Bereich der ausdrücklichen Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich der Schutzbestimmungen des internationalen Verbrauchervertragsrechts wurde in Art. 6 IV der Rom I-VO umfänglich ausgeweitet. In der Literatur werden insofern verbleibende bzw. noch ausgeweitete „Schutzdefizite“ zu Lasten des Verbrauchers kritisiert.614 Denn wo Art. 5 IV EVÜ nur zwei Ausnahmen kannte, die in Art. 29 EGBGB Eingang fanden (für Dienstleistungen, die vollständig außerhalb des Aufenthaltsstaates des Verbrauchers erbracht werden und für Transportleistungen), ordnet nun Art. 6 IV der Rom I-VO fünf Einschränkungen an. Die ersten beiden Regelungen (Art. 5 IV lit. a) und b) der Rom I-VO) führen noch die alten Vorgaben, d.h. die Exzeptionen vom Anwendungsbereich der verbrauchervertraglichen Regelungen fort. Die dritte (Art. 5 IV lit. c) der Rom I-VO) grenzt jedoch leider die Miete von Immobilien und Verträge über dingliche Rechte an Immobilien jenseits von TimesharingVerträgen aus dem Regelungskomplex aus.615 Neu sind auch die vierte und die fünfte Ausnahme. Sie betreffen den unter Verbraucherschutzaspekten besonders gravierenden Bereich der Finanzverträge. So gelten Art. 5 I, II der Rom I-VO nach Art. 5 IV lit. d) und e) nicht für Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument616 sowie für Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Abgabe oder das öffentliche Angebot und öffentliche Übernahmeangebote617 bezüglich übertragbarer Wertpapiere und die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen618 für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere festgelegt werden. Gleiches gilt für Verträge, die innerhalb von Systemen geschlossen werden, auf die Art. 4 I lit. h) (multilaterale Systeme für den Kauf/Verkauf von Finanzinstrumenten) Anwendung findet. Das ist „bemerkenswert“.619 Auch die Vielzahl der verwendeten Fachbegriffe sorgt – jedenfalls bzgl. der letzten beiden Anwendungsausnahmen – kaum für Durchschaubarkeit.620 Summa summarum wurden durch diese Regelungen – ohne dass es hier angebracht erscheint, auf nähere Details einzugehen – zwar nicht Finanzverträge per se aus dem Anwendungsbereich des kollisionsrechtlichen Verbraucherschut614
Althammer, JA 2008, 772, 778. Zur Kritik vgl. Mankowski, IPRax 2006, 101, 105; ders., ZVerglRWiss 105 (2006), 120, 127 f. 616 Vgl. zum Terminus Art. 4 I Nr. 7 MiFID. 617 Bei öffentlichen Angeboten, Bankgeschäften und strukturierten Finanztransaktionen reklamiert die Finanzwirtschaft ein legitimes Interesse daran, durch Rechtswahl die Anwendung eines „entwickelten“ Rechts herbeizuführen, vgl. dazu Mankowski, RIW 2009, 98, 102. 618 Hierbei handelt es sich um eine neue europäische Wortschöpfung, die signalisiert, dass im Hintergrund die sog. OGAW Richtlinie (RL 85/611/EWG v. 20.12.1985, ABl.EG 1985 L 375/3) eine Rolle spielt. 619 Zum Ganzen Mankowski, a.a.O. 620 Zum Befund Mankowski, RIW 2009, 98, 99. 615
1. Kapitel: Abstrakte Begriffe und Instrumente des Verbraucherschutzrechts
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zes herausgenommen, aber doch alle komplexen Finanzinstrumente mit erheblichem Volumen ausgegrenzt, obgleich gerade diese Produkte verbraucherrechtlich hoch sensibel erscheinen und daher zu einer stärkeren Restriktion aufgerufen hätten. In der Literatur wird dieser Fakt wohl nicht zu Unrecht als eindeutiges Zugeständnis an Großbritannien (sprich: die City of London, d.h. an die dortige Finanzmetropole) gewertet.621 Die Regelungen werden – von den Regelungsakteuren – allerdings damit gerechtfertigt, dass an einer Börse täglich eine Vielzahl von Kauf- und Verkaufsangeboten eingehen und eine große Zahl von Verträgen abgeschlossen wird. Früher wurden derartige Transaktionen immer im Handelssaal einer Börse abgewickelt. Heute ist dieser über elektronische Handelssysteme oftmals nur virtuell präsent. Damit die Börse auf diese (moderne) Art funktioniert, müssen – so der Standpunkt der Regelungsakteure – die dort abgeschlossenen Verträge einem Recht unterliegen, wobei dies am besten durch Vereinbarung eines „entwickelten“ Rechtes (wie in der Vergangenheit bereits üblich) sichergestellt werden kann und soll.622 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Rom I-VO durch die Öffnung des Anwendungsbereiches des Art. 6 für alle Verbraucher-Unternehmer-Verträge und die Einbeziehung des Merkmals des „Ausrichtens“ zu einer Evolution und noch zu keiner Revolution des (verbraucherrechtlichen) Kollisionsrechts geführt hat.623 Das bisherige Recht wird durch die Gemeinschaft mittels der Rom I-VO moderat fortgeschrieben. Diese Einschätzung wird jedenfalls durch den Umstand der zahlreich verankerten sachbereichsbezogenen Anwendungserweiterungen und -ausnahmen gestützt. Abgerundet wird das neue VerbraucherIPR durch Art. 46b EGBGB,624 der auch bei einer Vereinbarung drittstaatlichen Rechts durch die Parteien eine Unterminierung des Besitzstandes der Gemeinschaft verhindert.
621
Mankowski, RIW 2009, 98, 100 f. Wagner, IPRax 2008, 377, 384. 623 So Leible/Lehmann, RIW 2009, 528, 529; referierend Mankowski, a.a.O. 624 Die Regelung wurde als „Nachfolgevorschrift“ zu Art. 29a EGBGB a.F. in das EGBGB aufgenommen, das auf die neue Rom I-VO abgestimmt werden musste. Sie ist am 17.12.2009 in Kraft getreten; dazu Martiny, RIW 2009, 737 f. 622
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
2. Kapitel
Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts im vorvertraglichen, vertraglichen und außervertraglichen Bereich Das zweite Kapitel des 2. Teils wendet sich nun den besonderen Ausprägungen des deutschen Verbraucherschutzrechtes im vorvertraglichen, vertraglichen und außervertraglichen Bereich zu und will damit die Vielgestaltigkeit der Rechtsmaterie „Verbraucherschutz“ aufzeigen. Insofern ist einführend hervorzuheben, dass sich die Beziehung zwischen Verbraucher und Unternehmer nicht statisch gestaltet, sie entwickelt sich vielmehr und durchläuft i.d.R. verschiedene zeitliche Phasen.1 Zunächst betrifft sie den vorvertraglichen Bereich, in dem es um die Kontaktaufnahme geht. Diese Phase mündet häufig in eine zweite, in der schon konkrete Informations- oder Handlungsbeziehungen der Kontrahenten bestehen, die zumeist auf ein Vertragsverhältnis gerichtet sind. Unabhängig von einer etwaigen vertraglichen Beziehung können sich Verbraucher und Unternehmer aber auch beim Eingriff in bestimmte Rechtsgüter gegenüberstehen, was dann die Frage nach Schadensersatzansprüchen im Rahmen einer angemessenen Risikoverteilung auf deliktsrechtlicher Basis aufwirft. Kommt es schließlich zu einer streitigen Auseinandersetzung über Ansprüche, ist es möglich, dass bei dieser auch (gerichtlicher) Rechtsschutz gesucht wird oder – noch weiter – dass das im Erkenntnisverfahren herbeigeführte Ergebnis zwangsweise durchgesetzt werden muss. Diese unterschiedlichen Phasen bzw. Situationen der Verbraucher-Unternehmer-Beziehung sollen hier zunächst im 2., dann im 3. Kapitel näher beschrieben werden. Dabei wird deutlich, dass entsprechend der Intensität des Kontaktes und den von ihm ausgehenden „Gefährdungslagen“ die zum Schutz des Verbrauchers eingesetzten Rechtsinstrumente variieren und hier und dort jedenfalls diskutabel ist, im Sinne der Effektivierung des Verbraucherschutzes an ein paar „Stellschrauben“ zu drehen.
1
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 151.
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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A. Vorvertragliches Verbraucherrecht Beginnen soll die Darstellung mit dem vorvertraglichen Verbraucherrecht. Insoweit gehört an den Anfang dieses Abschnittes die Feststellung, dass der Konsumentenschutz nach dem Willen der Gemeinschaft mit dem Statuieren von Informationspflichten des Unternehmers schon im Vorfeld eines etwaigen Vertragsschlusses Platz greift. Auch nach deutschem Recht gehört dieser Befund zum konsentierten Bestand der nationalen Zivilrechtsordnung, wenngleich das deutsche Zivilrecht zunächst nur allgemeine Aufklärungspflichten nach § 242 BGB postulierte und diese dann zunehmend – auch in Reaktion auf gemeinschaftsrechtliche Anforderungen – gesetzlich ausdifferenzierte. Der nationale Gesetzgeber möchte mit der vermehrten Einführung von (vorvertraglichen) Aufklärungspflichten in prozeduraler Weise, so weit als möglich, Vertragsparität zwischen den Parteien herstellen, sodass die Chance zu einem gerechten Vertragsergebnis besteht. Die Europäische Gemeinschaft verfolgt mit ihrem Choice-Ansatz (hingegen) primär das Ziel, durch einen europaweit gleichen Standard an Aufklärungspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher den Binnenmarkt durch einen unverfälschten Wettbewerb zu stärken.2 Insofern, als die von der Gemeinschaft postulierten Aufklärungspflichten bislang als sehr umfassend angesehen werden müssen, gewährleisten sie jederzeit auf einem hohen Niveau Verbraucherschutz. Ob das auch in Zukunft der Fall sein wird, ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Die Verfolgung der Binnenmarktzielsetzung ist nämlich kein Garant für die Absicherung eines hohen Konsumentenschutzstandards. Denn einheitliche Wettbewerbsbedingungen können durch gemeinschaftsrechtlich postulierte Informationspflichten sowohl auf einem hohen, als auch auf einem niedrigen Verbraucherschutzlevel aufbauen und für die notwendige Gleichheit der Marktbedingungen sorgen.3 Abgesehen davon, wer das Postulat einer informierten Entscheidung des Konsumenten primär veranlasst hat, die Gemeinschaft oder der deutsche Gesetzgeber, und von welcher Seite Änderungen beim Schutzlevel eher zu erwarten sind, in jedem Fall lassen sich nach derzeitigem Rechtsstand die Informationsanforderungen durch den Dreiklang4 von Reglementierung der Werbung, vorvertraglichen Aufklärungspflichten und dem allgemeinen Postulat transparenter Vertragsgestaltung strukturieren. Im weiteren Sinne gehört in den Bereich des Verbraucherschutzes im Stadium der Vertragsanbahnung auch der Schutz vor unlauterem Produktabsatz, etwa durch die Zusendung unbestellter Waren und unwahrer Gewinnmitteilungen.5 2 3 4 5
Grub, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV (4. Aufl., 2006), Art. 153 Rn. 7. Siehe dazu Tonner/Tamm, FS Stauder (2006), S. 527, 550 ff. Vgl. hierzu Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2212. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 5.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
I. Reglementierung der Werbung nach dem UWG Für den Verbraucher ist die Reglementierung des vorvertraglichen Bereichs, wo durch Werbung vielfach erst die Motivationsbasis für einen mit einem Unternehmer abzuschließenden Vertrag geschaffen wird, gerade in der gegenwärtigen Mediengesellschaft, in der Werbebotschaften breitflächig gestreut werden (können), besonders wichtig.6 Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt. Obgleich es noch kein in einem besonderen Gesetz eigenständig geregeltes Werberecht gibt,7 sind gewisse, reglementierende Anordnungen dafür in das UWG aufgenommen worden.8 1. Allgemeines Das UWG regelt jedoch neben der Werbung noch viele andere Tätigkeitsfelder unternehmerischen Handelns, die als „unlauter“ verboten und insbesondere vom jeweiligen Konkurrenten durch Sanktion verfolgt werden können.9 In den Bereich des Konsumentenschutzes ragt das UWG nach der insoweit einschlägigen Rechtsprechung, die zu einer Gesetzgebungsänderung in § 1 UWG führte, nun stärker noch als bisher (über die Verbraucherverbandsklage) hinein, weil der Schutz der „Verbraucher und Verbraucherinnen“ seit kurzem eines der explizit erklärten Regelungsziele des Gesetzes ist, vgl. § 1 S. 1 UWG. a. Schutz von Verbraucherinteressen als proklamiertes Gesetzesziel, aber Fehlen adäquater individueller UWG-Rechtsbehelfe Auf Grund der gesetzgeberischen Neuregelung des UWG hat die Protektion von Verbraucherinteressen im Lauterkeitsrecht eine starke Aufwertung erfahren,10 die es rechtfertigt, den Bereich der Reglementierung der Werbung in diesem Zusammenhang etwas näher darzustellen, wenngleich, das sei an dieser Stelle vorausgeschickt, das privatrechtliche Sanktionsregime für den Verbraucher im UWG noch etwas „dürftig“ ausgestaltet ist.11 Damit ist das Problem angesprochen, dass 6 Deshalb sah auch etwa schon K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 24 ff., schon sehr früh den Rechtsbereich als den Verbraucherschutz „mit tragend“ an. 7 Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976), S. XII. 8 Das Bundeskabinett hat am 21.5.2008 einen Entwurf zur Änderung des UWG beschlossen. Die Novelle setzt die EU-Richtlinie 2005/29/EG über den Schutz gegen unlautere Geschäftspraktiken um und ändert das deutsche UWG grundlegend. Eine Besprechung hierzu findet sich bei Hoeren, Wirtschaftsrecht (2008), 1181 ff. 9 Eine untergeordnete Rolle spielen daneben zahlreiche Sondergesetze (wie u.a. das Lebensmittelgesetz, das Heilmittelwerbegesetz, das Eichgesetz etc). 10 Nassall, NJW 2006, 127, 128 f.; M. Schmidt, JZ 2007, 78, 80 ff.; Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88 ff. 11 Zur parallelen Aufwertung des Verbraucherschutzes im Kartellrecht durch die 7. GWB-Novelle vgl. Pajunk, Konsumentenschutz im Rahmen privater Kartellrechtsdurchsetzung, Diss. Rostock 2009.
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der Gesetzgeber den einzelnen Verbraucher gerade im Hinblick auf die Sicherstellung des in § 1 S. 1 UWG neu proklamierten Schutzzieles ein großes Stück alleine lässt. Diese Feststellung findet ihren Grund in den im UWG verankerten (und insoweit nicht angepassten) Regelungsinstrumentarien. So hat der deutsche Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, dem einzelnen Verbraucher nach der Schutzzweckerweiterung in § 1 S. 1 UWG Rechtsbehelfe zur Unterbindung unlauteren Geschäftsgebarens an die Hand zu geben.12 Es fehlt eine Bestimmung, die dem wie auch immer verletzten (einzelnen) Verbraucher die Möglichkeit eröffnet, den Verletzer auf Unterlassung, Beseitigung oder Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Die in § 8 UWG geregelten Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche können nur von Kammern und Verbänden (vgl. insoweit § 8 III Nr. 1–4 UWG), nicht aber von einzelnen Verbrauchern (anders ist das mit Unternehmern als „Konkurrenten“) geltend gemacht werden. Der in § 9 UWG geregelte Schadensersatzanspruch steht gemäß § 9 I 1 UWG ausschließlich den „Mitbewerbern“ zu. Der neue Gewinnabschöpfungsanspruch in § 10 UWG ist gleichfalls Kammern und Verbänden vorbehalten (vgl. § 10 I UWG, der auf § 8 III Nr. 2–4 UWG verweist).13 Diese Vorschriften sind zudem nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers abschließend.14 b. Gesetzgeberische Hintergründe für das Fehlen eines adäquaten Handlungsinstrumentariums Der Gesetzgeber begründete den Ausschluss von Individualklagen des Verbrauchers nach dem UWG damit, dass die Wirtschaft vor übermäßiger Belastung durch die Vielzahl von Klagen einzelner Verbraucher15 in Schutz zu nehmen sei.16 Von der Einführung eines allgemeinen Vertragsauflösungsrechtes zugunsten des Verbrauchers, das als zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch denkbar ist,17 hat er Abstand genommen, weil er das vorhandene Instrumentarium (Anfechtungs-, Widerrufs- und Gewährleistungsrechte) für den individualrechtlich ausgestalteten Schutz des Verbrauchers als ausreichend erachtete.18 Das UWG garantiert vor diesem Hintergrund das in § 1 UWG angesprochene Ziel des Verbraucherschutzes nur unvollständig, d.h. zugunsten des ein12
Eppe, WRP 2005, 808, 812. Zu dieser äußerst umstrittenen Bestimmung vgl. Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12 ff.; Schaub, GRUR 2005, 918; Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 282 ff. 14 Vgl. RegE zu § 1 UWG, BT-Drucks. 15/1487, S. 22; so auch Baumbach/Hefermehl, UWG (23. Aufl., 2004), § 8 Rn. 3.4; Fezer, UWG (2005), § 8 Rn. 185; Stillner, VuR 2008, 41. 15 RegE, ebenda. 16 Darauf eingehend: Köhler, GRUR 2003, 265, 267; Engels/Salomon, WRP 2004, 32 ff. 17 Für ein Vertragslösungsrecht Fezer, WRP 2003, 127 ff.; ablehnend Sack, BB 2003, 1073, 1081; Weiler, WRP 2003, 423 ff.; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 232. 18 BT-Drucks. 15/1487, S. 14 f. 13
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zelnen betroffenen Verbrauchers nur mittelbar, zum einen als Reflex der Rechtsbehelfe der Mitbewerber, zum anderen vermittelt durch die Verbraucherverbände, die für eine Gesamtheit der Verbraucher deren Interessen im Verbandsklageverfahren wahrnehmen können. Hierin kann man in der Tat einen Widerspruch zum Schutzzwecktrias des § 1 UWG sehen, der die Protektion des Verbrauchers gleichberechtigt neben den Schutz der (sonstigen) Mitbewerber stellt.19 20 2. Entstehungsgeschichte Der sich insoweit auftuende „Bruch“21 findet seinen tieferen Grund allerdings nicht nur in der durchaus hinterfragenswerten gesetzgeberischen Bewertung der bestehenden Rechtsinstrumentarien, die nach dem Willen des Gesetzgebers zum Schutz der Wirtschaft nicht ausgeweitet werden sollen. Er findet ihn auch und gerade in der Entstehungsgeschichte und dem ursprünglichen Ansatz des UWG, von dem man sich noch nicht vollständig verabschieden wollte oder konnte. Das UWG ist nämlich auch nach der jüngsten Novelle seinem ursprünglichen Konzept als primäres Konkurrentenabwehrgesetz für unlauteres Geschäftsgebaren treu geblieben. Zum gesetzgeberischen Hintergrund ist zu sagen, dass es Wettbewerb und das Bedürfnis seiner Regulierung seit langem gibt. Bis in das 19. Jahrhundert hinein existierten hierfür im deutschen Rechtsraum jedoch noch keine originären Regelungen.22 Die Entwicklung auf diesem Rechtsgebiet setzte zunächst mit dem Gesetz über den Markenschutz vom 30.11.1874 ein,23 durch das das Recht am Warenzeichen auf Grund von einer Anmeldung geschützt wurde. Am 12.5.1894 wurde sodann ein Gesetz zur Protektion von Warenbezeichnungen erlassen.24 Mit diesem Gesetz war eine Entwicklung eingeleitet worden, die von einem Wettbewerbsgesetz aus dem Jahre 189625 zum UWG vom 7.6.190926 führte. Dieses erste UWG wurde durch die am 8.7.2004 in Kraft getretene Neuregelung geändert. Die wesentlichen Gründe, die eine Reform des UWG notwendig machten, lagen sowohl auf der nationalen als auch auf der europäischen Rechtsebene. Unter dem Titel einer Modernisierung des nationalen Wettbewerbsrechts ging 19 So Fezer, UWG (2005), § 9 Rn. 3; ders., WRP 2003, 127 ff.; Stillner, VuR 2008, 41 f.; Säcker, WRP 2004, 1199, 1219. 20 Letztlich bleibt der Praxis aber gar nichts anderes übrig, als diese gesetzgeberische Wertentscheidung – mag man sie auch für rechtspolitisch völlig verfehlt halten – zu akzeptieren, so Stillner, VuR 2008, 41, 42. 21 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 311 Rn. 3 bezeichnet den Verbraucherschutz im UWG als „halbherzig“; vgl. zum Ganzen auch Berens, Fremdbestimmung des Konsumenten bei der Vertragsanbahnung insbesondere durch Irreführung (1998), S. 285 ff. 22 Köhler, in: Köhler/Piper, UWG (3. Aufl., 2002), Einf. A. I, Rn. 1. 23 RGBl. 1874, S. 134. 24 RGBl. 1894, S. 441. 25 RGBl. 1896 S. 145. 26 RGBl. 1909, S. 449.
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es um die Deregulierung, Liberalisierung und Europäisierung des Lauterkeitsrechts.27 Hier hinein spielten etwa die Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung im Jahr 2001. Folgewirkungen zeitigte dies, weil nun auch die Notwendigkeit bestand, das ehemalige Verkaufsveranstaltungsrecht des UWG für Sonderveranstalter großzügiger auszugestalten.28 Der Entwicklungssprung, den das UWG mit der ausdrücklichen Benennung des Verbraucherschutzes als Regelungsziel in § 1 UWG vollzog, wird daran deutlich, dass das frühe Wettbewerbsrecht überhaupt noch keine Schutzzweckbestimmung enthielt. Denn das UWG war ursprünglich als reiner Mitbewerberschutz ausgerichtet gewesen.29 Die Schutzzwecke des Wettbewerbsrechts bildeten sich erst im Laufe der Zeit durch Rechtsprechung und Schrifttum heraus. So setzte sich erst allmählich die Auffassung durch, dass diese Materie nicht nur das Individualinteresse der Mitbewerber, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit an der Lauterkeit des Wettbewerbs schützt.30 Zu diesem so genannten „sozialrechtlichen Verständnis“,31 das in den 1930er Jahren vornehmlich von Eugen Ulmer32 vertreten wurde, bekannte sich später das Reichsgericht, indem es ausführte, die in dem Gesetz vorgesehene Unterlassungsklage solle nicht nur den Wettbewerber schützen, sondern wie das ganze Wettbewerbsgesetz auch im öffentlichen Interesse den Auswüchsen des Wettbewerbs überhaupt entgegentreten.33 Fortan wurde unter dem Interesse der „Allgemeinheit“ nun insbesondere das Interesse der Verbraucher verstanden.34 Der Bundesgerichtshof setzte die vom Reichsgericht unterstützte Argumentationslinie mit einer Reihe weiterer Judikate fort.35 Unter dem Einfluss der Irreführungsrichtlinie (84/450/EWG) wurde der Verbraucherschutz als Begleitziel des UWG in den folgenden Jahren selbst durch die Literatur anerkannt. Es etablierte sich mehr und mehr die Lehre vom so genannten „Sozialzwecktrias“ des
27
Grundlegend Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005). Zum Zusammenhang vgl. Fezer in: Fezer (Hrsg.), UWG (2005), Einl. E. IV. Rn. 10 f. 29 Vgl. dazu RG GRUR 1911, 276 f., wonach das UWG „nur den einzelnen Gewerbetreibenden selbst in seiner Privatsphäre gegen Beeinträchtigungen bei der freien Ausübung seiner Erwerbstätigkeit durch unlautere Wettbewerbshandlungen (schützt)“; dies beschreibend Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 8; Baumbach, Wettbewerbsrecht (1929), S. 128; Köhler, in: Baumbach/Hefermehl (23. Aufl., 2004), UWG § 1 Rn. 1; Fezer, UWG (2005), § 1 Rn. 8. 30 So die Feststellung von Fezer, UWG (2005), § 1 Rn. 9 ff. 31 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 85 Rn. 4; Kisseler, WRP 1972, 557 ff.; Ulmer, GRUR 1937, 772 f. 32 Ulmer, GRUR 1937, 769, 772. 33 RGZ 128, 330, 342. 34 RG MuW 1930, 231: „Das UWG dient sowohl der Reinhaltung des Verkehrs im Interesse des Publikums als auch dem Schutz der Mitbewerber.“ 35 Siehe dazu etwa: BGHZ 19, 392 ff.; 23, 371 ff.; 43, 278 ff.; 54, 188, 190; 56, 18, 21; 65, 68, 72. 28
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Lauterkeitsrechts.36 Das Bundesverfassungsgericht billigte diese Interpretationsweise.37 Den vorläufigen Abschluss des Paradigmenwechsels im Lauterkeitsrecht bildete die neu gefasste Schutzzweckbestimmung des § 1 S. 1 UWG im Jahr 2004. Denn das Gesetz übernahm in dieser Regelung ausdrücklich den bereits zuvor von Rechtsprechung und Literatur herausgebildeten Schutzzwecktrias. Da der Gesetzgeber damit allerdings nicht Individualrechtsschutz sicherstellende Regelungsinstrumente zugunsten des einzelnen Verbrauchers verband, war mit dieser Novellierung des Lauterkeitsrechts keine völlige inhaltliche Neuausrichtung verbunden, wie teils befürchtet, 38 teils kritisiert39 wurde.40 3. Europarechtliche Aspekte Auch auf das deutsche Lauterkeitsrecht, das zu einem wesentlichen Teil durch den Gesetzgeber im UWG geregelt wurde, hat das Richtlinienrecht der Gemeinschaft in entscheidender Weise eingewirkt. Das UWG in seiner heutigen Erscheinung ist somit nicht als rein „nationales Produkt“ zu verstehen. Von besonderer Bedeutung bei der Ausformung des deutschen Lauterkeitsrechts war der Erlass der Irreführungsrichtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10.9.1984,41 die die Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften gegen irreführende Werbung bezweckte. Hinzu trat die Nachfolgerrichtlinie zur vergleichenden Werbung (97/55/EG).42 Eine wirkliche Änderung erfuhr das UWG, auch angestoßen durch den Druck zu einer stärkeren Europarechtskonformität, allerdings erst durch ein am 3.7.2004 verabschiedetes und am 8.7.2004 in Kraft getretenes Novellierungsgesetz. Dieses führte dazu, dass die Rolle des Verbrauchers im Wettbewerbsrecht gestärkt wurde, indem sich der Schutzzweck des Gesetzes (vgl. § 1 S. 1 UWG n.F.) nun explizit auch auf ihn beziehen sollte.43 Ferner mussten Sonderveranstaltungs- und Räumungsverkaufsverbote nach der Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung aus den Verbotsanordnungen des UWG herausgenommen werden, um die damit forcierte Liberalisierung des Marktes nicht zu konterkarieren. Ordnungsrechtliche Tatbestände wie §§ 6a, 6b UWG a.F., die 36
BGHZ 123, 330, 334 (Folgeverträge); 140, 134, 138 (Hormonpräparate); 144, 255, 265 (Abgasemission). 37 BVerfG GRUR 2002, 455 ff.; 2003, 965, 966. 38 Engel/Salomon, WRP 2004, 32. 39 Die Kritiker haben jedenfalls die alte Debatte (Köhler, GRUR 2003, 265, 271; Sack, BB 1974, 1369; Schricker, GRUR 1975, 111), ob das in der Generalklausel verankerte Verbot unlauteren Wettbewerbs ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II BGB ist, im Gewande des § 3 UWG wieder neu belebt, vgl. dazu etwa Nassall, NJW 2006, 127, 128. 40 Köhler, in: Baumbach/Hefermehl, UWG (23. Aufl., 2004), § 1 Rn. 3. 41 ABl.EG Nr. L 250/17 v. 19.9.1984. 42 ABl.EG Nr. L 290/18 v. 23.10.1997. 43 Fezer, in: Fezer (Hrsg.), UWG (2005), Einl. E. I. Rn. 28.
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ihre praktische Bedeutung verloren hatten, wurden im Zuge der Reform aufgehoben. Am 30. Dezember 2008 ist das UWG von 2004 nochmals geändert worden, und zwar durch das „Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“. In der nun vorliegenden Form des Gesetzes sehen sich die Marktakteure im Anschluss an das UWG von 2004 mit der dritten Fassung einer wettbewerbsrechtlichen Verhaltensanforderung innerhalb von nur fünf Jahren (!) konfrontiert.44 Die Novelle45 dient ausweislich ihrer Begründung der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG46 des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken vom 11.5.2005. Von besonderer Bedeutung ist die vollharmonisierende Wirkung der neuen lauterkeitsrechtlichen Richtlinie. Zu der inhaltlichen Neuausrichtung werden in den kommenden Abschnitten nähere Ausführungen gemacht. 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften Das Wettbewerbsrecht zählt zum Sonderprivatrecht, das die Normen des Bürgerlichen Rechts überlagert.47 Im Rahmen der im Vorfeld geführten Diskussionen über das neue UWG wurde die Forderung nach einem allgemeinen Vertragsauflösungsrecht der Verbraucher (denkbar im Rahmen einer cic) erhoben, falls der Verbraucher durch unlauteres Verhalten der Gegenseite zum Vertragsschluss geführt wurde.48 Diese Ansicht setzte sich jedoch nicht durch.49 Das Verhältnis der §§ 823 I, 823 II BGB zum UWG ist aber heute noch strittig, z.T. wird ein Nebeneinander bejaht,50 z.T. ein Ausschluss- und Verdrängungsverhältnis mit Vorrang für die UWG-rechtlichen Bestimmungen angenommen.51 Relativ geklärt ist hingegen, dass die zivilrechtlichen Verhaltensnormen des UWG keine Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB darstellen, weil sie nur das Marktverhalten und nicht den Inhalt von Verträgen regeln.52 Sog. „Folgeverträge“ sind daher nicht schon deshalb nichtig, weil sie auf Grund eines Wettbewerbsverstoßes zustande gekommen sind. Dieses Ergebnis wird auch von der eingangs diskutierten Meinung eines cic-rechtlichen Gestaltungsrechtes zur Auflösung des Vertrages konsentiert. Abzugrenzen ist der Anwendungsbereich des UWG 44
Dazu Köhler, WRP 2009, 109, 110 ff.; Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88 f. Siehe zur Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses: BT-Drucks. 16/11070 v. 25.11.2008; zum Regierungsentwurf: BT-Drucks. 16/10145 v. 20.8.2008. 46 ABl.EG Nr. 149 v. 11.5.2005. 47 Köhler, in: Köhler/Piper, UWG (3. Aufl., 2002), Einf. B. II. Rn. 38. 48 Dafür Fezer, WRP 2003, 127 ff. 49 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 86 Rn. 6. 50 Köhler, in: Köhler/Pieper, UWG (3. Aufl., 2002), Einf. B. II. Rn. 41 ff. 51 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 86 Rn. 6 f.; Schünemann, Wettbewerbsrecht, Studienbücher der Wirtschaft (1989), Einl. Rn. E 70, 74. 52 Köhler, in: Köhler/Pieper, UWG (3. Aufl., 2002), Einf. B. III. Rn. 45. 45
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vom GWB.53 Letzteres schützt die „Freiheit des Wettbewerbs“, das UWG regelt hingegen nur die „Lauterkeit des Wettbewerbs“. Bestimmten schöpferischen Leistungen gewährt die Rechtsordnung zudem Schutz vor Nachahmung durch Zuerkennung von Ausschließlichkeitsrechten, die zum Immaterialgüterrecht (PatG, GeschmacksMG, SortenschutzG etc.) zählen. 5. Regelungsinhalt Gegenstand des UWG ist die Reglementierung des (wirtschaftlichen) Wettbewerbs, und zwar insoweit, als er mit so genannten „unlauteren Mitteln“ erfolgt. 54 Bereits der Begriff des Wettbewerbs entzieht sich – und das ist schon das eigentliche Problem seiner Reglementierung – einer exakten Definition. Gleiches gilt für den schillernden Begriff der Unlauterkeit. Kernstück des UWG ist deshalb eine Generalklausel, die der Gesetzgeber in § 3 UWG positioniert hat. Aus dieser leitet sich (wie bei jeder Generalklausel)55 zum einen die Chance für Offenheit und Flexibilität, zum anderen aber auch das Risiko erheblicher Rechtsunsicherheit ab.56 a. Persönlicher Anwendungsbereich Der Personenkreis, der vom UWG profitiert, ist in § 1 UWG nach der Novellierung des Gesetzes im Jahr 2004 neu gefasst worden. Gemäß § 1 S. 1 des UWG dient das Gesetz nunmehr dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor „geschäftlichen Handlungen“, die „unlauter“ sind. Geschützt ist zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb, § 1 S. 2 UWG. b. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie wurde mit der in § 1 S. 1 UWG benannten „unlauteren geschäftlichen Handlung“ abgesteckt. In Reaktion auf die neue EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken hat der deutsche Gesetzgeber diesbezüglich in der UWG-Novelle von Ende 2008 eine Neuregelung des Begriffskataloges von § 2 I Nr. 1 UWG vorgenommen und zwar insofern, als es nun nicht mehr um unlautere (zu sanktionierende) „Wettbewerbshandlungen“ geht, sondern – ganz allgemein – um „geschäftliche Handlungen“.
53
K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 21 ff. Zu den Details vgl. Baumbach/Hefermehl, UWG (23. Aufl., 2004); Köhler/Pieper, UWG (3. Aufl., 2002); Götting, Wettbewerbsrecht (2005); Schlemmer, Die Europäisierung des UWG (2005). 55 Vgl. dazu Weber, AcP 192 (1992), 516 ff. 56 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 103 Rn. 2; Hefermehl, FS Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland (1991), S. 897; Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs (1997). 54
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Das Anwendungsfeld des Gesetzes ist damit etwas erweitert worden. Denn eine geschäftliche Handlung ist nach der neuen Definition jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder fremden Unternehmens, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammen hängt. Eine Wettbewerbsförderungsabsicht ist nicht mehr nötig. 57 c. Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen nach § 3 UWG Das grundsätzliche Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen wird in der Generalklausel des § 3 UWG ausgesprochen. Unlautere geschäftliche Handlungen, für die § 4 UWG i.Ü. Beispiele benennt, sind nach § 3 I UWG unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich eine Bagatellgrenze, die das UWG schon immer vorsah, nur dass sich diese mit der Reform von 2008 geändert hat (vielleicht auch nur in der Formulierung). Durch die jüngste Novelle des UWG wurde nämlich der bisherige Wortlaut des § 3 I UWG dahingehend geändert, dass es nicht mehr auf eine mehr als nur „unerhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ ankommt, sondern auf eine „spürbare Beeinträchtigung der Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern“. aa. Explizite Aufnahme des europäischen Verbraucherleitbilds Neu eingefügt worden ist in das Gesetz der § 3 II UWG, welcher zum einen das europäische Leitbild des informierten, verständigen Verbrauchers, das schon bisher als Richtschnur in der Bewertung galt, ausdrücklich festschreibt. Zum anderen regelt Satz 3 des neuen § 3 II UWG (in Übernahme der Vorschrift des Art. 5 III der neuen Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), dass ausnahmsweise auf den Maßstab eines besonders schutzwürdigen Verbrauchers – z.B. Kinder und Jugendliche – abzustellen ist, wenn sich die Werbung für den Unternehmer vorhersehbar gerade an diese Personengruppe richtet. bb. Verweis auf Black List im Anhang als Per-se-Verbote Eine der grundlegenden Neuerungen der UWG-Novelle findet sodann ihren Ausgangspunkt in § 3 III UWG n.F. Dieser verweist nämlich auf einen neuen Anhang zum UWG. In dieser so genannten „Black List“ sind insgesamt 30 Wettbewerbshandlungen aufgeführt worden, die ohne eine entsprechende Erheblichkeitsprüfung gemäß § 3 I 2 UWG n.F. stets als „unzulässig“ zu bewerten sind. Es handelt sich damit um so genannte Per-se-Verbote, also Verbote ohne entsprechende Wertungsmöglichkeit. Die in dieser schwarzen Liste genannten Beispiele 57
Zu diesem Aspekt Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 91.
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dürften vor allem dann Bedeutung entfalten, wenn eine in Rede stehende geschäftliche Handlung noch nicht nachweisbar die Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Darüber hinaus müsste im Falle des Vorliegens eines auf der Black List ausgewiesenen Tatbestandes in der Praxis relativ leicht ein gerichtliches Verbot durchzusetzen sein, auch insofern ist sie wichtig. In den Nummern 1–24 der Black List sind überdies spezielle irreführende Handlungen, in den Nr. 24–30 besonders aggressive Handlungen ausgewiesen. (1.) Einige Beispiele Ein Teil dieser Tatbestände erscheint sehr „speziell“: So geht es im Rahmen dieser Verbote z.B. um geschäftliche Handlungen, durch die bei Kunden der Eindruck erweckt wird, sie können bestimmte Räumlichkeiten nicht ohne Vertragsschluss wieder verlassen. An anderer Stelle wird die Situation des Verbleibs in der Wohnung eines Kunden trotz Aufforderung, diese zu verlassen, ins Visier genommen. Neben derartigen „ungewöhnlichen“ Sondersituationen findet sich allerdings auch eine Anzahl wichtiger Vorgaben, die im Bereich der Irreführung Per-seVerbote für praktisch relevante Konstellationen normieren. Solche Sachverhalte sind etwa in Nr. 2 der Liste angesprochen, die eine Irreführung über Gütezeichen bzw. Qualitätskennzeichen verbieten. In Nr. 5 der Black List ist sodann – ebenfalls von Bedeutung – ein spezieller Fall der Irreführung über die Verfügbarkeit der angebotenen Ware oder Dienstleistung geregelt. Nr. 9 behandelt schließlich den Spezialfall der Verkehrsfähigkeit. Ein weiterer Komplex spezieller Regelungen fand Eingang in die Nr. 16, 17 und 20, welche sich mit Gewinnspielen und Gewinnzusagen befassen und damit neben die hierzu bereits vorhandenen Regelungen des § 4 Nr. 5 und 6 UWG treten. (2.) Werbung für Nachahmerprodukt Eine herausragende Bedeutung – aber auch ein großes Konfliktpotential – birgt die Nr. 13 des Anhangs, deshalb soll auf sie hier gesondert eingegangen werden. Danach ist es als eine unzulässige geschäftliche Handlung anzusehen, eine Werbung für eine Ware oder Dienstleistung zu platzieren, die der Ware oder Dienstleistung eines Mitbewerbers ähnlich ist, wenn die Werbung in der Absicht geschieht, über die betriebliche Herkunft der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu täuschen. Der Inhalt dieser Vorschrift korrespondiert augenscheinlich mit § 4 Nr. 9 lit. a) UWG zum ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz. Hervorzuheben ist, dass ein derartiger Designschutz nach altem Recht grundsätzlich nur von dem jeweiligen Mitbewerber des Nachahmers, nicht jedoch von Wettbewerbsverbänden verfolgt werden konnte. Ziffer 13 des Anhangs könnte insofern eine bedeutsame Weiterentwicklung des UWG-Verbraucherschutzes mit sich bringen. Denn die in der Black List aufgezählten Geschäftspraktiken sind per se unzulässig, und es entspricht der bisherigen Meinung, dass Verstöße gegen derartige Verbote auch von Wettbewerbs- und Verbraucherverbänden verfolgt werden dürfen.
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(3.) Unmittelbarer Kaufappell an Kinder Eine ebenfalls erhebliche Auswirkung wird wohl Nr. 28 der Black List haben, deshalb soll auch sie hier explizite Erwähnung finden. Sie betrifft den so genannten unmittelbaren Kaufappell gegenüber Kindern. Bisher fand sich eine Regelung betreffend der Werbung gegenüber Kindern nur in § 4 Nr. 2 UWG. Danach war es „unlauter“, die geschäftliche Unerfahrenheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen auszunutzen. Global wird die Geschäftsunerfahrenheit des Adressatenkreises zwar immer noch von § 4 Nr. 2 UWG in Bezug genommen. Die speziellere Ziffer 28 der Black List sieht demgegenüber ein Per-se-Verbot für den speziellen Fall vor, dass eine unmittelbare Aufforderung zum Kauf an Kinder in die Werbung aufgenommen wird. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Vermeidung eines so genannten „Quengelfaktors“, der bisher im deutschen Recht eher vernachlässigt worden ist. Beachtlich ist zudem, dass diese Vorschrift gerade nicht voraussetzt, dass die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern tatsächlich beansprucht wird. cc. Weitere Teilkonkretisierung des § 3 UWG durch Beispiele des § 4 UWG Die Generalklausel nach § 3 UWG legt fest, dass unlautere geschäftliche Handlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen, unzulässig sind. Was neben den in der Black List an geschäftlichen Handlungen indizierten Tatbeständen noch als unlauter zu gelten hat (wobei hier nach § 3 UWG die Spürbarkeitsschwelle eine Rolle spielt, da es sich nicht um Per-se-Verbote handelt), beschreibt § 4 UWG. Dieser ist als eine gesetzliche (Teil-)Konkretisierung58 der als „unlauter“ und daher als unzulässig empfundenen geschäftlichen Handlung nach § 3 UWG zu verstehen. Laut Gesetzesbegründung59 wird mit dieser Aufzählung typischer Unlauterkeitshandlungen in Form von Regelbeispielstatbeständen das Ziel verfolgt, die Generalklausel zu präzisieren und dadurch eine größere Transparenz60 zu schaffen. d. Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen nach § 4 UWG Der nicht abschließende Katalog von Regelbeispielsfällen, der zur Konkretisierung61 der von § 3 UWG ins Visier genommenen „unlauteren geschäftlichen Handlung“ in Bezug genommen wird, wurde im Jahr 2004 durch eine Gesetzesnovelle in das UWG gestellt und gestaltete sich seinerzeit als Vorgriff auf den
58 Dies wurde nochmals verdeutlicht in der UWG-Novelle v. 25.11.2008; vgl. dazu auch Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 90. 59 Begr. RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 17 (zu § 4 UWG). 60 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 18; die jetzige Fassung der Generalklausel des § 3 UWG fußt auf dem Entwurf von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317. 61 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 122 f. Rn. 31 ff.
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Vorschlag der EU-Richtlinie zur Regelung des unlauteren Wettbewerbs.62 Zu den von § 4 UWG für unlauter erklärten geschäftlichen Handlungen gehören etwa Handlungen im Wettbewerb, die: – die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss beeinträchtigen (Nr. 1), – die geschäftliche Unerfahrenheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen, die Leichtgläubigkeit, die Angst oder die Zwangslage von Verbrauchern ausnutzen (Nr. 2), – den Werbecharakter von Wettbewerbshandlungen verschleiern (Nr. 3), – bei Verkaufsfördermaßnahmen, die wie bei Preisnachlässen, Zugaben und Geschenken, die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme nicht klar und eindeutig angeben (Nr. 4), – bei Preisausschreiben oder Gewinnspielen mit Werbecharakter die Teilnahmebedingungen nicht klar und eindeutig angeben (Nr. 5), – die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig machen, es sei denn, das Preisausschreiben oder Gewinnspiel ist naturgemäß mit der Ware oder der Dienstleistung verbunden (Nr. 6), – die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzen oder verunglimpfen (Nr. 7), – über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen behaupten oder verbreiten, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmens zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind (Nr. 8), – Waren oder Dienstleistungen anbieten, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistung des Mitbewerbers sind (Nr. 9), – Mitbewerber gezielt behindern Nr. 10), – einer gesetzlichen Vorschrift zuwider handeln, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (Nr. 11). Die Einführung dieser Beispielstatbestände, die der Konkretisierung und Schaffung von Transparenz dienen sollten, ist nicht ganz unproblematisch. Denn es besteht immer die (abstrakte) Gefahr, jedenfalls bei Nichtbeachtung des flexiblen Bewertungsrahmens, den § 3 UWG gibt, dass damit der gegenwärtige Entwicklungsstand „eingefroren“ wird. Schon unter dem früheren Recht bestand eine gewisse Praxis dahingehend, die Fallgruppen pauschal und schematisch anzuwenden, wofür die Gerichte vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich und 62
Begr. RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 13.
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eindringlich gerügt wurden.63 Einzuräumen ist allerdings, dass viele Beispielstatbestände so unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten (wie z.B. unangemessener, unsachlicher Einfluss, Mitbewerber gezielt behindert), dass sie den unbestimmten Rechtsbegriff der Unlauterkeit nur wenig konturieren und damit die Flexibilität der Generalklausel im Wesentlichen unangetastet bleibt.64 e. Irreführende geschäftliche Handlungen nach §§ 5, 5a UWG Das novellierte UWG besitzt mit § 5 I 1 UWG eine Norm, die „irreführende“ geschäftliche Handlungen einer gesonderten Bewertung unterzieht, sie allerdings auf der Rechtsfolgenseite ebenfalls als unlautere geschäftliche Handlungen einstuft. Eine geschäftliche Handlung ist nach § 5 I 2 UWG unlauter, weil irreführend, wenn sie – das sind die besonderen Anforderungen – unwahre Tatsachen enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die in Nr. 1–7 dargelegten Umstände (wesentliche Merkmale, Anlass des Verkaufs, Unternehmen, Sponsoraussagen oder Symbole, Verhaltenskodizes, Rechte des Verbrauchers etc.) verbreitet. Das Irreführungsverbot erfasst gemäß § 2 III UWG auch die vergleichende Werbung. Eine besondere Beachtung findet die Werbung mit einer Preisherabsetzung in § 5 IV UWG, die für einen kurzen Zeitraum veranschlagt wird. Bei dieser wird eine Irreführung vermutet. Die jüngsten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben brachten sodann die Notwendigkeit mit sich, mit § 5a UWG eine neue Norm in das Gesetz zu implementieren. Diese Bestimmung regelt die so genannte „Irreführung durch Unterlassen“. Auch das Verschweigen einer Tatsache kann danach irreführend/unlauter sein, wobei bei der Beurteilung, ob durch das Unterlassen tatsächlich eine Irreführung vorliegt, die Bedeutung der Tatsache für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung und ihre Eignung zur Beeinflussung zu berücksichtigen sind, § 5a I UWG. § 5a III UWG zählt im Weiteren in Nr. 1–5 Informationen auf, die bei der Geschäftsanbahnung mit Verbrauchern zwingend vom Unternehmer zur Verfügung gestellt werden müssen. Dazu gehören alle wesentlichen Merkmale der Ware (Nr. 1), die Identität und Anschrift des Unternehmens (Nr. 2), der Endpreis (Nr. 3), Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie Verfahren zum Umgang mit Beschwerden (Nr. 4) und der Hinweis auf das eventuelle Bestehen eines Rechts zum Rücktritt/Widerruf (Nr. 5).65 I.Ü. findet sich in § 5a IV UWG eine Ergänzung dessen, was ferner als „wesentliche Information“ nach § 5a II UWG angesehen wird, die dergestalt ausgefüllt wurde, dass ein Globalverweis auf die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (genauer: deren Anhang 2) statuiert wurde. Bedeutsam ist, dass § 5a I UWG das Verschweigen von Tat63 64 65
BVerfG NJW 2001, 3403, 3404 f. Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 122 Rn. 34. Kritisch dazu Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 92 ff.
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sachen gegenüber allen Marktteilnehmern relevant werden lässt, wenn dies zu einer Irreführung führt, § 5a II UWG im Gegensatz dazu aber nur das Unternehmer-Verbraucherverhältnis betrifft, für das strenge Kriterien aufgestellt werden. f. Vergleichende Werbung nach § 6 UWG § 6 UWG definiert in seinem Abs. 1 sodann vergleichende Werbung und stellt in Abs. 2 bestimmte Werbevergleiche als „unlauter“ heraus. g. Unzumutbare Belästigungen nach § 7 UWG In ähnlicher Weise regelt § 7 UWG „unzumutbare“ Belästigungen von Marktteilnehmern. § 7 I 1 UWG lautet: „Eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, ist unzulässig“. § 7 I 2 UWG bestimmt weiter: „Dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht“. In § 7 II Nr. 1–4 UWG werden Regelbeispielstatbestände aufgezählt, bei denen eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen ist. Bedeutsam hieran ist insbesondere, dass in § 7 II Nr. 2 UWG eine Regelung Eingang fand,66 wonach eine unzumutbare Belästigung bei Telefonwerbung anzunehmen ist, in die der Verbraucher vorher nicht eingewilligt hat. Dieser gesetzlichen Wertentscheidung liegt ein grundlegendes BGH-Judikat zu Grunde, nämlich das so genannte Telefonwerbung I-Urteil,67 das unerwünschte Telefonwerbung verbot. Maßgebliche Gesichtspunkte waren bzw. sind dabei das Eindringen in die Privatsphäre 68 und die Belästigung, die dadurch entsteht, dass der Verbraucher zunächst klären muss, ob ein erwünschter Anruf oder ein Werbeanruf vorliegt.69 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Wie bereits eingangs beschrieben, hält das UWG zwar diverse Sanktionsmöglichkeiten für unlauteres Marktverhalten bereit, stellt diese aber nicht dem einzelnen Verbraucher, sondern nur den Konkurrenten und Verbänden zur Verfügung.70 Die in § 8 UWG geregelten Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche können lediglich von Kammern und Verbänden, nicht aber vom Individuum „Verbraucher“ geltend gemacht werden. Der in § 9 UWG geregelte Schadensersatzanspruch steht ausschließlich den Mitbewerbern zu Verfügung. Der neue 66 Hervorzuheben ist, dass bereits im UWG von 2004 die Telefonwerbung geregelt wurde, allerdings nur als ein Unterfall des Unlauterkeitstatbestandes nach § 3 UWG. 67 BGHZ 54, 188 = GRUR 1970, 523. 68 Dazu umfassend Tonner/A. Reich, VuR 2009, 96. Zu einem weiteren die Sanktion verschärfenden Gesetzgebungsakt („Gesetz zur Bekämpfung der Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen“) vgl. BT-Drucks. 16/10734, jetzt BGBL I 2009, S. 3181 ff v. 5.10.2009. 69 Tonner/A. Reich, VuR 2009, 96. 70 Eppe, WRP 2005, 808, 812.
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Gewinnabschöpfungsanspruch in § 10 UWG ist ebenfalls nur Kammern und Verbänden vorbehalten.71 Das UWG garantiert vor dem Hintergrund dieser gesetzgeberischen Grundentscheidungen das in § 1 UWG angesprochene Ziel des „Verbraucherschutzes“ nur auf der Tatbestandsseite, auf der Rechtsfolgenseite jedoch nur mittelbar: zum einen als Reflex der Rechtsbehelfe der Mitbewerber, zum anderen vermittelt durch die Verbraucherverbände.72 Hierin liegt ein gewisser „argumentativer Bruch“.73 Die Argumentation, dass die Wirtschaft vor der übermäßigen Belastung mit Klagen durch einzelne Verbraucher in Schutz zu nehmen sei – wie es der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung formulierte74 – und dass dem Verbraucher gar keine Schutzlücke drohe,75 verfängt an dieser Stelle kaum, jedenfalls nicht offensichtlich. Denn ein Großteil der gerade in § 1 UWG hineinformulierten Schutzrichtung läuft so leer, wird sie nicht durch entsprechende Aktivitäten der Verbände verantwortungsvoll aufgegriffen. Dass die Verbände das notwendige Maß an Verbraucherschutz im Bereich der Wettbewerbshandlungen alleine schultern können, dafür ist erst noch der Beweis zu erbringen. Bislang bleibt für diesen Bereich nur die Feststellung, dass ein Recht ohne umfassende Sanktionsmöglichkeiten nur teilweise effektiv ist. Will man den Verbraucherschutz umfänglich auch über das UWG sicherstellen, spräche in der Tat viel dafür, die im Gesetz in den §§ 8–10 UWG geregelten Sanktionsinstrumente auch dem einzelnen Verbraucher zur Verfügung zu stellen.76 Dass der Wirtschaft damit keine unzumutbare Klageflut droht, zeigt ein Vergleich zu den sonstigen verbraucherrechtlichen Schutzebenen. Diese sind im gesamten Verbraucherrecht zum einen durch individuelle Ansprüche des Verbrauchers und daneben durch die Möglichkeit einer Verbandsklage nach dem UKlaG,77 mithin kumulativ bzw. „doppelbödig“ sichergestellt. Warum das bei der Reglementierung unlauteren Wettbewerbs nach dem UWG anders sein sollte, ist nicht einzusehen. Um den befürchteten Standortnachteilen für die deutsche Wirtschaft entgegentreten zu können, spricht zwar einiges dafür, die Problematik im europäischen Rahmen zu lösen. Gegen die Behauptung etwaiger negati71 Zu dieser äußerst umstrittenen Bestimmung vgl. Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12 ff.; Schaub, GRUR 2005, 918; Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 282 ff. 72 Zur möglichen Rechtsänderung bei der angedachten Einführung von Verbrauchersammelklagen Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 95. 73 Götting, Wettbewerbsrecht (2005), S. 311 Rn. 3; Fezer, WRP 2003, 127 ff.; ders., UWG (2005), § 9 Rn. 3; Stillner, VuR 2008, 41 f.; Säcker, WRP 2004, 1199, 1219. 74 BT-Drucks. 15/1487, S. 22. 75 Baumbach/Hefermehl (23. Aufl., 2004), § 8 Rn. 3.4; Köhler, GRUR 2003, 265, 267; Weiler, WRP 2003, 423 ff.; Engel/Salomon, WRP 2004, 32, 33. 76 So Fezer, WRP 2003, 127 ff.; Stillner, VuR 2008, 41 f.; Säcker, WRP 2004, 1199, 1219; Koos, in: Fezer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, Bd. I (2005), § 9 Rn. 3. 77 Auf diese Parallele wird auch bei Baumbach/Hefermehl (23. Aufl., 2004), § 8 Rn. 3.4. hingewiesen.
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ver Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft lässt sich jedoch andererseits das Schweizer UWG anführen, das schon seit langem ein eigenes wettbewerbsrechtliches Klagerecht der Verbraucher vorsieht, ohne dass nachteilige Effekte für Unternehmen erkennbar sind.78 Wie krass der Widerspruch zwischen der Schutzausrichtung des § 1 UWG und den Instrumenten ist, die den Verbraucher nach den UWG-rechtlichen Bestimmungen nur mittelbar protegieren, zeigt sich derzeit gerade an der Ausrichtung eines benachbarten Rechtsbereichs. Angesprochen ist hier der Bereich des Kartellrechts, der jüngst im Zuge der 7. GWB-Novelle in § 33 II GWB eine Änderung erfahren hat. Denn in ihm wurden nicht mehr nur Mitbewerber, sondern auch Verbraucher als „sonstige Marktbeteiligte“ 79 mit einer individualrechtlichen Klagebefugnis ausgestattet, obwohl auch diese Materie – ähnlich wie das UWG – ursprünglich auf einen reinen Institutionenschutz ausgerichtet war. Hier hat der Gesetzgeber mittlerweile Individual- und Institutionenschutz als zwei Seiten ein und derselben Medaille anerkannt.80 Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass ungeachtet der klaren Ablehnung von lauterkeitsrechtlichen Individualansprüchen des Verbrauchers seitens des Gesetzgebers (in der Gesetzesbegründung zum UWG) in der Literatur gewichtige Stimmen vernehmbar sind, die nach wie vor die Auffassung vertreten, das UWG sei als ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II BGB anzuerkennen, um zumindest darüber Individualansprüche des Verbrauchers zu ermöglichen und die „Schutzlücke“ des UWG zu schließen. Nach Sack steht die Stellungnahme des Regierungsentwurfs diesem Standpunkt nicht entgegen, da die dort zum Ausdruck gebrachte ablehnende Haltung im Gesetzeswortlaut keinen ausreichend deutlichen Niederschlag gefunden hat.81 Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass die Rechtsprechung von ihrer bisherigen Sichtweise Abstand nimmt. Wahrscheinlicher erscheint es derzeit, dass Individualansprüche von Verbrauchern – angeschoben durch die EU82 – in gebündelter Form demnächst vielleicht in Form von Gruppenklagen (neben dem Instrument der Verbandsklage) auch im Bereich des UWG zum Zuge kommen.83
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Siehe Baudenbacher, Lauterkeitsrecht, Kommentar zum UWG (2001), Art. 10 I, S. 960 ff. 79 BT-Drucks. 15/3640, S. 35, 53. 80 Dafür auch Pajunk, Konsumentenschutz im Rahmen privater Kartellrechtsdurchsetzung, Diss. Rostock 2009. So in dem Zusammenhang mit der Paralleldiskussion im Kartellrecht schon früher K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 63 ff. 81 Sack, GRUR 2004, 625 ff., 629 ff.; ders., BB 2003, 1073 ff. Für den Schutzgesetzcharakter des UWG im Rahmen des Deliktsrechts, insbesondere im Hinblick auf die täuschende Werbung, auch Schricker, GRUR 1975, 111, 112. 82 Zum Grünbuch über den kollektiven Rechtsschutz für Verbraucher vgl. KOM (2008), 794 endg. 83 Dazu Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 95.
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II. Reglementierung von unbestellten Warensendungen nach § 241a BGB Neben der Regelung unlauteren Wettbewerbs durch Werbung war sowohl unter Wettbewerbs- 84 als auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten die Zusendung unbestellter Waren regelungsbedürftig geworden.85 1. Allgemeines Hierfür kam unter dem europäischen Einfluss eine neue Norm in das BGB, die eine Strafkomponente enthält,86 nämlich der § 241a BGB.87 Bei der Schaffung der einschlägigen Vorschrift hatte der Gesetzgeber die klassische Situation vor Augen, dass ein Unternehmer einem Verbraucher seine Waren aufdrängen möchte, indem er durch entsprechende Zusendung in Vorleistung tritt und darauf hofft, dass der Verbraucher sich gezwungen fühlt zu bezahlen, zumindest aber in verantwortlicher Weise mit der Sache umzugehen.88 Dadurch, dass § 241a BGB den Empfänger unbestellter Waren von vertraglichen und weitgehend auch von gesetzlichen Ansprüchen freistellt, zielt er i.S.d. Verbraucherschutzes darauf, den Unternehmer dazu zu bringen, unbestellte Warenlieferungen gar nicht erst zu veranlassen, weil sie sich nicht lohnen.89 2. Entstehungsgeschichte § 241a BGB wurde infolge des FernAbsG, das insoweit Art. 9 der Richtlinie 97/7/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz aufgreift, an etwas sonderbar anmutender Stelle90 in das BGB eingefügt und trat am 30.6.2000 in Kraft. Die Regelung zielt auf den Anspruchsausschluss zu Lasten desjenigen Unternehmers, der unbestellte Waren an einen Verbraucher versendet. Dem § 241a BGB ähnliche Parallelbestimmungen wurden in anderen europäischen Ländern bereits früher eingeführt.91 84 Die Zusendung unbestellter Ware stellt eine Fallgruppe der Belästigung als Form des Kundenfangs dar, die nach § 1 UWG untersagt ist. 85 Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 488. 86 BaRoth/Grüneberg (2003), § 241a Rn. 1: „sanktioniert“; Struck, JA 2004, 68, 74: „Strafkomponente“. 87 Vgl. zum Ganzen: Berger, JuS 2001, 649 ff.; Casper, ZIP 2000, 1602 f.; Deckers, NJW 2001, 1474 ff.; Hau, NJW 2001, 2863 ff.; Löhnig, JA 2001, 33 ff.; Schwarz, NJW 2001, 1449 ff.; Schwarz/Pohlmann, JuS 2001, 361 ff.; Sosnitza, BB 2000, 2317 ff. 88 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), 151. 89 BaRoth/Grüneberg (1. Aufl., 2003), § 241a Rn. 1; so nicht mehr dargestellt bei BaRoth/ Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a. 90 Vgl. dazu die scharfe Kritik von Flume, ZIP 2000, 1427, 1429; Staudinger/Olzen (2005), § 241a Rn. 12 ff.; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 1. 91 Vgl. dazu neben den Regelungen der österreichischen und schweizer Zivilrechtskodifikationen Art. 15 des portugiesischen Gesetzesdekrets Nr. 272/87 v. 3.7.1987, § 4 des däni-
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Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf den 1997 in das österreichische ABGB integrierten § 864 II, der bestimmt: „Das Behalten, Verwenden oder Verbrauchen einer Sache, die dem Empfänger ohne seine Veranlassung übersandt worden ist, gilt nicht als Annahme eines Antrags. Der Empfänger ist nicht verpflichtet, die Sache zu verwahren oder zurückzuleiten, er darf sich ihrer auch entledigen. Muss ihm jedoch nach den Umständen auffallen, dass die Sache irrtümlich an ihn gelangt ist, so hat er in angemessener Frist dies dem Absender mitzuteilen oder die Sache an den Absender zurückzuleiten“. In die gleiche Richtung wie die österreichische Bestimmung zielt der im Jahr 1990 in das Schweizer OR eingefügte Art. 6a, der lautet: „Die Zusendung einer unbestellten Sache ist kein Antrag“ (Abs. 1). „Der Empfänger ist nicht verpflichtet, die Sache zurückzusenden oder aufzubewahren“ (Abs. 2). „Ist eine unbestellte Sache offensichtlich irrtümlich zugesandt worden, so muss der Empfänger den Absender benachrichtigen“ (Abs. 3). 3. Europarechtliche Aspekte Für die Reglementierung unbestellter Warenlieferungen bestand in vielen Mitgliedstaaten ein besonderes Bedürfnis.92 Dieses verdichtete sich durch die Fernabsatzrichtlinie93 vom 20. Mai 1997, mit der ein entsprechendes europäisches Regelungsbegehren offen zu Tage trat. Der für § 241a BGB maßgebliche Art. 9 der Richtlinie lautet: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um zu untersagen, dass einem Verbraucher ohne vorherige Bestellung Waren geliefert oder Dienstleistungen erbracht werden, wenn mit der Warenlieferung oder Dienstleistungserbringung eine Zahlungsaufforderung verbunden ist, um den Verbraucher vor jedweder Gegenleistung für den Fall zu befreien, dass unbestellte Waren geliefert oder unbestellte Dienstleistungen erbracht werden, wobei das Ausbleiben einer Reaktion nicht als Zustimmung gilt“.94 schen Haustürverkaufsgesetzes v. 23.12.1987, Art. 51 des belgischen Gesetzes über die Handelspraktiken sowie die Aufklärung und den Schutz der Verbraucher v. 14.7.1991, Art. 9 des italienischen Decreto Legislativo v. 22.5.1999, Art. 7:7 I des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs v. 1.1.1992; Art. 42 der spanischen Ley 7/1996 v. 15.1.1996 oder s. 1 des englischen Unsolicited Goods and Services Act 1971 (geändert durch S. 24 der Consumer Protection Regulations 2000), vgl. zum Ganzen MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 1 Fn. 3. 92 MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 3; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 1; Sosnitza BB 2000, 2317 ff.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 428 ff.; Wagner, AcP 206 (2006), 369 ff. 93 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz (ABl.EG Nr. L 144/19). 94 Dem § 241a vergleichbare Regelungen wurden in anderen europäischen Ländern schon vor dem „Anstoß durch die EU“ eingeführt. So statuiert etwa nach österreichischem Recht seit 1997 § 864 II ABGB eine vergleichbare Bestimmung. Ähnlich ausgestaltet ist auch der seit 1990 im schweizerischen Recht eingeführte Art. 6 OR.
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4. Verhältnis zu anderen Vorschriften Das Verhältnis des § 241a BGB zu anderen Vorschriften leitet sich aus der ihm zugestandenen Reichweite ab, die sich teilweise unmittelbar aus der Bestimmung ermitteln lässt, teilweise jedoch erst im Hinblick auf die der Norm eigene Zweckrichtung abzustecken ist.95 Eindeutig geht § 241a I BGB dahin, den Verbraucher vor der Geltendmachung vertraglicher Ansprüchen auf Grund der Warenlieferung in Schutz zu nehmen. Vertragliche Zahlungsverpflichtungen sollen bei unbestelltem Darbieten von Leistungen nicht dadurch entstehen, dass in der konkludenten (stillschweigenden) Annahme der Lieferung – namentlich durch Gebrauchs- und Verbrauchshandlungen (vgl. § 151 BGB) – ein „Akzept“ bezüglich des Vertragsschlusses zu sehen ist. Über das Nichtentstehen von vertraglichen Ansprüchen hinaus statuiert § 241a BGB (insofern geht die Regelung über die Richtlinie hinaus)96 aber ganz grundsätzlich die Freistellung von jeglichen Rechtspflichten,97 sodass weder eine Pflicht zur Rücksendung noch zur Begleichung außervertraglicher Zahlungsansprüche besteht. Dieser weit reichende Ausschluss, auch von gesetzlichen Ansprüchen, ergibt sich im Umkehrschluss aus den Regelungen des § 241a II, III BGB, die eben nur für bestimmte Sonderkonstellationen (gesetzliche) Ansprüche gegen den Verbraucher zulassen. 5. Regelungsinhalt Der tatsächliche Regelungsumfang der Vorschrift ist jedoch für den Ausschluss gesetzlicher Ansprüche und das Bestehen einer eventuellen Dreierbeziehung noch nicht abschließend durch die Rechtsprechung und Literatur geklärt.98 a. Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich der Regelung bezieht sich auf das Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis, sodass die Norm zum Verbraucherrecht i.e.S. gehört.99 Keine Anwendung findet die Bestimmung in einer reinen Verbraucher- oder Unternehmerbeziehung.100 Der Begriff des Unternehmers und des Verbrauchers sollte sich eigentlich durch die Inbezugnahme der §§ 13, 14 BGB fixieren lassen. Da aber bei der Lieferung unbestellter Sachen nicht gesagt werden kann, welchen „Zweck“ (einen privaten oder beruflichen i.S.v. §§ 13, 14 95
BaRoth/Grüneberg (2003), § 241a Rn. 1; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 3. So zutreffend Berger, JuS 2001, 649, 650 ff.; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 3; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 1. 97 BT-Drucks. 14/2658, S. 23. 98 Scharfe Kritik bei Flume, ZIP 2000, 1427, 1428 f.: „pro non scripto“; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 1: „der Inhalt der Vorschrift überzeugt nicht“; Hensen, ZIP 2000, 1151; Schwarz, NJW 2001, 1449 ff. spricht gar von einem „Störfall für die Zivilrechtsdogmatik“. 99 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 2. 100 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 10. 96
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BGB) der Empfänger verfolgt, ist fiktiv darauf abzustellen, von welcher Zwecksetzung auszugehen wäre, hätte der Empfänger das Geschäft tatsächlich als Vertrag getätigt.101 Generell gilt: Für alle nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 241a BGB fallenden Zusendungen (Leistungen) bleibt es bei der bisherigen Rechtslage.102 b. Sachlicher Anwendungsbereich § 241a BGB reglementiert im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis die unbestellte Zusendung von Waren bzw. die unbestellte Erbringung von Dienstleistungen. Damit ist der sachliche Anwendungsbereich abgesteckt. aa. Zusendung der Sache bzw. Erbringung der Dienstleistung Unter einer Sache, die an den Verbraucher versandt wird, ist jeder Gegenstand i.S.d. § 90 BGB zu verstehen. Zugesandt wurde sie, wenn sie so in den Herrschaftsbereich des Verbrauchers als Empfänger gelangt, dass er von ihr im Zeitpunkt der Lieferung Besitz ergreifen kann.103 Die Erbringung einer sonstigen Leistung, auf die § 241a BGB abstellt, ist als Oberbegriff zu werten. Hierunter fallen Leistungen aller Art, insbesondere auch Werk- und Dienstleistungen;104 selbst das unberechtigte Einwählen eines Dialers ist von der Regelung erfasst.105 Die Leistung ist i.S.d. § 241a I BGB erbracht, wenn der Empfänger sie ohne weiteren Zwischenschritt nutzbar machen kann bzw. sie ihm zugute kommt. Ob eine Vertragsanbahnungsabsicht des Unternehmers bei der Erbringung der Sache/Leistung erforderlich ist, wird noch immer nicht einheitlich beurteilt.106 Die Vertragsanbahnungsabsicht wird in den meisten Fällen vorliegen. Als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung ist sie jedoch wohl zu verneinen, da eine entsprechende Intention regelmäßig schwer nachzuweisen wäre und somit der Durchsetzung des verbraucherrechtlichen Abwehranspruchs grundsätzlich im
101 So auch Berger, JuS 2001, 649, 651; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 241a Rn. 4; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 2; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 4; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 2; Staudinger/Olzen (2005), § 241a Rn. 21. 102 Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 2; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 5; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 10. 103 BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 2. 104 BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 3. 105 LG Gera CR 2004, 543, 544; Lienhard, NJW 2003, 3592 ff.; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 9; Staudinger/Olzen (2005), § 241a Rn. 24; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 3. Durch die mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von 190er/0900er-Mehrwertdiensterufnummern v. 9.8.2003 (BGBl. I, S. 1590) in § 43b V und VI TKG eingeführten Registrierungspflichten und Nutzungsbeschränkungen für Dialer wird der Missbrauch indes bereits stark eingedämmt, vgl. dazu Rösler, NJW 2003, 2633, 2635 ff.; Burg/Gimnich, DRiZ 2003, 381 ff. 106 Dafür Hau, NJW 2001, 2863, 2865; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 7; BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 9.
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Wege stände, was rechtspolitisch nicht gewollt sein kann.107 I.Ü. ist nicht auszuschließen, dass es in manchen Fällen, die auch von der Sanktion der Norm erfasst sein sollen, dem Unternehmer – gerade dann, wenn die Ware am Markt schwer zu verkaufen ist – möglicherweise nur um die Durchsetzung etwaiger gesetzlicher Ersatzansprüche geht. Vor diesem Hintergrund hat auch der Gesetzgeber, der ursprünglich mit § 241a I BGB nur die Lieferung zum Zweck der Vertragsanbahnung reglementieren wollte, auf die Verankerung des Merkmals „Vertragsanbahnungsabsicht“ im Gesetzgebungsverfahren bewusst verzichtet,108 sodass die Einengung des Tatbestandes in dieser Hinsicht nicht nur dem Gesetzeswortlaut und der Schutzrichtung der Norm, sondern auch dem gesetzgeberischen Willen widerspricht. Der Wert der Ware bzw. Leistung spielt laut der gesetzlichen Regelung keine Rolle.109 Daraus folgt, dass der Verbraucher auch bei unbestellter Zusendung einer besonders hochwertigen Sache bzw. bei unbestellter Erbringung einer äußerst hochpreisigen Dienstleistung keinen (Zahlungs-)Ansprüchen ausgesetzt ist, soweit keine Ausnahmen nach § 241a II, III BGB greifen. Im Hinblick auf den Normzweck des § 241a BGB ist es zudem unerheblich, wenn Umschlag und Porto für die Rücksendung beiliegen (Umkehrschluss aus § 241a III BGB) oder der Empfänger einen Teil der Leistung zur Deckung der Kosten für die Rücksendung behalten darf. Denn dadurch wird die Belästigung des Empfängers nicht beseitigt.110 bb. Unbestellte Leistung Interpretationsfähig ist freilich das von § 241a I BGB in Bezug genommene Merkmal der „unbestellt“ erbrachten Lieferung bzw. Leistung. Da § 241a BGB letztlich das früher aus § 1 UWG hergeleitete und heute unter § 3 UWG fallende Verbot der Zusendung unbestellter Waren zivilrechtlich zugunsten des Verbrauchers sanktionieren soll, entspricht der Begriff unbestellt in § 241a BGB der dort von der Rechtsprechung entwickelten Definition.111 Eine Bestellung, die die Rechtsfolge des Anspruchsausschlusses nach § 241a BGB verdrängen würde, setzt mithin ein aktives (Vor-)Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem leistungserbringenden Unternehmer voraus. Fehlt dies, ist die Ware/Dienstleistung unbestellt. Das Merkmal Bestellung ist dabei rein tatsächlich und nicht rechtsgeschäftlich112 zu interpretieren, sodass es auf die rechtsgeschäftliche Wirksam107 Dieses Erfordernis ist daher auch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich fallen gelassen worden, vgl. dazu den Hinweis von BaRoth/Grüneberg (2003), § 241a Rn. 9. 108 Vgl. dazu BT-Drucks. 14/3195, S. 32; BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 9; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 4. 109 BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 6. 110 Hau, NJW 2001, 2863, 2864; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 3. 111 BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 6. 112 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 3.
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keit einer etwaig vorausgegangenen (Bestell-)Handlung des Verbrauchers nicht ankommt und auch eine eventuell später erfolgte Anfechtung die Bestellung als solche nicht zunichte macht.113 Unter einem aktiven, die Zusendung der „bestellten“ Ware auslösenden Vorverhalten des Verbrauchers ist in jedem Fall das „Angebot“ zum Abschluss eines Kaufvertrages, aber auch die „Bitte“ um Warenübersendung zwecks Prüfung bzw. jedes sonst zurechenbare Verhalten (etwa eine invitatio ad offerendum) zu verstehen.114 Im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung sind regelmäßig – schon wegen des bestehenden Vertrauensverhältnisses – erhöhte Anforderungen an den Begriff „unbestellt“ zu stellen, sodass in einem laufenden Rahmenkontakt zwischen Unternehmer-Verbraucher mutmaßlich erwünschte (Ansichts-) Sendungen in der Regel nicht hierunter fallen.115 Fraglich ist allerdings, ob die Zusendung einer zunächst unbestellten Ware in die Lieferung einer bestellten Ware umgedeutet werden kann, wenn dem Verbraucher die zunächst unbestellt erfolgte Zusendung eigentlich „zu pass kommt“ und er die Ware behalten möchte und bezahlt. Hier stellt sich die Frage der Möglichkeit und Auswirkung einer so genannten „nachträglichen Bestellung“. In einer solchen Situation ist der Verbraucher nicht notwendig durch § 241a BGB zu schützen, wenn und soweit er sich bewusst und ohne Druck für die Lieferung entscheidet. Problematisch ist in solch einer (wohl eher seltenen) Konstellation nur, dass über diesen hinterfragenswerten Aspekt dem Unternehmer möglicherweise eine Argumentationslinie eröffnet wird, zu behaupten, mit der Zahlung habe der Verbraucher bereits seinen konkludenten Annahmewillen zum Ausdruck gebracht. Die bewusste Entscheidung des Verbrauchers für die Sache (Leistung) mit der Zahlung gleichzusetzen, ist aber ggf. deshalb trügerisch, weil die Zahlung auch rechtsirrig in der Annahme einer Zahlungspflicht erfolgen kann. Die Rechtswissenschaft will den Verbraucher in dieser Konstellation dadurch schützen, dass sie ihm ein Recht zur Anfechtung seiner konkludenten „Annahmeerklärung“ nach § 119 I BGB116 einräumt bzw. (und das scheint hier wohl sachgerechter zu sein), ihn auf sein Widerrufsrecht nach § 312d BGB117 verweist. Der Verbraucher, der die unbestellte Leistung bezahlt und somit zunächst konkludent vom objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) seinen Annahmewillen bezeugt, ist damit ausreichend geschützt, obgleich ihm unter Beachtung der Grundsätze der Privatautonomie auch ein nachträglicher Vertragsschluss – 113 Daher liegt trotz § 142 BGB eine Bestellung auch noch nach Anfechtung des Kaufbzw. Liefervertrages vor. 114 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 241a Rn. 10; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 3; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 7; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 3; Staudinger/Olzen (2005), § 241a Rn. 25 ff.; Löhnig, JA 2001, 33 ff. 115 BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 7. 116 MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 10 Fn. 22. 117 Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 10; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 241a Rn. 5; BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 10.
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wenn er diesen denn möchte – eröffnet ist. Die dadurch gegebene grundsätzliche Möglichkeit der „Umdeklarierung“ – solange sie bewusst und gewollt vom Verbraucher ausgeht – ist i.S.e. weitgehenden Beachtung der Privatautonomie zu begrüßen, dem unternehmerischen Interesse wird sie regelmäßig nicht widersprechen. cc. Aliudlieferung als unbestellte Lieferung? Durch den Gesetzgeber kam es überdies zu einer ausdrücklichen Regelung des in der Praxis nicht selten auftretenden Falles, dass die Bestellung vom Verbraucher ausgeht, ihm aber eine andere als die eigentlich bestellte Sache zugesandt wird.118 Genau genommen ist auch diese Lieferung nicht „bestellt“. Der Gesetzgeber hat im Fall der Aliudlieferung einen Kompromiss zwischen den Interessen des Verbrauchers, der zunächst aktiv geworden ist, und den Bedürfnissen des Unternehmers gefunden. Nach § 241a III BGB soll nämlich die Ware bzw. Leistung als „bestellt“ gelten (womit den Verbraucher zumindest entsprechende Pflichten zum sorgfältigen Umgang treffen), wenn nach der Bestellung durch ihn eine nach Preis und Qualität gleichwertige andere Leistung angeboten wird und der Verbraucher zudem darauf hingewiesen wird, dass er zur Annahme nicht verpflichtet ist und die Kosten der Rücksendung nicht zu tragen hat. Während für die preisliche Abweichung ein Unterschied von +/- 10 % hinzunehmen ist, ist für die Frage der Qualitätsabweichung auf den vertragsgemäßen Gebrauch der Leistung aus Sicht eines vernünftigen Bestellers abzustellen.119 Liegen die benannten Voraussetzungen nicht vor, wird die (absichtliche)120 Falschlieferung nach § 241a I BGB behandelt; sie wird als „unbestellte“ Leistung gewertet. 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeit Ist § 241a I BGB einschlägig, wird „ein Anspruch“ des Unternehmers gegen den Verbraucher „nicht begründet“. Die Ansprüche des Konsumenten gegen den Unternehmer (etwa aus cic, Delikt, Produkthaftung) oder gegen einen Dritten werden vom Wortlaut und Regelungszweck des § 241a I nicht erfasst.121 Ansprüche des Verbrauchers, die in diese Richtung gehen, sind damit nicht ausgeschlossen.
118
Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 4. BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 8. 120 Nach einigen Stimmen (vgl. Palandt/Heinrichs, 66. Aufl., 2004, § 241a Rn. 4; Deckers, NJW 2001, 1474) soll im Fall der unbewussten Falschlieferung ein Sachmangel nach § 434 BGB vorliegen. Der Nachweis, bewusste/unbewusste Falschlieferung, dürfte praktisch jedoch schwierig zu führen sein, deswegen sieht das etwa Kohler, AcP 204 (2004), 606 ff. anders. 121 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 11. 119
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a. Kein vertraglicher Anspruch gegen den Verbraucher Der fehlende Vertragsausschluss bedeutet vor allem, dass durch die Leistung unbestellter Sachen bzw. Dienste grundsätzlich kein vertraglicher Anspruch auf Zahlung (oder Leistung vertraglichen Schadensersatzes) gegen den Empfänger entstehen kann.122 Grundlegend neu an der Vorschrift ist der daraus nach h.M. zu ziehende Schluss, dass der Verbraucher unabhängig von einem Kontrakt grundsätzlich berechtigt ist, die Sachen zu benutzen oder zu verbrauchen.123 Insoweit rekurriert man auf den Sinn und Zweck der Regelung und (rechtsvergleichend) auf die entsprechenden Ausschlusstatbestände in Österreich und der Schweiz. Vor diesem Hintergrund können auch bloße Zueignungs- und Gebrauchshandlungen, abweichend von § 151 BGB, nicht mehr per se als (konkludente) Annahme des Vertragsangebotes interpretiert werden.124 Eine konkludente Annahme darf lediglich in der Bezahlung gesehen werden, wobei auch diese Interpretation zu verwerfen ist bzw. ihre Folgen zu relativieren sind, wenn und soweit die Zahlung rechtsirrig erfolgte und hernach eine Anfechtung nach § 119 I BGB oder ein Widerruf gemäß § 312d BGB erfolgte (s.o.).125 b. Grundsätzlich auch kein gesetzlicher Anspruch gegen den Verbraucher Der Schutz des § 241a BGB würde freilich zu kurz greifen, wenn die Vorschrift nur vertragliche und nicht auch gesetzliche Forderungen des Unternehmers gegen den Verbraucher ausschließen würde. Von der Anspruchskappung umfasst sind daher selbst Forderungen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen und aus dem Sachenrecht.126 Hierzu zählen Ansprüche, die sich infolge der „Lieferung“ auf Besitz-127 122 Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 490 f.; BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007, § 241a Rn. 10. 123 Etwas eindeutiger formuliert ist hier die österreichische Parallelvorschrift, d.h. § 864 II 1 ABGB, wonach das Behalten, Benutzen oder Verbrauchen der Sache durch den Empfänger nicht als Annahme zu werten ist. 124 MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 12 f.; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 6; a.A. Casper, ZIP 2000, 1602, 1605; Berger, JuS 2001, 649, 653. Diese nehmen an, § 241a I BGB schließe nur Ansprüche aus, die sich wegen der Beschädigung und/oder des Wegwerfens der Sache ergeben könnten, nicht jedoch dann, wenn der Verbraucher die Sache seinem Vermögen bewusst und gewollt einverleibe. Solange dies nicht in bewusster Vertragsschlussabsicht geschieht, widerspricht diese Ansicht jedoch dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. 125 Schwarz, NJW 2001, 1449; a.A. Casper, ZIP 2001, 1602/07. 126 Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 91 f.; BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 10; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 15; Gaertner/ Gierschmann, DB 2000, 1601; Lorenz, JuS 2000, 833, 841; Schwarz, NJW 2001, 1449; a.A. Casper, ZIP 2000, 1602 ff. 127 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 241a Rn. 31; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 15; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 7; Staudinger/Olzen (2005), § 241 Rn. 42; Berger, JuS 2001, 649, 652; Riehm, Jura 2000, 505, 512; Schwarz, NJW 2001, 1449; 1450; Lorenz, JuS 2000, 833 f.; a.A. Flume, ZIP 2000, 1427, 1429; differenzierend Hk-BGB/ Schulze (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 6 f., wonach der Verbraucher jedenfalls dann zur Heraus-
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und Eigentumsrechte (§ 985 BGB)128 gründen. Ferner sind Forderungen betroffen, die auf das „spätere Verhalten des Verbrauchers“ gestützt werden, etwa bzgl. der Nutzung, Beschädigung oder Weiterveräußerung. Insoweit sind alle Ansprüche aus §§ 812 ff.,129 823 ff. und §§ 987 ff. BGB zwischen dem Unternehmer und Verbraucher gesperrt. Es ist daher zutreffend zu behaupten, § 241a BGB statuiere eine „Radikallösung“.130 Gesetzliche Ansprüche auf Herausgabe (§§ 985, 812 BGB), auf Schadensersatz und Nutzungsherausgabe (§§ 987 ff., 818 f. BGB) konstituieren sich nach der Konzeption des § 241a BGB nur noch in zwei Ausnahmesituationen:131 Sie bestehen zum einen dann, wenn die Leistung nicht für den Empfänger bestimmt war, vgl. § 241a II 1. HS. BGB, aber auch dann, wenn die Leistung in irriger Annahme einer Bestellung erfolgt ist und der Empfänger dies erkannt hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, so § 241a II 2. HS BGB. In diesen Fällen ist die Zusendung der Leistung an den betroffenen Verbraucher durch den Unternehmer nicht mit der Intention erfolgt, ihm diese aufzuzwingen, und der Verbraucher ist nicht schutzwürdig, weil er dies auch erkennen konnte. Sendet der Empfänger (Verbraucher) in diesem Fall die Sache zurück, wozu er bei einem „Aufzwingen der Ware“ gerade nicht verpflichtet wäre, hat der Verbraucher nach § 683 BGB wegen der Kosten der Rücksendung einen Anspruch auf Aufwendungsersatz, da die Rücksendung im Interesse und im mutmaßlichen Willen des Unternehmers erfolgt.132 Dass der Rücktransport ein Geschäft des Ungabe verpflichtet ist, wenn er die Sache ohne Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen tatsächlichen und rechtlichen Belange herausgeben kann und der Unternehmer sie auf eigene Kosten abholt. 128 Eine auf verfassungsrechtliche Erwägungen (Eigentumsgarantie) gestützte teleologische Reduktion des § 241a BGB befürwortet hingegen Casper, ZIP 2000, 1602, 1606 f.; ähnlich Flume, ZIP 2000, 1427, 1428 f.; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2056; Frotscher, Verbraucherschutz beim Kauf beweglicher Sachen (2004), S. 146 ff.; dagegen überzeugend BaRoth/Sutschet (2003), § 241a Rn. 9; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 15; PWW/ Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 241a Rn. 4; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 7; Staudinger/Olzen (2005), § 241a Rn. 39 ff.; Berger, JuS 2001, 649, 652 ff.; Deutsch, JuS 2005, 998 ff.; Gaertner/Gierschmann, DB 2000, 1601, 1605 ff.; Sosnitza, BB 2000, 2317, 2322 ff.; Schwarz, NJW 2001, 1449, 1450; Schwarz/Pohlmann, Jura 2001, 361 ff.; Schäfer, AcP 202 (2002), 428 ff.; noch anders, d.h. differenzierend Deckers, NJW 2001, 1474, der einen Herausgabeanspruch annimmt, wenn der Unternehmer innerhalb angemessen kurzer Frist zur Abholung bereit ist. Ausschlaggebend kann allerdings nur sein, dass ausweislich der Gesetzesbegründung gerade auch Ansprüche aus §§ 985, 812 ff. BGB ausgeschlossen sein sollen (vgl. BT-Drucks. 14/3195), daran gibt es nicht zu deuteln. 129 Ausführlich zum Verhältnis des § 241a BGB zum Bereicherungsrecht (§§ 814, 815, 817 BGB) Lorenz, FS Lorenz (2001), S. 193 ff., vgl. ferner Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 7. 130 So ausdrücklich Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 241a Rn. 16. 131 Vgl. BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 13 f. 132 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 9.
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ternehmers ist, folgt schon aus § 241a III letzter HS. BGB.133 Dies gilt auch für die von § 241a I BGB beschriebene Situation. Soweit die gesetzlichen Ansprüche nach § 241a II BGB ausnahmsweise erhalten bleiben, obliegen dem Verbraucher – sofern er sich nicht zum Rücktransport entschließt – jedenfalls Aufbewahrungsund Erhaltungspflichten.134 Die Haftung des Verbrauchers für einen zufälligen Untergang oder eine zufällige Verschlechterung der Ware ist aber auch in diesem Fall auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. c. Kein Anspruchsausschluss von Ansprüchen gegenüber Dritten Die Radikallösung gilt aber zunächst nur „inter partes“. Denn unter den Voraussetzungen des § 241a BGB werden nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich nur Ansprüche gegen den Verbraucher ausgeschlossen, soweit dieser Empfänger der unbestellten Lieferung ist. Ansprüche gegen Dritte (Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung oder Zerstörung der unbestellten Sache) sind von der Ausschlussregelung nicht ausdrücklich erfasst. In entsprechender Anwendung sollten aber zumindest (gesetzliche) Ansprüche gegen diejenigen Dritten, die auf Grund einer Nähebeziehung zum Verbraucher mit der unbestellten Leistung in gleicher Weise, quasi „bestimmungsgemäß“, in Kontakt geraten (Ehepartner, Lebenspartner, Kind, Gäste, Haushaltshilfe), einbezogen sein, da auch hier der Sinn und Zweck der Freistellung Platz greift.135 Anders sieht das bei sonstigen Dritten aus, die sich die Sache – vielleicht sogar eigenmächtig – vom Verbraucher beschaffen. Diese sind nicht schützenswert. Problematisch, weil nicht eindeutig geregelt, ist darüber hinaus die Rechtsposition, die der Dritte auf Grund eines bewussten „Verschaffungsaktes“ durch den Verbraucher erlangt. Denn der Empfänger einer unbestellten Sache darf diese zwar selbst benutzen und verbrauchen,136 womit ihm eine eigentümerähnliche Rechtsposition zukommt. Das (formale) Eigentum selbst erlangt er durch die bloße unbestellte Zusendung nach umstrittener, aber aus rechtsdogmatischen Gesichtspunkten wohl vorzugswürdigen Ansicht noch nicht.137 Eigentum und Besitz fallen somit bezüglich seiner Person auseinander,138 wes133
Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 241a Rn. 6. Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 165. 135 So zutreffend MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 17; Mitsch, ZIP 2005, 1020 ff. 136 MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 19; Lorenz, FS Lorenz (2001), S. 210 ff.; a.A. Schwarz, NJW 2001, 1449, 1452; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 241a Rn. 33; Staudinger/ Olzen (2005), § 241a Rn. 47. 137 So MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 19; Staudinger/Olzen (2005), § 241a Rn. 35; Berger, JuS 2001, 649, 652 f.; Lorenz, FS Lorenz (2001), S. 210 ff.; Schwarz, NJW 2001, 1449, 1450; Schwarz/Pohlmann, Jura 2001, 361, 364; a.A. Riehm, Jura 2000, 505, 512: Erwerb auch des formellen Eigentums; differenzierend Löhnig, JA 2001, 33, 35, der in Gesamtanalogie zu §§ 886, 1169, 1254 BGB einen Übereignungsanspruch des Verbrauchers annimmt. 138 Vgl. dazu BaRoth/Sutschet (2. Aufl., 2007), § 241a Rn. 10. § 241a BGB stellt keinen gesetzlichen Eigentumserwerbstatbestand dar (vgl. dazu Lorenz, FS Lorenz 2001, S. 212; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 8; MüKo/Kramer (5. Aufl., 2007), § 241a Rn. 19), 134
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halb der Dritte nur dann von ihm – nämlich im Wege des gutgläubigen Erwerbs – Eigentum erlangen kann, wenn die Voraussetzungen der §§ 929, 932 ff. BGB vorliegen.139 Ist das der Fall, steht der gutgläubige Erwerb seitens des Dritten (bei vorheriger nicht berechtigter Weiterverfügung des nach § 241a BGB „besitzenden“ Verbrauchers) auch einem gesetzlichen Rückforderungsanspruch des Versenders entgegen, sodass in dieser Konstellation auch der vom Empfänger bedachte Dritte geschützt ist. III. Reglementierung von Gewinnmitteilungen Das „konstruktive Gegenstück“ zu § 241a BGB stellt in gewisser Weise der § 661a BGB dar. Diese Regelung soll nun vorgestellt werden. Während § 241a BGB Ansprüche gegen den Verbraucher aus der Zusendung unbestellter Waren ausschließt, gewährt § 661a BGB dem Verbraucher bei Gewinnmitteilungen einen positiven Leistungsanspruch entsprechend dem hervorgerufenen Eindruck.140 1. Allgemeines Nach der Ansicht des Gesetzgebers soll mit der Regelung des § 661a BGB eine Praxis im Geschäftsverkehr unterbunden werden, mit der Unternehmer versuchen, Verbraucher zum Bezug von Waren oder Dienstleistungen zu bewegen oder teure Rückrufnummern zu wählen, ohne ihnen den versprochenen Gewinn zukommen zu lassen.141 Der Zweck der Norm ist – ähnlich dem des § 241a BGB142 – ein doppelter: Es geht um Verbraucher- und Wettbewerbsschutz143 (vgl. dazu auch § 4 Nr. 5 UWG und Nr. 16, 17 und 20 der Black List zum neuen § 3 UWG, s.o.), wobei neben der konkreten Sanktion auch Generalprävention144 betrieben werden soll. Zum besseren Schutz des Verbrauchers und des Wettbewerbs soll durch die Einführung des § 661a BGB eine seit längerem als wettbewerbswidrig erkannte auch scheidet eine Dereliktion i.S.v. § 959 mangels Verzichtswillen des Unternehmers aus (Schwarz, NJW 1449, 1451; Staudinger/Olzen, 2005, § 241a Rn. 36). 139 Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 492. 140 MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 1; Leible, IPRax 2003, 28, 29; Lorenz, NJW 2000, 3305. 141 BT-Drucks. 14/2658, S. 48 f.; vgl. dazu auch BGHZ 153, 82, 90; BGH NJW 2003, 428; BGH ZIP 2004, 38 ff.; vgl. dazu auch Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1; Bülow/ Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 493. 142 Zum Zusammenhang der beiden Normen vgl. auch Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1. 143 BaRoth/Kotzian-Marggraf (2003), § 661a Rn. 1; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 1; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 2; MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 1. 144 Felke/Jordans, IPRax 2004, 409 ff.; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1.
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Handlung – das Werben mit irreführenden und aggressiven Gewinnzusagen – mit einem Rechtsbehelf bekämpft werden, der wirkungsvoller ist als die Rechtsbehelfe, die das Wettbewerbsrecht (UWG) bereits kennt.145 § 661a BGB gewährt dem Verbraucher nämlich bei der Mitteilung über einen angeblichen Gewinn einen Anspruch auf Erfüllung. Dieser Anspruch beruht auf einem durch geschäftsähnliche Handlung (Versendung der Gewinnzusage oder vergleichbare Mitteilung) begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis.146 Grund der Haftung ist dabei der vom Unternehmer zurechenbar gesetzte Rechtsschein des Einstehenwollens für die Zusage.147 2. Entstehungsgeschichte § 661a BGB war Teil des Artikelgesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro vom 27.6.2000.148 Art. 1 dieses Gesetzes barg das sog. Fernabsatzgesetz, das der Umsetzung der Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 diente und inzwischen durch die Schuldrechtsreform in das BGB übernommen wurde (§§ 312b ff. BGB). Unabhängig davon enthielt Art. 2 des o.g. Gesetzes Vorschriften aus unterschiedlichen Zusammenhängen, mit denen bestehende Bestimmungen des BGB geändert oder neue Vorschriften in das BGB eingefügt wurden. Zur letzteren Rubrik gehörte § 661a BGB. 3. Fehlen eines europarechtlichen Hintergrundes Die Vorschrift hat keinen unmittelbaren europarechtlichen Bezug.149 Gedankliche Anknüpfungsmöglichkeit besteht lediglich bei einer Vorläufervorschrift aus Österreich, die seit dem Jahr 1999 in § 5j des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) verankert ist und Gewinnzusagen mit einem zivilrechtlichen Erfüllungsanspruch sanktioniert.150 Die deutsche Parallelvorschrift ist
145 Zum Gedanken der Sanktionsverschärfung vgl. OLG Dresden VuR 2002, 187, 190; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1; MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 1; Schröder/Thiessen, NJW 2004, 720 f.; Schneider, BB 2002, 1653. 146 BGH NJW 2006, 232 ff.; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1; Jauernig/ Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 2; Lorenz, NJW 2006, 472 ff.; ders., IPRax 2002, 192 ff.; ders., NJW 2000, 3305; a.A. (i.S. eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses) LG Braunschweig IPRax 2002, 214: Sonderform der cic; für eine autonome Qualifikation MörsdorfSchulte, JZ 2005, 770 ff. 147 Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1; Lorenz, NJW 2000, 3305 ff. 148 BGBl. I, S. 897. 149 Vgl. dazu PWW/Mörsdorf-Schulte (3. Aufl., 2008), § 661a Rn. 1; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 488 Rn. 1; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1. 150 Vgl. dazu BGHZ 153, 92, 90.
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erst ein Jahr später, nämlich am 30.6.2000, in Kraft getreten.151 Anwendung findet sie auf Sachverhalte, die nach dem 29.6.2000 auftraten.152 Vor der Einführung des § 661a BGB in Deutschland scheiterte ein Anspruch des Verbrauchers auf den vermeintlich zugesagten Gewinn gemäß § 657 BGB dann, wenn die Gewinnmitteilung an den Verbraucher individuell adressiert war. Denn ein bindendes Versprechen entsteht nach dieser Vorschrift nur im Fall einer öffentlichen Bekanntmachung, mit der eine „Belohnung“ für etwas ausgesetzt wird. Auch § 661 BGB, der Preisausschreiben in Bezug nimmt, die an eine vorherige Leistung des später Beschenkten anknüpft, war bei Gewinnmitteilungen nicht heranziehbar, da die Gewinnmitteilung nicht notwendig an solch eine Mitwirkung des Beworbenen anknüpft. Vor diesem Hintergrund konnte vor Einführung der autonom (d.h. rein national) veranlassten Verbraucherschutzregelung des § 661a BGB die Gewinnmitteilung lediglich als „unverbindliche Ausspielung“ (§ 762 BGB) oder als „formnichtiges Schenkungsversprechen“ (§ 518 I BGB) eingestuft werden und war praktisch folgenlos. 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften Die Rechtsnatur des Anspruchs aus § 661a BGB ist noch nicht abschließend geklärt.153 Der BGH hat jedoch im Jahr 2005154 für eine gewisse Klarstellung gesorgt. Nach seiner zustimmungswürdigen Ansicht handelt es sich bei § 661a BGB um eine Haftung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das durch eine geschäftsähnliche Handlung, eben die Versendung der Gewinnzusage oder einer vergleichbaren Mitteilung an den Verbraucher, begründet wird. a. Verhältnis zu Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre Auf Grund des hier als vorzugswürdig angesehenen Ansatzes (der Einordnung der Gewinnmitteilung als geschäftsähnliche Handlung)155 sind die allgemeinen Vorschriften zu den Rechtsgeschäften grundsätzlich entsprechend anzuwenden.156 In diesem Zusammenhang kommt es zum Wirksamwerden der Gewinnmitteilung mit ihrem Zugang gemäß § 130 BGB.157 Die Regelungen der Anfechtung seitens des Unternehmers als desjenigen, der die geschäftsähnliche Hand151
Siehe dazu Art. 12 des Artikelgesetzes über Fernabsatzverträge v. 27.6.2000, BGBl. I, S. 909. 152 Art. 229 § 2 I EGBGB. 153 Zum Streitstand PWW/Mörsdorf-Schulte (3. Aufl., 2008), § 661a Rn. 3. 154 BGH NJW 2006, 230. 155 BGH NJW 2006, 232; Lorenz, NJW 2006, 472 ff.; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 4; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009). 156 Der Unternehmer muss danach geschäftsfähig sein, beim Verbraucher ist keine Geschäftsfähigkeit erforderlich, da der Anspruch ohne sein Zutun entsteht, vgl. dazu Jauernig/ Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 4. 157 OLG Nürnberg, NJW 2002, 3637, 3640; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 6; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 4.
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lung vornimmt, werden allerdings im Hinblick auf die Schutzrichtung der Norm verdrängt. Auf Grund des entstehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses bedarf es keiner Geschäftsfähigkeit beim Empfänger,158 jedoch (wegen der deliktsähnlichen Struktur) einer deliktischen Verantwortungsreife beim Versender. b. Fragen bezüglich des Gerichtsstandes bei Auslandsbezug Die Rechtsnatur des § 661a BGB wird außerhalb des Fragenbereiches der Anwendung allgemeiner Normen zur Rechtsgeschäftslehre besonders virulent im Zusammenhang mit Gerichtsstandsfragen, nämlich dann, wenn der Sachverhalt, auf den § 661a BGB anwendbar wäre, einen Auslandsbezug aufweist, etwa weil der Versender der Gewinnmitteilungen eine ausländische (Briefkasten-)Firma unterhält.159 Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestimmte sich früher bekanntermaßen nach dem EuGVÜ und heute nach der EuGVVO (so genannte Brüssel I-VO160). Da beide Regelungswerke grundsätzlich vom Beklagtengerichtsstand ausgehen, können Empfänger von Gewinnzusagen nur (ausnahmsweise) dann in ihrem Wohnsitzstaat Klage erheben, wenn entweder der Vertragsgerichtsstand mit Erfüllungsort beim Empfänger (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO), der deliktische Gerichtsstand (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) oder der Verbrauchergerichtsstand (Art. 15 EuGVVO) eröffnet ist. In der Rechtssache Gabriel161 hatte der EuGH den Verbrauchergerichtsstand des (damals noch einschlägigen) EuGVÜ dann für anwendbar erklärt, wenn auf Grund der Gewinnzusage ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher über die Lieferung beweglicher Sachen oder die Erbringung von Dienstleistungen abgeschlossen wurde. Für so genannte „isolierte Gewinnzusagen“, d.h. in Fällen, in denen es anlässlich der Gewinnzusage nicht zu einer Warenbestellung bzw. Dienstleistung kam, meinte das Gericht hingegen, dass dort nur der normale Vertragsgerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ zur Anwendung käme.162 Sämtliche Begriffe des EuGVÜ, so auch der des Verbraucher- und Vertragsgerichtsstandes seien – so der EuGH – in jedem Fall autonom auszulegen (was unbestreitbar auf Grund des supranationalen Normcharakters des EuGVÜ zutrifft). Der in seinem sachlichen Anwendungsbereich weiter als Art. 13 EuGVÜ interpretierte Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ erfasst – so der EuGH – auch jede freiwillig eingegangene Verpflichtung, mit der Folge, dass damit auch eine Regelung für An158
So auch Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 4; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 2b. 159 Vgl. hierzu Braun, MDR 2003, 351 ff.; Dörner, FS Kollhosser (2004), Bd. II, S. 75 ff.; Felke/Jordans, IPRax 2004, 409 ff.; Leible, NJW 2005, 796 ff.; ders., IPRax 2003, 28 ff.; ders., NJW 2003, 407 ff.; Leipold, FS Musielak (2004), S. 317 ff.; Lorenz, NJW 2006, 472 ff.; ders., IPRax 2002, 192; ders., NJW 2000, 3305; Mörsdorf-Schulte, JZ 2005, 770 ff. 160 Zu dieser Verordnung im Zusammenhang mit Verbraucherangelegenheiten vgl. meine Ausführungen zur Rechtsdurchsetzung im 2. Teil, 3. Kapitel. 161 EuGH, Urt. v. 11.7.2002, Rs. C-96/00 – Gabriel. 162 EuGH, Urt. v. 20.1.2005, Rs. C-27/02 – Engler.
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sprüche aus isolierten Gewinnmitteilungen geregelt sind.163 Mit der Einordnung der isolierten Gewinnzusage als „Vertrag“ i.S.v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ sprach sich das Gericht sogleich gegen die Anwendung des deliktischen Gerichtsstandes aus. Die Schwierigkeit im Umgang mit Art. 5 EuGVÜ, der für isolierte Gewinnzusagen heranziehbar sein sollte, bestand nun weiter darin, den „Erfüllungsort“ zu bestimmen, auf den die Regelung als Ort, an dem zu klagen wäre, abstellt. Wegen des Fehlens einer einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Regelung konnte diese Feststellung allerdings nach dem nationalen Recht getroffen werden. Der BGH hat diesbezüglich in einer Entscheidung vom 1.12.2005164 – zugunsten der Verbraucher – herausgestellt, dass auch Ansprüche aus isolierten Gewinnzusagen am Wohnsitz des Verbrauchers einzuklagen sind, weil hier der Erfüllungsort, nämlich der Auszahlungsort, anzusiedeln ist. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck des § 661a BGB, der durchkreuzt würde, wenn der Erfüllungsort am (Auslands-)Sitz des Unternehmers läge.165 Wenngleich die Entscheidung des BGH auf Grund dogmatischer Erwägungen in der Literatur Kritik hervorgerufen hat,166 bleibt sie doch im Ergebnis nachvollziehbar. Mit diesem Rechtsprechungsschlenker ist es letztlich für den Verbraucher auch nicht nachteilig, wenn der EuGH bei einer isolierten Gewinnzusage nicht auf den Verbrauchergerichtsstand nach Art. 13 EuGVÜ, sondern auf den allgemeinen Gerichtsstand gemäß Art. 5 EuGVÜ abstellte. Die vom BGH zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ vertretene Auffassung lässt sich heute ohne Einschränkung auf die inhaltsgleiche Regelung der das EuGVÜ ablösenden EuGVVO übertragen.167 Damit steht für Klagen aus (isolierten) Gewinnmitteilungen auch unter der Geltung der EuGVVO der Vertragsgerichtsstand gemäß Art. 5 EuGVVO zur Verfügung. Da Art. 15 EuGVVO nunmehr jedoch weiter gefasst ist als der seinerzeitige Art. 13 EuGVÜ, ist für (isolierte) Gewinnzusagen darüber hinaus auch der Verbrauchergerichtsstand eröffnet. Der Grund ist, dass die einstige Beschränkung auf bewegliche Sachen bzw. Dienstleistungen, die erbracht werden müssen, weggefallen ist.168 c. Fragen bezüglich des anwendbaren Rechts bei Auslandsbezug Kontrovers diskutiert wurde neben dem Gerichtsstand bei einer (isolierten) Gewinnmitteilung mit Auslandsbezug natürlich auch die Frage, welche Kollisionsnorm Anwendung finden sollte.169 Seit der Grundsatzentscheidung des BGH zur 163
EuGH, Urt. v. 20.1.2005, Rs. C-27/02 – Engler. BGH NJW 2006, 230 ff. 165 A.A. OLG Braunschweig NJW 2006, 161. 166 Vgl. dazu Lorenz, NJW 2006, 472 ff. 167 OLG Hamm OLGR 2007, 285; AG Waren/Müritz, Urt. v. 16.8.2006 – 33 C 768/04; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 161. 168 OLG Rostock NJW-RR 2006, 209; Lorenz, NJW 2006, 472. 169 Zum Streitstand BaRoth/Kotzian-Marggraf (2003), § 661a Rn. 9. 164
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internationalen Zuständigkeit vom 1.12.2005 beurteilte die Praxis170 den Tatbestand deliktsnah und kam vor Verabschiedung der heute einschlägigen Rom-VO zur Anwendung des Art. 34 EGBGB a.F. Der BGH hatte § 661a BGB als „zwingende Vorschrift“ i.S.d. Art. 34 EGBGB a.F. eingestuft, weil der Gesetzgeber mit ihrer Kodifizierung ordnungspolitische Interessen verfolgt habe und der weit verbreiteten wettbewerbsrechtlich unzulässigen Praxis entgegenwirken wollte, dass Unternehmer Verbrauchern Mitteilungen über angebliche Gewinne versenden, diese aber nicht aushändigen und sie damit nur zur Bestellung von Waren und Dienstleistungen verleiten sollen.171 5. Regelungsinhalt Der Regelungsinhalt des § 661a BGB scheint transparent zu sein. Auf den zweiten Blick ist aber doch vieles hinterfragenswert: Klar ist zunächst, dass § 661a BGB Gewinnmitteilungen eines Unternehmers an den Verbraucher mit einem Erfüllungsanspruch reglementiert. Die Vorschrift gewährt insofern dem Verbraucher das Recht, den Unternehmer, welcher ihm die Gewinnmitteilung zusendet, beim Wort zu nehmen und die Leistung des zugesagten Preises zu verlangen. Vielfältige Detailfragen knüpfen jedoch an die einzelnen Tatbestandsmerkmale an, die von der Rechtsprechung – und das bedingt die Schwierigkeit im Umgang mit der Norm – häufig uneinheitlich auslegt werden. Ähnlich wie bei der neuen Regelung des § 241a BGB wurde auch die Verfassungsmäßigkeit des § 661a BGB in Frage gestellt.172 Der BGH hat sich dieser Kritik im Ergebnis mit Recht nicht angeschlossen und mit eingehender Begründung § 661a BGB für verfassungsgemäß erklärt.173 Die Diskussionen im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der Regelung vereinzelt ausgemachten „Über- und Fehlfunktion“174 des Gesetzgebers reißen gleichwohl nicht ab. Die praktischen Erfahrungen der letzten Jahre dürften aber gezeigt haben, dass die Bestimmung sowohl aus verbraucher- als auch aus wettbewerbspolitischer Sicht zu einer zu begrüßenden Zurückdrängung unzulässigen Unternehmerverhaltens geführt hat
170
Vgl. etwa OLH Hamm OLGR 2007, 285; AG Waren/Müritz, Urt., v. 16.8.2006 – 33 C 768/04. 171 BGH NJW 2006, 230. 172 Schneider, BB 2002, 1653, 1656 ff. 173 BGH NJW 2003, 3620. Eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil hat das BVerfG (1 BvR 2518) nicht zur Entscheidung angenommen; für die Verfassungsgemäßheit auch Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 1; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 1. Die Verfassungsgemäßheit stellte in einem ähnlichen Verfahren auch der österreichische Verfassungsgerichtshof in Bezug auf die österreichische Verfassung und den § 5j KSchG als Parallelvorschrift heraus, vgl. dazu VfGH v. 14.6.2005, KRES 10/193. 174 So MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 17: „Über oder Fehlreaktion“ (allerdings ohne Verfassungsverstoß).
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und dass das gesetzgeberische Einschreiten damit i.S.d. Förderung von Gemeinwohlinteressen als „notwendig“ und „legitim“ angesehen werden kann.175 a. Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich des § 661a BGB wird durch die notwendige Unternehmer-Verbraucher-Beziehung (§§ 14, 13 BGB) festgelegt. Der Versender der Gewinnzusage muss Unternehmer (§ 14 BGB) und der Adressat Verbraucher (§ 13 BGB) sein, wobei diese Vorschriften eigentlich analog herangezogen werden müssen, da es häufig am Abschluss des bezweckten Geschäftes fehlt und aus Sicht des BGH die Gewinnzusage als geschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren ist.176 Für die §§ 13 f. BGB ist insofern auf den begleitenden Vertragsschluss, den die Gewinnmitteilung herbeiführen soll (z.B. beworbene Warenbestellung), abzustellen,177 bei isolierten Gewinnzusagen hingegen darauf, dass die Mitteilung für den Versender seiner gewerblichen bzw. beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden kann, für den Empfänger hingegen nicht.178 Soweit die §§ 13, 14 BGB entsprechend in Bezug genommen werden, wird deutlich, dass auch § 661a BGB eine Regelung des Verbraucherschutzrechtes i.e.S. darstellt. b. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich des § 661a BGB wird dadurch umschrieben, dass eine Mitteilung des Unternehmers an den Verbraucher erfolgt. Diese muss den Eindruck erwecken, dass der Empfänger (hier der Verbraucher) bereits einen Preis gewonnen hat. aa. Feste Zusage des Gewinns Zur Beurteilung des mitgeteilten Inhalts – Zuerkennung eines Preises – ist nicht auf die subjektive Vorstellung des konkreten Adressaten über einen Preisgewinn abzustellen. Man hat vielmehr nach dem objektiven Empfängerhorizont179 auf die generelle Eignung der Information zu rekurrieren, bei einem durchschnittlichen Verbraucher in der Lage des Empfängers den Eindruck eines Preisgewinns zu erwecken.180 Es ist damit auch nicht erforderlich, dass der Empfän175
Vgl. dazu etwa das bemerkenswerte Urteil des AG Waren v. 2.2.2005 – 31 C 58/05, besprochen von Tamm/Gaedtke, IPRax 2006, 584; ferner Tamm/Gaedtke, VuR 2006, 167 ff. 176 PWW/Mörsdorf-Schulte (3. Aufl., 2008), § 661a Rn. 5. 177 LG Wuppertal NJW-RR 2001, 1276; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 5. 178 Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 5; Wagner/Potsch, Jura 2006, 402 ff. 179 BGH NJW 2004, 1652; OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 1063; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 495 Rn. 20; Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 661a Rn. 2; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 2. 180 Allerdings kann auch der Verbraucher, der die Gewinnzusage als bloßes Werbe- bzw. Lockmittel durchschaut hat (oder durchschauen konnte), nach § 661a BGB den angeblich gewonnenen Preis verlangen, § 116 S. 2 BGB findet somit keine Anwendung (BGH NJW 2004, 1653).
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ger dem Schreiben tatsächlich Glauben schenkt. Auch der Verbraucher, der die Gewinnzusage im Einzelfall als bloßes Werbemittel durchschaut oder durchschauen könnte, ist berechtigt, die Leistung des zugesagten Preises zu verlangen.181 Ebenso wenig erforderlich bzgl. des Eindrucks des Gewonnenhabens ist ein Spielelement.182 Es kann allerdings erwartet werden, dass der Verbraucher nicht nur die durch größere Schrifttypen drucktechnisch hervorgehobenen Passagen zur Kenntnis nimmt, die einen Gewinn mitteilen, sondern auch Sätze des Fließtextes liest, die sich zwischen den herausgestellten Sentenzen befinden und den Gewinn eventuell relativieren.183 bb. Problem: Haftungsausschlüsse und -einschränkungen Anders beurteilt sich die Sachlage aber dann, wenn die für sich betrachtet an bestimmter Stelle „fest“ gegebene Gewinnzusage durch versteckte Hinweise in Gewinnbedingungen teilweise ausgehöhlt oder insgesamt für unverbindlich erklärt werden und damit zu abgeschlossenen Erklärungseinheiten eine zweite, diese negierende, über die „Hintertür“ hinzutritt, die üblicherweise bei Auslegung der Gewinnmitteilung eine vollkommen untergeordnete Rolle spielt. Dieses Vorgehen ist bei Gewinnmitteilungen fast symptomatisch. Der Versender bezweckt damit, sich im Streitfall der Haftung aus § 661a BGB zu entziehen. Derartige Angaben werden von der Rechtsprechung regelmäßig unter Zugrundelegung AGB-rechtlicher Wertungen für unbeachtlich erklärt.184 Dogmatisch besser ist es wohl, diese versteckt nachgeschobenen Einschränkungen der Haftung (unabhängig von ihrer AGB-rechtlichen Beschaffenheit) von vornherein außer Betracht zu lassen, weil sie sich dem objektiven Empfänger nicht aufdrängen und damit das einmal gegebene Bild der Primärerklärung nach §§ 133, 157 BGB nicht wieder relativen können.185 Im Ergebnis bedeutet dies: Versteckte Hinweise auf die Unverbindlichkeit der Mitteilungen oder andere Einschränkungen hindern den Anschein eines Preisgewinns nicht, wenn sie nach der Gestaltung gegenüber den Aussagen über den angeblichen Gewinn vollkommen zurücktreten, egal ob sie in AGB-Form in Erscheinung treten oder nicht und selbst wenn sie ihrem Wortlaut nach eindeutig gefasst sind.186 Ein Widerruf der Mitteilung analog § 658 I BGB ist überdies – auch das unterstützt die vorgenannte Wertung – unzulässig. 181
BGH NJW 2006, 230 ff. AG Bremen NJW-RR 2002, 417. 183 OLG Hamm OLGR 2007, 285. 184 Kritisch OLG Rostock NJW-RR 2006, 209 ff.; OLG München NJW 2004, 1671; Hamm MDR 2003, 17. 185 BaRoth/Kotzian-Marggraf (2003), § 661a Rn. 2. Damit kann ein Rückgriff auf die §§ 305 ff. BGB unterbleiben, die ohnehin nur entsprechend anwendbar wären, vgl. dazu auch Tamm/Gaedtke, VuR 2006, 169 ff. 186 OLG Bremen NJW-RR 2004, 348 ff.; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 4. 182
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cc. Sachlicher und personaler Bezugspunkt der Gewinnmitteilung Bei dem von der Mitteilung bezogenen Preis/Gewinn kann es sich um jede Form der unentgeltlichen Leistung handeln, z.B. um Bargeld, die Lieferung eines Gegenstandes, die Erbringung einer Dienstleistung, die Einräumung einer Nutzungsmöglichkeit oder die Begründung eines (Zahlungs-)Anspruchs. Der Begriff ist grundsätzlich weit zu verstehen.187 Auch an die Bestimmtheit des Preises sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.188 In der Regel werden sich derartige Mitteilungen als EDV-gefertigte Serienbriefe an namentlich angesprochene Verbraucher richten; eine persönliche Bezeichnung ist nicht notwendige Voraussetzung der Erfüllungshaftung des Versenders. dd. Problem: Mitwirkungsobliegenheit des Empfängers Uneinigkeit besteht in der Rechtsprechung aber darüber, ob das Aufstellen von Bedingungen durch den Versender für das Abrufen des Gewinns (Rücksendung der Gewinnmarke, Frist zum Gewinnabruf, Warenbestellung etc.) zulässig ist und somit Voraussetzung zur Komplettierung des Leistungsanspruches nach § 661a BGB sein kann. Entscheidend bei der Beantwortung dieser Frage muss sein, dass der Versender nach dem Wortlaut des § 661a BGB bereits mit Zugang der Mitteilung haftet und diese Haftung nicht durch die Aufstellung von Mitwirkungsobliegenheiten des Empfängers umgehen können sollte, ansonsten liefe der Sanktionscharakter der Norm häufig leer.189 Wenn die Norm gerade keine zusätzlichen, über das Gewinnversprechen hinausgehenden Qualifizierungen postuliert190 und das Gewinnversprechen bereits objektiv nach dem Empfängerhorizont auszulegen ist, darf es auf „nebensächliche Formalhürden“, wie Mitwirkungshandlungen des Verbrauchers, die ordnungspolitisch unerwünscht sind und unterbunden werden sollen, gerade nicht ankommen.191 ee. Verkörperung der Mitteilung Das von § 661a BGB zusätzlich in Bezug genommene Merkmal der Zusendung der Gewinnmitteilung verdeutlicht aber, dass die Information über den Gewinn verkörpert sein muss.192 Jedoch gilt auch hier, dass der Maßstab großzügig anzusetzen ist. Die Art der Verkörperung ist beliebig: Es genügen nicht nur pos-
187
BT-Drucks. 14/3195, S. 34; MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 5. Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 2. 189 BGH NJW 2006, 2549; PWW/Mörsdorf-Schulte (3. Aufl., 2008), § 661a Rn. 8. 190 OLG Braunschweig OLGR 2003, 47. 191 OLG Oldenburg OLGR 2003, 165 ff.; LG Braunschweig IPRax 2002, 213; a.A. OLG Thüringen OLG-NL 2006, 241; OLG Schleswig OLGR 2005, 120. 192 BaRoth/Kotzian-Marggraf (2003), § 661a Rn. 3; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009) Rn. 2; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 4; MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 8. 188
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talische Sendungen aller Art, sondern auch Beilagen zu Päckchen, ein Fax oder eine E-Mail.193 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Rechtsfolge aus § 661a BGB ist der Anspruch des Verbrauchers gegen den Unternehmer, der als Versender auftritt, auf Leistung des versprochenen Preises. Bei Ankündigung mehrerer Gewinne hat der Empfänger ein Wahlrecht.194 a. Versenderbegriff Versender und damit Anspruchsgegner ist nach der Rechtsprechung des BGH derjenige, den ein durchschnittlicher Verbraucher in der Lage des Empfängers der Gewinnzusage als Versprechenden ansieht, wenn er die Gewinnmitteilung an den Empfänger veranlasst hat.195 Es gelten hier die Vertretungsvorschriften, insbesondere die Grundsätze für unternehmensbezogene Geschäfte und für das Handeln unter fremdem bzw. falschem Namen.196 Danach ist als Versender der Gewinnmitteilung auch derjenige einzustufen, der den Empfänger unter nicht existierendem oder falschem Namen die Information über seinen Gewinn zukommen ließ.197 Bedeutsam ist dies etwa für die in der Praxis recht häufig auftretenden Fälle der Verwendung nichtexistierender oder falscher Namen von Firmen, Geschäftsbezeichnungen oder Anschriften. Nicht gefolgt werden kann allerdings der Auffassung, auch solche (natürlichen oder juristischen) Personen in den Versenderbegriff mit einzubeziehen, die auch in Hinblick auf §§ 133, 157 BGB lediglich Hilfsdienste leisten oder wirtschaftlich von der Versendung profitieren, indem sie etwa als Telekommunikationsdienstleister Gebühren aus der Benutzung von Mehrwertdienste-Rufnummern oder als Verkäufer die Kaufpreiszahlungen aus den Warenbestellungen vereinnahmen.198 Zwar mögen diese Bemühungen um eine Ausweitung des Versenderbegriffs vor dem Hintergrund der oftmals anzutreffenden Vermögenslosigkeit der (eigentlichen) Versender bzw. ihrer fehlenden Greifbarkeit bei bloßer „Briefkastenanlage“ verständlich sein. Diese Sichtweise führt jedoch im Ergebnis zu einer nicht wünschenswerten, uferlosen, vom Wortlaut des § 661a BGB nicht mehr ge193 BaRoth/Kotzian-Marggraf (2003), § 661a Rn. 3; zum Internet vgl. Schneider, BB 2002, 1653, 1654 Fn. 23; i.Ü. MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 8. 194 OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 1063; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 4. 195 BGH NJW-RR 2005, 1365; BGH NJW 2005, 827; BGH NJW 2004, 3555; Jauernig/ Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 5. 196 BGH NJW 2004, 3555; BGH NJW-RR 2006, 701; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 2a. 197 BGH NJW 2005, 827; BGH NJW 2004, 3555; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 5. 198 So aber LG Darmstadt Urt. v. 27.8.2003 – 9 O 65/03; ähnl. Bornemann, VuR 2004, 434.
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deckten und insofern auch die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Ausweitung des Kreises der potentiell haftenden Personen, auf die dann ergebnisorientiert in Form einer Sekundärhaftung zugegriffen werden würde. b. Anspruchsentstehung und -umfang Der Anspruch gegen den (Schein-)Versender nach § 661a BGB richtet sich auf Erfüllung. Bei Gegenständen, die als Preis versprochen wurden, bedeutet dies, dass der Empfänger der Gewinnmitteilung einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung hat. Der Liefer- bzw. Leistungsanspruch entsteht mit Zugang der Gewinnzusage (§ 130 BGB analog) beim Verbraucher.199 Mitwirkungsobliegenheiten des Empfängers bestehen nach dem Sinn und Zweck der Regelung – wie bereits ausgeführt wurde – nicht. Erfüllungsort ist nach der bereits erwähnten Ansicht des BGH der Wohnsitz des Verbrauchers, selbst bei isolierter Gewinnzusage und in grenzüberschreitenden Fällen.200 Ob der Verbraucher im Einzelfall einen Vertrauensschaden erlitten hat, ist unerheblich. Ist dem Unternehmer die Leistung des Preises unmöglich bzw. kommt er mit ihr in Verzug, kann der Verbraucher, dem der Preis versprochen wurde, nach den allgemeinen Regeln Schadensersatz (vgl. §§ 280 ff. BGB) beanspruchen.201 Bei einer Kopplung von einer Gewinnzusage und einem Vertragsangebot kommt auch die Anwendung des § 138 I BGB in Bezug auf den daraufhin abgeschlossenen Vertrag in Betracht.202 Eine Anfechtung der Gewinnmitteilung seitens des Versenders nach § 119 I BGB ist ebenso wie ein Widerruf analog § 658 BGB ausgeschlossen.203 c. Beweislast und Prozesskosten Derjenige, der den Gewinnanspruch nach § 661a BGB geltend macht, hat nach allgemeinen Beweislastregeln die Zusendung einer Gewinnmitteilung durch den in Anspruch genommenen Unternehmer zu beweisen. Für den Fall, dass ein Vertretergeschäft in Betracht kommt, ist insbesondere der Grundsatz zu beachten, dass derjenige, der sich auf ein gültiges Vertretergeschäft beruft, die Beweislast für das Vorliegen einer Vertretungsmacht trägt.204
199
OLG Nürnberg NJW 2002, 3640; MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 14. BGH NJW 2006, 234; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 6; differenzierend Mörsdorf-Schulte, JZ 2005, 778 ff. 201 Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 661a Rn. 6. 202 BGH NJW 2005, 2991; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 661a Rn. 6. 203 Dörner, FS Kohlosser (2004), II, S. 75, 78; Schmidt-Räntsch, FS U. Huber (2006), S. 575, 582; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), Rn. 4; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 661a Rn. 4. 204 MüKo/Seiler (5. Aufl., 2009), § 661a Rn. 18; zum Prozessrisiko des Verbrauchers vgl. BaRoth/Kozian-Marggraf (2003), § 661a Rn. 7. 200
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d. Beratungs- und Prozesskostenhilfe, Allgemeine Rechtsschutzbedingungen Ob es immer sinnvoll ist, einen Prozess auf Leistung des Gewinns anzustrengen, ist jedoch eine andere Frage. Denn oft bereitet die Vollstreckung eines titulierten Anspruchs Schwierigkeiten. Verbrauchern, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse allein nicht in der Lage sind, einen Rechtsstreit auf Auskehr des Gewinns zu führen, ist jedoch trotz der – gerade bei Auslandsbezug – im Einzelfall schwierigen Rechtsdurchsetzung und Vollstreckung Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Entgegen der Ansicht des OLG Dresden205 besteht in Fällen von Gewinnzusagen durch eine im Ausland ansässige Gesellschaft kein unumstößlicher Erfahrungssatz, wonach die Vollstreckung einer titulierten Forderung aus der Gewinnzusage üblicherweise aussichtslos ist.206 Folgte man dieser Ansicht, würden der generalpräventive Zweck des § 661a BGB und die Effektivität der gesetzlichen Sanktionsnorm beschnitten, weil die Rechtserstreitung für viele Verbraucher unzumutbar bzw. aus Kostengründen unmöglich wäre. Zu trennen von dem staatlichen Rechtsgewährungsanspruch, der durch Prozesskostenhilfe flankiert wird und der auch bei § 661a BGB keinen Einschnitt duldet, ist freilich die Möglichkeit der privaten Rechtsschutzversicherer, Ansprüche aus Gewinnzusagen als Materien, die durch den Versicherungsvertrag ausgeschlossen sind, zu definieren, was durch neuere ARB regelmäßig der Fall ist.
B. Allgemeines vertragliches Verbraucherrecht Schon im vertraglichen Vorfeld zeigen die hierfür gesetzlich festgeschriebenen und im Übrigen nach § 242 BGB entwickelten Informationspflichten, dass der Gesetzgeber gerade das Verhältnis zwischen dem Unternehmer (§ 14 BGB) und dem Verbraucher (§ 13 BGB) als besonders regelungsbedürftig ansieht. Als dem Verbraucherrecht i.Ü. breitflächig zu öffnender Bereich hat sich das vertragliche Schuldrecht erwiesen. Denn das Verbrauchervertragsrecht ist durch die Vielzahl der bestehenden Regelung insgesamt zur Kernmaterie des Vertragsrechts avanciert. Dem im Zuge der Schuldrechtsreform ausgebauten und in das BGB integrierten Verbrauchervertragsrecht kommt (wie dem übrigen Privatrecht auch)207 eine wichtige rechtspolitische Gestaltungsaufgabe zu. War diese Aufgabe traditionell noch bis vor wenigen Jahren originäre „Spielwiese“ des nationalen Gesetzgebers, so ist das Handlungsfeld mit dem fortschreitenden wirtschaftlichen Zusammenwachsen der Europäischen Union mehr und mehr auf die Institutionen 205 206 207
OLG Dresden NJW-RR 2004, 1078. OLG Hamm VuR 2005, 192. Heck, AcP 146 (1941), 1 ff.; Hattenhauer, JuS 1986, 680 ff.
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der Europäischen Gemeinschaften übertragen worden, die heute für einen großen Teil der Rechtsetzung direkt oder mittelbar auch in diesem Bereich verantwortlich zeichnen.208 Außer den klassischen Gebieten des Wirtschaftsrechts, wie etwa dem Gesellschafts-209 und Arbeitsrecht,210 nimmt sich die Europäische Union in zunehmendem Maße der Harmonisierung des Verbrauchervertragsrechtes an.211 Besonders seit den 1980er Jahre entfaltet die Kommission auf dem Gebiet des Vertragsrechts eine rege Tätigkeit. Ob und wann es einmal ein umfassendes europäisches Schuld(vertrags)recht geben wird, ist zwar noch nicht abzusehen, 212 ein europäisches Verbrauchervertragsrecht ist aber schon recht umfangreich auf den Weg gebracht. Zur Umsetzung von verbraucherschützenden Richtlinien der Europäischen Union sind als nationale Rechtsetzungsakte u.a. das ProdHaftG, das HWiG, das VerbrKrG, das FernUSG, das TzWrG und das FernAbsG erlassen worden. Diese Gesetze wurden, ausgenommen nur das ProdHaftG und das FernUSG, durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts in das BGB inkorporiert. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 1. Januar 2002 hat daneben drei weitere Richtlinien umgesetzt: die Richtlinie 1999/44/EG vom 25. Mai 1999 über den Verbrauchsgüterkauf, die Richtlinie 2000/35/EG vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr und die Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über den elektronischen Geschäftsverkehr. Die materiell-rechtlichen Vorschriften des AGB-Gesetzes wurden in §§ 305–310 BGB, das HWiG in §§ 312 und § 312a BGB, das FernAbsG in §§ 312b–312d BGB, das TzWrG in §§ 481 ff BGB, das VerbrKrG in §§ 491 ff. und §§ 655a ff. BGB verankert. Aus den 208
Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des europäischen Privatrechts (1996),
S. 1. 209
Vgl. hierzu allgemein Hopt, ZIP 1998, 96 ff.; Blaurock, ZEuP 1998, 460 ff.; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht (1999). Zu der EWIV ist inzwischen die Europäische AG („Societas Europaea“) als zweite gesellschaftsrechtliche Gesellschaftsform hinzugekommen, siehe Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449 ff.; Hirte, NZG 2002, 1 ff. 210 Es gibt für den Bereich des Arbeitsrechts eine erhebliche Zahl von Richtlinien (siehe hierzu Preis, ZIP 1995, 892 ff.: mehr als 10), anderseits wirkt auch die umfangreiche Rechtsprechung des EuGH erheblich auf das Arbeitsrecht ein (siehe dazu etwa Hanau, DB 1998, 69 ff.). 211 Grundlegend Grundmann, JZ 1996, 274 ff.; Möllers, JZ 2002, 121 ff. 212 Die Europäische Kommission hat am 12.2.2003 hierzu einen Aktionsplan mit dem Namen „Ein kohärentes europäisches Vertragsrecht“ vorgelegt. Dieser schlägt eine Mischung aus nichtgesetzgebenden und gesetzgebenden Maßnahmen vor, um die Qualität und Kohärenz des Gemeinschaftsrechts im Bereich des Vertragsrechts durch Schaffung eines gemeinsamen Referenzrahmens zu verbessern, die Ausarbeitung EU-weiter Standardvertragsklauseln zu fördern etc. Zum Entwicklungsstand und der aktuellen Diskussion vgl. Dauner-Lieb, NJW 2004, mit dem Hinweis darauf, dass ein europäisches Schuldrecht zunächst erst einmal zu Irritationen, den Verlust an Rechtssicherheit und hohen Anpassungskosten führen würde. Zum Entwicklungsprozess findet sich ein Überblick bei Meyer, BB 2004, 1285 ff.
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verfahrensrechtlichen Vorschriften des AGB-Gesetzes ist das UKlaG hervorgegangen. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat durch die Integration der verbraucherschützenden Sondergesetze in das BGB den „Kodifikationsgedanken“ gestärkt und das Bürgerliche Gesetzbuch für Entwicklungen und Begriffe des Europäischen Rechts geöffnet.213 Der Gesetzgeber geht nunmehr mit Recht davon aus, dass der Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher der typische schuldrechtliche Vertrag ist und dass sich die auf den Kontrakt beziehenden Regelungen nicht seltene Ausnahmesituationen betreffen, die in Sondergesetzen geregelt werden können, sondern Kernkonstellationen regeln, die wegen ihrer praktischen Bedeutung in das BGB zu integrieren sind.214 Vor diesem Hintergrund ist es auch konsequent, dass das BGB in den Vorschriften über die Personen den „Verbraucher“ (§ 13 BGB) und den „Unternehmer“ (§ 14 BGB) als Zentralbegriffe des bürgerlichen Rechts definiert und sie den Vorschriften des Schuldrechts voranstellt. Der nun folgende Abschnitt unterteilt das zu referierende Verbrauchervertragsrecht: – in das Vertriebsrecht, das die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages reglementiert, – und in das übrige Vertragsrecht, das den Inhalt von Verträgen regelt. Alle hier darzustellenden Regelungen zeigen, wie weitflächig das Netz verbraucherschützender Vorschriften derzeit schon gespannt ist und wie dringend vor diesem Hintergrund die schließlich im 3. Teil aufzuwerfende Frage nach der Existenz eines im deutschen Recht verhafteten „Verbraucherschutzprinzips“ gestellt und beantwortet werden muss. I. Verbrauchervertriebsrecht Beginnen soll die Darstellung zunächst mit dem Verbrauchervertriebsrecht. Dazu ist zu sagen, dass sich bereits im letzten Jahrhundert im kaufmännischen Geschäftsverkehr die Erkenntnis durchsetzte, dass sich der Warenumsatz durch das Aufsuchen des Kunden beschleunigen lässt.215 Später erkannte man sehr schnell, dass ein Vertragsschluss auch im Distanzgeschäft erzielbar ist und zur Kostenreduktion führt. Vor diesem Hintergrund haben sich verbraucherschützende Gesetze schon immer mit besonderen „Vertragsschlussmodalitäten“216 be213 Dörner, Die Integration des Verbraucherrechts in das BGB, in: Schulze/SchulteNölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 177, 178; Möllers, JZ 2002, 121, 26 „Europäisierung des BGB“. 214 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), Einl. v. § 241 Rn. 28. 215 Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 167. 216 Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 214.
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fasst.217 So gab es bereits in der Vergangenheit Sonderbestimmungen für Haustürgeschäfte und Fernabsatzverträge. Dem Gedanken der Inkorporation der zivilrechtlichen Sondergesetze in das BGB folgend, wurden im Zuge der Schuldrechtsreform die für diese Geschäfte erlassenen Sondergesetze – das Haustürwiderrufsgesetz (HWiG) und das Fernabsatzgesetz (FernAbsG) – in das BGB integriert. Dabei wird der erhöhte Schutz des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer in den §§ 312 ff. BGB durch gesteigerte Informationspflichten, Widerrufs- und Rückgaberechte sowie die Unabdingbarkeit der schutzgewährenden Vorschriften sichergestellt. Ihnen an die Seite gegeben wurden besondere Bestimmungen zum elektronischen Geschäftsverkehr. Diese drei Bereiche, Haustürgeschäfte, Fernabsatzverträge, elektronischer Geschäftsverkehr, konturieren gegenwärtig das deutsche (Verbraucher-) Vertriebsrecht. Auf ihre Spezifika, ihren Umfang, ihre Regelungsdichte, soll nachfolgend genauer eingegangen werden. 1. Reglementierung von Haustürgeschäften Die historisch erste Reglementierung des Vertriebsrechts betraf die Haustürgeschäfte. Die Regelungen über Haustürgeschäfte sind auf die Gefahren des Direktmarketings ausgerichtet218 und dadurch gekennzeichnet, dass der Verbraucher durch Zuerkennung eines Widerrufsrechts vom Vertrag Abstand nehmen kann. Er soll damit vor denjenigen Nachteilen bewahrt werden, die sich aus der mit der Haustürsituation typischerweise verbundenen Überraschungs- und Überrumpelungsgefahr ergeben.219 a. Allgemeines Typisch für das Haustürgeschäft als Erscheinungsform des Direktmarketings ist es, dass die Initiative zur Aufnahme eines Geschäftskontaktes nicht (wie beim „Ladengeschäft“ üblich) vom Verbraucher, sondern vom Anbieter und seinen mehr oder weniger seriösen Hilfskräften (z.B. Außendienstmitarbeitern, Ver-
217 Bis zum Inkrafttreten des HWiG erfolgte die privatrechtliche Überprüfung derartiger Geschäftsgestaltungen über § 1 UWG a.F. Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 1 UWG verstößt nämlich eine wettbewerbliche Maßnahme, die von der Allgemeinheit missbilligt und als untragbar angesehen wird, gegen die guten Sitten. Die daraus abgeleiteten Grundsätze über die Zulässigkeit von gewerblichen Maßnahmen deckten sich faktisch mit dem später erlassenen HWiG. Eine solche, dem UWG „entrückte“ Regelung wurde trotz der dargestellten Rechtsprechung notwendig, weil der durch das UWG gewährte Schutz nur mittelbar wirkte. Denn die Wettbewerbswidrigkeit derartiger Praktiken ließ die Wirksamkeit der geschlossenen Verträge unberührt. 218 BaRoth/Ann (2. Aufl., 2007), § 312 Rn. 2; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Das neue Schuldrecht (2002), § 12 Rn. 15. 219 BGH MDR 2004, 641; BaRoth/Ann (2. Aufl., 2007), § 312 Rn. 1; Tonner, in: Tonner/ Micklitz (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 1.
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tretern, Drückerkolonnen etc.) ausgeht.220 Die Vertragsanbahnung wird „unbestellt“ in der Privatsphäre des Kunden, etwa an der Haustür, am Telefon, auf Partys, in Verkehrsmitteln, auf öffentlichen Verkehrswegen usw. initiiert. Dabei erleiden besonders unerfahrene Verbraucher regelmäßig gravierende Nachteile, da sie von dem Auftreten des Anbieters überrumpelt werden und insofern nicht auf Vertragsverhandlungen eingestellt sind.221 Der Unternehmer, der auf diesen Vertriebsmodus baut, kalkuliert typischerweise damit, dass der Verbraucher keine Möglichkeit hat, in der Schnelle einen Preis-/Leistungsvergleich durchzuführen. Der Konsument hat oft keine Überlegungszeit und befindet sich in einer inneren Zwangslage, das Gespräch durch ein abruptes „Entfliehen“ seinerseits rasch und unhöflich oder durch das Einlassen auf das Geschäft äußerlich einvernehmlich zu beenden. Sich hier auf ein abwehrendes Gespräch einzulassen, ist oft zeit- und nervenzerrend und nicht vielversprechend, denn der Veräußerer ist in der Regel bezüglich dieser Form der Vertragsanbahnung besonders geschult und ein erfahrener Geschäftsmann, der sein Publikum ganz genau kennt.222 Die Gefahren des Direktmarketings bestehen deshalb vor allem darin, dass die geschäftsunerfahrenen Verbraucher überraschend zum Vertragsabschluss verführt werden223 und dass für die auf Grund derartiger Geschäfte erworbenen Leistungen regelmäßig kein echter Bedarf besteht. Sie übersteigen zudem häufig die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kunden, auch, weil die geforderten Entgelte meist erheblich überteuert sind.224 b. Entstehungsgeschichte Auch wenn das Haustürwiderrufsrecht, wie wir es heute kennen, maßgeblich durch europäische Vorgaben beeinflusst ist, war das Recht zum Haustürwiderruf zunächst eigenständig als deutsches Gebilde konzipiert gewesen. Denn schon vor Erlass der Haustürwiderrufsrichtlinie am 20.12.1985 verabschiedete der Bundestag am 14.11.1985 das „Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften“. Es wurde am 16.1.1986 verkündet und trat am 1.5.1986 in Kraft. Der deutsche Gesetzgeber nahm mit der Verabschiedung der Vorgängerregelung der §§ 312 ff. BGB, dem früheren Haustürwiderrufsgesetz (HWiG), die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie als europäische Vorgabe zeitlich und zum großen Teil auch inhaltlich vorweg. Die Gesetzgebungsarbeiten im 220 So gut pointiert Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 167; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 1. 221 BGH ZIP 2007, 2106; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 2. 222 Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 167. 223 BGH NJW 1992, 1889 m.w.N.; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 1; MüKo/ Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 1. 224 Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), 167; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 312 Rn. 3.
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Bundesrat und Bundestag erfolgten parallel zur Richtlinienberatung in Brüssel und mündeten etwas schneller in einem Gesetz, als es die Beratungen auf europäischer Ebene taten. Angestoßen worden war die Schaffung eines verbraucherschützenden Haustürwiderrufsrechts auf nationaler Ebene ursprünglich durch eine Bundesratsinitiative Bayerns und Bremens.225 Nach der Etablierung des HWiG hielt es der deutsche Gesetzgeber Ende 1987, als die Frist zur Umsetzung der einschlägigen europäischen Richtlinie ablief, nicht für erforderlich, seine Vorgaben an das europäische Recht anzupassen. Man war der Meinung, das deutsche HWiG sei bereits ein vorweggenommenes Umsetzungsgesetz der Haustürwiderrufsrichtlinie.226 Diese Einschätzung stimmte jedoch nicht ganz. Das HWiG wich nämlich in einer Reihe von Einzelfragen von der Richtlinie ab.227 Unstimmigkeiten ergaben sich vor allem hinsichtlich des Anwendungsbereiches und der Widerrufsbelehrung. Erst nachdem der EuGH in der Rechtssache Heininger228 Unvereinbarkeiten mit der Richtlinie aufgezeigt hatte, nahm der nationale Gesetzgeber Korrekturen an den Vorschriften vor. Weil die deutschen Regelungen auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte aber auch heute noch nicht genau mit den europäischen Vorgaben übereinstimmen, erfordert die Anwendung der Bestimmungen zum Haustürwiderruf in besonderem Maße eine Überprüfung anhand der europarechtlichen Richtlinie.229 Bis zum Jahr 2000 erfuhren die deutschen Regelungen zum Haustürwiderruf keine inhaltlichen Änderungen. Diese ergaben sich erst im Zuge der Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie.230 Mit ihr strebte der Gesetzgeber eine gewisse Vereinheitlichung des deutschen Verbraucherschutzrechtes an.231 So verwies das Haustürwiderrufsgesetz mit Wirkung vom 30.6.2000 wegen der Widerrufsmodalitäten auf die neu geschaffenen §§ 361a und 361b BGB a.F. (heute: §§ 355 ff. BGB). Diese sahen nunmehr für alle Verbrauchergeschäfte, die ein Widerrufsrecht statuierten, ein einheitliches Widerrufs- und Rückgaberecht vor. Außerdem wurden die europarechtlich inspirierten Begriffe des Verbrauchers und Unternehmers in das BGB in den §§ 13, 14 BGB aufgenommen.232 225 Dazu Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 177, 185; Löwe, BB 1986, 821. 226 Vgl. dazu die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses zum HWiG, BT-Drucks. 10/4210, 9 f. 227 Zum Befund MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 15 f.; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 1; Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 177, 178. 228 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger. 229 Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 177, 178. 230 Vgl. das Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro v. 27.6.2000, BGBl. I, 857, 955. 231 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 3. 232 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 3.
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Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung233 überführte man mit Wirkung zum 1.1.2002 den noch im HWiG verbliebenen Rumpf an Bestimmungen in das BGB234 und stellte die Vorschriften in die §§ 312, 312a, 355 BGB ein. Spezialaspekte wurden in § 29c ZPO235 untergebracht. Sachliche Änderungen, die daran anknüpften, sind z.B. die Erweiterung der Pflicht zur Widerrufsbelehrung (§ 312 II BGB) und eine ursprünglich gemeinschaftswidrige, inzwischen aber durch Änderung von §§ 312a, 355 BGB im Rahmen des OLG-VertretÄndG236 nochmals modifizierte Regelung der Widerrufsfrist im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung. Bedeutsam an dieser Änderung zur Widerrufsfrist ist, dass damit die Vorgabe des früheren § 2 HWiG wegfiel. In § 2 HWiG war bestimmt gewesen, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers im Fall unterbliebener oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung erst einen Monat nach beidseits vollständiger Erbringung der Leistung obsolet wird. Der § 2 HWiG hatte in der Praxis häufig zur Folge, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers überhaupt nicht erlosch. An die Stelle des ursprünglichen § 2 HWiG war in der Fassung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zunächst der gemeinschaftswidrige § 355 III BGB (a.F) getreten, der im Grundsatz eine einheitliche Frist bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung für alle Widerrufsrechte aus Verbraucherverträgen vorsah. Diese Frist endete im Regelfall sechs Monate nach Vertragsschluss. Darin lag ein Verstoß gegen Art. 5 der Haustürwiderrufsrichtlinie. Denn nach der europäischen Regelung muss dem Verbraucher mindestens sieben Tage lang nach dem Zeitpunkt, zu dem ihm die Belehrung erteilt wurde, das Widerrufsrecht zustehen. Der EuGH hat diese Vorgabe dahingehend ausgelegt, dass das mitgliedstaatliche Recht nicht das Widerrufsrecht abschneiden darf, bevor eine Belehrung erteilt worden ist.237 Nach der dadurch erforderlich werdenden Änderung im Rahmen der so genannten „lex Heininger“ durch das OLG-VertrÄndG sind die Bestimmungen über die Widerrufsfrist in § 355 BGB modifiziert worden. Gemäß § 355 IV 3 BGB (n.F.) besteht jetzt im Ergebnis ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht nach § 360 BGB belehrt worden ist. c. Europarechtliche Aspekte Die §§ 312, 312a BGB sollen heute auch den Schutz des Verbrauchers, der auf europäischer Ebene durch die Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577/EWG vom 20. Dezember 1985 betreffend des Verbraucherschutzes im Falle von außer233
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I, 2001, S. 3138 ff. Dazu Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 1. 235 Diese Regelung betrifft den Gerichtsstand (auch für Klagen des Verbrauchers aus cic/ Delikt, vgl. dazu BGH DB 2003, 2120; Jauernig/Stadler [12. Aufl., 2007], § 312 Rn. 2). 236 BGBl. 2002 I, 2850. 237 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger. 234
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halb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen238 aufgegriffen wurde, sicher stellen. Die Haustürwiderrufs-Richtlinie wurde 1985 als erste Harmonisierungs-Richtlinie im Bereich des Verbraucherrechts erlassen. Auf sie folgten etwa die Richtlinie über Verbraucherkredite, die Pauschalreiserichtlinie, die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, die Timesharing-Richtlinie und die Richtlinien zum Fernabsatz und Verbrauchsgüterkauf. Zusammen zielen diese Richtlinien auf ein hohes Verbraucherschutzniveau innerhalb der Gemeinschaft, das zugleich mit dem herzustellenden Binnenmarkt verfolgt wird. Die Haustürwiderrufsrichtlinie, die die erste Verbraucherschutzrichtlinie der Gemeinschaft darstellte, bezieht sich auf den anbieterinitiierten Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen und sieht ein Widerrufsrecht vor, soweit Verbraucherverträge in Haustür- und ähnlichen Situationen geschlossen wurden. Sie geht zurück auf eine Entschließung des Rates von 1975 über eine Verbraucherschutzpolitik.239 Die Kommission legte im Jahr 1977 ihren ersten Richtlinienvorschlag vor240 und verfolgte damit vor allem das Ziel, durch das Vertragsrecht die Verbraucher bei Haustürgeschäften vor Überrumpelungen zu schützen. Dazu sollte den Verbrauchern innerhalb einer Bedenkfrist (so genannte „cooling-off period“) die Möglichkeit gegeben sein, vom Vertrag Abstand zu nehmen, um übereilte Entscheidungen von erheblicher Tragweite rückgängig machen zu können.241 Dies ergibt sich aus den den Art. 1–10 vorangestellten Erwägungsgründen der Richtlinie. Aus diesen wird auch ersichtlich, dass sich die Kommission bei Verabschiedung der Richtlinie von der Überzeugung leiten ließ, dass der Binnenmarkt behindert werde, wenn die Mitgliedstaaten, wie z.T. geschehen, den missbräuchlichen Handelspraktiken bei Haustürgeschäften mit unterschiedlichen Maßnahmen begegnen. Um dies zu vermeiden, sei es nötig, die einschlägigen Bestimmungen anzugleichen.242 Das Brüsseler Gesetzgebungsverfahren, das zugleich die Binnenmarktzielsetzung und den Verbraucherschutz verfolgte, verzögerte sich jedoch um einige Jahre, weil es gegen die Einführung einer Haustürwiderrufsrichtlinie erhebliche Widerstände aus der Wirtschaft gab und sich deshalb vor allem die deutsche Re-
238 Richtlinie 85/577/EWG v. 20.12.1985 betr. den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen, ABl.EG Nr. L 372/31 ff. 239 Entschließung v. 14.4.1975, ABl.EG 1975 C 92/1 ff. 240 ABl.EG 1977 C 22/6 ff. 241 Ebenda. 242 Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 177, 183, führte dazu an, das Argument vermag auf den ersten Blick kaum zu überzeugen, denn Geschäfte, die an der Haustür geschlossen werden, wirken typischerweise nicht über die Staatsgrenzen hinweg. Allerdings werden Kaffeefahrten auch ins Ausland unternommen. Vor allem aber setzen auch international agierende Unternehmen auf Direktvertrieb.
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gierung dem Vorschlag widersetzte.243 Erst nachdem sich auf nationaler Ebene auf Grund einer Initiative Bayerns und Bremens selbst ein Gesetzgebungsverfahren für diesen Bereich abzeichnete, stimmte die Bundesregierung auch der europäischen Gesetzgebungsinitiative zu. Der Rat, der die Haustürwiderrufsrichtlinie am 20.12.1985 beschloss, stützte seine Kompetenz auf den seinerzeitigen Art. 100 EWG-Vertrag. Die Richtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten in ihrem Art. 9, binnen vierundzwanzig Monaten nach Bekanntgabe der Regelung am 23.12.1985, die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Umsetzung zu treffen. Die Haustürwiderrufsrichtlinie verfolgte ausweislich ihres Art. 8 von Anfang an das Konzept der Mindestharmonisierung. Sie lässt damit dem nationalen Recht Freiräume zur besseren Ausgestaltung von Verbraucherrechten. Abgesehen hiervon bleiben jedoch die Mitgliedstaaten an höherrangiges Gemeinschaftsrecht gebunden. Deshalb setzen für eine nationale Ausweitung des Verbraucherschutzes insbesondere die Grundfreiheiten insoweit beachtliche Höchstgrenzen, als ihre Einschränkung zugunsten der Verfolgung von Verbraucherschutz nur dann erlaubt ist, wenn wiederum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (und der Nichtdiskriminierung) befolgt wird. d. Verhältnis zu anderen Vorschriften Mit der Schaffung des Widerrufsrechts des Verbrauchers bei Haustürgeschäften haben die §§ 55, 56 GewO ihren Verbotscharakter i.S.d. § 134 BGB verloren.244 Für das Bürgerliche Recht regelt § 312a BGB das Verhältnis des Widerrufsrechts nach § 312 BGB zu anderen Vorschriften. Darin ist bestimmt, dass dann, wenn dem Verbraucher zugleich nach Maßgabe anderer Regelungen (vgl. dazu §§ 312d I, 485 I, 495 I, 510 I BGB, § 4 FernUSG) ein Widerrufs- oder Rückgaberecht nach §§ 355, 356 BGB bzw. nach § 126 des InvestmentG zusteht, diese spezielleren Rechte vorgehen und die Ausübung des Widerrufsrechts aus § 312 BGB ausgeschlossen ist. Das Widerrufsrecht nach § 312 BGB ist damit grundsätzlich subsidiär.245 e. Regelungsinhalt Das Recht des Haustürwiderrufs steht nach § 312 BGB dem Verbraucher zu, der in einer „Haustürwiderrufssituation“ einen Vertrag über eine entgeltliche Leistung mit dem Unternehmer geschlossen hat und hiervon wieder loskommen möchte.
243 Zu diesen Umständen vgl. Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (1985), S. 177, 182 f. 244 OLG München OLGR 1998, 125; 1996, 185; BaRoth/Ann (2. Aufl., 2007), § 312 Rn. 3. 245 Hk-BGB/Schulte-Nölke, 5. Aufl. (2007), § 312a Rn. 1.
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aa. Persönlicher Anwendungsbereich Nach der Legaldefinition des § 312 I 1 BGB ist von einem Haustürgeschäft auszugehen, wenn der Vertrag in einer Haustürsituation zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB) zustande kommt. Da die Regelung hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs auf das Vorliegen einer Unternehmer-Verbraucher-Beziehung fokussiert, handelt es sich bei § 312 BGB um Verbraucherschutzrecht i.e.S. Die Legaldefinitionen der §§ 13, 14 BGB erlangen vor diesem Hintergrund eine zentrale Bedeutung für die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Norm. Bei der Frage, wer Unternehmer und Verbraucher i.S.d. §§ 13, 14 BGB ist, kann auf die vorhergehenden Ausführungen zur Konkretisierung der genannten Regelungen verwiesen werden.246 Gesondert hinzuweisen ist lediglich auf den Umstand, dass nach der nunmehr maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ein GmbH-Geschäftsführer Verbraucher ist, und zwar auch dann, wenn er eine Schuld der GmbH übernimmt oder sich für sie verbürgt. Denn der Geschäftsführer einer werbenden GmbH ist weder Kaufmann i.S.d. §§ 1 ff. HGB noch Unternehmer gemäß § 14 BGB. Nur die GmbH selbst ist nach § 6 HGB, § 13 GmbHG Kaufmann.247 Darauf aufbauend entschied der nunmehr für das Bürgschaftsrecht zuständige XI. Senat des BGH konsequenterweise, dass das Widerrufsrecht eines Verpfänders gemäß § 312 I 1 BGB nicht von der Verbrauchereigenschaft des persönlichen Schuldners oder aber von einer auf diesen bezogenen Haustürsituation abhänge.248 Daher ist im Zusammenhang mit dem Haustürwiderruf bei Bürgschaften nunmehr auch davon auszugehen, dass diese Frage in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung249 nicht mehr vom Charakter der Hauptschuld abhängig gemacht werden kann.250 Vielmehr ist ausschließlich darauf abzustellen, ob der Bürge Verbraucher ist und die Bürgschaftserklärung im Rahmen einer Haustürsituation abgegeben wurde.251 Folglich ist auch die Rechtsprechung zur „doppelten Haustürsituation“ aufgegeben worden; die Begründung des BGH, dass die Gefahr einer Überrumpelung in einer ungewöhnlichen räumlichen Situation unabhängig davon bestehe, ob die Hauptschuld ein Verbraucherdarlehen oder ein gewerblicher Kredit sei, überzeugt insoweit voll und ganz.252
246
Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel A III, IV. BGH NJW 2006, 431 = WM 2006, 81; unrichtig daher OLG Frankfurt/M. OLGR 2006, 897. 248 BGH MDR 2006, 764 = NJW 2006, 845. 249 BGH NJW 1998, 2356. 250 So zur Konsequenz der Rechtsprechungsentwicklung Rohlfing, MDR 2007, 809, 810. 251 Ebenso Fischer, VuR 2006, 199 f. 252 So auch OLG Brandenburg, Urt. v. 11.10.2006 – 4 U 63/06; Rohlfing, MDR 2007, 809, 810. 247
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bb. Sachlicher Anwendungsbereich Für die Auslösung des Rechts zum Verbraucherwiderruf ist nach § 312 I 1 BGB nicht allein die Existenz einer Verbraucher-Unternehmer-Beziehung entscheidend. Hinzukommen muss, dass der Vertrag, zu dem der Verbraucher bestimmt wird, eine entgeltliche253 Leistung zum Gegenstand hat und die Bestimmung zum Vertragsschluss nach besonderen (im Gesetz enumerativ benannten) situationsbedingten Umständen: – durch mündliche Verhandlung am Arbeitsplatz des Verbrauchers oder in der Privatwohnung desselben (Nr. 1), – auf einer Freizeitveranstaltung (Nr. 2) – oder in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf öffentlichen Verkehrswegen (Nr. 3)254 zustande kommt oder angebahnt wird. (1.) Entgeltliche Leistung Der Vertrag, auf den die Abgabe der Willenserklärung fokussiert ist, muss nach der insoweit offenen Gesetzesformulierung zwar nicht unbedingt ein gegenseitiger Vertrag sein. Er muss allerdings auf eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers gerichtet sein, die typischerweise eine Gegenleistung für eine Ware oder Dienstleistung darstellt. Damit wird doch eine gewisse „Gegenseitigkeitsausrichtung“ in Bezug genommen.255 Was für die Erfüllung des Merkmals der Entgeltlichkeit erforderlich ist, ist nicht immer leicht zu beurteilen. In Bezug auf den Beitritt zu Publikumsgesellschaften256 und den Abschluss von Mietverträgen257 wird das Tatbestandsmerkmal des entgeltlichen Vertrages bejaht, weil diese vertraglichen Vereinbarungen mit Zahlungsverpflichtungen verbunden sind, die an den Erwerb einer Rechtsposition anknüpfen. Strittig ist aber, ob § 312 BGB auch auf die Vereinsmitgliedschaft 258 oder auf den Genossenschaftsbeitritt anzuwenden ist, soweit diese/r in einer Haustürsituation zustande kam. 253 Der typische Fall ist ein Kaufvertrag. Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. v. 17.3.1998, Rs. C-45/96 – Dietzinger) ist nun auch die Bürgschaft als ein solcher Vertrag über eine entgeltliche Leistung anzusehen. Dies war zwischen dem IX. (BGH ZIP 1993, 223) und dem XI. Senat (BGH ZIP 1993, 585) des BGH lange Zeit streitig. Der Bürge hat nach der neueren Rechtsprechung aber nur dann ein Widerrufsrecht, wenn nicht nur er, sondern auch der Hauptschuldner ein Verbraucher ist und auch die Hauptschuld in einer Haustürsituation begründet worden ist (EuGH, Urt. v. 17.3.1998, Rs. C-45/96 – Dietzinger; jetzt BGH NJW 1998, 2356; kritisch Pfeiffer, ZIP 1998, 1129). 254 Ein öffentliches Verkehrsmittel liegt vor bei Bus, Bahn, Flugzeug und Schiffen, soweit diese allgemein zugänglich sind. Für die öffentlichen Verkehrswege wie Straßen, Parks etc. gilt ebenfalls das Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit als entscheidend. 255 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 6. 256 OLG Rostock BB 2001, 904; OLG Stuttgart ZIP 2002, 1885; BGH WM 2001, 1464. 257 OLG Koblenz NJW 94, 1418. 258 OLG Karlsruhe NJW 1991, 433: grundsätzlich nein.
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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Das Argument dagegen ist, dass das hier fällig werdende Beitrittsentgelt kein echtes „Entgelt“ i.S.d. Zahlung einer bestimmten Leistung ist,259 es sei denn, man legt den Begriff der Leistung und damit des Entgelts, das für sie bezahlt wird, sehr weit aus.260 Probleme könnte insoweit auch die Einordnung der an der Haustür abgegebenen Bürgschaftserklärung bereiten.261 Es ist aber sicher richtig, hier darauf abzustellen, dass die Hingabe einer Sicherheit ein geldwertes Geschäft darstellt, wobei diese Hingabe noch dazu in unmittelbarem Zusammenhang mit einem anderen geldwerten Geschäft stattfindet,262 aus dem der Sicherungsbedarf überhaupt erst herrührt.263 Gleiches muss für die Grundschuldbestellung oder eine andere Sicherheitenhingabe auf Grund eines Sicherungsvertrages gelten, wenn für den Sicherungsgeber oder Dritten damit irgendein wirtschaftlicher Vorteil verbunden ist.264 Sehe man dies nicht so, wäre daran zu erinnern, dass das Erfordernis der Entgeltlichkeit schon vor dem Hintergrund der Haustürwiderrufsrichtlinie „weit“ auszulegen ist.265 Denn die Haustürwiderrufsrichtlinie sieht das Erfordernis eines entgeltlichen Vertrages gerade nicht vor.266 (2.) Bestimmung des Verbrauchers zur Abgabe der Willenserklärung Anders als dies die Haustürwiderrufslinie voraussetzt, ist nach der nationalen Regelung (§ 312 I 1 BGB) nicht erforderlich, dass die Willenserklärung des Verbrauchers in der Haustürwiderrufssituation bereits abgegeben worden ist. 267 Es reicht aus, wenn er hierzu in der entsprechenden Situation „bestimmt“, d.h. angeregt wurde.268 Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem „Bestimmen“ in der „Haustürsituation“ und der (ggf. später erfolgten) Vertragserklärung wird für den Nachweis des Kausalzusammenhangs vom Gesetz nicht gefordert.269 Die von einem engen zeitlichen Zusammenhang ausgehende Indizwirkung für ei259
MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 30. Verneinend: OLG Karlsruhe NJW 1991, 433; Rohlfing, MDR 2007, 809, 810. 261 Vgl. dazu noch BGH NJW 1998, 2356. 262 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 7. 263 Durch die Rechtsprechung des EuGH wurde bislang jedenfalls klargestellt, dass zumindest Bürgschaften, die ein Verbraucher für den Kredit eines Verbrauchers übernimmt, unter die Richtlinie fallen (EuGH, Urt. v. 17.3.1998, Rs. C-45/96 – Dietzinger); zur Rechtsprechungswende des BGH, nach dem Bürgschaften nun auch als entgeltliche Geschäfte angesehen werden können vgl. BGH NJW 2006, 845; siehe auch Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 6. 264 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 7; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 15; Kulke, NJW 2006, 2223 ff. 265 In diesem Sinne auch Hk-BGB/Schulte-Nölke, 5. Aufl. (2007), § 312 Rn. 6. 266 Ebenda. 267 BGH NJW 2006, 497; OLG Karlsruhe WM 2006, 676, 678; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 32. 268 BGH NJW 2006, 3349; BGH NJW-RR 2006, 1419; BGH NJW 2004, 2744; BGH WM 2004, 521 f.; BGH NJW 1994, 262. 269 BGH NJW 2006, 3349; BGH NJW 2003, 2529. 260
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nen Überrumpelungseffekt, der ausgenutzt wurde, nimmt aber mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen der Haustürsituation (vgl. dazu § 312 I Nr. 1–3 BGB) und dem geschlossenen Geschäft ab und kann nach einer gewissen Zeit ganz entfallen.270 Welcher Zeitraum für die Annahme des Merkmals des „Bestimmtseins“ erforderlich ist und welche Bedeutung möglicherweise auch anderen Umständen im Rahmen der Kausalitätsprüfung zukommt, ist eine Frage der Würdigung des konkreten Einzelfalls, die jeweils dem Tatrichter271 obliegt und die deshalb in der Revisionsinstanz grundsätzlich nur noch beschränkt überprüft werden kann.272 Nach der Rechtsprechung des BGH kann das Erfordernis der Kausalität bereits nach Ablauf von drei Wochen verstrichen sein.273 (3.) Vertragsschlussumstände Den drei charakteristischen Vertragsschlusssituationen, die von § 312 I 1 Nr. 1–3 BGB benannt werden, ist gemeinsam, dass der Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen stattfindet. Dieser Grundsatz kann und muss auch die Auslegung und Anwendung der einzelnen Bestimmungen leiten. Jedoch ist dabei zu beachten, dass die Aufzählung der in § 312 I 1 Nr. 1–3 BGB genannten Situationen enumerativen Charakter trägt; eine Analogie ist deshalb (anders als eine teleologische Reduktion, dazu noch später) nicht möglich. (a.) Mündliche Verhandlung am Arbeitsplatz, in der Privatwohnung § 312 I 1 Nr. 1 BGB besagt zunächst, dass eine Haustürsituation vorliegt, wenn der Verbraucher durch mündliche Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz oder im Bereich einer Privatwohnung zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt worden ist. Der Begriff des Arbeitsplatzes ist hier weit auszulegen.274 Zum Arbeitsplatz zählt jeder Ort im Betriebsgebäude und auf dem Betriebsgelände, an dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit verrichtet.275 Arbeitsplatz nach dieser Regelung ist i.Ü. nicht nur die Arbeitsstelle des unselbständig tätigen Arbeitnehmers, sondern auch der Arbeitsplatz des Selbständigen.276 Der Bereich der Privatwohnung, der ebenfalls in den Geltungsbereich der Bestimmung fällt, ist gleichfalls weit zu interpretieren.277 Er umfasst den gesamten räumlichen Wohnbereich, der dem Verbraucher oder anderen zum dauernden Aufenthalt dient.278 Dieser Wohnbereich erstreckt sich auf den Hausflur, den 270
BGH NJW 2004, 59; BGH NJW 2003, 2529. Rohlfing, MDR 2007, 809, 811. 272 BGH MDR 2007, 97. 273 BGH MDR 2007, 97. 274 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 8. 275 BGH NJW 2004, 2401; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 43; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 10; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 8. 276 So auch OLG Düsseldorf BB 1999, 1784; Hk-BGB/Schulte-Nölke, 5. Aufl. (2007), § 312 Rn. 8. 277 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 11. 278 BGH NJW 2006, 846; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 9. 271
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Garten sowie andere zugehörige Anlagen wie Garagen und private Parkplätze, da eben hier die private Sphäre dominiert. Entscheidend ist, dass der Verbraucher an diesen Orten auf ein werbemäßiges Ansprechen nicht eingestellt ist und sich in seiner Entschließungsfreiheit typischerweise eingeengt fühlt, weil er sich dem von anderer Seite initiierten Gespräch hier nicht ohne weiteres entziehen kann. Die dem Schutzbereich des Haustürwiderrufsrechts unterfallende Privatwohnung muss nicht notwendig jene des Verbrauchers selbst sein. Ausreichend ist, dass das Haustürgeschäft in irgendeiner zu privaten Zwecken aufgesuchten Wohnung initiiert wird.279 (b.) Freizeitveranstaltung Wird der Verbraucher anlässlich einer vom Unternehmer oder von einem Dritten zumindest auch im Interesse des Unternehmers durchgeführten Freizeitveranstaltung zum Geschäftsabschluss bewogen, kann der Vertrag vom Verbraucher nach § 312 I Nr. 2 BGB widerrufen werden. Unter einer Freizeitveranstaltung i.S.d. Regelung ist eine gewerblich motivierte Veranstaltung zu verstehen, deren Gesamtbild von einem Freizeiterlebnis ausgeht, das der Geselligkeit, der Erholung und Unterhaltung der Teilnehmer dient und bei dem das Freizeitangebot und die Verkaufsveranstaltung so miteinander verbunden sind, dass der Verbraucher in eine freizeitlich unbeschwerte Stimmung versetzt wird und den Verkaufszweck der Veranstaltung nicht unmittelbar erkennt.280 Hauptbeispiele sind die so genannte Kaffeefahrt oder Fahrten zur Weinprobe, die ein Busunternehmen durchführt, das einem anderen Unternehmer Gelegenheit zum Verkauf verschafft.281 (c.) Öffentliche Verkehrsmittel und öffentlich zugängliche Verkehrsflächen Das Recht zum Widerruf des Geschäfts wird dem Verbraucher schlussendlich nach § 312 I Nr. 3 BGB eingeräumt, wenn er im Anschluss an ein überraschendes Ansprechen in Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen zum Geschäftsabschluss bestimmt worden ist. Die Protektion des Verbrauchers vor überraschendem Ansprechen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen geht über die Haustürwiderrufsrichtlinie hinaus, die keine derartige Schutzsituation aufführt. Dies ist möglich, weil die Haustürwiderrufsrichtlinie als Mindeststandardrichtlinie konzipiert ist, sodass die Mitgliedstaaten höhere Schutzstandards setzen können. Ein überraschendes Ansprechen ist gegeben, wenn dieses ohne Ankündigung erfolgt und subjektiv unerwartet ist.282 Verkehrsmittel i.S.d. Regelung sind z.B. Schiffe, 279 BGHZ 144, 133, 136; BGH NJW 2000, 3498; BGH ZIP 2005, 67, 68; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 11. 280 BGH NJW 2004, 363; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 11. 281 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 12. 282 MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 53; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 12; PWW/Medicus (3. Aufl., 2007), § 312 Rn. 14.
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Flugzeuge, Busse und Bahnen, soweit sie öffentlich zugänglich sind. Zum Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen gehören nicht etwa nur Straßen und Plätze, sondern auch Bahnhöfe, Flughäfen, Privatwege, Verbindungswege und Passagen in Einkaufszentren außerhalb der Ladenlokale sowie große Hotelhallen.283 (4.) Explizite Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich Bestimmte Bereichsausnahmen vom sachlichen Schutzbereich, der zunächst durch § 312 I Nr. 1–3 BGB umschrieben wird, finden sich in § 312 III BGB. Die in § 312 III BGB geregelten Situationen gehen teilweise auf die Haustürwiderrufsrichtlinie zurück. Dies betrifft etwa den Widerrufsauschluss für Versicherungsverträge284 (vgl. § 312 III Nr. 1 BGB)285 und Bagatellgeschäfte (§ 312 III Nr. 2 BGB). I.Ü. wurde hier durch den Gesetzgeber das rezipiert, was die Rechtsprechung bereits herausgearbeitet hatte. (a.) Vorhergehende Bestellung Hat der Verbraucher den Unternehmer schriftlich, mündlich oder telefonisch zu Verhandlungen an den Arbeitsplatz oder in eine Wohnung „eingeladen“ und gehen diese Vertragsverhandlungen nicht auf eine Initiative des Unternehmers zurück, besteht nach § 312 III Nr. 1 BGB seitens des Verbrauchers kein Widerrufsrecht für den abgeschlossenen Kontrakt. Für eine vorherige Bestellung reicht allerdings ein allgemein geäußertes Interesse des Verbrauchers an einer Warenpräsentation oder an näheren Informationen nicht aus.286 Vielmehr ist es notwendig, dass die Ware oder Dienstleistung, an deren Erwerb der Verbraucher interessiert ist, hinreichend konkretisiert ist.287 I.Ü. ist zu beachten, dass die Rechtsprechung für die in § 312 III Nr. 1 BGB genannte „vorhergehende Bestellung“ eine Rückausnahme dahingehend entwickelt hat, dass bei einer durch den Unternehmer provozierten Bestellung des Verbrauchers § 312 I 1 BGB anwendbar bleibt.288 (b.) Bagatellbestellung § 312 III Nr. 2 BGB regelt sodann den Wegfall des Widerrufsrechts des Verbrauchers bei einer Bagatellbestellung. Diese liegt dann vor, wenn die Leistung bei Abschluss des Vertrages sofort erbracht und bezahlt wurde und das Entgelt von 40,– Euro nicht übersteigt. 283 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 8; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 12. 284 Kritisch Gilles, NJW 1986, 1131, 1147; Löwe, BB 1986, 821, 829. 285 Die Ausnahme wird kompensiert durch § 8 V VVG, der dem Versicherungsnehmer im nichtkaufmännischen Bereich ein ähnlich ausgestattetes Widerrufsrecht mit einer 14– Tagesfrist einräumt, wenn die Laufzeit des Vertrages mehr als ein Jahr beträgt. 286 Rohlfing, MDR 2007, 809, 812. 287 Rohlfing, ebenda. 288 BGHZ 109, 127 ff.; BGH NJW 2001, 509 ff.
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(c.) Notarielle Beurkundung Die notarielle Beurkundung des Geschäfts steht nach Maßgabe des § 312 III Nr. 3 BGB der Ausübung des Widerrufsrechts ebenfalls entgegen. Die Vorschrift erfasst alle notariell beurkundeten Willenserklärungen, also auch Verträge im Zusammenhang mit Immobilienfonds bzw. Bauherren- und Erwerbsmodelle und entsprechende Vollmachten zum Abschluss derartiger Verträge. Auf Grund des klaren Wortlauts der Regelung ist eine andere Auslegung, nach der u.U. eine notarielle Beurkundung das Widerrufsrecht nicht ausschließt, regelmäßig nicht möglich.289 Es wird allerdings im konkreten Einzelfall zu prüfen sein, ob die Beurkundung dem Beurkundungsgesetz genügt. Das wiederum wird Veranlassung geben zu kontrollieren, was im Rahmen der notariellen Beurkundung Gegenstand der Belehrung durch den Notar gewesen ist.290 Sollte z.B. ein Darlehensvertrag eben gerade nicht Gegenstand der notariellen Belehrung gewesen sein, so dürfte dann die notarielle Beurkundung richtiger Auffassung zufolge dem Widerruf der Willenserklärung zum Abschluss des Darlehensvertrages nicht entgegenstehen.291 (d.) Erlöschen nach wechselseitiger vollständiger Leistungserbringung Noch vor Ergehen der Heininger-Entscheidung des EuGH292 wurde das BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz geändert, welches erst zum 1.1.2002 in Kraft trat und die bis dahin geltende Regelung in § 2 I 4 HWiG ersetzte, wonach das Widerrufsrecht des Kunden bei beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung erlischt, dies obschon eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung unterblieben ist. Stattdessen wurde die Regelung in § 355 III BGB a.F. (heute: § 355 IV 1 BGB) geschaffen, wonach Widerrufsrechte generell sechs Monate nach Vertragsschluss erlöschen, wobei wiederum bei Lieferung von Waren die Frist frühestens mit der Lieferung beginnt. Als Folge der Heininger-Entscheidung des EuGH wurde die letztgenannte Vorschrift inzwischen ergänzt, Folge ist, dass das Widerrufsrecht nicht mehr wegfällt, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, vgl. dazu § 355 IV 3 BGB n.F. (5.) Teleologische Reduktionen des Anwendungsbereiches Über die expliziten Bereichsausnahmen, die § 312 III BGB aufstellt, muss eine teleologische Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 312 I 1 Nr. 1 BGB für den Abschluss und die Aufhebung eines Arbeitsvertrages am Arbeitsplatz vorge-
289 OLG Jena ZIP 2006, 1526 f.; unter Hinweis auf die aufgegebene Rechtsprechung des LG Karlsruhe ZIP 2004, 946. 290 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312 Rn. 31. 291 OLG Stuttgart, Urt. v. 20.11.2006 – 6 U 23/06; Rohlfing, MDR 2007, 809, 813. 292 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger.
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nommen werden.293 Zwar ist der Arbeitnehmer Verbraucher.294 Gegen die Anwendung des § 312 I 1 Nr. 1 BGB auf die Aufhebung und Änderung eines Arbeitsvertrages, die am Arbeitsplatz erfolgen, spricht jedoch, dass § 312 BGB gegen die typischen Gefahren einer besonderen Vertriebsform, nämlich das Ansprechen von Verbrauchern an Orten schützt, die zunächst nichts mit dem offerierten Geschäft zu tun haben, weil keine Sachnähe besteht, sodass es zu einer Überrumpelung kommt. Arbeitsverträge und ihre Aufhebung oder Änderung werden aber typischerweise im Betrieb des Arbeitgebers geschlossen.295 Zweifel kamen in der Literatur auch darüber auf, ob Änderungs- und Aufhebungsverträge über eine entgeltliche Leistung außerhalb des Bereiches des Arbeitsrechts unter § 312 BGB fallen, wenn sie in einer Haustürsituation abgeschlossen werden. Auch hier könnte es an einer Überrumpelungssituation fehlen, weil bereits ein Vertrag besteht und eine Offerte zur Modifizierung nicht per se überraschend ist.296 In der Wissenschaft gibt es z.T. Präferenzen dafür, die Regelungen zu den Haustürgeschäften stets auf Aufhebungsverträge anzuwenden, sie aber auch dann für Änderungsverträge heranzuziehen, wenn sie den Verbraucher belasten.297 M.E. scheint hier jede teleologische Einschränkung des Anwendungsbereiches von § 312 I BGB (über das oben gebrachte Beispiel der Änderung/Aufhebung des Arbeitsvertrages am Arbeitsplatz hinaus) unangebracht zu sein. Der Gesetzgeber hat nämlich gerade nicht nach der Art des an der Haustür geschlossenen Geschäftes differenziert. (6.) Zurechnung der Haustürsituation Insbesondere dann, wenn Anspruchs-/Haftungsgegner eine Bank bzw. Sparkasse ist, ist entgegen vormaliger Rechtsprechung nicht mehr zu prüfen, ob die Haustürsituation der Bank oder Sparkasse zuzurechnen ist. Nach richtlinienkonformer und dem Wortlaut von § 312 I BGB (bzw. § 1 HWiG) entsprechender Auslegung muss sich ein Vertragspartner, der nicht selbst die Verhandlungen führt, die in der Person des Verhandlungsführers objektiv bestehende Haustürsituation ohne weiteres „zurechnen“ lassen. Auf die Frage einer entsprechenden Anwendung des § 123 II BGB kommt es im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH298 nicht mehr an.299 293
Vgl. dazu schon meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel A III 4, wo besprochen wurde, dass der Arbeitnehmer als Verbraucher zu bewerten ist, allerdings aus den spezifischen verbraucherschutzrechtlichen Bestimmungen aus teleologischen Gründen Schutzbereichseingrenzungen folgen können. 294 BAG NJW 2005, 3305. 295 BAG ZGS 2004, 232; LAG Hamm NZA-RR 2003, 401; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 6; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 43; Staudinger/Thüsing (2005), § 312 Rn. 85. 296 Problematisierend PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312 Rn. 16a. 297 Franz, JuS 2007, 14 ff. 298 EuGH, Urt. v. 25.10.2005, Rs. C-229/04 – Crailsheimer Volksbank. 299 BGH MDR 2007, 229 ff.
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(7.) Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der das Widerrufsrecht auslösenden Umstände trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Verbraucher.300 f. Rechtsfolgen und Bewertung der Sanktionsmöglichkeiten Die Widerrufsfrist (gemäß §§ 312, 355 II 1 BGB: zwei Wochen) beginnt allerdings – was die Rechtsstellung des Verbrauchers stärkt – nur zu laufen, wenn die Widerrufsbelehrung nach § 360 BGB ordnungsgemäß erfolgt ist. Zu den in diesem Zusammenhang herausgearbeiteten Grundsätzen zur Ausübung des Widerrufs und den spezifischen Rechtsfolgen gemäß §§ 346 ff., 355 ff. BGB, insbesondere den mit ihnen verknüpften Problemen, kann hier auf die bereits zum Instrument des Widerrufs abstrakt ausgeführten Bemerkungen im Abschnitt „Allgemeine Instrumente des Verbraucherschutzrechts“ verwiesen werden.301 aa. Fehlende Disponibilität/Umgehungsverbot Die halbzwingende Geltung des § 312 BGB folgt aus § 312g S. 1 BGB, wonach die Vorschriften der §§ 312–312f BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abbedungen werden können. Das früher in § 5 I HWiG geregelte Umgehungsverbot ist nun in § 312g S. 2 BGB eingestellt worden. bb. Mehrzahl von Rechtsbehelfen/Auslegung der Erklärung zur Vertragslösung Herauszustellen ist, dass das Widerrufsrecht des § 312 BGB die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelfe, die das BGB gegen unseriöse Vertragsabschlüsse bereithält, unberührt lässt.302 Der Verbraucher kann somit grundsätzlich wählen, ob er sich zur Befreiung von ungewollten vertraglichen Bindungen auf das Widerrufsrecht des § 312 I 1 BGB stützen oder von einem der allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelfe Gebrauch machen will. Wenn sich der Widerruf als die für den Verbraucher günstigere Lösungsmöglichkeit darstellt, ist ein Vertragsauflösungsverlangen im Zweifel als Widerruf i.S.v. § 312 I 1 BGB zu interpretieren.303 cc. Einzelheiten bezüglich anderer Rechtsbehelfe Soweit Anfechtungsgründe nach §§ 119, 123 BGB im Fall von Haustürgeschäften vorliegen, steht § 312 I 1 BGB der Anfechtung des Rechtsgeschäftes durch den Verbraucher nicht entgegen. Dies gilt auch während des Laufes der Widerrufsfrist. Nach der Lehre von der „Doppelwirkung im Recht“ ist ja gerade auch die Anfechtung schwebend wirksamer und sogar nichtiger Rechtsgeschäfte zu300 301 302 303
AG Hamm, NJW 1994, 2159; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 36 ff. 2. Teil, 1. Kapitel B III. MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 76. Gilles, NJW 1986, 1146; MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 77.
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lässig.304 Hinzuweisen ist an dieser Stelle allerdings darauf, dass eine unterlassene Widerrufsbelehrung nicht schon eine arglistige Täuschung nach § 123 BGB darstellt. Denn hierfür sehen die §§ 312 ff., 355 BGB speziellere Sanktionsmechanismen (bspw. mit dem Hinausschieben der Widerrufsfrist) vor. Gleiches muss in Bezug auf die Unterlassung der Widerrufsbelehrung für die Frage der Heranziehbarkeit der §§ 311 II, 280 I BGB (cic) gelten. Auch diese sind durch das speziellere Instrumentarium verdrängt. Die Verletzung sonstiger, allgemeiner Aufklärungspflichten durch den Unternehmer im Rahmen des Haustürgeschäftes kann jedoch über §§ 311 II, 280 I BGB sanktioniert werden, so wie auch bei einem Vertrag, der nicht in einer Haustürsituation zustande kam. 2. Reglementierung von Fernabsatzgeschäften Neben den Haustürgeschäften haben sich Distanzgeschäfte auch in Form von Fernabsatzverträgen als „besondere Vertriebsform“305 etabliert. Über Fernabsatzverträge, für die sich dringender Regulierungsbedarf auftat, wurden bzw. werden Leistungen, die der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher mittels eines Betriebssystems erbringt, das ganz auf den Absatz von Produkten durch den Einsatz von Fernkommunikationsmitteln ausgerichtet ist (vgl. § 312b I 1 BGB), auf dem Markt platziert. Die Besonderheit in diesen Situationen liegt darin, dass die Vertragsparteien beim Vertragsschluss nicht unmittelbar aufeinander treffen und somit auch das Produkt nicht in Augenschein nehmen und prüfen können. Die Waren/Leistungen werden vielmehr in Katalogen, Briefen oder Anzeigen, auf Handzetteln, im Internet oder am Telefon beworben. Der Kunde bestellt per Brief, telefonisch, via Fax oder E-Mail. Hernach wird die Ware oder Leistung an den Kunden durch Zusendung oder in sonstiger Weise erbracht.306 a. Allgemeines Das Ziel des Gesetzgebers bestand bei der Einführung der fernabsatzrechtlichen Vorschriften darin, den Verbraucher vor den Gefahren eines übereilten Geschäftsabschlusses, aber auch vor den Auswüchsen irreführender und ggf. sogar aggressiver Verkaufsmethoden in Schutz zu nehmen.307 Das Gefahrenpotential rührte daher, dass es sich bei Fernabsatzverträgen um „Distanzgeschäfte“ handelt, bei denen die Verleitung zum Vertragsschluss über die schnelle anonyme Initiierung des Geschäfts besonders groß ist. Die Anonymität mangels des persönlichen, direkten Kontakts der Parteien führt auch zu einer gewissen Undurchsich304
MüKo/Masuch (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 81. Zum Begriff vgl. Artz, JuS 2002, 528, 534. 306 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 56. 307 Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2053; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 2; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 1; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 56. 305
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tigkeit des Produkts, das eingekauft wird, und das über die Distanz hinweg nicht eingehend geprüft werden kann.308 Die Anonymität findet ihren Fortgang sodann in der typischerweise vorfindbaren eingeschränkten Beratung des Kunden und der Schwierigkeit der Einschätzung der Seriosität des Anbieters.309 Der Gesetzgeber reagierte auf das Gefahrenpotential, das mit Fernabsatzgeschäften einhergeht, mit spezifischen Informationspflichten zu Lasten des Unternehmers und der Einräumung eines Verbraucherwiderrufs, wobei diese Instrumentarien ursprünglich im Fernabsatzgesetz (FernAbsG) niedergelegt waren. Das Fernabsatzgesetz310 selbst wurde in Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie verabschiedet und trat am 27.6.2000 in Kraft. Mit der Verabschiedung der Regelung verfolgte der Gesetzgeber eine neue, zweigleisige Strategie. Einerseits schuf er – der damaligen Tradition der Verbrauchergesetzgebung folgend – mit dem Fernabsatzgesetz ein Sondergesetz außerhalb des BGB. Andererseits gelangte er zu der Auffassung, dass zentrale Strukturelemente des Verbraucherrechts nunmehr so gefestigte Bestandteile des deutschen Privatrechts seien, dass sie Eingang in die zentrale Kodifikation des Privatrechts finden sollten. 311 Mit dem Gesetz vom 27.6.2000 kam es insoweit zur Einstellung zentraler Begriffe (Verbraucher/ Unternehmer: §§ 13, 14 BGB) und Instrumente (§§ 361a, 361b BGB a.F.: Widerruf und Rückgaberecht des Verbrauchers) in das BGB. Zur weiteren Richtlinienumsetzung wurden Regelungen über den Missbrauch von Zahlungskarten (§ 676h BGB) und über die Lieferung von unbestellten Waren (§ 241a BGB) in die Zentralkodifikation eingestellt. Mit der Schuldrechtsmodernisierung312 hat der Gesetzgeber schon 2001 sein Konzept erneut überdacht313 und sich nunmehr dazu entschieden, zentrale Verbraucherschutzgesetze, somit auch die Bestimmungen zum Fernabsatzrecht, in Gänze in das BGB zu inkorporieren. Die einschlägige Festlegung des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereiches der fernabsatzrechtlichen Schutzvorschriften findet sich im Anschluss daran in § 312b BGB. § 312d BGB statuiert das Widerrufs- und Rückgaberecht des Verbrauchers. § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB flankiert das Recht zur Abstandnahme vom Vertrag durch die Verpflichtung des Unternehmers, dem Verbraucher die wesentlichen Informationen zum Geschäftsabschluss und zur Geschäftsabwicklung auf einem 308
Vgl. dazu Erwägungsgrund 14 der Richtlinie, auch BReg. BT-Drucks. 14/2658 S. 15 f.; Dickie, JCP 21 (1998), 217 f.; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 1: „gesteigerte Ungewissheitssituation“. 309 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 63 f.; zum häufigen Informationsdefizit Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 3. 310 BGBl. I, 2000, S. 897 ff. 311 Zum systematischen Ansatz vgl. Tonner, BB 2000, 1413, 1414 ff. 312 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I, 2001, S. 3138 ff. 313 Zum Befund Schinkels, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 209, 234.
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dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen. Die allgemeinen Regelungen zum Widerrufs- und Rückgaberecht fanden Eingang in die §§ 355 ff. BGB. b. Entstehungsgeschichte Das deutsche Recht zum Fernabsatz beruht auf der Fernabsatzrichtlinie. 314 Knapp zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 1997 legte das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf eines Fernabsatzgesetzes vor.315 Im Januar 2000 wurde auf Grund der Kritik 316 an diesem Vorschlag ein stark überarbeiteter Regierungsentwurf317 veröffentlicht. In geringfügig veränderter Form trat das hernach fertig gestellte Fernabsatzgesetz (FernAbsG) am 27.6.2000 in Kraft.318 Eine lange Zeit der Bewährung war dem FernAbsG als eigenständigem Gesetz (außerhalb des BGB) allerdings nicht beschieden. Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung319 wurde es weitgehend unverändert in die zivilrechtliche Zentralkodifikation übernommen. Im Vorfeld seiner Integration ins BGB gab es erhebliche Diskussionen darüber, wie und wo die Vernetzung mit den übrigen Regelungen zu erfolgen hatte. Nach dem vom Bundesjustizministerium zunächst vorgelegten Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 4.8.2000 sollten Fernabsatzverträge gemeinsam mit den Vorschriften zu Haustürgeschäften in den §§ 477–478 BGB eine einheitliche gesetzliche Verankerung finden. Man hatte die Vorstellung, dass die Bestimmungen zum Fernabsatz in den „Besonderen Teil“ des Schuldrechts gehören. Eine konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfs wurde vom Justizministerium schließlich am 6.3.2001 herausgegeben. Für das Verbraucherschutzrecht ergaben sich im Vergleich zum Diskussionsentwurf erhebliche Unterschiede. Zum einen wurden die Vorschriften über Fernabsatzverträge und Haustürgeschäfte zu Recht nicht mehr als „besondere Formen des Kaufs“ angesehen, sondern rückten ihrem Inhalt als besondere Vertriebsformen gemäßer in den „Allgemeinen Teil“ des Schuldrechts auf. Bedeutender aber war der unternommene Versuch der Vernetzung der Vorschriften zu Haustür- und Fernabsatzgeschäf-
314
Richtlinie 97/7/EG v. 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl.EG Nr. L 144/19 v. 4.6.1997. 315 Ref. I B 2 3420/12–4 v. 31.5.1999, abgedruckt bei Härting, Fernabsatzgesetz (2000), S. 346. 316 Siehe dazu Artz, VuR 1999, 393, 394 ff.; Bülow, ZIP 1999, 1293, 1294 f.; Härting, CR 1999, 507, 509 ff.; Micklitz/Reich, BB 1999, 2093, 2094; Roth/Schulze, RIW 1999, 924, 927. 317 BR Drucks. 25/00 = BT-Drucks. 14/2658. 318 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro v. 27.6.2000, BGBl. 2000 I, S. 897, berichtigt S. 1139. 319 Vgl. dazu das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz v. 26.11.2001, BGBl. I, 2001, S. 3138 ff.
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ten in einheitlichen Normen über den Direktvertrieb (vgl. §§ 311d ff. BGB-Entwurf).320 Der so genannte „Vertrag im Direktvertrieb“, der geregelt werden sollte, erfasste danach eine Warenlieferung oder Dienstleistungserbringung, die als Vertrag „im Wesentlichen außerhalb von Geschäftsräumen angebahnt und abgeschlossen wird“ (§ 311d I BGB-Entwurf). Dieses Vorhaben stellte sich jedoch schnell als zu ambitioniert heraus. Der Gesetzgeber sah sich auf Grund der nicht aufeinander abgestimmten Anwendungsbereiche der Richtlinien 85/577/EWG und 97/7/EG letztlich außer Stande, in der Kürze der Zeit einheitliche, gemeinschaftskonforme Regelungen über den „Direktvertrieb“, der beide Regelungsmaterien (Haustür- und Fernabsatz) verband, in das BGB aufzunehmen.321 So blieb es nach dem grundsätzlichen Konsens über die Einstellung der Fernabsatzregelungen in das allgemeine Schuldrecht bei der Trennung von Haustür- und Fernabsatzbestimmungen. Beide wurden aber in den Abschnitt „Besondere Vertriebsformen“ (§§ 312 ff. BGB) eingefügt.322 c. Europarechtliche Aspekte Auf europäischer Ebene ist die Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997323 von ihrer inhaltlichen Ausrichtung her als Gegenpart zur Haustürwiderrufsrichtlinie konzipiert, wobei – ebenso wie bei den Haustürgeschäften – kein neuer Vertragstyp, sondern die dem Haustürvertrieb genau entgegengesetzte Form des Fernvertriebs reglementiert werden sollte.324 Ansätze zur Kodifizierung eines europäischen Fernabsatzrechts lassen sich bereits in den 1970er und 1980er Jahren ausmachen.325 Ein in diesen Zeitraum fallender Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen bezieht ausdrücklich auch den Versandhandel ein.326 Nachdem Ende 1985 die Haustürwiderrufsrichtlinie in Kraft trat, von der der Versandhandel noch nicht erfasst war, sollten die offenbaren Schutzlücken für den Verbraucher beim Direktmarketing möglichst schnell geschlossen werden.327 Der Europäische Rat billigte 1986328 eine entsprechende Mitteilung der 320
Vgl. zum Ganzen Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b BGB Rn. 6 f. BT-Drucks. 14/6040, S. 167. 322 Zum Sonderweg des europäischen Gesetzgebers bezüglich des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen vgl. Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 54 ff. 323 ABl.EG Nr. L 144/19 v. 4.6.1997. 324 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 1. 325 Vgl. dazu Reuter, Der Fernabsatz und seine rechtliche Ausgestaltung in der Europäischen Union (2003), S. 32 ff. 326 ABl.EG Nr. C 22/6 v. 29.1.1977. 327 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 53. 328 Entschließung des Rates v. 23.6.1986 betreffend die künftige Ausrichtung der Politik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Schutz und zur Förderung der Interessen der Verbraucher, ABl.EG Nr. C 167/1 v. 5.7.1986. 321
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Europäischen Kommission. 329 Nach der Kommissionsempfehlung gab es 1992 einen ersten Vorschlag der Kommission für eine „Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz“.330 Nach fast fünfjähriger Beratung und mehreren geänderten Vorschlägen331 wurde am 20.5.1997 die Fernabsatzrichtlinie verabschiedet.332 Hatte man für die Haustürwiderrufsrichtlinie als kompetenzrechtliche Absicherung noch Art. 100 EWG-Vertrag herangezogen, so stützte man die Fernabsatzrichtlinie bereits auf Art. 100a EGV. An der kompetenzrechtlichen Vorschrift wird deutlich, dass auch mit der Fernabsatzrichtlinie die Binnenmarktzielsetzung verfolgt wurde, zugleich aber der Verbraucherschutz innerhalb der Gemeinschaft sichergestellt werden sollte. Näheres dazu findet sich in den Erwägungsgründen der Richtlinie. Besonders wichtig war der Kommission, dass sich der Verbraucher an Unternehmen auch außerhalb seines Landes wenden kann und dazu die Möglichkeit hat, neue Technologien zu nutzen, um etwa Bestellungen aufzugeben. Trotz der Betonung der neuen Technologien geht es aber nicht nur um die Nutzbarmachung von Internet-Angeboten und das Tele-Shopping. Fokussiert wurde die klassische Form des Distanzvertriebes durch den Versandhandel; dieser sollte reglementiert werden.333 Die Fernabsatzrichtlinie war nach ihrem Art. 15 bis zum 4.6.2000 umzusetzen. In Deutschland trat das Fernabsatzgesetz aber erst mit Verspätung (am 30.6.2000) in Kraft. d. Verhältnis zu anderen Vorschriften Während die Anwendungsbereiche von Fernabsatz- und Haustürwiderrufsvorschriften über die Frage voneinander abgegrenzt werden, ob im Vorfeld des Vertragsschlusses selbst ausschließlich Fernkommunikationsmittel eingesetzt wurden (vgl. § 312b I BGB), knüpfen die E-Commerce-Richtlinie und deren Umsetzung in § 312e BGB an das für den Vertragsschluss gewählte Medium an.334 Vor diesem Hintergrund ist zwar eine Konkurrenz von Fernabsatzregeln (§ 312b BGB) und Haustürwiderrufsbestimmungen (§ 312 BGB) logisch ausgeschlossen.335
329
Neuer Impuls für die Verbraucherschutzpolitik, KOM (1985), 314 v. 23.7.1985. ABl.EG Nr. C 156/14 v. 23.6.1992; siehe dazu Micklitz, VuR 1993, 129 ff.; Präve, VersR 1993, 1066 ff. 331 Vgl. ABl.EG Nr. C 308/18 v. 15.11.1993; Gemeinsamer Standpunkt des Rates v. 29.6.1995, ABl.EG Nr. C 288/1 v. 30.10.1995. 332 Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz v. 29.6.1995, ABl.EG Nr. L 144/19 v. 4.6.1997. 333 Schinkels, in: Wiedmann/Gebauer (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 209, 231. 334 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 9. 335 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 3; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 21. 330
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Mögliche Überschneidungen im Anwendungsbereich von Fernabsatz- und E-Commerce-Richtlinie und deren deutsche Umsetzungsbestimmungen sind jedoch unübersehbar. Zur Auflösung der Anwendungskonkurrenzen statuiert § 312b V BGB grundsätzlich das so genannte „Günstigkeitsprinzip“.336 Weitergehende Vorschriften zugunsten des Verbrauchers bleiben danach unberührt. Das Konkurrenzverhältnis zum Widerruf nach den §§ 495 ff. BGB bzgl. Verbraucherdarlehens- und ihnen gleichgestellter Verträge ist jedoch nicht in § 312b V BGB, sondern in § 312d V BGB geregelt, und zwar durch eine Überlagerung des Widerrufsrechts nach § 312d BGB durch die besonderen Widerrufsrechte in §§ 495 ff. BGB. Für Versicherungen (vgl. den Ausschluss in § 312b III Nr. 3 BGB) gelten die §§ 8, 48a ff. VVG. e. Regelungsinhalt Die §§ 312b–d BGB regeln den Fernabsatz von Waren und Dienstleistungen im Verhältnis Unternehmer-Verbraucher. § 312b BGB definiert den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich. Für die Informationspflichten gilt die Sonderregel in § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB, für das Widerrufsrecht § 312d BGB. aa. Persönlicher Anwendungsbereich Die benannten Regelungen des Fernabsatzes gelten ausschließlich für den Unternehmer (i.S.d. § 14 BGB), der mit dem Verbraucher (i.S.d. § 13 BGB) einen Vertrag in Form des Fernabsatzvertrages anbahnt und später ggf. schließt. Das Fernabsatzrecht ist damit ebenso wie das Haustürwiderrufsrecht als reines Verbraucherrecht zu qualifizieren. Besonders bedeutsam ist insoweit der Umstand, dass die Unternehmereigenschaft in Bezug auf § 14 BGB schon sehr schnell „hergestellt“ ist. Denn auch wer nebenberuflich, etwa bei eBay, planmäßig mit Wiederholungsabsicht Waren zum Kauf anbietet (sog. „power-seller“), ist Unternehmer.337 Da der Unternehmer in vielen Fällen nicht sicher erkennen kann, ob er den Vertrag mit einem Verbraucher schließt, wird er häufig in seinen Vertragsbedingungen alle Vorgaben des Fernabsatzrechtes vorsorglich aufnehmen. Erfolgt insoweit für den Fall des Absatzes an einen Unternehmer keine Einengung, ist zu prüfen, ob gemäß §§ 133, 157 BGB das Fernabsatzrecht auf Grund vertraglicher Vereinbarung auch im B2B-Verhältnis Anwendung findet.338
336 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 10; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312 Rn. 6; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 105; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 21. 337 OLG Frankfurt/M. NJW 2005, 1438; OLG Koblenz NJW 2006, 303; Mankowski, CR 2006, 132 ff.; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 4; Palandt/Grüneberg (66. Aufl., 2006), § 312b Rn. 9. 338 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 2.
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bb. Sachlicher Anwendungsbereich Die Schutznormen der §§ 312b–d BGB knüpfen an den Abschluss eines Fernabsatzvertrages an. Der Begriff des „Fernabsatzvertrages“ ist in § 312b I 1 BGB legaldefiniert. In diese Kategorie der Vertragsanbahnung und des Vertragsschlusses werden alle Verträge über Waren oder Dienstleistungen eingestellt, die zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB) unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen werden.339 (1.) Vertragsgegenstand Erste Voraussetzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Regelungen zum Fernabsatz ist das Vorliegen eines Vertrages über eine Warenlieferung oder die Erbringung einer Dienstleistung. „Waren“ i.d.S. sind bewegliche Sachen und Wertpapiere, aber auch Strom, Gas, Wasser und Fernwärme.340 Diese Begriffsfestlegung stimmt mit dem europäischen (sehr weit gefassten) Warenbegriff überein.341 Als Dienstleistungen sind in Anlehnung an den (ebenfalls sehr weit gesteckten) europäischen Begriff342 und die Regierungsbegründung343 zum FernAbsG alle Leistungen anzusehen, die Gegenstand eines Dienst-, Werk- oder Geschäftsbesorgungsvertrages sein können.344 Die vom Gesetzgeber gewollte grundsätzliche Gleichbehandlung beider Vertragsgegenstände (Ware bzw. Dienstleistung) ist nicht so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn während beim Erwerb von Waren die fehlende Möglichkeit der unmittelbaren Prüfung als Erwägungsgrund für eine Sonderregelung auf der Hand liegt, ist dieser Schutzgrund bei Dienstleistungen nicht unmittelbar eingängig. Hier kann es nur um den beim persönlichen Kontakt im weiteren Maße vorhandenen Verhandlungsspielraum gehen, der im Fernabsatz regelmäßig fehlt.345 Begründbar ist die weite Fassung des Vertragsgegenstandes (Waren + Dienstleistungen aller Art) damit, dass es mitunter schwer fällt, Warenlieferung und Dienstleistungserbringung voneinander abzugrenzen, sodass ein kumulativer Schutz in jedem Fall sinnvoll erscheint, um keine Protektionslücke entstehen zu lassen.346 Als Dienstleistungen oder Waren, die im Fernabsatz angeboten wer339
Damit entspricht die Definition im Wesentlichen Art. 2 Nr. 2 der Fernabsatzricht-
linie. 340 Lorenz, JuS 2000, 833, 839; Riehm, Jura 2000, 505, 509; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 27; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 9. 341 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 27. 342 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 31. 343 BT-Drucks. 14/2658, S. 30. 344 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 9. 345 So jedenfalls Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 58. 346 Schwierigkeiten ergäben sich bei der Notwendigkeit einer genauen Abgrenzung etwa
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den, kann etwa die Beauftragung eines Maklers347 oder Rechtsanwalts348 zählen oder der Kauf eines Buches oder Kleidungsstückes. Selbst der kostenpflichtige Download von Musik aus dem Internet349 lässt sich als ein im Fernabsatz geschlossener Vertrag qualifizieren, Gleiches gilt für Providerverträge, die mit Verbrauchern im Internet oder am Telefon geschlossen werden.350 Soll die Ware ein körperlicher Vertragsgegenstand sein, verlangt § 312b BGB die ins Auge gefasste „Lieferung“. Auch dieser Begriff ist weit zu verstehen. Es ist danach unerheblich, ob die bestellte Ware an den Verbraucher oder einen Dritten geliefert wird, sofern nur der Vertrag über die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln mit dem Verbraucher zustande kam.351 Der Schutzzweck der fernabsatzrechtlichen Regelungen gebietet es zudem, dass im Einzelfall auch vereinbarte Selbstabholegeschäfte erfasst sind, soweit nur das Vertriebssystem 352 i.Ü. auf den „Fernabsatz“ zugeschnitten ist.353 Ob die Leistung des Unternehmers konkret gegen Entgelt erfolgt, sollte richtigerweise unerheblich sein.354 Zwar wird der Verbraucher bei unentgeltlichen Leistungen von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen. Jedoch können manche der Informationen nach § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB für ihn dennoch wertvoll sein, etwa für die Geltendmachung von Haftungsansprüchen (wenn z.B. die persönliche Kuscheldecke giftige Stoffe enthält) oder um den Wert des Geschenks zutreffend zu beurteilen.355 Erforderlich ist jedoch stets, dass die Leistung Gegenstand eines zwischen Unternehmer und Verbraucher geschlossenen Vertrages ist. bei Verträgen über die Informationsverschaffung, vgl. dazu Kamanabrou, WM 2000, 1417, 1424; Roth/Schulze, RIW 1999, 924, 927 f.; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 58; das Gleiche gilt u.U. für Softwaredownloads, siehe dazu Aigner/Hofmann, Fernabsatz im Internet (2004), Rn. 66; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 28; Ruff, Vertriebsrecht im Internet (2003), S. 198 f.; Schmitt, CR 2001, 838, 842 f.; Thewalt, CR 2002, 1, 4. 347 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 32; Neises, NZM 2000, 889, 890; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 58. 348 Aigner/Hofmann, Fernabsatz im Internet (2004), Rn. 66; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 32; Lütcke, Fernabsatzrecht (2002), § 312b Rn. 53; Baum/Trafkowski, CR 2001, 459, 460; Bürger, NJW 2002, 465, 466; Henke, AnwBl 2002, 106 ff. 349 Ende/Klein, Grundzüge des Vertriebsrechts im Internet (2001), S. 133 f.; Meents, CR 2000, 610, 613; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 58. 350 LG Itzehoe CR 2001, 788; LG Hamburg CR 2001, 475; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 33. 351 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 30; Rath-Glawatz/Dietrich, AfP 2000, 505, 506; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 58. 352 Wie Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 97/7/EG knüpft § 312b BGB an die Vertriebsstruktur, nicht aber an den konkreten Vertrag an (vgl. dazu Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2054). 353 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 59. 354 MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 9. 355 So MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 9 mit dem zutreffenden weiterführenden Hinweis, dass i.Ü. unentgeltliche Zusatzleistungen bei wirtschaftlicher Betrachtung einen integralen Bestandteil des entgeltlichen Angebotes darstellen, weil sie die Entscheidung des Kunden für das entgeltliche Angebot für gewöhnlich beeinflussen.
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Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass sich vor dem Hintergrund der Kumulation von weit verstandener Waren- und Dienstleistung, nahezu jeder Vertragstyp, der irgend etwas mit der Übereignung von Waren und der Erbringung von Diensten zu tun hat, als ein „Fernabsatzvertrag“ einstufen lässt, sofern nur Fernkommunikationsmittel bei seiner Anbahnung und seinem Abschluss eine Rolle spielen.356 (2.) Distanzgeschäft (Einsatz von Fernkommunikationsmitteln) Der Fernabsatzvertrag unterscheidet sich von allen anderen Vertragsschlüssen gerade dadurch, dass er die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (§ 312b I, II BGB) zur Vertragsanbahnung und -perfektionierung erfordert.357 Das zentrale Element des Fernabsatzvertrages ist somit nicht etwa die Benutzung eines bestimmten Fernabsatzmediums (so aber beim E-Commerce – der „Computer“), sondern generell die körperliche Abwesenheit der Parteien bei der Vertragsvorbereitung und dem Vertragsschluss.358 Unerheblich ist, dass der dann ggf. später nachfolgende Vollzugsakt, d.h. die tatsächliche Leistungserbringung, unter körperlicher Anwesenheit der Parteien erfolgt. Denn zu diesem Zeitpunkt sind vertragliche Pflichten bereits entstanden, ohne dass dem Verbraucher zuvor – wie im Geschäft vor Ort – eine tatsächliche Prüfungsmöglichkeit von Ware und Anbieter offen stand.359 Herauszustellen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Richtlinie 97/7/ EG und die fernabsatzrechtlichen Vorschriften des BGB keinesfalls die zivilrechtlichen Regelungen über das Zusammenspiel von Angebot und Annahme berühren.360 Damit bleibt es (anders als noch in den Vorentwürfen der Richtlinie) bei dem jeweiligen nationalen Verständnis. In diesem Sinne geht (nach deutscher Ansicht) das nach § 145 BGB bindende Angebot zum Vertragsschluss nach einer regelmäßigen invitatio des Unternehmers typischerweise vom Verbraucher aus.361 Entscheidend für die Anwendung der § 312b BGB ist lediglich, dass sowohl für das Vertragsangebot (§ 145 BGB) als auch die Annahmeerklärung (§§ 146 ff. BGB) von beiden Vertragsparteien Fernkommunikationsmittel eingesetzt werden. Das ist dann der Fall, wenn die entsprechenden Willenserklärungen ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Parteien insbesondere durch Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails sowie Rundfunk, Tele- und Mediendienste abgegeben werden (vgl. § 312b II BGB). Die Aufzählung der Fernkommunikationsmittel in § 312b II BGB ist nicht als abschließend zu verste356
MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 8. PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312b Rn. 5. 358 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 6. 359 Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2053; dies., Verbraucherprivatrecht (2003), S. 64; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 8. 360 Micklitz, EuZW 2001, 133, 134; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 34, § 312c Rn. 10. 361 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 35. 357
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hen.362 Das führt dazu, dass z.B. auch ein Bote, der keine näheren Auskünfte zum Vertrag geben kann, u.U. als ein „Fernkommunikationsmittel“ zu betrachten ist.363 Für die Charakterisierung des Vertrages als Distanzgeschäft ist es ferner gleichgültig, ob die Parteien gleichartige oder unterschiedliche Kommunikationsmittel benutzen. Wichtig ist jedoch die gesetzliche Vorgabe, dass der Kontrakt unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen wird. Schwierigkeiten bereitet insofern die Erfassung von Mischfällen, in denen auch, aber eben nicht „ausschließlich“ durch die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln der Vertrag zustande kommt (Bsp.: Vertreterbesuch beim Verbraucher, anschließend Vertragsschluss mittels Telefon).364 Für diese Mischfälle ist folgende Abgrenzung bezüglich der Frage der Anwendbarkeit der §§ 312b ff. zu empfehlen: Wenn die unter Anwesenden geführten Gespräche bereits Teil der Vertragsvorbereitung waren, ist das Fernabsatzrecht nicht anwendbar, soweit anlässlich des persönlichen Erstkontakts bereits alle wesentlichen Vertragspunkte besprochen waren und es nur noch einer späteren verbindlichen Vertragserklärung der einen Seite bedurfte, die dann unter Bezugnahme von Fernkommunikationsmitteln erfolgte.365 Sofern die Parteien bei der persönlichen Kontaktaufnahme im Vorfeld jedoch nur über Unwesentliches gesprochen haben, greift diese Einschränkung nicht. Hier bleibt es bei der Zuordnung zum Fernabsatzrecht. Die Beweislast für den Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln trägt – da es um die Darlegung seiner Besserstellung/Anspruchsposition geht – der Verbraucher.366 (3.) Für Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem Allein der Umstand der ausschließlichen Verwendung von Fernkommunikationsmitteln beim Vertragsschluss macht das Distanzgeschäft aber noch nicht vollends zum Fernabsatzvertrag i.S.d. §§ 312b ff. BGB. Entscheidend für die Zuordnung zum Fernabsatzrecht ist im weiteren, dass der Unternehmer (§ 14 BGB) im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems 362
MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 48. BGH NJW 2004, 3699; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 3; MüKo/ Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 50. 364 MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 52; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312b Rn. 8. 365 So auch Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 67; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 4; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 8; Riehm, Jura 2000, 505, 508. Hier kann die Seriosität des Anbieters im persönlichen Kontakt geprüft werden. Bei Dienstleistungen ist die Leistung ohnehin nicht vorher kontrollierbar. Nur der Gesichtspunkt der fehlenden Möglichkeit der vorherigen Warenprüfung bereitet hier Schwierigkeiten, wenn die Ware vor Ort beim persönlichen Kontakt nicht einsehbar war. Hierüber muss man aber wohl hinwegsehen, da andere nachvollziehbare Abgrenzungsmöglichkeiten für Mischfälle nicht bestehen. 366 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 35. 363
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handelt. Denn der Anbieter, der seine Ware in einem Laden vertreibt und nur gelegentlich telefonische Bestellungen annimmt und ausführt, soll vom Gesetz nicht mit umfangreichen Informationspflichten (§ 312c I BGB i.V.m. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB ) und der Rückabwicklung nach dem eventuell ausgeübten Verbraucherwiderruf (§ 312d BGB) belastet werden. Zielgruppe sind vielmehr Unternehmer, bei denen Fernabsatzgeschäfte die übliche Vertragsabschlusspraxis abbilden. Maßgeblich für die Bejahung des Merkmals ist, dass das Unternehmen entsprechende organisatorische Vorkehrungen getroffen hat, um regelmäßig im Fernabsatz Geschäfte zu betreiben.367 Dabei ist der Inhalt der Werbung bzw. des Angebots des Unternehmers als ein Indiz in die Wertung mit einzubeziehen.368 Obwohl der Gesetzgeber die Konkretisierung des notwendigen Organisationsgrades ausdrücklich der Rechtsprechung zugewiesen hat, 369 soll ein systematisches Angebot, den Vertrag über Fernkommunikationsmittel zu schließen, bereits ausreichen, um eine Fernabsatzorganisation anzunehmen. 370 Auch bedarf es keines hohen personellen Aufwandes, da bereits eine Homepage im Internet mit Bestellmöglichkeit geeignet ist, Verträge im Fernabsatz vorzunehmen.371 Wie bei der Fernabsatzrichtlinie gilt auch für die deutsche Regelung, dass der Anteil der mittels Fernkommunikationsmittel geschlossenen Verträge am gesamten Geschäftsaufkommen unerheblich ist;372 wesentlich ist vielmehr, dass der Fernabsatz möglich ist und planmäßig geschieht, sodass man nicht von zufälligen oder eher gelegentlichen Fernabsatzgeschäften spricht.373 Der Unternehmer trägt für das Nichtvorliegen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems die Beweislast.374 Das Gesetz arbeitet hier mit einer typischen Formulierung („es sei denn“).375 Die Abgren367
BT-Drucks. 14/2658, S. 30; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 56. BT-Drucks. 14/2658, S. 31; vgl. auch Härting/Schirmbacher, MDR 2000, 917, 918; Lorenz, JuS 2000, 833, 838; Micklitz/Reich, BB 1999, 2093 f.; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312b Rn. 8. 369 BT-Drucks. 14/2658, S. 31; kritisch zur Ausfüllungsbedürftigkeit und Unbestimmtheit PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312b Rn. 9 f. 370 Härting/Schirmbacher, MDR 2000, 917, 918; Lorenz, JuS 2000, 833, 838; Piepenbrock/ Schmitz, K&R 2000, 378, 379; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 50. 371 Ebenda. 372 Anders jedoch Dilger, Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Internet (2002), S. 69. 373 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 50; Tonner, BB 2000, 1413, 1416; Roth/ Schulze, RIW 1999, 924, 925; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 62 f. 374 Aigner/Hofmann, Fernabsatzrecht im Internet (2005); Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2053; Härting/Schirmbacher, MDR 2000, 917, 918; Roth, JZ 2000, 1013, 1015; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 52; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 11; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 62; kritisch Meents, CR 2000, 610, 917, 918. 375 Die Richtlinie 97/7/EG sieht diese für den Verbraucher günstige Regelung der Umkehr der Beweislast nicht vor. Sie ist jedoch i.S.d. Mindeststandardprinzips möglich und auch wegen der Unschärfe des Begriffes „Fernabsatzorganisation“ einzig praktikabel. 368
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zung zwischen den professionell organisierten Betriebssystemen und den nur gelegentlich im Distanzgeschäft agierenden ist freilich nicht immer einfach, das zeigt schon die Zuordnung des Unternehmens mit Bestellhomepage zur Fernabsatzorganisation, die doch als sehr weitreichend erscheint, zumal hier kein hoher personeller und sachlicher Aufwand erforderlich ist. Jedenfalls keinen Einfluss auf die Einordnung darf aus Gründen des effektiven Verbraucherschutzes die Selbsteinschätzung des Unternehmers haben. Für die Abgrenzung ist das Augenmerk besonders darauf zu legen, dass das Gesetz für die Qualifikation als Fernabsatzgeschäft allein an die „Struktur“ des anbietenden Unternehmens anknüpft.376 Und selbst hier sind keine aufwendigen organisatorischen Vertriebssysteme erforderlich. Es genügt, wenn der Unternehmer planmäßig mit dem Angebot die telefonische Bestellung und Zusendung der Sache bewirbt und seinen Betrieb so organisiert, dass Verträge im Fernabsatz geschlossen und abgewickelt werden können.377 Nicht im Fernabsatz „geschlossen“, sondern mittels eines Fernkommunikationsmittels nur angebahnt werden allerdings solche Verträge, bei denen der Verbraucher nur eine unverbindliche Terminabsprache über den Einsatz eines Fernkommunikationsmittels trifft, um den eigentlichen Vertrag später unter konkreter Benennung der Inhalte im persönlichen Kontakt mit dem Unternehmer zu schließen. Hierunter fallen etwa alle telefonisch angebahnten Frisörtermine, ggf. aber auch ein erstes Beratungsgespräche beim Arzt oder Rechtsanwalt, sofern die Verbindlichkeit bei der telefonischen Erstkontaktierung noch fehlte.378 (4.) Anwendungsausnahmen Der § 312b III BGB schränkt den sachlichen Anwendungsbereich des § 312b BGB noch weiter ein, denn hier sind acht Ausnahmetatbestände i.S.v. Bereichsausnahmen normiert. Zum einen werden an dieser Stelle solche Verträge ausgenommen, die in den Anwendungsbereich verschiedener Verbraucherschutzgesetze mit einem höheren oder gleichwertigen Schutzniveau fallen,379 zum anderen sind solche Geschäfte ausgeschlossen, bei denen die Erfüllung der Informationspflichten und die Einräumung eines Widerrufsrechts nicht praktikabel oder für den Unternehmer unzumutbar sind.380 I.S.d. beiden genannten Hintergründe finden die Vorschriften über Fernabsatzverträge keine Anwendung auf Verträge über Fernunterrichtsverträge nach § 1 FernUSG (Nr. 1), über 376
Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2053. BT-Drucks. 14/2658 S. 85. 378 AG Wiesloch JZ 2002, 671; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 11; Palandt/ Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 11; kritisch MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007 Rn. 52), die bedenkliche Schutzlücken ausmacht. 379 So ausdrücklich Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 68 f.; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 69. 380 MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 69; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 64. 377
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die Teilzeitnutzung von Wohngebäuden nach § 481 BGB (Nr. 2), über Finanzgeschäfte (Nr. 3), über die Veräußerung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten, die Begründung, Veräußerung und Aufhebung von dinglichen Rechten an Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten sowie über die Errichtung von Bauwerken (Nr. 4), über die Lieferung von Lebensmitteln (Nr. 5), über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitveranstaltungen (Nr. 6) sowie bei Verträgen, die geschlossen werden unter Verwendung von Warenautomaten oder automatisierten Geschäftsräumen oder mit Betreibern von Telekommunikationsmitteln auf Grund der Benutzung von öffentlichen Fernsprechern, soweit sie deren Benutzung zum Gegenstand haben. (a.) Weiterreichendes bzw. äquivalentes Verbraucherschutzrecht Zum weiter reichenden Verbraucherschutzrecht, das eine Anwendungsausnahme im Rahmen des § 312b III BGB legitimiert, zählt im deutschen Recht (vgl. dazu § 312b III Nr. 1 BGB) das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Voraussetzung der Eröffnung des Schutzbereiches des FernUSG ist nicht, dass der Vertrag als Distanzgeschäft geschlossen wurde (was i.d.R. jedoch der Fall sein wird). Maßgeblich ist allein, dass der Unterricht bei überwiegender räumlicher Trennung von Lehrendem und Lernendem erbracht wird. § 312b III Nr. 2 BGB regelt in ähnlicher Intention eine Bereichsausnahme gegenüber den Sondervorschriften zum Teilzeit-Wohnrechtegesetz. Das durch die Timesharing-Richtlinie vorgesehene Verbraucherschutzniveau ist erheblich höher als in der Fernabsatzrichtlinie. § 312b III Nr. 3 BGB nimmt zudem Verträge über Versicherungen und deren Vermittlung aus dem sachlichen Anwendungsbereich des Fernabsatzrechtes heraus, weil für diese (mit einem ähnlichen Schutzniveau) bereits Sondernormen in §§ 48a ff. VVG aufgestellt wurden.381 Strukturell in die gleiche Richtung geht die in § 312b III Nr. 4 BGB geregelte Ausnahme für Grundstücksgeschäfte.382 Die insoweit bestehenden „Spezialvorschriften“ sichern ein ausreichendes Schutzniveau für den Verbraucher; die § 312b III Nr. 1–4 BGB verhindern aus Transparenzgründen eine unübersichtliche Kumulation von Rechten und Pflichten.383 (b.) Unzumutbarkeit von Informationspflichten und Widerrufsrechten Die sonstigen Ausnahmen vom Anwendungsbereich der fernabsatzrechtlichen Regelungen bilden ein Konglomerat unterschiedlichster Sachverhalte, bezüglich derer der Gesetzgeber der Ansicht war, dass die Anwendung des Fernabsatzrechts in den geschilderten Situationen den Unternehmer unbotmäßig belasten
381 382 383
Vgl. dazu Schneider, VersR 2004, 696, 698 ff. Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 65. Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 12.
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würde und ihm somit – gerade auch mit Blick auf die Rechtsfolgen – nicht zumutbar ist.384 Die Ausnahme des § 312b III Nr. 5 BGB betrifft Verträge über die Lieferung von Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs und Lebensmittel, die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort oder am Arbeitsplatz des Verbrauchers vom Unternehmer im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden (so genannte „Pizza-Klausel“385).386 Erfasst sind davon alle angelieferten Gegenstände und Lebensmittel, die im Haushalt ge- oder verbraucht werden, d.h. praktisch das gesamte Sortiment eines Supermarktes einschließlich Zeitschriften, Video-Kassetten und CD-ROMs.387 Eine gewisse Einschränkung wird dadurch vorgenommen, dass die Gegenstände an den Wohnsitz, Aufenthaltsort oder Arbeitsplatz des Verbrauchers geliefert werden müssen. Die Lieferung selbst hat durch den Unternehmer oder seine Mitarbeiter zu erfolgen. Eine Zusendung durch die Post (oder durch ein vergleichbares Logistikunternehmen) fällt nicht unter diese Regelung.388 Die Auslieferung hat zudem im Rahmen häufiger oder regelmäßiger Fahrten zu erfolgen. Diese Eingrenzung betrifft das zentrale Merkmal der Bereichsausnahme.389 „Häufig“ ist die Anzahl der Fahrten dann, wenn sie für den Unternehmer mit einem nicht unbeträchtlichen wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand verbunden sind.390 Regelmäßig sind Lieferfahrten, wenn es sich bei ihnen um ein kontinuierliches Leistungsangebot des Unternehmers handelt.391 In § 312b III Nr. 6 BGB hat der deutsche Gesetzgeber sodann eine Ausnahme von den fernabsatzrechtlichen Vorschriften geregelt, die schon in der Fernabsatzrichtlinie (Art. 3 II 3. Spiegelstrich) Erwähnung findet. Es geht hier um die Darbietung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Freizeitgestaltung etc. (so genannte „touristische Dienstleistungen“), wobei sich der Unternehmer beim Vertragsschluss gegenüber dem Verbraucher dazu verpflichtet haben muss, die Leistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen. Beispiele sind die Bestellung eines Hotelzimmers, die Buchung eines Fluges oder einer Pauschalreise, auch die Anmietung einer Ferienwohnung, die Bestellung von Tickets für Konzerte und Sportveranstaltungen etc.392 Der deutsche Gesetzgeber hat die euro384
BT-Drucks. 14/2658, S. 33. MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 78. 386 Skeptisch Schmittmann, K&R 2002, 385, 387. 387 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312b Rn. 42; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 15. 388 MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 80. 389 MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 81. 390 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312b Rn. 85. 391 Ebenda. 392 Vgl. dazu PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312b Rn. 16; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 85; Palandt/Grüneberg (66. Aufl., 2006), § 312 Rn. 16. 385
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päische Vorgabe nahezu wortgleich übernommen, da er der Ansicht war, dass Informationspflichten und Widerrufsrecht bei touristischen Dienstleistungen nicht zweckmäßig sind.393 Außerdem wird in diesem Zusammenhang auf den Schutz der §§ 651a ff. BGB i.V.m. §§ 4 ff. BGB-InfoV verwiesen.394 Die Herausnahme der touristischen Dienstleistungen aus dem Anwendungsbereich der fernabsatzrechtlichen Vorschriften überzeugt jedoch schon im Ansatz nicht. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum das Informationsbedürfnis des Verbrauchers bei Reiseleistungen geringer sein soll als bei anderen Vertragsgegenständen.395 Auch der Hinweis auf das Pauschalreiserecht396 kann nicht verfangen, denn er beseitigt die offenbare Schutzlücke nicht. Der Grund ist, dass die Anwendungsbereiche von § 312b BGB und § 651a BGB nicht deckungsgleich sind und die Informationspflichten aus der BGB-InfoV nicht für alle touristischen Dienstleistungen, sondern nur für Pauschalreisen gelten. 397 Auch ist im Pauschalreiserecht kein Widerrufsrecht des Reisenden bzw. Verbrauchers vorgesehen. Das Problem stellt sich in Bezug auf § 312b III Nr. 6 BGB als ein allgemeines dar: Wie soll mit dem Fernabsatz von Dienstleistungen verfahren werden, die terminiert und kontingentiert sind? Der Unternehmer steht dabei vor dem Dilemma, im Falle des Widerrufs die Dienstleistung angesichts der kürzeren Fristen nur noch schwer absetzen zu können.398 Andererseits kann diesem Interesse des Unternehmers häufig schon durch Stornopauschalen begegnet werden, sodass sich ein allgemeiner Ausschluss des Widerrufsrechts bei touristischen Leistungen im Fernabsatz kaum rechtfertigen lässt, was die derzeitige StornierungsPraxis beweist. Notwendig wäre hier nur eine Überprüfung der Angemessenheit der Stornopauschalen.399 Weiter in Bezug genommen werden von § 312b III Nr. 7 BGB sodann Verträge, die unter Verwendung von Warenautomaten oder automatisierten Geschäftsräumen (Nr. 7a) geschlossen werden oder mit Betreibern von Telekommunikationsmitteln – vgl. insoweit Nr. 7b – zustande kommen (hierzu zählen nicht nur Fernsprecher, sondern auch öffentliche Telefaxgeräte und E-Mail-Terminals),400 so393
BReg. BT-Drucks. 14/2658, S. 33. MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 82. 395 Aigner/Hofmann, Fernabsatzrecht im Internet (2004), Rn. 81; Dilger, Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Internet (2002), S. 130 f.; Meents, Verbraucherschutz bei Rechtsgeschäften im Internet (1998), S. 220; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 66. 396 So aber die BReg. BT-Drucks. 14/2658, S. 33; Börner/Rath/Sengpiel, Fernabsatzrecht (2001), S. 31; Schmidt-Räntsch, VuR 2000, 427, 429. 397 Ebenfalls kritisch Micklitz, VuR 1993, 129, 133; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 66. 398 So Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 66; Gößmann, MMR 1998, 88, 90; vgl. auch Aigner/Hofmann, Fernabsatzrecht im Internet (2004), Rn. 81. 399 Zu einem anderen Ansatz vgl. Tonner, Editorial RRa 2/2008. 400 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 18. 394
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weit sie deren Benutzung zum Gegenstand haben. Telos der Ausnahme ist die mangelnde Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, der die Ware in diesen Situationen zum einen schon häufig in Augenschein nehmen kann.401 Die Regelung zielt aber auch darauf, dass die an Warenautomaten geschlossenen Verträge auf den sofortigen Leistungsaustausch gerichtet sind402 und überdies häufig nur geringwertige Sachen betreffen, sodass Informationspflichten und Widerrufsrechte weder sinnvoll noch praktikabel erscheinen.403 Gleiches gilt aber auch für die Benutzung von öffentlichen Fernsprechern. Der Benutzer zahlt hier durch Einwerfen der Münzen oder durch Verwendung von Telefonkarten sein Entgelt. Der Betreiber stellt im Gegenzug die gewünschte Verbindung her und erbringt damit sofort die von ihm geschuldete Leistung. Dieser Ablauf schließt die Auferlegung von Informationspflichten oder die Einräumung von Widerrufsrechten aus. In engem Zusammenhang mit den eben beschriebenen Ausnahmevorschriften ist § 312b IV BGB zu sehen. Diese Norm (genauer § 312b IV 1 BGB) schränkt Informationspflichten und Widerrufsrechte wegen der Unzumutbarkeit für den Unternehmer und dem fehlenden Schutzbedürfnis des Verbrauchers bei so genannten „Vertragsketten“ ein. Die Regelung wurde anlässlich der Umsetzung der Richtlinie über Finanzdienstleistungen in das BGB eingefügt und soll bei derartigen Konstrukten (allgemein, d.h. nicht nur bei Finanzdienstleistungen) verhindern, dass die weitergehenden Informationspflichten ebenso wie das Widerrufsrecht bei Vertragsketten ständig neu aufleben. Eine Ausnahme davon ist nur dann zu machen, wenn das Schutzbedürfnis für den Verbraucher wieder akut wird. Das soll nach der Wertung des Gesetzgebers dann der Fall sein, wenn die Vertragskette länger als ein Jahr unterbrochen ist, vgl. § 312b IV 3 BGB. f. Pflichten des Unternehmers bei Fernabsatzgeschäften § 312c BGB statuiert beim Vorliegen eines Fernabsatzgeschäftes, das von § 312b II BGB definiert wird, diverse Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher. Sie stellen rechtsdogmatisch gesetzlich normierte Nebenpflichten404 i.S.d. § 241 II BGB dar, die schon bei Anbahnung des geschäftlichen Kontakts entstehen. Nach zutreffender Ansicht sind sie – ebenso wie die Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr,405 vgl. dazu § 312e BGB i.V.m. Art. 246 § 3 EGBGB – selbständig einklagbar.406 Europäisches und 401
MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312b Rn. 87; Härting/Schirmbacher, MDR 2000, 917, 918. 402 Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1275. 403 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 17. 404 Für Obliegenheiten dagegen Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 69 Rn. 411; Mankowski, CR 2001, 767, 768 Fn. 15. 405 Zum elektronischen Geschäftsverkehr vgl. Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 63. 406 In diese Richtung wohl auch gehend Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312c Nr. 5: „Anspruch auf Erfüllung“.
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deutsches Fernabsatzrecht unterscheiden deutlich zwei Zeitpunkte der Verbraucherinformationsvergabe: vor- und nachvertragliche Unterrichtung (vgl. dazu Art. 246 § 1 und 2 EGBGB). Während die vorvertragliche Information dazu dient, dem Verbraucher die nötigen Informationen für eine informierte Entscheidung über den Abschluss des Vertrages zu geben,407 soll die anschließende nachvertragliche408 Informationspflicht (besser: Pflicht zur Verfügungstellung der Information in Textform) den Verbraucher vor allem in den Stand setzen, seine Rechte nach Vertragsschluss auf Grund der notwendigen Transparenz über die vertraglichen Pflichten geltend zu machen. § 312c I 1 BGB schreibt zunächst die vorvertragliche, formfreie Verbraucherinformation vor, die sich auf den Informationskatalog nach Art. 246 § 1 I, II EGBGB bezieht. Für die Vertragsgegenstände, die in Art. 246 § 2 I 1 Nr. 1–2 EGBGB angesprochen sind, muss hingegen die Information auch in Textform erfolgen, wobei dabei die Angaben nach Art. 246 § 2 II Nr. 1–4 EGBGB dem Verbraucher schriftlich zur Verfügung zu stellen sind (dazu sogleich). Ferner postuliert § 312c II BGB, dass der Unternehmer bei von ihm veranlassten Telefongesprächen seine Identität und den geschäftlichen Zweck des Kontakts schon zu Beginn eines jeden Gesprächs ausdrücklich offenzulegen hat. Sind Finanzdienstleistungen Gegenstand des Fernabsatzgeschäftes, kann der Verbraucher auch während der Laufzeit des Vertrages jederzeit vom Unternehmer verlangen, dass ihm dieser die Vertragsbestimmungen (einschließlich der AGB) in einer Urkunde zur Verfügung stellt; dies dient der Vertragstransparenz, der Rechts- und Beweissicherheit, vgl. § 312c III BGB. § 312c I 1 BGB enthält mit dem Verweis auf Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB zunächst das grundsätzliche Postulat, dass dem Verbraucher im Fernabsatz seitens des Unternehmers rechtzeitig detailliert geregelten Informationen zur Verfügung zu stellen sind. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB (ex. § 1 I, II BGB-InfoV) übernimmt praktisch unverändert den Katalog der Informationspflichten aus der in ihrer Abgrenzung „wenig klaren, juristisch-handwerklich schwachen“409 Fernabsatzrichtlinie (Art. 4) und der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (Art. 5). aa. Vorvertragliche, formfreie Informationen Die sich aus Art. 246 § 1 EGBGB ergebenden Einzelheiten, die die notwendigen vorvertraglichen Informationen betreffen, sind für Finanzdienstleistungen im Fernabsatz und sonstige Waren und Dienstleistungen unterschiedlich geregelt. Für Finanzdienstleistungen kommt es bei den vorvertraglichen Infor-
407
Vgl. BT-Drucks. 14/2658, S. 38; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005),
S. 69. 408 409
Kritisch zum Begriff der „nachvertraglichen“ Pflichten Meub, DB 2002, 359, 360. Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 1 BGB-InfoV Rn. 1.
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mationen auf die Einhaltung der Liste in Art. 246 § 1 II Nr. 1 – 8 EGBGB an. Für sonstige Vertragsgegenstände ist Art. 246 § 1 I Nr. 1–12 EGBGB maßgeblich. Hiernach sind folgende Informationen vorvertraglich an den Vertragspartner herauszugeben: – – – – – – – – – – – –
die Identität des Vertragspartners und seines eventuellen Vertreters, die ladungsfähige Anschrift, die wesentlichen Merkmale des Vertragsgegenstandes und Informationen darüber, wie der Vertrag zustande kommt, die Mindestlaufzeit des Vertrages, ein eventueller Vorbehalt der Lieferung einer gleichwertigen anderen Leistung, der Gesamtpreis, zusätzliche Kosten (wie etwa Liefer- und Versandkosten), Zahlungsmodalitäten, das Bestehen eines Widerrufsrechts und seine Ausübung sowie seine Rechtsfolgen, die Kosten der Fernkommunikation sowie die Befristung und Gültigkeitsdauer der zur Verfügung gestellten Informationen.
Diese vorvertraglichen Informationen sind in einer dem Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und verständlich (so genanntes Transparenzgebot)410 mitzuteilen, vgl. Art. 246 § 1 I EGBGB. Bei der Auslegung dieser Merkmale kann auf die Rechtsprechung zum AGB-rechtlichen Transparenzgebot411 zurückgegriffen werden.412 Erforderlich ist, dass der durchschnittliche Verbraucher die Information in Bezug auf ihre Darbietung verstehen kann.413 An einer klaren und verständlichen Information mangelt es, wenn nur unbestimmte oder gar irreführende Angaben gemacht werden.414 Auch wenn die Informationen in kleiner Schrift an versteckter Stelle erscheinen und der Verbraucher auf Grund sonstiger Gestaltung keine Veranlassung hat, nach diesen Informatio-
410
Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 70; Ott, WRP 2003, 945, 952. Wobei dieses Transparenzgebot je nach den Umständen des Einzelfalls über das in § 307 BGB statuierte hinausgehen kann, vgl. dazu RegE BT-Drucks. 14/2658, S. 38; Hk-Vertriebsrecht/ Micklitz (2002), § 312c Rn. 44. Tendenziell werden die Anforderungen im Fernabsatz nach oben geschraubt, siehe Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1278. 411 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel B I 1. 412 Härting, CR 2000, 691, 693; Roth, JZ 2000, 1013, 1016; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 71. 413 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 16. 414 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2002), S. 71.
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nen zu suchen, ist das Transparenzgebot nicht eingehalten.415 Problematisch ist, welche Implikationen das Transparenzgebot hinsichtlich der eingesetzten Sprache aufwirft. Einigkeit besteht dahingehend, dass fremdsprachliche Informationen nicht klar und verständlich sind, wenn die sonstige Präsentation der Waren etc. auf Deutsch erfolgt.416 Daher spricht man sich hauptsächlich417 für eine Verpflichtung zur Information in der übrigen Präsentations- und Verhandlungssprache aus.418 Der in Art. 246 § 1 I EGBGB vorgenommene Verweis auf die Art und Weise der Informationsvergabe mit Bezug auf eine „der jeweiligen Fernkommunikationsform angepassten Darreichungsform“ enthält den inzidenten Hinweis, dass die Informationen konkludenten Anforderungen, aber auch Einschränkungen unterliegen, die aus den jeweiligen Fernkommunikationsmitteln – quasi der „Natur der Sache“ nach – entspringen.419 Z.T. wird hier hinein etwa die Anforderung gelesen, dass der Unternehmer, wenn er sich für die vorherige Unterrichtung elektronischer Medien bedient, alle Informationen in einer speziell markierten Informationsbox unterzubringen hat und er diese Box auf jeder Seite wiederholen muss. Er dürfe, so eine diesbezüglich geäußerte Meinung, die erforderlichen Informationen nicht auf verschiedenen Seiten verteilen und kann sich auch nicht darauf beschränken, die Information lediglich einmal auf der ersten Website anzubieten, weil sie sonst ggf. vom Kunden, der ihr Lesen hier vielleicht noch nicht für relevant hält, übersehen bzw. übergangen werden.420 Ausreichen dürfte jedoch ein gut lesbarer (nicht irreführender) Link auf jeder Website sein, der angeklickt werden kann, um die entsprechenden Informationen abzurufen.421 Nur vor dem Hintergrund dieser Anforderung kann sichergestellt werden, dass der 415
OLG Hamburg WRP 2003, 1011; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005),
S. 71. 416
Vgl. dazu Roth, JZ 2000, 1013, 1016; Kamanabrou, WM 2000, 1417, 1422; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 45; Felke, Rechtsfragen des Kreditvertriebs im Internet (2003), S. 145. 417 Zum Teil wird aber auch eine generelle Verpflichtung zur deutschsprachigen Information angenommen, vgl. etwa Ruff, Vertriebsrecht im Internet (2003), S. 239; Meents, Verbraucherschutz bei Rechtsfragen im Internet (1998), S. 191 f.; Kamanabrou, WM 2000, 1417, 1422; Roth, JZ 2000, 1013, 1016; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 4; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312c Rn. 2. Dagegen wird jedoch zu Recht auf die Ubiquität des Internet und die damit verbundenen Probleme für den Anbieter hingewiesen (vgl. etwa Hk-Vertriebsrecht/Micklitz, 2002, § 312c Rn. 46; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 72 Rn. 430; Dilger, Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Internet (2002). 418 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 16; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 46; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 72 Rn. 430. 419 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312 Rn. 4; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 4; Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1277; Schmidt-Räntsch, VuR 2000, 427, 429. 420 OLG Frankfurt/M. CR 2001, 782; Härting, CR 2000, 691, 693; Mankowski, CR 2001, 767, 770; Roth/Schulze, RIW 1999, 924; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 50. 421 OLG München NJW-RR 2004, 915; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312c Rn. 2; offengelassen durch BGH NJW 2006, 211, 212.
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Verbraucher Informationen aktuell zur Verfügung hat, wenn er auf der Basis der invitatio des Unternehmers sein bindendes Angebot tatsächlich unterbreitet.422 Die Konkretisierung des offen formulierten Merkmals „rechtzeitig“ vor Abgabe der Vertragserklärung des Verbrauchers – vgl. Art. 246 § 1 I EGBGB – bleibt gemäß der Begründung des Gesetzgebers der Rechtsprechung überlassen.423 Maßgeblich ist nur, dass der Verbraucher ausreichend Zeit zur Entschlussfassung hat.424 Insofern sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.425 Das Rechtzeitigkeitserfordernis ist mit Blick auf das eingesetzte Kommunikationsmittel und die Bedeutung des Geschäfts für den Verbraucher zu bestimmen.426 Eine Verbraucherinformation bei telefonisch geschlossenen Bagatellgeschäften kann danach unmittelbar vor Vertragsschluss noch rechtzeitig sein.427 Wird dagegen schriftlich über den Kauf eines Pkw verhandelt, ist die Übermittlung der Informationen per E-Mail am letzten Tag einer Angebotsabgabefrist womöglich verspätet. Eine statische Frist von drei Tagen428 wird diesen Unterschieden wohl nicht gerecht.429 Gegenüber § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 EGBGB vorverlagert § 312c II BGB den Zeitpunkt für die Information über die Identität des Unternehmers430 und den geschäftlichen Zweck bereits auf den Zeitpunkt der Kontaktaufnahme des Unternehmers bei von ihm veranlassten Telefongesprächen. Dadurch wird es dem Verbraucher ermöglicht, über einen von ihm nicht gewünschten Gegenstand oder mit einer unerwünschten Person erst gar nicht zu reden.431 § 312c II BGB gilt seinem Sinn und Zweck nach auch dann, wenn der Verbraucher auf Grund einer Aufforderung des Unternehmers bei diesem „zurückruft“.432 Einen zeitlichen Spielraum, wie ihn das Merkmal „rechtzeitig“ für die übrigen nach § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 EGBGB zu erteilenden Informationen zulässt, 422
Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 50. RegE BT-Drucks. 14/2658, S. 38; BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 15; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312 Rn. 31. 424 RegE BT-Drucks. 14/2658, S. 38; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 73. 425 Ebenda; vgl. auch Riehm, Jura 2000, 505, 510; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 31; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 73. 426 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 73; Härting, CR 2000, 691, 692; den Wert der Leistung will Kamanabrou, WM 2000, 1417, 1422 in die Betrachtung einbeziehen. 427 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 73. 428 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 32; kritisch Fuchs, ZIP 2000, 1273. 429 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312c Rn. 5; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 73. 430 Nicht angesprochen ist die Identität des konkreten Anrufers, die nicht preisgegeben werden muss. 431 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 14; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 3. 432 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312c Rn. 6. 423
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gibt es insofern nicht. Im deutschen Recht ist der Anwendungsbereich der Vorschrift angesichts der wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit unaufgeforderter Telefonanrufe von Verbrauchern gemäß § 7 II Nr. 2 UWG außerhalb bestehender Geschäftsbeziehungen433 aber eher als gering einzuschätzen.434 bb. Textformbedürftige Informationen Eine besondere Form sieht § 312c I BGB für die vorvertraglich zu gebenden Informationen nach Art. 246 § 1 EGBGB nicht vor.435 Formanforderungen, nämlich die Textform, legt jedoch § 312c I i.V.m. Art. 246 § 2 EGBGB für die in Art. 246 § 2 I 1 Nr. 1–2 EGBGB genannten Vertragsgegenstände fest. Für Finanzdienstleistungen müssen danach grds. die nach Art. 246 § 2 I 2 EGBGB erforderlichen kardinalen Informationen bereits vor Vertragsschluss in Textform fixiert sein und so dem Verbraucher zur Verfügung stehen (Art. 246 § 2 I 1 Nr. 1 EGBGB). Bei sonstigen Dienstleistungen und Waren, bedarf es dieser Fixierung zwar noch nicht bei Vertragsschluss, aber spätestens zum Zeitpunkt des Leistungsvollzug (Art. 246 § 2 I 1 Nr. 2). Gegenstand der in Textform zu erteilenden Informationen im Fernabsatz, sind die in Art. 246 § 2 I 2 Nr. 1–4 EBGB genannten Punkte. Es sind die Vertragsbestimmungen einschließlich der AGB, die in Art. 246 § 1 I bzw. in Art. 246 § 1 II EGBGB bereits vorvertraglich genannten Informationen, Angaben nach Art. 246 § 1 II Nr. 3 EGBGB (bzgl. Kündigungsbedingungen und Vertragsstrafen) bei Dauerschuldverhältnissen und Informationen zum Kundendienst und geltende Gewährleistungs- und Garantiebedingungen. g. Abweichende Vereinbarungen § 312c BGB sieht keine speziellen Vorgaben für abweichende Vereinbarungen vor. Eine Auffangregelung enthält aber § 312g S. 1 BGB. Danach ist bei der besonderen Vertriebsform des Fernabsatzvertrages eine Abweichung von den Vorgaben der hierfür geltenden Regelungen (§§ 312c–d BGB) zum Nachteil des Verbrauchers nicht möglich. Die Vorschriften der §§ 312c–d BGB sind insoweit halbzwingend ausgestaltet.436 Von dem Verbot abweichender Vereinbarung ist jede individual- oder klauselmäßig getroffene Absprache erfasst. Sollte eine Umgehung vorliegen, scheitert sie an § 312g S. 2 BGB.437
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Vgl. dazu BGH NJW 1970, 1738, 1739; BGH NJW 2000, 2677. Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 79. 435 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312c Rn. 1; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 26. 436 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312f Rn. 2. 437 Unwirksam ist etwa ein in Kenntnis des Widerrufs erfolgter (ggf. vereinbarter) Verzicht auf die Ausübung dieses Rechts, nicht aber ein angesichts der Sach-, Rechts- und Beweislage getroffener Vergleich, vgl. dazu Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 312f Rn. 1; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312f Rn. 2. 434
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h. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Das Fernabsatzrecht sieht – wie eingangs referiert – zwei unterschiedliche Schutzinstrumente zugunsten des Verbrauchers vor: Informationspflichten seitens des Unternehmers und ein Widerrufsrecht zugunsten des Verbrauchers. Da die Informationspflichten aus § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB überaus umfangreich sind und zudem für Finanzdienstleistungen zahlreiche Sonderbestimmungen getroffen wurden, die das Verständnis der gesamten Regelung erschweren,438 gestaltet sich die Handhabung der gesetzgeberischen Anforderungen in der Praxis oft schwierig.439 Insofern wird sogar mit einer „massenweisen Nichtbeachtung“440 gerechnet, die die Effizienz des mit ihr bezweckten Verbraucherschutzes nicht zu Unrecht in Frage stellt. Die Motivation bezüglich der Außerachtlassung der gesetzlichen Vorgaben vergrößert sich – jenseits des Problems der Komplexität und Intransparenz der gesetzgeberischen Regelung – seitens des Praktikers und des juristischen Laiens u.U. dadurch, dass der Gesetzgeber nur die Nichtbeachtung gewisser, oft nur der nachvertraglichen Informationspflichten mit einem herausgeschobenen Beginn der Widerrufsfrist (dazu sogleich) mit konkreten Nachteilen für den Unternehmer belegt hat. Der Gesetzgeber hat i.Ü. davon abgesehen, spezielle Regelungen für die vorvertragliche Informationspflichtverletzung zu treffen. Insofern ist nur eines sicher, nämlich, dass diese Informationspflichtverletzung nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führt. Dies würde nämlich dem Sinn und Zweck der Regelung, den Verbraucher zu schützen, widersprechen.441 Wie die vorvertragliche Informationspflicht i.Ü. zu handhaben ist, ist noch nicht abschließend geklärt. M.E. erscheint es hier sinnvoll, die cic-Regeln in differenzierter Weise heranzuziehen. aa. Herausgeschobener Beginn der Widerrufsfrist Bei einem Verstoß gegen die (nachvertragliche) Informationspflicht nach Art. 246 § 2 EGBGB wird das Verhalten des Unternehmers insofern vom Gesetzgeber ausdrücklich sanktioniert, als nach § 312d II 1 BGB die Widerrufsfrist abweichend von § 355 III 1 BGB bis zur Nachholung der Information nicht zu laufen beginnt.442 Der Unternehmer setzt sich damit dem erhöhten Risiko aus, dass er auch noch lange nach Erbringung der Leistung mit einer Rückabwicklung des Vertrages, die vom Verbraucher initiiert werden kann, rechnen muss. Eine ab438 Vgl. hier Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 1 BGB-InfoV Rn. 1: „wenig klar, juristisch-handwerklich schwach“ . 439 Zum zutreffenden Befund vgl. PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 9. 440 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 9. 441 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 27; a.A. Reich, EuZW 1997, 518, 585. 442 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312c Rn. 5; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312c Rn. 12; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 83.
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solute zeitliche Grenzziehung zur Ausübung des Widerrufsrechts zieht auf den ersten Blick zwar § 355 IV 1 BGB. Die hier genannte Sechs-Monats-Frist greift allerdings nicht bei (1) fehlender Belehrung über das Widerrufsrecht und (2) bei fehlender Information nach Art. 246 § 2 I Nr. 1, II Nr. 1–3 EGBGB für im Fernabsatz abgeschlossene Verträge über Finanzdienstleistungen, vgl. § 355 IV 3 BGB. Der Anwendungsbereich des § 355 IV 1 BGB ist damit schmal.443 Zum Teil wird erwogen, § 242 BGB als Korrektiv auch in diesem Zusammenhang anzuwenden, wenn die fehlende Information des Unternehmers offenbar keinen Einfluss auf den Vertrag gehabt hat.444 Sollte man dies überhaupt erwägen, was rechtspolitisch sehr fragwürdig wäre, da diese Argumentation ein ständiges Einfallstor in die Anordnung des § 355 IV BGB bietet, liegt die Beweislast für die mangelnde Kausalität der Informationspflichtverletzung bezogen auf den Vertrag freilich beim Unternehmer. Ein solcher Beweis ließe sich wohl kaum erbringen. Sonstige Rechtsfolgen der Informationspflichtverletzung des Unternehmers sind nicht ausdrücklich geregelt (und hier liegt das Problem). bb. Vertragsauflösung durch Anfechtung und Ersatz des Vertrauensschadens Erwägenswert ist es zunächst, bei vorvertraglicher Informationspflichtverletzung seitens des Unternehmers eine Anfechtung durch den Verbraucher zuzulassen. Ob dies möglich ist, hängt allein davon ab, ob bei einer Informationspflichtverletzung zugleich die Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB erfüllt sind.445 Im eigentlichen Sinne handelt es sich hierbei nicht um ein spezielles fernabsatzrechtliches Problem, sondern um eines, das bei jedem Vertragsschluss zu hinterfragen ist. Zu denken ist – unabhängig von den Konstellationen der Täuschung gemäß § 123 BGB, die insoweit keine Abgrenzungsfragen aufwerfen dürfte – gerade bei Fernabsatzverträgen etwa an die Situation, dass sich der Kunde beim Vertragsschluss gar nicht darüber im Klaren war, dass er mittels eines Fernkommunikationsmittels bereits einen verbindlichen Vertrag eingegangen ist und nicht etwa nur „unverbindliche Informationen“ abgerufen hat. Hier handelt es sich um einen Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins. Dieser Umstand beeinträchtigt nach h.M. die abgegebene Willenserklärung grundsätzlich nicht, solange der Erklärende hätte erkennen können, dass er eine rechtsverbindliche Erklärung abgab und damit der Umstand, der zum fehlenden Erklärungsbewusstsein führte, nicht vom Unternehmer zu verantworten ist. Insoweit kommt es auf den objektiven Erklärungsgehalt der geäußerten Willenserklärungen an, wobei das objektive Erscheinungsbild der Erklärung bzw. der in443 Vgl. zur früher an der Grenzziehung geäußerten Kritik Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 117. Zur Änderung der Rechtslage nach der Umsetzung des HeiningerUrteils (EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger) siehe Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 84. 444 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 10. 445 So auch BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 27.
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vitatio des Unternehmers, den gemäß Art. 246 § 1 I Nr. 4 EGBGB eine Klarstellungspflicht bezüglich des zum Vertragsschluss führenden Mechanismus trifft, in Bezug zu nehmen ist. Fehlt es an dieser Klarstellung und ist damit der objektive Erklärungsgehalt der ausgetauschten Erklärungen zumindest zweifelhaft, kommt eine Anfechtung analog §§ 119 I, 121, 143 BGB prinzipiell in Betracht.446 Soweit eine Anfechtungsmöglichkeit besteht, stellt sich (ähnlich wie bei einer Informationspflichtverletzung nach § 312e I 1 BGB) freilich die Frage, ob der Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gegen den Verbraucher nach § 122 I BGB über § 122 II BGB hinaus begrenzt oder ausgeschlossen sein kann, wenn der Unternehmer durch Verletzung seines nach § 312c I BGB definierten Pflichtenkreises die fehlerhafte Willenserklärung des Verbrauchers „mitverursacht“ hat.447 Eine solche Wertung wäre zu befürworten, ansonsten liefe das Anfechtungsrecht wegen der wirtschaftlichen Negativfolgen für den Verbraucher u.U. leer. Die hier in Ansatz zu bringende „Mitverursachung“ des Irrtums durch den Unternehmer ergibt sich daraus, dass er seinen nach § 312c I BGB vom Gesetzgeber definierten Informationspflichten nicht nachgekommen ist. Insbesondere auf Grund des § 312c I 1 BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 4 EGBGB wird die Verantwortung für den Erklärungsvorgang des Kunden ein großes Stück auf den Unternehmer übertragen. Die Begrenzung oder der Ausschluss des Anspruches auf Vertrauensschaden gestalten sich dann auf der Grundlage des § 254 BGB. cc. Vertragsanpassung oder -auflösung nach den Grundsätzen der cic Jenseits der Möglichkeit, mit der Anfechtung als allgemeinem Instrumentarium zu agieren, das jedoch in der Praxis seitens des Verbrauchers üblicherweise Beweisprobleme aufwerfen dürfte und zudem auch sachlich nur eingeschränkt Platz greift, wird zutreffend die Option der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches aus cic nach §§ 280 I, 311 II BGB mit der für den Verbraucher günstigen Folge der Vertragsanpassung bzw. -aufhebung von der h.M. in die Diskussion gebracht.448 Auch hier muss der Verbraucher jedoch 446 Zum gleichen Ergebnis kommt etwa das österreichische Recht für derartige Pflichtverletzungen, vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2. Aufl., 2008), S. 155. 447 So zur Parallelproblematik bei § 312e PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 14; Hoffmann, NJW-Beilage 14/2001, S. 8. 448 BGH NJW 2006, 3139; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312c Rn. 5; Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 115, 120; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312c Rn. 12, § 312d Rn. 7a; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 11; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 84 f.; Grigoleit, WM 2001, 597, 600 ff.; Ende/Klein, Grundzüge des Vertriebsrechts im Internet (2001), S. 169 ff.; Felke, Rechtsfragen des Kreditvertriebs über Internet (2003), S. 146 f.; Meub, DB 2002, 359, 363; Roth, JZ 2000, 1013, 1016; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2055; Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1280; a.A. Riehm, Jura 2000, 505, 510 mit dem Argument, § 312c BGB sei abschließend auch hinsichtlich der Sanktion. Die cic wird im österreichischen Recht für derartige Fälle etwa auch von Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 155 vorgeschlagen.
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rechtsgestaltend aktiv werden und die Voraussetzungen für die Anwendung der cic-Regelungen dartun und beweisen. Möchte der Verbraucher diesen Weg beschreiten, setzt das Durchdringen seines Begehrens voraus, dass er den Kausalitätsbeweis antreten kann, der Vertrag wäre bei Einhaltung der gesetzlich angeordneten Informationspflicht durch den Unternehmer überhaupt nicht von ihm abgeschlossen worden.449 Wäre der Vertrag nur „anders“ geschlossen worden, kommt lediglich eine Vertragsanpassung in Betracht.450 Aber auch dies muss der Verbraucher prinzipiell beweisen. Die Heranziehung der Grundsätze zur Vertragsanpassung oder Vertragsauflösung – und damit der Rückgriff auf §§ 280 I, 311 II BGB bei vorvertraglicher Informationspflichtverletzung – ist schon vor dem Hintergrund der effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts geboten. Bereits aus Art. 11 I der Fernabsatzrichtlinie ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, „im Interesse der Verbraucher für geeignete und wirksame Mittel, die die Einhaltung dieser Richtlinie gewährleisten, zu sorgen“. Ohne die Heranziehung der §§ 280, 311 II BGB wäre der Verbraucher bei vorvertraglichen Informationspflichtverletzungen seitens des Unternehmers, der keine Sanktionen zu befürchten hätte, faktisch schutzlos gestellt. Für die Nutzbarmachung der allgemeinen Regelungen zur cic spricht weiter, dass der deutsche Gesetzgeber die Anwendung der §§ 280 I, 311 II BGB bei Verschulden bei Vertragsschluss im Anwendungsbereich der fernabsatzrechtlichen Regelungen auch nicht explizit ausgeschlossen hat. Im Zusammenhang mit § 312e I BGB, in dessen Anwendungsbereich sich ein ähnliches Problem ergibt, hatte er auf sie in der Gesetzesbegründung sogar ausdrücklich Bezug genommen.451 Ob sich aus systematischen Gründen, etwa im Hinblick auf die mögliche Derogation der Voraussetzungen des Widerrufsrechts, eine Anwendung des allgemeinen Instrumentariums verbietet, scheint jedenfalls zweifelhaft. Denn das Verbraucherwiderrufsrecht und die Regelungen der cic betreffen sowohl auf der Tatbestandsals auch auf der Rechtsfolgenseite sehr unterschiedliche Rechtsinstrumente, die schon deshalb nebeneinander zur Anwendung kommen können und dies auch sollten.452 Befürwortet man prinzipiell die Heranziehung der cic bei der Verletzung von vorvertraglichen Informationspflichten453 und damit die Vertragsanpassung 449
Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155. Wendehorst, DStR 2000, 1311, 1315. 451 BT-Drucks. 14/6040, S. 173. 452 Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 131, 132, 133; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 11. 453 BGH NJW 2006, 3139; Emmerich, JuS 2006, 1021 ff.; Möllers/Weichert, LMK 2006, 31 ff.; Theisen, NJW 2006, 3102 ff.; Kersting, JZ 2008, 714 ff.; z.T. werden die Informationspflichten des Unternehmers als „Obliegenheiten“ angesehen (so etwa Mankowski, CR 2001, 767, 768; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 69). In diesem Fall wäre die Anwendung der cic-Regeln, die auf Schadensersatz hinaus laufen, allerdings problematisch, 450
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oder -auflösung, kommt es nur noch darauf an, dass dargetan wird, dass ein vorvertragliches Vertrauensschutzverhältnis vorlag, das regelmäßig in der Vertragsanbahnung bzw. dem geschäftlichen Kontakt zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer bestehen dürfte. Sodann geht es um die Darlegung der schuldhaften Pflichtverletzung des Unternehmers mit der Verletzung der in § 312c I 1 BGB genannten Informationspflichten. Das Verschulden wird gemäß § 280 I 2 BGB vermutet. Ähnlich wie bei den Informationspflichten nach § 312e BGB besteht aber das Problem, dass zu unterscheiden ist, welche Informationspflichtverletzungen lediglich zu einer Vertragsanpassung führen und welche bedingen, dass eine vorvertragliche Pflichtverletzung als so schwerwiegend zu werten ist, dass der Vertrag insgesamt über die Regelungen der cic zur Auflösung gelangt.454 Vorzugswürdig erscheint insoweit eine differenzierende Sichtweise, wobei die vorvertraglichen Informationspflichten zunächst nach objektiven Kriterien – gemäß ihrem regelmäßigen Bedeutungsgehalt – zu gewichten sind. Insofern kristallisiert sich zutreffenderweise eine Meinung heraus, nach der nur bestimmte, d.h. gewichtige Pflichtverletzungen bei der Informationsverschaffung ein Vertragsauflösungsrecht zur Folge haben können.455 Befürwortet man diese differenzierende Herangehensweise bei der Bewertung der Informationspflichtverletzung im vorvertraglichen Bereich, sind beispielsweise die Informationspflichten nach § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 3 EGBGB (ladungsfähige Anschrift, diese kann auch noch später mitgeteilt werden), § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 7 EGBGB (Versand- und Lieferkosten, soweit sie nicht exorbitante Höhen erreichen), § 312c I BGB i.V.m. § 1 I Nr. 9 EGBGB (Einzelheiten hinsichtlich der Bezahlung und der Lieferung oder Erfüllung), § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 10 EGBGB (Hinweis auf das Bestehen eines Widerrufs- und Rückgaberechts), § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 11 EGBGB (Kosten für die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln, solange sie nicht für die Kaufentscheidung ins Gewicht fallen), § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 12 EGBGB (Befristung der Gültigkeitsdauer der zur Verfügung gestellten Informationen, sofern die Gültigkeitsdauer der Informationen bei Vertragsschluss noch nicht abgelaufen war) als weniger bedeutsam und damit für das „Ob“ der Vertragsschlussentscheidung nicht als kardinal bzw. ausschlaggebend da dies nur im Fall einer Rechtspflichtverletzung gefordert werden kann, bei Obliegenheiten käme es hingegen nur zur Einschränkung eigener Rechtspositionen. 454 BGH NJW 2006, 3139; Emmerich, JuS 2006, 1021 ff.; Möllers/Weichert, LKM 2006, 31 ff.; Theisen, NJW 2006, 3102 ff.; Kersting, JZ 2008, 714 ff. 455 Siehe dazu Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 135; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 14; Boente/Riehm, Jura 2002, 222, 229; Hassemer, MMR 2001, 635, 639; wohl auch BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 27, der von gewissen, d.h. besonderen „Ausnahmefällen“ spricht; zu einer insoweit ausdrücklich differenzierenden Regelung im niederländischen Recht vgl. Sujecki, MMR 2003, 378, 380.
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zu betrachten. Sie rechtfertigen lediglich eine Nachholung, ggf. Vertragsanpassung, aber noch keine Vertragsauflösung.456 Anders verhält es sich hingegen mit den vorvertraglichen Informationen, die von ihrem Bedeutungsgehalt in Bezug auf das Äquivalenzverhältnis als „gewichtig“ einzustufen sind. Bei ihnen handelt es sich um: die Identität des Unternehmers bzw. seines Vertreters (§ 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 1 und 2 EGBGB), wesentliche Merkmale der Ware/Dienstleistung und Informationen darüber, wie der Vertrag zustande kommt (§ 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 4 EGBGB), die Mindestlaufzeit des Vertrages (§ 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 5 EGBGB), das Bestehen eines Leistungsänderungs- bzw. Nichterbringungsvorbehalts (§ 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 6 EGBGB) und die Angabe des Gesamtpreises (§ 312c I BGB i.V.m. Art. 246 § 1 I Nr. 7 EGBGB). Fehlt es an diesen vorvertraglichen Informationen oder sind sie falsch bzw. unzureichend, spricht bereits eine Vermutung457 dafür, dass das Äquivalenzverhältnis gestört und der Kunde daher ein Interesse an der Rückabwicklung des gesamten Vertrages hat, weil er sich bei pflichtgemäßem Verhalten des Unternehmers mit hoher Wahrscheinlichkeit anders verhalten, d.h. den Vertrag nicht geschlossen hätte.458 Insofern ist zugunsten des Verbrauchers jedenfalls für die außer Acht gelassenen schwerwiegenden Informationspflichten für eine Beweislasterleichterung i.S.d. Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens zu plädieren.459 Würde man dies nicht tun, liefen auch die cic-Regelungen faktisch leer und damit stände die vorvertragliche Informationspflichtverletzung wieder sanktionslos. dd. Unterlassungsanspruch nach dem UKlaG und dem UWG Jenseits des Fragenkreises der Sanktionen für vor- und nachvertragliche Informationspflichtverletzungen des Unternehmers im Fernabsatz ergeben sich Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gegen den Verletzer.460 Ihre rechtliche Herkunft gestaltet sich allerdings sehr unterschiedlich. Der Verbraucher, der nicht als „Konkurrent“ des Unternehmers, sondern als dessen Gegenpart am Markt agiert, kann seine Verbraucherinteressen zum einen in Form einer Ver-
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Hk-Vertriebsrecht/Micklitz (2002), § 312c Rn. 135 f. Zum Problem des Kausalitätsnachweises vgl. PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 14; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 84 f. 458 Vgl. zur Problematik des Kausalitätsnachweises BGHZ 69, 53, 57 f.; BGH NJW 1998, 2900 f.; Lorenz, NJW 1999, 1001 f.; Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 269, 286. 459 Hoffmann, ZIP 2005, 829, 838; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 11. 460 BaRoth/Schmidt-Räntsch (2. Aufl., 2007), § 312c Rn. 27; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312c Rn. 5; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312c Rn. 12; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 18. 457
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bandsklage nach § 2 I 1, II Nr. 1 UKlaG geltend machen.461 Die Vorschrift bestimmt, dass derjenige, der Verbraucherschutzgesetzen, insbesondere den Regelungen des Fernabsatzes (§ 2 II Nr. 1 UKlaG) zuwiderhandelt, im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann (§ 2 I 1 UKlaG). Der Anspruch auf Unterlassung steht allerdings nur den in §§ 3, 4 UKlaG genannten anspruchsberechtigten Stellen und mithin nicht dem einzelnen Verbraucher zu. Zum anderen besteht die Möglichkeit des Vorgehens nach dem UWG. Allerdings ist auch nach diesem Ende 2008 revidiertem Gesetz die Wahrnehmung der Verbraucherinteressen nur „kollektiv“ ausgestaltet.462 Bedeutsam ist insoweit, dass eine Form der Missachtung des Gebotes zur Lauterkeit beim geschäftlichen Handeln durch § 4 Nr. 11 UWG beschrieben wird, und zwar durch die Inbezugnahme einer Zuwiderhandlung gegen das Gesetz, das auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Die Informationspflichten im Fernabsatz können insoweit nicht nur als individuelle Anspruchsnormen verstanden werden, sondern als gesetzliche Vorgaben zur Marktregulierung.463 Die Zuwiderhandlung wird gemäß § 8 I 1 UWG mit einem Anspruch auf Beseitigung und (bei Wiederholungsgefahr) auf Unterlassung geahndet. Anspruchsberechtigt auf Verbraucherseite sind gemäß § 8 III Nr. 3 UWG nur, aber immerhin, so genannte „qualifizierte Einrichtungen“. Damit besteht neben der Möglichkeit, dass der Verbraucher in der eingangs beschriebenen Weise individuell gegen vor- und nachvertragliche Informationspflichtverletzungen vorgeht, für Verbraucherverbände die Option, ein Verbandsklageverfahren nach dem UKlaG und dem UWG zu initiieren,464 das den Vorteil bietet, eine entsprechende Breitenwirkung zu entfalten. ee. Widerrufsrecht Als individuell geltend zu machendes Gestaltungsrecht steht dem Verbraucher sodann als zweites wesentliches Instrument beim Fernabsatz das Widerrufsrecht zu.
461 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312c Rn. 18; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 13; Palandt/Bassenge (68. Aufl., 2009), § 2 UKlaG Rn. 12; Domke, BB 2005, 228, 230. 462 BGBl. I, S. 1414, vgl. dazu BT-Drucks. 15/1487 v. 22.8.2003. 463 Zum Problem der „Offenheit“ des Tatbestandes in § 4 Nr. 11 UWG und die zahlreichen dogmatischen Streitigkeiten zu seiner Auslegung und Handhabung vgl. Fezer (Hrsg.), UWG (2005), § 4 Nr. 11 Rn. 1. 464 Dazu umfassend Schaumburg, Die Verbandsklage im Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht (2006).
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
(1.) Allgemeines Die Möglichkeit zum Widerruf des Vertrages wurde durch die Gemeinschaft in Art. 6 der Fernabsatzrichtlinie und der Richtlinie zum Fernabsatz von Finanzdienstleistungen vorgegeben.465 Im deutschen Recht wird das Recht zum Widerruf von im Fernabsatz geschlossenen Geschäften durch § 312d BGB eingeräumt. Wie im Bereich der Haustürgeschäfte wird bezüglich der Abwicklung, d.h. Handhabung des Widerrufs, auf § 355 BGB verwiesen. Bei Warenlieferungen kann dem Verbraucher auch ein Rückgaberecht nach § 356 BGB eingeräumt werden, dessen Ausübung den Vertrag – ebenso wie der erklärte Widerruf – beseitigt.466 (2.) Modifizierungen des Verbraucherwiderrufs im Fernabsatz Allerdings werden im Fernabsatz die allgemeinen Widerrufsregeln erheblich modifiziert: So bestimmt § 312d II 1 BGB, dass die Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen abweichend von § 355 III 1 BGB nicht vor Erfüllung der Informationspflichten nach § 246 § 2 EGBGB beginnt. Bei der Lieferung von Waren beginnt die Frist nicht vor ihrem Eingang beim Empfänger zu laufen, vgl. § 312d II 2 BGB. Werden wiederkehrend gleichartige Waren innerhalb eines Sukzessivliefervertrages geschuldet, ist der Eingang der ersten Teillieferung für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich; bei Dienstleistungen beginnt der Fristlauf nicht vor Vertragsschluss, § 312d II 2 BGB. Bzgl. der Anordnung für den Sukzessivliefervertrag wird aus § 312d II 2 BGB der zutreffende Gegenschluss gezogen, dass bei sukzessiver Lieferung unterschiedlicher Ware der Eingang der kompletten Ware beim Verbraucher notwendig ist, um den Lauf der Widerrufsfrist in Gang zu setzen.467 Über § 312d II BGB hinausgehend ist in § 312d III BGB eine Sonderregelung für das Erlöschen des Widerrufsrechts bei Dienstleistungsverträgen aufgenommen worden. Der Grund für diese Regelung liegt darin, dass Dienstleistungen generell individuell ausgerichtet und damit häufig keiner anderen Verwendung zugänglich sind, was einer Rückabwicklung nach Erbringung im Wege stehen
465 Im Richtlinienentwurf der Kommission bezüglich des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen war dem Verbraucher ursprünglich eine Bedenkzeit von 14 Tagen eingeräumt worden. Der Verbraucher sollte sich die Vertragsunterlagen zusenden lassen können und binnen 14 Tagen entscheiden, ob er kontrahieren möchte. Der Anbieter wäre zunächst gebunden. Es ging um die Herabsetzung der psychischen Hemmschwelle, die zweifelsohne beim Widerruf eines bereits geschlossenen Vertrags (vgl. dazu Metz, FS Reich 1997, 603, 608 f.) besteht. Diese Konzeption ließ sich jedoch nicht verwirklichen, vgl. dazu Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 85 f. 466 Vgl. zum Widerruf meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel B II. 467 OLG Frankfurt/M. CR 2002, 638, 639; Mankowski, JZ 2001, 745, 747 f.; Hk-BGB/ Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312d Rn. 2; Hk-Vertriebsrecht/Tonner (2002), § 312d Rn. 12; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312d Rn. 9; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312d Rn. 4; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312d Rn. 3; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 87; differenzierend MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312 Rn. 78.
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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würde.468 Bestehen bleibt das Problem, dass der Verbraucher über sein Widerrufsrecht zu belehren ist, obgleich dieses mit Ausführung der Dienstleistung unter den dargestellten Kautelen unmittelbar nach Vertragsschluss fortfällt, sodass er daraus keinen Nutzen ziehen kann.469 Besonderheiten weist § 312d BGB ferner insoweit auf, als der Gesetzgeber bei einer Reihe von Verträgen der Ansicht war, dass zwar die Erfüllung der Informationspflichten, nicht aber die Einräumung eines Widerrufsrechts dem Unternehmer zuzumuten ist.470 In diesen Fällen fällt das Widerrufsrecht nicht nur sukzessive weg, es besteht infolge von Bereichsausnahmen von vornherein nicht, sodass hier § 312d I BGB nicht heranzuziehen ist: Nach § 312d IV Nr. 1 BGB betrifft eine dieser Ausnahmen Verträge zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt wurden und auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.471 Gleiches soll nach Nr. 1 für die Fälle gelten, in denen sich die Ware wegen der Beschaffenheit nicht zur Rücksendung eignet, schnell verderben kann oder das Verfallsdatum überschritten ist. Nicht zur Rücksendung geeignet ist etwa der Download von Software, Musik oder anderen Daten aus dem Internet.472 Als schnell verderblich angesehen werden können i.d.R. Lebensmittel und andere Saisonware, wie beispielsweise der gelieferte Christbaum.473 § 312d IV Nr. 2 BGB nimmt sodann als Anwendungsausnahmen die Lieferung von Audio- und Videoaufzeichnungen sowie Software in Bezug, die vom Verbraucher entsiegelt worden sind, weil sich der Kunde mit Entsiegelung die Ware durch Zwischenspeicherung bereits vollständig ihren Wert zuführen kann und es auf den Ursprungsdatenträger nicht mehr ankommt. Daran schließt sich gemäß § 312d IV Nr. 3 BGB die Anwendungsausnahme bei der Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten an, die mit Wegfall der Aktualität gleichsam wertlos geworden sind.474 Sinnvollerweise sind wegen des Wegfalls der Werthaltigkeit ab dem in Bezug genommenen Ereignis auch Wett- und Lot468 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312d Rn. 3; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312d Rn. 6. 469 Härting, VuR 2001, 11, 13; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 88. 470 Hk-Vertriebsrecht/Tonner (2002), § 312d Rn. 24. 471 Eine derartige Kundenspezifikation liegt nach Ansicht des BGH (BGH NJW 2003, 1665) jedoch dann nicht vor, wenn die zu liefernde Ware (ein Notebook) auf Bestellung des Verbrauchers aus vorgefertigten Standardbauteilen zusammengefügt wird, die mit verhältnismäßig geringem Aufwand ohne Beeinträchtigung ihrer Substanz oder Funktionsfähigkeit wieder getrennt werden können, vgl. dazu auch Tiedtke, JZ 2008, 452, 460. 472 Lorenz, JuS 2000, 833, 839; Schmitt, CR 2001, 838, 844; a.A. Hk-Vertriebsrecht/Tonner (2002), § 312d Rn. 29, der allerdings nur auf die ausdrückliche Bezugnahme der entsiegelten Software in § 312d IV Nr. 2 BGB abstellt und damit nicht auf die Nutzung des Internets eingeht. 473 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312d Rn. 2. 474 Kritisch dazu Hk-Vertriebsrecht/Tonner (2002), § 312d Rn. 34, der Kritik ist jedoch nicht beizupflichten.
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teriedienstleistungen nach § 312d IV Nr. 4 BGB in den Regelungskatalog aufgenommen worden. Selbst bei echten Versteigerungen, die durch Zuschlag eines Auktionators 475 zustande kommen (§ 156 BGB),476 sofern sie im Fernabsatz getätigt wurden, soll es nach § 312d IV Nr. 5 BGB keine Rückabwicklung infolge Verbraucherwiderrufs geben. Hiergegen wird z.T. kritisch eingewandt, dass die Interessenlage bei echten Versteigerungen (Zuschlag durch Auktionator) und unechten Versteigerungen (Kauf gegen Höchstgebot nach Zeitablauf, Bsp.: eBay-Internetauktion477) an sich gleich ist.478 Bei dieser Argumentation wird jedoch übersehen, dass die Ausnahme in Nr. 5 vom Leitbild einer traditionellen Versteigerung ausgeht, die häufig als einmaliges Verwertungsereignis konzipiert ist und bei der im Regelfall die Möglichkeit einer Besichtigung besteht, wobei Nr. 5 nur dazu dient, auch Fernanbieter zuzulassen.479 Klarzustellen ist insoweit, dass das Widerrufsrecht im Fernabsatz nach § 312b BGB sowieso nur für echte Fernabsatzverträge gilt, d.h. für Verträge, die über ein entsprechendes organisatorisches Betriebssystem geschlossen werden, was bei echten Versteigerungen nach § 156 BGB ohnehin nicht zutrifft, sodass Nr. 5 insoweit eigentlich nur klarstellende Funktion hat oder für Grenzfälle eine Rolle spielt. Bei typischen Internetverkäufen, wo der Unternehmer (etwa als sog. „power-seller“) hauptsächlich die Internetplattform, die auch von dritter Seite gestellt werden kann, für den Vertrieb verwendet, ist die Interessenlage anders. Ist der Verkäufer hier Unternehmer und nicht Privatmann, muss zugunsten des Verbrauchers ein Widerrufsrecht bestehen und die Anwendungsausnahme in § 312d IV Nr. 5 BGB, die sich nur auf echte Versteigerungen bezieht, erscheint insoweit sinnvoll480 und der Ausdehnung auf unechte Versteigerungen unzugänglich. Bestehende Rückabwicklungsschwierigkeiten sollen das Widerrufsrecht des Verbrauchers überdies bei im Fernabsatz gelieferten Waren oder geleisteten Finanzdienstleistungen verhindern, deren Preis auf dem Finanzmarkt Schwankun475
Vgl. dazu Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 91. Anmerkenswert ist insoweit, dass Versteigerungen im Internet meistens keine echten Versteigerungen im Rechtssinne sind, sondern Kaufverträge gegen Höchstgebot. Derartige Verträge sind daher von der Ausnahme nicht berührt, vgl. dazu BT-Drucks. 14/3195, S. 30; Hk-Vertriebsrecht/Tonner (2002), § 312d Rn. 35; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 91. Selbst bei an sich echten Internet-Versteigerungen wird aber meist eine Klausel verwendet, wonach der Teilnehmer bei Freischaltung der Angebotsseite erklärt, das höchste Angebot anzunehmen. Gleichzeitig wird § 156 BGB abbedungen. Der BGH erklärte diese Klausel für wirksam, vgl. BGH NJW 2002, 363. 477 Vgl. dazu BGH NJW 2002, 363; BGH ZIP 2004, 2334; BGH ZGS 2005, 30. 478 So Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 91. 479 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312d Rn. 5. 480 MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312d Rn. 43; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312d Rn. 13; Hoeren/Müller, NJW 2005, 948 ff.; Staudinger/Schmidt-Bendun, BB 2005, 732 ff. 476
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gen unterliegen, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können (Bsp.: Aktien, Anteilsscheine, Devisen, Derivate etc.), vgl. § 312d IV Nr. 6 BGB. Die Einräumung eines Widerrufsrechts wäre hier unbillig, da andernfalls der Verbraucher auf Risiko des Unternehmers gefahrlos spekulieren könnte.481 In einer letzten Regelung erfasst § 312d IV Nr. 7 BGB die Erbringung von telekommunikationsgestützten Dienstleistungen, die auf Veranlassung des Verbrauchers unmittelbar per Telefon oder Telefax in einem Mal erbracht werden. Auch hier soll das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen gar nicht erst zugebilligt werden. Der verbindende Gedanke, der hinter all den Einzelregelungen des § 312d IV BGB, die eng auszulegen sind,482 steht, ist der, dass immer dann, wenn eine vertragliche Rückabwicklung nach Widerruf des Verbrauchers den Unternehmer außerstande setzen würde, die Leistung nochmals auf dem Markt zu verwerten, weil sie nach der Marktauffassung bereits „entwertet“ ist,483 oder eine nochmalige Verwertung mit unzumutbaren484 Nachteilen für den Unternehmer verbunden ist, die prinzipielle Widerrufsmöglichkeit nach § 312d I BGB von vornherein entfällt.485 In dem nächsten Absatz des § 312d BGB, in Absatz 5, hat der Gesetzgeber eine Konkurrenzregelung für unterschiedliche Widerrufsrechte getroffen, wonach Widerrufsreche nach §§ 495, 506 – 512 BGB vorgehen. Abschließend ist noch auf eine Besonderheit beim Widerruf von Fernabsatzverträgen einzugehen, nämlich die, dass besondere Regeln bezüglich des Umfangs des Rückabwicklungsanspruches für im Fernabsatz vertriebene (Finanz-) Dienstleistungen in § 312d VI BGB aufgenommen wurden. Diese Bestimmung „mildert“486 gleichsam die Wertersatzpflicht des Verbrauchers und zwar inso481 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312d Rn. 6; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312 Rn. 14. 482 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312d Rn. 2; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 89. 483 Zu dieser Einengung bezogen auf den Sinn und Zweck der Regelung, die etwa bei Computern, die speziell auf Kundenwunsch zusammengesetzt wurden, zu einer differenzierten Betrachtung führt vgl. BGH NJW 2003, 1665, 1667; OLG Frankfurt/M. CR 2003, 412; Aigner/Hofmann, Fernabsatzrecht im Internet (2004), Rn. 98; Brönneke, MMR 2004, 127; Fischer, DB 2003, 1103, 1104; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 89; a.A. Gaertner/Gierschmann, DB 2000, 1601, 1603. 484 Allein die Tatsache, dass die Rücknahme der Ware für den Unternehmer überhaupt mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist, ist kein Argument für den Ausschluss des Widerrufsrechts. Denn das ist regelmäßig der Fall und dafür nutzt der Unternehmer auch die Vorteile des Fernabsatzes, was dazu führt, dass ihm diese normalen Rückabwicklungsrisiken aufzuerlegen sind, vgl. dazu EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger; BGH NJW 2003, 1665, 1666; Brönneke, MMR 2004, 127; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 89. 485 BT-Drucks. 14/2658; Hk-Vertriebsrecht/Tonner (2002), § 312d Rn. 26; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312d Rn. 2; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312d Rn. 7 ff. 486 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312d Rn. 8.
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weit, als Wertersatz nur für den Fall des vorherigen Rechtsfolgenhinweises durch den Unternehmer geschuldet wird und der Verbraucher zudem ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Der Hinweis muss bei Einholung der Zustimmung individuell gegeben werden.487 Ohne diese Regelung würde der Verbraucher nach §§ 357 I i.V.m. 346 II Nr. 1 BGB bei einem Widerruf regelmäßig vollen Wertersatz schulden, da eine Herausgabe bei Dienstleistungen nicht möglich ist.488 Die Beweislast für den Hinweis und die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers trägt der Unternehmer.489 3. Reglementierungen des elektronischen Geschäftsverkehrs Neben den Haustür- und Fernabsatzgeschäften wurden vom Gesetzgeber als besondere Vertriebsformen auch Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr490 mit gesonderten Regelungen bedacht, die gerade auch, aber nicht nur, dem Verbraucherschutz dienen. Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs gestaltet sich damit nicht als Verbraucherschutzrecht i.e.S. In den Schutzbereich der gesetzlichen Bestimmungen sind vielmehr alle „Kunden“ des Unternehmers einbezogen, wenn sich der Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags eines Tele- oder Mediendienstes (und damit des „elektronischen Geschäftsverkehrs“) bedient.491 a. Allgemeines Schon früh hat man erkannt, dass der Bereich des so genannten E-Commerce ein erhebliches Potential für den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen – auch und gerade im grenzüberschreitenden Handel – bereit hält, dass diese Form des Produktabsatzes aber mit spezifischen Gefahren für den Kunden verbunden ist, denen es zu begegnen gilt.492 Fernabsatzverträge sind insbesondere für den Verbraucher besonders gefahrträchtig. Die Schutzbedürftigkeit etwai-
487 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312d Rn. 16; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312d Rn. 6. 488 Kritisch zur Beweislast Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 92 f. 489 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312d Rn. 8; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312d Rn. 16. 490 Zur Ökonomie und Technik des Internets siehe Merz, E-Commerce und E-Business (2002); Weiber, Handbuch Electronic Business (2002); grundlegend I. Schultze, Europarechtliche Grenzen für die nationale Gesetzgebung im Bereich des Electronic Commerce (2010). 491 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), Vor § 312 Rn. 1 mit der Anm., dass die §§ 312b-d BGB auch dann gelten, wenn der Kunde etwa der wirtschaftlich Stärkere und intellektuell Überlegenere ist. 492 Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 93.
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ger Kunden ergibt sich aus der Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produkts.493 b. Entstehungsgeschichte Auch mit Blick auf die Rechtsentwicklung in den USA,494 wo das Themenfeld des E-Commerce schon sehr früh angegangen worden ist, wollte die deutsche Regierung bereits im Jahr 1996 den tiefgreifenden Wandel der Informations- und Kommunikationstechnologie als Marktförderungselement nutzbar machen und mit notwendigen Kundenschutzrechten in einen gesetzlichen Rahmen überführen. Zu diesem Zweck brachte die Bundesregierung einen Entwurf betreffend eines Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes (IuKDG) auf den Weg.495 Er enthielt u.a. Regelungen zu Teledienstleistungen (TDG), zum Datenschutz bei Teledienstleistungen (TDDSG) und Regelungen zur elektronischen Signatur (SigG). Das IuKDG trat am 1.8.1997 in Kraft.496 Durch die Verabschiedung der E-Commerce-Richtlinie (Richtlinie 2000/13/ EG) vom 8.6.2000497 kam ein weiterer erheblicher Schub in diesen Rechtsbereich. Denn nun wurde das Themenfeld auch europaweit einheitlich reguliert (zu den Einzelheiten vgl. im nächsten Abschnitt unter c.). Die E-Commerce-Richtlinie war von den Mitgliedstaaten bis zum 17.1.2002 umzusetzen gewesen. Die im deutschen Recht zur Transformation der Richtlinie erfolgten Änderungen gestalteten sich folgendermaßen: Auf die Öffnungsklausel des Art. 9 der E-Commerce-Richtlinie (die Mitgliedstaaten mussten danach die Möglichkeiten des Vertragsschlusses im elektronischen Geschäftsverkehr sicherstellen) sowie auf die Signaturrichtlinie498 reagierte der deutsche Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr“.499 Die Richtlinienvorgaben zum elektronischen Vertragsschluss (Art. 10 und 11 der E-Commerce-Richtlinie) wurden im Zuge der Schuldrechtsreform 500 in den neuen § 312e BGB aufgenommen.501 Die Vorschrift wurde in den durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz neu geschaffenen Untertitel 2 des 1. Teils 493 BGH NJW 2004, 3699; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 3; Martinek, NJW 1998, 207 ff. 494 Nimmer, in: Weyers (Hrsg.), Electronic Commerce – Der Abschluss von Verträgen im Internet (2001), S. 37 ff. 495 BR-Drucks. 966/96. 496 BGBl. 1997 I, S. 1870; Engel-Flechsing/Maennel/Tettenborn, NJW 1997, 298 ff. 497 ABl.EG Nr. L 178/1 v. 17.7.2000. 498 ABl.EG Nr. L 13/12 v. 19.1.2000. 499 Gesetz v. 13.7.2001, BGBl. 2001 I, 1542. 500 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. 2001 I, 3138. 501 Kritisch zur Vorschrift, die einige Unklarheiten der Richtlinie übernimmt, MüKo/ Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 5; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 1; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1.
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des 3. Abschnitts des BGB-Schuldrechts eingefügt. Die Überschrift „Besondere Vertriebsformen“ hebt hervor, dass die Regelungen dieses Abschnittes nicht die inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsgeschäfts reglementieren, sondern die Art und Weise seines Zustandekommens betreffen.502 Weitergehende Vorgaben der Richtlinie wurden durch das Gesetz über die rechtlichen Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG)503 und das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr504 sowie das novellierte Signaturgesetz505 umgesetzt. Bereits vor Erlass der E-Commerce-Richtlinie hatte Deutschland im Teledienstegesetz (TDG) die Haftung von Internetanbietern punktuell geregelt. Entsprechendes galt für so genannte Mediendienste durch den MediendiensteStaatsvertrag (MDStV). Durch das neue EGG wurden die dortigen Haftungsregelungen umgestellt und das TDG um Vorschriften zum Herkunftslandprinzip und zu Informationspflichten erweitert.506 Im MDStV wurden parallele Änderungen vollzogen. Größere Umsetzungsdefizite bezüglich der E-CommerceRichtlinie haben sich nicht ergeben.507 c. Europarechtliche Aspekte Ähnlich wie der US-amerikanische und der deutsche sah auch der europäische Gesetzgeber angesichts neuer Technologien508 zur Jahrtausendwende Handlungsbedarf auf sich zukommen. Erste Initiativen seitens der Gemeinschaft zur Regelung des E-Commerce gehen zurück auf die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte.509 Mit den Grünbüchern über die Telekommunikationsinfrastruktur510 und die Entschließung des Rates vom 18.9.1995511 wurden die politischen Rahmenbedingungen für die Gestaltung der Kommunikationsmärkte festgelegt. Im Anschluss daran folgte die Verabschiedung einer unüberschaubaren Zahl von Rechtsakten mit dem Ziel der Marktliberalisierung auf diesem Gebiet.512
502
BaRoth/Masuch (2. Aufl., 2007), § 312e Rn. 4. Gesetz v. 14.12.2001, BGBl. I, S. 3721. 504 Gesetz v. 13.7.2001, BGBl. I 2001, 1542. 505 Gesetz v. 16.5.2001, BGBl. I 2001, 876. 506 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 292. 507 Zum Befund Haubold, ebenda. 508 Zur Entwicklung des Internet als B2C Marktplatz: Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, TA-Projekt: E-Commerce, BT-Drucks. 14/1006, S. 30 ff. 509 KOM (1996), 359 v. 24.7.1996; KOM (1996), 389 endg. v. 27.11.1996; KOM (1997), 7 endg. v. 22.1.1997. 510 KOM (1994), 440 und KOM (1994), 682. 511 Entschließung des Rates zur Entwicklung des künftigen ordnungspolitischen Rahmens für die Telekommunikation, ABl.EG Nr. C 258/1 v. 3.10.1995. 512 Eine Übersicht gibt Scherer, Telecommunication Laws in Europe (1997), S. 3 ff. 503
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In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, dass die EU-Kommission 1997 eine „Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr“ ergriff.513 Schon im Jahr 1998 legte die Kommission einen Richtlinienvorschlag über bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt vor.514 Er enthielt Regelungen zu fünf Bereichen: die Niederlassung von Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft, die kommerzielle Kommunikation, den Abschluss von elektronischen Verträgen, die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern als Vermittler und die Rechtsdurchsetzung. Nach einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments515 wurde 1999 ein geänderter Richtlinienvorschlag veröffentlicht.516 Mit dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates517 vom 28.2.2000 wurde Art. 11 der E-Commerce-Richtlinie nochmals modifiziert. Wesentliche Regelungsbereiche der E-CommerceRichtlinie sind das Herkunftslandprinzip (Art. 3),518 die Zulassungsfreiheit für Diensteanbieter (Art. 4), Informationspflichten, die alle Diensteanbieter zu erfüllen haben (Art. 5), besondere Regelungen für kommerzielle Kommunikation (Art. 6 ff.), Informationspflichten bei Diensten der Informationsgesellschaft (Art. 10 ff.)519 und die Verantwortlichkeit der Vermittler (Art. 12 ff.).520 Nach der politischen Einigung im Dezember 1999 und dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates521 trat die E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG)522 schließlich am 17.7.2000 in Kraft. Die Richtlinie 2000/31/EG523 des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, bildet den Kern der europäischen Regelungsinitiativen zum elektronischen Geschäftsverkehr. Ziel der Richtlinie ist es, die in der Technik begründeten Vorteile elektronischer Kommunikation für den Binnenmarkt nutzbar zu machen. Individuelle Transaktionen im elektronischen Geschäftsverkehr sollten vereinheitlicht und transparent 513 Mitteilung der Kommission: „Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr“ v. 16.4.1997, KOM (1997), 157 endg.; vgl. Schippan, ZUM 1997, 813 ff. 514 Vgl. den Richtlinienvorschlag v. 18.11.1998, KOM (1998), 586 endg., ABl.EG Nr. C 30/4 v. 5.2.1999; siehe dazu Brisch, CR 1999, 235 ff.; Landfermann, ZUM 1999, 795 ff. 515 Europäisches Parlament, A4–0248/99 v. 6.5.1999. 516 KOM (1999), 427 endg.; Spindler, ZUM 1999, 775 ff. 517 Gemeinsamer Standpunkt des Rates 14263/1/99 REV 1. 518 Siehe dazu Ahrens, CR 2000, 835 ff.; Apel/Grapperhaus, WRP 1999, 1247, 1251 ff.; Bernreuther, WRP 2001, 513 ff.; Halfmeier, ZEuP 2001, 837, 863 ff.; Mankowski, ZVerglRWiss 100 (2001), 137 ff.; Spindler, WM 2001, 1689; ders., ZHR 165 (2001), 324, 332 ff. 519 Thode, NZBau 2001, 345 ff. 520 Satzger, CR 2001, 109 ff. 521 ABl.EG Nr. C 128/32 v. 8.5.2000. 522 Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr 2000/31/EG, ABl.EG Nr. L 178/1 v. 17.7.2000. 523 ABl.EG Nr. L 178/1 ff.; abgedruckt u.a. in NJW 2000 Beilage zu Heft 36 und EuZW 2000, 527.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
gestaltet werden.524 Die Verabschiedung der E-Commerce-Richtlinie stützt sich ausweislich ihrer Begründung auf die Kompetenz der Gemeinschaft, den Binnenmarkt nach Art. 47 II, Art. 55 und Art. 95 EGV zu harmonisieren.525 Die gemeinschaftsrechtliche Grundlage des § 312e BGB hat zur Folge, dass die Vorschrift richtlinienkonform ausgelegt werden muss. In den Grenzen des noch möglichen Wortsinns ist daher diejenige Auslegungsalternative zu wählen, die den Regelungen der E-Commerce-Richtlinie am besten gerecht wird.526 Den Kern der E-Commerce-Richtlinie bildet das Herkunftslandprinzip in Art. 3. Es umfasst zwei Aspekte: Zum einen dürfen die Mitgliedstaaten Dienste der Informationsgesellschaft, die von Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten erbracht werden, nicht beschränken. Elektronische Leistungen oder Angebote, die im Herkunftsstaat legal sind, müssen also im gesamten Gemeinschaftsbereich zulässig sein.527 Zum anderen sind die Mitgliedstaaten – sozusagen als Gegenstück zum freien Dienstleistungsverkehr – verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften durch die auf ihrem Territorium niedergelassenen Diensteanbieter zu überwachen. Bereits im Rechtssetzungsverfahren wurde das Abstellen auf das Herkunftslandprinzip stark angegriffen. Es wurde – zu Recht528 – geltend gemacht, dass es ohne vorhergehende weit reichende materiell-rechtliche Harmonisierung dazu kommen wird, dass sich die jeweils laxesten Vorschriften durchsetzen (so genanntes „race to the bottom“).529 Außerdem sei das Verhältnis des Herkunftslandprinzips zu den Regeln des Internationalen Privatrechts unklar.530 d. Verhältnis zu anderen Vorschriften Während § 312e BGB die Modalitäten der Vertragsanbahnung und -abwicklung regelt, dient das in Anlehnung an die Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie ebenfalls eingeführte Gesetz über die rechtlichen Rahmenbedingungen im elektronischen Geschäftsverkehr der Kodifizierung der Verantwortlichkeit des Diensteanbieters und der Einführung des Herkunftslandprinzips.531 Das darüber hinaus auf Grund der E-Commerce-Richtlinie notwendig gewordene 524 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 1; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1. 525 Grundlegend zum Ganzen I. Schultze, Europarechtliche Grenzen für die nationale Gesetzgebung im Bereich des Elektronic Commerce (2010). 526 BaRoth/Masuch (2. Aufl., 2007), § 312e Rn. 3. 527 Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 290. 528 Vgl. dazu meine allgemeinen kritischen Ausführungen zum Herkunftslandprinzip im 1. Teil, 7. Kapitel E V 2. 529 Hoeren, MMR 1999, 192, 194; Mankowski, GRUR Int. 1999, 909, 913; Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 290. 530 Hoeren, MMR 1999, 1992, 195; ausführlich dazu Haubold, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 263, 314. 531 Spindler, NJW 2002, 921, 922; vgl. dazu auch BGH CR 2007, 34 ff.
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„Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr“ statuiert in Verbindung mit der Neufassung des Signaturgesetzes die rechtlichen Rahmenbedingungen für die elektronische Signatur. Erfüllt ein Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr zugleich die Voraussetzungen eines Fernabsatzvertrages (was regelmäßig der Fall ist, wenn der Vertragspartner des Unternehmers als Verbraucher i.S.v. § 13 BGB zu qualifizieren ist), finden die Informationspflichten nach § 312c I BGB i.V.m. Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB neben denen nach § 312e BGB i.V.m. Art. 246 § 3 EGBGB Anwendung, vgl. § 312e III 1 BGB.532 Eine Verschränkung von Fernabsatz und elektronischem Geschäftsverkehr stellt § 312e III 2 BGB her, wonach die Frist für das dem Verbraucher gemäß §§ 312d I, 355 BGB zustehende Widerrufsrecht an die Erfüllung der in § 312e I 1 BGB geregelten Informationspflichten geknüpft ist.533 Bei einer Vertragsanbahnung ohne elektronischen Geschäftsverkehr (etwa im Bereich des Katalog-Versandhandels)534 ist § 312e BGB nicht anwendbar; hier ist allein auf §§ 312b–d ff. BGB abzustellen. Für Zahlungen, die auf Grund eines Fernabsatzgeschäftes zu bewerkstelligen sind, enthalten die §§ 312b ff. BGB keine gesonderten Vorgaben. Die Zahlung kann mit Internetzahlungsmitteln (E-Cash, Cybercash) erfolgen.535 Trotz der bestehenden Risiken536 wird i.d.R. mit Kreditkarten gezahlt.537 e. Regelungsinhalt Die E-Commerce-Richtlinie, auf deren Umsetzung sich § 312e BGB stützt, ist nicht in erster Linie eine Verbraucherschutzrichtlinie. 538 Dies spiegelt sich vor allem im persönlichen Anwendungsbereich wider. Geregelt wird der elektronische Geschäftsverkehr als Medium, weitgehend unabhängig vom Status des Kunden.539 § 312e BGB knüpft ebenso wie § 312 BGB (Haustürgeschäfte) und § 312b BGB (Fernabsatzgeschäfte) an eine besondere Vertragsschluss-Situation außer532 BaRoth/Masuch (2. Aufl., 2007), § 312e Rn. 5; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 11; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 4. 533 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 4. 534 BaRoth/Masuch (2. Aufl., 2007), § 312e Rn. 6. 535 Hoeren, WM 2003, 752; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 5. 536 Ein Risiko besteht darin, dass die PIN bekannt wird oder dass der Händler wegen der unbefugten Benutzung der Karte eines anderen leer ausgeht. 537 Pichler, NJW 1989, 3234; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312b Rn. 5. 538 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1: „Keine reine Verbraucherschutzvorschrift“. Trotzdem wird die Regelungsvorgabe in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UKlaG als „Verbraucherschutzgesetz“ bezeichnet. 539 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 2; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1; Müko/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 3; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 2; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 95; Micklitz, in: Micklitz/ Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312 Rn. 5.
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halb von Geschäftsräumen an und statuiert vor diesem Hintergrund spezielle Informations- und Bereitstellungspflichten für den Unternehmer.540 aa. Persönlicher Anwendungsbereich Die Anwendung des § 312e BGB setzt in persönlicher Hinsicht voraus, dass der Warenlieferant bzw. Dienstleister, der sich zur Anbahnung des Vertrages Teleoder Mediendiensten bedient, Unternehmer i.S.d. § 14 I BGB ist. Hinsichtlich seines Vertragspartners werden keine besonderen Voraussetzungen aufgestellt; Richtlinie und Gesetz sprechen hier ganz allgemein vom Kunden. Er kann Verbraucher (§ 13 BGB), aber auch Unternehmer (§ 14 BGB) sein.541 bb. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich erstreckt sich auf Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr.542 Erforderlich hierfür ist, dass sich ein Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrages eines Tele- oder Mediendienstes bedient. Damit will der deutsche Gesetzgeber den Begriff des „Dienstes der Informationsgesellschaft“ in das deutsche Recht umsetzen.543 (1.) Teledienst Der in der Vorschrift verwandte Begriff des Teledienstes bezieht sich auf die in § 2 TDG a.F. festgelegte Definition.544 Als Teledienste wurden nach dieser mittlerweile in das TMG überführten Vorschrift545 (vgl. dazu § 1 TMG) alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste aufgefasst, die für eine individuelle Nutzung von kombinierbaren Daten wie Zeichen, Bildern oder Tönen bestimmt sind und denen eine Übermittlung mittels Telekommunikation zu Grunde liegt. Teledienste in diesem Sinne waren nach § 2 II TDG a.F. insbesondere Angebote im Bereich der Individualkommunikation (zum Beispiel Telebanking, Datenaustausch), Angebote zur Information oder Kommunikation, soweit nicht die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht (Datendienste, zum Beispiel Verkehrs-, Wetter-, Umwelt- und Börsendaten, Verbreitung von Informationen über Waren 540 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 2; zu Rechtsfragen mit Auslandsbezug vgl. Horn, MMR 2002, 209, 212. 541 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 169; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312 Rn. 5; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1, 2; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 3. 542 Zum weiten Begriff der Waren- bzw. Dienstleistung vgl. Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 6. 543 Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 25. 544 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 8; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 20; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 2. Diese Begriffsdefinition wurde mit dem TMG aufgegeben und zusammen mit dem Begriff der Mediendienste nach dem früheren MDStV im neuen TMG dem einheitlichen Begriff der Telemedien unterstellt. 545 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 2.
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und Dienstleistungsangebote), Angebote zur Nutzung des Internets oder weiterer Netze, Angebote zur Nutzung von Telespielen, Angebote von Waren und Dienstleistungen in elektronisch abrufbaren Datenbanken mit interaktivem Zugriff und unmittelbarer Bestellmöglichkeit (Internet-Shopping). 546 (2.) Mediendienst Der Begriff Mediendienst ist dem früheren § 2 I MDStV entnommen. Der Begriff ist mittlerweile ebenfalls in das TMG547 überführt und hier dem einheitlichen Begriff des Teledienstes (vgl. § 1 TMG) unterstellt worden.548 Unter dem Mediendienst, der heute zusammen mit dem Teledienst im neuen Anwendungsbereich des TMG aufgeht, versteht man an die Allgemeinheit gerichtete Informationsund Kommunikationsdienste in Text, Ton oder Bild, die unter Benutzung elektronischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters verbreitet werden.549 Für § 312e BGB relevant war insofern § 2 II Nr. 1 MDStV a.F., der Verteildienste in Form von direkten Angeboten an die Öffentlichkeit für den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt (als so genanntes „Teleshopping“) regelt. (3.) Reduktion des sachlichen Anwendungsbereiches In seiner Begründung550 zur Einführung des § 312e BGB stellte der Gesetzgeber klar, dass die Vorschrift nur solche Tele- und Mediendienste reglementieren soll, die der Nutzer bzw. Empfänger individuell elektronisch und zum Zwecke einer Bestellung abrufen kann („Punkt-zu-Punkt-Kommunikation“). Nicht erfasst werden sollten bloße „Verteildienste“, also Tele- und Mediendienste, die im Wege einer Übertragung von Daten ohne individuelle Aufforderung gleichzeitig für eine unbegrenzte Zahl von Nutzern erbracht werden.551 Aus diesem Grunde reglementiert § 312e I BGB weder das Fernsehen noch den Hörfunk oder den Teletext.552 Eine weitere Legalausnahme enthält Abs. 2 Satz 1. Nicht einbezogen in den Regelungsbereich des § 312e I 1 Nr. 1–3 BGB sind danach auch solche Kontrakte, die ausschließlich durch individuelle Kommunikation geschlossen werden, vgl. § 312e II 1 BGB. Von den Pflichten nach § 312e I 1 Nr. 1–3 BGB freigestellt ist 546
Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 9; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 3; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 2; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 2. 547 TMG v. 26.2.2007, BGBl. 2007 I, S. 179. 548 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 2. 549 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 2. 550 BT-Drucks. 14/6040, S. 171. 551 Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 27; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 10; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 2. 552 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 3; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 12; Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 104; Brisch, CR 1999, 235, 236.
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damit beispielsweise ein durch individuellen E-Mail-Austausch geschlossener Vertrag.553 Denn dieser unterscheidet sich durch seinen personalen Direktbezug kaum von einer individuellen Vertragsanbahnung auf postalischem Wege.554 Durch diese Einschränkung des Anwendungsbereiches (die i.Ü. nicht auf den Telefonverkehr555 zielt, da dieser schon per Definition keinen Tele- oder Mediendienst betrifft),556 bringt der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck, dass § 312e I 1 BGB nur auf die Reglementierung solcher Gefahren im elektronischen Geschäftsverkehr zielt, die gerade in der fehlenden Individualisierung des Erklärungsaustausches ihren Grund finden. (4.) Einsatz der Tele- oder Mediendienste zum Zweck des Vertragsschlusses Die vom Unternehmer verwandten Tele- oder Mediendienste müssen nach § 312e I 1 BGB darauf abzielen, dass ein Vertrag im Wege des elektronischen Geschäftsverkehrs geschlossen wird. Die Regelung gilt mithin nicht für jede Verwendung eines Tele- oder Mediendienstes.557 Irrelevant für die Anwendung des § 312e I 1 BGB ist auch, auf welchem Wege die Leistungserbringung erfolgt. Diese muss nicht notwendig unter Einsatz von Tele- und/oder Mediendiensten erbracht werden.558 Das hat zur Folge, dass die Vorgaben des § 312e BGB auch dann Beachtung finden müssen, wenn Kaufverträge über einen Internet-Bestellservice geschlossen werden, die Ware aber auf traditionellem Wege durch postalischen Versand an den Kunden geliefert wird.559 f. Pflichten des Unternehmers im elektronischen Geschäftsverkehr Die Pflichten, welche der Unternehmer bei der Vertragsanbahnung im elektronischen Geschäftsverkehr zu beachten hat, ergeben sich im Einzelnen aus dem in § 312e I 1 Nr. 1–4 BGB geregelten Katalog von Verhaltensanforderungen. Sie stellen rechtsdogmatisch gesetzlich normierte Nebenpflichten i.S.d. § 241 II BGB dar, die schon bei Anbahnung des geschäftlichen Kontakts entstehen. 560 Diese sind nach zutreffender Ansicht selbständig einklagbar.561 553 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 9; Gierschmann, DB 2000, 1315, 1318; kritisch Micklitz, EuZW 2001, 133, 138. 554 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 5; vgl. auch BT-Drucks. 14/6040, S. 172. 555 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 3; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 2. 556 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 5. 557 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 2; Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 18. 558 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 13. 559 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 4. 560 Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 63. 561 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 69.
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aa. Information über Korrekturmöglichkeit gemäß § 312e I 1 Nr. 1 BGB § 312e I 1 Nr. 1 BGB zwingt den Unternehmer, zugunsten des Kunden eine Korrekturmöglichkeit für Eingabefehler, die anlässlich der Bestellung erfolgt sind, bereitzustellen. Der Begriff der „Bestellung“ ist dabei weit auszulegen. Er erfasst nicht nur die rechtsverbindliche Erklärung i.S.e. Angebots bzw. einer Annahme durch den Kunden, sondern auch die ohne Rechtsbindungswillen seitens des Kunden abgegebene bloße Anfrage i.S.d. invitatio.562 Ein entsprechendes Schutzbedürfnis für die Ausdehnung des Anwendungsbereiches ergibt sich bereits aus den häufig bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten beider Erklärungsformen und der Möglichkeit eines (in AGB versteckten) Erklärungsdiktats563 durch den Unternehmer, der sich möglicherweise einer vorgefertigten Bestellmaske bedient, aus der heraus für den Kunden nicht eindeutig ersichtlich ist, ob die seinerseits abgegebene Erklärung bereits als rechtsverbindliche Willenserklärung aufgefasst werden soll oder nicht. Die technischen Mittel zur Prüfung und Korrektur von Eingabefehlern sind in vielfältiger Form gestaltbar. Sie müssen dem Kunden nicht aufgenötigt werden. Ob er sie nutzt oder ignoriert, ist ausschließlich seine Angelegenheit. Wichtig ist nur, dass die technischen Kontroll- und Korrekturmechanismen bereit stehen, und zwar in angemessener und zugänglicher Form.564 Dabei kommt es auf den Verständnishorizont des Durchschnittskunden an.565 Hat der Kunde schließlich Änderungen vorgenommen, so müssen diese wohl auch wieder Gegenstand einer Fehlerkorrektur sein.566 Denn der Richtlinie ist keine Einschränkung auf eine einmalige Korrektur zu entnehmen. Geschützt sind vielmehr alle Eingaben, auch die im Rahmen der Fehlerkorrektur.567 Die Verpflichtung zur Einräumung der Korrekturmöglichkeit in § 312e I 1 Nr. 1 BGB hat keinen Einfluss auf die sonstige Vertragsschlussdogmatik des BGB, insbesondere soll sie durch die Regelung zum elektronischen Geschäftsverkehr nicht abgeändert werden. Der Gesetzgeber hat dies darin zum Ausdruck gebracht, dass er für den Fall der Pflichtverletzung im dritten Absatz lediglich den Beginn der Widerrufsfrist zeitlich hinausschiebt, vgl. § 312e III 2 BGB. Daraus ergibt sich, dass 562
Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 15; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 5; Klimke, CR 2005, 582 f.; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 97. 563 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 60; vgl. dazu auch AG Wolfenbüttel, MMR 2003, 492. 564 MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 62; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 97. 565 Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 69; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 97. 566 Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 62. 567 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 97.
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der im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossene Vertrag auch bei einer Pflichtverletzung des Unternehmers nicht per se unwirksam ist.568 bb. Weitere Informationspflichten gemäß § 312e I 1 Nr. 2 BGB § 312e I 1 Nr. 2 BGB verweist in seiner neuen Fassung auf die Informationspflichten nach Art. 246 § 3 EGBGB. Die hier geregelten Informationen hat der Unternehmer dem Kunden rechtzeitig vor Abgabe der Bestellung klar und verständlich mitzuteilen. § 312e I Nr. 2 BGB übernimmt damit das aus § 312c I BGB bekannte Transparenzgebot. Auch zur Rechtzeitigkeit kann auf das zu § 312c BGB Gesagte verwiesen werden. Um welche Angaben es sich bei denen nach § 312e I 1 Nr. 2 BGB geregelten Informationen genau handelt, legt Art. 246 § 3 Nr. 1–5 EGBGB in einem Katalog fest. Erforderlich sind insofern Informationen: – über die einzelnen technischen Schritte, die zu einem Vertragsschluss führen, – darüber, ob der Vertragstext nach dem Vertragsschluss von dem Unternehmer gespeichert wird und ob er dem Kunden zugänglich ist, – darüber, wie er mit den gemäß § 312e I 1 Nr. 1 BGB zur Verfügung gestellten technischen Mitteln Eingabefehler vor Abgabe der Vertragserklärung erkennen und berichtigen kann, – über die für den Vertragsschluss zur Verfügung stehenden Sprachen und – über sämtliche einschlägigen Verhaltenskodizes, denen sich der Unternehmer unterwirft, sowie über die Möglichkeit eines elektronischen Zugangs zu diesen Regelwerken. Mit der Verweisung auf das EGBGB bedient sich der Gesetzgeber aus Gründen der Übersichtlichkeit der gleichen Regelungstechnik wie bei § 312c I BGB (bei Fernabsatzverträgen). Soweit bei dem im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossenen Vertrag zugleich die Voraussetzungen eines Fernabsatzvertrages vorliegen (was regelmäßig der Fall ist), treten die Informationspflichten nach Art. 246 § 3 EGBGB neben die aus Art. 246 §§ 1, 2 EGBGB, vgl. § 312e III 1 BGB. cc. Zugangsbestätigung gemäß § 312e I 1 Nr. 3 BGB Gemäß § 312e I 1 Nr. 3 BGB hat der Unternehmer dem Kunden den Zugang seiner Bestellung auf elektronischem Wege unverzüglich zu bestätigen. Die Norm statuiert für den Unternehmer eine zusätzliche Pflicht, die auf Seiten des Kunden für Transparenz sorgen soll. Außerhalb des Bereichs der Vertragsanbahnung im elektronischen Geschäftsverkehr besteht auf Grund der Gesetzeslage keine Möglichkeit, eine unverzügliche Zugangsbestätigung zu fordern. Um sich zu schützen und nicht über lange Zeit im Ungewissen zu verharren, kann die vertrags568 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 29; BaRoth/Masuch (2. Aufl., 2007), § 312e Rn. 32; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 67.
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willige Partei hier lediglich eine Annahmefrist setzen (vgl. § 146 BGB). Die Frist nach § 312e I 1 Nr. 3 BGB beginnt, sobald der Unternehmer die Möglichkeit hat, auf die Bestellung des Kunden zurückzugreifen. Ihr ist Genüge getan, wenn der Kunde die Bestellbestätigung abrufen kann (§ 312e I 2 BGB). Die Erklärung, die der Unternehmer abzugeben hat, kann dabei die von der Regelung geforderte bloße Bestätigung des Zugangs der Kundenerklärung sein.569 Sie kann aber auch darüber hinausgehen und die Vertragsannahme beinhalten, mit der der Eingang der Kundenerklärung zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht wird. 570 Die Einordnung der unternehmerseitigen Erklärung (bloße Empfangsbestätigung oder bereits Annahme des Angebots des Kunden) richtet sich nach dem objektiven Sinn der Erklärung (§§ 157, 133 BGB) und nicht nach dem subjektiven Willen einer der Parteien.571 Relativ einmütig geht man heute davon aus, dass eine Bestätigung mit dem Inhalt, „der erteilte Auftrag werde bald ausgeführt“, nach dem Empfängerhorizont in der Regel als Annahmeerklärung auszulegen ist.572 Dies gilt in dem hier geschilderten Fall selbst dann, wenn die Erklärung automatisiert, d.h. im so genannten „Auto-Reply“-Verfahren erfolgt, da sie auch hier dem Unternehmer, der für die Installation eines entsprechenden Programms verantwortlich ist, zugerechnet werden kann.573 Der Umstand, dass der Unternehmer bei vorgefertigten, für eine Vielzahl von Fällen versandten Bestätigungen das Risiko der Zweideutigkeit tragen muss, lässt sich mit dem Rechtsgedanken des § 305c II BGB begründen.574 Die Annahme, die die Empfangsbestätigung einschließt, muss, um den Anforderungen nach Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu genügen, allerdings auf elektronischem Wege erfolgen. Der Unternehmer wird dafür auf einen Tele- oder Mediendienst zurückgreifen müssen.575 Denkbar ist bei einer Internetbestellung die Bestätigung auf dem Monitor. Es können aber auch andere oder zusätzliche Wege, beispielsweise per E-Mail oder per SMS, beschritten werden.576
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Vgl. dazu LG Hamburg NJW-RR 2004, 1568; AG Hamburg NJW-RR 2004, 1284. Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 129; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 9. 571 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 7; Stockmar/Wittwer, CR 2005, 118; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 129. 572 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 130 f.; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 9; LG Köln VuR 2003, 277, 278; wohl auch OLG München MMR 2003, 274; AG Westerburg, MMR 2003, 609; a.A. noch AG Butzbach, CR 2002, 765. 573 LG Köln VuR 2003, 277 f.; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 9. 574 Kimmelmann/Winter, JuS 2003, 532, 535; Winter, VuR 2003, 36. 575 BaRoth/Masuch (2. Aufl., 2007), § 312e Rn. 26; Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 101. 576 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 9; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 96. 570
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
§ 312e I Nr. 3 BGB spricht des Weiteren von einer „unverzüglichen“ Bestätigung. Das Wort unverzüglich ist legal definiert und bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 I 1 BGB).577 Es kommt hier auf die Verkehrsüblichkeit an.578 Für gewöhnlich wird am Ende des Bestellvorgangs bei Vertragsofferten im Internet die Bestätigung sofort bzw. unmittelbar im Anschluss an den Sendebefehl auf dem Monitor angezeigt.579 Zusätzlich wird in der Regel eine E-Mail mit der Bestellbestätigung an den Kunden versandt, die spätestens nach drei bis fünf Stunden ankommt. Diese Reaktionszeiten sind ohne weiteres durch den Einsatz moderner Technik einzuhalten, sodass Bestätigungen, die länger brauchen als fünf Stunden, als verspätet angesehen werden müssen.580 dd. Abrufmöglichkeit für Vertragsbestimmungen gemäß § 312e I 1 Nr. 4 BGB § 312e I 1 Nr. 4 BGB bringt zum Ausdruck, dass der Kunde i.S.d. Erlangung von Rechtssicherheit die Möglichkeit haben muss, die Vertragsbedingungen (einschließlich der AGB) sowohl vor als bei Vertragsschluss abzurufen und zu speichern. Der Unternehmer muss dem Kunden die erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen, damit dieser sie abrufen und in wiedergabefähiger Form speichern kann. Er ist jedoch nicht verpflichtet, seinerseits die Initiative zu ergreifen und die Vertragsbedingungen einschließlich der AGB an den Kunden zu senden.581 Bezogen auf AGB, die im Rahmen der Vertragsanbahnung gegenüber Verbrauchern eingebracht werden, verschärft § 312e I 1 Nr. 4 BGB allerdings die vom Unternehmer zu beachtenden Anforderungen über den von § 305 II BGB für die Einbeziehung festgelegten Maßstab, weil die AGB nach § 312e I 1 Nr. 4 BGB nicht nur abrufbar, sondern auch in wiedergabefähiger Form speicherbar sein müssen. Für den unternehmerischen Verkehr gilt diese Restriktion erst recht, da § 305 II BGB wegen § 310 I 1 BGB nicht anwendbar ist. Allerdings handelt es sich bei Nichteinhaltung der von Abs. 1 S. 1 Nr. 4 statuierten Anforderungen nur um Obliegenheitsverletzungen. Diese haben keinen Einfluss auf den Vertragsschluss selbst. Was Vertragsinhalt geworden ist, bestimmt sich allein nach dem objektiven Inhalt der abgegebenen und zugegangenen Erklärungen. Gleiches gilt für AGB. Ob die AGB des Verwenders wirksam in den Vertrag einbezogen wurden, ist mithin auf der Grundlage des § 305 577
Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 17; Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 100. 578 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 142. 579 AG Wolfenbüttel, MMR 2003, 492. 580 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 142 f.; für eine sehr kurze Frist Dörner, AcP 202 (2002), 363, 378; a.A. Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk-Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 100; ders., EuZW 2001, 133, 142, der maximal 24 Stunden verlangt. 581 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 10.
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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II BGB (§ 310 I 1 BGB) zu ermitteln.582 Als sanktionales Instrument ist hier nur zu erwägen, dem Kunden einen Anspruch auf nachträgliche Unterrichtung einzuräumen.583 g. Abweichende Vereinbarungen Von § 312e I 1 Nr. 1–3 und Satz 2 BGB abweichende Vereinbarungen können gemäß § 312e II 2 BGB nur im B2B-Bereich (d.h. nur zwischen Unternehmern als Vertragspartner) geschlossen werden, nicht etwa, wenn der Kunde ein Verbraucher ist.584 Jenseits dieser Spezialregelung gilt § 312g S. 1 BGB, der aus Gründen des Verbraucherschutzes abweichende Vereinbarungen und Umgehungen bezüglich der gesetzlichen Vorgaben verbietet. h. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Vielfach wurde die Frage aufgeworfen, ob die Nichtbeachtung der Pflichten nach § 312e I BGB die Nichtigkeit des Vertrages zur Folge hat. Dies wurde zutreffend mit der Begründung abgelehnt, dass der Nutzer den Erfüllungsanspruch verlieren und damit die Pflichten des § 312e BGB ins Leere laufen würden.585 Liegen trotz der Nichtbeachtung der Pflichten mindestens zwei wirksame Willenserklärungen im Hinblick auf einen Vertragsschluss vor (und sind diese nicht angefochten worden), besteht nach allgemeinen Vertragsschlussregeln ein wirksamer Vertrag.586 Dies ergibt sich im Umkehrschluss auch aus der in Abs. 3 enthaltenen Änderung des Laufs der Widerrufsfrist. Der Verbraucher hat hier zunächst einen Anspruch auf formgerechte Mitteilung der Information i.S.d. Nachholung.587 aa. Herausgeschobener Beginn der Widerrufsfrist Als einzige explizite Sanktion für den Unternehmer bzgl. einer Verletzung der gesetzlich normierten Nebenpflicht regelt § 312e III 2 BGB in Abweichung zu § 355 III 1 BGB, dass in all jenen Fällen, in denen dem Kunden als Verbraucher auf Grund anderer Regelungen ein Widerrufsrecht zusteht, der Lauf der Widerrufsfrist erst nach Erfüllung der Pflichten aus § 312e I 1 BGB beginnt.588 Neben der Änderung betreffend der Widerrufsfrist hat der Gesetzgeber keine weitergehenden Sanktionen in § 312e BGB angeordnet.589 Das Eingreifen anderer (allgemei582 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 10; Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 8; Meyer, DB 2004, 2739, 2741. 583 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 12. 584 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 9. 585 BT-Drucks. 14/6040, S. 173; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 29; Jauernig/ Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 8; BaRoth/Masuch (2. Aufl., 2007), § 312e Rn. 32; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2007), S. 67. 586 Palandt/Grüneberg (68. Aufl., 2009), § 312e Rn. 11; Grigoleit, WM 2001, 597. 587 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 8. 588 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 8. 589 BT-Drucks. 14/6040, S. 173 ff.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
ner) Regelungen ist jedoch auch nicht explizit ausgeschlossen worden. Sofern der im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossene Vertrag zugleich ein Fernabsatzvertrag ist (was regelmäßig der Fall sein dürfte), kommt daher für den Betroffenen, wenn er Verbraucher i.S.d. § 13 BGB ist, die Ausübung eines Widerrufsrechtes nach § 312d I BGB in Betracht. bb. Vertragsauflösung durch Anfechtung und Ersatz des Vertrauensschadens Daneben ist zu überprüfen, ob eine Vertragslösung durch Anfechtung möglich ist, was insbesondere für den Unternehmer590 interessant sein dürfte, dem ein Widerrufsrecht nach § 312d I BGB nicht zusteht, da er aus dem persönlichen Anwendungsbereich der Regelung herausfällt. Insofern ist Folgendes herauszustellen: War sich der Kunde bei Absendung der Bestellung mangels eines unzureichenden oder fehlenden Hinweises der Gegenseite nicht im Klaren darüber, dass er einen Bestellvorgang einleitet und eine rechtsverbindliche Erklärung abgibt, handelt es sich um einen Fall fehlenden Erklärungsbewusstseins.591 Dieser Umstand beeinträchtigt die Wirksamkeit der abgegebenen Willenserklärung nicht, solange der Erklärende hätte erkennen können, dass er eine rechtsverbindliche Erklärung abgibt.592 Maßgeblich ist also der objektive Erklärungsgehalt der „Bestellung“ unter Bezugnahme der äußeren Programmgestaltung. Falls dem Kunden danach die Willenserklärung i.S.e. Angebotes oder einer Annahme zurechenbar ist, kann sie aber analog §§ 119 I 1, 121, 143 BGB angefochten werden.593 Das Gleiche gilt, wenn der Kunde zwar eine rechtsverbindliche Erklärung abgeben wollte, er sich dabei aber verschrieben bzw. vergriffen hat oder über den Inhalt der Erklärung im Irrtum war. Hier handelt es sich um einen direkten Anwendungsfall des Inhalts- bzw. Erklärungsirrtums i.S.d. § 119 I BGB.594 Sollten hingegen Abweichungen beim Übermittlungsvorgang, etwa auf Grund eines Defektes des Servers auftreten, ist dies eine Konstellation für § 120 BGB.595 Das Problem ist, wie überall bei der Anfechtung, dass der Kunde den Irrtumstatbestand beweisen muss.596 Hier sollten bei Pflichtverletzungen des Unternehmers nach § 312e I 1 BGB, deren Ursächlichkeit für den Irrtum durch den Kunden nach590
Bejahend etwa für Eingabefehler des Unternehmers OLG Hamm NJW 2004, 2601. Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 30; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 112. 592 BGHZ 91, 324 ff.; a.A. Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 30. 593 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 13; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 4; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 120; Grigoleit, WM 2001, 597, 602. 594 OLG München MMR 2003, 274; LG Köln VuR 2003, 277 f.; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 14; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 98; Micklitz, in: Micklitz/Tonner (Hrsg.), Hk- Vertriebsrecht (2002), § 312e Rn. 55; Hoppmann/Moos, NVersZ 1999, 197, 200; Grigoleit, WM 2001, 597, 602. 595 So deutlich OLG München MMR 2003, 274, 275; Hoppmann/Moos, NVersZ 1999, 197, 200. 596 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 119 Rn. 32. 591
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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vollziehbar dargelegt wurde, Beweiserleichterungen zugunsten des Bestellenden greifen.597 Darüber hinaus stellt sich bei der Anfechtung des Rechtsgeschäfts die Frage, ob der Schadensersatzanspruch des Unternehmers nach § 122 I BGB über § 122 II BGB hinaus begrenzt oder ausgeschlossen sein kann, wenn der Unternehmer durch Verletzung seines nach § 312e I BGB durch den Gesetzgeber definierten Pflichtenkreises die fehlerhafte Willenserklärung „mitverursacht“ hat. 598 Dies ist zu bejahen.599 Die Mitverursachung des Unternehmers ergibt sich daraus, dass er seine Pflichten nach § 312e I 1 BGB nicht beachtet hat. Denn mit dieser Regelung wird die Verantwortung für den Erklärungsvorgang des Kunden auf den Unternehmer übertragen, der ihn gestalten kann und muss. Die Begrenzung oder der Ausschluss eines Schadensersatzanspruches gemäß § 122 BGB gestaltet sich dann auf der Grundlage des § 254 BGB.600 Der Schutzzweck der Pflicht ist dahingehend in Ansatz zu bringen, dass man hinterfragt, ob die jeweils konkret verletzte Pflicht gerade den aufgetretenen Defekt verhindern wollte. Die konkrete Quote für die Mitverursachung ist grundsätzlich einzelfallabhängig zu bestimmen. Unabhängig davon kommt dem Kunden jedoch die aus dem Schadensrecht für die Kausalität geltende Vermutung für aufklärungsrichtiges Verhalten601 zugute. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Verursachungsbeitrag des Unternehmers regelmäßig 100 % ausmacht und damit der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches nach § 122 BGB vollständig entgegensteht.602 cc. Vertragsanpassung und -auflösung nach den Grundsätzen der cic Von der Frage der Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts ist die weitergehende Problematik eines Schadensersatzanspruches wegen einer (vor-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung nach § 280 I BGB i.V.m. §§ 241 II, 311 II BGB zu trennen. Auf diese Möglichkeit hatte schon der Gesetzgeber hingewiesen.603 Sie wird auch von der Literatur befürwortet.604 Das für den Tatbestand erforderliche vorver597 Grigoleit, WM 2001, 597, 602; zurückhaltend aber Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 114. 598 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 1; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 120; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 14; Hoffmann, NJW-Beilage 14/2001, S. 8. 599 Ebenda. 600 PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 14; Müko/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 120; Glatt, ZUM 2001, 390, 395; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 81. 601 BGH NJW 1994, 513; Hoffmann, ZIP 2005, 829, 838; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 11. 602 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 30; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 82. 603 BT-Drucks. 14/6040, S. 173. 604 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 31; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007),
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tragliche Schuldverhältnis liegt mit der Anbahnung des geschäftlichen Kontakts vor. Haftungsausfüllend ist der Kunde im vorvertraglichen Schadensersatz so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Kontakt nie bzw. ohne Verletzung der Pflichten zustande gekommen wäre.605 Der Ersatz zielt auf das Vertrauensinteresse und ist nicht durch das Erfüllungsinteresse begrenzt.606 Theoretisch würde damit die Möglichkeit bestehen, dass ein Kunde, der auf Grund einer Pflichtverletzung aus § 312e I BGB einen Vertrag geschlossen hat, den er generell oder mit dem Inhalt nicht will, so gestellt werden muss, dass er einen Anspruch auf Vertragsaufhebung bzw. Anpassung hat.607 Der Anspruch auf Vertragsanpassung geht dem Vertragsauflösungsrecht insbesondere dort vor, wo auf Grund unzureichender Fehlerkorrekturmöglichkeit der Kunde seine abgegebene Bestellung nicht berichtigen konnte, den Vertrag aber im Prinzip will. Allerdings ist der Informationsberechtigte hier in der Pflicht, den hypothetischen Vertragsinhalt oder – in anderen Fällen – das Nichtzustandekommen des Vertrages zu beweisen.608 Strittig ist sodann, welche Beweiserleichterungen greifen.609 Käme es tatsächlich auf den strengen Nachweis der Kausalität zwischen Informationspflichtverletzung und Abgabe der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung an, dann wäre dieses Institut praktisch verschlossen610 und damit liefe auch das Gebot der effektiven Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie Gefahr, untergraben zu werden. Beweiserleichterungen seitens des Kunden sind deshalb zu befürworten.611 Sofern kein ordnungsgemäßer Hinweis auf die Speicherungsmöglichkeit des Vertragstextes erfolgte, liegt der Schaden des Kunden darin, dass ihm die Vertragsbedingungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn der Kunde dadurch gehindert ist, Vermögensdispositionen durchzusetzen oder Angriffe entsprechend abzuwehren, dann besteht darin auch ein Vermögensschaden. Auch hier § 312e Rn. 8; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 4; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 12. 605 BGHZ 114, 87, 94; BGH NJW 2001, 2875; BGH NJW 2006, 3139; Emmerich, JuS 2006, 1021 ff.; Möllers/Weichert, LMK 2006, 31 ff.; Theisen, NJW 2006, 3102 ff.; Kerstig, JZ 2008, 714 ff. 606 Anders der verschuldensunabhängige Anspruch aus § 122; zum Verhältnis vgl. BGHZ 69, 53, 56 ff. 607 Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 8; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 13; Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 84. 608 Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 269, 286. 609 Der BGH hat den Nachweis ursprünglich für entbehrlich gehalten (BGHZ 69, 53, 57 f.), hält diesen in jüngerer Zeit aber wieder für erforderlich (BGH NJW 1998, 2900 f.); dazu Lorenz, NJW 1999, 1001 f. 610 Dörner, AcP 202 (2002), 363, 382. 611 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 104: „Modifikationen erforderlich“.
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gilt die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens.612 Der Kunde kann daher im Nachhinein Herausgabe der Vertragsinformationen verlangen.613 Für den speziellen Fall, dass der Kunde auf Grund einer fehlenden rechtzeitigen Eingangsbestätigung seiner Bestellung durch den Unternehmer von der Folgenlosigkeit der Erklärung ausgeht und eine Zweitbestellung aufgibt, besteht häufig die Möglichkeit, nach § 312b BGB das unnötige Doppelgeschäft zu widerrufen. Anfechten kann der Kunde nicht, da nur ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt. Beinhaltet die erste Bestellung des Kunden ein Angebot i.S.d. § 145 BGB, so stellt die Nichtbeachtung der Pflicht zur rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Bestellbestätigung allerdings auch eine vorvertragliche Schutzpflichtverletzung dar, für die der Unternehmer gemäß §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB schadensersatzpflichtig ist. War die Bestellung hingegen bereits eine Annahmeerklärung, so ergibt sich die Schadensersatzpflicht als Nebenpflichtverletzung direkt aus § 280 I BGB. In beiden Fällen stellt der unnötigerweise geschlossene Zweitvertrag den Schaden dar. Der Kunde kann daher vom Unternehmer entweder hinsichtlich des ersten oder hinsichtlich des zweiten Vertrages die Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution verlangen. Dabei greift für den Kunden stets die Vermutung, dass er den zweiten (deckungsgleichen) Vertrag bei einer ordnungsgemäßen Bestellbestätigung nicht geschlossen hätte.614 Die Vertragsaufhebung des zweiten Vertrages ist über die o.g. Normen aber nur dann möglich, wenn der unnötige Zweitvertrag auch mit dem Unternehmer des Erstvertrags zustande kam. Ist die Vertragspartei des Zweitvertrages hingegen ein Dritter, so kann in diese Rechtsbeziehung nicht eingegriffen werden. In diesem Fall bleibt nur die Aufhebung des ersten Vertrags. dd. Unterlassungsanspruch nach dem UKlaG und nach dem UWG Flankierend zu den vorgenannten Normen ist auch die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches nach dem UKlaG oder dem UWG denkbar.615 Hinsichtlich eines Pflichtverstoßes nach § 312e I BGB kann der Unternehmer gemäß § 2 I 1, II Nr. 2 UKlaG etwa auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Die Norm wurde im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung geschaffen. Sie entspricht dem alten § 22 AGB-Gesetz, der der Umsetzung der Unterlassungsklage612 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 119 mit Bezugnahme auf BGH NJW 1994, 513. 613 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 119. 614 Rehse, Der Vertragsschluss auf elektronischem Wege in Deutschland und England (2005), S. 144. 615 Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e Rn. 33; Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 312e Rn. 9; PWW/Medicus (3. Aufl., 2008), § 312e Rn. 15; MüKo/Wendehorst (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 115; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 312e Rn. 12.
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richtlinie616 diente. Nach § 2 I 1, II Nr. 2 UKlaG kann der Unternehmer, der Verbraucherschutzgesetzen zuwider handelt (wozu auch die Regelungen zum elektronischen Geschäftsverkehr zählen), auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Anspruchsberechtigt sind insoweit die von §§ 3, 4 UKlaG genannten Stellen, denen es zusteht, ein Verbandsklageverfahren zu initiieren. In ähnlicher Weise kollektiv ausgestaltet ist der Schutz des Verbrauchers nach dem Ende 2008 novelliertem UWG. Die Protektion von Verbraucherinteressen wurde im Rahmen der Gesetzesnovellierung in den neuen Schutzzwecktrias des § 1 UWG aufgenommen.617 Gemäß § 3 UWG wird dem Unternehmer in einer Generalklausel sodann untersagt, sich im Geschäftsverkehr „unlauter“ zu verhalten und dadurch Marktverzerrung zu betreiben. Ergänzt wird diese Generalklausel durch Beispielstatbestände in §§ 4–7 UWG. Praktisch bedeutsam ist insbesondere der Rechtsbruchtatbestand in § 4 Nr. 11 UWG, wonach unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. § 312e I BGB enthält solche potentiellen Rechtsbruchtatbestände. Da sich der Anbieter durch die Missachtung der Informationsverpflichtungen auch einen zumindest formalen Wettbewerbsvorteil verschafft, der gesetzeswidrig ist, stellt eine systematische Verletzung der Pflichten des § 312e I 1 BGB regelmäßig auch einen Verstoß gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs dar, der einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 8 UWG begründen kann.618 Klagebefugt in diesem Sinn ist der Mitbewerber (§ 8 III Nr. 1 UWG), nicht jedoch der einzelne Verbraucher. Verbraucherinteressen können in einem entsprechenden Klagverfahren nur die in § 8 III Nr. 2–4 UWG klagebefugten Stellen geltend machen. Mit diesen Ausführungen soll die Darstellung des Verbrauchervertriebsrechts abgeschlossen und zu einem neuen Rechtssegment des Konsumentenschutzes, dem der AGB, übergeleitet werden. II. Reglementierung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Die Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ist neben dem Verbrauchervertriebsrecht, das über die Einräumung eines Widerrufsrecht zu Gunsten des Verbrauchers Korrekturen am geschlossenen Vertrag eröffnet, ein wesentlicher Bestandteil des marktkompensatorischen Verbraucherschutzkonzepts.619 Denn über die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen verwirklicht sich neben der besonderen Einbeziehungskontrolle auch die inhaltliche Revi616 617 618
Richtlinie 98/27/EG v. 19.5.1998. Vgl. dazu die vorherigen Ausführungen zum UWG, 2. Teil, 2. Kapitel A I. Begr. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 173; Erman/Saenger (11. Aufl., 2004), § 312e
Rn. 33. 619
Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003), S. 68.
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sion von Vertragsklauseln, die sonst zu einer unangemessenen „Risikoabwälzung auf den Kunden“620 führen könnten. Durch die Regelungen zur Einbeziehungsund Inhaltskontrolle von AGB wird in besonderer Weise in Bezug genommen, dass der Unternehmer bei Vertragsschluss typischerweise vorformulierte Bedingungen verwendet und dadurch wichtige Vertragsmodi diktiert.621 Dieser Tendenz sollte zur Aufrechterhaltung einer auch faktisch wirksamen Vertragsfreiheit/Vertragsgerechtigkeit mit entsprechenden Regelungen begegnet werden.622 Gleichwohl ist das AGB-Recht, wie es sich heute im deutschen Zivilrecht etabliert hat, einmal abgesehen von § 310 III BGB, nicht als reines Verbraucherschutzrecht zu qualifizieren.623 Dies zeigt schon die Einbeziehung der Vertragsbeziehungen mit Unternehmern als Kunden, vgl. Art. 310 I AGB. Der weite personelle Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB, auch auf Unternehmer als Klauselgegner des Verwenders, schließt es jedoch nicht aus, den Verbraucherschutz als wesentlichen und integrierenden Bestandteil des AGB-Rechtes zu verstehen.624 Bei dem von § 310 III BGB explizit angesprochenen Kundenkreis der „Verbraucher“, der in besonderer Weise durch die AGB-Bestimmungen geschützt (aber eben von ihnen nicht allein protegiert wird), geht es um einen zugespitzten Unterfall des allgemeinen, die AGB-Bestimmungen insgesamt tragenden Gedankens des auf die Verhinderung des Missbrauchs einseitiger Vertragsgestaltungsfreiheit gerichteten Schutzes.625 Er zielt auf eine Materialisierung des Zivilrechts, welche ganz wesentlich mitbefördert wird durch den speziellen Gedanken des Verbraucherschutzes, der insofern auf das allgemeine Zivilrecht ausstrahlt und es verändert.626 620 OLG Frankfurt/M. NJW 1979, 985; BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 1; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 3; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 48. 621 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 48; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 4 ff. 622 Vgl. dazu BGH NJW 1965, 246; 1969, 230; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 10 Rn. 29. 623 Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003), S. 68; Locher, JuS 1997, 390 ff. 624 Heinrichs, NJW 1993, 1818 ff.; Damm, JZ 1978, 173, 178 ff.; Reich/Micklitz, Verbraucherschutz (1980), Rn. 264; Stoffels, AGB-Gesetz (2003), S. 38 Rn. 88. Zur Schaffung des AGBG äußerten die Anhänger eines aktiven Verbraucherschutzes Kritik an der umfassenden Konzeption des AGBG. Dabei stand die Sorge im Mittelpunkt, die umfassende Geltung des AGBG könnte zur Verwässerung seines materiellrechtlichen Gehalts und zur Ineffizienz seiner Anwendung durch die Gerichte führen (vgl. dazu Damm, JZ 1978, 173 ff.; Gilles, JA 1980, 1 ff.; Göbel, Prozeßzweck und herkömmlicher Zivilprozess der AGBG-Klage [1980], S. 99 ff.), aus neuer Zeit vgl. dazu etwa Schmidt, JuS 1987, 929, 932 und Hart/Köck, ZRP 1991, 61 ff. Nachdem diese Sorge sich – auch in Bezug auf den durch die Klauselrichtlinie verstärkten Verbraucherschutzgedanken – als im Wesentlichen grundlos erwiesen hat, ist die Kritik aus den Kreisen der Verbraucherschützer deutlich zurückgegangen. 625 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 48. 626 Vgl. dazu meine früheren Ausführungen zu den Materialisierungstendenzen im Bürgerlichen Recht im 1. Teil.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
1. Allgemeines Heute ist die Bedeutung von AGB zur Gestaltung von Rechtsbeziehungen in der modernen Arbeits- und Wirtschaftswelt kaum hoch genug einzuschätzen, was den immer noch aktuellen Regelungsbedarf dieser Materie unterstreicht. a. Nutzen von AGB Wer in größerem Umfang am Wirtschaftsleben teilnimmt und zur Wahrung seiner vermögensrechtlichen Interessen wiederholt Verträge abschließt, will nicht jedes Mal die Konditionen des Vertrages individuell aushandeln.627 Er scheut den Aufwand, der ihm durch die Führung von Verhandlungen, durch die Beschaffung der dafür erforderlichen Informationen entstünde, weil er hierfür oft außer Verhältnis zu dem dadurch für ihn erreichbaren Vorteil steht. Schon nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip628 ist es sein Bestreben, die durch Einzelvereinbarung bestimmten Leistungen und Gegenleistungen bei einer Vielzahl von Verträgen zu einheitlichen und durch von ihm vorformulierte Bedingungen abzuwickeln.629 Denn gleichförmige Geschäftsbedingungen vereinfachen die Organisation des Unternehmens, erleichtern die Kalkulation und ersparen Kosten und Mühen für das Aushandeln der Vertragsbedingungen.630 Vor dem Hintergrund dieser einfachen und naheliegenden Erkenntnis sind nahezu alle Wirtschaftsunternehmen dazu übergegangen, ihren Geschäftsabschlüssen so genannte „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (AGB) zugrunde zu legen.631 Insbesondere stellen die großen Verbände der Wirtschaftszweige ihren angeschlossenen Unternehmen sorgfältig ausgearbeitete Klauselwerke von „Kleingedrucktem“ zur Verfügung.632 Die Vertragspraxis in der Zeit nach dem Inkrafttreten des AGB-Gesetzes tendiert sogar zu standardisierten Vertragsbedingungen für gesamte Branchen633 (was mitunter auch unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich ist). Man denke hier etwa an Allgemeine Reise627
Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 4. Kötz, JuS 2003, 209, 211: „ökonomische Betrachtungsweise“; Ulmer, in: Ulmer/ Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 4: „Rationalisierungsfunktion der AGB“. 629 Wenn der Schutzzweck des AGB-Rechts häufig in der ungleichen Verhandlungsstärke bzw. in der psychischen und intellektuellen Überlegenheit des Anbieters gesehen wird, ist dies nur teilweise richtig. Denn vielfach werden AGB auch von mächtigen Vertragspartnern akzeptiert, wegen des sonst erforderlichen Zeitaufwandes für Verhandlungen (vgl. Kötz, JuS 2003, 209, 211). 630 Zum Rationalisierungseffekt: Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935; Nachdruck 1961), S. 19 ff.; Kötz, 50. DJT Hamburg (1974), Bd. I, Gutachten, S. A 23 ff. 631 Zur massenhaften Verbreitung von AGB im heutigen Wirtschaftsleben vgl. Eberstein, in: 50. DJT, Sitzungsbericht, S. H 117. 632 Beispiele: AGB-Banken im Bank- und Börsenwesen, ADSp im Transportwesen, ARB als Reisebedingungen für den Reisevertrag, AVB im Versicherungswesen, VOB im Bauwesen, AGB des Leasingverkehrs. 633 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 2 Rn. 3. 628
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bedingungen (ARB), Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) und allgemeine Bedingungen für die Belieferung von Strom, Gas, Wasser etc. Nicht zu Unrecht hat man vor dem Hintergrund der einseitigen unternehmerischen Standardisierung und Globalisierung der Vertragsbedingungen schon sehr früh von einem „selbst geschaffenem Recht der Wirtschaft“634 gesprochen. Diese von Großmann-Doerth gewählte Formulierung verdeutlicht, dass AGB de facto die gesellschaftliche Funktion von Gesetzen einnehmen, de jure aber mangels Rechtssetzungsbefugnis ihres Verwenders keine Rechtsnormen darstellen.635 Kennzeichnend für AGB ist ihre besondere privat- und vertragsrechtliche Komponente: Sie werden nur Vertragsbestandteil, wenn sie von den Vertragsparteien in einen Vertrag einbezogen werden, allerdings ohne individuell ausgehandelt zu sein. b. Gefahren der AGB Der umfangreiche Einsatz von AGB durch die Wirtschaft führt dazu, dass der private Kunde mit vorformulierten Klauseln in fast jeder Lebenssituation konfrontiert wird. Man denke nur an den Kauf von Elektrogeräten, Autos oder Möbeln. Aber auch beim Abschluss eines Reise- oder Versicherungsvertrages, beim Zustandekommen eines Miet- bzw. Arbeitsvertrages wirken häufig AGB rechtsgestaltend mit. Die „Krux“ bei der Verwendung und Einschätzung der AGB liegt nun darin begründet, dass dem positiv zu bewertenden Rationalisierungseffekt auf der Seite der Wirtschaft erhebliche negative Begleiterscheinungen auf der Seite des AGB-Belasteten gegenüberstehen. aa. Gefahren aus dem Umfeld des konkreten Kunden Erfahrungsgemäß ist nämlich derjenige, der einheitliche Regelungen vorgibt, bestrebt, eine Stärkung seiner Rechtsposition herbeizuführen.636 Deshalb korrespondiert der Verwendung von AGB typischerweise – wenn auch nicht zwingend – die Tendenz der Risikoverlagerung auf den Kunden.637 Dieser Befund ist heute relativ unstreitig638 und wird durch umfangreiches praktisches Anschauungsmaterial dokumentiert.639 Der Gedanke der Richtigkeitsgewähr des Vertrages 634 Vgl. etwa den Titel des Werkes von Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, Freiburger Universitätsschriften Heft 10 (1933). 635 BGHZ 17, 1 ff.; BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 7. 636 Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935; Nachdruck 1961), S. 98 f.; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 36. 637 MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor § 305 Rn. 3. 638 BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 9; Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/ Röcken, Das neue Schuldrecht (2002), Teil 2, S. 224; Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 2; kritisch Kötz, JuS 2003, 209, 210 f.: „Vorformulierte Vertragsklauseln werden auch von solchen Vertragsparteien ohne Diskussion akzeptiert, die den Verwendern an wirtschaftlicher Macht und Verhandlungsstärke turmhoch überlegen sind.“ 639 Vgl. etwa die Begründung in BT-Drucks. 7/3919, S. 9; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 30 Rn. 73.
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greift deshalb bei der Verwendung vorformulierter Vertragsmodi zu kurz (bzw. gar nicht durch), weil die Vertragsparität gestört ist.640 Die Überlegenheit des Verwenders ist bei der Bezugnahme auf AGB häufig bereits situativ641 bedingt: Zum einen dadurch, das der Verwender die Vertragsmodi ohne Hast und oftmals unter Zuhilfenahme fachkundigen Rats vorbereitet, während sein Gegenüber sich unvorbereitet mit den vorformulierten Vertragsbedingungen konfrontiert sieht.642 Häufig anzutreffen bei der Einbeziehung von AGB in den Vertrag ist aber auch eine rollen-soziologische Asymmetrie. Zu ihr gehört etwa die intellektuelle Überlegenheit des AGB-Verwenders in Bezug auf den Kunden,643 infolge derer der Klauselgegner den Bedeutungsgehalt von zur Kenntnis gelangten Klauseln selten wirklich durchdringt und daher häufig nicht in der Lage ist, das Für und Wider abzuwägen. Selbst wenn der Kunde die AGB aber in ihrem Bedeutungsgehalt erfasst haben sollte, zwingt ihn regelmäßig das unter den Vertragspartnern bestehende wirtschaftliche Ungleichgewicht dazu, darauf verzichten zu müssen, die bedenklich erscheinenden AGB-Bedingungen zum Gesprächsgegenstand zu machen oder gar Veränderungen zu fordern. Zutreffend herausgearbeitet wird dieser negative Begleitaspekt der Verwendung von AGB durch den bereits von Ludwig Raiser formulierten Erklärungsansatz des „institutionellen Rechtsmissbrauches“.644 bb. Gefahren aus dem Umfeld des Marktes: Fehlen von Konkurrenz Die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorhandene Erkenntnis, dass der Kunde in einer „take-it-or-leave-it-Situation“ darüber hinaus auch nicht auf einen anderen Vertragspartner mit für ihn günstigeren Klauseln ausweicht oder ausweichen kann, hat sich heute durchgesetzt. Sie fußt auf einer simplen Bestandsaufnahme des Marktes, nach der es den den AGB-Kunden besser stellenden AGB-Konkurrenten kaum gibt.645 Der Grund liegt häufig darin, dass es nur einen Anbieter gibt, entsprechende Klauseln in ganzen Branchen gleichgeschaltet wurden oder weil der Kunde seine Abschlussentscheidung – was nachvollziehbar ist – nur auf Grund eines Vergleichs zwischen Preis und Leistung646 fällt und somit echter Anbieterwettbewerb in diesen Punkten nicht stattfindet. Dieses Aufmerksamkeitsdefizit bedingt wiederum, dass mangels eines echten Konkurrenzdruckes die Wirtschaft oftmals keinen wirklichen Handlungsbedarf zur 640
Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 10 Rn. 29. Lieb, AcP 178 (1978), 196, 202 ff. 642 Zutreffend Rüthers/Stadler, BGB AT (16. Aufl., 2009), § 21 Rn. 4. 643 Michalski, Verbraucherschutzrecht (2001), S. 2; Borchert, Verbraucherrecht (2. Aufl., 2003), S. 65. 644 Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935; Nachdruck 1961), S. 282. 645 MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 4 ff.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 5: „Risikoverlagerungstendenz“. 646 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 37 Rn. 86. 641
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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Schaffung besonders kundenfreundlicher AGB sieht, eben weil AGB nur selten vom Kunden zur Kenntnis genommen und „angegriffen“ werden. Die hin und wieder anzutreffende Einschätzung, dass, wenn ein Verkäufer einem Kunden unattraktive Bedingungen offeriere, dieser sich für den Konkurrenten entscheiden wird und der Markt daher selbst ein Regulativ für unausgewogene Geschäftsbedingungen bereithalte, beruht so gesehen auf einer Fehleinschätzung des realen Marktgeschehens.647 cc. Abwägung von Nutzen und Gefahren, Notwendigkeit einer Reglementierung Schon Ludwig Raiser wog in seiner Grundsatzschrift „Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ Nutzen und Gefahren bei der Verwendung Allgemeiner Vertragsklauseln eindringlich und wohlproportioniert ab und führte dazu zutreffend aus: „Die Erscheinung der AGB als solche zu bekämpfen, besteht kein Grund. (…) Sie hat vielmehr einen wirtschaftlich vernünftigen Sinn, der sich nach Bedürfnis entfalten soll, solange man die bestehende Wirtschaftsverfassung nicht von Grund auf ändert. Auch ihre Verbreitung braucht daher nicht beschwert zu werden. Nur muss dafür Sorge getragen werden, dass bei ihrer Ausgestaltung und Handhabung das öffentliche Interesse und das Rechtsbewusstsein der Gemeinschaft nachdrücklich zur Geltung kommen. Es muss verhindert werden, dass sich ein Unternehmer in seinen AGB durch List oder wirtschaftlichen Druck eigennützige Vorteile sichert, die den Kunden ungebührlich belasten, der Gesamtwirtschaft schaden und das Recht verletzen. Die Mittel dazu sind eine wirksame Kontrolle (…).“648 dd. Notwendigkeit der typisierten Betrachtungsweise bei der Reglementierung Ludwig Raiser befürwortete in seiner Grundsatzschrift zu AGB ein staatlicherseits gesetztes Regulativ, wobei er zunächst die Gerichte zu einer Kontrolle aufgerufen sah.649 Um ein höheres Maß an Rechtssicherheit650 zu gewährleisten, als dies die Judikatur über die im ungeregelten Bereich anwendbaren Generalklau-
647 Horn, AcP 176 (1976), 307, 320 f.; Köhler, ZHR 144 (1980), 602 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 330 f.; Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 457 ff. 648 Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935, Nachdruck 1961), S. 98 f. 649 Raiser, ebenda. 650 Allgemein zum Postulat der Rechtssicherheit BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff, 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff.
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seln vermag,651 muss der Gesetzgeber einschreiten. Wenn dies geschieht, bedarf es bei der Etablierung entsprechender Regelungen, aber auch bei ihrer späteren Handhabung, einer vom konkreten Fall abstrahierten, d.h. „typisierten“ Betrachtung der Gefahrenlage, die allein die üblicherweise zu erwartenden Risiken (für die Vertragsfreiheit) ins Visier nimmt und damit auch für das AGB-Recht vom konkreten Nachweis einer situativen und/oder rollensoziologisch angelegten Überforderung des Klauselgegners entbindet.652 Da nur eine typisierte Betrachtungsweise das notwendige Maß an Rechtssicherheit bei der Handhabung der AGB-Kontroll-Normen sicherstellen kann, kommt auf der Grundlage des gegenwärtig im deutschen Zivilrecht vorhandenen AGB-Rechts der tatsächlich vorhandenen oder fehlenden Marktmacht bzw. Überlegenheit des Verwenders keine eigenständige Bedeutung für die Einbeziehungs-, Auslegungs- und Inhaltskontrolle zu.653 Die durch den Gesetzgeber legitimierte AGB-Prüfung richtet sich vielmehr darauf, der mit der Verwendung von AGB typischerweise, unabhängig von der konkreten Vertragsmacht des Verwenders, verbundenen Gefahr einseitiger Ausnutzung der Gestaltungsfreiheit zu Lasten des Kunden entgegenzutreten.654 2. Entstehungsgeschichte Den Gedanken einer Kontrolle einseitig gestellter Vertragsbedingungen, der nichts anderes darstellt als eine materialisierte Betrachtung der Vertragsbeziehungen, haben mangels einer Regelung der Materie im Bürgerlichen Gesetzbuch im Jahre 1900 zunächst die Gerichte aufgegriffen. Sie haben damit die so oft im Verbraucherrecht und im Zuge der gesamten Materialisierung des bürgerlichen Rechts anzutreffende „Vorreiterrolle“655 übernommen. An die Judikatur konnte der deutsche Gesetzgeber beim späteren Erlass einer eigenständigen Regelung mit dem AGB-Gesetz anknüpfen. Dieser Legislativakt hatte wiederum eine Vorbildfunktion für die hernach statuierte europäische Klausel-Richtlinie, die den im AGB-Gesetz (mit)angelegten Gedanken des Verbraucherschutzes nach ihrem Erlass verstärkte.
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Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel B II. BGH NJW 1986, 1171, 1172; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 51; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 34 Fn. 12; Rabe, NJW 1987, 1978 f.; a.A. aus neuerer Zeit nur Neuhof, NJW 1994, 1763, 1765, der den abstrakt generalisierenden Ansatz nicht mit dem Schutzzweck des AGBG für vereinbar hält. 653 OLG Celle BB 1976, 1287; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB- Recht (10. Aufl., 2006), § 305 Rn. 6. 654 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), ebenda; ähnlich auch Hk-BGB/SchulteNölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 5; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 4 ff. 655 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel A VII 2. 652
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a. Die Rechtsprechung als Vorreiter Im Zeitpunkt der Verabschiedung der großen deutschen Zivilrechtskodifikation – im Jahre 1900 – hatte sich das BGB in vielerlei Hinsicht noch der sozialen Wirklichkeit verschlossen. Demgemäß überrascht es nicht, dass es sich auch der Problematik der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht angenommen hatte.656 Dieser „Blindfleck“ wurde jedoch sehr bald schon durch die Gerichte aufgegriffen und mehr und mehr mit Korrekturen überzogen.657 aa. Das Reichsgericht In dieser frühen Phase lassen sich drei verschiedene Ansätze, AGB als unangemessen abzuwehren, ausmachen.658 Das Reichsgericht half zunächst in vielen Fällen ohne direkten Eingriff in den Vertrag durch eine restriktive Auslegung der belastenden Klausel.659 Dabei berief sich die Judikatur insbesondere auf die Auslegungsregel, dass Unklarheiten in den AGB des Unternehmers zugunsten des Kunden zu interpretieren sind (vgl. heute § 305c II BGB).660 Insoweit, als dabei nicht selten die Grenzen der Auslegung überschritten wurden, führte das Reichsgericht (methodisch unbefriedigend) eine Inhaltskontrolle im Gewand der Auslegung durch.661 Eine verdeckte Inhaltskontrolle war es der Sache nach zudem, wenn das Reichsgericht bei der damals als Geltungsgrund angesehenen „Unterwerfungserklärung“ des Kunden ansetzte und den Satz aufstellte, diese könne solche Geschäftsbedingungen nicht decken, deren Unüblichkeit oder Unbilligkeit eine ausdrückliche, freiwillige Unterwerfung von vornherein ausgeschlossen erscheinen lasse.662 Über das „Ob“ der Einbeziehung hat das Reichsgericht – wie es von Hoyningen-Huene zutreffend ausdrückte – in diesen Fällen nämlich mit Blick auf das „Wie“ ihrer inhaltlichen Ausgestaltung entschieden.663 Auch dies war eine zweifelhafte methodische Praxis,664 der heute durch die in §§ 305 II, 307 BGB angelegten strikten Trennung zwischen Einbeziehungs-, Auslegungs- und Inhaltskontrolle der Boden entzogen ist. 656
So Stoffel, AGB-Recht (2003), S. 11 Rn. 33. Vgl. dazu ein sehr frühes Urteil aus dem Jahr 1883 in RGZ 11, 100, 110. 658 V. Hoyningen-Huene, Die Inhaltskontrolle nach § 9 AGB-Gesetz (1991), Rn. 1 ff. 659 Zu diesem Konstrukt in Bezug auf das RG vgl. auch Ulmer, in: Ulmer/Brandner/ Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 11. 660 RGZ 142, 333; RG JW 1934, 2395; grundlegend Schlechtriem, FS Heinrichs (1998), S. 503 ff. 661 Kritisch schon damals Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935, Nachdruck 1961), S. 264 ff. 662 RGZ 103, 84 ff.; 112, 253; so Stoffels, a.a.O. 663 V. Hoyningen-Huene, Die Inhaltskontrolle nach § 9 AGB-Gesetz (1991), Rn. 2.; Stoffels, a.a.O. 664 Kritisch Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen (1960), S. 13. 657
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Der wohl wichtigste und der heutigen offenen Inhaltskontrolle auf der Grundlage des § 307 (sowie der §§ 308, 309) BGB am nächsten kommende Kontrollansatz ermöglichte gerichtliches Einschreiten gegen unverhältnismäßig belastende AGB unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB), wenn der Unternehmer seine Vertragsbedingungen dem Kunden in „Ausnutzung einer Monopolstellung“ aufdrängte.665 In späteren Entscheidungen hat das Reichsgericht zusätzlich zu § 138 BGB auch den § 242 BGB argumentativ ins Feld geführt, allerdings ohne seinen grundsätzlichen Ausgangspunkt zu revidieren.666 Die Mängel dieses Ansatzes waren jedoch kaum zu übersehen. (Bereits Ludwig Raiser667 hatte der „Monopolrechtsprechung“ des Reichsgerichts einen Kontrollmaßstab entgegengesetzt, der allein die einseitige Gestaltung des Vertragsinhaltes durch eine Partei in Bezug nahm, ohne dass es darauf ankam, ob der Verwender der Klauseln eine Monopolstellung innehatte und der Belastete deshalb keine reale Möglichkeit besaß, auf andere Vertragsbedingungen „auszuweichen“.)668 bb. Der Bundesgerichtshof Der Bundesgerichtshof wandte sich vielleicht auch deshalb sehr schnell von der Monopolrechtsprechung ab und praktizierte in den Anfangsjahren eine so genannte offene richterliche Inhaltskontrolle 669 von AGB, die nicht mehr auf § 138 BGB abstellte, sondern § 242 BGB heranzog. Die Rechtsprechung war zunächst sehr variantenreich. So hat der BGH vereinzelt auch § 315 BGB als Maßstab benutzt,670 ist darauf später aber nicht mehr zurückgekommen. Im Ergebnis lief diese (neue) Judikatur erkennbar darauf hinaus, unangemessenen, unbilligen oder gar missbräuchlichen Klauseln den Geltungsanspruch inhaltlich ohne die Notwendigkeit einer Monopolstellung des Versenders zu versagen.671 Einen wichtigen Meilenstein auf diesem Wege stellte insoweit das Urteil vom 29.10.1956 dar, in dem es um einen Gewährleistungsausschluss für den Kauf fabrikneuer Möbel ging.672 Den die Anwendung des § 242 BGB als Kontrollmaßstab rechtfertigenden Gedanken sah der BGH in einem möglichen Missbrauch der Vertragsfreiheit. Denn wer AGB aufstelle, nehme die Vertragsfreiheit, soweit sie die Geltung des Vertragsinhalts betreffe, für sich allein in Anspruch. Er sei daher nach Treu und Glauben verpflichtet, schon bei ihrer Abfassung die Interessen seiner künftigen Vertragspartner zu berücksichtigen. Bringe er nur seine eigenen 665
RGZ 20, 115, 117. RGZ 168, 321, 329; 143, 24, 28; referierend Stoffels, a.a.O. 667 Raiser, Allgemeine Geschäftsbedingungen (1935, Nachdruck 1961), S. 284. 668 Zum Befund vgl. MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 9. 669 Vgl. zu diesem Terminus MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 9; vgl. auch Stoffels, a.a.O. 670 BGHZ 38, 183, 186. 671 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 10 Rn. 32. 672 BGHZ 22, 90, 100. 666
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Interessen zur Geltung, so missbrauche er die Privatautonomie.673 Den Maßstab von Treu und Glauben präzisierte der BGH dann in einer grundlegenden, 1964 ergangenen Entscheidung mit Hilfe der schon von Ludwig Raiser formulierten Vorstellung von der Ordnungs- und Leitbildfunktion des dispositiven Rechts.674 cc. Fazit Hinsichtlich der von der Rechtsprechung praktizierten Inhaltskontrolle von AGB – zunächst anhand des § 138 BGB, später auf der Grundlage des § 242 BGB – handelt es sich um „Richterrecht reinsten Wassers“675 und um eine „hoch anzuerkennende Leistung deutscher Rechtsprechung“.676 Eine Kontrolle von AGB über Generalklauseln zu ermöglichen, konnte aber nur eine Übergangslösung sein. Der Grund lag auf der Hand: Wegen der geringen Determination des Wertungsaktes im Rahmen des § 242 BGB bzw. § 315 BGB war die Entscheidung, ob eine Klausel dem Gebot von Treu und Glauben standhält, nicht wirklich voraussehbar.677 Es musste in diesem wichtigen Bereich des Zivilrechts im Folgenden darum gehen, die Inhaltskontrolltätigkeit der Gerichte zu kanalisieren und transparent zu gestalten, sodass sich die staatliche Schutzpflicht zur Ausgleichung der Vertragsdisparität auch im konkreten Praxisfall als tauglich, weil effizient bewährt.678 b. Die erste gesetzliche Regelung im AGB-Gesetz Die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Intervention wurde allerdings erst Anfang der 1970er Jahre vollends erkannt. Der jetzt stark beachtete Gedanke des Verbraucherschutzes gab dem Anliegen zusätzliches Gewicht,679 wenngleich am Ende kein spezifisches Verbraucherschutzgesetz stand. Im Herbst 1972 hatte der Bundesminister der Justiz erstmals eine Arbeitsgruppe damit betraut, „Wege und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, die auf eine Verbesserung des Schutzes des Letztverbrauchers vor unangemessenen und missbräuchlichen Geschäftsbedingungen gerichtet sind“680. Schon an dieser gesetzgeberischen Zielstellung, aber auch an den Diskussionen des 50. DJT, der mit großer Mehrheit die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung (auch und gerade zum Schutz des Kon-
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BGHZ 22, 90, 100. BGHZ 41, 151, 154: „Der Gerechtigkeitsgedanke der vom Gesetzgeber aufgestellten Dispositivnormen kann verschieden groß sein. Je stärker er ist, ein desto strengerer Maßstab muss an die Vereinbarkeit von Abweichungen in AGB mit dem Grundsatz von Treu und Glauben angelegt werden“. 675 So Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 10 Rn. 32. 676 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 10 Rn. 32. 677 Grunsky, BB 1971, 1113, 1114 ff.; Held, BB 1973, 573. 678 Zum Befund vgl. MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 10. 679 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 12 Rn. 34. 680 BT-Drucks. 7/3200. 674
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sumenten) bejahte,681 zeigt sich besonders deutlich, dass die AGB-rechtliche Problematik von Anfang an (auch und gerade) als eine solche des Verbraucherschutzes verstanden wurde.682 Das sich an die Gesetzgebungsinitiative anschließende Gesetzgebungsverfahren stand jedoch unter der übergeordneten Prämisse, die beidseitigen Interessen der „Vertragspartner“ – egal ob der Kunde Verbraucher ist oder nicht – auszugleichen und die durch die ungehemmte Entwicklung im Bereich der AGB gestörte Funktion des privaten Vertragsrechtes wieder herzustellen. In Deutschland sah man nicht nur eine spezifische Gefahr für Verbraucher bei der Benutzung von AGB; man Begriff die Störung der Vertragsparität allgemeiner und wollte ihr ebenso entgegenwirken. Dieser Befund zeigt eindringlich, dass Verbraucherschutz und allgemeine Materialisierung des Zivilrechts auch bei der Regulierung von AGB Hand in Hand gingen. Aufgabe des zu schaffenden Gesetzes war es, „die Überlegenheit des AGB-Unterworfenen sachgerecht und vernünftig auszugleichen, ohne die Privatautonomie mehr als zur Erreichung dieses Zieles erforderlich einzuengen“.683 Die vom Bundesministerium der Justiz eingesetzte Arbeitsgruppe legte im März 1974 den 1. Teilbericht zum materiellen Recht vor, dem der Entwurf des Gesetzes zur Regelung des Rechts der AGB nebst Begründung beigefügt war. Der 2. Teilbericht vom März 1975 befasste sich mit Vorschlägen für verfahrensrechtliche Regelungen. Der Regierungsentwurf, der sich im Wesentlichen mit dem Referentenentwurf deckte, wurde im August 1975 dem Bundestag zugeleitet.684 Das AGB-Gesetz trat nach kontroverser Diskussion unter Einbeziehung verfahrensrechtlicher Vorschriften schließlich am 1.4.1977 in Kraft. Deutschland besaß damit lange vor Erlass der entsprechenden Klausel-Richtlinie der EU eine gesetzliche Regelung zur Reglementierung von AGB.685 c. Schuldrechtsmodernisierung Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung wurden sodann die materiell-rechtlichen Regelungen des AGB-Gesetzes in das BGB überführt. Die Übernahme der Bestimmungen zur Einbeziehungs-, Auslegungs- und Inhaltskontrolle in das BGB war als solche nicht unumstritten.686 Zwar war das bisherige Nebeneinander 681
NJW 1974, 1987. MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 13. Diejenigen, die sich schon zur Zeit der Schaffung des AGBG für ein spezifisches Verbrauchergesetz eingesetzt haben, waren etwa Reich (ZRP 1974, 187, 188) und Wolf (JZ 1974, 465, 469). Dagegen votierten beispielsweise Brandner (JZ 1974, 614 ff.), Eith (NJW 1974, 16, 20), Niklisch (BB 1974, 945 ff.). Vgl. zum Ganzen auch die Fragestellung auf dem 50. DJT in Hamburg 1974. 683 BT-Drucks. 7/3919, S. 13. 684 Vgl. BT-Drucks. 7/3919; zum Ganzen siehe auch Stoffels, a.a.O. 685 Zum Ganzen Stoffels, a.a.O. 686 Kritisch dazu Ulmer, JZ 2001, 491 ff.; ders., in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 497; die Notwen682
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von AGB-Gesetz und BGB keineswegs von solcher Intransparenz geprägt, dass insofern ein dringender Handlungs- bzw. Inkorporierungsbedarf bestand. Jedoch konnte und sollte die Zusammenfügung von AGB-Recht und BGB zu weiterer Kohärenz führen.687 Auch erhöht sich durch die Aufnahme der AGB-Kontrollnormen in die Zentralkodifikation die „Signalwirkung“ der Regelungen, die die Bedeutung der AGB im täglichen Leben hervorhebt.688 Systematisch betrachtet wäre es überdies kaum tragbar gewesen, im Zuge der durch die Schuldrechtsmodernisierung bewerkstelligten weitläufigen Integration der verbraucherschutzrechtlichen Sondergesetze das AGB-Gesetz außen vor zu lassen. Unabhängig von der Frage, ob das AGB-Gesetz überhaupt in das BGB integriert werden sollte, stellte sich jedoch die Frage seiner dortigen „richtigen“ Verortung. Diskutiert wurde zunächst, ob man die AGB-Vorschriften en bloc in das BGB transferieren oder als einheitlichen Verband zerschlagen sollte. Letzteres wäre darauf hinausgelaufen, die jeweils thematisch einschlägigen Anknüpfungspunkte im BGB zu suchen und die Vorschriften dort einzustellen (so genannte „Splittinglösung“).689 Für die zum Gesetz erklärte en-bloc-Lösung sprach, dass auf diese Weise die bewährte Regelungsstruktur des AGB-Gesetzes beibehalten werden konnte. Die Umstellung auf das neue Recht noch mit zusätzlichen systematischen Schwierigkeiten zu belasten, wäre nicht verantwortbar gewesen.690 Wo genau das AGB-Gesetz im BGB en bloc verortet werden sollte, war jedoch ebenfalls umstritten. Der Gesetzgeber entschied sich für die Transferierung in den Allgemeinen Teil des Schuldrechts. In der Literatur gab es hingegen sehr viel Sympathie dafür, die Bestimmungen in den davor stehenden Allgemeinen Teil des BGB (bei der Rechtsgeschäftslehre im Zusammenhang mit den die Entscheidungsfreiheit schützenden Normen der §§ 119, 134, 138 BGB) einzustellen.691 Letztlich ist aber die im Regierungsentwurf gegebene Begründung, durch den gewählten Standort solle der Schwerpunkt des Anwendungsbereiches (Vertragsrecht, insbesondere Verbrauchervertragsrecht) betont werden,692 legi-
digkeit der Integration ins BGB auch bezweifelnd Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 25 Rn. 58; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), Vor. §§ 305 ff. Rn. 6. 687 Vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/6040, S. 97. 688 So im Ergebnis auch MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 16; ders., ZEuP 2001, 433 f. 689 Hierfür Pfeiffer, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 502 f. 690 Ulmer, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 221; ders., JZ 2001, 493 ff.; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 25 Rn. 59. 691 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), Vor. §§ 305 ff. Rn. 9; Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/Röcken, Das neue Schuldrecht (2002), Teil II, S. 224; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 26 Rn. 60. 692 Vgl. dazu BT-Drucks. 14/6040, S. 149.
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tim und nachvollziehbar, wenngleich auch für den hier zuerst genannten Ansatz einiges spricht. Die jetzige Ausgestaltung des AGB-Rechts in §§ 305 ff. BGB, insbesondere seine Dogmatik und Begrifflichkeit, lehnt sich eng an das frühere AGB-Gesetz an.693 Die behutsamen inhaltlichen Änderungen sind im wesentlichen Folge der Modifikationen des sonstigen Schuldrechts oder notwendige Anpassungen an die Klausel-Richtlinie von 1996.694 Die Novellierungen betreffen vor allem § 309 BGB (früher § 11 AGB-Gesetz). Zu erwähnen ist außerdem die nun explizite Regelung des bislang allein von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Transparenzgebots in § 307 I 2 BGB.695 Ausgedünnt wurden schließlich Einbeziehungserleichterungen des alten § 23 II, III AGB-Gesetz (jetzt § 305a BGB). 3. Europarechtliche Aspekte Auf europäischer Ebene tat man sich mit der Regulierung dieser Materie lange schwer,696 obwohl es Anstöße zu einer gesetzlichen Regelung auch hier schon sehr früh gab. Die Notwendigkeit einer europaweiten Initiative zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln war bereits vom ersten Gemeinschaftsprogramm für eine Politik zum Schutz der Verbraucher propagiert worden, welches 1975 angenommen wurde.697 Am 14.2.1984 legte die Kommission dem Rat eine Mitteilung über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vor. Obgleich damit bereits ein mutiger Vorstoß unternommen wurde, bedurfte es weiterer sechs Jahre bis zu einem konkreten Gesetzgebungsvorschlag. Der erste Richtlinienvorschlag datiert vom 27.7.1990698 und der nächste vom März 1992.699 Die dann schließlich am 5.4.1993 erlassene „Richtlinie 93/13/ EWG700 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“ geht zurück auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 22.9.1992.701 Sie stützt sich auf Art. 100a EWG-Vertrag. Die Unterschiede zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beurteilung von Vertragsklauseln waren aus Sicht der Gemeinschaft gemäß Erwägungsgrund 2 so groß, dass sie Wett693
Zum Befund vgl. Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 8; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 17. 694 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2003), Vor. §§ 305 ff. Rn. 11. 695 Dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 294. 696 MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), Vor. § 305 Rn. 18; eingehend dazu Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht (4. Aufl., 2003), S. 495 ff. 697 Entschließung des Rates v. 14.4.1975 – ABl.EG Nr. C 92/1 v. 24.4.1975. 698 ABl.EG Nr. C 243/2 v. 28.9.1990. 699 ABl.EG Nr. C 73 v. 24.3.1992. 700 ABl.EG Nr. L 95/29 ff. v. 21.4.1993. 701 ABl.EG Nr. C v. 25.1.1993.
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bewerbsverzerrungen702 Vorschub leisteten und sie somit den Handel auf dem freien Markt unterminierten.703 Damit lieferte die Kommission den für sie typischen Erwägungsgrund für die Harmonisierung des Binnenmarktes über Richtlinien. Die Marktintegration und die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen bildeten jedoch nur ein Ziel der Richtlinie. Nach ihrem 8. Erwägungsgrund wurde als typisches Zweitziel der Verbraucherschutz genannt. Die Richtlinie definiert in ihrem Art. 1 den sachlichen Anwendungsbereich. Art. 2 enthält die für die Anwendung der Richtlinie maßgebenden Begriffsdefinitionen. Art. 3 normiert in der Generalklausel den zentralen Kontrollmaßstab; diese Regelung wird durch Art. 4 und die der Richtlinie als Anhang beigefügte Liste von Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können, ergänzt.704 Art. 5 der Richtlinie regelt die Auslegung. Art. 6 sowie 8 bis 10 enthalten Vorgaben für die Umsetzung. Gemäß Art. 10 I der Richtlinie mussten die Mitgliedstaaten die Richtlinie bis zum 31.12.1994 umsetzen. Dieser Termin ist von mehreren Mitgliedstaaten, darunter auch von Deutschland, nicht eingehalten worden. Da es in Deutschland jedoch bereits eine Regelung zu AGB gab und das vorhandene Recht nur geringfügig angepasst werden musste, entstand durch die Verzögerung bei der Umsetzung keine wesentliche Schutzlücke.705 Die noch aktuelle Klausel-Richtlinie stimmt in ihrer Regelungstechnik und Terminologie in weiten Bereichen mit der tradierten deutschen Regelung überein. Ihre Umsetzung vollzog sich mit mehr als eineinhalbjähriger Verspätung derart, dass das AGB-Gesetz 1996 durch ein entsprechendes Änderungsgesetz
702 Zum Hintergrund vgl. Nasall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 149 Rn. 6. 703 Das mit der Richtlinie verfolgte Ziel der Schaffung eines einheitlichen Marktes durch Sicherung eines Mindeststandards an Verbraucherschutz gegen missbräuchliche Klauseln kann jedoch nach heutiger Auffassung der Kommission nicht ohne die gleichzeitige weitere Angleichung des Vertragsrechts erreicht werden. Vgl. dazu etwa bereits den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM (2000), 248 endg., S. 34. 704 Die Liste ist nicht als erschöpfende Regelung zu verstehen. Aus der Vorgeschichte der Richtlinie und der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. v. 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Océano Grupo) ergibt sich aber eine gewisse Bindung der Mitgliedstaaten an die Indizierung. Da die Vorgaben des Anhangs sich nur teilweise in den §§ 308, 309 BGB wieder finden, müssen sie auch in die Anwendung des § 307 I, II BGB einfließen, vgl. dazu Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 9. 705 Vgl. dazu Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 142 Rn. 3. Die Regelungen der Richtlinie gehen weniger ins Detail als die deutschen Vorgaben. Eine Einbeziehungskontrolle entsprechend den Regelungen des AGBG (und heute der §§ 305 II, 305c I BGB) fehlt. Ferner fehlt es an einem unmittelbaren Verbot einzelner Klauseln, wie es sie in §§ 10 ff. AGBG gab und heute in §§ 308, 309 BGB zu sehen sind. Die hierin enthaltenen grauen und schwarzen Verbotslisten finden jedoch eine gewisse Entsprechung im Anhang der Richtlinie, dessen rechtliche Verbindlichkeit jedoch nicht immer zweifelsfrei ist (vgl. dazu MüKo/Basedow [5. Aufl., 2007], Vor. § 305 Rn. 20).
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gemäß den Vorgaben der Richtlinie angepasst wurde,706 was zur Einführung des § 24a AGB-Gesetz und zur Änderung des § 12 AGB-Gesetz führte.707 Mit Implementierung durch die Umsetzung der Richtlinie wurde auch das Regelungsziel des Verbraucherschutzes in den §§ 305 ff. BGB gestärkt, u.a. dadurch, dass sich die AGB-Kontrolle bei Verbrauchern als Klauselgegnern nunmehr auch auf Vertragsbestimmungen erstreckt, die keine AGB i.S.d. normalen Definition sind, etwa weil sie nicht für eine „Vielzahl von Verträgen“ festgelegt wurden, vgl. § 310 III Nr. 2 BGB. Damit wird letztendlich der rollensoziologische Schutzansatz des AGB-Rechts, der über den von Ludwig Raiser geprägten Gedanken des „institutionalisierten Machtmissbrauchs“ hinausgeht,708 forciert. Soweit der vom deutschen Recht gewährte Schutzstandard über die Vorgaben der Richtlinie hinausgeht, ist dies i.d.R. unproblematisch, da die Richtlinie nach ihrem Art. 8 nur Mindeststandards setzt.709 Im Überschneidungsbereich von deutschem Recht und europäischen Vorgaben sind die Regelungen richtlinienkonform auszulegen.710 Aber auch die Einführung neuer „Schutz“-Standards im AGB-Recht werden seitens der Gemeinschaft, die seit einiger Zeit bestrebt ist, den verbraucherrechtlichen Besitzstand bezüglich der Kernrichtlinien zu revidieren, durch den jüngsten „Vorschlag der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“ 711 vom 8.10.2008 erwogen. Da der Richtlinienvorschlag den Vollharmonisierungsansatz verfolgt, wird sich bei den Umsetzungen der Änderungsbestrebungen im AGB-Bereich der deutsche Verbraucherschutzstandard absenken. In dem neuen Richtlinienvorschlag sind in Kapitel V „Verbraucherrechte in Bezug auf Vertragsklauseln“ in den Art. 30 ff. eingestellt worden. Auf dem ersten Blick ähneln Regelungstechnik und Regelungsvorgaben dem deutschen Recht. Denn in Art. 34 des Richtlinienvorschlags wird beschrieben, dass bestimmte Klauseln stets als missbräuchlich gelten und in Art. 35 wird sodann darauf verwiesen, dass es AGB gibt, deren Missbräuchlichkeit vermutet wird. Beide Bestimmungen nehmen Bezug auf entsprechende Anhänge mit in706 Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Insolvenzordnung v. 19.7.1996, BGBl I, S. 1036; zur Umsetzung vgl. auch Coester, FS Heinrichs (1998), S. 99 ff.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § Einl. Rn. 26. 707 Zu beiden Änderungen siehe Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 157 Rn. 26; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 26. 708 Beim Gesichtspunkt der „Institutionalisierung“ geht es vor allem um das Merkmal der Vorformulierung der AGB zu ihrer massenhaften Verwendung. Bei Verbraucherverträgen ist auch der Einmalgebrauch kontrollfähig, weswegen hier der Machtmissbrauch im asymmetrischen Unternehmer-Verbraucher-Vertrag nach der implementierten Richtlinie im Mittelpunkt steht. 709 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 8; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 18 Rn. 44. 710 Nassall, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 142 Rn. 3. 711 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008.
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dizierten Klauseln, die (und das ist das aus deutscher Sicht Gefährliche) als abschließende Regelungen geplant sind. Sie entsprechen dem deutschen Standard, der maßgeblich durch die Rechtsprechung des BGH geprägt wurde, in keiner Weise, da die deutschen Vorschriften viel detaillierter sind. Ob sich dieser Ansatz – der ganz vom Konzept der Vollharmonisierung geprägt ist und daher kein „Mehr“ an Verbraucherschutz zulässt712 – durchsetzen wird, bleibt jedoch abzuwarten. 4. Regelungsinhalt Nach gegenwärtiger Rechtslage stellen die Vorschriften zur AGB-Kontrolle im deutschen Recht ein relativ ausgefeiltes System für die Überprüfung zur Verfügung. Entsprechend der Gefahrenlage gewährleistet das BGB in den §§ 305–310 den Schutz des AGB-Vertragspartners auf zwei Ebenen: Liegt nach der Definition des § 305 BGB eine AGB-Vorschrift vor, so ist zunächst auf Grund der speziellen Einbeziehungsvorschriften (§§ 305–305c BGB) zu prüfen, ob die vorformulierten Vertragsbedingungen überhaupt Vertragsbestandteil geworden sind. Wird dies bejaht, eröffnet sich die Möglichkeit der richterlichen Inhaltskontrolle der einzelnen Klauseln anhand der §§ 307–310 BGB.713 a. Persönlicher Anwendungsbereich Die Regelungen zur Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle gelten nach deutschem Recht prinzipiell sowohl für Verbraucher (§ 13 BGB) als auch für Unternehmer (§ 14 BGB), vgl. § 310 I BGB. Es handelt sich bei dem Bereich der §§ 305 ff. BGB deshalb um Verbraucherrecht i.w.S., das speziellen Verbraucherschutz integriert hat. Denn in Verbraucherverträgen sind AGB nach modifizierten (strengeren) Grundsätzen zu bewerten, wonach Verbraucher im Ergebnis besser gestellt werden als sonstige Vertragspartner des Verwenders. Dies bestimmt § 310 III Nr. 1–3 BGB. In dieser Vorschrift spiegeln sich maßgeblich die Vorgaben der KlauselRichtlinie zum Verbraucherschutz wider.714 Nach ihr gelten AGB in Verbraucherverträgen als vom Unternehmer gestellt (Nr. 1). Die Regelungen der §§ 305c II, 306, 307, 309 BGB und § 46b EGBGB sind ferner auch bei „Einmal-AGB“ anzuwenden (Nr. 2). Bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Klausel nach § 307 BGB sind zudem die den Vertrag begleitenden Umstände einzubeziehen (Nr. 3). 712
Vgl. dazu meine kritischen Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel E V 1. Dabei ist bei der Kontrolle der AGB von Verbraucherverträgen zu beachten, dass die Vorgaben der Europäischen Klauselrichtlinie 93/13/EWG zu berücksichtigen sind. Im Anwendungsbereich der Richtlinie ist das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen (EuGH, Urt. v. 26.9.1996, Rs. C-168/95 – Arcaro; BVerfGE 75, 223, 237; Lutter, JZ 1992, 593, 607 ff.). Das schließt die Pflicht ein, Fragen zur Auslegung der Richtlinie nach Maßgabe des Art. 234 EGV dem EuGH vorzulegen. 714 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 4. 713
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b. Sachlicher Anwendungsbereich Nach der gesetzlichen Grundregelung in § 305 I 1 BGB, die noch nicht nach dem personellen Anwendungsbereich differenziert, sind AGB „für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte und vom Verwender der anderen Vertragspartei gestellte Geschäftsbedingungen“. Die Vorschrift legt zusammen mit S. 3 und § 310 IV 1 BGB den sachlichen Anwendungsbereich der Regelungen zur AGB-Kontrolle fest.715 aa. Vertragsbestandteile versus Rechtsnormen AGB sind „Vertragsbedingungen“, die durch „Angebot“ und „Annahme“, d.h. auf Grund privatrechtlicher Willenserklärungen Vertragsbestandteil werden. Das Gesetz (vgl. § 305 I BGB), das AGB als solche definiert, enthält insoweit eine klare Absage an die so genannte Normentheorie. Mangels Rechtssetzungsbefugnis des Verwenders stellen AGB noch keine Rechtsnormen dar,716 auch wenn sie de facto diese Funktion übernehmen.717 Den Charakter von Rechtsnormen nehmen AGB auch dann nicht an, wenn sie behördlich genehmigt718 oder von öffentlicher Hand im Privatrechtsverkehr verwendet werden. Unabhängig von dem Problemkreis der vertragsrechtlich notwendigen Einbeziehung von AGB stellt sich freilich die Frage nach der Art und der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses, in das sie einbezogen werden. Insofern gibt es keine Einschränkungen. Dieses Rechtsverhältnis kann vertraglicher, aber auch vorvertraglicher719 Art sein. Selbst die Gestaltung eines potentiell entstehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses durch AGB ist durch einen „Vorvertrag“ möglich.720 bb. Rechtsgeschäftlicher Bindungswille Zweifelhaft kann mitunter der rechtsgeschäftliche Bindungswille sein, der mit einer AGB-Klausel durch den Verwender verfolgt wird. Hier gilt der Grundsatz, dass bloße Empfehlungen, Informationen und Bitten grundsätzlich keine rechtsgeschäftliche Bedeutung erlangen und damit auch keine Vertragsbedingungen i.S.d. §§ 305 ff. BGB darstellen.721 Die Auslegung derartiger Tatbestände ist allerdings gemäß §§ 133, 157 BGB vom Empfängerhorizont vorzunehmen. 715
PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 1. In neuerer Zeit wird die Normentheorie vor allem noch von Pflug vertreten, vgl. dazu Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1986); ähnlich ist aber auch der Ansatz von E. Schmidt, JuS 1987, 929 ff. 717 BGHZ 9, 1, 3; 17, 1, 2; BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 7; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305 Rn. 6; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 39. 718 BGHZ 86, 284, 291. 719 BGH NJW 1996, 2574; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 50 Rn. 111. 720 BGHZ 100, 157; BGH NJW 1986, 2757. 721 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 53 Rn. 116; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 3. 716
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cc. Vorformuliert für eine Vielzahl von Verträgen Die Vertragsbedingungen müssen, um eine Überprüfung zu rechtfertigen, in jedem Fall „vorformuliert“ sein, denn nur dann nimmt der Verwender Gestaltungsmacht einseitig in Anspruch, sodass die Privatautonomie gefährdet ist.722 Das Erfordernis der Vorformulierung bezieht sich grundsätzlich auf eine „Vielzahl von Verträgen“, es sei denn, es handelt sich um Verbraucherverträge, vgl. § 310 III Nr. 2 BGB.723 (1.) Vorformulierung Als „vorformuliert“ sind Vertragsmodi dann anzusehen, wenn sie zeitlich vor dem Vertragsschluss in abgeschlossener Form vorliegen, um in künftige Verträge einbezogen zu werden.724 Unerheblich ist dabei, ob eine Fixierung stattfindet oder nicht725 und/oder ob die Vorformulierung durch den Verwender selbst oder in seinem Auftrag vorgenommen wird;726 sie kann somit auch von einem beliebigen Dritten ausgehen.727 Notwendig ist hier nur die Beauftragung durch eine Vertragsseite. (2.) Keine Vorformulierung bei Aushandeln Das Merkmal der vorherigen Formulierung ist dann nicht erfüllt, wenn die Vertragsbedingungen im Einzelnen ausgehandelt wurden.728 Es fehlt in einer echten Verhandlungssituation nämlich an der einseitigen Stellung der Vertragsbestandteile durch den Verwender. Ein Aushandeln erfordert jedoch nach h.M. mehr als ein bloßes (formales) „Verhandeln“.729 Notwendig ist ein echtes Zur-Disposition-Stellen der Regelungen, wobei der Kunde die reale Möglichkeit haben muss, die AGB-Gestaltung zu beeinflussen.730 Hierzu genügen bloße Belehrungen des 722
Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 3. Die Mindestanzahl liegt nach der Rechtsprechung (BGH NJW 2002, 138) bei drei, wobei allerdings eine Verwendungsabsicht ausreicht und es damit nicht auf die tatsächliche Vielfachverwendung ankommt. 724 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 3; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 13; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 5; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 55 Rn. 119. 725 BGH NJW 1988, 410 ff.; BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 16; Stoffels, AGBRecht (2003), S. 55 Rn. 119. 726 BGH NJW 1988, 410; BGHZ 141, 108, 110; OLG Köln VersR 1995, 647; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305 Rn. 3; Palandt/ Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 305 Rn. 8; BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 16. 727 Vgl. dazu BT-Drucks. 7/3919, S. 16; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305 Rn. 3. 728 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305 Rn. 5; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 5. 729 Berger, NJW 2001, 5152 ff.; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 66 Rn. 148. 730 BGHZ 104, 232, 236; BGH NJW 1991, 1679; BGH WM 1995, 1455, 1456; AG Schleswig, MDR 2001, 262; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305 Rn. 5; Ulmer, FS Heinrichs (1998), S. 555; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 66 Rn. 148. 723
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Verwenders über die Geltung der AGB und ihre Tragweite nicht. Denn der bloße Einbeziehungshinweis wirkt nicht gestaltend auf den Geltungsgrund der Vertragsbestimmung (Individualvereinbarung/AGB) ein. Er betrifft lediglich das Angebot bzw. den Wunsch zur vertraglichen Einbindung an sich. Untauglich sind ferner Klauseln, die eine Aushandlung lediglich fingierend bestätigen.731 Im Zweifel handelt es sich selbst dann um AGB, wenn sich der Verwender zwar formal „verhandlungsbereit“ zeigt, tatsächlich aber nie etwas an seinen vorformulierten Vertragsmodi verändert.732 Grundsätzlich trägt eigentlich der Kunde als Vertragspartner die Beweislast dafür, dass es sich bei den Vertragsmodi um AGB handelt, wenn er sich auf die Anwendbarkeit der Kontrollvorschriften der §§ 305 ff. BGB beruft.733 In der beschriebenen Situation sollen jedoch die Grundsätze des Anscheinsbeweises zu Beweiserleichterungen i.S.e. „venire contra factum proprium“ führen. Dies wirft für die Praxis natürlich die entscheidende Frage auf, unter welchen Umständen die unveränderte Übernahme einer vorformulierten Vertragsbedingung gleichwohl als Individualabrede einzustufen und daher der Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB entzogen ist. In diesem Punkt referiert der BGH lediglich seine bisherige Judikatur, wonach die unveränderte Übernahme eines vorformulierten Vertragstextes „allenfalls unter besonderen Umständen“ einer Individualvereinbarung gleichgestellt werden kann, „wenn es schließlich nach gründlicher Erörterung bei dem gestellten Entwurf verbleibt“, wobei Letzteres vom Verwender zu beweisen ist.734 Denn grds. gilt nach dem BGH die Annahme, dass immer dann, wenn eine Vielzahl von Verträgen des Verwenders nach Aufbau, Inhalt und Wortlaut (bis auf wenige Worte) identisch sind, der äußere Anschein bereits für AGB spreche.735 Für Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher greift zudem die spezielle Vermutungsregel des § 310 III Nr. 1 BGB. Danach gelten Allgemeine Geschäftsbedingungen stets als vom Unternehmer „gestellt“, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden, wofür der Unternehmer beweispflichtig ist. Wenn der Kunde zwischen mehreren Regelungsalternativen wählen kann (etwa bei der Option zwischen einer fünf- und einer zehnjährigen Laufzeit), liegen ebenfalls vorformulierte Vertragsbedingungen vor. Der Grund liegt hier darin, dass der Verwender jedenfalls die zur Wahl gestellten Alternativen vorbe731 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305 Rn. 5. 732 BGH NJW 2000, 1110, 1111 f.; v. Westphalen, NJW 2001, Heft 43, Beilage, S. 3, 5; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 305 Rn. 20. 733 BGH NJW 1999, 1261, 1262. 734 BGH NJW 2000, 1110 (Leitsatz); offen ist damit, was mit diesen besonderen Umständen gemeint ist, vgl. zu dieser noch offenen Frage v. Westphalen, NJW 2001, Heft 43, Beilage, S. 3, 5. 735 BGH NJW 2004, 502.
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stimmt hat.736 Im Fall von ausfüllungsbedürftigen Leerräumen, für die der Verwender keine Regelungsalternativen gestellt hat, ist dagegen zu unterscheiden: Die Klauseln sind dann als AGB zu bewerten, wenn es um so genannte „unselbständige Ergänzungen“,737 wie etwa die Einfügung von Namen oder die Bezeichnung des Vertragsobjektes, geht.738 Von einer AGB kann dann jedoch nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Kunde die freie Stelle nach seiner freien Entscheidung ausfüllen kann739 (und die Praxis zeigt, dass die Kunden hiervon insofern Gebrauch machen, als sie ausfüllungsbedürftige Stelle auch tatsächlich unterschiedlich – angepasst an ihre individuellen Bedürfnisse – ausfüllen).740 Dabei ist wieder zu beachten, dass nach der gesetzlichen Wertung gegenüber einem Verbraucher (§ 13 BGB) von einem Unternehmer (§ 14 BGB) angeführte Vertragsbestimmungen im Zweifel als AGB anzusehen sind (vgl. § 310 III Nr. 1 BGB) und damit einer Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle zugänglich gemacht werden. (3.) Für eine Vielzahl von Verträgen Das Merkmal der „Vielzahl“ (von Verträgen) betont ebenso wie dasjenige der Vorformulierung den nicht an der individuellen Vertragsbeziehung, sondern am Massengeschäft ausgerichteten Charakter der AGB.741 Entscheidend ist dabei die Absicht der mehrfachen Verwendung. Die tatsächliche mehrfache Verwendung lässt aber auf die Absicht schließen. In Literatur und Rechtsprechung ist man sich darin einig, dass auch die als Textbaustein im PC742 oder nur „im Kopf des Verwenders“ gespeicherte, aber immer wieder (handschriftlich) verwendete Vertragsklausel unter § 305 I 1 BGB fällt, weil eine Wiederholung vorhanden ist. Dabei muss die Formulierung der Klausel nicht in jedem Verwendungsfall mit anderen Benutzungen in Punkt und Komma übereinstimmen, solange nur das in der Klausel enthaltene materielle Regelungsmodell in jedem Verwendungsfall wertungsmäßig gleich bleibt.743 Ab welcher Anzahl von Wiederholungen die geforderte „Vielzahl“ von Verwendungen bei Verträgen vorliegt, ist allerdings umstritten. Die wohl überwiegende Ansicht verlangt mindestens drei Fälle.744 Eine Ausnahme von diesem Er736 BGH NJW-RR 1997, 1000; BGH NJW 1988, 410; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 16. 737 So auch MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 15; Bender, WRP 1998, 580 ff. 738 BGHZ 99, 205; 118, 238. 739 BGH NJW 1998, 1066; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 10: „selbständige Ergänzungen“. 740 AG Düsseldorf, VersR 2002, 901; Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 12. 741 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 57 Rn. 126. 742 BGH NJW 1988, 410. 743 BGH NJW 2000, 1110; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 6. 744 BGH NJW 1998, 2286, 2287; 2002, 138, 139; 2002, 2470, 2471; 2004, 1454; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 659, 660; BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 23; Hk-BGB/ Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 4; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 18;
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fordernis ist wegen der gesetzlichen Festlegung in § 310 III Nr. 2 BGB für Verbraucherverträge statuiert. Hier genügt eine einmalige Verwendung.745 Der in § 310 III Nr. 2 BGB geübte Verzicht auf das Vielzahl-Merkmal war notwendig, um der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen Rechnung zu tragen,746 die in Art. 3 lediglich von nicht in einzelnen ausgehandelten Vertragsklauseln und vorformulierten Standardverträgen spricht. c. Bereichsausnahmen i.S.v. § 310 IV BGB Anwendungsausnahmen i.S.v. „Bereichsausnahmen“ für die Heranziehung der §§ 305 ff. BGB sieht § 310 IV 1 BGB vor. Danach findet der Abschnitt über AGB generell keine Anwendung bei Verträgen auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts sowie auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Die Gründe für diese Ausnahmen sind vielgestaltig: Für das Erb- und Familienrecht rechtfertigt sich die Ausnahme vor dem Hintergrund, dass es hier nicht um Massenverträge geht. Auftretende Probleme im Erbrecht werden zudem durch erbrechtliche Formvorschriften „geglättet“. Im Familienrecht gibt es einen „numerus clausus“ von Vertragstypen, bei dem die inhaltliche Gestaltungsfreiheit von vornherein eingeschränkt ist. Für das Gesellschaftsrecht besteht bei Gründung und Betrieb der Kapitalgesellschaft nicht die für den Verbraucher typische ungünstige Verhandlungsposition. Der Gesetzgeber hat hier außerdem den wesentlichen Inhalt durch Gesetz vorgeschrieben und bei Anmeldung erfolgt eine Gründungsprüfung durch das Registergericht. Individuell gestaltet und damit ausgewogen sind häufig auch die Verträge der Personen(handels)gesellschaften. Kollektivverträge auf dem Gebiet des Arbeitsrechts sind überdies durch die Vermutung der Vertragsparität geprägt. Eine interessante Neuerung des AGB-Rechts stellt es aber dar, dass anders als § 23 I AGB-Gesetz, § 310 BGB keinen generellen Anwendungsausschluss mehr für Individualverträge auf dem Gebiet des Arbeitsrechts kennt. Damit respektiert der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BAG.747 Das Gericht hat nämlich auf der Grundlage der §§ 242, 315 BGB a.F. schon seit längerem eine dem AGB-Gesetz a.F. ähnliche Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen entwickelt.748 Aus der breitflächigen Übernahme der Wertungen der §§ 305 ff. BGB für arbeitsrechtliche AGB (hier Allgemeine Arbeitsbedingungen) ergeben sich auch inhaltliche Neuerungen, die die Arbeitsrechtswissenschaft seit der SchuldStoffels, AGB-Recht (2003), S. 58 Rn. 128; Pfeiffer, in: Wolf//Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGBRecht (5. Aufl., 2009), § 305 Rn. 14; kritisch Canaris, in: Karlsruher Forum (1997), S. 77; a.A. BGH NJW 1981, 2343, 2344: 5 Fälle. 745 PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 6. 746 Vgl. dazu MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 17. 747 BAG v. 16.3.1994, AP Nr. 18 zu § 611 BGB „Ausbildungsbeihilfe“; BAG v. 29.11.1995, AP Nr. 1 zu § 3 AGBG. 748 Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das neue Schuldrecht (2002), § 6 Rn. 15, S. 193.
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rechtsreform beschäftigen.749 Der Gesetzgeber hat in Aufgreifung der BAG-Judikatur in § 310 IV 2 BGB die Geltung der §§ 305 ff. BGB angeordnet, allerdings mit der Einschränkung, dass „arbeitsrechtliche Besonderheiten“ eine angemessene Berücksichtigung finden müssen. d. Unerheblichkeit der äußeren Gestaltung der AGB Die Beurteilung, ob AGB vorliegen oder nicht und mithin die §§ 305 ff. BGB Anwendung finden oder ihre Heranziehung versagt ist, erfolgt auf der Grundlage rein inhaltlicher Abgrenzungskriterien, vgl. dazu § 305 I 2 BGB.750 Unerheblich ist, wie die Vertragsklauseln äußerlich gestaltet sind. In § 305 I 2 BGB dokumentiert sich die Tendenz, den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB nicht an formalen Kriterien festzumachen, sondern an materialen, durch den Schutzzweck bestimmten Merkmalen auszurichten.751 Vor diesem Hintergrund macht es keinen Unterschied, ob die Passage kleingedruckt oder großgeschrieben ist, auf der Vor- oder Rückseite des Vertrages steht oder gar die Benennung („Zusatzbedingung“, „ergänzende Bestimmungen“ usw.) erfolgte. Selbst ganz kurze Texte können AGB beinhalten, z.B. der Anschlag „Haftung ausgeschlossen“ oder das Hinweisschild im Supermarkt, dass Taschenkontrollen durchgeführt werden.752 e. Einbeziehung von AGB nach § 305 II BGB Geltungskraft erlangen AGB nur im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung.753 Obwohl AGB in der wirtschaftlichen Praxis oft die gesellschaftliche Funktion von Gesetzen754 übernehmen, sind sie keine Rechtsnormen und können daher nicht von sich aus wirken, weil dem Verwender keine Rechtsetzungsbefugnis zusteht.755 Zur Einbeziehung der AGB in den Vertrag gegenüber Privatpersonen756 müssen drei Voraussetzungen bei Vertragsschluss757 erfüllt sein (§ 305 II BGB): 749 Instruktiv dazu (in Aufbereitung der neuen Rechtsprechung) Däubler/Dorndorf/ Bonin/Deinert, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht (2. Aufl., 2008); vgl. auch Tamm, PersV 2008, 209 ff. 750 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 6. 751 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 305 Rn. 33; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 65 Rn. 145. 752 Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das neue Schuldrecht (2002), § 6 Rn. 11, S. 192; BGH NJW 1996, 2574. 753 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 29 ff.; Hk-BGB/ Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 11; Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1986); E. Schmidt, JuS 1987, 929; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 43 Rn. 99. 754 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 305 Rn. 2. 755 BGHZ 9, 3; 17, 2. 756 Anders bei Unternehmern gemäß § 14 BGB, vgl. dazu § 310 I BGB. 757 Nicht ausreichend ist es also, wenn auf Eintrittskarten, Berechtigungsscheinen, Quittungen, Lieferscheinen ein Hinweis auf die AGB erfolgt, weil diese im Regelfall erst nach dem Vertragsschluss ausgehändigt werden.
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– ein ausdrücklicher oder jedenfalls deutlich sichtbarer Hinweis758 (Nr. 1), – die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme für die andere Vertragspartei (Nr. 2) – und das Einverständnis der anderen Vertragspartei mit der Geltung der AGB (Nr. 3), das auch konkludent erklärt werden kann und regelmäßig in der widerspruchslosen Vertragsdurchführung zu sehen ist. Die nach § 305 II BGB notwendige und überprüfbare Einbeziehungsvereinbarung ist Teil des Vertrages. Im unternehmerischen Verkehr gelten die Förmlichkeiten des § 305 II, III BGB nicht, vgl. dazu § 310 I 1 BGB. Freilich ist auch in diesen Fällen eine Einbeziehungsvereinbarung notwendig, die sich dann allerdings aus allgemeinen Grundsätzen ergibt.759 aa. Deutlich sichtbarer Hinweis (§ 305 II Nr. 1 BGB) Finden die von § 305 II BGB genannten Voraussetzungen Anwendung, dann muss der Hinweis nach Nr. 1 ausdrücklich und zwar bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (und nicht etwa später)760 erfolgen, gleichgültig, ob schriftlich, fernmündlich oder elektronisch. Der Einbeziehungshinweis muss eindeutig erkennen lassen, dass die (genau bezeichneten)761 AGB Vertragsbestandteil werden sollen. Hinsichtlich der Notwendigkeit des ausdrücklichen Hinweises geht § 305 II Nr. 1 BGB über die sonstigen Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 133, 157 BGB hinaus.762 Ist der Vertrag schriftform- oder beurkundungsbedürftig, erstreckt sich das Formerfordernis auch auf den Hinweis.763 Um den Einbeziehungshinweis rechtsgültig zu erteilen, ist es überdies notwendig, dass die Information über die Inkorporierung der AGB klar, übersichtlich und lesbar gestaltet ist. Der dabei anzulegende Maßstab ist der des Durchschnittskunden, der auch bei einem flüchtigen Lesen das Abstellen auf die AGB des Verwenders erkennen können muss.764 Eine Konkretisierung findet dieser Grundsatz in der gerichtlicherseits erfolgten Klarstellung, dass ein bloßer Hinweis auf die AGB auf der Rückseite des Vertrages nicht ausreichend ist, falls auf der Vorderseite kein deutlicher Verweisungs- und Einbeziehungshinweis erfolgt.765 758
Dabei ist strittig, ob die Formulierung „Für alle Verträge gelten unsere AGB. Diese liegen für Sie an der Kasse zur Einsicht bereit“ reicht oder ob der Aushang die AGB selbst vollinhaltlich wiedergeben muss. Vorzugswürdig wäre letztere Ansicht, da diese Alternative die einzige dem Kunden zumutbare Art der Kenntniserlangung darstellt. 759 Eine Sonderregelung enthält § 5a VVG für Versicherungsverträge. 760 BGH NJW 1988, 1212. 761 PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 23: „individualisierte AGB“. 762 PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 23. 763 BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 46; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 23. 764 BGH BB 1983, 2074. 765 OLG Düsseldorf VersR 1982, 872; LG Münster VersR 1980, 100.
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Der notwendige ausdrückliche Hinweis kann auch durch einen entsprechend deutlich sichtbaren Aushang am Ort des Vertragsschlusses ersetzt werden, vorausgesetzt ein Hinweis im ersteren Sinne ist wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich. Erfasst von dieser „vereinfachten Einbeziehungsmöglichkeit“ sind vor allem die typischen, zumeist konkludent abgeschlossenen Massengeschäfte des täglichen Lebens, bei denen entweder ein Hinweis mangels des persönlichen Kontakts ausgeschlossen ist (Parkhaus, Schließfächer usw.)766 oder jedenfalls eine unverhältnismäßige und im Grunde überflüssige Erschwerung der automatisierten Massenabfertigung darstellen würde, wie etwa im Theater, bei Sportveranstaltungen, in Kinos oder KfzWaschanlagen.767 bb. Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme (§ 305 II Nr. 2 BGB) Die von § 305 II Nr. 2 BGB geforderte zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme – auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es insoweit nicht an – ist immer dann gegeben, wenn die AGB im Zeitpunkt des Vertragsschlusses übergeben, dem Kunden zugesandt wurden oder anlässlich des Vertrages die Möglichkeit eines Downloads768 aus dem Internet besteht.769 Auch der Aushang im Laden oder zumindest der Hinweis auf ein im Laden vorhandenes Einsichtsexemplar soll genügen.770 Fraglich ist allerdings die Einhaltung dieser Anforderungen bei einem Distanzgeschäft i.S.e. fernmündlichen Vertragsschlusses.771 Unproblematisch sind hier wegen des Gebots der Einbeziehung der AGB „bei“ Vertragsschluss allein die Fälle, in denen die AGB dem Kunden schon während der Vorverhandlungen oder bei einem anderen Geschäft übermittelt worden sind. Soweit diese Optionen nicht bestehen und die AGB auch nicht am Telefon Schritt für Schritt vorgelesen und damit dem Kunden präsent gemacht werden, existiert über die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme seitens des Kunden Streit. Dabei wird zum einen (rechtspolitisch) geltend gemacht, dass sich das AGB-Recht nicht zum Störfaktor im Geschäftsleben entwickeln soll. Deshalb ist die Obliegenheit des Verwenders, dem Kunden die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme zu eröffnen, nicht zu streng zu interpretieren.772 Dem Kundenschutz sei in ausrei766
Vgl. dazu LG Frankfurt/M. NJW-RR 1988, 955; LG Essen VersR 1995, 1198. BGH NJW 2005, 424; PWW/Becker (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 25. 768 BGH BB 2006, 1991; OLG Hamm NJW 2001, 1142 f. 769 PWW/Becker (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 26. 770 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 15; der letztere Fall des bloßen Hinweises im Aushang ist allerdings streitig, vgl. dazu Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 305 Rn. 31. 771 Das Vorlesen der AGB während des Telefonats ist nicht praktikabel, das Angebot, die AGB zu übersenden, genügt den Anforderungen des § 305 II 2 BGB nicht, dass die Bedingungen bei Vertragsschluss vorgelegen haben müssen. 772 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 305 767
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chendem Maße Rechnung getragen, wenn der Klauselgegner bei Vertragsschluss (also etwa beim Telefonieren) auf die Geltung der AGB des Verwenders hingewiesen wird, er aber auf ihre Kenntnisnahme durch individuelle Absprache global verzichtet.773 Eine gewisse Stütze findet dieses Argument nach der oben genannten Ansicht auf den ersten Blick in Art. 246 § 1 III 1 EGBGB, wo es um den Fernabsatz von Produkten durch Telefongespräche geht. Hier bestehen gemäß Art. 246 § 1 III 1 EGBGB nur eingeschränkte Informationspflichten, nämlich nur die nach Art. 246 § 1 I EGBGB. Diese Einschränkung der Informationspflicht bei Telefongesprächen bezieht sich aber schon dem Wortlaut nach nur auf den Umfang, der begrenzt wird, nämlich insoweit als die Angabe nach Nr. 3 (ladungsfähige Anschrift) fehlen darf. Die Regelung bestimmt jedoch nicht, dass die in Art. 246 § 1 I EGBGB benannten Informationen, die sich in vielerlei Weise mit üblichen AGB überlagern, beim fernmündlichen Vertragsschluss fehlen dürfen. Darauf deutet auch Art. 246 § 2 I 2 Nr. 1 EGBGB nicht hin, der festlegt, dass die AGB beim Fernabsatzvertrag spätestens bis zur Warenlieferung auch in Textform zur Verfügung zu stellen sind. Denn hier geht es nur um das Postulat der schriftlichen Fixierung zur nachfraglichen Transparenz und Beweissicherung als vertragliche Nebenpflicht. Sinnvoll erscheint es daher darauf abzustellen, dass nach dem Sinn und Zweck des § 305 II Nr. 2 BGB, den Kunden vor unliebsamen Überraschungen zu schützen, die Einbeziehung der AGB in den Vertrag erst angenommen werden kann, wenn der Kunde nach einem auf das Telefonat des Unternehmers folgendes Schreiben, das die AGB enthält, nicht widerspricht.774 Gegen diese Argumentation lässt sich auch nicht einwenden, dass in der Praxis fernmündlich geschlossene Verträge zumeist unter die Bestimmungen des Fernabsatzrechtes fallen, sodass der Kunde schon gemäß §§ 312b, 312d BGB die Möglichkeit hat, sich auch bei unliebsamen AGB vom Vertrag zu lösen. Denn dieser Ansatz berücksichtigt nicht, dass der Kunde, der etwa ein bestelltes Produkt für gut befindet, durchaus ein Interesse haben könnte, am (fernmündlich) geschlossenen Distanzvertrag festzuhalten, allerdings reduziert um entsprechend für unbillig gehaltene AGBKlauseln, die ihm bei Vertragsschluss noch nicht zumutbar zur Kenntnis kamen. Gerade an diesen Fällen zeigt sich, dass man nicht umhin kommt, das Problem des Distanzgeschäftes auch im Hinblick auf die AGB-Problematik näher zu beleuchten und eine interessengerechte Lösung zu finden. Rn. 149; v. Westphalen, NJW 2002, 16; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 113 Rn. 269 und S. 117 Rn. 280. 773 LG Braunschweig NJW-RR 1986, 639; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 27; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 305 Rn. 149; v. Westphalen, NJW 2002, 16; Stoffels, AGB-Recht (2003), § 9 Rn. 280; vermittelnd Hk-BGB/ Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), der vorgelesene AGB ausreichen lässt, aber nur dann, wenn sie ganz kurz sind. 774 Tonner/Tamm, WiVerw 2004, 89, 97.
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Dabei ist herauszustellen, dass die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 305 II Nr. 2 BGB, die die h.M. propagiert, schon mit Blick auf die Klausel-Richtlinie gegenüber Verbrauchern versagt. Erwägungsgrund 20 verweist in seinem Satz 2 eindeutig darauf, dass „der Verbraucher tatsächlich die Möglichkeit haben muss, von allen Vertragsklauseln“ Kenntnis zu nehmen. Eine tatsächlich nicht bestehende Kenntnisnahmemöglichkeit ist hiermit nicht zu vereinbaren. Verzichten kann man auf die konkrete Kenntnisnahme sowieso nur, wenn zunächst die Möglichkeit der Präsentmachung an sich bestanden hat. Will man dem Vertrag mithin auf der Grundlage des Telefonats und der dort nicht gegebenen zumutbaren Kenntnisnahme des Kunden nicht gleich die Option einer Klauseleinbeziehung absprechen, dann bedarf es zumindest einer späteren (konkludenten) AGB-Bestätigung des Klauselbelasteten im Zeitpunkt der zumutbaren Kenntnisnahme mit Nachlieferung. Diese muss dann der Verwender, der die Vertriebsvorteile des Distanzgeschäftes für sich in Anspruch nimmt, nachweisen. Möglich ist dies etwa, indem die AGB mit der Ware nachübersandt werden mit dem Hinweis, dass diese als in den Vertrag einbezogen gelten, sofern nicht unverzüglich widersprochen wird. Eine derartige Widerspruchslösung ist bereits anlässlich des Vertragsschlusses im Zeitpunkt des Telefonats zu vereinbaren. Erfolgt ein Widerspruch, hat dies nicht zwingend Auswirkungen auf den gesamten Vertrag (vgl. § 306 I BGB), es sei denn, darüber haben sich der Verwender und der Klauselbelastete vorher wirksam geeinigt. Insoweit wird auch nicht die etwa nach §§ 312b, 312d BGB bestehende Möglichkeit des Rücktritts vom gesamten Vertrag innerhalb der Widerrufsfrist bei Nichtgefallen der Ware untergraben. cc. Einverständnis (§ 305 II Nr. 2 BGB) Das Einverständnis des Kunden an der Einbeziehung der AGB in den Vertrag nach § 305 II BGB kann ausdrücklich und, soweit keine Formvorschriften bestehen, auch konkludent erklärt werden.775 Das Erfordernis des Einverständnisses ist global zu verstehen. Es bedeutet nicht, dass sich die Vertragsparteien über den konkreten Inhalt der AGB verständigt haben müssen.776 dd. Keine Einbeziehung überraschender Klauseln (§ 305c I BGB) Jedenfalls nicht Vertragsbestandteil werden nach den gesetzlichen Bestimmungen Regelungen in AGB-Form, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht (so genannte „überraschende Klauseln“), denen also ein gewisser „Überrumpelungseffekt“ innewohnt, vgl. § 305c I BGB. Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, dass der 775 776
PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 31. BaRoth/Becker (2. Aufl., 2007), § 305 Rn. 42.
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Kunde gemäß § 305 II BGB auch dann an AGB gebunden ist, wenn er sie nicht gelesen hat. In dieser Situation ist er in besonderer Weise in seinem Vertrauen darauf zu schützen, dass sich die in den AGB enthaltenen Einzelregelungen im Großen und Ganzen im Rahmen dessen halten, was der redliche Geschäftsverkehr nach den Umständen bei Abschluss des Vertrages erwarten konnte.777 Der Ausschluss der überraschenden Klausel aus der Möglichkeit der Einbeziehung in den Vertrag entspricht einer langen, bereits vor Erlass der entsprechenden AGBRegelung gefestigten Rechtstradition.778 Zu vergegenwärtigen ist insoweit, dass der Begriff der überraschenden Klausel dem AGB-Recht überhaupt erst zu seinem Durchbruch verhalf. Als „überraschend“ i.S.d. § 305c I BGB sind AGB dann anzusehen, wenn sie Regelungen enthalten, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweichen, wobei der berechtigte Erwartungshorizont des Vertragspartners durch die allgemeinen, aber auch die individuellen Begleitumstände des Vertrages festzulegen ist.779 Insoweit kann für den Überraschungseffekt sowohl das erhebliche Abweichen vom Leitbild des dispositiven Rechts ausschlaggebend sein780 als auch ein etwaiger Widerspruch zu bisherigen Vertragsverhandlungen.781 f. Auslegungszweifel gehen zu Lasten des Verwenders (§ 305c II BGB) § 305c II BGB statuiert zum Schutz des Klauselgegners den Grundsatz, dass Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders gehen. Insofern setzt sich bei objektiver Mehrdeutigkeit einer Klausel, bei der nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bestehen bleibt und zumindest zwei Auslegungen rechtlich vertretbar erscheinen,782 die kundenfreundlichste Auslegung783 durch. § 305c II BGB kodifiziert eine von der Rechtsprechung entwickelte, die §§ 133, 157 BGB ergänzende Interpretationsformel für AGB. Sie beruht auf dem Gedanken, dass es Sache des Verwenders ist, sich klar und unmissverständlich auszudrücken, da er die Vorteile der Vertragsgestaltung für sich in Anspruch nimmt.784 Der Unklarheitenregel des 777 BGH DB 1975, 2366; OLG Köln NJW-RR 03, 706; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/ Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305c Rn. 1; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305c Rn. 2. 778 Vgl. schon Nicolaus Everandi, in: Loci argumentorum legales (1613), S. 104: „clausulae insolitae inducunt suspicionem“; so auch das RG bei seiner gerichtlichen Kontrolle von AGB in RGZ 103, 86. 779 BGH WM 2000, 2423; BGH NJW 2001, 1416. 780 BGHZ, 60, 243, 245; 130, 150 ff. 781 BGH NJW 1986, 1807; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2003), § 305c Rn. 2. 782 BGHZ 112, 68; NJW 1992, 1098; 1997, 3434; dazu kritisch Schlechtriem, FS Heinrichs (1998), S. 503 ff. 783 PWW/Becker (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 11 ff.; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 305c Rn. 20; BGHZ 112, 65, 68 f.; BGH NJW 1997, 3434, 1435. 784 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002),
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§ 305c II BGB steht das von der Rechtsprechung entwickelte Restriktionsprinzip nahe, nach dem für den Kunden ungünstige Klauseln (vor allem Freizeichnungsklauseln, scheitern sie nicht bereits an Intransparenz oder inhaltlichen Vorgaben) eng auszulegen sind.785 Dabei gestaltet es sich in der Praxis als durchaus schwierig, zwischen der (geltungserhaltenden) verbraucherfreundlichen Auslegung bei Mehrdeutigkeit nach § 305c II BGB und der Unwirksamkeit der Klausel auf Grund ihres intransparenten Inhaltes nach § 307 I 2 BGB – dazu sogleich – zu unterscheiden. Denn die durch die Gesetzeskonkurrenz aufgeworfene Frage, in welchem Verhältnis Auslegung, Unklarheitenregelung und Transparenzklausel stehen, ist bislang trotz ihrer erheblichen praktischen Bedeutung noch wenig geklärt.786 Insoweit ist zwar in systematischer Hinsicht unstreitig, dass im Rahmen der AGB-Kontrolle die nach § 305c II BGB gebotene Auslegung bei Unklarheit der Klausel einer etwaigen Inhaltskontrolle vorgeht.787 Diese Prüfreihenfolge erscheint wertungsmäßig jedoch bei der Überschneidung mit dem Transparenzgebot hinterfragenswert. Denn es ist jenseits der notwendigen klaren Abgrenzung von formellem und materiellem „Filter“ im AGB-Recht fragwürdig, wenn im Rahmen des § 305c II BGB (nach verbraucherfreundlichster Auslegung) zunächst festgestellt wird, dass einer Klausel ein bestimmter Sinn beigelegt werden kann, dieses Ergebnis im Bereich der sich anschließenden Inhaltskontrolle nach § 307 I 2 BGB (Stichwort: Transparenzgebot) aber revidiert wird, indem man der Klausel attestiert, sie sei intransparent.788 Um die beschriebenen Abgrenzungsprobleme zu minimieren, wird teilweise vorgeschlagen, die Einbeziehung einer Klausel, die in ihrem Kernbereich unklar und für den Durchschnittsmenschen unverständlich ist, an § 307 I 2 BGB scheitern zu lassen. Für § 305c II BGB bleibt danach nur Raum, wenn sich die im Grundsatz verständliche Klausel in randständigen Einzelpunkten als mehrdeutig erweist.789 Bezogen auf diese denkbare Auflösung des Konkurrenzverhältnisses von §§ 305c II, 307 I 2 BGB ist allerdings auch wieder fraglich, wie die ge§ 305c Rn. 3; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 305c Rn. 61; grundlegend Schlechtriem, FS Heinrichs (1998), S. 503 ff. 785 BGH NJW 1975, 1315, 1316. 786 Der Rechtsausschuss des Bundestages spricht in seiner Schlussempfehlung in Verkennung der erheblichen Unterschiede der Normen (in BT-Drucks. 14/7052, S. 188) von einem „Zusammenspiel zwischen § 305c und § 307 I, II BGB“; Stoffels, s.o. 787 So wurde zutreffend das Problem herausgestellt durch Lange, ZGS 2004, 208. Der BGH beachtet diesen Vorrang häufig allerdings nicht. Er lässt die nach § 305c BGB gebotene Auslegung oft dahinstehen, indem er mehr oder weniger sofort auf die Transparenzkontrolle zu sprechen kommt (vgl. dazu BGH VersR 1999, 710, 711 f.; NJW 1989, 222, 223 f.; 1988, 1726 f.); Stoffels, a.a.O. 788 Bruchner, WM 1988, 1873, 1876; Lange, ZGS 2004, 208, 209, Stoffels, s.o. 789 Henssler/v. Westphalen, Die Praxis der Schuldrechtsreform (2001), § 307 Rn. 4 f.; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 305 Rn. 41.
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naue Abgrenzung zwischen Rand- und Kernbereich vorzunehmen ist.790 Dem effektiven Verbraucherschutz stehen diese Abgrenzungsfragen allerdings nicht im Wege. Denn die Rechtsprechung ist geneigt, im Fall des Falles beide Normenkomplexe parallel oder „verschränkt“ mit einer Schwerpunktbildung beim Transparenzgebot heranzuziehen,791 was aufgrund der Lehre von der Doppelwirkung im Recht durchaus erlaubt ist. g. Vorrang der Individualvereinbarung (§ 305b BGB) § 305b BGB bestimmt ferner zugunsten des Klauselbelasteten, dass individuelle Absprachen Vorrang vor inhaltlich entgegenstehenden AGB genießen. Das von dieser Regelung klargestellte funktionelle Rangverhältnis792 zwischen individueller Absprache und entgegenstehender AGB-Vereinbarung ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der Privatautonomie.793 Konkret getroffene Parteivereinbarungen sind danach wegen ihres Einzelfallbezugs geltungsstärker als abstraktgenerelle AGB.794 Der Grundsatz des Vorrangs der höherwertigen Individualabrede ist an keine spezielle Formanforderung geknüpft. Daraus folgt, dass selbst Schriftformklauseln795 – soweit nicht gesetzlich determiniert – außer Kraft gesetzt werden, wenn die Vertragsschließenden deutlich den Willen zum Ausdruck bringen, die mündlich getroffene Abrede solle ungeachtet dieser Klausel gelten.796 h. Die Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB Dass dem AGB-Recht im Verhältnis zum allgemeinen Bürgerlichen Recht eine der materialen Vertragsfreiheit „dienende Funktion“ zukommt,797 zeigt sich neben der notwendigen Einbeziehungskontrolle vor allem an der durch das Gesetz eröffneten Inhaltskontrolle, die auf der Grundlage der §§ 309, 308, 307 BGB 790
Zutreffend hinsichtlich dieser Kritik Lange, ZGS 2004, 208, 212; Stoffels, s.o. BGH VersR 1999, 710, 711 f.; NJW 1989, 222, 223 f.; 1988, 1726 f. 792 Lindacher, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), § 305b Rn. 1; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 305b Rn. 1; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 151 Rn. 344. 793 Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305c Rn. 1; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 305 Rn. 2; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (9. Aufl., 2006), § 305 Rn. 1: „nur klarstellende Bedeutung“; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 151 Rn. 345. 794 PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 305 Rn. 1; Zoller, JZ 1991, 850 ff. 795 Michalski, DStR 1998, 771 f. 796 BGH NJW-RR 1995, 179; BGH NJW 1986, 3132; 1986, 1807; Hennrichs, in: DaunerLieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 305 Rn. 2. Die mündliche Abrede muss allerdings selbst rechtlich wirksam sein, was problematisch ist, wenn die Schriftformklausel zugleich die Vertretungsmacht einschränkt (PWW/Berger [2. Aufl., 2007], § 305 Rn. 4). 797 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 27: „Beitrag zur Vertragsgerechtigkeit“. 791
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erfolgt. Dabei rekurriert die Inhaltskontrolle zunächst auf die Leitbildfunktion und den Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Gesetzesrechts, an dem sich ihre Maßstäbe ausrichten (vgl. dazu insbesondere § 307 II BGB). Gegenüber den allgemeinen Vorgaben des Zivilrechts statuieren die §§ 307 ff. BGB i.Ü. für die besondere Situation der vorformulierten, einseitig gestellten AGB deutlich höher liegende inhaltliche Anforderungen als sie durch das dispositive Gesetzesrecht normiert werden.798 Insoweit steigert sich die Kontrolldichte bei Verwendung von AGB über das sonstige Maß hinaus. aa. Keine Anwendung auf AGB, die nicht von Rechtsvorschriften abweichen Das Verhältnis von allgemeinem Zivilrecht und den speziellen Normen zur AGBKontrolle wird durch § 307 III BGB aufgegriffen. In dieser Vorschrift wird zunächst klargestellt, dass solche AGB, die von Rechtsvorschriften des allgemeinen Zivilrechts nicht abweichen, nicht auf ihren Inhalt untersucht werden. Mit dieser Bereichsausnahme wird die Leitbildfunktion des Gesetzesrechts betont. Um sie nicht zu untergraben, soll verhindert werden, dass auf dem Weg der Inhaltskontrolle die Vorschriften des BGB oder anderer Gesetze einer Änderung zugeführt werden oder eine Kontrolle der Preis- und Leistungsangebote stattfindet.799 bb. Prüfreihenfolge Soweit jedoch die Inhaltskontrolle eröffnet ist, sind die Klauselkataloge der §§ 309, 308 BGB – in dieser Reihenfolge – stets vor den gesetzlichen Regelbeispielen nach § 307 II BGB und der Auffangbestimmung des § 307 I BGB zu prüfen. Eine Klausel, die nach §§ 309, 308 BGB nicht zu beanstanden ist, kann nur aus den Gründen nach § 307 BGB noch unwirksam sein.800 Ist die AGB-Regelung umgekehrt nach §§ 309, 308 BGB unwirksam, darf dieses Urteil nicht über § 307 BGB revidiert werden.801 cc. Inhaltskontrolle nach § 309 BGB Im Zuge der Inhaltskontrolle verbietet § 309 BGB zunächst „ohne Wertungsmöglichkeit“ Klauseln, die: – dem Verwender eine Preiserhöhung in den ersten vier Monaten gestatten (Nr. 1), – eine formularmäßige Einschränkung von Leistungsverweigerungsrechten (§§ 273, 320 BGB) vorsehen (Nr. 2), – ein Aufrechnungsverbot enthalten (Nr. 3), 798
Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 175 Rn. 382. Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 307 Rn. 17 f. 800 BGH NJW 2003, 507. 801 BGH NJW 1997, 739; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 307 Rn. 3. 799
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– den Verwender von AGB von der Obliegenheit zur Mahnung oder Fristsetzung freistellen (Nr. 4), – Pauschalierungen von Schadensersatz oder Wertersatzansprüchen vorsehen, wenn die Pauschale den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Anspruch übersteigt oder dem anderen Teil nicht ausdrücklich der Nachweis des niedrigeren Schadens gestattet wird (Nr. 5), – für den Fall der Nichtabnahme des Verzugs oder der Lösung vom Vertrag eine Vertragsstrafe statuieren (Nr. 6), – einen Haftungsausschluss bei Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit und für grobes Verschulden anordnen (Nr. 7), – bei sonstigen Pflichtverletzungen Haftungsausschlüsse normieren (Nr. 8), – eine langfristige Bindung in Dauerlieferungs,- Dienst- oder Werkverträgen anordnen (Nr. 9), – dem mit den AGB Belasteten einen anderen Vertragspartner aufzwingen (Nr. 10), – eine formularmäßige Haftung des Vertreters vorsehen, der auf Seiten des Kunden auftritt (Nr. 11), – zum Nachteil des anderen Vertragsteils die Beweislast ändern (Nr. 12) – und solche AGB, die Anzeigen oder Erklärungen, die der andere Vertragsteil abzugeben hat, an eine strengere Form als die Schriftform oder an besondere Zugangserfordernisse binden (Nr. 13). Die aufgezählten, in § 309 Nr. 1–13 BGB indizierten Klauseln sind wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit vom Gesetzgeber als „unangemessen“ angesehen worden. Da diese Klauselverbote – anders als in § 308 BGB – nur wenige unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, sollen sie ohne Wertungsmöglichkeit (so die Überschrift) stets zur Unwirksamkeit führen. Die Möglichkeit, durch Interessenabwägung trotz typischer Benachteiligungswirkung zur Wirksamkeit zu gelangen, ist grundsätzlich versperrt.802 Nach § 310 I BGB sind die vorbenannten Klauselverbote – dies gilt es ferner bei der Anwendung der Regelung zu beachten – nicht (unmittelbar) gegenüber Unternehmern, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlicher Sondervermögen anwendbar. Gleichwohl geht von § 309 BGB (und auch von § 308 BGB) selbst bezüglich dieser Rechtsträger eine gewisse „Indizwirkung“ für die Feststellung einer Unangemessenheit i.S.d. § 307 BGB aus.803 Regelungsund wertungstechnisch stellen die §§ 308, 309 BGB nämlich lediglich besondere Ausprägungen der Generalklausel (§ 307 BGB) und des in ihr niedergelegten Maßstabes von Treu und Glauben dar.804 Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, ja 802 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 309 Rn. 3; PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 309 Rn. 1. 803 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 309 Rn. 1. 804 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 283 Rn. 544.
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sogar wahrscheinlich, dass eine Klausel, die im nichtunternehmerischen Verkehr gemäß §§ 308, 309 BGB zu beanstanden wäre, auch bei Verwendung gegenüber Unternehmern (vgl. § 310 I 1 BGB) einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht standzuhalten vermag,805 es sei denn spezielle handelsrechtliche Besonderheiten stehen dem entgegen. Gerade an diesem Umstand zeigt sich die starke Leitbildfunktion des Verbraucherschutzrechts i.e.S. Denn von ihm geht eine starke Beeinflussung des allgemeinen Schutzniveaus des Klauselbelasteten aus. dd. Inhaltskontrolle nach § 308 BGB Die Vorschrift des § 308 BGB, die § 309 BGB ergänzt, statuiert Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit. Sie bezieht sich insbesondere auf Einzelbestimmungen in den AGB, die das Zustandekommen und die Abwicklung des Vertrags betreffen. Die Feststellung der Unwirksamkeit erfordert hier wegen der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe eine richterliche Wertung. Die nach § 308 BGB indizierten Klauseln sind mithin – und das ist der entscheidende Unterschied zu § 309 BGB – erst dann unwirksam, wenn die (richterliche) Bewertung dies ergibt. § 308 BGB verbietet zum Schutz der Dispositions- und Vertragsfreiheit des mit AGB Belasteten solche vorformulierten Klauseln, die: – eine unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Frist zugunsten des Verwenders für die Annahme oder Ablehnung eines Angebots oder die Erbringung einer Leistung vorsehen (Nr. 1), – die zugunsten des Verwenders eine unangemessen lange Nachfrist anordnen (Nr. 2), – die für den Verwender ein Rücktrittsrecht ohne sachlich gerechtfertigten Grund regeln (Nr. 3), – einen Änderungsvorbehalt zugunsten des Verwenders enthalten (Nr. 4), – oder zu seinen Gunsten fingierte Erklärungen vorsehen (Nr. 5), – die die Fiktion des Zugangs bei Erklärungen von besonderer Bedeutung anordnen (Nr. 6), – die unangemessen hohe Nutzungs- oder Wertersatzforderungen für den Fall des Rücktritts oder der Kündigung normieren (Nr. 7), – die eine Lösung vom Vertrag wegen Nichtverfügbarkeit der Leistung vorsehen, wenn sich der Verwender nicht zugleich verpflichtet, den Vertragspartner unverzüglich über diesen Umstand zu informieren und die Gegenleistung des Vertragspartners unverzüglich zu erstatten (Nr. 8). Die im Rahmen des § 308 BGB geregelten Klauselverbote stehen gesetzgebungsund wertungstechnisch zwischen der Generalklausel für die Inhaltskontrolle (§ 307 BGB) und den Klauselverboten ohne Wertungsmöglichkeit in § 309 BGB. Wie das Wort „insbesondere“ zu Beginn von § 308 BGB deutlich macht, lässt sich 805
Stoffels, ebenda.
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die Vorschrift als Aufzählung typischer Fälle der allgemein in § 307 I 1, II BGB umrissenen Kriterien für die Inhaltskontrolle verstehen.806 Bei der Anwendung des § 308 BGB sind die hier verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe anhand der Maßstäbe des § 307 I 1, II BGB im Wege einer umfassenden Interessenabwägung auszufüllen.807 ee. Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB Der für die Inhaltskontrolle im Bereich des unternehmerischen Verkehrs (§ 310 I BGB) und für behördlich genehmigte AGB sowie für öffentlich-rechtliche Verträge (§§ 56, 59 VwVfG) allein heranziehbare § 307 BGB, der für sonstige Verträge, die nicht mit diesen Vertragspartnern abgeschlossen worden sind, auch neben den §§ 309 und 308 BGB Geltung beansprucht, führt hingegen zu einer Unwirksamkeit einer gegenüber einem Nichtunternehmer verwendeten Klausel nur dann, wenn diese nicht schon nach den spezielleren Vorschriften der §§ 309, 308 BGB zu beanstanden ist. § 307 BGB ist als eine Generalklausel mit Auffangfunktion zu verstehen,808 die eine umfangreiche Interessenabwägung erfordert.809 Dabei enthält diese Vorschrift mehrere Absätze: (1.) Unangemessene Benachteiligung nach § 307 I BGB Nach § 307 I 1 BGB sind Vertragsklauseln, die den Vertragspartner unangemessen benachteiligen, unwirksam. (aa.) Ausgangspunkt. Eine Benachteiligung nach § 307 I 1 BGB ist zu konstatieren, wenn die Interessen des Vertragspartners gegenüber denen des Verwenders so zurückgedrängt werden, dass kein vollständiger Interessenausgleich stattgefunden hat. Die Benachteiligung wird dabei als „unangemessen“ anzusehen sein, wenn der Verwender – nach wertender Abwägung der legitimen Interessen beider Vertragsparteien – mit der Klausel nur seine eigenen Interessen verfolgt und keine hinreichende Rücksicht auf diejenigen des Vertragspartners nimmt.810 (bb.) „Transparenzgebot“ als spezieller Ausfluss. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist.811 Dies legt § 307 I 2 BGB ausdrücklich fest. Im Zuge der Schuldrechtsreform erfolgte mit der Normierung dieser Vorschrift eine von
806 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 308 Rn. 1; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 308 Rn. 1; PWW/Berger (2. Aufl., 2007), § 308 Rn. 1. 807 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 308 Rn. 1. 808 Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das neue Schuldrecht (2002), § 6 Rn. 47, S. 201. 809 Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248 ff. 810 Stoffels, s.o. 811 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 294.
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der Literatur812 bereits seit längerem geforderte ausdrückliche Positivierung des von der Rechtsprechung813 entwickelten und in Art. 5 S. 1 der Richtlinie 93/13/ EWG vorgeschriebenen Transparenzgebotes.814 Danach hat der Verwender von AGB die Rechte und Pflichten des Vertragspartners auch unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen klar und durchschaubar offenzulegen. Jegliche Irreführung des anderen Teils ist zu vermeiden. Dass eine AGB-Klausel „klar und verständlich“ formuliert sein muss, bedeutet allerdings nicht, dass sie „einfach und auch bei flüchtiger Betrachtung ohne weiteres einsichtig“ zu sein hat. Bei der Beurteilung einer Formulierung ist vielmehr auf den gedachten sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr abzustellen.815 Rechtspolitisch gesehen ist „Transparenz“ natürlich ein schillernder Begriff, der sich zwischen den Kategorien von Auslegung, Einbeziehung und Inhaltskontrolle bewegt und sich dadurch einer genauen dogmatischen Erfassung und Verortung ein gutes Stück weit entzieht.816 Das Transparenzgebot erweist sich sogar recht häufig als „Zauberformel“,817 die es ermöglicht, als unangemessen empfundene Geschäftsbedingungen des Verwenders ohne inhaltliche Überprüfung allein auf Grund ihrer fehlenden Verständlichkeit für unwirksam zu erklären. Denn die Transparenzkontrolle stellt den Inhalt des Vertrages fest, während im Gegensatz dazu die Inhaltskontrolle seine rechtliche Zulässigkeit eruiert.818 Die Funktion des Transparenzgebotes wird dadurch deutlich, dass man es in den größeren Zusammenhang mit den Informationspflichten des Unternehmers stellt, der durch den Dreiklang von Werbung, vorvertraglichen Aufklärungspflichten und transparenter Vertragsgestaltung konturiert wird.819
812 Staudinger, WM 1999, 1546, 1550 ff.; Micklitz, in: Lehofer/Meyer (Hrsg.), Geschäftsbedingungen in Österreich und in der Europäischen Union (1998), S. 9 ff., 35. 813 BGH NJW 1996, 455, 456; 2000, 515, 519. Im Gesetzgebungsverfahren wurde auf die Transparenzrechtsprechung verwiesen, vgl. BT-Drucks. 13/2713 v. 20.10.1995. 814 Micklitz/Pfeiffer/Tonner/Willingmann, Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001), S. 133, 170, beklagen insoweit eine Abweichung des deutschen Rechts von der EG-Klauselrichtlinie, die darin liegt, dass ein solches Transparenzgebot nicht ausdrücklich kodifiziert wurde. Dies galt bislang zwar als akzeptabel, weil einerseits die Gerichte das Transparenzgebot beachten und es gerade diese gerichtliche Praxis in Deutschland war, die bei der Schaffung des Art. 5 S. 1 der Richtlinie 93/13/EWG als Vorbild diente. Aus Gründen der Gesetzesklarheit wäre gleichwohl eine explizite Regelung wünschenswert gewesen. 815 Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das neue Schuldrecht (2002), § 6 Rn. 31, S. 197. 816 Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211. 817 Köndgen, NJW 1989, 943, 944. 818 Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2212. 819 Rosenow/Schaffelhuber, ZIP 2001, 2211, 2212.
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(2.) Regelbeispiele einer unangemessenen Benachteiligung gemäß § 307 II BGB § 307 II BGB enthält spezielle Regelbeispiele, d.h. Zweifelsregelungen für eine unangemessene Benachteiligung. Eine solche liegt etwa vor, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung,820 von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1). Eine unangemessene Benachteiligung ist darüber hinaus anzunehmen, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (Nr. 2). 5. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Die §§ 305 ff. BGB enthalten als Sanktionsvorschrift lediglich den Hinweis in § 306 I BGB, dass ein relevanter Verstoß gegen die Einbeziehungsvorschriften oder die Inhaltskontrollnormen dazu führt, dass die Klausel (bzw. der entsprechend teilbare Abschnitt der Klausel) nicht Vertragsbestandteil wird. a. Bestehenbleiben des Vertrages und Lückenschließung Der übrige Vertrag bleibt entgegen der in § 139 BGB geregelten Auslegungsregel von der Unwirksamkeit der Klausel unberührt. Dies gilt allerdings nur, soweit er seinem Inhalt nach sinnvoll einen selbständigen Bestand haben kann. An die Stelle der nicht einbezogenen bzw. unwirksamen AGB tritt dispositives Gesetzesrecht. b. Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Im Hinblick darauf, dass § 306 I BGB davon spricht, dass AGB auch nur zum Teil unwirksam sein können und sie „insoweit“ nicht Vertragsbestandteil werden, stellt sich freilich die Frage nach der Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion in dem Sinne, dass man die betreffende AGB-Regelung auf ihren gerade noch zulässigen Inhalt reduziert.821 aa. Argumente für das Verbot Die Idee der geltungserhaltenden Reduktion von AGB wird zu Recht von der Rechtsprechung und der großen Mehrheit in der Literatur nicht mitgetragen.822 Insoweit wird vorgebracht, es sei das Ziel der AGB-Kontrollnormen, auf einen 820 BGHZ 86, 206, 211; 121, 13, 18: Gesetzliche Regeln i.S. dieser Vorschrift sind nicht nur die gesetzlichen Bestimmungen selbst, sondern auch die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze. 821 Grundlegend zum Problem: Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 296; Canaris, FS Steindorf (1990), S. 519 ff.; Coester-Waltjen, Jura 1988, 113 ff.; Johannson, DB 1981, 732 ff.; Kötz, NJW 1979, 785 ff.; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1988); Pauly, JR 1997, 357 ff.; Schlachter, JuS 1989, 811 ff.; E. Schmidt, JA 1980, 401 ff.; Ulmer, NJW 1981, 2025 ff. 822 BGH NJW 1982, 2309, 2310; 1983, 1322, 1325; 1986, 1610, 1612; 1991, 2141, 2142 f.;
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angemessenen Inhalt der in der Praxis verwendeten und empfohlenen AGB hinzuwirken. Damit würde es nicht im Einklang stehen, dem Klauselverwender die Möglichkeit zu eröffnen, bei der Aufstellung seiner Konditionen unbedenklich über die Grenze des Zulässigen hinauszugehen, ohne mehr befürchten zu müssen, als dass die Benachteiligung des Kunden durch das Gericht auf ein gerade noch zulässiges Maß zurückgeführt werden würde. Insoweit liege den Regelungen indirekt auch ein Sanktionsgedanke zugrunde, der nicht außer Acht gelassen werden sollte. Zudem streite auch der Transparenzgedanke gegen die Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion. Denn ein weiteres Ziel der gesetzlichen Regelungen sei es, dem Kunden die Möglichkeit sachgerechter Information über die aus dem vorformulierten Vertrag herrührenden Rechte und Pflichten zu verschaffen. Dem würde aber nicht entsprochen, wenn der Kunde erst in einem Prozess den Umfang seiner Rechte und Pflichten zuverlässig erführe.823 bb. Argumente gegen das Verbot Ein Teil der Wissenschaft begegnet dem grundsätzlichen Verbot der geltungserhaltenden Reduktion jedoch mit Skepsis und Ablehnung. Die Quintessenz der Kritik liegt darin, dass mit dem Verbot, das eine Totalnichtigkeit der Klausel nach sich zieht, über das hinausgegangen wird, was zum Schutz des AGB-Kunden notwendig sei. Die methodischen Ansätze sind dabei verschieden: So wird teilweise bereits vorgebracht, dass Auslegung und Inhaltskontrolle nicht wirklich voneinander abgrenzbar seien;824 z.T. wird erwogen, zumindest in einigen eng umschriebenen Fallgruppen von der Regelfolge der Totalnichtigkeit abzugehen, um dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu entsprechen.825 cc. Auswertung Die besseren Gründe dürften jedoch dafür sprechen, am grundsätzlichen Verbot der geltungserhaltenden Reduktion festzuhalten. Die Argumente dafür liegen auf der Hand: Gemäß § 306 I BGB hat der Gesetzgeber die „Formulierungsverantwortung“ für AGB den Parteien überantwortet.826 Dem korrespondiert das Formulierungsrisiko. Der Verwender wird damit nicht unbillig belastet, denn im Regelfall sind seine Klauselwerke im Hinblick auf den typischerweise vorhande1993, 326, 330; 1998, 671, 673; 2000, 1110, 1113; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 306 Rn. 14; Lindacher, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), § 306 Rn. 31 ff.; Ulmer, NJW 1981, 2027 ff.; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1988), S. 58 ff.; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 307 Rn. 593. 823 Ebenda. 824 Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften (1983), S. 63 ff. 825 Canaris, FS Steindorff (1990), S. 519, 547 ff. 826 Larenz/Wolf, AT (8. Aufl., 1997), § 43 Rn. 117; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 310 Rn. 596.
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nen institutionellen Hintergrund leicht präparierbar und „anpassungsfähig“. I.Ü. darf den Parteien nicht im Rahmen der rechtsgestaltenden Billigkeitskontrolle ein nicht vorgesehener (ggf. auch gar nicht erwünschter) Vertragsinhalt überbürdet werden. Nur so wird man der als Regel gedachten Rechtsfolgenanordnung des § 306 II BGB gerecht. Im Fall der generellen Zulassung einer geltungserhaltenden Reduktion würde die Rechtsfolge der Totalnichtigkeit der AGB „an den Rand“ gedrängt werden, was vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt war.827 Denn nur eine einschneidende Sanktion gewährleistet die umfassende Berücksichtigung der Vorgaben der AGB-Kontrollnormen. c. Umgehungsverbot Sanktionierend wirkt auch das in § 306a BGB explizit verankerte Umgehungsverbot. Danach finden die Vorschriften zur AGB-Kontrolle auch dann Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen unterlaufen werden. Eine Umgehung, die der Gesetzgeber verhindern will, liegt vor, wenn eine gesetzlich verbotene Regelung durch eine andere rechtliche Gestaltung erreicht werden soll, die objektiv zum gleichen untersagten Ergebnis führt.828 Bei der Feststellung eines Umgehungsversuches ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde zu legen.829 Eine Umgehungsabsicht des AGB-Verwenders ist nicht erforderlich.830 Soweit ein objektiver Umgehungstatbestand vorliegt, ist er insoweit wirkungslos, als die Klausel (gleichwohl) an der umgangenen Vorschrift zu messen ist.831 Wegen der Weite der Generalklausel des § 307 BGB und der Klauselkataloge der §§ 308, 309 BGB zielt das Umgehungsverbot in erster Linie auf Konstruktionen, die dem sachlichen Anwendungsbereich des 2. Abschnittes unterfallen, etwa durch die Wahl spezieller vereins- oder gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen, die § 310 IV 1 BGB von den Reglementierungen des 2. Abschnitts ausnimmt. Aber auch in einer internen Anweisung kann ein Umgehungstatbestand liegen.832 Ähnliche Regelungen wie § 306a BGB enthalten §§ 312g, 475 I 2, 487 S. 2 und § 511 BGB. In der Literatur wird vielfach vertreten, dass § 306a BGB verzichtbar sei, weil sich bereits aus dem Schutznormcharakter der §§ 305 ff. BGB (ebenso wie 827
Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 310 Rn. 596. Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 306a Rn. 1; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 306a Rn. 3; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 306a Rn. 3. 829 PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 306a Rn. 1. 830 BGH NJW 1996, 2092, 2093; Hennrichs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 306a Rn. 1; MüKo/Basedow (5. Aufl., 2007), § 306a Rn. 3; PWW/ Berger (3. Aufl., 2008), § 306a Rn. 1; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGBG (10. Aufl., 2006), § 306 Rn. 4. 831 BGH WM 2005, 876; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 306a Rn. 1; PWW/ Berger (3. Aufl., 2008), § 306a Rn. 1. 832 PWW/Berger (3. Aufl., 2008), § 306a Rn. 2. 828
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bei anderen Regelungen zur Protektion einer bestimmten Partei)833 die fehlende Möglichkeit einer Umgehung ergebe.834 Insofern handelt es sich um ein eigenständiges (ungeschriebenes) Rechtsinstitut835 bzw. um eine notwendige teleologische Auslegung der Schutzvorschriften,836 die das gleiche Ergebnis befördern würde. § 306a BGB habe deshalb nur eine deklaratorische Funktion. 837 Die in § 306a BGB getroffene gesetzgeberische Klarstellung ist jedoch i.S.e. umfassenden und effektiven Verbraucherschutzes zu begrüßen. Obwohl die Klausel-Richtlinie eine gesetzgeberische Heraushebung der fehlenden Umgehbarkeit der AGB-Schutzvorschriften nicht fordert, entspricht es dem dem Verbraucherrecht besonders verhafteten Transparenzgebot,838 auch für diese möglicherweise auftretenden Situationen eine explizite Vorgabe zu schaffen. Die Regelung betont den zwingenden Charakter der AGB-rechtlichen Vorschriften und kann und soll i.Ü. als Ermunterung verstanden werden, schwierige Zuordnungsfragen durch eine teleologisch geleitete Rechtsanwendung zu lösen.839 Insoweit ist sie zu begrüßen. d. Prozessuale Durchsetzung Bei der prozessualen Durchsetzung der Vorgaben der §§ 305 ff. BGB ist zwischen dem Individualprozess, geführt von den Geschäftspartnern, und einer Unterlassungsklage in Form eines Verbandsprozesses unabhängig von einem konkretem Streitfall zu unterscheiden. aa. Individualklage Da gerichtliche Entscheidungen in einem Individualprozess keine Drittwirkung entfalten (der Tenor bindet nur die streitbeteiligten Parteien)840 und somit der AGB-Verwender inkriminierende Klauseln gegenüber Dritten unverändert fortbenutzen könnte, bedarf es zur Sicherstellung eines effektiven Verbraucherschutzes einer gerichtlichen Untersagungsmöglichkeit, die „Breitenwirkung“ 841 entfaltet.842 833 Vgl. dazu: Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 134 Rn. 28 f.; Erman/Palm (11. Aufl., 2004), § 134 Rn. 18. 834 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 41 Rn. 91. 835 So Teichmann, Die Gesetzgebung (1962), S. 78 ff. 836 Vgl. dazu Kramer, Juristische Methodenlehre (2005), S. 158 f. 837 H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 306a Rn. 3: „klarstellende Bedeutung“; Lindacher, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGBRecht (5. Aufl., 2009), § 306a Rn. 1. 838 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel B I 1. 839 Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 41 Rn. 91; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 306a Rn. 3. 840 Vgl. § 325 I ZPO. 841 Stoffels, AGB-Recht (2003), § 49 Rn. 1167. 842 Vgl. hierzu Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen durch die Europäische Gemeinschaft (1987); E. Schmidt, FS Reich (1997), S. 81 ff.
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bb. Verbandsklage i.S.d. UKlaG Mit Rücksicht darauf, dass vor allem nichtkaufmännische, häufig rechts- und geschäftsunerfahrene Kunden nicht selten mit solchen AGB konfrontiert werden, die einen unangemessenen Inhalt aufweisen, ist der Schutz der AGB-Kontrollnormen aus Gründen der Effektivierung auf die Erhebung einer Verbandsklage843 erstreckt worden.844 Dementsprechend ist es der Zweck der Regelungen zum Verbandsklageverfahren im UKlaG (die früher in §§ 13 ff. AGB-Gesetz eingestellt waren), unabhängig vom Betroffensein eines konkreten Kunden die Verwendung oder Empfehlung von mit den §§ 307 ff. BGB unvereinbaren Standardabreden im Rechtsverkehr zurückzudrängen, um so von vornherein der Gefahr einer Konfrontation potentieller Kunden mit unangemessenen Klauseln zu begegnen („Gedanke der Prävention“).845 (1.) Inhaltliche Anforderungen an die Klauselkontrolle nach § 1 UKlaG Zur effektiven, breitenwirksamen Durchsetzung der Wertungsvorgaben der §§ 305 ff. BGB sieht das UKlaG die Möglichkeit der Führung einer Unterlassungsklage gegen den Verwender von unwirksamen Klauseln in Form eines Verbandsprozesses vor, vgl. § 1 UKlaG.846 Das Besondere hieran ist, dass die Breitenwirkung847 des im abstrakten Kontrollverfahren nach §§ 1, 3 UKlaG ergangenen Unterlassungsurteils sichergestellt wird, § 11 UKlaG. Um die Kontrolle unabhängig vom Betroffensein eines konkreten Geschäftspartners zu ermöglichen, wurde auf der Grundlage der Richtlinie über Unterlassungsklagen848 zum Schutz der Verbraucherinteressen „qualifizierten Einrichtungen“ 849 eine Klagebefugnis zuerkannt. (a.) Allgemeines Außerhalb des UWG-Bereiches, der seinerseits Verbandsklagebefugnisse schon seit 1965 vorsieht, war die Einführung eines derartigen Verfahrens ein Novum. 850 Insofern herrschte in den ersten Jahren des AGB-Gesetzes auch einige Unsicher843 Zum allgemeinen Problemkreis der Verbandsklage vgl. die Ausführungen zum Verbraucherprozessrecht im 3. Teil der Arbeit. 844 BGH NJW 1994, 2693; Palandt/Bassenge (68. Aufl., 2009), § 1 UKlaG Rn. 1; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 52, nennt den Grund der breitenwirksamen Prävention. 845 BGHZ 109, 29, 33; BGH NJW 1981, 1511, 1512; Hart/Köck, ZRP 1991, 61, 66; Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG (1979), S. 25 f. 846 Schaumburg, Die Verbandsklage im Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht (2006), S. 47 ff. 847 Walker, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), Vorbem. zu § 1 UKlaG Rn. 6. 848 Richtlinie 98/27/EG v. 19. 5.1998 (ABl.EG Nr. L 166/51 v. 11.6.1998). 849 Das sind solche i.S.d. Richtlinie 98/27/EG. 850 Pfeiffer, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), Einl. Rn. 28.; grundlegend zum geschichtlichen Hintergrund Schaumburg, Die Verbandsklage im Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht (2006), S. 24 ff.
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heit im Umgang mit den neuen Regelungen. So war beispielsweise lange Zeit umstritten, ob es sich bei den Vorschriften zum Verbandsklageverfahren lediglich um eine Verbänden eingeräumte besondere Prozessführungsbefugnis851 (bzw. um eine besondere privatrechtliche Kontrollkompetenz)852 handelt oder um einen eigenen, bestimmten Verbänden zustehenden materiell-rechtlichen Anspruch.853 Der Streit dürfte nach der ausdrücklichen Klarstellung des Gesetzgebers nunmehr endgültig i.S.e. Qualifikation als materiell-rechtlicher Anspruch entschieden sein. Denn durch das Gesetz vom 27.6.2000854 ersetzte der Gesetzgeber im Einleitungssatz des § 13 II AGB-Gesetz (jetzt § 3 UKlaG) die Formulierung „Ansprüche können nur geltend gemacht werden“ durch „Ansprüche stehen zu“. In der Gesetzesbegründung wird diese Modifikation ausdrücklich damit in Verbindung gebracht, die alte Streitfrage Prozessführungsbefugnis/materiellrechtlicher Anspruch i.S.d. letzteren zu entscheiden.855 Historisch betrachtet stellt das UKlaG das Nachfolgegesetz zu den verfahrensrechtlichen Vorschriften des AGB-Gesetzes dar, aus dem die entsprechenden Vorschriften ausgekoppelt wurden. § 13 AGB-Gesetz, der die Verbandsklagemöglichkeit eröffnete, war zunächst autonomes deutsches Recht gewesen, wurde jedoch später von der Gemeinschaft in ihrem Richtlinienrecht adaptiert. Die Gemeinschaft verabschiedete die einschlägige Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (RL 98/27/EG) am 19.5.1998.856 (b.) Tatbestand Die Verbandsklage nach § 1 UKlaG richtet sich gemäß dem Gesetzeswortlaut gegen i.S.d. §§ 307–309 BGB unwirksame AGB. Jedoch wurde schon zu § 13 AGBGesetz als Vorgängerregelung von der h.M. vertreten, dass nach dem Sinn des Gesetzes auch ein Verstoß gegen das Verständlichkeitsgebot oder gegen das Transparenzgebot, gegen § 134 BGB oder eine Formvorschrift ausreicht, sofern nur die Schutzrichtung der verletzten Norm derjenigen der AGB-Inhaltskontrolle entspricht.857 Daran hat sich unter der Geltung des UKlaG nichts geändert. Gegenstand der Unwirksamkeitskontrolle sind allerdings nicht die gesamten AGB des Verwenders oder Empfehlers, sondern nur einzelne Klauseln. Bei diesen reicht 851
So Hadding, JZ 1970, 305, 307 ff.; ähnlich auch E. Schmidt, NJW 2002, 25, 28; ders., NJW 1989, 1192, 1194. 852 Göbel, Prozesszweck und herkömmlicher Zivilprozess der AGB-Klage (1980), S. 125 ff. 853 Hierfür Greger, NJW 2000, 2457, 2462 f.; Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Vor § 1 UKlaG Rn. 1; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 528 Rn. 1104. 854 BGBl. I, S. 897. 855 BT-Drucks. 14/2658, S. 52. 856 ABl.EG Nr. L 166/51. 857 BGH NJW 1983, 1320, 1322; Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 522 Rn. 1089; Walker, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 1 UKlaG Rn. 4.
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andererseits eine Teilunwirksamkeit aus.858 Die Unwirksamkeit braucht noch nicht festzustehen, sondern wird gerade im UKlaG-Verfahren inzident mit festgestellt. Bei der Prüfung der Wirksamkeit von AGB im Verbandsverfahren ist von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen. Die Angemessenheitsprüfung nach §§ 307–309 BGB erfolgt auch und gerade im Verbandsverfahren losgelöst von den – regelmäßig nicht bekannten – Umständen des Einzelfalls.859 Die Berücksichtigung der den Vertragsabschluss begleitenden Umstände i.S.d. § 310 III Nr. 3 BGB kommt nur im Individualprozess in Betracht.860 (c.) Rechtsfolge Der an die Feststellung der Unwirksamkeit der Klausel anknüpfende Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG setzt eine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr voraus. Eine Erstbegehungsgefahr kann sich beim Verwender etwa bei der Beifügung von AGB oder der Bezugnahme auf sie in Prospekten, Vertragsangeboten, Auftragsbestätigungen oder Rechnungen, beim Empfehler aber auch schon aus der Ankündigung der Versendung von Formularen ergeben.861 Eine Wiederholungsgefahr nach einer bereits erfolgten Verwendung wird oft unproblematisch sein, kann aber dann fehlen, wenn der Geschäftsbetrieb eingestellt oder veräußert wurde. Der Anspruch nach § 1 UKlaG richtet sich gegen den Verwender und gegen den Empfehler unwirksamer AGB. Inhaltlich untersagt ein auf Unterlassung ergehendes Urteil dem Verwender, in künftigen Verträgen die unwirksame Klausel weiter zu verwenden. Umstritten ist insoweit, ob sich der Anspruch auch auf bereits in der Vergangenheit abgeschlossene, aber noch nicht abgewickelte Verträge bezieht. Überwiegend wird zu Recht angenommen, dass der Verwender sich auch bei der (bloßen) Abwicklung von Altverträgen nicht mehr auf die vom Unterlassungsverbot erfasste Klausel berufen darf.862 Der Unterlassungsanspruch gegen den Empfehler richtet sich darauf, dass künftig die untersagte Empfehlung nicht (mehr) erfolgt. Der Anspruch erstreckt sich nicht nur auf ein bloßes Nichtstun. Zur Beachtung des Unterlassungsanspruchs können vielmehr auch bestimmte Aktivitäten des Empfehlers erforderlich sein (z.B. der Rückruf der noch nicht verkauften oder versandten Formularbücher).863 Im Gegensatz zum Unterlassungsanspruch kommt der Widerrufsanspruch nach § 1 UKlaG nur gegen den Empfehler in Betracht. 858
Stoffels, AGB-Recht (2003), S. 522 Rn. 1089. BGH NJW 1999, 2279, 2282; zur kundenfeindlichsten Auslegung vgl. BGH NJW 2009, 2051. 860 BGH NJW 1999, 2180, 2182. 861 Lindacher, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), § 1 UKlaG Rn. 32. 862 So etwa BGH NJW 1981, 1511 f.; 1995, 2710; 1994, 2693; Walker, in: Dauner-Lieb/ Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 1 UKlaG Rn. 9. 863 Walker, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 1 UKlaG Rn. 10. 859
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Dadurch soll die Störung beseitigt werden, die von einer bereits erfolgten Empfehlung ausgeht. Der materiell-rechtliche Anspruch der klagebefugten Einrichtung nach § 1 UKlaG kann im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden. Nach allgemeinen Vorschriften kommt auch eine einstweilige Verfügung in Betracht. Die Vollstreckung aus einem Unterlassungsurteil erfolgt nach § 890 ZPO durch Verhängung von Ordnungsgeld oder -haft. Ein Widerruf wird als unvertretbare Handlung gemäß § 888 ZPO durch Zwangsgeld oder -haft durchgesetzt. In der Praxis wird der Anspruch in aller Regel zunächst durch eine vorprozessuale Abmahnung 864 mit der Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung geltend gemacht. Dadurch lässt sich häufig ein gerichtliches Verfahren vermeiden.865 (2.) Flankierender, über AGB-Kontrolle hinausgehender Verbraucherschutz nach § 2 UKlaG Flankiert wird der Schutz gegen die Verwendung und Empfehlung unangemessener AGB gemäß § 1 UKlaG durch § 2 UKlaG, in dem speziell in Bezug auf verbraucherschutzrechtswidrige Tatbestände auch andere Praktiken als die Verwendung und Empfehlung von AGB ins Visier der Reglementierung durch eine Verbandsklage genommen werden. Bedeutung erlangt diese Bestimmung etwa für: Verbrauchsgüterkäufe, Haustürgeschäfte, Fernabsatzverträge, Teilzeit-Wohnrechteverträge, Reiseverträge, Verbraucherdarlehensverträge, Finanzierungshilfen, Ratenlieferungs- und Darlehensvermittlungsverträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, vgl. dazu § 2 II Nr. 1 UKlaG.866 Wichtig ist sie aber auch zur Reglementierung des elektronischen Geschäftsverkehrs (§ 2 II Nr. 2 UKlaG), bezüglich der Verstöße gegen das Fernunterrichtsschutzgesetz (§ 2 II Nr. 3 UKlaG) und der weiter in § 2 II Nr. 4–6 UKlaG genannten Materien. Durch §§ 1 und 2 UKlaG findet sehr deutlich eine Verknüpfung von verbraucherschützenden Aspekten der Klauselkontrolle und der Verbandskontrolle bei anderen Verbraucherschutzgesetzen statt, die nochmals offen legt, welche teleologischen Verbindungen zwischen den §§ 305 ff. BGB als Verbraucherrecht i.w.S. und den übrigen verbraucherschutzrechtlichen Bestimmungen i.e.S. bestehen.
864
Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 119. Die Obliegenheit einer Abmahnung ergibt sich für den klageberechtigten Verband schon daraus, dass er andernfalls bei sofortiger Anerkennung des Beklagten gemäß § 93 ZPO die Kosten tragen muss, weil dieser ohne Abmahnung i.d.R. keine Veranlassung zur Klage hat. 866 Verbraucherschutzgesetze sind nach § 2 II UKlaG darüber hinaus auch die Vorschriften des elektronischen Geschäftsverkehrs, des Fernunterrichtsschutzgesetzes, die Vorschriften der EG-Fernsehrichtlinien 89/55/EWG und 97/36/EG, des Arzneimittelgesetzes und über Kapitalanlagegesellschaften. 865
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(3.) Anspruchsberechtigte Stellen nach § 3 UKlaG Die in den §§ 1 und 2 des UKlaG bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf können – und das ist die Besonderheit des Gesetzes – von den in § 3 UKlaG genannten „Stellen“ geltend gemacht werden. Hierzu gehören (Nr. 1 i.V.m. § 4 UKlaG) qualifizierte Einrichtungen nach Art. 4 der Richtlinie 98/27/ EG, (Nr. 2) rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen, (Nr. 3) die Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern. Der im Hinblick auf Nr. 1 wichtigste Verband ist der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Berlin, zu dessen Mitgliedern die Verbraucherzentralen zählen.
C. Besonderes Verbrauchervertragsrecht Nachdem im vorangegangenen Abschnitt (B) besondere Vertriebsformen, die für den Verbraucher Gefahren bergen, im Zusammenhang mit dem dazugehörigen gesetzlichen Rahmen aufgezeigt wurden und es zur Darstellung der Reglementierung von standardisierten Vertragsbedingungen (so genannten AGB) über die §§ 305 ff. BGB und das UKlaG kam, soll nun im Abschnitt C des 2. Teiles, der die konkrete rechtliche Ausgestaltung des materiell-rechtlichen Verbraucherschutzrechtes in Deutschland ins Visier nimmt, näher auf die Besonderheiten eingegangen werden, die als verbraucherspezifische Regelungen bei bestimmten Vertragsarten zu finden sind. Im Unterschied zum Verbrauchervertriebsrecht und zum AGB-Recht, die beide vertragstypenübergreifend konzipiert sind, geht es hier um Besonderheiten, die nur im Zusammenhang mit bestimmten Vertragsgegenständen zu Tage treten. Dieser Abschnitt wird der Regelungsbreite und -tiefe des Verbraucherschutzrechtes in so zentralen Bereichen wie dem Kauf-, dem Timesharing-, dem Verbraucherkredit-, dem Pauschalreise-, dem Dienstvertragsrecht etc. nachspüren, um deutlich zu machen wie stark mittlerweile verbraucherspezifische Regelungen auch bei den einzelnen Vertragsarten Eingang gefunden haben. I. Kaufvertrag und Verbrauchsgüterkauf An der Spitze des Abschnittes zu den vertraglichen Schuldverhältnissen mit besonderem verbraucherrechtlichen Einschlag stellt das Bürgerliche Gesetzbuch im Teil 1 den Kaufvertrag und trägt mit dieser herausgehobenen systematischen Stellung der überragenden Bedeutung Rechnung, die Kaufverträge in der modernen Wirtschaftswelt haben.867 Die Regelungen zum Kaufvertrag geben einen gesetzlichen Rahmen für das häufigste und wichtigste Umsatzgeschäft.868 867 868
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 20. Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), Vor. §§ 433–480 Rn. 1.
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1. Allgemeines Konsumenteninteressen sind angesichts der praktischen Relevanz des Kaufrechts besonders häufig tangiert. Die Regelungen zum Kaufrecht werden diesem Umstand durch Sonderregelungen gerecht: In Abweichung zum Grundmodell in den §§ 433 ff. BGB verfügt das BGB seit der Schuldrechtsmodernisierung in den §§ 474–479 BGB über spezielle Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf, die immer dann als spezifisches Verbraucherrecht zur Anwendung gelangen, wenn ein Verbraucher eine bewegliche Sache von einem Unternehmer erwirbt. Insofern kann man die §§ 474 ff. BGB zum Verbrauchervertragsrecht i.e.S. zählen. 2. Entstehungsgeschichte Die für das Kaufrecht in den §§ 433 ff. BGB getroffenen, zumeist dispositiven Vorschriften sind im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung am 1.1.2002 grundlegend neu gestaltet worden.869 Die Neuregelung870 diente zum einen der Umsetzung der EG-Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf (im Folgenden: Verbrauchsgüterkaufrichtlinie),871 die neben Änderungen in den allgemeinen Kaufrechtsvorschriften (i.S.d. gesetzlichen Verankerung von deutlich längeren Verjährungsfristen im Mängelgewährleistungsrecht, vgl. § 438 BGB; einer Aufnahme der Pflicht des Verkäufers zur Lieferung einer mangelfreien Sache, vgl. § 434 BGB, und der dadurch bedingten Anpassung der Gewährleistungsvorschriften an das neue Schuldrecht;872 einer Erweiterung des Sachmangelbegriffes, vgl. § 434 BGB; einer Postulierung eines „Rechts zur zweiten Andienung“, vgl. § 437 Nr. 1 BGB) insbesondere die Einführung des neuen Untertitels zum Verbrauchsgüterkauf (§§ 474–479 BGB) bewirkt hat.873 Überdies sind durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts die Ansprüche des Käufers bei Mängeln des verkauften Gegenstandes in Abkehr von der römisch-rechtlich verwurzelten Sachmängelgewährleistung der §§ 459 ff. BGB874 a.F. (so genannte „aedilische Rechtsbehelfe“)875 neu mit den Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts über Pflichtverletzungen verzahnt876 worden.
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Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), Vor. §§ 433–480 Rn. 1. Zu den Einzelheiten der Schuldrechtsreform, insbesondere der Novellierung des Kaufrechts, vgl. Staudinger/Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 433 ff. Rn. 25 ff. 871 Grundlegend Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie. Kommentar (2002); Gsell, JZ 2001, 65 ff.; Honsell, JZ 2001, 278 ff. 872 Vgl. hierzu MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), Vor. §§ 433 Rn. 2 f.; Schwab, JuS 2002, 1, 5; Westermann, NJW 2002, 241, 242. 873 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. von § 433 Rn. 7. 874 Siehe dazu Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 21. 875 Vgl. dazu Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht (4. Aufl., 1987), S. 316 ff. 876 Hierzu vgl. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 5; Schwab, JuS 2002, 1, 5; Westermann, NJW 2002, 241, 242; Schubel, JuS 2002, 313, 315. 870
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Hierbei diente zu großen Teilen das UN-Kaufrecht (CISG)877 als Vorbild.878 Die Erstrangigkeit der Nacherfüllung, das Recht des Käufers auf Erhalt der mangelfreien Ware (Art. 46) und das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung (Art. 48), die nachrangigen Rechte zur Vertragsaufhebung (Art. 49) und Minderung (Art. 50) sowie vor allem die umfassende Schadensersatzpflicht für zu vertretende Mängel bei Pflichtwidrigkeit sind Eckdaten des kaufrechtlichen Leistungsstörungsrechts, in denen jetzt nationales und internationales Kaufrecht in Deutschland von einer ähnlichen Konzeption geprägt sind. Im Abschnitt über den Kaufvertrag sind als spezifisch nationale Erscheinungsformen im BGB zudem weitere besondere Ausgestaltungen und Sonderformen von Kaufverträgen geregelt: Hierzu gehört etwa der Kauf unter Eigentumsvorbehalt (§ 449 BGB), der Kauf auf Probe (§§ 454 f. BGB), der Wiederkauf (§§ 456–462 BGB) sowie der Vorkauf (§§ 463–473 BGB). Auf diese Regelungen soll hier – mangels Verbraucherrechtsspezifik – ebenso wenig eingegangen werden wie auf die §§ 373–381 HGB, die die bürgerlich-rechtlichen Kaufvertragsnormen im Zusammenhang mit Handelsgeschäften unter Kaufleuten ergänzen. 3. Europarechtliche Aspekte Der europarechtliche Hintergrund des neuen Kaufrechts ist nicht zu verkennen. Nach der Klausel-Richtlinie gilt die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie von 1999 (Richtlinie 1999/44/EG)879 als einer der größten Meilensteine880 für die Schaffung eines europäischen Vertragsrechts, da diese Richtlinie Kernmaterien des Zivilrechts regelt. Die Kompetenz des EG-Gesetzgebers zum Erlass der Richtlinie wurde auf Art. 95 EGV (Rechtsangleichung im Binnenmarkt) gestützt. Die erforderliche „Binnenmarktrelevanz“ der Materie soll sich aus der Gefahr für Wettbewerbsverzerrungen ergeben, die durch ein uneinheitliches Niveau des Verbraucherschutzes in den Mitgliedstaaten eintreten können (vgl. dazu Erwägungsgrund 3 der Richtlinie).881 Daneben soll die Vereinheitlichung der Verbraucherrechte beim Kauf das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt fördern und damit zugleich diesen stärken (vgl. Erwägungsgrund 5 der Richtlinie). 877
United Nations Convention on Contracts for the Internatinal Sale of Goods v. 11.4.1980. Die Konvention ist in Deutschland seit 1991 als Bundesrecht in Kraft (BGBl. 1989 II, S. 586). 878 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 6; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 12. 879 Richtlinie 1999/44/EG v. 25.5.1999, ABl.EG Nr. L 171/12, abgedruckt in NJW 1999, 2421. 880 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 167. 881 Zu dem durch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht wirklich erreichten Ziel der Binnenmarktharmonisierung (weil die Umsetzung ganz unterschiedlich in den Mitgliedstaaten erfolgt ist), vgl. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 6.
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Ideengeschichtlich bildete das Grünbuch der Kommission über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst882 den eigentlichen Ausgangspunkt der neuen Richtlinie. Durch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und deren Umsetzungsvorschriften sollen dem Verbraucher innerhalb der EU grundsätzlich gleichartige, unabdingbare Gewährleistungsrechte und Verjährungsfristen verschafft werden. Die Richtlinie enthält eine Verpflichtung des Verkäufers, dem Verbraucher dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern und eine Definition dessen, was unter „vertragsgemäß“ zu verstehen ist (Art. 2 der Richtlinie). Sie statuiert sodann die im Fall einer Lieferung einer vertragswidrigen Sache bestehenden Rechte des Verbrauchers (Art. 3 der Richtlinie). Diese Rechte sollen nach den neuen Vorgaben grundsätzlich zwei Jahre nach Lieferung geltend gemacht werden können (Art. 5 der Richtlinie). Überdies werden bestimmte Mindestanforderungen883 an den Inhalt von für das Verbrauchsgut gegebene Garantien (Art. 6 der Richtlinie) aufgestellt und Rückgriffsrechte des bezogenen Verkäufers im Gewährleistungsfall bezüglich seines (Vor-)Verkäufers vorgesehen (Art. 4, 5 der Richtlinie). Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und ihre Vorgaben bilden vorerst den „Höhepunkt“ der gemeinschaftsrechtlichen Zivilrechtsangleichung durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, da die Gemeinschaft mit dieser Richtlinie in den innersten Kern zivilrechtlicher Nationalgesetzgebung eingriff.884 Die EU hat mit diesem Rechtsakt die Europäisierung des Privatrechts innerhalb Europas unzweifelhaft ein weites und bedeutendes Stück voran gebracht.885 Gleichwohl dienen die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vorerst nur dazu, einen „Mindestsockel“ verbraucherschützender Rechte bei der Lieferung fehlerhafter Kaufsachen sicherzustellen.886 Vor diesem Hintergrund ist auch ihre Angleichungswirkung von vornherein Beschränkungen ausgesetzt. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie führt insofern nur zu einer gewissen Rechtsharmonisierung, nicht zu einer völligen Angleichung.887 Die Herbeiführung einer wirklichen Rechtseinheit bleibt – wie in vielen anderen Bereichen auch – einem Europäischen Zivilgesetzbuch vor-
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KOM (1993), 509 endg., siehe dazu Schnyder/Straub, ZEuP 1996, 8 ff. Vgl. dazu auch Staudinger/Beckmann (2004), Vorbem. §§ 433 Rn. 27. 884 Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 474 ff. Rn. 1. 885 Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 340. 886 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie (2002), S. 46; Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 351. 887 Vgl. dazu die Stellungnahmen von Eccher/Schurr, ZEuP 2003, 65 ff.; Ferrate, VuR 2003, 165 ff.; Fritzberg, ZfRV 2003, 203 ff.; Morgenroth, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland (2003); zum deutschen/englischen Recht vgl. Zerres, Die Bedeutung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie für die Europäisierung des Vertragsrechts (2007). 883
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behalten, über dessen Sinnhaftigkeit freilich viel diskutiert wird und dessen Realitätschancen noch völlig ungewiss sind.888 Der deutsche Gesetzgeber, der zur Umsetzung der Vorgaben aus der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in das nationale Recht ebenso wie die Gesetzgeber der anderen EU-Mitgliedstaaten verpflichtet gewesen war, hat die Richtlinie zum Anlass einer gesamten Umformung und Neuregelung des Schuldrechts i.S. einer „großen Lösung“889 genommen, welche sich inhaltlich stark an das UNKaufrecht (CISG) anlehnt.890 Um eine „Zerfaserung“ des Kaufrechts zu vermeiden,891 hat er sich dazu entschlossen, kein separates Verbrauchsgüterkaufrecht in der Weise zu schaffen, dass die Richtlinienvorgaben von den bereits vorhandenen kaufrechtlichen Bestimmungen abgekoppelt werden. Eine derartige Implementierung der europäischen Vorgaben hätte zu einem unerwünschten (weil intransparenten und damit schwer handhabbaren) Nebeneinander mehrerer Kaufrechtsordnungen innerhalb des Bürgerlichen Rechts geführt.892 Dies galt es zu vermeiden.893 Der Gesetzgeber entschloss sich deshalb, die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die dem Mindeststandardprinzip folgt (vgl. Art. 8 II der Richtlinie), in das bereits vorhandene, aber ohnehin reformbedürftige Kaufund sonstige Schuldrecht einzufügen. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Neuregelung der §§ 433–480 BGB geht in vielen Bereichen über die verbraucherschützenden Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hinaus.894 Auf Grund des Mindeststandardprinzips der Richtlinie war der Gesetzgeber hierzu unzweifelhaft befugt. Problematisch und heftig diskutiert wird im Hinblick auf das „überschießende nationale Recht“ die Reichweite des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung.895 Literatur und Rechtsprechung vertreten hier überwiegend den formal richtigen Standpunkt, dass das 888 Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 356 f. 889 Vgl. dazu Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 399 Rn. 1; Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 357; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), Vor. § 433 Rn. 5; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 33; für die große Lösung Schmidt-Räntsch, ZIP 2000, 1639 ff.; Ehmann/Rust, JZ 1999, 853 ff.; Medicus, ZIP 1996, 1925, 1930; Reich, NJW 1999, 2397, 2401; Schäfer/Pfeiffer, ZIP 1999, 1829, 1833 f.; Heldrich, NJW 2001, 2521; dagegen, d.h. für eine kleine Lösung Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 ff.; Knütel, NJW 2001, 2519; Wilhelm, JZ 2001, 861, 862; Roth, JZ 2001, 475, 490. 890 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), Vor. § 474 Rn. 2; Staudinger/Beckmann (2004), Vorbem. §§ 433 Rn. 27. 891 Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005), S. 399 Rn. 1. 892 So sahen es auch viele andere nationale Gesetzgeber, vgl. dazu die Darstellung bei Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 167. 893 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 433 Rn. 3. 894 Looschelders, Schuldrecht BT (2008), S. 5 f. 895 Zu dem Streitstand siehe Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. Vor. § 433 Rn. 3a; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 6; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), Vor
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Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nur so weit Geltung beansprucht, soweit die Richtlinie reicht.896 Andererseits wirkt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung zumindest mittelbar im Rahmen über die unmittelbar erfassten Bereiche hinaus, da der nationale Gesetzgeber im Zweifel keine gespaltene Auslegung des nationalen Rechts beabsichtigt. Nur so können nämlich Auslegungswidersprüche vermieden und (i.S.d. zu gewährenden Rechtssicherheit) eine einheitliche Anwendung des nationalen Kaufrechts erreicht werden.897 Man kann deshalb von einer gewissen „Ausstrahlungswirkung der Richtlinie auf das898 (eigentlich) richtlinienfreie Recht“899 sprechen. Anders als im Anwendungsbereich der Richtlinie hat dieser Umstand der im Zweifel einheitlich gewollten Auslegung aber keinen Vorrang vor den übrigen Auslegungskriterien, sondern bildet nur eines von mehreren Elementen im Rahmen einer interpretatorischen Gesamtabwägung.900 Die mittelbar an der Richtlinie orientierte Auslegung setzt eine sorgfältige Prüfung voraus, ob der nationale Gesetzgeber eine einheitliche Auslegung tatsächlich gewollt hat bzw. wollen kann, oder ob nicht vielleicht sogar verbraucherschützende Erwägungen dem im Wege stehen und eher für eine „gespaltene“ Auslegung sprechen.901 Für den Bereich des Kaufrechts ist unter diesen Prämissen in der Regel ersteres (d.h. eine einheitliche Auslegung) zu bejahen.902 Im Zuge der Überarbeitung des verbraucherrechtlichen acquis steht die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – auch im Hinblick auf das ihr ursprünglich unterlegte Mindeststandardgebot – mittelbar erneut im Fokus einer gemeinschaftsrechtlichen Revision. Im jüngsten „Vorschlag einer Richtlinie über die Rechte der
§ 433 Rn. 5; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 55; Bärenz, DB 2003, 375; vgl. dazu auch meine Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel D I 2. 896 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), Vor. §§ 433–480 Rn. 4; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 55; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 119. 897 Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 360: „quasi-richtlinienkonforme Auslegung“; Staudinger/Beckmann (2004), Vor §§ 433 Rn. 55; Roth, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis (2003), S. 25, 35. 898 Dazu allgemein F. Bydlinski, Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff. 899 Canaris, FS Bydlinski (2002), S. 47, 74; Bärenz, DB 2003, 375 f.; vgl. dazu auch Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie (2002), S. 42 f. 900 Canaris, FS Bydlinski (2002), S. 47, 74. 901 So zutreffend Hommelhoff, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 889, 916; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), Vor. § 474 Rn. 4; a.A. wohl Roth, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 847, 884, wonach eine gespaltene Auslegung stets ausscheidet. 902 Canaris, JZ 2003, 831, 837 f.; Bärenz, DB 2003, 375 f.; Grundmann, in: Grundmann/ Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie (2002), S. 43; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 6; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), Vor. § 474 Rn. 4; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 55.
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Verbraucher“903 sind Änderungen angedacht, die das Wahlrecht des Käufers bezüglich der Geltendmachung der unterschiedlichen Nacherfüllungsmöglichkeit ausschließen (vgl. dazu Kapitel IV Art. 26 Nr. 2 des Richtlinienvorschlags) und es dem Verkäufer überantworten, in welcher Form er nacherfüllen möchte. Vorgesehen ist außerdem eine generelle unverzügliche Rügeobliegenheit bei Kaufmängeln (auch zu Lasten des Verbrauchers, vgl. dazu Kapitel IV Art. 28 Nr. 4 des Richtlinienvorschlags) und eine Änderung im Bereich des Unternehmerregresses, der im Richtlinienvorschlag nicht mehr vorgesehen ist. Würden sich diese Regelungsvorgaben durchsetzen und wie vorgesehen den Vollharmonisierungsansatz verfolgen, käme es zu einer eklatanten Absenkung des verbraucherrechtlichen Schutzstandards im Kaufrecht, was nicht zu begrüßen wäre.904 Ein besonderes Widerrufsrecht sehen die Vorgaben der derzeit noch aktuellen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht vor. Sie ergeben sich vielmehr aus anderen verbraucherschützenden Richtlinienvorgaben und aus deren deutsche Umsetzungsregelungen. Ein Widerruf zugunsten des Käufers (= Verbrauchers) kann sich daher aus einem Kauf an der Haustür (§ 312 I BGB), im Fernabsatz (§ 312d I BGB), beim Zahlungsaufschub und sonstigen Finanzierungshilfen (§ 506 i.V.m. § 495 BGB) herleiten lassen. Dies gilt auch für den verbundenen Darlehensvertrag gemäß §§ 358, 491, 495 BGB. 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften Mit den Rechten des Käufers aus den §§ 437–441 BGB wegen einer mangelhaften Leistung oder einer gemäß § 434 III BGB gleichgestellten Pflichtverletzung hat der Gesetzgeber einen Interessenausgleich zwischen den Parteien des Kaufvertrages geschaffen, der zum großen Teil abschließend ist und daher die Anwendung anderer Vorschriften, soweit sie auf das gleiche Interesse gerichtet sind, verdrängt. Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise eine Anwendung der Regelungen zur Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (bezüglich der Kaufsache) gem. § 119 II BGB nach h.M.905 ausgeschlossen, da ansonsten der vertragsspezifisch geregelte Interessenausgleich in §§ 437 ff. BGB unterlaufen würde.906 Für sonstige Anfechtungstatbestände ist jedoch auch im Anwen903
KOM (2008), 614 endg., v. 8.10.2008. Zur Kritik am Vollharmonisierungsansatz vgl. meine Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel E V 1; den Richtlinienvorschlag diesbezüglich auch ablehnend Reich/Micklitz, CMLRev 2009, 471 ff. 905 RGZ 157, 173, 174; BGHZ 16, 54, 57; 78, 216, 218; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 433 Rn. 6; Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf (1948), S. 132 ff.; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 56; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 69; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 437 Rn. 53; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 53; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 134; a.A. BaRoth/ Faust (2. Aufl., 2008), § 437 Rn. 182; R. Schmidt, NJW 1962, 710 ff.; Tiedtke, JZ 2008, 395. 906 Erstens sind die Rechte des Käufers aus § 437 BGB nach § 442 I 2 BGB vorbehaltlich einer Arglist oder einer Garantie des Verkäufers ausgeschlossen, wenn der Käufer den 904
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dungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts Raum.907 Verdrängt im Anwendungsbereich der §§ 437 ff. BGB wird sodann das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), jedenfalls soweit die Vertragsstörung in einem Mangel der Kaufsache begründet liegt.908 Auch bei der Verletzung vorvertraglicher Pflichten (§ 311 II BGB), die ihren Grund in einem Mangel der Kaufsache haben, ist konkret abzuwägen, ob durch die Anwendung der cic-Regeln das vorrangige, weil speziellere System des Interessenausgleiches nach § 437 BGB derogiert würde.909 Problematisch gestaltet sich überdies das Konkurrenzverhältnis der §§ 437 ff. BGB zu deliktischen Vorschriften. Hierbei ist bei Ansprüchen auf Grund eines Mangels, die gegen den Verkäufer gerichtet sind, zwischen solchen zu liquidierenden Schäden zu unterscheiden, die mit einem kaufvertraglichen Erfüllungsinteresse (vgl. §§ 281, 283, 331a II BGB) zumindest teilweise identisch sind, und solchen, die an anderen Rechtsgütern oder Interessen des Käufers eintreten. Betrifft der Schaden nicht das vertragliche Äquivalenzinteresse des Käufers an einer mangelfreien Leistung, sondern andere Positionen, so kommt eine Haftung des Verkäufers aus deliktischen Regelungen ohne Einschränkung in Betracht.910 Hinterfragenswert ist allerdings, wie weit Schäden an der Kaufsache selbst, die aus einem Sachmangel i.S.d. § 434 BGB herrühren, zu einer Ersatzpflicht des Verkäufers nach § 823 I BGB (wegen Eigentumsverletzung) führen können. Fest steht, dass die Lieferung einer mangelhaften Sache als solche (formal) keine Eigentumsverletzung darstellt, da der Käufer von vornherein nur das Eigentum an einer mangelhaften Sache erlangt hat und dadurch keine Einbuße an seiner Integrität erleidet.911 Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur nehmen nach wertenden Gesichtspunkten eine Eigentumsverletzung jedoch dann an, wenn der Mangel der Mangel bei Abschluss des Vertrages grob fahrlässig verkannt hat; ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum i.S.v. § 119 II BGB wäre aber auch bei grober Fahrlässigkeit prinzipiell noch möglich. (Eine vergleichbare Konstellation tritt auf, wenn die Rechte wegen ggf. vorhandener Mängel vertraglich ausgeschlossen worden sind.) Zweitens muss eine Irrtumsanfechtung gemäß § 121 I 1 BGB zwar unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. Sie ist i.Ü. aber nach § 121 II BGB bis zu dreißig Jahre lang zulässig. Die Rechte des Käufers wegen eines Mangels verjähren hingegen nach Maßgabe der §§ 438 BGB in der Regel weitaus schneller. 907 BGH ZIP 2005, 531, 532; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 68; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 55; Tiedtke, JZ 2008, 395. 908 RGZ 161, 330, 337; BGHZ 98, 100, 103 f.; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 185; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 33. 909 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 186 ff.; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 34; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 54; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 138. 910 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 437 Rn. 58; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 79. 911 BGHZ 105, 346, 355.
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Kaufsache zunächst „klein“ und „ausscheidbar“ war, sodass er nicht ins Gewicht fällt, wobei sich dieser Kleinstfehler nach Übereignung der Sache noch auf andere, zunächst vertragsgemäße Sachteile ausgedehnt hat (so genannter „weiterfressender Mangel“).912 In diesem Fall soll der durch die Ausbreitung des Mangels eingetretene Wertverlust mit dem ursprünglichen Fehler nicht „stoffgleich“ sein und daher eine Eigentumsverletzung darstellen, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 823 I BGB zum Ersatz des nicht stoffgleichen, d.h. über das Ausmaß des bei der Übereignung vorhandenen Mangels hinausgehenden Schadens verpflichtet.913 Ein Teil der Literatur fordert hingegen, die Schuldrechtsreform zum Anlass einer Aufgabe der Doktrin vom „Weiterfressermangel“ zu nehmen.914 Der Regierungsentwurf zur Schuldrechtsmodernisierung ließe – so ihre Argumentation – offen, ob hieran weiter festzuhalten sei.915 Für die Aufgabe der alten Rechtsprechung spräche zudem, dass das praktische Bedürfnis für die bisherige Differenzierung mit der Schaffung der allgemeinen Verschuldenshaftung im Gewährleistungsrecht und der neu geregelten gewährleistungsrechtlichen Verjährung erheblich schwächer geworden ist.916 Die vorgebrachten Argumente sind nachvollziehbar, jedoch bleibt es aus Gründen der Rechtssicherheit wohl der Rechtsprechung (wenn nicht gar dem Gesetzgeber) vorbehalten, hier neue, klare Abgrenzungslinien zu ziehen, sofern das überhaupt gewollt ist. Von erheblich geringerer Bedeutung im Zusammenhang mit Konkurrenzfragen gestalten sich im Bereich der §§ 433 ff. BGB die Verletzungen von Nebenpflichten durch den Verkäufer. Hier gelten die allgemeinen Grundsätze mit dem Vorbehalt, dass sich aus der Verletzung einer Nebenpflicht oder einer vorvertraglichen Pflicht, die sich zugleich auf einen Mangel des Kaufgegenstandes bezieht, keine eigenständigen Ansprüche und Rechte des Käufers neben denjenigen herleiten lassen, die ihm auf Grund der Verletzung der Hauptleistungspflicht des Verkäufers zu einer mangelfreien Leistung zustehen.917
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BGHZ 67, 359, 363 ff.; 86, 256, 259 ff.; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 198; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 29; Staudinger, ZGS 2002, 78, 79 f.; schon immer kritisch Katzenmeier, NJW 1997, 486 ff. 913 BGHZ 67, 359, 364 ff.; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 59. 914 Grigoleit, ZGS 2002, 78, 79 f.; Foerste, ZRP 2001, 342 ff.; Klose, MDR 2003, 1215 ff.; Köster, Jura 2005, 145, 150; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 36; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 59; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 144 f. 915 BT-Drucks. 14/6040, S. 229; dazu kritisch Foerste, ZRP 2001, 342 f. 916 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 198. 917 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 35; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 145 f.
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5. Regelungsinhalt Nachdem nun das Verhältnis der §§ 433 ff. BGB zu anderen Vorschriften erläutert wurde, soll es im Folgenden darum gehen, den Regelungsinhalt der kaufrechtlichen Vorschriften, die sich systematisch in einen allgemeinen Teil und einen besonderen (betreffend den Verbrauchsgüterkauf) aufspalten lassen, darzustellen. Vorab lässt sich jedoch eine beide Bereiche umschließende Wertung voranstellen. Diese lautet: Ungeachtet der Vielfältigkeit der im Wirtschaftsleben auftretenden Gestaltungen besteht das Wesen des Kaufvertrages – auch nach sämtlichen Reformen – immer noch darin, dass er eine Partei verpflichtet, einen Gegenstand endgültig gegen ein Entgelt auf eine andere Partei zu übertragen.918 Das Kaufobjekt ist dabei frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.919 Dem Käufer wiederum obliegt die Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung und Abnahme920 (§ 433 II BGB). Beide Vertragsparteien können die Pflicht des jeweils anderen einklagen und auf Grund einer Zwangsvollstreckung durchsetzen. Voraussetzung dafür ist, dass ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist und den in Frage stehenden Vertragspflichten keine Einwendungen oder Einreden entgegenstehen. a. Das allgemeine Kaufrecht gemäß §§ 433 ff. BGB im Überblick Der Kaufvertrag ist durch die Verbindung der Pflichten von Leistung und Gegenleistung als ein gegenseitiger (synallagmatischer) schuldrechtlicher921 Vertrag anzusehen, für den die §§ 320–326 BGB gelten.922 aa. Der Vertragsschluss Hinsichtlich des Zustandekommens des Kaufvertrags gelten die allgemeinen Vorschriften über den Vertragsschluss (§§ 145 ff. BGB):923 Vertragspartner des Kaufvertrages sind danach stets diejenigen, die ihn persönlich für sich abschließen oder diejenigen, in deren Namen mit wirksamer Vertretungsmacht der Kaufvertrag durch den oder die Stellvertreter geschlossen wird (§§ 164 ff. BGB).
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Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 32. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 8. 920 Wobei die Abnahme regelmäßig nur eine Nebenpflicht beinhaltet, vgl. dazu Schlechtriem, Schuldrecht BT (2003), S. 58 Rn. 136. 921 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. Vor. § 433 Rn. 1. 922 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 433 Rn. 12; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 433 Rn. 2. 923 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. Vor. § 433 Rn. 2; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 17. 919
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bb. Wesentliche Vertragsbestandteile Unabhängig davon, wie der Vertrag zustande kommt, entscheidend zur Bejahung des Vertragsschlusses ist die Einigung der Parteien über die so genannten „essentialia negotii“. Das sind die wesentlichen Vertragsbestandteile. Hierzu zählen der Vertragsgegenstand und Kaufpreis.924 Die vertraglichen Nebenbedingungen werden häufig in Form von AGB Vertragsbestandteil, deren Wirksamkeit an den §§ 305 ff. BGB zu messen ist.925 cc. Form Die §§ 433 ff. BGB verzichten darauf, für den Kaufvertrag als alltägliches Massengeschäft eine bestimmte Form vorzuschreiben.926 Nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit kann der Kaufvertrag daher grundsätzlich formfrei, d.h. in mündlicher oder schriftlicher Form geschlossen werden.927 Dies gilt nur dann nicht, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Formvorschriften vorgesehen hat. Das bedeutendste Beispiel für eine derartige Formvorschrift wird durch § 311b I BGB festgeschrieben. Diese Regelung macht für Verträge, die auf die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück gerichtet sind, die notarielle Beurkundung der vertraglichen Erklärungen zur Pflicht.928 Eine entsprechende Anwendung findet § 311b I 1 BGB auf den Verkauf von Wohnungseigentum (§ 4 III WEG) oder den von Erbbaurechten (§ 11 II ErbbauVO).929 Weitere Formvorschriften sehen etwa die §§ 484, 501 i.V.m. §§ 492, 505 II, 2371, 2385 BGB vor. dd. Erfüllungstheorie und Erweiterung des Mangelbegriffs Die i.S.d. §§ 320 ff. BGB im Synallagma stehenden Hauptpflichten des Verkäufers legt § 433 I BGB fest; auf ihre Erfüllung hat der Käufer einen Anspruch.930 Lediglich die Pflicht nach § 433 I 2 BGB (Freiheit von Sach- und Rechtsmängeln) wird ab Lieferung des Kaufgegenstandes gemäß den §§ 437–441 BGB modifiziert.931 924 MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 433 Rn. 9; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. Vor. § 433 Rn. 2; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 31; anders etwa im UN-Kaufrecht, dort wird gemäß Art. 55 CISG eine stillschweigende Einigung über den üblichen Preis vermutet. 925 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 433 Rn. 5. 926 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 6; Reinicke/Tiedke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 13. 927 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 433 Rn. 2; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 433 Rn. 7; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 31. 928 Gleiches gilt i.Ü. für den Vermögenskauf (§ 311b III BGB), den Kauf eines gesetzlichen Erb- oder Pflichtteils (§ 311b V BGB) und den Erbschaftskauf (§ 2371 BGB). 929 Vergleichbare Formvorschriften sind etwa bei der Übertragung von Gesellschaftsanteilen einer GmbH zu beachten. So bedarf etwa der Vertrag, der die Verpflichtung zur Abtretung eines Gesellschaftsanteils an einer GmbH begründet, einer notariellen Beurkundung (vgl. § 15 IV 1 GmbHG). 930 Reinicke/Tiedke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 76. 931 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 31.
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(1.) Freiheit von Sachmängeln als Hauptleistungspflicht Nach der Neukonzeption des Kaufvertragsrechts in §§ 433 ff. BGB geht der Gesetzgeber davon aus, dass den Verkäufer eine Erfüllungspflicht zur Lieferung einer von Sach- und Rechtsmängeln freien Sache trifft.932 Der Streit, der früher in diesem Punkt zwischen der so genannten „Gewährleistungs- und der Erfüllungstheorie“ bestand,933 ist mit der Novellierung des Kaufrechts hinfällig geworden.934 Die Sachmangelfreiheit des Kaufgegenstandes gehört jetzt zur primären Leistungspflicht des Verkäufers.935 (2.) Primär: Subjektiv bestimmte Freiheit von Sachmängeln Ob eine Sache mangelbehaftet ist oder nicht (und ob der Käufer sie somit zurückweisen oder nach Annahme Gewährleistungsansprüche nach § 437 BGB geltend machen kann), regelt § 434 I, II BGB. Für die Freiheit von Sachmängeln kommt es darauf an, dass die Sache im Zeitpunkt des Gefahrübergangs die vereinbarte Beschaffenheit aufweist.936 Der Gefahrübergang tritt alternativ durch die Übergabe der Sache an den Käufer (§ 446 S. 1 BGB), den Annahmeverzug des Käufers i.S.d. §§ 293 ff. BGB (§ 446 S. 3 BGB) sowie außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs (vgl. § 474 II BGB) bei einem vereinbarten Versendungskauf durch die Übergabe der Sache an den Transporteur ein (§ 447 I BGB), wobei die Regelung der Preisgefahr nach § 447 BGB keine Geltung für den Verbrauchsgüterkauf beansprucht, vgl. § 474 II BGB. (a.) Beschaffenheitsvereinbarung Der Ausgangspunkt des in § 434 BGB verankerten Fehlerbegriffes ist ein subjektiver,937 der hinsichtlich der Beschaffenheitsmerkmale des Kaufgegenstandes zunächst allein auf die Vereinbarung der Parteien rekurriert (so genannter „subjektiver Mangelbegriff“).938 Der Gesetzgeber hat mit § 434 I BGB den Parteien i.S.d. 932 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 433 Rn. 2; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 434 Rn. 2; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 8; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 433 Rn. 2; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 433 Rn. 21. 933 Vgl. dazu Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 8; Soergel/Huber (1999), § 459 Rn. 145 ff.; Staudinger/Beckmann (2004), § 433 Rn. 89. 934 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 433 Rn. 2; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), Vor. §§ 433–480 Rn. 3; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 8; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 433 Rn. 3; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 433 Rn. 21. 935 BT-Drucks. 14/6040, S. 209; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 8; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 433 Rn. 21. 936 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 33; Reinicke/Tiedke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 147. 937 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 1; Staudinger/Beckmann (2004), § 434 Rn. 33. Der subjektive Fehlerbegriff stößt jedoch dort an seine Grenzen, wo sich selbst bei weitester Auslegung keine Abrede der Partei über die Soll-Beschaffenheit des Kaufgegenstandes ermitteln lässt, vgl. dazu Emmerich, BGB-Schuldrecht BT (2003), S. 27 Rn. 12. 938 BT-Drucks. 14/6040, S. 210 ff.; Westermann, JZ 2001, 530, 531. Nach dem bis zum 1.1.2002 geltenden Recht war die Definition des Sachmangels, insbesondere des Fehlers
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Privatautonomie939 ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, alle für sie in dem besonderen Fall maßgeblichen Faktoren, die die Beschaffenheit der Sache betreffen, selbst festzulegen. Ihnen obliegt es also, die Kaufsache nach ihren eigenen Ideen und Wünschen zu charakterisieren und damit den Rahmen für die Mangelfreiheit abzustecken.940 Die „Beschaffenheit“ als neuer zentraler Begriff des Kaufrechtes941 wurde durch das Gesetz nicht selbst definiert.942 Sie bezieht sich nach althergebrachter Praxis zunächst auf den tatsächlichen Zustand der Sache.943 Die tatsächliche Beschaffenheit des Kaufgegenstandes beschreibt die der Sache anhaftenden Eigenschaften (neu oder gebraucht, Größe, Oberflächenbeschaffenheit, Aggregatzustand, Gewicht, Alter, Besonderheiten bezüglich der Herstellung, Material, Motorkraft, Höchstgeschwindigkeit, Energieverbrauch etc.).944 Zur Beschaffenheit zählen daneben aber auch faktische, wirtschaftliche und rechtliche (Umwelt-)Bezüge, die ihren Grund im tatsächlichen Zustand der Sache selbst finden und ihr auf eine gewisse Dauer anhaften (Bsp.: Vorbesitz, Lage, Belastungen).945 Selbst ein Verdacht einer negativen Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit, z.B. des Samonellenbefalls von Lebensmitteln,946 des Vorhandenseins eines Glycolzusatzes im Wein947 oder von Hausschwamm im Haus,948 kann der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur zufolge ausnahmsweise als (existenter) „Mangel“ zu werten sein, wenn die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein des Mangels groß ist, obgleich der tatsächliche Mängelnachweis vom (potentiellen) Käufer nicht mit zumutbaren Mittel erbracht werden kann.949 i.S.d. § 459 I BGB a.F. umstritten, vgl. dazu Marburger, 20 Probleme aus dem BGB, Schuldrecht Besonderer Teil I (5. Aufl., 1998), 5. Problem. 939 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 11. 940 Wenzel, in: Wenzel/Hütte/Helbron, Schuldrecht BT 1 (2003), S. 40; Staudinger/Beckmann (2004), § 434 Rn. 55. 941 Entscheidend waren früher der Fehler gemäß § 459 I a.F. BGB und das Fehlen zugesicherter Eigenschaften gemäß § 459 II a.F. BGB, dazu Börner, ZIP 2001, 2264. 942 Dazu siehe Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 12; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 433 Rn. 9. 943 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 15 ff.; Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 363 f.; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 12. 944 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 10; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl.., 2007), S. 38. 945 RGZ 148, 286, 294; BGHZ 114, 263, 266; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 433 Rn. 22; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 12; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 38; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 433 Rn. 11. 946 BGH NJW 1969, 1171. 947 BGH NJW 1989, 218, 220. 948 BGH NJW-RR 2003, 772. 949 BGHZ 52, 51, 54; zurückhaltender BGH NJW 1989, 218, 220; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 434 Rn. 14; ähnlich auch Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008),
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(b.) Vertraglich vorausgesetzte Verwendung In § 434 I 2 Nr. 1–2 BGB werden subsidiäre950 Vorgaben für die Beurteilung der Mangelfreiheit der Sache für den Fall getroffen, dass eine Beschaffenheitsvereinbarung gemäß § 434 I 1 BGB fehlt. Nach § 434 I 2 Nr. 1 BGB ist die verkaufte Sache dann frei von Mängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Eine nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung i.S.d. § 434 I 2 Nr. 1 BGB liegt allerdings nur dann vor, wenn die Parteien eine gemeinsame Vorstellung von dieser hatten, die im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss artikuliert wurde.951 Die Vereinbarung des Verwendungszwecks kann auch konkludent erfolgen.952 Eine Parteivereinbarung über den Verwendungszweck wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Sache in einer Art und Weise genutzt werden soll, die in bestimmter Hinsicht von der gewöhnlichen Verwendung abweicht.953 Die Abgrenzung zwischen der Verwendungsvereinbarung i.S.d. § 434 I 2 Nr. 1 BGB und einer vorrangigen subjektiven Beschaffenheitsvereinbarung bemisst sich danach, ob sich die Vereinbarung unmittelbar auf konkrete Eigenschaften der Sache (dann § 434 I 1 BGB) oder lediglich allgemein auf eine/n bestimmten Einsatz/Verwendungsweise des Gegenstandes (dann § 434 I 2 Nr. 1 BGB) bezieht.954 Die dargestellte Differenzierung verläuft allerdings fließend und ist mangels divergierender Rechtsfolgen auch nicht von besonders großer Bedeutung. (3.) Objektiv bestimmte Freiheit von Sachmängeln Erst, wenn es an einer ausdrücklichen Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) oder zumindest an dem Konsens über eine bestimmte vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 434 I 2 Nr. 1 BGB) fehlt, kommt es auf die gewöhnliche Verwendung der Kaufsache an955 (so genannter objektiver Fehlerbegriff ),956 vgl. S. 13 f.; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 58; den Mangelverdacht als Mangel aber gänzlich ablehnend Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 39 f. 950 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 11. 951 Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 235; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 42; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 22. 952 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 11. 953 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 42, bringt hier das Beispiel des Computers, der für einen ununterbrochenen Betrieb geeignet sein soll. 954 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 29, 48; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 42; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 433 Rn. 13; Westermann, NJW 2002, 241 ff. Demgegenüber will Gsell (JZ 2001, 65, 66) zwischen § 434 I 1 BGB und § 434 I 2 Nr. 1 BGB danach unterscheiden, ob die Verwendungsart vertraglich vereinbart (dann Satz 1) oder lediglich vorausgesetzt (dann Satz 2 Nr. 1) wurde. Diese Unterscheidung berücksichtigt jedoch nicht, dass § 434 I 1 nicht auf die Verwendungsvereinbarung, sondern auf die Beschaffenheitsvereinbarung abstellt. 955 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 434 Rn. 14. 956 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 13.
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§ 434 I 2 Nr. 2 BGB. Die geschuldete Beschaffenheit wird damit objektiviert,957 um überhaupt einen Maßstab zur Feststellung der Mangelfreiheit bzw. Mangelhaftigkeit zu haben, falls es an der subjektiven Festlegung fehlt. (4.) Werbeaussagen Nach § 434 I 3 BGB haftet der Verkäufer außer für vereinbarte und übliche Beschaffenheitsmerkmale auch für das Vorhandensein solcher (konkreten958) Eigenschaften der Kaufsache, die der Käufer nach „öffentlichen Äußerungen“ des Verkäufers, des Herstellers959 bzw. dessen Gehilfen in der Werbung oder Warenkennzeichnung erwarten kann. Der Verkäufer soll auf diese Weise an die „zusätzlichen“, ihm mangels eigener Veranlassung nicht direkt zurechenbaren Eigenschaften gebunden werden, weil der Käufer, der die Anweisungen ernst nehmen darf, hierauf im Zweifel bei seiner Kaufentscheidung rekurriert.960 Der Grund für diese Zurechnung liegt darin, dass dem Verkäufer die Vorteile der Werbung durch den Hersteller zugute kommen.961 Wer Verkäufer ist und damit auf Grund „öffentlicher Äußerungen“ haftet, ergibt sich regelmäßig aus dem Kaufvertrag. Der Hersteller, dessen Äußerung dem Verkäufer zugerechnet wird, ist durch § 434 I 3 BGB unter Hinweis auf § 4 I, II ProdHaftG definiert.962 Der Herstellerbegriff ist damit weit gezogen. Ihm unterfallen auch so genannte Teilprodukthersteller und diejenigen Personen, die lediglich ihre Marke an dem Produkt platzieren und dieses in den Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum importieren (man spricht hier vom „Quasihersteller).963 Der i.Ü. in Bezug genommene Begriff des Herstellergehilfen ist in erster Linie von dem des Erfüllungsgehilfen (vgl. § 278 BGB) und des Vertreters (§§ 164 ff. BGB) abzugrenzen, und zwar insofern, als der Herstellergehilfe i.S.d. § 434 I 3 BGB
957 A.A. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 16; der hier nicht von der Bezugnahme des objektiven Fehlerbegriffes, sondern von der des hypothetischen Parteiwillens ausgeht. 958 Die notwendige Konkretisierung der Aussage bedeutet eine Einschränkung hinsichtlich der Relevanz der Werbeäußerung, vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 211. Rein anpreisende, d.h. nichts sagende oder gar reißerische Aussagen („Redbull verleiht Flügel“), werden nicht über § 434 I 3 BGB rechtlich i.S.d. Einstandspflicht des Verkäufers abgesichert. 959 Vgl. § 4 I, II ProdHaftG. Hersteller ist danach der Hersteller des Endprodukts, der Zulieferer, der Importeur aus einem Drittland in das Gemeinschaftsgebiet der EU und jede natürliche oder juristische Person, die nach außen als Hersteller auftritt. 960 BT-Drucks. 14/6040, S. 214; Emmerich, BGB-Schuldrecht BT (2003), S. 32 Rn. 24; Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 955; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 32. 961 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 16. 962 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 77; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 16. 963 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 15; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 16; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 46.
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alle Personen einschließt, die der Hersteller zur Information über seine Produkte einsetzt.964 (5.) Montage und Montageanleitung Der Sachmangelbegriff, der von seinem Ausgangspunkt her auf die Beschaffenheit der Kaufsache abstellt, wird durch § 434 II BGB erweitert, indem eine fehlerhafte Montage durch den Verkäufer oder durch eine von ihm eingeschaltete Person zu einer Mangelhaftigkeit der Kaufsache führt,965 falls der Verkäufer nach dem Inhalt des Vertrages auch die Montage der Kaufsache übernommen hat.966 Die Erstreckung des Sachmangelbegriffes auf die mangelhafte Montage findet ihren tieferen Grund darin, dass es sonst zur Absteckung der Rechte des Käufers stets auf die dem Laien häufig nicht nachvollziehbare Differenzierung der Pflichten zwischen Kauf- bzw. Werkvertrag ankommt.967 Zudem soll es sich bei den Montagepflichten, die vertraglich übernommen wurden, nicht nur um Nebenleistungen, sondern um im Synallagma stehende Hauptleistungspflichten handeln, sodass dem Käufer bei Schlechterfüllung nicht nur die (kaufrechtlichen) Gewährleistungsrechte, sondern bei Nichterfüllung auch die Einrede aus § 320 BGB – und nicht nur die schwächere aus § 273 BGB – zur Verfügung steht. Unter der von § 434 II 1 BGB in Bezug genommenen Montage versteht man den Ein- und Ausbau einer Sache, aber auch die sonstige Installation (z.B. bei einem Computerprogramm).968 Durch Satz 1 dieser Vorschrift (Fall der fehlerhaften Montage)969 sollen zum einen Konstellationen erfasst werden, in denen eine zunächst mangelfreie Sache geliefert wird, die nur dadurch mangelhaft wird, dass der Verkäufer sie unsachgemäß montiert bzw. aufstellt (z.B. Beschädigung eines Kühlschranks infolge fehlerhaften E-Anschlusses, Zerkratzen eines Regals durch unsachgemäße Anbringung).970 Einbezogen sind aber auch Situationen, in denen allein die Montage fehlerhaft ist, ohne dass dies zu einer Beeinträchtigung der Beschaffenheit der verkauften Sache führt, weil auch dadurch die Brauchbar-
964 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 78; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 15; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 16 f.; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 434 Rn. 26; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 36. 965 Der Kauf einer Sache mit Montageverpflichtung wurde auch bisher schon dem Kaufvertrag unterstellt, jedenfalls soweit nicht die Montageverpflichtung im Mittelpunkt der vertraglichen Leistung stand (vgl. dazu BGH NJW 1998, 3197, 3198). Deshalb geht es bei der Neuregelung hauptsächlich um eine Klarstellung. 966 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 90; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 18; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 41; Staudinger/Beckmann (2004), § 434 Rn. 98. 967 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 90; Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring, Das neue Schuldrecht, Teil 2 (2002), S. 452. 968 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 434 Rn. 18. 969 BT-Drucks. 14/6040, S. 215; Gsell, JZ 2001, 65, 66. 970 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 89.
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keit der Kaufsache regelmäßig beeinträchtigt ist (Bsp: schiefes Hängen des Regals und daher Minder- bzw. Nichtbelastbarkeit).971 Satz 2 der Regelung dehnt den Gedanken des Satzes 1 noch weiter aus, und zwar auf den Fall der bloß mangelhaften Montageanleitung. Voraussetzung ist hier wiederum, dass die Sache zur Montage (nicht notwendig durch den Verkäufer) bestimmt ist, die Montageanleitung falsch bzw. fehlerhaft ist und sich dieser Fehler beim Zusammenbau der Sache in dieser selbst manifestiert. Die Montageanleitung ist dabei nicht nur dann fehlerhaft, wenn sie objektiv falsch ist, sondern auch in dem Fall, in dem sie dem Durchschnittsverbraucher972 nichts nützt, weil sie unverständlich ist.973 Eine analoge Anwendung findet die Regelung, wenn die Montageanleitung gänzlich fehlt, obgleich sie erforderlich ist.974 Ein Fehler der Montageanleitung berechtigt nur dann nicht zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen, wenn er sich „nicht ausgewirkt hat“, etwa dadurch, dass die Sache trotz des Fehlens, der Unverständlichkeit, der objektiven Mangelhaftigkeit der Anleitung fehlerfrei montiert wurde, vgl. § 434 II 2, 2. HS BGB. Es handelt sich hier um einen nachträglichen „Heilungstatbestand“.975 Mit der Regelung zur fehlerhaften Montageanleitung wurde und wird vor allem den zunehmenden Kaufverträgen Rechnung getragen, die den Zusammenbau der Sache durch den Letztkäufer vorsehen. Besonders häufig ist dies bei Möbeln der Fall, deshalb wird diese Vorschrift auch „IKEA-Klausel“ 976 genannt. Anzuwenden ist die Bestimmung aber auch auf andere Fälle, etwa auf Handbücher beim Softwarekauf,977 in denen die Anleitung zum Heraufspielen auf die Hardware „fehlerhaft“ ist. Gleiches gilt für die Beschreibung der Zusammensetzung technischer Geräte (Bsp.: Gartenschaukel). (6.) Problem: Bedienungsanleitung § 434 II 1 BGB bezieht sich unmittelbar nur auf die Anleitung zu einer Montage, d.h. auf die mechanische Zusammensetzung der Kaufsache, die in Einzelteilen geliefert wurde. Bei technischen und elektronischen Geräten gewinnt hingegen häufig auch das Vorhandensein einer korrekten Bedienungsanleitung besondere
971 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 18; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 434 Rn. 18; Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/Röcken, Das neue Schuldrecht, Teil 2 (2002), S. 452 972 Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 434 Rn. 103; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 48; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 50; Brand, ZGS 2003, 96 ff.; 973 Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 433 Rn. 105; a.A. Looschelders, Vertragliche Schuldverhältnisse (2. Aufl., 2008), S. 19. 974 Looschelders, Vertragliche Schuldverhältnisse (2. Aufl., 2008), S. 20. 975 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 216. 976 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 93; Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 Rn. 36. 977 Zu diesem Beispiel Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 434 Rn. 19.
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Bedeutung.978 Wie in den von § 434 II 2 BGB erfassten Sachverhalten besteht in diesem Fall das Problem darin, dass dem Interesse des Käufers nicht schon mit der Verschaffung des betreffenden Gegenstandes genügt ist, sondern erst, wenn er durch eine Anleitung in die Lage versetzt wird, von der Sache einen sinnvollen Gebrauch zu machen.979 Deshalb ist es richtig, diese Fälle in Analogie zu § 433 I 2 BGB i.V.m. § 434 II 2 BGB zu behandeln.980 (7.) Anders- und Zuweniglieferung Um dogmatischen Einordnungsschwierigkeiten981 zuvorzukommen, stellt § 434 III BGB nunmehr – ohne dass dies die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie verlangt hätte982 – die Falschlieferung und die Zuweniglieferung, so wie es nach Art. 35 I CISG der Fall ist, ausdrücklich einem Sachmangel gleich.983 Strittig ist jedoch, ob die Gleichrangigkeit von Falschlieferung und Schlechtlieferung allein die Gattungs- oder auch die Stückschuld betreffen.984 Dadurch, dass jetzt die Lieferung eines anderen Stückes, so genanntes „Aliud“, wie eine fehlerhafte Kaufsache zu behandeln ist, wird aber die Frage nach dem Verhältnis der Vorschrift zu § 241a BGB (Lieferung unbestellter Sachen)985 virulent. Teilweise wird vertreten, dass diese Bestimmung im Verbrauchsgüterkauf gar keine Anwendung auf Falschlieferungen findet.986 Für eine Beschränkung ihres Anwendungsbereiches besteht jedoch kein Anlass, sodass bei einer unbewussten Falschlieferung die gesetzlichen Ansprüche des Verkäufers entsprechend § 241a II BGB bestehen bleiben. Gleiches ist für den Fall anzunehmen,
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Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 51. Honsell, JZ 2001, 278, 280; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (2002), S. 48. 980 Medicus, Schuldrecht II, BT (2004), S. 20 f.; Emmerich, BGB-Schuldrecht BT (2003), S. 33 Rn. 27; im Ergebnis so auch Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 434 Rn. 19 und Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 434 Rn. 19; Staudinger/Beckmann (2004), § 434 Rn. 106 f. sowie OLG München MDR 2006, 1338, wenngleich von diesen in der fehlerhaften Bedienungsanleitung schon ein Unterfall des § 434 I BGB gesehen wird, sodass es keines Analogieschlusses bedarf. Gegen jegliche Erstreckung auf Bedienungsanleitungen aber BaRoth/ Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 96. 981 Nach früherem Recht musste man zunächst zwischen Gattungskauf und Stückkauf und innerhalb des letzteren sodann weiter zwischen dem sog. Identitätsaluid und dem Qualitätsaluid unterscheiden, vgl. dazu den Vergleich von altem und neuen Recht bei Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 21. Im Handelskauf gab es mit § 378 HGB a.F. eine Norm, nach der die Falschlieferung wie eine fehlerhafte Lieferung behandelt wurde, wenn die Abweichung genehmigungsfähig war. 982 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 11 983 Dazu Lorenz, JuS 2003, 36 ff.; Musielak, NJW 2003, 89 ff.; Schulze, NJW 2003, 1022; Reinicke/Tiedke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 133 ff. 984 Zum Streit vgl. Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), Rn. 20; Reinicke/Tiedke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 133 ff.; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 434 Rn. 114 f. 985 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 2. Kapitel A II. 986 Lorenz, JuS 2003, 36, 40; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 434 Rn. 118. 979
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dass der Käufer den Irrtum des Verkäufers erkannt hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt diesen hätte erkennen können.987 (8.) Problem: Zuviellieferung Nicht im System der §§ 433 ff. BGB geregelt ist der Fall der Zuviellieferung.988 Hinsichtlich der Erbringung der nicht geschuldeten Mehrleistung durch den Verkäufer dürfte sich eine Lösung unmittelbar aus § 812 I 1, 1. Alt. BGB ergeben; die Voraussetzungen für eine Analogie zu § 434 III BGB989 sind nicht gegeben.990 (9.) Freiheit von Rechtsmängeln als Hauptleistungspflicht Nach § 433 I 2 BGB ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache frei von Rechtsmängeln zu verschaffen, wobei § 435 BGB den Umfang dieser Verpflichtung umschreibt. Gemäß Satz 1 dieser Vorschrift ist die Sache nur dann frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag durch den Käufer übernommenen Rechte gegen diesen geltend machen können.991 ee. Rechte und Ansprüche des Käufers bei Mängeln Rein begrifflich würden die allgemeinen Vorschriften in den §§ 280 ff., 320 ff. BGB auch eingreifen, wenn der Verkäufer seiner Pflicht aus § 433 I 2 BGB zur Verschaffung eines Kaufgegenstandes frei von Sach- und Rechtsmängeln nicht nachkommt, da es sich bei dieser Pflicht um eine im Synallagma mit der Kaufpreiszahlungspflicht stehende Hauptpflicht des Verkäufers handelt. Das Gesetz sieht jedoch in § 437 BGB für den Fall der Verletzung der Pflicht zur Mangelfreiheit der Leistung unter bestimmten Voraussetzungen spezielle Rechtsbehelfe für den Käufer vor, die zwar zu großen Teilen auf die allgemeinen Vorschriften verweisen, diese aber durch die §§ 438–441 BGB modifizieren.992 Dogmatisch ist diese „Modifikation“ des ursprünglichen Anspruchs aus § 433 BGB so zu verstehen, dass sich der Inhalt des Schuldverhältnisses bei Eintritt der entsprechenden Voraussetzungen kraft Gesetzes ändert, und zwar dahingehend, dass der Käufer fortan nur noch die Ansprüche und Rechte aus dem § 437 i.V.m den §§ 438–441 BGB geltend machen kann. Infolgedessen ist er nicht mehr 987
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 23; Reinicke/Tiedke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 142. 988 Sie ist auch in den Gesetzesmaterialien nicht erwähnt worden (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 216). 989 Für eine Analogie jedoch Pfeiffer, ZGS 2002, 138 ff. 990 So Emmerich, BGB-Schuldrecht BT (2003), S. 35 Rn. 32; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 434 Rn. 117; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 434 Rn. 53a; Reinicke/Tiedke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 144; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 434 Rn. 121; Lettl, JuS 2002, 861, 866, 870. 991 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 31. 992 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 1; Staudinger/Beckmann (2004), Vor §§ 433 Rn. 21 f.
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direkt nach § 433 BGB i.V.m. den allgemeinen Vorschriften aus §§ 280 ff., 323 ff. BGB berechtigt.993 Rechtssystematisch stellt § 437 BGB eine Norm mit „Brückenkopffunktion“ 994 dar. Sie fasst alle Rechtsbehelfe des Käufers im Fall der Mangelhaftigkeit der Kaufsache zusammen,995 verweist für diese Fälle jedoch auf weitere Normen in und außerhalb des Kaufrechts (zurück).996 Deshalb spricht man von ihr auch als einer Rechtsgrundverweisung, die keine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellt.997 (1.) Primär: Nacherfüllung Der primäre Rechtsbehelf 998 des Käufers bei Vorliegen eines Sachmangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs ist der Nacherfüllungsanspruch gemäß §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB. (a.) Inhalt Er begründet für den Verkäufer das „Recht zur zweiten Andienung“, das jetzt im Gegensatz zur gängigen Praxis vor der Schuldrechtsreform nicht mehr vertraglich vereinbart werden muss, sondern im Gesetz verankert ist. Ein Anspruch auf Nacherfüllung hat das Gesetz dem Käufer deshalb gewährt, weil sich die Pflichten des Verkäufers nunmehr ausdrücklich auf die Mangelfreiheit der Kaufsache erstrecken.999 So gesehen lässt sich der Nacherfüllungsanspruch als „modifizierte Fortsetzung“ des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs begreifen.1000 Auf der Grundlage des Nacherfüllungsanspruches kann der Käufer nach seiner Wahl Erfüllung durch Beseitigung des Mangels (so genannte Nachbesserung) oder durch Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen (so genannte Nachlieferung).1001 Der Käufer, dem ein defektes Gerät geliefert worden ist, muss sich deshalb z.B. nicht auf eine Nachbesserung durch den von ihm für unzuverlässig gehaltenen Verkäufer einlassen, sondern kann die Lieferung eines Ersatzgerätes verlangen. Allerdings muss der Käufer dem Verkäufer das Gerät zur Prüfung des Fehlers und etwaiger darauf beruhender verkäuferseitiger Einreden zur Verfügung stellen. Ebenso wie der originäre Erfüllungsanspruch besteht der Nacherfüllungsanspruch unabhängig davon, ob der Verkäufer den Mangel i.S.v. § 276 BGB zu vertreten hat, denn es geht hier um die schlichte Anerkennung des Äqui993
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 68. BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 2. 995 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 1. 996 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 1. 997 MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 1; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 1. 998 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 3. 999 Wenzel, in: Wenzel/Hütte/Helbron, Schuldrecht BT 1 (2003), S. 38. 1000 Emmerich, BGB-Schuldrecht BT (2003), S. 37 Rn. 37; Bitter/Meidt, ZRP 2001, 2114, 2116; Schubel, JuS 2002, 313, 316. 1001 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 439 Rn. 1; Huber, NJW 2002, 1004 ff.; Spickhoff, BB 2003, 589. 994
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valenzinteresses des Käufers.1002 An eine einmal getroffene Wahl ist der Käufer nach dem Gesetz zwar nicht gebunden.1003 Jedoch besteht insofern ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit, aus dem heraus es legitim erscheint, ein grundsätzliches Festhalten des Käufers an seine Wahlentscheidung bei Zugang der Erklärung seitens des Verkäufers zu fordern.1004 Freilich kann der Verkäufer aufgrund des § 242 BGB im Einzelfall daran gehindert sein, sich darauf zu berufen.1005 Beachtenswert ist, dass der Käufer einer Sache bei fehlerhafter Montageanleitung bzgl. seines Nacherfüllungsanspruches zunächst darauf beschränkt ist, eine fehlerfreie Montageanleitung einzufordern. Ein Anspruch auf Lieferung einer neuen Kaufsache mit mangelfreier Montageanleitung steht ihm nur dann zu, wenn die Kaufsache bei der Montage beschädigt wurde oder nicht mehr ohne weiteres montiert werden kann.1006 (b.) Kosten und Rückgewähr der mangelhaften Sache Die Kosten der Nacherfüllung sind gemäß § 439 II BGB vom Verkäufer zu tragen. Verlangt der Käufer Nachlieferung einer mangelfreien Sache, so ist er jedoch Zug um Zug zur Rückgewähr der bereits empfangenen mangelfreien Sache verpflichtet (§§ 439 IV, 348 BGB). Ob die Nacherfüllungspflicht des Verkäufers bzw. die Rückgewährpflicht des Käufers auch die Ausbaukosten der mangelhaften Sache beim Käufer (Verbraucher) umfasst, ist strittig. Die Frage, die schon im Rahmen des Dachziegelfalls1007 problematisiert wurde, wurde mittlerweile dem EuGH aufgrund des so genannten „Fliesenfalls“1008 und des „Waschmaschinenfalls“1009 zur Entscheidung vorgelegt, wobei es um die notwendige europarechtskonforme Auslegung der deutschen Umsetzungsbestimmungen zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie geht. (c.) Anspruchsausschluss Der Anspruch auf Nacherfüllung ist seitens des Käufers in einer Reihe von Fällen ausgeschlossen, die sich aus § 275 I, II, III BGB und aus § 439 III BGB ergeben. So kann der Verkäufer nach § 439 III 1 BGB die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn die Nachlieferung bzw. Nachbesserung mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist und damit dem Käufer in Abwägung des Interesses zum Verkäufer zugemutet wird, sich auf die jeweils an1002
Westermann, JZ 2001, 530, 536. So auch Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht (8. Aufl., 2009), S. 152 f. 1004 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 28. 1005 Erman/Grunewald (11. Aufl., 2004), § 439 Rn. 8. 1006 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 20; Staudinger/Beckmann (2004), § 434 Rn. 113. 1007 BGHZ 87, 104 ff. 1008 BGH, Beschl. v. 14.01.2009 – VII ZR 70/08; vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH v. 18.05.2010 – C-65/09. 1009 AG Scharndorf, Beschl. v. 25.02.2009 – 2 C 818/08; ZGS 2009, 525 ff.; vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH v. 18.05.2010 – C-87/09. 1003
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dere Art der Nacherfüllung einzulassen (§ 439 III 3, 1. HS BGB). Falls auch diese Art der Nacherfüllung von den Kosten her dem Verkäufer unzumutbar ist, darf selbst diese durch den Verkäufer verweigert werden (§ 439 III 2, 2 HS BGB). In manchen Fällen ist eine bestimmte Art der Nacherfüllung schon nach der Beschaffenheit der Kaufsache ausgeschlossen (§ 275 I, II BGB). So ist etwa beim Gattungskauf sowohl eine Nachlieferung als auch eine Nachbesserung ohne weiteres denkbar. Eine Nachlieferung beim Stückkauf scheidet jedoch üblicherweise aus (str.). Hier existiert die Sache nur einmal, sodass die Lieferung einer „anderen“ mangelfreien Sache kaum vorstellbar ist.1010 Der Nacherfüllungsanspruch verengt sich in diesem Fall regelmäßig von vornherein auf die Beseitigung des Mangels. (2.) Sekundär: Rücktritt Die Vorschrift des § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB gewährt dem Käufer bei der Lieferung eines mangelhaften Gegenstandes oder einer durch § 434 III BGB gleichgestellten Vertragsverletzung (Lieferung eines Aliuds oder Minderleistung) auch ein Recht zum Rücktritt vom Kaufvertrag. (a.) Inhalt und Ausübung Es handelt sich beim Rücktrittsrecht um ein Gestaltungsrecht,1011 dessen wirksame Ausübung den Kaufvertrag durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Käufers in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt, für das die §§ 346 ff. BGB gelten.1012 Ab dem Zeitpunkt der wirksamen Ausübung des Rücktrittsrechts kann der Käufer folglich keine Nacherfüllung i.S.d. § 439 I BGB mehr verlangen. Die Rechtsgrundlage für das Gestaltungsrecht ist – nicht anders als bei den Ansprüchen auf Nacherfüllung – aus den in § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB genannten Normen zu entnehmen. Das Rücktrittsrecht beruht damit auf § 323 I BGB i.V.m. § 437 Nr. 2 Alt. 1 bzw. auf § 326 V 1. HS i.V.m. § 437 Nr. 1 Alt. 1 BGB. (b). Nachfristsetzung und Fristverstreichung Betrachtet man das System der Gewährleistungsrechte des § 437 BGB unvoreingenommen, dann steht das Recht des Käufers zum Rücktritt gleichrangig neben dem Anspruch auf Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. Ein anderer 1010
Ackermann, JZ 2002, 378, 379; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2008), § 439 Rn. 27 ff.; HkBGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 439 Rn. 1; Huber, NJW 2002, 1004, 1006; Lorenz, JZ 2001, 742, 743; Schwab, JuS 2002, 1, 6; Wieser, JR 2002, 269; Tiedtke, JZ 2008, 395, 400; Wenzel in: Wenzel/Hütte/Helbron, Schuldrecht BT 1 (2003), S. 14; Westermann, NJW 2002, 241, 244. Teilweise wird hier aber eine modifizierte Sichtweise insofern eingebracht, wenn es sich bei der Stückschuld um eine Sache handelt, die einer vertretbaren Sache wirtschaftlich entspricht und das Ersatzstück geeignet ist, das Leistungsinteresse des Käufers zufrieden zu stellen (vgl. dazu OLG Braunschweig NJW 2003, 1053, 1054; LG Ellwangen NJW 2003, 517); differenzierend auch Roth, NJW 2006, 2953, 2956; BGH NJW 2006, 2839. 1011 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 106. 1012 Zu den neu gefassten Rücktrittsvorschriften der §§ 346 ff. BGB ausführlich BTDrucks. 14/6040, S. 189 ff.; vgl. auch Kohler, JZ 2001, 325 ff.
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Befund ergibt sich jedoch, wenn zusätzlich diejenigen Normen betrachtet werden, deren tatbestandliche Voraussetzungen wegen der Verweisung des § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB für die Ausübung des Rücktrittsrechts vorliegen müssen. Danach kann das Rücktrittsrecht als Gestaltungsrecht grundsätzlich nur subsidiär geltend gemacht werden.1013 § 323 I BGB, auf den § 437 Nr. 1 Alt. 1 BGB verweist, verknüpft den Rücktritt bei gegenseitigen Verträgen im Fall einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung mit dem Ablauf einer angemessenen Nachfrist, die der Gläubiger dem Schuldner für eine Nacherfüllung setzen muss. Das Erfordernis der Nachfristsetzung bezieht sich im Anwendungsbereich des § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB auf eine Nacherfüllung nach § 439 I BGB in der vom Käufer gewählten (und nicht ausnahmsweise ausgeschlossenen) Form: entweder der Mängelbeseitigung oder der Neulieferung.1014 Erst wenn die (vom Umfang her angemessene)1015 Nachfrist durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung gesetzt und abgelaufen ist, kann der Käufer wegen der mangelhaften Lieferung nach § 323 I BGB vom Kaufvertrag zurücktreten. Erbringt der Verkäufer die Nacherfüllung allerdings erst nach dem Ablauf der Nachfrist, berührt dies das (mittlerweile entstandene) Rücktrittsrecht des Käufers nicht mehr; wirkt der Käufer jedoch in dieser Situation an der Nacherfüllung mit, ist ihm die Ausübung des Rücktrittsrechts u.U. nach § 242 BGB verwehrt. (c.) Ausnahmen von der Notwendigkeit der Nachfristsetzung Von der Nachrangigkeit der Vertragsauflösung gegenüber dem Anspruch auf Nacherfüllung aus § 439 I BGB bestehen i.Ü. zahlreiche Ausnahmen. Nach § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB i.V.m. § 326 V BGB entfällt das Erfordernis der Nachfristsetzung, wenn der Verkäufer von der Nacherfüllungspflicht gemäß § 275 BGB freigestellt worden ist.1016 Es ist einsichtig, dass der Käufer bei einer unmöglich gewordenen Leistung den Primäranspruch verliert. Die Regelung ist z.B. im Fall eines unbehebbaren Mangels (§ 275 I BGB) einschlägig. Voraussetzung ist jedoch stets, dass beide Formen der Nacherfüllung, die § 439 I BGB nennt, nach § 275 BGB ausgeschlossen sind.1017 Der Umstand, dass z.B. keine Neulieferung, sondern nur eine Nachbesserung in Betracht kommt, und der Käufer somit (nur) sein Wahlrecht aus § 439 I BGB einbüßt, führt nicht zur Anwendbarkeit des § 326 V BGB. Weiterhin ist die Nachfristsetzung unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 323 II BGB entbehrlich, so z.B. wenn der Verkäufer die vom Käufer wirksam gewählte 1013 BT-Drucks. 14/6040; S. 221; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 4; Westermann, JZ 2001, 530, 536 f. 1014 BT-Drucks. 14/6040, S. 221. 1015 Setzt der Käufer eine unangemessen kurze Nachfrist, wird ex lege eine objektiv angemessene Frist in Lauf gesetzt, nach deren Ablauf der Käufer zurücktreten kann, vgl. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 108. 1016 In diesem Sonderfall beruht das Rücktrittsrecht nicht auf § 323 I BGB, sondern auf § 326 V 1. HS BGB. 1017 BT-Drucks. 14/6040, S. 234.
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Form der Nacherfüllung zu Unrecht ernsthaft und endgültig verweigert (§ 323 II Nr. 1 BGB).1018 Weitere Varianten des Entfallens des Nachfristsetzungserfordernisses sehen § 323 II Nr. 2–3 BGB vor. Schließlich statuiert § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB i.V.m. § 440 BGB besondere Tatbestände, die die Nachfristsetzung entbehrlich machen.1019 Nach § 440 S. 1 BGB ist die Setzung einer Nachfrist bei drei Sachverhalten für das Entstehen des Rücktrittsrechts entbehrlich. Zum ersten ist ergänzend zu § 326 V BGB die Nachfristsetzung unnötig, wenn die Nacherfüllungspflicht des Verkäufers zwar nicht nach § 275 BGB ausgeschlossen ist, der Verkäufer aber beide Formen der Nacherfüllung gemäß § 439 III BGB verweigern kann und sich auf dieses Leistungsverweigerungsrecht beruft, § 440 S. 1 Alt. 1 BGB. Zum zweiten kann ein Rücktritt ohne die Setzung einer Nachfrist auch dann erklärt werden, wenn die dem Käufer zustehende, d.h. von ihm wirksam gewählte Art der Nacherfüllung „fehlgeschlagen“ ist, § 440 S. 2 BGB.1020 § 440 S. 2 BGB konkretisiert dies für den Fall der Nachbesserung in nicht abschließender Weise dahingehend, dass diese mangels besonderer Umstände nach dem erfolgten zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt. Diese Richtgröße dürfte für erfolglose Nachlieferungsversuche nach § 439 I Alt. 2 BGB ebenfalls anzuwenden sein.1021 Schließlich kann ein sofortiger Rücktritt auch dann erfolgen, wenn die dem Käufer nach Maßgabe des § 439 BGB zustehende Form der Nacherfüllung für diesen „unzumutbar“ ist, § 440 S. 1 Alt. 3 BGB.1022 Wie bei einem Fehlschlag der wirksam gewählten Nacherfüllungsform kommt es hier nicht darauf an, ob die andere Form der Nacherfüllung in zumutbarer Weise erfolgen könnte, sonst würde das Wahlrecht des Käufers aus § 439 I BGB leer laufen.1023 Für die Beurteilung der „Unzumutbarkeit“ bedeutsam ist insbesondere, welcher Art der Verkaufsgegenstand ist und für welchen Zweck der Käufer diesen benötigt.1024 (d.) Ausschluss des Rücktrittsrecht Selbst das sekundär eingreifende Rücktrittsrecht ist aber in verschiedenen Fällen als Gewährleistungsrecht ganz ausgeschlossen. Nach § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB i.V.m. § 323 V S. 2 BGB kann beispielsweise der Käufer vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn der Mangel „unerheblich“ ist. Die Unerheblichkeit ist stets zu verneinen, wenn der Verkäufer für die betreffende Beschaffenheit eine Garantie übernommen hat. I.Ü. ergibt sich die Unerheblichkeit aus dem geringfügigen Maß, in dem
1018
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 110 f. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 109. 1020 BT-Drucks. 14/6040, S. 233; Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 960. 1021 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 110. 1022 Art. 3 V Spiegelstrich 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie erwähnt insoweit „erhebliche Unannehmlichkeiten“. 1023 Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 960. 1024 Vgl. dazu Art. 3 III S. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. 1019
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die Gebrauchstauglichkeit bzw. der Wert des Kaufgegenstandes durch den Mangel gemindert ist.1025 Sie festzustellen erfordert eine umfassende Interessenabwägung,1026 in die auch die Auswirkung auf Funktion, Beschaffenheit und Wert der Kaufsache sowie Möglichkeit und Aufwand einer Reparatur einfließen.1027 Mehrere Mängel sind in der Gesamtheit zu würdigen.1028 Eine unerhebliche Pflichtverletzung scheidet in der Regel bei einer arglistigen Täuschung des Verkäufers über den Mangel aus,1029 auch dieser Umstand ist daher abwägungsrelevant. Die Unerheblichkeitsregelung trägt dem Umstand Rechnung, dass eine geringfügige Vertragswidrigkeit den Bestand des Schuldverhältnisses nicht mehr in Frage stellen soll, wenn der Kaufgegenstand bereits transferiert und insoweit eine Vertrauenslage geschaffen worden ist.1030 In diesem Fall ist der Käufer auf die anderen Ansprüche und Rechte beschränkt, die § 437 BGB aufzählt. Dadurch wird seinem Äquivalenzinteresse in genügender Form entsprochen. Vor diesem Hintergrund wird aber auch klar, dass § 323 V S. 2 BGB den Käufer, der den unerheblichen Mangel vor der Lieferung erkennt, nicht daran hindert, die Sache als vertragswidrig zurückzuweisen und nach Ablauf einer Nachfrist gemäß § 323 I BGB vom Kaufvertrag zurückzutreten. Denn § 323 V S. 2 BGB setzt voraus, dass die vertragswidrige Leistung bereits erbracht wurde1031 und dadurch ein erhöhtes Interesse an der Rechtsbeständigkeit entstanden ist. Darüber hinausgehend ist der Rücktritt des Käufers ausgeschlossen, wenn er für den Mangel allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (vgl. § 437 Nr. 2 BGB i.V.m. § 326 VI Alt. 1 BGB).1032 (e.) Rechtsfolgen der Ausübung des Rücktrittsrechts Auf das Rücktrittsrecht finden über die Verweisung der §§ 440, 323 BGB die Regelungen der §§ 346 ff. BGB Anwendung,1033 die die Rechtsfolgen des ausgeübten Gestaltungsrechts regeln. Durch den Rücktritt wandelt sich das ursprüngliche Schuldverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Die primären Leistungspflichten erlöschen.
1025
BT-Drucks. 14/6040, S. 223. Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 281 Rn. 48; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 21. 1027 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 26; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 437 Rn. 23; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 21. 1028 PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 21. 1029 BGHZ 167, 19 ff.; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 21; a.A. BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 27; Lorenz, NJW 2006, 1925 ff. 1030 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 112. 1031 Dort steht der Passus: „hat der Schuldner (…) bewirkt“. 1032 Kritisch hierzu in Bezug auf die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Gsell, JZ 2001, 65, 70 f.; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 29. 1033 Hk-BGB/Schulze (5. Aufl., 2007), § 323 Rn. 16. 1026
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(aa.) Normale Rücktrittsfolgen nach §§ 346 ff. BGB. Nach § 346 I BGB sind die bereits empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Der Käufer hat die Kaufsache zurückzugeben (und ggf. auch zurückzuübereignen), der Verkäufer hat im Gegenzug den Kaufpreis zurückzuerstatten. Diese Verpflichtungen sind nach § 383 BGB Zug um Zug zu erfüllen. Die Rückgewähr hat grundsätzlich in Natur zu erfolgen. Ist die Rückgewähr des erhaltenen Gegenstandes ausgeschlossen, so ist nach § 346 II 1 Nr. 1 BGB Wertersatz zu leisten, es sei denn, das Gesetz ordnet in § 346 III BGB eine Ausnahme an. Zwar trägt nach dem Sinn und Zweck des vertraglich vereinbarten Rücktritts der Rückgewährschuldner die Kosten der Rückgewähr; bei einer Rückabwicklung infolge der Mangelhaftigkeit der Kaufsache ist die Rückabwicklung des Schuldverhältnisses jedoch durch den Verkäufer veranlasst. Deshalb muss nach dem Rechtsgedanken des § 439 II BGB der Verkäufer diese Kosten übernehmen (zu den umstrittenen Ausbaukosten im Dachziegel-, Fliesen- und Waschmaschinenfall vgl. das im Kaufrecht unter 5 a. ee. (b.) Gesagte). (bb.) Problem: Nutzungsersatz. Eine normale Folge des Rücktritts ist auch der Nutzungsersatz gemäß § 346 I BGB.1034 Nach dieser Bestimmung sind grds. die tatsächlichen Nutzungen (§ 100 BGB) zu ersetzen, also die Früchte einer Sache oder eines Rechts (§ 99 BGB), und die Gebrauchsvorteile herauszugeben. Die Berechnung der Gebrauchsvorteile basiert üblicherweise auf der Dauer der Nutzung des Kaufgegenstandes bis zu seiner Gebrauchsuntauglichkeit. Daher ist die Zeitspanne der tatsächlichen Nutzung durch den Käufer zu der gewöhnlichen Gesamtnutzungsdauer ins Verhältnis zu setzen, um die Nutzungen in einen Geldbetrag zu fassen. Der diesem Verhältnis entsprechende Anteil des objektiven Wertes – welcher meist mit dem Kaufpreis übereinstimmen wird – ist der üblicherweise zu ersetzende Gebrauchsvorteil. Dabei ist der Bruttopreis inkl. Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) anzusetzen.1035 Diese „normalen“ Rücktrittsfolgen wurden im Grundsatz bereits im Abschnitt zum Rücktrittsrecht besprochen.1036 Der Grund für die „Ausgleichspflicht“ wird vor allem darin gesehen, dass der Käufer durch die Lieferung eine neue Sache erhält, dessen Gebrauch ihm als Vermögenswert zufließt.1037 Eine Ausnahme ist nach der Rechtsprechung des EuGH aber für den Fall der Rückabwicklung des Verbrauchsgüterkaufes wegen Sachmangels zu machen,1038 was der deutsche Gesetzgeber zum Anlass der Neuregelung in § 474 II 1 BGB nahm. 1034 Vgl. dazu etwa Tiedtke/Schmitt, DStR 2004, 2060; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 29; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 439 Rn. 17; Fest, NJW 2005, 2959. 1035 BGHZ 115, 47, 54; OLG München NJW 1970, 661 f.; Staudinger/Beckmann (2004), § 433 Rn. 59. 1036 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel B II 5. 1037 OLG Nürnberg, NJW 2005, 3000; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 439 Rn. 25; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 29. 1038 EuGH, Urt. v. 17.4.2008, Rs. C-404/06 – Quelle.
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Danach findet § 439 IV BGB im Verbrauchsgüterkauf nur modifiziert – ohne Nutzungs- und Wertersatzpflicht des Käufers – Anwendung. Die Regelung war notwendig geworden, um den Käufer im Fall des Sachmangels nicht an der Ausübung seiner Gewährleistungsrechte durch Belastung mit Nutzungs- und Wertersatz zu hindern. (3.) Sekundär: Minderung Nach § 437 Nr. 2 Alt. 2 BGB kann der Verkäufer statt vom Vertrag zurückzutreten, diesen auch bestehen lassen und den Kaufpreis gemäß den Vorgaben des § 441 BGB mindern. (a.) Inhalt und Ausübung Das Minderungsrecht gemäß § 437 Nr. 2 Alt. 2 BGB beinhaltet ein Gestaltungsrecht.1039 Im Unterschied zum Rücktritt wandelt es den Kaufvertrag nicht insgesamt in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis um, sondern trägt dem Äquivalenzinteresse des Käufers insofern Rechnung, als der Kaufpreis angepasst an den Mangel und in Bezugnahme auf das Ergebnis der Verhandlung herabgesetzt wird. Die Höhe des Kaufpreises bemisst sich nach rechtswirksamer Ausübung des Minderungsrechts mithin nicht mehr nach der ursprünglichen vertraglichen Abrede, sondern nach Maßgabe des § 441 III 1 BGB. Die Minderungsquote ist – das klingt in dem vorhergehenden Satz schon an – nach § 441 III 1 BGB aufgrund einer relativen Methode zu ermitteln. Der Kaufpreis ist danach im Verhältnis zu senken, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert (d.h. der mangelhaften Sache) gestanden haben würde. Durch die Quotenbildung sollen dem Käufer die Vorteile aus dem Abschluss eines günstigen Kaufvertrages erhalten bleiben.1040 Das Gleiche gilt aber auch für den Verkäufer, wenn und soweit der Kauf für ihn günstig war und das größere Verhandlungsgeschick somit bei ihm lag. Die für die Berechnung der Minderung erforderlichen Werte des Kaufgegenstandes im mangelfreien und mangelhaften Zustand sind nach § 441 III 2 BGB ggf. durch eine Schätzung zu ermitteln. Die Ausübung des Minderungsrechts erfolgt durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 441 I 1 BGB). Sind auf einer Seite des Vertrages mehrere Personen beteiligt, so kann die Minderung nach § 441 II BGB nur von allen oder gegen alle erklärt werden.1041 Mit Zugang der Erklärung auf Seiten des Verkäufers, für die das Gesetz keine Form vorschreibt, ist die Minderung wirksam und kann von dem Käufer nicht mehr einseitig widerrufen werden.1042 Ist die Minderungserklärung abgegeben worden, darf der Käufer nur noch wegen eines weiteren, in 1039 1040 1041 1042
BT-Drucks. 14/6040, S. 234. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 37. Diese Regelung entspricht § 351 S. 1 BGB, der für das Rücktrittsrecht gilt. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 114.
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dem Minderungsbegehren nicht berücksichtigten Mangels Nacherfüllung verlangen oder auf den Rücktritt übergehen.1043 (b.) Nachfristsetzung und Fristverstreichung § 441 I 1 BGB gewährt das Recht zur Minderung statt des Rücktritts. Wegen dieser Regelungstechnik, die in der Aufzählung des § 437 Nr. 2 BGB eine Entsprechung findet, müssen für das Minderungsrecht grundsätzlich alle Voraussetzungen erfüllt sein, die für das Rücktrittsrecht aufgestellt worden sind.1044 Es bedarf wegen der grundsätzlichen Subsidiarität des Minderungsrechtes – soweit keine der gesetzlich normierten Ausnahmen greifen – daher auch regelmäßig einer Nachfristsetzung zur Nacherfüllung, die insoweit „fruchtlos“ verstrichen sein muss, als dem Nacherfüllungsbegehren nicht oder nicht ausreichend entsprochen wird.1045 Nur die Konstellation des § 441 I 2 BGB lässt die Minderung zu, obwohl dem Käufer kein Rücktrittsrecht zusteht. Sie gilt für den Fall, dass der Mangel nur „unerheblich“ ist. Hier braucht keine Nachfrist gesetzt zu werden. Ein Minderungsrecht steht dem Käufer in dieser Situation gleich zur Verfügung. I.Ü. gilt bei der Minderung, ebenso wie beim Rücktritt, dass die Pflicht zur Nachfristsetzung auch nach den allgemeinen Regelungen der §§ 323 II, 440 BGB entfallen kann.1046 Bei nicht behebbaren Mängeln ist die Fristsetzung schon nach § 323 V BGB entbehrlich. (c.) Rechtsfolgen der Minderung Infolge der Minderung reduziert sich der vom Käufer an den Verkäufer zu zahlende Kaufpreis. Hat der Käufer bereits den gesamten ursprünglich vereinbarten Betrag an den Verkäufer entrichtet, so hat letzterer die Differenz nach § 441 IV 1 BGB zu erstatten. Auf diesen vertraglichen Anspruch des Käufers finden gemäß § 441 IV 2 BGB die Vorschriften über die Herausgabe von Nutzungen bei einem Rücktritt entsprechende Anwendung. Das Bereicherungsrecht wird nicht herangezogen. Der vertragliche Rückgewähranspruch greift allerdings nur ein, wenn der Käufer den Mehrbetrag geleistet hat, bevor die Gestaltungswirkung der Minderung eingetreten ist.1047 Hat der Verkäufer nach der erfolgten Minderung irrtümlich noch den ursprünglich vereinbarten Betrag entrichtet, ergibt sich sein Rückforderungsrecht in Bezug auf den Differenzbetrag aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB.1048
1043 Westermann, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 109, 127. 1044 BT-Drucks. 14/6040, S. 235; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 37. 1045 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 4. 1046 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 37. 1047 BT-Drucks. 14/6040, S. 235 f. 1048 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 115.
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(4.) Sekundär: Schadensersatz neben und statt der Leistung Schließlich kann der Käufer, dem ein mit einem Sach- oder Rechtsmangel behafteter Kaufgegenstand geliefert worden ist, nach Maßgabe der in § 437 Nr. 3 BGB genannten Anspruchsgrundlagen von dem Verkäufer Schadensersatz verlangen. Für den Schadensersatz ist nach den verschiedenen Tatbestandskonstellationen und Schadensposten zu differenzieren:1049 (a.) Inhalt und Ausübung § 437 Nr. 3 BGB verweist bezüglich der Ansprüche auf Schadensersatz neben der Leistung u.a. auf § 280 I, II BGB. Auf Grund dieser Bezugnahme kann der Käufer Ersatz des ihm durch die Leistungsverzögerung entstehenden Schadens1050 und den Mangelfolgeschaden1051 verlangen. Wegen der Verknüpfung mit § 437 Nr. 3 BGB bezieht sich die Leistungsverzögerung auf den Umstand, dass sich der Verkäufer mit seiner Pflicht zur Nacherfüllung (§ 439 BGB) in Verzug befindet und dem Käufer hierdurch ein Schaden entstanden ist.1052 Unter diesen Verzögerungsschaden – der nach h.L.1053 unmittelbar nach § 280 I BGB zu ersetzen ist – fallen insbesondere der aus einem Mangel entstandene Nutzungsausfallschaden und die Kosten der Rechtsverfolgung, die beim Käufer wegen der Geltendmachung des Nacherfüllungsanspruchs aufgelaufen sind.1054 Der Verzug mit der Nacherfüllung setzt jedoch eine fortbestehende Leistungspflicht des Verkäufers voraus, sodass der Anspruch nicht entsteht bzw. ab dem Moment wegfällt, ab dem der Verkäufer aus einem beliebigen Grund nicht bzw. nicht mehr zur Nacherfüllung verpflichtet ist.1055 Überdies kann der Käufer nach § 280 I BGB seinen Mangelfolgeschaden ersetzt verlangen. Das ist der Schaden, der ihm infolge der Mangelhaftigkeit der Kaufsache an seinen übrigen Rechtsgütern entstanden ist.1056 Baut also der Käufer eine mangelhafte Sache in eine 1049
Vgl. dazu auch Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 116 ff. 1050 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 13; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 117. 1051 BT-Drucks. 14/6040, S. 135; Canaris, DB 2001, 1815, 1816 f.; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 15; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 28; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 33. 1052 PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 7; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 117. 1053 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 437 Rn. 67; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 32; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2501; ders., NJW 2005, 1889, 1891; Canaris, ZIP 2003, 321, 323 ff., 326 f.; Ebert, NJW 2004, 1761, 1762; Medicus, JuS 2003, 521, 528; Schroeter, AcP 207 (2007), 28, 54; zu den abweichenden, aber in sich unterschiedlichen Minderansichten siehe PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 32. 1054 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 117. 1055 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 118. 1056 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 15; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 33; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 28; Börner, ZIP 2001, 2264; Brüggemeier, WM 2002, 1376, 1382.
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andere ein und wird diese infolge der Fehlerhaftigkeit des eingebauten Teiles unbrauchbar bzw. beschädigt, so kann der Käufer auch diesen „Folgeschaden“ liquidieren. Bedeutsam ist, dass bei jeder Anknüpfung an § 280 I, II BGB ein Vertretenmüssen des Verkäufers (vgl. dazu §§ 276, 278 BGB) an der Herbeiführung des Schadens nötig ist, allerdings kehrt § 280 I 2 BGB die Beweislast um. Ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung kann sich aus den in § 437 Nr. 3 BGB genannten Anspruchsgrundlagen gemäß den §§ 280 III, 281, 283 und 311a II BGB ergeben. Hierbei konkretisieren die §§ 434 I, 435 BGB das Merkmal „nicht wie geschuldet“ in § 281 I 3 BGB, ggf. i.V.m. den §§ 283 S. 2, 311a II 3 BGB. Durch den Schadensersatz statt der Leistung wird dem Bedürfnis des Käufers entsprochen, der kein Interesse mehr an der Erbringung der Leistung hat und seinen gesamten Schaden ersetzt verlangt.1057 Differenziert zu beurteilen ist das Verhältnis des Schadensersatzanspruches zum Rücktrittsrecht. Aus § 325 BGB ergibt sich, dass der Käufer auch dann noch Schadensersatz statt der Leistung beanspruchen kann, wenn er bereits von dem Kaufvertrag zurückgetreten ist. Diese Kombination aus Rücktritt und Schadensersatz darf allerdings nicht zu einem unangemessenen Vorteil des Käufers führen, sodass z.B. ein auf Grund des Rücktritts nach § 346 I BGB zurückzugewährender Kaufpreis von der Schadenssumme abzuziehen ist,1058 sofern beide Rechte geltend gemacht werden. Beansprucht der Käufer Schadensersatz statt der ganzen Leistung, dann ist in diesem Begehren neben dem Anspruch auf Schadensersatz auch ein Rücktritt enthalten. In diesem Fall ist der Käufer nach § 281 V BGB (ggf. i.V.m. §§ 283 S. 2, 311a II 3 BGB) dazu verpflichtet, den mangelhaften Gegenstand dem Verkäufer nach Maßgabe der §§ 346 ff. BGB zurückzugewähren, wobei hinsichtlich des Nutzungs- und Wertersatzes der neue § 474 II 1 BGB zu berücksichtigen ist. Macht der Käufer von seinem Recht auf Schadensersatz statt der Leistung Gebrauch, ist der Anspruch auf Nacherfüllung gemäß § 281 IV BGB ausgeschlossen.1059 (b.) Nachfristsetzung und Fristverstreichung Fraglich ist im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen, ob und wann eine Nachfristsetzung für den primären Nacherfüllungsanspruch zu fordern ist. Hier gilt es ebenfalls abzuschichten. War der Verkäufer von seiner Pflicht zur mangelfreien Leistung bzw. zur Nachleistung gemäß § 275 BGB anfänglich oder auf Grund eines nach Vertragsschluss eintretenden Umstandes befreit, so kann der Käufer nach Maßgabe der §§ 311a II, 283 BGB sofort Schadensersatz statt der Leistung verlangen.1060 Das Gleiche – die Freistellung von der Pflicht zur Nachfristsetzung – ist auch im Fall des Mangelfolgeschadens, der nach § 280 I BGB zu 1057 1058 1059 1060
Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 135; Canaris, JZ 2001, 499, 512. Canaris, JZ 2001, 499, 514. Vgl. dazu BT-Drucks. 14/6040, S. 140 f. Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 14.
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liquidieren ist, zu konstatieren.1061 In diesen Konstellationen liefe eine Nachfristsetzung nämlich ins Leere.1062 Kommt hingegen eine Nacherfüllung i.S.d. § 439 I BGB in Betracht, so ist das Recht auf Ersatz des Erfüllungsinteresses genauso subsidiär wie das Recht auf Rücktritt und Minderung. Gemäß § 281 I 1 BGB kann der Schadensersatz statt der Leistung daher in diesem Fall erst nach erfolglosem Ablauf der Frist zur Nacherfüllung verlangt werden.1063 Hiervon machen nur die §§ 281 II, 440 BGB i.V.m. § 437 Nr. 3 BGB für die dort genannten Fälle Ausnahmen. (c.) Vertretenmüssen des Käufers Alle in § 437 Nr. 3 BGB genannten Schadensersatzansprüche setzen durch die Verweisung auf die Normen des Schuldrecht AT ein Vertretenmüssen der mangelhaften Lieferung als Pflichtverletzung durch den Verkäufer voraus (§ 280 I 2 BGB)1064 bzw. erfordern im Fall des bereits anfänglich – d.h. bei Vertragsschluss – vorhandenen und gemäß § 275 BGB nicht zu beseitigenden Mangels eine Kenntnis des Verkäufers oder ein Vertretenmüssen der Unkenntnis durch ihn (§ 311a II 2 BGB). Bzgl. § 280 I 2 BGB wird die Frage virulent, welcher Maßstab für die Exkulpationsmöglichkeit des Verkäufers heranzuziehen ist.1065 Das Gesetz gibt diesen selbst vor. Grundsätzlich hat der Verkäufer nach §§ 276 I 1, 278 S. 1 BGB eigenen Vorsatz und eigene Fahrlässigkeit sowie ein entsprechendes Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen zu vertreten.1066 Erfüllungsgehilfen des Verkäufers sind nach allgemeinen Grundsätzen all diejenigen Personen, die bei der Erfüllung der gegenüber dem Käufer bestehenden Verpflichtungen mit Willen des Verkäufers tätig werden.1067 (Hierzu gehört regelmäßig nicht der Hersteller, da die interne Beschaffung des Kaufgegenstandes durch den Verkäufer keine Pflicht gegenüber dem Kunden betrifft.1068) Soweit es im Kaufrecht infolge der Ausübung eines Gewährleistungsrechts um Schadensersatz statt der Leistung geht, ist weiter zu hinterfragen, auf welche Pflichtverletzung abgestellt werden soll: auf die ursprüngliche Schlechtleistung oder auf die Verletzung der Nacherfüllungspflicht. Hierbei gilt, dass bei behebbaren (nachträglichen) Mängeln der Bezugspunkt des subjektiven Vorwurfes 1061
Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 9 f. PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 28; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 280 Rn. 18; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 437 Rn. 34 f.; Heßeler/Kleinhenz, JuS 2007, 706, 708 f. 1063 PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 28. 1064 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 37; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 45. 1065 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 124 f. 1066 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 39. 1067 BGHZ 62, 119, 124. 1068 RGZ 101, 157, 158; BGH NJW-RR 1989, 1189, 1190; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 124. 1062
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die nicht erfüllte Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache ist. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass danach der Verkäufer schon Kenntnis oder Kennenmüssen vom Mangel der Sache bei der Ablieferung gehabt haben müsste.1069 Insofern ist aber darauf hinzuweisen, dass den Verkäufer im Grundsatz keine Pflicht zur Untersuchung des Kaufgegenstandes trifft.1070 Eine fahrlässige Verkennung des Mangels kann sich daher nur aus besonderen Umständen ergeben,1071 z.B. wenn auf Grund extremer Gefährlichkeit/Fehleranfälligkeit des Kaufgegenstandes ausnahmsweise eine Untersuchungspflicht des Verkäufers anzunehmen war oder sonstige besondere Anhaltspunkte für das Bestehen eines Mangels vorlagen.1072 Bei anfänglich nicht behebbaren Mängeln, die nach § 437 Nr. 3 i.V.m. § 311a BGB zu behandeln sind, kommt es darauf an, ob der Käufer den Mangel und dessen Unbehebbarkeit schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kannte.1073 Bei unbehebbaren Mängeln, die sich erst nach Vertragsschluss einstellen, soll der Bezugspunkt für die vorwerfbare Pflichtverletzung hingegen einzig die Unmöglichkeit der Nacherfüllung sein.1074 Eine Erweiterung der Verantwortlichkeit des Verkäufers über die Haftung für Fahrlässigkeit hinaus tritt gemäß § 276 I 1 BGB im Fall der Übernahme einer Garantie ein. Hat der Verkäufer eine solche abgegeben, so haftet er verschuldensunabhängig für den aus diesen Mängeln entstandenen Schaden, denn in diesem Fall liegt in dem Garantieversprechen, dem nicht entsprochen wurde, sein „Vertretenmüssen“. Das Vorliegen oder Fehlen einer Garantie ist aus den Vertragserklärungen der Parteien zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB. Inhaltlich muss sich aus der getroffenen Abrede – soll sie als Garantie gewertet werden – nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte (ggf. auch aus einem Handelsbrauch nach § 346 HGB) ableiten lassen, dass der Verkäufer für die Abwesenheit des betreffenden Mangels unbedingt einstehen will.1075 Notwendig ist damit ein erkennbar gewordener entsprechender Verpflichtungswille.1076 1069
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 39. BGH NJW 1981, 1269, 1270; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 50; Oetker/ Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 124. 1071 PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 437 Rn. 50; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 28 ff.; Stoppel, ZGS 2006, 49 ff. 1072 RGZ 125, 76, 78; BGHZ 74, 383, 388; BGHZ 74, 383, 392; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 124. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 39, nennt noch die besondere Sachkunde des Käufers und die ggf. bestehende Hochpreisigkeit des Produkts (in Abgrenzung des entsprechenden Händlers zum DiscountVerkäufer) als maßgebliche Gründe für die Annahme einer Untersuchungspflicht, was mir jedoch zu undifferenziert und exzessiv erscheint. 1073 Lorenz, NJW 2002, 2497 ff. 1074 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 39; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2501. 1075 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 125. 1076 Da das Äquivalent für eine auf Freiheit von Sachmängeln bezogene Beschaffenheitsgarantie im früheren Kaufrecht eine sog. „Eigenschaftszusicherung“ i.S.d. § 459 a.F. BGB 1070
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Auf Grund der verschuldensunabhängigen Haftungsfolge ist bei der Annahme von (konkludenten) Garantien jedoch Zurückhaltung geboten.1077 Denknotwendig muss der Inhalt der betreffenden Vereinbarung über die Festlegung des Maßstabes der Vertragsgemäßheit der Sache i.S.d. §§ 434, 435 BGB hinausgehen.1078 Allgemeine Anpreisungen begründen deshalb ebenso wenig eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht1079 wie bloße Warenbezeichnungen.1080 Nur für die besondere Sparte des Gebrauchtwagenhandels stellte die Rechtsprechung schon in der Vergangenheit keine besonders hohen Anforderungen an die Garantieerklärung. Hier ging man schon nach altem Schuldrecht relativ schnell von einer „zugesicherten Eigenschaft“ aus, falls Beschreibungen abgegeben wurden. So wurde etwa ein Einstandswille des Verkäufers für schadensstiftende Mängel bei der Angabe, das Fahrzeug sei „fahrbereit“, bejaht. (d.) Rechtsfolgen Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruches bemessen sich nach §§ 249 ff. BGB. Ein Mitverschulden des Käufers ist gemäß § 254 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Verlangt der Käufer Schadensersatz statt der Leistung, steht ihm grundsätzlich die Wahl zwischen dem „kleinen“ und „großen“ Schadensersatz zu.1081 Beim kleinen Schadensersatz behält der Käufer die mangelhafte Sache und verlangt nur den Differenzbetrag in Bezug auf den Zustand, der bei ordnungsgemäßer Erfüllung eingetreten wäre. Beim großen Schadensersatz gibt der Käufer die mangelhafte Sache zurück und fordert den Ersatz sämtlicher Schäden, die ihm auf Grund der Nichtdurchführung des Vertrages entstanden sind. (5.) Sekundär: Aufwendungsersatzanspruch Nach § 437 Nr. 3 Alt. 2 BGB i.V.m. § 284 BGB kann der Käufer an Stelle des Schadensersatzes statt der Leistung auch Ersatz von vergeblichen („frustrierten“) Aufwendungen verlangen. Dieser Anspruch wurde im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung neu in das Gesetz eingefügt. (a.) Inhalt und Ausübung Erfasst sind vom Begriff der „vergeblichen Aufwendungen“ freiwillige Vermögensdispositionen, welche im Vertrauen auf eine mangelfreie Sache vorgenommen wurden, wenn und soweit sie sich infolge der Mangelhaftigkeit der Sache war (vgl. dazu Brambring, DNotZ 2001, 590, 602; Westermann, JZ 2001, 530, 534), spricht auch die Verwendung des Begriffes „Zusicherung“ durch die Parteien für einen unbedingten Einstandswillen des Verkäufers. 1077 RGZ 161, 330, 337; BGHZ 128, 111, 114; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 39. 1078 BGHZ 128, 111, 114. 1079 BGHZ 48, 118, 122. 1080 BGH BB 1958, 284. 1081 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 43.
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ganz oder auch nur teilweise als nutzlos, d.h. fehlinvestiert, erwiesen haben.1082 Erforderlich ist nach § 284 S. 1 BGB, dass die freiwillig getätigten Vermögensopfer „nachvollziehbar“ sind. Es werden nämlich nur solche Aufwendungen ersetzt, die der Käufer billigerweise machen durfte. Hinsichtlich der subjektiven Voraussetzung seitens des Käufers („Aufwendungen im Vertrauen auf die Mangelfreiheit der Sache“), kommt es darauf an, dass der Käufer an den Bestand des Kaufvertrages und den Behalt der Kaufsache wegen Nichterkennens des Mangels glaubte.1083 Der Anspruch auf Aufwendungsersatz ist nach § 284 S. 2 BGB dann ausgeschlossen, wenn der Zweck auch bei Mangelfreiheit der Sache bzw. bei ordnungsgemäßer Nacherfüllung verfehlt worden wäre. Das Recht zum Aufwendungsersatz steht dem Käufer nach § 437 Nr. 3 Alt. 2 BGB i.Ü. generell nur „anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“ zu. Deshalb müssen zu seiner Geltendmachung auch die zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 281–283 BGB oder des § 311a II BGB gegeben sein.1084 Dementsprechend sind grundsätzlich eine Nachfristsetzung und ein Vertretenmüssen (Verschulden)1085 des Verkäufers erforderlich.1086 (b.) Rechtsfolge Zu den freiwilligen Vermögensdispositionen, die der Käufer billigerweise machen durfte und die er im Vertrauen auf den Bestand des Kaufvertrages getätigt hat, gehören als erstattungsfähige Posten regelmäßig die Kosten der Eingehung von Verbindlichkeiten1087 wie Vertragsaufwendungen1088 (insbesondere Lieferund Installationskosten,1089 Makler-, Anwalts- und Notargebühren) und sonstige Finanzierungskosten.1090 (6.) Kein Recht zur Selbstvornahme Weitere Gewährleistungsrechte als die in § 437 BGB genannten stehen dem Käufer nicht zur Verfügung. Insbesondere wird dem Käufer – anders als im Werkvertragsrecht (vgl. § 637 BGB) – kein Recht auf Selbstvornahme eingeräumt.1091 Ent1082 BGH NJW 2005, 2848; Canaris, DB 2001, 1815, 1820; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 437 Rn. 41. 1083 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 284 Rn. 6. 1084 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 27; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 13; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 45; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 437 Rn. 42. 1085 Anders noch § 467 S. 2 BGB a.F. 1086 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 437 Rn. 27; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 45; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 48. 1087 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 284 Rn. 5. 1088 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 15. 1089 Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 284 Rn. 5. 1090 BT-Drucks. 14/6040, S. 225. 1091 LG Gießen ZGS 2004, 238, 240; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 16; Tiedtke, JZ 2008, 395, 401; MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 437 Rn. 9; Dauner-Lieb/ Dötsch, ZGS 2003, 250.
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gegen der h.M. zum früheren Recht kann die Parallelvorschrift aus dem Werkvertragsrecht heute nicht mehr analog angewendet werden.1092 Ebenso scheidet ein Ersatz der Selbstvornahmekosten über das allgemeine Bereicherungsrecht aus.1093 Der Wert der vom Verkäufer infolge der Selbstvornahme ersparten Aufwendungen ist auch nicht über § 326 II 2 BGB1094 oder eine analoge Anwendung des § 684 BGB1095 erstattungsfähig.1096 ff. Ausschluss oder Beschränkung der Verkäuferpflichten Einschränkungen erfährt die Pflicht des Verkäufers zur Verschaffung einer von Sach- und Rechtsmängeln freien Kaufsache insbesondere nach § 442 BGB oder auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung.1097 Im Handelsverkehr kann sich eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Käufers zudem aus einer Versäumung der Rügeobliegenheit (§ 377 HGB) ergeben. Bei einem Verkauf im Rahmen der Zwangsvollstreckung wird schließlich nach den §§ 806 ZPO, 56 S. 3 ZVG keine Mangelfreiheit geschuldet. Beim Verkauf eines Pfandes in einer öffentlichen Versteigerung außerhalb der Zwangsvollstreckung bestehen Rechte des Käufers wegen Mangels nach § 445 BGB zudem nur bei Arglist oder Garantieübernahme seitens des Verkäufers. (1.) Gesetzlicher Ausschluss: Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis Nach § 442 I 1 BGB sind die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen, wenn dieser den Mangel bei Abschluss des Vertrages positiv kennt. Der Käufer ist hier nicht schutzwürdig.1098 Gleiches gilt gemäß § 442 I 2 BGB, wenn dem Käufer das Vorhandensein des Mangels im Zeitpunkt des Vertragsschlusses infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist und der Verkäufer den Mangel weder arglistig verschwiegen noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Ein arglistiges Verschweigen des Mangels liegt vor, wenn der Verkäufer zumindest bedingt vorsätzlich sowohl mit dem Vorliegen des Mangels als auch der Erheblichkeit desselben für die Kaufentscheidung des Käufers und dessen Unkenntnis von diesem rechnet, ohne dass es einer Schädigungsabsicht bedarf.1099 Diese Voraussetzung erfüllen auch Behauptungen „ins 1092
BT-Drucks. 14/6040, S. 229; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 31. Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 16. 1094 So aber Ebert, NJW 2004, 1761, 1763; Lorenz, NJW 2003, 1417, 1419; Katzenstein, ZGS 2004, 300. 1095 Dafür Oechsler, NJW 2004, 1825, 1826. 1096 BGH NJW 2005, 1348, 1349; Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 16. 1097 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 5. 1098 Z.T. wird die Ratio des § 442 BGB im Verbot des widersprüchlichen Verhaltens gesehen, so etwa Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 46. Z.T. wird der Regelungsgrund an der Minimierung der Transaktionskosten durch Vermeidung unnötiger Streitigkeiten festgemacht, vgl. dazu, den Streit aber offen lassend, BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 433 Rn. 43. 1099 BGHZ 117, 363, 368; BGH NJW 1995, 1549, 1550. 1093
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Blaue hinein“, bei denen der Verkäufer Erklärungen über die Kaufsache ohne jegliche Informationsbasis abgibt.1100 Eine Garantie für die Beschaffenheit der Kaufsache setzt einen unbedingten Einstandswillen voraus. Für Rechtsmängel trifft § 442 II BGB eine besondere Regelung. (2.) Individualvertragliche Beschränkung/Ausschluss Die Gewährleistungsansprüche des Käufers für Mängel der Kaufsache können nicht nur durch gesetzliche Vorgaben, sondern auch auf Grund von vertraglichen Vereinbarungen beschränkt werden.1101 Dies folgt aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit,1102 den der Gesetzgeber nur in bestimmten Konstellationen durch gesetzliche Regelungen eingeengt hat. Hervorzuheben ist insoweit, dass die Pflicht des Verkäufers zu einer von Sach- und Rechtsmängeln freien Verschaffung des Kaufgegenstandes außerhalb des Anwendungsbereiches der Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474, 475 BGB) bis zur Grenze des §§ 138, 444 BGB (Arglist/Garantieübernahme seitens des Verkäufers) grundsätzlich abbedungen werden kann. Wurde die Erfüllungspflicht des Verkäufers in Bezug auf die Freiheit von Sach- und Rechtsmängeln wirksam ausgeschlossen oder begrenzt, so führt dies auch dazu, dass an eine Verletzung der Pflicht aus § 433 I 2 BGB anknüpfende sekundäre Rechtsbehelfe des § 437 BGB in dem entsprechenden Umfang ausgeschlossen sind.1103 (3.) Beschränkung/Ausschluss in AGB-Form Jenseits der strikteren Vorschriften der §§ 474, 475 BGB, die für den Verbrauchsgüterkauf gelten, enthalten die gesetzlichen Reglementierungen zu AGB Vorgaben zur zulässigen Reichweite von Gewährleistungsbeschränkungen und -ausschlüssen. Systematisch wird dabei nach Gewährleistungsbeschränkungen und -ausschlüssen für neu hergestellte und gebrauchte Sachen differenziert. Für den Verkauf neu hergestellter Sachen stellt § 309 Nr. 8b BGB eine Reihe von detaillierten Vorgaben für die Zulässigkeit von Modifizierungen des gesetzlichen Gewährleistungssystems auf. Dabei gilt eine Sache als „neu hergestellt“, solange sie noch nicht ihrer Bestimmung1104 gemäß verwendet wurde.1105 Weil § 309 BGB jedoch nach § 310 I 1 BGB keine direkte Anwendung auf AGB findet, die gegenüber einem Unternehmer verwendet werden und da die §§ 474, 475 BGB beim Kauf eines Verbrauchers von einem Unternehmer ohnehin (strengere) zwingende Regelungen treffen, ist der Anwendungsbereich etwa des § 309 1100
BGHZ 63, 382, 388. Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 437 Rn. 1. 1102 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 47. 1103 BGHZ 47, 312, 318. 1104 BGH WM 1985, 1146; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 309 Rn. 30. 1105 Auch ein Tier kann unter Nr. 8b fallen (vgl. OLG Düsseldorf ZGS 2004, 271; str.). Ob ein Tier „neu“ ist, bestimmt sich nach der seit seiner Geburt verstrichenen Zeitspanne, auf Grund der es nach der Verkehrsanschauung nicht mehr als neu angesehen wird (i.d.R. nur wenige Wochen oder Monate), vgl. Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl., 2007), § 309 Rn. 30. 1101
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Nr. 8b BGB im Kaufrecht verschwindend gering.1106 Es verbleibt für die Heranziehung des § 309 Nr. 8b BGB nur der eher seltene Fall eines Kaufvertrages über neu hergestellte Sachen, der zwischen zwei Verbrauchern geschlossen wird (die aber wohl selten AGB verwenden werden). Bei einem Kaufvertrag zwischen Unternehmern können allerdings die in § 309 Nr. 8b BGB zum Ausdruck kommenden Wertungen auch mittelbar bzgl. § 307 I BGB in Ansatz gebracht werden, und zwar insofern als sie auf eine unangemessene Benachteiligung des Käufers hindeuten,1107 sodass sich hierüber doch noch eine gewisse „Anwendungsspanne“ für die entsprechenden normativen Vorgaben eröffnet.1108 Bei einem Kaufvertrag über gebrauchte Sachen ist die Verwendung von AGB i.Ü. in weitem Maße zulässig, weil dies einem legitimen Verkäuferinteresse entspricht.1109 § 433 I 2 BGB stellt insoweit für den Kauf gebrauchter Sachen keinen wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung i.S.d. § 307 II Nr. 1 BGB dar.1110 (4.) Einschränkung der Mangelhaftung im Pfandkauf Im Bereich des Pfandkaufes ist die Haftung des Verkäufers für Mängel der Kaufsache nach § 445 BGB eingeschränkt. Ein Wegfall der Gewährleistungsansprüche ergibt sich beim Handelskauf außerdem bei ausbleibender unverzüglicher Rüge in Bezug auf einen nicht versteckten und daher bei Untersuchung potentiell erkennbaren Mangel, § 377 HGB. gg. Erweiterung der Verkäuferpflichten wegen einer Beschaffenheitsoder Haltbarkeitsgarantie Den Parteien des Kaufvertrages ist es in den Grenzen des zwingenden Gesetzes unbelassen, die Pflichten des Verkäufers1111 nicht nur einzuschränken, sondern sie über eine Beschaffenheits- und/oder Haltbarkeitsgarantie1112 auszudehnen. Tatbestand und Rechtsfolgen solcher Garantieversprechen des Verkäufers regelt § 443 BGB. Welche Bedeutung dem Begriff der „Garantie“ in § 443 BGB zufällt, ist noch nicht eindeutig geklärt. Es herrscht in der Literatur insbesondere da1106
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 47. Jauernig/Stadler (12. Aufl., 2007), § 309 Rn. 11; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 47. 1108 BT-Drucks. 14/6040, S. 157. 1109 BGHZ 74, 383, 386 ff. 1110 Kesseler, ZRP 2001, 70 f.; Reinking, DAR 2001, 8, 9. 1111 Abzugrenzen ist insoweit die Garantieerklärung des Verkäufers von der des Herstellers. 1112 Von den in § 434 BGB aufgezählten Formen unselbständiger Garantien, welche die kaufvertraglichen Rechte des Käufers im Hinblick auf eine bestimmte Beschaffenheit der Kaufsache erweitern, ist der sog. selbständige Garantievertrag mit dem Verkäufer zu unterscheiden. Letzterer enthält eine Einstandspflicht des Verkäufers für einen weitergehenden Erfolg, z.B. für den durch den Betrieb einer Anlage erzielbaren Jahresverdienst (vgl. dazu RG JW 1919, 241). 1107
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rüber Streit, in welchem Verhältnis der Garantiebegriff zu §§ 276, 442, 444 BGB steht.1113 Vorzugswürdig ist es wohl, auf Grund der aus § 443 BGB folgenden unbeschränkten Einstandspflicht des Garantiegebers, an die Abgabe der Garantieerklärung erhöhte Anforderungen zu stellen. Bei einer Beschaffenheitsgarantie i.S.d. § 443 I Alt. 1 BGB entspricht die Erklärung des Verkäufers einer Eigenschaftszusicherung nach altem Recht.1114 Damit übernimmt der Verkäufer eine Garantie (d.h. ein verpflichtendes Versprechen)1115 dafür, dass der Kaufgegenstand in dem für die Bestimmung eines Mangels maßgeblichen Zeitpunkt bestimmte Merkmale aufweist. Diese Erklärung geht über eine bloße Vereinbarung der vertragsgemäßen Beschaffenheit hinaus, da sich der Verkäufer damit zugleich verpflichtet, im Fall des Nichtvorhandenseins des betreffenden Merkmals verschuldensunabhängig auf Schadensersatz zu haften (Vertretenmüssen i.S.d. § 276 I 1 BGB).1116 Günstiger als eine einfache Beschaffenheitsvereinbarung ist die Beschaffenheitsgarantie für den Käufer auch deshalb, weil er nach § 442 I BGB Rechte wegen eines von der Garantie erfassten Mangels selbst dann geltend machen kann, wenn ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist; eine Haftungsbeschränkung ist in diesem Fall nach § 444 BGB nicht möglich. Die Frage, ob die Laufleistung eines gebrauchten Kfz oder der Stromverbrauch eines Geräts lediglich als Beschaffenheitsangabe oder als Beschaffenheitsgarantie zu werten ist, ist nach Auffassung des BGH grundsätzlich nach Auslegung der Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden. Hierbei spielt eine Rolle, ob der Verkäufer ein professioneller Händler oder eine Privatperson ist. Der Händler wolle sich für die Kilometer- bzw. Stromangabe etc. regelmäßig „stark machen“, diese also garantieren. Bei einem Privatkauf seien Angaben zur Laufleistung eines gebrauchten Motorrades1117/Kfz1118, die Fahrbereitschaft eines Gebrauchtfahrzeugs1119 oder der Stromverbrauch grundsätzlich nur als Beschaffenheitsangaben zu werten. Demgegenüber hat eine Haltbarkeitsgarantie i.S.d. § 443 I Alt. 2 BGB zum Inhalt, dass die Kaufsache eine bestimmte Beschaffenheit über den für die Bestimmung eines Mangels maßgeblichen Zeitpunkt hinaus behält und der Käufer bestimmte, in der Vereinbarung festgelegte Rechte (etwa ein Rücktrittsrecht oder
1113
Vgl. zum Streit Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 53. BGH BB 2007, 573, 577; für ein viel weiteres Garantieverständnis offenbar Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 53. 1115 MüKo/Westermann (5. Aufl., 2008), § 443 Rn. 3 ff. 1116 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 443 Rn. 3; Tiedtke, JZ 2008, 452, 456. 1117 BGH BB 2007, 573. 1118 Tiedtke, JZ 2008, 452, 456. 1119 BGH NJW 2007, 759. 1114
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einen Anspruch auf Nacherfüllung) haben soll, wenn die Beschaffenheit vor der besagten Frist wegfällt, ohne dass dies auf einer äußeren Einwirkung beruhe. Die Aussage des § 443 I BGB für die Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantie, deren Abgabe dem Verkäufer/Hersteller oder Dritten freistehen, geht nur dahin, deklaratorisch festzustellen, dass dem Käufer die Rechte aus der Garantie zu den in der Garantieerklärung (und der Werbung) angegebenen Bedingungen zustehen. Diese Aussage ist deshalb lediglich rechtsbezeugend, weil sie die in der Garantieerklärung gewährten Rechte betrifft, deren Rechtsgrund nicht in § 443 I BGB, sondern in der Garantieerklärung und damit in einem Vertrag sui generis selbst liegen.1120 Wichtig in Bezug auf die Haltbarkeitsgarantie ist allerdings die Aussage des § 443 II BGB, bei ihr werde vermutet, dass ein während der Geltungsdauer auftretender Sachmangel die Rechte aus der Garantie begründet. Der Garant hat die durch § 443 II BGB getroffene Vermutung zu widerlegen, etwa durch den Beweis, dass der Käufer die Kaufsache unsachgemäß behandelt oder ein Dritter die Beschädigung vorgenommen hat.1121 hh. Verjährung der Rechte des Käufers wegen Mangels § 438 BGB trifft besondere Regelungen für die Verjährung der in § 437 BGB genannten Ansprüche und Gestaltungsrechte des Käufers wegen einer mangelhaften Leistung oder einer nach § 434 III BGB gleichgestellten Pflichtverletzung. Bei der Reichweite der speziellen Verjährungsbestimmung des § 438 BGB ist zu berücksichtigen, dass sich die Verjährung vor der „Lieferung“ des Kaufgegenstandes noch nicht nach § 438 BGB, sondern nach den allgemeinen Regelungen der §§ 195, 218 BGB bemisst. Soweit jedoch die Gewährleistungsrechte nach § 437 BGB eingreifen, ist die Länge der Verjährungsfrist nach § 438 BGB abhängig von der Art des Mangels bzw. Kaufgegenstandes. Das Gesetz stellt hierfür ein differenziertes System auf. Die Regelungen zur Verjährung, die Rechte des Käufers gegen den Verkäufer wegen Mangels der Kaufsache undurchsetzbar machen, bringen das Interesse des Käufers an einer mangelfreien Leistung mit dem Bedürfnis des Verkäufers, nicht übermäßig lange mit einer Verpflichtung wegen Gewährleistung nach § 437 BGB haften zu müssen, zum Ausgleich.1122 Sie dienen damit der Rechtssicherheit. (1.) Allgemeines Die Verjährungsfristen i.S.d. allgemeinen Regel des § 194 I BGB gelten unmittelbar nur für die in § 437 Nr. 1 und 3 BGB aufgezählten Ansprüche (Nacherfüllung, Schadensersatz, Aufwendungsersatz). Für die in § 437 Nr. 2 BGB kodifizierten Gestaltungsrechte (Rücktritt, Minderung) verweist § 438 IV 1, V BGB auf § 218 BGB. Nach § 218 I 1 BGB ist die Ausübung des jeweiligen Gestaltungs1120 1121 1122
BT-Drucks. 14/6040, S. 238. Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 443 Rn. 15. BT-Drucks. 14/6040, S. 228 f.; Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 962.
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rechts unwirksam, wenn der Anspruch auf die zugrunde liegende Leistung (hier: der Anspruch auf Nacherfüllung gemäß § 439 I BGB) verjährt ist und der Schuldner (Verkäufer) sich auf diese Verjährung beruft. § 218 I 2 BGB regelt ergänzend, dass die Ausübung des Rücktritts oder der Minderung (§ 438 V BGB) auch dann unwirksam ist, wenn eine Nacherfüllung gemäß §§ 275, 439 III BGB nicht geleistet werden muss, aber ein unterstellter Nacherfüllungsanspruch nach Maßgabe des § 438 BGB verjährt wäre. (2.) Länge der Verjährungsfristen Eine Frist von 30 Jahren besteht für die Verjährung, wenn der Mangel in einem dinglichen Recht des Dritten zum Ausdruck kommt, auf Grund dessen Herausgabe der Kaufsache verlangt werden kann (§ 438 I Nr. 1a BGB) oder wenn der Mangel in einem sonstigen Recht zu Tage tritt, das in das Grundbuch eingetragen ist (§ 438 I Nr. 1b BGB). Angesprochen sind damit Mängel i.S.v. Mobiliarpfandrechten, Grundpfandrechten (Hypotheken, Grundschulden), Grunddienstbarkeiten etc.1123 Die lange Verjährungsfrist von 30 Jahren trägt dem Umstand Rechnung, dass Ansprüche aus derartigen dinglichen Rechten nach § 197 I Nr. 1 BGB selbst erst in 30 Jahren verjähren und Ansprüche aus im Grundbuch eingetragenen Rechten nach § 902 BGB gänzlich der Verjährung entzogen sind.1124 Eine Verjährung in fünf Jahren schreibt § 438 I Nr. 2a BGB für Mängel bei einem Bauwerk vor. Gleiches gilt für Mängel solcher Sachen, die entsprechend ihrer üblichen Verwendungsweise für ein Bauwerk eingesetzt worden sind – insbesondere Baumaterial – und die dessen Mangelhaftigkeit verursacht haben (§ 438 I Nr. 2b BGB). Als „Bauwerk“ ist dabei die Neuerrichtung einer in Verbindung mit dem Erdboden hergestellten unbeweglichen Sache bzw. eine Erneuerungsoder Umbauarbeit an einer solchen Sache zu verstehen, wenn diese für den Bestand oder die Benutzbarkeit des Gebäudes von wesentlicher Bedeutung ist. Die an das Werkvertragsrecht angepasste, relativ lange Verjährung rechtfertigt sich dadurch, dass sich einerseits Mängel in Bezug auf ein Bauwerk häufig erst in größerem zeitlichen Abstand zeigen und andererseits ein effektiver Regress von Bauhandwerkern, die für den Einbau fehlerhaften Materials nach den §§ 634, 634a I Nr. 2 BGB fünf Jahre lang einzustehen haben, gegenüber ihren Lieferanten sichergestellt sein muss.1125 In allen übrigen Fällen, insbesondere bei mangelhaften beweglichen Sachen, gilt gemäß § 438 I Nr. 3 BGB eine zweijährige Verjährungsfrist. Bei einem Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB) entspricht diese Festlegung den Mindestvorgaben in Art. 5 I der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.
1123 1124 1125
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 129. BT-Drucks. 14/6040, S. 227. BT-Drucks. 14/6040, S. 227.
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b. Besonderheiten des neuen Verbrauchsgüterkaufrechts gemäß §§ 474 ff. BGB Eine besondere Form des Kaufvertrages ist im Rahmen der Schuldrechtsreform als Annex zu den allgemeinen Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB in die §§ 474– 479 BGB eingefügt worden. Es handelt sich um den Verbrauchsgüterkauf, der in weiten Teilen auf die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zurückzuführen ist. Wesentliche Bestimmungen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sind vom deutschen Gesetzgeber mit der Schuldrechtsmodernisierung in die allgemeinen Vorschriften (§§ 433–453 BGB) und in die Leistungsstörungsvorschriften des Allgemeinen Schuldrechts integriert worden, andere fanden gemäß §§ 474 ff. BGB Berücksichtigung.1126 Die Regelungen im Untertitel 3 zum Verbrauchsgüterkauf sind wegen der „aufgespaltenen“ Überführung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in das BGB im Zusammenhang mit den sonstigen, insbesondere im Allgemeinen Schuldrecht enthaltenen Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers zu sehen und zu interpretieren.1127 Gerade sie legitimieren es, auch das Kaufrecht in weiten Teilen (d.h. auch hinausgehend über §§ 474 ff. BGB) als vertragsspezifisches Verbraucherrecht zu begreifen. Von besonderer Bedeutung im Bereich der §§ 474 ff. BGB ist etwa der grundsätzliche Ausschluss einer Disposition über die Gewährleistungsregeln zu Lasten des Käufers (=Verbrauchers), vgl. § 475 I BGB. Überdies legt § 474 II 2 BGB fest, dass die Regelung zum Gefahrübergang beim Versendungskauf (§ 447 BGB) im Verbrauchsgüterkauf keine Anwendung findet; aus § 476 BGB folgt sodann eine Umkehr der Beweislast. aa. Persönlicher Anwendungsbereich Entgegen dem eigentlichen Wortverständnis der Abschnittsüberschrift „Verbrauchsgüterkauf“ liegt den §§ 474–479 BGB kein objektives System zu Grunde, das an den Kauf von „Verbrauchsgütern“ anknüpft. Vielmehr rekurrieren die Regelungen zum Verbrauchsgüterkauf – wie auch das sonstige Verbraucherrecht – auf ein subjektives System,1128 das auf die Parteien des Vertrages abzielt.1129 Nach der Legaldefinition des Verbrauchsgüterkaufs in § 474 I 1 BGB muss es sich bei dem personalen Beziehungsgeflecht, das von §§ 474 ff. BGB erfasst wird, um einen Vertrag handeln, bei dem der Käufer ein Verbraucher i.S.d. § 13 BGB und der Verkäufer ein Unternehmer i.S.d. § 14 BGB ist.1130 Dies entspricht im Wesentlichen den Vorgaben des Art. 1 II der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, wobei 1126 1127
Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 474 Rn. 2. So ausdrücklich Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007),
S. 201. 1128
Staudinger/Beckmann (2004), § 474 Rn. 1: „personaler Anknüpfungspunkt“. MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 1, bezeichnet die Regelung deshalb auch bezüglich der Wortwahl als missverständlich („Missgriff“). 1130 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 21. 1129
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zu beachten ist, dass der Verbraucherbegriff in § 13 BGB ein wenig weiter gesteckt ist als der europäische (er bezieht auch Arbeitnehmer, etwa beim Kauf von Berufskleidung ein1131).1132 Die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf finden in personaler Hinsicht – da der Verkäufer Unternehmer und der Käufer Verbraucher sein muss – keine Anwendung auf Kaufverträge unter Unternehmern (B2B), unter Verbrauchern (C2C)1133 sowie auf Kaufverträge, bei denen der Verbraucher etwas an den Unternehmer verkauft,1134 was insbesondere im Gebrauchtwagenhandel häufig bei der Inzahlungnahme eines Gebrauchtfahrzeuges vorkommt. § 474 I BGB setzt mit der Verweisung auf § 13 BGB voraus, dass der Kauf für den Käufer zu privaten Zwecken abgeschlossen wurde. Auf der Seite des Verkäufers ist demgegenüber ein Handeln in Erfüllung eines selbständigen gewerblichen/beruflichen Zweckes i.S.v. § 14 BGB erforderlich. Die jeweilige Zwecksetzung ist für die Subsumtion unter §§ 13, 14 BGB sowohl beim Verbraucher als auch beim Unternehmer objektiv1135 zu bestimmen. Dabei ist der Empfängerhorizont der jeweils anderen Vertragspartei zunächst unbeachtlich. Insofern muss der private oder selbständige berufliche/gewerbliche Vertragszweck der Vertragspartei (subjektiv) für den anderen nicht erkennbar gewesen sein. Andernfalls würde der von §§ 474 ff. BGB bezweckte unabdingbare Schutz der Verbraucher faktisch der Disposition der Parteien unterworfen.1136 Diese objektive Bestimmung des Handlungszwecks in den §§ 13, 14 BGB schließt eine Korrektur der Verbraucherschutznorm im Rechtsfolgenbereich durch ggf. kumulativ anwendbare andere Rechtsinstitute (wie die Rechtsscheinshaftung) nicht aus.1137 Dies ist gerade für den Fall zu betonen, dass diese Institute dem Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelung nicht entgegenstehen.1138 Sollte Letzteres jedoch der Fall sein, rechtfertigt sich eine Korrektur auch dann, wenn sie durch § 242 BGB veranlasst wird. Möglich ist dies etwa, 1131 Vgl. dazu meine früheren Ausführungen zum Verbraucherbegriff im 2. Teil, 1. Kapitel A III 3. 1132 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 2. Möglich wird die Abweichung durch das Mindeststandardprinzip. 1133 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 474 Rn. 2. 1134 Zu den ausgeschlossenen Konstellationen vgl. Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 3. 1135 OLG Düsseldorf ZGS 2006, 119, 120; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23; Müller, NJW 2003, 1975, 1976; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 474 Rn. 4; Herresthal, JZ 2006, 695, 697. 1136 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 474 Rn. 14; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23; Herresthal, JZ 2006, 695, 698; Schroeter, JuS 2006, 682, 683; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23 (sehr strittig); a.A. Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 3; Müller, NJW 2003, 1975, 1979; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2191. 1137 So eingehend und differenzierend Herresthal, JZ 2006, 695; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 23. 1138 Vgl. so schon die Ausführungen zu §§ 13, 14 BGB im 2. Teil, 1. Kapitel A III 2.
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wenn der Verbraucher bewusst eine Unternehmereigenschaft vortäuscht (was der Vertragspartner freilich zu beweisen hat). In diesem Fall ist der Scheinunternehmer nicht schutzbedürftig und wird wie ein Unternehmer zu behandeln sein.1139 Bei einer gemischten Zwecksetzung kommt es darauf an, welcher Zweck überwiegt.1140 Der Verkäufer muss gemäß § 14 BGB beim Verkauf in Ausübung eines gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zweckes handeln. Schwierig ist die Bestimmung, wer Verkäufer ist, beim Agenturvertrag, der im Kfz-Handel gebräuchlich ist. Ob der Händler, der im Namen des Eigentümers tätig wird, oder der Eigentümer Verkäufer ist, hängt entscheidend davon ab, wer das wirtschaftliche Risiko des Verkaufs trägt.1141 Ist das der Händler, kann ein Verbrauchsgüterkauf vorliegen,1142 und die Angabe, der Eigentümer sei Verkäufer, stellt eine Umgehung (§ 475 BGB) dar.1143 bb. Sachlicher Anwendungsbereich Der Gegenstand, den der Verbraucher vom Unternehmer erwirbt, muss, damit die den Verbraucher im Verhältnis zum Unternehmer privilegierenden1144 §§ 474 ff. BGB in sachlicher Hinsicht eingreifen, eine bewegliche Sache (§ 90 BGB) oder ein Tier (§ 90a BGB) betreffen. Die einschlägige Vorgabe aus der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie leitet sich aus Art. 1 II lit. b ab. Nicht vom Regelungsbereich der §§ 474 ff. BGB erfasst ist damit der Kauf von Grundstücken, von Rechten und sonstigen Kaufgegenständen (vgl. § 453 BGB) mit Ausnahme der Software.1145 Auch der Ankauf von Strom,1146 Wärme,1147 Gas1148 und Wasser ohne körper1139
BGH NJW 2005, 1045; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 3. Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 474 Rn. 4; vgl. dazu auch die Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel III 4 b dd. 1141 BGH NJW 2005, 1039; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 476 Rn. 6; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 474 Rn. 7; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 19. 1142 OLG Stuttgart, NJW 2004, 2169. 1143 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 474 Rn. 5a. 1144 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 475 Rn. 1. 1145 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 10. Standardsoftware wird von der Rechtsprechung (BGHZ 102, 135, 141; 109, 97, 100) und der h.M. (vgl. etwa Jauernig/Berger [12. Aufl., 2007], § 474 Rn. 4; Staudinger/Beckmann [2004], § 434 Rn. 13) unabhängig von der Art ihrer Übertragung, d.h. auch bei direktem Download von einem Datenträger des Verkäufers, als bewegliche Sache qualifiziert, wenn sie letztendlich zur Verkörperung auf einem Datenträger des Verbrauchers bestimmt ist. 1146 Für eine analoge Anwendung allerdings Erman/Grünewald (11. Aufl., 2004), § 474 Rn. 5; dagegen Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 4; Staudinger/Matusche-Beckmann (13. Aufl., 2004), § 474 Rn. 33. 1147 Im Ergebnis ebenso Begr. des RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 243 sowie BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 474 Rn. 11; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 474 Rn. 8a; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 4; a.A. Erman/Grünewald (11. Aufl., 2004). Richtigerweise ergibt sich der Ausschluss aus der Tatsache, dass Vertragsgegenstand die Lieferung von Fernwärmeenergie ist, der ebenso wie Elektrizität die in § 90 BGB vorausgesetzte Sacheigenschaft fehlt, so auch MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 10 Fn. 18. 1148 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 4. Gas und Wasser werden bereits durch 1140
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liche Begrenzung, fällt nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der §§ 474 ff. BGB.1149 § 474 I 2 BGB bestimmt überdies eine Bereichsausnahme für gebrauchte Sachen, die in einer öffentlichen Versteigerung (zum Begriff vgl. § 383 III BGB) verkauft werden, an der der Verbraucher persönlich teilnehmen kann. Gedacht ist hier seitens des Gesetzgebers an die öffentliche Versteigerung von Fundsachen durch Verkehrsbetriebe (§ 979 BGB)1150 oder an die Versteigerung nicht hinterlegungsfähiger Sachen (§ 383 BGB). Von praktischer Bedeutung ist der Ausnahmetatbestand aber auch bei Kunstauktionen.1151 Der Ausschluss rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass der öffentliche Versteigerer kein normaler Verkäufer mit einem entsprechenden logistischen Hintergrund ist und gebrauchte Sachen häufig Mängel aufweisen, wobei dieser Umstand durch den Erwerber in der Versteigerungssituation, die auf einen schnellen und unkomplizierten Warenumsatz ohne Rückgabemöglichkeit gerichtet ist, ggf. mit einem Sicherheitsabschlag zu bedenken ist. Da § 474 I 2 BGB voraussetzt, dass der Verbraucher persönlich (d.h. körperlich) an der Versteigerung teilnehmen kann, um die Sache in Augenschein zu nehmen, gilt diese Bereichsausnahme nicht für reine Internetauktionen; denn sie stellen keine echten Auktionen dar, sondern sind typischerweise auf normale Kaufverträge gerichtet.1152 Ob eine Sache gebraucht ist, bestimmt sich anhand objektiver Kriterien, insoweit ist insbesondere auf die Verkehrsauffassung abzustellen.1153 Eine eventuell getroffene subjektive Beschaffenheitsvereinbarung kann dieses objektiv zu bestimmende Tatbestandsmerkmal (gebraucht/nicht gebraucht) nicht unterminieren. Besonders schwierig gestaltet sich die Unterscheidung gebraucht/nicht gebraucht beim Tierkauf.1154 cc. Regelungsinhalt Die §§ 474 ff. BGB modifizieren in verschiedener Hinsicht das „normale“ Kaufrecht, so wie es in den §§ 433 ff. BGB verankert ist.1155 Die Regelungstechnik der §§ 474 ff. BGB läuft darauf hinaus, einzelne Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB für Art. 1 II lit. b der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, soweit sie nicht mengenmäßig abgefüllt sind, vom Anwendungsbereich der Regelungen ausgeschlossen. 1149 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 474 Rn. 11; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 474 Rn. 3. 1150 So auch Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 5. 1151 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 12. 1152 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 5. 1153 BGH NJW 2007, 674; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 6; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 15; a.A. unter Berufung auf die h.M. zu § 309 Nr. 8b BGB Reuter, ZGS 2005, 88, 90; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 475 Rn. 11; OLG Schleswig ZGS 2006, 277, 279; differenzierend Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 474 Rn. 44. 1154 Zu den verschiedenen Differenzierungsmodellen vgl. MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 16a. 1155 Ausführlich dazu Staudinger/Beckmann (2004), Vor. §§ 433 ff. Rn. 7.
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nicht anwendbar und wieder andere für zwingend zu erklären. Insoweit werden Ausschlüsse und Ausschlussverbote miteinander kombiniert. (1.) Nicht anwendbare Vorschriften Für nicht anwendbar werden etwa §§ 447, 445 BGB erklärt: (a.) Abbedingung des § 447 BGB Nach § 474 II BGB wird die Regelung des § 447 I BGB, die die Transportgefahr im Versendungskauf auf den Käufer verlagert, zugunsten des Verbrauchers abbedungen.1156 Das bedeutet, dass die Preisgefahr im Anwendungsbereich des Versendungskaufes erst auf den Käufer übergeht, wenn er die Sache erlangt hat (§ 446 S. 1 BGB) oder wenn er in Annahmeverzug gerät.1157 Der Ausschluss des § 447 BGB gründet sich auf die Überlegung, dass das Risiko des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung der Ware von der Vertragspartei getragen werden soll, die eher als die andere imstande ist, dieses Risiko abzuwenden bzw. zu verringern oder Vorsorge gegen die Schadensfolgen eines Untergangs oder einer Verschlechterung zu treffen.1158 Das ist regelmäßig der Verkäufer (Unternehmer), weil er über die Art und den Weg der Beförderung entscheidet, den Beförderer auswählen und die Ware auf Grund seiner Vertragsbeziehungen zu diesem noch während des Transports umdisponieren kann.1159 Obwohl diese Erwägungen über den Verbrauchsgüterkauf hinaus Geltung beanspruchen, wurde § 447 BGB auch mit Blick auf Art. 67 CISG nicht vollständig aufgehoben, sondern lediglich der Anwendungsbereich eingeschränkt.1160 Keine Auswirkungen hat die Nichtanwendbarkeit von § 447 BGB im Verbrauchsgüterkauf auf die Bestimmung des Leistungsortes nach § 269 BGB.1161 Bei Verbrauchsgüterkäufen ist daher nicht von vornherein von der Vereinbarung einer Bringschuld auszugehen.1162 Dieser Umstand hat zur Folge, dass die übrigen Wirkungen der Schickschuld – sofern nichts anderes geregelt ist – erhalten 1156 § 447 II BGB gilt als den Käufer begünstigende Bestimmung (über eine teleologische Reduktion des zu weit geratenen Ausschlusstatbestandes in § 475 BGB) auch beim Verbrauchsgüterkauf, vgl. insoweit die zutreffende Stellungnahme von Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 9. 1157 Die Rechtswirkung des § 447 BGB, der durch § 474 II BGB für unanwendbar erklärt wurde, kann wegen § 475 I 1 BGB auch nicht im Wege der vertraglichen Abrede wiederhergestellt werden, vgl. dazu Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 474 Rn. 6; a.A. Lorenz, ZGS 2003, 421, 423. 1158 BT-Drucks. 14/6040, S. 244; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 32; Staudinger/ Beckmann (2004), § 447 Rn. 2. 1159 In BT-Drucks. 14/6040, S. 244, wird verstärkend angeführt: I.Ü. entspricht es zumindest im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs einer „Verkehrsauffassung, dass die Ware im Falle ihrer Versendung auf Gefahr des Verkäufers reist“. 1160 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 474 Rn. 6. 1161 BGH NJW 2003, 3341, 3342; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 34. 1162 Hk-BGB/Saenger (5. Aufl., 2007), § 474 Rn. 6; Lorenz, ZGS 2003, 421, 422; a.A. Borges, DB 2004, 1855 ff.
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bleiben, sodass beispielsweise mit Absendung bei einem Gattungskauf die Konkretisierung nach § 243 II BGB eintritt und (weil der Verkäufer den Transport nicht als eigene Angelegenheit schuldet) ihm das Verschulden der eingeschalteten Hilfsperson nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden kann.1163 Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Abbedingung des § 447 BGB durch § 474 II BGB in autonomer Weise eine verbraucherrechtliche Privilegierung vorgenommen; autonom insoweit, als sie durch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht zwingend geboten war. Denn diese stellt es ausweislich des Erwägungsgrundes 14 den Mitgliedstaaten frei, ihr bisheriges Regelungssystem zum Gefahrübergang beizubehalten oder zu ändern.1164 (b.) Nichtanwendbarkeit des § 445 BGB Nach § 474 II BGB findet des Weiteren auch die Vorschrift des § 445 BGB über die Beschränkung der Rechte des Käufers bei einem Pfandverkauf in öffentlicher Versteigerung keine Anwendung auf den Verbrauchsgüterkauf. Eine Bedeutung erlangt diese Regelung im Hinblick auf § 474 I 2 BGB insbesondere für die Versteigerung neuer Sachen.1165 (2.) Ausschluss abweichender Vereinbarungen Im Gegenzug zu den oben genannten beiden Ausschlüssen aus dem Bereich der Regelungen des allgemeinen Kaufrechts werden andere Vorschriften durch § 475 BGB wiederum als zwingend postuliert und damit der Disposition der Parteien entzogen, um einen Nachteil des Verbrauchers zu verhindern. Die §§ 474 ff. BGB formen auf diese Weise ein flexibles System, das Verbraucherinteressen privilegiert, indem zugunsten des Verbrauchers privatautonome Absprachen weitgehend beschränkt werden.1166 (a.) Allgemeines § 475 BGB ist als eine der Kernvorschriften des Verbraucherschutzes im Kaufrecht zu sehen.1167 Gemäß des ersten Absatzes dieser Regelung kann sich der Unternehmer auf eine Vereinbarung, die vor Mitteilung eines Mangels an ihn in die Wege geleitet wurde, nicht berufen, wenn diese zum Nachteil des Verbrauchers entweder von den §§ 433–435, 437, 439–443 BGB oder von den Vorschriften des Untertitels über den Verbrauchsgüterkauf abweicht. Überdies wird eine Umgehung des Abbedingungsverbots durch eine anderweitige Gestaltung untersagt, 1163
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 206. Vgl. dazu BT-Drucks. 14/6040, S. 243 f. sowie MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 32; Staudenmayer, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), S. 27, 37; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 206. 1165 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 474 Rn. 8. 1166 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 475 Rn. 1; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 474 Rn. 30. 1167 PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 475 Rn. 1. 1164
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vgl. § 475 I 2 BGB. Das grundsätzliche Bestehen eines Abweichungsverbotes in § 475 I BGB, das durch ein Umgehungsverbot abgesichert wird, dient der Umsetzung von Art. 7 I der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Dadurch, dass eine abweichende Vereinbarung von § 475 I BGB nicht allgemein für nichtig erklärt wird, sondern ihr relativ, nämlich nur, wenn sie zuungunsten des Verbrauchers ausfällt, die Verbindlichkeit entzogen wird, ist klargestellt, dass die abweichende Abrede nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führt (vgl. § 139 BGB), jedoch für den Verbraucher wirkungslos bleibt, soweit er benachteiligt wird.1168 Der potentielle Nachteil für den Verbraucher, der verhindert werden soll, bezieht sich auf seine Rechtsstellung. Unter dem Begriff „Nachteil“ ist jeder Ausschluss bzw. jede Beschränkung der Haftung zu verstehen, beispielsweise indem die Haftung auf der Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite eingeschränkt, Fristen zu Lasten des Käufers verkürzt, die Verjährung der Gewährleistungsrechte erleichtert oder die Geltendmachung der Rechte aus § 437 BGB in anderer Weise erschwert wird.1169 Ob die zum Nachteil des Verbrauchers getroffene Vereinbarung individualvertraglich vereinbart wurde oder sie lediglich ein Bestandteil einer AGB ist, kann insoweit dahinstehen, als § 475 I BGB diesbezüglich nicht unterscheidet.1170 Eine „abweichende Vereinbarung“ ist und bleibt nach der Regelung allerdings zulässig, wenn sie nach Mitteilung des Mangels seitens des Verbrauchers an den Unternehmer erfolgt. Der Sinn, der dahinter steht, ist, dass der Verbraucher in weitestgehender Anerkennung seiner Privatautonomie in Kenntnis des (konkreten, mitgeteilten)1171 Mangels über seine Rechte disponieren können soll, insbesondere die Möglichkeit besitzen soll, Vergleiche einzugehen.1172 (b.) Die von § 475 I 1 BGB betroffenen Vorschriften Unabdingbar gestellt von § 475 I 1 BGB wurden für den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs zunächst die Normen über die Pflicht des Verkäufers zur Verschaffung einer mangelfreien Sache (§ 433 I 1 BGB i.V.m. §§ 434, 435 BGB). Vor diesem Hintergrund ist es im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufes dem Unternehmer etwa untersagt zu vereinbaren, dass er nicht an Werbeaussagen des Herstellers i.S.d. § 434 I 3 BGB gebunden ist.1173 Des Weiteren dürfen nach § 475 I 1 BGB die Regelungen über die Ansprüche und Rechte des Käufers bei Lieferung einer mangelhaften Sache nicht beeinträch1168
BT-Drucks. 14/6040, S. 244; BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 475 Rn. 15; Palandt/ Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 475 Rn. 5a; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 475 Rn. 1. 1169 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 475 Rn. 5. 1170 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 475 Rn. 2. 1171 BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 475 Rn. 15; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 475 Rn. 11; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 475 Rn. 3a; a.A. PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 475 Rn. 3: eine Mitteilung gilt für alle, auch die nicht mitgeteilten Mängel als Schlüssel zur Eröffnung der Dispositionsfreiheit. 1172 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 475 Rn. 4. 1173 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 207.
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tigt werden (§§ 437, 439–442 BGB). In Übereinstimmung mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie gilt dies allerdings gemäß § 475 III BGB nicht für den Ausschluss oder die Beschränkung des Anspruches auf Schadensersatz1174 i.S.d. § 437 Nr. 3 BGB.1175 Insofern bleibt für den Käufer als Schutzinstrument beim Ausschluss oder der Beschränkung des Schadensersatzes auch im Verbrauchsgüterkauf nur der Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 444 BGB. Danach ist eine Haftungserleichterung unwirksam, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen oder für die Mängelfreiheit eine Garantie übernommen hat. I.Ü. greift bei der Verwendung von AGB durch den Unternehmer eine zusätzliche Kontrolle der Klausel anhand der §§ 309 (insbesondere 309 Nr. 7) bis 307 BGB ein. Das Verbot abweichender Vereinbarungen nach § 475 I 1 BGB betrifft nicht nur die Pflicht zur vertragsgemäßen Lieferung der Kaufsache und die Einschränkung der Gewährleistung (die für den Regelfall verhindert werden soll). Auch die Anordnungen über die Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantie nach § 443 BGB sowie die Regelungen der §§ 476, 477 BGB wurden der Parteidisposition zum Nachteil des Käufers entzogen. Eine herausragende praktische Bedeutung erlangt im Verbrauchsgüterkauf das Ineinanderspiel der Pflicht zur Verschaffung einer mangelfreien Sache und das Verbot der Abweichung vom gesetzlichen Gewährleistungssystem insbesondere bei der Veräußerung von Gebrauchtwaren (und hier meist in der Fallgestaltung des Verkaufes von Kraftfahrzeugen). Denn nach der bis zum 1.1.2002 üblichen Vertragspraxis wurden Gebrauchtwagen unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung für Mängel verkauft. Dieser pauschale Gewährleistungsausschluss ist nach § 475 I 1 BGB nicht mehr möglich.1176 Andererseits wird das Verbot des Gewährleistungsausschlusses auch nur dann eingreifen, wenn wirklich ein Mangel vorliegt. Insofern ist gerade beim Handel mit Gebrauchtwagen zu beachten, dass die typischerweise vorhandene Abnutzung mangels einer besonderen Vereinbarung gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB keinen „Mangel“ darstellt. Daran knüpft fast zwangsläufig die weiterführende Frage an, wie mit einem im Verbrauchsgüterkauf stattfindenden pauschalen Gewährleistungsausschluss zu verfahren ist. Zu problematisieren ist insbesondere, ob eine Klausel, die im Verbrauchsgüterkauf bezüglich gebrauchter Sachen einen undifferenzierten Gewährleistungsausschluss enthält („gekauft wie gesehen“), einer teleologischen Reduktion zugänglich ist, etwa indem sie im Wege der Umdeutung (§ 140 BGB) auf den gerade noch zulässigen Ausschluss der Haftung für typische Abnutzungs1174 Unter den Begriff des Schadensersatzes i.S.d. § 475 III BGB wird auch der Aufwendungsersatz gemäß § 437 Nr. 3 BGB i.V.m. § 284 BGB zu fassen sein, da auch dieser sachlich einen Schaden ersetzt (sog. Frustrierungsschaden), vgl. dazu Canaris, JZ 2001, 499, 516 f.; ders., DB 2001, 1814, 1819 f. 1175 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 475 Rn. 3a. 1176 Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 475 Rn. 54; Tiedke, JZ 2008, 452.
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erscheinungen begrenzt wird. Diese Vorgehens- und Sichtweise widerspricht jedoch dem Transparenzprinzip,1177 das das Verbraucherrecht beherrscht,1178 da der Käufer in einem solchen Fall über die Reichweite seiner Rechte im Ungewissen gelassen, ggf. sogar getäuscht wird. Deshalb muss die teleologische Reduktion eines Gewährleistungsausschlusses im Bereich des Verbrauchsgüterkaufes aus denselben Gründen wie im Rahmen des AGB-Rechts versagen.1179 Sofern atypische Mängel bzw. Abnutzungserscheinungen vorhanden sind, bleibt – da die Abbedingung des gesetzlichen Gewährleistungssystems unzulässig ist – für den Verkäufer nur der Weg, über die vorherige Definition der bestimmungsgemäßen Eigenschaft der Sache eine Fehlerhaftung auszuschließen, indem die Negativbeschaffenheit als „vereinbart“ und „vertragsgemäß“ anzusehen ist.1180 Freilich besteht auch hier stets die Gefahr einer Umgehung der zwingenden Wirkung des § 475 I 1 BGB,1181 die gemäß § 475 I 2 BGB ebenfalls zu einer Anwendung der gesetzlichen Vorschriften (hier § 433 I 2 BGB i.V.m. § 434 I 2 Nr. 2 BGB) führt. Andererseits muss es dem Verbraucher auch im Bereich des Verbrauchsgüterkaufes möglich sein – bewusst und gewollt – eine beschädigte Sache zu kaufen und dabei sein Äquivalenzinteresse gleichwohl zu wahren.1182 Es ist somit ohne weiteres möglich (und mit Art. 7 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar) einen Gegenstand etwa als „nicht funktionsfähig“, zum „Ausschlachten“, zum „Basteln“ bzw. mit konkret beschriebenen Defekten zu (ver)kaufen und auf diese Weise, d.h. über eine negative Beschaffenheitsvereinbarung, die Haftung für die Funktionsfähigkeit im Ganzen oder in Teilen auszuschließen.1183 Insofern bedarf es jedoch eines konkret übereinstimmenden Willens in Bezug auf die Beschaffenheit seitens der Parteien, der auch bei einer falsa demonstratio 1177
Ähnlich Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 475 Rn. 9; Tiedtke, JZ 2008, 452. Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel B I 1. 1179 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 475 Rn. 9. 1180 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 475 Rn. 8; Staudinger/Beckmann (2004), § 434 Rn. 37; Westermann, JZ 2001, 530, 536. 1181 Siehe dazu Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 397; Tiedtke, JZ 2008, 452. 1182 Ganz h.M.: Westermann, JZ 2001, 530, 536; Schulte-Nölke, ZGS 2003, 184 ff.; Müller, NJW 2003, 1975 ff.; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 475 Rn. 8; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 434 Rn. 68; a.A. Hassemer, ZGS 2002, 95, 96 f., wonach es Art. 7 I der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht zulasse, Beschaffenheitsvereinbarungen zu treffen, welche die Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung in Frage stellen. Im Ausgangspunkt wohl ähnlich Pfeiffer, ZGS 2002, 94 f.; Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 956. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Die auch von der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie anerkannte Vertragsfreiheit (Erwägungsgrund 8 S. 2) gestattet es den Parteien mit dem Abstellen auf den subjektiven Fehlerbegriff, ihren „Standard“ zu bestimmen, und das impliziert, den üblichen Standard nicht zu wählen, vgl. dazu PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 434 Rn. 68; Unberath, ZEuP 2005, 5, 9–15; ähnlich Schulze/Ebers, JuS 2004, 462, 466 ff. 1183 Leible, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 364; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 475 Rn. 9; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 475 Rn. 8. 1178
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vorliegt,1184 der i.Ü. aber nur angenommen werden kann, wenn der Unternehmer den Verbraucher deutlich auf die „Negativbeschaffenheit“ hinweist und der Käufer sich hiermit einverstanden zeigt.1185 Die einzufordernde Transparenz1186 hinsichtlich der Negativeigenschaft und der darauf bezogenen Beschaffenheitsvereinbarung muss dazu führen, dass die Erwähnung der von der Normalbeschaffenheit abweichenden Eigenschaft der Sache in verklausulierter Form oder gar im Kleingedruckten einer AGB gemäß § 475 I 2 BGB unwirksam ist, weil hier von keiner echten „Vereinbarung“ der Eigenschaften der Sache als „vertragsgemäß“ ausgegangen werden kann.1187 Als Indiz unter vielen für eine ausreichende Klarstellung der Negativbeschaffenheit durch den Verkäufer kann m.E. auch die vereinbarte Gegenleistung wertend herangezogen werden.1188 Dieses ganz abzulehnen, widerspricht der Lebenserfahrung, zumal diesem Umstand ja nur indizielle Wirkung zufallen kann und soll. § 475 III BGB erlaubt im Verbrauchsgüterkauf aufgrund Vereinbarung der Parteien nur die Beschränkung des Anspruches auf Schadensersatz. § 475 II BGB erstreckt sodann die Einschränkungen der Dispositionsfreiheit auf die Verjährung (§ 438 BGB) der in § 437 BGB genannten Ansprüche. Verjährungsverkürzende Vereinbarungen werden jedoch nicht ganz ausgeschlossen; es werden aber Grenzen festgelegt. So wird im Anwendungsbereich des § 438 I Nr. 1 und 2 BGB nur eine Verkürzung der Verjährung bis auf zwei Jahre erlaubt.1189 Beim Verkauf gebrauchter Sachen1190 kann die Verjährung hingegen auf ein Jahr verkürzt werden, § 475 II BGB.
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AG Zeven ZGS 2003, 158, 160 („offensichtlich nicht ernst gemeint“); Müller, NJW 2003, 1975, 1976; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 475 Rn. 8. 1185 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 475 Rn. 9; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 475 Rn. 53, 65. Eine „deutliche Manifestation“ des Willens des Verbrauchers hinsichtlich der Negativbeschaffenheit fordert auch PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 434 Rn. 68. 1186 Staudinger/Beckmann (2004), § 434 Rn. 36; Tiedtke, JZ 2008, 452. 1187 Kesseler, ZRP 2001, 70, 71; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 208; Schlechtriem, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 205, 222; etwas allgemeiner gehen auch Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 475 Rn. 53 und PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 434 Rn. 68, auf die potentielle Heranziehbarkeit des § 475 I 2 im Einzelfall bei negativen Beschaffenheits„vereinbarungen“ ein. 1188 MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 475 Rn. 8; zur Indizwirkung des vereinbarten Preises auch Marotzke, ZInsO 2002, 501, 506; zurückhaltender Müller, NJW 2003, 1975, 1977. 1189 Eine Verkürzung der fünfjährigen Frist in § 438 I Nr. 2 BGB scheitert bei AGB allerdings an § 309 Nr. 8b, ff. BGB. 1190 Bei Kraftfahrzeugen begründet nicht bereits die formale Zulassung (sog. Tageszulassung), sondern erst die Ingebrauchnahme im Straßenverkehr die Eigenschaft als Gebrauchtwagen, siehe dazu Reinking, DAR 2001, 8, 10.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
(3.) Modifikation der Beweislast Besonderheiten gilt es im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs auf der Beweisebene zu beachten. Denn zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit dem Gefahrübergang ein Sachmangel, ist nach § 476 BGB zugunsten des Verbrauchers (der zugleich Käufer ist) zu vermuten, dass die Sache bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.1191 (a.) Allgemeines Diese Regelung der Beweislast setzt Art. 5 III der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie um. Mit ihr wird der Verbraucher, der einen Anspruch oder ein Recht auf Grund eines behaupteten Sachmangels geltend machen will, innerhalb der besagten Frist von dem häufig schwierigen, ihm aber auf Grund der Regelung des § 363 BGB nach dem Gefahrübergang grundsätzlich obliegenden Beweis entlastet, dass die betreffende (negative) Beschaffenheit bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs i.S.d. § 446 S. 1 oder 3 BGB vorhanden war.1192 Die Frist berechnet sich gemäß §§ 187 I, 188 II BGB.1193 (b.) Streit um die Reichweite der Vermutungsregelung Der Käufer, der Verbraucher ist, hat nur noch den Mangel und sein Auftreten innerhalb von sechs Monaten nach dem Gefahrübergang zu beweisen.1194 Im Gegenzug dazu muss der Verkäufer im Grundsatz den (vollen) Beweis1195 dafür antreten (§ 292 ZPO), dass eine Beschaffenheitsverschlechterung erst nach dem Gefahrübergang, z.B. durch unsachgemäßen Gebrauch, eingetreten ist.1196 Probleme bereitet die Anwendung der Regelung allerdings dann, wenn der Entstehungszeitpunkt eines Defekts unklar ist, weil er selbst Folgemangel eines von Anfang an vorhandenen Ursprungsdefekts sein kann, es aber nicht sein
1191
Grundlegend dazu Gsell, JZ 2008, 29 ff. Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 476 Rn. 2. 1193 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 476 Rn. 6; MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 476 Rn. 13; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 476 Rn. 5. 1194 BGH NJW 2004, 2209; 2006, 434, Rn. 21; ebenso OLG Stuttgart ZGS 2005, 26, 27; OLG Köln ZGS 2006, 276 f.; Witt, ZGS 2007, 386 ff.; Tiedtke, JZ 2008, 452, 454; kritisch Lorenz, NJW 2004, 3020; ders., in MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 476 Rn. 4, der die Vermutung auch auf das Vorhandensein des Mangels an sich erstreckt, was jedoch m.E. zu weit gehen würde. BGH NJW 2007, 2621 Rn. 15 nähert sich insoweit an die Gegenmeinung an, als hier das non liquet, ob eine Fehlfunktion Folge eines Mangels oder einer Fehlbedienung ist, zugunsten des Verbrauchers auflöst, so auch die Bewertung von PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 476 Rn. 3. 1195 BGHZ 167, 40 ff.; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 476 Rn. 8a; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 476 Rn. 6; a.A. Gegenbeweis des Anscheins reicht: BaRoth/Faust (2. Aufl., 2007), § 476 Rn. 15 ff.; Maultzsch, NJW 2006, 3091, 3095 f. 1196 OLG Celle NJW 2004, 3566. 1192
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muss.1197 Im insoweit viel diskutierten Zahnriemenfall1198 hatte der gebrauchte Pkw innerhalb der Sechs-Monatsfrist des § 476 BGB einen Motorschaden erlitten. Grund war das Überspringen eines zu lockeren Zahnriemens am Steuerrad der Nockenwelle. Was Ursache für die Lockerung des Zahnriemens war, blieb unklar. Es kamen sowohl ein Material- als auch ein Fahrfehler des Käufers in Betracht. Als Mangel i.S.d. § 476 BGB hatte der Senat damals neben dem Motorschaden, der unstreitig erst nachträglich eingetreten war, den Materialfehler in Betracht gezogen, allerdings die Erstreckung der Vermutungswirkung auf einen solchen nur „potentiellen“ Grundmangel1199 verworfen. Einen ähnlich gelagerten Fall eines nur potentiellen Ursprungsmangels betraf der so genannte Turboladerfall,1200 in dem für den Folgedefekt kein Ursprungsmangel, sondern normaler Verschleiß als ursächlich angesehen wurde. Anders lag die Sachlage nach Auffassung des BGH im Zylinderkopfdichtungsfall.1201 Das Problem ist in all den angesprochenen Situationen in der nur potentiellen Ursächlichkeit des Grundmangels für den Folgedefekt angelegt. Die Erstreckung der Vermutungswirkung des § 476 BGB hier abzulehnen, stößt in der Literatur vereinzelt deshalb auf scharfe Kritik, weil damit dem Verbraucher ein Teil der ihm zuträglichen Privilegierung als „genommen“ angesehen wird.1202 M. E. ist die Kritik an der Auffassung des BGH nicht berechtigt. Denn Art. 5 III der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und § 476 BGB als Umsetzungsvorschrift zielen zugunsten des Käufers nur auf diejenigen Mängel, die nach Gefahrübergang innerhalb von sechs Monaten deutlich hervortreten und deshalb eine gewisse Vermutung des Vorhandenseins schon vor Gefahrübergang nach sich ziehen.1203 Potentielle Folgemängel von Grundmängeln, die nach Gefahrübergang als „Funktionsstörungen“ erkennbar werden, aber unterschiedliche Ursachen haben können (einen von Anfang an unerkannt gebliebenen Grundmangel, aber auch einen Bedienungsfehler), sind hiervon nicht erfasst. Denn wenngleich es dem Käufer schwer fallen mag, die notwendige Existenz und Kausalität von (ggf. verdeckt gebliebenen) Ursprungsmängeln und darauf aufbauenden Folgemängeln nachzuweisen, kann darin noch keine vollständige Aushöhlung der Privilegierungsfunktion des § 476 BGB gesehen werden. Ob ein solcher Grundmangel, der Folgen nach Gefahrübergang zeitigt, vorhanden war oder nicht, können nämlich beide Seiten im Regelfall nicht sicher sagen. Der 1197
Gsell, JZ 2008, 29. BGHZ 159, 215 = NJW 2004, 2299 (Zahnriemen). 1199 Zum Begriff siehe Lorenz, NJW 2004, 3020. 1200 BGH NJW 2006, 434 (Turbolader). 1201 BGH JZ 2008, 50 (Zylinderkopf). 1202 Vgl. Gsell, JZ 2008, 29 ff.; Roth, ZIP 2004, 2025; v. Westphalen, ZGS 2004, 341; Lorenz, NJW 2004, 3020; ders., in MüKo/Lorenz (5. Aufl., 2008), § 476 Rn. 4, der die Vermutung auch auf das Vorhandensein des Mangels an sich erstreckt, was jedoch m.E. zu weit gehen würde. 1203 Vgl. auch Gsell, JZ 2008, 29, 30. 1198
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Käufer könnte nun eine derartige Schutzbehauptung aufstellen, die der Verkäufer widerlegen müsste, was ihm wiederum im Regelfall nicht gelingen dürfte (jedenfalls dann, wenn er hierfür den Vollbeweis antreten müsste). Dem Verkäufer diese Last aufzuerlegen, wenn nicht einmal eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Ursächlichkeit von Mangel und Folgemangel dargetan werden kann, würde auch angesichts des notwendigen Interessenausgleiches unter den Parteien wohl zu weit führen. Der Fall ist freilich anders zu bewerten – und die Vermutungswirkung des § 476 BGB zur Geltung zu bringen – wenn es eine entsprechende überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen derartigen Ursachenzusammenhang zwischen Funktionsstörung und Grundmangel, der hierfür verantwortlich gemacht wird, geben sollte.1204 (c.) Bereichsausnahmen von der Vermutungswirkung Die Vermutungswirkung des § 476 BGB greift nach der gesetzlichen Formulierung dann nicht ein, wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist, was nach der gesetzlichen Systematik („es sei denn“) allerdings vom Verkäufer zu beweisen ist.1205 Das Nichteingreifen der Vermutung, gestützt auf diese Varianten, kommt insbesondere für manche Tierkrankheiten, leicht verderbliche Ware1206 oder typische Benutzungs- und Gebrauchsspuren bei neuwertigen Sachen1207 sowie bei starken Beschädigungen in Betracht, die normalerweise bereits bei der Übergabe hätten auffallen müssen.1208 (4.) Sonderbestimmungen für Garantien § 477 BGB stellt für den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs überdies einige zusätzliche Anforderungen an Garantieerklärungen i.S.d. § 443 BGB (Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantie) auf, die die Transparenz der Erklärung (§ 477 I BGB) betreffen und einen Anspruch auf Mitteilung der Garantie in Textform begründen (§ 477 II BGB). (a.) Subjektive Anforderungen Problematisch in diesem Zusammenhang ist die Bestimmung des Kreises der durch die Norm verpflichteten Personen. Eindeutig zu handhaben ist hier nur der Fall, dass der Verkäufer zugleich der Garant ist. Dieser wird unzweifelhaft von der in § 477 BGB beschriebenen Pflicht erfasst. Wesentlich schwieriger ge1204 1205
So auch BGH NJW 2007, 2621. Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 476 Rn. 5; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009),
§ 475. 1206 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 476 Rn. 2; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 476 Rn. 10; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 476 Rn. 7. 1207 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 476 Rn. 6; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 476 Rn. 7. 1208 BT-Drucks. 14/6040, S. 245; Gsell, JZ 2001, 65, 74; Grundmann, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), S. 281, 302; Haas, BB 2001, 1313, 1319; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 213.
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staltet sich die Bewertung der Rechtslage, wenn zwar ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt, die Garantie aber von einem Dritten, insbesondere dem vom Verkäufer verschiedenen Hersteller abgegeben wird. Hier stellt sich die Frage, ob durch § 477 BGB auch dieser nicht an dem Verbrauchsgüterkaufvertrag Beteiligte verpflichtet wird. Der Wortlaut des Gesetzes lässt dies nicht eindeutig erkennen.1209 Für eine Drittverpflichtung spricht aber neben den Gesetzesmaterialien, die auch den Hersteller oder andere Dritte als Garanten i.S.d. § 477 BGB erwähnen,1210 eine richtlinienkonforme Auslegung1211 dieser Norm.1212 Damit auch der Hersteller als Dritter durch § 477 BGB verpflichtet wird, ist es notwendig, dass er selbst (und zwar als Unternehmer) die Garantie abgibt. (b.) Inhaltliche Anforderungen Sofern der persönliche Anwendungsbereich des § 477 BGB eröffnet ist, muss die Garantie (§ 443 BGB) einfach und verständlich abgefasst sein. Gefordert ist eine am Adressatenkreis orientierte Formulierung.1213 Dieses Erfordernis soll die Aushöhlung der notwendigen Information zur Wahrnehmung der Verbraucherrechte durch „fachchinesische Wendungen“ bzw. unverständliche Schachtelsätze verhindern.1214 Das sich in § 477 BGB manifestierende Transparenzgebot bei der Verwendung von Garantieerklärungen geht auf Art. 6 II der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zurück. Es wird in § 477 BGB folgendermaßen weiter konkretisiert: Die Garantie muss 1.) auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers wegen Mängeln der Kaufsache (§§ 437 ff. BGB) sowie darauf hinweisen, dass diese gesetzlichen Rechte durch die Garantie nicht eingeschränkt werden (§ 477 I 2 Nr. 1 BGB). Die Garantieerklärung muss aber 2.) auch den Inhalt der Garantie, d.h. den Umfang der durch sie gewährten Rechte, sowie die für die Geltendmachung der Garantie wesentlichen Angaben enthalten (§ 477 I 2 Nr. 2 BGB). Als dergleichen Angaben nennt das Gesetz exemplarisch („insbesondere“) die Dauer und den räumlichen Geltungsbereich der Garantie sowie den Namen und die Anschrift des Garantiegebers.
1209
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 213. BT-Drucks. 14/6040, S. 245. 1211 Art. 6 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umschreibt die Person des verpflichteten Garanten in seinem Abs. 1 nur allgemein als „denjenigen“, während in den übrigen Vorschriften der Richtlinie spezifisch von dem „Verkäufer“ die Rede ist. 1212 So auch Grundmann, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), S. 281, 314; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 477 Rn. 1; Medicus, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), S. 219, 223; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 214; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 477 Rn. 1. 1213 PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 477 Rn. 3. 1214 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 477 Rn. 1; PWW/Schmidt (3. Aufl., 2008), § 477 Rn. 3. 1210
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(c.) Rechtsfolgen eines Verstoßes Über diese speziellen Anforderungen hinaus ist aus dem Verständlichkeitsgebot des § 477 I 1 BGB abzuleiten, dass die Garantie regelmäßig (auch) in der Sprache des Staates abzufassen ist, in dem das Verbrauchsgut verkauft wird.1215 Auf Verlangen des Verbrauchers muss diesem eine den Anforderungen des § 477 I BGB genügende Garantieerklärung in der Form des § 126b BGB mitgeteilt werden (§ 477 II BGB). Zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Anforderungen des § 477 I, II BGB enthält die Norm keine vollständige Regelung. § 477 III BGB stellt lediglich klar, dass es sich bei den genannten Anforderungen nicht um Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Garantie handelt, die damit hinsichtlich ihrer Bindungskraft trotz eines etwaigen Verstoßes gegen die Postulate Bestand hat.1216 Sofern jedoch dem Verbraucher auf Grund eines Verstoßes des Garantiegebers gegen die in § 477 BGB genannte Nebenpflicht ein Schaden entsteht, kommen die §§ 280 ff. BGB als Anspruchsgrundlagen für Schadensersatzansprüche in Betracht.1217 Ein Schaden und damit auch ein Schadensersatzanspruch seitens des Verbrauchers sind etwa denkbar, wenn die Garantie den Eindruck erweckt, sie schließe die gesetzlichen Rechte nach § 437 BGB aus und der Verbraucher hieraufhin die Geltendmachung dieser Rechte gegenüber dem Verkäufer innerhalb der Gewährleistungsfrist unterlässt.1218 In diesem Fall hat der Hersteller den Verbraucher nach den §§ 249 ff. BGB so zu stellen, als ob die gesetzlichen Ansprüche und Rechte noch nicht verjährt wären; er hat also z.B. gemäß § 249 S. 1 BGB i.V.m. § 439 I BGB für eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung zu sorgen.1219 Denkbar ist überdies, eine entgegen § 477 I 1 BGB unklare Fassung der Garantieerklärung über die Anwendung des Rechtsgedankens aus § 305c II BGB zugunsten des Verbrauchers auszulegen,1220 wenn es dem Verbraucher etwa hierauf (d.h. auf die Erfüllung) und nicht auf die Liquidation eines bereits zwischenzeitlich entstandenen Schadens ankommt. Überdies kann sich hinter einer unklaren Garantieerklärung – wird sie massenhaft verwendet – ein Wettbewerbsverstoß i.S.e. irreführenden Werbung (§§ 3, 5 UWG) verbergen, sodass ggf. auch Ansprüche nach §§ 8, 9 UWG zu prüfen sind.1221
1215
BT-Drucks. 14/6040, S. 246. Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 477 Rn. 14. 1217 BT-Drucks. 14/6040, S. 247; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 477 Rn. 5; Palandt/ Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 477 Rn. 14; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 216. 1218 Vgl. dazu BGHZ 104, 82 ff. 1219 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 216. 1220 BT-Drucks. 14/6040, S. 247; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 477 Rn. 6. 1221 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 477 Rn. 6. 1216
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(5.) Rückgriff des Unternehmers Besondere Regelungen sind in dem Abschnitt über den Verbrauchsgüterkauf des Weiteren in Bezug auf den Rückgriff des durch den Käufer in Anspruch genommenen Unternehmers auf seinen Lieferanten normiert worden.1222 Sie dienen dazu, den Verkäufer, der bzgl. der Nacherfüllung, des Rücktritts und der Minderung auch verschuldensunabhängig haftet, hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der Verbraucherrechte zu entlasten, indem er sie auf den eigentlichen Verursacher abwälzen kann. (a.) Allgemeines Sofern bei einem Verbrauchsgüterkauf der Verbraucher Rechte wegen Mangelhaftigkeit der Sache gegenüber einem Verkäufer geltend macht, der nicht zugleich der Hersteller der Ware ist, kann sich folgendes Problem ergeben: Selbst wenn der Mangel nicht im Verantwortungsbereich des Verkäufers, sondern bereits in dem seines Lieferanten oder einer in der Lieferkette noch weiter zurückstehenden Person entstanden ist, könnte ihn die Last der Verbraucherrechte endgültig treffen, wenn seine Rechtsstellung gegenüber seinem Lieferanten nur nach dem allgemeinen Kaufrecht beurteilt würde. Dies wäre z.B. möglich, wenn die von dem Verbraucher geltend gemachten Rechte auf einer der Privilegierungen in den §§ 474 ff. BGB basieren (z.B. der Beweislastumkehr des § 476 BGB), auf die sich der Verkäufer (der zugleich Unternehmer ist) gegenüber seinem potentiellen Rückgriffsschuldner mangels Vorliegens eines Verbrauchsgüterkaufs i.S.d. § 474 I BGB nicht berufen kann. Das Gleiche gilt, wenn seine Ansprüche und Rechte aus § 437 BGB ggf. bereits auf Grund einer größeren zeitlichen Diskrepanz zwischen dem Abschluss der beiden Kaufverträge nach Maßgabe des § 438 BGB verjährt sind, so genannte „Regressfalle“.1223 (b.) Sonderregelungen zugunsten des Regressnehmers In Aufgreifung des soeben beschriebenen Problems sieht die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Privilegierungen für den Regressnehmer vor, die ihre Entsprechung in § 478 BGB finden. So trifft beispielsweise § 478 I, III BGB gesonderte Anordnungen zugunsten des Unternehmers, der von dem Verbraucher wegen eines Mangels einer neu hergestellten Sache1224 in Anspruch genommen wurde und der nun seinerseits Rückgriff auf seinen Verkäufer nehmen möchte.
1222
Grundlegend Richter AcP 206 (2006), 3 ff. Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1393; Tonner/Crellwitz/Echtermeyer, in: Micklitz/Pfeiffer/Tonner/Willingmann (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001), S. 293; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 216. 1224 Den Ausschluss der privilegierten Regressmöglichkeit für gebrauchte Sachen betrachten Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1402, als Verstoß gegen Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, was jedoch nicht richtig ist, da die Richtlinie nur einen Mindeststandard zugunsten der Verbraucher (und ihrer Rechte) sichern will; vgl. Oetker/Maultzsch, a.a.O. 1223
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(aa.) Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich. Dabei setzt die Regelung voraus, dass der Rückgriffsschuldner ebenfalls Unternehmer i.S.d. § 14 BGB ist, was mit der Legaldefinition des Lieferanten umschrieben wird (§ 478 I BGB). Insoweit wird der persönliche Anwendungsbereich festgelegt. Vom sachlichen Anwendungsbereich her erfasst die Vorschrift nur Fälle, in denen der Unternehmer wegen Mangelhaftigkeit auf Gewährleistung in Anspruch genommen wurde, nicht geregelt werden bloße Kulanzleistungen.1225 (bb.) Erstreckung der Beweislastumkehr auf den Regress. Ist der sachliche und persönliche Anwendungsbereich des § 478 I BGB eröffnet, so erstreckt die Vorschrift zunächst die Beweislastumkehr des § 476 BGB auf den vorgelagerten Kaufvertrag. Innerhalb von sechs Monaten wird somit nach näherer Maßgabe des § 476 BGB auch für diesen vermutet, dass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs auf den Unternehmer vorgelegen hat. Die sechsmonatige Frist beginnt jedoch nicht mit dem Gefahrübergang auf den Unternehmer zu laufen, sondern erst mit dem Gefahrübergang an den Verbraucher als Abkäufer des Unternehmers (§ 478 III BGB). Damit soll erreicht werden, dass sich der Unternehmer gegenüber seinem Lieferanten solange auf die Vermutung des § 476 BGB berufen kann, wie dies dem Verbraucher ihm gegenüber als Verkäufer möglich ist.1226 (cc.) Entbehrlichkeit der Fristsetzung als Voraussetzung. Weiterhin ordnet § 478 I BGB an, dass der Unternehmer bei der Geltendmachung der Ansprüche und Rechte aus § 437 BGB gegenüber dem Lieferanten von einem Fristsetzungserfordernis befreit ist, das zur Geltendmachung eines der Rechte in § 437 BGB nach den allgemeinen Vorschriften der § 281 I BGB (Schadensersatz statt der Leistung) oder § 323 I BGB (Rücktritt, i.V.m. § 441 I BGB auch bei Minderung) erforderlich wäre. Diese Regelung ist allerdings nur dann bedeutsam, wenn sich die Entbehrlichkeit des Fristsetzungserfordernisses nicht bereits aus anderen Gründen ergibt. Die übrigen Voraussetzungen für die Geltendmachung der in § 437 BGB genannten Ansprüche und Rechte lässt § 478 I BGB jedoch unberührt.1227 In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Vorschrift des § 478 I, III BGB gemäß § 478 VI BGB nicht die bei einem beiderseitigen Handelskauf (§§ 377 I, 343 I HGB) bestehende Obliegenheit des Unternehmers beschneidet, Mängel der Kaufsache nach Maßgabe des § 377 HGB unverzüglich zu rügen. Kommt der Unternehmer, der eine Sache von einem anderen Unternehmer ankauft, dieser Obliegenheit nicht nach, so gilt die Ware für den betreffenden Mangel als genehmigt (§ 377 II HGB), mit der Folge, dass alle Ansprüche gegen den Lieferanten 1225 BT-Drucks. 14/6040, S. 248; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 219. 1226 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 220. 1227 BT-Drucks. 14/6040, S. 248.
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wegen dieses Mangels – soweit sie Gewährleistungsansprüche betreffen – ausgeschlossen sind. II. Teilzeit-Wohnrechteverträge Im Anschluss an die Regelungen des Kaufrechts im BGB sehen die §§ 481–487 BGB besondere Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers vor, der so genannte „Teilzeitwohnrechte“ erwirbt. Die deutschen Regelungen zu den TeilzeitWohnrechteverträgen, die allesamt europäisch inspiriert sind, zählen neben den soeben besprochenen Kaufrechtsvorschriften zu den vielen „Bausteinen des europäischen Verbraucherschutzrechts“, die in das deutsche Zivilrecht integriert wurden.1228 Deshalb sollen sie hier besprochen werden. Die Grundidee des Timesharing besteht darin, dass der Kunde das Recht erwirbt, ein beliebiges Wirtschaftsgut, dessen Anschaffung für ihn (allein) meist zu teuer ist, wiederkehrend nutzen zu können,1229 wobei die Anschaffungs- und Unterhaltungskosten dadurch gesenkt werden, dass die Nutzung der Sache mehreren („Investoren“) zusteht.1230 Beim Timesharing wird dem Erwerber das Nutzungsrecht vertraglich für einen Zeitraum von drei bis zehn Jahren, ggf. aber auch für länger übertragen. Dafür leistet der Erwerber eine Einmalzahlung in unterschiedlicher Höhe. Besondere Bedeutung hat in der Praxis das Timesharing für Ferienimmobilien erlangt.1231 Durch die dem Timesharing zugrunde liegende Konstruktion besteht beim Erwerb einer Ferienimmobilie die Möglichkeit, jedes Jahr am gleichen Ort für einen bestimmten Zeitraum Urlaub zu machen.1232 In Kombination mit der Mitgliedschaft in einem Tauschpool wird dem Kunden oftmals angeboten, auch andere Ferienobjekte nutzen zu können, was etwas Flexibilität bei der Urlaubsdurchführung schafft.1233 Obgleich das Timesharing nicht nur eine Alternative zum Erwerb einer Ferienwohnung als Eigentumswohnung, sondern auch zur herkömmlichen Pauschalreise darstellt, konnte es sich als Vertragsmodell im Vergleich zu Pauschalreisen bislang nicht wirklich durchsetzen. Dies liegt vor allem daran, dass Verbraucher die Bindung an den Ort der Immobilie (selbst wenn sie in einen 1228 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 2; Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 422. 1229 Tonner, Pauschalreiserecht und Teilzeitwohnrechte. Zur Reform des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz (2008). Schriftenreihe der Verbraucherzentrale Bundesverband zur Verbraucherpolitik, Bd. 11, S. 73. 1230 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 10. 1231 Grundlegend dazu Bütter, Immobilien-Time-Sharing und Verbraucherschutz (2000); Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 21, 26; vgl. auch Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 93. 1232 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 10. 1233 Vgl. zu dieser Fallgestaltung Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 7.
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Tauschpool eingestellt ist) durchaus auch als Nachteil empfinden.1234 Häufig möchte man bei der Urlaubsplanung flexibel sein und spontan reagieren können. Außerdem zahlt der Erwerber für seinen Urlaub praktisch viele Jahre im Voraus. Das ist ein Umstand, der nicht nur Kapital bindet, sondern auch deshalb Unbehagen hervorruft, weil eine Urlaubs(um)planung ad hoc schlecht möglich ist, da das Geld dann fehlinvestiert wäre. 1. Allgemeines Trotz der schon durch die Bindung an den Ort der Immobilie nicht überaus attraktiven Vertragsgestaltung, die die Motivation seitens des Verbrauchers zur Eingehung von Timesharing-Verträgen oftmals reduziert, sah sich der EU-Gesetzgeber sehr früh veranlasst, diese Vertragskonstruktion mit verbraucherrechtlichen Regelungen zu überziehen. Rückführbar ist dies auf zweierlei Umstände, die zusammenwirken: Zum einen ist ein Timesharing-Vertrag für den Verbraucher schon deshalb „gefährlich“, weil es um hohe Summen geht, die investiert und damit auch „fehlinvestiert“ werden (können).1235 Die ggf. wirtschaftlich zu Buche schlagenden Nachteile, wenn die Werthaltigkeit der Immobilie oder die Nutzungsmöglichkeit überschätzt wird, sind oftmals dramatisch, ggf. sogar existenzvernichtend.1236 Hinzu kommt, dass gerade die Wahrscheinlichkeit der Fehlinvestition bei dieser Vertragsform immens ist. Sie resultiert aus der typischerweise anzutreffenden Vertragsschlusssituation,1237 die kaum geeignet ist, die Bindung an die Immobilie auf eine informierte und überlegte Verbraucherentscheidung zurückzuführen, sodass wirtschaftliche Fehlinvestitionen, die es ja auch sonst vielerorten gibt, als hinnehmbar und der Privatautonomie entspringend erscheinen. Die typische Vertragsschlusssituation knüpft an eine Überrumpelung an.1238 Touristen wurden (und werden) unter Vorspiegelung von falschen Tatsachen, etwa von Gewinnen, vom Strand zu Verkaufsveranstaltungen gelockt, auf denen dann massiver Druck im Hinblick auf einen schnellen Vertragsschluss ausgeübt wird.1239 Die Überlegungszeit, die dem Abschluss des Geschäftes vorausgeht, ist oftmals sehr gering.1240 Die Rentabilität der Immobilie wird typischerweise 1234
Mäsch, EuZW 1995, 8, 9; Martinek, ZEuP 1994, 470, 477. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 93: „übermäßige Belastungen“; Lipsky, Time-Sharing an Ferienimmobilien (2003), S. 5, beschreibt, dass es häufig um fünfstellige Beträge geht. 1236 Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 35. 1237 Bütter, Immobilien-Time-Sharing und Verbraucherschutz (2000), S. 5. 1238 Vgl. etwa BGH NJW 1997, 1697. 1239 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 485 Rn. 1; Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 29; Mäsch, EuZW 1995, 8 ff.; ders., DNotZ 1997, 180 ff. 1240 Tonner, Pauschalreiserecht und Teilzeitwohnrechte. Zur Reform des gemeinschaft1235
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kaum ausreichend überprüft, worauf es vielen Verkäufern, die auf die Zeitnot des Erwerbers setzen, auch ankommt, da sich gerade dieses Geschäftsgebaren als besonders geeignet erwiesen hat, heruntergewirtschaftete oder unrentable Ferienimmobilen zu „sanieren“.1241 Selbst aber wenn der konkrete Timesharing-Anbieter nicht „überrumpelnd“ durch die Verwendung „aggressiver Verkaufsmethoden“ auftritt,1242 kommt es durch die Timesharing-Konstruktion bereits an sich zu einer umfangreichen, die Vertragsparität gefährdenden Verlagerung von Risiken auf den Erwerber. Ein einseitig wirkender wirtschaftlicher Vorteil, einen solchen langfristigen Vertrag anzubieten, besteht für den „Verkäufer“ von Timesharing-Produkten schon darin, sich vor negativen Entwicklungen innerhalb der Tourismusbranche breitflächig (zu Lasten des Kunden) absichern zu können. Da der Erwerber den gesamten Betrag für das Timesharing-Produkt im Voraus zu entrichten hat, ist der Anbieter etwa vor Einbußen durch politische Unruhen, Naturkatastrophen sowie wechselndes Kundeninteresse ungleich besser geschützt als etwa der Pauschalreiseveranstalter.1243 Ähnlich wie mit der Abwälzung des Standortrisikos verhält es sich mit dem Erhaltungs- und Renovierungsrisiko der TimesharingAnlage. Sämtliche Anbieter erheben Verwaltungs- und Instandhaltungsgebühren, sodass die Funktionstätigkeit der Anlage zusätzlich vom Erwerber zu tragen ist.1244 Überdies bestanden häufig gerade bei im Ausland abgeschlossenen Verträgen Probleme hinsichtlich der Vertragstransparenz, weil den Kontrakten oftmals eine Vertragssprache zugrunde liegt, der der Verbraucher nicht mächtig ist. 2. Entstehungsgeschichte Vor dem dargestellten Hintergrund bestand für den Erwerber eines Teilzeitnutzungsrechts von jeher das Bedürfnis, sich ohne finanzielle Nachteile vom Vertrag zu lösen,1245 nachdem er Kosten und Risiken genau(er) abgewogen hat. Mangels spezialgesetzlicher Regelungen vor der Verabschiedung der Timesharing-Richtlinie waren die Betroffenen zunächst auf die Hilfe der Rechtsprechung1246 angewiesen. Diese griff in Deutschland dergestalt ein, dass der Begriff „Freizeitveranstaltung“ in § 1 I Nr. 2 HWiG extensiv ausgelegt wurde, um dem Verbraucher lichen Besitzstandes im Verbraucherschutz (2008). Schriftenreihe der Verbraucherzentrale Bundesverband zur Verbraucherpolitik, Bd. 11, S. 73. 1241 Gralka, Time-Sharing bei Ferienhäusern und Ferienwohnungen (1986), S. 5. 1242 Dies war der maßgebliche Gesichtspunkt für die Kommission, einzuschreiten, vgl. dazu ABl.EG Nr. L 280/83 v. 29.10.1994, Entschließungsgrund Nr. 7 der Richtlinie. 1243 Bütter, Immobilien-Time-Sharing und Verbraucherschutz (2000), S. 6. 1244 Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 120. 1245 Zum daraus folgenden „zentralen Schutzmechanismus“ des Widerrufsrechts siehe Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 95. 1246 Vgl. dazu die Rechtsprechungsübersicht bei Hildenbrand, NJW 1996, 3249.
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ein Lösungsrecht vom Vertrag zuzugestehen.1247 In Anwendung des HWiG kam man zu langen Widerrufsfristen, da anlässlich der vertragsspezifischen Überrumpelungsaktionen häufig keine Widerrufsbelehrung vorlag wurde und infolgedessen das den Verbrauchern zuerkannte Widerrufsrecht erst nach vollständiger beidseitiger Erfüllung erlosch.1248 Überhöhten Preisen in Bezug auf die erworbene Immobilie begegnete die Rechtsprechung durch die Anwendung der Generalklausel des § 138 BGB. Sie überzog überteuerte Timesharing-Verträge mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit, sodass es in diesem Fall auch nicht mehr auf die Widerrufbarkeit des Vertrages nach dem HWiG ankam, weil es nichts mehr an rechtlich Relevantem gab, von dem man sich erst durch Widerruf seiner Erklärung distanzieren musste.1249 Zweifelhafte Treuhandkonstruktionen wurden i.Ü. unter Zuhilfenahme von § 91250 oder § 31251 AGB-Gesetz zunichte gemacht.1252 Verbraucherschutz brach sich im Zusammenhang mit Timesharing-Verträgen aber nicht nur bei der Anwendung des materiellen Rechts, sondern auch im Bereich des zivilprozessualen Kollisionsrechts Bahn. Da viele Verbraucher während ihres Auslandsurlaubs zu Verkaufsveranstaltungen gelockt wurden, mussten sich die mit den Fällen betrauten Instanzgerichte auf das ihnen zuweilen ungewohnte Feld des Internationalen Privatrechts begeben. In den im Ausland geschlossenen Timesharing-Verträgen konnte nach alter Rechtslage eine beliebige Rechtswahlklausel vereinbart werden, denn die Verbrauchervorschrift des Art. 29 EGBGB a.F. setzte eine Vertragsanbahnung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers voraus und griff folglich nicht ein. Die Instanzgerichte griffen hernach vielfach auf Art. 34 EGBGB a.F. zurück und meinten, das zwingende Widerrufsrecht nach dem HWiG könne nicht durch eine Rechtswahl beseitigt werden. Jedoch verweigerte der BGH1253 dieser Sichtweise seine Zustimmung, was den Verbraucherschutz zwischenzeitlich ein gutes Stück zurückdrängte. Die damit beschriebene, in ihrer Reichweite aber begrenzte Intervention der Rechtsprechung reichte nicht aus, um die Probleme auf dem Markt der Timesharing-Produkte zu lösen. Nachdem es in anderen europäischen Ländern ähn1247
Repräsentativ OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 1533. Tonner, Pauschalreiserecht und Teilzeitwohnrechte. Zur Reform des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz (2008). Schriftenreihe der Verbraucherzentrale Bundesverband zur Verbraucherpolitik, Bd. 11, S. 74, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass zu den Leistungen des Verbrauchers auch erst während der Nutzung zu erbringende Zahlungen gerechnet wurden, sodass das Widerrufsrecht erst mit der letzten Nutzungsperiode gemäß § 2 I S. 4 HWiG ablief. 1249 BGHZ 125, 218 ff.; OLG Köln VuR 1996, 343. 1250 OLG Köln NJW 1994, 59. 1251 BGH NJW 1995, 2637. 1252 Andere Probleme (wie die Gewährleistung) haben in der Praxis bislang keine große Rolle gespielt. Diese konzentrierte sich vornehmlich auf die Lösung vom Vertrag. 1253 BGHZ 135, 124 ff. 1248
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lich negative Erfahrungen mit derartigen Nutzungsrechten wie in Deutschland gab,1254 ging die Regelungsinitiative schließlich auf die EU über, die die so genannte Timesharing-Richtlinie1255 verabschiedete, welche der deutsche Gesetzgeber umzusetzen hatte. In Deutschland ist als Umsetzungsgesetz am 1.1.1997 – knapp vier Monate vor Ablauf der Transformationsfrist – das Teilzeitwohnrechtegesetz (TzWrG)1256 in Kraft getreten, wobei sich dieses Gesetz noch weitgehend auf die Transformation der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beschränkte, obgleich die Richtlinie mehr zuließe, da sie nur Mindeststandards im Verbraucherschutz konzipiert. Nach einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 18.10.19961257 verabschiedete der Bundestag das TzWrG am 20.12.1996. Die Transformation der Fernabsatzrichtlinie1258 durch das Fernabsatzgesetz vom 27.6.20001259 sowie die Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen1260 führten später zu einer Reform des TzWrG.1261 Im Zuge der Verabschiedung des Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften vom 13.7.20011262 kam nachfolgend eine zweite Novellierung hinzu. Schließlich wurden sämtliche Regelungsvorgaben des TzWrG mit Wirkung zum 1.1.2002 durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz1263 aufgehoben und inhaltlich in den neu geschaffenen §§ 481 ff., 355 ff. BGB sowie Art. 2 BGB-InfoV aufgenommen. Der systematische Standort, im BGB im Anschluss an den Kauf und Tausch beruht auf der Erwägung, dass Timesharing-Verträge häufig als Rechtskauf (§ 453 BGB) zu qualifizieren sind.1264 Seine vorletzte Änderung1265 erfuhr der Rechtsbereich durch das am 1.8.2002 in Kraft getretene OLG-Vertretungsänderungsgesetz,1266 die so genannte lex Heininger.1267 Im Mittelpunkt stand die Reform des Widerrufsrechts, da sich der Verbraucher im Fall einer unterbliebenen oder unzutreffenden Belehrung 1254
Vgl. dazu den Nachweis bei Tonner, Pauschalreiserecht und Teilzeitwohnrechte. Zur Reform des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz (2008), Schriftenreihe der Verbraucherzentrale Bundesverband zur Verbraucherpolitik, Bd. 11, S. 75. 1255 ABl.EG Nr. L 280 v. 29.10.1994. 1256 Gesetz über die Veräußerung von Teilzeitnutzungsrechten an Wohngebäuden v. 29.6.2000, BGBl. I, S. 957. 1257 BT-Drucks. 13/5865, 2. 1258 ABl.EG 1997 Nr. L 144/19. 1259 BGBl. I, 897, berichtigt am 21.7.2000, BGBl. I, 1139. 1260 ABl.EG 1998 Nr. L 166/51. 1261 Vgl. dazu die Neubekanntmachung des TzWrG v. 20.12.1996 (BGBl. I, 2154) in der v. 30.6.2000 bis 31.12.2001 geltenden Fassung, BGBl. I, 957. 1262 BGBl. I, 1542. 1263 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I, 3138. 1264 Begr. RegE., BT-Drucks. 14/6040, S. 250 f.; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 1; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 93. 1265 Betroffen waren §§ 483 I 1, 484 I 5, 485 III, 487 S. 1, 2 BGB. 1266 BGBl. I, 2850. 1267 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger.
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nunmehr unbefristet vom Vertrag lösen kann.1268 Nach Umsetzung der neuen Timesharing-Richtlinie 2008/122/EG1269 in das deutsche Recht mit Gesetz vom 17. Januar 20111270 wurden die bisherigen §§ 481 ff. BGB grundlegend reformiert. 3. Europarechtliche Aspekte Die (alte) Timesharing-Richtlinie, die die Grundlage für die deutschen Vorschriften zu den Teilzeitnutzungsrechten in §§ 481 ff. BGB bildete, basierte auf einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.10.1988.1271 Der darauf aufbauende erste Richtlinienvorschlag1272 stieß allerdings noch nicht auf ungeteilten Zuspruch. Sowohl der Wirtschafts- und Sozialausschuss1273 als auch das Europäische Parlament1274 forderten zahlreiche Änderungen. Die Kommission ging in ihrem zweiten Richtlinienvorschlag1275 auf die geäußerte Kritik (auch aus dem Schrifttum)1276 ein. Das Ergebnis sah u.a. so aus, dass der zunächst favorisierte Begriff des „Teilzeiteigentums“ als Regelungsgegenstand durch den des „Teilzeitnutzungsrechts“ ersetzt wurde. Damit konnte dem Eindruck vorgebeugt werden, der Anwendungsbereich des Sekundärrechtsaktes erfasse nur Verträge, die dem Verbraucher eine dingliche Position verschaffen.1277 Die Mitwirkung des Rates1278 führte im Folgenden dazu, dass ein Anzahlungsverbot aufgenommen wurde. Die Richtlinie betreffend der Timesharing-Verträge1279 wurde schließlich am 26.10.1994 verabschiedet. Angesichts ihres gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs sind die deutschen Umsetzungsvorschriften zur Richtlinie richtlinienkonform auszulegen.1280
1268
Näher dazu Schmidt-Kessel, ZGS 2002, 312 ff.; Staudinger, NJW 2002, 656 ff. ABl.EG Nr. L v. 3.2.2009, S. 10 ff. 1270 Gesetz zur Modernisierung der Regelungen über Teilzeit-Wohnrechteverträge, Verträge über langfristige Urlaubsprodukte sowie Vermittlungsverträge und Tauschsystemverträge, BGBl. I 2011, S. 34 ff. ( v. 24.01.2001). 1271 ABl.EG 1988 Nr. C 290/148 ff. 1272 ABl.EG 1992 Nr. C 222/5 ff. 1273 ABl.EG 1993 Nr. C 108/1 ff. 1274 ABl.EG 1993 Nr. C 176/95 ff. 1275 ABl.EG 1993 Nr. C 299/8 ff. 1276 Martinek, ZEuP 1994, 470, 471, 490. 1277 Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 428. 1278 ABl.EG 1994 Nr. C 137/42 ff. 1279 RL 94/47/EG, ABl.EG Nr. L 280/83 v. 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitrechten an Immobilien; vgl. dazu Martinek, ZEuP 1994, 470 ff.; Kappus, EWS 1996, 273. 1280 EuGH, Urt. v. 10.5.2001, Rs. C-144/99 – Kommission/Niederlande; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 481 Rn. 1. 1269
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Der ursprüngliche Sekundärrechtsakt zum Timesharing ist unter Aufgreifung des Mindeststandardprinzips1281 („minimale Grundlage an gemeinsamen Vorschriften“, vgl. dazu Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie sowie Art. 8 i.V.m. Art. 10) auf die Anhebung des Verbraucherschutzniveaus im Bereich von Timesharing-Verträgen innerhalb der EU gerichtet. Parallel dazu sollen die ausgemachten Wachstumshindernisse der Branche zur Verwirklichung des Binnenmarktes in der EU abgebaut werden (Erwägungsgrund 2 der Richtlinie). Ausweislich dieser Zielsetzung stützte sich die alte Richtlinie auf Art. 100a EGV. Mit der ursprünglichen Timesharing-Richtlinie wurden gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für einen Vertragstyp statuiert, der vorher nur in wenigen Mitgliedstaaten gesetzlich geregelt war. Die alte Richtlinie betreffend den Erwerb von Teilzeitwohnrechten sieht im Wesentlichen Informationspflichten für die Anbieter von „Timesharing-Anteilen“ vor (vgl. dazu den Anhang der Richtlinie). Zudem enthielt sie ein Schriftformerfordernis (Art. 3 der Richtlinie), ein befristetes Rücktrittsrecht (Art. 5 der Richtlinie) und ein Anzahlungsverbot (Art. 6 der Richtlinie). Um sicherzustellen, dass das Schutzniveau auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht unterlaufen wird, hatte der Gemeinschaftsgesetzgeber i.Ü. in Art. 9 der Richtlinie ein kollisionsrechtliches Regelungsgebot mit einem Günstigkeitsvergleich aufgestellt.1282 Die Kommission ist allerdings vor wenigen Jahren in eine Überarbeitung der Harmonisierungsmaßnahme eingetreten,1283 da sie die alte Timesharing-Richtlinie ebenso wie das Europäische Parlament1284 nicht mehr für zeitgemäß hielt. Am Ende der Anfang 2009 abgeschlossenen Überarbeitung stand die Verabschiedung einer neuen Richtlinie.1285 Unter Berücksichtigung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Novellierung des Bereichs legte die Kommission am 7.6.2007 zunächst einen Vorschlag für eine neue Timesharing-Richtlinie vor.1286 Der Vorschlag ist als Teil des laufenden Programms der Kommission zur Aktualisierung und Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts sowie ihres Arbeits- und Legislativprogramms zu werten.1287 (Neben der Timesharing-Richtlinie sollen in diesem Zusammenhang noch sieben weitere Richtlinien überarbeitet werden. Ein entsprechendes Grünbuch wurde am 8.2.2007 angenom-
1281 Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 428. 1282 Nachdenklich dazu Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 431. 1283 Vgl. dazu den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 94/47/ EG, SEC (1999), 1795 endg. 1284 Zur Reform des Sekundärrechtsaktes vgl. die Entschließung des Europäischen Parlaments, NJW 2002, 360 ff. 1285 RL 2008/122/EG , ABl.EG Nr. L v. 3.2.2009, S. 10 ff. 1286 KOM (2007), 303. 1287 KOM (2006), 629.
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men.1288 Angesichts der Dringlichkeit der Probleme der Verbraucher im Bereich des Timesharings1289 ist jedoch die Überarbeitung der Richtlinie 94/47/EG vorgezogen worden.) Die am 14.1.2009 (noch) gestützt auf Art. 95 EGV verabschiedete neue Timesharing-Richtlinie1290 weist Änderungen schon im sachlichen Anwendungsbereich auf, der zugunsten des Verbraucherschutzes deutlich erweitert wird. Die Marktentwicklung hat neue timesharingähnliche Urlaubsprodukte hervorgebracht, die aber nicht unter die Definition von Timesharing nach Art. 2 der alten Richtlinie subsumiert werden konnten. Im Einzelnen bedeutet dies: Gemäß Art. 2 I lit. a) der neuen Richtlinie muss das Teilzeitnutzungsrecht nun nicht mehr an einer „Immobilie“ bestehen, sondern an einer „Übernachtungsunterkunft“. Damit werden jetzt auch mobile Unterkünfte wie Hausboote, Wohnmobile und Kreuzfahrtschiffe erfasst.1291 Ebenfalls unter den Richtlinienvorschlag fallen gemäß Art. 2 I lit. b der Richtlinie „langfristige Urlaubsprodukte“. Dabei handelt es sich um Verträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr, mit denen Verbraucher in erster Linie das Recht auf Preisnachlässe und sonstige Vergünstigungen bzgl. der Nutzung einer Unterkunft erwerben (auch wenn damit Reise- oder sonstige Leistungen verbunden sind). Überdies erfassen Art. 2 I lit. c) und d) der Richtlinie Wiederverkaufs- und Tauschsysteme in Bezug auf Timesharing- oder langfristige Urlaubsprodukte. Die erforderliche Vertragslaufzeit wurde von drei Jahren auf „mehr als ein Jahr“ verkürzt. Die notwendig einzuhaltende Schriftform ergibt sich aus Art. 5 I der neuen Richtlinie. Der Verbraucher hat nach der Richtlinie gemäß Art. 6 ein 14–tägiges Widerrufsrecht, das durch schriftliche Erklärung auf Papier oder auf einem dauerhaften Datenträger auszuüben ist (Art. 7 der Richtlinie). Weitere Erfordernisse wurden nicht aufgestellt. Das Anzahlungsverbot ist nun in Art. 9 der Richtlinie statuiert. Ein besonderer Schutz für Verträge über langfristige Urlaubsprodukte, die in Art. 1 b der Richtlinie definiert sind, ergibt sich daraus, dass diesbezüglich Art. 10 der Richtlinie nur Ratenzahlungen erlaubt und eben keine vollständige Vorfinanzierung zulässt. Auch die Regelungen über Informationspflichten wurden in der Richtlinie verändert. Zwar ist der Unternehmer dem Verbraucher gegenüber auch weiterhin zur Information verpflichtet (vgl. Art. 4 I der Richtlinie). Die verpflichtenden Informationen sind jedoch nun in den Anhängen der Richtlinie aufgeführt. Sie sind auf das jeweilige Produkt zugeschnitten und vielfach ergänzt worden. Hinsichtlich der transparenten Vertragsgestaltung wird die Sprachregelung vereinfacht. Möglich ist die Abfassung der Vertragsbe1288 Grünbuch der Kommission zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz v. 8.2.2007, KOM (2006), 744 endg. 1289 KOM (2007), 303 endg., S. 3. 1290 Richtlinie 2008/122/EG, ABl.EG Nr. L 33/10 v. 3.2.2009. 1291 Zum ursprünglichen Richtlinenvorschlag Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 143.
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stimmungen in einer vom Verbraucher gewünschten Amtssprache der EU (Art. 4 III der Richtlinie). Sanktionen bei Verstößen gegen die entsprechenden Umsetzungsbestimmungen bleiben – wie sonst auch bei zivilrechtlichen Richtlinien – den Mitgliedstaaten überlassen (Art. 15 I der Richtlinie); sie müssen aber „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein (Art. 15 II der Richtlinie). Die Regelungen der neuen Timesharing-Richtlinie sind bis zum 23.2.2011 von den Mitgliedstaaten umzusetzen (Art. 16 der Richtlinie). Im Erwägungsgrund 3 der neuen Richtlinie ist schließlich das Vollharmonisierungskonzept festgeschrieben worden. Danach sollen die Mitgliedstaaten keine von dieser Richtlinie abweichenden nationalen Bestimmungen beibehalten oder erlassen dürfen. Die Kommission strebt – was zu bedauern ist – auch mit der neu überarbeiteten Timesharing-Richtlinie eine Vollharmonisierung an, die dazu führen soll, dass strengere Vorschriften in den Mitgliedstaaten nunmehr nur noch ausnahmsweise in einzelnen Bereichen1292 erlaubt sein sollen. 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften Die systematische Stellung der Vorschriften über das Timesharing im deutschen Recht (§§ 481 ff. BGB) im unmittelbaren Anschluss an den Kaufvertrag erklärt sich dadurch, dass Teilzeit-Wohnrechteverträge im Grundsatz als eine besondere Ausprägung des Rechtskaufs begriffen werden.1293 Jedoch ist diese Qualifizierung abhängig von der jeweiligen Ausgestaltung des Nutzungsrechts und des Vorliegens einer kaufrechtlichen Gestaltung keine begriffsnotwendige Voraussetzung für die Existenz eines Timesharing-Vertrages.1294 Das folgt bereits aus § 481 I, II BGB. Danach kann das einzuräumende Recht ein dingliches oder ein anderes sein.1295 In der Vertragspraxis unterscheidet man zwischen der dinglichen, der schuldrechtlichen und der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung des Timesharing-Vertrages.1296 Möglich ist auch die Einräumung des Rechts, die Nutzung (eines Teils) eines Wohngebäudes aus einem Bestand von Wohngebäuden zu wählen, z.B. in 1292
Gemäß Art. 1 II des Richtlinienvorschlags sind Regelungen mit höherem Verbraucherschutzniveau in folgenden Punkten erlaubt: Beginn des Rücktrittsrechts und Modalitäten für die Wahrnehmung des Rücktrittsrechts. 1293 BT-Drucks. 14/6040, S. 250; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 482 Rn. 3; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 93; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 1. 1294 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 231 f.; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 94. 1295 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 94; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 2 f.; PWW/Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 481 Rn. 1. 1296 Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 38 f.; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 481 Rn. 7; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 94; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 2.
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einer oder mehreren Ferienanlagen, auch in verschiedenen Ländern.1297 Dinglich ausgestaltet werden kann das jeweilige Nutzungsrecht zum einen durch Bruchteilseigentum der beteiligten Verbraucher an der jeweiligen Immobilie bzw. der jeweiligen Eigentumswohnung i.S.d. §§ 1008 ff. BGB i.V.m. §§ 741 ff. BGB.1298 In diesem Fall handelt es sich streng genommen um eine spezielle Form des Sachkaufs.1299 Diese Gestaltung hat jedoch den Nachteil, dass das Recht gemäß § 925 II BGB bzw. § 4 II 2 WEG nicht zeitlich befristet eingeräumt werden kann. Sofern die Nutzung einer Eigentumswohnung in Rede steht, bietet sich daher eher die Bestellung eines Dauerwohn- bzw. Dauernutzungsrechts i.S.d. § 31 WEG an, da dieses dingliche Recht auch einer Befristung offen steht (arg. § 41 WEG).1300 Weniger praktikabel ist die Einräumung eines Nießbrauchs oder einer Dienstbarkeit in Bezug auf die Immobilie.1301 Hat das dem Verbraucher eingeräumte Nutzungsrecht an der Immobilie keine dingliche, sondern eine schuldrechtliche Grundlage, kann dieser Vertrag entweder als modifizierter Dienstvertrag (§§ 535 ff. BGB) oder als eine Art Treuhandvereinbarung charakterisiert werden.1302 Ist die Timesharing-Beteiligung des Verbrauchers an der Immobilie gesellschaftsrechtlich konzipiert, etwa über einen Gesellschaftsanteil, der an einer Genossenschaft, GmbH o.ä. besteht, wobei die Gesellschaft das Wohngebäude hält und dem Verbraucher auf mitgliedschaftlicher Basis ein Nutzungsrecht in dem vereinbarten Zeitraum einräumt, kommen die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung.1303 Unabhängig von der dinglichen, schuldrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung des konkreten Timesharing-Vertrags handelt es sich um einen Typenkombinationsvertrag. So gelten für Leistungsstörungen und die Beendigung des Vertrags – sofern es hierfür keine besondere Abrede gibt – die Vorschriften desjenigen Vertragstyps, für den die betreffende Leistung charakte1297
Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 481 Rn. 7. Reinkenhof, Jura 1998, 516, 563. 1299 Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 41 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 231. 1300 BGH DNotZ 1964, 493 ff.; Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 61 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 231 f. 1301 Vgl. dazu Reinkenhof, Jura 1998, 561, 563 f. 1302 LG Köln NJW-RR 1992, 1333, 1334; Bütter, Immobilien-Time-Sharing und Verbraucherschutz (2000), S. 126 ff:; Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Time-Sharing-Vertragsrecht (1997), S. 72 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 232; Reinkenhof, Jura 1998, 561, 564 f. 1303 LG Kleve VuR 1993, 49, 50; Bütter, Immobilien-Time-Sharing und Verbraucherschutz (2000), S. 124; Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im TimeSharin-Vertragsrecht (1997), S. 100 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 232; Reinkenhof, Jura 1998, 561, 563 f. 1298
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ristisch ist.1304 Legt man dies zugrunde, gilt Folgendes: Für Mängel der überlassenen Räume als solche können die §§ 536 ff. BGB, für Mängel der erfolgsbezogenen Serviceleistung die §§ 633 ff. BGB herangezogen werden.1305 Zur Konkretisierung des Mangelbegriffs ist es empfehlenswert, auf § 651c BGB abzustellen.1306 Für die Beendigung des Teilzeit-Wohnrechtevertrags sind im Grundsatz die Vorschriften des Mietvertragsrechts über die ordentliche und außerordentliche Kündigung anzuwenden. Die ordentliche Kündigung wird in Teilzeit-Wohnrechteverträgen aber regelmäßig dadurch ausgeschlossen, dass der Teilzeit-Wohnrechtevertrag auf eine bestimmte Zeit abgeschlossen wird (§ 542 I, II BGB). Übrig bleibt daher nur die außerordentliche Kündigung. Nicht anzuwenden auf Teilzeit-Wohnrechteverträge sind die Vorschriften des Wohnungsmieters gemäß §§ 573 ff. BGB. Heranziehbar ist allerdings § 544 BGB, dasselbe gilt für § 547 BGB.1307 Umstritten ist die Anwendung von § 566 BGB; ein entsprechendes Schutzbedürfnis des Nutzers der Immobilie kann jedoch wohl nicht ernsthaft bezweifelt werden.1308 Hinsichtlich der Laufzeit von Teilzeit-Wohnrechteverträgen muss bei vorformulierten Vertragsbedingungen § 309 Nr. 9 BGB beachtet werden. Nach dessen lit. a) ist eine den Kunden länger als zwei Jahre bindende Laufzeit des Vertrages unwirksam. Die Bedeutung dieser Vorschrift für Teilzeitwohnrechte ist jedoch gering. Sie kann sinnvoll ohnehin nur auf das schuldrechtlich ausgestaltete Timesharing angewandt werden. Die dingliche Ausgestaltungsform des Timesharings ist von der Vorschrift nicht erfasst.1309 Aber auch der Anwendungsbereich des schuldrechtlichen Timesharing ist begrenzt, denn § 309 Nr. 9 BGB reglementiert keine Gebrauchsüberlassungsverträge wie Miete, Pacht und Leasing und damit eigentlich auch nicht das typische Timesharing.1310 Grundsätzlich ist für Timesharing-Verträge in der Vergangenheit noch hinsichtlich des schuldrechtlichen Geschäfts eine Rechtswahl nach Art. 27 I EGBGB a.F. zulässig ge1304
Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 481 Rn. 3. BaRoth/Eckert (2. Aufl., 2007), § 481 Rn. 23 ff, 30; MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 7; für §§ 651c ff. BGB und §§ 536 ff. BGB sprechen sich Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 369 ff. und Tonner, Das Recht des Timesharing an Ferienimmobilien (1997), Rn. 74 aus. 1306 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 7; Tonner, Das Recht des Timesharing an Ferienimmobilien (1997), Rn. 74. 1307 Tonner, Das Recht des Timesharing an Ferienimmobilien (1997) Rn. 76; MüKo/ Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 7. 1308 Für die Anwendung von § 566 BGB Bütter, Immobilien-Time-Sharing und Verbraucherschutz (2000), S. 243; Hildenbrand, Vertragsgestaltung und Verbraucherschutz im Timesharing-Vertragsrecht (1997), S. 96; Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 137; Tonner, Das Recht des Timesharing an Ferienimmobilien (1997), Rn. 78 ff.; dagegen MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 8; Staudinger/Martinek (2004), Vor § 481 Rn. 14. 1309 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 35. 1310 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 35. 1305
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wesen.1311 Die Wirkungen der Rechtswahl wurden allerdings gemäß den europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie durch Art. 29a I, III EGBGB a.F. und nun durch Art. 6 der Rom I-VO, 1312 § 46b EGBGB n.F. begrenzt. 5. Regelungsinhalt § 481 I 1 BGB definiert den Teilzeit-Wohnrechtevertrag als einen Vertrag, durch den ein Unternehmer i.S.d. § 14 BGB einem Verbraucher i.S.d. § 13 BGB gegen Zahlung eines Gesamtpreises das Recht einräumt oder zu verschaffen verspricht, für die Dauer von mehr als einem Jahr (früher: mindestens drei Jahre) ein Wohngebäude mehrfach für einen bestimmten oder zu bestimmenden Zeitraum zu nutzen, wobei die Benutzung die Übernachtung mit einschließt.1313 Bei der Berechnung der Vertragsdauer sind sämtliche im Vertrag vorgesehene Verlängerungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, § 481 I 2 BGB. Das eingeräumte Nutzungsrecht wird vom Regelungskomplex nicht abschließend typisiert und ist damit einer weiten Gestaltung offen.1314 § 481 II BGB bestimmt insoweit ausdrücklich, dass das eingeräumte Teilzeitnutzungsrecht ein dingliches oder ein anderes sein kann. Anders als nach der alten Timesharing-Richtlinie regeln die neuen §§ 481 ff. BGB nicht mehr, dass nur bestimmte Aspekte von Teilzeit-Wohnrechteverträgen1315 der Reglementierung unterworfen werden. Der Regelungskomplex wurde vielmehr in Umsetzung der neuen Timesharing-Richtlinie auch für kürzere Teilzeitwohnrechte als drei Jahre und für langfristige Urlaubsprodukte (§ 481a BGB) und Vermittlungs- und Tauschsystemverträge (§ 481b BGB) geöffnet, was zu begrüßen ist. Hinsichtlich des personellen Anwendungsbereichs ist allerdings „Kontinuität“ gegeben, denn es ist weiterhin das B2C-Verhältnis in Bezug genommen. a. Persönlicher Anwendungsbereich Die Anknüpfung an den Begriff des Verbrauchers und des Unternehmers, die bereits in § 481 I 1 BGB erfolgt, macht deutlich, dass es sich bei den TimesharingVorschriften um Regelungen handelt, die dem Verbraucherschutzrecht i.e.S. zuzuordnen sind.1316 Ausgenommen vom persönlichen Anwendungsbereich der
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BGHZ 135, 124, 130; MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 22. VO EG Nr. 593/2008 v. 17.6.2008, ABl.EG Nr. L 177/6 v. 4.7.2008. 1313 Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 481 Rn. 3 ff.; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 2. 1314 PWW/Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 481 Rn. 1; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 1. 1315 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 2. 1316 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (2002), S. 231: „spezifisch verbraucherschützender Charakter“. 1312
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§§ 481 ff. BGB sind damit Verträge zwischen Gewerbetreibenden sowie solche, die sich als reines Privatgeschäft unter Verbrauchern darstellen.1317 b. Sachlicher Anwendungsbereich Der Vertrag, der durch § 481 I 1 BGB erfasst ist, muss sachlich auf die Verschaffung eines Nutzungsrechts an einer Immobilie zu wiederkehrenden Übernachtungszwecken gerichtet sein. § 488 II BGB verdeutlicht, dass die TimesharingRegelungen bewusst weit gefasst wurden, um möglichst alle Varianten von Timesharing-Produkten (dingliche, schuldrechtliche, gesellschaftsrechtliche Ausgestaltungsformen) zu reglementieren.1318 Wichtig insoweit ist nur, dass das Nutzungsrecht selbst nicht auf Dauer, sondern auf periodische Wiederkehr angelegt ist. Nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck des § 481 I 1 BGB sowie entsprechend den Vorgaben der alten Richtlinie, die wohl diesbezüglich noch fortgelten (vgl. Art. 2, 1. Spiegelstrich, Art. 5 Nr. 1), sollten auch Vorverträge einbezogen sein.1319 Nach der neuen Regelung sind zunächst Nutzungsobjekte an Wohngebäuden erfasst, darüber hinaus aber auch Verträge über sonstige „langfristige Urlaubsprodukte“, vgl. § 481a BGB, und Vermittlungs- und Tauschsystemverträge (zur Definition vgl. §§ 481b BGB). Das wie auch immer geartete Teilzeitwohnrecht muss nach § 481 I 1 BGB i.Ü. gegen Zahlung eines (Gesamt-)Preises gewährt werden, der die gesamte Nutzungsdauer abdeckt.1320 Das Nutzungsrecht muss ferner eine Mindestlaufzeit von einem Jahr umfassen. An der erforderlichen Mindestdauer von einem Jahr fehlt es bei der Vereinbarung von kürzeren Vertragslaufzeiten mit automatischer Vertragsverlängerung.1321 In Betracht kommt dann allerdings die Anwendung der §§ 481 ff. BGB unter dem Aspekt des Umgehungsverbots (§ 487 BGB).1322 c. Rechte und Pflichten der Parteien In den §§ 481 ff. BGB fehlen genuin vertragsrechtliche Regelungen über die Leistungspflichten der Vertragsparteien, über Leistungsstörungen und die Gewährleistung sowie über die Begründung und Beendigung des Vertrages. Sofern der Regelungsbereich des Timesharing keine speziellen Vorgaben enthält, ist da1317 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 481 Rn. 2; PWW/Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 481 Rn. 2. 1318 BT-Drucks. 13/4185, S. 10; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 481 Rn. 3; PWW/ Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 481 Rn. 2; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 481 Rn. 2. 1319 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 481 Rn. 3. 1320 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 33. 1321 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 34; a.A. OLG Karlsruhe VuR 2001, 382. 1322 So schon früher für die Drei-Jahres-Frist MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 481 Rn. 34; Tonner, Das Recht des Timesharing an Ferienimmobilien (1997), Rn. 60; v. Schwaller, Das Teilzeitwohnrechtegesetz (1999), S. 38.
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her lückenfüllend auf die Vorgaben der allgemeinen Vertragslehre und diejenigen Leistungs- und Gewährleistungsvorschriften zurückzugreifen, die ihnen auf Grund der Vertragskonstruktion nahe stehen.1323 Entsprechende Ausführungen hierzu wurden bereits unter 4 (siehe oben) getätigt. Der Kern der Regelungen der §§ 481 ff. BGB liegt in der Einräumung eines nachvertraglichen Widerrufsrechts nach §§ 485, 355 BGB.1324 Der Verbraucher und Erwerber eines Teilzeitwohnrechts, eines langfristigen Urlaubsprodukts, eines Vermittlungsvertrages bzw. eines Tauschsystemvertrages hat somit nach Vertragsschluss bzw. mit Abschluss des Vorvertrages nach Aushändigung der Vertragsurkunde 14 Tage Zeit, die Vor- und Nachteile des Geschäfts gegeneinander abzuwägen, vgl. § 485a I BGB. Flankiert wird das Widerrufsrecht von ausgedehnten vorvertraglichen und vertraglichen Informationspflichten, vgl. § 482 I BGB i.V.m. Art. 242 § 1 EGBGB. Bei Teilzeit-Wohnrechte-Verträgen wird dies rechtstechnisch so umgesetzt, das der Anbieter von Timesharing-Produkten einem Interessenten Informationen in schriftlicher Form zu erteilen und die Vertragsurkunde (in der Wohnsitzsprache des Verbrauchers) auszuhändigen hat, §§ § 482–484 BGB. Flankierend i.S.d. Verbraucherschutzes wirkt sich überdies das in § 486 BGB statuierte Anzahlungsverbot während der Widerrufsfrist aus. aa. Vorvertragliche Informationspflichten und Formvorschriften § 482 I BGB legt dem Unternehmer, der den Abschluss von Teilzeit-Wohnrechteverträgen anbietet, die Pflicht1325 – und nicht nur die bloße Obliegenheit – auf, interessierten Verbrauchern sachdienliche Informationen in dem von Art. 242 § 1 EGBGB bestimmten Umfang über das Produkt zu erteilen, wobei die konkreten Informationen angepasst an das jeweilige Produkt in den Anhängen zur Regelung abgeschichtet worden sind. Die früher in dieser Regelung untergebrachte Pflicht zur Aushändigung eines Prospektes1326 ist entfallen. Der Inhalt der nach § 482 I BGB zu gebenden Informationen ist maßgeblich für den Inhalt des Vertrages; er steckt mithin das Pflichtenprogramm ab, § 484 II BGB.1327 Aufklärungspflichtig ist der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher aber auch bzgl. des Widerrufsrechts. Dies schließt die Information zur Widerrufsfrist und das Anzahlungsverbot ein, § 482a 1, 2 BGB. Der Erhalt der Vertragsbestimmun1323 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 7; einschränkend zum TzWrG Bütter, ZMR 1999, 73 ff.; Reinkenhof, Jura 1998, 561, 568 f. 1324 So die Wertung von MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 3. 1325 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 482 Rn.1; Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 482 Rn. 1; MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 482 Rn. 2; Staudinger/Martinek (2004), § 482 Rn. 2 mit dem zutreffenden Hinweis auf den Wortlaut der Time-Sharing-Richtlinie. Art. 3 I RL 94/47/EG lautet nämlich: „Der Verkäufer [ist] verpflichtet, jedem Interessenten […]“ und auf die Begründung zum TzWrG (BT-Drucks. 13/4185, S. 10: „vorvertragliche Informationspflicht“); a.A. auf Grund von Rechtsfolgeerwägungen Mäsch, EuZW 1995, 8, 11. 1326 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 482 Rn. 1. 1327 Mäsch, DNotZ 1997, 196, Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 484 Rn. 6.
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gen ist ferner vom Verbraucher schriftlich zu bestätigen; die Einzelheiten sind in Art. 242 § 2 EGBGB geregelt. bb. Reglementierung der Bewerbung bzw. des Verkaufs des Produkts als Geldanlage Explizit verboten wurde in Umsetzung der neuen Timesharing-Richtlinie die Bewerbung bzw. der Verkauf des Produkts (d.h. des Teilzeit-Wohnrechts bzw. des langfristigen Urlaubsprodukts) als Geldanlage, § 482 III BGB. Weitere Auflagen für die sonstige Werbung statuiert § 482 II 1 BGB: Danach ist in der Werbung für Timesharing-Produkte anzugeben, dass vorvertragliche Informationen erhältlich sind, aber auch, wo diese angefordert werden können. Werbeveranstaltungen sind i.Ü. als solche kenntlich zu machen; auch ist dem Verbraucher hier die vorvertragliche Information zur Verfügung zu stellen, § 482 II 2, 3 BGB. cc. Widerrufsrecht des Verbrauchers, Anzahlungsverbot Nach § 485 I BGB steht dem Verbraucher ein zweiwöchiges Widerrufsrecht nach Maßgabe des § 355 BGB zu, das sich auf alle unter §§ 481 ff. BGB fallenden Timesharing-Verträge und ähnliche Produkte erstreckt.1328 Der Zweck des dem Verbraucher eingeräumten Widerrufsrechtes liegt darin, ihm zu ermöglichen, die komplizierte, schwer durchschaubare, vielfach einem fremden Recht unterliegende Timesharing-Konstruktion ohne zeitlichen Druck, frei von etwaigem Verhandlungszwang (auf Grund einer vielleicht vorliegenden psychischen Drucksituation) zu prüfen und ggf. rückgängig zu machen.1329 Damit dient das Widerrufsrecht bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen zum einen dem Schutz des Verbrauchers vor Übereilung,1330 insoweit ähnelt es dem Schutzgedanken des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen nach § 495 BGB. Hinzu kommt aber auch der Aspekt des Schutzes vor Überrumpelung, um die vielfach als anstößig empfundenen Vertriebsmethoden von manchen Timesharing-Anbietern auszuschalten.1331 Hinsichtlich dieses zweiten Aspektes ist der Schutzzweck des Widerrufsrechts nach § 485 BGB etwa mit demjenigen bei Haustürverträgen vergleichbar.1332 Das dem Verbraucher nach § 485 I BGB grundsätzlich eingeräumte Widerrufsrecht orientiert sich an den Grundvorgaben der §§ 355 ff., §§ 346 ff. BGB. Es 1328 Zu den allgemeinen Voraussetzungen und Folgen des Widerrufs vgl. die Darstellung im 2. Teil, 1. Kapitel B II 4, 5. 1329 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 485 Rn. 1; Staudinger/Martinek (2004), § 485 Rn. 3. 1330 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003), S. 329; MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 485 Rn. 1. 1331 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 485 Rn. 1; Mäsch, EuZW 1995, 8, 9; ders., DNotZ 1997, 180, 196. 1332 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 485 Rn. 1.
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erfährt allerdings, was die Rückabwicklungs- und Widerrufsfolgen anbelangt, in § 485 II–III BGB einzelne vertragsspezifische Änderungen. So hat der Verbraucher im Fall des Widerrufs keine Kosten zu tragen; die Kosten des Vertrags, seiner Durchführung und seiner Rückabwicklung hat der Unternehmer dem Verbraucher zu erstatten, § 485 II 1, 2 BGB. Ähnlich dem alten § 483 V BGB sieht nun § 485 II 2 BGB (n.F.) eine Modifizierung der Rückabwicklungsfolgen für geleistete Dienste vor. Denn eine Vergütung für geleistete Dienste sowie für die Überlassung von Wohngebäuden zur Nutzung ist abweichend von § 357 I, III BGB gemäß § 485 II 3 BGB explizit ausgeschlossen worden. Ein ausdrückliches Anzahlungsverbot, das es schon nach alter deutscher Rechtslage gab, statuiert (weiterhin) § 486 BGB. Danach darf der Unternehmer Zahlungen des Verbrauchers vor Ablauf der Widerrufsfrist nicht fordern oder annehmen, § 486 I BGB. Es dürfen überdies keine Zahlungen des Verbrauchers im Zusammenhang mit einem Vermittlungsvertrag gefordert oder angenommen werden. Dies gilt, bis der Unternehmer seine Pflichten aus dem Vermittlungsvertrag erfüllt hat oder diese Vertragsbeziehung beendet ist, § 486 II BGB. dd. Besondere Vorschriften für langfristige Urlaubsprodukte Für langfristige Urlaubsprodukte statuiert § 486a BGB nun die Pflicht des Unternehmers ein Formblatt nach Art. 242 § 1 II EGBGB zu benutzen, wobei der Unternehmer von den dort genannten Zahlungsmodalitäten nicht abweichen darf. Es ist ihm überdies untersagt, die dem laut Formblatt zu entnehmenden fälligen jährlichen Teilbeträge vom Verbraucher zu fordern bzw. anzunehmen, wenn er den Verbraucher nicht zuvor in Textform zur Zahlung des Teilbetrages aufgefordert hat, § 486a I 3 BGB. Die Zahlungsaufforderung muss dem Verbraucher überdies zwei Wochen vor Fälligkeit des jährlichen Teilbetrages zugehen, § 486a I 4 BGB. Ein besonderes Kündigungsrecht sieht § 486a II BGB vor. ee. Verbot der Abbedingung und Umgehung Die verbraucherschützenden Vorschriften der §§ 481 ff. BGB stellen an den Unternehmer nicht unerhebliche Anforderungen, die zu erfüllen mit einem gewissen Aufwand verbunden sind. Für den Unternehmer könnte daher ein wirtschaftlicher Anreiz bestehen, diese abzubedingen oder zu umgehen. Dem vorzubeugen, dient § 487 BGB. Er schreibt explizit vor, dass von den Vorschriften der §§ 481 ff. BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden darf, vgl. § 487 S. 1 BGB. Damit sind die §§ 481–486a BGB als halbzwingende1333 Schutzvorschriften zu verstehen. Die Bestimmungen der §§ 481–486a BGB kommen grundsätzlich auch zur Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltung umgangen werden, vgl. § 487 S. 2 BGB. Ob eine Umgehung vorliegt, ist auf Grund einer vom Gesetzeszweck ausgehenden wirtschaftlichen Betrachtung zu 1333
Jauernig/Berger (12. Aufl., 2007), § 481 Rn. 2.
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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entscheiden. Für ihre Bejahung bedarf es allerdings nur des Vorliegens des objektiven Umgehungstatbestandes, eine (subjektive) Umgehungsabsicht ist nicht erforderlich.1334 Dies folgt bereits aus dem methodischen Ansatz teleologischer Rechtsanwendung, bei dem für die subjektiven Vorstellungen von Vertragsparteien kein Raum ist.1335 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Die Regelungen zum Timesharing sehen – wie bereits dargestellt – unterschiedliche Schutzinstrumente zugunsten des Verbrauchers vor. Die wesentlichen von ihnen sind: die Informationspflichten des Unternehmers, das Gebot der Vertragstransparenz, das Anzahlungsverbot und das Widerrufsrecht. Die Kumulation dieser Elemente beim Timesharing-Recht durch den Gesetzgeber ist allerdings nach wie vor erheblicher (gerade rechtspolitischer) Kritik ausgesetzt. In der Quintessenz läuft die Ablehnung des „kompakten“ verbraucherschützenden Instrumentariums darauf hinaus, die betreffenden Regelungen als „hypotroph“ zu brandmarken.1336 Die Vorgaben führen – dies wird insoweit gegen sie eingewandt – zu einer bedenklichen, weil überstrapazierten Einengung des Grundsatzes der Privatautonomie.1337 Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die sich nur darauf beziehen, das „Informationsbombardement“, das mit den §§ 481 ff. BGB einhergeht, anzugreifen. Insofern wird etwa vorgebracht, auf Grund der detaillierten Regelungen von Pflichtangaben bestehe die Gefahr, dass der Verbraucher die Fülle der Informationen überhaupt nicht verarbeiten kann und sie daher auch nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Die Konsumentenverhaltensforschung belegt, dass eine Überzahl von Informationen nicht nur unnötig, sondern auch schädlich ist, weil der Verbraucher zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen nicht hinreichend selektieren kann.1338 Zumindest den hier zuerst genannten Kritikpunkten ist jedoch nicht zuzustimmen. Gerade die Untersuchungen der Kommission und des Europäischen Parlaments1339 in Ausarbeitung des neuen Richtlinienvorschlags haben gezeigt, dass auf dem Feld des Timesharing der Verbraucherschutz noch lange nicht den Stand erreicht hat, den er haben sollte. Aus Sicht beider Gremien ist der Ver1334
BGHZ 110, 47, 67; PWW/Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 478 Rn. 3; Teichmann, Die Gesetzesumgehung (1962), S. 69 f.; Hildenbrand, NJW 1998, 2940 ff. 1335 MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), § 487 Rn. 8. 1336 Vgl. etwa Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 599, 566; Staudinger/Martinek (2004), § 481 Rn. 55. 1337 Ebenda. 1338 Grundlegend Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 445 ff.; so auch Wendlandt, VuR 2004, 117; problematisierend auch MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 5. 1339 Siehe dazu die Nachweise unter dem Gliederungspunkt Europarechtlicher Hintergrund.
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braucherschutz beim Timesharing in Bezug auf die alte Richtlinie noch nicht umfassend genug ausgestaltet, sodass das bisherige Regelungsmodell des komplexen Ineinandergreifens von Schutzmechanismen nicht aufgegeben, sondern effektiviert werden muss. (Dies war denn auch der Hintergrund der Verabschiedung der neuen Richtlinie von 2009.) Aber freilich unterliegt diese Einschätzung, wie jede Frage im Bereich des Verbraucherschutzes, letztlich einer rechtspolitischen Wertung. Wichtiger erscheint mir der hier zuletzt genannte Vorwurf, der auf die Problematik der „Informationshypertrophie“1340 eingeht, die – auch aus Sicht des Verbraucherschutzes – nicht unterschätzt werden darf. Es wurde bereits an anderer Stelle (bei den allgemeinen Ausführungen zu den Informationspflichten)1341 erörtert, dass das Gebot der Information dem Gedanken der Effizienz verpflichtet ist. Insofern bedarf es sicherlich eines kritischen Nachdenkens über den derzeitigen informellen Ansatz in der EU. Notwendig ist nicht ein Übermaß an Information, sondern eine „Dosis“, die strukturiert ist und für Transparenz beim Vertragsschluss sorgt. Insofern ist auch beim Timesharing-Recht für eine Evaluation der derzeitigen Informationserfordernisse zu plädieren. a. Erfüllungsanspruch in Bezug auf die mitgeteilten Vertragsessentialia Jenseits des generellen Problems der Informationsflut besteht für den Unternehmer nach derzeitigem Recht eine Pflicht, den Verbraucher vor Vertragsschluss die Vertragsessentialia nach § 482 I 1 BGB i.V.m. Art. 242 § 1 EGBGB in Textform zur Verfügung zu stellen. Gemäß § 484 II 1 BGB werden die Angaben mangels einer ausdrücklichen abweichenden Vereinbarung Vertragsbestandteil. Der Verbraucher kann sich damit auf die ihm mitgeteilten Pflichtangaben verlassen. Sie begründen einen positiven Erfüllungsanspruch. Wird die Leistung nicht dementsprechend erbracht, stehen ihm Gewährleistungsansprüche zur Seite. b. Herausgeschobener Beginn der Widerrufsfrist Verstöße gegen die Informationspflicht nach § 482 I BGB i.V.m. Art. 242 § 1 EGBGB können sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. Sie führen jedoch grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des Vertrages, da dies für den Schutz des Verbrauchers kontraproduktiv wäre.1342 Wird die vorvertragliche Informationspflicht bzgl. der vertragsnotwendig vorgeschrienen Angaben nicht beachtet oder wird diese nicht in der von § 483 I BGB vorgegebenen Sprache erbracht, so beginnt die Widerrufsfrist abweichend von § 485a I BGB erst mit dem Erhalt der vollständigen Information und des (sprachkonformen) Formblatts zu lau1340 Siehe zu diesem strukturellen Problem der Verbraucherinformationspflichten insgesamt das im 2. Teil, 1. Kapitel, B I 2 c bb (2) (d.) Gesagte. 1341 Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel, B I 2. 1342 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 2 BGB-InfoV Rn. 2; PWW/Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 484 Rn. 2.
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fen, § 485a II 1 BGB. Wurde nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht nach § 482a BGB in der dort vorgeschrienen Art und Weise belehrt, so setzt die Widerrufsfrist auch erst später ein, nämlich nach Erhalt der formgültigen Widerrufsbelehrung in der vorgeschriebenen Sprache, § 485a III 1 BGB. Das Widerrufsrecht erlischt nach § 485a III 2 BGB spätestens ein Jahr und zwei Wochen nach Vertragsschluss und Erhalt der Vertragsurkunde, § 485a III 2 BGB. c. Vertragssauflösung durch Anfechtung und Ersatz des Vertrauensschadens Wie bei der Verletzung von Informationspflichten, die im Fernabsatz und elektronischen Geschäftsverkehr nach Art. 246 §§ 1, 2, 3 EGBGB bestehen,1343 gilt es auch bei der Außerachtlassung einzelner (vorvertraglicher) Informationspflichten aus dem Timesharing-Bereich zunächst zu hinterfragen, ob die insoweit fehlerhaft abgegebene, zum Vertrag führende Willenserklärung des Verbrauchers von diesem nach §§ 119 ff. BGB angefochten und damit der Vertrag mit ex tuncWirkung beseitigt werden kann. Dies wird man insbesondere für Fälle bejahen müssen, bei denen ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 119 II BGB) oder sogar eine arglistige Täuschung (§ 123 I BGB) vorliegt, was vom Verbraucher freilich zu beweisen ist.1344 Im Fall einer möglichen Anfechtung nach § 119 BGB gilt es weiter zu beachten, dass der Verbraucher entgegen den Vorgaben des § 122 BGB von der Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens freizustellen ist. Dieses Ergebnis wurde schon bei der Anfechtung wegen Informationspflichtverletzung beim Fernabsatz und elektronischen Geschäftsverkehr vertreten,1345 lässt sich im Bereich des Timesharing aber noch zusätzlich über die Wertung des § 485 V 3 BGB legitimieren, nach der auch beim Widerruf des Vertrages wegen Informationspflichtverletzung eine Kostenerstattung nicht in Frage kommt. d. Vertragsanpassung oder -auflösung nach den Grundsätzen der cic Jenseits der Möglichkeit, mit der Anfechtung als allgemeinem Instrumentarium zu agieren, wird zutreffend die Option der Geltendmachung eines Schadensersatzes aus cic nach §§ 280 I, 311 II BGB mit der für den Verbraucher günstigen Folge des Schadensersatzes geltend gemacht.1346 Mit der Prospektübergabe entsteht zwischen Unternehmer und Verbraucher ein Vertragsanbahnungsverhältnis, auf das die §§ 280 I, 311 II BGB potentiell Anwendung finden.1347 Ein der1343
Vgl. dazu meine Ausführungen im 2. Teil, Kapitel 2 B I 3. Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 5. 1345 Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, 2. Kapitel B, I 3 h bb. 1346 BGH NJW 2006, 3139; Emmerich, JuS 2006, 1021 ff.; Möllers/Weichert, LMK 2006, 31 ff.; Theisen, NJW 2006, 3102 ff.; Kersting, JZ 2008, 714 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 233. 1347 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 485 Rn. 5; zur Konkurrenz bei Prospekthaftungsansprüchen vgl. BGH NJW 2001, 438 ff. 1344
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artiger Anspruch führt, sofern eine Vertragsanpassung nicht möglich bzw. unzumutbar ist, bis hin zur Vertragsaufhebung.1348 Notwendig ist insoweit, dass der Verbraucher die Verletzung der vorvertraglichen Informationspflicht darlegt und auch den daraus ihm entstandenen kausalen Schaden. Dieser kann in dem Vertragsabschluss oder in dem ungünstigen Inhalt des Vertrages seinen Grund haben.1349 Dabei gilt: Beweislasterleichterungen in Bezug auf die Kausalität des Schadens zugunsten des Verbrauchers sind jedenfalls für diejenigen Konstellationen zu befürworten, wo es sich um schwerwiegende Informationspflichten handelt, die außer Acht gelassen wurden. Insofern sind die verschiedenen Prospektinformationspflichten zu gewichten. Seitens des Verbrauchers streitet (um diese Wertung nicht auf der beweisrechtlichen Ebene zu konterkarieren) die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens.1350 In der Literatur wird jedoch zutreffend geltend gemacht, dass für den Sonderfall, dass die Prospektinformation, die vor Vertragsschluss fehlte, im Vertrag „nachgeholt“ wird, eine Lösung vom Vertrag nach cic-Grundsätzen nicht mehr in Frage kommt.1351 Für diesen Fall ist es dem Verbraucher zumutbar, sich auf das Widerrufsrecht zu beschränken.1352 e. Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Formerfordernis Genügt der Teilzeit-Wohnrechtevertrag nicht dem Formerfordernis nach § 484 I BGB, ist er nach § 125 BGB nichtig. Ist der Vertrag von vornherein formnichtig, bedarf es keines Widerrufs.1353 Dieser ist jedoch unter dem Gesichtspunkt der „Doppelwirkung im Recht“ auch nicht ausgeschlossen. f. Schadensersatz bei Verstoß gegen Anzahlungsverbot § 486 BGB, der ein Verbot der Vorauszahlung in der Widerrufsfrist vorsieht, bewirkt keine Nichtigkeit des Zahlungsvorgangs.1354 Er führt lediglich zu einem Schadensersatzanspruch gegen den Unternehmer.1355 Insofern ist § 280 I BGB (ggf. i.V.m. § 311 II BGB) in Ansatz zu bringen, was freilich dem Verbraucher we1348 Vgl. dazu die Ausführungen im Zusammenhang mit der Informationspflichtverletzung beim elektronischen Geschäftsverkehr und Fernabsatz im 2. Teil, 2. Kapitel B I 2, 3. 1349 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 9. 1350 BGH NJW 1994, 513; Hoffmann, ZIP 2005, 829, 838; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. vor § 1 BGB-InfoV Rn. 11. 1351 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 485 Rn. 18; Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1280 f. 1352 Diskutiert wird überdies ein Anspruch auf Schadensersatz (bis hin zur Vertragsaufhebung) nach §§ 823 II, 249 I BGB, sofern man § 2 BGB-InfoV die Qualität eines Schutzgesetzes beimisst, vgl. dazu Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 485 Rn. 20; zu einer Haftung aus § 826 BGB vgl. LG Hanau NJW-RR 2001, 1500 f. 1353 Hildenbrand, NJW 1998, 2940 ff.; Bütter, ZMR 1999, 73 ff. 1354 BGH NJW-RR 2005, 780; PWW/Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 486 Rn. 2. 1355 OLG Frankfurt/M. NJW 1999, 294; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 486 Rn. 7.
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nig hilft, da er dann im Regelfall wieder prozessieren muss, was das Anzahlungsverbot eigentlich verhindern sollte. § 486 BGB gilt – was weiterhin zu bedauern ist – leider auch nicht für die Provision eines Vermittlers;1356 diese kann deshalb im Voraus verlangt werden. g. Unterlassungsanspruch nach dem UKlaG und dem UWG Bei verbraucherschutzwidrigen Praktiken des Unternehmers kommt des Weiteren eine Unterlassungsklage nach § 2 I, II Nr. 1, III UKlaG in Betracht, die bestimmte, in §§ 3, 4 UKlaG aufgeführte Stellen und Verbände erheben können.1357 Informationspflichtverletzungen können ferner wettbewerbsrechtliche Sanktionen nach Maßgabe der §§ 8, 9 UWG auslösen. Verstößt der Unternehmer etwa gegen die ihm obliegenden Vorgaben bei der Widerrufsbelehrung, besteht Einmütigkeit, dass dieses Verhalten auf eine Irreführung und Ausnutzung der Rechtsunkenntnis der betroffenen Verbraucher gerichtet ist, das den Vorwurf der Wettbewerbswidrigkeit (vgl. § 4 Nr. 11 UWG) begründet.1358 Dies gilt entsprechend, wenn der Unternehmer seine in §§ 482, 483 BGB verankerten Pflichten verletzt.1359 Damit soll der Bereich des Timesharing abgeschlossen werden. III. Finanzgeschäfte und Verbraucherkredite Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit dem Schutz des Verbrauchers ist neben dem Kaufrecht und dem Timesharing-Recht auch und gerade das gesamte Kreditrecht.1360 Dies hängt damit zusammen, dass Verbraucher, aber auch andere Personen, oft ein Bedürfnis haben, Kredite aufzunehmen, um damit den Ankauf bestimmter (Konsum-)Güter zu finanzieren.1361 Der Rechtsbereich des Kreditrechts wurde ebenso wie das Kaufrecht mit der Schuldrechtsreform am 1.1.2002 grundlegend neu gestaltet und befindet sich auch heute noch in starkem Wandel. Die Schuldrechtsreform führte dazu, dass eine systematische Trennung zwischen Geld- und Sachdarlehen und weiteren Finanzierungshilfen stattfand, wobei sämtliche Bereiche nunmehr (übersichtlich) im BGB und nicht mehr in Sondergesetzen, wie etwa dem VerbrKrG, verortet sind. Die Vorschriften über das Verbraucherdarlehen und die Finanzierungshilfen, die hier im systematischen Zusammenhang mit dem Gelddarlehen als Teilmaterie des Verbraucherschutzrechtes besprochen werden sollen, integrie1356
BGH NJW-RR 2005, 780; PWW/Schmidt/Schmid (3. Aufl., 2008), § 486 Rn. 3. Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 485 Rn. 21. 1358 OLG Karlsruhe VuR 2001, 382 ff.; LG Frankfurt/M. NJW-RR 2000, 508. 1359 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 485 Rn. 22. 1360 Zum Begriff „Kreditverträge“ als Oberbegriff der §§ 488 bis 507 BGB siehe Köndgen, WM 2001, 1637, 1640 f. 1361 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 106. 1357
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ren noch zu weiten Teilen die Bestimmungen des alten VerbKrG.1362 Sie wurden im Zuge der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur neuen Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) nochmals überarbeitet.1363 1. Allgemeines Das deutsche Recht kennt schon seit langem Regelungen zum Kreditrecht. Der historische BGB-Gesetzgeber von 1900 hatte das Geld- und Sachdarlehen noch einheitlich in den §§ 607 ff. BGB a.F. geregelt. Die einschlägigen Vorschriften galten aber schon lange als nicht mehr zeitgemäß.1364 Dies lag zum einen daran, dass der Gesetzgeber als Regelfall von der Unentgeltlichkeit des Darlehensvertrages ausging, zum anderen hatte es aber auch etwas damit zu tun, dass sich außerhalb des BGB schon sehr früh ein besonderes Schutzrecht für Darlehensnehmer entwickelte.1365 2. Entstehungsgeschichte Die Bestimmungen zum Gelddarlehen und zu Verbraucherkreditgeschäften, die heute in den §§ 488 ff., 491 ff. BGB verortet sind, bauen so gesehen auf sehr weit zurückliegende Vorgängervorschriften auf. a. Abzahlungsgesetz Der Gedanke des notwendigen Schutzes des geschäftsunerfahrenen Privatmanns im Zusammenhang mit Abzahlungskäufen, die eine kreditierende Komponente enthielten, brach sich erstmals 1894 mit dem Erlass des Abzahlungsgesetzes (AbzG) Bahn.1366 Die Legislative hatte mit der Einführung dieses Gesetzes (weit vor dem Inkrafttreten des BGB) bereits erkannt, dass es für den Käufer mit erheblichen Risiken verbunden ist, wenn er mit dem Verkäufer die Zahlung eines Kaufpreises in Raten vereinbart. Da private Käufer geschäftlich häufig völlig unerfahren sind, schätzen sie die hiermit verbundenen finanziellen Lasten unzutreffend ein und können deshalb irgendwann ihrer Zahlungspflicht nicht mehr nachkommen.1367 Das AbzG reagierte hierauf mit dem Verbot so genannter „Verfallklauseln“. Daneben führte es verbindliche Regelungen zum Schutz 1362 Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) v. 17.12.1990, BGBl. I, S. 2840 ff.; in der Fassung der Bekanntmachung v. 29.6.2000, BGBl. I, S. 940 ff. 1363 Vgl. dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie, BR-Drucks. 848/08 v. 7.11.2008 und die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 848/08 (B) v. 19.12.2008. Das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie wurde schlussendlich am 29.7.2009 verabschiedet, vgl. dazu BGBl. I 2009, S. 2355 v. 3.8.2009. 1364 Zum Befund Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 104 f. 1365 Looschelders, ebenda. 1366 Vgl. dazu Benöhr, ZHR 138 (1974), 492, 499 ff. 1367 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 105.
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des Käufers gegen bestimmte Vertragsbedingungen und in Bezug auf verzögerte Zahlungen ein. Das Gesetz war allerdings nicht schlichtweg auf die Protektion von „Verbrauchern“ i.S.d. heutigen § 13 BGB gerichtet, da der Begriff des Verbrauchers bzw. Konsumenten in der Form, wie er heute gebräuchlich ist, damals noch nicht eingeführt war.1368 Das AbzG schützte zunächst nur den Nichtkaufmann (vgl. § 8 AbzG), d.h. solche Personen, die nicht im Handelsregister eingetragen waren. b. Reformnovellen Einen entscheidenden Bedeutungszuwachs erfuhr das AbzG Jahrzehnte später durch die Reformnovellen von 19691369 und 1974.1370 Die durch diese Neuregelungen eingeführten, bereits im Zeichen eines sonderprivatrechtlichen Verbraucherschutzes stehenden Vorschriften1371 veränderten und erweiterten den Anwendungsbereich des Gesetzes. Denn mit der Statuierung von Formvorschriften und Widerrufsrechten wurden neben dem Verzug des Abzahlungskäufers nunmehr auch das Zustandekommen und das Wirksamwerden von Abzahlungskäufen thematisch erfasst. Dies hatte zur Folge, dass sich der abzahlungsrechtliche Schutz nicht mehr nur auf belastende Abwicklungsbedingungen, sondern auch auf die Freiheit der Willensbildung und Willensentscheidung bezog.1372 c. Verbraucherkreditgesetz Zu einer neuerlichen Diskussion um die Ausweitung des Konsumentenschutzes bei kreditierten Geschäften und Krediten kam es auf dem 53. Deutschen Juristentag im Jahr 1980, der unter dem Thema „Welche Maßnahmen empfehlen sich zum Schutz des Verbrauchers auf dem Gebiet des Konsumentenkreditrechts?“ stand. Der damals zur Diskussion gestellte Vorschlag zur Schaffung eines umfassenden Konsumentenkreditgesetzes1373 fand noch keine Mehrheit, sodass sich mit ihm keine weiteren gesetzgeberischen Aktivitäten verbanden. Spätere Reformbestrebungen1374 endeten ebenfalls ergebnislos, auch weil bereits auf der europäischen Ebene ein Prozess zur Vereinheitlichung des Rechts-
1368
Staudinger/Weick (2004), Vor §§ 13, 14 Rn. 2. Änderungsgesetz v. 1.9.1969 (BGBl. I, S. 1541). 1370 2. Änderungsgesetz v. 15.5.1974 (BGBl. I, S. 1169). 1371 Vgl. dazu Reich, JZ 1975, 550 ff.; Löwe, NJW 1974, 2257 ff. 1372 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 35 f. 1373 Vgl. Hadding, DJT-Gutachten (1980), S. 83, 86 ff., 346. 1374 So führte auch ein Ersuchen des Bundesrates und der Konferenz der Länderjustizminister 1984 an die Bundesregierung, Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Ratenkreditschuldner zu ergreifen, sowie verschiedene darauf abzielende Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion im Bundesrat zu keinem Erfolg; vgl. dazu ferner Gilles, ZRP 1989, 299, 300. 1369
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bereiches in Gang gesetzt worden war und man diesem nicht weiter vorgreifen wollte.1375 Angestoßen durch die Verbraucherkreditrichtlinie 87/102/EWG vom 22.12. 19861376 legte das Bundesjustizministerium nach einem ersten Entwurf vom Juni 19881377 im März 1989 einen auf Grund der Stellungnahme der Länder sowie interessierter Verbände deutlich veränderten zweiten Referentenentwurf1378 vor. Dieser wurde Grundlage des Regierungsentwurfs.1379 Der hernach mit dem Vorschlag befasste BT-Rechtsausschuss übernahm in seinem Bericht und in seiner Beschlussempfehlung eine Reihe von Änderungsvorschlägen, die zwischenzeitlich durch den Bundesrat angeregt worden waren.1380 Daraufhin wurde das Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) am 17.12.1990 im Bundestag verabschiedet. Es trat bereits am 1.1.1990 in Kraft.1381 In seiner nur elfjährigen Geltungsdauer war das VerbrKrG wiederholt überarbeitet worden.1382 Inhaltlich setzte es die Vorgaben der Verbraucherkreditrichtlinie in nationales Recht um, womit auch eine Schutzbereichsausdehnung verbunden war. Denn im Unterschied zum vormaligen AbzG erfasste das VerbrKG nicht nur Abzahlungskäufe, sondern auch alle sonstigen entgeltlichen Kreditverträge. d. Schuldrechtsmodernisierung Das Ende des VerbrKG als Sondergesetz wurde durch die Schuldrechtsreform am 1.1.2002 besiegelt, die für eine Überführung der verbraucherschützenden Bestimmungen des VerbrKrG in das BGB sorgte.1383 Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden die Vorschriften des VerbrKG zusammen mit den allgemeinen Bestimmungen über das Gelddarlehen in den dritten Teil (§§ 488 ff. BGB) eingestellt. Der Kreditvermittlungsvertrag (d.h. die Bestimmungen der §§ 15–17 VerbKrG) fanden Eingang in das Maklerrecht, zu dem eine größere gedankliche Nähe bestand. Sie finden sich heute in den §§ 655a ff. BGB. Nennenswerte inhaltliche Änderungen waren mit der Schuldrechtsreform, abgesehen von Umgestaltungen der Widerrufsfolgen und der Ausdehnung der Formvorschrif-
1375
MüKo/Schürnbrand (5. Aufl., 2008), Vor § 491 Rn. 6. ABl.EG Nr. L 42/48. 1377 Abgedruckt in ZIP 1988, 1215. 1378 Vgl. dazu den Bericht in der ZIP 1989 A 68 Nr. 252 und A 88 Nr. 318. 1379 BT-Drucks. 11/5462 = BR-Drucks. 427/89. 1380 BT-Drucks. 11/8274. 1381 Zum Ganzen siehe Seibert, WM 1991, 1445, 1448; Canaris, EuZW 1991, 257 ff. 1382 Hierzu gehörten einerseits die Neuregelung der §§ 3 I Nr. 5, II Nr. 2 VerbrKrG durch das Bauhandwerkersicherungsgesetz v. 27.4.1993 (BGBl. I, 509), aber auch die Änderung des § 7 II 5 VerbrKrG durch das Teilzeitwohnrechtegesetz i.d.F. v. 29.6.2000 (BGBl. I, S. 957). 1383 Genauer dazu, auch in Bezug auf die neue Strukturierung des BGB-Teils, MüKo/ Berger (5. Aufl., 2008), Vor § 488 Rn. 2 ff. 1376
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ten des § 492 I BGB durch § 492 IV BGB auf Kreditvollmachten, nicht verbunden.1384 Der seit der Schuldrechtsreform in den §§ 488 ff. BGB verwirklichte Regelungsansatz, der allgemeine gelddarlehensrechtliche Normen den spezifisch verbraucherrechtlichen Regelungen voranstellt, hat dazu geführt, dass der gesamte Untertitel heterogen strukturiert ist. Der Verbraucherdarlehensvertrag ist nach neuerlicher Reform des Regelungsbereiches im Zuge der Umsetzung der aktuellen Verbraucherkreditrichtlinie, in den §§ 491–505 BGB geregelt. Die verschiedenen Formen der Finanzierungshilfen finden sich in den §§ 406–512 BGB. Diese Regelungstechnik des Gesetzgebers ist bereits aus dem Kaufvertragsrecht bekannt, wo an den Grundtatbestand des Kaufvertrages spezifische Sonderregelungen zum Verbrauchsgüterkauf (vgl. §§ 474 ff. BGB) angehängt wurden. Anlass, daran aus Transparenzgründen Anstoß1385 zu nehmen, gibt es nicht. Durch Art. 25 des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes vom 23.7.20021386 hat der Gesetzgeber schon kurz nach Erlass des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine Reihe von weiteren Modifizierungen in den §§ 491 ff. BGB vorgenommen. Der Änderungsbedarf ergab sich im Hinblick auf das so genannte Heininger-Urteil des EuGH vom 13.12.2001.1387 Die EuGH-Richter stellten in dem Judikat klar, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts für an der Haustür abgeschlossene Immobiliendarlehen als mit den Vorgaben der Haustürwiderrufsrichtlinie unvereinbar anzusehen ist. Der deutsche Gesetzgeber nahm diesen Hinweis zum Anlass der Streichung der bisher in § 491 III Nr. 1 BGB enthaltenen weitgehenden Ausnahme für Immobiliendarlehen von den Vorschriften der §§ 358, 492 ff. BGB.1388 e. Risikobegrenzungsgesetz Eine weitere Umarbeitung der §§ 488 ff. BGB fand auf Grund des so genannten Risikobegrenzungsgesetzes vom 12.8.20081389 statt. Dieses Gesetz, das am 19.8.2008 in Kraft getreten ist, modifizierte insbesondere Vorschriften des BGB über das Darlehen und die Grundschuld.1390
1384
Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Vor § 491 Rn. 1; MüKo/Schürnbrand (5. Aufl., 2008), Vor § 491 Rn. 10. 1385 Kritisch hinsichtlich der Transparenz MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), Vor §§ 488 Rn. 4; Artz, JbJZiRWiss (2001), 227, 239; Wilhelm, JZ 2001, 861, 869. 1386 BGBl. I, S. 2850. 1387 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99 – Heininger. 1388 Die Streichung zog weitere notwendige Änderungen nach sich, vgl. etwa die von § 491 III Nr. 1 BGB nach § 492 Ia 2 BGB verlagerte, inhaltlich unveränderte Definition der Immobiliardarlehensverträge sowie die Folgeänderungen in den §§ 358 III, 497 I, IV, 498 III, 506 III BGB. 1389 BGBl. I, S. 1666. 1390 Grundlegend Schalast, BB 2008, 2190.
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aa. Hintergrund Die Stärkung des Verbraucherschutzes mit dem Risikobegrenzungsgesetz im Überschneidungsbereich von Kredit- und Kreditsicherungsrecht war notwendig geworden, weil seit einigen Jahren Banken und Sparkassen in Deutschland notleidende Kredite zum Zwecke ihrer Refinanzierung an Finanzinvestoren verkauften. Für die betroffenen Kreditnehmer, die oftmals erst nach dem Verkauf davon erfuhren, hatte dies z.T. gravierende Folgen. Denn die mit der Hingabe der Sicherheit in Form der Grundschuld im Zusammenhang häufig getroffene (schuldrechtliche) Sicherungsabrede schützte den Schuldner gegenüber dem Zessionar nicht, weil sie auf den Erwerber der Grundschuld nicht stillschweigend überging.1391 So konnte es passieren, dass plötzlich ein Finanzinvestor als neuer Gläubiger agierte und Rückzahlung des Darlehens verlangte, mit Zwangsvollstreckung drohte und diese auch durchführte, wenn die Vertragslage – etwa wegen Zahlungsstockung – dies erlaubte. In der Praxis war dies häufig der Fall, wenn und weil der Fokus des neuen Zedenten – wie beim Finanzinvestor üblich – in der schnellen Verwertung der Sicherheit und Beitreibung von Kapital lag. In jedem Fall verschlechterte sich die Situation der Schuldner bereits dadurch, dass nach dem Auslaufen der Zinsbindungsfrist durch den Finanzinvestor Kredite nur zu stark überhöhten Zinsen angeboten wurden und für die Betroffenen eine Ausweichmöglichkeit nicht in Sicht stand. bb. Bewertung durch die Rechtsprechung Um der Situation rechtlich „Herr“ zu werden, wurde zunächst in der Literatur und Rechtsprechung hinterfragt, ob die Abtretung der Kreditforderung bereits gegen das Bankgeheimnis oder gar gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstieß. Wäre das der Fall gewesen, dann wäre die Forderung wegen Verstoßes gegen eine gesetzliche Vorgabe (§ 134 BGB) unabtretbar. Mit Urteil vom 27.2.20071392 ist der BGH dem Gedankengang des Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz jedoch entgegengetreten. Verneint wurde er, weil die Verschwiegenheitspflicht nach Ansicht des Gerichts allein „schuldrechtliche Wirkung“ zeitige und keine dingliche Folgerung nach sich ziehen könne. In gleicher Weise wurde durch das Gericht auch die Annahme eines konkludenten Abtretungsverbotes (§ 399 Alt. 2 BGB) ausgeschlossen. Der BGH schloss sich damit einer bereits vorherrschenden Meinung in der Literatur und Rechtsprechung an.1393 Er lehnte in dem o.g. Judikat einen konkludenten Abtretungsausschluss ab, „weil dies den für den Kunden erkennbaren berechtigten Interessen der Bank an einer freien Zession der Darle1391
BGH WM 1967, 566, 567; NJW 1985, 800, 801; RGZ 91, 218, 225; 95, 244, 245. BGH NJW 2007, 2106. 1393 So etwa schon früher: OLG Celle WM 2004, 1384; OLG Stuttgart ZIP 2005, 1777; OLG Köln NJW-RR 2006, 263; Nobbe, WM 2005, 1537; Ganter, WM 2006, 1081, 1089; a.A. OLG Frankfurt/M. NJW 2004, 3266; 2005, 3266; Koch, BKR 2006, 182. 1392
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hensforderung zum Zwecke der Refinanzierung oder Risiko- und Eigenkapitalentlastung entgegenstehe“. Dem ist m.E. insoweit entgegenzutreten, als es kein Naturgesetz dergestalt gibt, dass eine Vereinbarung nur schuldrechtliche Wirkung nach sich ziehen könne. § 399 BGB ist ja gerade ein Beleg dafür, dass entsprechende Vereinbarungen mit dinglicher Wirkung auch in konkludenter Form (als Annex zu anderen Regelungen – hier dem Bankgeheimnis) möglich sind. Richtigerweise kommt es daher hinsichtlich der zu eruierenden Rechtsfolge auf die Auslegung der Vereinbarung an (§§ 133, 157 BGB). Dabei ist – und diesen Aspekt lässt das Judikat des BGH in bedauernswerter Weise vermissen – auf die zu gewichtende Interessenlage beider Parteien abzustellen. Insofern ist auch das Kundeninteresse in Bezug zu nehmen, wobei die Kunden (für die Bank erkennbar) im Regelfall in besonderem Maße an einem Abtretungsausschluss interessiert sind. Über das erkennbare Kundeninteresse hinaus setzt das Kreditinstitut geradezu einen entsprechenden Vertrauenstatbestand für die Unabtretbarkeit, wenn es sich (wie etwa die vielen Sparkassen; vgl. insoweit das abzulehnende Urteil des OLG SchleswigHolstein, Urt. v. 18.10.2007, 5 U 19/07) als besonders „kundennahe Hausbank für den kleinen Mann“ geriert und hiermit Marketing betreibt. Bei einer Abtretung handelt die Bank dann insofern widersprüchlich. cc. Reaktion des Gesetzgebers Der Annahme des Scheiterns der Abtretung wegen eines konkludent vereinbarten Abtretungsverbots steht heute allerdings das bereits angesprochene Risikobegrenzungsgesetz entgegen, das den Sicherheits-, vor allem aber Informationsbedürfnissen der Betroffenen Rechnung tragen soll. § 492 Ia 3 BGB a.F., eine Vorschrift, die durch das Risikobegrenzungsgesetz ins BGB eingefügt wurde, verpflichtete den Kreditgeber bei Immobiliardarlehensverträgen i.S.d. § 492 Ia 2 BGB a.F. (d.h. nur bei einem Verbraucher als Kreditnehmer), den Kreditnehmer bereits bei Vertragsschluss mit einem deutlich ausgestalteten Hinweis darüber in Kenntnis zu setzen, dass die Darlehensrückzahlungsforderung ohne dessen Zustimmung abgetreten und das Vertragsverhältnis auf einen Dritten übertragen werden darf, wenn dies nicht vertraglich ausgeschlossen wird. Eine inhaltsgleiche Regelung findet sich nach dem Erlass des Gesetzes zur Umsetzung der (neuen) Verbraucherkreditrichtlinie1394 in Art. 247 § 9 I 1 EGBGB n.F. Eine weitergehende Vorschrift wurde in § 494 II BGB eingestellt. Sie blieb auch nach Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie erhalten. Sie bestimmt, dass immer dann, wenn eine Kreditforderung abgetreten wird oder ein Wechsel in der Person des Darlehensgebers stattfindet, der Darlehensnehmer unverzüglich darüber informiert werden muss.
1394
Gesetz v. 29.07.2009, BGBl. I, S. 2355.
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Dem Kreditinstitut bzw. dem neuen Forderungsinhaber wurde durch das Risikobegrenzungsgesetz (gemäß § 492a I 1 BGB a.F.) ferner aufgegeben, spätestens drei Monate vor Ablauf einer Zinsbindungsfrist oder einer Fälligkeit der Forderung dem Darlehensnehmer seine Bereitschaft für ein Folgeangebot mitzuteilen oder darauf hinzuweisen, dass der Vertrag nicht verlängert wird. Hierdurch soll der Darlehensnehmer Zeit gewinnen, sich auf die Veränderungen einzustellen und ggf. Alternativen zu prüfen. Eine entsprechende Regelung findet sich heute in § 493 I BGB n.F. dd. Neuer Ansatz in der Literatur Hervorzuheben ist, dass durch die BGH-Rechtsprechung der in der Literatur neuerdings eingebrachte Ansatz der Annahme einer Unabtretbarkeit wegen Inhaltsänderung (§ 399 Alt. 1 BGB) noch unberücksichtigt blieb. Bei dieser Annahme käme es nicht mehr auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines (wirksamen) vertraglichen Abtretungsausschlusses an, weil der Forderungsübergang schon von vornherein qua gesetzlicher Anordnung gehindert wäre, falls eine Inhaltsänderung der übergehenden Forderung anzunehmen ist.1395 In der Literatur wird diese Ansicht mit dem Argument verfochten, die Kreditforderung, die auf Rückzahlung des Kredites mit Gewinn gerichtet ist, wandelt sich bei Abtretung infolge des primären Interesses der Verwertungsgesellschaft an der Verwertung der Sicherheit, die kurzfristigen Gewinn verspricht, auch inhaltlich, wenn und soweit die Bank an ein Unternehmen abtritt, das keine Bank ist, sondern ein beliebiger Finanzinvestor.1396 Dieses Vorbringen ist richtig und uneingeschränkt zu unterstützen. 3. Europarechtliche Aspekte Das Verbraucherkreditrecht in der Gemeinschaft wird maßgeblich durch die alte und neue Verbraucherkreditrichtlinie determiniert. a. Die alte Verbraucherkreditrichtlinie (Richtlinie 87/102/EWG) Gemeinschaftsrechtlicher Ausgangspunkt der ursprünglich im BGB verankerten Sonderbestimmungen zum Schutz des Verbrauchers im Kreditrecht ist die alte Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22.12.1986 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit. Sie wurde seinerzeit auf der Grundlage der allgemeinen Rechtsangleichungskompetenz nach Art. 100 EWG-Vertrag erlassen. Gemäß der Präambel verfolgt die alte Verbraucherkreditrichtlinie zwei Zweckrichtungen: Binnenmarktharmonisierung und Verbraucherschutz. Sie knüpfte insoweit an die Programme 1395
Schwintowski/Schantz, NJW 2008, 472 ff. Ablehnend zeigte sich allerdings schon LG Nürnberg-Fürth, 10. Zivilkammer, Urt. v. 25.2.2008, 10 O 11030/06. 1396
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der EG für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher1397 an und setzt sie für den Bereich des Konsumentenkredits um.1398 Der grundlegende Gedanke, einen europäischen Mindeststandard auf dem Gebiet des Verbraucherkreditrechts zu schaffen, hatte seinen Ausgangspunkt in Art. 15 der Verbraucherkreditrichtlinie. Dieser besagte, dass die Vorgaben der Richtlinie dem Mindeststandardprinzip verhaftet sind. Der Schwerpunkt der ursprünglichen Richtlinie lag inhaltlich bei denjenigen Bestimmungen, die durch Einführung der Schriftform und durch die Verpflichtung zur Aufnahme bestimmter Mindestangaben in die Vertragsurkunde für die Verbesserung der Verbrauchersituation sorgten und die Transparenz der Kreditbedingungen im Interesse besserer Vergleichbarkeit der verschiedenen Angebote sicher stellen sollten (vgl. dazu Art. 3–6 der RL). Einen zweiten Bereich regelte die Inhaltskontrolle; sie bezweckte die Beschränkung der Vertragsfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes (Art. 7–11 der Richtlinie). Die europarechtlichen Regelungen verpflichteten die Mitgliedstaaten u.a. dazu, die Bedingungen und Rechtsfolgen der Warenrücknahme bei Krediten zum Erwerb von Waren festzulegen (Art. 7). Die Richtlinie bildete ferner die Grundlage für die Einführung eines Rechts des Verbrauchers zur vorzeitigen Kredittilgung unter angemessener Ermäßigung der Kreditkosten (Art. 8), für den Schutz des Verbrauchers vor Nachteilen bei der Abtretung der Kreditforderung (Art. 9), bei der Verwendung von Wechseln oder Schecks zur Zahlung oder als Sicherheit (Art. 10) sowie für die Etablierung eines Rechts auf Einwendungsdurchgriff bei finanzierten Geschäften (Art. 11). Keine besonderen Vorgaben enthielt die ursprüngliche Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug auf sonstige Regelungen des deutschen Verbraucherkreditrechts, etwa im Hinblick auf das Widerrufsrecht des Verbrauchers und seine Folgen, die Höhe der Verzugszinsen und die Anrechnung von Teilleistungen, die Voraussetzungen für die Gesamtfälligstellung bei Teilzahlungskrediten sowie im Hinblick auf den notwendigen Schutz des Verbrauchers bei der Kreditvermittlung. b. Die neue Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) Dieses „Defizit“ ist u.a. der Grund dafür, dass die Kommission am 11.9.2002 einen ersten Entwurf für eine Änderungsrichtlinie vorlegte.1399 Auch dieser kann auf eine längere Vorgeschichte zurückblicken: Bereits im Jahr 1996 wurde in einem Grünbuch der Kommission die Reform der alten Richtlinie aus dem Jahr 1987 vorgeschlagen.1400 Nach längeren Diskussionen resultierte hieraus der be1397
ABl.EG 1975 Nr. C 92/S. 1 und ABl.EG 1981 Nr. C 133/S. 1. Zum Befund vgl. MüKo/Schürnbrand (5. Aufl., 2008), Vor § 491 Rn. 15. 1399 KOM (2002), 443 endg.; siehe dazu die Stellungnahmen von Riesenhuber, ZBB 2003, 325 ff.; Franck, ZBB 2003, 334 ff.; Danco, WM 2003, 853 ff.; Hoffmann, BRK 2004, 308 ff. 1400 Green Book on Financial Services: Protecting Consumer Interests, COM (1996), 209. 1398
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nannte erste Kommissionsvorschlag.1401 Inhaltliche Bestandteile der Neukonzeption waren: eine Neudefinition des Anwendungsbereiches der Richtlinie, die Einbeziehung neuer Bestimmungen für Kreditgeber und Kreditvermittler, die Schaffung eines strukturierten Rahmens zur besseren Information der Krediteinrichtungen, Regelungen zur umfassenden Unterrichtung der Verbraucher wie auch etwaiger Sicherungsgeber, eine ausgewogene Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibenden und eine Verbesserung der Modalitäten und Praktiken zur Handhabung von Zahlungsausfällen.1402 Der Vorschlag stieß jedoch in der Bankenbrache und z.T. auch in den Mitgliedstaaten auf heftige Kritik.1403 Selbst der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat dazu ablehnend Stellung genommen, weil der Entwurf auf eine Vollharmonisierung des Bereiches hinauslief, er aber – im Interesse eines hohen Verbraucherschutzstandards – die Ausrichtung auf eine Mindestharmonisierung für sinnvoller hielt.1404 Das Europäische Parlament schloss sich zunächst der Kritik an und plädierte ebenfalls für die Beibehaltung des Mindeststandardprinzips.1405 Zunächst wurde vom Rechtsausschuss des Parlaments sogar vorgeschlagen, den Entwurf komplett zurückzuweisen. Letztlich hat sich dann aber das Parlament „darauf beschränkt“, 150 Änderungsvorschläge zu unterbreiten.1406 Daraufhin nahm die Kommission zahlreiche Novellierungen vor. Die Beibehaltung des Mindeststandardprinzips wurde von der Kommission jedoch abgelehnt.1407 Auf Grund des letzten Entwurfes vom 21.9.2007,1408 dem eine Folgenabschätzung1409 vorausgegangen war, folgte Ende September 2007 die Fest1401
KOM (2002), 443 endg. Zu den Änderungen in Bezug auf die alte Richtlinie vgl. Kaiser, VuR 2002, 385 ff. 1403 Siehe dazu die bei Rott, WM 2008, 1104, 1104 wiedergegebenen Meinungen. 1404 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 16./17.7.2003 (KOM (2003), 434 endg. – 2002/0222 (COD)) – ABl.EG 2003 Nr. C 234/9: „Es wird daher empfohlen, eine Mindestklausel beizubehalten und durch eine genaue Definition der Bereiche zu ergänzen, in denen die Mitgliedstaaten eigene Maßnahmen für einen höheren Verbraucherschutz bei Verbraucherkrediten ergreifen können.“ 1405 Vgl. den Zweiten Bericht über den Vorschlag für die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kredit an Verbrauchern (KOM (2002), 443), Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, Berichterstatter: J. Wuermeling, A5–0224/2004 endg., S. 4. 1406 Stellungnahme des Europäischen Parlaments (erste Lesung) v. 20.4.2004. 1407 Vgl. den geänderten Vorschlag v. 28.10.2004 für die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG, KOM (2004), 747 endg., S. 2 – 2002/0222 (COD). 1408 In den letzten drei Jahren hatte sich die Diskussion zunächst auf den Europäischen Rat verlagert. Auch hier wurden eine Reihe von Änderungen vorgenommen und verschiedene Versionen einer neuen Verbraucherkreditrichtlinie diskutiert. Zum Durchbruch kam es erst im Mai 2007, als unter der deutschen Präsidentschaft eine politische Einigung erzielt wurde. 1409 Study of the Problem of Consumer Indeptedness, Final Report (2001). 1402
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legung des gemeinsamen Standpunktes,1410 danach (am 16.1.2008) die Zustimmung des Europäischen Parlaments.1411 Am 23.4.2008 wurde die neue Verbraucherkreditrichtlinie im Rat schließlich offiziell beschlossen und am 22.5.2008 als Richtlinie 2008/48/EG im Amtsblatt der EG veröffentlicht.1412 Sie löst die bisher geltende Richtlinie ab. Laut Art. 27 der neuen Richtlinie ist als Datum, bis zu dem die Umsetzung der europäischen Vorgaben in innerstaatliches Recht erfolgen soll, der 12.5.2010 festgesetzt worden. Der deutsche Gesetzgeber ist seiner Transformationspflicht durch das „Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsverzugsdiensterichtlinie sowie zu Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht“ vom 29.7.2009 (BGBl. I, S. 2355) nachgekommen. Das Transformationsgesetz führte zur Umgestaltung der §§ 488 ff. BGB mit Wirkung zum 11.6.2010. Die Richtlinie sieht sich für das Verbraucherkreditrecht (nicht jedoch für den Bereich der Kreditvermittlung) dem Vollharmonisierungskonzept verpflichtet.1413 Sie setzt dieses aber auch für das Verbraucherkreditrecht nicht lückenlos um.1414 Denn nur „soweit“ die Richtlinie die Vorschriften als solche des „(voll-) harmonisierten Bereiches“ ausweist (vgl. Art. 22 I der Richtlinie), sollen die Mitgliedstaaten nicht mehr die Möglichkeit haben, weitergehende Vorschriften zu erlassen, i.Ü. aber schon. Für die Einbringung des Vollharmonisierungsansatzes in die neue Verbraucherkreditrichtlinie begründet die neue Regelung zusammen mit der Richtlinie zum Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und der neuen Richtlinie zum Timesharing leider eine Trendwende, die den Mitgliedstaaten verbietet, höhere Verbraucherschutzstandards zu etablieren.1415 Die grundsätzliche Kritik an diesem Ansatz wurde bereits an anderer Stelle vorgebracht.1416 Auch die neue, nun beschlossene Richtlinie erfasst inhaltlich Kreditverträge, wobei sich an deren Definition nichts geändert hat. Die Kreditsumme muss zwischen 200 Euro und 75.000 Euro betragen. Die lange Liste von Ausnahmen (Art. 2 der Richtlinie) umfasst immer noch Kredite zum Erwerb oder zur Erhal1410 Vgl. Mitteilung der Kommission und des Parlaments gemäß Art. 251 II EGV über den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge, KOM (2007), 546 endg. v. 21.9.2007. 1411 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 16.1.2008 zu dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (9948/2/2007 – C6–0315/2007–2002/0222(COD)). 1412 ABl.EG 2008 Nr. L 133/66. 1413 Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 41. 1414 Dazu ausführlich Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 41; Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244 ff. 1415 Rott, WM 2008, 1104, 1105. 1416 Vgl. dazu meine Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel E V 1.
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tung von Liegenschaften, Hypothekenkredite1417 und z.B. auch mit einem Pfandgegenstand besicherte Kredite, wenn und soweit sich die Haftung auf diesen beschränkt. Ausführliche Informationsvorschriften für die Werbung und die vorvertragliche (Abschluss-)Situation finden sich jetzt in den Art. 4–7.1418 Insbesondere Art. 5 enthält ein Konglomerat von Punkten, über die der Verbraucher als Kreditnehmer rechtzeitig vor Abschluss des Vertrages zu unterrichten ist. Hierzu gehören u.a. die Laufzeit des Kredits, der Gesamtkreditbetrag und die Kosten, die bei Abschluss des Vertrages anfallen. Dabei sieht die endgültige Fassung der Richtlinie nun auch vor, dass Kreditgeber ein in allen Mitgliedstaaten gleichlautendes Standardformular benutzen müssen, das der Richtlinie als Anlage beigefügt ist. Dieses soll zugunsten der Verbraucher die Kreditkonditionen vergleichbar machen und einen echten Binnenmarkt herstellen helfen. Die zwingenden Angaben im schriftlich abzuschließenden Kreditvertrag werden in Art. 10 genannt. Auch weiterhin muss demnach über den effektiven Jahreszins informiert werden (vgl. Art. 19 und Anhang I der Richtlinie). Besondere Informationspflichten bestehen gemäß Art. 12 und 18 der Richtlinie bei Überziehungskrediten. In gewisser Weise wird durch die neue Richtlinie auch die Beurteilung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers festgeschrieben. Im Hinblick darauf, dass es sowohl für den konkreten Verbraucher als auch für den Banken- und Finanzmarkt (d.h. makroökonomisch) sinnvoll ist, Kreditrisiken „abzufragen“ und damit zu minimieren, ist dieser neue Ansatz grundsätzlich zu begrüßen. Seine Bedeutung lässt sich anschaulich an der jüngsten „Sub-Prime-Mortgage-Crisis“ in den USA verdeutlichen. Allerdings sind die Vorgaben der Gemeinschaft, die in diese Richtung gehen, bisher noch viel „zu vage“ ausgestaltet, um effektiven Verbraucherschutz zu gewährleisten und die Unternehmen wirklich in die Pflicht zu nehmen. Ursprünglich war insoweit diskutiert worden, den Kreditgeber auf den Grundsatz der so genannten „verantwortungsvollen Kreditvergabe“ zu verpflichten. Der Kreditgeber sollte danach in die Verantwortung dafür genommen werden, Verbraucher vor nachteiligen Verträgen und insbesondere vor drohender Überschuldung durch Aufklärung und Information zu bewahren (vgl. Art. 4–7 des ursprünglichen Richtlinienentwurfs).
1417 Das Weißbuch der Kommission über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte v. 18.12.2007 (KOM [2007], 807 endg.) weist auf die überragende Bedeutung von Hypothekarkrediten für private Haushalte hin. Deshalb sieht die Kommission auch hier prinzipiellen Handlungsbedarf. Das von ihr vorgeschlagene Maßnahmenpaket umfasst die Verbesserung und Vereinheitlichung der vorvertraglichen Information für den Verbraucher (allerdings ohne Rückgriff auf den Grundsatz der verantwortungsvollen Kreditvergabe. Weiteres soll in einem Maßnahmepaket verbessert werden, das Zwangsversteigerungsverfahren betreffend Liegenschaften ins Auge fasst und auch das Grundbuchverfahren der Mitgliedstaaten effektiviren soll. 1418 Zur Möglichkeit einer cic-Sanktion bei Verletzung der Pflichten vgl. Siems, EuZW 2008, 454, 458.
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Dieser Ansatz ist im Laufe der Verhandlungen erheblich „modifiziert“ worden,1419 und zwar in dem Sinn, dass er bis zur Bedeutungslosigkeit „entschärft“1420 wurde. „Von ihm ist in der jetzigen Richtlinie kaum etwas übrig geblieben.“1421 Heute ist er lediglich in Form eines Bekenntnisses gleichsam als „Selbstverpflichtung von Kreditgeber und Kreditvermittler“ vorgesehen.1422 Art. 8 der Richtlinie, der sich auf die „Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit der Verbraucher“ bezieht, normiert lediglich eine Obliegenheit des Kreditgebers, eben diese Kreditwürdigkeit (selbstverantwortlich) zu bewerten. Die Bewertungsgrundlage ist dabei nicht hoch angesetzt. Der Kreditgeber soll sich nämlich auf die Auskünfte des Verbrauchers bzw. (falls die Einholung der Informationen von dritter Seite als erforderlich angesehen wird) auf die von Datenbanken zur Verfügung gestellten Informationen verlassen dürfen. Eine Pflicht zur Verschaffung derartiger Auskünfte von dritter Seite besteht aber nicht. Es werden auch darüber hinaus keine Verhaltenspflichten des Kreditgebers festgelegt, wenn die Bewertung – im Fall des Falles – eine starke Verschuldung des Konsumenten ergibt. Offenbar kann der Kreditgeber nach der Richtlinie, nachdem die Bewertung keine bzw. eine schlechte Kreditwürdigkeit ergeben hat, einen Kredit vergeben, der den Verbraucher endgültig in die Überschuldung treibt, was der Unternehmer nach dem ursprünglichen Ansatz der „verantwortungsvollen Kreditvergabe“ eben gerade nicht hätte tun dürfen.1423 Gefunden wurde damit eine Lösung, die aus Sicht der Gemeinschaft dem Leitbild des mündigen Verbrauchers „besser gerecht“ wird. Dass dieses Leitbild falsch ist, weil es sich von der Wirklichkeit entfernt, wurde bereits an anderer Stelle referiert.1424 Inhaltlich neu und begrüßenswert an der Richtlinie ist, dass unbefristete Kreditverträge durch den Verbraucher gekündigt werden dürfen (Art. 13 der Richtlinie). Überdies ist es dem Verbraucher nun auch gemeinschaftsrechtlich gestattet, innerhalb von 14 Tagen nach dem Vertragsschluss bzw. ab dem Tag, 1419 Gegen den ursprünglichen Entwurf hatte etwa das Bankinstitut der Ruhruniversität Bochum in seinem Gutachten zum Richtlinienvorschlag eingewandt, dass mit dieser überschuldungspräventiven Regelung der Zugang unterer Bevölkerungsschichten zum Kredit ausgeschlossen werden würde. Diesem Argument schloss sich auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme an. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hatte sich vor diesem Hintergrund zunächst sogar geweigert, sich überhaupt mit dem Entwurf zu befassen, um die Kommission zur Vorlage eines neuen Vorschlags zu zwingen. Das ist im Ergebnis am 7.10.2005 (KOM 2005, 483) auch geschehen, vgl. zum Ganzen Benedict, ZEuP 2008, 395, 398 f. 1420 Rott, WM 2008, 1104, 1105; Siems, EuZW 2008, 454, 456. 1421 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 81; Siems, EuZW 2008, 454, 456. 1422 Benedict, ZEuP 2008, 395, 399. 1423 Reifner, FS Stauder (2006), S. 383 ff.; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 81. 1424 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel, C.
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an dem er die Informationen des Art. 10 erhalten hat, vom Vertrag zurückzutreten. Im deutschen Recht enthielt hierfür in überschießender Umsetzung der alten Verbraucherkreditrichtlinie bereits § 495 BGB a.F. eine gesetzliche Grundlage. Bei fehlendem Informationserhalt, insbesondere bzgl. der Widerrufsbelehrung, erstreckt sich die Frist unbegrenzt in die Zukunft. Das nunmehr statuierte Widerrufsrecht ist als typenbezogenes Lösungsmodell vom Vertrag konzipiert. Dieses setzt keine besonders „gefährliche“ Abschlusssituation (wie wir sie vom Haustürwiderruf bzw. vom Fernabsatzwiderruf kennen) voraus. Das einseitige, verbraucherbegünstigende Vertragslösungsrecht knüpft lediglich an die Komplexität und die Gewichtigkeit des abgeschlossenen Geschäfts an.1425 Der Verbraucher soll durch dieses Recht nochmals in die Lage versetzt werden, den Vertragsschluss zu überdenken, ggf. auch durch Einholung eines Rates von dritter Seite. Auf Grund der neuen Richtlinie bleibt für den Verbraucher das Recht der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits (vgl. dazu § 504 BGB a.F. nun § 500 II BGB n.F.) nach Art. 16 der Richtlinie erhalten. Bei Vereinbarung eines festen Sollzinssatzes und eines niedrigen Referenzzinssatzes können die damit für die Bank verursachten Kosten vom Verbraucher unter gewissen Einschränkungen verlangt werden. Für den Einwendungsdurchgriff in Bezug auf „verbundene Kreditverträge“ werden nun in Art. 15 der Richtlinie zwei Fälle spezialgesetzlich geregelt: (1.) Wenn ein Verbraucher für den Grundvertrag ein Rücktrittsrecht, das auf EURecht beruht, ausgeübt hat, dann ist er auch an den damit verbundenen Kreditvertrag nicht mehr gebunden. (2.) Wenn die „unter einen Kreditvertrag fallenden“ Waren oder Dienstleistungen nicht, teilweise oder fehlerhaft geliefert werden, so kann der Verbraucher „Rechte gegen den Kreditgeber“ geltend machen, wenn er zuvor seine Rechte gegen den Verkäufer nicht durchsetzen konnte. Näheres über die Ausübung des Rechtsmittels bestimmen die Mitgliedstaaten. Diese dürfen auch vorsehen, dass der Kreditgeber zusammen mit dem Verkäufer als Gesamtschuldner haftet. Mit dem Ausdruck „verbundener Kreditvertrag“ wurde der erforderliche Zusammenhang zwischen den beiden Verträgen offenbar etwas weiter definiert. Seine genaue Konkretisierung bleibt (nationaler) Gesetzgebung und nationaler sowie gemeinschaftsrechtlicher Rechtsprechung überlassen. Wirklich Neues in Bezug auf die deutsche Rechtslage statuiert keine der beiden Regelungen. Art. 21 der neuen Richtlinie normiert aber spezielle Pflichten von Kreditvermittlern gegenüber Verbrauchern, und zwar insoweit, als der Vermittler den Verbraucher deutlich über den Umfang seiner Befugnisse informieren muss. Auch darf er nur unter den in der Richtlinie angeführten Voraussetzungen vom Verbraucher ein Entgelt für die Vermittlung verlangen. Eine Schutzvorschrift exis1425 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 81.
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tiert überdies für Abtretungen der Ansprüche des Kreditgebers (Art. 17, ebenso Art. 9 der alten Richtlinie). Die Vorschriften zum Wechsel und Scheck sind jedoch entfallen (vgl. dazu noch Art. 10 der alten Richtlinie). Der gesamte Bereich der neu geregelten Darlehensvermittlung, der von dem des Verbraucherkredites zu trennen ist, unterfällt noch der Mindestharmonisierung.1426 Dies lässt sich zwar leider weder dem Wortlaut des Art. 21 noch einer anderen Richtlinienvorschrift unmittelbar entnehmen. Zu dieser Annahme führt aber zweifelsfrei das Zusammenspiel der Überschrift „Bestimmte Pflichten (…)“ mit Erwägungsgrund 17, welcher klarstellt, dass die Richtlinie „lediglich bestimmte Pflichten der Kreditvermittler gegenüber Verbraucher“ regelt und es den Mitgliedstaaten daher i.Ü. „freigestellt bleiben (soll), zusätzliche Pflichten für Kreditvermittler beizubehalten oder einzuführen (…)“. Hinsichtlich des Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten bestehen keine Besonderheiten gegenüber den bisherigen mindestharmonisierenden Verbraucherschutzrichtlinien, sodass insbesondere die im deutschen Recht für Darlehensvermittlungsverträge vorgesehene Schriftform (§ 655b I 1 BGB) und die Erfolgsbezogenheit der Vergütung (§ 655c BGB) beibehalten werden dürfen, wenngleich auch der Bereich der Darlehensvermittlung in §§ 655a ff. BGB mit Wirkung zum 11.6.20101427 geringfügig umgestaltet wurde.1428 Das Recht der Darlehensvermittlung wird hier von dem des (Verbraucher-)Kredites getrennt und später im Abschnitt zu den Dienstleistungsverträgen besprochen. Pläne zu sonstigen Schutzerweiterungen, die noch in dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag enthalten waren, wurden nicht weiter verfolgt. Hierzu gehört z.B. das Verbot von Haustürgeschäften, die Indizierung von missbräuchlichen Klauseln, ein EU-einheitlicher gegenüber dem bisherigen Recht weitergehender Schutz gegenüber Kreditvermittlern, Schutzbestimmungen für Sicherungsgeber und Garanten sowie Sicherheitsmechanismen bzgl. bestimmter Praktiken bei der Veranlassung der Kreditrückzahlung. Eine inhaltliche Wucherkontrolle oder die Etablierung eines Privatkonkurses auf europäischer Ebene waren leider nie beabsichtigt.1429 Die Normierung der Sanktionen für die Verletzung der Richtlinienbestimmungen in Form der Umsetzungsregelungen bleibt, wie bei privatrechtlichen Richtlinien üblich, den Mitgliedstaaten überlassen. Sie müssen lediglich „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein.
1426
Rott, WM 2008, 1104, 1112; Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244, 248. Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften des Widerrufs- und Rückgaberechts vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2355 1428 Rott, ebenda. 1429 Kritisch insoweit Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2. Aufl., 2008), S. 82. 1427
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In Anbetracht des vollharmonisierenden Charakters der Verbraucherkreditrichtlinie bezüglich der Regelungen für Verbraucherkredite und sonstige Finanzierungshilfen (nicht für die Kreditvermittlung, s.o.) wirken sich die neuen Vorgaben gerade in Ländern, die einen weitergehenden Verbraucherschutzstandard etabliert haben oder zu installieren gedenken, nachteilig aus, da „strengere“ nationale Vorschriften nunmehr mit Rücksicht auf das Ziel der Marktangleichung verboten sind.1430 Ob die Marktöffnung – wie von der Kommission erhofft – wirklich erreicht wird, bleibt jedoch fraglich. Denn die Marktbarrieren sind – was empirische Studien1431 zeigen – auch auf dem Kreditmarkt vornehmlich außerjuristischer Natur.1432 Gerade vor diesem Hintergrund ist die mögliche Absenkung des Verbraucherschutzniveaus, die ggf. als „Opfer“ für ein unerreichbares Ziel erbracht wird, besonders kritisch zu sehen.1433 4. Verhältnis zu anderen Vorschriften Das Verhältnis der §§ 488 ff. BGB zu anderen Vorschriften des deutschen Rechts ist einfach zu bestimmen. Der Darlehensvertrag nach § 488 BGB ist ein gegenseitiger Vertrag, der den Darlehensgeber und den Darlehensnehmer zur Entrichtung des vereinbarten Zinses als Entgelt für die Kapitalüberlassung und die Rückzahlung des Darlehens verpflichtet. Vertragsgegenstand ist ein festgesetzter Geldbetrag, der dem Kreditnehmer für eine bestimmte Zeit zur Nutzung überlassen wird.1434 Insofern unterscheidet sich der Kontrakt gemäß §§ 488 ff. BGB auch vom Sachdarlehen (§ 607 BGB), das auf die Überlassung einer sonstigen Sache gerichtet ist. Im Unterschied zur Miete und Pacht (§§ 535 ff. BGB) müssen beim Darlehen nur Sachen gleicher Art und Güte zurückgegeben werden, bei den beiden vorgenannten Verträgen jedoch die Sache selbst. Das Gelddarlehen stellt funktional ein Kreditgeschäft dar. Es bildet zusammen mit den wirtschaftlich bedeutsamen anderen Finanzierungshilfen (§§ 499 ff. BGB a.F., nun: §§ 506 ff. BGB n.F.) die Grundlage des Kreditsystems.1435 Wichtige Sondervorschriften zum Darlehensrecht enthalten u.a. die InsO, das BBankG sowie die umfassenden AGB der Banken und Sparkassen. Wenngleich letztere qua vertraglicher Vereinbarungen gelten, werden sie doch so oft verwandt, dass sie ähnlich wie Gesetze „Breitenwirkung“ entfalten. Beachtens-
1430
Riehm/Schreindorfer, GPR 2008, 244, 245. Siehe hierzu etwa die 2 x 130–seitige Studie von Oxera (Oxford Economic Research Association), Assessment of the Economic Impact of the Proposed EC Consumer Directive, Juni 2003 und Oxera, What is the Impact of the Proposed Consumer Credit Directive?, April 2007, abrufbar über http://www.oxera.com/. 1432 Siems, EuZW 2008, 454, 457 f. 1433 Vgl. hierzu schon meine Kritik im 1. Teil, 7. Kapitel, E V 1. 1434 MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), Vor §§ 488 Rn. 6. 1435 Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 1. 1431
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wert im Zusammenhang mit der Vertretung von Minderjährigen sind ferner die §§ 1643 I, 1822 Nr. 8 BGB. Hinzuweisen ist i.Ü. darauf, dass auf Bank- und Spareinlagen i.d.R. die Darlehensvorschriften über § 700 I BGB (unregelmäßige Verwahrung) eine direkte Anwendung finden. Auch für das unechte Factoring sind die Vorschriften der §§ 488 ff. BGB entsprechend heranzuziehen.1436 Schwierigkeiten bereitet manchmal das Zusammenspiel mit dem Bereicherungsrecht, wenn sich herausstellt, dass der Darlehensvertrag wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB rückabzuwickeln ist.1437 Insofern ist zwar anerkannt, dass der Darlehensnehmer das sittenwidrige Darlehen gemäß § 817 S. 2 BGB bis zum Ablauf der vereinbarten Laufzeit behalten darf.1438 Ob der Darlehensnehmer für die zwischenzeitliche Nutzung des Darlehens im Gegenzug Zinsen zu zahlen hat, ist aber heftig umstritten. Die Rechtsprechung lehnt dies ab.1439 Ein Teil der Literatur plädiert aber nach wie vor für die Zahlung der marktüblichen Zinsen,1440 was jedoch auf eine geltungserhaltende Reduktion hinausläuft, die von § 138 BGB nicht intendiert ist. 5. Regelungsinhalt Nachfolgend soll der status quo des deutschen Gelddarlehens- und Verbraucherkreditrechts beschrieben werden, wie er sich nach Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie1441 ab dem 11.6.2010 darstellt. a. Das allgemeine Gelddarlehensrecht gemäß §§ 488 ff. BGB im Überblick Das deutsche Gelddarlehensrecht ist (inklusive des Verbraucherdarlehens) in den §§ 488 ff. BGB geregelt. § 488 BGB als „Eingangsvorschrift“ ist durch die Schuldrechtsreform, bei der das alte Darlehensrecht in einen Bereich für das Gelddarlehen und einen für ein sonstiges Sachdarlehen aufgesplittet wurde, umfassend neu gestaltet worden.
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BGHZ 82, 61 ff.; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), Vor §§ 488 Rn. 13 f.; anders das echte Factoring, für das die Vorschriften des Forderungskaufes heranzuziehen sind, vgl. BGHZ 76, 125 ff. 1437 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 109. 1438 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 7. 1439 BGH NJW 1983, 1420, 1422 f.; 1989, 3217, 3218; 1993, 2108. 1440 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 109. 1441 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie v. 29.7.2009, BGBl. I, 2009, S. 2355. Zum Regierungsentwurf des Gesetzes vgl. die Besprechung von Böhm, BKR 2009, 221 ff.; Strohmeyer, ZBB 2009, 167 ff.; Lang/Kühn, WM 2009, 1301 ff.
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aa. Vertragsschluss Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Schuldrechtsreform dafür entschieden, den Gelddarlehensvertrag als Konsensualvertrag1442 auszugestalten; seine Rechtsnatur war bis dato umstritten.1443 Das Zustandekommen des Vertrages richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des BGB.1444 Zur Anwendung kommen daher insbesondere die §§ 107 ff., 134, 138, 305 ff. BGB. bb. Wesentliche Vertragsbestandteile Bereits aus § 488 I BGB ergeben sich die wesentlichen Vertragsbestandteile.1445 Die Regelung legt in der für das BGB typischen Diktion die Hauptpflichten der Parteien fest. (1.) Geldüberlassung Danach hat der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer den vereinbarten Geldbetrag auf Zeit zur Verfügung zu stellen (Satz 1). Die Überlassung kann zu freier oder vertraglich zweckgebundener Nutzung erfolgen.1446 Die Darlehensvaluta muss nicht notwendig an den Darlehensnehmer selbst fließen. Sie kann auf dessen Veranlassung auch an einen Dritten gezahlt werden;1447 dieser darf allerdings nicht allein im Sicherungsinteresse des Darlehensgebers eingeschaltet sein.1448 (2.) Rückzahlung der Darlehensvaluta und Verzinsung Im Gegenzug dazu schuldet der Darlehensnehmer nach Ablauf der Überlassungszeit die Zahlung der vertraglich bzw. gesetzlich festgelegten Zinsen.1449 Die Zinsen stellen die Vergütung für die Übertragung der Kapitalnutzungsmöglich1442
Vgl. hierzu Motive bei Mugdan, Bd. II, S. 169 f.; eingehend hierzu PWW/KessalWulf (3. Aufl., 2008), § 488 Rn. 1; Müko/Berger (5. Aufl., 2008), Vor §§ 488 Rn. 9; Mülbert, AcP 192 (1992), 447, 485 ff.; siehe nun auch BT-Drucks. 14/6040, S. 253; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. Vor § 488 Rn. 2; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 2. Vor der Schuldrechtsreform wurde teilweise die Ansicht vertreten, dass es sich um einen Realvertrag handle, vgl. dazu Marburger, 20 Probleme aus dem BGB, Schuldrecht BT I (5. Aufl., 1998), 18. Problem. 1443 Vgl. dazu etwa Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 107. 1444 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 107. 1445 Die vertragstypischen Pflichten sind zwingend, sonst liegt kein Darlehensvertrag vor, Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), Einf. Vor § 488 Rn. 2. 1446 MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), Vor §§ 488 Rn. 10; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), Vor §§ 488 Rn. 2. 1447 BGH NJW-RR 1986, 140; NJW 1987, 3202; BGHZ 152, 330 ff.; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 13. 1448 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 488 Rn. 2. Ein Darlehensempfang ist dann zu verneinen, wenn das Geld auf ein Treuhand- bzw. Anderkonto des Notars geht und dieser den Auszahlungsbetrag nicht als Vertreter des Darlehensnehmers, sondern als Treuhänder der Bank erhält (BGH ZIP 1998, 1631; BGH NJW 1985, 1831; 1986, 2947). 1449 Zur richterlichen Kontrolle sonstiger Nebenentgelte siehe Krüger/Bütter, WM 2005, 673 ff.
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keit dar.1450 Diese nach § 488 I 2 BGB regelmäßig1451 bestehende Pflicht des Darlehensnehmers beinhaltet allerdings keine unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen des Gelddarlehensvertrags.1452 Sieht weder der Vertrag noch das Gesetz Zinsen vor, die der Darlehensnehmer zu zahlen hat, so erfolgt die zeitweise Überlassung der Geldsumme unentgeltlich.1453 (a.) Entstehen und Ende der Verpflichtung zur Zinszahlung Die Zinszahlungspflicht entsteht in der Regel mit Auszahlung des Darlehens,1454 wobei die Zinsen grundsätzlich auf die noch bestehende Darlehensschuld zu berechnen sind (so genannte Zinsakzessorietät).1455 Wegen Intransparenz gemäß § 307 I 2 BGB unwirksam sind daher in der Regel AGB-Klauseln in Darlehensverträgen, nach denen die Zinsberechnung nicht von der jeweiligen Restschuld, sondern von dem zur Verfügung gestellten Darlehenskapital am Schluss des Vorjahres abhängig sein soll.1456 Denn der Durchschnittskunde ist damit überfordert zu erkennen (und sich dagegen zu wehren), dass er auf Grund der Klausel für bereits getilgte Beträge weiterhin noch Zinsen zahlen soll.1457 Oft wird der Termin bzgl. des Entstehens der Zinszahlungspflicht schon vor Auszahlung des Darlehens vorverlegt, etwa im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Bereitstellungszinsen.1458 Auch dies ist möglich. Die Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers endet mit Beendigung des Darlehens durch Wirksamwerden einer ausgesprochenen Kündigung oder Ablauf der Laufzeit.1459 Kommt der Darlehensnehmer mit der Rückzahlung des Darlehensbetrages in Verzug, kann der Darlehensgeber grundsätzlich nur noch die Zahlung des Verzugsschadens verlangen.1460 (b.) Fälligkeit der Zinszahlungspflicht Das Entstehen der Zinspflicht sagt noch nichts über die Fälligkeit aus. Wenn eine Zinszahlungspflicht von einem Zeitpunkt an (Auszahlung oder Bereitstellung) in bestimmter Höhe festgesetzt wurde, die Fälligkeitsbestimmung aber fehlt, ist die Fälligkeit der Zahlung im Zweifel nach Ablauf je eines Jahres anzunehmen 1450
BGHZ 1980, 153, 166; BGH NJW 2000, 2818; BGH NJW-RR 1989, 947. Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 488 Rn. 5; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), Vor §§ 488 Rn. 2. 1452 BT-Drucks. 14/6040, S. 253. 1453 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 245. 1454 BGH WM 1985, 686, 687; Mülbert, WM 2002, 465, 471; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 488 Rn. 3. 1455 BGHZ 106, 42, 47. 1456 BGHZ 112, 115, 119; 106, 42, 50. 1457 BGH WM 1990, 1367, 1368. 1458 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 11. 1459 BGH WM 2000, 718, 719. 1460 BGHZ 104, 337, 338; MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 488 Rn. 208 ff.; Krüger/Bütter, WM 2002, 2094 f. 1451
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(vgl. § 488 II BGB).1461 Bei kürzerer Laufzeit des Darlehens sind die Zinsen bei Rückerstattung des Darlehens zu entrichten. Gegen die im Bankgeschäftsverkehr in AGB regelmäßig vereinbarte unterjährige Zinsfälligkeit (monatlich, vierteljährlich etc.) bestehen im Hinblick auf §§ 307 ff. BGB grundsätzlich keine Bedenken. (c.) Höhe der Zinsen Die Höhe der vom Darlehensnehmer zu entrichtenden Zinsen unterliegt in den Grenzen des § 138 BGB der freien Vereinbarung.1462 Statt eines Prozentsatzes kann auch ein bestimmter Betrag festgesetzt werden,1463 der z.B. in der Differenz zwischen Auszahlungs- und Rückzahlungsbetrag (Disagio) bestehen kann. Möglich ist auch die Vereinbarung eines variablen Zinssatzes. Die Zinsanpassung kann auch durch Zinsanpassungsklauseln in AGB-Form erfolgen, allerdings muss dabei in besonderer Weise das Transparenzerfordernis des § 307 I 2 BGB beachtet werden.1464 Die Zinsbindung wirkt sich gemäß § 489 BGB auf die Kündigungsmöglichkeit aus. Sofern eine ausdrückliche Vereinbarung zur Zinsbindung nicht getroffen wurde, ist die Höhe der geschuldeten Zinsen im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Bei variablen Zinsen erfolgt die Anpassung in der Regel entweder durch Ausnutzung eines vertraglich begründeten einseitigen Bestimmungsrechts nach § 315 BGB1465 oder durch eine automatische Bindung des Zinssatzes an einen Referenzzinssatz, z.B. an den Basiszins.1466 (d.) Sittenwidrigkeitsfragen Eine Sittenwidrigkeit des Darlehensvertrages nach § 138 BGB kommt in Betracht, wenn die Leistung des Darlehensgebers – die zeitweise Überlassung des Darlehensbetrages – in einem auffälligen Missverhältnis zu der vom Darlehensnehmer zu erbringenden Nebenleistung (insbesondere Zinszahlung, Nebenentgelte etc.) steht.1467 Maßstab für die Beurteilung des Missverhältnisses ist der Vergleich zwischen dem vertraglichen effektiven Jahreszins und dem zum Zeitpunkt des
1461 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 12; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 23; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 488 Rn. 3. 1462 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 13. 1463 Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), Vor §§ 488 Rn. 4. 1464 BGHZ 97, 216 ff.; OLG Celle WM 1991, 1025; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 21; kritisch Reifner, JZ 1995, 866 ff. 1465 „Zinsanpassungsklausel“, vgl. dazu BGHZ 97, 212, 213; 40, 206, 217; WM 1999, 2545, 2547. 1466 „Zinsgleitklausel“, siehe dazu MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 488 Rn. 172 f.; Rösler/ Lang, ZIP 2006, 214 ff.; Habersack, WM 2001, 753 f. 1467 Vgl. dazu etwa Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 108 f.
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Vertragsschlusses marktüblichen1468 Effektivzinssatz.1469 Im Rahmen der Gesamtbetrachtung sind zudem alle weiteren Kosten des Kredits zu berücksichtigen, soweit sie nicht bereits im effektiven Jahreszins Eingang fanden. In Betracht kommen damit etwa Kosten eines im Interesse der Bank tätigen Kreditvermittlers,1470 einmalige Bearbeitungsentgelte, Entgelte für die Wertermittlung von Sicherheiten etc.1471 Ein auffälliges Missverhältnis liegt in der Regel vor, wenn der effektive Vertragszins den effektiven Vergleichszins absolut um 12 % oder relativ um 100 % übersteigt.1472 Um Sittenwidrigkeit anzunehmen, muss der Darlehensgeber zudem die schwächere Position des Darlehensnehmers ausgenutzt oder sich der Erkenntnis verschlossen haben, dass dieser sich nur auf Grund seiner geschäftlichen Unkundigkeit bzw. Unerfahrenheit oder seiner unterlegenen Verhandlungsposition auf den für ihn nachteiligen Vertrag eingelassen hat.1473 Sofern neben dem Darlehensnehmer weitere Personen als Sicherheit eine Mithaftung übernommen haben, ohne selbst Darlehensnehmer geworden zu sein, kommt eine Sittenwidrigkeit der Mitverpflichtung nach § 138 BGB in Betracht, wenn objektiv ein krasses Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Mitschuldners und dem Verpflichtungsumfang vorliegt. Dies ist – in Anlehnung an die BGH-Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften1474 – der Fall, wenn der Dritte durch die Mitverpflichtung in einem Maß finanziell überfordert wird, dass die auf diesem Weg vom Darlehensgeber erstrebte Sicherung als sinnlos angesehen werden muss. Eine derartig krasse Überforderung liegt vor, wenn der Mitschuldner innerhalb der vertraglich festgelegten Kreditlaufzeit voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens dauerhaft tragen kann.1475 Unabhängig von einer finanziellen Überforderung des Mitschuldners kann sich auch aus einer Überrumpelung des Sicherungsgebers die Sittenwidrigkeit seiner Einbindung ergeben. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn ein strukturelles Ungleichgewicht hinzukommt, etwa eine enge emotionale Bindung zwischen Darlehensnehmer und Sicherungsgeber, die der Darlehensgeber bewusst, zumindest aber in grober Fahrlässigkeit ausnutzt, um eine Mitverpflichtung zu 1468 Der Vergleichswert des marktüblichen Effektivzinssatzes ist dem statistischen Teil des Monatsberichts der Deutschen Bundesbank zu entnehmen. Maßgeblich ist insoweit der veröffentlichte Durchschnittszinssatz für vergleichbare Kredite, erhöht um ein einmaliges Bearbeitungsentgelt von 2,5 % des Kreditbetrages (BGHZ 128, 255, 256; 98, 174, 176; BGH NJW 1995, 1019, 1021; BGH WM 1990, 1322, 1324). 1469 BGHZ 104, 102, 104; 98, 174, 176; NJW 1990, 1599, 1600. 1470 BGH NJW 1988, 1661, 1662; 1991, 1810, 1811. 1471 Krüger/Bütter, WM 2005, 673 ff. 1472 BGHZ 110, 336, 340; 104, 102, 105; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 108. 1473 PWW/Ahrens (3. Aufl., 2008), § 138 Rn. 128. 1474 BGH NJW 2001, 815, 816 f.; PWW/Ahrens (3. Aufl., 2008), § 138 Rn. 123. 1475 BGHZ 151, 34, 38; Schimansky, WM 2002, 2440.
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erreichen. Indizien für solch eine bewusste Ausnutzung sind z.B. Verharmlosung des Haftungsrisikos („nur Formsache“, „nur für die Akten“) oder der Appell der Bank an die „Liebe und Solidarität“.1476 Eine Überrumpelung kann auch dann angenommen werden, wenn der Mitarbeiter der Bank von dem Betreffenden anlässlich eines Hausbesuchs überraschend eine Mitverpflichtung verlangt und für den Fall der Ablehnung die Kündigung des Darlehens in Aussicht stellt, obwohl das Darlehen zunächst ohne die Mitverpflichtung versprochen bzw. ausgekehrt wurde.1477 (e.) Rückzahlung des Darlehensbetrages Der Darlehensnehmer hat neben der regelmäßigen Pflicht zur Zinszahlung den zur Verfügung gestellten Darlehensbetrag nach Fälligkeit zurückzuerstatten.1478 Wenngleich diese Verpflichtung nach dem Darlehensvertrag nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis steht,1479 handelt es sich hierbei doch um eine Hauptleistungsverpflichtung.1480 § 488 III BGB regelt die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs. Ist ein Termin für die Rückzahlung des Darlehens von den Parteien vereinbart worden (Fest- oder Endfälligkeitsdarlehen), endet das Recht des Darlehensnehmers zur Nutzung des Kapitals mit Ablauf dieses Termins. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, tritt die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruches gemäß § 488 III BGB mit Kündigung des Vertrages durch den Darlehensnehmer oder Darlehensgeber ein, so genanntes „Kündigungsdarlehen“.1481 Durch die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs wandelt sich das Dauerschuldverhältnis zwischen den Parteien des Darlehensvertrages in ein Abwicklungsverhältnis um, das bis zur vollständigen Rückerstattung des Darlehens andauert.1482 cc. Sonstige Vertragspflichten Bei verzinslichen Darlehen trifft den Darlehensnehmer die Pflicht zur Abnahme der Darlehensvaluta.1483 Eine Verletzung dieser Pflicht kann zu Schadensersatzansprüchen des Darlehensgebers gegen den Darlehensnehmer aus §§ 280 ff.
1476 BGHZ 125, 206, 210; 120, 272, 277; BGH NJW 2001, 2466, 2467; 1999, 135; 1997, 52, 53; 1995, 1886, 1887. 1477 BGH NJW 1997, 1981. 1478 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 488 Rn. 1; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 110. 1479 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 16; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 110. 1480 Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 25; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 488 Rn. 12; a.A. Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 488 Rn. 6. 1481 Vgl. dazu auch Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 111. 1482 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 15. 1483 Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 17; es sei denn, es ist eine bloße Liquiditätsreserve gewollt, Soergel/Häuser (12. Aufl., 1997), § 607 Rn. 130.
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BGB (etwa in Form einer Nichtabnahmeentschädigung)1484 führen, i.Ü. auch ein Rücktrittsrecht nach § 323 BGB auslösen.1485 Aber auch der Darlehensgeber hat außer den o.g. Pflichten noch Nebenpflichten i.S.d. § 241 BGB zu beachten. Ihn treffen zum einen Schutzpflichten (z.B. wenn der Darlehensnehmer die Räumlichkeiten des Darlehensgebers betritt), aber auch Pflichten zur Interessenwahrung der anderen Vertragspartei, solange diese für ihn selbst möglich und zumutbar ist. Informationspflichten (jenseits des WpHG und des darauf bezogenen Bereichs) i.S.v. Aufklärung, Hinweis und Beratung, ggf. auch Warnung, bestehen nur ausnahmsweise, etwa bei pflichtenbegründenden Kriterien wie einem erheblichem Wissensvorsprung, einer Interessenkollision bzw. Schaffung eines Gefährdungstatbestandes, einer Überschreitung der bloßen Kreditgeberrolle.1486 Eine allgemeine Aufklärungspflicht des Darlehensgebers über die Sinnhaftigkeit der Kreditaufnahme existiert nicht;1487 insofern liegt das Verwendungs- und Rückzahlungsrisiko in der Sphäre des mit dem Kredit Bedachten.1488 Auch in der neuen Verbraucherkreditrichtlinie ist der Grundsatz der verantwortungsvollen Kreditvergabe, wie bereits erwähnt, nicht vollumfänglich zur Umsetzung gelangt, sodass der Kreditgeber auch in Zukunft den Kunden über für ihn ersichtliche bzw. erforschbare Rückzahlungsrisiken nicht aufklären muss. Die Einschätzung der Sinnhaftigkeit der Kreditaufnahme und Rückzahlung liegt weiterhin allein in der Sphäre des Kunden. Der neu eingestellte § 509 BGB, der eine Prüfung der Kreditwürdigkeit des Kunden vorschreibt, ändert daran nichts. Denn er statuiert nur eine Obliegenheit der Bank (im eigenen Interesse) und keine Pflicht gegenüber dem Kunden. dd. Beendigung des Darlehensverhältnisses Wie lange die Kapitalüberlassung zu erfolgen hat und inwiefern ein etwaiger vertraglicher Zinsanspruch zu bedienen ist, bestimmt sich in erster Linie nach der Parteiabrede. Die Parteien können insofern auch für das gesamte Vertragsverhältnis bestimmte Beendigungstatbestände festlegen, z.B. eine auflösende Bedingung oder eine Befristung i.S.d. § 158 BGB vereinbaren. Geschieht dies nicht, so 1484
Dazu umfassend MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 488 Rn. 682; Eichner, MDR 2001, 1338 ff.; v. Heymann/Rösler, ZIP 2001, 441 ff.; Knops, ZfIR 2001, 438 ff.; Wenzel, ZfIR 2001, 93 ff. 1485 BGH NJW 2001, 510 ff.; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 2; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 17; Budzikiewicz, WM 2003, 264, 267 ff. 1486 BGH WM 2004, 172, 173; NJW 2004, 156; ZIP 2003, 160; NJW 2002, 3695; OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.7.2008, Az. 17 U 4/07; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 12; umfassend zum Ganzen Blaurock, FS Horn (2006), S. 697, 701 ff.; Nobbe, WM Sonderbeil. Nr. 1 2007, S. 2 ff.; Kulke, ZfIR 2001, 982, 989 f.; Frisch, EWiR 2001, 939, 940. 1487 BGH WM 1999, 678; WM 1997, 662; NJW 1996, 663; Nobbe, ZBB 2008, 78 ff. 1488 BGHZ 72, 92, 104; BGH NJW-RR 1990, 431; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 12; Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 488 Rn. 11a.
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hängt die Fälligkeit der (Rück-)Erstattung nach § 488 III 1 BGB grundsätzlich von der Kündigung des Dauerschuldverhältnisses durch eine der Parteien ab.1489 Nur wenn Zinsen nach dem Vertragsinhalt nicht geschuldet sind, ist der Darlehensnehmer mangels eines schutzwürdigen Interesses des Darlehensgebers am Fortbestand des Darlehensverhältnisses auch ohne Kündigung zu einer Rückerstattung berechtigt.1490 Der Gesetzgeber hat diese Wertung in § 488 III 3 BGB verankert. Die Systematik der Kündigungsregelung in den §§ 488 ff. BGB ist nicht ganz einfach zu durchschauen. Bestimmungen zu Kündigungsrechten beim Darlehen finden sich in § 488 III BGB (ordentliche Kündigung durch Darlehensgeber oder -nehmer bei fehlender Parteivereinbarung), § 489 BGB (ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers abhängig von der Zinsvereinbarung), § 490 I BGB (außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensgebers), § 490 II BGB (außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers bei Festzinsvereinbarung), § 314 BGB (allgemeines außerordentliches Kündigungsrecht für beide Parteien) sowie § 313 BGB (Vertragsanpassungs- bzw. Kündigungsrecht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage). Die verschiedenen Kündigungsrechte bestehen im Grundsatz unabhängig voneinander. Speziellere Kündigungstatbestände gehen jedoch den allgemeineren vor. (1.) Ordentliche Kündigung Ist die Fälligkeit des Darlehensrückzahlungsanspruches von einer Kündigung abhängig, weil es keine spezielle Fälligkeitsabrede gibt, kommt es auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die ordentliche bzw. außerordentliche Kündigung an. Die Kündigung des Darlehensvertrages stellt in allen in §§ 488 ff. BGB beschriebenen Varianten eine empfangsbedürftige (§ 130 BGB), unwiderrufliche, bedingungsfeindliche, mangels anderweitiger vertraglicher Vereinbarungen formfreie Willenserklärung dar, die erst nach Auszahlung des Darlehens zulässig ist.1491 Bei der Grundform der ordentlichen Kündigung richtet sich die Kündigungsfrist in erster Linie nach dem Vertrag. Ist in ihm nichts bestimmt, so legt § 488 III 2 BGB fest, dass prinzipiell jede der Vertragsparteien ein nicht auf bestimmte Zeit eingegangenes Darlehensverhältnis mit einer Frist von drei Monaten ordentlich, d.h. ohne weitere Begründung kündigen kann.1492 Die Frage, ob der dreimonatigen Kündigungsfrist des § 488 III 2 BGB eine Leitbildfunktion zukommt, ist umstritten, dürfte aber zu bejahen sein.1493 Das Recht zur ordent1489
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 111. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 249; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 111. 1491 BGH NJW 1983, 1545; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 21; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 488 Rn. 27; MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 488 Rn. 233. 1492 Schranken des Kündigungsrechts können sich aber auch hier aus § 242 BGB ergeben (BGH NJW-RR 1987, 1184). 1493 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 488 1490
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lichen Kündigung ist allerdings konkludent abbedungen, wenn die Vertragsparteien einen bestimmten Beendigungstatbestand (Bedingung, Befristung etc.) festgelegt haben. Über § 488 III 2 BGB hinausgehend, der ein ordentliches Kündigungsrecht für beide Parteien des Vertrages statuiert, gewährt § 489 I, II BGB dem Darlehensnehmer noch weitere (besondere) Kündigungsrechte, sofern er ein verzinsliches Darlehen in Anspruch genommen hat und eine der Voraussetzungen der § 489 I Nr. 1–2, II BGB erfüllt ist. Die hier festgelegten Kündigungsrechte sollen den Darlehensnehmer vor überlanger Darlehensbindung schützen und Umschuldungen insbesondere bei sinkenden Zinsen erleichtern.1494 Bei fester Zinsbindung muss aber auch das Interesse des Darlehensgebers an der Kalkulierbarkeit von Darlehen mit längerer Laufzeit berücksichtigt werden, vgl. § 498 I BGB. Daraus erklärt sich die kasuistische Ausgestaltung des § 489 I BGB.1495 Hinzuweisen ist darauf, dass die besonderen Kündigungsrechte des Darlehensnehmers gemäß § 489 I, II BGB grundsätzlich nicht der Disposition der Parteien unterliegen, vgl. § 489 IV 1.1496 Allerdings steht die Wirksamkeit einer auf § 489 I, II BGB gestützten Kündigung aus Schutzgründen für den Darlehensgeber unter dem Vorbehalt, dass der Darlehensnehmer den Rückerstattungsanspruch des Darlehensgebers aus § 488 I 2 BGB binnen zweier Wochen nach der Kündigungserklärung bedient (§ 489 III BGB). Sonst wird das Unterbleiben der Kündigung fingiert.1497 Erfolgt die Rückzahlung also nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist, kann der Darlehensgeber in Bezug auf diese Fiktion z.B. die Fortzahlung der vertraglich vereinbarten Zinsen verlangen.1498 (a.) Darlehen mit festem Zinssatz Wurde zwischen den Parteien ein fester Zinssatz für das Darlehen vereinbart, kann der Darlehensnehmer an zwei unterschiedliche Kündigungsrechte anknüpfen. Gemäß § 489 I Nr. 1 BGB kann der Darlehensvertrag bei einem gebundenen Sollzinssatz (zur Definition vgl. § 489 V 1, 2 BGB) vom Darlehensnehmer gekündigt werden, wenn die Sollzinssatzvereinbarung vor dem Zeitpunkt, der für die Rückzahlung des Darlehens vorgesehen ist, ausläuft. Die Kündigungsfrist beRn. 9; Köntgen, NJW 2000, 468; a.A. aber die h.M., so etwa OLG Köln WM 1999, 1004, 1005. 1494 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 489 Rn. 1; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), 111 f.: ähnlich Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 489 Rn. 3: „Schuldnerschutznorm“. 1495 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 111 f.; MüKo/Berger (4. Aufl., 2004), § 489 Rn. 2. 1496 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 489 Rn. 23. Nicht nur ein Ausschluss eines dieser Kündigungsrechte, auch eine Erschwerung ist danach nicht möglich. 1497 MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 489 Rn. 26; Palandt/Putzo (68. Aufl., 2009), § 489 Rn. 18; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 489 Rn. 6. 1498 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 250.
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trägt hier grundsätzlich einen Monat. Darüber hinaus kann ein Darlehensnehmer auch bei einem gebundenen Sollzinssatz in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach vollständigem Empfang des Darlehens unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat das Darlehen kündigen, vgl., § 489 I Nr. 2 BGB. (b.) Darlehen mit veränderlichem Zinssatz Bei einem Darlehen mit stets veränderlichem Zinssatz darf der Darlehensnehmer gemäß § 489 II BGB jederzeit mit einer Frist von drei Monaten kündigen. Kein fester Zinssatz liegt etwa dann vor, wenn Zinsgleit- oder Änderungsklauseln in den Vertrag aufgenommen werden.1499 Letztere entspringen dem oft bestehenden Bedürfnis der Banken, ihre Darlehensbedingungen – insbesondere den Zinssatz – den wechselnden und bei Vertragsschluss meist nicht überschaubaren künftigen Refinanzierungsmöglichkeiten anzupassen. Bei Verwendung von AGB-Klauseln, die einen veränderlichen Zinssatz festlegen, muss dieser allerdings in beide Richtungen „offen“ sein. Um der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standzuhalten, darf die Bank also nicht nur den erhöhten Zinssatz fordern. Sie muss bei sinkendem Zinsniveau – das als Leitmarke gilt – auch zur Herabsetzung des dem Kunden berechneten Zinssatzes gelangen.1500 Wird im Darlehensvertrag beim Zinssatz auf den Basiszinssatz Bezug genommen, liegt darin eine Zinsabrede, die bis zum jeweils nächstfolgenden 1.1. oder 1.7. fest ist, weil sich der Basiszinssatz nach dem Gesetz (§ 247 I BGB) nur zu diesen Zeiten ändern kann. Solche Zinsklauseln sind daher nicht unter § 489 II BGB einzuordnen.1501 (2.) Außerordentliche Kündigung § 490 BGB statuiert für beide Parteien ein Recht zur außerordentlichen Kündigung, allerdings sind hierfür durch den Gesetzgeber unterschiedliche Voraussetzungen vorgesehen worden. Über § 490 BGB hinaus bleiben i.Ü. die durch §§ 314, 313 BGB eröffneten Möglichkeiten zur Abstandnahme vom Vertrag erhalten.1502 (a.) Außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensgebers (§ 490 I BGB) Vor der Auszahlung des Darlehens steht (vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung) dem Darlehensgeber ein Recht zur fristlosen außerordentlichen Kündigung „stets“ zu, vgl. § 490 I 1, HS. 1 BGB. Nach Auszahlung der Darlehensvaluta wird ihm dieses Recht jedenfalls noch „in der Regel“ gewährt, § 490 I 1, HS. 2 BGB.1503 Der wichtige Kündigungsgrund, der vorliegen muss, knüpft 1499 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 489 Rn. 18; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 489 Rn. 5. 1500 BGHZ 118, 126, 131; 97, 212, 217. 1501 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 489 Rn. 5. 1502 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 488 Rn. 23. 1503 Dass das Kündigungsrecht nach der Auszahlung des Darlehens nur in der Regel besteht (was eine Gesamtwürdigung aller Umstände erforderlich macht), ist auf den Gedanken zurückzuführen, dass die Auszahlung einen Vertrauenstatbestand schafft, auf Grund dessen ein anderer Weg als die Kündigung den Interessen beider Parteien möglicherweise
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in beiden Fällen daran an, dass hinsichtlich der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers oder der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung eingetreten ist oder einzutreten droht und dass diese die Rückzahlung des Darlehens gefährdet. Von einer drohenden Verschlechterung ist dann auszugehen, wenn sie sich „sichtbar abzeichnet“.1504 Eine Gefahr für die Interessen des Darlehensgebers besteht beispielsweise dann, wenn die zur Sicherheit übereignete Sache zerstört wird oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Darlehensnehmer eingeleitet werden.1505 (b.) Außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers (§ 490 II BGB) Dem Darlehensnehmer ist es gemäß § 490 II 1 BGB anheim gestellt, ein für eine bestimmte Zeit mit einem festen Zinssatz (= gebundener Sollzinssatz) versehenes Darlehen, das durch ein Grund- oder Schiffspfandrecht gesichert ist, unter Einhaltung der Fristen des § 488 III 2 BGB (drei Monate) zu kündigen, wenn dies in Anbetracht seiner berechtigten Interessen notwendig erscheint. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber diese Norm als Auflösungstatbestand für das Dauerschuldverhältnis geschaffen hat, wird in der Literatur vor allem deshalb kritisch gesehen, weil man sich bei ihr auf eine Kodifizierung der Rechtsprechung1506 beruft,1507 die so zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Norm noch gar nicht gefestigt1508 und auch auf das heftigste umstritten war.1509 Nach der Etablierung der gesetzlichen Regelung kann man an ihr jedoch nicht mehr vorbeikommen. Wichtig ist es daher, dem Tatbestand Konturen angedeihen zu lassen, was reichlich schwierig ist, da § 490 II 1 BGB den unbestimmten Rechtsbegriff der „berechtigten Interessen des Darlehensnehmers“ in Bezug nimmt. Die berechtigten Interessen, die zu einer Kündigung Anlass geben dürfen, sind nach § 490 II 2 BGB „insbesondere“ in dem Bedürfnis nach einer anderweitigen Verwertung der beliehenen Sache zu sehen.1510 Klarer geregelt sind im Fall des außerordentlichen Kündigungsrechts nach § 490 II BGB die Rechtsfolgen: Wenn nämlich ein wichtiger Kündigungsgrund besser Rechnung tragen kann (BT-Drucks. 14/6040, S. 254). Alternativ ist in diesem Fall etwa eine Anpassung der Tilgungsraten gemäß § 313 I BGB zu erwägen, vgl. dazu Köndgen, WM 2001, 1637, 1642 f. 1504 BT-Drucks. 14/6040, S. 254. 1505 MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 490 Rn. 9; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 112. 1506 BGHZ 136, 161, 166 f. 1507 BT-Drucks. 14/6040, S. 254. 1508 Der BGH sprach in dem maßgeblichen Urteil (BGHZ 136, 161, 166) noch von Vertragsmodifizierung und noch nicht von Kündigung, dazu eingehend Guttenberg, JuS 1999, 1058, 1059. 1509 Vgl. dazu Köndgen, WM 2001, 1637, 1643; ders., NJW 2000, 468, 480 f.; Medicus, EWiR 1997, 921 f.; Marburger, ZBB 1998, 30 ff. 1510 BGHZ 136, 161 ff.; BGH NJW 1997, 2876; 2003, 2230; 2004, 1730; MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 490 Rn. 25.
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im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, kann der Darlehensnehmer unter Einhaltung der Fristen des § 489 III 2 BGB vorzeitig kündigen.1511 Zugleich verpflichtet § 490 II 3 BGB den Darlehensnehmer aber dazu, den aus der vorzeitigen Kündigung entstehenden Schaden1512 dem Darlehensgeber zu ersetzen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung die höchstrichterliche Rechtsprechung1513 zur so genannten „Vorfälligkeitsentschädigung“ kodifizieren, um auf diese Weise größere Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu erreichen.1514 Heranzuziehen sind hierfür die zur Nichtabnahmeentschädigung1515 herausgebildeten Grundsätze.1516 Maßgeblich ist die rechtlich geschützte Zinserwartung des Darlehensgebers. Diese umfasst die Zinsen, die bis zur ordnungsgemäßen Vertragsbeendigung aufgelaufen wären. Der Darlehensgeber kann den Zinsmargenschaden geltend machen, also den entgangenen Nettogewinn aus dem vorzeitig abgelösten Darlehen, wobei eine Schadenspauschalierung nach § 252 BGB statthaft ist.1517 Wenn das vorzeitig zurückerhaltene Darlehenskapital für die Restlaufzeit des abgelösten Darlehens nur zu einem niedrigeren als dem Vertragszins wieder ausleihbar ist, liegt daneben ein Zinsverschlechterungsschaden vor.1518 Er errechnet sich aus der Differenz zwischen Vertrags- und Wiederausleihzins, wobei eine Bank hierfür auf den Zinssatz einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in sicheren Kapitalmarkttiteln1519 abstellen kann, allerdings nur für den Zeitraum der rechtlich geschützten Zinserwartung,1520 also für maximal 10 ½ Jahre.1521 Alternativ zum AktivAktiv-Vergleich kann der Darlehensgeber nach der Aktiv-Passiv-Methode auch die Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei Abnahme des Darlehens tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite, die sich aus einer (ggf. fikti1511 Die Mindestlaufzeit beträgt danach neun Monate, vgl. Reiff, in: Dauner-Lieb/ Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 490 Rn. 13. 1512 Zur Berechnung des entgangenen Zinsgewinns in diesem Zusammenhang vgl. BGHZ 146, 5 ff. 1513 BGHZ 136, 161 ff.; BGH NJW 1997, 2875 ff.; 1997, 2978 f. 1514 BT-Drucks. 14/6040, S. 254; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 491 Rn. 10. 1515 BGHZ 146, 5, 10 ff.; vgl. auch Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 490 Rn. 14. 1516 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 490 Rn. 5. 1517 BGHZ 136, 161, 168; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 490 Rn. 15. Im Hypothekenbankenbereich ist bei Nichtabnahmeentschädigung ein Satz von 5 % anerkannt, vgl. dazu Rösler/Wimmer, WM 2000, 164, 172 m.w.N. 1518 Reiff,, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 490 Rn. 15. 1519 Hierzu gehören auch Hypothekenpfandbriefe, die mit der Sicherheit von Kapitalmarkttiteln öffentlicher Schuldner vergleichbar sind, BGH ZIP 2001, 20, 23. 1520 BGH NJW 1991, 1817. 1521 BGHZ 136, 161, 170; MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), § 490 Rn. 34; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 491 Rn. 5.
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ven) laufzeitkongruenten Wiederanlage1522 der frei gewordenen Beträge ergeben hätte, geltend machen, allerdings bereinigt um die ersparten Kosten der Risikovorsorge und der Darlehensverwaltung zzgl. Bearbeitungsgebühr.1523 Wenn sich die Parteien vertraglich auf die Aufhebung des Darlehensvertrages gegen Vorfälligkeitsentschädigung geeinigt haben, können diese Grundsätze herangezogen werden, sie müssen es aber nicht.1524 § 490 III BGB stellt schließlich klar, dass die Sonderkündigungsrechte nach §§ 313, 314 BGB unberührt bleiben.1525 Sind allerdings die Voraussetzungen des § 490 BGB erfüllt, geht dieser als lex specialis den allgemeinen Vorschriften der §§ 313, 314 BGB vor.1526 ee. Rechtsfolgen der Verletzung von Hauptpflichten Kommt der Darlehensgeber mit der Verschaffung des Darlehens nach Maßgabe der §§ 280 I, II, 286 BGB in Verzug, so kann der Darlehensgeber nach § 280 I 1 BGB den vollen Verzugsschaden geltend machen. Hierzu gehören auch Verzugszinsen gemäß § 288 BGB. Nach Setzung einer angemessenen Nachfrist i.S.d. §§ 323, 281 BGB darf er zudem vom Vertrag zurücktreten. Wegen des Dauerschuldcharakters wird das Rücktrittsrecht allerdings in ein ex nunc wirkendes Kündigungsrecht übergeleitet. Nimmt hingegen der Darlehensnehmer das Darlehen nicht ab, trifft ihn eine Entschädigungspflicht (§§ 280 I, 281, 286 BGB).1527 b. Besonderheiten des Verbraucherdarlehens gemäß §§ 491 ff. BGB Die §§ 491–505 BGB n.F. beschreiben Sonderregeln für Darlehensverträge, die im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis gelten. Die im Nachfeld geregelten §§ 506–512 BGB n.F. statuieren Regelungen zu Finanzierungshilfen und Ratenliefervereinbarungen. Sie sollen im Folgenden dargestellt werden. Einheitliches Ziel der §§ 491 ff. BGB ist der Schutz des Verbrauchers vor den mit der Aufnahme von Krediten oder mit Umschuldungsmaßnahmen verbundenen Risiken.1528 Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs der Regelungen handelt es sich (mit Ausnahme des Existenzgründungskredites, vgl. § 512 BGB n.F.) um Verbraucherrecht i.e.S. Der Schutz des Verbrauchers verwirklicht sich in unterschiedlichen Regelkomplexen. Zu nennen sind hier Bestimmungen über den Abschluss und die Wirksamkeit des Vertrages, insbesondere Formvorschriften (§ 492 BGB). Ver1522
BGHZ 146, 5, 10; 136, 161, 168 ff. PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008). 1524 BGH NJW 2003, 2230. 1525 Im Fall einer hierauf gestützten Kündigung entfällt auch die Vorfälligkeitsentschädigung, OLG Zweibrücken, OLGR 2002, 432. 1526 Palandt/Putzo (68. Aufl., 2009), § 490 Rn. 17. 1527 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 488 Rn. 1; zur Berechnung des Nichterfüllungsschadens BGHZ 146, 5. 1528 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2008), § 491 Rn. 1; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 114; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 253. 1523
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braucherschutz vitalisiert sich aber auch über das Widerrufsrecht in § 495 BGB, die Regelung des Einwendungsverzichts- und des Wechsel- und Scheckverbots in § 496 BGB, aber vor allem über die besonderen Vorschriften der §§ 497, 498 BGB, die im Zahlungsverzug des Darlehensrückzahlungsschuldners die „Schuldturmproblematik“ und gehobene Anforderungen an die Gesamtfälligstellung des Darlehens regeln. Bedeutsam sind überdies vorvertragliche Informationspflichten (vgl. etwa § 491a BGB), Pflichtangaben beim schriftlichen Vertragsschluss (§ 492 II BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6–13 EGBGB) sowie notwendige Informationen des Kreditgebers während des Vertragsverhältnisses (§ 493 BGB). Für Finanzierungshilfen und Ratenzahlungsvereinbarungen halten die §§ 506–512 BGB weitere (vertragsspezifische) Sonderregelungen bereit. aa. Persönlicher Anwendungsbereich Für den persönlichen Anwendungsbereich der §§ 491–512 BGB legt § 491 I BGB fest, dass es sich bei dem Darlehensgeber um einen Unternehmer i.S.d. § 14 BGB handeln muss. Er hat das Darlehen im Rahmen seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zu vergeben. Der Darlehensnehmer muss hingegen Verbraucher i.S.d. § 13 BGB sein, der das Darlehen zu privaten Zwecken aufnimmt. Die z.T. vertretene Auffassung, dass die §§ 491 ff. BGB von ihrer Zielrichtung her nicht auf § 14 BGB passen, und etwa den privat handelnden Unternehmer unangemessenen durch Auflegung einer Beweislast für das Privatgeschäft benachteiligen,1529 ist vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Norm und der potentiellen Möglichkeit der Führung des Beweises abzulehnen. Sind bei einem Darlehensvertrag mehrere natürliche Personen Darlehensnehmer, die als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) haften, so unterfallen nur diejenigen den besonderen Schutzbestimmungen der §§ 491 ff. BGB, die den Darlehensvertrag zu privaten Zwecken abschließen.1530 Dies gilt auch für die Darlehensaufnahme durch gesamthänderisch verbundene Personen, zum Beispiel Eheleute in Gütergemeinschaft oder eine Erbengemeinschaft.1531 Wie bereits herausgestellt wurde,1532 kann eine BGB-Gesellschaft (§ 705 BGB) Verbraucher sein, wenn sie nur aus natürlichen Personen besteht und diese gemeinschaftlich zu privaten Zwecken handeln.1533 Existenzgründer werden hinsichtlich der §§ 492–511 BGB n.F. Verbrauchern gleichgestellt, soweit das von ihnen aufgenommene Darlehen den Nettobetrag bzw. Barzahlungspreis von 75.000 Euro nicht überschreitet, vgl. 1529
PWW/Prütting (3. Aufl., 2008), § 14 Rn. 7. BGH ZIP 2000, 1493, 1496 f.; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 491 Rn. 5; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 491 Rn. 6. 1531 MüKo/Schürnbrand (5. Aufl., 2008), § 491 Rn. 26. 1532 2. Teil, 1. Kapitel A III 5. 1533 BGH NJW 2002, 368; anders (und zwar im Hinblick auf den Schutz der BGB-Gesellschafter über eine Ablehnung der persönlichen Einstandspflicht aus § 128 HGB analog, d.h. ohne Verwendung des weiten Verbraucherbegriffes) Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2004), S. 114. 1530
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§ 512 BGB n.F. Bei Existenzgründungsdarlehen von über 75.000 Euro nimmt der Gesetzgeber hingegen an, dass sich der Darlehensnehmer der Tragweite seiner Entscheidung voll bewusst und daher nicht wie ein Verbraucher schutzwürdig ist.1534 Sind mehrere Darlehensnehmer Gesamtschuldner des Darlehens, ist für jeden Einzelnen zu entscheiden, ob dieser als Verbraucher (bzw. Existenzgründer) anzusehen ist.1535 bb. Sachlicher Anwendungsbereich Alle Verbraucherdarlehensverträge1536 gemäß § 491 I BGB unterfallen, sofern sie „entgeltlich“ sind, den §§ 492 ff. BGB. Partielle Ausnahmen für einzelne Bestimmungen aus dem Bereich der §§ 492 ff. BGB können sich aber aus § 491 II, III bzw. aus den §§ 503–505 BGB ergeben. Der Begriff des Entgelts ist weit auszulegen.1537 Man versteht darunter jede Gegenleistung (für die zeitweise Überlassung des Kapitalbetrages). Neben Zinsen zählt hierzu auch ein laufzeitabhängiges Disagio, nicht jedoch eine reine Bearbeitungsgebühr.1538 Für den Schuldbeitritt, die befreiende Schuldübernahme und die Vertragsübernahme gelten die §§ 491 ff. BGB auf Grund der gleichen Schutzbedürftigkeit der betroffenen Personen entsprechend.1539 Sie werden jedoch nach h.M. nicht bei der (Verbraucher-)Bürgschaft herangezogen.1540 cc. Regelungsinhalt Der Regelungsinhalt der §§ 491 ff. BGB ist komplex. (1.) Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrages Noch keine Besonderheiten gelten nach den §§ 491 ff. BGB für den Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrages. Hier ist auf das zu § 488 BGB Gesagte zu rekurrieren; notwendig sind Angebot und Annahme. (2.) Form, inklusive Informations- und Mitteilungspflichten (§§ 491a–493 BGB) Der neue § 491a BGB statuiert jedoch bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses gewisse Informationspflichten. So hat der Unternehmer den Verbraucher über die sich aus Art. 247 EGBGB ergebenden Einzelheiten in der dort vorgeschriebenen Form zu unterrichten, § 491a I BGB. Prinzipiell kann der Darlehensnehmer 1534
BT-Drucks. 11/8274, S. 20 f. Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 491 Rn. 2. 1536 Zur Gleichstellung des Schuldbeitritts vgl. BGHZ 133, 74 ff. 1537 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 254. 1538 Palandt/Putzo (68. Aufl., 2009), § 491 Rn. 5. 1539 BGHZ 155, 240, 243; 133, 71, 74; BGH NJW 2006, 431, 432; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 491 Rn. 6. Auf Bürgschaften sind die §§ 491 ff. BGB indes nicht entsprechend anwendbar (BGHZ 138, 321, 326; OLG Düsseldorf WM 2007, 2009; OLG Frankfurt/M. ZGS 2007, 240; vgl. auch EuGH, Urt. v. 23.3.2000, Rs. C-208/98 – Berliner Kindl Brauerei AG; a.A. Kulke VuR 2007, 154 ff.). 1540 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 114. 1535
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auch bereits in der Vertragsanbahnungsphase einen schriftlichen Vertragsentwurf vom Unternehmer verlangen, wenn dieser zum Vertragsschluss bereit ist, § 491a II BGB. Über die Informationspflicht hinaus, ergibt sich aus § 491a III BGB weiterhin die Pflicht zur konkreten Erläuterung der Rechte und Pflichten, wenn die formalen Informationen (im Beipackzettelformat) nicht ausreichen, was typischerweise der Fall sein dürfte. Aus Gründen des Verbraucherschutzes normiert § 492 I BGB sodann die Pflicht zum schriftlichen Abschluss des Verbraucherkreditvertrages, wobei die Formvorgabe die Informationspflichten nach § 492 II BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6–13 EGBGB einschließen. Der schriftliche Vertrag muss mithin die hier genannten Details zu den vertragskardinalen Umständen ausweisen. Der Formzwang schütz den Verbraucher vor übereilten Vertragsabschlüssen.1541 Die schriftlichen Vertragsangaben sollen es dem Verbraucher ermöglichen, sinnvoll darüber zu entscheiden, ob er von seinem Widerrufsrecht nach § 495 BGB Gebrauch machen will.1542 (a.) Gesetzliche Formvorgaben Die gesetzlichen Formvorgaben für das Verbraucherdarlehen beziehen sich auf die Unterschriftsleistung der Parteien und bestimmte offenzulegende Mindestangaben. (aa.) Unterschrift. § 492 I 1 BGB postuliert zunächst, dass Verbraucherdarlehensverträge schriftlich abgeschlossen werden müssen, sofern das Gesetz selbst (an anderer Stelle) keine strengere Form1543 vorschreibt. Eine etwaige Blankounterschrift des Darlehensnehmers genügt nach dem Schutzzweck des Gesetzes dem Schriftformerfordernis nicht.1544 Eine Erleichterung bei der Einhaltung der Schriftform i.S.d. „Auflockerung der Urkundseinheit“1545 gemäß § 126 II 1 BGB enthält allerdings § 492 I 2 BGB, wonach Antrag und Annahme zum Verbraucherdarlehensvertrag eigenständig, d.h. voneinander getrennt, schriftlich erklärt werden können. I.Ü. bedarf auf Grund von Praktikabilitätserwägungen1546 auch eine automatisch erzeugte Erklärung des Darlehensgebers (anders als dies § 126 I, III BGB im Grundsatz vorschreibt) nach § 492 I 3 BGB keiner Unterzeichnung, wenn und soweit die Erklärung von einer automatischen Einrichtung erstellt wurde. 1541
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 115. BT-Drucks. 11/5462, S. 12, 19; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 492 Rn. 1; MüKo/ Schürnbrand (5. Aufl., 2008), § 492 Rn. 6 ff. 1543 Letztere ergibt sich etwa aus § 311b I BGB, wenn der Darlehensvertrag untrennbar mit einem Grundstückskaufvertrag verbunden ist. 1544 BGH NJW-RR 2005, 1141; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 492 Rn. 2. 1545 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2003), § 492 Rn. 2. 1546 BT-Drucks. 12/4526, S. 13; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 492 Rn. 3. 1542
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Der Formzwang erfasst im Hinblick auf die Warn- und Transparenzfunktion auch alle Nebenabreden zum Verbraucherdarlehensvertrag. Deshalb sind u.a. auch Nebenabreden in AGB-Form in die Urkunde zu integrieren oder als deren ergänzender Bestandteil durch körperliche Verbindung zuzuschalten.1547 Nur bei Rahmenverträgen ist allein das Grundgeschäft formbedürftig, nicht jedoch ein darauf basierendes Ausführungsgeschäft.1548 Erfolgt ein Schuldbeitritt oder eine Schuldübernahme zum Verbraucherdarlehen, ist unter der Voraussetzung, dass dieses Geschäft von einem Verbraucher vollzogen wird, denselben Formerfordernissen – einschließlich den Pflichtangaben – zu genügen, wie sie für das Hauptgeschäft selbst vorgesehen sind.1549 (bb.) Detaillierte Mindestangaben über Konditionen. § 492 II BGB listet mit Verweis auf Art. 247 §§ 6–13 EGBGB eine Reihe von Punkten auf, die in der Darlehensurkunde als detaillierte Mindestangaben enthalten sein müssen. Hiermit wird eine „informelle Transparenz“1550 des Darlehensnehmers in Bezug auf die Darlehenskonditionen angestrebt. Er soll in die Lage versetzt werden, eine informierte Entscheidung zu treffen, wenn er den Vertrag unterschreibt. Der Darlehensvertrag muss nach Art. 247 § 6 I Nr. 1 EGBGB, der seinerseits auf Art. 247 § 3 I Nr. 1–14 und Art. 247 § 3 IV EGBGB verweist, zunächst folgende Angaben enthalten: – – – – – – – – – – – – – –
Name und Anschrift des Darlehensgebers (Art. 247 § 3 I Nr. 1 EGBGB), Art des Darlehens (Art. 247 § 3 I Nr. 2 EGBGB), effektiver Jahreszins (Art. 247 § 3 I Nr. 3 EGBGB), Nettodarlehensbetrag (Art. 247 § 3 I Nr. 4 EGBGB), Sollzins (Art. 247 § 3 I Nr. 5 EGBGB) in der Form des Art. 247 § 3 IV EGBGB, Vertragslaufzeit (Art. 247 § 3 I Nr. 6 EGBGB), Betrag, Zahl und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen (§ 247 § 3 I Nr. 7 EGBGB), Gesamtbetrag (Art. 247 § 3 Nr. 8 EGBGB), Auszahlungsbedingungen (Art. 247 § 3 I Nr. 9 EGBGB) alle sonstigen Kosten (Art. 247 § 3 I Nr. 10 EGBGB), Verzugszinssatz (Art. 247 § 3 I Nr. 11 EGBGB), Warnhinweis bzgl. ausbleibender Zahlungen (Art. 247 § 3 I Nr. 12 EGBGB), Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts (Art. 247 § 3 I Nr. 13 EGBGB), Recht des Darlehensnehmers, das Darlehen vorzeitig zu kündigen (Art. 247 § 3 I Nr. 14 EGBGB). 1547 1548 1549 1550
BGH NJW 2006, 681; MüKo/Schürnbrand (5. Aufl., 2008), § 492 Rn. 29. PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 492 Rn. 2. BGH NJW 2006, 431; NJW-RR 2000, 3496; NJW 1997, 1142. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 255 f.
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Hinzutreten der Name und die Anschrift des Darlehensnehmers, die für den Darlehensgeber zuständige Aufsichtsbehörde, ein Hinweis auf den Anspruch des Darlehensnehmers auf einen Tilgungsplan, das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrages sowie sämtliche weiteren Vertragsbedingungen (Art. 247 § 6 I Nr. 2–6 EGBGB). Abgerundet wird die Informationspflicht durch die Pflichtangaben nach Art. 247 § 7 EGBGB, die die Notarkosten, Sicherheiten, die Berechnungsmethode der Vorfälligkeitsentschädigung und den Zugang zu einer außergerichtlichen Beschwerdestelle und ein Rechtsbehelfsverfahren umfassen. Verbraucherdarlehensverträge mit Zusatzleistungen (bspw. mit Verbindung zu einem Versicherungs- oder Kontoführungsvertrag) sind nach Art. 247 § 8 EGBGB an darüberhinausgehende Zusatzinformationen zu den gekoppelten Leistungen gebunden. Abweichende Mitteilungspflichten existieren gem. Art. 247 §§ 9–11 EGBGB bei Immobiliarkrediten, Überziehungsmöglichkeiten und Umschuldungen. Für verbundene Verträge und entgeltliche Überziehungskredite sind die nach Art. 247 § 12 EGBGB verbindlichen Pflichtangaben einzuhalten. Wird ein Darlehensvermittler tätig, ist auch darüber und die dadurch entstehenden Kosten zu informieren (Art. 247 § 13 EGBGB). (cc.) Aushändigungspflicht. Gemäß § 492 III 1 BGB hat der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer nach Vertragsschluss eine Abschrift der Vertragsurkunde mit den Angaben des § 492 II BGB zur Verfügung1551 zu stellen. Der Anspruch auf Aushändigung der Vertragsabschrift ist klagbar.1552 Damit der Anspruch seinen Sinn und Zweck („Vertragstransparenz“) erfüllt, ist unter „Abschrift der Vertragserklärungen“ ein Schriftstück zu verstehen, das den gesamten Inhalt des Vertrages und nicht etwa nur seine wesentlichen Bestandteile wiedergibt. Er richtet sich in der Regel auf die vollständige Durchschrift oder eine Fotokopie des Originals, sofern dem Verbraucher nicht sogar das Original selbst überlassen wird. Ergänzt wird dieser Anspruch durch das weitere Recht, einen Tilgungsplan einfordern zu können, wenn und soweit das Darlehen zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuzahlen ist, § 492 III 2 BGB. (dd.) Erstreckung des Formerfordernisses auf Vollmacht. Damit der durch § 492 I, II BGB beabsichtigte Verbraucherschutz in Vertretungsfällen nicht leer läuft, wird zur Protektion des Verbrauchers das Formerfordernis durch § 492 IV 1 BGB (entgegen der allgemeinen Regel des § 167 II BGB und der früheren Rechtsprechung zu § 4 VerbrKrG1553) auch auf eine vom Darlehensnehmer erteilte Vollmacht erstreckt, wenn und soweit es sich bei ihr nicht um eine Prozessvoll-
1551 Möglich ist eine Aushändigung, aber auch ein Versand mit der Post (vgl. BT-Drucks. 14/7052, S. 201). 1552 BT-Drucks. 11/5462, S. 20; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 492 Rn. 13. 1553 BGHZ 147, 252, 266; BGH NJW-RR 2004, 632; NJW 2004, 2378.
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macht oder um eine notariell beurkundete Vollmacht handelt.1554 Mit der Regelung will der Gesetzgeber erreichen, dass bei einer gewillkürten Vertretung des Darlehensnehmers die mit § 492 BGB bezweckte Warnung auf die Vollmachtsvergabe „vorverlagert“ wird.1555 Die Ausnahme vom Formerfordernis bzgl. der notariell beurkundeten Vollmachten und Prozessvollmachten wurde ins Gesetz aufgenommen, um diese für den Rechtsverkehr unentbehrlichen Formen der Stellvertretung nicht unangemessen zu entwerten.1556 Eine nach § 492 IV 1 BGB nicht formgerecht erteilte Vollmacht ist unwirksam.1557 (ee.) Bereichsausnahme: Überziehungskredite. Von dem Grundsatz des Formerfordernisses und detaillierter Mindestangaben wird für Überziehungskredite, die ein Kreditinstitut einem Verbraucher im Rahmen eines laufenden Kontos einräumt, eine Erleichterung nach § 504 I und II BGB zu gelassen. Neben den hier geregelten Besonderheiten für Überziehungskredite sind nur die in Art. 247 § 16 bzw. § 10 EGBGB genannten Informationspflichten zu erfüllen. Der Gesetzgeber wollte hier Erleichterungen schaffen, weil der Überziehungskredit eine verbreitete und besonders flexible Art der Kreditaufnahme1558 darstellt und er somit auch dem Interesse des Verbrauchers dient.1559 Für nicht vereinbarte, sondern nur geduldete Überziehungskredite enthält § 505 BGB eine Entsprechung mit weiter erleichterten Informationsanforderungen nach Art. 247 § 17 EGBGB.1560 (ff.) Informationspflichten im laufenden Vertragsverhältnis. Informationspflichten im laufenden Verbraucherdarlehensvertrag erfasst § 493 BGB. Dabei ist zu beachten, dass Erklärungen des Darlehensgebers gegenüber dem Darlehensnehmer nach Vertragsschluss gem. § 492 V BGB stets der Textform bedürfen. Aus Gründen des Verbraucherschutzes hat der Darlehensgeber bei einer vor Vertragsende auslaufenden Absprache über einen gebundenen Sollzinssatz den anderen Teil drei Monate vor Auslauf der Abrede darüber zu informieren, ob er gewillt ist, eine neue Sollzinsvereinbarung abzuschließen, § 493 I BGB. Die gleiche zeitliche Unterrichtungspflicht trifft den Darlehensgeber bei Auslauf des gesamten Darlehens, § 493 II BGB. Dies soll Verbraucher in die Lage versetzen, sich
1554
BT-Drucks. 14/7052, S. 201; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 492 Rn. 4; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 115. 1555 BT-Drucks. 14/7052, S. 201. 1556 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 492 Rn. 15; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2008), § 492 Rn. 4. 1557 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 492 Rn. 4. 1558 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 493 Rn. 2; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2008), § 493 Rn. 1; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 493 Rn. 1. 1559 BT-Drucks. 11/5462, S. 20. 1560 Dazu: OLG Köln WM 1999, 1003; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 493 Rn. 3; MüKo/Schürnbrand (5. Aufl., 2008), § 493 Rn. 16.
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rechtzeitig über die Konditionen eines alternativen Anschlusskredites Kenntnis zu verschaffen. (b.) Rechtsfolgen von Formverstößen, Verstößen gegen die Informationsund Aushändigungspflicht Die Rechtsfolgen der von § 492 BGB benannten Formerfordernisse legt im Fall eines Verstoßes § 494 BGB fest. Die Vorschrift statuiert ein differenziertes System, das von Vertragsnichtigkeit bis zur Vertragsanpassung reicht. Die von ihm aufgestellten Wertungen verdrängen in ihrem Anwendungsbereich als lex specialis1561 etwaige Nichtigkeitsanordnungen, die aus § 125 BGB und § 139 BGB als lex generalis folgen würden. (aa.) Vertragsnichtigkeit. Zwar bestimmt auch § 494 I BGB vom Grundsatz her, dass der Verbraucherdarlehensvertrag nichtig ist, wenn die Schriftform insgesamt nicht eingehalten wurde oder eine der von § 492 II i.V.m. Art. 247 §§ 6 und 9 bis 13 EGBGB vorgeschriebenen Angaben fehlen. (bb.) Heilung mit modifiziertem Vertragsinhalt oder Schadensersatz. Der insoweit (zunächst) ungültige Vertrag kann jedoch geheilt1562 werden und damit volle Wirksamkeit erlangen, soweit – d.h. ggf. nur anteilig – der Verbraucher das Darlehen empfängt oder anderweitig – z.B. durch eine eigenständige Abhebung – in Anspruch nimmt, vgl. § 494 II 1 BGB. Der Hintergrund dieser Regelung ist der, dass die Vertragsnichtigkeit – wenn es allein dabei bliebe – nach § 125 BGB eine Rückabwicklung gem. §§ 812 ff. BGB zur Folge hätte. Diese Rechtsfolge entspricht aber spätestens nach der Auszahlung des Darlehens in aller Regel weder dem wohlverstandenen Interesse des Verbrauchers, der dann das von ihm benötigte Kapital sofort zurücktransferieren müsste, noch dem Interesse des Darlehensgebers.1563 Die Regelung zu den Formverstößen bemüht sich daher um ein differenziertes Lösungsmodell, das eine Heilung des Vertrages zulässt, ohne den Verbraucher damit der Gefahr einer Benachteiligung auszusetzen.1564 Diese gestaltet sich folgendermaßen: Um die mit dem Informationskatalog des § 492 II BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6–13 EGBGB verfolgte Intention durchzusetzen, statuiert § 494 II 2–VI BGB verschiedene Modifikationen des Vertragsinhaltes zu Lasten des Unternehmers, der den Pflichtangaben zuwiderhandelt. So ermäßigt sich der Sollzinssatz nach § 494 II 2 BGB bspw. auf den gesetzlichen Zinssatz, wenn die Angabe des Sollzinses, des effektiven Jahreszinses oder des Gesamtbetrags in der Vertragsurkunde fehlt. Ist 1561 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 494 Rn. 2; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 494 Rn. 1; LG Hamburg NJW-RR 1994, 246 zu § 6 I, II, IV VerbrKrG. 1562 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 115. 1563 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 494 Rn. 1. 1564 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 494 Rn. 1.
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der effektive Jahreszins zu niedrig angegeben, vermindert sich der dem Verbraucherdarlehensvertrag zugrunde gelegte Sollzinssatz um den Prozentsatz, um den der effektive Jahreszins zu niedrig angegeben ist, § 494 III BGB. I.Ü. gilt: Nicht angegebene Kosten werden vom Darlehensnehmer nicht geschuldet, § 494 IV 1 BGB. Ist im Vertrag nicht angegeben, unter welchen Voraussetzungen Kosten und Zinsen angepasst werden können, entfällt auch die Möglichkeit, diese zum Nachteil des Darlehensnehmers anzupassen, § 494 IV 2 BGB. Wurden Teilzahlungen vereinbart, ist die Höhe vom Darlehensgeber unter Berücksichtigung der verminderten Zinsen oder Kosten neu zu berechnen, § 494 V BGB. Fehlen im Vertrag Angaben zur Laufzeit oder zum Kündigungsrecht, ist der Darlehensnehmer jederzeit zur Kündigung berechtigt, § 494 VI 1 BGB. Mangelt es an Angaben zu Sicherheiten, können sie nicht gefordert werden (§ 494 VI 2 BGB),1565 was nur ausnahmsweise dann nicht gilt, wenn der Nettodarlehensbetrag 75.000 Euro übersteigt, § 494 VI 3 BGB. Schlussendlich kann der Darlehensnehmer vom Darlehensgeber gem. § 494 VII BGB eine schriftliche Fixierung der nach § 494 II–VI BGB modifizierten Konditionen verlangen, damit Rechte und Pflichten klar dargestellt sind. (cc.) Keine Sonderregelung bzgl. Verstoßes gegen Aushändigungspflicht. Ein (bloßer) Verstoß gegen die Pflicht des Darlehensgebers, dem Darlehensnehmer die Vertragsurkunde (mit Pflichtangaben) zur Verfügung zu stellen, wird nicht durch explizite Sanktionen geahndet.1566 Dieses Unterlassen ist jedoch trotzdem nicht folgenlos, denn es bleibt dem Darlehensnehmer unbenommen, auf Herausgabe zu klagen.1567 I.Ü. ist § 355 III 2 BGB zu beachten.1568 Nach § 355 III 2 BGB beginnt die zweiwöchige Widerrufsfrist des § 355 II 1 BGB nicht zu laufen, bevor dem Verbraucher vom Darlehensgeber „eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt“ wird. Die Beweislast für den Fristbeginn trifft nach § 355 III 3 BGB den Darlehensgeber.1569
1565 Bereits gewährte Sicherheiten können in diesem Fall nach str. Ansicht gemäß § 812 BGB herausverlangt werden, so Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 257. 1566 PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 494 Rn. 1. 1567 BT-Drucks. 11/5462, 20; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 492 Rn. 13. 1568 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 492 Rn. 13; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2008), § 492 Rn. 6; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 492 Rn. 8; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 492 Rn. 1. 1569 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 492 Rn. 13.
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(dd.) Keine Sonderregelung bzgl. Verstoßes gegen Form der Vollmacht. Eine Nichtbeachtung der Vorgaben nach § 492 IV 1 BGB (Form der Vollmacht) hat die Nichtigkeit der Vollmacht zur Folge.1570 Der Bevollmächtigte handelt in diesem Fall als „vollmachtloser Vertreter“ und haftet dem Vertragspartner nach § 179 BGB persönlich auf Erfüllung oder Schadensersatz, falls der Verbraucher die nachträgliche Genehmigung des Vertrages verweigert. Die Genehmigung kann gemäß § 182 II BGB grundsätzlich formfrei erteilt werden. Dies birgt freilich eine gewisse Umgehungsmöglichkeit. (3.) Widerrufsrecht des Verbrauchers Ein wichtiges verbraucherschützendes Instrument, wenn nicht gar das Kernstück1571 des gesamten Rechtsbereichs, stellt beim Verbraucherdarlehensvertrag das Widerrufsrecht des Verbrauchers dar, das bei wirksamer Ausübung zu einer Lösung vom Vertrag führt und den Verbraucher einerseits (andererseits aber auch den Unternehmer) von der Erbringung der vertraglichen Pflichten freistellt. Das Widerrufsrecht zielt, wie auch in anderen Bereichen, in denen es zugunsten des Verbrauchers kodifiziert wurde, darauf ab, dem Verbraucher die Gelegenheit zu verschaffen, nach Abschluss des Vertrages die darin von ihm eingegangenen Verpflichtungen in Ruhe zu überprüfen und ggf. auch jetzt noch mit Angeboten anderer Darlehensgeber vergleichen zu können.1572 Das Recht zum Widerruf der Vertragserklärung entspringt § 495 I BGB (zuvor § 7 VerbrKrG), wobei § 495 II, III BGB mit einigen Modifikationen auf die allgemeinen Regelungen zum Widerruf nach §§ 355–359a BGB verweisen. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien bemisst sich im Fall eines wirksamen Widerrufs nach § 357 BGB, der wiederum die Vorschriften über das Rücktrittsrecht (§§ 346 ff. BGB) in Bezug nimmt, sofern durch diese Regelungen selbst keine Abweichungen – wie etwa die in § 357 II–IV BGB vorgesehenen – statuiert werden. Unabhängig von dem Widerrufsrecht nach §§ 495, 355 BGB kann sich der Verbraucher anderer Einwendungen oder Gestaltungsrechte nach allgemeinem Zivilrecht bedienen, um vom Vertrag Abstand zu nehmen, z.B. §§ 123, 134, 138 BGB. Explizit geregelt ist nunmehr das Verhältnis zum kollidierenden Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften. § 312a BGB bestimmt insoweit, dass anderen Widerrufsrechten der Vorrang zukommt, sodass § 495 BGB lex specialis ist. Das Gleiche gilt gemäß § 312d V BGB bei Fernabsatzverträgen.
1570
BT-Drucks. 14/7052, S. 202; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 494 Rn. 3. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 115; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 495 Rn. 1. 1572 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 495 Rn. 1; MüKo/Schürnbrand (5. Aufl., 2008), § 495 Rn. 17; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 495 Rn. 2. 1571
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(a.) Anwendungsbereich des Widerrufsrechts Ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB sieht § 495 I BGB grundsätzlich für alle Verbraucherdarlehensverträge i.S.d. § 491 BGB vor, wobei die Bereichsausnahmen des § 495 III BGB zu beachten sind. Ein Widerrufsrecht besteht danach nicht bei Kontrakten (Nr. 1), die nur einen Darlehensvertrag, zu dessen Kündigung der Darlehensgeber wegen Zahlungsverzugs des Darlehensnehmers berechtigt ist, durch Rückzahlungsvereinbarung ergänzen oder ersetzen, wenn dadurch ein gerichtliches Verfahren vermieden wird und wenn der Gesamtbetrag geringer ist als die Restschuld. Das Gleiche gilt (nach Nr. 2), wenn bei Darlehensverträgen, die notariell zu beurkunden sind, der Notar bestätigt, dass die Rechte des Darlehensnehmers aus den §§ 491a und 492 BGB gewahrt sind oder (so Nr. 3) die Darlehensverträge § 504 II BGB oder § 505 BGB entsprechen. Gemäß § 512 BGB ist § 495 BGB auch bei Existenzgründungsdarlehen anwendbar. Mit der Verweisung in den § 510 I 1 BGB hat der Gesetzgeber ferner ein Widerrufsrecht für Ratenlieferungsverträge statuiert (dort allerdings auch mit Modifikationen). Eine entsprechende Anwendung des § 495 I BGB auf Bürgschaftsverträge kommt aber nicht in Betracht.1573 (b.) Form und Frist des Widerrufs Der Widerruf einer auf einen Verbraucherdarlehensvertrag gerichteten Willenserklärung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Darlehensgeber. Er muss die Textform einhalten, bedarf aber keiner Begründung, § 355 I 2 BGB. Das Widerrufsrecht erlischt zwei Wochen, nachdem der Darlehensgeber den Verbraucher in Textform über sein Widerrufsrecht bei Vertragsschluss den Anforderungen von § 360 BGB entsprechend belehrt hat, § 355 II 1 BGB. Erfolgt die Belehrung über den Widerruf erst nach dem Vertragsschluss, verlängert sich die Widerrufsfrist auf einen Monat, § 355 II 3 BGB. Die Widerrufsfrist beginnt aber bei dem schriftlich zu schließenden Verbraucherdarlehensvertrag (vgl. § 492 I BGB) erst zu laufen, wenn dem Verbraucher sowohl die Widerrufsbelehrung als auch der Verbraucherdarlehensvertrag zur Verfügung gestellt werden, § 355 III 1, 2 BGB. Das Widerrufsrecht erlisch gem. § 355 IV 1 BGB spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss. Das gilt jedoch dann nicht, wenn dem Verbraucher keine Widerrufsbelehrung gem. § 360 BGB in Textform ausgehändigt wurde, § 355 IV 3 BGB. (c.) Rechtsfolgen des Widerrufs inklusive Modifikationen der allgemeinen Regeln Die Einzelheiten der Rechtsfolgen des erklärten Widerrufs ergeben sich aus §§ 357 ff. BGB. Der wirksame Widerruf hat das Erlöschen der vertraglichen Leistungsansprüche zur Folge. Es entsteht ein Rückgewährschuldverhältnis zwischen den vormaligen Vertragsparteien. Die Details richten sich durch die Verweisung des § 357 I 1 BGB nach §§ 346 ff. BGB. Gegenseitig empfangene Leistungen sind Zug um Zug zurückzugewähren. Das gilt auch für bestellte Sicherheiten. Aus 1573
OLG Frankfurt/M. ZGS 2007, 240 ff.
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der Sicherungsabrede ergibt sich in der Regel, dass die Ansprüche aus der Rückabwicklung des Vertrages durch die bestellten Sicherheiten mitabgedeckt werden sollen.1574 Nebenentgelte, z.B. das einmalige Bearbeiterentgelt, Provisionen, Vermittlungsentgelte, Bereitstellungszinsen, werden nach dem Widerruf nicht mehr geschuldet.1575 Vertragsspezifische Abweichungen der allgemeinen Modi des Verbraucherwiderrufs werden durch § 495 II BGB angeordnet. Weitere Änderungen kommen für den Überziehungskredit in §§ 504 II, 505 I, IV BGB zum Ausdruck. (4.) Weitere Sondervorschriften (§§ 496–505 BGB) Im Bereich des Verbraucherdarlehens statuiert das BGB i.Ü. das Verbot eines Einwendungsverzichts sowie ein Wechsel- und Scheckverbot, vgl. § 496 BGB. Das Ziel der Vorschrift ist es, den Darlehensnehmer bei einem Verbraucherdarlehensvertrag vor dem Verlust seiner Einwendungen (§§ 404, 406 BGB) durch Abtretung der Forderungen des Darlehensgebers an einen Dritten oder wegen der Verkehrsfähigkeit von Wechseln und Schecks nach Art. 17 WechselG, § 22 ScheckG zu schützen.1576 § 497 BGB regelt demgegenüber die so genannte „Schuldturmproblematik“. Die Bestimmung hat zum Ziel, den Verbraucher bei einsetzenden Zahlungsschwierigkeiten durch verschiedene Abweichungen von den allgemeinen Vorschriften, insbesondere durch die Möglichkeit zur vorrangigen Leistung auf die Hauptforderung, davor zu bewahren, wegen der anlaufenden Verzugszinsen trotz einzelner Teilleistungen immer tiefer in die Verschuldung zu geraten.1577 Mit der „Gesamtfälligstellung bei Teilzahlungsdarlehen“ befasst sich hingegen § 498 BGB. Die Regelung zielt darauf, das verzugsbedingte Kündigungsrecht des Darlehensgebers bei Verbraucherdarlehensverträgen soweit einzuschränken,1578 wie dies ohne eine Gefährdung der berechtigten Interessen des Darlehensgebers bei einer sich abzeichnenden Zahlungsunfähigkeit des Verbrauchers vertretbar erscheint.1579 Dazu wurden folgende Festlegungen getroffen: Ist ein Verbraucherdarlehen in Teilzahlungen zu tilgen, so kann der Darlehensgeber die Vertragsabrede nach § 498 S. 1 BGB nur kündigen, wenn der Darlehensnehmer mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise mit mindestens 10 % bzw. bei einer Laufzeit von über drei Jahren mit 5 % des Nennbetrags des Darlehens (Nettodarlehensbetrag zzgl. laufzeitabhängiger Einmalkosten wie
1574
BGH NJW 2004, 158. OLG Köln NJW-RR 1995, 1008; PWW/Kessal-Wulf (3. Aufl., 2008), § 495 Rn. 9. 1576 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2008), § 496 Rn. 1; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 116; PWW/Müller (3. Aufl., 2008), § 404 Rn. 7; Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 404 Rn. 7. 1577 BT-Drucks., 11/5462, S. 14; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 497 Rn. 1. 1578 BT-Drucks. 11/5462, S. 13 f. 1579 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 498 Rn. 1. 1575
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z.B. Bearbeitungsgebühr1580) in Verzug ist und der Darlehensgeber erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrages mit der Erklärung gesetzt hat, bei Nichtzahlung die gesamte Restschuld zu verlangen. Im Gegensatz zu § 498 S. 2 BGB, der als Soll-Vorschrift ein Gesprächsangebot des Darlehensgebers an den Darlehensnehmer vorsieht, stellen die beiden erstgenannten Bezugspunkte für die Kündigung (Mindestumfang an nicht zurückgezahltem Darlehen und Fristsetzung mit Hinweis auf Gesamtfälligstellung) echte Tatbestandsvoraussetzungen dar, deren Nichtvorliegen die Kündigung wirkungslos machen. Auf Verbraucherschutz läuft aber auch § 499 BGB hinaus. Denn danach ist eine Vereinbarung über das Kündigungsrecht des Darlehensgebers in einem Verbraucherdarlehensvertrag immer dann unwirksam, wenn eine bestimmte Vertragslaufzeit vereinbart wurde oder die Kündigungsfrist zwei Monate unterschreitet. Beide Anforderungen schränken die Kündigungsmöglichkeiten des Darlehensgebers über § 498 BGB weiter ein. Umgekehrt kann jedoch der Darlehensnehmer einen Verbraucherdarlehensvertrag, bei dem eine Zeit für die Rückzahlung nicht bestimmt ist, gem. § 500 I BGB ganz oder teilweise kündigen, ohne eine Frist einzuhalten. Auch ist der Darlehensnehmer berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus einem Verbraucherdarlehensvertrag jederzeit ganz oder teilweise vorzeitig zu erfüllen, § 500 II BGB. In diesem Fall ermäßigen sich auch die von ihm zu tragenden Kosten (vgl. § 501 BGB); andererseits hat die Gegenseite einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vorfälligkeitsentschädigung, für die § 502 BGB „Grenzmarken“ festsetzt. Für Immobiliardarlehensverträge ordnet § 503 BGB diverse Abweichungen an. Gleiches gilt für Verbraucherkredite, die sich in der eingeräumten und geduldeten Überziehung des laufenden Kontos erschöpfen, §§ 504, 505 BGB. c. Besonderheiten bei sonstigen Finanzierungshilfen gemäß §§ 506 ff. BGB Weitere Sondervorschriften für den Bereich des kreditierten Verbrauchergeschäfts finden sich für den Zahlungsaufschub und sonstige Finanzierungshilfen in §§ 506 ff. BGB und für den Ratenlieferungsvertrag in § 510 BGB. Die Bestimmungen stellen klar, dass ein Kreditvertrag auch in einer anderen Form in Erscheinung treten kann als nur in der eines Darlehens. So resultiert etwa aus der Einräumung eines Zahlungsaufschubes ein dem Darlehen angenähertes Kreditverhältnis, aus dem sich ein vergleichbares Schutzbedürfnis für den Konsumenten wie beim Verbraucherkredit ergibt. Vor diesem Hintergrund ordnet § 506 I BGB an, dass die §§ 358–359a BGB und die §§ 491a–502 BGB mit Ausnahme des § 492 IV BGB (vorbehaltlich der Regelungen in § 506 III, IV BGB) auch auf solche Verträge Anwendung finden, durch die ein Unternehmer einem Verbraucher ei1580
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nen entgeltlichen Zahlungsaufschub oder eine sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt. Voraussetzung für die Erstreckung der o.g. Vorschriften ist allerdings, dass die sonstige Finanzierungshilfe mit einem Darlehen oder Zahlungsaufschub funktionell vergleichbar ist, indem eine zeitweise Überlassung von Kaufkraft erfolgt.1581 Dies trifft z.B. auf die in § 506 II BGB geregelten Finanzierungsleasingverträge zu. Interessant ist, dass der Gesetzgeber in § 509 BGB für den Abschluss eines Vertrages über eine entgeltliche Finanzierungshilfe dem Finanzier auferlegt, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu überprüfen. Es wurde jedoch schon an anderer Stelle dargelegt, dass damit keinesfalls eine echte Rechtspflicht des Finanziers manifestiert wurde. Denn in der neuen Verbraucherkreditrichtlinie wurde der „Grundsatz der verantwortungsvollen Kreditvergabe“ (der Grundlage des § 509 BGB ist) eben nicht als Pflicht verankert, sondern zur bloßen Obliegenheit herabgestuft. aa. Finanzierungsleasingverträge Leasingverträge als Unterfall der Finanzierungshilfen stellen so genannte gemischte Verträge dar, die auch eine Finanzierungskomponente enthalten. Unter den Begriff des von § 506 II BGB geregelten Finanzierungsleasings fallen alle Leasingverträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer, bei denen der Leasingnehmer (= Verbraucher) für die Amortisation der vom Leasinggeber gemachten Aufwendungen und Kosten einzustehen hat.1582 Auf Grund der Besonderheiten der Finanzierungsleasingverträge finden für diese Kontrakte lediglich die §§ 358–359a, §§ 491a, 492 I–III, V, 493–502 BGB entsprechende Anwendung (vgl. § 506 I BGB), wobei § 506 II 2 BGB noch gewisse weitere Anwendungsausnahmen statuiert. bb. Teilzahlungsgeschäfte Sonderregeln enthalten die §§ 506–509 BGB auch für Teilzahlungsgeschäfte als zweiten Unterfall der Finanzierungshilfen. Was ein Teilzahlungsgeschäft ist, ergibt sich aus § 506 III BGB. Teilzahlungsgeschäfte werden hier definiert als Verträge, welche die Lieferung einer bestimmten Sache oder die Erbringung einer bestimmten anderen Leistung gegen Teilzahlungen zum Gegenstand haben. Auf derartige Geschäfte finden nach § 506 I, III BGB (ähnlich wie bei Finanzierungsleasingverträgen) lediglich die §§ 358–359a, §§ 491a, 492 I–III, V, 493–502, aber darüber hinaus (vgl. § 506 III BGB) auch noch die §§ 507–508 BGB Anwendung.
1581 1582
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 268 f. BT-Drucks. 11/8274, S. 21.
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cc. Ratenlieferungsverträge Eine letzte Form von kreditähnlichen Verträgen, die jedoch nicht als Unterfall der Finanzierungshilfen nach §§ 506 ff. BGB eingestuft werden, weil der Gesetzgeber für sie einen eigenen Untertitel geschaffen hat, sind Ratenlieferungsverträge, die den Anordnungen des § 510 BGB unterfallen. Der Ratenlieferungsvertrag ist auf eine Lieferung mehrerer als zusammengehörend verkaufter Sachen in Teilleistungen gerichtet, bei der das Entgelt für die Gesamtheit der Sachen in Teilzahlungen zu entrichten ist, vgl. § 510 I 1 Nr. 1 BGB1583 (z.B. sukzessive Lieferung des „Großen Brockhaus“ in 24 Bänden oder Zeitschriftenabo).1584 Der Ratenlieferungsvertrag kann aber auch die regelmäßige Lieferung von Sachen gleicher Art (z.B. Ergänzungslieferungen zu einem Loseblattwerk) umfassen oder aber die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb oder Bezug von Sachen (z.B. Buchlieferung über Buchclub mit Abnahmepflicht) beinhalten, vgl. § 510 I 1 Nr. 2–3 BGB.1585 Diese spezielle Art des Kreditgeschäftes bedarf zu ihrer Wirksamkeit nach § 510 II 1 BGB grundsätzlich der Schriftform. Das Formerfordernis des § 510 II 1 BGB gilt allerdings dann nicht, wenn dem Verbraucher im elektronischen Verkehr die Möglichkeit verschafft wird, die Vertragsbestimmungen einschließlich der AGB des Unternehmers bei Vertragsschluss abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern (§ 515 II 2 BGB). Genügt ein von § 510 I 1 BGB erfasster Ratenlieferungsvertrag nicht den Formerfordernissen des § 510 II BGB, führt dies nach § 125 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages. Keinen Nichtigkeitsgrund, sondern einen Anknüpfungspunkt für ein Herausgabeverlagen und eine eventuelle Schadensersatzpflicht1586 bei Verletzung stellt das Postulat dar, dass der Unternehmer dem Verbraucher gemäß § 510 II 3 BGB in jedem Fall den Vertragsinhalt in Textform (§ 126b BGB) mitzuteilen hat. Übernommen für diesen Komplex wurde sodann das zweiwöchige Widerrufsrecht (vgl. § 510 I 1, 2. HS. BGB), sofern nicht eine der Bereichsausnahmen des § 491 II, III BGB greift (§ 510 I 2 BGB).
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Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 239. Im Gegensatz dazu kann das Pay-TV-Abonnement nicht als Ratenlieferungsvertrag qualifiziert werden, weil es hier nicht um die regelmäßige Lieferung von Sachen geht, vgl. dazu BGH NJW 2003, 1932; Staudinger/Kessal-Wulf (2004), § 505 Rn. 18; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 120. 1585 Zu den Beispielen vgl. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 272. 1586 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 272. 1584
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d. Abweichende Vereinbarungen, Umgehungsverbot, § 511 BGB Am Ende des gesamten Abschnittes legt § 511 S. 1 BGB fest, dass von den Vorschriften der §§ 491–510 BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden darf. Die Regelungen sind somit „halbzwingend“.1587 Von ihnen darf nur zugunsten des am Geschäft beteiligten Verbrauchers Abstand genommen werden. Gekoppelt wurde das „Abweichungsverbot“ mit einem Umgehungsverbot, wonach die Vorschriften der §§ 491–510 BGB innerhalb des dort bestimmten sachlichen und personellen Anwendungsbereiches auch dann Anwendung finden, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen im Sinne wirtschaftlich vergleichbarer Konstruktionen1588 (objektiv)1589 unterlaufen werden, § 511 S. 2 BGB. e. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Die Folgen von Verbraucherkrediten, die den Anforderungen der §§ 491a ff. BGB nicht entsprechen, wurden bereits umfassend dargestellt. aa. Vertragsheilung und Anpassung Unter besonderen Voraussetzungen wird der Vertrag modifizierend geheilt, sodass der Leistungsaustausch insgesamt gesichert wird. bb. Forderung nach Verankerung des Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe Gerade weil auch die neue Verbraucherkreditrichtlinie nicht für alle Zeiten einen „Schlussstrich“ unter das Verbraucherkreditrecht ziehen wird, bleibt rechtspolitisch (d.h. de lege ferenda) die Frage zu diskutieren, ob der „Grundsatz der verantwortungsvollen Kreditvergabe“ zukünftig nicht doch als echte Rechtspflicht Eingang in das europäische Richtlinienrecht und darüber auch in die nationalen Rechtsordnungen finden sollte. Hinterfragenswert ist dieser Umstand deshalb, weil die Kreditvergabe in allen Rechtsgebieten (partiell) geregelt wird – angefangen von modernen Wucherverboten (vgl. § 138 BGB) bis hin zur Regulierung und Sanktionierung unprofessioneller schadensstiftender Kreditvermittlung/-beratung im Anlegerschutz. Die neue EU-Richtlinie über Verbraucherkredite fügt sich – so gesehen – in eine lange Tradition der Kreditvergabesteuerung ein, die auf der einen Seite mit der staatlich forcierten Eingrenzung des Wuchergewerbes beginnt1590 und in den Vorgaben zu Verbraucherkreditgeschäften eine Fortführung findet, auf der an1587
Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 506 Rn. 2. Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 506 Rn. 2. 1589 Palandt/Weidenkaff (68. Aufl., 2009), § 506 Rn. 4. 1590 Vgl. dazu schon Aristoteles, Hauptwerke, übersetzt und eingeleitet von Nestle (1942), S. 300; zum Wucherverbot im kanonischen Recht vgl. M. Weber, Rechtssoziologie (2. Aufl., 1967), S. 269. 1588
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deren Seite aber auch bis zur „modernen“ rein marktliberalen Auffassung Friedmans reicht, wonach die „Ethik“ des Bankers sich darin erschöpfe, Gewinn zu erzielen und es Sache des Verbrauchers sei, auf dem freien Markt mit seinen „richtigen“ Entscheidungen die Steuerung allein zu schultern.1591 An der bisherigen Konzeption der Darlehensvergabe wird deutlich, dass sich das Rechtssystem traditionell als ein solches versteht, das an den Eigenschutz des Kreditgebers, für den es eine entsprechende Motivation unterstellt, anknüpft.1592 Der Kreditgeber ist danach die Partei, die schon im eigenen Interesse gehalten sein wird (so jedenfalls die Unterstellung), den Kredit auf seine Rückzahlbarkeit zu prüfen, bevor er vergeben wird.1593 (1.) Marktschutzargument Gerade die jüngsten Entwicklungen am US-amerikanischen Finanz- und Immobilienmarkt haben gezeigt, dass die Überlegung, der Kreditgeber werde schon im eigenen Interesse die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers ausreichend prüfen, nicht immer richtig ist. Die Vergangenheit lehrt, dass der Staat und damit die Gemeinschaft der Steuerzahler die systemischen Risiken, die aus einer verantwortungslosen Kreditvergabe erwachsen sind, schultern mussten, was Gefahren für ganze Volkswirtschaften barg und birgt. Es besteht daher schon unter dem Blickwinkel des „Marktschutzes“ ein starkes Bedürfnis nach der gesetzlichen Verankerung des Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe. Dieser kann freilich nicht alle Bewertungs- und Schwankungsrisiken am Markt abbauen. Er kann jedoch auch im Interesse der Banken und der übrigen Volkswirtschaft einheitliche Standards für die Kreditvergabe postulieren, die es einzuhalten gilt. Und: bei EU-weiter Verankerung wäre auch keine Wettbewerbsverzerrung zu befürchten. Das Vertrauen in die Banken, das derzeit stark erschüttert ist, würde im Gegenteil gestärkt. Europäische Kreditinstitute, die so gesehen nicht Gefahr liefen, voller „fauler Kredite“ zu stecken, könnten auch international wettbewerbsfähiger werden. Eine materiell-rechtliche Interessenabwägung muss ergeben, dass der Kreditgeber zwar das Ausfallrisiko trägt und im Gegensatz dazu der Kreditnehmer prinzipiell die Last des Verwendungsrisikos allein zu schultert hat. Allerdings muss (auch aus volkswirtschaftlichen Gründen) der Kreditgeber ein vitales Interesse an der Rückzahlbarkeit der Valuta haben. Deshalb hat er sich zu vergewissern, dass die Verwendung des geliehenen Geldes, insbesondere die Rück1591 Friedman, The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits, New York Times Magazine (13. September 1970, Nachdruck in: Donaldson/Gini (Hrsg.), Case Studies in Business Ethics (1984), S. 56 ff. 1592 MüKo/Berger (5. Aufl., 2008), Vor §§ 488 Rn. 7: „es führt dazu, dass der Abschluss eines Gelddarlehensvertrages ein Risikopotential beinhaltet“; so schon v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 5 (1841), S. 513 ff. 1593 Ähnlich Reifner, FS Stauder (2006), S. 383, 386 f.
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zahlungsverpflichtung, im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten seitens des Darlehensnehmers liegt.1594 Die diesbezüglich heute nur bestehende Obliegenheit (zur Wahrung eigener Angelegenheiten, Stichwort: „Sorgfalt gegen sich selbst“, vgl. § 509 BGB) in eine echte vorvertragliche Erkundigungs- und ggf. Aufklärungspflicht umzuwandeln, würde sowohl dem wohlverstandenen Äquivalenzinteresse des Kreditgebers als auch dem volkswirtschaftlichen Interesse an ausreichendem Marktschutz bei systemischen (und sonst nicht anders begrenzbaren Risiken) Rechnung tragen. (2.) Verbraucherschutzargument Positive Auswirkungen hätte die Verankerung des „Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe“ freilich auch für die Verbraucher. Auch aus diesem Grunde wäre eine in diese Richtung gehende Normsetzung wünschenswert. Warum der europäische Gesetzgeber die ursprüngliche Ambition, die darauf hinauslief, den Grundsatz in der neuen Verbraucherkreditrichtlinie zu verankern, aufgegeben hat, ist deshalb umso weniger nachvollziehbar. Ein Rechtsvergleich zeigt, dass ein derartiges Regelungsbestreben in einem Land mit einer starken Bankenkultur bereits möglich war. Das schweizerische Recht hatte schon im Jahr 1992 im Bundesgesetz über den Konsumentenkredit (KKG) festgelegt, dass das bankwirtschaftlich sinnvolle Verhalten einer Kreditwürdigungsprüfung zur Klärung der Werthaltigkeit von Krediten vor Kreditabschluss eine zivilrechtliche Pflicht sei, deren Verletzung ähnlich wie beim Grundsatz der guten Sitten die Nichtigkeit des Darlehens nach sich ziehe (vgl. dazu Art. 28–31 KKG).1595 Über die Statuierung einer derartigen zivilrechtlichen Pflicht werden Kreditgeber schon im Hinblick auf zu befürchtende Sanktionen unter Einsatz ihres Know-Hows vorsichtiger bei der Kreditvergabe agieren, womit reflexartig Verbraucher vor Selbstüberschuldung geschützt sind. (a.) Schweizer Modell Freilich ist zu überlegen, ob die in Art. 32 I KKG festgelegte Sanktion für die Verletzung des Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe, wonach weder die Kreditsumme noch Zinsen oder Kosten zurückzuzahlen sind, nicht etwas „überzogen“ anmutet und die in Deutschland für Wucherkredite eingrei1594 Müko/Berger (5. Aufl., 2008), Vor §§ 488 Rn. 8; Jährig/Schuck, Handbuch des Kreditgeschäfts (1989), S. 91. 1595 Die Prüfung der Kreditfähigkeit des Kreditnehmers ist im Konsumentenkredit hier als echte Pflicht vorgeschrieben. Für die Prüfung werden feste Kriterien statuiert, wann jemand als kreditfähig gilt und wann nicht. Die Sanktion ergibt sich aus Art. 32 KKG: Verstößt der Kreditgeber in „schwerwiegender Weise“ gegen Art. 28–30 KKG, verliert er seinen Rückzahlungsanspruch auf die von ihm gewährte Kreditsumme samt Zinsen und Kosten. Der Konsument kann in diesem Fall bereits erbrachte Leistungen zurückfordern. Und: Selbst wenn dem Kreditgeber nur ein geringer Verstoß bei der Prüfung der Kreditfähigkeit des Darlehensnehmers zur Last fällt, verliert er immerhin noch seinen Anspruch auf die Zinsen.
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fende Sanktion des § 817 S. 2 BGB nicht ausreichen würde, um die Motivation zur verantwortungsvollen Kreditvergabe zu beflügeln. So ist denn auch das schweizerische Modell nicht in vollem Umfang zu begrüßen, aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, den i.Ü. im deutschen Recht vereinzelt schon die Rechtsprechung unternahm. (b.) Deutsche Judikatur So findet sich bereits in der Judikatur des Reichsgerichts ein Urteil, das bei der Kreditvergabe Sittenwidrigkeit annimmt, wenn durch die Art des Kredits die „wirtschaftliche Freiheit“ des Kreditnehmers entscheidend beeinträchtigt sei.1596 Später stellte die obergerichtliche Rechtsprechung – in Fortführung dieses Gedankengangs – fest, dass die Vereinbarung von Raten unzulässig sei, die selbst bei isolierter Betrachtung zweier Gesamtschuldner diese in ihrer Lebenshaltung unter das Existenzminimum drücken würden.1597 Anders äußerte sich aber auch schon früher das OLG Hamm, das erklärte: „Die Freiheit der Vertragsgestaltung als Teil der Privatautonomie umfasst das Recht, sich zu Leistungen zu verpflichten, die man nicht erbringen kann … Der Staat kommt seiner Schutz- und Fürsorgepflicht dadurch nach, dass er im Rahmen der Zwangsvollstreckung Pfändungsfreigrenzen festsetzt.“1598 Dies sieht wohl auch die derzeit h.M. so.1599 Die Argumentation ist jedoch nicht konsistent. Denn wenn ein staatlicher Schutzauftrag angenommen wird, stellt sich die Frage, warum dieser erst massiv auf der Ebene des Vollstreckungsrechts einsetzen muss und nicht schon vorher bei Erkundigungs- und Beratungspflichten zum Tragen kommt. Dafür spräche jedenfalls, dass dann dem bei grober (offenkundiger) Überforderung des Kunden naheliegenden Vorwurf der Sittenwidrigkeit des Kredits (oder aber der bestellten Sicherheit, etwa der Bürgschaft1600) nach § 138 I BGB vorgebeugt werden könnte.1601 Die Positivierung des Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe/ Sicherheitsannahme erschiene insofern sogar als „milderer Eingriff“ in die Vertragsfreiheit/-kontinuität als das Sittenwidrigkeitsverdikt. Nach der Schuldrechtsreform konnte man sich zunächst auf den Standpunkt stellen, dass jenseits der (noch nicht ganz konsistenten) Judikatur sogar gesetzgeberische Ansätze zur mittelbaren Verankerung des Postulats der verantwortungsvollen Kreditvergabe im BGB zu konstatieren waren, und zwar über § 241 I BGB. Aus 1596
RGZ 128, 251, 254 f.; dazu ausf. Reifner, FS Stauder (2006), 383 ff. OLG Stuttgart NJW 1988, 81; ähnlich schon früher LG Hanau v. 1.9.1988, Az 7 0 779/88; LG Lübeck NJW 1987, 959 ff.; OLG Bamberg NJW-RR 1984, 1335; Reifner, a.a.O. 1598 OLG Hamm WM 1988, 1226. 1599 OLG Stuttgart WM 2003, 343; OLG Frankfurt/M. WM 1998, 337, 339; OLG Köln WM 1994, 197, 201; OLG Hamm BB 1992, 2177. 1600 BVerfGE 89, 214 ff. = WM 1993, 2199 ff.; BGH NJW 2004, 161; BGH NJW 2000, 1185. 1601 Die Bürgschaftsrechtsprechung in diesem Zusammenhang ebenfalls aufgreifend Reifner, FS Stauder (2006), S. 383, 394. 1597
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ihm – so ein Erklärungsversuch – sollte sich ableiten lassen, dass die allgemeine Pflicht, „Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils zu nehmen“, als vorvertragliche Pflicht auf eine verantwortungsvolle Kreditvergabe hinausläuft.1602 Allerdings wird dies von der h.M. nicht so gesehen.1603 Hinzu kommt, dass der Vollharmonisierungsgrundsatz, der sich aus der neuen Verbraucherkreditrichtlinie ergibt, die sich ausdrücklich vom Grundsatz der verantwortungsvollen Kreditvergabe distanziert hat, eine derartige Argumentation auch „sperren würde“ – leider! De lege ferenda sollte allerdings weiter – sowohl zum Schutz des Marktes als auch des Verbrauchers – über eine gesetzgeberische Verankerung des Postulats gerade auch auf Gemeinschaftsebene nachgedacht werden. IV. Pauschalreisevertrag Ein weiteres bedeutsames Vertragsverhältnis neben dem Kauf- und dem Kreditvertrag, aus dem sich verbraucherschützende Bestimmungen ergeben, ist der in §§ 651a ff.1604 BGB geregelte Pauschalreisevertrag. Dieser Rechtsbereich soll im Folgenden, bevor das Verbraucherdienstleistungsrecht den Abschnitt des vertraglichen Verbraucherschutzrechtes abschließt, näher dargestellt werden. 1. Allgemeines Die Vorschriften zum Pauschalreisevertrag sind durch das Reisevertragsgesetz vom 4.5.19791605 ins BGB eingefügt worden. (Pauschal-)Reiseverträge gab es zwar schon früher. Auf sie wurde jedoch zunächst das Werkvertragsrecht angewendet,1606 das jedoch den Bedürfnissen der Parteien nach einem angemessenen Interessenausgleich im Reisebereich nicht genügend Rechnung tragen konnte, sodass sich der deutsche Gesetzgeber dazu entschloss, eine Spezialregelung zu schaffen. Die Reise als Gegenstand eines vertraglichen Leistungsaustausches ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber die Rechtsprobleme eines gemischttypischen Vertrages zum Schutze des Pauschalreisenden bzw. Verbrauchers aufgegriffen hat. Was das Vertragsgefüge des Pauschalreisevertrages so besonders macht, ist bereits der Umstand, dass sich hier letztlich Elemente des
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Zu dieser Überlegung vgl. Reifner, FS Stauder (2006), S. 383, 394. Vgl. dazu das Vorgesagte zu den beschränkten Aufgabenpflichten des Kreditgebers nach geltendem Recht. 1604 Zur verbraucherschützenden Bedeutung des Abschnittes vgl. BaRoth/Geib (2. Aufl., 2007), § 651a Rn. 1; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 651a Rn. 1; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 221. 1605 BGBl. 1979 I, S. 509. 1606 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 221. 1603
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Dienst-, Miet-, Werk- und Geschäftsbesorgungsvertrages auf einem hohen Verbraucherschutzniveau vereinigen.1607 2. Entstehungsgeschichte Die Regelung des Pauschalreiserechts war schon sehr früh Bestandteil der verbraucherpolitischen Programmatik in Deutschland gewesen.1608 Allerdings wurde das Pauschalreiserecht zunächst maßgeblich durch Grundsatzentscheidungen des BGH geformt. In den 1970er Jahren war der Reiseveranstaltungsmarkt durch weitgehende Haftungsfreizeichnungen gekennzeichnet,1609 denen die Rechtsprechung durch drei Judikate „einen Riegel vorschob“ und damit materiell-rechtlich das Regelungssystem erarbeitete, das heute den §§ 651a–m BGB zugrunde liegt. So verlangte der BGH etwa im Impfschadensfall,1610 dass der Reiseveranstalter seine Stornogebühren am tatsächlich entstandenen Aufwand zu orientieren habe (heute § 651i BGB). Im so genannten Ferienhaus-Fall1611 statuierte er die Unwirksamkeit der Vermittlerklausel des Veranstalters (vgl. dazu heute § 651a II BGB).1612 Im Rumänien-Fall1613 wurde dem Reisenden schlussendlich ein immaterieller Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreuden zugestanden, siehe dazu heute § 651f II BGB. Die Impulse aus der Rechtsprechung wurden vom nationalen Gesetzgeber – auch in Bezugnahme auf internationale Tendenzen1614 zur Regelung des Rechtsbereiches – schließlich aufgegriffen, was in der Folge dazu führte, dass die bisher bestehenden Unsicherheiten1615 hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der reiserechtlichen Probleme beseitigt wurden. Der deutsche Gesetzgeber entschloss sich bereits 1979, dem Pauschalreisevertrag ein eigenes rechtliches Gewand zu geben und hierzu nicht etwa erst auf weitere „Anstöße“ aus der Gemeinschaft zu warten, wenngleich diese später kamen und das deutsche Pauschalreiserecht auch maßgeblich beeinflussten.1616 1607 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 19; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 540; Palandt/Sprau (68. Aufl. 2009), § 651a Rn. 1; Wolter, AcP 183 (1983), 35 ff.; Isermann, NJW 1988, 873, 875. 1608 Vgl. dazu den Zweiten Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik v. 20.10.1975, BT-Drucks. 7/4181, abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutzrecht (3. Aufl., 1986), S. 295 ff. 1609 Zum Befund Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 223. 1610 BGH NJW 1973, 318. 1611 BGH NJW 1974, 37. 1612 So später auch BGH NJW 2004, 681. 1613 BGH NJW 1975, 40. 1614 Vgl. dazu MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 22. 1615 Es war nicht klar, ob es sich um einen Werkvertrag oder um einen eigenständigen, atypischen Vertrag handelte, vgl. zum Streitstand MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 19. 1616 Zum Gesetzgebungsverfahren vgl. Taesler, Das Reisevertragsgesetz – Entstehungs-
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Der erste Regierungsentwurf1617 zur Regelung des Pauschalreiserechts sah zunächst noch eine eigene Sondergesetzgebung außerhalb des BGB vor. Weil jedoch die Ergänzung des BGB eine straffere Regelung, d.h. strukturiertere Vorgabe zu erlauben schien, und außerdem eine Rechtszersplitterung verhinderte, wurden die ursprünglichen „Separationsüberlegungen“ im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aufgegeben und eine Regelung im Rahmen des BGB durch Etablierung eines besonderen Abschnittes im Werkvertrag befürwortet.1618 Durch das so genannte „Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches“1619 vom 4.5.1979 fügte die Legislative in das BGB die Bestimmungen der §§ 651a–k BGB ein (heute §§ 651a–m BGB). Diese traten wenig später, am 1.10.1979, in Kraft. Bei der Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie wurden die Vorschriften über den Reisevertrag durch das Gesetz vom 24.6.19941620 erstmals geändert. Ein Anpassungsbedarf des bis zu diesem Zeitpunkt bereits herausgebildeten deutschen Pauschalreiserechts bestand vor allem auf Grund des Art. 7 der Richtlinie, der eine Insolvenzabsicherung des Reiseveranstalters forderte;1621 i.Ü. wurde 1994 die ReiseInfVo1622 geschaffen. Die von der Richtlinie geforderte Insolvenzabsicherung war zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland ein völliges Novum.1623 Im vertragsrechtlichen Bereich war der Anpassungsbedarf weitaus geringer, gerade weil die Richtlinie auf dem Mindeststandardprinzip (vgl. Art. 9 der Richtlinie) fußte und die Mitgliedstaaten daher bzgl. der Gewährung von Verbraucherschutz über die von der Richtlinie vorgegeben Mindestanforderungen herausgehen konnten. So kam es, dass Deutschland das umfangreiche verschuldensunabhängige System der Gewährleistung beibehalten konnte. In diesem Zusammenhang ist auch die Regelung zu den Stornogebühren in § 651i III BGB und das Kündigungsrecht des Reisenden wegen höherer Gewalt gemäß § 651j BGB zu sehen, die über den von der Richtlinie gesetzten Mindeststandard hinausgehen und bestehen bleiben durften. Nach mehreren Insolvenzen von Reiseveranstaltern sah sich der deutsche Gesetzgeber nach der Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie, die den ersten Ausschlag für die Einführung einer Insolvenzabsicherung gab, sodann veranlasst, eine noch stringentere Absicherung der Reisekunden in Bezug auf den Ausfall geschichte und Auslegung (1983); zum Befund der Beeinflussung siehe Tonner, in: Gebauer/ Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 508. 1617 BT-Drucks. 7/5141, in der 8. Legislaturperiode unverändert eingebracht, BT-Drucks. 8/786. 1618 BT-Drucks. 8/2343. 1619 BGBl. I 1979, S. 509. 1620 BGBl. I 1994, S. 1322. 1621 Zur Bedeutung und dem praktischen Hintergrund Zerres, JA 2002, 166, 168 Fn. 20. 1622 BGBl. 1994 I, S. 3436. 1623 Tonner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 508.
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des Reiseveranstalters in die Wege zu leiten. Hierzu erließ er am 23.7.2001 das „Zweite Gesetz zur Änderung der reiserechtlichen Vorschriften“,1624 das § 651k BGB modifizierte. Hinzu trat eine weitere Bestimmung über Gastschullandaufenthalte, vgl. § 651l BGB.1625 Im Zuge der Schuldrechtsreform kam es im weiteren Verlauf zu einer Veränderung hinsichtlich der Verjährungsregelung in § 651g II BGB sowie zu einer systematischen Umbettung der Informationspflichten des Reiseveranstalters, die in die BGB-InfoV eingestellt wurden. Größere inhaltliche Umwälzungen brachte die Schuldrechtsreform für das Pauschalreiserecht nicht mit sich.1626 So gab es beispielsweise keine Anpassung des Mangelbegriffs in § 651c BGB i.S.d. neuen Kauf- bzw. Werkvertragsrechts. 3. Europarechtliche Aspekte Wie bereits dargetan, wird das nationale Pauschalreiserecht seit 1990 maßgeblich durch Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts determiniert. Grundlegende gemeinschaftsrechtliche Vorgabe war und ist die im Jahr 1990 erlassene Pauschalreise-Richtlinie (90/314/EWG).1627 Auf Grund der durch die Kommission angestrebten Harmonisierung des Binnenmarktes kam es 1988 zu einem ersten Vorschlag einer Richtlinie zu Pauschalreisen.1628 Dieser gründete sich auf den 1986 vom EG-Ministerrat angenommenen „Neuen Impuls“ der Verbraucherpolitik,1629 der eine Liste mit konkret geplanten Richtlinien aufstellte. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss brachte bezogen auf den ersten Kommissionsvorschlag den Wunsch ein, eine tabellarische Aufschlüsselung der Entschädigungsleistungen1630 in die Richtlinie aufzunehmen.1631 Außerdem wurde ein Garantiefond auf Gemeinschaftsebene gefordert. Beide Planungen fanden jedoch keinen Eingang in das neu zu schaffende Instrument der Pauschalreiserichtlinie. Nachdem auch das Parlament Änderungsbedarf signalisierte,1632 legte die Kommission jedoch 1989 einen geänderten Richtlinienvorschlag vor, der darauf einging. Die in der Reisebranche geäußerte Kritik führte dazu, dass der Haftungsstandard abgesenkt wurde, Gewährleistungsansprüche nicht mehr durch 1624
BGBl. 2001 I, S. 1658. Zum Ganzen siehe Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 221. 1626 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 221. 1627 RL über Pauschalreisen, ABl.EG Nr. L 158 /59; vgl. dazu Tonner, EuZW 1990, 409; ders., EWS 1993, 197; Tempel, NJW 1996, 1625. 1628 ABl.EG 1988 C 96/5. 1629 EG Bulletin Beilage 6/86. 1630 Dieser Vorschlag war durch die „Frankfurter Tabelle zur Reisepreisminderung“ (vgl. dazu NJW 1985, 113 ff.; später NJW 1994, 1639) inspiriert gewesen, zu diesem Befund siehe Tonner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 516. 1631 Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag, ABl.EG Nr. C 190/10. 1632 Einzelheiten bei Tonner, Reiserecht in Europa (1992), S. 243 ff. 1625
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das Insolvenzabsicherungssystem erfasst waren und auch die ursprünglich vorgesehene obligatorische Schlichtung entfiel.1633 Auf dieser Basis kam es Ende 1989 zur Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunktes,1634 der die Grundlage für die 1990 erlassene Richtlinie war. Die Pauschalreiserichtlinie, die kompetenzrechtlich zum Zeitpunkt ihres Erlasses an dem damaligen Art. 100a EWG-Vertrag angelehnt war, unterschied sich auf Grund ihrer Regelungsdichte von Anfang an deutlich von allen von der EWG im Vorfeld erlassenen (Verbraucherschutz-)Richtlinien. Ihr Zweck bestand und besteht ausweislich der Gesetzesbegründung darin, einen angeglichenen Binnenmarkt im Bereich der Pauschalreisen auf Grund einer Mindestharmonisierung (vgl. dazu Art. 8 der Richtlinien) zu schaffen und damit die Verbraucher in die Lage zu versetzen, in allen Mitgliedstaaten Pauschalreisen zu vergleichbaren Bedingungen zu buchen (siehe zu diesem Ziel die Erwägungsgründe vor Art. 1 der Richtlinie). Die Richtlinie statuiert dafür umfangreiche Informationspflichten für Reiseveranstalter bzw. -vermittler (Art. 4 I, II und 5 der Richtlinie). Der vertraglich festgelegte Reisepreis kann nur unter erhöhten Anforderungen seitens des Veranstalters einseitig heraufgesetzt werden (Art. 4 IV der Richtlinie). I.Ü. hat der Verbraucher ein Rücktrittsrecht vom Vertrag, wenn sich wesentliche Vertragsbestandteile vor Vertragsschluss ändern (Art. 4 V der Richtlinie). Auch eine Substitution des Reisenden durch einen Dritten ist nach der Richtlinie grundsätzlich möglich (Art. 4 III der Richtlinie). Die verspätete Umsetzung der Richtlinie führte – was in diesem Zusammenhang vielleicht nicht uninteressant ist – zu einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EuGH.1635 Danach musste die Bundesrepublik die infolge einer Reiseveranstalter-Insolvenz gestrandeten Urlauber entschädigen. Abschließend bleibt anzumerken, dass eine Überarbeitung der fast 20 Jahre alten Pauschalreiserichtlinie – von der Kommission angestoßen durch einen ersten Richtlinienvorschlag – frühestens für 2011 in Aussicht gestellt wurde.1636 In der Wissenschaft weist man schon seit einigen Jahren darauf hin, dass sich die technischen Möglichkeiten auch in diesem Rechtssegment weiterentwickelt haben, sodass eine Anpassung bzw. Erweiterung des sachlichen Schutzbereiches erforderlich erscheint. Die von Teilen der Rechtswissenschaft geforderte Neuregelung zielt insbesondere auf die Erfassung von dynamic packaging-Modellen ab.1637 1633
Zum Befund Tonner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 516. 1634 Der Gemeinsame Standpunkt wurde nach damaligem Recht nicht veröffentlicht. 1635 EuGH, Urt. v. 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94, C-190/94 – Dillenkofer. 1636 Vgl. KOM (2006), 744 endg. 1637 Für eine enge Auslegung des veranstalterseits zur Verfügung gestellten Baukastensystems/der Gesamtheit von Reiseleistungen H. W. Eckert, RRa 2003, 194, 197; a.A. MüKo/ Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 23; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651a Rn. 11; Tonner/D. Schulz, RRa 2007, 50; D. Schulz, E-Commerce im Tourismus. Die rechtliche Ein-
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4. Verhältnis zu anderen Vorschriften Das Verhältnis der §§ 651a ff. BGB zu anderen (schuldrechtlichen) Regelungen ist durch eine Beziehung der teilweisen Verdrängung gekennzeichnet, wobei das Verdrängungs- bzw. Überlagerungsverhältnis jedoch nicht überall klare Konturen besitzt, was mitunter Anlass zu regen Auseinandersetzungen bietet. Relativ gesichert ist zunächst, dass die §§ 651c ff. BGB Sonderregelungen für alle Reisemängel statuieren und insoweit in ihrem Anwendungsbereich nicht nur die Bestimmungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, sondern auch die Vorschriften der Anfechtung, der Störung der Geschäftsgrundlage und der Verletzung von Nebenpflichten überlagern.1638 Schädigt ein Mangel der Reise die Integrität des Reisenden (Körper, Eigentum etc.), so können neben den §§ 651c ff. BGB auch aus dem Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) Ansprüche des Reisenden herrühren. Insoweit besteht Gesetzeskonkurrenz. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang bereits, dass sich die Ausschlussfrist des § 651g I BGB nur auf die vertraglichen Gewährleistungsansprüche nach §§ 651c ff. BGB bezieht und sie mithin bei (mitlaufenden) anderen Ansprüchen nicht eingreift. Eine Ausnahme besteht dann, wenn eine wirksame vertragliche Vereinbarung vorliegt, die eine Erstreckung des Regelungsanliegens der Bestimmung auf andere Ansprüche vorsieht.1639 Obwohl die §§ 651a ff. BGB eine relativ detaillierte Regelung des Pauschalreiserechts enthalten, können und müssen zur Schließung der Regelungslücken (insbesondere außerhalb der dort spezifisch kodifizierten Gewährleistungsfragen) Vorschriften des BGB AT und des allgemeinen Schuldrechts herangezogen werden.1640 Wegen der Sachnähe zum Werkvertragsrecht sind zur Lückenschließung Wertungen aus diesem Bereich prädestiniert.1641 Darüber hinaus besteht eine Verbindung zu den Regelungen der BGB-InfoV, und zwar insofern, als die §§ 4–11 BGB-InfoV die Pflichten des Reiseveranstalters nach §§ 651a ff. BGB näher konkretisieren. 5. Regelungsinhalt Der Regelungsinhalt des Pauschalreisevertrags ist dem § 651a BGB entnehmbar. Auf Grund des Pauschalreisevertrags ist der Veranstalter verpflichtet, die vereinbarte Pauschalreise gegen Zahlung des vereinbarten Reisepreises seitens des Pauschalreisenden durchzuführen (§ 651a BGB), sodass es sich um einen gegenseitiordnung von Reiseportalen in das Haftungssystem des deutschen Reiserechts (2010); siehe zum Problem auch Führich, RRa 2006, 194. 1638 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 75; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 200), S. 541. 1639 Das ist auch in AGB-Form möglich, vgl. dazu LG Frankfurt/M. NJW 1987, 132, 133. 1640 Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 651a Rn. 2. 1641 BGHZ 100, 157, 163; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 1.
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gen Vertrag i.S.d. §§ 320 ff. BGB handelt. Allerdings definiert § 651a BGB nicht, was man unter einer Pauschalreise zu verstehen hat. a. Persönlicher Anwendungsbereich Das Pauschalreiserecht greift nach dem Regelungsgefüge der §§ 651a ff. BGB Platz bei einem Vertrag zwischen dem Pauschalreisenden einerseits und dem Veranstalter des Pauschalreisevertrages andererseits. Damit ist der persönliche Anwendungsbereich umschrieben. Da § 651a BGB den persönlichen Schutzbereich des Rechtsbereichs nicht auf Reisende, die zugleich Verbraucher i.S.d. § 13 BGB sind, beschränkt, finden die Regelungen auch Anwendung auf Geschäftsreisende.1642 Somit handelt es sich beim subjektiven System der §§ 651a ff. BGB um Verbraucherrecht i.w.S.1643 Nicht gesondert gesetzlich geregelt wurde die Rechtsstellung von Mitreisenden, für die der Pauschalreisende die Reise mitbucht. Einfach gestaltet sind die Konstellationen der offenen Stellvertretung. Hier kommt zwischen dem Mitreisenden und dem Veranstalter ein eigener Pauschalreisevertrag mit allen Rechten und Pflichten nach §§ 651a ff. BGB zustande. Soweit die Reise im eigenen Namen auch für Familienangehörige oder andere „Nahkreispersonen“ des Reisenden geordert wird, ist der Buchende zwar Schuldner des Reisepreises,1644 jedoch sollen den Mitreisenden eigene Primärleistungsansprüche gemäß § 328 BGB1645 (und bei Vertragsverletzung aus ihnen folgende Sekundäransprüche) zustehen. Die h.M.1646 rekurriert insofern auf die Rechtsfigur des Vertrages zugunsten Dritter. Hinzuweisen ist darauf, dass der Pauschalreisevertrag stets nur zwischen dem Reisenden und dem Reiseveranstalter zustande kommt, nicht zwischen anderen ggf. „zwischengeschalteten“ Personen.1647 Reiseveranstalter ist, wer die Reise 1642
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 224; a.A. Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 651a Rn. 5. 1643 Staudinger/J. Eckert (2003), Vor § 651a–m Rn. 34. 1644 Bei Ehegatten ist ferner an die Mitverpflichtung nach § 1357 BGB zu denken. 1645 Führich, Reiserecht (5. Aufl., 2005), Rn. 101; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 39; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651a Rn. 26; Schmid, Rechtsprechung zum Charterflug (1997), S. 22; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 548; a.A. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 223. 1646 Ebenda. 1647 Strittig ist allerdings, ob der eigenständige Werk- bzw. Dienstvertrag zwischen dem Reiseveranstalter und dem Leistungsträger immer zugleich auch ein Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter (nämlich der Reisenden) ist. Wenn ja (so Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse [3. Aufl., 2007], S. 548; a.A. Staudinger/J. Eckert [2003] § 651a Rn. 56), kann der Reisende bei einer schuldhaften Pflichtverletzung auf Grund dieses drittschützenden Vertragsgefüges nach § 280 I BGB auch gegen den Leistungsträger vorgehen. I.Ü. soll der Vertrag zwischen Veranstalter und Leistungsträger jedenfalls auf der Primärleistungsebene zugunsten des Reisenden wirken, und zwar als echter Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328, sodass dem Reisenden daraus ein eigener Anspruch auf Vertragserfüllung erwächst, wobei nach der Rechtsprechung sogar das Recht des Leistungsträgers, sich
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gemäß § 651a BGB als eigene Leistung anbietet und in eigener Verantwortung durchführt bzw. durchführen lässt, unabhängig davon, ob er die dafür notwendigen Teilleistungen selbst erbringt oder durch andere Leistungsträger (bspw. eine Fluggesellschaft, ein Hotel, eine Surfschule etc.) ausführen lässt.1648 Für das Erbringen der Leistung in eigener Verantwortung, d.h. für die Abgrenzung zur bloßen Reisevermittlung, kommt es darauf an, wie nach außen aufgetreten wird, insbesondere, ob aus der Sicht des durchschnittlichen Kunden von einer Veranstaltereigenschaft ausgegangen werden kann oder nicht.1649 Nicht erforderlich ist ein gewerbliches Handeln des Reiseveranstalters.1650 Nicht-Gewerbetreibende in der Rolle des Veranstalters sind nur insofern privilegiert, als die Insolvenzschutzvorschrift (§ 651k BGB) und die Informationspflichten (vgl. § 11 BGB-InfoV) hier nicht gelten. Die Leistungsträger fungieren regelmäßig als Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB),1651 sind aber nicht selbst Vertragspartner des Reisenden aus dem Pauschalreisevertrag.1652 Wegen der oft fehlenden Weisungsgebundenheit sind sie – in Bezug auf potentielle deliktische Ansprüche – allerdings keine Verrichtungsgehilfen des Veranstalters nach § 831 BGB. In diesem Bereich kann der Veranstalter nur auf Grund Organisationsverschuldens (i.S.d. Verletzung eigener Verkehrssicherungspflichten) nach § 823 BGB haftbar gemacht werden,1653 sofern die von der Rechtsprechung hierfür aufgestellten Kriterien erfüllt sind. Tendenziell neigt die Rechtsprechung im Bereich des Pauschalreiserechts dazu, die fehlende Einstandspflicht des Veranstalters nach § 831 BGB über eine extensive Handhabung der Verkehrssicherungspflichten gem. § 823 BGB zu kompensieren. So hat der Veranstalter die Leistungsträger sorgfältig auszuwählen und zu überwachen, da er als Anbieter der Reise die Organisationsgewalt hat.1654 Er soll darüber hinaus verpflichtet sein, alle sicherheitsrelevanten Teile eines Hotels, wie z.B. die Balkonbrüstung, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.1655 I.Ü. haf-
auf Einwendungen gegenüber dem Reisenden nach § 334 BGB zu berufen, konkludent abbedungen sein soll (BGHZ 93, 271, 275 ff.). 1648 EuGH, Urt. v. 30.4.2002, Rs. C-400/00 – Club Tour; BGH NJW 1974, 37, 38; 2000, 1639; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 651a Rn. 4; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 222; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 10; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 4. 1649 BGH NJW 2000, 1639; OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2000, 351; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 4; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651a Rn. 9. 1650 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 4. 1651 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 17. 1652 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 15. 1653 Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 651a Rn. 2; Teichmann/Mildner, JZ 1988, 664 ff. 1654 BGHZ 103, 298, 303; BGH NJW 2000, 1188, 1190; OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 787, 789. 1655 BGHZ 103, 298, 304 ff.
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tet er dem BGH zufolge auch für Mängel einer Wasserrutsche,1656 die sich auf dem Hotelgelände befindet, ebenso für die Gefahren, die von einer Glastür1657 ausgehen, selbst wenn sie einheimischen Vorschriften entspricht. Sogar für Leistungen, die nicht Bestandteil der Pauschalreise sind, sondern vor Ort von dem Leistungsträger gegen Entgelt erbracht werden (z.B. Reitausflug), wird eine Verkehrssicherungspflicht von der Rechtsprechung angenommen,1658 wenn und soweit diese Aktivitätsmöglichkeiten in dem Reiseprospekt beworben werden. Unabhängig davon zu beurteilen ist die Frage der eigenen deliktischen Einstandspflicht der Leistungsträger nach § 823 I, II BGB.1659 Regelmäßig1660 kein Veranstalter ist das Reisebüro, das lediglich bei der Vertragsanbahnung behilflich ist. Das Reisebüro fungiert insoweit nur als Bote bzw. Stellvertreter des Veranstalters,1661 wenn es um das Zustandekommen des Vertrages und den diesbezüglichen Austausch von Willenserklärungen geht. Im Verhältnis zum Reisenden liegt regelmäßig ein Geschäftsbesorgungsvertrag vor.1662 Bei allen Handlungen gegenüber dem Reisenden, in denen der Veranstalter das Reisebüro zur Wahrnehmung von Verpflichtungen aus dem Pauschalreisevertrag einschaltet (etwa für veranstalterspezifische Informationspflichten und die Aushändigung von Flugscheinen, Reisebestätigung etc.), wird das Reisebüro als Erfüllungsgehilfe nach § 278 BGB tätig, woraus sich auch eine Haftungszurechnung bei schuldhafter Schlechtleistung zu Lasten des Veranstalters ergeben kann. I.Ü. haftet das Reisebüro neben potentiell in Frage kommenden deliktischen Ansprüchen nur aus schuldhafter Nichtbeachtung eigener Vertragspflichten, die sich auf die Verletzung des zwischen Reisendem und dem Reisebüro bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrags (§ 675 BGB)1663 gründen können.1664
1656
BGH NJW 2006, 3268. BGH NJW 2006, 2918. 1658 BGH NJW 2000, 1188, 1190. 1659 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 15. 1660 Eine Ausnahme wird nach den Grundsätzen der Rechtsscheinshaftung nur dann angenommen, wenn sich das Reisebüro nach §§ 133, 157 BGB wie ein Veranstalter geriert, vgl. dazu EuGH, Urt. v. 12.3.2002, Rs. C-168/00 – Leitner; BGH NJW 2006, 3138; Jauernig/ Teichmann (12. Aufl., 2007), § 651a Rn. 4; Eckert, RRa 2005, 146 ff.; Tonner, EuZW 2002, 404 ff.; ders., RRa 2005, 146 ff. 1661 BGH NJW 1982, 377 ff.; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 6; Staudinger/ J. Eckert (2003), § 651a Rn. 58. 1662 BGH NJW 2006, 2321, 2322; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 222. 1663 Dewenter, Die rechtliche Stellung des Reisebüros (2000), S. 44 ff.; Führich, Reiserecht (5. Aufl., 2005), Rn. 702; Isermann, VuR 1987, 301, 304; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 46; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651a Rn. 21; zu anderen vertragsrechtlichen Konstruktionen vgl. Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 59. 1664 BGH NJW 2006, 2321; Dewenter, Die rechtliche Stellung des Reisebüros (2000), S. 59 ff.; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 51 ff.; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 6; Tonner/Tamm, DAR 2007, 65 ff.; Tamm, MDR 2007, 312 ff. 1657
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Wenn Pauschalreiseveranstalter zwar die Reise in eigener Verantwortung durchführen, aber erklären, nur eine Vermittlerstellung innehaben zu wollen, bietet § 651a II BGB dem Reisenden Schutz. Die Regelung ordnet an, dass die Erklärung, nur Verträge mit anderen „vermitteln“ zu wollen, unberücksichtigt bleibt, wenn die Vertragsstellung gemäß §§ 133, 157 BGB demgegenüber auf eine Veranstalterstellung hindeutet. Hierbei handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des „venire contra factum proprium“.1665 b. Sachlicher Anwendungsbereich Den für die Anwendung der §§ 651a ff. BGB maßgeblichen Begriff der Pauschalreise, der den sachlichen Anwendungsbereich des Regelungsbereiches absteckt, umschreibt § 651a I 1 BGB. Abgestellt wird hier auf eine entgeltlich zu erbringende „Gesamtheit von Reiseleistungen“.1666 Als Reiseleistungen in diesem Sinne versteht man zwei oder mehr Teilleistungen, von denen – sofern es nur zwei sind – keine nur eine untergeordnete Nebenleistung sein darf.1667 Die Wendung „Gesamtheit“ legt i.Ü. nahe, dass die Reiseleistungen in einer bestimmten Verbundenheit, d.h. als Paket angeboten werden müssen.1668 Die Umschreibung bezieht sich zunächst auf das klassische Bild der als Einheit angebotenen Reise mit mehreren Komponenten (Bsp.: Flug mit Unterkunft und Wellness-Programm). Angesichts der vielfältigen Differenzierungen in der Praxis wird das Kriterium der „Gesamtheit“ bei enger Auslegung heute aber nicht mehr als geeignet angesehen, die dem Schutzzweck des Gesetzes zu unterstellende, auf dem Markt angebotene Urlaubsreise zu umgrenzen.1669 Das ist der Hintergrund dafür, weshalb die Rechtsprechung schon seit längerem über den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes hinaus (Verbindung zweier eigenständiger Teilleistungen)1670 vereinzelt den Anwendungsbereich der §§ 651a ff. BGB ausgedehnt, und zwar auch auf eine Einzelleistung, wenn und soweit sie von entscheidender Prägekraft für die Durchführung des Urlaubs ist und vom Veranstalter in eigener Verantwortung ausgeführt wird.1671 Methodisch kommt es hier zu einer 1665 BGHZ 77, 310, 318. Deswegen ist auch keine Anfechtung des Erklärungsverhaltens nach § 119 I BGB zulässig, vgl. dazu Brox, JA 1979, 493, 494. 1666 Zum engeren Begriff der Pauschalreise nach der Pauschalreiserichtlinie, über die der deutsche Gesetzgeber aber wegen des Minimalstandardprinzips hinausgehen konnte, vgl. MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 11. 1667 BT-Drucks. 8/2343, S. 7; BGHZ 119, 152, 161; Führich, Reiserecht (5. Aufl., 2005) Rn. 88; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 651a Rn. 5; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 20 ff.; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651a Rn. 2. 1668 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 221; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 1. 1669 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 221 f. 1670 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 3. 1671 BGHZ 119, 152, 161 ff.; 130, 128, 131 ff.
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Analogie.1672 Erweitert wurde der Anwendungsbereich der §§ 651a ff. BGB von der Rechtsprechung vor allem beim Bereitstellen einer Ferienunterkunft (Ferienhaus oder Ferienwohnung);1673 abgelehnt wurde die Analogie allerdings für das Chartern einer Hochseeyacht.1674 Dabei wirkt der Analogieschluss u.U. zufällig, weil für die Grenzziehung zwischen einer Fruchtbarmachung der §§ 651a ff. BGB einerseits und dem Recht der Miete/resp. des Werkvertrages andererseits noch keine für die Einzelfallanwendung eindeutigen Kriterien gefunden worden sind.1675 Dem Leitbild des Pauschalreisevertrages soll es i.Ü. unter dem Gesichtspunkt der vom Veranstalter zur Verfügung gestellten „Gesamtheit“ von Reiseleistungen noch nicht entgegenstehen, dass der Reisende die Einzelkomponenten, die vom Veranstalter in einem Baukastensystem angeboten werden, nach eigenem Wunsch zu einem Verbund zusammenstellt.1676 Es liegt jedoch keine Pauschalreise mehr vor, sondern eine Mehrzahl unterschiedlicher einzelner Leistungen ohne inneren veranstalterseitig herbeigeführten/veranlassten Verbund, wenn einzelne Leistungen vom Reisenden additiv selbst gebucht werden, etwa ein Linienflug und (separat davon) ein Hotel o.ä.1677 Im Einzelnen kann die Abgrenzung schwierig sein. In Grenzsituationen können als Indizien für das Vorliegen einer Gesamtheit von Reiseleistungen i.S.d. § 651a BGB ein Gesamtpreis oder eine einheitliche Bewerbung in einem Prospekt, der auf eine Verbindung hindeutet, herangezogen werden, wenngleich diese Umstände keine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen eines Pauschalreisevertrages statuieren.1678 c. Vertragsschluss Auf den Abschluss des Reisevertrages finden die allgemeinen Regelungen bzgl. des Zustandekommens von Verträgen, d.h. §§ 145 ff. BGB, Anwendung. Verwendet der Veranstalter zur Vertragsanbahnung einen Katalog oder einen sonstigen Prospekt bzw. eine Internetwerbeplattform, ist darin regelmäßig nach §§ 133, 157 1672
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 221. BGH NJW 1985, 906; BGHZ 119, 152, 161 ff. 1674 BGHZ 130, 128, 131. 1675 So die zutr. Kritik von Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 542; kritisch im Hinblick auf das Bestehen der Regelungslücke auch Bidinger/Müller-Bidinger, DGfR Jahrbuch 1999 (2000); an der Notwendigkeit der Analogie festhaltend aber MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 31; Führich, Reiserecht (5. Aufl., 2005), Rn. 93; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651a Rn. 3. 1676 EuGH, Urt. v. 12.3.2002, Rs. C-168/00 – Leitner; BGH NJW 2006, 3138; OLG Dresden RRa 2003, 32; H. W. Eckert, RRa 2003, 194 ff.; Führich, Reiserecht (5. Aufl., 2005) Rn. 88; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 651a Rn. 5; Tonner, EuZW 2002, 404 ff.; ders., RRa 2005, 146 ff. 1677 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 13; Kaller, Reiserecht (2. Aufl., 2005), Rn. 10. 1678 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 542. 1673
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BGB nur eine invitatio ad offerendum zu sehen,1679 weil der Erklärungsempfänger erkennen kann, dass hier noch kein Rechtsbindungswille vorliegt und dieser vom Veranstalter auch nicht gewollt ist. Der Antrag zum Vertragsschluss geht – angeregt durch die Werbung – meist vom reisewilligen Kunden aus, der eine so genannte „Buchung“ vornimmt1680 und sich an das Reisebüro wendet, das als Vertreter oder Empfangsbote des Reiseveranstalters fungiert. Der Antrag auf Abschluss eines Pauschalreisevertrags wird dann unmittelbar nach Eingabe in ein Buchungsprogramm oder spätestens durch die Bestätigung des Reiseveranstalters von diesem angenommen.1681 Der Abschluss des Reisevertrages unterliegt zwar im eigentlichen Sinne keinem Formzwang, jedoch muss der Veranstalter, will er sich nicht schadensersatzpflichtig i.S.v. § 280 I BGB machen, dem Reisenden nach Vertragsschluss eine Reisebestätigung mit den gesetzlich geforderten Mindestangaben nach § 651a III BGB i.V.m. § 6 BGB-InfoV zukommen lassen. Das erfordert, dass der Veranstalter dem Reisenden eine verbindliche Mitteilung in verkörperter Form zur Verfügung stellt, d.h. aushändigt. Die Wahrung der gesetzlichen Schriftform in Bezug auf die Bestätigung ist nicht erforderlich, da die Bestätigung den Reisenden nur zuverlässig informieren und ihm eine Beweisurkunde für den Inhalt des Reisevertrages zur Verfügung stellen soll.1682 Der Prospekt, der noch kein bindendes Angebot zum Vertragsschluss enthält, wird im Zuge eines späteren Vertragsschlusses nur insofern bedeutsam, als die in ihm enthaltenen Angaben gemäß § 4 I 2 BGB-InfoV zur Konkretisierung der Reise(merkmale) bindend sind. Oft wird der Vertrag unter Einbeziehung von Allgemeinen Reisebedingungen (ARB) abgeschlossen, die dem Massencharakter des Geschäfts Rechnung tragen. Zu ihrem wirksamen Einbezug müssen zum einen die Vorgaben des § 305 II BGB beachtet werden. Wichtig ist aber auch, dass § 6 III BGB-InfoV dem Veranstalter die zusätzliche Pflicht auferlegt, dem Kunden die ARB vor Vertragsschluss vollständig zu übermitteln.1683 Bei online-Buchungen sind über § 305 II BGB und § 6 III BGB-InfoV überdies die Anforderungen des § 312e BGB zu beachten. Das bedeutet insbesondere, dass ARB bei Vertragsschluss abrufbar und in wiedergebbarer Form speicherbar sein müssen. Zu vergegenwärtigen ist jedoch, dass bei online oder über das Call-Center gebuchten Pauschalreiseverträgen zwar ein Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312b BGB vorliegt, dieser jedoch wegen 1679
Führich, Reiserecht (5. Aufl., 2005), Rn. 110; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 224; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 65; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 66. 1680 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 2. 1681 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 224. 1682 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 12. 1683 Problematisch ist das Einhalten dieser Voraussetzung bei einer telefonischen Buchung. Die h.M. (Führich, Reiserecht [5. Aufl., 2005], Rn. 128; ähnlich AG Duisburg RRa 2003, 167, 168) nimmt hier in teleologischer Reduktion der Norm Abstand von der Notwendigkeit der Übermittlung; kritisch dazu MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 70.
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der Bereichsausnahme nach § 312b III Nr. 6 BGB ausnahmsweise nicht widerrufbar gestellt ist.1684 d. Nachträgliche Vertragsänderungen Den Parteien steht es grundsätzlich frei, den bereits geschlossenen Pauschalreisevertrag nachträglich zu ändern. Die Änderungsmöglichkeit ist Ausdruck der Privatautonomie. Einseitige nachträgliche Vertragsänderungen (etwa durch den Veranstalter) sind allerdings nur dann möglich, wenn diese bei Vertragsschluss vorbehalten wurden. Allerdings hat der Gesetzgeber auch hinsichtlich der Modifizierungsvorbehalte des Veranstalters gewisse inhaltliche Schranken eingezogen.1685 So sind nachträgliche Änderungsvorbehalte durch § 651a IV, V BGB, die allgemeinen Vorschriften der §§ 315 ff. BGB sowie bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen (vgl. §§ 307, 308 Nr. 4, 309 Nr. 1 BGB) begrenzt. Sofern jedoch das Änderungsrecht wirksam vereinbart wurde, kommt es nur darauf an, dass das Änderungsbegehren der Ausübungskontrolle standhält. Hierfür ist bedeutsam, dass alle wesentlichen Vertragsänderungen vom Reiseveranstalter unverzüglich (§ 121 I 1 BGB) erklärt werden müssen, nachdem er von dem Änderungsgrund Kenntnis erlangt hat (§ 651a V 1 BGB). aa. In Bezug auf eine Reisepreiserhöhung Besondere inhaltliche Einschränkung in Bezug auf nachträgliche Vertragsänderungen hat der Gesetzgeber etwa für die Erhöhung des Reisepreises statuiert. So ist eine Erhöhung des Reisepreises bei einem Änderungsvorbehalt in AGB seitens des Veranstalters nach § 309 Nr. 1 BGB nur dann angemessen und damit gestattet, wenn die Änderung der reisebedingten Faktoren nicht innerhalb von vier Monaten ab Vertragsschluss, sondern erst in dem späteren „Anschlusszeitraum“ erfolgt, weil bis dahin dem Anbieter zugemutet wird, das kalkulatorische Risiko allein zu tragen. Die Reisepreiserhöhung ist dann aber auch nur bis zum zwanzigsten Tag vor der Abreise erlaubt, § 651a IV 2 BGB. Ab dann wird dem Reisenden nämlich nicht mehr zugemutet, sich auf den höheren Reisepreis einzustellen. Neben dem Erfordernis der unverzüglichen Mitteilung des Veranstalters nach § 651a V BGB steht dem Reisenden – zur Wahrung seiner Interessen – zudem nach § 651a V 2–4 BGB ein außerordentliches Rücktrittsrecht zu, wenn und soweit die zulässige Preiserhöhung mehr als 5 % des Reisepreises überschreitet.
1684 Zur Gleichstellung des Merkmals „Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung/Beförderung“ mit der Pauschalreise vgl. Ernst, DGfR Jahrbuch 2000 (2001), 19, 23 f.; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 72; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 67. 1685 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 225.
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bb. In Bezug auf den Reisenden Eine Vertragsänderung kann sich aber auch in Bezug darauf ergeben, dass der Reisende die Reise nicht antreten kann/möchte und er deshalb darauf drängt, dass statt seiner ein Dritter in den Vertrag als Gläubiger der Reiseleistung „einsteigt“ (so genannte Vertragsübernahme). Der Gesetzgeber hat für diesen Fall eine Regelung in § 651b BGB getroffen. Nach Abs. 1 der Norm hat der Reisende bis zum Beginn der Reise einen Anspruch darauf, dass der Reiseveranstalter der Übernahme des Vertrages durch den Dritten zustimmt. Der Veranstalter darf in diesem Stadium dem Eintritt des Dritten in den Vertrag nur dann widersprechen, wenn es seine Interessen gebieten, wenn und weil der Dritte den besonderen Reiseerfordernissen oder rechtlichen Bestimmungen nicht entspricht bzw. nachkommt, vgl. § 651b I 2 BGB. Dies kann der Fall sein, wenn er z.B. für den Abenteuerurlaub gesundheitlich nicht gewappnet ist oder Visavorschriften nicht erfüllt sind.1686 Bei unberechtigter Verweigerung der Vertragsübernahme durch den Veranstalter kann der Reisende auf Zustimmung klagen. Findet hingegen (mit ggf. durch gerichtliches Urteil ersetzte Zustimmung des Veranstalters) eine Vertragsänderung i.S.d. Auswechselung des Reisenden statt, so haften der ursprüngliche Reisende und der in den Vertrag eintretende Dritte gesamtschuldnerisch in Bezug auf die Zahlung des Reisepreises und die durch die Vertragsübernahme entstandenen Mehrkosten, § 651b II BGB. Die genaue rechtliche Einordnung der Ersetzungsbefugnis ist noch nicht gelungen. Teilweise wird von einem Vertrag zugunsten Dritter (des Ersatzreisenden) ausgegangen. Die h.M. nimmt hingegen eine Vertragsübernahme an.1687 Der Ersatzreisende tritt hiermit in alle Rechte und Pflichten des Vertrages es. Zur Sicherheit des Veranstalters haften aber Übernehmer und der ursprüngliche Vertragspartner gesamtschuldnerisch auf die Zahlung des Reisepreises, vgl. § 651b II BGB. cc. Lösung vom Vertrag nach §§ 651i, 651j BGB Neben dem Rücktrittsrecht des Reisenden wegen wesentlicher Änderung der Reiseleistung nach § 651 V 2 BGB und dem Kündigungsrecht auf Grund mangelhafter Erbringung der Reiseleistung gemäß § 651e BGB regeln die §§ 651i, 651j BGB weitere Tatbestände, die zur Lösung vom Reisevertrag berechtigen und den Vertrag daher auch im Nachhinein „ändern“. Bis zum Beginn der Reise steht dem Reisenden gemäß § 651i I BGB ein freies Rücktrittsrecht zu. Dahinter steht der Gedanke, dass der Reisende nicht zum An1686 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 546; Palandt/ Sprau (68. Aufl., 2009), § 651b Rn. 2. 1687 BaRoth/Geib (2. Aufl., 2007), § 651b Rn. 8 ff.; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 226.
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tritt der Reise gezwungen werden kann.1688 (Nach Antritt der Reise findet diese Regelung aber keine Anwendung mehr.) Infolge des nach § 651i I BGB erfolgten Rücktritts verliert der Veranstalter zwar seinen Anspruch auf die Zahlung des vereinbarten Reisepreises. Er kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen, die sich nach dem vereinbarten Reisepreis abzüglich ersparter Aufwendungen sowie nach dem bemisst, was der Reiseveranstalter durch eine anderweitige Verwendung der Reiseleistung erwerben kann, § 651i II 2 BGB. Möglich seitens des Veranstalters ist eine prozentsatzmäßige Festsetzung der Entschädigung in Bezug auf den Reisepreis (so genannte Stornogebühren), wenn in dieser Pauschale die nach Maßgabe des jeweiligen Rücktrittszeitpunkts gewöhnlich zu erwartenden Aufwendungsersparnisse und Möglichkeiten einer anderweitigen Verwertung der Reiseleistung Berücksichtigung finden. Ist dies nicht der Fall, ist die Vertragsklausel gemäß § 651m S. 1 BGB unwirksam, und es kommt zu einer konkreten Berechnung der Entschädigung nach § 651i II BGB. Beiden Parteien steht überdies ein Kündigungsrecht nach § 651j I BGB zu, wenn die Reise durch bei Vertragsschluss nicht voraussehbare höhere Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird. Das Kündigungsrecht besteht vor dem Reiseantritt und schließt nach seinem eindeutigen Wortlaut („allein nach Maßgabe dieser Vorschrift“) andere Vertragslösungsrechte nach den §§ 651e, 651i BGB, aber auch nach § 326 BGB aus.1689 Höhere Gewalt nach Maßgabe dieser Vorschrift ist dann anzunehmen, wenn ein von außen kommendes Ereignis eingetreten ist, das keinen betrieblichen Zusammenhang aufweist und auch durch äußerste, nach Lage der Sache von dem Reiseveranstalter vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbar war.1690 Als durch höhere Gewalt in diesem Sinne anzuerkennende Hinderungsgründe gelten etwa Naturkatastrophen, Seuchen, Krieg oder Terroranschläge im Reiseland, nicht aber Streiks der Mitarbeiter des Reiseveranstalters oder seiner Leistungsträger, diese stellen vielmehr betriebsinterne Ereignisse1691 dar. Liegen die Voraussetzungen der Kündigung nach § 651j BGB vor und ist eine diesbezügliche Kündigungserklärung explizit oder konkludent erfolgt, wandelt sich der Reisevertrag ex nunc in ein Abwicklungsverhältnis um, sodass der Reiseveranstalter verpflichtet ist, die notwendigen Maßnahmen zur Beendigung der Reise zu treffen, insbesondere den Rücktransport zu organisieren (§ 651e IV 1 BGB i.V.m. § 651j I BGB). Die erforderlichen Mehrkosten treffen anders als bei § 651e IV 2 BGB beide Parteien zu gleichen Teilen (§ 651j II 2 BGB). Alle sonstigen Mehrkosten infolge der Kündigung hat der Reisende (§ 651j II 3 BGB) allein aufzubringen. Auf der anderen Seite verliert der Reiseveranstalter seinen An1688
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 226. BT-Drucks. 12/7334, S. 11. 1690 BGHZ 100, 185, 188. 1691 Staudinger/J. Eckert (2003), § 651j Rn. 23; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 571. 1689
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spruch auf den Reisepreis. Stattdessen erlangt er einen nach § 638 III BGB zu bemessenden Anspruch auf Entschädigung für bereits erbrachte oder im Rahmen der Abwicklung noch zu erbringende Leistungen (§ 651e III 2 BGB i.V.m. § 651j II 1 BGB). e. Vertragspflichten der Parteien Die vertraglichen Leistungspflichten der Parteien ergeben sich aus §§ 651a ff. BGB (für den Veranstalter i.V.m. §§ 4–6 BGB-InfoV). aa. Pflicht zur Erbringung einer mangelfreien Pauschalreise durch den Veranstalter Auf Grund des Pauschalreisevertrages ist der Veranstalter zunächst verpflichtet, die versprochene Gesamtheit an Reiseleistungen mangelfrei zu erfüllen. Damit ist seine Hauptleistungspflicht umrissen. Der Veranstalter muss die angebotene Reiseleistung (ggf. durch Einschaltung von Erfüllungsgehilfen) vorbereiten und organisierend sowie koordinierend für ihre Durchführung sorgen.1692 Der konkrete Leistungsinhalt der Reise ergibt sich regelmäßig aus dem Prospekt und der Reisebestätigung, vgl. § 6 II BGB-InfoV. Dass ein herausgegebener Prospekt1693 selbst gewissen Mindestangaben genügen muss, folgt wiederum aus § 4 I BGB-InfoV. Für die Prospektbeschreibung gilt zunächst der Grundsatz der Prospektwahrheit und Vollständigkeit.1694 Daher darf z.B. durch Fotos nichts vorgetäuscht werden, was nicht vorhanden ist. Auch ist auf negative Umstände wie lärmende Bauarbeiten, Straßen, Discos in klarer Art und Weise hinzuweisen. Der Reisende ist prinzipiell nicht verpflichtet, „zwischen den Zeilen“ zu lesen.1695 Zu den vom Veranstalter wahrzunehmenden Hauptpflichten gehören auch die in der BGB-InfoV festgelegten Informationspflichten, da ihre Erfüllung für das Erreichen des Vertragszwecks essentielle Bedeutung hat.1696 Die BGB-InfoV unterscheidet entsprechend den Vorgaben der Pauschalreiserichtlinie zwischen vorvertraglichen und vertraglichen Informationspflichten, die für insgesamt vier verschiedene Zeitpunkte bis zum Reisebeginn vorgesehen sind. In der vorvertraglichen Phase statuiert § 4 BGB-InfoV die Pflichtangaben in dem vom Veranstalter (zur Vertragsanbahnung) verwendeten Prospekt. § 5 BGB-InfoV regelt ferner die vor Vertragsschluss notwendige Unterrichtung des Reisenden über Passund Visumserfordernisse sowie über gesundheitspolizeiliche Formalitäten. 1692 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 74; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2009), § 651a Rn. 15. 1693 Es gibt jedoch keine Prospektherausgabepflicht. 1694 OLG München NJW-RR 2002, 694; Führich, Reiserecht (5. Aufl., 2005), Rn. 226; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651c Rn. 3. 1695 PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651c Rn. 3. 1696 PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651a Rn. 14; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 120.
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Die Phase nach dem Vertragsschluss wird schließlich von § 6 BGB-InfoV aufgegriffen. Er etabliert in Übereinstimmung mit § 651a III 1 BGB die Verpflichtung des Veranstalters zur Aushändigung der Reisebestätigung an den Pauschalreisenden und beschreibt die darin zwingend aufzunehmenden Angaben. § 8 BGB-InfoV regelt überdies diverse Pflichtangaben des Veranstalters für die Phase vor Reisebeginn. Auf Grund der Vorgaben der Pauschalreiserichtlinie ist der Veranstalter gehalten, den Reisenden über einige Reiseangaben mehrfach zu informieren. Betroffen davon ist insbesondere die Angabe über den Bestimmungsort der Reise, das Transportmittel, die Unterkunft, die Reiseroute und die Mahlzeiten, die sowohl im Prospekt als auch im Reisevertrag enthalten sein müssen. Dem Reiseveranstalter wird aus Praktikabilitätsgründen jedoch die Möglichkeit eingeräumt, auf bereits früher gegebene Informationen zu verweisen, wenn zwischenzeitlich keine Änderungen eingetreten sind (§§ 5, 6 IV, 8 II BGB-InfoV). Zu den Hauptleistungspflichten1697 des Reiseveranstalters gehört überdies die Ausstellung des nach § 651k BGB1698 erforderlichen Sicherungsscheins, der den Reisenden vor den insolvenzrechtlichen Folgen in Bezug auf die Reisedurchführung seitens des Veranstalters schützt. bb. Nebenpflichten des Reiseveranstalters Die Nebenpflichten des Veranstalters haben einen begrenzten Umfang, da die Informationspflichten bereits zu den Hauptpflichten des Veranstalters zu rechnen sind.1699 Deshalb kommen hier als Nebenpflichten nur (sonstige) Schutz- und Obhutspflichten gegenüber den Rechtsgütern des Reisenden i.S.d. § 241 II BGB in Betracht.1700 Wenn der Reiseveranstalter seine Nebenpflichten verletzt, knüpfen sich hieran u.U. die Rechtsfolgen der §§ 280 ff., 324 BGB.1701 cc. Pflicht zur Zahlung des Reisepreises Die vertragliche Hauptpflicht des Reisenden bezieht sich darauf, den vereinbarten Reisepreis zu zahlen, § 651a I 2 BGB.1702 Hinsichtlich der Fälligkeit enthält der Regelungskomplex der §§ 651a ff. BGB keine expliziten Vorgaben, subsidiär – sofern keine wirksame (andere) vertragliche Regelung besteht – ist auf die Regelungen des Werkvertrages zu rekurrieren. Analog §§ 641 I 1, 646 BGB ist der 1697 A.A. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 552: Nebenpflicht. 1698 Die verspätete Einführung dieser Vorschrift als Umsetzung des Art. 7 der EGPauschalreiserichtlinie führte anlässlich eines Veranstalterkonkurses im Jahr 1993 zu einer Staatshaftung der BRD gegenüber geschädigten Urlaubern (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94, C-190/94 – Dillenkofer). 1699 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 78. 1700 Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 124. 1701 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 552. 1702 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 79; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 126.
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Reisepreis daher erst dann fällig, wenn die Reise beendet ist und der Reiseveranstalter somit seine vertragliche Leistung erbracht hat.1703 Dies entspricht aber regelmäßig nicht der gängigen Rechtspraxis. Auf Grund derer vereinbaren die Parteien vielmehr eine Vorleistungspflicht des Reisenden, sodass die Zahlung bereits vor Reisebeginn fällig wird.1704 Die Vorleistungspflicht – sofern sie einen mehr als unerheblichen Umfang beträgt – entsteht allerdings bei einer solchen vertraglichen Vereinbarung nur dann wirksam, wenn der Reiseveranstalter dem Reisenden im Gegenzug so genannte qualifizierte Reisepapiere aushändigt. Darunter versteht der BGH Reiseunterlagen, die rechtlich durchsetzbare Ansprüche gegen den Leistungsträger verbriefen und insbesondere den Reisenden in seiner Anspruchsposition auch dann schützen, wenn der Leistungsträger keine Zahlungen vom Reiseveranstalter erlangt.1705 Die weiteren Zahlungsmodalitäten sind beim Pauschalreisevertrag gesetzlich nicht geregelt worden. Insofern gilt, dass der Reisende üblicherweise an den Veranstalter zahlen wird. Sofern das Reisebüro eine Inkassovollmacht hat, kann er aber auch hier eine Zahlung vornehmen. Aus Gründen der notwendigen Absicherung des Reisenden „gilt“ das Reisebüro überdies (auch ohne eigentliche Inkassovollmacht) als zur Entgegennahme der Zahlung ermächtigt, wenn es dem Reisenden den Sicherungsschein übergeben hat oder sonstige Anhaltspunkte den nicht in hervorgehobener Form widerlegten Anschein der Berechtigung zum Inkasso begründen (§ 651k IV 2, 3 BGB). dd. Nebenpflichten des Reisenden Als vertragliche Nebenpflicht treffen den Reisenden während der Reise vor allem Schutz- und Interessenwahrungspflichten gegenüber dem Reiseveranstalter und den für ihn tätigen Personen.1706 Gegenüber Mitreisenden bestehen in der Regel keine Pflichten i.S.d. § 241 II BGB. Doch ist der Reisende gegenüber dem Veranstalter regresspflichtig, wenn Dritte auf Grund seines Verhaltens gegenüber dem Reiseveranstalter Rechte geltend machen können.1707 Hingegen ist die Herstellung der Voraussetzungen, die in der Person des Reisenden für die Durchführung der Reise erforderlich sind (Einholung von Visa, Impfungen etc.), nicht als Nebenpflicht, sondern als bloße Obliegenheit zu werten.1708
1703
Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 127. BGHZ 100, 157 ff.; MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), § 651a Rn. 80. 1705 BGHZ 100, 157 ff.; vgl. dazu Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 131; Teichmann, JZ 1987, 751 ff.; Tonner, Jura 1988, 185 ff. 1706 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 569. 1707 OLG Frankfurt/M. NJW 1983, 235 f. 1708 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 569; a.A. Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 144. 1704
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f. Leistungsstörungen und ihre Folgen Das Pauschalreiserecht regelt in den §§ 651a ff. BGB vertragstypische Leistungsstörungen und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen. aa. Subsidiäre Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts Soweit hier keine besonderen Regelungen getroffen wurden, kommt für eine Leistungsstörung des Pauschalreisevertrages das allgemeine Leistungsstörungsinstrumentarium zur Anwendung. Daraus ergibt sich: Soweit sich die Reise verzögert oder gänzlich ausfällt, bemessen sich die Rechte des Reisenden in erster Linie nach den §§ 280 ff., 311a II, 320 ff. BGB.1709 Bei deren Anwendung ist allerdings zu beachten, dass die Reiseleistung auf Grund ihrer zeitlichen Gebundenheit häufig eine absolute Fixschuld darstellt, sodass die Leistungserbringung mit Zeitablauf gemäß § 275 I BGB unmöglich wird.1710 Mithin kommt in diesen Konstellationen die Anwendung der Schuldnerverzugsregelungen nicht mehr in Betracht; es greifen vielmehr die §§ 283, 326 BGB ein. Neben den allgemeinen Bestimmungen finden bei einem „Ausfall der Reise“ partiell aber auch die Regelungen der §§ 651c ff. BGB Anwendung, jedenfalls soweit sie entweder schon im Vorgriff auf einen zukünftigen Mangel Rechte gewähren oder nicht ausschließlich an einen Mangel anknüpfen. Erstere Konstellation schlägt sich im Kündigungsrecht nach § 651e BGB nieder, letztere betrifft den Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gemäß § 651f II BGB. Sofern der Reisende seiner Hauptleistungspflicht zur Zahlung des Reisepreises nicht fristgemäß nachkommt, befindet er sich gemäß §§ 280 I, II, 286 BGB in Schuldnerverzug mit allen daraus resultierenden Folgen.1711 Der Reiseveranstalter kann insofern Verzugsschaden und Verzugszinsen (vgl. § 288 BGB) verlangen. Unabhängig von dem eingetretenen Schuldnerverzug kann der Veranstalter unter den Voraussetzungen des § 323 BGB überdies vom Vertrag zurücktreten. bb. Besondere Rechte des Reisenden beim Reisemangel nach §§ 651c ff. BGB Wenn die Pauschalreise mangelhaft1712 ist, stehen dem Reisenden verschiedene Gewährleistungsrechte zur Verfügung. Unter einem Reisemangel versteht man einen tauglichkeitsmindernden Fehler aus dem Gefahrenbereich des Veranstalters und/oder das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft.1713 Der insofern zweigeteilte reiserechtliche Mangelbegriff entspricht noch dem alten Gewährleistungs-
1709 1710
Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 8. BGHZ 77, 320, 323; 85, 301, 304; Staudinger/J. Eckert (2003), Vorbem. zu §§ 651c
Rn. 23. 1711
Staudinger/J. Eckert (2003), § 651a Rn. 142. BGH NJW 1986, 1748; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), Vor § 651c Rn. 9. 1713 BGH NJW 2007, 2549, 2550; OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 59; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651c Rn. 21; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651c Rn. 1. 1712
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system des BGB,1714 von dem sich das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz bekanntlich für das Kauf- und Werkvertragsrecht zugunsten eines einheitlichen Mangelbegriffs bereits gelöst hat.1715 Ein Fehler1716 im Sinne dieses alten Begriffsverständnisses liegt vor, wenn die Ist-Beschaffenheit, d.h. die tatsächliche Beschaffenheit der Reise, von derjenigen abweicht, welche die Vertragsparteien bei Vertragsschluss vereinbart oder insgesamt – auch stillschweigend – vorausgesetzt haben (sog. Soll-Beschaffenheit).1717 Die Soll-Beschaffenheit betrifft insbesondere Art, Umfang und Erbringung der nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen. Sie wird durch die Vereinbarungen, die Reisebestätigung und Prospektangaben (vgl. § 4 I 2 BGB-InfoV), vorgegeben,1718 wobei zulässige Vertragsänderungen zu beachten sind. Die Abweichung, d.h. der Fehler der Reise, kann insbesondere darin liegen, dass die Leistungen ganz oder teilweise nicht oder nicht in der gebotenen Art und Weise erbracht werden, sofern die Negativabweichung aus der Sphäre des Veranstalters rührt und nicht allein dem allgemeinen Lebensrisiko des Reisenden1719 zuzusprechen ist. Gefordert wird weiter, dass der Mangel eine gewisse Spürbarkeitsschwelle erreicht, denn der Reiseveranstalter soll nur für ihn und nicht auch für eine bloße (ggf. ortsübliche) Unannehmlichkeit haften. Abzugrenzen ist hierbei auf Grund einer Gesamtwürdigung der Umstände.1720 Beispiele für einen Reisemangel sind etwa eine längere An- und Abflugverspätung.1721 Ob Insekten im Zimmer (oder andere Tiere) als bloße Unannehmlichkeit hingenommen werden müssen, hängt von der jeweiligen Region und Kategorie des Hotels ab.1722 Sucht ein ausgebrochener Bienenschwarm die Ferienanlage heim, wird er bei einem Ausflug verletzt etc., realisiert sich regelmäßig das allgemeine Lebensrisiko, es liegt kein Reisemangel vor, sofern der Veranstalter alle notwendigen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat.1723 Von einer Zusicherung einer Eigenschaft, deren Ausbleiben ebenfalls mangelbegründend sein kann, ist dagegen nur unter der engeren Voraussetzung auszugehen, dass der Veranstalter zu erkennen gegeben hat, dass er für irgendei1714 1715 1716
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 226. Staudinger/J. Eckert (2003), § 651c Rn. 5. Eine aktuelle Rechtsprechungsübersicht findet sich bei D. Schulz/Kettner, VuR 2009,
203 ff. 1717 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 226; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651c Rn. 3; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651c Rn. 5. 1718 BGHZ 84, 268, 270; 100, 157, 176; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 226 f. 1719 LG Frankfurt/M. NJW-RR 2000, 786. 1720 OLG Hamm DB 1973, 2296; PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651c Rn. 4; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651c Rn. 49. 1721 LG Frankfurt/M. NJW-RR 1997, 820, 821: über vier Stunden; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 227. 1722 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 227. 1723 Ebenda.
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nen (besonderen) Umstand einstehen wollte.1724 Bedeutsam für den Reisenden ist, dass bei einem Mangel der Reisepreis automatisch nach Maßgabe des § 651d BGB gemindert ist und der Reisende parallel dazu Abhilfe nach § 651c II BGB verlangen kann. Unter zusätzlichen Voraussetzungen steht dem Reisenden ein Recht zur Selbstabhilfe verbunden mit einem Aufwendungsersatzanspruch gegen den Veranstalter zu, vgl. § 651c III BGB. I.Ü. kann er den Vertrag bei der Erfüllung der dafür vorausgesetzten Anforderungen nach § 651e BGB kündigen und Schadensersatz verlangen, der nach § 651f BGB ausnahmsweise auch immaterielle Einbußen erfasst. (1.) Minderung des Reisepreises für die Dauer des Reisemangels, § 651d BGB In Parallele zum Mietrecht (§ 536 BGB) mindert sich auch im Pauschalreiserecht der für die Leistung geschuldete Preis kraft Gesetzes (§ 651d I 1 BGB), wenn die Leistung mangelbehaftet ist. Für die Berechnung des Minderungsbetrages und des vertraglichen Anspruchs auf Rückerstattung des zu viel gezahlten Reisepreises verweist § 651d I 1 BGB auf die entsprechenden Vorschriften des Werkvertragsrechts (§ 638 III, IV BGB). Hinsichtlich der Höhe der Minderung hat in der Rechtspraxis insbesondere die so genannte Frankfurter Tabelle1725 Bedeutung erlangt. Etwas aktuellere Leitlinien finden sich derzeit in der ADAC-Tabelle zur Reisepreisminderung.1726 In Aufgreifung des Gedankens von Treu und Glauben, dem auch die Idee der Schadensminderung1727 immanent ist, verlangt § 651d II BGB allerdings, dass der Reisende den Mangel anzeigt, damit der Reiseveranstalter für Abhilfe sorgen kann, um damit den Schaden begrenzt zu halten, vgl. § 651d II BGB (vgl. zum Mietrecht § 536c II BGB).1728 Taugliche Adressaten der Anzeige sind der Veranstalter oder sein Vertreter.1729 Eine Anzeige des Mangels gegenüber dem Reisebüro genügt nur dann, wenn dieses „Handelsvertreter“ gemäß § 84 HGB für den Reiseveranstalter ist.1730 Sind die in diesem Sinne zuständigen Stellen nicht erreichbar, liegt keine Verletzung der unverzüglichen Anzeigepflicht vor. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist der Reisende i.Ü. von vornherein von der Anzeigepflicht freigestellt, wenn der Veranstalter den Mangel kennt1731 (und da1724
Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651c Rn. 2; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 228. 1725 Vgl. dazu MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 82; Staudinger/J. Eckert (2003), Anh. zu § 651d; abgedruckt in NJW 1985, 113, ergänzt in NJW 1994, 1369. 1726 Abgedruckt bei Schattenkirchner, NJW 2005, 2506 ff. 1727 Deshalb handelt es sich hier um keine echte Rechtspflicht, sondern nur um eine Obliegenheit des Reisenden. 1728 BT-Drucks. 8/2343, S. 10; BGHZ 92, 177, 181 f.; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 230; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651d Rn. 8 ff. 1729 PWW/Deppenkemper (3. Aufl., 2008), § 651d Rn. 3. 1730 BGH NJW 1988, 488, 489; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651d Rn. 15. 1731 LG Frankfurt/M. NJW 1983, 233, 234.
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rauf nicht angemessen durch eine Abhilfemaßnahme reagiert hat) oder ihm eine Abhilfe ohnehin nicht möglich wäre.1732 (2.) Abhilfeverlangen, § 651c II BGB Neben der Minderung, die automatisch eintritt, kann der Reisende gemäß § 651c I 1 BGB vom Reiseveranstalter verlangen, dass er für den Reisemangel Abhilfe schafft, wobei auch dieser Anspruch (ebenso wie die Minderung) nicht von einem Verschulden des Veranstalters abhängt. Es handelt sich dabei um die Geltendmachung eines modifizierten Erfüllungsanspruchs, der dem Nacherfüllungsanspruch im Kauf- und Werkvertragsrecht entspricht.1733 Auf welche Weise in angemessener Form für Abhilfe gesorgt wird, liegt ähnlich wie im Werkvertragsrecht prinzipiell in der Entscheidungshoheit des Veranstalters. Entscheidend ist nur, dass die Vertragswidrigkeit des Zustandes für die Zukunft beseitigt wird. Die Abhilfe kann entweder durch die Beseitigung des Mangels oder durch Erbringung einer gleichwertigen und zumutbaren Ersatzleistung geschaffen werden.1734 Wenn dem Mangel aber nur auf einem Wege abgeholfen werden kann (Bsp.: Zuweisung eines höherwertigen Zimmers oder Fluges), verengt sich die Entscheidungshoheit auf diese Variante. Wichtig ist, dass der Veranstalter nur dann berechtigt ist, die Abhilfe zu verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordert, § 651c II 2 BGB. Der Abhilfeanspruch wird durch eine rechtsgeschäftsähnliche Erklärung seitens des Reisenden wahrgenommen. Die bloße Anzeige des Mangels (ohne zumindest konkludentes Fordern der Beseitigung des widrigen Zustandes) genügt dazu noch nicht. Die Erklärung ist jedoch ähnlich wie die Mängelanzeige – und praktischerweise verbunden mit dieser – an den Veranstalter bzw. seinen Vertreter zu richten. Sofern beide nicht erreichbar sind, muss es ausnahmsweise ausreichen, dass sich der Reisende mit seinem Abhilfebegehren nur an den Leistungsträger wendet.1735 (3.) Selbstabhilfe und Aufwendungsersatzanspruch, § 651c III BGB Kommt der Veranstalter einer bestehenden Mängelbeseitigungspflicht nicht nach, so kann der Reisende dem Mangel durch seinerseits initiierte Maßnahmen selbst abhelfen und gemäß § 651c III 1 BGB Ersatz der dafür erforderlichen Aufwendungen verlangen. Zuvor muss er – jedenfalls vom Grundsatz her – dem Reiseveranstalter eine angemessene Frist zur Abhilfe gesetzt haben, die im Folgenden fruchtlos verstrichen ist.1736 Die Länge der Frist ist gesetzlich nicht fixiert worden. Sie bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art und Schwere des Mangels, die mit den Interessen des Reisenden an der Man1732 1733 1734 1735 1736
BGHZ 92, 177, 179. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 228. Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651c Rn. 4. In diese Richtung tendierend BGH NJW 1989, 2750, 2752. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 228.
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gelfreiheit, auch in Bezug auf die Länge seines Urlaubs, abzuwägen ist.1737 Die Fristsetzung ist ausweislich des § 651c III 2 BGB insgesamt entbehrlich, wenn der Reiseveranstalter die Abhilfe zu Unrecht verweigert oder der Reisende ein besonderes Interesse an der sofortigen Durchführung der Abhilfe hat. Die Erforderlichkeit der Höhe der Aufwendung bemisst sich unter entsprechender Heranziehung des § 670 BGB. Hier kommt es auf eine objektive ex ante Betrachtung an. Analog § 637 III BGB steht dem Reisenden auch ein Vorschuss für die erforderlichen Aufwendungen zu. (4.) Kündigung des Reisevertrags, § 651e BGB Dem Reisenden wurde überdies ein Vertragslösungsrecht in Form eines Kündigungsrechts zuerkannt, wenn ein Mangel1738 der Reise vorliegt und dieser „erheblich“ ist (§ 651e I 1 BGB) oder ihm die Reise infolge eines Mangels aus wichtigem, dem Reiseveranstalter erkennbarem Grund, nicht zugemutet werden kann (§ 651e I 2 BGB). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll Satz 1 eher auf objektive Umstände gemünzt sein, während Satz 2 auf Beweggründe in der Person des Reisenden abstellt, etwa die vertragswidrige Nichteignung eines Hotels für einen Behinderten.1739 Entscheidende Voraussetzung ist in allen Fällen die Erheblichkeit der Reisebeeinträchtigung infolge des Mangels. Zur Bemessung der Erheblichkeit ist regelmäßig auf die Art und den Zweck der Reise sowie die vom Reiseveranstalter zu schaffende Güte zu rekurrieren.1740 Da das Kündigungsrecht zu einem massiven Vertragseingriff führt, postuliert der Gesetzgeber auch hier zunächst die Pflicht der Fristsetzung zur Abhilfe gegenüber dem Veranstalter. Sofern die Reiseleitung als Vertreter des Veranstalters anzusehen ist (was regelmäßig der Fall sein dürfte), kann auch ihr gegenüber die Frist zur Abhilfe gesetzt werden. Erst wenn diese fruchtlos verstrichen ist, ist der Reisende zum Rücktritt berechtigt (§ 651e II 1 BGB). Hiervon statuiert jedoch § 651e II 2 BGB eine Ausnahme, wenn die Abhilfe unmöglich ist, von dem Reiseveranstalter zu Recht (vgl. § 651c II 2 BGB) oder zu Unrecht verweigert wird oder ein besonderes Interesse des Reisenden die sofortige Kündigung rechtfertigt. Letzteres ist der Fall, wenn etwa das Vertrauen des Reisenden in eine ordnungsgemäße Abhilfe seitens des unzuverlässigen Veranstalters in nachvollziehbarer Weise erschüttert ist. Ist unter den dargetanen Voraussetzungen die Kündigung durch explizite oder konkludente Erklärung ausgesprochen worden, gehen die Primärleistungspflichten ex nunc unter, und der Reisevertrag wandelt sich in ein Abwicklungsverhältnis um. Deshalb entfällt der Anspruch des Veranstalters auf den verein1737
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 558. Eine Kündigung wegen höherer Gewalt kann nicht nach § 651e BGB, sondern nur nach 651j I BGB erfolgen. 1739 BT-Drucks. 8/786, S. 23 f. 1740 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 230. 1738
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barten Reisepreis (§ 651e III 1 BGB). Ihm steht stattdessen ein Entschädigungsanspruch zu, der sich auf die bereits erbrachte oder zur Beendigung der Reise zu erbringende Reiseleistung bezieht und sich nach der Minderungsregelung für werkvertragliche Leistungen nach § 638 III BGB berechnet (§ 651e III 2 BGB). Aber auch dieser Entschädigungsanspruch kann entfallen, wenn die Teilleistungen für den Reisenden infolge der Aufhebung des Vertrags kein Interesse haben, weil z.B. der Reisezweck infolge der Schwere des Mangels gänzlich oder weit überwiegend verfehlt worden ist. Praktische Bedeutung hat dies vor allem dann, wenn die Beförderung keine Mängel aufweist, der Aufenthalt am Urlaubsort dem Reisenden (etwa auf Grund gravierender Mängel der Unterkunft) aber unzumutbar ist. Im Rahmen des Rückabwicklungsverhältnisses muss der Veranstalter überdies Maßnahmen zur ordnungsgemäßen Rückabwicklung treffen, vgl. § 651e IV 1 BGB. Beispielhaft erwähnt § 651e IV 1 BGB in diesem Zusammenhang den Rücktransport, sofern auch die Rückbeförderung geschuldet war. Wenn die Rückreise nicht sofort erfolgen kann, müssen Unterkunft und Verpflegung vorübergehend (weiter) gewährt werden. Erforderliche Mehrkosten fallen dem Veranstalter anheim, § 651e IV 2 BGB. Ein eventueller Entschädigungsanspruch bemisst sich nach § 651e III BGB. Kommt der Veranstalter seinen Pflichten aus § 651e IV 1 BGB nicht nach, hat der Reisende nicht nur einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 ff. BGB. Er kann auch in entsprechender Heranziehung der nach § 651c III BGB geltenden Grundsätze Aufwendungsersatz für die Selbstabhilfe verlangen. (5.) Schadensersatz wegen Nichterfüllung, § 651f BGB Auf Grund des § 651f BGB kann der Reisende unbeschadet der Minderung oder Kündigung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, wenn und soweit der Reiseveranstalter den Mangel der Reise zu vertreten hat. Ähnlich wie bei § 280 I 2 BGB wird das Vertretenmüssen in dieser Haftungskonstellation vermutet.1741 In den Bereich des Vertretenmüssens sind gemäß § 276 BGB nicht nur selbst verschuldete Umstände einzurechnen. Es ist nach § 278 BGB auch das Verhalten der Erfüllungsgehilfen mit einzubeziehen, insbesondere das Agieren der Leistungsträger. Strittig ist die Einstandspflicht für Streiks der Mitarbeiter bzw. Leistungsträger. Unabhängig davon, ob ein Arbeitskampf rechtlich zulässig ist,1742 muss hier der Grundsatz gelten, dass dieser Risikobereich vom Reiseveranstalter abgedeckt werden muss, damit der Reisende nicht ungebührlichen Belastungen ausgesetzt ist.1743 In Analogie zu § 651d II BGB ist der Schadensersatzanspruch des
1741
Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 231. Für diese Differenzierung aber Löwisch, AcP 174 (1974), 202, 205; Teichmann, JZ 1979, 739, 740. 1743 LG Frankfurt/M. NJW 1980, 1696, 1697. 1742
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Reisenden ausgeschlossen, soweit er es schuldhaft unterlassen hat, dem Reiseveranstalter den Mangel anzuzeigen.1744 Die zu ersetzenden Arten des Schadens sind unterschiedlich. Nach § 651f I BGB wird ein Anspruch auf „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ gewährt. Dieser umfasst nicht nur das Erfüllungsinteresse des Reisenden (Schadensersatz statt der Leistung i.S.d. § 281 BGB), sondern auch etwaige Integritätsschäden, etwa Körperverletzungen, die auf Grund des Mangels hervorgerufen wurden.1745 § 651f II BGB gewährt darüber hinaus auch Ersatz für immaterielle Schäden, die auf Grund des Mangels der Reise entstanden sind. Denn seitens des Reisenden wird die Reise in aller Regel auch und gerade deshalb angetreten, weil er sich von ihr einen spezifischen Urlaubs- und Erholungswert verspricht, der bei einem umfänglichen Reisemangel nicht mehr zu erwarten steht, sodass die Investition auch hinsichtlich dieser Motivation fehlgeht.1746 § 651f II BGB spricht insofern davon, dass der Anspruch auf Schadensersatz auch eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit umfasst, wenn der nach § 651f I BGB zu vertretende Mangel die Reise „vereitelt“ oder „erheblich beeinträchtigt“. Während für die Vereitelung erforderlich ist, dass die Reise nicht angetreten oder unmittelbar nach ihrem Beginn wieder abgebrochen wurde,1747 ist eine erhebliche Beeinträchtigung anzunehmen, wenn trotz der Fortführung der Reise ihr Zweck (Erlebnisse, Erholung) zu größeren Teilen auf Grund der Mangelhaftigkeit nicht erreicht wurde.1748 Inwieweit die Urlaubszeit dann „nutzlos aufgewendet“ und in welcher Höhe die Entschädigung daher angemessen ist, bemisst sich nach dem Restwert der Reise in Bezug auf den jeweiligen Urlaubszweck bzw. bei einem gänzlichen Ausfall nach dem Erlebnis- und Erholungswert der von dem Reisenden gefundenen Ersatzbeschäftigung.1749 (6.) Gesetzliche Einschränkung der Haftung für Reisemängel Ein Ausschluss der Haftung des Reiseveranstalters für Reisemängel nach den §§ 651c II–651f BGB kann sich sowohl aus § 326 II BGB als auch in Bezug auf die nach § 651g I BGB bestehende Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Mängel gegenüber dem Reiseveranstalter ergeben. So ist bereits aus dem Rechtsgedanken des § 326 II 1 Alt. 1 BGB abzuleiten, dass der Reiseveranstalter nicht für solche Reisemängel einzustehen hat, für deren Eintreten der Reisende allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Über §§ 276 ff. BGB hinausgehend sind hier überdies solche Risiken zu berücksichtigen, die lediglich aus der Sphäre des Reisenden stammen. 1744 1745 1746 1747 1748 1749
BGHZ 92, 177, 179 ff. BGHZ 92, 177, 180. Maßgeblich diesbezüglich EuGH, Urt. v. 12.3.2002, Rs. C-168/00 – Leitner. BGHZ 85, 301, 303 f. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 536. BGHZ 77, 116, 123.
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Der Reisende verliert überdies seine Ansprüche, wenn er sie nicht rechtzeitig nach § 651g BGB geltend macht. Auch dies begrenzt die Einstandspflicht des Veranstalters. § 651g I BGB statuiert für die Geltendmachung gegenüber dem Veranstalter eine Frist von einem Monat nach dem vertraglich vorgesehenen Ende der Reise. Freilich ist es dem Reisenden unbenommen, die Ansprüche (etwa bei vorzeitiger Beendigung) schon früher anzumelden.1750 Bedeutsam ist, dass es sich bei dieser Frist nicht um eine bloße Verjährungsbestimmung handelt, sondern um eine echte Ausschlussfrist. Ihr Sinn besteht darin, dem Reiseveranstalter im Zeitalter des Massentourismus einen schnellen Überblick über seine Haftung und eine zeitnahe Abwicklung der an ihn herangetragenen Ansprüche zu ermöglichen.1751 Innerhalb der Einmonatsfrist muss der Reisende seine Ansprüche auf Grund des Mangels durch eine substantiierte Rüge gegenüber dem Veranstalter oder einer von ihm hierzu ermächtigten Person (ausnahmsweise ist dies auch der Reiseleiter am Urlaubsort)1752 geltend machen. Die Anmeldung der Ansprüche muss die tatsächlichen Gründe für die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten erkennen lassen. Sofern die Ausschlussfrist verstrichen ist, kann der Reisende seine Ansprüche nur noch dann erfolgreich anbringen, wenn er unverschuldet an der Einhaltung der Frist verhindert war und er die Anmeldung der Ansprüche unverzüglich (§ 121 BGB) nach dem Entfallen des nicht zu vertretenden Hinderungsgrundes vornimmt, § 651g I 3 BGB. Die Verjährung der Ansprüche des Reisenden aus §§ 651c–651f BGB ist in § 651g II BGB geregelt. Die Ansprüche verjähren danach in zwei Jahren von dem Tag an, an dem die Reise nach dem Vertrag enden sollte. Für etwaig bestehende Ansprüche aus dem Bereich des allgemeinen Schuldrechts (§§ 280 ff., 320 ff. BGB) gelten hingegen die allgemeinen Verjährungsregeln der §§ 195, 199 BGB.1753 (7.) Vertragliche Einschränkung der Haftung für Reisemängel Nach § 651m S. 1 BGB darf der Veranstalter grundsätzlich nicht von den Vorgaben der §§ 651a–651l BGB zu Lasten des Reisenden abweichen. Allerdings kann ausweislich des § 651m S. 2 BGB die Verjährungsbestimmung in § 651g II BGB vor Mitteilung des Mangels (auch in AGB-Form)1754 modifiziert werden, und zwar indem eine Herabsetzung erfolgt, sofern dabei die Grenze von einem Jahr nicht unterschritten wird. Außerhalb des § 651m S. 2 BGB findet sich eine gesetzlich zulässige Einschränkungsmöglichkeit für die Haftung des Veranstalters in § 651h I BGB. Danach wird dem Reiseveranstalter unter gewissen Voraussetzungen erlaubt, seine Scha1750
Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse (3. Aufl., 2007), S. 565. BT-Drucks. 8/2343, S. 11; BGH NJW 1986, 1748, 1750; Staudinger/J. Eckert (2003), § 651g Rn. 1. 1752 BGHZ 102, 80, 86 f. 1753 Teichmann, JZ 1979, 737. 1754 BT-Drucks. 14/6040, S. 269. 1751
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densersatzpflicht summenmäßig auf den dreifachen Reisepreis zu beschränken, wenn es sich nicht um Körperschäden handelt. Alternative Voraussetzung der Zulässigkeit einer Haftungsbeschränkung ist, dass der Schaden weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt wurde (Nr. 1) oder allein auf einem Verschulden des Leistungsträgers beruht (Nr. 2). § 651h I Nr. 2 BGB ist auch bei der Verwendung von AGB als lex specialis gegenüber § 309 Nr. 7b BGB zu betrachten. Da die Vorschrift des § 651h BGB in systematischem Zusammenhang mit § 651m BGB steht, gelten die vertraglichen Haftungseinschränkungsmöglichkeiten nur für vertragliche, nicht aber für deliktische Ansprüche.1755 Für Haftungseinschränkungen in Bezug auf deliktische Ansprüche sind die Schranken der §§ 305 ff. BGB, insbesondere § 309 Nr. 7 BGB maßgeblich, sofern eine Regelung außerhalb von AGB erfolgt, §§ 138, 242 BGB. 6. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Wie bereits verschiedentlich betont wurde, ist die EU-Kommission dabei, den verbraucherrechtlichen Besitzstand zu überarbeiten. Dies kann und muss auch Auswirkungen auf das (Pauschal-)Reiserecht haben. Die Kommission hat ihr diesbezügliches Programm in einem entsprechenden Grünbuch niedergelegt, das im Februar 2007 verabschiedet wurde.1756 Gemäß dem Grünbuch gehört die Pauschalreiserichtlinie zu den zu überarbeitenden Richtlinien. Ein Vorschlag für eine neue Richtlinie ist aber erst für (nach) 2010 angekündigt. a. Notwendigkeit des gesetzlichen Aufgreifens neuer Problemlagen Die Kommission strebt mit der Überarbeitung des verbraucherrechtlichen Besitzstandes, zu dem zunächst die Revision von Kernrichtlinien jenseits des Pauschalreiserechts zählen, auch und gerade die Erreichung einer gewissen Kohärenz des Regelungsclusters bzgl. der einschlägigen Definitionen und Instrumente an. So wird u.a. eine Vereinheitlichung des Unternehmer- und Verbraucherbegriffes forciert, die dann auf alle verbraucherrechtlichen Richtlinien ausstrahlen soll. Wagte man insofern einen Ausblick auf das, was in einer zukünftigen Überarbeitung der Pauschalreiserichtlinie auf der Agenda der Kommission stehen könnte, würde es möglicherweise zu einer Verengung des persönlichen Schutzbereiches der Richtlinie auf den „Verbraucher“ als Schutzbefohlenen kommen.1757 Daran wäre an sich nichts auszusetzen. Zu den dringendsten Aufgaben im Bereich des Pauschalreiserechtes zählt aber wohl unzweifelhaft – darauf soll hier noch mal hingewiesen werden – das Aufgreifen des Problems der online gebuchten, individuell zusammengestellten Rei-
1755 1756 1757
BGHZ 100, 157, 182 ff. KOM (2006), 744 endg. MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 26.
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sen, die heute mit dem Begriff des so genannten „dynamic packaging“1758 umschrieben werden. Denn für diese ergibt sich gegenwärtig (hält man am engen sachlichen Anwendungsbereich des Pauschalreiserechts fest) eine verbraucherrechtliche Schutzlücke. Einigen Autoren erscheint es vor diesem Hintergrund notwendig, für eine Erstreckung des sachlichen Anwendungsbereichs der Pauschalreiserichtlinie auf das dynamic packaging einzutreten.1759 Wollte man jedoch das Merkmal der „Gesamtheit von Reiseleistungen“,1760 das für das gegenwärtige Pauschalreiserecht (noch) bestimmend ist, nicht vollkommen der Erosion preisgeben (was verschiedentlich bereits über Analogieschlüsse getan wird, s.o.), wäre es m.E. vorzugswürdig, für eine eigenständige (individualreiserechtliche) Regelung zu plädieren, die das Pauschalreiserecht ergänzt,1761 so wie es die EU derzeit bereits sektoral mit dem Ausbau der Flug- und Fahrgastrechte praktiziert. Das neue Individual- und das (alte) Pauschalreiserecht müssten sich insoweit allerdings kohärent zueinander verhalten. Auf europäischer Ebene könnte man andenken, das ganze Rechtsgebiet im Zuge der Revision des verbraucherrechtlichen acquis in einer „Richtlinie über touristische Dienstleistungen“ neu zu regeln.1762 b. Sanktionen bei Verletzung der Informationspflichten durch den Veranstalter Die BGB-InfoV, die in den §§ 4–11 besondere Informationspflichten für den Reiseveranstalter statuiert, sieht keine expliziten Sanktionen bei der Verletzung dieser Pflichten vor. Auch dies könnte man als Schutzlücke ansehen. Allerdings wird sie weitgehend durch allgemeine schuldrechtliche Instrumentarien geschlossen. Insofern gilt der Grundsatz, dass das allgemeine Leistungsstörungsrecht zum Zuge kommt, sodass der Veranstalter wegen der Verletzung vorvertraglicher Informationen auf Grund von cic (§ 311 BGB) und i.Ü. auf Grund einer Vertragspflichtverletzung (§ 280 BGB) haftet.1763 Im Einzelfall sind jedoch differenzierte Betrachtungen erforderlich: So ist ein Schadensersatzanspruch wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung nach §§ 4, 5 BGB-InfoV zwar denkbar, der Nachweis des Schadens aber unter Umständen schwierig. Möglich ist aber auch, dass die Pflichtverletzung in Bezug auf die fal1758
Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 1; Führich, RRa 2006, 194; Tonner/D. Schulz, RRa 2007, 50; grundlegend D. Schulz, E-Commerce im Tourismus. Die rechtliche Einordnung von Reiseportalen in das Haftungssystem des deutschen Reiserechts, Diss. Rostock 2009. 1759 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 53; ders., RRa 2005, 146, 149; Führich, RRa 2006, 194. 1760 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 1. 1761 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 89. 1762 MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 90. 1763 Staudinger/J. Eckert (2003), Anh zu § 651a: Vorbem zu BGB-InfoV Rn. 5.
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sche oder fehlende Information zugleich mangelbegründend für die Reise ist, dann kommt eine Anwendung des reiserechtlichen Gewährleistungssystems in Betracht.1764 Bei der Verletzung vieler Informationspflichten, die in den §§ 6–8 BGB-InfoV statuiert wurden, ist unabhängig von der Verortung des Schadensersatzanspruches jedoch häufig wieder problematisch, dass der Schadensnachweis schwerlich gelingt. Unabhängig von der Sanktion des Verhaltens durch den Reisenden kommt das Eingreifen wettbewerbsrechtlicher Ansprüche seitens des Mitbewerbers in Betracht. Denn ein Reiseveranstalter, der gegen die BGB-InfoV verstößt, verschafft sich einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern, der nach der Rechtsprechung nach §§ 1, 3, 4 Nr. 11 UWG zu ahnden ist.1765 Unmittelbar verletzte Mitbewerber (§ 8 III Nr. 1 UWG) und klagebefugte Verbände und Kammern (§ 8 III Nr. 2–4 UWG) können daher nach dem UWG vorgehen, indem etwa Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden. Dem Mitbewerber steht nach § 9 UWG überdies das Recht zu, Schadensersatz zu verlangen; eine Gewinnabschöpfungsmöglichkeit für Verbände eröffnet § 10 UWG. Dem einzelnen Reisenden gewährt das UWG – wie bereits dargetan1766 – jedoch noch kein individuelles Klagerecht. Er kann insofern nur auf einen positiven Rechtsreflex durch die Klage des Verbandes hoffen, die i.Ü. – neben dem UWG – auch auf Grund der §§ 2 I, II Nr. 1, 3 UKlaG eröffnet ist. c. Schutz des Reisenden vor einer Insolvenz des Reiseveranstalters Ein letzter erwähnenswerter Schutzaspekt des Pauschalreiserechts gegenüber dem Verbraucher/Reisenden besteht in dem Umstand der Verankerung eines Insolvenzabsicherungssystems in § 651k BGB. Bei Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Veranstalters bestände – gebe es diese Regelung nicht – für den Reisenden die Gefahr, den schon gezahlten Reisepreis ohne (vollständige) Erbringung der Reiseleistung einzubüßen. Der Gefahr begegnet § 651k BGB dadurch, dass der Veranstalter für den Fall seiner Zahlungsunfähigkeit/Insolvenz eine entsprechende Versicherung abzuschließen oder ein Zahlungsversprechen eines Kreditinstituts beizubringen hat, über die dem Reisekunden als Begünstigtem im Fall des Falles ein unmittelbarer Anspruch auf Rückerstattung des Reisepreises bzw. Übernahme der notwendigen Aufwendungen zustehen, §§ 651k I 2 Nr. 1 und 2 , 651k III BGB. Konstruktiv wird hierdurch regelmäßig ein Vertrag zugunsten Dritter begründet.1767 Zum Nachweis des Anspruchs muss der Veranstalter dem Reisenden 1764
Staudinger/J. Eckert (2003), Anh zu § 651a: Vorbem zu BGB-InfoV Rn. 6. BGHZ 109, 127 ff. 1766 Vgl. dazu meine Ausführungen im ersten Teil zum Schutzmechanismus des UWG im vorvertraglichen Bereich. 1767 Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 234; a.A. Tempel, RRa 1998, 19, 30 (Garantievertrag). 1765
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einen Sicherungsschein zukommen lassen, der vom Kundengeldabsicherer oder auf dessen Veranlassung ausgestellt worden ist. Abgesichert wird diese Pflicht durch ein ebenso einfaches wie effektives Druckmittel: Solange der Reisende den Sicherungsschein nicht erhalten hat, dürfen von ihm vor Beginn der Reise keine Zahlungen verlangt oder angenommen werden (§ 651k IV BGB). § 651k V BGB statuiert dazu nur einige Ausnahmefälle, in denen die Pflicht zur Aushändigung des Sicherungsscheins mangels Schutzbedürfnisses des Reisenden nicht besteht. Hinzuweisen ist abschließend darauf, dass in dieses Sicherungssystem keine Mängelgewährleistungsansprüche eingestellt sind. Insofern wird hierdurch nur ein Mindestschutz für gravierende Äquivalenzstörungen (Totalausfall des Veranstalters) statuiert. Dies erscheint aber gerechtfertigt, da bei einer notwendigen Absicherung der Mängelgewährleistungskosten Aufwand und Nutzen (ganz abgesehen vom letztlich beim Kunden „ankommenden“ Preisfaktor) wohl außer Verhältnis geraten würden. V. Dienstleistungsverträge Im Anschluss an das Pauschalreiserecht sollen nun verbraucherrechtliche Verträge mit starken Dienstleistungskomponenten besprochen werden. Im Einzelnen wird dabei auf den Fernunterrichtsvertrag, auf den Anlageberatungsvertrag und auf den Darlehensvermittlungsvertrag eingegangen. Von den insoweit darzustellenden Verträgen haben allerdings nur letztere einen gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund. 1. Der Fernunterrichtsvertrag Wie die bereits zuvor referierten Materien weist auch das Recht der Unterrichtsverträge spezifische verbraucherrechtliche Züge auf.1768 Auch in diesem Rechtsbereich hat der Gedanke der Protektion von Verbraucherinteressen die Entwicklung maßgeblich geprägt und Rechtsinstrumente hervorgebracht, die sich von denen des so genannten klassischen Privatrechts unterscheiden.1769 a. Allgemeines Im Bereich des Unterrichtsvertrages ist vor allem der so genannte Fernunterrichtsvertrag in das Visier verbraucherrechtlicher Rechtsprechung und Gesetzgebung gelangt. Der Fernunterrichtsvertrag, der sich in den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts herausbildete, wurde und wird dazu instrumentalisiert, bildungswilligen Bürgern, die am Direktunterricht in Tages- oder Abendschulen 1768
Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 21. Bühler, Fernunterricht und Fernunterrichtsschutzgesetz (1984), S. 62 ff., 101 ff.; Gilles, JA 1980, 1 ff. 1769
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nicht teilnehmen können, von zu Hause aus eine (Fort-)Bildungsmöglichkeit zu eröffnen. Im Zuge des Aufkommens dieser Vertragsform wurde jedoch auch bald klar, dass die Marktkräfte allein nicht ausreichen, um den Konflikten, die aus der Verquickung von pädagogischem Anliegen mit geschäftlichen Interessen der Fernunterrichtsveranstalter resultierten, gerecht zu werden.1770 b. Entstehungsgeschichte Der Fernunterricht hat sich in Deutschland, obwohl seine Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen,1771 als alternative Unterrichtsform zum herkömmlichen Direktunterricht aber erst nach dem 2. Weltkrieg voll entwickelt.1772 Fernunterricht zielt darauf, planmäßig Wissen, Fähig- und Fertigkeiten über eine räumliche Distanz vom Unterrichtenden an den Unterrichteten zu vermitteln, wobei hierfür Schrift-, Bild- und Tonmaterial eingesetzt werden. Der Schwerpunkt der Entwicklung des Fernunterrichts lag im Gegensatz zum herkömmlichen Bildungssystem, das überwiegend auf die Erstausbildung ausgerichtet ist, von Anfang an auf der beruflichen Weiterbildung. Das Bedürfnis nach Weiterbildung war und ist (gerade nach dem 2. Weltkrieg) Folge erhöhter sozialer und wirtschaftlicher Mobilität und trägt in besonderem Maße den gestiegenen Anforderungen des Marktes an ein Um- und Weiterlernen der Bevölkerung (in der Position des Arbeitnehmers, aber auch in der des selbständigen Gewerbetreibenden etc.) Rechnung.1773 Fernunterricht eignet sich besonders gut, diesem Bedürfnis nach Weiterbildung nachzukommen. Denn er kann unabhängig von bestehenden Infrastrukturen, also insbesondere in strukturschwachen Gebieten (die über keine bzw. nicht genügend Weiterbildungsinstitutionen verfügen) durchgeführt werden. Außerdem bieten sich günstige Lernchancen durch Anpassung an individuelle Bedürfnisse.1774 Der kommerzielle Fernunterricht hat sich zunächst ungehemmt von staatlicher Kontrolle entwickelt und zeigte schon sehr früh starke Missstände und Auswüchse, die dann ab Mitte der sechziger Jahre zu Reformbestrebungen führten, welche mit dem Erlass des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) und den daran ansetzenden späteren Novellen ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. Zum Zeitpunkt des starken Aufkommens von Fernunterricht nach dem 2. Weltkrieg bestanden die negativen Auswüchse vor allem in falschen, unvollständigen, 1770
Michalski, Verbraucherschutzrecht (2002), S. 246; kritisch in Bezug auf diese „Marktanalyse“ Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes – am Beispiel des Fernunterrichtsstundengesetzes (1983), S. 76. 1771 Vgl. dazu Karow, Privater Fernunterricht in der BRD und im Ausland (1980), S. 49 f., 95 f. 1772 Zum Befund Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes – am Beispiel des Fernunterrichtsstundengesetzes (1983), S. 77. 1773 Vgl. dazu den allgemeinen Teil des RegE zum FernUSG, BT-Drucks. 7/4245, S. 11. 1774 Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes – am Beispiel des Fernunterrichtsstundengesetzes (1983), S. 78.
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unklaren und irreführenden Angaben in Werbeanzeigen, Werbedrucksachen oder Informationsmaterialien, in aggressiven Vorgehensweisen von Abschlussoder Vermittlungsvertretern (so genannten „Studienberatern“), in unerwünschten Hausbesuchen und anderen zweifelhaften Direktmarketingmethoden.1775 Hinzu kamen oft kundenfeindliche Formularverträge und AGB, die den Unterrichtsteilnehmer entweder unter allen Umständen bzw. möglichst lange an den jeweiligen Vertrag zu binden suchten oder ihn zumindest für den Fall des Abbruchs des Vertrages an seinen Zahlungsverpflichtungen festhielten. Zu beklagen waren überdies überzogene Kursgebühren und angreifbare Vorauszahlungs- oder Finanzierungsbedingungen. I.Ü. standen auch die schlechte Qualität vieler Kurse und des dazu gelieferten Lernmaterials, die unzureichende Qualifikation des Lehrpersonals und gravierende Organisationsmängel im Fokus der Kritik.1776 Dabei waren diese offen zu Tage tretenden Missstände im Bereich des Fernunterrichtswesens auch keineswegs auf Deutschland beschränkt gewesen. Es hatten fast sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften zum gleichen Zeitpunkt mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, weshalb es schon relativ früh auch auf europäischer Ebene Bestrebungen gab,1777 hiergegen gemeinsam vorzugehen. Es folgte am 8.8.19771778 der Vorschlag einer Richtlinie betreffend den Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, der sich jedoch noch nicht realisieren ließ, weil es für ihn noch zu wenig Fürsprache gab. Die erforderliche Unterstützung des Anliegens betreffend der gemeinschaftsrechtlichen Regelung hatte sich aber leider auch später nicht mehr finden lassen.1779 Auch wegen der Inaktivität der Gemeinschaft sah sich der deutsche Gesetzgeber schließlich veranlasst, autonom Vorschriften zur Reglementierung des Fernunterrichtsmarktes zu verabschieden. So beschloss er am 24.8.1976 das „Ge1775 Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 21; Fischer, VuR 2002, 193. 1776 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 209; Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 22; Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes – am Beispiel des Fernunterrichtsschutzgesetzes (1983), S. 80 ff. 1777 Vgl. dazu v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 248 ff. Siehe besonders die Unterrichtung durch die Bundesregierung, Vorschlag einer Richtlinie betreffend den Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT-Drucks. 8/852; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung, Vorschlag einer Richtlinie betreffend den Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT-Drucks. 8/1348; Unterrichtung durch die Bundesregierung, Verhandlungen über den Vorschlag einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften betreffend den Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT-Drucks. 9/449; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung, Verhandlungen über den Vorschlag einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften betreffend den Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT-Drucks. 9/1472. 1778 ABl.EG Nr. C 208 v. 31.8.1977, S. 12. 1779 Dazu v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 253.
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setz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht“.1780 Dieses ist seit dem Zeitpunkt seines Erlasses mehrfach geändert worden. Die Einführung des Verbraucherkreditgesetzes vom 17.12.1990 bedingte beispielsweise eine Anpassung des § 9 FernUSG, der zuvor das Verhältnis zum Abzahlungsgesetz regelte. Sodann kam es infolge der Einführung des „Gesetzes über die Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts“ am 27.6.2000 zu weiteren Novellierungen, die sich nicht nur auf die Anpassung des FernUSG an die §§ 355, 357 BGB n.F. (§§ 361a, 361b BGB a.F.) beschränkten, sondern darüber hinaus die materielle Rechtslage modifizierten. Anders als viele andere Verbraucherschutzgesetze wurde das FernUSG im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung aber nicht in das BGB inkorporiert. Inhaltlich enthält das FernUSG in den §§ 3, 4, 7 Bestimmungen, die Einfluss auf das Entstehen des Vertrages haben. § 8 FernUSG statuiert für die §§ 2–7 FernUSG ein Umgehungsverbot, flankiert wird dieses durch den Ausschluss abweichender Vereinbarungen in § 10 FernUSG, der sich auf §§ 2–9 FernUSG bezieht. Für finanzierte Unterrichtsverträge gilt § 358 BGB entsprechend (§ 4 I 2 FernUSG). c. Verhältnis zu anderen Vorschriften Der Fernunterrichtsvertrag enthält typischerweise Elemente des Dienstvertragsrechts. Sofern die §§ 1 ff. FernUSG keine abweichenden Vorschriften normieren, kommen mithin die §§ 611 ff. BGB zur Anwendung. Besonderheiten sind hier bezüglich der Vertragslösungsrechte angeordnet. Dies gilt zum einen bereits für das bereichsspezifische Widerrufsrecht, das in § 4 I FernUSG Abweichungen zum Beginn der Widerrufsfrist nach § 355 III BGB normiert (insofern als die Widerrufsfrist nicht vor Eingang der ersten Lieferung des Fernunterrichtsmaterials beginnt), als auch in Bezug darauf, dass nach § 4 III FernUSG bei Ausübung eines Widerrufs abweichend von §§ 357 III, 346 I BGB weder der Wert der Gebrauchsüberlassung am Unterrichtsmaterial noch der Unterricht selbst zu vergüten ist. Besonderheiten beim Widerrufsrecht sind auch bzgl. seines Erlöschens nach § 4 II FernUSG zu beachten. Die speziellen Kündigungsvorschriften des § 5 FernUSG verdrängen die §§ 622 ff. BGB. Der Bereich der Gewährleistung wurde nicht speziell geregelt. Hier kommt daher – wie auch für sonstige Leistungsstörungen – das allgemeine Leistungsstörungsrecht zum Zuge. I.Ü. sind im vorvertraglichen Bereich die Regelungen der cic anwendbar. Deliktische Ansprüche können konkurrieren.
1780
BGBl. I, S. 2525.
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d. Regelungsinhalt Das Recht des Fernunterrichtsvertrages ist als Sondermaterie des zivilrechtlichen Vertragsrechts zu verstehen, das sich als Unterbereich des Dienstvertragsrechts1781 entwickelt hat. Zu den Gegenwartsfragen dieses Gebietes gehört mit Blick auf das FernUSG die Typenbildung, d.h. die Aufgabe der Ausdifferenzierung und Verfestigung des Rechtsbereiches. Daneben bestehen spezifische Fragen der Vertragsanbahnung, des Vertragsabschlusses, des Vertragsinhaltes und der Vertragslösung, die vom Gesetzgeber für die Situation der räumlichen Trennung von Lehrendem und Lernendem nach dem FernUSG differenziert beantwortet wurden.1782 I.Ü. ist momentan die besondere Form des E-Learning stark im Kommen. aa. Persönlicher Anwendungsbereich Das FernUSG nimmt als Parteien ausdrücklich den Lernenden als Teilnehmer und den Lehrenden als Veranstalter in Bezug. Es spricht damit nicht vom Verbraucher bzw. Unternehmer (vgl. §§ 1 I, 2 I FernUSG), sodass es sich formal gesehen hierbei um Verbraucherrecht i.w.S. handelt. bb. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes wird durch § 1 I FernUSG festgelegt, und zwar dadurch, dass es sich um Unterricht handeln muss, bei dem Lernender und Lehrender ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind (Nr. 1) und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwacht (Nr. 2). Notwendig ist dabei stets, dass für das Unterrichtsverhältnis eine vertragliche Grundlage besteht, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass in Bezug darauf der Unterricht im Grundsatz auch entgeltlich erfolgt. Soweit dies ausdrücklich vorgesehen ist, finden die Vorschriften des FernUSG aber auch auf den unentgeltlichen Unterricht Anwendung, § 1 II FernUSG. cc. Einzelne Regelungen Im ersten Abschnitt des FernUSG findet sich im Anschluss an die Festlegung des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereiches eine ganze Reihe von gesetzlichen Festlegungen für das Verhältnis zwischen Lehrendem und Lernendem. Dabei werden verschiedene Stationen des Vertrages in Bezug genommen.
1781
Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 224. Zu den Differenzierungen siehe auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 209. 1782
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(1.) Vertragsschluss Keine besonderen Regelungen enthält das Gesetz zum Vertragsschluss. Der Fernunterrichtsvertrag kommt demnach wie jeder andere Vertrag durch Angebot und Annahme gemäß §§ 145 ff. BGB zustande.1783 Von den eigentlichen Vertragserklärungen mit gewollter Bindungswirkung zu unterscheiden sind alle im Vorfeld, also während der Vertragsanbahnungsphase, abgegebenen Erklärungen, etwa die Anforderung von Informationsmaterial oder die Bitte um einen Informationsbesuch bzw. die im Rahmen der Aufklärung vom Veranstalter angeforderten Informationen oder Tests. Derartige Erklärungen sind als bloße invitatio ad offerendum zu verstehen. Besonderheiten ergeben sich beim Fernunterrichtsvertrag insofern, als § 7 I FernUSG zum Schutz des Teilnehmers die Nichtigkeit des Fernunterrichtsvertrages statuiert, also eine besonders einschneidende Sanktion bestimmt, falls der Veranstalter nicht die nach § 12 I FernUSG erforderliche Zulassung für das Anbieten entsprechender Lehrgänge besitzen sollte. Die öffentlich-rechtliche Zulassung ist daher Wirksamkeitsvoraussetzung für den Vertrag und als solche inzident bei der Prüfung des wirksamen Vertragsschlusses zu beachten.1784 Ist der Unterrichtsvertrag nichtig, so steht dem Teilnehmer ein Anspruch auf Rückforderung seiner Zahlungen nach § 812 BGB zu. Er ist jedoch seinerseits verpflichtet, das Empfangene, d.h. insbesondere das Lehrmaterial, zurückzugeben. Einer weitergehenden Rückabwicklung, etwa der Herausgabe des Wertes für die Unterrichtsleistung, steht die Rückforderungssperre des § 4 FernUSG entgegen. (2.) Hauptleistungspflichten Das Gesetz legt in § 2 I, II FernUSG zunächst eine ins Einzelne gehende Fixierung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien fest. Der Gesetzgeber spricht hier davon, dass sich der Veranstalter durch den Fernunterrichtsvertrag verpflichtet, das Fernlehrmaterial einschließlich der vorgesehenen Arbeitsmittel in vereinbarten Zeitabständen zu liefern, den Lernerfolg zu überwachen, insbesondere die eingesandten Arbeiten innerhalb angemessener Zeit sorgfältig zu korrigieren und dem Teilnehmer am Fernunterricht diejenigen Anleitungen zu geben, die er erkennbar benötigt, § 2 I FernUSG. Im Gegenzug ist der Teilnehmer verpflichtet, die vereinbarte Vergütung zu leisten, § 2 II 1 FernUSG. Die Vergütung ist in Teilleistungen jeweils für einen Teilabschnitt von höchstens drei Monaten zu entrichten, § 2 II 2 FernUSG. Höhere Vorauszahlungen des Kunden sind prinzipiell verboten.
1783
Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 164. Ist die Zulassung nach Vertragsschluss erloschen, besteht ein Recht des Teilnehmers zur fristlosen Vertragskündigung gem. § 7 II 1 FernUSG. 1784
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(3.) Inhaltsverbote Untersagt sind ferner Nebenentgelte und/oder die Entrichtung eines gesonderten Aufwendungsersatzes, § 2 IV FernUSG. Damit sind auch Provisionen, Einschreibegebühren und Auslagenerstattungen gemeint. Unwirksam sind gemäß § 2 V 1 FernUSG auch Vereinbarungen über Vertragsstrafen zu Lasten des Teilnehmers, die Festsetzung eines Schadensersatzes in Pauschalbeträgen, der Ausschluss oder die Beschränkung von Schadensersatzansprüchen und der Verzicht des Teilnehmers auf das Recht, im Falle der Abtretung der Ansprüche des Veranstalters an einen Dritten Einwendungen, die zur Zeit der Abtretung der Forderungen gegen den Veranstalter begründet waren, dem neuen Gläubiger entgegenzusetzen. In § 2 V 2 FernUSG werden sodann die im Zusammenhang mit Fernunterrichtsverträgen abgeschlossenen so genannten „Kopplungsgeschäfte“ (Kauf oder Miete von Waren, zusätzliche Dienstleistungen) für unwirksam erklärt, sofern diese nicht den Zielen des Fernunterrichtsvertrages dienen. (4.) Schriftform, zwingende Angaben, Aushändigungspflicht Das FernUSG führt i.Ü. den Fernunterrichtsvertrag einem auch in anderen Verbraucherschutzgesetzen vorfindbaren generellen Schriftformzwang zu, der mit bestimmten zwingenden Vertragsangaben gekoppelt ist, § 3 FernUSG. So bedarf zum einen die auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung des Teilnehmers bereits der schriftlichen Form, § 3 I FernUSG. Ferner müssen in der Vertragsurkunde folgende Angaben (vgl. § 3 II FernUSG) enthalten sein: Name und Anschrift des Veranstalters und des Teilnehmers (Nr. 1), Gegenstand, Ziel, Beginn und voraussichtliche Dauer des Fernlehrgangs sowie die Art und Geltung des Lehrgangsabschlusses, vereinbarte Zeitabstände für die Lieferung des Fernlehrmaterials und Hinweise auf begleitenden Unterricht, wobei dabei erkennbar sein muss, ob es sich um einen Abschluss des Veranstalters handelt oder ob und inwieweit der Fernlehrgang dazu vorgesehen ist, auf eine öffentlich-rechtliche oder eine sonstige bestimmte Prüfung vorzubereiten (Nr. 2). Der Vertrag muss weiter Angaben zum Gesamtbetrag der vom Teilnehmer zu entrichtenden Vergütung enthalten, wobei bei der Lieferung einer beweglichen Sache erkennbar sein muss, welcher Teil der Vergütung auf sie entfällt (Nr. 3). I.Ü. bedarf es in der Urkunde eines Hinweises auf zusätzliche Kosten, die dem Teilnehmer durch die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen des Fernlehrgangs entstehen, sofern diese über die üblichen Grundtarife, mit denen der Teilnehmer rechnen muss, hinausgehen (Nr. 4). Ebenso zu informieren ist über Betrag, Zahl und Fälligkeit der auf die Vergütung zu entrichtenden Teilzahlungen und sonstige Pflichten des Teilnehmers (Nr. 5). Abschließend muss die Urkunde eine drucktechnisch deutlich gestaltete Belehrung über das Recht des Teilnehmers zum Widerruf des Fernunterrichtsvertrages nach § 4 FernUSG enthalten. Dabei sind die Bedingungen und Einzelheiten sowie Name und An-
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schrift des Widerrufsempfängers aufzuführen (Nr. 6). Gleiches gilt für die Aufnahme der Mindestlaufzeit des Vertrages und der Kündigungsbedingungen in die Vertragsurkunde (Nr. 7). Bloße Soll-Inhalte der Urkunde legt § 3 III FernUSG fest. Danach soll der Urkunde auch entnehmbar sein, wie der Lehrgang gegliedert ist. I.Ü. soll sie Angaben über Ort, Dauer und Häufigkeit des begleitenden Unterrichts in sich aufnehmen (Nr. 1). Wiederzugeben als Soll-Inhalt sind auch die zusätzlich erforderlichen und nicht nur geringwertigen Arbeitsmittel (Nr. 2), Vorbildungs- sowie Zulassungsvoraussetzungen für eine öffentlich-rechtliche oder sonstige Prüfung, wenn der Fernlehrgang zur Vorbereitung auf eine solche Prüfung vorgesehen ist (Nr. 3). Zum Soll-Inhalt gehören abschließend auch die vom Veranstalter zu gebende Information über die gesetzlichen Gerichtsstandsregeln (Nr. 4) sowie ein nachprüfbarer Hinweis auf die Zulassung des Kurses als Fernlehrkurs (Nr. 5). Aus Gründen der Transparenz und der Beweissicherung hat der Gesetzgeber den Veranstalter überdies verpflichtet, dem Teilnehmer eine deutlich lesbare Abschrift der Urkunde auszuhändigen, § 3 IV 1 FernUSG. Dabei ist die in ihr enthaltene Belehrung über das Widerrufsrecht vom Teilnehmer gesondert zu unterschreiben, § 3 IV 2 FernUSG. (5.) Widerrufsrecht des Teilnehmers Ganz in der Tradition bereits verabschiedeter anderer Verbraucherschutzgesetze liegen im weiteren die gegen den Grundsatz der Vertragsbindung gerichteten Regelungen über erleichterte Möglichkeiten des Kunden, sich aus geschlossenen Verträgen auf einfache Weise und möglichst schadlos zu lösen. Bedeutsam ist hier insbesondere das in § 4 FernUSG geregelte Widerrufsrecht. Nach der Widerrufsregelung des FernUSG ist der Teilnehmer an seine Vertragserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie dem Veranstalter gegenüber binnen zweier Wochen nach dem vom Veranstalter ggf. zu beweisenden Eingang der ersten Lieferung widerruft.1785 § 4 I FernUSG verweist für die sonstigen Widerrufsmodalitäten auf §§ 355, 357 BGB, wobei für finanzierte Fernunterrichtsverträge § 358 BGB entsprechend gilt. Wird der Fernunterricht gegen Teilzahlungen im Sinne von §§ 506, 507 BGB erbracht, so beginnt der Lauf der Widerrufsfrist erst, wenn dem Teilnehmer eine Abschrift des Vertrages ausgehändigt wird, die auch die nach § 507 II 1 BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6, 12–13 EGBGB genannten Angaben enthält. Dies betrifft insbesondere den Bar- und Teilzahlungspreis, den effektiven Jahreszins sowie den Betrag, die Zahl und die Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen, § 9 FernUSG. Abweichend von der Normalregelung des § 355 BGB bemisst sich das Erlöschen des Widerrufsrechts. In Abgrenzung zur Grundregel des § 355 IV 2 BGB geht es gemäß § 4 II FernUSG erst bei vollständiger beidseitiger Vertragserfül1785
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 209.
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lung unter, spätestens aber mit Ablauf des ersten Halbjahres nach Eingang der Lieferung.1786 Weiterhin zu beachten ist, dass das FernUSG nicht nur den Beginn und das Erlöschen der Widerrufsfrist abweichend von § 355 BGB festlegt, sondern auch die Rechtsfolgen des Widerrufs, die nunmehr weitgehend einheitlich in §§ 357 f. BGB geregelt sind, zum Schutz des Fernunterrichtsteilnehmers modifiziert. So ist insbesondere eine Ausnahme von der allgemeinen Haftung für die Wertminderung auf Grund bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme (§ 357 III 1 BGB) vorgesehen. Gemäß § 4 III FernUSG ist der Teilnehmer (abweichend von §§ 357 I 1, III 1, 346 II 1 Nr. 3, 1. HS. BGB) nicht verpflichtet, den Wert der Gebrauchsüberlassung, der Benutzung der Sachen oder der Erteilung des Unterrichts bis zum Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufsrechts zu vergüten. Durch die Sonderregelung im FernUSG wird der Verbraucher als Fernunterrichtsteilnehmer mithin nicht vor das Problem gestellt (vgl. § 357 III BGB), inwieweit noch eine kostenfreie „Prüfung der Ware“ (S. 2) oder bereits eine kostenpflichtige „Ingebrauchnahme“ (S. 1) vorliegt.1787 Letztere verpflichtet nämlich entgegen § 346 II 1 Nr. 3, 2. HS. BGB grundsätzlich zum Ersatz der entstandenen Wertminderung mit der Folge, dass dadurch ein Widerrufsrecht bereits faktisch ausgeschlossen werden kann, was verbraucherpolitisch höchst bedenkenswert ist.1788 (6.) Vertragskündigung Neben der Möglichkeit des Widerrufs hat der Kunde nach dem FernUSG auch das Recht, den Vertrag ohne Angabe von Gründen mit einer 6–Wochen-Frist zum Ablauf des ersten Halbjahres und danach jederzeit mit einer 3–Monats-Frist zu kündigen, wobei das Recht zur außerordentlichen Kündigung (vgl. §§ 626, 628 BGB) hiervon unberührt bleibt, § 5 I FernUSG. Die Vertragskündigungsmöglichkeit wird insbesondere bedeutsam, wenn das Widerrufsrecht nicht mehr besteht. § 5 FernUSG hat für den Teilnehmer den Vorteil, dass ein nicht abdingbares ordentliches Kündigungsrecht mit einer zunächst kurzen Fristregelung (6 Wochen) statuiert wurde. Sollte im Annex zum Vertrag, von dem man sich durch die Kündigung lösen will, Material geordert worden sein, welches nicht zum Lernmaterial i.e.S. zählt (dieses wird bereits in den Verbraucherwiderruf oder die Kündigung bzgl. des Fernunterrichtsvertrages einbezogen), kann der Teilnehmer auch diesbezüglich innerhalb von zwei Wochen nach Wirksamwerden der Kündigung des Fern1786
Vgl. auch die amtliche Begründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 284. Fischer, VuR 2002, 193, 196. 1788 Siehe dazu kritisch Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 215, 219; Rott, VuR 2001, 78, 80 ff.; Artz, VuR 2001, 391, 393 f.; Fischer, DB 2002, 253, 256 f. Zu den allgemeinen verbraucherpolitischen Bedenken im Zusammenhang mit § 357 III BGB vgl. auch meine Ausführungen zur Ausübung des Widerrufsrechts und dessen Rechtsfolgen im 2. Teil, 1. Kapitel, B II 5 a aa. 1787
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
unterrichtsvertrages durch entsprechende Erklärung gegenüber dem Veranstalter „zurücktreten“, sofern die Lieferung für ihn infolge der Kündigung des Fernunterrichtsvertrags kein Interesse mehr hat (§ 6 I FernUSG). Auf das Rücktrittsrecht wegen des Materials finden i.Ü. die §§ 346 ff. BGB Anwendung, vgl. dazu § 5 III FernUSG. (7.) Umgehungsverbot, Ausschluss abweichender Vereinbarungen § 8 FernUSG bestimmt zum Schutz des Teilnehmers abschließend, dass die §§ 2–7 FernUSG auch auf Verträge Anwendung finden, die darauf abzielen, die Zwecke des Fernunterrichtsvertrages in einer anderen Rechtsform zu erreichen. Von den §§ 2–9 FernUSG kann überdies nach § 10 FernUSG nicht zum Nachteil des Teilnehmers abgewichen werden. Damit werden sämtliche verbraucherschützende Regelungen dispositionsfest und umgehungsresistent. e. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Auf der Ebene der Rechtsschutz- und Sanktionsmöglichkeiten ist das Besondere der Materie darin zu sehen, dass das FernUSG durch eine wohlgeratene Mischung an bürgerlich-rechtlichen und öffentlich-rechtlichen Instrumenten besticht, die es in diesem Zusammenspiel in kaum einem anderen Verbrauchervertragsbereich gibt. aa. Bürgerlich-rechtliche Sanktionsmöglichkeiten Bedeutsam für den Teilnehmer ist zunächst das bereits erwähnte Schriftformerfordernis in Bezug auf die Vertragserklärung des Teilnehmers. Explizite Sanktionen zeigt das FernUSG insofern zwar nicht an. Es ist jedoch unbestritten, dass bei Nichtbeachtung der Formvorschrift die Vertragsnichtigkeit nach § 125 BGB droht. Problematisch ist allerdings, dass die von § 3 II FernUSG als Muss-Angaben vorgeschriebenen Vertragspunkte nicht explizit vom Gesetzgeber hinsichtlich der Fehlerfolge behandelt wurden. Man könnte in diesem Zusammenhang zunächst an eine differenzierte Behandlung etwa im Sinne einer modifizierenden Vertragsheilung (parallel zum Verbraucherkredit, vgl. § 494 I–VI BGB) denken; allein es fehlt der durch den Gesetzgeber vorgesehene Maßstab einer solchen geltungserhaltenden Reduktion. Weiter andenkbar wäre ein an die Bedeutung der einzelnen Informationen angelehntes differenziertes Fehlerfolgensystem von Vertragsnichtigkeit und Schadensersatz (gerichtet auf Vertragsaufhebung oder -anpassung). Dies widerspricht jedoch der herrschenden Vorstellung und ist im FernUSG selbst nicht ausgewiesen. Dieser Umstand, zusammen mit einzuräumenden praktischen Schwierigkeiten bei der anzustellenden Differenzierung, dürfte wohl der maßgebliche Grund dafür sein, dass in der Literatur und Rechtsprechung relative Einmütigkeit darüber besteht, dass beim Fehlen der Muss-Angaben nach § 3 II FernUSG eine „Unwirksamkeit eigener Art“ (analog § 125 BGB) anzuneh-
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men ist,1789 die sich auf die Unvollkommenheit bzw. Unbestimmtheit des Vertrages bezieht.1790 Damit wird die vor Inkrafttreten des FernUSG vorherrschende Rechtsprechung festgeschrieben, die bei Ungenauigkeit, Unvollkommenheit, Unbestimmtheit oder Unbestimmbarkeit der inhaltlichen Vertragsangaben unter Hinweis auf §§ 154, 155, 241, 242, 305, 315 oder § 316 BGB den Vertrag für nicht zustande gekommen bzw. nichtig erklärt hatte.1791 Typisch für verbraucherschützende Materien ist überdies die Vertragslösungsmöglichkeit über die Einräumung des Widerrufsrechts, das in § 4 FernUSG hinsichtlich des Fristbeginns und der Abweichung vom üblichen Rückabwicklungsmechanismus in § 346 I BGB im FernUSG besonders verbraucherfreundlich ausgestaltet wurde und damit einer alten verbraucherschützenden Forderung Rechnung trägt, den § 357 III BGB einzuschränken, wenn nicht gar abzuschaffen.1792 Verbraucherfreundlich ist aber auch die ausdrückliche Statuierung des ordentlichen Kündigungsrechts in § 5 FernUSG, wobei der Gesetzgeber „schutzflankierend“ nach §§ 8, 10 FernUSG vorgesehen hat, dass von all diesen Regelungen nicht zu Lasten des Teilnehmers abgewichen werden darf und dabei auf typische und bewährte Sicherungsmechanismen zurückgriff.1793 bb. Öffentlich-rechtliche Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten Die wohl einschneidendste verbraucherschützende Maßnahme1794 wird über § 12 FernUSG realisiert. Hier hat der Gesetzgeber unter Einschränkung der Grundrechte des Veranstalters auf freie unternehmerische, wirtschaftliche und/oder gewerbliche Entfaltung (Art. 2 I GG) sowie auf freie Berufsausübung (Art. 12 GG) nunmehr sämtliche entgeltliche Fernlehrgänge mit Ausnahme von Freizeit- und Hobbykursen vor ihrem Vertrieb einer obligatorischen staatlichen Kontrolle und Zulassung durch die hierfür eingerichteten Stellen (§ 19 FernUSG) unterzogen und mit der Möglichkeit versehen, Fernlehrgängen die Zulassung insbesondere dann zu versagen, wenn sich die Lehrgangsziele als unrealistisch erweisen, Inhalt und Zielsetzung des Lehrgangs der öffentlichen Sicherheit und Ordnung widersprechen, eine umfassende Vorabinformation des Teilnehmers nicht gewährleistet ist bzw. die Vertragsbindungen nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, § 12 II FernUSG.
1789
Dörner, BB 1977, 1739. Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 342. 1791 OLG Celle MDR 1970, 841; LG Stuttgart Die Justiz 1970, 158; OLG Celle NdsRpfl 1970, 13; AG Stuttgart-Bad Cannstatt MDR 1979, 669; AG Heilbronn MDR 1976, 400. 1792 Vgl. dazu meine Ausführungen im Zusammenhang mit der allgemeinen Darstellung zur Durchführung des Verbraucherwiderrufs im 2. Teil, 1. Kapitel, B II. 1793 Zum eingeschränkten Dispositionsspielraum und dem Umgehungsverbot als typisches Mittel des Verbraucherschutzes siehe die Darstellung im 2. Teil, 1. Kapitel, B III 1. 1794 Fischer, VuR 2002, 193; Gilles, JA 1980, 1, 3. 1790
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Berufsbildende Lehrgänge müssen, um zugelassen zu werden, zudem mit den Zielen des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) oder anderer Berufsbildungsvorschriften im Einklang stehen, § 13 FernUSG. Diese Regelung ist höchst bemerkenswert,1795 weil in diesem Punkt eine öffentlich-rechtliche Präventivkontrolle mit einer privatrechtlichen Sanktionsfolge (Unwirksamkeit des Vertrages) kumuliert, § 7 I FernUSG (i.V.m. § 134 BGB).1796 Vor dem Hintergrund der üblichen strikten Trennung der Normbereiche des öffentlichen und des privaten Rechts ist dies jedenfalls hervorzuheben.1797 Besondere Beachtung verdient darüber hinaus die Tatsache, dass der Gesetzgeber in Reaktion auf branchentypische und krasse Missstände in das FernUSG zudem Regelungen über die Werbung und den Vertretereinsatz, also wettbewerbsrechtliche Vorschriften, aufgenommen hat. So verlangt das FernUSG unter anderem, dass der Veranstalter bei der geschäftlichen Werbung den Teilnehmern durch die Übermittlung von Informationsmaterial einen vollständigen Überblick über die Vertragsbedingungen und die an den Lehrgangsteilnehmer gestellten Anforderungen gibt, § 16 I FernUSG. Ferner erlaubt es dem Veranstalter oder seinem Beauftragten Hausbesuche zu Werbe- und Beratungszwecken nur dann, wenn der Kunde vorher das vorgeschriebene Informationsmaterial erhalten und danach schriftlich um eine Beratung gebeten hat, § 17 I FernUSG. Schließlich hat der Gesetzgeber über § 17 II FernUSG ausdrücklich jede Mitwirkung des Veranstalters oder seiner Mitarbeiter bei der Abgabe oder Übermittlung der Vertragserklärung verboten, § 17 II FernUSG. Alles in allem sind die Maßnahmen als effizient zu bewerten. Denn seit der Einführung des FernUSG hat der verbraucherschädigende Missbrauch in diesem Vertragssegment spürbar abgenommen.1798 2. Der Wertpapier-Anlageberatungsvertrag Ein wichtiger Dienstleistungsvertrag, der durch europäische Vorgaben breitflächig1799 „mitgestaltet“ wurde, ist der Anlageberatungsvertrag. Dieser soll im folgenden Abschnitt die Darstellung des Verbraucherdienstleistungsrechtes weiter „auffüllen“. Die Bedeutung des Anlageberatungsvertrages ist in letzter Zeit – nicht nur im Hinblick auf die jüngsten Verwerfungen an den Finanzmärkten – stark gestiegen. Auf den Kapitalmärkten betätigen sich heute neben den Banken eine Vielzahl anderer Gewerbetreibender, aber auch private Anleger. Das Spek1795 Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes – am Beispiel des Fernunterrichtsschutzgesetzes (1983), S. 76. 1796 Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 32. 1797 Westphal, Zivilrechtliche Vertragsnichtigkeit wegen Verstößen gegen gewerberechtliche Verbotsgesetze (1985), S. 15. 1798 Gilles/Heinbuch/Gounalakis, Handbuch des Unterrichtsrechts (1988), S. 21 ff. 1799 Vgl. dazu Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71 ff.
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trum reicht von speziellen Anlegevermittlern und -beratern bis hin zu unterschiedlichen Kapitalanlagegesellschaftern und Privatpersonen, die etwa Altersvorsorge betreiben wollen. Die gewerblichen Vermittler und Berater bieten dem Publikum regelmäßig ein breites Band von Anlageformen im In- und Ausland an, deren Vor- und Nachteile sachgerecht zu beurteilen mittlerweile nur noch wenige Anleger selbst in der Lage sein dürften.1800 Daher rührt die besondere Schutzbedürftigkeit der privaten Kapitalanleger, auf die inzwischen auch der Gesetzgeber wiederholt reagiert hat. Neben verschiedenen Spezialgesetzen, wie dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), ist hier vor allem auf den Straftatbestand des Kapitalanlagebetrugs (§ 264a StGB) hinzuweisen, der als Schutzgesetz i.S.v. § 823 II BGB anerkannt ist.1801 Gesetzliche Ansprüche geschädigter Anleger können sich außerdem aus dem BörsG von 20021802 sowie aus § 826 BGB1803 ergeben.1804 Das Vertragsverhältnis zwischen Anleger und Anlagevermittler und -berater wird mittlerweile durch eine Reihe von Aufklärungs-, Informations- und ggf. auch Beratungspflichten bestimmt.1805 Durch die vom europäischen und deutschen Gesetzgeber, aber auch der Rechtsprechung, „geschaffenen“ Pflichten zur Aufklärung und Information etc. soll der Anleger zumindest in die Lage versetzt werden, die Tragweite und Risiken seiner Anlageentscheidung beurteilen zu können. Zwar werden die tatsächlichen (Volatilitäts-)Risiken durch Aufklärung und Information nicht geringer. Indem sie dem Anleger ins Bewusstsein gerufen werden, kann sich dieser jedoch mit der Frage auseinandersetzen, ob er sie akzeptieren will und sich leisten kann.1806 Hinzu treten die Interessenwahrungspflichten des Dienstleisters, deren Ziel es ist, die Gefahr opportunistischen Verhaltens zu begrenzen.1807 a. Allgemeines Beabsichtigt ein Privatanleger, Wertpapiere zu erwerben oder zu veräußern, wendet er sich üblicherweise an ein (Wertpapierdienstleistungs-)Unternehmen. Je nachdem, was der Kunde wünscht, wird dieses entweder nur als Anlagevermitt1800 MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 171; Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 75; siehe zu den tatsächlichen Gegebenheiten Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch (3. Aufl., 2007), § 110 Rn. 2. 1801 BGHZ 116, 7 ff.; 145, 187, 202; Avons, Anlegerschutz im Strafrecht (1987); Pleyer/ Hegel, ZIP 1987, 79 ff. 1802 BGBl. I, S. 2010. 1803 Dies gilt insbesondere für falsche Ad-hoc-Informationen des Vorstands einer AG. 1804 MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 171; Mülbert/Steup, WM 2005, 1633 ff.; Teichmann, JuS 2006, 953. 1805 Grundlegend: Vogel, Vom Anlegerschutz zum Verbraucherschutz (2005). 1806 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 76. 1807 Hofmann, ebenda.
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ler oder auch als Anlageberater tätig.1808 Während Anlagevermittler von den Anlagegesellschaften mit dem Vertrieb ihrer Produkte beauftragt sind, richtet sich die Tätigkeit des Anlageberaters auf eine von den Anlagegesellschaften unabhängige Information und Beratung. Sie soll dazu dienen, dem anlagesuchenden Publikum eine sachgerechte Auswahl unter den Finanzprodukten zu ermöglichen.1809 Hinsichtlich des Pflichtenkreises ist die Unterscheidung von Vermittler und Berater von besonderer Bedeutung.1810 Zwar hat auch der bloße Anlagevermittler richtig und vollständig über die für den Anlageentschluss wesentlichen tatsächlichen Umstände zu informieren.1811 Es entsteht, ggf. auch stillschweigend,1812 ein Auskunftsvertrag.1813 Der Anlagevermittler ist insofern zur ordnungsgemäßen Auskunft, d.h. zur Weitergabe der üblichen Informationen verpflichtet. Er ist jedoch nicht gehalten, die Umstände im Einzelnen selbst zu bewerten.1814 Dieser entscheidende Unterschied zum Anlageberater wird im Allgemeinen damit begründet, dass der Anlagevermittler erkennbar im Interesse des Anbieters handelt, von diesem bezahlt wird und deshalb der werbende und anpreisende Charakter der Tatsacheninformation in den Vordergrund tritt. Aus diesem Grund wird dem Anlagevermittler auch kein besonderes persönliches Vertrauen entgegengebracht.1815 Um den Unterschied zwischen Anlageberatung und Anlagevermittlung ausreichend deutlich zu machen, hat der Anlagevermittler den Anleger jedoch darüber aufzuklären, dass er ihm die Risikoabschätzung der Kapitalanlage nicht abnimmt, sondern seine Aufgabe darin besteht, dem Anleger die Informationen zur Verfügung zu stellen, die ihn in die Lage versetzen, die Risikoeinschätzung selbst oder durch Dritte (z.B. durch versierte Anlageberater, Steuerberater, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer) vornehmen zu lassen. 1808 Zur Unterscheidung vgl. Palandt/Heinrichs (68. Aufl., 2009), § 280 Rn. 47 f.; Emmerich, JuS 2004, 722 f. 1809 MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 172; Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), 71, 78, 79; Schwark, in: Schwark (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar (3. Aufl., 2004), § 31 WpHG Rn. 39; Schwintowski/ Nicodem, VuR 2004, 314 ff.; Steuer, FS Schimansky (1999), S. 793, 802; Lang, AcP 201 (2001), 451, 547 ff.; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 172. 1810 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 82. 1811 BGHZ 74, 103 ff.; BGH NJW 1982, 1095; 1983, 1730; 2004, 1868; PWW/SchmidtKessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 61; Benedict, ZIP 2005, 2129, 2130. 1812 Kritisch zu dieser Konstruktion der eigenen Vertragshaftung des Vermittlers schon Lammel, AcP 179 (1979), 337, 341 f. 1813 BGHZ 74, 103, 106; BGH ZIP 1982,169; NJW 1990, 2461, 2463; NJW-RR 2003, 1690; 2005, 1120; 2007, 348; ZIP 2007, 1160; PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 61; kritisch dazu Benedict, ZIP 2005, 2129, 2131. 1814 MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 155. 1815 BGH NJW-RR 2007, 621; PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 61.
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Gegenstand der Anlageberatung ist hingegen neben der Information über Tatsachen, die eigene fachkundige Bewertung und Beurteilung der angebotenen Anlage durch den „Berater“, regelmäßig auch unter besonderer Beachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Anlegers.1816 Man geht allgemein davon aus, dass ein Berater deshalb zu Rate gezogen wird, weil der Anleger selbst weder über genügend wirtschaftliche Kenntnisse verfügt noch einen ausreichenden Überblick über die wirtschaftlichen Zusammenhänge hat. Vom Anlageberater wird folglich eine fachkundige und objektive Beratung verlangt. Der Anlageberater handelt überwiegend im Auftrag des Anlegers und nimmt regelmäßig besonderes persönliches Vertrauen des Anlegers in Anspruch. Die z.T. feinsinnigen juristischen Unterscheidungskriterien zwischen Anlageberatung und Anlagevermittlung werden in der Praxis, also beim Verkaufsgespräch mit dem Anleger, kaum durchgehend beachtet. Dies führt dazu, dass Anlagevermittler durch ihr Auftreten1817 beim Anleger oftmals eine Erwartungshaltung (gerade im Hinblick auf Sachkunde) begründen, die sie nicht erfüllen können oder wollen. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit des Kundenschutzes hat dies zur Folge, dass „Scheinberater“ haftungsrechtlich wie echte Anlageberater behandelt werden. Sie müssen sich mithin an dem von ihnen erweckten Eindruck festhalten lassen. Insofern hat die Rechtsprechung den Anlagevermittler als Anlageberater dann behandelt, wenn er sich z.B. als „branchenerfahrenes Finanz- und Wirtschaftsbetreuungsunternehmen“,1818 als „internationale Anlageberatung und Vermögensplanung“,1819 als Vertriebsbeauftragter bzw. als Vermögensanlageberatungsunternehmen,1820 als „erfahrene und erfolgreiche Vertriebsfirma für steuerbegünstigte Kapitalanlagen“1821 oder auch nur als „erfahrener und seriöser Partner“1822 bezeichnet hat und unter dieser Bezeichnung auf Briefbögen, Visitenkarten, Werbematerial usw. aufgetreten ist und damit den Umfang seiner Tätigkeit nach außen sichtbar nicht nur auf Information und Anpreisung für ein bestimmtes Produkt begrenzt. Im Zusammenhang mit der Anlagevermittlung und Anlageberatung werden die Sorgfaltspflichtanforderungen bei Wertpapierdienstleistungen (WpDL) in Deutschland mittlerweile durch das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) umfangreich reglementiert.1823 Viele Vorschriften des WpHG sind zwar in ers1816
Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), § 31 WpHG Rn. 45; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 155. 1817 Die Rechtsprechung stellt für die Abgrenzung Anlageberater/Anlagevermittlung auf den Empfängerhorizont ab!; Koller, a.a.O. 1818 OLG Koblenz v. 20.6.1986, NJW-RR 1986, 1290. 1819 BGH WM 1978, 611. 1820 BGH WM 1988, 1685. 1821 BGH DB 1979, 1219. 1822 BGH NJW 1979, 1449, 1451, zum Ganzen ausf. Koller, a.a.O. 1823 Grundlegend jüngst Schwintowski, FS Hopt (2010), Bd. II, S. 2507 ff.
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ter Linie aufsichtsrechtlicher Natur, daneben haben sie aber auch eine anlegerschützende Funktion,1824 sodass sie durchaus zur weiteren Konkretisierung der vertraglichen und vorvertraglichen Pflichten der Banken und der sonstigen Wertpapierdienstleistungsunternehmen herangezogen werden können.1825 Die gesetzlichen Vorgaben traten allerdings erst 1995 auf den Plan. Davor musste die Rechtsprechung bereits eine Vielzahl von Fällen „zur fehlgeleiteten Kapitalanlage“, in denen Geschädigte Schadensersatz forderten, entscheiden. Insofern nahm die Judikatur auch hier eine Vorreiterrolle ein, die schon aus anderen (verbraucherschützenden) Bereichen, in denen es um die Materialisierung der Vertragsbeziehung in Vorwegnahme einer gesetzlichen Regelung ging, bekannt ist. b. Entstehungsgeschichte Im Grunde ergab sich bereits aus der Rechtsprechung des BGH in Bezug auf erste sich abzeichnende Problemfälle, dass auch bei der Anlagevermittlung, vielmehr aber noch bei der Anlageberatung Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestimmte Standards einzuhalten haben. Die Rechtsprechung leitete dieses Postulat in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Regelung für den Anlagevermittlungs- bzw. -beratungsvertrag aus einer entsprechenden Auslegung des jeweiligen Vertrages ab und zog hierfür geäußerte Wünsche, den vertraglichen Zweck, die erkennbare Erwartungshaltung und den Empfängerhorizont heran. Ein Beratungsvertrag kommt nach bisheriger Rechtsprechung zustande, wenn der Kunde mit der (ggf. konkludent geäußerten) Bitte um Beratung über eine Anlagemöglichkeit an die Bank/das Wertpapierdienstleistungsunternehmen herantritt und die Bank dieser Bitte nachkommt.1826 Ebenso zu beurteilen ist die Rechtslage, wenn sich ein Kunde später, z.B. wegen einer bedrohlichen Kursentwicklung an die Bank bzw. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit der Bitte um Rat wendet und das Unternehmen diesem Wunsch entspricht.1827 Bei einer schuldhaften Verletzung von vertraglichen Pflichten, wobei der Pflichtenkreis von Vermittler und Berater nach dem Vorgesagten auseinander fällt, 1824
BGH WM 2007, 487, 489; Veil, ZBB 2006, 162, 171; Weichert/Wenninger, WM 2007, 627, 635; Mülbert, WM 2007, 1149, 1157; Rott, VuR 2008, 281, 284; Koller, in: Assmann/ Schneider (Hrsg.), WpHG (4. Aufl., 2006), Vor § 31 Rn. 17 f.; Reich, WM 1997, 1601 ff.; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 160. 1825 Grundlegend dazu BGHZ 142, 345, 355 f.; 147, 343, 348; Lang, AcP 201 (2001), 451, 520 ff, 529; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 153; Einsele, JZ 2008, 477, 482; a.A. Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung (2006), S. 460, nach dem das Wertpapierdienstleistungsunternehmen der BaFin verpflichtet sein soll. Richtigerweise ist die BaFin aber lediglich die Behörde, die die Einhaltung der Verpflichtungen gemäß § 35 WpHG überwacht. 1826 BGHZ 100, 117, 118; 123, 126, 128 (Bond I); BGH NJW 1996, 1744; BGH NJW 1997, 1361; BGH NJW-RR 2000, 1497 (Bond II); BGH NJW 2002, 1868; 2006, 2041. 1827 BGH NJW 2006, 2041; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 154.
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konnte es neben ggf. eingreifenden deliktischen Ansprüchen (§§ 823 II, 826 BGB) daher auch zu Schadensersatzansprüchen aus Vertragspflichtverletzung (§ 280 I BGB) kommen.1828 Der vorvertragliche Bereich wurde – und wird – durch eine Schadensersatzpflicht über das Rechtsinstitut der cic (§§ 241 II, 311 II BGB) abgedeckt.1829 aa. Erster Impuls: Die Bond-Rechtsprechung des BGH Richtungweisend war insbesondere die so genannte Bond-Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 1993.1830 Der BGH stellte hier an die Beratungspflichten von Banken, Bausparkassen, Finanzmaklern und Versicherungen erstmals strenge Anforderungen. Hintergrund dieser Rechtsprechung war, dass ab Mitte 1991 eine riesige Prozesswelle auf die deutsche Kreditwirtschaft wegen des Vertriebs von DM-Auslandsanleihen der australischen Firmengruppe „Bond Finance Ltd.“ zurollte. In einer Reihe von Urteilen mussten die Gerichte entscheiden, ob Kreditinstitute bei der Beratung ihrer Kunden zum Kauf von Bond-Anleihen ihre Aufklärungspflicht verletzt hatten oder nicht. Der BGH fällte im Zusammenhang mit dem Thema „Bond“ am 6.7.19931831 ein Grundsatzurteil, das neue Maßstäbe für die Anlageberatung und Anlagevermittlung steckte. Mit ihren Ausführungen und Erklärungen zu einer „anlegergerechten Beratung“ und einer „anlagegerechten Beratung“ schufen die Bundesrichter die lang erwartete Rechtssicherheit und damit eine stabile Basis für andere (ähnliche) Verfahren.1832 Nicht zuletzt wurden die Erkenntnisse aus der Bond-Entscheidung in das am 1.1.1995 in Kraft gesetzte Wertpapierhandelsgesetz eingeflochten. (1.) Sachverhalt1833 Das Urteil im Bond-Fall beruht auf folgendem Sachverhalt: Die Kläger begehrten von der beklagten Volksbank Schadensersatz wegen Verletzung der Beratungspflicht beim Kauf von DM-Auslandsanleihen. Die Kläger haben seit über 20 Jahren bei der Beklagten ihre Ersparnisse von zuletzt 55.000,- DM in sicheren Anlageformen (Festgeld, Sparguthaben, Bundesschatzbriefe) angelegt. Nachdem ein Bonussparvertrag über 20.000,- DM fällig geworden war, kam es im März 1989 zu einem Beratungsgespräch über die Neuanlage dieses Betrages.
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Zu der weitergehenden Frage der Kontrolle missbräuchlicher Klauseln bei Verträgen über Finanzprodukte vgl. Henkel, Inhaltskontrolle von Finanzprodukten nach der Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (2004). 1829 Arendts, Die Haftung für fehlerhafte Anlageberatung (1998), S. 12 ff.; MüKo/Emmerich (5. Aufl., 2007), § 311 Rn. 153. 1830 BGHZ 123, 126, 128. 1831 BGH, v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, WM 1993, 1455, 1456. 1832 PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 60 f. 1833 Sachverhalt zusammengefasst wiedergegeben bei Koller, a.a.O.
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Dabei legte der Anlageberater der Beklagten den Klägern eine Liste von Angeboten aus deren Anlageprogramm vor, in der die DM-Anleihe der Australischen Bond-Finance Ltd. aus dem Jahr 1988 aufgeführt war. Die Beklagte hatte sich vor Aufnahme dieser Anlageempfehlung darüber unterrichtet, dass kurz zuvor auf Grund eines Prospekts mit dem darin enthaltenen Testat eines Wirtschaftsprüfers die Anleihe an der Frankfurter Börse zum amtlichen Handel zugelassen wurden. Die Beklagte hatte sich den Börsenzulassungsprospekt beschafft. Die Kläger kauften bei der Beklagten diese Anleihen im Nennwert von 20.000,- DM am 16.3.1989. Die Rating Agentur Australian Ratings Agency hatte die Anleihe bereits im Juni 1988 mit „BB“, also als spekulativ mit unterdurchschnittlicher Deckung, und im Dezember 1988 mit „B“, mithin als hochspekulativ mit geringer Kapitalabsicherung, eingestuft. Nach der erfolgten Börsenzulassung Anfang März 1989 wurde die Anleihe nur noch mit „CCC“ bewertet, womit auf die Gefahr einer Insolvenz des Emittenten hingewiesen worden war. Die Anleihe war praktisch wertlos geworden. Der Behauptung der Kläger, der Anlageberater der Beklagten habe auf ihre Rückfragen ein Risiko in Bezug auf diese Anleihe verneint, ist die Beklagte mit dem Hinweis entgegengetreten, dass dieser nicht jedes Risiko, sondern nur das Kursrisiko ausgeschlossen habe und ihr i.Ü. das Rating der Anleihe nicht bekannt gewesen sei. (2.) Die Entscheidung des Gerichts Die beklagte Bank und die Kläger haben einen konkludenten Beratungsvertrag geschlossen. Der konkrete Bankangestellte fungierte beim Vertragsschluss als Stellvertreter und i.Ü. als Erfüllungsgehilfe der Bank (hier der Beklagten) nach § 278 BGB. Das Gericht stellte fest: Die sich aus dem Beratungsvertrag ergebenden Pflichten hat die beklagte Bank durch den eingeschalteten Angestellten in einer zum Schadensersatz verpflichtenden Weise schuldhaft verletzt. Inhalt und Umfang der Beratungspflicht sind nämlich von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden (anlegergerechte Beratung) und andererseits auf das Anlageobjekt (anlagegerechte Beratung) beziehen. Zu den Umständen in der Person des Kunden gehören insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft. Zu berücksichtigen ist also vor allem, ob es sich bei dem Kunden um einen erfahrenen Anleger mit einschlägigem Fachwissen handelt und welches Anlageziel er verfolgt. Die Kenntnis von solchen Umständen kann die Bank aus langjährigen Geschäftsbeziehungen mit dem Kunden gewonnen haben. Verfügt sie nicht über entsprechendes Wissen, muss sie Informationsstand und Anlageziel des Kunden erfragen. Die Beratung hat sich sodann danach auszurichten, ob das beabsichtigte Anlagegeschäft der sicheren Geldanlage dienen soll oder spekulativen Charakter hat. Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung dieses Ziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten, d.h. „anlegergerecht“ sein. (In der Praxis wird zur Erfassung der Risikobereitschaft
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des Kunden mittlerweile ein so genannter „Risikoerfassungsbogen“ eingesetzt, der typischerweise verschiedene Anlegerprofile ausweist: konservativ, wachstums- und gewinnorientiert oder spekulativ.)1834 In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsenmarktes etc.) und speziellen Risiken zu unterscheiden, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageobjekts (Kurs, Zins- und Währungsrisiko) ergeben. Für den Umfang der Beratung ist hier insbesondere von Bedeutung, ob die beratende Bank das Anlageobjekt aus einem von ihr zusammengestellten Anlageprogramm entnommen hat und dies zur Grundlage ihrer Beratung macht.1835 Nimmt sie ausländische Wertpapiere in ihr Programm auf, hat sie sich auch anhand ausländischer Quellen – über die Güte dieses Papiers – zu informieren und sie einer eigenen Prüfung zu unterziehen. Der Anlageinteressent darf davon ausgehen, dass seine ihn beratende Bank, der er sich auf Grund der von dieser in Anspruch genommenen Sachkunde anvertraut hat, die von ihr in das Anlageprogramm aufgenommenen Wertpapiere selbst als „gut“ befunden hat. Die Beratung der Bank muss insofern richtig und sorgfältig sowie für den Kunden verständlich und vollständig sein; die Bank muss zeitnah über alle Umstände unterrichten, die für das Anlagegeschäft von Bedeutung sind. Fehlen ihr derartige Kenntnisse, so hat sie dem Kunden mitzuteilen und offenzulegen, dass sie zu einer Beratung z.B. über das konkrete Risiko eines Geschäfts mangels eigener Information nicht in der Lage ist.1836 Dass Effekten zum amtlichen Handel an der Börse zugelassen sind, hat auf diese Pflichten keinen Einfluss. Die Bank kann sich vor allem nicht damit begnügen, allein die Börsenzulassung und den Zulassungsprospekt zum Maßstab für ihre Beratung zu machen. Denn die Börsenzulassung erstreckt sich nach § 32 II BörsG nur auf den Inhalt und die formale Vollständigkeit der Börsenzulassungsunterlagen. Die im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorgenommene Prüfung ist keine Bonitätsprüfung.1837 Eine Bank, die für ihre Anlageempfehlung das Vertrauen ihres Kunden in Anspruch nimmt und sich in Bezug auf eine konkrete Anlageentscheidung als kompetent geriert, muss sich selbst aktuelle Informationen über das Anlageobjekt verschaffen. Dazu gehört bei privaten Anleihen die eigene Unterrichtung über die für die Beurteilung des Risikos wesentliche Bonität des Emittenten, und zwar unter Auswertung der dazu vorhandenen Veröffentlichungen in der Wirtschafts1834 1835 1836 1837
Vgl. dazu Schwintowski, FS Hopt (2010), Bd. II, S. 2507, 2509. Vgl. dazu Koller, a.a.O. So zuvor schon Arendts, WM 1993, 229, 234. Harter/Franke, Wertpapiere in Theorie und Praxis (1988), S. 61; Koller, a.a.O.
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presse. Ihre aus dem Beratungsvertrag folgende Pflicht zur richtigen und vollständigen Anlageberatung hat die beklagte Bank in mehrfacher Hinsicht nach dem BGH in der Bond-Entscheidung verletzt. Die Antwort des Anlageberaters der Beklagten auf die Frage nach dem Risiko der Anleihe, dass ein Kursrisiko nicht bestehe, war – so der BGH – irreführend. Das Risiko der vorgeschlagenen Anlage bestand – wie auch sonst bei Industrieanleihen – in der möglichen Insolvenz des Emittenten. Eine solche Insolvenz hätte und hatte nicht nur den Ausfall von Zinszahlungen, sondern auch den Verfall des Verkehrswertes der Anlage zur Folge. Die Empfehlung, die Bond-Anleihe zu kaufen, war nicht „anlegergerecht“. Aus der langjährigen Geschäftsbeziehung war der beklagten Bank bekannt, dass die Kläger ihre Ersparnisse ausschließlich in sicheren Anlageformen wie Sparkonten, Bundesschatzbriefen etc. anlegten und bislang jedes Verlustrisiko vermieden hatten. Sie waren für die beklagte Bank erkennbar ohne Erfahrung im Geschäft mit Industrieanleihen und sonstigen Effekten.1838 In Kenntnis dieser Umstände war die ohne eingehende Ermittlungen über die Bonität der ausländischen Industrieanleihen gegebene Empfehlung, diese Anleihe unter Einsatz eines wesentlichen Teiles der Ersparnisse zu kaufen, ein Missgriff. Der Anlageberater der beklagten Bank hatte eine sachgemäße Aufklärung unterlassen und nicht darauf hingewiesen, dass ihm mangels eigener Information die Kompetenz zur Empfehlung der Bond-Anleihe fehlte. Der Anlageberater hat die Kläger auch nicht über kritische Stimmen in der Wirtschaftspresse unterrichtet, wobei es keinen Unterschied macht, ob ihm diese Stimmen auf Grund von Organisationsmängeln bei der beklagten Bank unbekannt waren oder er sie nachlässig behandelte. Beginnend im Juni 1988 hatte die Börsen-Zeitung mit unterschiedlichen Bewertungen über die Einschätzung der Gewinnund Verlustchancen der Bond-Gruppe „Gigomanie auf Pump“ etc. hingewiesen. Einschlägige Fachzeitschriften folgten mit alarmierenden Hinweisen bzgl. der hohen Verschuldung.1839 Das Bond-Urteil des BGH ebnete mit diesen Vorgaben den Weg für sanktionsbewährte Beratungspflichten und Beratungskriterien. Eingang fand diese Judikatur gerade jüngst auch in der Rechtsprechung zu Lehman-Zertifikaten.1840
1838
Koller, a.a.O. Koller, a.a.O. 1840 Vgl. dazu die Urteile des hanseatischen OLG 13 U 117/09 und 13 U 118/09, wo allerdings die klägerfreundlichen Urteile aus der Vorgängerinstanz zugunsten der beklagten Haspa aufgehoben wurden. Insbesondere wurde hier herausgestellt, dass das Totalverlust-Risiko den Klägern bekannt war und ein zusätzlicher Hinweis auf das Nichtbestehen eines Einlagensicherungssysthems und den Erhalt einer Vermittlerprovision nicht erforderlich war. 1839
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bb. Zweiter Impuls: Die europäische Wertpapierdienstleistungsrichtlinie (WpDRL) Ein zweiter wesentlicher Impuls für die Herausbildung der Pflichten des Anlageberaters ging vom Erlass der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen1841 aus.1842 Diese stützte sich seinerzeit auf Art. 57 II EGV. Die Richtlinie diente mehreren Aspekten: dem Schutz der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs im Bereich der Wertpapierfirmen zur Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes und auch dem Anlegerschutz und der Stabilität der Finanzsysteme. Sie galt für Firmen, die im Rahmen ihrer üblichen Tätigkeit auf professioneller Basis Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbrachten. Zum Anlegerschutz ist darin ausgeführt, dass Wertpapierdienstleistungsunternehmen einer Zulassung bedürfen. Des Weiteren sah man vor, dass den unterschiedlichen Schutzbedürfnissen der einzelnen Gruppen von Anlegern und ihrer unterschiedlichen fachlichen Erfahrung durch entsprechende Aufklärung und Information Rechnung zu tragen ist. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgte durch das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), das noch im selben Jahr, d.h. 1993, erlassen wurde. Zwischenzeitlich wurde das WpHG mehrfach novelliert.1843 Allerdings waren auch nach den letzten Reformen noch viele Fragen offen geblieben und wurden sehr unterschiedlich beantwortet. Problematisch war etwa, unter welchen Voraussetzungen die Pflicht zur Einholung von Angaben über die Verhältnisse und die Anlageziele der Kunden sowie der Mitteilung von Informationen über die beabsichtigten Geschäfte eingeschränkt werden konnte oder ganz entfällt. Diese Frage stellte sich insbesondere für Direktbanken,1844 die ausschließlich Kundenaufträge ausführten (so genannte Executing-only-Business), aber etwa auch dann, wenn der Kunde deutlich machte, dass er keine Informationen wünscht.1845 cc. Letzter wesentlicher Impuls: Die Finanzmarktrichtlinie (MiFID) Die Informationspflichten im Wertpapierhandel wurden gerade auch vor dem Hintergrund dieser noch offen gebliebenen Fragen durch die neuen Vorgaben der Finanzmarktrichtlinie (MiFID)1846 neu geregelt, die quasi die „Nachfolgerin“ der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie darstellt.1847 Danach kreisen zwar nach wie vor die Wohlverhaltenspflichten des Wertpapierdienstleisters, der zu 1841
ABl.EG Nr. L 141/27 v. 11.6.1993. Koller, a.a.O. 1843 Vgl. dazu Fleischer, NJW 2002, 2977. 1844 BGH NJW 2000, 359; BGH ZIP 2003, 2295, 2296; 2004, 111; PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 62. 1845 Einsele, JZ 2008, 477; dies., Bank- und Kapitalmarktrecht – Nationale und Internationale Bankgeschäfte (2006), § 8 Rn. 38; vgl. auch BGH WM 1999, 2300, 2303 f. 1846 Richtlinie 2004/39/EG, ABl.EG 2004 Nr. L 145/1. 1847 Vgl. hierzu Grundmann, ERCL 2006, 482 ff. 1842
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einer Beratung hinzugezogen wurde, um die know your consumer/client rule,1848 die eine an den individuellen Anlagezielen des Kunden und seinem Profil orientierte Information und Beratung bezweckt. Auch ist es nach h.M.1849 bei der noch von der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie beschriebenen Dreiteilung der Wohlverhaltenspflichten des Finanzdienstleisters geblieben (der Pflicht zur Interessenwahrung, dem Gebot, Interessenkonflikte auszuräumen und der Pflicht zur Beratung und Aufklärung). Gegenüber ihrer Vorgängerin fokussiert die MiFID aber stärker auf eine Standardisierung der Kundeninformation. Zudem wird der Anlegerschutz durch sie auf die verschiedenen Anlegergruppen zugeschnitten.1850 Die neue Richtlinie unterscheidet nämlich nach Kleinanlegern, professionellen Kunden und so genannten „geeigneten Gegenparteien“.1851 In Gegenüberstellung zur (alten) Wertpapierdienstleistungsrichtlinie fällt auf, dass der Inhalt der Pflichten, die dem Ziel dienen, ein Kundenprofil erstellen zu können, und darauf aufbauend der Pflichten zur Beratung und Aufklärung, durch die Vorgaben der MiFID deutlich konkretisiert wurden, indem diese ein abgestuftes System von Informations- und Beratungspflichten enthält, die auf unterschiedliche Kunden und Wertpapierdienstleistungen zugeschnitten sind.1852 Dem Kunden steht es danach auch frei, auf Informationen bzw. Beratung ganz zu verzichten. Insbesondere für die früher umstrittene Situation des Direktbanking bzw. Discount-Broker hat sich damit geklärt, dass der Kunde, der diesen Weg wählt, keine Information und Beratung will, weil er mit einem bereits „vorgefertigten“ (festen) Wunsch an den Wertpapierdienstleister herantritt und ihn nur zu seiner Ausführung einsetzt.1853 Der BGH1854 ging schon früher davon aus, dass der Kunde in dieser Situation seinen Verzicht auf die Aufklärung zu verstehen gab. Mangels der Mitteilung der Informationen zur Erstellung des Kundenprofils konnte der Direkt- bzw. Discount-Broker gemäß § 31 II Nr. 2 WpHG auch gar keine „zweckdienlichen“ individuell zugeschnittenen Informationen erteilen.1855 Die Literatur wollte dies hingegen nur eingeschränkt gelten lassen und 1848 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 76. 1849 Vgl. Balzer, ZBB 2007, 333, 337; Spindler/Karsten, WM 2006, 1797, 1793; Weichert/ Winninger, WM 2007, 627, 631; a.A. Mülbert, WM 2007, 1149, 1156 f.; differenzierend auch Schwintowski, FS Hopt (2010), Bd. II, S. 2507, 2508 f.; Hofmann, a.a.O. 1850 Zum Ganzen ausf. Hofmann, a.a.O. 1851 Fleischer, BKR 2006, 389, 394. 1852 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 78. 1853 Hofmann, ebenda, S. 71, 82, 85; so aber auch schon früher BGH NJW 2000, 359, 361; 2004, 2969, 2970; BGH BKR 2004, 124, 125; ähnlich auch Siol, FS Schimansky (1999), S. 781, 786, allerdings mit der Einschränkung, dass der Discount-Broker zusätzlich über die Art und Weise der Geschäftsabwicklung informiert. 1854 BGH NJW 2000, 359, 361; BGH BKR 2004, 124, 125. 1855 Hofmann, ebenda.
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bei genügend Informationen des Brokers über den Beratungssuchenden und der daraus bei ihm ableitbaren Einschätzung, „ein Geschäft sei für den Kunden zu riskant“, eine Warnpflicht für gegeben ansehen.1856 Diese Einschätzung ist aber heute obsolet. Denn nach Art. 19 V, 6 MiFlD und § 31 IV, VII WpHG braucht der Direkt- bzw. Discout-Broker aktuell nur noch standardisierte generelle Informationen zu erteilen. c. Europarechtliche Aspekte Die europäischen Vorgaben zur Wertpapieranlage zeugen davon, dass die Entwicklung auf dem Gebiet des europäischen Bankvertragsrechts in den letzten Jahren rasant vorangekommen ist. 1998 gehörten zum Bestand des europäischen Rechtsrahmens auf diesem Gebiet nur einige wenige Richtlinien. Die Anfänge des europäischen Bankvertragsrechts skizzierten die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie,1857 die Insiderhandels-1858 und Investmentfondsrichtlinie,1859 die Verbraucherkredit-1860 und die Überweisungsrichtlinie.1861 Im Kapitalmarktrecht wurde im Zuge der Herausbildung stärker regulierender Vorschriften die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie durch die Finanzmarktrichtlinie (MiFID)1862 ersetzt, ebenso die Insider-Richtlinie durch die Marktmissbrauchsrichtlinie.1863 Die Richtlinie über Märkte und Finanzdienstleistungen (MiFID, kurz: Finanzmarktrichtlinie) als eines der wichtigsten Instrumente des Anlegerschutzes1864 ist Kernstück des Aktionsplanes für Finanzdienstleistungen.1865 Er wurde im November 2002 vorgestellt mit der Absicht, die bestehende Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen von 19931866 zu aktualisieren. Die neue Regelung sollte der wachsenden Anzahl der grenzüberschreitenden Transaktionen, welche seit 1996 stark zunahmen, gerecht werden und sie weiter vorantreiben.1867 Die frühere Wertpapierdienstleistungsrichtlinie1868 konnte nur auf eine begrenzte An1856
Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 40 ff.; Siol, FS Schimansky (1999), S. 781, 789, Hofmann,
a.a.O. 1857
RL 93/22/EWG über Wertpapierdienstleistungen, ABl.EG 1993 Nr. L 141/27. RL 89/592/EWG zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl.EG 1989 Nr. L 334/30. 1859 RL 85/611/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), ABl. EG 1985 Nr. L 375/3. 1860 RL 87/102/EWG v. 22.12.1986, ABl.EG Nr. L 42. 1861 RL 97/5/EG v. 21.7.1997, ABl.EG Nr. L 43. 1862 RL 2004/39/EG über Märkte und Finanzinstrumente, ABl.EG 2004 Nr. L 145/1. 1863 RL 2003/6/EG über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl.EG 2003 Nr. L 96/16. 1864 Assmann, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), Einl. S. 104. 1865 KOM (1999), 232 endg. 1866 RL 93/22/EWG, ABl.EG Nr. L 141/27 v. 11.6.1993. 1867 KOM (2002), 625 endg., S. 3 f.; vgl. dazu auch Hofmann, ebenda. 1868 RL 93/22/EWG des Rates v. 10.5.1993, ABl.EG Nr. L 141/27 v. 11.6.1999. 1858
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
zahl von Finanzinstrumenten und Wertpapierdienstleistungen angewandt werden. Sie umfasste keine Warenderivate (Termingeschäfte).1869 Dies hatte zur Folge, dass einige Mitgliedstaaten Lizenzen für ein größeres Spektrum an Tätigkeiten vergaben, wodurch Wettbewerbsverzerrungen eintreten konnten. Die neue Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente soll die Durchführung von Geschäften mit Finanzinstrumenten in der EU hingegen umfassend regeln, höhere Standards einführen und auch für Derivate gelten. Ihr Ziel ist somit eine größere Harmonisierung und Integration der Aktienmärkte in der EU.1870 Einer der Kerninhalte der Richtlinie besteht in der Einführung eines einheitlichen Passes, der es jeder Investmentgesellschaft ermöglichen soll, EU-weit zu agieren, sobald sie in einem Heimatland zugelassen wurde (vgl. Art. 4 ff. der Richtlinie). Das übergeordnete Ziel der neuen Richtlinie ist es, einen umfassenden und harmonisierten Rechtsrahmen zu schaffen, der alle europaweiten Transaktionen einschließt. Hierdurch soll auch der Aktienmarkt für mehr Wettbewerb geöffnet werden. Vor diesem Hintergrund weitet die Richtlinie die Liste der Finanzinstrumente aus, um so viele Instrumente wie möglich unter denselben Regeln zu vereinen. Erstmals soll die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel durch eine Reihe von Mindestanforderungen gedeckt werden (Art. 13, 34, 37 ff. der Richtlinie).1871 Durch die Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente soll auch die „Gastland-Regel“ von 1993, welche besagt, dass sich die Unternehmen an die Gesetze des Gastlandes zu halten haben, in dem sie agieren, aufgehoben werden. Durch die neuen europarechtlichen Vorgaben ist es Unternehmen erlaubt, unabhängig davon, ob sie ihre Dienstleistungen über eine Zweigstelle oder grenzüberschreitend anbieten, sich ausschließlich an die Gesetze ihres Herkunftsstaates zu halten (Art. 29, 33 der Richtlinie).1872 Darüber hinaus sollen ein Mindestkatalog von Überwachungs- und Ermittlungsbefugnissen der zuständigen Behörden und eine engere Zusammenarbeit zwischen ihnen für eine wirksame Überwachung sorgen (vgl. Art. 15, 23 ff. der Richtlinie). Der Anlegerschutz soll insofern erhöht werden, als Lizenzen für eine größere Anzahl von Dienstleistungen und ein größeres Spektrum von Tätigkeiten vergeben werden, neue Vorschriften für die Bearbeitung von Kundenaufträgen (Art. 18, 19, 20, 21 der RL), höhere Anforderungen zur Regelung von Interessenskonflikten (Art. 16 der RL) und die Pflicht statuiert werden, Investoren mit Transparenz (Art. 25 ff. der RL) und Informationen zu versorgen.1873
1869
KOM (2002), 625 endg., S. 6.; vgl. zum Ganzen ausf. Hofmann, a.a.O. KOM (2002), 625 endg., S. 4. 1871 Zum Ganzen ausf. Hofmann, a.a.O. 1872 Zur grundsätzlichen Kritik am Herkunftslandprinzip vgl. meine Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel, E V 2. 1873 Vgl. dazu auch Hofmann, ebenda. 1870
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d. Verhältnis zu anderen Vorschriften bzw. der früheren Rechtsprechung Im deutschen Recht bestehen keine expliziten Vorschriften über das Zustandekommen des Anlageberatungsvertrags mit einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Ein derartiger Vertrag ist nach den herkömmlichen Kategorien als Dienst- bzw. Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 611 ff., 675 BGB) anzusehen.1874 Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes1875 – und mangels gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben – kommt es auch für die Frage der Ersatzfähigkeit von Schäden auf Grund von zu vertretenden Pflichtverletzungen auf die Vorgaben des allgemeinen Leistungsstörungsrechts an. Die Verletzung vertraglicher Pflichten richtet sich im Vorfeld des Vertrages mithin nach den Regelungen der cic (§§ 311, 241 II BGB), i.Ü. nach § 280 I BGB.1876 Ein deliktischer Schadensersatz ist bei Vermögensschäden nur über § 823 II BGB realisierbar,1877 es sei denn, es liegt eine unter § 826 BGB fallende sittenwidrige Schädigung vor. Im nationalen Recht wurden eigenständige, explizite Vorgaben in Bezug auf den Anlageberatungsvertrag lediglich durch die eingangs erwähnte Bond-Rechtsprechung des BGH1878 aufgestellt. Das Verhältnis dieser Vorgaben zu den neuen europarechtlichen Regelungen ist allerdings strittig. In der Literatur wird teilweise geltend gemacht, die sich aus der Bond-Rechtsprechung1879 ergebenden Pflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zur anleger- und anlagegerechten Information bzw. Beratung kollidieren mit denen nach § 31 WpHG n.F. Denn anders als die Bond-Rechtsprechung gebiete § 31 (III) WpHG n.F. lediglich die Empfehlung (irgend-)eines geeigneten Finanzinstruments, nicht aber die Weitergabe von Informationen über die spezifischen Risiken des (konkret) empfohlenen Finanzinstruments; insoweit verbliebe es vielmehr bei der Pflicht der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, dem Kunden die angemessenen Informationen über die Art von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Andere sahen – m.E. zutreffend – die Notwendigkeit, die Bond-Rechtsprechung im Lichte des § 31 WpHG n.F. modifizierend fortzuführen, und zwar insofern, als es nun auch entscheidend auf das „Anlageziel“ des Kunden und die diesbezügliche Geeignetheit des entsprechenden Instruments ankommt. Dieses kann nämlich gemäß dem geäußerten Ziel des Anlegers auch einmal aus seiner bisherigen Strategie (d.h. seinem sonstigen Anlegerprofil) „ausbrechen“.1880 1874
BGH ZIP 2004, 1154; OLGR Celle 2005, 60; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 675
Rn. 12. 1875
Veil, WM 2007, 1821, 1825. Einsele, JZ 2008, 477, 482. 1877 Ob § 31 WpHG selbst ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 II BGB ist, ist strittig, dafür etwa PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 60. 1878 BGHZ 123, 126, 128. 1879 Ebenda. 1880 So Schwintowski, FS Hopt (2010), Bd. II, S. 2507, 2508 ff. 1876
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Dafür, dass sich mit der Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente vom 1.4.2004, die eine Maximalharmonisierung vorsieht,1881 die Bond-Rechtsprechung nicht „erledigt“ hat,1882 sie vielmehr modifiziert fortzuführen ist, sprechen gerade die in § 31 WpHG statuieren Pflichten. Denn geht es um eine konkrete Beratungsleistung, die vereinbart wurde, ist § 31 IV WpHG als lex specialis heranzuziehen. Die Geeignetheit des zur Anlage empfohlenen Finanzinstruments beurteilt sich in diesem Fall danach, „ob das konkrete Geschäft, (..), den Anlagezielen des betreffenden Kunden entspricht, die hieraus erwachsenden Anlagerisiken für den Kunden seinen Anlagezielen entsprechend finanziell tragbar sind und der Kunde mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen die hieraus erwachsenden Anlagerisiken verstehen kann“ (vgl. § 31 IV 2 WpHG).1883 Es geht mithin in der Beratungssituation auch weiterhin1884 um die „konkrete“ und nicht nur die „abstrakte“ Geeignetheit des Instruments.1885 e. Regelungsinhalt Die neuen Bestimmungen sehen, ähnlich wie es das alte Recht vorgab, vielfältige inhaltliche Anforderungen an die Informationspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor. Ihnen korrespondieren Beratungspflichten, wenn nach dem Inhalt des Vertrages mehr als eine bloße Information geschuldet ist. Letztere kann nur dann lege artis erfolgen, wenn das Unternehmen zunächst Erkundigungen über den Kunden eingezogen hat. Das Pflichtenprogramm des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gestaltet sich aber differenziert, und zwar sowohl in Bezug auf den Kunden als auch in Bezug auf dessen Wünsche und den Vertragsgegenstand. aa. Inhaltliche Anforderungen an die Informationspflichten Generell sind Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet, ihren Kunden rechtzeitig und in verständlicher Form die Informationen zur Verfügung zu stellen, die für ihre Anlageentscheidung angemessen sind. Allerdings müssen sich 1881 Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), Vor § 31 WpHG Rn. 4; Möllers, WM 2008, 93, 96; Mülbert, ZHR 172 (2008), 170, 179. 1882 Mülbert, WM 2007, 1149, 1156 f. 1883 So auch Art. 35 Ic der Durchführungsrichtlinie zur Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente. 1884 Einsele, JZ 2008, 477, 482; Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), § 31 Rn. 54 Fn. 10; Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 78, 79; wohl auch Vogel, Vom Anlegerschutz zum Verbraucherschutz (2005), S. 182. 1885 I.Ü. sind die Parteien frei, vertraglich über die Richtlinienvorgaben hinausgehende Pflichten zu statuieren. Dies verstößt schon deshalb nicht gegen die Vorgabe des Erwägungsgrundes 2 der Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente, weil diese weitergehenden Pflichten dann auch vom Anlageberater vertraglich konsensuiert sind und insoweit Vertragsfreiheit besteht.
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diese Informationen nach aktuellem Recht nur (abstrakt) auf die Art der angebotenen bzw. nachgefragten Finanzinstrumente oder Wertpapierdienstleistungen und deren Risiken, nicht jedoch auf ein konkretes Finanzinstrument beziehen. Auch können die Informationen in standardisierter Form erteilt werden (§ 31 III WpHG). Die (abstrakten) Informationspflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens bestehen unabhängig von der Einstufung des Kunden als Privatkunde oder professioneller Kunde. I.Ü. gilt, dass auch die Informationen, die einschließlich Werbemitteilungen zur Verfügung gestellt werden, redlich und eindeutig sein müssen; ferner dürfen sie nicht in die Irre führen (§ 31 II 1 WpHG).1886 Wenn die Informationen direkt oder indirekt auf eine spätere Empfehlung für ein bestimmtes Anlageinstrument hinauslaufen, müssen überdies noch bestimmte organisatorische Anforderungen seitens des Wertpapierdienstleistungsunternehmens erfüllt sein. Damit soll nach Möglichkeit die Unvoreingenommenheit der Finanzanalysen gewährleistet und sichergestellt werden, dass Mitarbeiter vor deren Veröffentlichung keine Geschäfte mit Finanzinstrumenten tätigen, auf die sich diese Finanzanalysten beziehen. Erfüllen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen diese organisatorischen Anforderungen nicht, müssen sie hierauf bei Erteilung der entsprechenden Informationen hinweisen und diese zudem eindeutig als Werbemittel kennzeichnen (vgl. § 31 II 4 WpHG).1887 bb. Weitere Erkundigungspflichten der WpDL-Unternehmen Abgesehen von diesen allgemeinen, jedermann gegenüber wahrzunehmenden Pflichten und Organisationsvoraussetzungen, die ihnen korrespondieren, unterscheidet das Gesetz nach der Art der Wertpapierdienstleistung und des Kunden.1888 (1.) Anlageberatung/Portfolioverwaltung gegenüber Privatkunden Die schärfsten Anforderungen stellt das WpHG auch weiterhin an Wertpapierdienstleistungsunternehmen, soweit sie Dienstleistungen in Form der Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung gegenüber Privatkunden erbringen.1889 In diesen Fällen muss das Unternehmen alle Informationen einholen, um ein für den Kunden geeignetes (konkretes) Finanzinstrument bzw. eine für ihn geeignete (konkrete) Wertpapierdienstleistung empfehlen zu können. Nach der Terminologie des Gesetzes ist die Geeignetheit danach zu beurteilen, ob das konkret empfohlene Finanzinstrument bzw. die konkret empfohlene Wertpapierdienstleistung den Anlagezielen des betreffenden Kunden entspricht,1890 die konkreten Anlagerisiken für den Kunden finanziell tragbar sind und der Kunde mit sei1886 1887 1888 1889 1890
Hofmann, ebenda. Hofmann, ebenda. Assmann, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), Einl. S. 107. Vogel, Vom Anlegerschutz zum Verbraucherschutz (2005), S. 186 ff. Dazu Schwintowski, FS Hopt (2010), Bd. II, S. 2507, 2508 ff.
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nen Kenntnissen und Erfahrungen seine Anlagerisiken verstehen kann, vgl. § 31 IV 2 WpHG. Ohne die hierfür erforderlichen Hintergrundinformationen über Kenntnisse/ Erfahrungen, Anlageziele, finanzielle Verhältnisse, die einzuholen sind, darf das Wertpapierdienstleistungsunternehmen keine Empfehlung abgeben (§ 31 IV 3 WpHG).1891 Wichtig ist, dass die zu erforschenden Anlageziele (genauso wie die sonstigen zu eruierenden Profilmerkmale des Kunden) sehr unterschiedlich sein können. Der Kunde kann eine bestimmte Renditeerwartung, bspw. 5 % über dem Anleihezins, äußern. Er kann aber auch darauf ausgerichtet sein, seine Anlage bald zu veräußern oder umgekehrt, langfristig und sicher zu investieren. Ihm steht es auch frei, mit einem gewissen Teil seines Einkommens zu spekulieren oder zukünftige Anschaffungen bspw. die Ausbildung seiner Kinder oder seine Altersvorsorge abzusichern. Alle diese Ziele sind bei der Anlageberatung zu berücksichtigen, und zwar insofern, als sie auch aus dem bisherigen Anlageverhalten, das allein in den Bond-Fällen von Bedeutung war, „ausbrechen“ können. Dieses „Ausbrechen“ muss nur genügend reflektiert sein und damit auch in der Beratung deutlich werden.1892 Was die auch nach neuem Recht insoweit notwendige Ermittlung des Kundenprofils anbelangt, können – darauf wurde bereits hingewiesen – die Grundsätze zur alten Rechtslage modifiziert fortgelten.1893 Der Wertpapierdienstleister muss sich damit ernsthaft bemühen, die Kenntnisse, Ziele und Bedürfnisse des Anlegers in Erfahrung zu bringen.1894 Eine pauschalierte Annahme etwa, als Zugehöriger einer bestimmten Berufsgruppe verfüge der Anleger über bestimmte Kenntnisse und Erfahrungen, genügt den Anforderungen an eine individualisierte Ermittlung des Kundenprofils nicht.1895 Von entscheidender Bedeutung für den Wertpapierdienstleister sind die Risiken für das eingesetzte Kapital, die der Wertpapierdienstleister sieht und die der Kunde (nach Offenlegung) einzugehen bereit ist. Diese sind mit der anvisierten Rendite ins Verhältnis zu setzen, wobei insofern die Bewertungsgrundlagen so zutreffend und eruierbar als möglich mitzuteilen sind, um dem Kunden eine sachgerechte, seinem Profil entsprechende Entscheidung zu ermöglichen.1896 Die Gewinnverwendungsabsicht ist insoweit von Bedeutung, als sie die Renditeziele, insbesondere den Zeitpunkt ihrer Realisierung, näher determiniert.1897 1891
Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), § 31 Rn. 52. Schwintowski, FS Hopt (2010), Bd II, S. 2507, 2508 ff. 1893 Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), § 31 Rn. 54 Fn. 10. 1894 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 79; Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), § 31 Rn. 46 ff. 1895 BGH NJW 2004, 3629 f. (für einen Rechtsanwalt). 1896 Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 37. 1897 Raeschke-Kessler, WM 1996, 1764, 1767. 1892
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Freilich ist der Finanzdienstleister in diesem Zusammenhang auch verpflichtet, anhand der finanziellen Lage des Kunden etc. abzuschätzen, wie realistisch seine Anlageziele sind.1898 Anhaltspunkte, welche Kriterien bei der Erstellung des notwendigen Kundenprofils eine Rolle spielen und wie diese systematisiert werden können, um ein möglichst vollständiges und damit aussagekräftiges Bild zu erhalten, liefern u.a. genügend ausdifferenzierte Fragebögen,1899 die zur Dokumentation heute schon in der Praxis vielfach verwendet werden. Unter Umständen muss der Berater auch „bremsen“. Wünscht nämlich der Kunde eine Wertpapierdienstleistung und gelangt der Wertpapierdienstleister zu dem Schluss, dass diese nicht geeignet ist, muss er nach § 31 V 3 WpHG einen entsprechenden Hinweis erteilen. Fehlen ihm die zur Beurteilung erforderlichen Informationen (eventuell, weil der Kunde diese verweigert und sie trotz Bemühen des Dienstleisters nicht in Erfahrung zu bringen sind), muss der Anleger nach S. 4 informiert werden, dass eine Beurteilung der Angemessenheit nicht möglich ist, wobei beides standardisiert erfolgen kann. Vor dem Hintergrund der Standardisierungsmöglichkeit wird es auch weiterhin möglich sein, Broschüren (etwa die so beliebten „Basisinformationen über Börsentermingeschäfte“) zum Einsatz zu bringen.1900 Allerdings müssen diese dann klar und verständlich sein. Als Aufklärungsmedium sind sie nur geeignet, wenn sich der Anleger die für ihn relevanten Informationen nicht erst umständlich heraussuchen muss.1901 Die Fragebögen bieten aber nur einen Anhaltspunkt zur Ermittlung des Kundenprofils und damit zur Empfehlung des geeigneten Anlageinstruments. Denn nur solche Empfehlungen, mit denen man das Anlageziel (das selbst auf seine Realisierbarkeit und sein Risikopotential zu hinterfragen ist) erreichen kann, erweisen sich als geeignet. Damit genügt es nicht, den Kunden allein in eine abstrakte „Risikoklasse“ einzuordnen. Vielmehr muss ihm aus der Perspektive des individuell angestrebten Geschäfts quantifizierbar dargelegt werden, ob er die damit verbundenen Risiken tragen kann. Die individuellen finanziellen Verhältnisse und die Gefahren der Transaktion sind auszuwerten und dem Kunden deutlich zu machen. Hierzu gehören Angaben zum Emittentenausfallrisiko, zu Zinsrisiken, Volatilitätsschwankungen, die Berücksichtigung von Stress-Tests und Rankings.1902 Wenn andere als die in § 31 IV WpHG genannten Dienstleistungen erbracht werden, der Dienstleister also keine Anlageberatung oder Portfolioverwaltung schuldet, gelten gemäß § 31 V WpHG geringere Anforderungen. Er muss in die1898
Schwintowski/Nicodem, VuR 2004, 314 ff. Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 79. 1900 Hofmann, ebenda, S. 71, 81. 1901 BGH NJW 2004, 3629 f.; NJW-RR 1996, 947; zu den Anforderungen an eine objektgerechte Beratung ausführlich Steuer, FS Schimansky (1999), S. 793, 804 ff. 1902 Schwintowski, FS Hopt (2010), Bd. II, S. 2507, 2510. 1899
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sem Fall nur Informationen einholen und weitergeben. In den Situationen, in denen die in § 31 IV und VI WpHG genannten Informationen auf Angaben des Kunden basieren und diese falsch sind, das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dies jedoch nicht wusste bzw. wissen konnte, liegt gemäß § 31 VI WpHG keine vorwerfbare Pflichtverletzung vor. (2.) Anlageberatung/Portfolioverwaltung gegenüber professionellen Kunden Von diesen strikten (Erkundigungs-)Pflichten statuiert das Gesetz Ausnahmen, soweit es sich um professionelle Kunden, also insbesondere (andere) Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Finanzinstitute, Versicherungsunternehmen, institutionelle Anleger, Zentralbanken, Regierungen und Unternehmen einer bestimmten Größenordnung handelt (vgl. dazu § 31a II WpHG). Abgesehen von den allgemeinen Informationspflichten (über die Arten von Finanzinstrumenten und vorgeschlagenen Anlagestrategien) gemäß § 31 III WpHG hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Rahmen der Anlageberatung sowie Portfolioverwaltung gegenüber diesen Kunden lediglich die Verpflichtung, nur solche (konkreten) Finanzinstrumente bzw. Wertpapierdienstleistungen zu empfehlen, die den Anlagezielen des betreffenden Kunden entsprechen. (3.) Sonstige WpDL gegenüber Privatkunden Weniger hohe Anforderungen an die Erkundigungspflicht von Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellt das Gesetz auch gegenüber Privatkunden bei sonstigen Wertpapierdienstleistungen, d.h. solchen außerhalb der Anlageberatung und Portfolioverwaltung. Soweit lediglich die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten oder die bloße Anlagevermittlung betroffen sind, hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen lediglich die Informationen vom Anleger einzuholen, die erforderlich sind, um die Angemessenheit der Finanzinstrumente oder Wertpapierdienstleistungen beurteilen zu können. Während bei der Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Eignung des konkreten Finanzinstruments bzw. der konkreten Wertpapierdienstleistung für den spezifischen Kunden einschätzen und prüfen muss, orientiert sich die Angemessenheit i.Ü. an dem eher abstrakten Maßstab, der sich nur daran ausrichtet, ob der Kunde über die erforderlichen Erkenntnisse und Erfahrungen verfügt, um die Risiken im Zusammenhang mit der Art der Finanzinstrumente/Wertpapierdienstleistungen angemessen beurteilen zu können (§ 31 V 2 WpHG). 1903 (4.) Sonstige WpDL gegenüber professionellen Kunden Überhaupt keine Erkundigungspflichten sieht das WpHG bei sonstigen Wertpapierdienstleistungen gegenüber professionellen Kunden vor. Professionelle Kunden sind nämlich definitionsgemäß schon solche, bei denen das Wertpapier1903
Hofmann, ebenda.
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dienstleistungsunternehmen davon ausgehen kann, dass sie über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um ihre Anlageentscheidung zu treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen zu beurteilen (§ 31a II 1 WpHG).1904 (5.) WpDL auf Veranlassung des Kunden außerhalb der Beratung Jenseits der bereits geschilderten Fälle einer Einschränkung bzw. eines Wegfalls der Erkundigungspflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens besteht eine solche Erkundigungspflicht auch gegenüber dem Privatkunden nicht, wenn die betreffenden Geschäfte nicht „beratend“ getätigt sein sollen und keine komplexen1905 Finanzinstrumente erfassen (§ 31 VII WpGH). Maßgeblich für die praktische Bedeutung dieser Bestimmung ist die Frage, wann die betreffenden Geschäfte auf Veranlassung des Kunden vorgenommen werden. Der Erwägungsgrund 30 der Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente enthält hierzu eine Auslegungshilfe. Danach werden Wertpapierdienstleistungen (außerhalb der Beratung) grundsätzlich auf Veranlassung des Kunden erbracht, es sei denn, der Kunde fordert diese Leistung als Reaktion auf eine an ihn persönlich gerichtete Mitteilung der Wertpapierfirma an, mit der er zum Kauf eines bestimmten Finanzinstruments oder zum Abschluss eines bestimmten Geschäfts aufgefordert wird oder bewogen werden soll. Für eine an den Kunden gerichtete persönliche Mitteilung reicht es hingegen nicht aus, wenn sich ein Angebot oder eine Mitteilung an das Publikum generell oder eine größere Gruppe oder Gattung richtet. Von der Ausnahmeregelung profitieren vor allem Direktbanken, für die die Rechtslage nunmehr „pflichtentlastend“ geklärt ist.1906 f. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Wie dargestellt, soll das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gegenüber dem Privatkunden (auch nach neuer Rechtslage im Zuge der Änderung des WpHG)1907 nur im Rahmen beratender Tätigkeit1908 verpflichtet sein, nach Einholung von Informationen über Kenntnisse/Erfahrungen, persönliche finanzielle Verhältnisse und Anlageziele eine für den konkreten Kunden geeignete Empfehlung abzugeben, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten bezieht. 1904
Hofmann, ebenda. Zur näheren Bestimmung der nicht komplexen Finanzinstrumente vgl. § 7 Wertpapierdienstleistungs-, Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV) v. 20.7.2007. 1906 Hofmann, a.a.O. 1907 Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 82. 1908 § 31 WpHG verpflichtet die Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht zu einer Anlageberatung, vgl. dazu Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (5. Aufl., 2009), § 31 Rn. 45. 1905
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aa. Vertragsschluss Im Hinblick auf die Qualität der Pflichten beim Beratungsvertrag ist es für den privaten Kunden von entscheidender Bedeutung, wann ein solcher zustande kommt.1909 Der BGH verfuhr insofern in der Vergangenheit relativ großzügig. Nach seiner Auffassung kam ein Beratungsvertrag (konkludent) zustande, wenn ein Anlageinteressent an eine Bank/Anlageberater herantrat oder umgekehrt, wenn das Unternehmen auf den Kunden zuging und ein Beratungsgespräch aufgenommen wurde.1910 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung stellt sich die Frage, ob die neue Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente mittelbar Vorgaben hinsichtlich der Voraussetzungen und des Zeitpunkts des Abschlusses eines Beratungsvertrages enthält. In der Literatur wird unter Bezugnahme des Wortes „Empfehlung“ in besagter Richtlinie geltend gemacht, erst wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine solche Empfehlung für ein bestimmtes Finanzprodukt bzw. eine bestimmte Wertpapierdienstleistung abgegeben habe, komme ein Beratungsvertrag zustande.1911 Diese Interpretation ist jedoch eindeutig zu eng. Richtig ist zwar, dass eine Anlageberatung i.S.d. neuen Richtlinie nur vorliegt, wenn die Vereinbarung der beiden Parteien ggf. auch die Empfehlung eines konkreten Finanzinstruments bzw. einer konkreten Wertpapierdienstleistung mit umfasst und sich nicht in der Weitergabe allgemeiner Informationen über Finanzprodukte erschöpft. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Anlageberatung nur vorliegt, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Ergebnis positiv zu einer bestimmten Geldanlage geraten hat.1912 Beratung kann auch im Vorfeld einer Empfehlung stattfinden, denn sie stellt nur das übliche, aber nicht notwendig vorhandene Ergebnis einer Beratung, die einzelne Risiken in Bezug auf den konkreten Anleger analysiert und abwägt, dar. bb. Haftungsbeschränkungen Die zwingende Natur der Verhaltenspflichten nach § 31 WpHG bedeutet nicht, dass zivilrechtliche Haftungsbeschränkungen und -ausschlüsse automatisch unwirksam wären. Denn insoweit geht es nicht um die Disponibilität der Verhaltenspflichten selbst, sondern um die des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches. Dabei sind im deutschen Recht die allgemeinen Schranken der §§ 138, 276 III, 305 ff. BGB zu beachten.1913 Konkret bedeutet dies, dass ein Haftungsausschluss für eine leicht fahrlässige Verletzung der Verhaltenspflichten dann un1909
Koller, FS Huber (2006), S. 821, 839; Einsele, JZ 2008, 477, 480. BGHZ 123, 126, 128; 100, 117, 122; BGH NJW 2000, 3275; so auch PWW/SchmidtKessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 60. 1911 Mülbert, WM 2007, 1149, 1156. 1912 Einsele, JZ 2008, 477, 480; Koller, a.a.O. 1913 Einsele, JZ 2008, 477, 483; so für § 31 WpHG a.F. auch Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG (4. Aufl., 2006), Vor § 31 Rn. 2a; etwas restriktiver, d.h. Haftungsfrei1910
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wirksam ist, wenn hierdurch der Zweck des Vertrages zwischen dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und dem Kunden gefährdet ist (vgl. § 307 II Nr. 2 BGB). Dies wird zutreffend für alle Haftungsausschlüsse in Bezug auf die Einhaltung der Anlagerichtlinien und die Ausrichtung an den Anlagezielen des Kunden angenommen.1914 cc. Beweislast Will der Anleger wegen zu vertretender fehlerhafter Anlageberatung einen (vertraglichen) Schadensersatzanspruch nach § 280 I BGB geltend machen, ist für ihn von zentraler Bedeutung, wer hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs die Beweislast trägt. Für die deutsche Rechtspraxis ist davon auszugehen, dass der Anleger, der eine Pflichtverletzung des Unternehmens nach § 280 I BGB behauptet, diese zu beweisen hat;1915 das Verschulden wird gemäß § 280 I 2 BGB allerdings vermutet, wobei § 278 BGB als Zurechnungsnorm für Fremdverschulden des Angestellten/Mitarbeiters fungiert.1916 Die mit dem Nachweis negativer Tatsachen (Nicht- bzw. Falschberatung/Information) verbundenen Beweisschwierigkeiten werden nur dadurch etwas „ausgeglichen“, dass die andere Partei (hier also das Wertpapierhandelsunternehmen) die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt wurde. Häufig kommt es auf die schriftliche Dokumentation der Information/Beratung an, die die Bank bzw. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen in Form von unterschriebenen Fragebögen zum Anlegerprofil erstellt (vgl. § 34 II WpHG) und dem Kunden zur Gegenzeichnung vorlegt.1917 In jedem Fall sollte der Kunde diesen Bogen erst nach gewissenhaftem Studium unterschreiben und ggf. selbst Eintragungen vornehmen. Da das Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf Grund eigenen Provisionsinteresses1918 oft geneigt sein wird, viele Anlagen (ggf. auch riskante) „an den Mann zu bringen“,1919 ist davon auszugehen, dass diezeichnung nur im Rahmen von § 31 II 1 WpHG a.F. zulässig Balzer, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute (1999), S. 175 f. 1914 Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung (2006), S. 873; Balzer, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute (1999), S. 175. 1915 BGHZ 8, 241 ff.; 48, 312 ff.; 126, 124 ff.; NJW 2000, 2812; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 280 Rn. 23. 1916 Scharfe Kritik an diesem Beweislastansatz übt Einsele, JZ 2008, 477, 483. 1917 Aus § 34 I WpHG lässt sich entnehmen, dass die Aufzeichnungspflichten in erster Linie nur zum Zwecke der Aufsicht über die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestehen. Daher ist sehr zweifelhaft, ob es sich bei diesen Aufzeichnungen um Urkunden über Verhandlungen i.S.d. § 810 BGB oder nicht vielmehr um lediglich interne Aufzeichnungen handelt, auf deren Einsicht bzw. Vorlage im Prozess (vgl. 422 ZPO) der Kunde von sich aus sowieso keinen Anspruch hätte. 1918 Zu dem daran ansetzenden grundlegenden Interessenkonflikt vgl. Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 71, 92. 1919 Das eigene Provisionsinteresse dürfte die Objektivität der Beratung insgesamt in
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
sen Bögen hinsichtlich der Charakterisierung der Risikobereitschaft der Kunden von vornherein nur eine eingeschränkte Aussagekraft zukommt. In jedem Fall sind derartige Dokumente als dem Beweis des Gegenteils zugänglich zu betrachten, etwa im Hinblick auf Zeugen, die der Kunde beibringen kann. I.Ü. ist darauf hinzuweisen, dass der BGH in einem Judikat vom 25.10.2007 entschieden hat, dass ein Fragebogen, in dem alle in Betracht kommenden Anlagetypen (sicherheitsorientiert, anlageorientiert, gewinnorientiert, risikobewusst) angekreuzt sind, nicht geeignet erscheinen, eine fehlerfreie Gesprächsführung zu dokumentieren.1920 dd. Schadensbegründende Kausalität Im Rahmen zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche ebenfalls problematisch ist die Kausalität der Informations- bzw. Beratungspflichtverletzung für den vom Anleger geltend gemachten Schaden. Nach dem allgemeinen Grundsatz, dass jeder die Voraussetzungen der ihm günstigen Norm zu beweisen hat, müsste der Anleger auch die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden beweisen.1921 Allerdings dürfte ihm der Beweis oftmals schwer fallen, gerade die betreffende, nicht mitgeteilte Information bzw. „richtige“ Beratung hätte ihn zu einer anderen Anlageentscheidung veranlasst, wodurch auch der geltend gemachte Schaden nicht eingetreten wäre. Denn für eine bestimmte Anlageentscheidung gibt es in der Regel eine ganze Reihe von Gründen, sodass der Beweis, bei fehlerfreier und vollständiger Information/Beratung wäre eine Anlageentscheidung anders ausgefallen, äußerst schwierig zu führen ist.1922 Es stellt sich daher die Frage, inwiefern dem Anleger eventuell Beweislasterleichterungen zugute kommen können.1923 An dieser Stelle wäre darauf zu insistieren, dass die Rechtsprechung und Literatur bei Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten unter bestimmten Voraussetzungen die Vermutung so genannten „aufklärungsrichtigen Verhaltens“ angenommen hat.1924 Denn die Aufklärung soll nach Ansicht des BGH Frage stellen. Insofern wäre es sinnvoll, Provisionsansprüche entweder zu verbieten (was aber kaum machbar ist) oder zumindest mit einer deutlichen Klarstellung gegenüber dem Anleger zu versehen, sodass dieser über die fehlende Objektivität aufgeklärt wird. Dass der Kunde ein vitales Interesse an der Offenlegung von Abhängigkeiten hat, hat der EG-Gesetzgeber etwa bei der Neuregelung der Verhaltenspflichten des Kreditvermittlers in Art. 21 lit. b) der neuen Verbraucherkreditrichtlinie anerkannt. 1920 BGH ZIP 2008, 512. 1921 BGHZ 59, 309 ff.; 66, 351 ff.; BGH NJW 1980, 2187; Stoll, AcP 176 (1976), 145 ff. 1922 Vgl. dazu etwa BGH DB 2007, 2707, 2708. 1923 Generell zur Beweislastverteilung in Sonderfällen (etwa der Arzthaftung) vgl. Spickhoff, NJW 2002, 2530 ff.; Spindler/Rieckers, JuS 2004, 272 ff. 1924 BGHZ 123, 311 ff.; 126, 222 ff.; NJW 1998, 750; NJW-RR 1998, 1271; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), § 280 Rn. 29; PWW/Schmidt-Kessel (3. Aufl., 2008), § 280 Rn. 62; Baumgärtel, JR 1994, 463, 466; Grunewald, ZIP 1994, 1162; Vollkommer, FS Baumgärtel (1990), S. 585 ff.
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gerade die Beweisnot beseitigen, die darin besteht, dass sich nachträglich nur schwer mit der erforderlichen Zuverlässigkeit beurteilen lässt, wie der Betroffene bei Kenntnis der mitteilungspflichtigen Umstände gehandelt hätte.1925 Allerdings ist die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nur zugelassen worden für die Fälle, in denen bei entsprechender Aufklärung/Beratung vernünftigerweise nur eine bestimmte Verhaltensweise1926 oder aber mehrere Alternativen in Betracht kamen, die aber alle den entstandenen Schaden vermieden hätten.1927 Wenngleich dies eine gewisse Hürde für die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens bedeutet, ist doch zu konstatieren, dass die Rechtsprechung (an die sich vielfach die Literatur anlehnte)1928 seit jeher bemüht gewesen ist, das Beweismaß im Hinblick auf § 287 ZPO auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung für den eingetretenen Schaden abzusenken. Hieran sollte festgehalten werden. ee. Notwendigkeit vorgeschalteter neutraler Qualitätskontrolle bei Wertpapier-Finanzprodukten Das bloße Aufspüren und gesetzgeberische Nachjustieren einzelner Problembereiche in der Anlagevermittlung und -beratung reicht freilich nicht aus, um zu einem optimalen Verbraucherschutz im Bereich der Finanzdienstleistungen zu gelangen. Neben der zivilrechtlich betriebenen Qualitätskontrolle der Vermittlungs- und Beratungsleistung – auch über Sanktionen nach § 280 I BGB – bedarf es (auch) zur besseren Orientierung für den Finanzberater/Verbraucher in einer immer komplexer werdenden Produktpalette einer stärker als bisher im Vorfeld wirkenden Qualitätskontrolle bei den angebotenen Finanzprodukten. Diese Forderung gründet sich auf den Bedeutungszuwachs des gesamten Finanzmarktes. Während in früheren Zeiten der Verbraucherschutz vor allem im Bereich des Sachgüterkaufs notwendig war, werden heute wesentlich größere Investitionen mit umfangreicheren Risiken im Bereich der Kapitalanlagen getätigt. In vielen westlichen Industrieländern ist etwa das Thema der Schaffung der privaten Altersvorsorge in den letzten Jahren derart aktuell geworden, wie es noch vor zehn Jahren kaum vorstellbar war.1929 Die Prognose scheint berechtigt, dass sich sogar der Schwerpunkt des Verbraucherschutzes auf den Finanzdienstleistungsmarkt verlagern wird. Und: Der Bedarf an sachlicher Aufklärung und Beratung ist groß. Denn hier herrscht umfassende Intransparenz. Finanzprodukte sind heute – das macht gerade die Sub-
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BGHZ 61, 118, 121 f. BGHZ 123, 311, 314 f. 1927 BGH JZ 2003, 97, 99. 1928 Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung (2006), S. 850; Hofmann, Aufklärung und Anlageberatung – Pflichtmaßstab und Kausalität (2007), S. 205. 1929 Loritz, FS Stauder (2006), S. 245, 264. 1926
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prime-Krise,1930 deren juristische Aufarbeitung1931 noch aussteht – deutlich, schwerer durchschaubarer denn je. Sie haben vielfach solch eine Komplexität erreicht, dass nicht einmal mehr die Beteiligten genau wissen, worum es eigentlich geht und dies betrifft sowohl den strukturellen Aufbau des Produkts, als auch die Abwägung der Bonitätsrisiken, wobei beides häufig zusammenhängt. Eine eigenständige fundierte Einschätzung durch Investoren ist damit kaum mehr möglich.1932 In Bezug darauf wird künftig wesentlich intensiver über eine präventive Kontrolle vor unseriösen und betrügerischen Angeboten und Emissionen nachgedacht werden müssen. Bloß formale Genehmigungsverfahren, wie sie heute in Deutschland vom Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für Verkaufsprospekte für die Börsenzulassung eines Unternehmens praktiziert werden, dienen dem Schutz des Anlegers nicht (genügend). Sie schaffen keine Transparenz über den Risikograd des Anlageprodukts, verschleiern im Hinblick darauf, dass alles „formal korrekt“ und insofern durch eine staatliche Stelle „geprüft“ ist, eher, dass es überhaupt Risiken gibt, die es als Finanzintermediär/Anleger abzuwägen gilt. Besser wäre eine Kontrolle in Bezug auf eine Risikoeinstufung des Finanzprodukts, die für den Kunden transparent zu labeln wäre. In Frage für die Aufgabe der Risikoklassifizierung kämen etwa unabhängig agierende Rating-Agenturen, die bei verschuldeten Fehleinschätzungen einer Haftung ausgesetzt sein müssten. Freilich gibt es schon private Rating-Agenturen. Das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit ist jedoch wegen Verflechtungen mit Emissionären und Großanlegern nicht immer gerechtfertigt. Es wäre deshalb über die Einrichtung von Rating-Agenturen nachzudenken, die diese (Interessen-)Verflechtungen nicht aufweisen, etwa weil sie staatlich gefördert werden und damit finanziell unabhängig agieren. Der Staat müsste weiter das „Handwerkszeug“ zur Risikoklassifizierung bereitstellen. Denn es bedarf für die Tätigkeit unabhängiger Rating-Agenturen eines „formalen Rasters“ für eine inhaltliche Qualitäts- bzw. Risikokontrolle.1933 Relativ schnell ließen sich dann wohl Anlageprodukte, die in das Raster für bspw. ein „sicheres Altersvorsorgeprodukt“ nicht hineinpassen, weil die vorgegebenen Merkmale nicht erfüllt werden, am Markt bei sicherheitsorientierten Anlagewilligen kaum mehr vertreiben, wenn zugleich der Anlageberater verpflichtet wäre, über das Label und dessen Bedeutung aufzuklären. Sowohl der Finanzintermediär als auch der Verbraucher erhielten über eine transparente Kennzeichnung 1930 In ihr kollabierte über weite Strecken auch das System von ABS (Asset Backed Securities). Denn nicht werthaltige Sicherheiten werden nicht dadurch sicherer, dass man sie bündelt und als Anleihen, „besichert“, ausgibt. 1931 Zur englischsprachigen Literatur vgl. die Verweise bei Mankowski, RIW 2009, 98, 99 Fn. 10. 1932 Erfrischend offen Mankowski, RIW 2009, 98, 99. 1933 Zu diesem Gedanken Loritz, FS Stauder (2006), 245, 264.
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des Wertpapierfinanzprodukts seitens einer unabhängigen Stelle einen objektiven Ansatzpunkt für die eigene, daran ansetzende Abwägung, ob eine Anlage in Bezug auf Risiken und Chancen erfolgen sollte oder nicht. Hier wird sich in der Zukunft ein breites, gerade im Interesse des Verbraucherschutzes dringend anzugehendes Aufgabenfeld auftun. Unabhängig davon ist im Moment freilich auch in der Diskussion, das Beratungs(fehl-)verhalten von anlageberatenden Banken und Sparkassen durch von der BaFin bestellte Tester bußgeldbewährt überprüfen zu lassen. Auch das ist sicherlich ein gangbarer Weg, der jedoch nur die Anlageberatungssituation erfasst. Ein umfassenderer Ansatz würde auch das potentielle Anlageberatungsprodukt „rastermäßig“ einbeziehen und zudem den Anlageberater verpflichten, seine Provisionen im Verkaufsgespräch auszuweisen, um auch hier eventuelle Interessenskonflikte in Bezug auf eine rein dem Kundeninteresse entsprechende Beratung für den Beratungssuchenden transparent zu machen. 3. Der Darlehensvermittlungsvertrag Jenseits der Bestrebungen zur Überarbeitung des Verbraucherkreditrechts durch die Verabschiedung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG wurde durch den vorstehenden Abschnitt zu Wertpapierdienstleistungen herausgestellt, dass Intermediäre im Bereich der Finanzdienstleistungen eine besondere Rolle spielen.1934 Ihre Bedeutung wächst, je komplexer und komplizierter die Finanzdienstleistungen sind. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf die Versicherungs-1935 und die Darlehensvermittler. An dieser Stelle sollen in Bezug auf die Regelungen im deutschen Recht nur Letztere betrachtet werden, da nur das Rechtsverhältnis zwischen Darlehensvermittler und Kunden, der Verbraucher i.S.v. § 13 BGB ist, Verbraucherschutzrecht i.e.S. darstellt und als solches in §§ 655a ff. BGB geregelt wurde. a. Allgemeines Die Pflichten von Kreditvermittlern sind im geltenden Recht nur rudimentär kodifiziert. Im BGB finden sich lediglich Bestimmungen über die Darlehensvermittlung und die Vermittlung einer sonstigen Finanzierungshilfe zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, welche in den §§ 655a–655e BGB, d.h. als Bestandteil des Maklerrechts (§§ 652 ff. BGB) eingestellt wurden. Anhand dieser Regelungen wird das Bestreben des Gesetzgebers deutlich, zumindest diesen als ganz besonders regelungsbedürftig angesehenen Ausschnitt aus der allgemeinen Kreditvermittlung einer gesetzlichen Flankierung zuzuführen. 1934
Rott, VuR 2008, 281. Vgl. dazu die neue Versicherungsvermittler-Richtlinie 2002/92/EG, ABl.EG 2003 Nr. L 9/3. Zur Umsetzung in Deutschland durch das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, BGBl. 2005 I, 3232; vgl. Schönleiter, GewArch 2007, 265 ff. 1935
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b. Entstehungsgeschichte Die §§ 655a ff. BGB fanden allerdings erst im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung Eingang in die zivilrechtliche Zentralkodifikation.1936 Um gänzlich neues Recht handelte es sich gleichwohl nicht. Denn viele Vorgaben waren bereits in den §§ 1 III, 15–17 VerbrKrG geregelt.1937 Sie gestalteten sich mit Ausnahme des § 16 S. 2 VerbrKrG inhaltlich als enge Anlehnungen an frühere nationale Gesetzesentwürfe, zu nennen ist insoweit insbesondere der „Regierungsentwurf eines Gesetzes über Maklerverträge“,1938 dem seinerzeit ein Regierungsentwurf eines „Gesetzes über finanzierte Rechtsgeschäfte und über Maklerverträge“1939 vorausging. Ursprünglich angedacht war mit diesen Entwürfen eine grundsätzliche Reform des Maklerrechts (d.h. der §§ 652 ff. BGB) unabhängig vom Gegenstand des gemakelten Vertrages. Demgegenüber hatte der nationale Gesetzgeber im Zuge der Etablierung des Verbraucherkreditgesetzes (in Umsetzung der seinerzeitigen Verbraucherkreditrichtlinie) allein das spezifische Problem der Kreditvermittlung aufgegriffen. Wegen des engen Sachzusammenhangs mit Verbraucherkreditgeschäften gelangte man zu dem Ergebnis, dass es sinnvoll sei, die zu schaffenden Bestimmungen zur Regulierung dieses Rechtsbereichs in das VerbrKrG einzufügen.1940 Bei der Inkorporierung der Bestimmungen in das BGB im Zuge der Schuldrechtsreform hat der nationale Gesetzgeber zunächst – trotz z.T. erheblicher Kritik – eine weitere Verengung des sachlichen Anwendungsbereiches der verbraucherschützenden Bestimmungen vorgenommen, indem er den Anwendungsbereich der Regulierungsvorschriften auf die Vermittlung von Darlehensverträgen beschränkte und somit andere Kreditvermittlungen aus dem Regelungsbereich herausgenommen hat. Im Zuge der Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG), die auch Regelungen zur Kreditvermittlung statuiert, wurde der sachliche Anwendungsbereich der Bestimmungen jedoch auf „andere entgeltliche Finanzierungshilfen“ (als Darlehen) ausgedehnt, vgl. dazu nun § 655a I 1 BGB n.F. I.Ü. kam es zu kleineren Änderungen, die es jedoch nicht ausschließen, auch künftig auf die Rechtsprechung und das Schrifttum zu den §§ 1 III, 15 ff. VerbrKrG zurückzugreifen.1941
1936
Vgl. dazu Habersack/Schürnbrand, WM 2003, 261 ff. MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 2; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655a Rn. 1. 1938 BT-Drucks. 10/1014; vgl. dazu Jung, ZIP 1984, 901 ff.; Tonner, BB 1984, 241 ff. 1939 BT-Drucks. 8/3212; grundlegend dazu Vollkommer, FS Larenz (1983), 663 f.; 665 f. 1940 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 11/5462, S. 2. 1941 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 2. 1937
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c. Europarechtliche Aspekte Die geltenden Vorschriften über den Kreditvermittlungsvertrag in §§ 655a ff. BGB sind nur punktuell gemeinschaftsrechtlich intendiert. Art. 12 I der (früheren) Verbraucherkreditrichtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten lediglich, für eine präventive (öffentlich-rechtliche) Kontrolle oder laufende Überwachung von Kreditgebern und Kreditvermittlern zu sorgen, überließ aber die nähere Ausgestaltung dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber. Im deutschen Gewerberecht kam es so zur Einführung der §§ 34c, 56 I Nr. 6 GewO. Mittlerweile hat jedoch die Gemeinschaft einige wesentliche privatrechtliche Aspekte der Kreditvermittlung in der neuen Verbraucherkreditrichtlinie (RL 2008/48/EG) mitgeregelt, wenngleich der Kreditvermittlungsvertrag damit noch nicht abschließend ins Blickfeld der Gemeinschaft geriet (vgl. dazu Art. 17 der neuen Verbraucherkreditrichtlinie). Die vorvertraglichen Informationspflichten sind nach Art. 5 I 3 der Verbraucherkreditrichtlinie durch Übergabe eines Formblatts, des Formulars „Standardinformationen für europäische Verbraucherkredite“, zu erfüllen. Dieses wird der Kreditgeber vorhalten, sodass diese Pflicht keine besonderen Hürden provozieren wird.1942 Von Bedeutung ist dagegen die Beratungspflicht. Sie geht über die bloße Wiedergabe von Fakten hinaus, indem sie individualisiert anhand der Bedürfnisse des Kunden erfolgen muss. Ziel ist es, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, zu beurteilen, ob der Vertrag seinen Bedürfnissen und seiner finanziellen Situation gerecht wird.1943 Notwendig sind (ähnlich wie bei der Wertpapieranlageberatung vgl. dazu den vorstehenden Abschnitt) die Berücksichtigung und, im Falle von Unklarheiten, die Ermittlung der Bedürfnisse des Kreditnehmers sowie die Auswahl des geeigneten Kredits. Dabei ist – auf Grund der Anlehnung der Beratungspflicht des Kreditvermittlers an die des Kreditgebers – klar, dass sich auch die Beratungspflicht des Ersteren auf die Hauptmerkmale der angebotenen Produkte und die möglichen spezifischen Auswirkungen der Produkte auf den Verbraucher bezieht.1944 Ein Hinweis auf ein günstigeres Konkurrenzprodukt wird aber nicht verlangt,1945 sodass die europäische Regelung den Vermittler im engeren Sinne, nicht jedoch den Kreditmakler – den diese Hinweispflichten sehr wohl treffen – im Auge hat. I.Ü. ergibt sich aus Art. 5 VI der Verbraucherkreditrichtlinie, dass es stets möglich ist, darüber hinausgehende Pflichten zu statuieren, da die Richtlinie – obwohl sie in wesentlichen Teilen auf eine Vollharmonisierung gerichtet ist – bezüglich der Darlehensvermittler nur Mindestanforderungen (vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 17) aufstellt. 1942
Rott, VuR 2008, 281, 283. Ähnlich auch die Grundsätze zur anleger- und anlagegerechten Beratung bei der Anlageberatung, vgl. zur Parallele Riesenhuber, ZBB 2003, 325, 329 f. 1944 Rott, VuR 2008, 281, 284. 1945 Rott, WM 2008, 1104, 1109. 1943
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Nach den neuen EU-Vorgaben gemäß der Verbraucherkreditrichtlinie muss der Kreditvermittler zukünftig auch Abhängigkeiten deutlicher als bisher offenlegen. Dies ergibt sich aus Art. 21 lit. a) der Richtlinie, die sowohl die Werbung als auch die für den Verbraucher bestimmten Unterlagen betrifft. Dabei muss der Kreditvermittler insbesondere deutlich machen, ob er ausschließlich mit einem oder mehreren Kreditgebern oder als unabhängiger Darlehensmakler arbeitet. Aus diesen Angaben wird dann unmittelbar ersichtlich, wie weit der Vergleich verschiedener Produkte reicht, und damit auch, wie viel die Beratung wert ist. Die genaue Provisionshöhe muss der Kreditvermittler allerdings nicht offenlegen.1946 Die Richtlinie trifft i.Ü. keine weiteren Vorgaben zur Vergütung, sodass es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibt, an dieser Stelle (weiterhin) ihre mitgliedstaatlichen Vorstellungen einzubringen. Vor diesem Hintergrund ist es möglich, die Erfolgsbezogenheit des deutschen Maklermodells beizubehalten.1947 Die neue Verbraucherkreditrichtlinie führt, was für den Verbraucherschutz bedauerlich ist, anders als die Versicherungsvermittlungsrichtlinie 2002/92/EG1948 und die Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente 2004/39/EG, keine Berufszugangsvoraussetzungen ein. Prinzipiell ist es aber dem deutschen Gesetzgeber unbenommen, solche zu statuieren und auch über diesen Weg die Qualität der Vertragsleistung sicherzustellen. Eine Umsetzung der neuen europäischen Regelungsvorgaben ist im Zuge der Transformation der neuen Verbraucherkreditrichtlinie mit Wirkung zum 11.6.2010 erfolgt.1949 Die §§ 655a ff. BGB a.F. wurden insofern moderat an die neuen Richtlinienvorgaben angepasst. d. Abgrenzung zu anderen Vorschriften Für den Kreditvermittlungsvertrag gelten, sofern der Vermittler unabhängig agiert, grundsätzlich die auf den Maklervertrag anzuwendenden Vorschriften, also die §§ 652–655 ff. BGB, soweit die §§ 655a ff. BGB nichts anderes bestimmen.1950 Insoweit sind insbesondere für die Aufklärungs- und sonstigen Pflichten des Vermittlers die zum Maklerrecht entwickelten Grundsätze von Bedeu1946
Rott, VuR 2008, 281, 284. Rott, VuR 2008, 281, 284. 1948 Vgl. dazu auch Benedict, ZIP 2005, 2129, 2137. Auf Grund der Richtlinie besteht für alle Mitgliedstaaten die Verpflichtung, die bisher erlaubnisfreie Tätigkeit der Vermittlung von Versicherungen einer Erlaubnispflicht zu unterziehen. Voraussetzung für eine Erlaubniserteilung sind dabei (1.) eine angemessene Qualifikation, (2.) ein guter Leumund und geordnete Vermögensverhältnisse sowie (3.) eine Berufshaftpflichtversicherung. Die Qualität der Beratung wird damit durch öffentlich-rechtliche Berufszugangserfordernisse automatisch gesteigert, wenngleich nicht garantiert. 1949 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufsund Rückgaberecht vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2355. 1950 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 1; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655 Rn. 2; Rott, VuR 2008, 281, 282. 1947
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tung,1951 die typischerweise über das Maß abhängigen Vermittlern auferlegten Aufklärungs- und Beratungspflichten hinausgehen.1952 e. Regelungsinhalt Das Regelungssystem der §§ 655a ff. BGB ist so aufgebaut, dass § 655a I 1 BGB zunächst in Übereinstimmung mit dem früheren § 1 III VerbrKrG den Anwendungsbereich festlegt und dabei die Darlehensvermittlung und die Vermittlung einer sonstigen Finanzierungshilfe zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer erfasst, wobei die Bereichsausnahmen gem. § 491 II BGB durch Verweisung übernommen werden, § 655a I 2 BGB.1953 Informationspflichten werden sogleich von § 655a II BGB postuliert. Danach hat der Kreditvermittler den Verbraucher neben den auch den Kreditgeber gem. § 491a BGB treffenden vorvertraglichen Informationspflichten zusätzlich nach Art. 247 § 13 EGBGB zu unterrichten. Bedeutsam sind hier insbesondere Name und Anschrift des Kreditvermittlers, die Angabe der Höhe der vom Verbraucher verlangten Vergütung, die Information, ob auch ein Dritter ein Entgelt bezahlt, die Mitteilung des Umfangs seiner Befugnisse und Angaben zu etwaigen Nebenentgelten, die in Textform zu erfolgen haben. In Abweichung zum sonstigen Maklerrecht wird in § 655b I 1 BGB ein Schriftformerfordernis statuiert. Dieses zielt ebenso wie die Notwendigkeit von Mindestangaben darauf ab, Transparenz bzgl. der mit dem Darlehensvermittlungsvertrag für den Verbraucher verbundenen Belastungen zu schaffen. § 655c BGB dient sodann der Verstärkung des Grundsatzes der erfolgsbezogenen Vergütung.1954 Aufgabe des § 655d BGB ist es schlussendlich, die Vereinbarung unseriöser Nebenentgelte zu verhindern. Abweichende Vereinbarungen zu Lasten des Verbrauchers scheitern an § 655e BGB. aa. Persönlicher Anwendungsbereich Der Kreditvermittlungsvertrag setzt gemäß § 655a BGB eine vertragliche Beziehung zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer voraus. Durch die Bezugnahme auf §§ 13, 14 BGB betreffen die §§ 655a ff. BGB Verbraucherrecht i.e.S. Über § 655e II BGB finden die Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers nach § 655a ff. BGB ausnahmsweise auch Anwendung auf den Existenzgründer i.S.d. § 512 BGB. Bei dem Unternehmer als gewerblich oder selbständig beruflich Tätigem kann es sich um einen Handels- oder Zivilmakler handeln.1955 1951
Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 655a Rn. 2. Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655a Rn. 1. 1953 Reiff, in Dauner/Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655a Rn. 1; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 655a BGB Rn. 1. 1954 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 1. 1955 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655a Rn. 5; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), Anm. zu §§ 655a – 655e Rn. 2. 1952
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bb. Sachlicher Anwendungsbereich Der Kreditvermittlungsvertrag und der Vertrag zur Vermittlung einer entgeltlichen Finanzierungshilfe sind als Sonderformen des entgeltlichen Maklervertrages1956 auf die Herbeiführung eines besonderen Hauptvertrages gerichtet. Der Hauptvertrag besteht in dem Verbraucherdarlehen oder der entgeltlichen Finanzierungshilfe, wobei die Bereichsausnahmen nach § 491 II BGB zu beachten sind, vgl. § 655a I 1, 2 BGB. Ähnlich wie früher nach §§ 15 ff. VerbrKrG finden die §§ 655a ff. BGB nach Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie auch wieder auf andere Finanzierungshilfen (vgl. §§ 506 ff. BGB) als Darlehen Anwendung. Nicht mehr ausgeschlossen als Hauptverträge aus dem Anwendungsbereich der §§ 655a ff. BGB sind damit Finanzierungsleasingverträge i.S.d. § 506 II BGB und Teilzahlungsgeschäfte gemäß §§ 506 I, 507 BGB.1957 Die Notwendigkeit der Schutzbereichserweiterung auf diese Hauptverträge ergab sich anlässlich der sehr weiten Fassung des „Kreditvermittlers“ in Art. 3 lit. f.) der neuen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG und des systematischen Zusammenhangs zum in der Richtlinie umfassend geregelten Kreditrecht. Entsprechend der zum Verbraucherdarlehensvertrag entwickelten Grundsätze liegt ein Darlehensvermittlungsvertrag bzw. ein Vertrag über die Vermittlung einer sonstigen Finanzierungshilfe i.S.d. § 655a BGB nur vor, wenn die Leistung des Vermittlers entgeltlich gestellt ist.1958 Hinsichtlich der Entgeltlichkeit genügt allerdings jede Art von Gegenleistung, mag sie auch geringfügig sein.1959 Gleichgültig ist auch, ob das Entgelt als einmalige Vergütung oder eingerechnet in Zinsen, Teilzahlungsaufschlag o.ä. bezahlt wird.1960 cc. Vertragsschluss Der Vertrag kommt zustande, wenn beide Parteien (Verbraucher und Kreditvermittler) sich darüber einig sind, dass der Kreditvermittler die Möglichkeit zum Abschluss eines Verbraucherkreditvertrages bzw. einer Finanzierungshilfe nach dem vom Verbraucher skizzierten Inhalt nachweist oder ihn sogar bis in die Phase des Abschlusses vermittelt. Die Wirksamkeit des Vermittlungsvertrages
1956
Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655a
Rn.4. 1957 Zum früheren Ausschluss vgl. BaRoth/Möller (2. Aufl., 2007), § 655a Rn. 1; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), Vor 655a Rn. 5; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655a Rn. 4; MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 7. 1958 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655a Rn. 5. 1959 OLG Köln ZIP 1994, 776. 1960 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655a Rn. 2.
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beurteilt sich nach allgemeinen Grundsätzen.1961 „Vermitteln“ ist das bewusste Herbeiführen der Abschlussbereitschaft des Darlehensgebers.1962 Das „Nachweisen“ betrifft hingegen das Aufzeigen einer hinreichend bestehenden Möglichkeit zum Abschluss eines Hauptvertrages.1963 Was die Parteien wollen, ist anhand der Auslegung ihrer Willenserklärungen zu ermitteln. Im Zweifel ist von einer gewollten rein vermittelnden Tätigkeit auszugehen.1964 Die Abgrenzung zwischen beiden Tätigkeitsformen (nachweisen/vermitteln) ist zwar nicht von Bedeutung für die Anwendung der §§ 655a ff. BGB, aber wichtig für die Bestimmung der auf den Vermittlungsvertrag anzuwendenden Vorschriften des allgemeinen Zivil- und Handelsrechts. Während nämlich das Eingreifen der §§ 93 ff. HGB betreffend der Handelsmakler eine über den Nachweis der Möglichkeit eines Vertragsschlusses hinausgehende Vermittlungstätigkeit voraussetzt, unterliegt der bloße Nachweismakler, selbst wenn sich seine Tätigkeit auf Gegenstände des Handelsverkehrs bezieht, nur den allgemeinen Vorschriften der §§ 652 ff. BGB.1965 Besonderheiten gegenüber dem sonstigen Maklerrecht ergeben sich insoweit, als nach § 655b I 1 BGB aus Gründen des Schutzes für den Verbraucher (Warn- und Transparenzfunktion)1966 Kreditvermittlungsverträge grundsätzlich schriftlich (§ 126 BGB) abzuschließen sind. Diese Regelung entspricht dem früheren § 15 VerbrKrG. Da die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form (§ 126a BGB) nicht ausgeschlossen ist, ist auch diese Form möglich. Bedeutsam ist insoweit nur, dass sich das Formerfordernis auf sämtliche Bestandteile des Vertrages, einschließlich etwaiger Änderungen, erstreckt.1967 Eine Blankounterzeichnung durch den Verbraucher ist daher nicht zulässig.1968 Ein Verstoß gegen die Formvorschrift gemäß § 655b I 1 BGB führt (ebenso wie die Nichtaufnahme des Vermittlungsentgelts in Form einer Prozentzahl des Darlehens in den schriftlichen Vertragstext, vgl. § 655b I 2 BGB) nach § 655b II i.V.m. § 125 BGB zur Nichtigkeit des Vermittlungsvertrages. Gleiches gilt für Vermittlungsverträge, die die Informationspflichten nach Art. 247 § 13 II EGBGB missachtet haben, § 655b II BGB.
1961
Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655a Rn. 2; MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 20. 1962 BGH NJW 1976, 1844; DB 1967, 1173, 1174; KG NJW 1968, 1782; MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 5. 1963 BGHZ 141, 40, 45 f.; NJW 1962, 2099; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655a Rn. 2. 1964 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 5. 1965 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 4. 1966 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655a Rn. 1. 1967 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 655b Rn. 2. 1968 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655b Rn. 3.
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dd. Pflichten des Verbrauchers Der Verbraucher ist bei einer entgeltlichen Kreditvermittlung zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Allerdings schränken die §§ 655c–d BGB diese Verpflichtung ein. Nach § 655c S. 1 BGB obliegt dem Verbraucher bei der Kreditvermittlung die Zahlung der Vergütung nämlich nur, wenn infolge der Vermittlung oder des Nachweises des Kreditvermittlers das Darlehen an den Verbraucher geleistet wird und der Widerruf (des Darlehensvertrages) des Verbrauchers nach § 355 BGB nicht mehr möglich ist. Im Fall der Vermittlung eines Umschuldungsdarlehens soll die Vergütungspflicht nur bestehen, wenn sich der effektive Jahreszins nicht erhöht, § 655c S. 2 BGB. Die hiermit vom Gesetzgeber getroffene Regelung verschärft zum Schutz des Verbrauchers den ohnehin am Leitbild des Maklervertrages orientierten Grundsatz der erfolgsabhängigen Vergütung.1969 Aus der Regelung folgt die Unwirksamkeit von Vorauszahlungsvereinbarungen und Vorkenntnisklauseln.1970 Wichtig im Zusammenhang mit der Vergütung ist ferner, dass § 655d 1 BGB die Vereinbarung von Nebenentgelten verbietet. Nach dieser Bestimmung darf der Kreditvermittler für Leistungen, die mit der Vermittlung oder mit dem Abschlussnachweis des Hauptvertrages zusammenhängen, keine zusätzlichen Entgelte (neben der von § 655c BGB geregelten Vergütung) vereinbaren. Damit soll unseriösen Vermittlern die Möglichkeit genommen werden, auch durch die Entgegennahme aussichtsloser Darlehenswünsche Geld zu verdienen.1971 Möglich ist allerdings eine vertragliche Abrede darüber, dass dem Kreditvermittler etwaig entstandene Auslagen zu erstatten sind (so genannter Aufwendungsersatzanspruch), vgl. § 655d 2 BGB. Dieser ist jedoch der Höhe nach insofern „gedeckelt“, als er den den Verbraucher (nach Art. 247 § 13 II Nr. 4 EGBGB) mitgeteilten Betrag nicht übersteigen darf, § 655d S. 3 BGB. I.Ü. muss es sich tatsächlich um Aufwendungen handeln, die erstattet verlangt werden. „Auslagen“ sind gemäß § 655d S. 2 BGB Aufwendungen, die der Vermittler für Rechnung des Verbrauchers (Auftraggebers), d.h. nach Vertragsschluss zur Durchführung des Vertrages getätigt hat. Hierunter fallen etwa Portokosten, Kosten einer für den Verbraucher eingeholten Auskunft, Anzeigekosten und das Wertgutachten eines Sachverständigen.1972 Nicht erstattungsfähig als Auslagen sind hingegen allgemeine Geschäftsunkosten und der Arbeitsauf-
1969 Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655c Rn. 1; Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655c Rn. 2. 1970 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 655c Rn. 6. 1971 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655a Rn. 1; Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 655d Rn. 1; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655d Rn. 2. 1972 OLG Köln ZIP 1993, 1541.
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wand1973 sowie die Kosten für die Fahrten zum Kunden.1974 Die Auslagen müssen ferner erforderlich gewesen und tatsächlich entstanden sein.1975 Eine Pauschalierung, insbesondere im Voraus, ist nicht gestattet.1976 ee. Pflichten des Kreditvermittlers Die Pflichten des Kreditvermittlers betreffen in erster Linie die dem Verbraucher mitzuteilenden Informationen. (1.) Information Gemäß § 655a II 1 BGB hat der Darlehensvermittler den Verbraucher über die sich aus Art. 247 § 13 EGBGB ergebenden Einzelheiten (Vertragsessentialia zum vermittelten Vertrag zuzüglich Name und Anschrift des beteiligten Darlehensvermittlers, Höhe der Vergütung für das vermittelte Geschäft, eventuelle Entgeltzahlung eines Dritten, der Umfang der Befugnisse des Vermittlers und die Höhe der Nebenentgelte) in der dort vorgeschriebenen Form zu unterrichten. Der Kreditvermittler ist i.Ü. wie der Kreditgeber zur Erteilung der vorvertraglichen Informationen nach § 491a BGB verpflichtet, vgl. § 655a I 2 BGB. Dies gilt nur in den Sonderkonstellationen nach § 655a I 3 BGB nicht. (2.) Vergütungsvereinbarung Die aus § 655b I 2 BGB a.F. herrührende (frühere) Verpflichtung, dass der Kreditvermittler die von ihm verlangte Vergütung in einem Prozentsatz des Darlehens schriftlich anzugeben hat, ist nach der Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie entfallen. Erforderlich ist gemäß Art. 247 § 13 II Nr. 1 EGBGB nur noch, dass die Höhe der Vergütung überhaupt im Vertrag angegeben wird. Ob und welche Vergütungen zu entrichten sind, bleibt jedoch prinzipiell auch im Bereich der Kreditvermittlung den Parteien überlassen. Regelmäßig erhält der Kreditvermittler seine Vergütung im Wege der Vermittlungsprovision vom Kreditgeber. Zulässig ist aber auch die Zahlung einer Vergütung durch den Verbraucher oder durch beide Parteien des vermittelten Vertrages, vgl. Art. 247 § 13 II Nr. 2 EGBGB. Eine Ausnahme gilt nur für Handelsvertreter i.S.d. §§ 84 ff. HGB, die nach § 87 HGB ihre Vergütung vom Kreditgeber erhalten und keine solche vom Kreditnehmer annehmen dürfen.1977
1973
Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655d Rn. 2. OLG Karlsruhe VuR 1998, 83. 1975 Die Beweislast liegt insoweit beim Vermittler, vgl. dazu OLG Karlsruhe NJW-RR 1996, 1451. 1976 OLG Karlsruhe NJW-RR 1996, 1451. 1977 Vgl. Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht (6. Aufl., 2006), § 655b BGB Rn. 8. 1974
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(3.) Trennung von Darlehensvertrag und Darlehensvermittlungsvertrag Über das Gesagte hinaus stellt § 655b I 2 BGB klar, dass der schriftlich abzufassende Kreditvermittlungsvertrag nicht mit dem (ggf. schriftlich vorliegenden) Antrag auf Hingabe des Kredites verbunden werden darf. Dieses so genannte „Trennungsgebot“ hat den Sinn, dass die rechtliche Selbständigkeit der beiden Verträge für den Verbraucher deutlich wird.1978 Über die von Art. 247 § 13 II EGBGB bezweckte Offenlegung der Gesamtkosten der Kreditvermittlung hinaus soll dem Verbraucher damit vor Augen geführt werden, dass das gewünschte Darlehen mit der Vermittlungstätigkeit keine einheitliche, nur im Verbund erhältliche Leistung bildet und stattdessen auch die ggf. kostengünstigere Möglichkeit des Abschlusses eines nicht vermittelten Darlehensvertrages in Betracht zu ziehen ist. Mit Blick auf § 655c S. 1 BGB hat der Verbraucher diese Option auch noch nach Abschluss des Vermittlungsvertrages, solange, wie der Hauptvertrag noch nicht unwiderruflich ist. Ein Verstoß gegen das Trennungsgebot ist nicht nur bei der Verwendung einer einheitlichen Urkunde, sondern auch bei der Verbindung zweier gesonderter Urkunden1979 anzunehmen. Er führt nach § 655b II BGB zur Unwirksamkeit des Kreditvermittlungsvertrages. (4.) Aushändigung des Vertrags in Textform Aus § 655b I 3 BGB ergibt sich ferner die Pflicht des Kreditvermittlers, den schriftlich abzufassenden Vermittlungsvertrag dem Verbraucher in Textform zukommen zu lassen. Anders als nach § 15 VerbrKrG und § 492 III 1 BGB ist die Aushändigung der Urkundsabschrift selbst nicht (mehr) erforderlich. Bei der Pflicht zur Aushändigung des Vertragsinhalts in Textform handelt es sich um eine Nebenpflicht aus dem Darlehensvermittlungsvertrag,1980 die der Sicherstellung der Information und Vertragstransparenz für den Verbraucher dient.1981 Daneben zielt sie auch auf die Verbesserung der rechtlichen Durchsetzbarkeit der Ansprüche des Verbrauchers, für die eine günstige Ausgangslage geschaffen werden soll.1982 Die Pflicht ist einklagbar. f. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Die Rechtsschutz- und Sanktionsmöglichkeiten zugunsten der Durchsetzung der besonderen Verbraucherrechte aus dem Kreditvermittlungsvertrag sind vielgestaltig.
1978 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2008), § 655b Rn. 4; MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 16. 1979 LG Berlin NJW-RR 1992, 678. 1980 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 655b Rn. 7. 1981 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655b Rn. 5. 1982 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 17.
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aa. Haftung für Pflichtverstöße des Kreditvermittlers Verletzt der Kreditvermittler seine nach §§ 655b ff. BGB bestehenden Pflichten, sind verschiedene Sanktionen denkbar. (1.) Verletzung der Aushändigungspflicht nach § 655b I 3 BGB Bei einer Außerachtlassung der nach § 655b I 3 BGB bestehenden Nebenpflicht auf Aushändigung des Vertragsinhalts kann der Verbraucher auf Aushändigung klagen.1983 Entsprechend der Rechtslage nach §§ 492 III 1, 510 II 3 BGB steht ihm überdies i.V.m. § 273 I BGB ein Zurückbehaltungsrecht zu, das er einem Zahlungsbegehren des Vermittlers entgegenhalten kann.1984 Besteht zwischen dem Kreditvertrag und dem Kreditvermittlungsvertrag, wie im Regelfall, eine wirtschaftliche Einheit i.S.v. § 358 BGB, so ergibt sich daraus für den Verbraucher gemäß § 359 BGB bezüglich der von ihm geschuldeten Vermittlungsvergütung zugleich ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Kreditgeber.1985 Denkbar ist überdies die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches aus § 280 I BGB, wenn und soweit dem Verbraucher aus der Pflichtverletzung des Vermittlers ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden ist.1986 (2.) Vertragsnichtigkeit nach § 655b II BGB Rechtsfolge eines Verstoßes der in § 655b I 1–2 BGB und in Art. 247 § 13 II EGBGB normierten Vorgaben ist die unheilbare1987 Nichtigkeit des Kreditvermittlungsvertrages.1988 Dies folgt aus § 655b II BGB. Infolge der Nichtigkeit und der Schutzzweckintention der Regelung bestehen keine vertraglichen Erfüllungsansprüche, insbesondere keine Provisionsansprüche des Vermittlers (auch nicht mittelbar über einen bereicherungsrechtlichen Ausgleich oder § 354 HGB).1989 Des Weiteren existiert kein vertraglicher Aufwendungsersatzanspruch. Nicht zum Entstehen gelangen auch etwaige Ersatzansprüche aus GoA, die in diese Richtung gehen. Es ist insofern auf die allgemeinen Grundsätze des Maklerrechts zu rekurrieren, wonach dem Makler auch dann kein Aufwendungsersatzanspruch
1983
MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 17. Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655b Rn. 5; Jauernig/Mansel (12. Aufl., 2007), §§ 655a–655e Rn. 12; BaRoth/Möller (2. Aufl., 2007), § 655b Rn. 8; MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 17; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655b Rn. 6. 1985 MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 17; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/ Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655b Rn. 6. 1986 Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655b Rn. 5. 1987 Eine entsprechend dem Darlehensrecht vorgesehene Heilungsmöglichkeit fehlt. 1988 BGHZ 163, 332, 335; MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 18; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655b Rn. 7. 1989 BGHZ 163, 332, 335; BaRoth/Möller (2. Aufl., 2007), § 655b Rn. 9; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), AnwK Schuldrecht (2002), § 655b Rn. 7; Palandt/ Sprau (68. Aufl., 2009), § 655b Rn. 6. 1984
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zusteht, wenn er keine Provision erhält.1990 Der eventuell geschlossene Kreditvertrag bleibt von der nach § 655b II BGB statuierten Nichtigkeitsfolge, die sich nur auf den Vermittlungsvertrag bezieht, aber unberührt.1991 (3.) Nichtigkeit der Abrede zum Nebenentgelt Wird entgegen § 655d BGB eine Abrede zu einem Nebenentgelt getroffen, ist diese wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig. Die Wirksamkeit des restlichen Darlehensvermittlungsvertrages richtet sich bei einer Nebenentgeltvereinbarung in AGB-Form nach § 306 I BGB, bei entsprechenden Individualabreden nach § 139 BGB.1992 (4.) Schadensersatz wegen Verletzung sonstiger allgemeiner Informationsund Beratungspflichten Die Diskussion darüber, ob den Vermittler aus der Verletzung eigener Informationspflichten eine eigene, zivilrechtliche Haftung wegen Vertragspflichtverletzung trifft, ist aus anderen Zusammenhängen bekannt. So ist sich beispielsweise die Lehre im Falle der Verletzung von Pflichten des Versicherungsvermittlers nach der Versicherungsvermittlungsrichtlinie 2002/92/EG1993 darüber einig, dass die dort gemeinschaftsrechtlich statuierten Informations- und Beratungspflichten das privatrechtliche Rechtsverhältnis ausgestalten1994 und ihre Verletzung daher zivilrechtliche Schadensersatzansprüche des geschädigten Verbrauchers gegen den Versicherungsvermittler auslösen kann.1995 Dasselbe gilt für die Verletzung der Beratungspflichten des Anlageberaters nach der MiFIDRichtlinie 2004/39/EG.1996 Ebenso wie andere Finanzintermediäre haftet auch der Kreditvermittler in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Anspruchsnorm für Schlechtleistungen in Bezug auf schuldhafte Pflichtverletzungen aus § 280 I BGB.1997 Allerdings ergibt sich auch aus der Neuregelung des Rechts der Kreditvermittlung in der Verbraucherkreditrichtlinie kein eigener, einheitlich europäisch vorgegebener An1990
MüKo/Habersack (5. Aufl., 2009), § 655b Rn. 18. OLG Karlsruhe WM 2000, 1996, 2001; LG Stuttgart WM 2000, 1492, 1495; Hk-BGB/ Ebert (5. Aufl., 2007), § 655b Rn. 6. 1992 Hk-BGB/Ebert (5. Aufl., 2007), § 655d Rn. 3. 1993 RL 2002/92/EG v. 9.12.2002, ABl.EG Nr. L 9/3. 1994 Reiff, ZVersWiss 2001, 451, 463; ders., VersR 2004, 142, 146; ders., WM 2006, 1701, 1703. 1995 Reiff, ZVersWiss 2001, 451, 463; Grundmann/Kerber, Party Autonomy and the Role of Information in the International Market (2001), S. 264, 303; vgl. bereits zu den Informationspflichten der Richtlinie 92/49/EG und 92/96/EG Kieninger, VersR 1998, 5, 7; a.A. Matusche-Beckmann, NVersZ 2002, 385, 388. Im deutschen Recht findet sich dieser Anspruch jetzt in § 63 VVG. 1996 BGH WM 2007, 487, 489; Veil, ZBB 2006, 162, 171; Weichert/Wenninger, WM 2007, 627, 635; Mülbert, WM 2007, 1149, 1157; Kumpan/Hellgardt, DB 2006, 1714 ff. 1997 MüKo/Roth (5. Aufl., 2009), § 652 Rn. 239; BGH WM 1982, 428; zum Versicherungsmakler vgl. Matusche-Beckmann, NVersZ 2002, 385, 386. 1991
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spruch auf Schadensersatz bei Verletzung einer Informations- bzw. Beratungspflicht.1998 Damit bleibt es bei den sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen für die vertragliche Pflichtverletzung nach deutschem Recht; selbst der Schadensumfang bemisst sich nach nationalen Maßstäben. Der Verbraucher muss gemäß §§ 280 I, 249 BGB so gestellt werden, wie er stünde, wenn der Kreditvermittler/ Makler seine Informationspflicht nicht schuldhaft verletzt hätte.1999 Dann hätte der Kunde das Geschäft häufig nicht abgeschlossen,2000 und der Kreditvermittler/Makler muss den Verbraucher nach den Grundsätzen der Naturalrestitution provisionsfrei stellen. I.Ü. ist der Vertrauensschaden, ggf. auch der Erfüllungsschaden (etwa bei einer zu hohen Gegenleistung) zu ersetzen.2001 bb. Kausalität und Beweislast Die Beweislast für die Pflichtverletzung trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Anspruchsteller, hier also der Verbraucher. Das Vertretenmüssen wird allerdings gemäß § 280 I 2 BGB vermutet. Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit den vertraglichen als auch den deliktischen Schadensersatzansprüchen ist die Darlegung der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Auch ihr Vorliegen hat grundsätzlich der Anspruchsteller zu beweisen. Ähnlich wie bei der fehlerhaften Anlageberatung dürfen jedoch hinsichtlich des Postulats des effektiven Rechtsschutzes die Beweisanforderungen nicht zu hoch angesetzt werden.2002 Das muss dazu führen, dass auch im Rahmen eines Schadensersatzanspruches wegen Aufklärungspflichtverletzung beim Darlehensvermittlungsvertrag die Vermutung für aufklärungsrichtiges Verhalten zugrunde zu legen ist.2003 cc. Sonstige Probleme der Rechtsdurchsetzung Bedauerlicherweise bleiben die neuen Vorgaben zur Kreditvermittlung in der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG hinter denen der Versicherungsvermittlungsrichtlinie 2002/92/EG und der MiFID-Richtlinie 2004/39/EG insoweit zurück, als sie keine Absicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Kreditvermittlers verlangt. Allerdings schafft die Richtlinie dadurch einen Ausgleich, dass die Nichterfüllung der neu geregelten Informations- und Beratungspflich1998
Der Grund für das Fehlen einer einheitlichen europäischen Vorgabe für diesen Fragenkreis beruht nicht zuletzt auf dem Fehlen eines einheitlichen Konzepts der Zurechnung für fremdes Verhalten, vgl. dazu Rott, VuR2008, 281, 284. 1999 OLG Schleswig NJW-RR 2002, 419, 420. 2000 BGH NJW 1982, 1144, 1145; OLG Köln MDR 2005, 974; OLG Schleswig NJW-RR 2002, 419, 420; LG Heidelberg MDR 2006, 859. 2001 OLG Schleswig NJW-RR 2002, 419. 2002 Grundlegend zum Einfluss des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes auf das Beweisrecht EuGH, Urt. v. 9.11.1983, Rs. C-199/82 – San Giorgio. 2003 Rott, VuR 2008, 281, 285.
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ten durch den Kreditvermittler regelmäßig zur gesamtschuldnerischen Haftung des Kreditvermittlers und des (zahlungskräftigen) Kreditgebers führt.2004 dd. Verbot abweichender Vereinbarungen und Umgehungen § 655e I 1 BGB statuiert zum Schutz des Verbrauchers ein Verbot einer zu seinen Lasten abweichenden Vereinbarung von den §§ 655a ff. BGB. Der gesamte Regelungskomplex normiert im Interesse des Verbraucherschutzes mithin einseitig zwingendes Recht. Zur Sicherstellung der Anwendung der §§ 655a ff. BGB wird i.Ü. eine Umgehung durch die Wahl objektiv anderer, aber funktionsgleicher Gestaltungsformen untersagt, § 655e I 2 BGB.2005 Mit diesen Ausführungen soll der Bereich des vertraglichen Verbraucherschutzes verlassen und zum deliktischen Verbraucherschutz übergegangen werden.
D. Deliktischer Verbraucherschutz durch Produzentenund Produkthaftung Verbraucherschutz generiert sich bekanntlich nicht nur im vorvertraglichen und vertraglichen Bereich. Er ist schon seit langem auch Bestandteil des Deliktsrechts.2006 Aus diesem Rechtssegment ragen neben der verbraucherfreundlichen Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht2007 vor allem die Regelungen zur Produzenten- und Produkthaftung hervor. I. Allgemeines Die Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte etablierte sich im deutschen Deliktsrecht schrittweise über zwei „Gleise“.2008 Sie generierte sich zum einen über die von der Rechtsprechung kreierten besonderen Grundsätze zur Produzentenhaftung nach § 823 I BGB, zum anderen über das am 1.1.1990 verabschiedete, europäisch „inspirierte“ Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG).2009 Phäno2004
Rott, VuR 2008, 281, 285. Ein Umgehungstatbestand greift insbesondere dann ein, wenn zwar kein Verbraucherdarlehen, aber ein als Umgehung der §§ 491 ff. BGB zu wertender Vertrag vermittelt wird, vgl. dazu Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 655e Rn. 3. 2006 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 271. 2007 Vgl. dazu meine Ausführungen zu dem Problemkreis der Beweislastumkehr im 2. Teil, 3, Kapitel; i.Ü. aber auch Tamm, in Tonner/Willingmann/Tamm (Hrsg.), Vertragsrechtsrechtskommentar (2010), Anhang II zu §§ 611 ff. BGB; dies., Jura 2008, 881 ff.; dies. Jura 2009, 81 ff. 2008 Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 88. 2009 BGBl. I 1989, S. 2198, zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften v.19.7.2002 (BGBl. I, S. 2674, 2679). 2005
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typisch für die von beiden Regelungskomplexen aufgegriffene Situation ist, dass der Schädiger (der Hersteller/Produzent) beim Vertrieb eines zuvor hergestellten gefährlichen Produkts, das zu Einbußen beim Verbraucher führt, in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit handelt.2010 Der Schädiger ist damit typischerweise Unternehmer i.S.v. § 14 BGB, wenngleich der Geschädigte oftmals, aber nicht immer Verbraucher ist. Die Haftung des Herstellers für Personen- und Sachschäden, die durch Fehler seiner Produkte entstehen, stellte im Zeitpunkt des ersten Aufgreifens des Problems durch die Rechtsprechung bereits ein zentrales Problem des Schadensrechtes dar.2011 Seit dem Erkennen des Regelungsbedürfnisses besteht bei produktverursachten Schäden die Tendenz, unter Einschränkung oder gar Umkehr der Beweislast die Rechtstellung des Betroffenen zu verbessern.2012 Die Haftungssituation (und damit das rechtliche Problem) ist in allen Fällen dadurch gekennzeichnet, dass zwischen dem Produzenten des fehlerhaften Produkts und dem Geschädigten keine vertraglichen Beziehungen bestehen, die als Grundlage eines etwaigen vertraglichen Schadensersatzanspruches gegen den Hersteller herangezogen werden könnten.2013 Denn im Normalfall kauft der Betroffene nicht direkt beim Hersteller, sondern beim Händler.2014 Selbst gegen den Händler (Verkäufer) stehen aber seine Chancen schlecht, Schadensersatzansprüche zu realisieren. Der Grund liegt auf der Hand. Zwar sieht das BGB in den §§ 434 ff. BGB Gewährleistungsrechte für Mängel an der Kaufsache vor. Jedoch nützen diese dem Käufer wenig. Denn für kaufrechtliche Ansprüche gelten zum einen (auch nach der Schuldrechtsreform) kürzere Verjährungsfristen, vgl. § 438 BGB im Gegensatz zu § 195 BGB. Außerdem geht es bei der Produzentenhaftung nicht um Ansprüche wie Minderung und Rücktritt, sondern um Schadensersatz. Ein Schadensersatzanspruch ist zwar in §§ 437 Nr. 3, 434 i.V.m. §§ 440, 280, 281 und § 311a BGB gesetzlich auch für das Kaufrecht verankert. Da dem Verkäufer jedoch regelmäßig keine Pflicht obliegt, eine fabrikneue Sache zu untersuchen, 2010
Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003), S. 6 Heiderhoff, Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 622; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 593. 2012 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 285; Schmidt, Schuldrecht BT II (2002), S. 284. 2013 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 157; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 592. Nie ausgeschlossen und immer als Sekundärmöglichkeit anzuprüfen ist allerdings eine strafrechtliche Sanktion und ein darüber begründeter Schadensersatzanspruch, wie etwa in der „Lederspray-Entscheidung“ des BGHSt 37, 106 ff. In dem dort zu entscheidenden Fall produzierte eine Firma Lederspray, bezüglich dessen Schadensmeldungen wegen Gesundheitsschäden eingingen. Eine Rückrufaktion fand nicht statt, da nach Entscheidung der Geschäftsleitung eine toxische Wirkung nicht nachweisbar war. Der BGH verurteilte die Entscheidungsträger (§§ 223 a, 230 StGB) unter Heranziehung der Garantenstellung aus Ingerenz. 2014 Zu den Begriffen Produzentenhaftung und Produkthaftung vgl. v. Westphalen, ZIP 1988, 139. 2011
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ist der Käufer oft nicht in der Lage, das erforderliche „Vertretenmüssen“ bzw. eine etwaige Pflichtverletzung seitens des Händlers darzutun.2015 Schließlich ist der Hersteller auch nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers, sodass sich dieser dessen Fehlverhalten nicht nach § 278 BGB zurechnen lassen muss.2016 Da auch keine eigenständigen Ansprüche aus einem Garantievertrag, der Drittschadensliquidation oder einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter konstruierbar sind,2017 war die Rechtsprechung schon früh bemüht, dem Verbraucher vor dem Erlass spezialgesetzlicher Regelungen entgegenzukommen und die allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften „nutzbar“ zu machen. Sie entwickelte – da andere Anspruchsgrundlagen fehlten – anhand des § 823 I BGB Verkehrssicherungspflichten und besondere Beweislastgrundsätze. Europarechtlich flankiert wurde diese besondere Handhabung des § 823 I BGB durch die Rechtsprechung seit 1990 durch das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG), das auf Grund der Produkthaftungsrichtlinie erlassen wurde. Es kommt durch den Erlass des ProdHaftG oftmals zu einer Anspruchsverstärkung, i.S.e. zweigleisigen Anspruchsbegründung beim Geschädigten. Zweigleisig2018 ist die Anspruchsbegründung deshalb, weil die Grundsätze zur Produkt- und Produzentenhaftung sowohl bzgl. des Tatbestandes als auch bzgl. des Anspruchsumfangs voneinander abweichen.2019 II. Entstehungsgeschichte Die Entstehung des deliktischen Verbraucherschutzes ist, wie bereits angedeutet, nach dem typischen Geschehensablauf im Verbraucherrecht durch das erste Aufgreifen der Problemlage in der Judikatur und dem späteren „Nachziehen“ des Gesetzgebers gekennzeichnet. Die Rechtsprechung hat zunächst, inspiriert und begleitet von der Literatur, bereits vor dem Inkrafttreten des ProdHaftG die Interpretation der deliktischen Grundlagennorm für einen Schadensersatzanspruch (hier: § 823 I BGB) erheblich zugunsten des geschädigten Konsumenten modifiziert und damit praktisch einen eigenständigen Rechtsbereich – den der Produzentenhaftung – mit besonderen Kriterien geschaffen.2020
2015
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 273; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 122; Schmidt, Schuldrecht BT II (2002), S. 284. 2016 BGHZ 48, 121 ff.; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 159. 2017 BGHZ 51, 100 ff.; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 158 f. 2018 Vgl. § 15 II ProdhaftG; zu der Zweispurigkeit siehe auch Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 161 f.; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 596; Lorenz, ZHR 151 (1987), 1 ff.; Sack, VersR 1988, 439 ff. 2019 Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 7 ff. 2020 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 161; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 122.
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Schon das Reichsgericht hatte sich vereinzelt mit der Haftung des Produzenten für fehlerhafte Erzeugnisse auseinanderzusetzen und dabei fast ausnahmslos auf das Deliktsrecht abgestellt.2021 Der BGH hat diese Praxis zunächst ohne nähere Erläuterungen aufgegriffen.2022 Nachdem jedoch in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vertragliche und quasivertragliche Modelle der Produkthaftung diskutiert wurden,2023 hatte er in seinem grundlegenden Hühnerpest-Urteil2024 unter Ablehnung dieser Vorschläge zutreffend2025 die Weichen für ein endgültiges deliktisches Haftungsmodell über §§ 823 ff. BGB gestellt. Im Einzelnen herrschte jedoch noch lange Zeit Unklarheit über die konkrete Begründung. So hat die Judikatur über einen weiten Zeitraum sowohl § 831 BGB2026 als auch § 823 BGB2027 herangezogen und damit für die Produkthaftung teilweise primär (an das dem Arbeitgeber) zurechenbare Fehlverhalten der Arbeitnehmer angeknüpft als auch gleich auf ein Organisationsverschulden des Herstellers nach § 823 I BGB abgestellt. Letzten Endes hat sich der Schwerpunkt der Haftung auf das Organisationsverschulden unter direkter Heranziehung des § 823 I BGB verlagert,2028 was auch damit begründet wurde, dass die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Herstellers nach § 831 BGB für das Fehlverhalten seiner Verrichtungsgehilfen immer schon extrem „hoch angesetzt“ wurden und er damit für die Produzentenhaftung faktisch nie zum Zuge kam.2029 Dieser Wandel der Rechtsprechung ist jedoch auch vom gedanklichen Ansatzpunkt des Vorwurfs des Pflichtverstoßes zu begrüßen. Denn die h.M. stellt heute zu Recht darauf ab, dass für die Produzentenhaftung nach § 823 I BGB ausschließlich an die Verkehrssicherungspflichten des Herstellers angeknüpft werden müsse und nicht an das Fehlverhalten einzelner Angestellter. 2030 Dabei liegen die Besonderheiten in der Statuierung der Produzentenhaftung neben den von der Rechtsprechung herausgebildeten spezifischen Herstellerverkehrssiche2021
RGZ 87, 1 ff.; RG LZ 1916 Sp. 1025; RG DR 1940, 1293. BGH VersR 1952, 357; 1953, 242; 1954, 100; 1955, 765; 1956, 410; 1956, 625; 1959, 104; 1959, 523; 1960, 342. 2023 Lukes, JuS 1968, 348 ff.; Teichmann, BB 1966, 173, 175; ders., JuS 1968, 315. Höhepunkt der Debatte war der 47. DJT 1968 (vgl. dazu etwa Verhandlungen des 47. DJT, Bd. I C 1–98 [Gutachten von Simitis], Bd. II M6–136, Sitzungsberichte); später auch Littbarski, JuS 1983, 345 ff.; Sack, VersR 2006, 582 ff. 2024 BGHZ 51, 91 ff. 2025 Bunte, NJW 1982, 1629; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 123; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III zu § 823 Rn. 2. 2026 BGH VersR 1952, 357; 1953, 242; BGH NJW 1973, 1602, 1603 f.; siehe dazu auch Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1295 ff. 2027 BGHZ 116, 104, 107; 86, 256, 257 f.; 80, 186, 188. 2028 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 593. 2029 Zum Befund Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1287. 2030 BGHZ 80, 186, 191 ff.; BGH NJW 1999, 1028 f.; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III zu § 823 Rn. 3; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1297; Giesen, NJW 1969, 582, 585 f.; Simitis, Verhandlungen des 47. DJT, Bd. I C S. 50 ff.; Steindorff, AcP 170 (1970), S. 93, 120 ff.; a.A. aber Lorenz, AcP 170 (1970), 367, 369 ff. 2022
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rungspflichten vor allem in der Modifizierung der allgemeinen Beweislastregeln zugunsten des Verbrauchers bzw. Produktgeschädigten.2031 Das ProdHaftG, welches am 1.1.1990 in Kraft trat,2032 stärkte die Anspruchsstellung des Geschädigten durch einen unabhängig von § 823 I BGB gegebenen Anspruch, der sich u.a. dadurch auszeichnete, dass er anders, als dies § 823 I BGB vom Grundsatz her verlangt, kein Verschulden des Herstellers an dem zum Schaden führenden Ereignis (d.h. dem Produktfehler) voraussetzt. Auch wurde durch das ProdHaftG der Herstellerbegriff erheblich erweitert. Von den spezifischen Besonderheiten des ProdHaftG abgesehen, griff die Rechtsprechung bei Auslegung und Anwendung des neuen Gesetzes in der Folgezeit bei vielen Fallgruppen aber auf Erfahrungen und gefestigte Dogmatik zurück, die zuvor bereits für die Haftungssituation der Produzentenhaftung im Zusammenhang zu § 823 I BGB entwickelt worden waren. Im Zuge der BSE-Krise kam es 1999 sodann zu einer Umstellung des ProdHaftG, die den sachlichen Anwendungsbereich betraf. Dieser bezog sich nunmehr auch auf landwirtschaftliche Produkte, was durch das „Gesetz zur Änderung produkthaftungsrechtlicher Vorschriften“2033 geregelt wurde. Eine Überführung des ProdHaftG in das BGB wurde jedoch weder durch die Schuldrechtsreform veranlasst, wie dies bei so vielen anderen verbraucherschützenden Gesetzen der Fall war, noch durch die Schadensrechtsreform in die Wege geleitet. III. Europarechtliche Aspekte Zurückzuführen ist das ProdHaftG auf die Produkthaftungsrichtlinie (85/374/ EWG)2034 der Gemeinschaft. Von den Entwicklungen in der deutschen Rechtsprechung, aber auch von parallelen Bestrebungen in anderen Mitgliedstaaten stark beeinflusst, verabschiedete die EG 1985 diese Richtlinie, welche – wie bereits beschrieben – am 1.1.1990 in das deutsche Recht transformiert wurde.2035 Bei der Produkthaftungsrichtlinie handelt es sich um die einzige deliktsrechtliche Richtlinie der Gemeinschaft.2036 Es besteht zwar daneben noch eine Produktsicherheitsrichtlinie,2037 diese ist jedoch zum öffentlich-rechtlichen Gefahrenabwehrrecht zu zählen. 2031
Umfassend dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 285 ff.; Soergel/ Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III zu § 823 Rn. 44 ff. 2032 BGBl. I, S. 2198 v. 15.12.1989. 2033 Gesetz v. 2.11.2000 (BGBl. I 2000, S. 1478). 2034 RL 85/374/EWG, ABl.EG Nr. L 210/29. 2035 Vgl. dazu BGBl. I, S. 2198 v. 15.12.1989. 2036 Zerres, JA 2002, 166, 167; zur gescheiterten Dienstleistungshaftungsrichtlinie vgl. Roth, JZ 1999, 529, 530. 2037 RL 92/59/EWG v. 29.6.1992 über die allgemeine Produktsicherheit (ABl.EG Nr. Nr. L 220/23).
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Die Bedeutung der Produkthaftungsrichtlinie ist nicht zu unterschätzen. Sie trägt maßgeblich zur Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes bei,2038 da die Produkthersteller in den Mitgliedstaaten durch sie einheitlichen Standards bei der Haftung für fehlerhafte Produkte unterworfen werden. Die ersten Überlegungen für ein europäisches Produkthaftungsrecht stammen aus den 1960er Jahren2039 und mündeten im Jahr 1981 im zweiten Programm zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher.2040 Durch den Rat der EG wurden zum „Schutz der Verbraucher gegen Gefährdung ihrer Gesundheit und Sicherheit“ erste Grundsätze und Leitlinien aufgestellt. Grundsätzlich sollten danach Güter bei Gebrauch unter normalen und vorhersehbaren Bedingungen keine Gefahren für Gesundheit und Sicherheit nach sich ziehen. Ist dies jedoch der Fall, sollten die fehlerhaften Produkte mittels schneller und einfacher Verfahren aus dem Verkehr gezogen werden können, und die Geschädigten sollten in die Lage versetzt werden, sich wegen Schadensersatzansprüchen an den Hersteller zu wenden, wofür die Anspruchsvoraussetzungen nicht zu hoch anzusetzen seien.2041 Die so formulierten Vorstellungen der Gemeinschaft mündeten 1985 in der verabschiedeten Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG), die im Jahr 1999 novelliert wurde,2042 und zwar insofern, als unter dem Eindruck der damals grassierenden Rinderseuche (BSE) die zuvor ausdrücklich ausgenommenen landwirtschaftlichen Naturprodukte in den Anwendungsbereich der Richtlinie mit eingestellt wurden.2043 Seitdem unterfallen alle, auch unverarbeitete Agrarprodukte der Produkthaftung. Von weiteren Verschärfungen der Richtlinie hat die Kommission trotz dahingehender zwischenzeitlicher Überlegungen2044 bislang Abstand genommen.2045 In der Diskussion stand diesbezüglich etwa die notwendige Verbesserung der Beweissituation des Geschädigten, die Einbeziehung von Entwicklungsrisiken in die Haftung sowie die Erweiterung des Kreises der von der Richtlinie erfassten 2038 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 25.4.2002, Rs. C-154/00 – Kommission/Griechenland, Rn. 29; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG Rn 1. 2039 Siehe dazu Lorenz, ZHR 151 (1981), 1, 2 ff.; Staudinger/Oechsler (2003), § 1 ProdHaftG Einl. Rn. 5 ff. 2040 Vgl. dazu das Zweite Programm der EWG für die Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, Entschließung des Rates v. 19.5.1981 (ABl.EG Nr. C 133/1 f. v. 30.6.1981). 2041 Zum Ganzen ausf. Heiderhoff, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 622, 625. 2042 Vgl. dazu die Richtlinie des Europäischen Rates und des Parlamentes v. 10.5.1999 (ABl.EG Nr. L 141/20 f. v. 4.6.1999). 2043 Siehe zu den Änderungen Heiderhoff, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 622, 626; Staudinger, NJW 2001, 275. 2044 Zum Grünbuch über „Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte“ v. 28.7.1999 siehe KOM (1999), 396 endg.; vgl. dazu auch Koch, PHi 2001, S. 2 ff. 2045 Zweiter Bericht zur Anwendung der Produkthaftungsrichtlinie, KOM (2000), 894 endg., v. 31.1.2001.
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Produkte und Schäden. Ebenso sollte die Haftungsbegrenzung überprüft werden.2046 Auch der Rat hat im Dezember 2002 eine Erweiterung der Haftung von Lieferanten angeregt.2047 Zu einer tatsächlichen Reform der Richtlinie ist es jedoch nicht gekommen. Die Kommission hat auf Grund der Reaktion „interessierter Kreise“ von dem Vorhaben einer tiefgreifenden Reform einstweilen Abstand genommen.2048 Gestützt wurde die 1985 verabschiedete Produkthaftungsrichtlinie (85/374/ EWG) seitens der Gemeinschaft auf den damaligen Art. 100 EWG.2049 In der Literatur wird in Bezug darauf vielfach proklamiert, es sei auch Grund dieser unspezifischen Kompetenzgrundlage, dass die Richtlinie selbst kein klares Regelungsziel erkennen lässt.2050 Denn die Richtlinie ist teils auf den Schutz des Endabnehmers (also insbesondere auf die Protektion des Verbrauchers) gerichtet, indem sie für diesen einen gewissen Schutzstandard festlegt. Sie berücksichtigt jedoch auch die Bedürfnisse des Herstellers, indem sie die Einführung höherer Schutzstandards durch die Mitgliedstaaten verbietet. Damit ist sie nicht – wie die meisten später verabschiedeten Richtlinien – auf eine Mindestharmonisierung gerichtet, wenngleich dies zunächst in Deutschland so gesehen wurde.2051 Sie beschränkt vielmehr den Schutzstandard nach oben.2052 Zwar enthält die Richtlinie selbst dazu keine ausdrückliche Anordnung. Jedoch hat der EuGH klargestellt, dass für die Produkthaftungsrichtlinie das Mindeststandardgebot gerade nicht gilt.2053 Nach Ansicht des EuGH sind nämlich die Abweichungsmöglichkeiten, welche den Mitgliedstaaten nach den Art. 15 I lit. a) und b) und Art. 16 der Richtlinie zustehen, eng definiert und abschließend aufgezählte Ausnahmen,2054 sodass die Richtlinie im Grundsatz auf eine Vollharmonisierung hinausläuft.2055
2046
Vgl. zu diesen Diskussionspunkten MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG
Rn. 6. 2047
ABl.EG 2002 Nr. C 26/3 f. MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG Rn. 2; vgl. dazu auch Hodges, PHI 2001, 14; Sieg, PHI 2001, 72. 2049 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG Rn. 4; Staudinger/Krause (13., Aufl., 2005), Vor § 1 ProdHaftG Rn. 1. 2050 Heiderhoff, in Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 622, 626. 2051 Sack, VersR 1988, 439, 442; darstellend auch MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG Rn. 3; Heiderhoff, a.a.O. 2052 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG Rn. 3. 2053 EuGH, Urt. v. 25.4.2002, Rs. C-154/00 – Kommission/Griechenland. 2054 Mit dieser engen Auslegung hat der EuGH entschieden, dass die überschießende Umsetzung der Richtlinie in Griechenland und Frankreich fehlerhaft sei, vgl. EuGH, Urt. v. 25.4.2002, Rs. C-52/00 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urt. v. 25.4.2002, Rs. C-154/00 – Kommission/Griechenland. 2055 Heiderhoff, a.a.O. 2048
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IV. Verhältnis zu anderen Vorschriften Auf Grund der Rechtsprechung des EuGH ist in Deutschland zunächst eine gewisse Verunsicherung darüber entstanden, ob die parallele Weitergeltung der aus dem Deliktsrecht entwickelten Grundsätze zur Produzentenhaftung nach § 823 I BGB der Produkthaftungsrichtlinie entspricht.2056 Die Weitergeltung der von der Rechtsprechung entwickelten alten Maßstäbe zur Produzentenhaftung kann jedoch schon damit gerechtfertigt werden, dass diese ein anderes Themenfeld betreffen, nämlich die verschuldensabhängige Haftung des Herstellers, die gar nicht Regelungsgegenstand der Produkthaftungsrichtlinie ist.2057 Die sondergesetzliche Haftung nach dem ProdHaftG stellt niedrigere tatbestandliche Anforderungen zur Realisierung des Schadensersatzanspruches auf, ist in der Reichweite des Schutzes im Vergleich zu § 823 BGB aber enger. Zum einen sieht sie bei Personenschäden einen Haftungshöchstbetrag vor (§ 10 ProdHaftG). Zum anderen enthält sie für Sachschäden mehrere Restriktionen. So werden etwa gewerblich genutzte Gegenstände von vornherein aus der Schadensersatzhaftung ausgeklammert (§ 1 I 2 ProdHaftG). Bei privat genutzten Gegenständen bedarf es der Beschädigung einer anderen Sache, sodass „Weiterfresserschäden“ nicht einbezogen sind. Außerdem ist nach dem ProdHaftG, quasi als Ausgleich für die verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Herstellers, eine Selbstbeteiligung angeordnet (§ 11 ProdHaftG).2058 I.Ü. erfasst das ProdHaftG – anders als die Produzentenhaftung nach § 823 I BGB – keine Verletzung der Produktbeobachtungspflichten.2059 Der frühere Ausschluss des Ersatzes immaterieller Schäden aus dem ProdHaftG2060 ist mit dem Schadensrechtsänderungsgesetz im Jahr 2002 allerdings entfallen, sodass auch bei einer Haftung nach dem ProdHaftG nun ein immaterieller Schadensersatz gewährt werden kann (§ 8 II ProdHaftG). In der praktischen Anwendung stand die Produkthaftung gerade wegen des Ausschlusses des Schmerzensgeldes bislang im Schatten der Produzentenhaftung. Ob sich dies mit der Neuregelung in § 8 II ProdHaftG ändern wird, muss sich noch zeigen. Vorhersehbar ist jedoch, dass das auf der Grundlage des ProdHaftG zu zahlende Schmerzensgeld niedriger anzusetzen sein wird, da mangels eines auszugleichenden Verschuldens die Genugtuungsfunktion entfällt.2061 2056
Heiderhoff, a.a.O. So zutreffend Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 5; Heiderhoff, Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 622, 633; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 15. Auch der EuGH stellte klar, dass es nicht Ziel der Produkthaftungsrichtlinie sei, das gesamte nationale Deliktsrecht auszuhebeln, vgl. EuGH, Urt. v. 25.4.2002, Rs. C-154/00 – Kommission/Griechenland. 2058 Kritisch dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 283 m.w.N. 2059 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III zu § 823 Rn. 6. 2060 Dazu früher zutreffend kritisch Hommelhoff, FS Rittner (1991), 165, 167 f. 2061 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III zu § 823 Rn. 6. 2057
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Eine spezialgesetzliche Regelung für Arzneimittel und deren schädigende Folgen enthalten die §§ 84 ff. ArzneimittelG.2062 Diese Regelungen gehen z.T. weiter als die Produkthaftung, weil sie entwicklungsspezifische Gefahren mit einschließen. Sie sind aber insofern enger, als sie Schäden von Personen, die das fragliche Medikament nicht selbst gebraucht haben, nicht erfassen.2063 Die deliktische Produzentenhaftung nach § 823 BGB ist gemäß § 91 ArzneimittelG neben der spezialgesetzlichen Haftung des Arzneimittelherstellers nach §§ 84 ff. ArzneimittelG anwendbar.2064 Demgegenüber wird die Haftung nach dem ProdHaftG verdrängt, vgl. § 15 ProdHaftG.2065 In einem verdrängenden Rechtsverhältnis zum ProdHaftG stehen i.Ü. die §§ 25 ff. AtomG,2066 § 823 BGB ist dementgegen parallel anwendbar. Die deliktische Produkt- bzw. Produzentenhaftung schließt i.Ü. eine zugleich bestehende vertragliche Haftung nicht aus, wenn und soweit der Anspruchsgegner zugleich (etwa aus einem Kauf- bzw. Werkvertrag) Vertragspartner des Geschädigten ist.2067 Denn nach h.M. steht die Deliktshaftung eigenständig neben etwaigen vertraglichen Ansprüchen des Geschädigten (so genanntes Kumulationsprinzip).2068 Das gilt auch für Fragen der Verjährung,2069 der kaufmännischen Rügeobliegenheit nach § 377 HGB2070 und des schlicht auf vertragliche Ansprüche bezogenen Gewährleistungsausschlusses.2071 V. Regelungsinhalt Die allgemeine deliktsrechtliche Produzentenhaftung wurde durch Fortbildung der Haftung nach § 823 I BGB unter besonderer Berücksichtigung der Grundsätze über die Verletzung der Verkehrssicherungspflichten entwickelt. Grundgedanke der Produzentenhaftung nach § 823 I BGB ist, dass die Herstellung und das Inverkehrbringen von Produkten (die immer abstrakt gefährlich sind) be-
2062
MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 597. Deutsch, VersR 1979, 685, 689. 2064 BGHZ 106, 273, 283 f.; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 597. 2065 Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 88; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 169; kritisch dazu Koch, ZHR 152 (1988), 537, 560; Magnus, JZ 1990, 1100, 1102; Sack, VersR 1988, 439, 442. 2066 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 191. 2067 BGHZ 67, 359, 362 f.; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 172; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 594. 2068 Zur echten Anspruchskonkurrenz BGHZ 67, 359 ff.; 86, 256, 259; BGH NJW 1994, 517, 518; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 594; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 8; Röhl, JZ 1979, 369 ff.; ablehnend Lieb, JZ 1977, 342, 346. 2069 BGHZ 67, 359, 366; 66, 315, 320 ff.; 55, 392, 397 ff. 2070 BGHZ 101, 337, 343 ff. 2071 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 594. 2063
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sondere Verkehrssicherungspflichten begründen, deren schuldhafte Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen können.2072 Die Regelung der Gefährdungshaftung nach dem ProdHaftG rekurriert ebenfalls auf die abstrakte Gefahrverursachung, für die verschuldensunabhängig, wenngleich im Haftungsumfang eingeschränkt, nach dem ProdHaftG gehaftet werden soll, weil dem Hersteller die Vorteile des Inverkehrbringens seiner Erzeugnisse wirtschaftlich zu Gute kommen. Im folgenden Abschnitt werden die Grundsätze zur Produzenten- und Produkthaftung zunächst getrennt besprochen, die vorhandenen Überschneidungen und Unterschiede werden herausgestellt. 1. Produzentenhaftung nach § 823 BGB Die Produzentenhaftung nach § 823 BGB setzt voraus, dass das Produkt eines Herstellers die in § 823 I BGB geschützten Rechtsgüter,2073 insbesondere Körper, Gesundheit, Eigentum, bei einer Person verletzt und die Verletzungshandlung bzw. der Verletzungserfolg dem Produzenten nicht nur zurechenbar, sondern auch vorwerfbar ist, wobei das Problem des fehlenden Wissens über betriebsinterne Abläufe mit Beweislasterleichterungen auf Seiten des Verletzten verbunden wird.2074 Eine deliktische Produzentenhaftung kann sich neben § 823 I BGB auch aus einem schuldhaften Verstoß gegen ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 II BGB ergeben.2075 Hervorzuheben als Schutzgesetze sind insbesondere das Geräte- und ProduktsicherheitsG,2076 das die bisher getrennten Regelungen des GerätesicherheitsG und des ProduktsicherheitsG zum 1.5.2004 zusammengefasst hat. Als weitere Schutzgesetze kommen das ArzneimittelG, das Lebensmittel- und BedarfsgegenständeG, die TrinkwasserVO, das FuttermittelG sowie die FuttermittelVO, das PflanzenschutzG und das Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten in Betracht. a. Persönlicher Anwendungsbereich Der personelle Anwendungsbereich der Produzentenhaftung nach § 823 I BGB ist weit gesteckt. Anspruchsteller kann jede Person sein, die durch ein Produkt eines Herstellers geschädigt wird, losgelöst davon, ob es sich dabei um den Käu-
2072
PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 173. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 285 ff.; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1303. 2074 Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 124. 2075 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 671; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 167; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 64. 2076 BGBl. I 2004, 2; vgl. dazu Klindt, NJW 2004, 465 ff.; Littbarski, VersR 2005, 448 ff.; Potinecke, DB 2004, 55 ff.; Wilrich, Geräte- und Produktsicherungsgesetz (2004). 2073
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fer oder einen zufällig Drittbetroffenen, Verbraucher oder Gewerbetreibenden handelt.2077 Für die Eigenschaft als Anspruchsgegner kommt es lediglich darauf an, „Produktverantwortlicher“ zu sein. Typischer Anspruchsgegner im Rahmen der Produzentenhaftung ist der Eigenhersteller in der Position des Endherstellers, der das Erzeugnis vollständig entwirft und produziert.2078 Wird ein Produkt in mehreren Fertigungsstufen hergestellt oder werden einzelne Funktionen (Konstruktion, Fabrikation) abgetrennt, kommt es zu einer Verteilung der Verkehrssicherungspflichten auf verschiedene Verantwortliche. Ausgangspunkt ist, dass der Endhersteller deliktisch nur für seine eigene Sphäre verantwortlich ist.2079 Konstruiert er das Produkt selbst, so muss er Gefahren vermeiden, die sich aus dem Zusammenwirken der Einzelteile ergeben.2080 Der Zulieferer ist demgegenüber nur für die Sicherheit des von ihm hergestellten Vorprodukts verantwortlich.2081 Werden insofern Fehler begangen, kann der Endhersteller hierfür nicht zur Verantwortung gezogen werden,2082 da der Zulieferer nicht Verrichtungsgehilfe des Endherstellers i.S.d. § 831 BGB ist.2083 Wird das Produkt nach Plänen des Endherstellers zusammengebaut und ist nur der Zusammenbau in Konstruktion oder Ausführung fehlerhaft, ist der Zulieferer aus der Verantwortlichkeit entlassen.2084 Anders als bei der Produkthaftung ist die Stellung des Quasi-Herstellers bei der Produzentenhaftung zu beurteilen. Als Quasi-Hersteller bezeichnet man den Vertreiber, der auf dem Produkt seinen eigenen Namen anbringt, ohne es indes hergestellt zu haben. Während dem Quasi-Hersteller nach § 4 I ProdHaftG eine umfassende Produktverantwortung zufällt, ist er nach h.M. im Bereich der Produzentenhaftung nach § 823 I BGB mit dem „echten“ Warenhersteller gerade nicht gleichzusetzen, was auf dem fehlenden Einfluss auf Konstruktion und Fabrikation beruht.2085 Den Quasi-Hersteller treffen im Rahmen der Produzentenhaftung daher nur Instruktions- und passive Produktbeobachtungspflichten.2086 2077 BGHZ 51, 91 ff.; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 169; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 181. 2078 Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 59; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 601; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 183; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 31; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 60. 2079 Soergel/Krause, (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 31. 2080 BGH VersR 1967, 498 f.; OLG Celle VersR 1978, 258, 259. 2081 Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 59; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 601; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 60. 2082 BGH NJW 1996, 2224, 2225; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 171. 2083 BGH NJW 1976, 46, 47. 2084 BGH VersR 1990, 532, 533; zum Ganzen MüKo/Wagner, a.a.O. 2085 BGH NJW 1994, 517, 519; 1987, 372, 373; 1980, 1219; VersR 1977, 839; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 171; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 184; Soergel/ Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 39. 2086 BGH NJW-RR 1995, 342, 343; NJW 1994, 517, 519; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl.,
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Gleiches gilt für den Importeur, der ein fremdes Produkt in ein bestimmtes Land einführt.2087 Pflichtadressat der Produzentenhaftung ist grundsätzlich der Unternehmensträger selbst. Vereinzelt hat man zwar auch Mitarbeiter in „herausgehobener Stellung“ als verantwortlich für Produktfehler erklärt.2088 Diese Sichtweise ist jedoch aus dogmatischen Gründen abzulehnen, weil die Anwendung der Regelungen zur Beweislastumkehr nicht vereinbar ist mit den diesen Personen (ggf. nur eingeschränkt) zustehenden Entscheidungsbefugnissen und den wirtschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten, die die Grundlage der Herstellerhaftung bilden.2089 Davon unabhängig kann sich freilich die Frage der eigenen Mitarbeiterverantwortlichkeit nach § 823 I BGB stellen, die jedoch keine „Produzenten“verantwortlichkeit betrifft, sondern die „normale“ deliktische Haftung wegen Rechtsgutsverletzung ohne Zugrundelegung der Besonderheiten der Herstellerhaftung. b. Sachlicher Anwendungsbereich Die Grundsätze über die deliktische Produzentenhaftung, die in besonderen Verkehrssicherungspflichten sowie vor allem in einer den Geschädigten begünstigenden Beweislastverteilung ihren Ausdruck finden, 2090 knüpfen implizit an das Vorhandensein eines Produkts,2091 also einer die Herstellersphäre verlassenden hergestellten Sache (im weitesten Sinn) an. Da es letztlich darum geht, die Eigenheiten, insbesondere die Besonderheit arbeitsteiliger Produktion und Distribution haftungsrechtlich adäquat abzubilden, ist der Produktbegriff nach § 823 BGB, der nur benötigt wird, um Verletzungshandlung und Verletzungserfolg dem Produzenten zuzurechnen, ohne Rücksicht auf die den europäischen Vorgaben geschuldeten Einschränkungen von § 2 ProdHaftG zu bestimmen.2092
2007), § 823 Rn. 171; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 646; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 59; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 39; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1308. 2087 BGHZ 139, 79, 82 ff.; BGH NJW 1994, 517, 519; Nettelbeck, Produkthaftung, Produktsicherheit (1995), S. 61; MüKo/Wagner (5. Aufl., § 823 Rn. 647; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 184; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1308. 2088 BGH NJW 2001, 964, 965; 1975, 1827, 1828 f.; 1987, 372, 374; zustimmend Foerste, VersR 2002, 1, 2 ff.; einschränkend bereits Wagner, VersR 2001, 1057, 1060 ff. 2089 So zutreffend Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 63; ähnlich restriktiv zur Mitarbeiterhaftung MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 858. 2090 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 285 ff.; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 157; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 167 ff. 2091 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 168. 2092 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 9; Brüggemeier, WM 1982, 1294.
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c. Regelungsinhalt Schon das Reichsgericht hat aus § 823 BGB den allgemeinen Grundsatz entwickelt, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, die nach der Lage der Verhältnisse erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Rechtsgüter Dritter zu treffen hat.2093 Dies besagt in der Sache: Alle mit der Herstellung sowie mit dem Vertrieb von Waren befassten Personen sind verpflichtet, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die als erforderlich und zumutbar anzusehen sind, um Gefahren abzuwenden, die aus einer möglichen Schadhaftigkeit der hergestellten bzw. vertriebenen Produkte resultieren könnten.2094 Dabei ist zu gegenwärtigen, dass die aus § 823 BGB abgeleitete Produzentenhaftung – nach wie vor – eine verschuldensabhängige Einstandspflicht darstellt. Folglich dürfen keineswegs nur die Produkte auf den Markt gebracht werden, die absolut sicher sind, sodass es ausgeschlossen ist, dass es infolge eines Produktfehlers zu einem Schaden kommen könne. Ansatzpunkt der Produzentenhaftung ist vielmehr, dass nur solche Produktfehler eine Haftung des Produzenten wegen Sach- oder Körperschäden eines Dritten nach sich ziehen, welche bei Anwendung der objektiv erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen hätten vermieden werden können.2095 aa. Verletzungshandlung: Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Zu prüfen im Rahmen des § 823 I BGB ist, ob den Hersteller der Vorwurf der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht trifft, wobei sich die Pflichtverletzung in der Fehlerhaftigkeit der Herstellerprodukte (objektiv) manifestiert.2096 Der Kreis der potentiell fehlerhaften Herstellerprodukte ist im Rahmen der Produzentenhaftung weit zu ziehen. Hierzu gehören zum einen körperliche Gegenstände, wie etwa Kleidung, Geräte, Bauteile, Lebensmittel etc., zum anderen aber auch unkörperliche Lieferungen, etwa die von Waren der Daseinsvorsorge (Wasser oder Elektrizität), aber auch die Entsorgung von Abfall.2097 (1.) Konstruktionspflichten/Konstruktionsfehler Zentrale Verkehrssicherungspflicht des Herstellers ist es, ein Produkt so zu konstruieren, dass es das erforderliche Sicherheitsniveau aufweist.2098 Öffentlich-rechtliche Sicherheitsstandards, z.B. DIN-Normen, ISO-Normen, VDIRichtlinien, bilden nur die Untergrenze der zu beachtenden Sicherheitsanfor2093
RGZ 52, 373 ff.; 54, 53 ff. RGZ 163, 21, 26; BGHZ 51, 91, 105; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 167. 2095 V. Westphalen, Jura 1983, 57, 58. 2096 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 617 ff., 628 ff. 2097 Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 15 ff.; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 170; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 180; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 9. 2098 BGH VersR 1960, 855; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 628; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1300. 2094
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derungen.2099 Sind die erforderlichen Verkehrssicherungspflichten bei der Konstruktion nicht eingehalten worden, handelt es sich um einen vom Hersteller zu verantwortenden Konstruktionsfehler.2100 Er ist – weil schon in der Planung des Produkts angelegt – dadurch gekennzeichnet, dass er der gesamten Produktserie anhaftet.2101 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Einhaltung der erforderlichen Verkehrssicherungspflicht bei der Konstruktion ist der des Inverkehrbringens des Produkts. Nur wenn die Schädlichkeit des hergestellten Gegenstandes auf Grund des Konstruktionsfehlers zu diesem Zeitpunkt nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht zu erkennen war, liegt keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor.2102 Obwohl Konstruktionsfehler wegen ihres Seriencharakters ein hohes Risikopotential bergen, spielen sie in der Rechtsprechung keine allzu große Rolle.2103 Einzelne Urteile beschäftigen sich mit falsch konstruierten Klapprädern,2104 Kühlmaschinen,2105 Kompressoren,2106 Wasserrutschen,2107 Abdeckfolien,2108 Süßwaren und Getränken.2109 (2.) Fabrikationspflichten/Fabrikationsfehler Die Verkehrssicherungspflicht des Herstellers bezieht sich aber auch auf die im Anschluss an die Konstruktion einzuleitende Phase der Fabrikation. Bedeutsam für diese Phase ist, dass der Hersteller den Fertigungsprozess so zu gestalten und zu überwachen hat, dass Fehlerquellen so weit wie möglich ausgeschaltet werden.2110 Fehler, die in diesem Stadium auftreten, werden als so genannte Fabrikationsfehler bezeichnet. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass es bei der Fertigung der an sich einwandfrei konstruierten Produkte zu negativen Ab-
2099 BGH BB 1972, 13, 14; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 625: „Mindeststandard“; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 27; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 58. 2100 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1999, 25, 26; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 173; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 175. 2101 BGH VersR 1971, 80 ff.; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 173; MüKo/ Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 628. 2102 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 628; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 175; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 18. 2103 Zu diesem Befund MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 628. 2104 BGH NJW 1980, 1219; OLG Frankfurt VersR 1994, 1118, 1119. 2105 BGH VersR 1960, 1095, 1096. 2106 OLG Nürnberg NJW-RR 1987, 278. 2107 OLG Schleswig Zfs 1999, 369, 371. 2108 BGH NJW 1985, 194. 2109 LG Mönchengladbach NJW-RR 2002, 896, 898; OLG Düsseldorf VersR 2003, 912, 914. 2110 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 173; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 632; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 28; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1300; v. Wesphalen, Jura 1983, 57, 59.
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weichungen vom Soll-Standard kommt.2111 Typischerweise sind von diesem Defekt nur einzelne Stücke betroffen.2112 Notwendig ist dies jedoch nicht. Denn es ist auch denkbar, dass eine gesamte Serie fehlerhaft produziert wurde. Da die deliktische Produktverantwortung eine Haftung für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ist, ist der Pflichtenkreis auf das objektiv Zumutbare begrenzt.2113 Der Hersteller haftet unter diesem Gesichtspunkt nicht für so genannte „Ausreißer“, also für solche Produkte, deren fehlerhafte Fertigung sich trotz Anwendung aller gebotener Sorgfalt nicht vermeiden lässt.2114 Plastisch wird der Umgang mit dem Fabrikationsfehler anhand der viel diskutierten Fälle der berstenden Mineralwasser- bzw. Limonadenflaschen. In der Rechtsprechung wurde herausgearbeitet, dass der Getränkehersteller verpflichtet ist, das Berstrisiko durch Überprüfung der in den Verkehr gebrachten Neuund Mehrwegflaschen zu reduzieren.2115 Eine absolute Sicherheit kann durch diese Maßnahmen freilich nicht garantiert werden. Sofern der Getränkeabfüller nachweisen kann, dass er dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechende Prüfungsmaßnahmen durchgeführt hat, ist er von der Haftung freigestellt, da ihn kein Vorwurf bezüglich der Außerachtlassung von Verkehrssicherungspflichten trifft.2116 Die Exkulpation des Herstellers mit Hinweis auf die Ausreißereigenschaft ist jedoch nicht unumstritten. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Anforderungen an die sorgfältige Fabrikation so hoch seien, dass Ausreißer praktisch kaum noch auftreten können.2117 Das Problem „entschärft“ sich,2118 wenn man die praktische Handhabung der Ausreißerproblematik durch den BGH betrachtet. Denn die Sorgfaltspflichtanforderungen wurden von der Judikatur tatsächlich so hoch geschraubt, dass „Ausreißer“ nur selten anerkannt werden.2119 Dies hängt auch damit zusammen, dass dem Hersteller aufgegeben wird, neben der sorgfältigen Fertigung des Produkts auch eine nachträgliche Qualitätskon2111
BGHZ 67, 359, 362. Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 28. Als Beispiele lassen sich anführen: die Verunreinigungen von Speisen (BGHZ 116, 104, 107), von Impfstoffen (BGHZ 51, 91, 102) und die Produktion fehlerhafter Transistoren (BGHZ 138, 230, 231, 234 ff.). 2113 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 20. 2114 BGH NJW 1975, 1827, 1828; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1300; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 174; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 131; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 634; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 176; kritisch zur Ausreißerproblematik Steindorff, AcP 170 (1970), 99 ff. 2115 BGHZ 104, 323, 326 ff.; 129, 353, 361 ff.; vgl. auch BGH NJW 1993, 528; NJW-RR 1993, 988; OLG Koblenz NJW-RR 1999, 1624. 2116 OLG Koblenz NJW-RR 1999, 1624, 1626; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 635. 2117 Erman/Schiemann (11. Aufl., 2004), § 823 Rn. 117. 2118 Zu diesem Befund v. Westphalen, Jura 1983, 57, 61. 2119 BGH DB 1970, 1682. 2112
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trolle2120 durchzuführen, die umso engmaschiger und intensiver sein muss, je fehleranfälliger der Produktionsprozess und die dadurch hervorgerufenen abstrakten Risiken sind, die zumutbar vermieden werden können. 2121 (3.) Instruktionspflichten/Instruktionsfehler Der Hersteller ist neben der sorgfältigen Konstruktion und Fabrikation weiter verpflichtet, den Nutzer über die für die Sicherheit des Produkts relevanten Aspekte zu informieren.2122 Art und Umfang der Instruktion richten sich an der Gefährlichkeit des Produkts und das Durchschnittswissen des jeweiligen Produktnutzers, aber auch an der Zumutbarkeit seitens des Herstellers aus. 2123 Als geeignete Maßnahmen kommen insbesondere Gebrauchsanweisungen, Verarbeitungshinweise, ggf. auch separate Warnhinweise in Betracht. Inhaltliche Anforderungen werden insoweit gestellt, als die Instruktion deutlich (also nicht versteckt)2124 und für den in Frage kommenden Nutzerkreis verständlich2125 sein muss. Der haftungsgebende Grund für diese Pflicht ist der Umstand, dass die Gefahr von Rechts(guts)verletzungen nicht nur von den unmittelbaren Sacheigenschaften, sondern wesentlich auch vom Umgang mit dem Erzeugnis abhängt.2126 Instruktionsfehler liegen somit vor, wenn der Nutzer vor den mit der Benutzung verbundenen Gefahren nicht hinreichend gewarnt wird, sofern eine Warnung notwendig war, weil die Gefahr betreffend einer bestimmten Benutzung nicht zum Allgemeinwissen gehört.2127 Hinweise über den Fehl- bzw. Missgebrauch sind insbesondere dann notwendig, wenn es sich um einen nahe liegenden Produkteinsatz innerhalb des allgemeinen Verwendungszwecks handelt.2128
2120 OLG Düsseldorf NJW 1978, 1693; OLG Hamm OLGZ 90, 115, 118; OLG Köln NJWRR 1991, 740; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 176. 2121 So zutreffend PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 176; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 61. 2122 BGHZ 116, 60, 65; 64, 46, 49; BGH NJW 1999, 2815; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 638; Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 408; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 29; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1301; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 61. 2123 V. Westphalen, Jura 1983, 57, 62. 2124 BGHZ 99, 167, 181; 116, 60, 68; BGH NJW 1999, 2273, 2274; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 624. 2125 BGHZ 116, 60, 68; OLG Bremen VersR 2004, 207, 208. 2126 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 21. 2127 BGH NJW 1981, 2515; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 1174; LG Mönchengladbach NJW-RR 2002, 898 f.; OLG Düsseldorf VersR 2003, 912 ff.; LG Essen NJE 2005, 2713; HkBGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 175; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 177; Kullmann, NJW 2002, 32 ff.; Adams/Bornhäuser/Pötschke-Langer/Grunewald, NJW 2004, 3657 ff.; Buchner/Wiebel, VersR 2001, 29 ff.; Merten, VersR 2005, 465 ff. 2128 BGHZ 139, 79, 84; 106, 273, 283; 105, 346, 351; BGH NJW 1999, 2815; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 175; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2004), § 823 Rn. 640.
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Die Fehlergruppe wird phänotypisch durch die so genannte „Milupa-Entscheidung“ des BGH repräsentiert. Hier hatte der Hersteller von Babyflaschen und gesüßtem Kindertee die Verbraucher deutlich auf die Gefahr des Dauernuckelns bzgl. einer etwaigen Karriesbildung hinweisen müssen und seine Pflichten nicht wahrgenommen, obgleich er erkennen konnte, dass seine Produkte auch als „Dauereinschlafhilfe“ von Eltern für ihre Kinder verwendet wurden.2129 Aus diesen Gesichtspunkten wurde im Milupa-Fall eine Haftung des Herstellers aus § 823 I BGB bejaht. (4.) Produktbeobachtungspflichten/Produktbeobachtungsfehler Für die Produzentenhaftung im Weiteren bedeutsam ist die Tatsache, dass die Verantwortlichkeit des Herstellers für seine Erzeugnisse noch nicht einmal mit dem „ordentlichen“ Inverkehrbringen der Sache beendet ist. Vielmehr ist der Produzent auch nach diesem Zeitpunkt zu gewissen Maßnahmen hinsichtlich der von ihm gefertigten Güter verpflichtet. Die insofern postulierte Pflicht,2130 das Produkt „im Auge zu behalten“, beruht auf dem Umstand, dass der Hersteller für schädliche Produkteigenschaften, die im Zeitpunkt der Inverkehrgabe nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar waren, nicht haftbar ist, dass sich ein Produkt aber ggf. erst im Laufe der Zeit als gefährlich herausstellen kann, worauf der Hersteller zu reagieren hat. Deshalb ist der Hersteller auch gehalten, Informationen zu sammeln und auszuwerten, die ihm durch Beschwerden von Kunden, Zwischenhändlern etc. zur Kenntnis gelangen (so genannte passive Produktbeobachtungspflicht).2131 Der Produzent darf hierbei allerdings nicht stehen bleiben, sondern muss darüber hinaus von sich aus Informationen über das Schicksal seiner Erzeugnisse einholen (so genannte aktive Produktbeobachtungspflicht).2132 Der dabei zu betreibende Aufwand hängt in erster Linie von den Gefahren der Produktbenutzung, darüber hinaus aber auch von der Größe des Unternehmens und den daraus ableitbaren Informationsgewinnungsmöglichkeiten ab.2133 Der Hersteller muss insoweit den Stand der sich stets erweiternden Wissenschaft und Technik als auch die Erfahrung seiner Konkurrenten in subjektiv zumutbarer Weise berücksichtigen.2134 Die Herstellerverantwortlichkeit beschränkt sich zwar auf „produktimmanente Risiken“, hierzu gehören aber nicht 2129
BGHZ 116, 60, 68. BGHZ 99, 167, 171 ff.; BGH NJW 1994, 3349, 3350; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 178; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 75; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 645; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1301; Michalski, BB 1998, 961 ff.; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 63. 2131 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 176; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 647. 2132 BGH NJW 1990, 906, 907 f.; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 648. 2133 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 26. 2134 BGH NJW 1990, 906, 907 f. 2130
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nur interne Fehler der hergestellten Sache, sondern auch Umfeldgefahren, etwa durch vorhersehbare Einsätze des eigenen Produkts im Zusammenhang mit allgemein gebräuchlichen Zubehör- und Kombinationsstücken.2135 Die Produktbeobachtungspflicht führt zu aktiven Handlungspflichten, sofern eine derartige Gefahr hervorsticht.2136 Sie läuft darauf hinaus, konstruktive Veränderungen am Produkt zur Risikobeseitigung vorzunehmen,2137 eine Warnung herauszugeben (etwa, wenn ein bloßer Instruktionsfehler vorliegt)2138 oder – bei entsprechend großen Gefahren – eine Rückrufaktion2139 durchzuführen. Ein bekannter Fall, der diese Fehlerkategorie in ihrer eigenen Typik plastisch macht, ist der so genannte „Honda-Fall“.2140 In der Entscheidung ging es darum, dass ein Motorradfahrer der Marke Honda bei hoher Geschwindigkeit tödlich verunglückte. Der Unfall beruhte auf der Instabilität des Motorrads, welche durch die vom Besitzer angebrachte Lenkradverkleidung eines anderen Herstellers zustande kam. Beim In-Verkehr-Bringen des Motorrads war diese Lenkradverkleidung noch nicht auf dem Markt. Etwa ein Jahr vor dem Unfall hatten sich jedoch Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Stabilität des Rades durch Anbringen der Verkleidung beeinträchtigt wird. Der Vater des Verunglückten nahm die Firma Honda und deren deutsche Vertriebsgesellschaft auf Ersatz der Reparaturkosten für das Motorrad und auf Erstattung der Beerdigungskosten in Anspruch.2141 Der BGH gab der Klage statt und rekurrierte auf entsprechende Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten des Herstellers nach § 823 I BGB. bb. Verletzungserfolg Die Außerachtlassung der Verkehrssicherungspflicht muss, um im Rahmen der Produzentenhaftung sanktioniert zu werden, zu einer kausalen Verletzung eines Rechtsguts des § 823 I BGB geführt haben.2142 Insofern bedarf es des Eintritts eines konkreten Verletzungserfolges. Die von § 823 I BGB in Bezug genommenen Rechtsgüter sind abschließend aufgezählt. § 823 I BGB verlangt die Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit (Personenschaden), die Verletzung des Eigen2135
BGHZ 99, 167, 174. Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 409. 2137 BGH NJW 1994, 3349, 3350. 2138 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 176; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 135; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 76; MüKo/ Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 650; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 179. 2139 OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1344, 1345; OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 594, 597; Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter Produkte (1999); Jauernig/Teichmann (12. Aufl. 2007), § 823 Rn. 135; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 76; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 179; Michalski, BB 1998, 961 ff.; Dietborn/Müller, BB 2007, 2358 ff.; Schwenzer, JZ 1987, 1059. 2140 BGHZ 99, 167 ff. 2141 Zur Zusammenfassung des Falles vgl. auch Looschelders, Schuldrecht BT (2. Aufl., 2008), S. 409. 2142 PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 187. 2136
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tums (Sachschaden) oder eines sonstigen Rechts. Wenn keines der von § 823 I BGB benannten Rechtsgüter betroffen ist, kann – sofern ein Schutzgesetz tangiert ist – auf § 823 II BGB rekurriert werden.2143 cc. Rechtswidrigkeit und Verschulden Verstößt der Hersteller gegen eine ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht, handelt er rechtswidrig, soweit keine besonderen Rechtfertigungsgründe eingreifen. Darüber hinaus ist aber auch ein Verschulden erforderlich.2144 Verschulden i.S.d. § 823 I, II BGB heißt – wie auch sonst – Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Für den Fahrlässigkeitsvorwurf genügt jedes Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, § 276 II BGB. Hervorzuheben ist, dass es im Unterschied zur Gefährdungshaftung nach dem ProdHaftG bei der Produzentenhaftung gemäß § 823 BGB zwar nicht genügt, dass der Hersteller ein gefährliches Produkt in den Verkehr bringt; andererseits werden aber keine hohen Anforderungen an den Verschuldensvorwurf gestellt werden.2145 dd. Schaden Der Schadensersatzanspruch wegen Haftung des Produzenten nach § 823 BGB verlangt ferner das Vorliegen eines kausal auf die Verletzung des Rechtsgutes nach § 823 I BGB oder auf die Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 II BGB zurückführbaren Schadens. Der Produzent haftet dabei (anders als nach dem ProdHaftG) für Schäden, die auf Grund des fehlerhaften Produkts an privaten sowie gewerblich/beruflich genutzten Sachen des Anspruchsgegners entstanden sind. Zu beachten ist überdies, dass (in Abweichung zum ProdHaftG) Schäden am fehlerhaften Produkt selbst eine Eigentumsverletzung begründen können, wenn und soweit es sich um einen so genannten „Weiterfresserschaden“ handelt2146 und damit das Integritätsinteresse des Geschädigten betroffen ist. ee. Beweislast Zu den praktisch bedeutsamsten Regelungen im Rahmen der Produzentenhaftung zählt die Beweislast, die von der Rechtsprechung zugunsten des Produktgeschädigten modifiziert wurde.2147 Leitmotiv aller Veränderungen bei der Beweislastverteilung ist der Umstand, dass es dem Geschädigten regelmäßig nicht möglich ist, die haftungsrelevanten Vorgänge in der Sphäre des Produzenten zu 2143
Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 136. BGHZ 116, 104, 112 f.; 80, 186, 199; BGH NJW 1999, 1028, 1029; 1995, 1286, 1288; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1302; Deutsch, JZ 1988, 993, 994; Lorenz, RabelsZ 34 (1970), 14, 33; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 43. 2145 Zum Befund Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 183. 2146 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 169. 2147 Eine zusammenfassende Übersicht findet sich bei Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 265 ff.; v. Westphalen, Jura 1983, 281 ff. 2144
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ermitteln und zu beweisen.2148 Die Rechtsprechung hat die Beweislast deshalb nach „Risikosphären“ aufgespalten. Konstruktiv bewerkstelligte die Judikatur die Modifikation der Beweislast durch eine Rechtsanalogie zu §§ 836 ff. BGB.2149 (1.) Behandlung von Konstruktions- und Fabrikationsfehlern Geht es um Konstruktions- oder Fabrikationsfehler, also um Merkmale, die dem jeweiligen Produkt unmittelbar anhaften, besteht für den Geschädigten noch keine umfassende Beweisnot, weil es sich hierbei nicht um innerbetriebliche, sondern um äußere Umstände handelt.2150 Deshalb kommt es hier noch nicht zu einer durchgreifenden Beweislastmodifikation. Der Geschädigte hat bei dieser Fehlerkategorie zunächst nach allgemeinen Grundsätzen die objektive Fehlerhaftigkeit des von einem bestimmten Hersteller stammenden Erzeugnisses darzulegen und zu beweisen.2151 Er muss beweisen, dass es sich um ein objektiv gefährliches (bzw. wirkungsloses) Produkt handelt. Je nach Geschehensablauf kann aber bereits für das Vorliegen des Konstruktions- bzw. Fabrikationsfehlers ein Anscheinsbeweis sprechen, etwa wenn andere Fehlerquellen ausgeschlossen sind.2152 Der Produktfehler muss ferner zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens vorhanden gewesen sein, auch hierfür obliegt dem Geschädigten die Beweislast.2153 Gleiches gilt bzgl. der Rechtsgutsverletzung und der erforderlichen Kausalität.2154 Hat der Geschädigte diesen Beweis angetreten, so kommt es nur in Bezug auf die Sphärenverantwortung des Herstellers zur Umkehr der Beweislast bzgl. der objektiven Pflichtwidrigkeit und des Verschuldens, zweier Tatbestandsvoraussetzungen für den Schadensersatzanspruch, bzgl. derer sich der Hersteller entlasten muss.2155 Der Hersteller hat diesbezüglich darzutun und zu beweisen, dass der Produktfehler nicht auf der pflichtwidrigen Konstruktion oder Fabrikation beruhte und ihn insofern kein Planungs-, Kontroll- und/oder Aus-
2148 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 180; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 132; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. § 823 Rn. 44. 2149 BGHZ 51, 106 f.; 105, 352 ff.; BGH NJW 1999, 1029. 2150 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 181; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1304. 2151 BGHZ 114, 284, 296; 104, 323, 332; 51, 91, 102; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 660. 2152 BGH NJW 1969, 269, 274. 2153 Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 132; BGHZ 51, 91, 105; BGHZ 80, 186, 196; anders ist das bei einer nicht ausreichenden Endkontrolle, vgl. dazu BGHZ 129, 365. 2154 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 45. 2155 BGHZ 80, 186, 196 f.; Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 183; Jauernig/ Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 132; Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 84; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 192; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1304.
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wahlverschulden trifft.2156 Der vom Hersteller zu führende Entlastungsbeweis muss sich auf alle in den Produktionsprozess eingeschalteten Mitarbeiter beziehen. Da die Rechtsprechung diesbezüglich hohe Anforderungen stellt, kommt es nur selten zu einer Entlastung,2157 es sei denn, dem Hersteller gelingt der Nachweis, das Vorhandensein des Fehlers ist auf einen bloßen „Ausreißer“ zurückzuführen. (2.) Behandlung von Instruktions- und Produktbeobachtungsfehlern Für Instruktions- und Produktbeobachtungsfehler gestaltet sich die Beweisebene noch anders. Anfängliche Instruktionsfehler werden vom BGH genauso wie Konstruktions- und Fabrikationsfehler behandelt.2158 Danach ist es Sache des Geschädigten, diejenigen Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die objektive Unzulänglichkeit der Herstellerinformationen ergibt.2159 Auf dieser Grundlage obliegt es dann dem Produzenten, einen fehlenden objektiven Pflichtverstoß bzw. fehlendes Verschulden nachzuweisen. Dies kann der Hersteller insbesondere dadurch, dass er nachweist, dass die Gefahr im Allgemeinen oder zumindest für ihn nicht erkennbar war.2160 Bei nachträglichen Instruktions- bzw. Produktbeobachtungsfehlern ist der Geschädigte nach Ansicht des BGH dagegen nicht nur für die objektiv unzureichende Information, sondern auch für die Anhaltspunkte nachweispflichtig, die objektiv zu einer Warnpflicht geführt haben.2161 Problematisch für den Geschädigten ist in diesem Bereich, dass sowohl bei Verstößen gegen die Instruktionspflicht als auch bei Verstößen gegen die Produktbeobachtungspflicht besondere Kausalitätsprobleme auftreten. Denn neben der ordnungsgemäßen Warnung, die unterblieben ist, setzt die Haftung des Herstellers voraus, dass sich der Geschädigte auch „informationsgerecht“ verhalten hätte und der Schaden hierdurch vermieden worden wäre.2162 Das Problem wird jedoch dadurch verringert, dass für das informationsgerechte (schadensabwendende) Verhalten zunächst eine tatsächliche Vermutung sprechen soll, die die allgemeine Lebenserfahrung abbildet.2163
2156 BGH ZIP 1996, 1436; NJW 1999, 1029; Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 132. 2157 Zum Befund Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 48. 2158 BGHZ 116, 60, 72 f.; BGH NJW 1999, 2815, 2816; 1995, 1286, 1288; ebenso OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 1520, 1521; PWW/Schaub (3. Aufl., 2008), § 823 Rn. 192. 2159 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 662. 2160 Jauernig/Teichmann (12. Aufl., 2007), § 823 Rn. 133. 2161 BGHZ 80, 186, 197; OLG Dresden VersR 1998, 59, 60; Brüggemeier, ZIP 1991, 379 f.; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 249. 2162 MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 666; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), Anh. III § 823 Rn. 52. 2163 BGHZ 116, 73 ff.; BGH NJW 1999, 2274; diese Differenzierung befürwortend MüKo/ Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 666.
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ff. Haftungsumfang Der Umfang der Produzentenhaftung erstreckt sich auf den Ersatz der zurechenbar verursachten materiellen und immateriellen Schäden.2164 Insoweit kommt es auf die in §§ 249 ff. BGB niedergelegten Grundsätze an. Eine gesetzliche Begrenzung des Haftungsumfangs, so wie er für den Bereich der Produkthaftung festgelegt wurde, besteht für die Produzentenhaftung nach § 823 BGB nicht. gg. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten Zusammenfassend lässt sich der Regelungskomplex insoweit würdigen, als man herausstellt, dass Regelungen zur Produzentenhaftung bereits vor der Einführung des ProdHaftG zu einer Erleichterung von Ansprüchen des Produktgeschädigten gegen den Hersteller führten, die zwar formell noch immer das „Nadelöhr“ des Verschuldensvorwurfs passieren müssen, dafür aber keiner Beschneidung beim Haftungsumfang ausgesetzt sind, wenngleich hinsichtlich der potentiellen Anspruchsgegner eine Einschränkung insoweit zu machen ist, als der Quasi-Hersteller aus dem Kreis der Haftenden herausfällt und der Zulieferer nur für die Zulieferteile haftet. Bedeutungsvoll an der im Haftungsumfang nicht eingeschränkten Produzentenhaftung ist, dass die Rechtsprechung die Problematik des Nachweises von Pflichtverletzung und Verschulden auf der Ebene der Beweislast durch ein abgestuftes System von Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast „entschärft“ und damit dem Betroffenen i.S.d. Verbraucherschutzes die Möglichkeit gegeben hat, trotz (bzw. gerade wegen) des fehlenden Wissens um betriebsinterne Prozesse seine Ansprüche durchzusetzen, indem sich der Hersteller für diese Sphäre entlasten muss.2165 Trotz hoher Anforderungen an den vom Hersteller zu führenden Entlastungsbeweis ist dieser theoretisch möglich. Insoweit bleibt es dabei, dass die Produzentenhaftung noch keine Gefährdungshaftung statuiert. Da dem Produzenten der Entlastungsbeweis jedoch selten gelingt, sind Haftungsfreizeichnungen von entscheidender Bedeutung. Möglich ist eine solche etwa für den vertraglichen Bereich, wenn der Hersteller zugleich Verkäufer ist und nicht der Komplex zwingender Vorschriften tangiert wird. Die Haftungsfreizeichnung kann dann – sofern eine solche auch nicht den von § 309 Nr. 7a BGB betreffenden Abschnitt betrifft (Ausschluss der Haftung für Personenschäden in AGB) – selbst Ansprüche aus der Produzentenhaftung nach § 823 BGB erfassen.2166 Ohne vertragliche Vereinbarung ist jedoch eine ein2164 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), 283; v. Westphalen, Jura 1983, 57, 66; kritisch zum früheren Ausschluss des immateriellen Schadensersatzes bei der Produkthaftung Hommelhoff, FS Rittner (1991), 165, 167 ff. 2165 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 265. 2166 BGHZ 67, 359, 366 f.
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seitige Haftungsfreizeichnung des Herstellers „gegenüber allen Benutzern des Produkts“, bspw. durch Freizeichnungsklauseln auf der Verpackung, am Produkt oder in der Gebrauchsanweisung unwirksam,2167 weil § 823 BGB und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Verkehrssicherungspflicht des Herstellers und die besonderen Beweislastregeln nicht einseitig disponibel sind. Ein Mitverschulden des Geschädigten am Entstehen des Schadens wirkt sich bereits nach allgemeinen Grundsätzen über § 254 BGB anspruchsmindernd aus. 2. Produkthaftung nach dem ProdHaftG Im Gegensatz zur Produzentenhaftung nach § 823 I BGB ist die Produkthaftung gemäß dem ProdHaftG als Gefährdungshaftung konzipiert.2168 Bedeutsam für die Abgrenzung der Regelungsbereiche von Produzenten- und Produkthaftung ist, dass das ProdHaftG gemäß § 16 nur für diejenigen fehlerhaften Produkte (und durch sie hervorgerufenen Schäden) gilt, die nach dem In-Kraft-Treten des ProdHaftG am 1.1.1990 in den Verkehr gebracht wurden. Die Ersatzpflicht für ältere Produkte richtet sich allein nach der bisherigen Rechtslage, d.h. nach § 823 I bzw. II BGB.2169 Es gilt, da das ProdHaftG mit der Produkthaftungsrichtlinie einen gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund hat, i.Ü. der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung.2170 Bislang existiert allerdings nur ein spärliches Entscheidungsmaterial des EuGH, das sich mit der Interpretation von Art. 7 und 9 der Produkthaftungsrichtlinie befasst.2171 a. Persönlicher Anwendungsbereich In personeller Hinsicht kennen die Produkthaftungsrichtlinie und ihr folgend das ProdHaftG keine Beschränkung der Anspruchsberechtigten. In ihren Geltungsbereich ist jeder einbezogen, also nicht nur der unmittelbare Produktnutzer.2172 Damit besteht eine Parallele zur Produzentenhaftung nach § 823 BGB. Nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmer können mithin nach den genannten Anspruchsgrundlagen Schadensersatzansprüche geltend machen. Allerdings führt die Eingrenzung der ersatzfähigen Schäden (vgl. § 1 S. 2 ProdHaftG) zu einer indirekten Beschränkung der Anspruchsberechtigten bei Sachschäden.2173 2167
Nettelbeck, Produktsicherheit, Produkthaftung (1995), S. 82. Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 189. 2169 Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 191; Staudinger/Krause (13. Aufl., 2005), Vor § 1 ProdHaftG Rn. 4. 2170 So etwa im Hinblick auf die Frage der Vollharmonisierung Micklitz, EWS 2006, 9 ff. 2171 EuGH, Urt. v. 10.5.2001, Rs. C-203/99 – Veedfald; EuGH, Urt. v. 29.5.1997, Rs. C-300/95 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 2172 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 1 ProdHaftG Rn. 1. 2173 Heiderhoff, Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 622, 627. 2168
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Eine gewichtige Besonderheit der Haftung nach dem ProdHaftG gegenüber der Produzentenhaftung nach § 823 BGB besteht darin, dass der Kreis der Anspruchsverpflichteten sehr viel weiter gezogen ist. Denn anders als im Rahmen des § 823 BGB haftet nicht nur der Hersteller i.e.S., sondern auch der Quasi-Hersteller. Ferner können EU-Importeure und (subsidiär) Lieferanten in Anspruch genommen werden. Insoweit ist es möglich, dass mehrere Anspruchsverpflichtete nebeneinander stehen. Ihr Verhältnis untereinander regelt § 5 ProdHaftG, der auf die Grundsätze zur Gesamtschuld (§ 426 BGB) verweist. aa. Hersteller- und Quasi-Hersteller, § 4 I ProdHaftG Die Herstellereigenschaft ist in § 4 ProdHaftG geregelt. Danach gilt: Hersteller i.S.d. Gesetzes ist nicht nur derjenige, in dessen Organisationsbereich das Endprodukt, ein Grundstoff oder ein Teilprodukt angefertigt wurde (§ 4 I 1 ProdHaftG).2174 Als Hersteller wird auch derjenige angesehen, der sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens als solcher ausgibt, so genannter „Quasi-Hersteller“ (§ 4 I 2 ProdHaftG). Dem Verbraucher sollen so Nachforschungen darüber erspart bleiben, wer der echte Hersteller des Produkts ist.2175 Für Hersteller eines Teilprodukts ist die Haftung nur dann ausgeschlossen, wenn der Fehler in der Sphäre des Endherstellers/Konstrukteurs etc. angelegt war, vgl. § 1 III ProdHaftG. bb. EU-Importeur, § 4 II ProdHaftG Die Herstellereigenschaft wird überdies zu Lasten desjenigen fingiert, der ein Produkt zum Zwecke des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck im Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit in den Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einführt oder verbringt, so genannter „EU-Importeur“ (§ 4 II ProdHaftG). Diese Regelung, die eine erhebliche Erweiterung des Haftungskreises darstellt,2176 dient der erleichterten Rechtsdurchsetzung zugunsten des Geschädigten, indem er nicht auf die ggf. schwer realisierbaren Ansprüche gegen den Hersteller im Nicht-EU-Ausland angewiesen sein soll. Grundvoraussetzung der Haftung ist lediglich die Einfuhr eines Produkts in den Bereich des EWRAbkommens. cc. Lieferant, § 4 III ProdHaftG Eine subsidiäre Herstellerhaftung trifft überdies den (bloßen) Lieferanten, wenn der Hersteller eines Produkts nach § 4 I, II ProdHaftG nicht festgestellt werden kann, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb eines Monats, nachdem 2174 2175 2176
Zur Definition Brüggemeier/Reich, WM 1986, 149, 151. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 278. Kemper, ebenda.
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ihm dessen diesbezügliche Aufforderung zugegangen ist, den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat, § 4 III 1 ProdHaftG. Nur in diesem letztgenannten Fall ist der Geschädigte in der Rechtsdurchsetzung gegen den eigentlichen Schädiger nicht unzumutbar eingeschränkt. Die Haftung des Lieferanten gilt auch für ein eingeführtes Produkt, wenn sich bei diesem die in Abs. 2 genannte Person („EU-Importeur“) nicht feststellen lässt, selbst wenn der Name des Herstellers bekannt ist, § 4 III 2 ProdHaftG. § 4 III ProdHaftG statuiert letztlich eine „Auffanghaftung“,2177 die den Verletzten davor schützen soll, seine Ansprüche bei Schädigung durch ein einem Hersteller nicht zurechenbares Produkt nicht durchsetzen zu können. b. Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht sind die Regelungen des ProdHaftG durch speziellere Vorschriften der Gefährdungshaftung nach §§ 84 ff. ArzneimittelG und §§ 25 ff. AtomG verdrängt.2178 Ansonsten ist das ProdHaftG einschlägig, wenn durch den Fehler eines Produkts (§§ 2, 3 ProdHaftG) jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Für die Verletzung sonstiger Rechte/Rechtsgüter begründet das ProdHaftG keine Haftung,2179 wodurch bereits ein wichtiger Unterschied zum weiteren Schutzbereich des § 823 I, II BGB umrissen wird. Ein weiteres Merkmal der Abgrenzung im sachlichen Anwendungsbereich liegt darin begründet, dass in die Eigentumsverletzung nach § 823 I BGB auch ein Weiterfresserschaden fällt, nicht jedoch bei der Haftung nach §§ 1 ff. ProdHaftG, da dieses von dem Schaden an einer „anderen“ Sache spricht. c. Regelungsinhalt § 1 I ProdHaftG regelt die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Herstellers für Personen- und Sachschäden infolge eines Produktfehlers und ist damit Anspruchsgrundlage.2180 Da nach § 1 ProdHaftG ein Verschulden des Herstellers keine Haftungsvoraussetzung ist, hat der Hersteller insoweit keine ihm zugute kommende Exkulpationsmöglichkeit, auch nicht bei unvermeidbaren Fabrikationsfehlern (so genannten Ausreißern). Die Verursachung eines Schadens durch den Fehler eines Produkts genügt. Die Anspruchsvoraussetzungen von § 1 I ProdHaftG sind teilweise im Gesetz selbst geregelt. Ansonsten werden die zu § 823 BGB entwickelten Begriffsbestimmungen vielfach übernommen.2181 Überschneidungspunkte gibt es insofern, als die Haftung nach § 1 I ProdHaftG an einen bestimmten Produktfehler anknüpft, wohingegen dieser im Rahmen 2177 2178 2179 2180 2181
BT-Drucks. 11/2247, S. 20. Hk-BGB/Staudinger (5. Aufl., 2007), § 823 Rn. 191. Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 1 ProdHaftG Rn. 1. Nettelbeck, Produktsicherheit und Produkthaftung (1995), S. 14. Nettelbeck, Produktsicherheit und Produkthaftung (1995), S. 14.
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der Produzentenhaftung nach § 823 I BGB lediglich Ausdruck der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist. aa. Produktbegriff, § 2 ProdHaftG Der Hersteller haftet nach § 1 I ProdHaftG für Fehler seines Produkts, die sich schadensstiftend ausgewirkt haben. Der Produktbegriff, der in § 2 ProdHaftG gesetzlich festgelegt wurde, grenzt den gegenständlichen Bereich der Haftung ab. Hervorzuheben ist, dass das Gesetz in § 2 ProdHaftG an eine bewegliche Sache anknüpft; Fehler auf Grund unbeweglicher Sachen oder Dienstleistungen wirken sich damit nicht haftungsbegründend aus. Anders als im Bereich der Produzentenhaftung haftet der Hersteller wegen der Eingrenzung des Bezugspunktes seiner Einstandspflicht nur für gegenständliche Sachen (vgl. § 90 BGB); Elektrizität ist keine Sache, wird aber in der Behandlung einer solchen in § 2 ProdHaftG zumindest gleichgestellt. Für den Produktbegriff des § 2 ProdHaftG ist es weiter unerheblich, ob die Sache neu ist, ob ihr eine spezifische Gefährlichkeit anlastet, welche Herstellungsart gewählt wurde und welche Zweckbestimmung bzw. welchen Wert die Sache hat.2182 Die frühere Ausnahme von landwirtschaftlichen Naturprodukten und Jagderzeugnissen ist zum 1.12.2000 aufgehoben worden.2183 Beim Abfall ist nur dann von einem Produkt i.S.d. Regelung auszugehen, wenn er nicht zur bloßen Vernichtung weitergegeben, sondern zu sonstigen Verwendungszwecken in den Verkehr gebracht wird.2184 bb. Produktfehler, § 3 ProdHaftG Was als Produktfehler i.S.d. ProdHaftG anerkannt ist, ergibt sich aus § 3 ProdHaftG. Die Regelung stellt auf die Sicherheit des Erzeugnisses ab, indem sie festlegt, dass ein Produkt einen Fehler aufweist, wenn es nicht diejenige Sicherheit bietet, mit der unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise gerechnet werden kann. Zu berücksichtigen sind danach die üblichen (nachvollziehbaren) Produkterwartungen der Benutzer als auch die berechtigten Herstellererwartungen2185 hinsichtlich der Nutzung der Sache. (1.) Darbietung Die Sicherheitserwartungen der Verbraucher sind auf Grund der gesetzlichen Regelung vor allem nach der Darbietung des Produkts durch den Hersteller oder durch Dritte, deren Verhalten ihm zuzurechnen ist, zu bestimmen, § 3 I lit. a) ProdHaftG. Auf diese Weise wird neben der Gestaltung des Produkts selbst (z.B.
2182 2183 2184 2185
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 274. BGBl. I, S. 1478. Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 2 ProdHaftG Rn. 5. Das spielt etwa bei der völlig zweckentfremdeten Nutzung eine Rolle.
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das Fehlen von Warnhinweisen2186 oder das Irreführen über die Stabilität) auch die Werbung für die Sache in Bezug genommen; dies gilt jedenfalls dann, wenn sie über allgemeine Anpreisungen hinausgeht. Hier hinein spielt aber auch die beigelegte Gebrauchsanweisung.2187 In manchen Fällen wird die notwendige Darbietung des Produkts in Form einer bestimmten Produktkennzeichnung/ Verpackung/Sicherheitsstandards (vgl. DIN) bereits gesetzlich vorgeschrieben.2188 Insofern kommt es zu einer legislativ abgesicherten Festlegung des einzuhaltenden „unteren“ Sicherheitsmaßstabes. Bedeutsam in Bezug auf die berechtigte Sicherheitserwartung ist jenseits eines stets zu gewährleistenden Mindeststandards aber auch die Preiskategorie und die normale Auswirkung2189 des Produkts. (2.) Gebrauch Der „Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann“, betrifft den der Zweckbestimmung des Produkts entsprechenden Umgang, § 3 I lit. b) ProdHaftG. Erfasst ist aber auch der „naheliegende Fehlgebrauch“,2190 den der Hersteller einkalkulieren kann und dem er durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen vorbeugen muss. Aus der Haftung des Herstellers ausgegrenzt wird die „atypische Benutzung“ des Produkts zu völlig sachfremden Zwecken (Beispiel: die Benutzung von Klebstoff als Rauschmittel).2191 Die damit gezogene Haftungsbegrenzung ist sinnvoll, weil der Hersteller sachnahe Fehlverwendungen voraussehen und das Risiko der Verwirklichung besser (d.h. auch breitenwirksamer) „abschirmen“ kann, während derjenige, der das Produkt vollkommen zweckentfremdet einsetzt, treuwidrig handelt, wenn er den Hersteller für Schäden verantwortlich macht, die sich aus der Zweckentfremdung (quasi selbstverschuldet) ergeben.2192
2186 Zu beachten ist freilich, dass auch durch Warnhinweise ein Minimalsicherheitsstandard nicht ausgeschlossen werden darf, so zutreffend Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 275. 2187 So zum Ganzen Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 3 ProdHaftG Rn. 5; Hollmann, DB 1985, 2389, 2394; Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1036. 2188 Eine frühe, umfassende Darstellung dazu findet sich etwa bei K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 62 ff. 2189 In Bezug auf die normale Auswirkung des Produkts führt etwa das Wissen um die Gesundheitsschädlichkeit von Tabak und Alkohol nicht zum Produktfehler, weil es hier um bekannte, produktimmanente Eigenschaften geht. 2190 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 276; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 3 ProdHaftG Rn. 6. Zu der hier naheliegenden Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens vgl. § 6 ProdHaftG. 2191 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 3 ProdHaftG Rn. 6; Brüggemeier/Reich, 1986, 149, 150. 2192 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 276.
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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(3.) Zeitpunkt § 3 I lit. c) ProdHaftG ordnet an, dass sich das Maß der berechtigterweise zu erwartenden Sicherheit (und insofern auch das Vorliegen eines Fehlers) in zeitlicher Hinsicht nach dem Inverkehrbringen des Produkts richtet. Durch diese Voraussetzungen werden etwa nachträgliche Manipulationen an einem Produkt aus der verschuldensunabhängigen Herstellerhaftung ausgenommen. Gleiches gilt für völlig überzogene Anforderungen, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht gerechtfertigt waren. In diesem Zusammenhang bestimmt § 3 II ProdHaftG klarstellend weiter, dass ein Produkt nicht allein deshalb fehlerhaft ist, weil später ein verbessertes Produkt auf dem Markt platziert wurde. Aus dem Sinn und Zweck beider Regelungen ergibt sich, dass eine nachträgliche Anhebung von Sicherheitserwartungen nicht auf die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines bereits in Verkehr gebrachten Produktes zurückwirkt.2193 Andererseits hat der Hersteller freilich auf spätere, berechtigterweise „angehobenere“ Produkterwartungen zu reagieren.2194 (4.) Zur Konkretisierung ferner entwickelter Fehlerarten Außer den genannten Anknüpfungspunkten gibt das Gesetz keine weiteren vor; allerdings ist die Aufzählung („insbesondere“) nicht abschließend. Die Rechtsprechung ist daher ermächtigt, nach diesen Vorgaben weitere Leitlinien zur Konkretisierung des Produktfehlers zu entwickeln. Die im Rahmen der Produzentenhaftung herausgebildeten „Fehlerarten“ können deshalb weitestgehend herangezogen werden.2195 So kann der Fehler des Produkts etwa darin zum Ausdruck kommen, dass das Produkt von seiner Beschaffenheit her mit nicht hinnehmbaren Gefahren verbunden ist. Die Ursache kann zum einen auf Unzulänglichkeiten im Herstellungsprozess zurückzuführen sein (so genannter Fabrikationsfehler), wobei allerdings im Bereich der Produkthaftung ein „Ausreißer“ nicht entlastend wirkt, weil es hier lediglich auf die Schadensverursachung durch den Produktfehler und nicht auf die (beim Ausreißer fehlende) Vorwerfbarkeit des Produktmangels ankommt.2196 Die Gefahr, die vom Produkt ausgeht, kann aber bereits in der Konstruktion angelegt sein (so genannter Konstruktionsfehler). Schließlich kann sich der Produktfehler i.S.d. § 3 ProdHaftG auch auf fehlende oder unzulängliche Warnungen/Gebrauchsanweisungen gründen (so genannter Instruktionsfehler).2197
2193 2194 2195
OLG München VersR 2004, 866. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 276. OLG Hamm VersR 1993, 765, 766; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 3 ProdHaftG
Rn. 10. 2196 BT-Drucks. 11/2247, S. 11; Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 3 ProdHaftG Rn. 10; Honsell, JuS 1995, 211, 212; Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1035. 2197 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 3 ProdHaftG Rn. 10.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
cc. Schaden Weitere Haftungsvoraussetzung ist, dass durch den Produktfehler ein Schaden an einem der durch das ProdHaftG geschützten Rechtsgüter eingetreten ist. Diese sind das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit und das Eigentum. d. Rechtsschutz und Würdigung der Sanktionsmöglichkeiten In der Vergangenheit war die Herstellerverantwortlichkeit nach dem ProdHaftG hinsichtlich der praktischen Bedeutung für den Geschädigten noch gegenüber der Produzentenverantwortlichkeit gemäß § 823 BGB zurückgedrängt gewesen. Das lag bis zur Schadensrechtsreform an der eingeschränkten Ersatzfähigkeit von Schäden, die heute, nach der Möglichkeit der Erlangung von immateriellem Schadensersatz (§ 8 ProdHaftG, § 253 II BGB), nicht mehr vorhanden ist.2198 Die „Öffnung“ der Haftung nach dem ProdHaftG auch für immaterielle Schäden durch die Schadensrechtsreform in Deutschland ist gemeinschaftsrechtlich trotz des an sich vollharmonisierenden Charakters der Richtlinie zulässig, weil jedenfalls der Schadensbegriff noch nicht „vergemeinschaftet“ ist. Seit Anbeginn seiner Einführung hat das ProdHaftG für den Verbraucher zumindest eine Klarstellung der gesetzlichen Haftung gebracht, was aus verbraucherschützender Sicht zu begrüßen ist. Es hat im Hinblick auf den dort weit gezogenen Kreis der haftenden „Hersteller“ und das Abschneiden des „Ausreißereinwandes“ aber auch eine qualitative Verbesserung der Haftungssituation zugunsten der Verbraucher herbeigeführt,2199 wenngleich diese aufzuwiegen ist mit Einschränkungen bzgl. der Selbstbeteiligung2200 bei Sachschäden und der vorgesehenen Haftungshöchstgrenze bei Personenschäden. In einer Überarbeitung der Materie auf EU-Ebene wäre anzuregen, dass diese Einschränkungen entfallen. Ein ganz anderes Problem ist freilich, ob neben der Haftung für gegenständliche Produkte nach dem ProdHaftG nicht auch eine Gefährdungshaftung oder zumindest eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr für selbständig erbrachte Dienstleistungen EU-weit zu regeln wäre, da es keinen Grund gibt, den Anbieter von Dienstleistungen, der – gerade im Hinblick auf ärztliche Behandlungsfehler sehr große Schäden hervorrufen kann – keiner einheitlichen und parallel zur Produkthaftung verlaufenden Regelung innerhalb der Gemeinschaft zu unterstellen.2201 Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, dass die Kommission be2198 Kritisch zum früheren Ausschluss der Haftung für immaterielle Schäden nach dem ProdHaftG Hommelhoff, FS Rittner (1991), 165, 167 ff. 2199 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 283. 2200 Kritisch dazu auch Cahn, ZIP 1990, 482, 485 f.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 283; Hommelhoff, FS Rittner (1991), 165, 170 ff ff.; Magnus, JZ 1990, 1100, 1107. 2201 Grundlegend dazu Mäsch, Chance und Schaden: Zur Dienstleistungshaftung bei
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reits im Jahr 1990 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Haftung bei Dienstleistungen unterbreitet hatte.2202 Dieser Vorschlag wurde seinerzeit auf Art. 100a EGV gestützt und verstand sich als Beitrag zur Rechtsangleichung.2203 Da dieser Richtlinienvorschlag jedoch auf erheblichen Widerstand in vielen Ländern gestoßen ist,2204 hatte ihn die Kommission auf Empfehlung des Ministerrates förmlich zurückgezogen.2205 In der Literatur wird zutreffend hervorgehoben, dass davon auszugehen ist, dass die Frage der Haftung des Dienstleisters innerhalb der EU aber wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird, dies schon deshalb, weil angesichts der Bedeutung des Dienstleistungssektors eine einheitliche Richtlinie ebenso erforderlich ist wie auf dem Gebiet der Produkthaftung.2206 In Deutschland geht die Rechtsprechung im Zusammenhang mit Fragestellungen der Arzthaftung jedenfalls schon lange den Weg der Beweislastumkehr, den sie vor Einführung des ProdHaftG zugunsten des Verbrauchers auch bei der Produzentenhaftung nach § 823 I BGB eingeschlagen hatte.2207 aa. Ist-Zustand § 4 ProdHaftG zielt auf einen möglichst lückenlosen Schutz des Verletzten.2208 Die Regelung wird deshalb neben der verschuldensunabhängigen Einstandspflicht vielfach als eigentliche Neuerung der Produkthaftung bezeichnet.2209 Hinsichtlich der unterschiedlichen Ansatzpunkte, die ein Produktfehler haben kann, ist es möglich, auf die von der Rechtsprechung entwickelten Fehlerkategorien zur Produzentenhaftung nach § 823 BGB zurückzugreifen. Dabei muss jedoch im Auge behalten werden, dass eine Entlastung in Bezug auf fehlendes Vertretenmüssen nicht vorgesehen ist, da es sich bei § 3 ProdHaftG um eine echte Gefährdungshaftung handelt, sodass es nur auf die objektive Herbeiführung des Produktfehlers ankommt. Auch dies ist für den Geschädigten günstig.
unaufklärbaren Kausalverläufen (2004); Poll, Die Haftung der freien Berufe (1994), S. 164 ff.; Hirte, Berufshaftung (1996), S. 313 ff. 2202 ABl.EG Nr. C 12/8 v. 18.1.1991. 2203 BaRoth/Fuchs (2003), § 611 Rn. 49. 2204 BaRoth/Fuchs, ebenda. 2205 KOM (1994), 260 endg. 2206 BaRoth/Fuchs (2003), § 611 Rn. 49; Hirte, Berufshaftung (1996), S. 221, Hakenberg, MedR 2000, 55 ff.; dies., AnwBl 1997, 56 ff.; Frietsch, PIH 1997, 24 ff.; kritisch zur EU-Dienstleistungshaftung aber Schalast, AnwBl 1995, 27 ff.; ders., VersR 1994, 1266, der dort die Einführung einer EU-weiten Dienstleistungshaftung in Bezug auf das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsproblem ablehnt; zu einem Länderbericht über die Dienstleistungshaftung in der Gemeinschaft vgl. Deutsch/Taupitz, Haftung der Dienstleistungsberufe, Natürliche Vielfalt und europäische Vereinheitlichung (1991). 2207 Zur Umkehr der Beweislast in Arzthaftungsfällen vgl. die allgemeinen Ausführungen zur Beweislast im 2. Teil, 3. Kapitel, B III 6. 2208 Soergel/Krause (13. Aufl., 2005), § 4 ProdHaftG Rn. 1. 2209 Frietsch, DB 1990, 29, 30; Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1040.
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In Übereinstimmung zu den Haftungsgrundsätzen bei der Produzentenhaftung nach § 823 BGB findet jedoch auch bei Ansprüchen nach §§ 1 ff. ProdHaftG eine Anspruchsminderung bei Mitverschulden des Geschädigten nach § 6 ProdHaftG i.V.m. § 254 BGB statt. Andernfalls kann über § 8 ProdHaftG – wie im Bereich der §§ 823 ff. BGB – nun auch ein immaterieller Schaden nach § 253 BGB ersetzt werden. I.Ü. ist auch die Zahlung einer Geldrente möglich (§ 9 ProdHaftG). Eine nicht unerhebliche Eingrenzung der Einstandspflicht des Herstellers vollzieht sich allerdings über § 1 II, III ProdHaftG, i.Ü. aber auch insoweit, als bei einer Sachbeschädigung ein Schadensersatz nur dann zu leisten ist, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird, was den Ersatz von Weiterfresserschäden ausschließt. Zusätzlich muss die „andere“ beschädigte Sache noch zum privaten Ge- und Verbrauch bestimmt und hierzu verwendet worden sein (§ 1 I 2 ProdHaftG). Beruflich genutzte Gegenstände fallen also bei Schädigung – anders als im Bereich der §§ 823 BGB – von vornherein aus der Ersatzpflicht des Herstellers nach § 1 I 2 ProdHaftG heraus. In der Literatur wurde zutreffend geltend gemacht, dass diese Haftungsbegrenzung mit den Schutzbedürftigkeitserwägungen des Gesetzes nicht zu erklären ist und deshalb als verfehlt angesehen werden muss.2210 Gleiches gilt für die zusätzliche „Kappung“ der Haftung für Kleinstschäden durch § 11 ProdHaftG. Die Haftungsfreistellung des Herstellers in Form einer Selbstbeteiligung des Geschädigten wurde im Umfang von 500,- Euro festgeschrieben. Überdies sieht § 10 ProdHaftG einen Haftungshöchstbetrag für Personenschäden vor. Auch dies stellt eine Abweichung zur summenmäßig unbegrenzten Einstandspflicht aus der Produzentenhaftung nach § 823 BGB dar, die mit dem Schutzzweck des Gesetzes nicht gerechtfertigt werden kann. Dagegen kann auch nicht vorgebracht werden, dass § 823 I BGB eine Verschuldenshaftung statuiert, während die §§ 1 ff. ProdHaftG eine Garantiehaftung beinhalten, die schon wegen der Weite des Tatbestandes auch eine (quasi ausgleichende) Eingrenzung der Herstellerhaftung erfordern. Denn funktional wird die Produzentenhaftung nach § 823 I BGB derzeit von der Rechtsprechung der Gefährdungshaftung angenähert behandelt: Das Tatbestandsmerkmal des Verschuldens besteht zwar formal, wird aber auf der Ebene der Beweislast stark eingeschränkt bzw. in sein Gegenteil verkehrt. Neben der nun auch gleichgeschalteten Verjährung in § 12 ProdHaftG und §§ 194 ff. BGB ergeben sich lediglich die bereits angedeuteten formalen Differenzierungen aus dem Umgang mit dem Gefährdungs- und Verschuldenshaftungstatbestand. Bedeutsam ist hier, dass bei der Produkthaftung keine atypischen Beweislastgrundsätze wie bei der Produzentenhaftung gelten, da es in diesem Bereich nicht auf den (ggf. zu erleichternden) Verschuldensnachweis ankommt. Dieser ist ja generell nicht nötig, gerade weil das objektive Vorliegen eines Produktfehlers bereits 2210
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 277.
2. Kapitel: Besondere Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts
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haftungsbegründend wirkt. Der Geschädigte hat daher lediglich den Fehler und den Schaden sowie den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen. Alle Ausschließungsgründe bzgl. der Haftung muss andererseits der Hersteller dartun und beweisen. bb. Reformdiskussion Angesichts der zahlreichen Haftungseinschränkungen im Bereich der Produkthaftung stellt sich aus verbraucherschützender Sicht die Frage, ob im Zuge der derzeitigen Überarbeitung des acquis communautaire durch die Gemeinschaft die Produkthaftungsrichtlinie nicht gleich mitreformiert werden sollte. Insoweit könnte jedenfalls an die Überlegungen aus dem (früheren) „Grünbuch über die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte“2211 angeknüpft werden. Dieses sah Beweislasterleichterungen für den Geschädigten, die Einbeziehung von Entwicklungsfehlern, die Erweiterung des Kreises bzgl. der von der Richtlinie erfassten Produkte und Schäden vor, i.Ü. aber auch den Wegfall der Haftungshöchstgrenze. Zum Zeitpunkt der damaligen Diskussion sind diese Überlegungen an der Lobbyarbeit „interessierter Kreise“2212 noch gescheitert. Interessant ist, dass die damaligen Überlegungen allesamt in eine Richtung wiesen, die derzeit wieder hochaktuell ist. Denn es war mit den Regelungen im besagten Grünbuch schon vor neun Jahren eine Annäherung an das US-amerikanische Recht durch Einführung einer market share liability2213 und eine Zulassung von class actions erwogen worden.2214 Das letztgenannte Institut der Sammel- bzw. Gruppenklage ist auf Grund von Bestrebungen der Kommission zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung für Verbraucher wieder aktuell.2215 Sollte es sich im Bereich des vertraglichen Verbraucherschutzes durchsetzen, wäre sachdienlicherweise auch dem Widerstand der Industrie im Bereich der Produkthaftung, d.h. der deliktischen Haftung, „der Wind aus den Segeln genommen“ (bzw. zu nehmen).
2211
KOM (1999), 396. MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG Rn. 6. 2213 Die market-share-liability steht für die so genannte „Haftung nach Marktanteilen“. Diese Haftung ist für Fälle relevant, bei denen zwar ein Schaden feststeht, der geschädigte Kläger allerdings auf Grund der Produktbeschaffenheit nicht in der Lage ist zu ermitteln, wer von mehreren möglichen Herstellern für den Schaden verantwortlich ist. Die „marketshare-liability“ befreit den Kläger von diesem Kausalitätsproblem und nimmt einfach jeden Hersteller entsprechend seiner Marktanteile in die Pflicht. Sie ist vor allem im Pharmabereich relevant. 2214 KOM (1999), 396, S. 22; vgl. dazu auch den im Ergebnis ablehnenden Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte, KOM (2000), 893 v. 31.1.2001, S. 17 f., 29 sowie MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), Einl. ProdHaftG Rn. 7. 2215 Vgl. dazu das einschlägige Grünbuch, besprochen im 2. Teil, 3. Kapitel (im Rahmen der Rechtsdurchsetzungsfragen de lege ferenda). 2212
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
3. Kapitel
Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes Das 3. und letzte Kapitel des 2. Teils des Buches wird sich nun im Anschluss an die Darstellung des deliktischen Konsumentenschutzes mit der Thematik der Rechtsdurchsetzung befassen. Diese soll die Aufbereitung des zivilrechtlichen Verbraucherschutzrechts auch in Anbetracht der zeitlichen Verwirklichungsstufen verbraucherschützenden Gedankengutes (lauterkeitsrechtlicher Konsumentenschutz, vorvertragliche, vertragliche, deliktische Verbraucherprotektion, Rechtsverfolgung der materiellen Ansprüche) abschließen. Damit ist die letzte Ebene des darzustellenden Zivilrechtsclusters zum Schutz des Konsumenten erreicht und eine ausreichend weite Exzerptionsgrundlage gegeben für das im 3., d.h. im letzten Teil der Arbeit herauszuarbeitende Verbraucherschutzprinzip, das wiederum die Grundlage für weitere an Rechtsprechung und Gesetzgebung gerichtete Forderungen sein wird.
A. Allgemeines Der Abhandlung von zivilprozessualen Ausflüssen des Verbraucherschutzes, die nun folgen soll, ist der Befund voranzustellen, dass die Durchsetzung von Rechtsansprüchen in Deutschland nur vereinzelt der Selbsthilfe des Inhabers überantwortet ist.1 Im Grundsatz ist es die Aufgabe des Staates und seiner Organe, die Sicherung ziviler Ansprüche zu regeln. Das resultiert für den Bürger zum einen aus dem verfassungsrechtlich verankerten Justizgewährungsanspruch (vgl. dazu Art. 2 I, 20 III GG),2 ist aber auch Ausdruck der Grundrechtsgarantien, 3 des originären staatlichen Auftrags zur Sicherung des Rechtsfriedens und der Bewahrung der objektiven Rechtsordnung.4 1
Vgl. dazu §§ 229, 562b, 859, 904, 926 BGB. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Einl. III Rn. 1; MüKo/ Lüke, ZPO (2. Aufl., 2000), Einl. A Rn. 7. Der „Justizgewährungsanspruch bildet letztlich die rechtsstaatliche Kompensation für den Verzicht des Bürgers auf Eigenmacht und für die Erfüllung seiner Friedenspflicht“, so Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111 Rn. 139. 3 Es handelt sich um einen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Fortsetzung des materiellen Rechts, vgl. dazu Hillgruber, in: Umbach/Clemens, GG Mitarbeiterkommentar, Bd. 1 (2002), Rn. 103. 4 Hk-ZPO/Saenger (2. Aufl., 2007), Einf. Rn. 9; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effekti2
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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Zutreffend wird von der h.M. deshalb herausgestellt, dass der Zweck des Zivilprozesses in der Feststellung und Durchsetzung privater subjektiver Rechte besteht. Der Justizgewährungsanspruch verhilft gerade zur Geltendmachung eigener subjektiver Ansprüche.5 Die Akzessorietät des Verfahrens zum materiellen Recht steht im Vordergrund.6 Auch die gerichtliche Aufgabe der Auslegung und Fortbildung des Rechts, die überwiegend anerkannt wird, wird in der Regel im Zusammenhang mit dieser Akzessorietät gesehen.7 Diese Funktionsbeschreibung reicht jedoch alleine nicht aus, um den Zweck des Zivilprozesses zu umreißen.8 Denn sie gerät immer dann in Erklärungsnot, wenn es um die Rechtfertigung prozessualer Vorschriften geht, mit denen das Verfahren ohne Rücksicht auf die materielle Rechtslage beschleunigt oder gar beendet werden soll (vgl. dazu die Vorschriften des Mahnverfahrens, Präklusionsregeln, Vorschriften zu Wirkungen und Umfang der Rechtskraft).9 Darin kommt gerade zum Ausdruck, dass der Zweck des Zivilprozesses auch auf die Gewährleistung von Rechtsfrieden gerichtet ist.10 Das der subjektiven Rechtsverwirklichung und zugleich der Herstellung des Rechtsfriedens dienende Zivilprozessrecht wirkt auf unterschiedlichen Ebenen, die sich als nacheinander geschaltete „Stufen der Rechtsdurchsetzung“ kennzeichnen lassen: Es handelt sich zum einen um das so genannte Erkenntnisverfahren und zum anderen um das Vollstreckungsverfahren.11 Beide weisen verschiedene verbraucherrechtliche Bezüge und Besonderheiten auf, die nachfolgend dargestellt und kurz evaluiert werden sollen, um die Durchsetzungskraft von materiellem Verbraucherrecht durch die Verfahrensgestaltung zu überprüfen und ggf. Effektivierungsvorschläge zu unterbreiten.
vität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 3; Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht (1978), S. 16 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 288 f. 5 Benda/Weber, ebenda; so auch Gursky, Grundlagen des Verfahrensrechts (1970), S. 2; ähnlich MüKo/Lüke, ZPO (2. Aufl., 2000), Einl. A Rn. 11. 6 Es wird insofern auch der Grundsatz der materiellrechtsfreundlichen Anwendung der Verfahrensregeln aufgestellt; vgl. dazu Schumann, FS Larenz (1983), S. 571, 572. 7 Lames, Rechtsfortbildung als Prozeßzweck (1993); Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 289; Hergenröter, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung (1995). 8 Überblick über die Prozesszweckauffassungen bei Gaul, AcP 168 (1968), 27, 46 ff.; Arens, in: Gilles (Hrsg.), Humane Justiz, Die deutschen Landesberichte zum 1. Internationalen Kongress für Zivilprozeßrecht in Gent (1977), S. 2 ff.; MüKo/Lüke, ZPO (2. Aufl., 2000), Einl. A Rn. 7, 11. 9 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 289. 10 Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozeß (1966), S. 19 ff.; HkZPO/Saenger (2. Aufl., 2007), Einf. Rn. 9; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 3; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 291. 11 Dass es daneben besondere Verfahrensarten gibt, soll hier außer Betracht bleiben.
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B. Erkenntnisverfahren Beginnen soll die Darstellung mit der Betrachtung des Erkenntnisverfahrens. Dieses ist dem Vollstreckungsverfahren zeitlich vorgelagert. Das Erkenntnisverfahren hat zum Ziel, durch ein Urteil den Anspruch festzustellen, ihn in einen erzwingbaren Leistungsanspruch zu verwandeln oder ihn zu gestalten.12 I. Allgemeines Gerade für das Erkenntnisverfahren ist es wichtig zu betonen, dass das Zivilprozessrecht neben der Verwirklichung des Rechtsfriedens der weitestgehenden Durchsetzung des materiellen Rechts dient.13 Für diese Sichtweise spricht bereits die Verbindung des Rechts mit dem Gedanken der Gerechtigkeit.14 Es geht nicht nur um das Stiften von Rechtsfrieden, sondern auch darum, dass dieser Friede ein „gerechter“, der Rechtsordnung und ihren Wertvorstellungen „gemäßer“ ist.15 Dabei ist auch in Kauf zu nehmen, dass das Zivilverfahren, das sich am materiellen Recht orientiert, Konflikte, die sonst durch den Einsatz wirtschaftlicher Macht schnell beendet würden, ggf. „verlängert“ oder die Wahrnehmung solcher Interessen überhaupt erst provoziert und damit den Zweck der Herstellung des Rechtsfriedens zugunsten der Durchsetzung bestehender Rechte zurückdrängt.16 Die so beschriebene primär „dienende Funktion des Prozessrechts“ gegenüber dem materiellen Recht führt dazu, dass das Zivilprozessrecht mit der Entwicklung des materiellen Rechts korrespondieren muss.17 Verändert sich das materielle 12 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Einl. III Rn. 5; MüKo/Lüke, ZPO (2. Aufl., 2000), Einl. A Rn. 13. 13 BVerfGE 59, 330 ff.; BGHZ 77, 306; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Einl. III Rn. 10. 14 Radbruch, Rechtsphilosophie (1999), S. 34; Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. IV (1977), S. 6 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I (1987), § 24 Rn. 41; Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 2, Art. 20–63, (5. Aufl., 2001), Art. 20 Rn. 30. 15 RGZ 105, 422, 427; BGHZ 10, 350, 359; 31, 43, 46; BGH NJW 1992, 438, 439; von der „dienenden Funktion“ des Prozessrechts sprach auch das BVerfGE, vgl. dazu BVerfGE 42, 64, 73; 46, 325, 333; 49, 325, 333; 49, 252, 257; 52, 131, 164; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 10; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 91. 16 Vgl. dazu Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 14. Wäre das nicht der Fall, würde die Neutralisation sozialer Konflikte zum Schutz von Herrschaftsinteressen/ reinen Rechtsfriedenserwägungen auf lange Sicht neue Konflikte schaffen. Konfliktbefriedigung durch Recht könne so zur Ursache neuer Konflikte werden, siehe dazu Dahrendorf, Class and class conflict in industrial society (1967). 17 Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 14; MüKo/Lüke, ZPO (2. Aufl., 2000), Einl. A Rn. 23: dienende Funktion des Prozessrechts.
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Recht und führt die fehlende „Anpassung“ des Zivilprozessrechts dazu, dass die aus dem materiellen Recht herrührenden Ansprüche nicht genügend durchsetzungsstark ausgestaltet sind, läuft das materielle Recht leer, was zu verhindern ist.18 In diesem Zusammenhang ist noch einmal ins Bewusstsein zu rufen, dass die im 2. Teil dieses Werkes im 1. und 2. Kapitel dargestellten verbraucherschützenden Bestimmungen in relativ kurzer Zeit das materielle Zivilrecht in breiter Front umgestaltet haben. Das deutsche Zivilrecht hat mit dem immer stärker anwachsenden Regelungsbereich des Verbraucherschutzrechtes im Hinblick auf die Materialisierung der rechtlichen Beziehungen zwischen Verbrauchern und Unternehmern einen ungeheuren Entwicklungssprung vollzogen. Es bleibt die Frage, ob das Zivilprozessrecht mit dieser Entwicklung „Schritt hält“. Dabei ist es unmittelbar einsichtig, dass sich ein im Aufkommen befindendes (junges) Rechtsgebiet wie das Verbraucherschutzrecht zunächst einmal mit der Festlegung seines eigenen Gegenstandes und der Ausgestaltung des materiell-rechtlichen Instrumentariums beschäftigt.19 Über dieses Anfangsstadium ist das deutsche Verbraucherrecht aber mittlerweile weit herausgewachsen; es hat sich gerade auch im Zuge der Schuldrechtsreform inhaltlich und systematisch konsolidiert, sodass der Blick nun fast zwangsläufig die Rechtsdurchsetzungsebene erreicht. Der Ausgangspunkt des Zivilprozesses lässt sich dabei in gleicher Weise skizzieren wie der des materiellen Rechts. Das Zivilprozessrecht ist – ebenso wie das materielle Zivilrecht – lange Zeit von einer „liberalen Grundauffassung“ geprägt gewesen,20 bei der die Privatautonomie der Parteien im Mittelpunkt stand. 21 Im materiellen Recht wird die Privatautonomie aber mittlerweile durch ein gewandeltes Verständnis von Vertragsfreiheit bestimmt, 22 das faktische Ungleichgewichte in Bezug nimmt und auszugleichen versucht. Es fragt sich, ob das Prozessrecht diesen „Entwicklungsgang“ in gleicher Weise nachvollzogen hat. Falls der bewertende Blick hinüber in das Prozessrecht die Vermutung23 bestätigt, dass 18
Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 7. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 1990. 20 Die liberale Prozessrechtsauffassung vertraute i.S.d. Privatrechtsautonomie auf das freie Spiel der Kräfte bei der Rechtsdurchsetzung und der bestehenden Chancengleichheit. Ein öffentliches Interesse an der Herstellung objektiven Rechts im Privatrechtsverhältnis wurde verneint, vgl. dazu MüKo/Lüke, ZPO (2. Aufl., 2000), Einl. A. Rn. 11. 21 Vgl. dazu Wassermann, Der soziale Zivilprozess (1978), S. 32: „Dem Modell der freien, verantwortlichen und sich selbst regulierenden bürgerlichen Gesellschaft, in der das Gute und Wahre sich von selbst durchsetzt, entsprach die Ziviliprozeßordnung in geradezu idealer Weise, sie kam damit dem Staatsbild des liberalen Rechtsstaates […] so nahe, wie das nur ein Prozessgesetzt tun kann. 22 Zum gewandelten Verständnis von der Privatautonomie vgl. meine Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel E II; vgl. auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 47. 23 Zu Zweifeln am Bestehen eines bereits existenten, effizienten gerichtlichen Rechtsschutzes in Verbrauchersachen Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 121. 19
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
das deutsche Zivilprozessrecht mit der Genese des materiellen Rechts nicht genügend korrespondiert, ist zu fordern, dass die Forcierung des materiellen Rechts auf das Prozessrecht „ausstrahlt“, und zwar insofern, als dass eine „Abstimmung“ zwischen den beiden Rechtsbereichen dringendes Regelungsanliegen des Gesetzgebers sein sollte.24 Denn dem stark expandierten materiellen Verbraucherrecht korrespondiert unzweifelhaft das Bedürfnis, als „Anspruchsmasse“ auch beim Verbraucher „anzukommen“; es muss damit durchsetzungsstark ausgestaltet sein. II. Grundprobleme Das Verfahrensrecht ist mit dem materiellen Recht wertungsmäßig gekoppelt. Ebenso wie es sich das materielle Recht zur Aufgabe gemacht hat, faktische Ungleichgewichte aufzugreifen und auszubalancieren, ist auch das Zivilprozessrecht vor die Aufgabe gestellt, tatsächliche Disparitäten, die strukturell bedingt sind, so weit als möglich ins Visier zu nehmen und nach Kompensationsinstrumenten zu suchen.25 Dass tatsächlich nachweisbare Ungleichgewichte mit strukturellem Hintergrund nicht nur durch das materielle Recht zu regeln sind, sondern auch eine Reaktion des Zivilverfahrensrechts erfordern, stützt sich auf den Gedanken, dass es sonst zwischen dem materiellen Regelungskomplex und dem zivilprozessualen Rechtsbereich einen Wertungsbruch gäbe, der der dienenden Funktion des Zivilprozesses nicht nur nicht gerecht wird, sondern sie untergräbt.26 Zunächst leuchtet der Befund ein,27 dass das Zivilverfahren nicht nur durch das Recht, das den Parteien formale Chancengleichheit vor Gericht einräumt, geprägt ist, sondern auch durch eine Reihe von Sozialfaktoren „mitbestimmt“ wird, die ihrerseits in weitem Ausmaß durch die Rollenverteilung der Parteien vorgegeben werden.28 Im Sinne eines materialisierten Zivilprozessrechtsverständnisses wird deshalb gefordert, dass das rechtliche Verfahren ein Gleichgewicht der Konfliktparteien herstellen soll und verfahrensfremde Macht aus dem (Kommunikation- und Entscheidungs-)Prozess herausgehalten wird.29 Der Zwei-Personen-Prozess in seiner derzeitigen Ausgestaltung gewährleistet dieses Postulat
24
Auch E. Schmidt, JZ 1980, 153, 155, geht zutreffend davon aus, dass die Gründe, die eine Kompensation sozialer Ungleichgewichte im materiellen Zivilrecht erforderlich scheinen lassen, korrespondierende Anforderungen an das Zivilprozessrecht stellen. 25 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 91. 26 Lindacher, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 165; Hoffmann, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 217. 27 Vgl. dazu meine Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel B III; 1. Teil, 6. Kapitel E II, III. 28 Zum Befund Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 9. 29 Gessner, Recht und Konflikt (1976), S. 193; Röhl, Rechtstheorie 8 (1977), 93, 117.
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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der „Waffengleichheit“30 der Parteien nicht durchgehend.31 Zwar steht auch und gerade vor dem Hintergrund der Rechtsstaatsverbürgungen des Grundgesetzes außer Frage, dass es den Verbrauchern (neben den ggf. parallel laufenden Möglichkeiten einer Behördenaufsicht, der Selbstkontrolle32 der Unternehmen und der Schlichtung)33 stets offen steht, einen individuellen Rechtsbehelf einzulegen,34 womit der Verbraucher formal in die Lage gesetzt ist, sein Recht wie jeder andere Inhaber eines Anspruches vor Gericht einzuklagen. Im Zuge der Herausstellung dieses ersten Befundes würde jedoch stillschweigend davon ausgegangen, im Prozess werde der Einzelverbraucher bei seiner Rechtsverfolgung ebenso wie sein Gegner gestellt, ohne Ansehung seiner Parteirolle oder eines unterschiedlichen Informationsverhaltens. So wünschenswert dieses Ideal der Chancengleichheit im Prozess auch ist, es wird – das belegt jedenfalls die Rechtstatsachenforschung – doch selten erreicht.35 In Bezug auf die Rollenverteilung vor Gericht zeigt sich zumeist, dass der Unternehmer, der den Verbraucher verklagt, faktisch in einer „stärkeren“ Position ist als der Verbraucher, der gegen den Unternehmer prozessiert.36 Der Grund ist einfach: Verbraucher sehen sich bei der Geltendmachung von Ansprüchen oft mit faktischen Hemmnissen konfrontiert, die bei einem Prozess eines Unternehmers gegen einen Unternehmer nicht in gleicher Weise zu Tage treten. Deswegen klagen
30 Dazu BVerfGE 63, 266, 284; Roellecke, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 20 GG Rn. 115. 31 E. Schmidt, JZ 1980, 153, 155; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 129. 32 Zutreffend kritisch dazu, weil die Selbstkontrolle nur dazu dient, staatliche Normsetzung, die für den Verbraucherschutz effektiver wäre, „abzuwürgen“, und weil Selbstkontrolle stets Selbstbindung impliziert, der nicht jeder Unternehmer gewillt ist nachzukommen, sodass Marktverzerrungen damit stets einhergehen, Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 123 ff.; ähnlich kritisch K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 165 ff.; Reich, in: Blankenburg/Gottwald/Strempel, Alternativen in der Ziviljustiz (1982), S. 219, 224 f.; Bernitz/Draper, Consumer protection in Sweden – Legislation, Institutions and Practice (1981), S. 764; ähnlich auch Tonner, Reiserecht in Europa (1992), S. 172, der dort der Auffassung ist, das Funktionieren des code of conduct der ABTA beruhe allein auf für Großbritannien spezifische Umstände, sodass sich daraus für andere Länder keine positiven Schlussfolgerungen ziehen ließen. 33 Vgl. dazu Lindacher, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 165; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 11; Reich/ Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976), S. 206 ff. 34 Hierzu und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit bzw. der Notwendigkeit einer class action nach deutschem Recht in Bezug auf Art. 19 IV GG Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 7. 35 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 20; ders., KritV 1991, 386 ff.; v. Aaken, KritV 2003, 44 ff. 36 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 6 ff.; Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht für alle (1976); Cappelletti, RabelsZ 46 (1982), 664 ff.; Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (2005), S. 36; Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 3.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
Konsumenten kaum und verhelfen damit ihren Ansprüchen selten zum Durchbruch.37 Die Befunde, die die Rechtstatsachenforschung befördert hat, führen natürlich zu der Frage, was der Grund dafür ist, dass gerade Verbraucher ihr Recht so wenig einfordern und so selten von der prinzipiellen Möglichkeit der Einlegung einer Klage Gebrauch machen.38 Aus der Sozialforschung stammen insoweit Erkenntnisse, die die „Unterentwicklung des Klageverhaltens“ von Verbrauchern in Verbindung bringen mit dem schwierigen „Zugang zum Recht“,39 „Erfolgsbarrieren vor Gericht“ 40 und der noch nicht genügend ausgebauten Möglichkeit der Führung von Kollektivklagen. Damit sind nur drei Aspekte genannt worden, die eine Rolle spielen. Die Ursachen für die „schleppende“ gerichtliche Geltendmachung von Verbraucheransprüchen sind natürlich vielschichtig. Im Endeffekt treten die Hinderungsgründe freilich so komplex zu Tage, wie die strukturell bedingten Disparitäten zwischen Verbrauchern und Unternehmern, die üblicherweise im vorvertraglichen, vertraglichen und deliktischen Bereich41 zu verzeichnen sind. Infolgedessen ist auch bzgl. der in Betracht zu ziehenden zivilprozessualen Kompensationselemente eine ganze Bandbreite von Maßnahmen denkbar, die für sich gesehen bestimmte Einzelursachen oder Ursachenkomplexe ins Visier nehmen und dabei versuchen, die jeweils daran ansetzenden Ungleichgewichte auszubalancieren bzw. ihnen entgegenzuwirken. Die notwendige funktionale Abhängigkeit von Ursache und Reaktion gibt den weiteren Untersuchungsverlauf vor: Zunächst sollen hier die Gründe des unterentwickelten Klageverhaltens von Verbrauchern dargestellt werden. Daran anschließend werden die vorhandenen und darüber hinaus noch andenkbaren Kompensationsinstrumente bewertend referiert.
37 So verzichtet nach statistischen Erhebungen etwa jeder fünfte europäische Verbraucher bei Beträgen unter 1.000,- Euro darauf, vor Gericht zu gehen. Die Hälfte erklärt gar, bei Beträgen unter 200,- Euro keinen Rechtsbehelf einlegen zu wollen, zum Ganzen Spezial-Europabarometer bezüglich des Zugangs zur Justiz, Oktober 2004, S. 29. 38 Reuschle, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 49; ders., WM 2004, 966, 967 f. 39 Vgl. etwa Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 3; Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht für alle (1976); Cappelletti (Ed.), Access to Justice Vol. I–IV (1978/79) mit Fortschreibung in RabelsZ 46 (1982), 664; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 6; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 56. 40 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 121; Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht – Eine empirische Untersuchung zur Chancengleichheit im Zivilprozeß (1980); Bender, RabelsZ 40 (1976), 718 ff.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1996), S. 56. 41 Vgl. dazu meine Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel E.
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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1. Der schwierige Zugang zum Recht Eine der Hauptursachen für die ungenügende Durchsetzung von Verbraucherrechtspositionen vor Gericht wird häufig mit dem Schlagwort des schwierigen „Zugangs zum Recht“ umschrieben.42 Im Prinzip muss der Zugang zum Recht jedoch jedem offen stehen.43 Die Problematik, dass dies für bestimmte Personengruppen, insbesondere Konsumenten, faktisch nicht umfassend genug der Fall ist,44 wurde bereits vor mehr als 30 Jahren herausgearbeitet und als eines der Kernprobleme unserer Zeit bezeichnet.45 Dass der einzelne Verbraucher mit seiner Beschwerde nur in vergleichsweise wenigen Fällen als Kläger vor Gericht auftritt, vielmehr in der Regel auf Beklagtenseite,46 beruht auf verschiedenen Einzelaspekten der Ausgestaltung des Prozessrechts. Ein Faktor, der zum Durchsetzungsdefizit maßgeblich beiträgt, ist unzweifelhaft der Umstand, dass der Kläger in vielen Rechtsordnungen47 (so auch in Deutschland) die Kosten des Verfahrens vorzustrecken hat und er schon deshalb gezwungen ist, eine Kosten-Nutzen-Analyse anzustellen,48 die aus Verbrauchersicht häufig ergibt, dass die zu verauslagenden Gelder in keinem Verhältnis zum Streitwert stehen49 und möglicherweise fehlinvestiert sind, weil nicht mehr im Erstattungswege rückholbar.50 Das ist etwa der Fall, wenn der Prozess verloren geht oder – selbst bei einem Obsiegen – der Prozessgegner als Kostenschuldner ausfällt.51 Das Kostenrisiko wirkt auch und gerade dann abschreckend, wenn der Prozessausgang auf Ver42
Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 52. Art. 19 IV GG eröffnet den Rechtsweg zunächst gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt. Aus der Zusammenschau der rechtsstaatlichen Rechtsschutzvorschriften (Art. 1 III, 19 IV, 20, 28, 92 GG) und der Grundrechte folgt jedoch auch eine staatliche Rechtsschutzgarantie für private Ansprüche, vgl. dazu Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 9; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht (1969), S. 111. 44 Bender, RabelsZ 40 (1976), 718; Gottwald, Streitbeilegung ohne Urteil (1981), S. 2; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 6; Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (2005), S. 37. 45 Vgl. Cappelletti, RabelsZ 40 (1976), 718 ff.: „making the law accessible to all“. 46 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 20 f. 47 Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 52. Viele Länder wenden die sog. British Rule an, nach der die unterlegene Partei die gesamten Verfahrenskosten inklusive der Anwaltskosten der obsiegenden Partei trägt, dazu Dobbs, Remedies (1993), § 3.10 (1). Anders aber die sog. American Rule, wonach jede Partei ihre Kosten grundsätzlich allein trägt. 48 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 57; Wagner, ZZP 121 (2008), 5, 9. 49 Gottwald, Streitbeilegung ohne Urteil (1980), S. 23, 24; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 61. 50 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 57. 51 Ob Rechtsschutzversicherungen diesem Umstand, der prozessabschreckend ist, genügend entgegenwirken können, muss wohl auf Grund der vorgenannten Studie der EUKommission bezweifelt werden. 43
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braucherseite hinsichtlich des bestehenden Informations-, Lenkungs- und Wissensdefizits viel schwieriger zu prognostizieren ist als von der Gegenseite.52 Denn hier schlägt sich nieder, dass der Verbraucher regelmäßig ein Wenig- bzw. Geringprozessierer ist, die Gegenseite (wenn es sich um ein Unternehmen handelt) aber andererseits über genügend Wissen und Erfahrung, organisatorische Kraft und finanzielle Möglichkeiten verfügt, um den Prozess „durchzustehen“, das Verfahren im eigenen Sinne zu beeinflussen und vorherzusehen.53 Auch Sprach- und Verständnisbarrieren, die sich sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch bei der schriftlichen Prozessführung bemerkbar machen, fallen gerade Verbrauchern zur Last und wirken für sie hemmend, wenn es darum geht, möglicherweise unter Zuhilfenahme gerichtlichen Rechtsschutzes unberechtigten Ansprüchen entgegenzutreten oder gar in die Offensive zu gehen.54 Die Kommunikationsstrukturen vor Gerichten und die „Formalität“ des Verfahrens machen das Gerichtsverfahren für den juristischen Laien häufig zu einem „befremdenden Schauplatz verzerrter Kommunikation“55 und „selektiver Realitätsverarbeitung“56, dem er ohne professionelle Hilfe regelmäßig ohnmächtig gegenüber steht. Denn die spezielle Kommunikationsstruktur und Argumentationslogik erfordern jenseits der notwendigen materiellen Kenntnisse eine besondere Professionalität,57 die er nicht „naturwüchsig“ mitbringt. Neben die Sprachbarriere tritt eine starke Formalisierung des gerichtlichen Verfahrens, 58 die im Zusammenhang mit der besonderen Kommunikationsstruktur für den damit nicht vertrauten Rechtssuchenden eine einschüchternde Atmosphäre hervorbringt.59 Abschreckend wirkt überdies, eine dem einzelnen Verbraucher oft nicht mehr verständliche Dauer des Verfahrens.60 Ferner kann der Umstand, dass überhaupt Zeit investiert werden muss und eben die Länge des Prozesses nicht kalkulierbar ist, schon als bedeutendes Hindernis auf dem Weg zum Gericht für Verbraucher wirken, gerade wenn die Erfolgschancen so wenig vorauszusehen sind. Psychologisch bedeutsam ist darüber hinaus eine generell auszumachende Scheu vieler Betroffener (d.h. „Geringpro52
Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 123 ff. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 21 ff. 54 Vallender, Beratungshilfe (1990), S. 29; Lindemann/Trenk-Hinterberger, Beratungshilfegesetz (1987), Rn. 2; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 124; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 65; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 57. 55 Rottleuthner, KJ 1971, 60, 75. 56 Gessner, Recht und Konflikt (1976), S. 4. 57 Zu der Bedeutung von Anwälten in diesem Zusammenhang Maiwald, Die Herstellung von Recht: eine exemplarische Untersuchung zur Professionalisierungsgeschichte der Rechtsprechung am Beispiel Preußens im Ausgang des 18. Jahrhunderts (1997), S. 212 f.; 216 ff. 58 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 57. 59 Cappelletti, RabelsZ 40 (1976), 669, 679. 60 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 57; Cappelletti, RabelsZ 40 (1976), 669, 676. 53
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zessierer“) vor der Institution, wobei auch eine Rolle spielen mag, dass gerade wegen der Sprachhürde und der Formalisierung des Verfahrens ein vorheriger Kontakt mit dem als anonym agierenden Apparat meistens als frustrierend empfunden wurde.61 Auch etwaig gemachte Erfahrungen mit dem ggf. mangelhaften Engagement eines Prozessvertreters können für den rechtsuchenden Verbraucher Abschreckungseffekte für spätere Verfahren auslösen. Denn gerade bei den geringen Streitwerten in vielen Verbrauchersachen ist die „Energie“, die ein Anwalt auf ein derartiges Verfahren verwenden wird, regelmäßig gering.62 H. Koch deutete zutreffend an, dass es sein mag, dass eine gewisse Erklärung für fehlende Aktivitäten seitens der Verbraucher bei der Rechtsdurchsetzung überdies in einer schlichten Apathie, Initiativlosigkeit und fehlendem Interesse bzw. – drastisch gesprochen – in der Faulheit vieler Betroffener liegt, sich um die eigenen Belange zu kümmern.63 Resignation und Antriebslosigkeit dürfen jedoch nicht zu einem staatlich geduldeten Rechtsverzicht führen. Denn unabhängig von dem mehr oder weniger strukturell bedingten (Mit-)Verschulden einzelner an zur Verfügung gestellten, aber praktisch „leer laufenden“ Ansprüchen, ist das Recht dazu da, Grundentscheidungen nicht nur vorzugeben, sondern diese ggf. auch selbst der „gesicherten Durchsetzbarkeit“ zuzuführen, dem potentiellen Kläger/Anspruchsinhaber also dort zu helfen, wo er selbst aus strukturell bedingten Gründen nicht weiter kommt, ggf. deshalb, weil er schlicht verzagt.64 Nur dann ist das Recht effektiv und wird auch seiner Steuerungsfunktion in der Gesellschaft als Vorgabe für eine objektive Wertordnung, die sich möglichst stark auch in privatrechtlichen Beziehungen bewährt, gerecht. 2. Erfolgsbarrieren vor Gericht Den finanziellen, zeitlichen, intellektuellen, mitunter auch psychologischen und sozialen Zugangshürden, die sich häufig mit einer generellen Scheu vor Institutionen, insbesondere der Justiz, verbinden, korrespondiert neben dem Problem des schwierigen Zugangs zum Recht noch ein weiteres Defizit. Rechtstatsächliche Untersuchungen zeigen etwa, dass Erfolgsquoten ganz unterschiedlich ausfallen: Wo auf der Klägerseite eine Firma bzw. ein Unternehmen steht, ist die Erfolgsquote ungefähr doppelt so hoch anzusetzen als im Fall der Klage eines Verbrauchers.65 61 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 123; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 56; Gottwald, Streitbeilegung ohne Urteil (1981), S. 28; Röhl, Beraten, Vermitteln, Schlichten und Richten, Schleswig-Holsteinische Anzeigen, Teil A Nr. 7 (1979), 134, 135; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 21. 62 V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 156; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 58. 63 Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 21. 64 Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht (2006), S. 223. 65 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 121 f.; Bender/Schumacher, Er-
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Der Kläger ist in mehrfacher Hinsicht dadurch im Vorteil, dass er die Initiative ergreift: Er kann bei Massenstreitigkeiten über den Gegner entscheiden und damit z.B. einen für ihn besonders aussichtsreichen Fall unter mehreren herausgreifen und ihn später als Präjudiz benutzen oder durch Mitverklagen potentieller Zeugen ausschalten.66 Außerdem bestimmt er durch Vortrag und Beschränkung auf Teilklagen etc. über den Streitgegenstand. Trotz der Pflicht des Gerichts, eine rechtliche Qualifizierung selbst vorzunehmen (iura novit curia) sind die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten des Klägers in Bezug auf eine sorgfältige rechtliche Begründung und dergleichen Quellenhinweise nicht zu unterschätzen.67 Gibt es mehrere Wahlgerichtsstände, so kann der Kläger den für ihn günstigsten wählen. Professionelle Prozessierer können überdies auch dadurch mit Streitigkeiten strategisch umgehen, indem sie „geeignete“ Präzedenzfälle heraussuchen.68 All diese Verfahrensaspekte kennzeichnen zwar nicht nur den Verbraucherprozess, sie treten aber hier spezifisch zu Lasten des Verbrauchers hervor, weil die Prozessvorteile schon kraft größerer Prozessroutine 69 dem Unternehmer (besonders als Kläger, der er üblicherweise ist) doch eher als dem Verbraucher zu Gute kommen.70 I.Ü. besteht nicht nur im zeitlichen Vorfeld des Prozesses, sondern auch in ihm selbst ein Informationsgefälle, das ebenfalls zur geringen Erfolgsquote des Verbrauchers beiträgt. Der seltenere Kontakt des Verbrauchers mit der Justiz und einem Klageverfahren auf der einen Seite, die größere Erfahrung des Anbieters als „repeat player“ und seine (forensische)71 Routine auf der anderen Seite, daneben aber auch seine Ausstattung mit Beratern und ggf. spezialisierten Anwälten, sind dafür mit ursächlich.72 Hier hinein spielt der Umstand, dass Anbieter auf Grund ihrer Erfahrung Streitigkeiten häufig bereits weit im Vorfeld planen können und folgsbarrieren vor Gericht (1980), S. 68; Röhl, Rechtssoziologie (1987), S. 500 ff.; ders., ZfRSoz 1981, 1 ff.; Rottleuthner, Einführung in die Rechtssoziologie (1987), S. 145; Hegenbarth, ZfRSoz 1981, 34, 38; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 22. Genannt werden bei Koch und Hegenbarth Prozentzahlen von 72,5 % (Erfolgsquote bei Unternehmen) und 41,6 % (Erfolgsquote bei Verbrauchern). 66 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 23. 67 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 22. 68 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 128. 69 Hegenbarth/Scholz, Konfliktlösung ohne Kommunikation, Informationsbrief für Rechtssoziologie Nr. 15 (1979), S. 88; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 24; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 124 ff. 70 Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 104, 134 f.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 23; Steinbach/Kniffka, Strukturen des amtsgerichtlichen Prozesses (1982), S. 55 ff. 71 Dazu Galanter, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 4 (1975), S. 245, 251. 72 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 58; Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht (1980), S. 7; Steinbach/Kniffka, Strukturen des amtsgerichtlichen Prozesses (1982), S. 55 f.; Cappelletti, RabelsZ 40 (1976), 669, 674 ff.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 23.
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die Möglichkeit von Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Forderungen regelmäßig schon bei der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen zu Verbrauchern berücksichtigen (z.B. durch die Aufnahme von Gerichtsstandsklauseln oder Regelungen über die Beweislastverteilung in ihren Geschäftsbedingungen).73 Als „one-shooter“ wird der Verbraucher mit dem Problem der Streiterledigung regelmäßig erst im Streitfall konfrontiert.74 Eine strategische Planung seiner Vorgehensweise ist ihm in diesem Stadium nur noch eingeschränkt möglich, da viele im Vorfeld des Streits angesiedelte Probleme und Möglichkeiten zur Verbesserung seiner Situation nicht mehr bestehen.75 Das zweite Hauptproblem unseres Rechtsschutzsystems liegt neben den erwähnten Zugangsbarrieren76 für Verbraucher darin, dass es vor allem bei ungleichem Grad der sozialen Herkunft und Organisation klare, voraussehbare Rückschlüsse auf den Erfolg bzw. Misserfolg des Verfahrens zulässt und damit keine wirkliche Chancengleichheit gewährt.77 3. Negative volkswirtschaftliche Auswirkungen der mangelnden Rechtsdurchsetzung Dass das Unterlassen der Geltendmachung bestehender Ansprüche für die betroffenen Verbraucher nachteilig ist, bedarf keiner näheren Begründung. Hinzuweisen ist an dieser Stelle jedoch darauf, dass der aus der fehlenden Geltendmachung von Ansprüchen resultierende Schaden weit über die Individualeinbuße des einzelnen (betroffenen) Konsumenten hinausreicht. Denn solange vorhandene Ansprüche von den Berechtigten nicht durchgesetzt werden (und sei es auch nur auf Grund faktischer Hürden), besteht für die Anbieter keine Veranlassung, ihr Verhalten zu ändern, da sich das gesetzwidrige Vorgehen faktisch „auszahlt“. Das gilt in erhöhtem Maße dort, wo wegen der geringen Zahl von Anbietern und ihrer Monopolstellung keine Abwanderungsbewegung von Konsumenten zu befürchten ist.78 Volkswirtschaftlich ist die fehlende Rechtsdurchsetzung von Abnehmern negativ zu bewerten. Denn wenn es an der effektiven Rechtsdurchsetzung fehlt, wird letztlich das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung in Mitleidenschaft gezogen, was wiederum dazu führt, dass sich auf dem 73
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 58. Capelletti, RabelsZ 40 (1976), 669, 679. 75 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 58. 76 Kemper, ebenda, S. 92. 77 Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht. Eine empirische Untersuchung zur Chancengleichheit im Zivilprozeß (1980); Blankenburg, ZRP 1980, 137 ff.; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 28; Gottwald, Streitbeilegung ohne Urteil (1981), S. 22; Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (2005), S. 38. 78 Zum Ganzen Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 58. 74
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Markt kein echter Gegendruck aufbauen kann, sodass auch der Markt selbst nicht mehr funktioniert. Die Forderung nach einer zu optimierenden Ausgestaltung des Zivilverfahrens für die effektive Rechtsdurchsetzung von Verbraucheransprüchen läuft damit nicht einseitig darauf hinaus, dass ein abnehmerfreundlicher Markt besteht, sondern, dass sich überhaupt erst ein Markt mit einem entsprechenden Wechselspiel der Kräfte entfalten kann. III. Instrumente zur Problemabhilfe Zur Stärkung der Motivation von Verbrauchern, Ansprüche (gegen Unternehmer bzw. Unternehmen) geltend zu machen, wurden und werden unterschiedliche Instrumente in Ansatz gebracht, die Einführung weiterer wird z.T. diskutiert. Der nachfolgende Abschnitt soll hierüber einen kurzen Überblick geben. 1. Schlichtung als außergerichtliche Rechtskontrolle Eines der Kompensationsmittel zur Überwindung von Zugangs- und Erfolgsbarrieren in Bezug auf eine Entscheidung einer Verbraucherstreitsache ist schon seit vielen Jahrzehnten die außergerichtliche Schlichtung.79 Unter außergerichtlicher Schlichtung versteht man die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien unter Vermittlung eines Dritten durch dessen Schiedsspruch, der sich an der Rechtslage zu orientieren hat, ohne dass ein Gericht eingeschaltet wird.80 Mit ihr wird ein „alternativer“ Weg bei der Geltendmachung von Ansprüchen dadurch beschritten, dass die Streitbeilegung nicht im Prozessstadium, sondern zeitlich davor über die Hinzuziehung entsprechend versierter Personen/ Organisationen erfolgt, was die Lage auch psychologisch entspannt. 81 Außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren sollen hinsichtlich der Kosten, der psychologischen Hürden und des Wissens- und Know-how-Vorsprungs der professionellen Gegenseite bestehende Rechtswahrnehmungshürden abbauen.82 79 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 131; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 17; Hoffmann, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 217, 230 ff.; Kotzorek, Private Gerichte als Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit – eine ökonomische Analyse (1987); Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (2005), S. 38; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Schlichten ist besser als Richten (1983); Micklitz, DRiZ 1983, 119 ff.; Miletzki, Formen der Konfliktregelung im Verbraucherrecht (1982); Morasch, Schieds- und Schlichtungsstellen in der Bundesrepublik (1984); eine empirische Untersuchung findet sich bei Leiss, Zur Effizienz außergerichtlicher Verfahren im Wirtschaftsrecht (2005). 80 Hoffmann, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 217. 81 Zu den verschiedenen Schlichtungsstellen/Ombudsverfahren vgl. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 457 ff. 82 Auch in der EG werden solche Verfahren für den Verbraucherschutz befürwortet,
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Die Erwartung,83 dass in außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren die Konfliktregelung „gangbarer“ für Verbraucher wird, erscheint durchaus nachvollziehbar, zumal einige skandinavische Länder hier auf einen breiten Erfahrungsschatz und große Akzeptanz in der Bevölkerung rekurrieren. Das ist jedoch nicht überall so.84 Gerade in Deutschland wurden starke – m.E. beachtliche – Bedenken gegen vorschnelle außerjustizielle Auslagerungstendenzen vorgebracht. So wird darauf hingewiesen, dass die Eignung außergerichtlicher Streitbeilegung für Verbraucherbelange – selbst wenn sie Paritäts-, Neutralitäts-85 und Sachverstandsansprüchen genügen – bisweilen zweifelhaft sei, weil diese Verlagerung der Streitbeilegung („weg von der Justiz“) zur Folge haben könne, dass grundlegende, auch für die Rechtsfortbildung relevante Problemfelder der richterlichen Kontrolle entzogen würden.86 Effektive87 verfahrensrechtliche Sicherheitsmechanismen, diesem Problem zu begegnen, gibt es bislang noch nicht.88 Im deutschen Recht enthält zwar die Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns – vgl. 6 der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns – Anweisungen, Grundlagenfragen nicht selbst zu entscheiden, sondern der Justiz und Rechtsfortbildung zugänglich zu halten. Jedoch gibt es insofern noch keine Kontrollinstrumente, die die Einhaltung dieser Verhaltensanforderung tatsächlich effektiv nachprüfen. Während die Befürworter von Schieds-89 und Schlichtungsstellen die Vorzüge des schnellen, mit keiner psychologischen Hemmschwelle verbundenen Zuvgl. dazu das Grünbuch der EG-Kommission über den Zugang des Verbrauchers zum Recht, KOM (1993), 576, S. 93 f. sowie die Empfehlungen der Kommission 98/257/EWG und 2001/310/EWG über die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten. 83 Calliess, ZfRSoz 2005, 35, 39; Hk-ZPO/Saenger, Einf. Rn. 34; Hager, Konflikt und Konsens (2001); Prütting (Hrsg.), Außergerichtliche Schlichtung (2003); Blankenburg/Gottwald/Strempel (Hrsg.), Alternativen in der Ziviljustiz (1982). 84 Die Situation innerhalb Europas differiert von Land zu Land. Das größte Vertrauen in die alternative Streitbeilegung haben die Verbraucher in den Niederlanden (57 %), gefolgt von den skandinavischen Ländern (Dänemark und Finnland 47 % und Schweden 45 %). Dagegen ist das Vertrauen in Bulgarien (12 %) zusammen mit der Slowakei (17 %) und Portugal (19 %), am geringsten; so die in KOM (2008), 794 endg., zitierte Studie. 85 Bei privaten Schiedseinrichtungen besteht immer die Gefahr, dass sie von der sie zum größten Teil finanzierenden Anbieterseite als bloßes Marketinginstrument missbraucht werden, ohne eine wirkliche Durchsetzung von Verbraucherinteressen zu ermöglichen; vgl. dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 93; Micklitz, DRiZ 1983, 119, 126. 86 Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (2005), S. 38; kritisch auch Micklitz, DRiZ 1983, 119. 87 Zur bloßen „Empfehlung“ der Gemeinschaft zur Ausgestaltung des Verfahrens bei der außergerichtlichen Streitschlichtung vgl. 98/257/EG v. 30.3.1998, ABl.EG Nr. L 115. 88 Zum Befund vgl. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 464; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 18. 89 Die staatliche Rechtsschutzgarantie wird durch die gesetzliche Verankerung der Schiedsgerichtsbarkeit eingeschränkt (§§ 1025 ff. ZPO). Die aus der grundrechtlich anerkannten Privatautonomie (Art. 2 I GG) fließende Vertragsfreiheit umfasst jedoch grund-
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gangs zum Verfahren und seiner Durchführung betonen,90 kann sicherlich auf der anderen Seite skeptisch moniert werden, dass die Neigung von außergerichtlichen Streitbeilegungsgremien gerade im Hinblick auf den Anspruch eines kostengünstigen, schnellen Verfahrens zur Mediation und damit einer Streitbeilegung i.S.d. gegenseitigen Nachgebens besonders groß sein dürfte,91 sodass der Verbraucher hier u.U. nicht zu seinem vollen Recht kommt, es vielmehr um eine schnelle „Billigkeitsentscheidung“92 geht. Problematisch ist außerdem, dass alternative Streitbeilegungsverfahren in vielen Ländern nur sektorspezifisch entwickelt sind und deshalb nicht durchgängig für alle Verbraucherangelegenheiten zum Einsatz kommen, sodass dieser Weg nicht immer gangbar ist bzw. ein entsprechendes Vertrauen der Verbraucher sich hierauf nicht umfassend stützen lässt.93 Vor allem ist die Gefährdung grundlegender Verfahrensgarantien bei der außergerichtlichen Streitbeilegung nicht zu übersehen, die zwangsläufig mit der „Privatisierung der Justiz“ einhergeht. Ihr kann wohl nur begrenzt mit einer entsprechenden Verfahrensausgestaltung begegnet werden, vor allem dadurch, dass auch bei einer außergerichtlichen Streitbeilegungsmöglichkeit der Zugang zum staatlichen Gericht94 nicht ausgeschlossen sein darf.95 Gravierend (und damit sätzlich auch die Befugnis der Beteiligten, innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung Abreden über die Erledigung von Rechtsstreitigkeiten zu treffen. Zu den sicherzustellenden rechtsstaatlichen Erfordernissen gehört es allerdings auch, dass der Schutz gegen wirtschaftliche oder soziale Übermacht (§ 1025 II ZPO) und die Wahrung bestimmter Formerfordernisse (§ 1027 ZPO) sichergestellt ist, vgl. dazu Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 10. Wie weit das der Fall ist, ist fraglich. 90 Blankenburg/Klausa/Rottleuthner (Hrsg.), Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 6 (1980): Alternative Rechtsformen und Alternativen zum Recht; Blankenburg/ Taniguchi, Informal Alternatives to or within the Ordinary Litigation, in: Wedekind (Ed.), Justice and Efficiency – General Report and Diskussions VIII. World Conference on Procedure Law 1987 (1989), 335; Presse und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Schlichten ist besser als Richten (1983); v. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 165 ff.; v. Hoffmann, Privatrechtliche Schlichtung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 217 ff.; Miletzki, Formen der Konfliktregelung im Verbraucherrecht (1982); Gottwald, Streitbeilegung ohne Urteil (1981); ähnlich Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (2005). 91 Dazu Gottwald, Streitbeilegung ohne Urteil (1980), S. 18 ff., der das als Vorteil gegenüber dem gerichtlichen „Alles oder nichts-Prinzip“ sieht. 92 Nachdenklich diesbezüglich Calliess, ZfRSoz 2005, 35, 43. 93 Kritisch ganz allgemein auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 455. 94 Zu diesem Problem Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 18. 95 Ein teilweise schon praktizierter Ausweg ist die Bindung nur für den Unternehmer. Häufig ist aber wohl die praktische Motivation für den Verbraucher, der theoretisch zu Gericht gehen könnte, nach einem Spruch der zur außergerichtlichen Streitbeilegung angerufenen Stelle zu gering, man findet sich lieber ab, als weiteren Ärger und organisatorischen Aufwand auf sich zu nehmen, zumal eine „Verböserungsgefahr“ vor Gericht besteht. Zahlen zur besonderen Situation bei der Schlichtung im Reiserecht liefert Schmid, VuR 2006, 340 ff.
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entscheidend) zugunsten des gerichtlichen Verfahrens wirkt sich in jedem Fall die Veröffentlichung von Urteilen aus;96 sie bildet das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Recht und Quasi-Recht, da nur auf Grund von Öffentlichkeit die jurisgenerative Funktion des Präjudizienverweises in Gang gesetzt97 und damit effektiv, d.h. breitenwirksam „heranziehbares“, weil transparent gemachtes Recht erzeugt wird.98 Summa summarum kann die Schlichtung Zugangs- und Erfolgsbarrieren zum Recht abbauen. In der Breite sollte es jedoch darauf ankommen, dass sich materielles Verbraucherrecht auch „gerichtlich bewährt“. Dafür sprechen schon die vorgebrachten Vorbehalte, die mit dem Verfahren der Schlichtung verbunden sind. Die außergerichtliche Streitschlichtung bildet daher ein Instrument zum Abbau von Zugangs- und Erfolgsbarrieren für den Verbraucher, sie kann jedoch – wollte man nur auf sie abstellen – nicht als Königsweg für die Durchsetzung von materiellem Verbraucherrecht verstanden werden. 2. Beratungs- und Prozesskostenhilfe Setzt man, gerade wegen der referierten Vorbehalte gegen justizielle Auslagerungstendenzen und der nicht genügenden Akzeptanz/Ausbildung einer außergerichtlichen Streitschlichtung auf ein gerichtliches Verfahren, dann sind es in erster Linie die aufzubringenden Kosten und das Risiko ihrer fehlenden Rückholbarkeit bei Vorverauslagung, die den Verbraucher, der den Ausgang des Prozesses im Regelfall auch schlechter prognostizieren kann, von der Einleitung eines Gerichtsprozesses abhalten.99 In diesem Zusammenhang kann es auch nicht verwundern, dass sich die ersten Ansätze zur Verminderung des Rechtsdurchsetzungsdefizits auf Verbraucherseite auf die Einführung eines Beratungs- und Prozesskostenhilfegesetzes konzentrierten. Kostenrisiken sind aus Sicht eines einkommensschwachen Verbrauchers zweifellos ein Faktor, der die Entscheidung beeinflusst, ob ein Gericht zur Verfolgung des Anspruches eingeschaltet und anwaltlicher Beistand gesucht wird.100 96 Die Veröffentlichung der Tätigkeitsberichte der Ombudsleute reicht daran nicht heran, vgl. dazu Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 465. 97 Calliess, ZfRSoz 2005, 35, 44. 98 Auch die Kommission hat in ihrem Grünbuch festgestellt, dass alternative Streitbeilegungsverfahren zwar ein wichtiges Element bei der Durchsetzung von Verbraucherpositionen darstellen, dass aber bereits ihr Verbreitungsgrad, ihre Effizienz und Akzeptanz innerhalb der EU ganz unterschiedlich bewertet werden müssen, KOM (2008), 974 endg., S. 5 Rn. 10. 99 Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 11. 100 Lindacher, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 165; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 60; M. Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses (1981); Lindacher, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 165 ff.
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a. Hintergrund Ob Verfahrenskosten Rechtsdurchsetzungsbarrieren aufstellen, hängt davon ab, ob der Kläger (Verbraucher/Verband101) diese Aufwendungen tragen muss und wie hoch sie sind. Nach § 91 ZPO gilt insofern die Grundregel, dass der Verlierer die Kosten des Rechtsstreits trägt. Er muss auch dem Gegner die notwendigen Rechtsverfolgungskosten erstatten. Die Regelung statuiert damit die so genannte „Unterliegenshaftung“.102 Selbst wenn der Verbraucher einen erfolgversprechenden Prozess einleitet, bedeutet dies noch nicht, dass damit alle wirtschaftlichen Risiken gebannt sind. Vorauszahlungspflichten und Ausfallhaftung (vgl. dazu etwa §§ 49, 54, 58 GKG) lassen in jedem Fall ein gewisses Endrisiko bzgl. der Kostenlast bestehen und benachteiligen mindestens denjenigen, der mangels eigener Mittel einen Prozess gar nicht oder nur ohne anwaltliche Hilfe führen kann. Der Gesetzgeber hat vor diesem Hintergrund am 1.1.1981103 in Ersetzung der früheren Regelungen des „Armenrechts“104 ein Gesetz über die Prozesskostenhilfe verabschiedet,105 das für den vor- und außergerichtlichen Bereich durch das Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen („Beratungshilfegesetz“)106 ergänzt wurde. Dass der Gesetzgeber überhaupt dergleichen Regelungen verankerte, hängt bereits mit verfassungsrechtlichen Wertvorgaben zusammen. Denn bereits aus dem grundgesetzlich gewährleisteten Justizgewährungsanspruch leitet sich das Postulat ab, dass auch dem finanziell Minderbemittelten ein Rechtsschutz zukommt, der demjenigen des Bemittelten wenigstens einigermaßen entspricht,107 sodass das Kostenrisiko nicht zu einer Rechtswegsperre führt.108 101 Für eine völlige Kostenbefreiung des Verbandes im Verbandsprozess tritt Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 63 ein. Er macht hierfür eine Analogie zu § 2 I GKG geltend, die eine Kostenbefreiung von Hoheitsträgern festlegt, welche im öffentlichen Interesse tätig sind. 102 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Übers. § 91 ZPO Rn. 2. 103 Gesetz v. 13.6.1980, BGBl. I, S. 77. 104 Vgl. dazu RGBl. I, S. 780; BGBl. I, S. 1421. 105 Damit wurden Anregungen, eine Pflicht-Rechtsschutzversicherung einzuführen, zugleich verworfen, vgl. dazu Begr. zum RegE BR-Drucks. 187/79; BT-Drucks. 8/3068; Baur, JZ 1972, 77 ff.; Blankenburg/Fiedler, Die Rechtsschutzversicherung und der steigende Geschäftsanteil der Gerichte (1982). Hingewiesen wurde in diesem Zusammenhang auf die damit verbundenen Kosten und Anreize zum übermäßigen Prozessieren. Letzteres in Abrede stellend Blankenburg, DAR 1990, 1 ff. 106 Gesetz v. 18.6.1980, BGBl. I, S. 689. 107 BGHZ 109, 168; BVerfG FamRZ 2002, 531; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Übers. § 114 ZPO Rn. 3; Hk-ZPO/Pukall (2. Aufl., 2007), § 114 Rn. 1. 108 BVerfG NJW 1988, 2231, 2232; BVerfG NVwZ 2004, 335; LG Siegen MDR 1993, 1116; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67., 2009), Übers. § 114; MüKo/Wax (2. Aufl., 2000), § 114 Rn. 16; dazu, dass Finanzerwägungen des Staates zurücktreten müssen, vgl. Kilian, AnwBl 2008, 236.
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Das neue Prozess- und Beratungskostenhilferecht zeichnete sich zum Zeitpunkt seines Erlasses (1980) dadurch aus, dass es durch ein neues flexibles Tabellensystem gekennzeichnet war, das schematisch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers beurteilte, wovon abhing, ob er eine volle Kostenbefreiung, eine Teilbefreiung oder eine Ratenzahlung erhielt. Verbesserungen waren mit dem neuen Recht auch insofern verbunden, als der als diskriminierend empfundene Begriff des Armenrechts wegfiel, das Bewilligungsverfahren effektiver und nachvollziehbar wurde und zugleich die Möglichkeit der freien Anwaltswahl eröffnet war.109 b. Einzelheiten Die einschlägige Regelung in § 114 ZPO legt in Aufgreifung dieses Gedankens fest, dass eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe erhält, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Erforderlich für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist deshalb: ein Antrag, Bedürftigkeit, Erfolgsaussichten und fehlende Mutwilligkeit. Eine parallele Regelung (die allerdings als Eingangsschranke noch nicht auf die Erfolgsaussichten abstellt, weil die ja erst in einem ersten Beratungsgespräch eruiert werden müssen) statuiert für die anwaltliche Beratung im vorprozessualen Stadium das Beratungshilfegesetz, hier insbesondere der § 1 BerHG. Für die anzustellende Bedürftigkeitsprüfung des Anspruchstellers kommt es in beiden Bereichen auf seine persönlichen Verhältnisse (und nicht etwa auf die seiner Angehörigen) an. Dieser Umstand und die weiteren Bewertungskriterien für die Bedürftigkeit ergeben sich aus § 115 ZPO, dessen Einzelfestlegungen hier nicht weiter interessieren sollen. c. Auswertung Eine Würdigung der Prozesskosten- und Beratungshilfemöglichkeit führt (mit wenigen Einschränkungen) unter dem Blickwinkel, inwieweit sie geeignet ist, unmittelbar finanziell bedingte Zugangsbarrieren zum Recht abzubauen, zu einer positiven Beurteilung.110 Denn die Abklärung der eigenen rechtlichen Position durch sachkundige (anwaltliche) Beratung scheitert jedenfalls nicht mehr am finanziellen Unvermögen. Die anwaltliche Vertretung, die durch die Inanspruchnahme von Beratungsund Prozesskostenhilfe erreicht werden kann, sagt aber – das ist der Wermuts109 Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 13. 110 Lindacher, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 165, 174; Grunsky, NJW 1980, 2041, 2048.
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tropfen – noch nichts über den Eifer der mittels Prozess- und Beratungshilfe eingeschalteten Anwälte bei der Mandatswahrnehmung aus. Ihn in gleichem Maße sicherzustellen wie die Mandatswahrnehmung seitens der Unternehmen, gestaltet sich ungemein schwieriger. Denn die Stärke der Mandatswahrnehmung hängt entscheidend von der Fachkunde und Versiertheit des jeweilig herangezogenen Anwalts ab. Nachteilig wirkt sich hier häufig schon für Verbraucher aus, dass sie anders als Unternehmen keine versierten Anwälte involvieren, die gerade im Umgang mit den betreffenden Streitigkeiten schon auf eine längere Routine zurückblicken können. Ferner gilt es aber herauszustellen, dass auch die Bedingungen unseres Kosten- und Gebührenrechts für die Vertretung von Verbraucherinteressen vor Gericht wenig förderlich sind. Denn das anwaltliche Honorar orientiert sich im Grundsatz ausschließlich am Gegenstandswert. Für den mandatierten Anwalt führt dies dazu, dass der geringe Gegenstandswert nur einen niedrigen Ertrag abwirft, der ggf. am notwendigen Arbeitsaufwand vorbeigeht. I.Ü. erhält der Anwalt sein Honorar nach deutschem Recht im Grundsatz unabhängig vom Streitausgang. Diese beiden Aspekte bedingen bereits, dass das Instrument der Beratungs- und Prozesskostenhilfe zwar erste Hürden bzgl. der Wahrnehmung berechtigter Interessen vor Gericht abbauen kann, jedoch zu keinem vollen Ausgleich von Disparitäten führt.111 Daneben bleibt als relevante psychologische Kostenbarriere der Kostenerstattungsanspruch des Gegners im Prozessverlustfalle des Begünstigten bestehen. Es handelt sich hier um eine Risikodrohung, die bei der tendenziell größeren Risikoaversion einkommensschwächerer Parteien nach wie vor in nicht unerheblichem Ausmaß von einer mutmaßlich erfolgreichen Rechtsverfolgung abhält.112 Die theoretisch bestehende kostengünstige Möglichkeit, im Fall der Verübung von Straftaten über ein Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO) zu einem zivilrechtlichen Ausgleich zu kommen, der nicht notwendig die Einschaltung eines Anwalts erfordert und auf den Untersuchungsgrundsatz des Gerichtes im Strafprozess setzt, ist in der Praxis in Deutschland (im Gegensatz zum europäischen Ausland, das die Möglichkeit auch vielfach bietet)113 bedeutungslos
111 Zu diesen beiden effektivitätsbeschneidenden Aspekten der Beratungs- und Prozesskostenhilfe vgl. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 25; Effektivitätseinbußen bei der Beratung/Prozessführung werden jedoch etwa von Lindacher, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 165, 174 in Abrede gestellt. 112 Lindacher, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 165, 175. 113 Vgl. dazu Schmahl, Das Adhäsionsverfahren im dänischen Recht (1980); CalaisAuloy/Maury, Consumer Legislation in France (1981), S. 174 ff.; Fontaine/Bourgoignie, Consumer Legislation in Belgium and Luxemburg (1982); Platzgummer, Grundzüge des österreichischen Strafverfahrensrechts (1984), S. 48 ff.; Certoma, The Italian Legal System (1985), S. 265 f.
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geblieben.114 Die Gründe dafür sind vielschichtig, hängen aber vor allem mit der fehlenden Motivation von Staatsanwälten, Gerichten, Anwälten etc. zusammen, ein Strafverfahren durch einen mitlaufenden zivilrechtlichen Anspruch zu verkomplizieren.115 I.Ü. ist auch im Fall eines einmal herbeigeführten Adhäsionsverfahrens nicht in gleichem Maße sichergestellt, dass ein von einem Verbraucher ggf. eingeschalteter Anwalt genauso versiert ist wie ein nur mit derartigen Fällen befasster Firmensyndikus. Um das Verfahren dennoch – zumindest für die Zukunft – aufzuwerten und für die Praxis annehmbarer/zugkräftiger zu gestalten, wird schon seit einigen Jahren eine Umgestaltung gefordert,116 die u.a. darauf hinausläuft, dass die Richterschaft aufgefordert wird, nicht nur in „geeigneten Fällen“ (vgl. dazu Nr. 177 der innerdienstlichen Richtlinien = RiStBV) auf diese Möglichkeit hinzuweisen, sondern sie in genereller Form anzuregen und den Pensenschlüssel, der diesen Zusatzaufwand berücksichtigen muss, umzustellen. 3. Zuständigkeitsregelungen Der Zugang zur Justiz wird ferner – daran besteht kein Zweifel – auch durch Zuständigkeitsbestimmungen reguliert. Je nachdem, wie diese ausgestaltet sind, können sie für Verbraucherprozesse prozessöffnend oder -hindernd wirken. a. Nach nationalem Recht Im deutschen Recht statuieren die §§ 12 ff. ZPO die grundsätzlichen Zuständigkeitsregelungen und enthalten damit Vorgaben, bei welchem örtlich zuständigen Gericht die Klage einzulegen und der Prozess zu führen ist. aa. Grundsatz des Beklagtenschutzes und Ausnahmen Nach der zivilprozessualen Verfahrensgestaltung trägt der Kläger die Initiativlast für den Prozess („Wo kein Kläger, da kein Richter“). Als „Gegengewicht“117 dazu begünstigt die ZPO bzgl. der Abwehr des Anspruches, der vom Kläger verfolgt wird, im streitigen Verfahren118 insofern den Beklagten, als sie vorgibt, dass sein Wohnsitz als allgemeiner Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) gilt. Die Klage ist deshalb – sofern keine ausschließlichen Gerichtsstände bestehen oder besondere Gerichtsstände gegeben sind (und bevorzugt werden) – am Wohnsitz des Beklagten einzulegen. 114
Zum Befund Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 27 f. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 26. 116 Scholz, JZ 1972, 725; Brause, ZRP 1985, 103; Schmanns, Das Adhäsionsverfahren in der Reformdiskussion (1987). 117 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 69. 118 Im Mahnverfahren gilt § 689 II 1 ZPO. Danach wird auf den Antragsteller abgestellt. Das hat seinen Grund in der statistisch belegbaren Annahme, es werde erst gar nicht zum streitigen Verfahren kommen. 115
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Dieser Umstand kann in den Fällen, in denen sich der Konsument in der Beklagtenrolle befindet (was häufig der Fall ist), als „verbraucherfreundlich“ angesehen werden. Denn es liegt regelmäßig in seinem Interesse, wenn er schon verklagt wird, den Prozess in seiner Nähe führen zu dürfen.119 Geht es um Streitigkeiten aus Verträgen, etwa in Bezug auf einen geltend gemachten Zahlungsanspruch, kommt neben dem allgemeinen Gerichtsstand nach §§ 12, 13 ZPO auch der wahlweise dem Kläger zur Verfügung stehende Gerichtsstand des Erfüllungsortes (vgl. § 29 ZPO) in Betracht. Dieser ist im Geschäftsverkehr der wichtigste besondere Gerichtsstand.120 Da nach § 269 I BGB im Zweifel der Wohnsitz des Schuldners der Erfüllungsort ist, fällt der Gerichtsstand des Erfüllungsortes – was ebenfalls verbraucherfreundlich ist – zumeist mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes zusammen. Die häufige Übereinstimmung zwischen dem Ort der Erfüllung der materiell-rechtlichen Pflicht und dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes beruht auch an sich auf einem wohl überzeugenden Grundgedanken.121 Die Fälle, in denen der Verbraucher als Kläger auftritt, sind zwar selten, sie kommen aber vor, was wiederum mit vertraglichen Vorleistungspflichten zusammenhängt, wie wir sie etwa aus dem Pauschalreiserecht kennen, oder mit sonstigen Beanstandungen von bereits bezahlten Leistungen zu tun hat, die sich im Nachhinein als mangelhaft und daher „überbezahlt“ herausstellen, woraus Rückforderungsansprüche resultieren. Bei der Geltendmachung des Anspruches auf Reisepreiserstattung muss der Kunde am Sitz des (oft entfernten) Reiseveranstalters klagen, der zugleich den Erfüllungsort darstellt, selbst wenn die Reise vom Kunden im Reisebüro seines Heimatortes gebucht wurde. Auch hier stimmen der Leistungsort nach § 269 BGB und der Erfüllungsort nach § 29 ZPO also überein, liegen aber nicht am Wohnsitz des Klägers/Verbrauchers. Dieser Umstand wird in Pauschalreiseangelegenheiten teilweise als sehr verbraucherunfreundlich empfunden. De lege ferenda wird insoweit gefordert, dass für den Pauschalreisenden ein besonderer Gerichtsstand am Buchungsort oder am Kundenwohnsitz eingeführt wird.122 Diese Forderung scheint jedenfalls insoweit berechtigt, als sich der Reiseveranstalter über die Reisevermittler ein fremdes Vertriebssystem zunutze macht, um Kunden zu akquirieren, an die er bei fehlender örtlicher „Vertretungspräsenz“ kaum herangekommen wäre. Andererseits spricht gegen die „Streuung“ des einschlägigen Gerichtsstandes, dass sich in Pauschalreisesachen, die nicht immer auf Bagatellklagen hinauslaufen (sondern auch größere Rückforderungsbeträge umfassen), eine Verfahrenskonzentration bei den Gerichten 119
Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 70. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 29 ZPO Rn. 1. 121 So Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 29 ZPO Rn. 1. 122 So auch noch § 23 des RegE von 1977 zum Reisevertragsgesetz, BT-Drucks. 8/786, S. 8, 33; dies später als Forderung aufnehmend Müller/Gschlößl, ZRP 1988, 201. 120
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einstellt, die örtlich am Sitz der großen Reiseveranstalter angesiedelt sind. Insoweit kommt es auch zu einer Bildung besonderer Kammern und damit zu einer Konzentration des Sachverstandes und einer Vereinheitlichung des Rechts, was verbraucherpolitisch zu begrüßen ist und m.E. als positiver Aspekt in der Verbraucherrechtsdiskussion den Vorrang genießen muss.123 In sonstigen Vertragsstreitigkeiten, d.h. in Angelegenheiten außerhalb des Pauschalreiserechts, in denen der Verbraucher klagt, wird er ebenfalls zumeist am Sitz des Beklagten gemäß §§ 12, 13 ZPO oder am Erfüllungsort nach § 29 ZPO die Klage einzureichen haben. Dabei ist es nicht immer leicht zu bestimmen, wo der Schuldner die Leistung zu erbringen hat(te). Die geduldige Aufgliederung des sachlichen Rechts je nach der Art der Leistung und der Person des Schuldners, insbesondere beim gegenseitigen Vertrag, führt notgedrungen zu einer entsprechend unterschiedlichen Beurteilung auch der Frage des daraus folgenden Gerichtsstandes.124 Dabei muss der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO nicht notwendig mit dem des Sitzes des Beklagten koinzidieren. Es kommt nämlich beim Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO darauf an, wo konkret nach dem Vertrag der Erfüllungsort der ursprünglich nicht erbrachten Leistung angesiedelt ist.125 In Ausnahmefällen, dann nämlich, wenn der Verbraucher – etwa im Fall der Produzentenhaftung nach § 823 BGB oder der Produkthaftung nach §§ 1 ff. ProdHaftG – einen deliktischen Schadensersatzanspruch geltend macht, kommt für ihn als Kläger auch der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO in Betracht. Für den klagenden Verbraucher ist dieser Umstand im Ergebnis durchaus günstig, da jedenfalls der Ort des Eintritts des Verletzungserfolges, der den Gerichtsstand des Tatortes mitbegründet, häufig mit dem Wohnsitz des Verbrauchers übereinstimmt und er somit in seinem Heimatort klagen kann.126 Einzelne (punktuelle) verbraucherbegünstigende Gerichtsstände i.w.S. werden i.Ü. in § 29a ZPO (ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- und Pachträumen), § 29b ZPO (besonderer Gerichtsstand bei Wohnraumeigentum), § 23c ZPO (besonderer Gerichtsstand bei Haustürgeschäften) und § 32b ZPO (ausschließlicher Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen) ausgewiesen. Einen allgemeinen Verbrauchergerichtsstand gibt es nach deutschem Zivilprozessrecht derzeit nicht.
123 Dieses Argument wurde auch im Rechtsauschuss des Bundestages mehrheitlich dem Vorschlag eines besonderen Gerichtsstandes in Reisesachen entgegengehalten, BT-Drucks. 8/2343, S. 13. 124 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 29 ZPO Rn. 2. 125 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 71. 126 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 74.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
bb. Prorogation und ihre Beschränkung Relevant für den zivilprozessualen Verbraucherschutz ist auch die Prorogationsmöglichkeit. In gewissen Grenzen, die § 38 ZPO festlegt, ist es den Parteien nämlich nach deutschem Rechtsstand möglich, Gerichtsstandsvereinbarungen vorzunehmen. Die Vorschrift dient der Stärkung der Parteiherrschaft, aber auch dem Schutz des Verbrauchers.127 § 38 I ZPO erlaubt zunächst Kaufleuten, für die die Vermutung der Geschäftserfahrenheit spricht, Gerichtsstandsvereinbarungen ohne zeitliche Beschränkungen zu schließen. Die Option der freien Gerichtsstandsvereinbarung besteht darüber hinaus gemäß § 38 II ZPO auch in dem Fall, in dem zumindest eine Partei keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, da es hier ein Bedürfnis für eine derartige Vereinbarung gibt. I.Ü. (d.h. zwischen Unternehmer und Verbraucher) ist nach § 38 III ZPO eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zulässig, wenn sie ausdrücklich und schriftlich (1) nach dem Entstehen der Streitigkeit oder (2) für den Fall geschlossen wird, dass die im Klageweg in Anspruch zu nehmende Partei nach Vertragsschluss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Geltungsbereich der ZPO verlegt oder ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist. Diese Festlegung ist für Verbraucherstreitigkeiten von besonderer Relevanz.128 Denn sie bestimmt ein grundsätzliches Prorogationsverbot bei Beteiligung von Verbraucherparteien, das nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden kann. Sinn und Zweck der Regelung, die durch die Gerichtsstandsnovelle von 1978 eingeführt wurde, ist es, den Schuldner vor dem wirtschaftlich stärkeren Gläubiger, in dessen Interesse es oft liegt, Prorogationsvereinbarungen „durchzudrücken“, die von dem regelmäßig verbraucherfreundlichen gesetzlichen Gerichtsstand abrücken, zu schützen, indem sie nur für bestimmte Konstellationen erlaubt werden.129 Die von § 38 III ZPO in Bezug genommenen Konstellationen der zulässigen Prorogation sind eng abgesteckt. Eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis ist danach nur dann erlaubt, wenn die Streitigkeit schon existent ist. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Verbraucher sich behauptet bzw. weiß, worauf er sich einlässt. I.Ü. ist die Prorogation gegenüber einem Verbraucher nur im Fall eines anzuerkennenden besonderen Sicherungsinteresses des Unternehmers wegen Wohnsitzverlagerung etc. zugelassen worden. Beide in § 38 III ZPO genannten Konstellationen werden zusätzlich unter den Vorbehalt der ausdrücklichen und schriftlichen Vereinbarung ge-
127 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 38 ZPO Rn. 2; Hk-ZPO/Kayser (2. Aufl., 2007), § 38 ZPO Rn. 3: Verhinderung von Missbräuchen. 128 BGH NJW 1986, 2437: bedeutendste Maßnahme auf dem Gebiet des zivilprozessualen Verbraucherschutzes. 129 Siehe dazu die Begründung des RegE BT-Drucks. 7/268, S. 4.
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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stellt, womit der Gesetzgeber Transparenz und ein entsprechendes Warnsignal, das von dem Unterschrifterfordernis ausgehen sollte, im Gesetz verankerte. cc. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, die Bedeutung des Gerichtsstandes nach den ZPO-Regelungen liegt in der Gewährung des Zugangs zum Gericht. Für den Verbraucherprozess ergeben sich hier Unterschiede, die an die Kläger- bzw. Beklagtenrolle anknüpfen. In der praktisch häufigeren Beklagtenrolle ist der Verbraucher insoweit geschützt, wenn nicht gar im Vorteil, als er an seinem Wohnsitz bzw. am Erfüllungsort, der regelmäßig mit ersterem koinzidiert, den Prozess führen kann. Aus dieser günstigen Position zur Abwehr einer Klage kann er nicht durch eine vorherige Prorogationsvereinbarung „herausgedrängt“ werden; eine solche Gerichtsstandsvereinbarung wird nämlich durch § 38 III ZPO unterbunden. Ob dann, wenn der Verbraucher die Klägerposition einnimmt, der Gerichtsstand des Erfüllungsortes für ihn günstig ist, hängt von dem Umstand ab, wo der vertragstypische Ort der Leistung anzusiedeln ist, ob er in seiner Nähe liegt oder nicht. Regelmäßig günstig für den Verbraucher ist der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, da die Rechtsverletzung/Schädigung zumeist an seinem Wohnsitz eingetreten ist und er deshalb auch hier (unter Ausnutzung des „Heimspielvorteils“) klagen kann. b. Nach internationalem Prozessrecht Der Blick auf die nationalen Zuständigkeitsbestimmungen und ihre Bewertung greift bei der Darstellung des Verbraucherprozessrechts angesichts der Praxis der Verbrauchergeschäfte, die schon seit einigen Jahrzehnten und mit steigender Tendenz grenzüberschreitend ablaufen, freilich zu kurz. In das Blickfeld der Analyse des prozessrechtlichen Regelungsclusters muss auch das internationale (Verbraucher-)Prozessrecht treten. aa. Allgemeines Für diesen Rechtsbereich ist zunächst zu konstatieren, dass sich Verbraucherschutzerwägungen nicht immer in gleicher Weise wie im Internationalen Privatrecht130 auswirken. Dies findet seinen tieferliegenden Grund darin, dass zu den materiellen Rechtsanwendungsinteressen andere Ordnungsaspekte hinzutreten. So kommt es auch, dass das Internationale Zivilprozessrecht von der lex fori für das Verfahren ausgeht,131 weil die Gerichte ihr Verfahren nicht einfach nach fremdem Recht gestalten können, das auf anderen formalen Abläufen so-
130 Zu Art. 29, 29a EGBGB und die neue Rom I-VO vgl. meine Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel, B III 3. 131 Althammer, JA 2008, 772, 774.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
wie einer anderen Gerichtsverfassung beruht.132 Allerdings zeigt sich auch, dass mit den zunehmenden Vereinheitlichungsbestrebungen, namentlich im Kontext der europäischen Rechtsangleichung, das lex fori-Prinzip an Bedeutung verliert, sodass mehr und mehr materielle Interessen, wie das des Verbraucherschutzes, auch im Internationalen Prozessrecht in den Vordergrund rücken.133 Maßgebliche Bestimmungen, die das europäische Verbraucherprozessrecht gestalten, waren/sind das EuGVÜ134 und die (neue) EuGVVO135. bb. EuGVVO Im Rechtsverkehr mit den meisten europäischen Nachbarstaaten ersetzen heute die Zuständigkeitsregeln der EuGVVO (als Nachfolgebestimmungen des EuGVÜ) diejenigen des autonomen internationalen Verfahrensrechtes.136 Die EuGVVO, auch Brüssel I-VO genannt, ist am 1.3.2003 an die Stelle des EuGVÜ getreten. Das Vorläuferabkommen prägte bereits in den vergangenen Jahrzehnten den Zivilrechtsverkehr in der Gemeinschaft. Die EuGVVO ist in Ausübung der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 61 lit. c), 65 lit. a), 3. Spiegelstrich und Art. 67 I EGV erlassen worden. Da sie eine Verordnung i.S.d. Art. 249 II EGV darstellt, gilt sie unmittelbar in allen EG-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks137). Die EuGVVO übernimmt weitgehend das System und den Aufbau des früheren EuGVÜ, sodass auch die frühere EuGH-Rechtsprechung zum EuGVÜ als auf die neue Verordnung übertragbar betrachtet werden kann.138 Die neue Verordnung antwortet vor allem auf zwei Fragen: Zum einen legt sie fest, wann ein staatliches Gericht zur Entscheidung über einen zivilrechtlichen Sachverhalt mit Auslandsberührung international zuständig ist. Zum anderen stellt sie klar, wann und wie eine gerichtliche Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat der EU anerkannt und für vollstreckbar erklärt wird. Die Regelung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung stellt eine weitreichende Titelfreizügigkeit139 in
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Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 111. Zum Befund Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 111. 134 EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968 i.d.F. v. 9.10.1978, BGBl. 1983 II, S. 803. 135 VO EG Nr. 44/2001 des Rates v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl.EG Nr. L 12 v. 16.1.01. 136 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Schlussanhang V C., 2 EuGVVO Rn. 1. 137 Vgl. dazu Erwägungsgrund Nr. 21 und Art. 1 III EuGVVO. 138 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1063. 139 Vgl. dazu auch Heß, IPRax 2001, 389 ff. 133
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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Europa her; die Vorgaben der internationalen Zuständigkeit sorgen für das gegenseitige Vertrauen hierfür.140 Inhaltlich folgt die EuGVVO in Art. 2 I wie schon zuvor Art. 2 I EuGVÜ dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes,141 was, wie bereits eingangs gezeigt wurde, für den Verbraucher, der sich häufig in der Beklagtenrolle befindet, durchaus günstig ist. Von Vorteil ist für ihn weiter, dass der allgemeine Gerichtsstand durch eine Reihe von Sonderregelungen für Versicherungs- und Verbrauchersachen im 3. und 4. Abschnitt verdrängt wird, die den bezogenen Personenkreis ebenfalls privilegieren. Die EuGVVO weist aus Gründen des Schutzes des Versicherungsnehmers/Verbrauchers, der als typischerweise schwächer und weniger gerichtserfahren angesehen wird,142 besondere Gerichtsstände auf. So kann der Versicherungsnehmer den Versicherer an seinem Sitz verklagen (Art. 9 I lit. a) EuGVVO). Eine Prorogationsbeschränkung in Versicherungssachen sieht Art. 13 EuGVVO vor. Für Verbrauchersachen, die auf Grund der Herkunft der Regelung autonom definiert werden,143 statuiert Art. 15 EuGVVO eine abschließende Sonderregelung. Danach bestimmt sich bei einem Verbrauchervertrag, d.h. bei einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer, die Zuständigkeit ausschließlich nach dem 4. Abschnitt der EuGVVO, wenn: – es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung handelt (Art. 15 I lit. a) EuGVVO), – es sich um ein in Raten zurückzuzahlendes Darlehen oder ein anderes Kreditgeschäft handelt, das zur Finanzierung eines Kaufes derartiger Sachen bestimmt ist (Art. 15 I lit. b) EuGVVO), – oder in allen anderen Fällen, wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaates ausrichtet, und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt (Art 15 I lit. c) EuGVVO). Art. 15 I lit. c) EuGVVO enthält zum Schutz des Verbrauchers einen weit reichenden Auffangtatbestand, der vielfältige Tätigkeiten erfasst und den Anwendungsbereich – anders als noch das EuGVÜ (vgl. dort Art. 13) – nicht auf das Erbrin140 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1063. 141 Vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 13.7.2000, Rs. C-412/98 – Group Josi; EuGH, Urt. v. 20.1.2005, Rs. C-464/01 – Gruber. 142 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.1.1993, Rs. C-89/91 – Shearson Lehmann Hutton Inc./TVB Treuhandgesellschaft für Vermögensverwaltung und Beteiligungen mbH. 143 EuGH, Urt. v. 19.1.1993, Rs. C-89/91 – Shearson Lehmann Hutton Inc./TVB Treuhandgesellschaft für Vermögensverwaltung und Beteiligungen mbH; EuGH, Urt. v. 3.7.1997, Rs. C-269/95 – Benincasa; EuGH, Urt. v. 11.7.2002, Rs. C-96/00 – Gabriel.
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gen von Dienstleistungen oder die Lieferung beweglicher Sachen beschränkt.144 Mit der dort enthaltenen Wendung sind sämtliche Verbraucher-UnternehmerVerträge über alle denkbaren Vertragsgegenstände angesprochen.145 Erfasst sind jetzt etwa auch reine Kreditverträge und Timesharing-Verträge.146 Notwendig ist nur, dass der Vertragspartner des Verbrauchers eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausübt oder sie auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers zumindest „ausrichtet“. In der letzten Wendung („Ausrichten“) liegt die entscheidende Neuerung der EuGVVO, dieses soll für die Zuständigkeitsbegründung einer Verbrauchersache ausreichend sein. Das Wort „Ausrichten“ ist wiederum zum Schutz des Verbrauchers extensiv auszulegen. Es reicht hierfür aus, wenn der Unternehmer in irgendeiner Form in dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers tätig geworden ist. Das geschieht vor allem durch Werbung oder Repräsentanz.147 Bei der Werbung kommt es entscheidend darauf an, dass der Verbraucher von dem Vertragspartner in seinem Wohnsitzstaat zum Vertragsschluss animiert wurde und der Vertragspartner seine Tätigkeit auf den Geschäftsabschluss auch in diesem Staat bezieht. Wo der Verbraucher schließlich seine auf den so angebahnten Vertrag gerichtete Willenserklärung abgibt, ist nach der neuen Rechtslage unerheblich.148 Zum Schutz des Verbrauchers ist in Art. 15 II EuGVVO weiter geregelt, dass der Unternehmer im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates keinen Sitz haben muss (insofern besteht eine Abweichung zu Art. 4 I EuGVVO). Es genügt, wenn er hier eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung unterhält, um ihn dort zu verklagen, wenn sich die Klage auf Streitigkeiten aus seinem Geschäftsbetrieb gegenüber dem Verbraucher bezieht.149 Zur Anwendung reicht es sogar aus, dass der Vertragspartner des Verbrauchers den bloßen Rechtsschein einer Niederlassung innerhalb eines Mitgliedstaates erweckt.150 Drittstaatenunternehmen mit Zweigniederlassung gelten danach als in der EU ansässig, wenn 144 Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 14 EuGVVO Rn. 1; Gebauer, in: Gebauer/ Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1103. 145 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Schlussanhang V C, 2. EuGVVO, § 15 EuGVVO Rn. 4. 146 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1103; Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 15 EuGVVO Rn. 13. 147 Dafür, dass auch eine Internetwerbung ausreichen soll, Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Schlussanhang V C 2. EuGVVO, § 15 EuGVVO Rn. 4. Differenzierungen nach der Art der Website (aktiv/passiv) sollen unzulässig sein, so Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O.; a.A. Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 15 EuGVVO Rn. 15; Disclaimer, dass die Website nicht auf den Wohnsitzstaat ausgerichtet sei, schützen den Unternehmer nur, wenn er sich an sie hält und tatsächlich keine Verträge mit Interessenten aus diesen Staaten abschließt. Für Differenzierungen Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1103. 148 Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 15 EuGVVO Rn. 15. 149 Vgl. zum Ganzen Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 15 Rn. 2. 150 Geimer, IPRax 1991, 31 ff.
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die Klage einen Bezug zu jener Niederlassung hat. Dies dient ebenfalls dem Verbraucherschutz. Beförderungsverträge werden nach Art. 15 III EuGVVO (mit Ausnahme von Reiseverträgen) allerdings aus dem Anwendungsbereich des 4. Abschnittes ausgenommen.151 Rechtsfolge der Eröffnung des Anwendungsbereiches des 4. Abschnittes der EuGVVO nach Maßgabe des Art. 15 EuGVVO ist, dass Art. 16 und 17 EuGVVO zur Anwendung kommen. Art. 16 I EuGVVO bestimmt, dass Klagen eines Verbrauchers gegen den Vertragspartner (= Unternehmer) entweder am Wohnsitz des Vertragspartners erhoben werden können oder aber am Wohnsitz des Verbrauchers einzuleiten sind. Außerdem bleibt es dem Verbraucher unbenommen, unter den Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO den in einem Mitgliedstaat ansässigen Vertragspartner an dessen Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu verklagen.152 Wird andererseits der Verbraucher verklagt, kann das gemäß § 16 II EuGVVO nur an seinem Wohnsitz geschehen. Eine Widerklage, deren Gerichtsstand keine Verbrauchersache betreffen muss, ist nach Art. 16 III EuGVVO zulässig, sofern Konnexität i.S.d. Art. 6 Nr. 3 EuGVVO zwischen Klage und Widerklage besteht. Diese verbraucherfreundlichen Regelungen werden durch eine Prorogationseinschränkung nach Art. 17 EuGVVO flankiert, die gegenüber der allgemeinen Bestimmung des Art. 23 EuGVVO zum Schutz des Verbrauchers viel weitgehender ist. Um eine Umgehung der in Verbrauchersachen vorgesehenen Schutzgerichtsstände zu verhindern, statuiert Art. 17 EuGVVO i.V.m. Art. 23 V EuGVVO enge Voraussetzungen für die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer. Dabei werden die besagten Regelungen nicht nur auf die Prorogation mitgliedstaatlicher Gerichte angewendet. Um eine Schutzlücke zu vermeiden, soll im Wege einer teleologischen Extension die Wertung auch die für den Verbraucher nachteilige Vereinbarung der Gerichtszuständigkeit eines Drittstaates erfassen.153 Die in Art. 17 EuGVVO bezogenen Konstellationen, die Ausnahmen vom Prorogationsverbot vorsehen, sind alternativ angelegt. Ähnlich wie nach § 38 III ZPO ist auch nach Art. 17 Nr. 1 EuGVVO vorgesehen, dass eine Prorogation zulässig ist, wenn diese nach Entstehung der Streitigkeit durchgeführt wird. Hier erscheint die Vereinbarung schon deshalb unbedenklich, weil in diesem Fall die Tragweite abgesehen werden kann. Art. 17 Nr. 2 EuGVVO erhält Rechtserweite151 Für Beförderungsverträge – soweit sie nicht ohnehin speziellen transportrechtlichen Konventionen wie der CMR (Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr v. 19.5.1956, BGBl. 1961 II, S. 1120) unterliegen – finden die nicht speziell auf den Verbraucher zugeschnittenen Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung Anwendung. 152 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1104. 153 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1105.
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rungen. Danach sind solche Gerichtsstandsvereinbarungen wirksam, die dem Verbraucher die Befugnis einräumen, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen. Dadurch wird dem Verbraucher nichts genommen, was ihm ohne die Gerichtsstandsvereinbarung zustünde. Eine weitere Parallele zu dem bereits durch § 38 III ZPO anerkannten Interesse des Vertragspartners gegenüber dem Verbraucher enthält Art. 17 Nr. 3 EuGVVO. Durch diese Regelung ist es möglich, die Zuständigkeit der Gerichte am gemeinsamen Wohnsitz oder Aufenthaltsort zu vereinbaren.154 Sie dient dem Zuständigkeitsinteresse des Vertragspartners, der nach Art. 16 II EuGVVO grundsätzlich auch dann am Wohnsitz des Verbrauchers klagen muss, wenn dieser nach Vertragsschluss umgezogen ist.155 Schließlich wird den Zuständigkeitsvorschriften dieses Abschnittes dadurch ein besonderer Wert beigemessen, dass ihre Verletzung zu einem Anerkennungshindernis nach Art. 35 I EuGVVO führt.156 Im Grundsatz legt Art. 35 III EuGVVO fest, dass ein Nachprüfungsverbot für die Ausübung der internationalen Entscheidungszuständigkeit des Erstgerichtes besteht, um die gegenseitige Titelanerkennung nicht zu torpedieren. Davon ist jedoch nach Art. 35 I EuGVVO eine Ausnahme zu machen, wenn eine Verletzung der Art. 8 ff., 25 ff. oder des Art. 22 EuGVVO vorliegt. Die Ausnahmen in Verbraucher- und Versicherungssachen ergeben sich vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der anerkennungsrechtlichen Absicherung der Gerichtsstände zugunsten der als schutzwürdig angesehenen Parteien.157 Resümierend lässt sich feststellen, dass die Gerichtsstandsbestimmungen der EuGVVO anders als die nationalen Bestimmungen eine Gerichtsstandregelung enthalten, die ganz allgemein alle Verbrauchersachen erfassen. In den EuGVVORegelungen spiegelt sich damit deutlich die Kenntnis des Gesetzgebers wider, dass die Rechtsdurchsetzungshindernisse, denen sich Verbraucher gegenüber sehen, rollenbezogen begründet sind und deshalb einer generalisierenden Regelung bedürfen, die nicht nur situative Sonderkonstellationen in Bezug nehmen.158 Die EuGVVO-Regelungen (Art. 15 ff. EuGVVO) differenzieren, was das Problembewusstsein des Verordnungsgebers weiter verdeutlicht, (anders als das deutsche Recht) weiter nach der Kläger- und Beklagtenrolle. Damit sind die Re154 Den Kontrollmaßstab für die Frage, ob die Vereinbarung nach Nr. 3 zulässig ist, liefert das gemeinsame Wohnsitz- und Aufenthaltsrecht. Handelt es sich dabei um deutsches Recht, finden die §§ 38, 40 ZPO Anwendung. 155 Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 16 EuGVVO Rn. 3; Gebauer, in: Gebauer/ Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1106. 156 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1102. 157 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 1139. 158 So waren bereits die Vorgängerregelungen im EuGVÜ angelegt, zum Befund Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 388.
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gelungen der EuGVVO ohne Zweifel derzeit verbraucherfreundlicher als die Bestimmungen des deutschen Zivilprozessrechtes ausgestaltet.159 Wünschenswert wäre es wohl gewesen, diese Verbraucherfreundlichkeit noch dadurch abschließend herauszustellen, dass ein unzuständiges Gericht in Verbrauchersachen auch nicht durch rügelose Einlassung seine Zuständigkeit erlangen kann. Der Verordnungsgeber hat sich allerdings in Art. 24 EuGVVO dagegen entschieden.160 4. Kollektivverfahren i.w.S. zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen Unabhängig von dem soeben behandelten Fragenkreis der Gerichtszuständigkeit, über den der Zugang zum Recht u.a. mitbestimmt wird, ist es wohl kaum von der Hand zu weisen, dass es für die Durchsetzungskraft von Verbraucherpositionen sinnvoll erscheint, Konsumenteninteressen in einem gerichtlichen Verfahren „zu bündeln“.161 Hierüber lässt sich der Zugang zum Gericht erleichtern; es lassen sich aber u.U. auch die Erfolgschancen der (Gesamt-)Klage erhöhen. Bei den kollektiven Klageformen, die diesen Effekt vor dem Hintergrund der Bündelung des Know-how und anderer Ressourcen (etwa der Finanzen) hervorbringen könnten, lassen sich vor allem zwei Varianten unterscheiden: die Klagebefugnis von Verbänden und die Zusammenfassung mehrerer Einzelansprüche.162 Als Individualklage mit Bezug zum kollektiven (Verbraucher-)Interesse stellt sich daneben die Musterklage dar. Alle drei Klagearten sollen nachfolgend im Hinblick auf ihr Potential für die prozessuale Durchsetzung von Verbraucherinteressen und bzgl. ihrer spezifischen Vor- und Nachteile dargestellt werden. Insofern wird auch ein Ausblick auf mögliche künftige Entwicklungen gewagt. a. Keine echten Bündelungsmöglichkeiten von Einzelklagen nach derzeitigem Recht Ein Befund ist zunächst der Erörterung kollektiver Klageformen voranzustellen, nämlich der, dass eine echte Möglichkeit zur Verbindung mehrerer gleichgerichteter Einzelinteressen/Ansprüche/Klagen in einem Prozess nach deutschem Recht derzeit noch nicht gegeben ist.163 Die herkömmlichen verfahrenstechni159 Dieser Befund konnte schon für das EuGVÜ abgegeben werden, vgl. dazu Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 112. 160 Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 15 EuGVVO Rn. 1. 161 Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 19; ders., Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 39; Haertlein, ZZP 121 (2008), 249 ff. 162 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 39 f.; ders., Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 273 ff.; Cappelletti/Garth/Trockner, RabelsZ 46 (1982), 664, 679 ff.; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 8; Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1. 163 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 39 f.
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schen Zusammenführungsmöglichkeiten – etwa die Streitgenossenschaft gemäß §§ 59 ff. ZPO oder die Nebenintervention nach §§ 66 ff. ZPO – sind dazu nicht geeignet. Sie ermöglichen wegen der weiterhin bestehenden formal-prozessualen Selbständigkeit der Einzelverfahren keine repräsentative Geltendmachung von überindividuellen Verbraucherinteressen164 und stellen auch keine echte Kollektivierung von Verbraucheransprüchen i.S.d. Zusammenfassung zu einer Sammelklage165 dar.166 Auch die Regeln über die Prozessverbindung und -aussetzung nach §§ 147, 148 ZPO können hierzu nicht herangezogen werden. Denn sie erfassen de lege lata nur Verfahren, die beim selben Gericht anhängig sind und können keine eigenständige Zuständigkeit begründen.167 Aber auch bei Anhängigkeit am selben Gericht dienen die §§ 147, 148 ZPO nur einer losen Klageverbindung. Denn die Prozesse werden lediglich verhandlungstechnisch zusammengefasst, sodass eine gleichzeitige Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung möglich wird. Formal bleiben die Prozessrechtsverhältnisse unter den Parteien getrennt.168 Auch die Aussetzungsmöglichkeit nach § 148 ZPO ist in dieser Problematik gleich gelagert. b. Verbandsklage Im Interesse des Verbraucherschutzes hat der Gesetzgeber jedoch etwa für die Kontrolle unzulässiger AGB und bzgl. des Vorgehens gegen (verbraucherschädigende) unlautere Wettbewerbsmaßnahmen den Weg der so genannten „Verbandsklage“ eröffnet.169 Die Verbandsklage ist dadurch gekennzeichnet, dass der klagende Verband nicht die Rechte seiner Mitglieder, sondern das allgemeine Interesse an der Einhaltung gewisser Standards verfolgt.170 Es handelt sich bei ihr um eine Form der Repräsentation von Verbraucherinteressen, aufgrund derer die Verbraucherverbände hier nicht nur als Unterstützer (fremder) Positionen – näm164 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 387; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 46. 165 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 46. 166 De lege ferenda muss über die Zulassung von Sammelklagen entschieden werden, dazu Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 100, 292 ff.; Reuschle, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 49, 51; Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 11 ff.; differenzierend Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 9, 12. Zum möglichen Ausbau von Musterverfahren im Anlegerschutz vgl. auch Zypries, Editorial in BB, 2004, Heft 23. 167 Reuschle, WM 2004, 966, 968. 168 Wöstmann, in: Hk-ZPO/Saenger (2. Aufl., 2007), § 147 ZPO Rn. 9. 169 Eine zusammenfassende Übersicht zu Verbandsklagemöglichkeiten gibt Schaumburg, Die Verbandsklage im Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht (2006). 170 Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 57, 60; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 40; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 359 f.; zur ursprünglichen Annahme einer bloßen Prozessstandschaft vgl. BGHZ 48, 12 ff.
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lich der der einzelnen Verbraucher –, sondern nach h.M. gleichsam in einem ihnen selbst auch materiell zugeordneten Anliegen als Repräsentanten von Konsumentenpositionen agieren.171 aa. Konzeption Im Rahmen der Verbandsklage klagt der Verband, der Verbraucherinteressen wahrnimmt und vom Gesetz als klagebefugt anerkannt wurde, um ein abstrakt verbraucherschädigendes Verhalten eines Dritten zu unterbinden. Der konkrete Verbraucher, der nicht selbst Akteur der Klage ist, profitiert mittelbar von dem Ausgang des Prozesses in Form eines Rechtsreflexes hinsichtlich der Breitenwirkung des Urteils (vgl. etwa § 11 UKlaG) oder seiner präjudizierenden Kraft. Im deutschen Recht sind Verbandsklagebefugnisse in §§ 1, 2 UKlaG und §§ 8 III Nr. 3, 10 UWG eingeführt worden. Entsprechend qualifizierte Verbände können in den von diesen Gesetzen bezogenen Bereichen, die durch zusätzliche Verbandsklagebefugnisse nach §§ 33, 34a GWB, § 44 TKG und § 17 I 5 KHEntgG „abgerundet“ wurden, Unterlassung und Widerruf (etwa von AGB-Empfehlungen) fordern.172 bb. Probleme Die Verbandsklage ist jedoch hinsichtlich der kollektiven Durchsetzung von Verbraucherinteressen auch mit spezifischen Problemen behaftet. So ist bereits der Anwendungsbereich der Verbandsklage von einer unsystematisch anmutenden Zersplitterung und wiederkehrenden Überschneidung gekennzeichnet.173 In der Literatur wird daher mit Recht die fehlende dogmatische Abstimmung zwischen den einzelnen Anwendungsbereichen der Verbandsklage bemängelt.174 In weiten Regionen des Rechts – etwa im Verhältnis zwischen Lauterkeitsrecht und „Ver-
171 BGHZ 41, 314 (zu § 13 UWG); Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 34 spricht hier von „Überwindung der mittelbaren Stellvertretung“ durch den Verband; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 365; abweichend Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG (1979); Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß (1980), die von einer „eingeschränkten Popularklage“ oder einer „privatrechtlichen Kontrollkompetenz“ sprechen. Wieder andere nahmen eine besondere Prozessführungsbefugnis aus fremdem Recht an, vgl. hierzu etwa Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 10; ähnlich auch Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsrechtliche Ordnung (1983), S. 57, 65; wieder anders Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 196 ff.: Unterlassungsanspruch des Staates. 172 Grundlegend zu den Verbandsklagebefugnissen im deutschen Recht Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht (2006), S. 51 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 354. 173 Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht (2006), S. 187. 174 Heß, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 527, 531; Greger, NJW 2000, 2457, 2461.
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braucherschutzgesetzen“ im Sinne von § 2 UKlaG – findet man eine unnötig erscheinende Verdoppelung der Klagekompetenzen.175 Darüber hinaus ist ein deutlicher Widerspruch zwischen der Reichweite der einzelnen Verbandsklageverfahrenskompetenzen festzustellen. Einige Befugnisse der Verbände beschränken sich auf die Wahrnehmung relativ eng umrissener materieller Materien (wie etwa die Verbandsklage gemäß § 2a UKlaG oder § 44 TKG), während andere Verbandsklagekompetenzen weite Bereiche des Zivil- und Wirtschaftsrechts betreffen, namentlich § 2 UKlaG („Verbraucherschutzgesetze“) und § 8 UWG (insbesondere i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG). Überhaupt keine Verbandsklagebefugnis besteht im Kartellrecht, obgleich hier wegen der weiten Verbreitung von Streuschäden eine solche dringend geboten wäre, damit Verbraucher (die hier neuerdings nach § 33 GWB auch im Einzelnen klagebefugt sind – wegen spezifischer Rechtshemmnisse das ihnen zuerkannte Recht aber kaum in Anspruch nehmen) ihre Positionen wirklich durchsetzen können.176 Überdies ist das Ziel von Verbandsklagen lediglich auf Unterlassung und Beseitigung einer angegriffenen Störung/Pflichtverletzung und u.U. noch auf Gewinnabschöpfung (vgl. etwa § 10 UWG) gerichtet. Dies gilt (überwiegend) auch für das europäische Ausland.177 Auf Grund der abstrakten Betroffenheit des Verbandes in Bezug auf das verbraucherschädigende Verhalten des Unternehmers sind mit der Verbandsklage Schadensersatzbegehren, die die stärkste Sanktionsform bei einem kollektiven Verfahren darstellen würden, gerade nicht durchsetzbar.178 Derartige Ansprüche im Verbandsklageverfahren gelten als systemfremd und verfassungsrechtlich bedenklich.179 Das ist ein entscheidender Nachteil dieser Klageform.
175 Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht (2006), S. 187; Heß, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 527, 532. 176 Instruktiv und in die richtige Richtung gehend insoweit Pajunk, Konsumentenschutz im Rahmen privater Kartellrechtsdurchsetzung, Diss. Rostock (2009). Zum neuen Weißbuch der EG-Kommission v. 3.4.2008, das Popularklageelemente für das Kartellrecht vorsieht und so Verbraucherpositionen im Kartellrecht EU-weiter stärken will, vgl. IP/08/515. 177 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 368; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 44; Ausnahme: „action civil“ im französischen Recht. 178 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 400; Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung. Möglichkeiten und Perspektiven eines kollektiven Schadensersatzanspruches im UWG (2003), S. 25 ff., 53 ff., 99 ff.; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 11. 179 Vgl. etwa die Begründung zum RegE der UWG-Novelle 1982 (§ 13 c), BR-Drucks. 60/82, S. 24.
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cc. Forderungen de lege ferenda De lege ferenda wurden allerdings auch früher schon entsprechende Klagebefugnisse von Verbänden gefordert,180 dies auch mit Blick darauf, dass kollektiven und daher druckvoll vorgebrachten Schadensersatzklagen ein starkes abschreckendes Moment zukommt, das es bei der „Motivierung“181 der Unternehmen zur Einhaltung von gesetzlichen (Schutz-)Vorschriften einzusetzen gilt. Überdies ging es in Diskussionen zur Ausgestaltung der zukünftigen Verbandsklagetätigkeit darum, die Verbände zum verstärkten Einsatz von Verbandsklagen dadurch zu ermutigen, dass ihnen das Kostenrisiko der Klage so weit als möglich abgenommen werden soll. (1.) Einführung eines Verbandsschadensersatzanspruches Schon die erste Forderung, die nach der Einführung einer Verbandsschadensersatzklage, ist freilich ambitioniert. Denn sie setzt implizit voraus, dass das tangierte Kollektivgut als solches vermögensmäßig bewertet wird. Im deutschen Recht stammen erste Vorschläge zur Bewertung eines kollektiven Rechtsverfolgungsinteresses von Mertens, der seine Vorstellungen im Rahmen der Diskussion um die UWG-Novelle der 1970/80er Jahre eingebracht hat.182 Er schlug vor, dem klagenden Verband eine großzügige Entschädigung für die Kosten der Rechtsverfolgung zuzusprechen. Nach seinen Vorstellungen sollte der Richter den Gesamtbetrag für den Verbandsaufwand zum Zwecke der Rechtsverfolgung um einen angemessenen Betrag erhöhen können.183 Mit dem Ansatz, den klagenden Verband für die Kosten zu entschädigen, die diesem entstehen, würde aber lediglich ein Anspruch des Repräsentanten für eigene Vermögensnachteile geschaffen. Das Kollektivinteresse der tangierten Verbraucher lässt sich aber nicht nur auf die Vermögensnachteile des Verbandes aus der Rechtsverfolgung reduzieren.184 Dieses Problem sah auch Mertens und schlug insofern vor, einen Anspruch des Verbandes zu schaffen, mit dem dieser die pauschalierten Schäden seiner Mitglieder geltend machen kann. Es geht dann darum, den kollektiven Schaden der Verbraucher schätzweise zu ermitteln.185 Schulte stellte dem ein anderes Modell gegenüber. Er präferierte die Einführung eines durch statistische, demoskopische und schätzweise Ermittlung begründeten Schadensersatzanspruches, der durch den Verband gerichtlich geltend gemacht werden soll, dessen Erlös allerdings nicht ihm, sondern den ge180 Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 516 ff.; Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 473 ff.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 46. 181 Gemeint ist die Abschreckungsfunktion der Sanktion, vgl. dazu Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 3; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 19. 182 Mertens, ZHR 139 (1975), 438 ff. 183 Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 475; referierend Kocher, a.a.O. 184 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 402. 185 Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 475 ff.; Kocher, a.a.O.
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schädigten Verbrauchern zugute kommt.186 Dabei lehnte er sich an das Modell der US-amerikanischen class action an. Sein Vorschlag für die pauschalierte Berechnung des Gesamtschadens beruht darauf, dass für jeden Vertragsschluss ein Mindestschaden anzusetzen ist, der zusammen mit der absoluten Zahl der Vertragseinheiten und dem Prozentsatz der getäuschten Abnehmer zu einem Gruppenschaden zu addieren sei.187 Die von ihm gewählte Methode der Schadenspauschalierung ist zunächst eingängig. Da der eingeklagte Gesamtschaden dem Verband aber nicht zur eigenen Verwendung zur Verfügung stehen soll, kann er darüber – das ist m.E. ein Nachteil der Konstruktion – auch nicht seine Prozesskosten finanzieren (zu diesem Problem unter (2.)).188 Für ihn besteht daher kein besonderer Anreiz zur Durchführung derartiger „hochpreisiger“ Verfahren. I.Ü. bleibt die Frage, wie, d.h. insbesondere an wen, die eingeklagte Summe ausgeschüttet werden soll, wenn sie den geschädigten Abnehmern/Verbrauchern zuzuführen ist. Die Verteilung begründet immer einen hohen (administrativen) Aufwand, der dem Verband dann wieder zur Last fällt. In der Berechnung des Kollektivschadens durch Schulte sind aber bereits all diejenigen Elemente enthalten, die alle (späteren) vergleichbaren Vorschläge kennzeichnen.189 So wurde z.B. überlegt, ob nicht der normative Mindestschaden der Abnehmer nach § 13a III des Entwurfes einer UWG-Novelle aus dem Unterschied zwischen dem tatsächlichen Wert der Waren, Leistungen oder Rechte zum angegebenen Inhalt berechnet werden kann.190 So interessant diese Ansätze auch erscheinen (und so wenig andere, überzeugendere „Lösungen“ präsentiert werden können) – es bleibt das von E. Kocher angesprochene nicht auszuräumende Problem, dass bei dieser Art der Berechnung eigentlich berücksichtigt werden müsste, dass das berechnete Kollektivinteresse teilweise bereits mit entsprechenden Individualansprüchen und -klagen geltend gemacht wird.191 Die individuell erfolgreich geltend gemachten Schäden und Vermögensnachteile müssten vom „Kollektivschaden“, den der Verband einklagt, abgezogen werden. Der Vermögenswert des Kollektivgutes bestünde damit in der Differenz zwischen der Summe der entstandenen und der Summe der anderweitig geltend gemachten Schäden.192 Das angesprochene Problem der möglichen Überlappung von geltend gemachtem, pauschal berechnetem Kollektivschaden und Individualschadensver186
Schulte, Die kollektive Geltendmachung von Verbraucherschäden im UWG (1982),
S. 93 ff. 187 Schulte, Die kollektive Geltendmachung von Verbraucherschäden im UWG (1982), S. 14, 145 ff.; referierend Kocher, a.a.O. 188 Vgl. dazu auch Rott, EuZW 2003, 5, 8. 189 Zum Befund Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 403. 190 BT-Drucks. 8/2145, Anlage 1, S. 5; vgl. dazu Schulte, Die kollektive Geltendmachung von Verbraucherschäden im UWG (1982), S. 403. 191 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 403. 192 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 404.
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folgung wird von Ott/Schäfer berücksichtigt. Beide messen der Wahrscheinlichkeit der Geltendmachung von Individualansprüchen einen bestimmten ökonomischen Wert zu.193 Freilich gestaltet sich diese Wahrscheinlichkeitsberechnung selbst wiederum nicht einfach. Deshalb wird von anderer Seite, nämlich von Micklitz/Stadler, auch von vornherein bei der Schadensberechnung, die nur pauschaliert erfolgen kann, eine Orientierung am Vorteil des schädigenden Unternehmens gefordert.194 Damit scheint eine praktikable Methode gefunden zu sein. Allerdings ist es auch relativ einleuchtend, dass sich der vielleicht noch leicht abzuschätzende ökonomische Vorteil des Unternehmens nicht immer mit dem Schaden bei den Kunden deckt. Der Wettstreit um die beste Konstruktion eines notwendig einzuführenden Schadensersatzanspruches für den klagenden (Verbraucher-)Verband ist damit noch nicht entschieden. Er wird m.E. darin münden, dass das Modell zu wählen ist, das am praktikabelsten und zugleich vom Ansatz her am legitimsten erscheint. Dem Gesetzgeber steht hier freilich ein breiter Einschätzungsspielraum zu.195 (2.) Freistellung des klagenden Verbandes von Gerichtskosten Das schwerwiegendste praktische Problem, das dem Instrument der Verbraucherverbandsklage anhaftet, findet heute neben dem Fehlen eines Schadensersatzanspruches, das die bestehende Klagemöglichkeit z.T. ineffektiv und unattraktiv für Verbände macht, einen weiteren Grund in der Art der Finanzierung der Klageführung vor Gericht. Auch hierauf soll in diesem Zusammenhang eingegangen werden. Grundlage des Kostenrechts ist derzeit die Annahme, dass die jeweils Anspruchs- und damit Klageberechtigten zur Verwirklichung materieller Interessen entsprechende materielle Mittel einsetzen können. Bei der Verbandsklage ist Gegenstand des subjektiven Rechts jedoch ein Kollektivgut.196 Zwar wird entsprechend der Anspruchskonstruktion ein Aufwendungsersatz für außergerichtliche Abmahnungen anerkannt, der auch als Einnahmequelle genutzt worden ist.197 Er hat aber auch zur Begründung von Verdachtsmomenten gegen einen sachgerechten Gebrauch dort geführt, wo er nicht zur Deckung unmittelbarer Verfahrenskosten eingesetzt worden ist.198 Dass diese Verdachtsmomente an der Problematik vorbeigehen, weil ein gewisses materiell-rechtliches Eigen-
193 Ott/Schäfer, in: dies. (Hrsg.), Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen (1999), S. 131, 152.; referierend Kocher, a.a.O. 194 Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung. Möglichkeiten und Perspektiven eines kollektiven Schadensersatzanspruches im UWG (2003), S. 82 ff.; 125 ff. 195 Kocher, a.a.O. 196 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 383. 197 Halfmeier, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess (2001), S. 137 ff. 198 BGH NJW 2000, 73 ff.
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interesse unabdingbar ist, weil auch der eingesetzte Aufwand finanziert werden muss, dürfte m.E. auf der Hand liegen. Die derzeitige Möglichkeit der Gewinnabschöpfungsklage durch den Verband nach § 10 UWG kann dem Problem nicht genügend begegnen, da der ggf. abgeschöpfte Betrag nicht beim Verband (zur Finanzierung seiner Tätigkeit/ggf. weitergehender Prozesse) verbleibt, sondern zugunsten des Bundeshaushalts abgeführt werden muss. I.Ü. ist die Klagemöglichkeit schon deshalb ineffektiv, weil § 10 I UWG eine vorsätzliche Zuwiderhandlung erfordert, deren Vorhandensein kaum jemals nachgewiesen werden kann. Damit ist zum einen die Tatbestandshürde zu hoch, zum anderen ist aber auch die Rechtsfolge für den Verband unattraktiv, weil eigene finanzielle Belange, insbesondere Engpässe, durch den ggf. abgeschöpften Gewinn nicht abgefedert werden können.199 Das Grundproblem der Verbandsklage ist damit umschrieben. Es ist in erster Linie die Knappheit der personellen Kapazitäten und finanziellen Ressourcen, die die Handhabung der Verbandsklage heute so schwerfällig machen.200 Gerade weil das Kostenrisiko einer Verbandsklage (wie auch bei jeder anderen Klage) immer mit zu berücksichtigen ist und die klagebefugten Verbände öffentlich finanziert werden, die bereit gestellten Unterstützungsbeträge aber einer immer weiteren Absenkungen zugeführt werden, treten bis heute nur wenige Verbände und einzelne Verbraucherzentralen als Kläger auf.201 Die Streitwerthöchstgrenze in § 12 I 2 GKG, die das Kostenrisiko der Verbände begrenzen sollte, hat diesem Problem nicht wirklich abhelfen können. Denn sie liegt derzeit immer noch bei 250.000 Euro. Selbst die Möglichkeit der Streitwertherabsetzung, auf die § 5 I UKlaG Bezug nimmt (siehe dazu § 12 IV UWG), die die Schwierigkeit der Sache und die Vermögensverhältnisse der Parteien berücksichtigen soll, wird derzeit als wenig hilfreich betrachtet. 202 Das ist der Hintergrund, vor dem de lege ferenda darüber nachzudenken ist, für Verbandsklagen eine Kostenfreistellung im GKG in Analogie zur Kostenfreistellung von Klagen der öffentlichen Hand oder mit Gemeinnutzcharakter zu verankern. Insofern wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es auch bei der Verbandsklage letztlich um „öffentliche“ Interessen geht, die wahrgenommen werden, was der Gesetzgeber berücksichtigen sollte.203
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Vgl. dazu auch v. Braunmühl, in: Fezer (Hrsg.), UWG (2005), § 10 Rn. 72. Zum Befund Schatz-Bergfeld, Verbraucherinteressen im politischen Prozeß: das AGB-Gesetz (1984), S. 123; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 384. 201 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 384 f. 202 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 385. 203 Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 57, 64; Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 165 ff.; vgl. dazu auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 386. 200
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dd. Schlussbetrachtung Die Rechtswissenschaft steht überwiegend auf dem Standpunkt, dass die Erfahrungen, die in Deutschland nach Einführung der Verbraucherverbandsklage seit 1965 im Bereich des UWG bzw. seit 1977 auf dem Sektor des AGB-Rechts gesammelt wurden, für den Verbraucherschutz positiv zu bewerten sind.204 Die Verbandsklage ist ein Instrument, das den Verbraucherschutz prozessual stärkt, wenngleich sich manche Erwartungen nicht erfüllt haben.205 Andere geben eine ähnliche Einschätzung ab.206 Auffallend negativ (und insoweit die Effektivität der Verbandsklage neben dem Umstand der fehlenden Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches hemmend) wirkt sich allerdings – das gilt es festzuhalten – der Aspekt aus, dass die Verbandsklage nur von wenigen Verbänden tatsächlich zum Einsatz gebracht wird.207 Das ist auf die Personal- und Finanzausstattung der Verbände zurückzuführen,208 die sinkt. Den Verbänden, die nicht mitgliedschaftlich organisiert sind und die von staatlichen Unterstützungsbeiträgen „leben“, fehlen allzu häufig die notwendigen Ressourcen, die für die systematische und planvoll angelegte Verfolgung von mit der Verbandsklage angreifbaren Rechtsverstößen notwendig sind.209 Hier gilt es, jedenfalls dann über Kompensationsinstrumente wie die Gerichtskostenfreistellung bzw. die Einführung eines eigenen Schadensersatzanspruches des Verbandes nachzudenken, wenn die Politik nicht gewillt ist, den Verbänden von vornherein mehr Mittel zur Verfügung zu stellen.
204 Vgl. nur Pfeiffer, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl., 2009), Einl. Rn. 45; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. 79 ff. 205 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 41; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 82. 206 V. Falckenstein, Die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken durch Verbraucherverbände (1977), S. 137, 178 f.; v. Hippel, Verbraucherschutzrecht (3. Aufl., 1986), S. 102 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 363 ff.; skeptisch allerdings Ulmer, BB 1982, 588. 207 Zum Befund Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 84, der nur zwei der vielen Verbraucherverbände als insofern „aktiv“ betrachtet und daher das Instrument als zu wenig wahrgenommen sieht (der Befund wird mit Zahlen belegt); ebenso Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 73 ff.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 41. 208 Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Vor § 1 UKlaG Rn. 4: „Die finanziell schwach ausgestatteten Verbraucherschutzverbände können die insbesondere im mittelständischen Bereich immer noch verbreiteten krassen Verstöße gegen das AGB-Recht nicht in notwendiger Breite bereinigen“; ebenso Ulmer, in: Ulmer/ Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 86, der konstatiert: Die Trägheit der Verbände beruht auf Knappheit der finanziellen Mitteln; eine Effektivierung der Klageaktivität ließe sich durch vermehrte Förderung aus öffentlichen Mitteln erreichen. 209 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 41.
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ee. Abgrenzung der Verbandsklage von der Verbandsvertretung Von der Verbandsklage im Prozess, in der ein dazu legitimierter (Verbraucher-) Verband ein ihm selbst zugeordnetes Recht geltend machen kann, ist die offene Stellvertretung des Verbandes in einer Verbraucherangelegenheiten zu unterscheiden, mit der der Verband einen fremden (Einzel-)Anspruch210 aufgreift und mit seinem Know-how durchprozessieren möchte. Die Vertretung von Verbrauchern vor Gericht bietet sich etwa als Fortsetzung der Beratungstätigkeit an. Sie erschien schon früher (unter Geltung des RBerG, das im Prinzip i.V.m. § 78 ZPO a.F. auf ein Anwaltsmonopol bei der Prozessvertretung hinauslief) in Fällen erwägenswert, in denen kein Anwaltszwang bestand,211 wenn und soweit es seitens des Verbrauchers nicht nur darum ging, einen Anwalt durch den Verband vermittelt zu bekommen.212 Eine Neuregelung – nämlich § 79 II 2 Nr. 3 ZPO (i.V.m. § 1 Nr. 4 RDG213) – sieht nun auch eine punktuelle Prozessvertretungsmöglichkeit für Verbraucherzentralen und andere mit öffentlichen Mitteln geförderte Verbraucherverbände in solchen Angelegenheiten vor, zu denen sonst ein Anwalt als Prozessvertreter hinzuzuziehen war. Eine sachliche Eingrenzung der Stellvertretungsbefugnis214 statuiert die Regelung – was ihren einzelfallbezogenen Ansatz hervorhebt – dadurch, dass es sich gerade um die Einziehung einer Forderung eines Verbrauchers handeln muss und dass der Verband diese Einziehung von Forderungen im Rahmen seines Aufgabenbereiches zu betreiben hat. Mit dem Merkmal der Einziehung der Forderung stellt der Gesetzgeber klar, dass es nicht um andere Leistungs- bzw. Feststellungsklagen geht. Außerdem muss der Verband ein „öffentliches Verbraucherinteresse“ wahrnehmen. Wann das der Fall ist, insbesondere, welche Anforderungen hier zu stellen sind, wird im Einzelnen unterschiedlich bewertet. So sah das OLG Düsseldorf bezüglich der Vorgängerregelung des § 79 II 2 Nr. 3 ZPO in § 3 Nr. 8 RBerG das Tatbestandsmerkmal nur bei „Vorliegen besonderer Umstände“ gegeben. Die Tatsache, dass es sich bei den vom Verband geltend gemachten Missständen um solche mit Breitenwirkung („Streuschäden“) handelt, soll hierfür noch nicht ausreichen. Eine Klage sei nur dort zulässig, wo es an Anreizen für Individualklagen fehle.215 210
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 79 ZPO Rn. 19. Siehe dazu Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 34. 212 Der Verband kann, was er auch schon früher vielfach getan hat, auch weiterhin die Vermittlung von im Verbraucherrecht besonders versierten Anwälten betreiben. Zu damit im Zusammenhang stehenden standesrechtlichen Fragen Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 35. 213 Gesetz über die außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz) v. 12.12.2007 (BGBl. I, S. 2840). 214 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 79 ZPO Rn. 19. 215 OLG Düsseldorf NJW 2004, 1532 ff.; LG Düsseldorf VuR 2005, 34 ff. mit abl. Anm. 211
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Der Anwendungsbereich der Regelung wird damit fast ausschließlich auf Bagatellschäden begrenzt. Gegen diese restriktive Auslegung der Regelung spricht, dass der Begriff „im Interesse des Verbraucherschutzes“/„Handeln im Rahmen des Aufgabenbereiches des Verbandes“ ein Kürzel für die Wahrnehmung kollektiver Interessen darstellt. Die Rechtfertigung für die Einschaltung der Verbraucherverbände liegt damit darin, dass diese mit den Individualansprüchen gleichzeitig kollektive Interessen der Verbraucher geltend machen können, wozu sie vom Verbandszweck her immer aufgerufen sind. Die Verbraucherzentralen mögen hier zwar nur als „verlängerter Arm von Individualinteressen“ tätig werden.216 Ihre Befugnis/Aufgabenwahrnehmung besteht aber gerade in dieser Verlängerung, d.h. in dem „ins Licht rücken“ von Fällen mit verbraucherrechtlicher Grundsatzrelevanz wegen entsprechender Streubreite. Allein hierauf darf es ankommen.217 In diesem Sinne äußerte sich nun auch der BGH, der in seinem Revisionsurteil des vom OLG Düsseldorf behandelten Falles des Kreditkartenmissbrauches (Überprüfung der Sicherheit des PIN-Karten-Systems) den Grundsatz aufstellt, dass Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, „im Rahmen ihres Aufgabenbereiches“ tätig werden, wenn dies im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich ist.218 Eine solche Erforderlichkeit ist zwar nicht schon bei jedem verbraucherrechtlichen Sachzusammenhang gegeben, sondern bedarf einer darüber hinausgehenden Rechtfertigung. An diese sind aber andererseits auch keine allzu hohen Anforderungen zu knüpfen. Es müsse ausreichen, wenn neben dem mit der Klage verfolgten Individualinteresse auch ein kollektives Moment greift, d.h. Verbraucherinteressen nicht nur am Rande berührt sind oder ein verbraucherrechtlicher Sachzusammenhang bestehe.219 Die BGH-Rechtsprechung erzeugt zweifelsohne eine Klarstellung, die zu einer verbraucherfreundlichen Handhabung des § 79 II 2 Nr. 3 ZPO führt. Dies ist zu begrüßen, denn die Vorteile der Prozessvertretung des Verbrauchers durch einen Verband liegen auf der Hand: Verbände gewährleisten wie niemand sonst die Kontinuität der Beratung und können hieran bei der gerichtlichen und außergerichtlichen Prozessführung ansetzen. Dem Verband ist es überdies möglich, sein Mandat strategisch zu nutzen, d.h. Verbraucherinteressen gezielt, gebündelt oder selektiv im Interesse einer bestimmten Verbandspolitik geltend zu machen. 220 Micklitz, S. 36 f.; OLG Düsseldorf VuR 2005, 479 (für den Fall des Kartenmissbrauches am Automaten). 216 Dies gilt insbesondere für Klagen auf Auszahlungen von Gewinnzusagen nach § 661a BGB. 217 Kocher, a.a.O. 218 BGH XI ZR 294/05 v. 14.11.2005 in Revision des Urteils des OLG Düsseldorf I-16 U 160/04. 219 BGH ebenda. 220 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 39.
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c. Musterverfahren Neben der Verbandsklage und der Verbandsvertretung spielen bei der Durchsetzung von Verbraucherpositionen freilich – wenngleich im geringeren Maße als Verbandsklagen – auch so genannte Musterprozesse eine Rolle, mit deren Hilfe versucht wird, die Rechtslage in einem Einzelfall (der aber auf andere ausstrahlen kann und soll) zu klären oder zu beeinflussen.221 Hervortretend ist der Umstand, dass gerade über den Musterprozess das Zivilverfahren Funktionen wahrnimmt, die über den Individualschutz hinausgehen, und zwar insofern, als auch ein Musterverfahren in der Hauptsache auf eine befriedende, klärende oder verändernde Rechtslage für eine Vielzahl von Betroffenen hinausläuft.222 Für den Musterprozess ist es deshalb kennzeichnend, dass eine Streitfrage, die viele betrifft, anhand eines exemplarischen Falles geklärt werden soll.223 Dieser Umstand legitimiert es, das Musterverfahren als Kollektivklageform – jedenfalls i.w.S. – zu begreifen und hier kurz zu referieren. aa. Konzeption Die Idee der Musterklage läuft darauf hinaus, dass es eine Vielzahl von Beteiligten gibt, die von einer bestimmten Maßnahme betroffen sind.224 Für den Bereich des Verbrauchergeschäftes ist diese Konstellation typisch. Gerade hier werden auf Grund der schnellen Entwicklungen (etwa im technologischen Bereich) oft plötzlich gehäuft bestimmte Rechtsprobleme sichtbar, die auch aus Gründen der Rechtsklarheit und -einheit einer obergerichtlichen Prüfung bedürfen, insbesondere dann, wenn von einer umstrittenen Maßnahme eines einzelnen Anbieters viele Verbraucher betroffen sind oder wenn mehrere Anbieter gleichartige Verhaltensweisen praktizieren.225 Ein von einem einzelnen Verbraucher geführter Prozess kann in diesen Fällen dann über die betroffenen Streitparteien hinaus erhebliche („kollektive“) Bedeutung erlangen. Denn andere um die Rechtmäßigkeit der Maßnahme streitende Parteien werden sich später – so die Vermutung – regelmäßig an ein die Rechtslage klärendes Urteil eines Obergerichtes halten, auch wenn wegen der fehlenden eigenen Beteiligung am konkreten (Muster-)Verfahren keine rechtliche Bindungswirkung besteht. Die Bindung vollzieht sich für viele gleichartig Betrof221
Grundlegend zum Musterprozess Arens, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 4 (1976), S. 344 ff.; Haug, Die Problematik des Musterprozesses unter Einbeziehung von Ergebnissen der Rechtstatsachenforschung (1973); Siebert, Die verfahrensrechtliche Problematik des Musterprozesses (1973); Jost, ZRSoz 1981, 18 ff.; Lindacher, JA 1984, 404 ff.; Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 141 ff. 222 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 8. 223 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 326. 224 Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz, S. 1, 8; Stelkens, NVwZ 1991, 209, 213. 225 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 94.
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fene faktisch: Denn wer damit rechnen muss, im Fall eines Prozesses mit großer Wahrscheinlichkeit zu unterliegen, wird (wohl) danach trachten, diesen Prozess mit den daraus resultierenden zusätzlichen Kosten zu verhindern, indem er sich nach dem im Musterprozess gefundenen Ergebnis richtet.226 Von anderen Klagen mit kollektivem Bezug unterscheidet die Musterklage, dass zunächst nur ein einzelner Verbraucher als „Repräsentant“ oder „Vorkämpfer“ (ggf. unterstützt von einem Verband) aktiv wird, indem er einen Prozess führt und damit die Rechts- und Tatsachenlage für ggf. nachfolgende Prozesse anderer „(vor-)auslotet“.227 Formal und rechtstechnisch handelt es sich bei der Musterklage um einen gewöhnlichen Individualrechtsstreit.228 Soweit andere Verbraucher in gleicher Weise betroffen sind, geht es darum, auch diese am Klagerfolg mittelbar partizipieren zu lassen, indem sie etwa bei einem positiven Prozessausgang ermutigt werden, gleichartige Klagen (jetzt unter Minimierung des Prozessrisikos) zu führen oder sich auf das Urteil im Vorfeld des Prozesses zur Stärkung ihrer Position zu berufen. bb. Probleme Derartige Klagen sind jedoch weder im Recht der Gemeinschaft noch in Deutschland genügend entwickelt.229 (1.) KapMuG Das einzige Beispiel für die Zulassung einer Art Musterklage im deutschen Recht bietet derzeit das zunächst für den Zeitraum vom 1.11.2005 bis 31.10.2010 eingeführte und um weitere zwei Jahre danach in seiner Geltungsdauer verlängerte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), 230 das es erlaubt, eine 226
Zum Ganzen siehe Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 94. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 29; Arens, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 4 (1976), 344; Haug, Die Problematik des Musterprozesses unter Einbeziehung von Ergebnissen der Rechtstatsachenforschung (1973); Siebert, Die verfahrensrechtliche Problematik des Musterprozesses (1973); Jost, ZfRSoz 1981, 18; Lindacher, JA 1984, 404 ff.; Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 141 ff. Zur Biographie der class action über diesen Gedanken vgl. Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 12. 228 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 326. 229 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 29; Reuschle, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 49, 54 ff.; zu Konzeptionen von Musterverfahren de lege ferenda mit oder ohne Gruppenvertreter vgl. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 390 ff.; v. Bar, Gutachten zum 62. DJT (1998), Bd. I, S. A 11 ff., S. A. 84 ff.; Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht (2001), S. 1, 27 ff.; dies., Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess (2004), S. 25 f. 230 Das seit dem 1.11.2005 gültige Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz v. 16.8.2005 (BGBl. I, S. 2437) führte für Deutschland Musterverfahren für geschädigte Kapitalanleger wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen – etwa in Jahresabschlüssen oder Börsenprospekten – ein, vgl. dazu Kocher, Funktionen der 227
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
in unterschiedlichen Individualprozessen gestellte Tatsachen- und Rechtsfrage einheitlich klären zu lassen.231 Insbesondere das Landgericht Frankfurt/Main macht seit 2005 im so genannten „Telekom-Verfahren“ erste Erfahrungen mit dieser neuen Art der Prozessstrukturierung.232 Das Verfahren greift bei Prozessen über Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher, meist schriftlich in Prospekten niedergelegten Kapitalmarktinformationen (§ 1 I 1 Nr. 2 und S. 3c KapMuG). In diesen Fällen kann auf Antrag ein Musterentscheid des Oberlandesgerichts ergehen (§§ 14 ff. KapMuG). Dem liegt das Modell des früheren Rechtsentscheids nach § 541 ZPO a.F. zugrunde. Der Musterentscheid entfaltet dann Bindungswirkung für bereits anhängige Parallelprozesse (§§ 16 KapMuG), ähnlich der Interventionswirkung des § 68 ZPO. Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens ist allerdings das Vorliegen von insgesamt zehn Musterfeststellungsanträgen am gleichen Gericht (§ 4 KapMuG). Die Zusammenfassung der Verfahren wird in die Wege geleitet, wenn diese „gleichgerichtet“ sind (§ 4 KapMuG). Dazu reicht es aus, wenn das Feststellungsziel den „gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt“233 betrifft. Bereits der Vorlagebeschluss führt nach § 5 KapMuG eine Sperrwirkung für die Verfahren herbei, die nicht als Musterverfahren zum Oberlandesgericht zur Klärung der einheitlichen Rechtsfrage „hochgezont“ werden. Diese werden bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts ausgesetzt (§ 7 KapMuG). Ein einmal eingeleitetes Musterverfahren entfaltet eine Sogwirkung auf alle in der gleichen Sache anhängigen Streitigkeiten. Ob eine Klage aber eingeleitet wird, liegt in der Entscheidung der Beteiligten. Es werden durch das KapMuG allerdings gewisse ökonomische Anreize zum Klageanschluss insofern geboten, als nach § 8 III 3 Nr. 1 KapMuG alle Kläger anteilig bzgl. der Kosten des Musterverfahrens haften.234 Die nicht als Musterkläger Ausgewählten sind im Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht beizuladen (§ 8 III 1 KapMuG). In der Literatur wird diese Konstellation deshalb für kritikwürdig gehalten, weil der Musterentscheid bindende Wirkung hinsichtlich des Feststellungsgegenstandes für alle Parteien entfaltet und es deshalb als sinnvoller betrachtet Rechtsprechung (2007), S. 391 ff.; Gundermann, BB 2008, 1416 ff.; Jahn, ZIP 2008, 1314 ff.; Strohmeyer, ZfIR 2008, 620 ff. 231 Zum Ganzen siehe Hess/Reuschle/Rimmelspacher (Hrsg.), Kölner Kommentar zum KapMuG (2008); Bergmeister, Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (2009); Halfmeier/ Rott/Fees, Kollektiver Rechtsschutz im Kapitalmarktrecht (2010); Wanner, Das KapMuG als allgemeine Regelung für Massenverfahren (2010); Tamm, ZHR 2010, 525 ff. 232 Gegen Aktienprospekte aus den Jahren 1999 und 2000 wurde eine Vielzahl gleichgerichteter Klagen auf Schadensersatz erhoben. Sie sind auf die Behauptung gestützt, der Prospekt für den damaligen Börsengang habe irreführende Angaben enthalten, zu Prozesszahlen in diesem Zusammenhang vgl. Wolf, Editorial NJW 35/2005. 233 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 15/5091, Anlage 2, S. 40 ff.; genauer Schneider, BB 2005, 2249, 2253 ff. 234 Anreize für Anwälte, derartige Klagen zu organisieren, bestehen allerdings nicht. Denn der Mehraufwand wird nach § 16 Nr. 15 RVG nicht zusätzlich vergütet.
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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wird, den Nicht-Musterklägern nicht nur den Status von Beigeladenen einzuräumen,235 sondern das Begehren im Musterverfahren insgesamt durch einen Gesamtvertreter (Repräsentanten aller) vorbringen und durchfechten zu lassen. 236 Der Gesetzgeber hatte sich gegen dieses Modell aber gerade deshalb gewandt, weil er eine Mediation der Kläger, die auch einmal ihren Interessen zuwider laufen kann, verhindern wollte. Die zunächst auf fünf Jahre eingeführte und dann um zwei weitere Jahre verlängerte Möglichkeit der Führung eines Musterverfahrens nach dem KapMuG stellt ein Novum für das deutsche Zivilprozessrecht dar. Die mehreren tausend Verfahren, die derzeit vor dem LG Frankfurt/Main gegen die Deutsche Telekom AG anhängig sind, führen die Notwendigkeit eines Instruments zur Konzentration von Massenverfahren plastisch vor Augen. Die Frage, ob sich der vom KapMuG eingeschlagene Weg – auch in den darin vorgesehenen Detailvorgaben – bewährt, ist noch zu entscheiden. Das Bundesjustizministerium betreibt derzeit eine Evaluierung der vorhandenen kollektiven Klageinstrumente, insbesondere auch des KapMuG. (2.) Allgemeiner Befund Gesetzliche Möglichkeiten der Führung einer besonderen Musterklage neben dem KapMuG, die die Besonderheiten des Kollektivinteresses erfassen, gibt es nach deutschem Rechtsstand derzeit nicht. Das KapMuG ist insofern als zeitlich begrenzt wirkende, auch nur auf einen engen sachlichen Anwendungsbereich bezogene Sonderregelung zu sehen. Ein allgemeines Instrument der Musterklage ist im deutschen Prozessrecht nicht vorhanden. Aus der Rechtssoziologie stammen zwar Erkenntnisse, dass Verbraucher Prozesse führen können, die von der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen werden und vielleicht auch von den Verbrauchern diesbezüglich bewusst instrumentalisiert werden. In diesem Sinne können faktische Musterprozesse einzelner Verbraucher der Bewusstmachung von Problemen und der Klärung von Rechtsfragen dienlich sein. Sie können zur Mobilisierung der Öffentlichkeit, der Justiz und des Gesetzgebers beitragen, spielen aber bisher im deutschen Verbraucherrecht noch keine ausschlaggebende Rolle.237 Die bisher beschränkt gebliebene Entwicklung von Musterklagen hängt vor allem damit zusammen, dass von ihr rechtstatsächlich bislang nicht die Erzeugung besonderer Impulse zur Förderung von Verbraucherinteressen zu erwarten war. Der Grund lag und liegt darin, dass bei einem Musterprozess gerade keine Bündelung von potentiellen Einzelklagen stattfindet und damit der Effekt des Kollektivrechtsschutzes nicht wirklich durchgreift. Der einzelne Verbraucher klagt 235 Eine Verfassungswidrigkeit nehmen etwa an Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79, 112; vgl. dazu auch Hess, ZIP 2005, 1713, 1717. 236 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 395. 237 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 29.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
bei der Musterklage als Vorreiter – wenngleich oftmals unterstützt von einem Verband238 – allein, sodass von einem Urteil regelmäßig nur Signalwirkung hinsichtlich weiterer potentieller Entscheidungen für etwaig sukzessiv geführte Einzelprozesse von Verbrauchern ausgeht, in denen die Sach- und Rechtslage ähnlich gelagert ist. Musterklagen, die von Verbraucherorganisationen unterstützt werden, sind i.Ü. deshalb äußerst selten, weil für die Verbraucherorganisation das Problem häufig schon darin besteht, einen für die Durchführung des Verfahrens geeigneten Streitfall zu finden. Dieser muss so frei von individuellen Zügen sein, dass das Prozessergebnis verallgemeinert werden kann.239 Problematisch ist auch der Umstand, dass der einzelne Vorkämpfer das Kostenrisiko eines ggf. mehrinstanzlichen Verfahrens jenseits der besonderen KapMuG-Regelung alleine trägt (sofern dieses nicht vom unterstützenden Verband übernommen wird),240 obgleich andere Betroffene als „Trittbrettfahrer“ am Klageerfolg partizipieren. Schon dies hemmt die individuelle Motivation zur Einlegung entsprechender Musterklagen in erheblichem Umfang.241 Ferner wird es immer Anbieter geben, die sich nicht an das im Musterverfahren gefundene Ergebnis halten werden, wenn ein anderer Verbraucher in einem gleichgelagerten Fall betroffen ist. Für manche (nicht für alle Anbieter) ist es ein gängiges Verhalten, jedenfalls aber eine Option, den Ausgang des Prozesses zunächst abzuwarten, um sich bei einem anbieterfreundlichen Ergebnis (oder auch nur entsprechend nutzbar zu machenden Formulierungen in den Entscheidungsgründen) darauf zu berufen, im gegenteiligen Fall aber jede Präzedenzwirkung des Urteils zu verneinen. Die Musterkraft des Urteils, die sich auf den Klarstellungs- und Rechtsfortbildungseffekt242 bezieht, ist damit von der faktischen Anerkennung abhängig, die nicht immer gegeben ist, auch weil sich die Nichtanerkennung und das „Darauf-Ankommen-Lassen“ weiterer Streitigkeiten einmal „rechnen“ kann.243 Eine automatische Rechtskrafterstreckung des Ergebnisses des einzelnen Musterprozesses auf alle ähnlich gelagerten Fälle gibt es nicht (s.o.).244 Das 238 Vgl. dazu Arens, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 4 (1976), 344, 353 f.; Haug, Die Problematik des Musterprozesses unter Einbeziehung von Ergebnissen der Rechtstatsachenforschung (1973). 239 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 95. 240 Zur Übernahme der Kosten von Musterprozessen durch Verbände vgl. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 32; Arens, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 4 (1976), S. 344, 353 f.; Haug, Die Problematik des Musterprozesses unter Einbeziehung von Ergebnissen der Rechtstatsachenforschung (1973), S. 87. 241 Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 9. 242 Vgl. dazu Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 29. 243 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 95. 244 Da der Musterprozess eine verbindliche Wirkung für alle ähnlich gelagerten Fälle derzeit regelmäßig noch nicht vorsieht (eine Teilverbindlichkeit ergibt sich lediglich für das auslaufende KapMuG, das für beim selben Prozessgericht anhängige Fälle eine Aussetzung
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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rechtskräftige Urteil wirkt grundsätzlich nur zwischen den Parteien (vgl. § 325 I ZPO).245 Das ist die notwendige Folge der Herrschaft der Parteien über den Prozess.246 Es ist zwar auf Grund einer privaten Parteivereinbarung prinzipiell möglich, den Ausgang eines Musterprozesses auf weitere (ähnliche) Streitigkeiten auszudehnen.247 Von derartigen Musterprozessabreden gehen allerdings nur die Wirkungen aus, die jedem materiellen Vertrag innewohnen, sie können noch keine automatische Bindungswirkung ähnlich eines Urteils erreichen.248 Der wesentliche Effekt, der der Musterklage anheimfällt, ist damit die „persuasive authority“,249 also das Präzedenzgewicht der erstrittenen Musterentscheidung. Dieses wiegt umso stärker, je höher das Gericht im Instanzenzug steht.250 Damit stellt sich freilich die Frage, ob für Verbraucherangelegenheiten überhaupt der Weg zu einer Berufungs-, ggf. auch Revisionsentscheidung offen steht, da es sich bei von Verbrauchern initiierten Verfahren häufig um Angelegenheiten mit eher geringem Streitwert handelt.251 Für die Berufung sind insoweit die Vorgaben des § 511 ZPO von Bedeutung. Danach ist sie zulässig, wenn entweder der Wert des Streitgegenstandes 600,- Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung zugelassen hat, § 511 II Nr. 1 und 2 ZPO. Wichtig für die Berufungszulassung in Verbraucherangelegenheiten ist ferner § 511 IV Nr. 1 ZPO, der festlegt, dass das Gericht die Berufung (unterhalb des Wertes des Beschwerdegegenstandes von 600,- Euro) zuzulassen hat, wenn der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Über diesen Passus kann heute252 auch ein für sich gesehen streitwertgeringes Verbraucheranliegen, dem allerdings eine große Streubreite zukommt (womit es als eines von grundsätzlicher Bedeutung anzuerkennen ist), in einem Musterprozess vor einem höheren Instanzenzug geklärt werden. Dem Gericht, das die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu beurteilen hat, steht – was für den prozessualen Verbraucherschutz weiter von Bedeutung ist – auch
bis zur Entscheidung über die Musterklage und Übernahme des Ergebnisses anordnet – aber eben auch bloß für diese Fälle), kommt die Musterklage noch nicht generell dem Bedürfnis nach Befriedung und Normbildung nach. 245 BGH BB 2005, 125 ff. 246 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 325 ZPO Rn. 1. 247 Jacoby, Der Musterprozessvertrag – Die gewillkürte Bindung an gerichtlichen Entscheidungen (2000), S. 250 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 327. 248 Jacoby, Der Musterprozessvertrag – Die gewillkürte Bindung an gerichtliche Entscheidungen (2000), S. 250 ff. 249 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 327. 250 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 31.; ders., Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 143 ff. 251 So schon Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 95. 252 Zum früheren abweichenden Rechtszustand Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 31.
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kein Entscheidungsermessen zu. Es hat „zuzulassen“, wenn die gesetzlich beschriebenen Voraussetzungen gegeben sind.253 Die genannten Gründe der Zulassung der Berufung entsprechen i.Ü. der Zulassung der Revision, vgl. dazu § 543 II ZPO, sodass heute auch geringwertige Verbraucherbelange vor dem BGH reversibel sind und das Präzedenzgewicht eines Musterprozesses seinen Höhepunkt erreicht. cc. Schlussbetrachtung Resümierend muss festgehalten werden, dass Musterklagen über ihr Präzedenzgewicht zum Verbraucherschutz beitragen können, dass aber ihre Wirkung auch darauf beschränkt bleibt und sie deshalb in der Praxis für die Durchsetzung von kollektiven Verbraucherinteressen keine große Relevanz besitzen. Ihre Bedeutung ist jedenfalls weit geringer zu bewerten als die der Geltendmachung von Verbraucherinteressen mittels einer Verbandsklage, die insofern auch wegen der rechtlich bindenden Breitenwirkung als „effektiver“ angesehen werden muss. d. Einführung einer europäischen Sammelklage Relevant für den kollektiven Verbraucherschutz ist über die bereits dargestellte Möglichkeit der Führung einer Verbands- und Musterklage hinaus die Verbrauchersammelklage, deren Etablierung z.Z. auf europäischer Ebene stark diskutiert wird. Die Europäische Kommission hat diesbezüglich am 27. November 2008 ein „Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher“254 vorgelegt. Daraus ergeben sich u.a. Bestrebungen der Gemeinschaft, Maßnahmen für bessere kollektive Rechtsbehelfe von Verbrauchern in die Wege zu leiten. Die Regelungsinitiative stützt sich auf eine Studie der Gemeinschaft, aus der sich ergibt, dass das von der EU geschaffene materielle Verbraucherschutzrecht noch „nicht genügend“ bei den Verbrauchern „ankommt“, da es zu wenig wahrgenommen, d.h. durchgesetzt wird. Aus der Studie ergibt sich, was aufhorchen lässt, dass 76 % der Verbraucher eher dazu bereit wären, ihre Sache vor Gericht zu bringen, wenn sie sich dabei – in einem stärkeren Umfang als es derzeit durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und das Gemeinschaftsrecht möglich ist – mit anderen Verbrauchern zusammenschließen könnten.255
253 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 511 ZPO Rn. 25. Allerdings ist sowohl die Zulassung wie die Nichtzulassung unanfechtbar (BGH NJW 1984, 927). 254 KOM (2008), 794 endg. 255 Eurobarometerumfrage zum Verbraucherschutz, September 2008.
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aa. Bestandsaufnahme von Kollektivklagen innerhalb der EU Die von der Kommission in diesem Zusammenhang durchgeführte Bestandsaufnahme256 hat ergeben, dass kollektive Klagemöglichkeiten257 innerhalb der Mitgliedstaaten der EU noch zu gering entwickelt sind.258 Deshalb muss es im Grunde darum gehen, diese kollektiven Klageformen auszubauen,259 wobei die spezifischen Vor- und Nachteile der einzelnen Kollektivklageformen (Verbandsklage, Musterklage, Sammelklage) mit Blick auf das zu entwickelnde Instrumentarium gegeneinander abzuwägen und auszubalancieren sind.260 Ähnlich wie in den USA261 und im japanischen Prozessrecht262 kennen derzeit nur das englische Recht,263 das Recht Schwedens, Finnlands, Dänemarks und Norwegens, Spaniens und Portugals eine Gruppen- bzw. Sammelklage.264 In Österreich liegt seit 2007 ein inzwischen überarbeiteter Entwurf für ein Gruppenklagegesetz vor, dessen gesetzliche Umsetzung allerdings noch herausgeschoben wurde.265 In der EU (und etwa in der Schweiz)266 existieren Popularklagen zumeist nur in Form von Verbandsklagen,267 die etwa im Wettbewerbsrecht zugelassen worden sind oder auf Grund der Unterlassungsklagen-Richtlinie 98/27/ EG268 bestimmte Verbände ermächtigen, zur Durchsetzung von (explizit aufgezählten) Verbraucherpositionen zu klagen. 256 KOM (2008), 794 endg., S. 5 Rn. 12 mit Verweis auf die Europabarometer-Umfrage zum Verbraucherschutz im Binnenmarkt, September 2008. 257 Zum schillernden Begriff der Popularklage siehe Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht (2006), S. 29 ff. 258 Study on the evaluation of the effectiveness and efficiency of CR mechanisms in the European Union (Bewertungsstudie), S. 47 und Teil II (Länderberichte); http://ec.europa.eu/ consumer/redress_cons/ Collective_redress_en.htm. 259 So die Grünbuchaussage der Kommission, KOM (2008), 794 endg., S. 7 Rn. 17. 260 Vgl. zu der Notwendigkeit von Sammelklagen auch Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 28; Haertlein, ZZP 121 (2008), 249 ff. 261 Wichtig im Zusammenhang mit der class action ist hier Rule 23 (a-c) der Federal Rules of Civil Procedure; zur class action insgesamt siehe etwa Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel (2008); Eichholz, Die US-amerikanische class action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002); Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976). 262 Siehe dazu § 47 I der japanischen Zivilprozessordnung. 263 Vgl. dazu Heß/Andrews, ZZPInt. 5 (2000), 3, 11; Reuschle, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 49, 52. 264 Zu diesem Befund mit Einzelnachweisen vgl. Stadler, JZ 2009, 121, 122. 265 Stadler, ebenda. 266 Siehe dazu Reuschle, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 49, 53. 267 Dazu mit Einzelnachweisen Stadler, JZ 2009, 121, 122; Berens, Fremdbestimmung des Konsumenten bei der Vertragsanbahnung insbesondere durch Irreführung (1998), S. 285. 268 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl.EG Nr. L 166/51).
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bb. Konzeption Bei der Gruppen- bzw. Sammelklage klagen die einzelnen Verbraucher als Akteure in einer Klägergemeinschaft, zu der sie sich aktiv und explizit zusammenschließen (Opt-in-Modell) oder zu der sie abstrakt (ohne Eintritt) gehören und aus der sie nur dann ausgeschlossen werden, wenn sie austreten (Opt-out-Szenario). Der Zusammenschluss der Klagewilligen zu einer derartigen Klage, die das gleiche Verhalten des Beklagten angreift,269 ist nicht nur sinnvoll, weil die Justiz entlastet wird, indem nicht mehr mehrere gleichgelagerte Klagen unabhängig voneinander geführt werden, die jeweils für sich genommen Ressourcen binden. 270 Auch für die Kläger bietet dieses Verfahren Vorteile, weil die potenziellen „Einzelklagen“, die zu einer Klage zusammengezogen werden, im Hinblick auf das gebündelte Know-how und die Finanzen druckvoller vorgebracht werden können und damit auch die in den Einzelklagsituationen auftauchenden Probleme des schwierigen Zugangs zum Recht und der Erfolgsbarrieren für die schwächere Partei überwindbar sind. Eine derartige Klagebündelung ist vor allem bei Streuschäden271 und Bagatellschäden sinnvoll.272 Denn bei gestreuten Kleinstschäden ist die Prozessscheu von Verbrauchern extrem hoch. Für die Allgemeinheit ist dieser Umstand sehr problematisch.273 Denn der auf die Untätigkeit der Geschädigten spekulierende Schädiger kann durch die massenhafte Wiederholung der Schädigung erhebliche Gewinne erzielen.274 Aber selbst, wenn einmal ein Fall aus einer „Streuserie“ als einzelner (in ungebündelter Form) vor Gericht gelangt, kann es sein, dass dieser nicht angemessen beurteilt wird. Denn die Beurteilung des Gerichts wird möglicherweise anders sein, wenn ihm bekannt wäre, dass es sich bei dem gerügten Verhalten des Unternehmers entweder um eine planmäßige, eventuell gerade die Zurückhaltung der Verbraucher bei der Geltendmachung ihrer Rechte ausnutzende Strate269 Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 5; Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 2; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 34; Greger, ZZP 113 (2000), 399, 408. 270 Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 85 ff.; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 17. 271 Schäfer, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß: Verbandsklage und Gruppenklage (1999), S. 67, 68. 272 Zum Ganzen siehe Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 5. 273 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 57 Fn. 144. 274 Ein sich in Frankreich ereignender Fall, den Kemper, ebenda, insofern zur Illustration heranzieht, ist folgender: Ein Weinhändler hatte die von ihm verkauften Flaschen nur mit 148,6 cl statt mit 150 cl befüllt. Der Schaden für den einzelnen Verbraucher war minimal, denn pro Flasche belief er sich auf ca. sieben Centimes. Bei einem Umsatz von 50.000.000 Flaschen im Jahr ergab sich aber in vier Jahren aus dieser Vorgehensweise für den Händler ein Zusatzgewinn von 13.800.000 FF. Weitere Beispiele dieser Art aus verschiedenen Ländern finden sich bei der European Consumer Law Group, JCP 6 (1983), 325, 328 f.
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gie oder aber zumindest um einen massenhaft auftretenden Schaden275 handelt. Das spielt etwa eine Rolle, wenn das Gericht seine Entscheidung an dem Verteidigungsvorbringen des Unternehmers ausrichtet, dies aber ggf. anders handhaben würde, wenn ihm die Parallelität bekannt wäre.276 Die Klagebündelung führt hier auch für das Gericht zu einer verbesserten Bewertungsgrundlage. Abgesehen von den offenbaren Vorteilen für den/die Kläger und der Schaffung einer angemessenen Bewertungsgrundlage für die Judikatur soll die Klagebündelung auch für den/die Beklagten von Vorteil sein, weil auch sie den Aspekt der Prozessökonomie und Rechtssicherheit für sich veranschlagen können.277 Resümierend lässt sich festhalten, der abstrakte Vorteil einer Gruppen- bzw. Sammelklage liegt in der Möglichkeit der Bündelung „diffuser“, 278 im Einzelnen nicht genügend durchsetzungsstarker Interessen einer bestimmten Publikumsgruppe begründet,279 um damit „soziale Kontrolle zu sichern“,280 bei der sich der Staat als Wächter in den normalen Formen des Prozesses überfordert sieht, weil er nicht sachnah und effektiv genug reagieren kann. Anders als bei dem Handlungsmodell der Verbandsklage wird hier aber kein abstrakt dem Verband zugeordnetes Gruppeninteresse wahrgenommen, sondern konkret mit individuellen Verbrauchern verbundene Positionen durchgesetzt, womit auch Schadensersatz als Klagebegehren einbringbar ist.281
275 Ein Fall dieser Art wird von der European Consumer Law Group, JCP 6 (1983), 325, 328 berichtet: In Frankreich war von 1978 bis 1980 eine große Zahl von Peugeot 204 und 304–Pkws verkauft worden, deren Dieselmotoren nach ca. 50.000 km Laufleistung versagten. Nach einer Reparatur trat der Schaden nach weiteren 50.000 km wieder auf. Hier lag die Annahme eines Konstruktionsfehlers nahe. Die einzelnen Geschädigten hatten jedoch große Schwierigkeiten, ihre Ansprüche durchzusetzen, da Peugeot diesen Umstand jeweils bestritt und die Schadensursache immer erst wieder aufs Neue bewiesen werden musste, vgl. dazu auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 59 Fn. 155. 276 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 59. 277 Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess (1976), S. 17; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 58 ff. 278 Vgl. dazu Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 55; Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen durch die Europäischen Gemeinschaften (1987). 279 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 59 ff.; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 28; Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 77, 83; zum diffusen Charakter von Verbraucherinteressen vgl. auch Micklitz/Reich/Rott, Understanding EU Consumer Law (2009), S. 8; so schon Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Dritter Teil (4. Aufl., 1888), S. 335 zur römischrechtlichen Popularklage. 280 Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht (2006), S. 46; zum öffentlichen Interesse als Aspekt in diesem Zusammenhang Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 3; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre Funktionsäquivalente (2002), S. 10 ff.; Holzhüter, Die Class Action im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht (2004), S. 20. 281 Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäqui-
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
cc. Probleme Die von der Kommission angestrebte Gruppenklage weist hinsichtlich der Verbindung mehrerer Kläger in ein und demselben Prozess mit gleichem Begehren gegen einen Klagegegner eine gewisse Ähnlichkeit zu der im anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannten „class action“ auf, mit der alle Rechts- und Tatsachenfragen, die für eine Vielzahl von Geschädigten Bedeutung haben könnten, insgesamt und für alle einheitlich geklärt werden. Sowohl bei der Gruppenklage als auch bei der class action (als Form der Sammelklage) werden die Ansprüche der einzelnen Kläger quasi „en bloc“ gegen den Anspruchsgegner geltend gemacht.282 Streitgegenstand der class action ist die Beeinträchtigung sämtlicher Mitglieder der „class“. Hier ist der zu schützende Einzelne nicht mehr auf den vollen Nachweis seiner individuellen Betroffenheit angewiesen. Der potentiell klagewillige Betroffene muss bei einem solchen Klagmodell nur noch nachweisen, dass er über die Rechts- und Sachfragen (commonality of questions) und die Einheitlichkeit der Ansprüche (typicality) zu einer größeren Gruppe (numerosity) von Betroffenen (sog. „class“) gehört, um am Ergebnis der Klage partizipieren zu können,283 wobei die US-amerikanische class action regelmäßig als Optout-Modell konzipiert ist.284 Gruppen- bzw. Sammelklagen, das zeigt gerade die US-amerikanische class action,285 sind jedoch mit spezifischen Problemen behaftet,286 die dazu führen, dass in Deutschland die Zustellung von im class action-Verfahren errungenen Entscheidungen entweder nicht nach Art. 13 I des Haager Zustellungsüberein-
valente (2002), S. 4; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (3. Aufl., 2003), S. 83. 282 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 488 m.w.N. 283 Ebbing, ZVerglRWiss 103 (2004), 31 ff.; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 5; Hohl, Die USamerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 22 ff.; Hirte, FS Leser (1998), S. 335, 337; Witsch, JZ 1975, 277, 278; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions in den Vereinigten Staaten von Amerika (2008); Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (3. Aufl., 2003), S. 82. 284 Vgl. dazu Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 77; Witsch, JZ 1975, 277, 279. 285 Grundlegend dazu: Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 ff.; Greiner, Die Class Action im amerikanischen Recht und deutscher Ordre Public (1998); Heß, JZ 2000, 373 ff.; Hirte, FS Leser (1998), S. 335 ff.; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 29 ff., 53 ff.; Mann, NJW 1994, 1187 ff.; Mark, EuZW 1994, 238 ff.; Witsch, JZ 1975, 277 ff.; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions in den Vereinigten Staaten von Amerika (2008). 286 Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 53 ff.; 68 ff. Im US-amerikanischen Recht ist das auch ein Problem der class action, das dazu führen kann, dass Gerichte die Zulassung einer derartigen Klage – wenngleich nur bezogen auf den konkreten Einzelfall – als „unmanageable“ ablehnen können, vgl. dazu City of Philadelphia ./. American Oil Co., 53 R.R.D. 45, 72 ff. (D.N.J. 1971).
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kommens (HZÜ)287 zugestellt werden288 (weil der ersuchte Staat seine Hoheitsrechte gefährdet sieht) oder aber auf der späteren Stufe der Anerkennung und Exequatur keine Vollstreckbarkeitsklausel nach § 722 ZPO erteilt wird, weil die Anerkennung dem ordre public widerspricht,289 der in jedem Fall eine Beachtung des Anspruches auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) verlangt, was nach § 328 I Nr. 4 ZPO zu prüfen ist.290 Die Vorbehalte gegen die Anerkennung ausländischer Urteile, insbesondere gegen die Urteile aus class action-Verfahren US-amerikanischer Gerichte, die hierin zum Ausdruck kommen, bestimmen in weitem Umfang auch die Debatte um die Einführung einer europäischen Sammelklage. Sie hängen mit den Spezifika des Instruments und seiner prozessualen und institutionellen „Umgebung“ zusammen. Insofern wird geltend gemacht, dass diese nicht mit der europäischen Prozesskultur übereinstimmen, die auf Individualprozesse ausgelegt ist.291 Dass das nicht vollumfänglich stimmt, weil auch in den Prozessrechten der Mitgliedsstaaten kollektive Klageinstrumente bereits Eingang gefunden ha-
287 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen v. 15.11.1965 (BGBl. II 1977, S. 1453), zwischen Deutschland und den USA in Kraft seit 1979. 288 Vgl. dazu BVerfG NJW 2003, 2598 ff.; Zekoll, NJW 2003, 2885 ff.; siehe zum Ganzen auch die späteren Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG nach §§ 93a, b BVerfGG in BVerfG WM 2008, 2033 ff.; JZ 2007, 1046. Restriktiv zur Nichtzustellung jedoch BVerfG NJW 2007, 3709, 3710. In dem Judikat wird betont, dass ein Unternehmer, der grenzüberschreitend am US-amerikanischen Wirtschaftleben teilnimmt, grundsätzlich auch die Risiken ihn dort treffender Gerichtsentscheidungen, die sich in materieller und prozessualer Hinsicht vom deutschen Recht unterscheiden, zu tragen habe. Es stellt weiter fest, die Risiken, welche das US-amerikanische Rechtsinstitut der class action berge, habe der Beklagte so lange hinzunehmen, so lange ihm „unabdingbare Verteidigungsrechte“ erhalten bleiben. Dieser Gedanke findet sich auch in Art. 13 II HZÜ. I.Ü. betonte das Gericht, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit in der Regel eine im Rahmen der Urteilsanerkennung (d.h. nach §§ 328, 722 ZPO) zu stellende sei. Daraus wird deutlich, dass die Zustellung von class actions zwar im Einzelfall verwehrt werden darf, dass aber ausgesprochen hohe Anforderungen an die Versagungsgründe zu stellen sind und pauschale Bewertungen des ausländischen Rechtsinstituts sowie seiner prozessualen und institutionellen Umgebung keineswegs genügen, so zutreffend Koch/Zekoll, ZEuP 2010, 107, 109 f. 289 BGH NJW 1992, 3096, 3098; Mann, NJW 1994, 1187, 1188; Mark, EuZW 1994, 238, 241; Heß, JZ 2000, 373, 379. 290 Koch/Zekoll, ZEuP 2010, 107, 114 machen jedoch m.E. zutreffend geltend, dass für die Frage, ob das rechtliche Gehör im class action-Verfahren nicht gewährt wurde, zu differenzieren ist. So lässt sich durchaus vertreten, dass die Anforderungen des Art. 103 I GG im Verfahren der class action gewahrt werden, wenn die class members von dem Verfahren hinreichend Kenntnis hatten, ihnen das Recht zum Austritt gewährt wurde und das USGericht hinreichenden Schutz für aktiv nicht beteiligte class members geboten hat. Das ist – das räumen Koch/Zekoll, a.a.O. auch ein – aber nicht in jedem Fall gegeben. 291 Heß, JZ 2000, 373, 378 f.
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ben und sich i.Ü. auch das Prozessrecht weiterentwickeln können muss, darf in der Debatte aber nicht unerwähnt bleiben.292 Die Zurückhaltung gegenüber der class action in Europa hat aber vor allem darin seinen Grund, dass Initiatoren dieser Klage in den USA in aller Regel Anwälte sind,293 deren Honorar aus einem Anteil an der erstrittenen Urteilssumme zu bestreiten ist, so dass die Anwälte ein großes Interesse an der Kumulierung von Streitwerten haben. Diese Art der Honorierung bzw. Klagemotivation ist aber der europäischen Rechtsordnung fremd,294 nicht zuletzt auch, weil sie zu Missbräuchen Anlass geben kann. (1.) Organisations- und Verteilungsfragen Zu den Punkten, über die im Zusammenhang mit der von der Kommission295 vorgestellten 4. Grünbuchoption bei der Einführung von Sammel- bzw. Gruppenklagen nachgedacht werden muss, gehören u.a.: die Finanzierung des Verfahrens (denkbar aus Sicht der Kommission sind hier ein Verzicht auf Gerichtsgebühren oder eine Kappung der Prozesskosten, notwendig in jedem Fall ist die Finanzierung der Arbeit von Verbraucherorganisationen), die Frage, wie unbegründete Verfahren vermieden werden können (Zertifizierung repräsentativer Einrichtungen, Kostenlast für die unterlegene Partei, keine Bereitstellung öffentlicher Ressourcen für unbegründete Forderungen), die Klagebefugnis vor Gericht (für Verbraucherorganisationen und Ombudsleute bei Verbandsklagen), die Frage eines Opt-in- oder Opt-out-Verfahrens und die Verteilung des etwaigen Schadensersatzes.296 Die Kommission nimmt in ihrem Grünbuch nur kursorisch zu diesen Punkten Stellung, indem sie Denkanregungen gibt. Zu den Opt-out- und Opt-in-Fragestellungen, die sich bei allen kollektiven Rechtsdurchsetzungsverfahren mit Ausnahme der Verbands- und Musterklage ergeben, wird zutreffend das weitere Problem aufgeworfen, dass Opt-in-Systeme297 aufwendig und kostenintensiv für Verbraucherorganisationen sind, die die Verbraucherklagen als Gruppenklagen organisieren könnten, dies gerade im Hinblick auf die notwendigen vorbereitenden Maßnahmen (z.B. Ermittlung der Verbraucher und Zusammenstellung der Fakten jedes einzelnen Falles). Unter Umständen besteht zudem die Schwierigkeit, eine ausreichende Anzahl von Betroffenen zu finden, die bereit sind, sich an Fällen mit einem sehr geringen Streit292
Die Verbandsklagerichtlinie und deren Umsetzung im UKlaG, aber auch das Kap MuG sprechen da für Deutschland eine deutliche Sprache. 293 Cappelletti/Garth/Trockner, RabelsZ 46 (1982), 664, 680; Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 470; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 16, 95; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 492. 294 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 492. 295 KOM (2008), 794 endg., S. 15 Rn. 48 ff. 296 Zu diesen Problemen im Zusammenhang mit der class action Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 50 ff. 297 Bei derartigen Systemen müssen Betroffene ausdrücklich der Klage beitreten.
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wert zu beteiligen. Verbraucher neigen in solchen Fällen eher dazu, nicht tätig zu werden. Andererseits besteht bei diesen Verfahren kein Risiko, zu übermäßigen oder unbegründeten Forderungen zu ermutigen. Die alternativ im Zusammenhang mit Option 4 erwogene Opt-out-Lösung298 (die insofern Ähnlichkeiten zu einer US-amerikanischen Sammelklage hat) könnte die Probleme der aufwendigen Initiierung von Opt-in-Lösungen vermeiden. Allerdings werden dann, wenn die Nähe eines etwaigen von der EU initiierten Opt-out-Modells zur US-amerikanischen „class action“299 zu groß ist, wiederum andere Probleme virulent. So besteht die Gefahr, eine Prozessflut zu fördern, wie man sie gerade von den USA kennt. Es käme, wenn man das Organisieren derartiger Klagen in die Hände von Anwälten legte, zu einer „Industrie“ des Klagens,300 mit ggf. weit überzogenen Forderungen gegen die Unternehmen, von der (bei ergebnisorientierten Honoraren) vornehmlich Anwälte profitieren würden.301 Dies gilt es zu vermeiden.302 In jedem Fall verlagert sich das Problem des enormen Arbeits- und Organisationsaufwandes bei der Einlegung von Optin-Klagen bei Opt-out-Modellen zum einen auf die Ebene der Verteilung des im Prozess erstrittenen (Schadensersatz-)Betrages unter den Beteiligten und zum anderen auf die Ebene der Administration des Prozessausstiegs einzelner Betroffener.303 Hinsichtlich des erstgenannten Problems wäre – so jedenfalls die Kommission – zu erwägen, ob das Gericht bei einer Gemeinschaftsentscheidung für ein derartiges Modell nicht selbst auch den Schadensersatz verteilt.304
298 Dabei werden Betroffene automatisch zu Sammelklägern, es sei denn, sie erklären explizit, nicht eingeschlossen werden zu wollen. 299 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (3. Aufl., 2003), S. 81 ff.; Yeazell, From Medieval Group Litigation to the Modern Class Action (1987); Coffee, Class Wars: The Dilemma of the Mass Tort Class Actions, 95 Colum. L. Rev. (1995), 1343 ff.; Baetge/Eichholz, Die Class Action in den USA, in: Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß: Verbandsklage und Gruppenklage (1999), S. 287 ff.; Hirte, VersR 2000, 148 ff. 300 Problematisiert auch bei Coffee, Class Wars: The Dilemma of the Mass Tort Class Actions, 95 Colum. L. Rev. (1995), 1343 ff.; Hirte, VersR 2000, 148 ff.; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 95; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (3. Aufl., 2003), S. 81. 301 Auf der Web-Site www.sueeasy.com können sich potentielle Kläger in den USA etwa mit einem Mausklick als sammelklagewillig registrieren lassen. 650 potentielle Sammelklagen verzeichnet die Web-Site aktuell. Die Anwälte, die derartige Klagen organisieren, verdienen regelmäßig 1/3 in Höhe des erstrittenen Betrages als Erfolgshonorar. Experten schätzen, dass sich das Volumen der erkämpften Schadensersatzansprüche jährlich auf 250 Milliarden Dollar beläuft, das entspricht 2 % des Bruttoinlandsprodukts, vgl. zu diesen Zahlen auch Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 15; Rossmann/Edelman, Consumer Class Actions: A Practical Litigation Guide (2002). 302 KOM (2008), 794 endg., S. 15 Rn. 52. 303 Zum Problem der Verteilung des Schadensersatzes unter den Geschädigten vgl. Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 81 ff. 304 KOM (2008), 794 endg., S. 16 Rn. 57.
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Bei einem Opt-in-Szenario, bei dem der Zusammenschluss einer spezifischen Zahl von Klägern zu organisieren ist, weil ein aktiver Beitritt notwendig ist, um an dem Erfolg der Klage zu partizipieren, bedarf es eines Modells, bei dem eine Institution als Organisator fungiert, der finanziell, sachlich und personell so auszustatten ist, dass seine (potentielle) Inanspruchnahme durch Verbraucher tatsächlich sicher gestellt ist. Das Gleiche gilt im Prinzip für ein Opt-out-Szenario, wenngleich das Problem hier in der Organisation des möglichen Austritts von Betroffenen liegt und in der unspezifischen Zahl von „Klägern“, an die am Ende des Prozesses der erstrittene (Schadensersatz-)Betrag zu verteilen ist. 305 Beiden Klagorganisationsformen ist überdies ein systembedingtes Problem gemein, das mit jeder class action bzw. Gruppenklage einhergeht. Zu klären ist nämlich, wann ein Betroffener zur class bzw. Gruppe gehört und wann nicht. Um zu einer „Abschichtung“ der potentiellen Kläger zu gelangen, bedarf es zunächst der Festlegung der Zuordnungskriterien zur Gruppe und eines Verfahrens, mit dem sie überprüft werden können.306 Dazu kann die Einrichtung eines besonderen, vor der eigentlichen Klageerhebung liegenden Autorisierungsverfahrens vorgesehen werden. In Betracht kommt aber auch, dass das Gericht die Kontrollbefugnisse im durch die Sammelklage eingeleiteten Verfahren selbst ausübt. Dieser zweite Weg ist mit Ausnahme von Québec in allen Rechtsordnungen gewählt worden, welche die class action kennen.307 Die Gemeinschaft ist hier freilich frei, auch andere praktikable und genügend Rechtssicherheit bietende Wege zu gehen.308 (2.) Gerichtszuständigkeit und anzuwendendes Recht in grenzüberschreitenden Fällen Da die Option 4 des Grünbuchs auf die gerichtliche Klärung von kollektiven Rechtsstreitigkeiten von Verbrauchern hinausläuft, müssen insofern auch Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit309 und des anzuwendenden materiellen Rechts geklärt werden, die gerade in grenzüberschreitenden Fällen virulent werden. Hinsichtlich der Zuständigkeit des Gerichts wäre insofern auf die Verordnung (EG) 305 Zu diesem Problem vgl. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (3. Aufl., 2003), S. 83. 306 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 492. 307 Dazu Mazen, Rev. Int. Dr. Comp 1987, 373, 401 mit Nachweisen über die Rechtslage in verschiedenen Einzelstaaten der USA und Canadas sowie in England. 308 Die Regelung der Entscheidungsbefugnis des Gerichtes oder eines anderen Gremiums ist eine der Schwächen der Gruppenklage. Denn es besteht immer die Gefahr, zu weite Spielräume zu eröffnen und bei den oft flächendeckend wirkenden Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen zu einer divergierenden Zulassungspraxis unter den Gerichten zu kommen, die als „Forum“ in Betracht kommen. So gesehen muss auch die Gefahr des „forum shopping“ ausgeschlossen werden, was eine Gerichtsstandsregelung notwendig macht; vgl. dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 493. 309 Zu Gerichtsstandsfragen im Zusammenhang mit der class action vgl. Hohl, Die USamerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 19.
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Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 (Brüssel-I-VO)310 abzustellen. Für das anzuwendende materielle Recht ist Folgendes zu beachten: Bei der Verhandlung von Massenfällen, bei denen die Verbraucher aus verschiedenen Mitgliedstaaten kommen, müsste das Gericht auf vertragliche Schuldverhältnisse die jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften der einzelnen Verbraucher anwenden (Art. 6 der Rom-I-Verordnung311). Dies würde in Fällen, an denen Verbraucher aus vielen verschiedenen Ländern beteiligt sind, zu praktischen Problemen führen. Eine Lösung wäre die Änderung der Vorschriften dahingehend, dass für kollektive Verbraucherklagen das Recht des (beklagten) Gewerbetreibenden verbindlich wird. Weitere Optionen312 sind die Anwendung des Rechts des am stärksten betroffenen Markts313 oder des Mitgliedstaats, in dem die repräsentative Einrichtung ihren Sitz hat.314 Nur nebenbei sei hier darauf hingewiesen, dass die Kommission in einem neuen Grünbuch vom 1.7.2010315 eine Vereinheitlichung des grenzüberschreitenden B2C-Rechts (in einer Rechtsverordnung) plant, wobei hier die Frage des Verbraucherschutzlevels des Instruments besonders schwer wiegt und zu diskutieren ist.316 (3.) Bindungswirkung und rechtliches Gehör Unabhängig von den organisatorischen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der notwendigen sachlichen, finanziellen und personellen Ausstattung317 der mit der Klageorganisation betrauten Organisation/Person liegt der Vorteil eines Optin-Szenarios, bei dem sich der Betroffene aktiv der Gruppenklage anschließen muss, eindeutig darin, das bei einem Opt-out-Modell virulent werdende Problem der Rechtskrafterstreckung des Urteils auf Abwesende318 auszuschließen. Wenn 310
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl.EG Nr. L 12/1 v. 16.1.2001). 311 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. EG Nr. L 177/6 v. 4.7.2008). 312 Zu den angedachten Optionen hinsichtlich des anzuwendenden materiellen Rechts vgl. KOM (2008), 794 endg., S. 17 Rn. 59. 313 Vgl. etwa Art. 6 der Rom II-VO, die eine Marktortregel enthält, aber gerade keine Lösung für den Fall anbietet, dass mehrere Märkte betroffen sind. 314 In ähnlichen Situationen im Bereich der Produkthaftung (Art. 5 der Rom-II-Verordnung) sieht die Kommission (KOM (2008), 794 endg., S. 17 Rn. 60) eine freie Rechtswahl nach Eintritt des Schadensereignisses (Art. 14 I a der Rom-II-Verordnung) als hilfreich an. 315 KOM (2010), 348/3 vom 1.7.2010. 316 Dazu Tamm, GPR 2010, 525 ff. 317 Soll das Verfahren schlagkräftig sein und nicht leer laufen, müssen die materiellen Anspruchspositionen der Verbände durch eine entsprechende personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung unterfüttert werden, vgl. dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 75; Palandt/Bassenge (68. Aufl., 2009), § 3 UKlaG Rn. 8. 318 Baetge/Eichholtz, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß: Verbandsklage und Gruppenklage (1999), S. 299; Hohl, Die
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das nicht der Fall wäre, bestünde die Gefahr, dass dem (nur) abstrakt mit einbezogenen Kläger, der vielleicht gar nichts von der Klage weiß (und insofern auch nicht „aussteigen“ kann), das rechtliche Gehör versagt würde. Dem stehen verfassungsrechtliche Schranken entgegen, vgl. insoweit Art. 103 I GG.319 Aus diesem Umstand resultierten bereits früher schon schwerwiegende Bedenken gegen eine „deutsche class action“.320 Diese würden jedoch nach der derzeitigen Anlage der Verbrauchergruppenklage ausscheiden, weil der bzw. die Betroffenen der Klage aktiv beitreten muss/müssen und damit die Klage nur diejenigen betreiben, die auch von ihr betroffen sein werden. Wäre allerdings ein Opt-out-Modell geplant, müsste erwogen werden, die Information über die Klage, die über die Massenmedien verbreitet wird, als Option zur aktiven Einbringung und damit zur Verschaffung rechtlichen Gehörs ausreichen zu lassen.321 Das gilt zumindest dann, wenn man die Möglichkeit der Gruppenklage über ein Opt-out-Verfahren nicht ganz verwehren möchte, etwa weil der aktive Klagebeitritt in einem Opt-in-Modell zu große administrative Probleme hervorruft. (4.) Bemessung des Schadensersatzes und seine Verteilung Probleme bei einer Sammelklage ergeben sich ferner bzgl. der Bemessung des Schadensersatzes. Denn gerade in den Fällen einer massenhaften Schädigung kann das genaue Ausmaß des Schadens sowohl für den einzelnen Geschädigten als auch für die Gesamtheit fast nie korrekt ermittelt werden; es sei denn, die Klage ist als Opt-in-Modell ausgestaltet und die einzelnen Schadensposten der Kläger lassen sich problemlos addieren. Ist das nicht der Fall, muss sich das Gericht an einem Druchschnittsschaden orientieren.322 Er wird hier die Zahl der insgesamt Betroffenen oft nur schätzen können. Deshalb wird gefordert, dass jedenfalls in einem Opt-out-Modell die Zulassung einer Sammelklage, die auf Schadensersatz gerichtet ist, von besonderen Regeln der Schadensberechnung begleitet wird.323 Auch die Verteilung des erstrittenen Betrages muss organisiert werden, was bei Massenschäden nicht einfach ist,324 insbesondere dann, wenn die genaue Anzahl der Geschädigten (wie bei einem Opt-out-Modell üblich) nicht vollständig US-amerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 79; Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 53. 319 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 493. 320 Vgl. dazu Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 470; Schricker, ZHR 139 (1975), 208, 246; Witsch, JZ 1975, 277, 279; differenzierend Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1979), S. 93 f.; das Problem referierend Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 493. 321 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 494. 322 Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 80. 323 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 494 mit Hinweis auf Methoden der abstrakten Schadensberechnung etwa in Bezug auf die GEMA-Rechtsprechung. 324 Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 470; Schricker, ZHR 139 (1975), 208, 246.
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ermittelt werden kann. Die Möglichkeit, dem Klagebetreiber den nicht abgeforderten/austeilbaren Restbetrag quasi als Erfolgsprämie zu belassen, erscheint wegen der Fremdheit des Gedankens des Erfolgshonorars (dem deutschen Prozessrechtler) fernliegend. Auch hier bietet das Opt-in-Modell Vorteile bzgl. der Transparenz der Beteiligten, welches durch den notwendigen aktiven Klagebeitritt und der Mitteilung ihres Schadens eine einfache Zuordnung des erstrittenen Betrages zulässt. (5.) Notwendige Vermeidung einer „Klageindustrie“ à la class action Ein weiterer als „Übernahmeproblem“ für die „class action“ bezeichneter Umstand betrifft die Bedeutung und Stellung des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem und sein Gebühreninteresse,325 das sich mit dem anwaltlichen Standesrecht, wie wir es kennen, nicht verträgt,326 weil Erfolgshonorare auch nach einer diesbezüglichen Änderung des RVG nur eingeschränkt in Deutschland zugelassen sind.327 In Politik328 und Wirtschaft329 wird diese Problematik330 besonders hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass das System der „class action“ in den USA eine regelrechte Klagemaschinerie in Gang gesetzt hat. Die eigenwirtschaftlichen Anreize für Rechtsanwälte haben in den USA zu einer hohen Missbrauchsanfälligkeit des amerikanischen Rechtssystems geführt.331 Sofern es daher um die Konstituierung einer „europäischen Gruppenklage“ geht, bedarf es der Entwicklung eines Instruments, das prozessökonomisch für Verbraucher ist, ohne zu große Anreize für Missbräuche zu geben. Die EU-Kommission, die das Missbrauchsproblem sehr wohl sieht, will bzw. kann ihm (wohl nur) dadurch entgegentreten, dass es die Organisation von derartigen Klagen nicht Anwälten überlässt, sondern sie in die Hände altruistisch handelnder Verbraucherschutzorganisationen legt, die etwa gegenwärtig bereits nach der Unterlassungsklagerichtlinie tätig werden können.
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Siehe dazu Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel (2008), S. 51 ff. Vgl. dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 492; Hirte, FS Leser (1998), S. 335, 339. 327 Siehe dazu den Beschluss des BVerfG v. 12.12.2006 (1 BvR 2576/04) und danach die neuen §§ 4, 4a RVG. 328 Vgl. die Stellungnahme von B. Zypries: „Wir sind in Deutschland bereits heute gut aufgestellt […] es ist bereits ein abgestuftes und gut austariertes System der kollektiven Rechtsdurchsetzung vorhanden“, Pressemittelung v. 15.11.2008, abrufbar unter http:// www. bmj.bund.de. 329 Siehe dazu die BDI-Pressemittelung v. 25.11.2008 gegen kollektive Verbraucherklagen, abrufbar unter www.de.news.yahoo.com/1620081125/tbs-bdi. 330 So Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse (1975), S. 84 ff.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 492; Hirte, FS Leser (1998), S. 335, 345 ff. 331 Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 25, 206 ff. 326
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(6.) Effekt: Wandelung des Schadensrechts Können auch die eigenwirtschaftlichen Motive bei der Organisation von Gruppenklagen, die durch Verbraucherverbände organisiert werden, bestenfalls so gering gehalten werden, dass keine „Klageindustrie“ à la class action befördert wird, weil nicht Anwälte, sondern die Verbraucher von etwaigen Schadensersatzklagen profitieren, wird eine derartige Zusammenfassung von Schadensersatzinteressen – diese Einschätzung fehlt leider in der Stellungnahme der Kommission – auch dazu führen, dass sich die Funktion des Schadensersatzrechtes wandelt und das Prozessrecht damit in einem noch nicht absehbaren Ausmaß auf das materielle Recht zurückwirkt. Werden nämlich dem Schädiger die Nachteile Dritter bzw. die Kosten seines Fehlverhaltens in voller Höhe auch bei verstreuten Kleinstschäden auferlegt, wird das „rationale Desinteresse“332 des Geschädigten an der Nichteinhaltung von Pflichten schwinden. Damit steigt unweigerlich die Präventions- und Erziehungswirkung des Schadensrechtes,333 sodass ihm nicht mehr nur eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zukommt. (7.) Die noch nicht ganz geklärte Kompetenzfrage der Gemeinschaft Es ist derzeit noch nicht ganz geklärt, auf welche Rechtsgrundlage die Gemeinschaft bei der erstrebten Einführung eines einheitlichen europäischen Sammelklageinstruments rekurrieren kann. Eine erste Möglichkeit der legitimatorischen Absicherung konnte der Art. 65 EGV bieten, der nach dem Reformvertrag von Lissabon seine Entsprechung in Art. 81 AEUV gefunden hat. Diese Regelung ermächtigt die Gemeinschaft zu Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, soweit diese für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sind. Allerdings geht die Regelung davon aus, dass dies primär einen grenzüberschreitenden Bezug erfordert. Danach wäre es notwendig, dass sich entweder die Kläger oder die Kläger und der/die Beklagte(n) in unterschiedlichen Mitgliedstaaten aufhalten. Ein solch enger Anwendungsbereich des Sammelklageinstruments kann jedoch die Binnenmarktharmonisierung nicht herbeiführen, da dann nur neben den bereits bestehenden unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Klageformen noch ein weiteres Instrument (quasi ein „europäisches“, sachlich eng begrenztes) hinzutreten würde. Wenn man Art. 81 AEUV (früher Art. 65 EGV) wirklich so eng auslegen wollte, müsste man auf die in Art. 169, 114 AEUV (vordem Art. 153, 95 EGV) gewährten Kompetenzen zur Entwicklung des Verbraucherschutzes in der Gemeinschaft im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung aus332 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (3. Aufl., 2000), S. 317; Schäfer, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß: Verbandsklage und Gruppenklage (1999), S. 67, 69; Eichholtz, Die USamerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002), S. 11. 333 Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente im deutschen Recht (2002), S. 28.
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weichen und die zivilprozessuale Kompetenz darauf stützen, dass diese als Annex im Rahmen ihrer „dienenden Funktion“ an die Art. 169, 114 AEUV ungeschrieben „angeleint sind“, weil sonst das materielle Verbraucherrecht mangels genügender Durchsetzungsstärke weitgehend leer liefe.334 (8.) Ideologischer Ausgangspunkt des Streits Die Auseinandersetzung bezüglich der Etablierung kollektiver Verfahrensformen (wie der Sammelklage)335 ist – so lässt sich resümieren – gerade im deutschen Verbraucherrecht seit einiger Zeit durch eine „unheilvolle Allianz unterschiedlicher Gegner“336 geprägt. So lehnt ein gewisser Teil der der Förderung der Verbraucherinteressen positiv gegenüberstehenden Vereine und Organisationen eine Verstärkung privater Kontroll- und Klagebefugnisse ab und fordert stattdessen schon seit langem eine sehr viel eingreifendere und stärker regulierende Rolle staatlicher Behörden.337 Dagegen rührt die Skepsis anderer eher aus dem liberalen Verständnis des Zivilprozessrechts, dessen individualistische Position nicht preisgegeben werden sollte.338 Daneben tritt die Angst anderer, etwa die der deutschen Industrie,339 dass es bei Einführung einer Verbrauchersammelklage zu einer nicht mehr eindämmbaren, überzogenen Prozesslawine US-amerikanischen Ausmaßes kommt. Die vorgebrachten Bedenken gegen kollektivverfahrensrechtliche Elemente greifen jedoch nicht durch,340 aus welcher Richtung auch immer sie vorgetragen werden. Denn die Einräumung „überindividueller“ Klagebefugnisse hindert zum einen nicht daran, parallel auch Behörden stärker regulierend als bis334 In diese Richtung tendierend auch Koch/Zekoll, ZEuP 2010, 107, 123 f.; ebenso Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 Rn. 28, 35. Rabe, ZEuP 2010, 1, 6 weist zutreffend darauf hin, dass nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages auch Art. 81 II e als Rechtsgrundlage bemüht werden könnte, der (bei potentiell grenzüberschreitenden Zusammenhängen) Maßnahmen zur Angleichungen der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zulässt, die einen effektiven Zugang zum Recht sicherstellen sollen. Der Maßstab dafür ist, so der Autor zutreffend, sehr weit gefasst. 335 Mahlich, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 17 ff.; Wulfetange, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 63 ff. 336 Zum Befund Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 48. 337 Vgl. dazu etwa Hofherr, Staatliche Organe als Beteiligte der Zivilgerichtsbarkeit (1980). 338 Bettermann, ZZP 85 (1972), 133 ff.; Calliess, NJW 2003, 97, 100; kritisch auch Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 14. 339 BDI Pressemittelung v. 25.11.2008: BDI gegen kollektive Verbraucherklagen, abrufbar unter http://www.de.news.yahoo.com1620081125/tbs-bdi; vgl. zum Befund auch Wulfetange, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 63 ff.; Schöffling, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 71 ff. 340 So auch schon Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 11.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
her bzgl. der Einhaltung von Rechtsstandards auf den Plan zu rufen. Beide Kontrollmechanismen schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Dies gilt auch für das Verhältnis von außergerichtlicher Streitbeilegung zum (kollektiven) Verbraucherprozess. Den Anhängern der individualistischen, liberalen Prozesstheorie ist entgegenzuhalten, dass das US-amerikanische Prozessrecht sicher nicht im Verdacht der Sozialisierung oder Verstaatlichung privater Rechtspositionen steht, und doch – oder gerade deshalb – lässt es in weit großzügigerem Maße als dies bislang in der EU der Fall war die kollektive private Klageinitiative im Dienste wirtschafts- und sozialpolitischer Interessen zu.341 Selbst dort, wo Vermögensinteressen geltend gemacht werden, bleibt es durch das Opt-out- bzw. Opt-in-Modell bei der Möglichkeit individueller Dispositionen der einzelnen Rechtsinhaber. Solange dies aber gewährleistet ist, können auch vor dem Hintergrund eines liberalen Prozessverständnisses keine durchgreifenden Einwände gegen kollektive Verfahrensformen geltend gemacht werden.342 Selbst der derzeit scharf geübten Kritik aus der deutschen Wirtschaft an dem US-amerikanischen Modell der class action muss entgegengehalten werden, dass es nicht das größte Problem ist, dass es solch ein Institut überhaupt gibt, sondern dass die von ihr jetzt schon betroffenen, im internationalen Handel aktiven deutschen Unternehmen und ihre deutschen Rechtsberater von dieser Verfahrensart schlicht überfordert sind, weil sie sich damit nicht auskennen.343 Dadurch werden bei class action-Verfahren in den USA oft schon bei Verfahrensbeginn entscheidende Fehler gemacht, die später kaum noch korrigierbar sind. 344 dd. Schlussbetrachtung Zusammenfassend lässt sich herausstellen, dass die Zielsetzung der EU-Kommission, die aus dem Grünbuch vom 27.11.2008 über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher hervorgeht, eindeutig ist. Sie spiegelt sich in der 4. Option wider,345 die gerichtliche Kollektivverfahren wie Verbands-, Gruppenund Musterklagen zur Diskussion stellt, um den kollektiven Rechtsschutz für Konsumenten zu verbessern und damit eine Gleichschaltung von materiellem Recht und verfahrensrechtlicher Ebene zu erreichen, sodass Verbraucherschutz umfassend und effektiv gewährleistet wird. Diese Zielsetzung ist auch angesichts 341 Allgemein dazu schon Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsreformen (1972); Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 21 ff. 342 So zutreffend Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 49; früher schon Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung (1988), S. 11. 343 Mahlich, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 17, 21. 344 Ebenda. 345 Ebenda.
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der von der Kommission herangezogenen Studie346 bzgl. der Hemmnisse zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen zu begrüßen. Denn vor diesem rechtstatsächlichen Hintergrund drängt sich zweifellos Handlungsbedarf auf. Sollen zu ergreifende Maßnahmen nicht Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU hervorrufen, ist es auch richtig, dass die Gemeinschaft selbst aktiv wird, um rechtlich angenäherte Standards zu schaffen. Kompetenzrechtliche Schranken der Gemeinschaft, hier regelnd aktiv zu werden, so wie jüngst vom Bundesrat kritisch hervorgehoben,347 gibt es m.E. nicht. Denn auf Grund von Art. 81 AEUV (früher Art. 65 EGV) kann die Gemeinschaft „Maßnahmen zur Beseitigung von Hindernissen für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren“ einschließlich der Harmonisierung der nationalen zivilprozessualen Vorschriften ergreifen, wenn und soweit dies für die Binnenmarktharmonisierung (die über Art. 169, 114 AEUV auch das Ziel des Verbraucherschutzes einschließt) erforderlich ist. Ziel der Aufnahme dieser Regelung in den AEUV/vordem: EGV war es, die (nationalen) gerichtlichen Verfahren transparenter zu gestalten, die Prozesskosten und das Prozessrisiko zu vermindern und die Effizienz der Verfahrenstechniken zu verbessern.348 Gedacht war und ist vor allem an die Harmonisierung der Klageerhebung.349 Dabei wäre es sinnwidrig, nur in grenzüberschreitenden Sachverhalten ein Harmonisierungs- und Interventionsbedürfnis der Gemeinschaft (in Verbrauchersachen) anzuerkennen. Denn damit würden die Hemmnisse für Konsumenten zur Geltendmachung ihrer Interessen nur partiell beseitigt. Auch würden die nationalen Unterschiede nicht abgebaut, es würde – was zu größerer Intransparenz führte – nur noch eine (weitere), nämlich eine EU-Regelung, die allerdings nur bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten zur Anwendung käme, hinzutreten. Dies kann nicht Sinn und Zweck der Harmonisierungskompetenz des Art. 81 AEUV sein, da damit die Binnenmarktzielsetzung und auch der Schutzzweck der Art. 169, 114 AEUV offensichtlich verfehlt würden. Die einzelnen kompetenzrechtlichen Normen – darauf ist in diesem Zusammenhang besonders hinzuweisen – sind in ihrem Gesamtzusammenhang zu interpretieren, woraus sich auch die Notwendigkeit der Herstellung eines Gleichklanges von materiellem und prozessualem Verbraucherrecht zwingend ergibt.350 346 Studie über die Probleme von Verbrauchern beim Einlegen von Rechtsbehelfen bei Verstößen gegen das Verbraucherrecht sowie über die wirtschaftlichen Folgen solcher Probleme (Problemstudie), S. 42, http://ec.europa.eu/consumer/redress_cons/collective_re dress_en.htm. 347 Am 13.2.2009 hat der Bundesrat in einer Presseerklärung zu den Grünbuchplänen die Zuständigkeit der EU-Kommission für die geplante Stärkung des zivilprozessualen Verbraucherschutzes pauschal angezweifelt, vgl. BR-Drucks. 951/08 (Beschluss). 348 Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2. Aufl., 2002), Art. 65 Rn. 9. 349 Siehe den „Wiener Aktionsplan“, ABl.EG 1999 Nr. C 19/10 f., Rn. 41 lit. d). 350 So auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 1 f.: „Denn eine europaweite Vereinheitlichung des materiellen Rechts muss eine europaweit gleichmäßige Anwen-
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Aus der Gesamtbetrachtung der einschlägigen Regelungen folgt ferner, dass, sofern die Gemeinschaft mit ihrer Ambition zur Einführung von Gruppenklagen nicht vereinzelt schon vorhandene hohe mitgliedstaatliche Verbraucherschutzstandards auf prozessualer Ebene derogiert, die Intention der Gemeinschaft grundsätzlich zu begrüßen ist. Denn sie entspricht dem Postulat der Art. 169, 114, 12 AEUV, bei der Binnenmarktherstellung ein „hohes Verbraucherschutzniveau“ zu gewährleisten. Deutlich hinzuweisen ist darauf, dass die Kommission derzeit nicht erwägt, die außergerichtliche Streitbeilegung oder andere vorhandene (ggf. auch kollektive) Klageformen zurückzudrängen. Sie möchte ihnen nur ein effizientes, weiteres Standbein für alle Verbraucherangelegenheiten an die Seite stellen. Wie die von der Kommission zur Diskussion gestellte Einführung einer europäischen Gruppenklage konkret zu konzeptionieren ist, hat sie in ihrem Grünbuch351 allerdings noch offen gelassen und hierum werden sich die Expertendiskussionen ranken müssen. Hinsichtlich der Problematik der Bindungswirkung und des notwendig zu gewährenden rechtlichen Gehörs wäre wohl ein Opt-in-Modell zu bevorzugen. Dies hat etwa der DAV352 für den Fall, dass die Pläne insgesamt nicht abgewehrt werden können, richtig hervorgehoben. Unabhängig von den prozessrechtlichen Ausgestaltungsfragen, die mit jeder Popularklage verbunden sind, ist überdies zu gegenwärtigen, dass eine derartige Klage bzgl. des Anspruchsziels „Schadensersatz“ nicht nur im Prozessrecht ein Novum darstellen würde.353 Ihre Befürworter müssen sich auch über ihre materiell-rechtlichen Auswirkungen im Klaren sein, nämlich die, dass eine solche Kumulation von Ansprüchen eine Funktionserweiterung des deutschen Schadensrechts herbeiführen wird. Die US-amerikanische Erfahrung hat gezeigt, dass class actions dort häufiger weniger dem Schadensausgleich als vielmehr der wirkungsvollen Sanktion und Prävention dienen,354 zumal wenn die Individualschäden so gering sind, dass eine Verteilung an die tatsächlich Geschädigten mehr Umstände hinsichtlich des Aufwandes bereitet als sie diesen an Wertersatz bringt. Auswirkungen wird eine Gruppenklage in grenzüberschreitenden Fällen aber auch auf das zu klärende Problem des anzuwendenden Rechts und des Gerichtsortes bei Massenschäden haben.
dung nach sich ziehen, und dies setzt eine Harmonisierung des Verfahrens voraus“; ebenso Wagner, ZEuP 2001, 441, 447 ff. 351 KOM (2008), 794 endg., S. 15 Rn. 48 ff. 352 Stellungnahme des DAV Nr. 14/2009 v. Februar 2009, S. 6. 353 Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß (1976), S. 97. 354 Schwarz, in: Umbach/Dettling (Hrsg.), Vom individuellen zum kollektiven Verbraucherschutz (2005), S. 1, 3.
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5. Kompensatorische Prozessleitung Der Befund der rollensoziologischen Unterlegenheit des Verbrauchers im Prozess gegen den Unternehmer, dem mit kollektiven Klageinstrumenten (dazu oben) de lege lata und de lege ferenda begegnet werden soll, führt aus einem anderen, d.h. aus dem individualprozessualen Blickwinkel, fast zwangsläufig zu der Frage der Möglichkeit einer „kompensatorischen Prozessleitung“.355 Die Idee bzw. Forderung nach einer „ausgleichenden Prozessführung“ durch den Richter steht – was für ihre Bewertung von ausschlaggebender Bedeutung ist – in einem Spannungsverhältnis zum Gebot der richterlichen Neutralität (vgl. § 42 II ZPO)356 und dem Postulat der Gleichbehandlung der Parteien im Prozess.357 Das sind Wertungskriterien, die seitens des Richters eher gegen eine solche Funktionswahrnehmung sprechen.358 Die Frage nach der Möglichkeit einer kompensatorischen Prozessführung ist gleichwohl nicht neu. Sie stellt sich nur in Bezug auf das strukturell bedingte Durchsetzungsdefizit von Verbraucheransprüchen massiver als sonst. Hier hinein spielt auch ein sehr grundsätzlicher Streit um die Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien bzw. deren Vertreter, die herkömmlicherweise über den Grundsatz der Beibringung und die Verhandlungsmaxime definiert werden.359 Allerdings wird insbesondere die Verhandlungsmaxime derzeit so verstanden, dass die Aufgabenverteilung im Prozess ein Komplementärverhältnis darstellt, in dem sich zum einen die primäre Parteiverantwortung und zum anderen eine ergänzende Steuerungspflicht durch den Richter offenbahrt.360 Dahinter steht das Bestreben, die den Zivilprozess bestimmenden Gesichtspunkte 355
Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime im Zivilprozeß und in den übrigen Verfahrensarten: Zur Modifikation des Verfahrensrechts durch das Sozialstaatspostulat (1981), S. 165; Gessner, Recht und Konflikt (1976), S. 193; Röhl, Rechtstheorie 8 (1977), 93, 117; E. Schmidt, JZ 1980, 153, 155; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 129, 437 f.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 50 ff. 356 Dazu siehe BVerfGE 42, 78 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 429; Henke, JZ 2005, 1035 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 2 357 Kwaschik, Die Parteivernehmung und der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess (2004), S. 188 ff. 358 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 50. 359 Vgl. dazu etwa Weyers, FS Esser (1975), S. 193 ff.; Peters, Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen im Zivilprozeß (1983); Bottke, Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat (1991); Heilmann/Schlichtung, Verfahrensgestaltung im Zivilprozeß (1984); Koch, Die richterliche Förderungspflicht nach dem ZPO-Reformgesetz (2003); Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht (1999); Sticken, Die „neue“ materielle Prozessleitung (§ 139 ZPO) und die Unparteilichkeit des Richters (2004). Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist insbesondere die Arbeit von Bettermann (ZZP 91 [1978], 365, 385 ff.), der von einer „Kooperationsmaxime“ spricht. 360 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 425 ff.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 52.
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(Gerechtigkeitsstreben, Parteienherrschaft und richterliche Unabhängigkeit) in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.361 Die damit eingebundene Pflicht des Richters zur „materiellen Prozessleitung“362 findet ihren gesetzlichen Niederschlag in § 139 ZPO. An § 139 ZPO lässt sich sehr deutlich die Entwicklung der inhaltlichen Steuerung des am materiellen Recht orientierten Prozesses durch den Richter beschreiben:363 Die Vorschrift enthielt zunächst nur eine richterliche Fragepflicht, nahm dann in Absatz 2 eine Hinweispflicht auf und regelt laut der heutigen amtlichen Überschrift ganz allgemein die „materielle Prozessleitung“. Bereits die Hinweispflicht nach § 139 II ZPO geht nach überwiegendem Verständnis weit über eine Erhellung unklaren Parteivortrags und das, was im Zusammenhang mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör verfassungsrechtlich geboten ist, hinaus.364 Nach der neuesten Reform der Norm wird dem Richter aufgegeben, frühzeitig seine Meinung zu äußern, damit sich die Parteien mit ihrem Sach- und Rechtsvortrag hierauf einstellen können. Dies soll dazu führen, dass der gesamte Prozessstoff schneller auf die entscheidungserheblichen Fragen beschränkt werden kann. Nach den Veränderungen, die die Regelung durchlaufen hat, wird § 139 ZPO heute insgesamt so interpretiert, dass das Gericht verpflichtet ist, den Parteien einen gangbaren Weg zu dem von ihnen erkennbar angestrebten Rechtsschutzziel aufzuzeigen.365 Die Regelung dient unter grundsätzlicher Beachtung der Parteihoheit über den Prozess letztlich der weitestgehenden Verwirklichung des materiellen Rechts.366 Danach hat das Gericht die Pflicht, den Prozess in jeder Verfahrenslage im Rahmen des ihm Erlaubten und Zumutbaren nach Kräften bis zur Entscheidungsreife zu fördern.367 Hierzu gehört u.a. die Aufgabe, das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien zu erörtern und Fragen zu stellen (vgl. § 139 I 1 ZPO) und auf die rechtzeitige und sachdienliche Stellung von Anträgen hinzuwirken (§ 139 I 2 ZPO). Die Mitwirkungspflicht besteht parteiunabhängig, d.h. allgemein. In der Literatur wird rechtspolitisch teilweise eine Verstärkung des Fragerechtes in Verbraucherprozessen gefordert. So schlägt etwa Bahnsen vor, einen neuen § 139 I 3 ZPO zu schaffen, wonach der Richter insbesondere in denjenigen Prozessen Fragen zur tatsächlichen Situation stellen soll, in denen der 361
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 3. Regelungen zur formellen Prozessleitung finden sich in §§ 136, 141 ff., 273 ff. ZPO. 363 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), S. 110. 364 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365, 389 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 427. 365 BVerfGE 52, 131, 153; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 300; Peters, Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen im Zivilprozeß (1983), S. 127 ff.; Schmidt, FS Schneider (1997), S. 193 ff. 366 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 2. 367 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 8 f. 362
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Streitgegenstand Verbraucherrecht betrifft.368 M.E. läuft diese Forderung lediglich auf eine Klarstellung der ohnehin bestehenden Pflicht und nicht auf eine Pflichtenerweiterung hinaus. Sie ist in diesem Sinne durchaus erwägenswert. Dadurch, dass das Gericht über § 139 ZPO aber auch die Obliegenheit trifft, durch Hinweise an die Parteien und hilfsweise auch durch eigene Initiativen eventuelle prozessuale Benachteiligungen auszugleichen, werden ohnehin vor allem prozessunerfahrene Verbraucher Begünstigte des so geleiteten Prozesses sein.369 Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen Verbraucher den tatsächlichen (in ihrer Person rollensoziologisch angelegten) Prozessnachteil nicht dadurch aufwiegen (können), dass sie im Prozess anwaltlich vertreten werden. 370 Gerade in diesen Konstellationen wird auch von der Notwendigkeit einer noch verstärkten kompensatorischen Prozessführung gesprochen371 und § 139 ZPO durchaus auch dafür nutzbar gemacht. Daneben finden sich in der Literatur Anregungen, § 139 ZPO stärker als es sonst unter dem Regime des Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatzes372 möglich ist, für eine kompensatorische Prozessleitung gerade dann zu instrumentalisieren, wenn der Konflikt „überindividuell“ ausgelegt ist und es um die Verwirklichung objektiver Verbraucherziele geht. Das ist der Fall, wenn ein Verbands- oder Musterprozess geführt wird. Denn hier steht die Gestaltung und Durchsetzung objektiven Rechts im Vordergrund, da der Prozessausgang eine Ausstrahlungs- bzw. Breitenwirkung entfaltet, sodass das ggf. vorhandene Beibringungs- und Verhandlungsdefizit einer Seite nicht zu Lasten der materiell Drittbetroffenen (aber formal nicht Prozessbeteiligten) gehen darf.373 Dem ist ohne Wenn und Aber zuzustimmen. Egal ob nun ein Individual- oder ein Kollektivprozess „betroffen“ ist, die Bedeutung bzw. Problematik des § 139 ZPO liegt immer in dem Verhältnis der richterlichen Prozessförderungspflicht zur Dispositionsfreiheit der Parteien, dem Grundsatz der Waffengleichheit und dem Gebot der Unparteilichkeit des Richters.374 Es geht hier um die Abgrenzung der beiden Verantwortungsbereiche und den Anspruch auf ein faires Verfahren. Der Richter würde in die Dispositionsfreiheit der Parteien zu stark eingreifen, den Grundsatz der Waffengleichheit und das Gebot der Unparteilichkeit untergraben, wenn § 139 ZPO so interpretiert würde, dass er den Willen der Parteien lenken und für diese tun dürfe, was er selbst für 368
Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß (1997), S. 171. Zum Befund vgl. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 54. 370 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 53. 371 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 53 f. 372 Dazu Hk-ZPO/Saenger (2. Aufl., 2007), Einl. Rn. 61. 373 Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 57, 70 f.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 54; ders., Prozeßführung im öffentlichen Interesse (1983), S. 108 ff.; E. Schmidt, FS Keller (1989), S. 661 ff.; M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht (1978), S. 175 f. 374 Ming-Sheng Liu, Die richterliche Hinweispflicht (2009), S. 76 ff. 369
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richtig hält.375 Diese Handhabung der materiellen Prozesslenkungspflicht wird auch heute nicht über § 139 ZPO legitimiert. Die Regelung läuft lediglich darauf hinaus, den Parteien, die das Recht nicht kennen (und es auch nicht kennen müssen – „Da mihi factum, dabo tibi jus“) eine sachgerechte Entscheidung bei der Stellung von Anträgen zu ermöglichen, indem sie über die Rechtslage informiert werden. Nur am Rande sei hier erwähnt, dass der Prozess der Entformalisierung des Verfahrens, der in Deutschland u.a. über § 139 ZPO in Gang gesetzt wurde, auch von anderen europäischen Staaten in die Wege geleitet worden ist, um Zugangsund Erfolgsbarrieren für Verbraucher vor Gericht abzubauen. Die deutsche Regelung stellt somit funktional kein Alleingang im Prozessrecht dar. Vereinfachte Verfahrensordnungen für Bagatellverfahren, die insbesondere Verbrauchern zugute kommen, werden etwa in den so genannten „small claims-Verfahren“ in England und Wales, das „Rättegången i tvistemål om mindre värden“ in Schweden und die „injonction de faire“ in Frankreich angewandt. 376 6. Beweislast und Beispiele für Beweiserleichterungen Bedeutung im Zusammenhang mit den Erfolgschancen vor Gericht hat neben der entsprechenden Ausgestaltung der richterlichen Prozesslenkung durch kompensatorische Verfahrensgestaltung nicht zuletzt auch die Verteilung der Beweislast unter Kläger und Beklagtem.377 Nach deutschem Recht gilt der Grundsatz, dass jeder die für ihn günstigen Umstände darlegen und beweisen muss. a. Allgemeines Problematisch für die so verteilte Last des Beweisantrittes ist, dass bei Verbrauchergeschäften besonders kleineren Umfangs im Streitfalle Beweismittel oft nicht mehr verfügbar sind. Denn Urkunden über den Vertragsschluss, Quittungen oder sonst verwertbare Beweismittel über Ansprüche und eventuelle Einwände werden von Verbrauchern (in einem nicht geschäftsmäßig organisierten Privathaushalt) üblicherweise nicht bzw. nicht lange aufbewahrt.378 Der Aufwand ist hierfür zu groß, die wirtschaftliche Motivation wegen der Geringwertigkeit der Geschäfte oft nicht gegeben. Anders gestaltet sich die Sachlage auf Seiten des Unternehmens: Üblicherweise werden von ihm Geschäftsvorgänge, ob kleineren oder größeren Umfangs, besser dokumentiert und Urkunden etc. (länger) aufgehoben. Der Unternehmer hält nämlich normalerweise eine professionelle Datenverarbeitung bzw. Buchhaltung vor. Dies stellt sich für ihn – allein schon um den Überblick 375
Wassermann, Der soziale Zivilprozess (1978), S. 118. Dazu ausführlich Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 392 ff. 377 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 285 ff. 378 Zum Befund Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht – Eine empirische Untersuchung zur Chancengleichheit im Zivilprozeß (1980), S. 9 f.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 98 f. 376
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über die Geschäftsverbindungen zu bewahren – als unumgänglich heraus. Darüber hinaus ist das Unternehmen im Verhältnis zum Verbraucher als Kunden oft dadurch bereits im Vorteil, dass es eine „Organisation“ besitzt, d.h. auch Mitarbeiter, die im Prozess ggf. als Zeugen aussagen können. Der Verbraucher handelt üblicherweise alleine, und die Aussagen von „Nahbereichspersonen“ wie Familienangehörige/Ehepartner, die als Zeugen in Betracht kommen, werden wegen der „Nähe“ kritisch gewürdigt.379 Probleme hinsichtlich der Beweislastverteilung ergeben sich überdies dann, wenn durch eine Handlung des Unternehmers beim Verbraucher ein Schaden eingetreten ist, er aber selbige oder deren Kausalität (auch in Bezug auf die notwendige subjektive Vorwerfbarkeit) mangels Einblickes in die betriebsinternen Vorgänge des Unternehmers nicht nachweisen kann.380 Obgleich in der Rechtswissenschaft bereits Vorschläge zum Abbau dieses strukturellen Beweisdefizits auf Verbraucherseite gemacht wurden, etwa durch die Einführung einer informatorischen Beweisaufnahme,381 ist nicht ersichtlich, wie diese Hemmnisse zur Durchsetzung der Ansprüche im Zivilprozess umfassend behoben werden können. Die Rechtsprechung hat bislang nur für die hier zuletzt angesprochenen Fälle der betriebsinternen Abläufe, in die kein Einblick besteht, für den Bereich der Produzentenhaftung und der ärztlichen Pflichtverletzung Grundsätze zur Umkehr der Beweislast anhand des § 823 I BGB herausgebildet. b. Besonderheiten Jenseits der Deliktshaftung hat der Gesetzgeber – was für den Verbraucher von besonderer Relevanz ist – aber immerhin an einigen Stellen des (vertraglichen) Schuldrechts die Beweislast zu Gunsten des üblicherweise Beweisbelasteten verlagert. Hierzu zählt als klassische Beweislastregel etwa § 280 I 2 BGB, der eine Verschuldensvermutung zu Lasten des Gläubigers aufstellt, sofern nur die objektive Pflichtverletzung gegeben ist. Eine Beweislasterleichterung über die Fehlerhaftigkeit der Kaufsache bei Gefahrenübergang im sachlichen Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufes postuliert darüber hinaus § 476 BGB, soweit sich der Mangel der Kaufsache innerhalb der ersten sechs Monate nach Übergabe zeigt.382 I.Ü. hat die Rechtsprechung für spezielle Bereiche Beweislasterleichterungen zugunsten des Verbrauchers etabliert. Erwähnenswert ist insoweit die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens des zu Informierenden (der häufig Verbraucher ist), wobei dem Verbraucher diese Vermutung dann zugute kommt, wenn ihm gegenüber vom Unternehmer/Vertragspartner wahrzuneh-
379 380 381 382
Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 99. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 285. Vgl. dazu Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 99 f. Siehe dazu die Darstellung im 2. Teil, 2. Kapitel, C I 5 b cc (3) (a).
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
mende Informationspflichten verletzt wurden und ihm daraus ein Schaden entstanden ist.383 Bedeutsam sind i.Ü. die bereits angesprochenen Festlegungen für die Beweislast bei der Arzt-384 und Produzentenhaftung. Für die Arzthaftung wurde durch den BGH eine besondere Regelung insoweit getroffen, als es zwar grundsätzlich dem geschädigten Patienten obliegt, sowohl den Sorgfaltspflichtverstoß des Arztes als auch dessen Ursächlichkeit für die erlittene Gesundheitsschädigung zu beweisen.385 Es besteht jedoch zum einen schon die Möglichkeit der Führung eines Anscheinsbeweises.386 Zum anderen tritt eine Umkehr der Beweislast für die Frage der Ursächlichkeit der fehlerhaften Behandlung in Bezug auf den eingetretenen Schaden dann ein, wenn der Behandlungsfehler als grob fahrlässig einzustufen ist. Denn in diesem Fall kommt dem Patienten eine Wahrscheinlichkeitsvermutung zugute.387 Im Rahmen der Produzentenhaftung, d.h. der Verschuldenshaftung des Produktherstellers für einen durch sein Produkt verursachten Personen- oder Sachschaden nach § 823 I BGB, gelten ebenfalls modifizierte Grundsätze.388 Nach ihnen hat der Geschädigte nur den objektiven Produktfehler zum Zeitpunkt des Eintrittes der Schädigung und die Ursächlichkeit des Produktfehlers für den Schaden zu beweisen.389 Es obliegt hernach dem Produzenten, sich ggf. mit der Darstellung und dem Beweis, es handle sich um einen „Ausreißer“390 bzw. um einen Fall fehlenden Verschuldens außerhalb des Fabrikationsbereiches,391 zu entlasten. Vor dem Hintergrund dieser Regelungen (durch die Rechtsprechung) lässt sich feststellen, dass jedenfalls für einzelne Materien, in denen dem Verbraucher der Ursachenbeweis zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt besonders schwer fällt, punktuelles Verbraucherbeweislastrecht geschaffen worden ist. 383
BGH NJW 1994, 513; Hoffmann, ZIP 2005, 829, 838. Zu den durch die Rechtsprechung diesbezüglich ausgearbeiteten Grundsätzen ausführlich Tamm, in: Tonner/Willingmann/Tamm (Hrsg.), Vertragsrecht Kommentar (2010), Anhang II zu §§ 611 ff.; dies., Jura 2008, 881 ff.; dies., Jura 2009, 81 ff. 385 RGZ 78, 432, 435; BGHZ 89, 263, 269; 99, 391, 398; BGH VersR 2001, 1030; OLG Hamm VersR 2000, 190, 191; OLG Naumburg VersR 2002, 313, 315; vgl. auch MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 801. 386 RGZ 165, 336, 338; BGHZ 11, 227, 229; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 959 f. Dabei ist jedoch anzumerken, dass der Anscheinsbeweis selten gelingt, weil dies den Rückschluss des Behandlungsfehlers auf die Schädigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfordert, was bei den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus nur selten möglich ist, so auch MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 804 ff. 387 RGZ 171, 168, 171; BGHZ 72, 132, 135 f.; 85, 212, 215 ff.; 138, 1, 6; BGH NJW 1997, 796, 797; VersR 2001, 1116, 1117; MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 809 ff. 388 Umfassend dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 285 ff. 389 BGHZ 51, 91, 101; 104, 323, 332; OLG Frankfurt/M. VersR 1994, 1118, 1119. 390 BGHZ 80, 186, 197; BGH VersR 1996, 1116, 1117; NJW 1999, 1028, 1029; vgl. zum Ganzen meine Darstellung im 2. Teil, 2. Kapitel, D V 1. 391 Vgl. dazu MüKo/Wagner (5. Aufl., 2009), § 823 Rn. 634. 384
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7. Problematik des Mahnverfahrens Jenseits des Fragenkreises der Beweislast, der für den Verbraucher immer von besonderer Brisanz ist, tut sich noch ein anderer Problemkreis auf, dessen Ursprünge rein verfahrensrechtlicher Natur sind. Es handelt sich um die Problematik des Mahnverfahrens.392 In der Rechtswirklichkeit kommt diesem eine herausragende Bedeutung bei der Verfolgung von Ansprüchen gerade von Unternehmern gegenüber Verbrauchern zu.393 Der Grund liegt darin, dass sich das Mahnverfahren besonders gut zur Einbringung von „Massenforderungen“ eignet. Es spart nämlich Kosten und Zeit394 und kann überdies am Sitz des Antragstellers (Unternehmens) eingeleitet werden, vgl. dazu § 689 II ZPO.395 Das Mahnverfahren ist nach derzeitigem Rechtsstand eine mit dem Urteilsverfahren (§§ 253 ff. ZPO) kaum vergleichbare Prozessart. Der Schuldner heißt hier „Antragsgegner“. Der Regelungszweck des Mahnverfahrens liegt darin, dass der Gläubiger („Antragsteller“) mit der Einleitung des Verfahrens durch Beantragung des Erlasses eines Mahnbescheids beim Amtsgericht (§§ 688, 689, 690 ZPO) einen Mechanismus in Gang setzt, der bei fehlender Verteidigung durch den Antragsgegner, der innerhalb von zwei Wochen Widerspruch gegen den Mahnbescheid erheben muss (vgl. § 692 Nr. 3 ZPO), automatisch zu einem Vollstreckungsbescheid führt (§ 699 ZPO). Dieser wird bei weiterer fehlender Abwehr durch Erhebung eines Einspruchs (§ 700 ZPO) Grundlage eines vollstreckbaren Titels. Die derzeitige Ausgestaltung des Mahnverfahrens, das auf die prozesswirtschaftliche Abwicklung von Forderungen ausgerichtet ist, bei der die fehlende Verteidigung als Zugeständnis des Anspruches gewertet wird, ist unter zwei Aspekten – die dem Verfahren immanent sind – besonders kritisch zu sehen.396 Zum einen bestehen im Mahnverfahren „Sprach- und Verständnisbarrieren“, die zwar auch im sonstigen schriftlichen und mündlichen Verfahren auftreten, im Mahnverfahren aber deshalb besonders virulent werden, weil der Erfolg des Verfahrens mit der Einlegung eines Widerspruchs (§ 694 ZPO) zunächst schon davon abhängt, dass man das Instrument des Mahnbescheids richtig versteht und dieses einordnen kann. Zum anderen erwachsen für den Verbraucher typischerweise besondere Gefahren daraus, dass das Mahnverfahren als ein Verfahren ohne materiell-rechtliche Anspruchsprüfung ausgestaltet ist (vgl. dazu § 692 I Nr. 2 ZPO). Dieser Umstand birgt eine erhöhte Missbrauchsgefahr, der 392
Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 470 ff. Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 101. 394 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Grundz. §§ 688 ZPO Rn. 2.: Das Mahnverfahren dient der prozesswirtschaftlichen Herbeiführung eines vollstreckbaren Titels; ebenso MüKo/Schüler, ZPO (3. Aufl., 2007), Vor §§ 688 ZPO Rn. 3. 395 Hk-ZPO/Gierl (2. Aufl., 2007), § 689 ZPO Rn. 6. 396 Menne, Das Mahnverfahren (1979); Zinke, NJW 1983, 1041 ff.; Bündel, NJW 1979, 945 ff. 393
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Verbraucher üblicherweise wegen Unkenntnis im Umgang mit entsprechenden rechtlichen Abwehrmechanismen häufig nicht gewachsen sind. a. Besonders hohe Sprachbarriere beim Mahnverfahren Zu dem hier angesprochenen ersten problematischen Aspekt lässt sich Folgendes ausführen: Untersuchungen zeigen ganz allgemein, dass die Distanz zwischen der Rechts- und Laiensprache in der mündlichen Verhandlung, aber auch in der schriftlichen Prozessführung, ganz erheblich dazu beiträgt, dass gerade in Verbrauchersachen Rechtsdurchsetzungsdefizite auftreten.397 Für erhebliche Verständigungsprobleme sorgt im Vorfeld eines streitigen Verfahrens, wenn der Weg des Mahnverfahrens beschritten wird, nicht selten das dafür durch die Gerichte eingesetzte Formular; gleiche Probleme treten beim Vollstreckungsbescheid auf. Die aufzuführenden Gesichtspunkte der Formulare sind in §§ 692, 699 ZPO niedergelegt und somit feststehend. Nicht feststehend ist jedoch die Art und Weise der Darbietung des aufzunehmenden Erklärungsinhalts. Hier bietet sich ein wichtiges Aufgabenfeld für den Gesetzgeber, bürgernäher und damit verständlicher zu formulieren.398 Es wird mehr und mehr gefordert, für den Normalbürger unverständliche Rechtsbegriffe zu erläutern oder gar auf andere allgemeinverständlichere Begriffe auszuweichen.399 Denn der Mahn- und Vollstreckungsbescheid ist im Hinblick auf seine Überschrift und Formulierung nach wie vor geeignet, beim rechtsunkundigen und sprachlich nicht gebildeten Empfänger die Vorstellung hervorzurufen, die Obrigkeit (Absender: Amtsgericht) „mahne“ eine Leistung per Bescheid bei ihm an. Die Belehrungen, die dem nach § 692 I Nr. 6 ZPO entgegenwirken sollen, sind nicht wirklich brauchbar. Denn sie enthalten eine Reihe von Fachausdrücken (Zustellung, Gesamtschuldner, Abhängigkeit von Gegenleistung, Zahlungsunfähigkeit, erkennendes Gericht, Einwendungen, Bestreiten, Veranlassung zum anhängigen Mahnverfahren, streitiges Verfahren), die dem Laien unverständlich sind.400 b. Missbrauchsgefahr beim vereinfachten Verfahren Das Mahnverfahren weist für Verbraucher neben der Sprach- und Verständnisbarriere, die m.E. behebbar erscheint, aber noch eine andere Gefahr auf. Diese ist strukturell angelegt und daher wohl kaum zu beheben, stellte man nicht das ganze Verfahren in Frage, das besonders deshalb als sachdienlich und legitim betrachtet wird, weil es prozessökonomisch ist, damit aber – was inzident hingenommen wird – nicht immer nur berechtigten Ansprüchen zum Durchbruch 397
Zum Befund Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 65. Vgl. dazu bereits die Forderung des rechtssoziologischen Arbeitskreises Hannover (Hrsg.), Verständigungsschwierigkeiten zwischen Gericht und Bürger (1976), S. 17 ff.; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der ZPO vom 21.1.1988, BR-Drucks. 11/1704. 399 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 692 ZPO Rn. 4. 400 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 66 f. 398
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verhilft. Angesprochen ist damit die Problematik des Missbrauchs des vereinfachten Verfahrens.401 Dieser Umstand findet seine gesetzliche Stütze in § 692 I Nr. 2 ZPO, der den Verzicht auf eine materielle Anspruchsprüfung statuiert.402 Dies war ein Zugeständnis des Gesetzgebers an die dadurch möglich werdende maschinelle Verarbeitung der Anträge, die selbst eine kursorische Schlüssigkeitsprüfung (wie sie noch nach § 691 I ZPO a.F. bis 1977 vorgesehen war) nicht mehr erlaubt. Damit besteht jedoch die evidente Gefahr, uninformierte Schuldner mit in Wahrheit gesetzeswidrigen Forderungen zu überziehen und diese mit Mahn- und Vollstreckungsbescheiden durchzusetzen.403 Die geringe Widerspruchsquote, die im Mahnverfahren zu verzeichnen ist, stützt diese Gefahrenvermutung. Sie lässt sich offenbar nicht ausschließlich auf rechtlich einwandfrei begründete und unbestrittene Forderungen zurückführen, die damit durchgesetzt werden sollen, sondern zu einem Großteil auch auf Uninformiertheit und Unbeholfenheit der „Schuldner“, die mit der Schwierigkeit der Erfassung des Mahnvordrucks kumuliert.404 Der Gesetzgeber ist bislang der Missbrauchsgefahr nur punktuell entgegengetreten, indem er die Zulässigkeit der Ausstellung des Mahnbescheides in wenigen Konstellationen versagt hat. Diese werden von § 688 II ZPO angesprochen. Dies gilt für Verbraucherdarlehensgeschäfte und Finanzierungshilfen nach §§ 506 ff. BGB, wenn der Zinssatz den gesetzlichen Basiszins um mehr als zwölf Prozentpunkte übersteigt. In diesem Fall ist das Darlehen sittenwidrig und soll nicht mit Hilfe des Mahnverfahrens beigetrieben werden können.405 Weitere Erlasssperren sehen § 688 II Nr. 2 und 3 ZPO vor, und zwar für die Fälle einer noch ausstehenden Gegenleistung und einer notwendigen Zustellung des Mahnbescheides durch öffentliche Bekanntmachung. De lege ferenda wäre m.E. darüber nachzudenken, ob nicht insbesondere in den Situationen, in denen Verbraucherverbände Unterlassungsverfügungen u.ä. gegen unseriöse „Beitreibungsunternehmen“ durchgesetzt haben, die bei ihnen vorliegende „schwarze Liste“ unseriöser Unternehmen an die Amtsgerichte, die die Mahnverfahren betreiben, weiter reichen könnten bzw. sollten. Der Gesetzgeber könnte insofern eine Passage in § 688 II ZPO einfügen, nach der Mahnbescheide nicht automatisch für geltend gemachte Forderungen solcher Unternehmen erlassen werden dürfen, die auf der ständig zu aktualisierenden schwarzen Liste mit Namen/Forderungsgegenstand etc. stehen und damit inkriminiert 401 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 471; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 102 f. 402 Dazu siehe etwa MüKo/Schüler, ZPO (3. Aufl., 2007), § 691 ZPO Rn. 14. 403 Schilken, ZZP 109 (1996), 315, 317 ff.; Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 102. 404 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 103. 405 Hk-ZPO/Gierl (2. Aufl., 2007), Vor §§ 688–703d ZPO Rn. 10; MüKo/Schüler, ZPO (3. Aufl., 2007), § 688 ZPO Rn. 9.
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sind. Freilich müssen für die „Indizierung“ genügende Anhaltspunkte, die im Detail noch zu klären sind, vorliegen und das Verfahren der Indizierung selbst muss transparent und rechtsstaatlich sein. Denn die Indizierung würde ein starkes Instrument darstellen, das selbst nicht missbräuchlich verwendet werden darf. Über mögliche Ausgestaltungsformen eines derartigen Indizierungsverfahrens lohnt es sich m.E. aber nachzudenken.
C. Vollstreckungsverfahren Das Vollstreckungsverfahren hat zum Ziel, den zugesprochenen Anspruch zu erzwingen. Die Anspruchserzwingung ist von hoher sozialer Relevanz. Denn Untersuchungen zeigen, dass die ganz überwiegende Zahl der Schuldner aus der sozialen Unterschicht stammt, gegen die zu einem Großteil Rückzahlungsforderungen aus Verbraucherdarlehen, Abzahlungsgeschäften etc. durchgesetzt werden sollen.406 I. Allgemeiner Vollstreckungsschutz Der Gesetzgeber hat ein besonderes Schutzbedürfnis für Verbraucher auch in der Zwangsvollstreckung anerkannt, und zwar insofern, als er anordnet, dass die Vollstreckung nicht soweit führen darf, dass die soziale Existenz des Schuldners bedroht ist. Vor diesem Hintergrund sind vollstreckungsschutzgewährende Vorschriften wie die über unpfändbare Sachen (§ 811 ZPO), die Pfändungsfreigrenzen (§§ 855 f. ZPO), die Räumungsfristen bei der Räumungsvollstreckung von Wohnraum (§§ 721, 794a ZPO) oder die Aussetzung der Verwertung zu sehen. I.Ü. gewährt § 826 BGB nach der Lesart von Rechtsprechung407 und Literatur408 auch Schutz gegen die Vollstreckung aus materiell vom Gericht gar nicht überprüften Vollstreckungstiteln (Vollstreckungsbescheid, vollstreckbare Urkunden). Hierüber werden insbesondere Fälle der Erschleichung oder Ausnutzung objektiv unrichtiger Titel aufgegriffen, um den Schuldner auch noch nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist vor dem Einsetzen der Vollstreckung zu schützen. All diese Regelungen nehmen zwar nicht spezifisch den Verbraucher in Bezug, wirken jedoch hauptsächlich zu seinen Gunsten. Es handelt sich damit um Verbraucherrecht i.w.S. 406 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 107; Hörmann, Verbraucher und Schulden (1987), S. 274 ff. 407 BGH NJW 1987, 3256; 1987, 3259; 1988, 971. 408 Prütting/Weth, Rechtskraftdurchbrechung bei unrichtigen Titeln (1988); Grunsky, JZ 1986, 626; ders., ZIP 1986, 1361; Bender, JZ 1987, 503 ff.; Geißler, NJW 1987, 166 ff.; Kothe, NJW 1985, 2217 ff.
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II. Verbraucherinsolvenz Seit der Einführung der Insolvenzordnung (InsO) am 1.1.1990 besteht für Verbraucher, die überschuldet sind, die Möglichkeit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens mit anschließender Restschuldbefreiung. Diese Wirkung des Insolvenzverfahrens, die juristische Personen nicht benötigen, weil bei ihnen nach Liquidation eine Nachhaftung praktisch nicht existiert, ist zwar von natürlichen Personen nur schwer zu erreichen, weil sie mit einer sechsjährigen Abtretung des pfändbaren Einkommens „erkauft“ werden muss. Sie stellt aber für natürliche Personen – sieht man von dem im Normalfall nicht sehr erfolgversprechenden Versuch der Schuldenbereinigung nach §§ 304–310 InsO ab – den einzigen Weg dar, um zu einem wirklichen wirtschaftlichen Neuanfang zu kommen.409 Insofern hat die Restschuldbefreiung für den Schutz des Verbrauchers eine herausragende Bedeutung. Trotz des schon im Gesetzgebungsverfahren aufgekommenen Streits410 um die Stellung des Restschuldbefreiungsverfahrens im Insolvenzrecht und die Belastung der öffentlichen Hand mit den Kosten derartiger Verfahren ist es im Grundsatz kaum streitig gewesen, dass es auch im deutschen Recht die Möglichkeit einer Entschuldung natürlicher Personen geben muss, weil nahezu alle modernen Rechtsordnungen411 einen derartigen Anspruch auf einen „fresh start“ geben.412 Sie wird in allen Rechtsordnungen – so auch bei Einführung der entsprechenden Regelungen in der deutschen InsO – von dem Gedanken getragen, dass dem betroffenen Personenkreis durch unerfüllbare Verbindlichkeiten, die in keinem Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit stehen, regelmäßig die gesamte Lebensperspektive genommen wird, weil eine Überwindung der Verschuldenssituation praktisch unmöglich ist und damit der Aufbau oder Wiederaufbau der regulären bürgerlichen Existenz ebenfalls ausgeschlossen wird.413 Betroffene bedürfen einer neuen Lebensperspektive, wobei durch die Schuldenfreistellung nach einem gewissen Übergangszeitraum – der durch den 409
Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 691. Vgl. dazu Döbereiner, KTS 1998, 31 ff.; Pape, ZRP 1993, 285 ff.; Ackmann, Schuldenbefreiung durch Konkurs (1983); Knüllig-Dingeldey, Nachforderungsrecht oder Schuldbefreiung (1984); Menzinger, Das freie Nachforderungsrecht der Konkursgläubiger (1982); Balz, ZRP 1986, 12 ff.; Christmann, DGVZ 1992, 177 ff.; Scholz, MDR 1992, 817 ff.; Trinkner, BB 1992, 2441 ff.; Wenzel, ZRP 1993, 161 ff. 411 Ansätze für Insolvenzverfahren mit einer Restschuldbefreiung finden sich schon seit längerer Zeit im US-amerikanischen Insolvenzrecht (sog. „discharge“), vgl. dazu Bull, ZIP 1980, 843 ff.; Hörmann, Verbraucherkredit und Verbraucherinsolvenz (1986), S. 221 ff.; Balz, ZRP 1986, 12 ff.; Fink, ÖJZ 1992, 8, 13 mit umfangreichen Nachweisen zum US-amerikanischen Schrifttum. Seit 1990 gilt auch in Frankreich ein neues Schuldenregulierungsverfahren (Loi n° 89–1010 v. 31.12.1989), vgl. zum Ganzen Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 346. 412 Vgl. dazu Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 637; Pape, ZRP 1993, 285 ff.; Döbereiner, KTS 1998, 31 ff. 413 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 637. 410
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Gesetzgeber in Abwägung der widerstreitenden Interessen festzusetzen ist – den Gläubigern nichts genommen wird, was perspektivisch sowieso wirtschaftlich wertlos, weil uneintreibbar ist.414 1. Allgemeines Die grundsätzlichen Regelungen für die Verbraucherinsolvenz und die Restschuldbefreiung finden sich in §§ 304 ff., §§ 286 ff. InsO. Die Bedeutung des Verbraucherinsolvenzverfahrens kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.415 Denn die Zahl der überschuldeten Haushalte in der Bundesrepublik ist hoch und steigt kontinuierlich an.416 Verbindlichkeiten privater Haushalte betreffen zum einen Zahlungsrückstände aus Miet- und Energielieferungsverträgen, aber auch Zahlungspflichten aus dem Kreis der Daseinsvorsorge wie etwa Schulden aus Versicherungsverträgen und Geschäften des täglichen Lebens; hinzu kommen Konsumentenkredite und rückständige Unterhaltsforderungen.417 Eine weitere Gruppe von Forderungen, die zur Überschuldung privater Haushalte führen, betrifft Darlehen für Haus- und Grundbesitz.418 Grundsätzlich können Verbraucherverbindlichkeiten aber auch aus anderen Geschäften resultieren. 2. Die Struktur des Verbraucherinsolvenzverfahrens Die Abwicklung von Verbraucherinsolvenzen (und gleichgestellten Insolvenzen von Unternehmern mit überschaubarem Vermögen, vgl. § 304 I 2 InsO) ist nach deutschem Recht in einem dreistufigen Verfahren419 vorgesehen, dessen Ebenen teilweise miteinander verzahnt sind. Das eigentliche Insolvenzverfahren ist auf der letzten Stufe angesiedelt, die nur dann erreicht wird, wenn auf den vorangegangenen Ebenen der außergerichtlichen und sodann der gerichtlich vermittelten Schuldenbereinigung keine Einigung erzielt worden ist. a. Außergerichtliche Schuldenbereinigung (1. Stufe) Nach der Intention des Gesetzgebers soll eine Schuldenbereinigung zugunsten des überschuldeten Verbrauchers zunächst möglichst durch Einigung zwischen Gläubigern und Schuldnern erreicht werden, ohne dass das Insolvenzgericht damit befasst wird.420 Deswegen ist für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor414
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 370. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), s. 358 ff. 416 Zu Zahlen vgl. MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 25, die von 3,13 Mio. überschuldeten Haushalten allein für das Jahr 2002 sprechen. 417 Korczak/Pfefferkorn, Überschuldungssituation und Schuldnerberatung in der Bundesrepublik Deutschland (1992), S. 82 ff. 418 MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 28. 419 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 644. 420 Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung (2. Aufl., 2002), S. 3. 415
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gesehen, dass mit dem Antrag auf Einleitung des Verfahrens eine von einer geeigneten Person oder Stelle ausgestellte Bescheinigung vorzulegen ist, dass zunächst eine außergerichtliche Einigung über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans erfolglos versucht worden ist,421 vgl. § 305 I Nr. 1 InsO. Der Gesetzgeber stellt es damit den Parteien in einem ersten Schritt frei, im Rahmen der Vertragsfreiheit eigene Regelungen zum Umgang mit Überschuldenssituationen zu treffen. I.Ü. gibt es für diese Verfahrensstufe keine besonderen Bestimmungen, sieht man einmal von dem Anspruch des Schuldners auf Erteilung einer detaillierten Forderungsaufstellung ab, den der Schuldner gemäß § 305 II InsO schon im vorgerichtlichen Stadium gegen seine Gläubiger hat. Mit der vorzulegenden Bescheinigung über den durchgeführten außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch für den Eintritt in das Insolvenzverfahren wird zugleich ein Filter für das gerichtliche Verfahren eingebaut, der dafür sorgt, dass das gerichtliche Verfahren nicht unnötigerweise in Anspruch genommen wird. Die Vorschaltung des obligatorischen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuches dient damit auch der Entlastung der Gerichte.422 Die Erfolgsquote der außergerichtlichen Schuldenbereinigung ist jedoch gering. Viele Gläubiger melden sich erst gar nicht in Bezug auf diesen Einigungsversuch.423 Für den Schuldner ergibt sich jedoch insofern ein Anreiz, sich um eine außergerichtliche Schuldenbereinigung zu bemühen, als er die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen behalten kann, wenn er nicht in das Insolvenzverfahren einsteigt. Er ist dann auch nicht mit der Obliegenheit einer starren „Wohlverhaltensperiode“ belastet. Für den Gläubiger resultieren Anreize, sich auf die außergerichtliche Schuldenbereinigung einzulassen, aus dem Umstand, dass bei einem Scheitern auf dieser Stufe die Einigungsbemühungen unter gerichtlicher Vermittlung und mit der Möglichkeit, dass die fehlende Zustimmung einzelner Gläubiger durch das Gericht ersetzt wird, wiederholt werden müssen.424 Er hat sich also auf jeden Fall mit dem Schuldner und seiner Verschuldenssituation auseinandersetzen, ggf. auch auf die Gefahr der gerichtlichen Ersetzung seiner Ablehnung bzgl. des Einigungsangebotes. Wegen der Entlastungsfunktion für die Justiz, die mit dem außergerichtlichen Einigungsversuch herbeigeführt werden soll, genügt es jedoch nicht, dass die zur außergerichtlichen Schuldenbereinigung eingeschaltete Person oder Stelle auf Grund der vom Schuldner übergebenen Unterlagen die Gläubiger nur kurz anschreibt oder gar nur anruft und um einen (teilweisen) Schuldenerlass bittet. Vielmehr muss der Einigungsversuch auf Grund eines „Planes“ erfolgen. Dies macht es erforderlich, dass der Schuldnerberater auf Grund der ihm vorliegen421
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 359. Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 636; MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 34. 423 Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung (2. Aufl., 2008), S. 10 ff. 424 MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 40 f. 422
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den Informationen einen schriftlichen Schuldenbereinigungsplan ausarbeitet. Um eine Übersicht über seine eigene Schuldenlast zu erlangen, steht dem Schuldner gemäß § 305 II InsO ein Auskunftsrecht gegenüber seinen Gläubigern zu. Wurde auf Grund dessen ein Schuldenbereinigungsplan erarbeitet, muss dieser mit der Bitte um Zustimmung den Gläubigern übersendet werden. Nur wenn danach alle Gläubiger dem Plan zustimmen, was selten der Fall ist, wird das gerichtliche Verfahren überflüssig.425 Davon, dass der Schuldenbereinigungsplan von einer „geeigneten Person oder Stelle“ (vgl. § 305 I Nr. 1 InsO) ausgearbeitet wird, erhoffte sich der Gesetzgeber die Einbringung entsprechender Fachkunde, die zweifelsohne notwendig ist. Außerdem soll verhindert werden, dass Gefälligkeitsbescheinigungen ausgestellt werden.426 „Geeignete Personen“ i.d.S. sind vor allem Angehörige der rechtsberatenden Berufe, also Rechtsanwälte und Steuerberater. Zu den darüberhinaus „geeigneten Stellen“ zählen unterschiedliche Institutionen. Diese müssen vom jeweiligen Bundesland geprüft und anerkannt worden sein.427 b. Gerichtliches Schuldenbereinigungsplanverfahren (2. Stufe) Im Fall des Scheiterns des außergerichtlichen Einigungsversuchs über die Schuldenbereinigung zwischen Schuldner und Gläubigern findet, wenn der Schuldner den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt, zunächst ein gerichtliches Verfahren über den Schuldenbereinigungsplan statt. Das Verfahren über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ruht bis zur Entscheidung über diesen Plan, vgl. § 306 I 1 InsO. In diesem Stadium geht es zunächst darum, einen Vergleich – jetzt durch gerichtliche Vermittlung – doch noch herbeizuführen, ggf. auch dadurch, dass Einwendungen eines Gläubigers gegen den Schuldenbereinigungsplan durch die Zustimmung des Gerichts ersetzt und so für unerheblich erklärt werden. Die Möglichkeit der Ersetzung der fehlenden Zustimmung einiger Gläubiger durch das Gericht ist dann eröffnet, wenn mehr als die Hälfte der benannten Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan ansonsten zugestimmt haben, vgl. § 309 I 1 InsO. c. Insolvenzverfahren mit anschließender Restschuldbefreiung nach Wohlverhaltensphase (3. Stufe) Scheitert das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren nicht nur am Widerstand eines bzw. weniger Gläubiger (vgl. dazu § 309 I 1 InsO: entscheidend ist, ob die Hälfte der Gläubiger dem Plan zugestimmt hat) und kommt es infolge des425
Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung (2. Aufl., 2002), S. 4. Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 655. 427 Die Landesausführungsgesetze zur Insolvenzordnung enthalten einen Anforderungskatalog und regeln die Einzelheiten. Auskünfte über zugelassene Stellen geben üblicherweise die Amtsgerichte (Geschäftsstelle der Insolvenzabteilung), die Gemeinden (Sozialämter), die Landratsämter und die örtlichen Schuldnerberatungsstellen. 426
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sen nicht zur Annahme des Schuldenbereinigungsplans, so entscheidet das Gericht über den Eröffnungsantrag zum Insolvenzverfahren, § 311 InsO. Die Durchführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens erfordert dabei das Erfüllen sachlicher wie formeller Voraussetzungen. Sachliche Voraussetzung ist das Vorliegen eines materiellen Insolvenzgrundes. Dazu zählen die in §§ 17– 19 InsO geregelten Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Formelle Voraussetzung ist das Stellen eines entsprechenden Antrags (s.o.), dem Formulare beizufügen sind (Personalbogen, Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs, Abtretungserklärung nach § 287 II InsO, Vermögensverzeichnis des Schuldners). Der Antrag ist notwendig, weil das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren nicht von Amts wegen gegen Verbraucher einleitet, von denen es weiß, dass eine Überschuldungssituation vorliegt. Da die Insolvenzgerichte bei den Amtsgerichten angesiedelt sind, ist für die Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine anwaltliche Vertretung notwendig (vgl. § 78 ZPO), wenngleich der Antrag schriftlich einzureichen ist. Das eröffnete Insolvenzverfahren führt sodann – soweit Vermögen vorhanden ist – zu einer Verwertung desselben. Hat der Schuldner neben dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusätzlich den Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt, so entscheidet das Gericht hierüber im Schlusstermin oder unter den Voraussetzungen des § 314 I InsO nach Ablauf der dem Schuldner gesetzten Zahlungsfrist, § 314 III 1 InsO. Der Schuldner, der das Verbraucherinsolvenzverfahren betreibt, wird den zusätzlichen Antrag auf Restschuldbefreiung stets stellen, weil hierauf sein vordergründiges Interesse gerichtet ist.428 Durch die Restschuldbefreiung wird der Schuldner von seinen angehäuften Schulden für die Zukunft entbunden. Dies ergibt sich aus § 286 InsO. Allerdings sind die an die Restschuldbefreiung geknüpften Anforderungen hoch:429 Die Restschuldbefreiung kann zwar nach § 286 InsO von jeder natürlichen Person beantragt werden. Sie erfordert jedoch einen Antrag (§ 287 InsO) und die vorherige Durchführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. Die Notwendigkeit der vorherigen Durchführung eines Insolvenzverfahrens beruht auf der Erwägung, dass der ganze oder teilweise Verlust der Forderungen, der den Gläubigern durch die Restschuldbefreiung aufgezwungen wird, diesen nur dann zuzumuten ist, wenn zuvor alle Vermögenswerte und das Einkommen des Schuldners ermittelt und zur zumindest teilweisen Schuldentilgung eingesetzt worden sind.430 Im Restschuldbefreiungsverfahren, das über mehrere Jahre an428 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzecht (2002), S. 689; Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung (2. Aufl., 2002), S. 51. 429 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 359. 430 Medicus, DZWiR 2007, 221 ff.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
dauert, wird vom Schuldner i.Ü. verlangt, dass er sich „redlich“ 431 verhält. Dies ergibt sich aus einem Zusammenspiel der §§ 1 S. 2, 287 II 1 InsO und §§ 290, 295 InsO. Dazu gehört, dass der Schuldner in den nächsten sechs Jahren432 (das ist die so genannte „Wohlverhaltensphase“433) pfändbare Forderungen aus Bezügen aus einem Dienstverhältnis oder andere (gleichgestellte) laufende Bezüge an einen vom Gericht zu bestellenden Treuhänder vorausabtritt, § 287 II 1 InsO. Dieser kehrt sie dann anteilig an die Gläubiger aus. Es dürfen überdies keine der in § 290 InsO aufgezählten Gründe für die Versagung der Restschuldbefreiung vorliegen. Die in § 290 I InsO genannten Versagungsgründe sind von dem Gesichtspunkt getragen, dass Restschuldbefreiung nur einem redlichen Schuldner gewährt werden soll, der sich seinen Gläubigern gegenüber nichts hat zuschulden kommen lassen.434 Die Restschuldbefreiung ist so gemäß § 292 InsO zu versagen, wenn der Schuldner wegen einer Straftat nach den §§ 283–283c StGB rechtskräftig verurteilt worden ist. Angesprochen sind damit der Bankrott, die Verletzung der Buchführungspflicht und die Gläubigerbenachteiligung. Ein weiterer Versagungsgrund ergibt sich dann, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. In diesem Fall ist der zahlungsunfähige Schuldner nicht schutzwürdig. Das Gleiche gilt, wenn dem Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag Restschuldbefreiung schon (einmal) erteilt worden ist oder nach §§ 296, 297 InsO versagt wurde. Die Restschuldbefreiung ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet oder ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat. Bedeutsam ist darüber hinaus als Versagungsgrund der Umstand, dass der Schuldner während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach der InsO vorsätz431 Vgl. § 1 S. 2 InsO: Dem redlichen Schuldner wird die Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. 432 Ursprünglich dauerte die Wohlverhaltensfrist für das förmliche Restschuldbefreiungsverfahren sieben Jahre. Sie wurde im Rahmen der Neufassung des § 287 II 1 InsO durch das InsOÄndG von 2001 (BGBl. 2001 I, S. 2710) neu gefasst und dabei auf sechs Jahre heruntergesetzt. 433 Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung (2. Aufl., 2002), S. 3. 434 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 708.
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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lich oder fahrlässig verletzt oder in den nach § 305 I Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen über seine Vermögensverhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben macht. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass das Gericht zwar prüfen muss, ob zumindest einer der behaupteten Versagungsgründe zutrifft, was zwingend zur Versagung der Restschuldbefreiung führen würde. Das Gericht tut dies allerdings nur auf Antrag eines Gläubigers, wobei der Versagungsgrund durch ihn in jedem Fall auch „glaubhaft“ gemacht werden muss. Um Restschuldbefreiung zu erlangen, hat der Schuldner ferner die in § 295 InsO benannten Obliegenheiten zu erfüllen. Hierzu gehören: die Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit (§ 295 I Nr. 1 InsO), die Herausgabe der Hälfte des von Todes wegen ererbten Vermögens (§ 295 I Nr. 2), die Angabe des Wechsels des Wohnsitzes und der Beschäftigungsstelle (§ 295 I Nr. 3 InsO) und die Pflicht, Zahlungen nur an den Treuhänder zu leisten und keinem Gläubiger einen Sondervorteil zu verschaffen (§ 295 I Nr. 4). Mit der Aufnahme der Erwerbsobliegenheit in § 295 I Nr. 1 InsO trachtet der Gesetzgeber danach, die Interessen der Gläubiger möglichst stark einzubinden. Durch sie soll sichergestellt werden, dass ein möglichst hoher Anteil der Verbindlichkeiten in der Wohlverhaltensperiode doch noch erfüllt wird. Übt der Schuldner nach Auffassung des Gerichts eine ihm mögliche, angemessene Erwerbsobliegenheit nicht aus und bemüht er sich als Arbeitsloser nicht genügend darum, lehnt er gar eine angebotene Tätigkeit ab, dann wird auf Antrag eines Gläubigers die Restschuldbefreiung versagt.435 Während der sechsjährigen Wohlverhaltensperiode prüft das Gericht in der Regel nicht, ob der Schuldner seine laufenden Verpflichtungen einhält. Hier gilt der Grundsatz der Gläubigerautonomie und die Pflicht des Treuhänders, die eingehenden Beträge zu verwalten und abzuführen.436 Erst nach Beendigung der Wohlverhaltensphase tritt das Gericht dadurch auf den Plan, dass es nach Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Treuhänders und des Schuldners durch Beschluss endgültig über die Erteilung der Restschuldbefreiung entscheidet, § 300 I InsO. Wird die Restschuldbefreiung gewährt, wirkt sie – was für den Schuldner von großer Bedeutung ist – zu Lasten aller Insolvenzgläubiger; sie richtet sich damit auch gegen die Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben. Nur von einzelnen – in § 302 InsO aufgeführten – Verbindlichkeiten wird der Schuldner ausnahmsweise auch nach grundsätzlich erfolgreichem Abschluss des Restschuldbefreiungsverfahrens nicht freigestellt, weil er insofern nicht schutzwürdig ist. Dies betrifft Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungs- und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geld435 436
In diesem Fall kann der Schuldner die sofortige Beschwerde einlegen, § 296 III InsO. Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung (2. Aufl., 2002), S. 20.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
zahlung verpflichten. Keine Freistellung ist überdies für Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen zu erreichen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt wurden. Würde der Schuldner hiervon entlastet werden, wäre das treuwidrig. 3. Problematik der Prozesskostenhilfe/Stundung der Verfahrenskosten Lange Zeit war es hoch umstritten, ob der Verbraucher für die Einleitung des Verbraucherinsolvenzverfahrens auch Prozesskostenhilfe erhalten kann, wenn er die für die Verfahrenseinleitung erforderlichen Mittel nicht aufbringen kann. Dadurch war das Verfahren der Verbraucherinsolvenz mit anschließender Möglichkeit der Restschuldbefreiung lange Zeit nur bedingt funktionsfähig gewesen.437 Mit dem am 30.11.2001 in Kraft getretenen InsOÄndG438 hat der Gesetzgeber die sehr kontrovers diskutierte Frage schließlich (vorläufig) dadurch entschieden, dass er in §§ 4a ff. InsO eine Stundungsregelung aufgenommen hat.439 Nach der Neuregelung können nun auch Personen das Verbraucherinsolvenzverfahren betreiben, deren Vermögen voraussichtlich nicht einmal ausreichen wird, um die Verfahrenskosten zu decken.440 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Problematik der Prozesskostenhilfegewährung für die nach dem 1.12.2001441 eröffneten Insolvenzverfahren nicht mehr; sie werden auf die Stundung der Verfahrenskosten verwiesen.442 Das ursprüngliche Ansinnen, Prozesskostenhilfe auch in Verbraucherinsolvenzverfahren zuzugestehen,443 wurde mit der Neuregelung deshalb verworfen, weil ansonsten erhebliche Kosten auf die Justizhaushalte der Länder zugekommen wären, die diese bei ansteigenden Fallzahlen vor kaum lösbare Aufgaben gestellt hätten.444 Dass diese Kosten mit der Stundungsregelung völlig obsolet geworden sind, lässt sich jedoch nicht behaupten. Das ergibt sich aus der verbleibenden Ausfallhaftung der öffentlichen Hand, wenn auch durch die Stundung die Kosten letztlich nicht aufgebracht werden können. I.Ü. ist die Gewährung der Prozesskostenhilfe auch nach geltendem Recht nicht für das Rechtsmittelverfahren über die Versagung oder den Widerruf der Rest-
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Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 634. BGBl. 2001 I, S. 2710. 439 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 635. 440 Vgl. hierzu BGH NJW-RR 2005, 775; Kocher, DZWiR 2002, 45 ff.; Vallender, MDR 2002, 181 ff.; Schellberg, DB 2002, 307 ff.; Fuchs, NZI 2002, 239 ff.; Kothe, ZInsO 2002, 53 ff. 441 Vgl. das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze v. 26.10.2001 (InsOÄndG 2001), BGBl. 2001 I, S. 2170 ff., das am 31.10.2001 im BGBl. verkündet worden ist. 442 MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 77; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 635. 443 Pick, NZI 1999, 58. 444 BT-Drucks. 14/5680, S. 12. 438
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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schuldbefreiung ausgeschlossen. Gleiches gilt für das Beschwerdeverfahren nach § 6 InsO445 und den außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch.446 Die Neuregelung der Kostentragung sieht heute so aus, dass in dem Fall, in dem sich der Schuldner im Laufe des Insolvenzverfahrens wirtschaftlich erholt und im Rahmen der Restschuldbefreiung zu Leistungen in der Lage ist, die Kosten in der Wohlverhaltensphase zu begleichen hat, und zwar vorrangig vor der anteiligen Befriedigung der übrigen Gläubiger. Ist der Schuldner auch nach der Restschuldbefreiung nicht in der Lage, den gestundeten Betrag aus seinem Einkommen und Vermögen aufzubringen, so kann das Gericht die Stundung um bis zu vier Jahre verlängern. Diese Regelung führt zu einer Nachhaftung des Schuldners für die Verfahrenskosten über die Erteilung der Restschuldbefreiung hinaus, die sich auf Beträge von 200–2.500 Euro belaufen kann.447 Ist der Schuldner dagegen auch im späteren Verlauf nicht zur Leistung in Höhe der Verfahrenskosten in der Lage, so fallen die Kosten endgültig der Staatskasse zu Last. 4. Möglichkeit eines „Null-Planes“? Die mit der Stundungsregelung in §§ 4a ff. InsO getroffene Weichenstellung des Gesetzgebers führt dazu, dass dem Schuldner ab der Insolvenzrechtsreform von 2001 im Prinzip die Möglichkeit der Durchführung eines Insolvenzverfahrens mit anschließender Restschuldbefreiung über einen „Null-Plan“448 eröffnet ist.449 Diese Sichtweise teilen mittlerweile auch die meisten Insolvenz(beschwerde)gerichte, deren Rechtsprechung450 eindeutig in diese Richtung geht. Für die entgegengesetzte Ansicht finden sich nur wenige Stimmen.451 Die inhaltliche Auseinandersetzung kreist dabei einerseits um das Argument, dass mit Null-Plänen den Interessen der Gläubiger nicht Rechnung getragen wird, ihre Forderungen zumindest anteilig beizutreiben.452 Dagegen wird jedoch m.E. zu Recht und überwiegend darauf hingewiesen, dass diese Forderungen, wenn in der Wohlverhaltensphase nicht hereinholbar, ohnehin wirtschaftlich wertlos sind.453 Überdies ist es weder mit der Aufnahme der Restschuldbefreiung im Zielkatalog der Insolvenzordnung noch mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz vereinbar, völlig mittellose Schuld445
MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 304 InsO Rn. 83. BVerfG NJW 2003, 2668. 447 Pape, InsO 2001, 587, 589. 448 Zur Bezeichnung vgl. AG Dortmund ZInsO 1999, 417; AG Würzburg ZInsO 1999. 449 Zum Befund Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 637 f. 450 OLG Celle ZInsO 2000, 601; OLG Celle ZIP 2001, 340; OLG Frankfurt/M. NZI 2000, 473; OLG Karlsruhe NZI 2000, 163; BayObLG NJW 2000, 220; OLG Köln ZInsO 2001, 211; OLG Stuttgart ZInsO 2002, 836, 837; LG Baden-Baden NJW-RR 1999, 993. 451 LG Mönchengladbach ZInsO 2001, 2115. 452 AG Essen ZInsO 1999, 239; AG Stendal ZIP 1999, 929; AG Würzburg ZIP 1999, 319. 453 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 637. 446
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
ner vom Zugang zur Restschuldbefreiung auszuschließen.454 Da in der Praxis Null-Pläne oder Fast-Null-Pläne eine sehr erhebliche bzw. dominante Rolle spielen,455 geht es letztlich um die sozialpolitische Breitenwirkung der Restschuldbefreiung,456 die mittlerweile durch die neue Rechtsprechung sichergestellt ist.457 5. Überlegungen de lege ferenda In einem Gesetzesentwurf458 der Bundesregierung vom 22.8.2007 zur Überarbeitung des Insolvenzrechts war ursprünglich vorgesehen, den außergerichtlichen und gerichtlichen Einigungsversuch zusammenzuführen. Der außergerichtlich begonnene Einigungsversuch, dessen Grundlage der Schuldenbereinigungsplan bilden sollte, soll danach auf Antrag des Schuldners in einem gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren fortgesetzt werden. Weiter wird im neuen Gesetzesentwurf erwogen, dass für mittellose Schuldner – bei denen es quasi nichts zu verwerten gibt – die Durchführung des Insolvenzverfahrens gänzlich ausfällt und nach Abweisung eines diesbezüglichen Eröffnungsantrags mangels Masse sofort in das Restschuldbefreiungsverfahren eingetreten werden kann.459 Diese anvisierten Neuerungen im Verfahrensablauf sind aus Verbrauchersicht zu begrüßen. Denn sie führen zur Verkürzung des Prozedere, und die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen werden insofern entlastet, als bei offensichtlich aussichtslosen Einigungssituationen (wegen völliger Vermögenslosigkeit des Schuldners oder der Komplexität der Verhältnisse)460 ohne ein formal davon getrenntes gerichtliches Verfahren der Richter die fehlende Einigung sofort ersetzen kann. Insofern bleibt das „Vorverfahren“ bestehen, wird jedoch vereinfacht, indem Stufe 1 und 2 fusionieren. Auf der Stufe 3 soll nach dem Regierungsentwurf sodann auch das Insolvenzverfahren entbehrlich gestellt werden und die Restschuldbefreiung sofort betrieben werden dürfen, wenn die Durchführung des Insolvenzverfahrens mangels Masse unsinnig ist. Der Gesetzentwurf wurde allerdings nicht umgesetzt. 454
Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht (2002), S. 635. Vgl. dazu die Angaben bei Heuer/Hils/Richter/Schröder/Sackmann, Der außergerichtliche Einigungsversuch im Verbraucherinsolvenzverfahren (2005), S. 26. Danach stand in 87,5 % der Fälle zum Zeitpunkt des außergerichtlichen Einigungsversuches keine verteilbare Masse zur Verfügung. 456 Zum Befund MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 305 InsO Rn. 63. 457 Die Wissenschaft behandelt das Thema immer noch kontrovers. Die h.M. geht aber auch hier von der Zulässigkeit einer Null-Plan-Regelung aus, vgl. dazu Bindemann, Handbuch Verbraucherkonkurs (1999), S. 69; Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung (1998), S. 88; Pape, NJW 2001, 23, 35; Vallender, DGVZ 2000, 97; dagegen Henckel, FS Gaul (1997), S. 199, 204; kritisch zum Null-Plan auch MüKo/Ott/Vuia, InsO (2. Aufl., 2008), § 305 InsO Rn. 69 ff. 458 RegE BR-Drucks. 600/07, S. 81. 459 BR-Drucks. 600/07, S. 34. 460 Begr. RegE BR-Drucks. 600/07, S. 81. 455
3. Kapitel: Aspekte des zivilprozessualen Verbraucherschutzes
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III. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen gegen Verbraucher Vergegenwärtigt man sich die Probleme des zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ist es schließlich nicht von der Hand zu weisen, dass auch durch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile/Entscheidungen Gefahren für betroffene Verbraucher ausgemacht werden können.461 Diese lassen sich auf unterschiedliche Umstände zurückführen: Sie können sich schon darauf stützen, dass ein ausländisches Urteil fremdes materielles Recht zugrunde legt, das einen anderen Verbraucherschutzstandard ausweist. Innerhalb der EU ist man diesem Problem mit der neuen Rom I-Verordnung begegnet und hat es damit „entschärft“. Hauptsächlich beruhen die dem Verbraucher drohenden Gefahren bei der so genannten Exequatur aber darauf, dass sich der betroffene Verbraucher „überrumpelt“ fühlt, weil er entweder von dem im Ausland gegen ihn geführten Prozess gar nichts wusste oder unzureichend informiert wurde, und er deshalb auch Verteidigungsmöglichkeiten nicht ausreichend wahrgenommen hat.462 Die maßgeblichen Regelungen zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen im deutschen Recht bilden die §§ 328, 722, 723 ZPO, §§ 33 ff. EuGVVO („Brüssel I-VO“), wobei die EuGVVO eine lex specialis zu den §§ 328 ff. ZPO darstellt. § 328 ZPO statuiert vor dem Hintergrund der deutschen Justizhoheit und der Rechtsstaatsverbürgung des Grundgesetzes bestimmte Ausschlussgründe für die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts, wobei unter „Urteil“ jede gerichtliche Entscheidung verstanden wird. Ob die Voraussetzungen der Anerkennung vorliegen, muss das deutsche Gericht von Amts wegen prüfen, denn es handelt sich bei § 328 ZPO um zwingendes öffentliches Recht.463 Auf Grund der Vorgaben des § 328 ZPO wird deutlich, dass ausländische Urteile zum Schutz der im Inland lebenden Bürger nicht ohne weiteres wirken.464 Nach der Systematik der ZPO-Regelungen ist bzgl. der Wirkungsvoraussetzungen, die teilbar gestellt werden, zwischen der Rechtskraftwirkung (§ 328 ZPO) und der Vollstreckbarkeit (§§ 722 f. ZPO) zu unterscheiden. Die Rechtskraftwirkung gerichtlicher Entscheidungen der durch die EuGVVO gebundenen Staaten regelt Art. 33 I EuGVVO. Danach wirken Entscheidungen der Zivilgerichte der Mitgliedstaaten der EU so wie deutsche Urteile. Sie werden also, ohne den Vorbehalt des § 328 ZPO „passieren“ zu müssen, anerkannt. Dies beruht darauf, dass die Mitgliedstaaten der EU auch im Verfahrensrecht von einem angenäherten Standard ausgehen, der bestimmten Rechtsstaatsverbürgungen genügt. Hierin zeigt sich das Vertrauen, welches innerhalb der Gemeinschaft 461 Zur Bedeutung für den zivilprozessualen Verbraucherschutz vgl. Gilles (Hrsg.), Effiziente Rechtsverfolgung (1987), S. 161 ff., 170 ff. 462 Zu diesem Problemkreis Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 114. 463 BGHZ 59, 121; BayObLG NJW 1976, 1038. 464 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 328 ZPO Rn. 1.
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2. Teil: Rechtstatsächliches: das Verbraucherschutzrecht de lege lata
der Justiz anderer Mitgliedstaaten entgegengebracht wird (Erwägungsgrund 16 der VO).465 Einschränkungen dieses Grundsatzes ergeben sich lediglich aus Art. 34 und 35 EuGVVO. Außerhalb des Geltungsbereiches der EuGVVO ist dieses Vertrauen in den vergleichbaren rechtsstaatlichen Standard des Zivilprozesses nicht ohne weiteres begründbar. Deshalb werden außerhalb des Geltungsbereiches der EuGVVO ausländische Urteile nicht per se anerkannt. Ihre Anerkennung ist aber auch nicht absolut ausgeschlossen. Sie müssen allerdings – und darin zeigt sich die „Deprivilegierung“ gegenüber mitgliedstaatlichen Entscheidungen – ein besonderes Anerkennungsverfahren durchlaufen, durch das sie für vollstreckbar erklärt werden (vgl. § 722 ZPO). Den inhaltlichen Prüfmaßstab dafür legt § 328 ZPO fest. Wichtig ist hier insbesondere der Absatz 1. Nach § 328 I ZPO ist die Anerkennung eines ausländischen Urteils ausgeschlossen, wenn: – das ausländische Gericht nach den deutschen Gesetzen nicht zuständig ist (Nr. 1); – dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und der sich hierauf beruft, das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte (Nr. 2); – das Urteil mit einem hier erlassenen oder einem anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil oder wenn das ihm zugrunde liegende Verfahren mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist (Nr. 3); – die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist (Nr. 4); – und wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist (Nr. 5). Urteile ausländischer Staaten, die unter dem EuGVVO-Abkommen stehen, sind im Gegensatz zu allen übrigen ausländischen Urteilen nach Art. 33 I EuGVVO per se anerkannt. Da die Art. 34, 35 EuGVVO jedoch inhaltliche Einschränkungen der Anerkennung vorsehen, kann Streit über diese aufkommen. In diesem Fall kann ein besonderes Feststellungsverfahren durchgeführt werden (vgl. Art. 33 II, III EuGVVO), das auf die Feststellung der Anerkennung/Vollstreckbarkeit gerichtet ist, sofern hierfür ein Bedürfnis besteht. Das Verfahren richtet sich dann nach den Abschnitten 2 und 3 der EuGVVO, d.h. nach Art. 38 ff. und 53 ff. EuGVVO.466 Wenn man sich die Konstellationen der angeordneten Rückausnahme in Art. 34 EuGVVO vor Augen führt, wird eine gewisse Parallele zu § 328 ZPO deutlich,467 was vielleicht verblüffen mag, weil damit herausgestellt 465 466 467
Rn. 1.
Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 33 EuGVVO Rn. 1. Hk-ZPO/Dörner (2. Aufl., 2007), Art. 35 Rn. 11. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Art. 34 EuGVVO
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wird, dass das gegenseitige Vertrauen in den vergleichbaren Rechtsstandard der Mitgliedstaaten doch noch nicht sehr weit geht. Denn nach Art. 34 EuGVVO wird die Entscheidung nicht anerkannt, wenn: – die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaates, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde (Nr. 1); – dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig oder in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte (Nr. 2); – sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist (Nr. 3); – sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat erfüllt, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird (Nr. 4). Art. 35 I EuGVVO regelt ferner (was gerade für den Konsumentenschutz bedeutsam ist), dass Entscheidungen nicht anerkannt werden, wenn die Vorschriften der Abschnitte 3, 4 und 6 des Kapitels II der EuGVVO verletzt worden sind. Art. 3 und 4 betreffen die Regelungen in Versicherungs- und Verbrauchersachen, die damit eine besondere vollstreckungsrechtliche Berücksichtigung erfahren, was dem Verbraucherschutz über die für alle anwendbaren Normen der §§ 328, 722, 723 ZPO, Art. 34 EuGVVO hinaus in besonderer Weise dienlich ist. Insgesamt lässt sich vor dem Hintergrund der beschriebenen Regelungen resümieren, dass damit auch für die Problematik der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile gegen (inländische) Verbraucher ein in jedem Fall differenziertes System geschaffen wurde, wobei die EuGVVO hier durch den Art. 35 EuGVVO einen besonders hohen Standard zum Schutz des Verbrauchers statuiert. Damit soll der Überblick über die zivilprozessualen Aspekte des Verbraucherschutzes abgeschlossen werden. Das Verbraucherprozessrecht bildet hier in der Darstellung die letzte Ebene, auf der sich verbraucherschützendes Gedankengut im deutschen Zivilrecht, wenn nicht umfassend, so doch über bloße Anfänge der Sonderrechtsbildung hinaus, Bahn gebrochen hat. Mit diesem Kapitel soll der weite Bogen, der zur Nachzeichnung des verbraucherrechtlichen Gedankenguts im deutschen Recht geschlagen wurde, beendet werden, damit nun, im 3. Teil der Arbeit, auf seiner Grundlage eine resümierende (rechtstheoretische) Gesamtbetrachtung stattfinden kann.
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3. Teil: Rechtstheorie
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3. Teil
Rechtstheorie Der letzte, d.h. der dritte Teil dieses Buches, der mit dem Titel „Rechtstheorie“ überschrieben ist, soll den ersten Teil betreffend der Grundlagen des Verbraucherschutzes und den zweiten Teil betreffend seiner rechtstatsächlichen Ausprägungen konzentriert in einer abstrakten Gesamtbewertung zusammenführen. Es soll hier der Frage nachgegangen werden, wie der beschriebene Rechtsbestand des Verbraucherschutzrechtes rechtstheoretisch zu erfassen ist und welche Folgerungen sich daraus ableiten lassen.
A. Einleitung V. Hippel1 veröffentlichte bekanntlich 1986 ein Standardwerk zum Verbraucherschutzrecht, wobei er ähnlich wie andere Autoren2 nicht etwa eine grundlegende Untersuchung zum Verbraucherschutzrecht lieferte, sondern vielmehr eine pragmatisch orientierte Zusammenfassung der bisherigen gesetzlichen Regelungen und Entwicklungen anfertigte.3 Gleichwohl war der Zivilrechtswissenschaft schon sehr früh bewusst, dass die „Entdeckung des Verbrauchers“, auch wenn er mehr und mehr in Sonderregelungen erwähnt wurde, nicht schon dadurch zu einer rechtlich fassbaren Figur werden konnte, dass er ständig erwähnt wurde. Es kam bzw. kommt darauf an, zu untersuchen, welche Masse die den Verbraucher schützenden Bestimmungen einnehmen und ob sie innerlich und äußerlich verbunden sind. Nur dann kann sich – wie es 1976 schon sehr früh K. Simitis formulierte – herausstellen, ob für die Rechtsordnung Verbraucherschutz nicht eine simple Begriffsklammer für diverse Intentionen ist, sondern eine substantiierbare, an die Situation eines 1
V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986). K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976); Reich, Markt und Recht (1977), zum Verbraucherschutz vgl. Darstellung ab S. 179 ff.; Reich/Micklitz, Verbraucherschutz in der Bundesrepublik Deutschland (1980); Reich//Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976); Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994); Michalski, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003); Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht (2003); dies., Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005); Borchert, Verbraucherschutzrecht (2. Aufl., 2003); Micklitz/Pfeiffer/Tonner/Willingmann, Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001). 3 So auch der Befund bei Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 21 f. 2
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3. Teil: Rechtstheorie
bestimmten Personenkreises gebundene Aufgabe, ob es sich beim Verbraucherschutz um ein Schlagwort oder um ein Rechtsprinzip handelt.4 Auch wenn sich K. Simitis und ihm nachfolgend v. Hippel seinerzeit noch primär um eine Dokumentation der Inhalte verbraucherrechtlicher Entwicklungen bemühten, so haben sie sich doch bereits vor mehreren Jahrzehnten für eine erste Systematisierung des Gegenstandsbereiches ausgesprochen. Beide traten darüber hinaus für eine umfassende Konzeption des Verbraucherschutzrechtes ein, das die „einstweilen in verschiedenen Gesetzen verstreuten und nicht hinreichend koordinierten Regeln zu einem wirklichen System des Verbraucherschutzes integriert und dabei zugleich dem verstärkten Schutzbedürfnis des heutigen Verbrauchers durchgehend (d.h. über Vereinzelungen hinaus) Rechnung trägt“.5 Sowohl K. Simitis als auch v. Hippel haben ihre frühen Ausarbeitungen, die zeitlich noch in die Entwicklungsphase des Verbraucherschutzrechts fielen, aber seinerzeit eher als eine in die Zukunft gerichtete Aufgabenbeschreibung denn als ein bereits realisiertes Anliegen betrachtet,6 wenngleich das „Potential“ dieses Rechtsbereiches in den Anfängen sichtbar gemacht werden sollte. Die Qualifizierung der Arbeiten als Aufgabenbeschreibung gilt namentlich in Bezug auf die Einteilung der Abhandlungen beider Autoren, in der die einzelnen verbraucherpolitischen Themenbereiche lose nebeneinander gestellt wurden. Sie förderten dementsprechend noch keine zusammenhängenden Prinzipien zu Tage, keine methodischen Regeln oder sonstige begriffliche Merkmale, die den Verbraucherschutz als Rechtsgebiet hätten konturieren können. Gleichwohl folgt sowohl die Darstellung K. Simitis als auch die v. Hippels einem einheitlichen Muster, das die Relevanz des Verbraucherschutzgedankens in vielen Segmenten des Zivilrechts ins Bewusstsein rufen möchte. Auch meine Ausarbeitung trägt diesem von den beiden vorbenannten Wissenschaftlern vorgegebenem „Muster“ – allerdings auf neuestem Rechtsstand – Rechnung, versucht aber darüber hinaus, zu systematisieren, gemeinsame Begriffe, Instrumente und ähnliche „Verbindungslinien“ aufzuzeigen, die die verschiedenen Themenbereiche des Verbraucherschutzrechtes zu einem Rechtssegment mit dem Anliegen des Schutzes des Verbrauchers zusammenfügen. Wenngleich K. Simitis und v. Hippel quasi das Rohmaterial, d.h. verbraucherschützende Gesetze, zusammenstellten, an dem sich die Frage entzünden müsste, ob es etwas gibt, was diese Bereiche verbindet, sind sie beide diesen „letzten“ (hinterfragenden, rechtstheoretischen) Schritt vor mehr als dreißig Jahren nicht mehr bis „zu Ende“ gegangen. Statt ihrer haben sich, das soll hier nicht unerwähnt bleiben, bereits vor Jahrzehnten andere positioniert, die dem Verbraucherschutzrecht sehr früh schon jeglichen Sonderrechts- oder gar Rechts4
K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 18. V. Hippel, Verbraucherschutz (3. Aufl., 1986), S. 16. 6 Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 22; Schricker, GRUR Int. 1976, 315 ff. 5
A. Einleitung
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prinzipcharakter absprachen, da – so die Behauptung – aus den lose nebeneinander stehenden Vorgaben noch keine Verbindungslinien ableitbar seien und man diese auch gar nicht herzustellen suche. Denn wollte man dies, würde auch die Systematik und freiheitlich-liberale Grundausrichtung des Zivilrechts untergraben.7 Derartige frühe Stellungnahmen, die auch heute noch vereinzelt zu finden sind, waren allerdings noch sehr pauschal gehalten und zuvorderst rechtspolitisch8 orientiert, was auch daran erkennbar war bzw. ist, dass sie sich noch nicht grundlegend damit auseinandersetzen, was Rechtsprinzipien überhaupt ausmacht, wie sie sich konstituieren und welche Funktion sie haben. Im letzten Teil meiner Arbeit möchte ich den von K. Simitis und v. Hippel bereits angedachten Weg zu Ende führen und damit zugleich der bereits erfolgten Zusammenstellung des rechtlichen „Rohmaterials“, d.h. dem Überblick über die Vielzahl der verbraucherschützenden Einzelaspekte im geltenden Recht, eine rechtstheoretische Abrundung geben. Ziel meiner Arbeit war es, das deutsche Verbraucherrecht auf neuestem Rechtsstand als eine in sich geschlossene Einheit vieler Einzelerscheinungen darzustellen und dem Leser von seinen Ursprüngen bis in die kleinsten Ausprägungen verständlich zu machen. Wollte man insoweit auf ein Bild zurückgreifen, könnte man sagen, es ging mir darum, diesen Regelungskomplex wie einen Baum von seinen Wurzeln, über den er sich nährt, hinauf in seine vielen Verästelungen abzubilden, um zuletzt, quasi aus der Vogelperspektive, einen abschließenden Blick auf ihn zu werfen, wobei die Verästelungen nur noch als „grüne Einheit“ in Erscheinung treten, und es keinen Zweifel mehr daran gibt, dass der Baum, der einstmals nur ein Pflänzchen war, heute als Rechtsprinzip neben vielen anderen steht und seine Daseinsberechtigung hat. Dem Bild vom Baum folgend, soll es nun – im 3. Teil – darum gehen, die von K. Simitis und v. Hippel gestellte Frage, ob und inwieweit der derzeitige Stand des (deutschen) Verbraucherrechts dazu aufruft, ein allgemeines Rechtsprinzip des Konsumentenschutzes als bestehend anzusehen und welche Folgerungen ein solches allgemeines Rechtsprinzip nach sich ziehen könnte, zu beantworten. Damit wird zugleich die Frage/resp. das Postulat der möglichen Verallgemeinerung und Ausbreitung des verbraucherschützenden Gedankenguts neu formuliert werden.
7 Gegen Verallgemeinerungsbestrebungen treten etwa auf: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher? (1983), S. 141 ff.; Dreher, JZ 1997, 167 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992), S. 119 ff.; restriktiv auch Miletzki, Formen der Konfliktbewältigung im Verbraucherrecht (1979); Soergel/Pfeiffer (2002), § 13 Rn. 19; Zöllner, AcP 196 (1996), 1 ff. 8 Vgl. etwa Adomeit, NJW 2003, Heft 43, Editorial mit dem Titel: „Verbraucherschutz ein letzter Triumph von Karl Marx“.
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3. Teil: Rechtstheorie
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien Die Frage nach dem Rechtsprinzipcharakter des Verbraucherschutzes greift – das ist hier eingangs zu betonen – weit hinein in eine grundlegende rechtstheoretische Auseinandersetzung über die Bedeutung von Rechtsprinzipien überhaupt. Insoweit lässt sich konstatieren, dass in der Jurisprudenz schon seit Jahrzehnten eine ebenso kontroverse wie m.E. wichtige Diskussion über die Rolle von allgemeinen Prinzipien und die Möglichkeit ihrer „Aufdeckung“ stattfindet. Es handelt sich dabei um eine Auseinandersetzung, die alle wesentlichen Themen der Rechtstheorie und der juristischen Methodenlehre berührt, wie etwa die Frage nach dem Rechtsbegriff und der Rechtsgeltung, das Verständnis der Struktur, der Dynamik und der Systembildung des Rechts, die Probleme der Gesetzesinterpretation und der Rechtsfortbildung sowie das Verhältnis von Gesetzesbindung und Einzelfallgerechtigkeit.9 All diese Themenbereiche sind auch und gerade für das Verbraucherschutzrecht von besonderer Bedeutung, was sich gerade an der im ersten Teil dargestellten Dynamik des Regelungsbereiches, das so typische Vorpreschen der Rechtsprechung und das Aufgreifen der zu Fallgruppen verdichteten Judikate durch die Gesetzgebung, aber auch an der Frage des Sonderrechtscharakters der verbraucherschützenden Regelungen und der Eigentümlichkeit der Herausbildung allgemeiner (übergreifender) Begriffe und Instrumente zeigt. Im Zuge der wissenschaftlichen Befassung mit den o.g. methodischen und rechtstheoretischen Grundsatzthemen ist man, das ist für die weitere Untersuchung des verbraucherschützenden Regelungsclusters von besonderer Tragweite, mehr und mehr dazu übergegangen, neben und anstelle des abstrakten Begriffs (als Baustein des äußerlichen Rechtssystems) auch andere Denkformen ordnend zu verwenden, wie etwa den des Typus,10 des Leitgedankens,11 des konkretisierungsbedürftigen Prinzips12 und des funktionsbestimmten Begriffs.13 Erst durch das Ansetzen dieser Ordnungsbegriffe wird anschaulich, wie sich Recht als Regelungsinstrument zur Gestaltung von Rechtsbeziehungen erneuern kann, ohne dabei den Anspruch auf Rechtssicherheitsgewährung,14 der ihm gemäß dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung immanent ist, aufzugeben.15 Die Motivation zur Herausbildung der Denk- und Ordnungsformen des Typus und 9 So der Befund bei Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), Vorwort, S. 3. 10 Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit (1968), S. 237 ff.; Hempel/Oppenheim, Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik (1936); Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 25 ff. 11 Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 80 f. 12 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 265. 13 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 265. 14 Vgl. dazu BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7. 15 Vgl. dazu meine Ausführungen zur Wandelbarkeit des Rechts im ersten Teil.
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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des Prinzips ergab sich angesichts der Notwendigkeit, dem äußeren System des Rechts ein inneres an die Seite zu stellen.16 Dabei führt die Bildung des inneren Systems über die Kennzeichnung eines rein „äußerlich geschlossenen Systems“17 weit hinaus. Denn bei der inneren Systembildung geht es um den Anspruch auf wertungsmäßige Vollständigkeit und logische Geschlossenheit,18 der gerade für den Umgang mit „schwierigen Fällen“, etwa bei der Interpretation, aber auch bei der Lückenschließung, unabweisbar hervortritt.19 In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Rechtsnormen in einer Rechtsordnung üblicherweise nicht unverbunden nebeneinander stehen und dieses auch in Bezug auf den aus der Rechtsidee selbst herrührenden Anspruch auf Geschlossenheit und Widerspruchsfreiheit 20 nicht sein darf. Rechtsnormen sind vielmehr miteinander ins Verhältnis zu setzen und in ihrem Geltungsanspruch aufeinander abzustimmen.21 Der Abstimmungsprozess bedingt freilich die Notwendigkeit, unter einem leitenden Wertungsgesichtspunkt, der sich selbst nur nach einem „Hin- und Herwandern des Blickes“ festlegen lässt, Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen und ein Verhältnis zu definieren.22 Die darin bestehende Notwendigkeit vom Abgehen des Individuellen führt aber nicht dazu, dass Sinnzusammenhänge zerstört werden, sie werden durch Isolierung und den Abgleich einzelner Merkmale sogar noch anschaulicher. Das Verfahren der „typisierenden Abstraktion“, das dazu angewendet werden muss, bietet Raum für Anschaulichkeit, Erfassung von Ganzheitlichkeit und Sinnhaftigkeit, ist aber durch sein „tastendes Vorgehen“ doch auch offen für Wandlungen 16 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 139 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 264. 17 So bezeichnet in Anlehnung an Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 139 ff. 18 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1993), S. 38 ff.; 62 f.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 34. 19 Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 65. Mit Kant kann man in Bezug auf das „äußere System“ sagen, dass eine bloß empirische Rechtslehre wie der hölzerne Kopf in Phädrus’ Fabel ist, „ein Kopf, der schön sein mag, nur schade, dass er kein Hirn hat“, vgl. dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtswissenschaft (1797), AB 31, 32. 20 Vgl. dazu etwa Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1993), S. 38 ff.; 62 f.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 35; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 3; Sachs, in: GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 Rn. 131. 21 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 263; Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43; zu den Bestandteilen der Rechtsidee vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 3: Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, Zweckmäßigkeit; Zum Rechtssicherheitspostulat als Bestandteil des Rechtsstaatsgedankens siehe auch Sachs, in: GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 Rn 122 mwN. 22 Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 65, insbesondere Fn. 21; Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit (2. erg. Aufl., 1968), S. 144 ff.
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3. Teil: Rechtstheorie
durch Einbeziehung und Ausschließung ggf. erst später hinzu kommender Fälle und Fallgruppen.23 All dies eröffnet den Blick für innere Wertungen, die wenngleich noch sehr abstrakt ausgebildet, Regelungskomplexe zusammenhalten und in dieser Clusterbildung zugleich nach Abstimmung zu anderen „Normenkomplexen“ verlangen. I. Die (umstrittene) Existenz von Rechtsprinzipien Ob man gewillt ist, die normative Klammer, die einen Typus bzw. ein Rechtsprinzip charakterisieren, herauszustellen, hängt davon ab, ob man Typenbildung und Rechtsprinzipien als notwendig und daher willkommen für die Erfassung des Rechtsstoffes ansieht. Gegenwärtig hegen freilich nur noch wenige Zweifel daran, dass den Normen und Institutionen jeder Rechtsordnung allgegenwärtig eine Vielzahl von Prinzipien zugrunde liegt, denen eine wichtige ordnende Aufgabe zukommt.24 Trotzdem ist die Existenz von fundamentalen Rechtsgrundsätzen bzw. Prinzipien nicht unumstritten. In der Diskussion stehen einander – grob vereinfacht gesprochen – im Wesentlichen zwei Grundpositionen gegenüber: Die erste ist durch die Denkrichtung des reinen Rechtspositivismus gekennzeichnet. Sie sieht das Recht als ein autonomes, also selbständiges, sich selbst genügendes und sich allein reproduzierendes System von Regeln an. Dieser Ansatz wendet sich gegen die Existenz und Verwendung von (übergeordneten) Prinzipien zur Entscheidungsfindung, jedenfalls solange und sofern sie nicht selbst explizit kodifiziert wurden.25 Demgegenüber tritt die zweite Position dafür ein, dass jede Rechtsordnung neben einfachen Regeln auch eine Menge von teils geschriebenen, teils aber auch ungeschriebenen Prinzipien oder Grundsätzen in sich birgt. Die ungeschriebenen Rechtsprinzipien verknüpfen vielfach das geschriebene Recht mit den in der Rechtsgemeinschaft anerkannten (ethischen) Vorstellungen. Erst durch ihre Heranziehung ist es in vielen Fällen möglich, schwierige Rechtsfragen – auch und gerade im Zusammenhang mit Auslegungs- und Lückenfüllungsproblemen – zu beantworten. Prominenter Vertreter dieser den Rechtspositivismus „öffnenden“ Sichtweise im deutschen Recht ist Josef Esser, der die Diskussion um Rechtsprinzipien mit seinem Buch „Grundsatz und Norm“ (1956)26 vor Jahrzehnten neu belebt hat. 23
Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 65. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 79; Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 26. 25 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, (Hrsg.), Ringhofer/Walter (1979); Krawietz, Recht als Regelsystem (1984); Hoerster, Verteidgung des Rechtspositivismus (1989); Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, entwickelt aus dem Rechtsbegriff (1923). 26 Esser, Grundsatz und Norm (4. unveränderte Aufl., 1990), S. 6 f.; 85 f., 168, 267; ders., RabelsZ 18 (1953), 165. 24
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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Bei anderen, etwa bei Franz Bydlinski,27 Karl Larenz,28 Theodor Viehweg 29 und Robert Alexy30 hat sein Denkansatz eine positive Resonanz gefunden, zum Teil auch eine Fortentwicklung und Ausdifferenzierung erfahren. Die den Rechtspositivismus zum vorrechtlichen Vorhof öffnende Sichtweise weist, worauf vor allem F. Bydlinski wiederholt und zu Recht aufmerksam gemacht hat, frappierende Ähnlichkeiten mit den Auffassungen des Grazer Zivilisten Walter Wilburg auf, der bereits um die Mitte des 20. Jahrhunderts in mehreren Schriften gegen die damals vorherrschende dem Rechtspositivismus verhaftete Doktrin die Konzeption eines „beweglichen Systems“ entwickelte.31 Der Grundgedanke dieser Konzeption ist, dass Recht nicht als eine Menge starrer Regeln, sondern als ein System von beweglichen Elementen, von variablen Entscheidungsmaßstäben zu verstehen ist,32 damit es ohne Verlust seines inneren Haltes die Eignung erlangt, die vielfältigen Kräfte des Lebens in sich aufzunehmen.33 II. Der Bedarf nach Rechtsprinzipien und ihre Funktion Die Frage der Existenz von Rechtsprinzipien, die, wie gesehen, unterschiedlich beantwortet wird, darf freilich nicht isoliert betrachtet werden von etwaigen Bedürfnissen des Rechtsanwenders und -gestalters. Es kommt insofern zum Tragen, dass Rechtsprinzipien eine juristische Denkform darstellen, die notwendig ist, um dass Recht nicht nur als äußere, sondern auch als innere Einheit zu begreifen und handhaben zu können.34 Hierin manifestiert sich zugleich der Bedarf nach dieser Konstruktion und die Funktion, die Rechtsprinzipien haben. 1. Die einende (integrierende) Funktion für das gesamte Recht Grundlegend ist in diesem Zusammenhang bereits die „einende“ (d.h. integrierende) Funktion, die Rechtsprinzipien zugesprochen wird. Auf diese bauen die im Folgenden genannten Zwecke der Denkform des Typus bzw. des Rechtsprinzips auf. Die einende Funktion von Rechtsprinzipien besteht in der Herstellung
27
F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 11 ff., 132 ff. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (4. Aufl., 1979), S. 201, 453. 29 Viehweg, Topik und Jurisprudenz (5. Aufl., 1974), S. 105 ff. 30 Alexy, in: Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 31 ff. 31 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts (1941); ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950), Rektorratsrede. 32 Ebenso: Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 265. 33 So auch der zusammenfassende Befund bei Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 3. 34 So die zutreffende Stellungnahme von Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 10. 28
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3. Teil: Rechtstheorie
einer inneren Kohärenz der Rechtsordnung.35 Letztlich, so sagt man, stiften die Prinzipien in dem Maße, in welchem sie ein Konvolut grundsätzlich kohärenter und objektiver Werte bilden, der gewaltigen Masse von Rechtsnormen eine gewisse materielle und substantielle Einheit.36 Gemeint ist damit eine inhaltlich strukturierte Systematik, die als Ergänzung zu dem formalen System dient, das durch die Rechtsquellen schaffenden Regeln angelegt ist.37 Es kann nicht oft genug herausgestellt werden, dass es erst diese Einheit erlaubt, auf dogmatischer Ebene das Normmaterial zu ordnen und als kohärente Ganzheit mit Sinngehalt und wohldefinierten Voraussetzungen zu erfassen. Dies selbst ist wiederum unabdingbare Voraussetzung dafür, dass das Recht nicht widersprüchlich ist und, wenn und weil es mit „einer Stimme spricht“, erst genügend Orientierung für den Anwender (bzw. Rechtsunterworfenen) stiftet.38 Ein bloß äußeres System kann diese aus der Rechtsidee abgeleitete Orientierung nicht vollumfassend hervorbringen. 39 In diesem Zusammenhang hoben etwa J. Esser und F. Bydlinski mehrfach hervor, dass eine Reduktion der Prämissen des Rechtsdenkens auf äußerlich in Erscheinung tretende, isoliert angewendete Regeln, ohne Bezugnahme auf den inneren Systemverbund, Willkür und Erwartungsenttäuschung produzieren, weil damit unbehebbare Unklarkeiten und Lücken verbleiben.40 Diesen negativen Erscheinungen kann einzig die Herausarbeitung einer Schicht leitender normativer Prinzipien entgegentreten, die es bei der Normanwendung und Fortbildung jeweils in Bezug zu nehmen gilt,41 was wiederum den Blick für den Anwendungsbereich von Rechtsprinzipien öffnet.
35 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 263; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 2. 36 Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz//Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 86; F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 18; ders., Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), 116; Wieacker, Zur Topikdiskussion in der zeitgenössischen deutschen Rechtswissenschaft, in: Xenion, FS Zepos, (Hrsg.), v. Caemmerer/Kaiser/Kegel/Müller-Freienfels/Wolff (1973), S. 408 ff. 37 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (4. Aufl., 1979), S. 420; Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 11. 38 Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 39 Die Aufgabe, auch das innere System, das normativ hinter den Einzeltatbeständen steht, sichtbar zu machen, rührt schon daher, dass die Rechtswissenschaft (weil sie zu den im engeren Sinne verstehenden Wissenschaften gehört) ihren Anspruch nur durch die Ent wicklung ihrem Gegenstand angemessener, hermeneutisch gesicherter Denkweisen rechtfertigen kann, und damit nicht (allein) durch den bei normativen Prozessen stets beschränkt bleibenden Versuch einer Andienung an die Methoden der exakten Wissenschaften stehen bleiben kann. 40 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 115; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 4 f . 41 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 116; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 5.
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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2. Die interpretierende Funktion bei der Gesetzesanwendung Gilt es, die oben beschriebene integrierende Funktion der Rechtsprinzipien umzusetzen, treten die Rechtsprinzipien u.a. in ihrer interpretierenden Funktion in Erscheinung.42 Diese äußert sich darin, dass schon die Interpretation von Rechtsnormen dem Rechtsanwender Spielräume eröffnet,43 die er innerhalb eines geordneten Systems freilich nicht nach eigenem Belieben ausnutzen kann.44 Um möglichen rein subjektiven Einbrüchen in das Recht schon bei seiner Anwendung entgegenzuwirken und um den Grundsatz der Einheit des Rechts zu wahren,45 muss dem Rechtsanwender eine handhabbare und zugleich zwingende Orientierung geboten werden, wofür sich Rechtsprinzipien besonders eignen. Rechtsprinzipien kommt insoweit eine besondere Rolle auch bei der Interpretation von Rechtsnormen zu. Die ihnen immanente „interpretierende Funktion“ tritt darin zu Tage, dass sie bei der Auslegung interpretationsfähiger und -bedürftiger Normen in Bezug zu nehmen sind.46 Gerade bei der Anwendung von Generalklauseln, aber auch bei anderen konkretisierungsbedürftigen Normen, besteht hierfür ein besonderer Bedarf und damit ein breites Anwendungsfeld von Wertungstendenzen, die aus den einzubeziehenden Prinzipien folgen.47 3. Die lückenfüllende Funktion bei der Rechtsfortbildung Ein weiterer, über die bloße Interpretation von Normen hinausreichender Schritt für die notwendige „Bändigung“ des ggf. rein subjektiv orientierten Ermessens des Rechtsanwenders ist im Zusammenhang mit der „Lückenfüllung“48 zu vollziehen, die vom Ausgangspunkt her (ebenso wie die bloße Anwendung der Normen)49 sys42
Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 136. Raisch, Vom Nutzen der überkommenden Auslegungskonones für die praktische Rechtsanwendung (1988), S. 60; Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis (1979), S. 36 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung (1985), S. 23 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 46 ff., 96 ff. 44 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 136, 143. 45 Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 49. 46 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 18; ders., Fundamentale Rechtsprinzipien. S. 1, 2; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 4; Flume, Gewohnheitsrecht und Römisches Recht (1975), S. 38. 47 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 18 f. 48 Der Ausdruck Lücke stammt von Elze, Lücken im Gesetz (1916), S. 3 ff.; vgl. zur unterschiedlichen Lückenqualität auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 193 ff. 49 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 187 betonte richtig, dass Gesetzesauslegung und richterliche Rechtsfortbildung nicht als wesensverschieden angesehen werden dürfen, sondern nur als voneinander verschiedene Stufen desselben gedanklichen Verfahrens; ähnlich Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung (1996), S. 86. 43
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3. Teil: Rechtstheorie
tem- bzw. gesetzesimmanent zu erfolgen hat.50 Auch hierbei spielen Rechtsprinzipien im Hinblick auf die Orientierungswirkung, die von ihnen ausgeht, eine bedeutsame Rolle. Die so genannte „lückenfüllende Funktion“ von Rechtsprinzipien schlägt sich darin nieder, dass eine Auflösung von jenen Konflikten gesucht und ermöglicht wird, die sich unter keine gültige Norm subsumieren lassen.51 4. Die programmierende/richtungweisende Funktion Anknüpfend an die Lückenfüllung, die sich als Auftrag primär an die Rechtsprechung richtet, gestaltet sich die programmierende und richtungweisende Funktion von Rechtsprinzipien für die Herausbildung neuen positiven Rechts, die über die von der Rechtsprechung betriebene „Rechtsfortbildung“ hinaus besondere Bedeutung für die Legislative erlangt. a. Postulat des „Kurshaltens“ Die programmierende und richtungweisende Funktion der Rechtsprinzipien läuft darauf hinaus, „den Kurs zu halten“.52 Die Herausbildung bzw. Offenlegung von Rechtsprinzipien auf der Makroebene kann und muss nicht nur der Jurisprudenz, sondern gerade auch der Gesetzgebung eine Orientierung für die Fortbildung des Rechts geben.53 Die Orientierungsfunktion eröffnet sich darüber, dass Rechtsprinzipien Wertungen offen legen, die ganze Rechtsmaterien stützen und zusammenhalten. Will man die durch diese Wertungen verbundenen Teilbereiche des Rechts mit einiger innerer Konsequenz durch neue Regelungen fortentwickeln, bedarf es notwendigerweise der Bezugnahme auf das ihnen unterlegte Prinzip (und natürlich auch der abgrenzenden Abwägung zum ggf. gegenläufigen Typus).54 Gegen das Festhalten am Bestand, d.h. an induktiv ermittelten Rechtsprinzipien, die den einfach-gesetzlichen Normen unterlegt sind, kann auch nicht geltend gemacht werden, es handle sich hierbei um eine unzulässige Ableitung des Sollens aus dem Sein.55 Denn dieser Einwand geht an den notwendigen – schon aus der Rechtsidee, nämlich dem Gedanken der Rechts-
50 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 93 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 191 ff. 51 Zum Ganzen vgl. Dworkin, The Model of Rules II, in: ders., Taking Rights Seriously (1977), S. 59 ff.; Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/ Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 68. 52 Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 10; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 83; Noll, Gesetzgebungslehre (1973), S. 125 ff. 53 Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht (1996), S. 30 ff. 54 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 18 f. 55 So aber Hume, Traktat über die menschliche Natur (treatise of human nature). Ein Versuch, die Methode der Erfahrung in die Geisteswissenschaft zu überführen, II. Teil, dt. von Lipps (1906), S. 211.
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sicherheit,56 folgenden – „Beharrungstendenzen des Rechtes“, die es jedenfalls in einem gewissen Umfang geben muss, um Orientierungssicherheit zu gewährleisten, vorbei.57 aa. Anknüpfung an Rechtsprinzip, das ggf. mit anderen abzuwägen ist Der die Herausbildung und Anwendung von Einzelnormen notwendige Zuordnungs- und Abwägungsvorgang bzgl. der „betroffenen“ Prinzipien eröffnet den Blick für die Existenz einer Vielzahl von Prinzipien, die inhaltlich nicht nur in ein hierarchisches Verhältnis gesetzt werden können, sondern u.U. auch gegenläufig sind. Er weist damit den Blick für mögliche Prinzipienkollisionen.58 Es ist vor diesem Hintergrund ohne weiteres einsichtig, dass sich die Einzelregelungen der Rechtsinstitute oder Rechtsgebiete vielfach nur daraus erklären lassen, dass die gleichgerichteten Kräfte59 für die in Frage stehenden Rechtsfolgen kompromisshaft mit gegenläufigen abgewogen werden. Die Lösung der Prinzipienkollision besteht nicht nur für den Rechtsanwender, sondern gerade auch für den Gesetzgeber, in der auf Optimierung der betroffenen Prinzipien insgesamt angelegten Abwägung.60 Es kommt hier notwendigerweise zu einem „beweglichen Systemdenken“61 i.S.d. Lehre Wilburgs.62
56 Vgl. dazu etwa BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 3. 57 Emmenegger, Gesetzgebungskunst (2006), S. 98; Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip (2002), S. 347 ff, 455 ff. Zur notwendigen „Beständigkeit“ des Rechts als Element der Rechtssicherheit und damit des Rechtsstaatsprinzips des GG, vgl. auch Sachs, in: GG (4. Aufl., 2007) Rn 131: „Zentrales Element des Rechts ist die Beständigkeit staatlicher Regelungen“; ebenso Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I (2. Aufl., 1984), S. 831. 58 Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 71, 75 ff.; F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 19. 59 Zu dieser naturwissenschaftlich gefärbten Terminologie siehe Wilburg, Elemente des Schadensrechts (1941), S. 28 f.; ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht (1950), S. 5. 60 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 19. 61 Wilburg, Elemente des Schadensrechts (1941), S. 28 f.; ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht (1950), S. 5. 62 Das Problem im Rahmen des beweglichen Systemdenkens Wilburgs besteht freilich darin, dass dieses in seiner frühen Phase fast ausschließlich auf die Darstellung gleichgerichteter Wertungen rekurrierte. Dennoch hat Wilburg nie verkannt, dass es durchschlagende normative Gründe geben kann, die unter bestimmten Voraussetzungen einer an sich wohlbegründeten Grundwertung die Anwendbarkeit nehmen.
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3. Teil: Rechtstheorie
bb. Die Gestaltung des Abwägungsvorgangs Das in Bezug zu nehmende bewegliche System steht jedoch nicht nur für die Vielzahl der ggf. gegeneinander abzuwägenden Prinzipien. Es gibt zugleich, je nach dem Rang des betroffenen Prinzips, auch den Abwägungsvorgang insoweit vor, als das Ergebnis des Prozesses durch das jeweilige Gewicht des Prinzips im Reigen der mitbetroffenen anderen Prinzipien beachtet werden muss. Es darf dabei nicht dazu kommen, dass auf Grund der pluralistischen Existenz von ggf. gegenläufigen Rechtsprinzipien Entscheidungen nach Beliebigkeit auf Grund der Zusammenstellung und Abwägung „genehmer“ Kriterien gefällt werden.63 Ein solches System mag zwar für die Rechtsanwendung bzw. Rechtskreation außerordentlich „beweglich“ sein, stellt aber in keiner Weise ein „System“, also ein geordnetes Ganzes, her. Dieses Herangehen entspräche vielmehr der lockeren Darbietung bloßer, beispielhaft genannter Billigkeitsgesichtspunkte, wogegen sich die Rechtswissenschaft und die Legislative zu verwehren hat.64 Aus diesem Grunde ist es notwendig, die Prinzipien nach Gewicht auf einer Ebene und nach Rangstufen (d.h. auf verschiedenen Ebenen zueinander) ins Verhältnis zu setzen. Bei in gesetzlichen Einzelwertungen bereits zum Ausdruck kommenden Prinzipien ist eine Identifizierung von Existenz und Gewicht für den späteren zu realisierenden Vorgang der Abwägung mit anderen Grundwertungen relativ einfach. Es bedarf hier „lediglich“ der Darstellung einer tatbestandlich verdichteten „Basiswertung“,65 die Ausgangspunkt und Vergleichsfaktor für proportionale Abwägungen bei Sachverhalten mit anders verteilten Merkmalen ist.66 b. Abweichen nur bei genügender Reflexion Das „Postulat des Kurshaltens“, das sich für Rechtsprechung und Gesetzgebung aus dem im Recht vorhandenen Gefüge an Rechtsprinzipien ableitet, bedeutet freilich nicht, dass sich das vorhandene Recht nicht auch in eine „neue Richtung“ entwickeln können darf. Gerade die Vergangenheit lehrt uns, dass jede Entwicklung eine qualitative Veränderung mit sich bringt und dass eine solche
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F. Bydlinski, in: Stark (Hrsg.), Die Allgemeinheit des Gesetzes (1987), S. 49 ff. Gegen die Billigkeitsjurisprudenz schon Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht (1950), S. 22. Die Verwechselung der Lehre vom beweglichen System mit bloßer Billigkeitsjurisprudenz findet sich auch bei vermeintlichen Anhängern der Lehre Wilburgs, so etwa bei Westerhoff, Die Elemente des beweglichen Systems (1991), der die Beschränkung auf „bestimmte Gesichtspunkte“ für unmöglich hält und statt dessen „alle Umstände des Einzelfalls“ (also einen nicht realisierbaren Billigkeitstopos) empfiehlt, kritisch dazu F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 12 Fn. 11. 65 Schilcher, Theorie der sozialen Schadensverteilung (1977), S. 204. 66 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 17. 64
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meist in unbedeutenden Abweichungen ihren Anfang nimmt.67 Jedoch sollten Rechtsprechung und Gesetzgebung das Einschlagen neuer Wege nur in wohlabgestimmter Auseinandersetzung mit den bereits vorhandenen Rechtswertungen vollziehen und dann bestimmen, ob man sich ihnen weiterhin anpasst oder wegen neuer – offenzulegender (!) – Wertungskriterien eine andere Lösung bevorzugt.68 Richtet man diese Forderung an die Gesetzgebung, wird auch nicht verkannt, dass sie – anders als die Rechtsprechung – in sehr erheblichem Umfang politische Dezision ist, weil sie zumeist auch der Durchsetzung partikulärer politischer Wünsche oder Interessen dient. Sie sollte aber daneben auch der ernstliche Versuch sein, das gerade verfolgte politische Ziel so gut und friktionsfrei wie möglich in die inhaltlichen Strukturen der Rechtsordnung einzupassen, die durch die für das jeweilige Rechtsgebiet maßgebenden Grundsätze bestimmt werden. Der gleiche Anspruch ist freilich – wenngleich hier das Friktionspotential nicht so groß erscheint – an die Rechtsprechung zu stellen. c. Einbindung von Rechtsprechung und Gesetzgebung Die Sichtweise, dass (induktiv herausgebildete)69 Prinzipien, die von der Rechtswissenschaft aufgedeckt werden, auch von der Gesetzgebung Beachtung finden müssen,70 ist freilich noch nicht vollends konsensfähig.71 Denn in Deutschland nimmt die Rechtswissenschaft traditionell die Perspektive des Richters ein.72 Sie will dem Richter helfen, mit dem vorhandenen rechtlichen Material vernünftig umzugehen; sie versteht sich primär als Methodenlehre i.S.v. Rechtsprechungswissenschaft.73 Dieses Selbstverständnis der Rechtswissenschaft war und ist jedoch zu Recht umstritten, denn es ist zu einseitig.74 Zwar hat der rein rechtsprechungsorientierte Verständnisansatz von Methodenlehre und Rechtstheorie viel zur notwendigen rechtsdogmatischen Durch67 Kantorowicz, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 4 (1908), S. 65, 97; Emmenegger, Gesetzgebungskunst (2006), S. 99. 68 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 243. 69 Dazu weiter unten mehr. 70 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 16. 71 Vgl. etwa die Besprechung der bindenden Wirkung von Prinzipien durch Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht (1996), S. 30 ff., die die Prinzipienwirkung hier nur unter dem Blickwinkel der Richterschaft beleuchtet. 72 Hinweis darauf bei Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 4; Weinkauff, Richtertum und Rechtsfindung in Deutschland, Vortrag (1952), S. 15, 16. 73 Noll, in: Albert/Luhmann/Maihofer/Weinberger (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft – Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 2 (1972), S. 524 ff. 74 Vgl. dazu F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 19; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl., 2005), Einführung S. 2; Emmenegger, Gesetzgebungskunst (2006), S. 95 ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 80.
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3. Teil: Rechtstheorie
dringung des vorhandenen Bestandes rechtlicher Normen beigetragen und aus dem äußeren System des Rechts auch ein inneres System75 nachbilden können. Er hat in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass dem Rechtsanwender ein leistungsfähiger methodologischer Apparat zur Verfügung steht, um konkrete Rechtsprobleme folgerichtig zu lösen. Ein Jahrhundert nach Erlass des BGB werden jedoch gerade auch im Zivilrecht die Grenzen der Rechtswissenschaft als einer reinen Rechtsprechungswissenschaft deutlich erkennbar. Wichtige Streitfragen sind vielfach bereits gelöst, auch dadurch, dass der Gesetzgeber sich nach einem Vorgreifen der Rechtsprechung häufig selbst äußerte. Freilich tauchen auch immer wieder neue Problemfelder auf. Aber bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang gerade auch der Umstand, dass die häufig von der Rechtsprechung aufgegriffenen, vom Gesetzgeber sodann vielfach kodifizierten allgemeinen Themenbereiche heute mehr und mehr europäisch besetzt sind, wodurch auch der Einfluss der nationalen Gesetzgebung schwindet. Neue Gesetzesvorhaben werden häufig nicht mehr vom nationalen Gesetzgeber angeschoben, sondern (ohne Eingehen auf eine mitgliedstaatliche Dogmatik) in Brüssel von der EU in die Wege geleitet. Die im ersten und zweiten Teil dieser Abhandlung dargestellte breitflächige Richtlinientätigkeit und das Projekt der Überarbeitung des acquis communautaire weisen eindrucksvoll auf diesen Umstand hin. Auf diese Regelungsfelder/-vorhaben gilt es nun nicht nur zur Sicherung eines hohen Verbraucherschutzniveaus, sondern auch und gerade zum Kohärenzerhalt der deutschen Zivilrechtskodifikation76 steuend durch den deutschen Gesetzgeber und die Politik Einfluss zu nehmen. Insofern fragt sich, ob jetzt nicht ein gewisser Paradigmenwechsel bzgl. des Selbstverständnisses der Rechtswissenschaft erforderlich ist. Es geht dabei um das Problem, ob sich die Rechtswissenschaft (gerade auch die Methodenlehre und Rechtstheorie) nicht stärker als bisher antizipiert-gestaltend bzgl. der Neuschaffung von gesetzlichen Regelungen über die Prinzipienbildung einbringen soll und muss.77 Der Blick richtet sich dann auf die Vorbereitung des Prozesses der Rechtssetzung und damit auch auf die bewusste Reflexion und Lenkung gesellschaftlicher Abläufe mit rechtlichen Mitteln. Wenn man diese Sichtweise befürwortet, ist das Forschungsobjekt der Rechtswissenschaft nicht nur auf das Feld der richtigen Handhabung des bereits vorhandenen Rechts durch die Gerichte beschränkt.78 Sie muss/sollte dann auch Aussagen darüber treffen, was i.Ü. 75 Zur Notwendigkeit der inneren Systembildung auf Grund des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 76 Siehe dazu meine Ausführungen im ersten Teil zu den aktuellen Entwicklungen in der europäischen Rechtssetzung; zum Ganzen Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl., 2005), Einf., S. 1 ff. 77 Ablehnend Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 31. 78 So hatte etwa bereits Savigny – weit vor Erlass der zentralen zivilrechtlichen Kodifiktaion, dem BGB die Verbindungslinie zwischen geschriebenem Recht und Gesetzgebung dargestellt, indem er sagte: Die Rechtsregel, so wie deren Ausprägung im Gesetz, hat ihre
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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zukünftig als Recht gelten soll.79 Die Orientierungswirkung von Rechtsprinzipien nicht nur für die Jurisprudenz, sondern auch für die Gesetzgebung (und Politik), rückt heute leider erst zögerlich in das Bewusstsein der Rechtswissenschaft, die bei ihrer Aufdeckung den wichtigsten Anteil zu erbringen hat.80 5. Die rechtsvergleichende Funktion F. Bydlinski weist, ähnlich wie bereits vor ihm J. Esser81 zutreffend darauf hin, dass die Einbeziehung von (rechtsethischen) Prinzipien in das Rechtsdenken auch für das Verständnis des Nebeneinanders unterschiedlicher Rechtsordnungen erhebliches Potential in sich birgt. Bei der Rechtsvergleichung geht es bekanntlich um Systemvergleiche.82 Diese werden nun am besten auf Grund eines Prinzipienabgleiches bewerkstelligt. Denn gerade bei der Zusammentragung der die Rechtsordnung prägenden Prinzipien und in dem Nachvollziehen der gegebenenfalls vorhandenen Kollision allgemeiner Rechtsgrundsätze, die austariert werden müssen, werden Übereinstimmungen, aber auch Abweichungen von Rechtsordnungen deutlicher wahrnehmbar als auf Grund eines Vergleiches einer unübersichtlichen Anzahl von Einzelnormen.83 Der Vergleich von Rechtsprinzipien zeigt oft sogar eine weitgehende innere „Wertungsverwandtschaft“ von Rechtsordnungen, die formal unterschiedlichen Rechtskreisen angehören.84 Der Grund liegt darin, dass typische regelungsbedürftige Sachverhalte und (bei gleichem kulturellen Hintergrund) allgemeine Wertprinzipien Staatsgrenzen bei weitem überschreiten, sodass sich auch die Lösungen und Ergebnisse ähneln, wenngleich die zu ihrer Herbeiführung eingesetzten Einzelinstrumente schwanken.85 6. Resümee In einem abschließenden Resümee zum Bedarf von Rechtsprinzipien und ihrer Funktion ist herauszustellen, dass H. J. Wolf die Rolle, die typologischem Denken in der Rechtswissenschaft zukommt, auf die kurze Formel gebracht hat: „Immer wieder wärmt die Typenjurisprudenz (…) die starre Kälte des Rechts (d.h. seitiefere Grundlage in der Anschauung des Rechtsinstituts als des Typus, unter dem jedes Rechtsverhältnis stehe. Daher müsse dem Gesetzgeber (!) die vollständigste Anschauung des organischen Rechtsinstituts vorschweben, wenn er durch einen künstlichen Prozess aus einer Totalanschauung die abstrakte Vorschrift des (einzelnen) Gesetzes bilde, vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts (1840), Bd. 1, S. 9, 44. 79 So Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl., 2005), Einführung S. 2; Emmenegger, Gesetzgebungskunst (2006), S. 95 ff. 80 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 16; Emmenegger, ebenda. 81 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 218 ff., 346 ff. 82 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung I (3. Aufl., 1996), S. 72 ff. 83 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 29. 84 Hoyer, FS Schnitzer (1979), S. 245; David/Grassmann, Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart (1966), S. 15 ff. 85 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 30.
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3. Teil: Rechtstheorie
ner festen Begrifflichkeit) auf“.86 In diesem Sinne dürfte unsere Zeit vorwiegend als eine „Aufwärmperiode“ zu beurteilen sein.87 Denn es lässt sich überall beobachten, dass teleologische, funktionale, wirtschaftliche, typologische (d.h. unter verschiedenen Ansätzen „verbindende“) Betrachtungsweisen als verfestigte Rechtsbegriffe und zunächst singulär, d.h. als nur für sich betrachtete Erscheinungen, aus dem Blickwinkel einer übergeordneten Gesamtbetrachtung wahrgenommen werden. Diese Betrachtungsweise eröffnet die Möglichkeit einer inneren und äußeren Ordnungsbildung, die dafür sorgt, dass das Recht so wenig wie möglich wertungswidersprüchlich ist, angewendet und fortgebildet wird. Die Tatsache, dass wir dieser Entwicklung eine Reihe überzeugender Rechtsfortbildungen verdanken, birgt vielleicht die nicht gering einzuschätzende Gefahr, dass das Bewusstsein des Wechselspiels von begrifflicher Verfestigung in Form von Rechtsnormen und typologischer Auflockerung verloren geht, dass also typologisches Denken einseitig als Überwindung von Einzelnormen erscheint. Dieser Sichtweise soll hier auch entgegengewirkt werden. Denn die Beeinflussung von Einzelnormen und Typus (d.h. Rechtsprinzipien) vollzieht sich in jedem Fall wechselseitig.88 Das kommt einerseits in der programmierenden Funktion von abstrakten Prinzipien und damit in dem Auftrag an den Gesetzgeber und der Jurisprudenz zum Ausdruck, das Recht, d.h. auch das äußere System, ohne zu große Kohärenzverluste sowohl äußerlich als auch innerlich aufeinander abzustimmen und weiterzuentwickeln ist, es ist aber andererseits auch darin angelegt, dass die „Rechts(fort)bildung“ bei reflektierter Abwendung von alten Vorgaben auch einmal „ausbrechen“ und sich in eine andere Richtung entwickeln darf, was ggf. wieder ein neues Prinzip ausformen hilft.89 Rechtsfortbildung als komplexer Prozess vollzieht sich auf unterschiedlichen Bahnen, die aber durchaus miteinander eine organische Einheit90 ergeben. Sie gestaltet sich einmal in einem Prozess „von oben nach unten“ über den Vorgang der Deduktion, also dem Schluss vom Allgemeinen,91 d.h. vom Prinzip, auf das aus ihm abgeleitete Spezielle (das Einzelgesetz, die Fallentscheidung) und schließlich auch umgekehrt, von „unten nach oben“, über die Induktion mittels eines Schlusses von vielen Spezialerscheinungen, die oft zunächst organisch, d.h. unabgestimmt aufeinander gewachsen sind, aus denen sich aber später, nachdem 86 Wolff, Typen im Recht und in der Rechtswissenschaft. in: Studium Generale, Jahrgang V (1952), S. 195, S. 201. 87 Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 63. 88 Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 63 f. 89 Zur notwendigen Anpassung und Abstimmung von Entwicklungen des äußeren und inneren Systems vgl. bereits meine Ausführungen zur Herausbildung von Präjudizien durch die Rechtsprechung im 1. Teil. 90 Zum Postulat der Einheit des Rechts Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 91 Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung (1967), S. 97 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 33.
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eine entsprechende Masse gebildet wurde, wiederum auf etwas Allgemeines, Abstraktes, d.h. das Prinzip, zurückschließen lässt, das wiederum Grundlage eines weiteren Deduktionsvorganges sein kann.92 Die gegenseitige Beeinflussung von Einzelnormen und Prinzipien macht Rechtssystemvergleiche heute erst handhabbar. Der Systemvergleich wird insbesondere für die Gesetzgebung dort relevant, wo es um das Aufdecken „gemeinsamer Besitzstände“ unterschiedlicher Rechtsordnungen geht, um die herum ggf. neues Recht geordnet werden soll. Angesprochen sind damit natürlich aktuelle Rechtssetzungstendenzen auf europäischer Ebene, die gerade im Vertragsrecht, aber auch in anderen Materien, in die Wege geleitet werden.93 Freilich wird die Bedeutung von Rechtsprinzipien vielfach noch dadurch in Abrede gestellt, dass man behauptet, sie seien als Grundlage zu Fallentscheidungen bzw. Gesetzgebungsakten schon im Hinblick auf ihre Vagheit in Tatbestand und Rechtsfolge nicht geeignet, sodass die Orientierungswirkung, die ihnen zugeschrieben wird, äußerst fragmentarisch bleibt.94 Richtig an dieser Aussage ist, dass Rechtsprinzipien wegen ihrer Abstraktionshöhe naturgegeben nur einen gewissen, vagen Aussageinhalt aufweisen, der die Rechtssetzung bzw. Rechtsgewinnung in eine bestimmte Richtung, wenngleich nicht mit absoluter Sicherheit auf ein konkretes Instrument oder Ergebnis, lenkt.95 Aus Rechtsprinzipien lässt sich nur ein „rahmenhaftes Ergebnis“96 mit mehreren eingeschlossenen Möglichkeiten herleiten, zwischen denen dann noch mit anderen Gründen oder letztlich durch Dezision konkretisierend bzw. präzisierend gewählt werden muss.97 Die Orientierungswirkung, die von Rechtsprinzipien ausgeht, ist somit – zugegebenermaßen – nicht ergebnis-, sondern eher richtungsbezogen und damit gegenüber Vorgaben aus Einzelnormen „abgeschwächt“. – Trotzdem bietet dieser Umstand keinen tragfähigen Ansatzpunkt, um dem Nachspüren von Rechtsprinzipien als nutzlosem Unterfangen entgegenzutreten. Denn es gibt keinen Grund, geschweige denn irgendeine wissenschaftliche Notwendigkeit, die begrenzte grundsätzliche Orientierung, die rational erarbeitet werden kann, deshalb gar nicht erst anzustreben, weil sie nur „begrenzt“ ist.98 Auch die begrenzte Orientierungswirkung ist ja – das ist m.E. das entscheidende Argument – gerade dann von Nutzen, wenn andere Orientierungshilfen versagen, weil sie schlicht 92
Zur Induktion noch später unter III 2 c. Vgl. dazu meine Ausführungen zu den verschiedenen Projekten zur Vorbereitung des gemeinsamen europäischen Zivilgesetzbuches im 1. Teil, 8. Kapitel A I 2. 94 Erwähnt bei Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 27. 95 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 13. 96 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 13. 97 Weinberger, in: McCormick/Weinberger, Grundlagen des institutionellen Rechtspositivismus (1985), S. 71. 98 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 14. 93
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nicht vorhanden sind. Gerade auch in diesem Fall muss die Rechtsfindung methodisch geleitet sein.99
III. Die Herausbildung und Kenntlichmachung von Rechtsprinzipien Nachdem damit die Funktion von Rechtsprinzipien und der Bedarf an ihnen dargestellt wurden, soll es nun darum gehen zu beschreiben, wie sich der Vorgang der Herausbildung und Kenntlichmachung eines Rechtsprinzips gestaltet. Das ist – soviel darf schon vorausgeschickt werden – mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Denn in der Rechts- und Sozialwissenschaft ist zwar anerkannt, dass dort, wo der abstrakt allgemeine Begriff und das logische System dieser Begriffe für sich allein nicht ausreichen, um eine Lebenserscheinung oder einen Sinnzusammenhang in der Fülle seiner Ausprägungen zu erfassen, die Notwendigkeit besteht, die Denkform des Typus bzw. Prinzips anzuwenden.100 Allerdings gibt es noch keine gesicherte Grundlage, die zur zweifelsfreien Identifizierung von solchen Erscheinungen (d.h. zu deren Genese) führt.101 Eine solche Basislegung umfänglich, d.h. mit einem entsprechenden Tiefgang anzugehen, kann nicht Aufgabe dieser Abhandlung sein. Sie kann nur in einer umfassenden rechtstheoretischen Auseinandersetzung seriös erfolgen. Platz ist an dieser Stelle lediglich dafür, die grundsätzlichen Standpunkte zu diesem Thema zu referieren und sie als Grundlage für weitere Schlussfolgerungen im Zusammenhang mit der Frage der Qualifizierung der verbraucherrechtlichen Regelungen zu nutzen. Nachfolgend sollen daher nur die klassischen Gedanken99 F. Bydlinski (a.a.O., S. 15) weist zutreffend weiter darauf hin, dass dasselbe Argument der Vagheit, dann auch gegen die Existenz von Generalklauseln vorgebracht werden müsste, über deren Unverzichtbarkeit (gerade in Bezug auf Lückenfüllung) aber wohl Einigkeit besteht. 100 Die Zeitschrift „Studium Generale“ hat in den Jahren 1951 und 1953 zwei Hefte der Verwendung der Denkform des „Typus“ in verschiedenen Wissenschaften gewidmet. Hervorzuheben sind hier etwa die Aufsätze von J. E. Heyde über den Begriff Typus als solchen (Bd. 5, S. 235) und von Kretschmer über den Typus als erkenntnistheoretisches Problem (Bd. 4, S. 399), die Aufsätze über die Verwendung des Typus in der Rechtswissenschaft von Wolf (Bd. 5, S. 195) und in den Sozialwissenschaften von J. v. Kempski (Bd. 5, S. 205). Andere Aufsätze behandeln die Verwendung des Typus in der Biologie, der Psychologie, der Sprachwissenschaft und der Geisteswissenschaft. Die logische Struktur des Typusbegriffs haben Hempel und Oppenheim in der Schrift „Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik“ bereits 1936 untersucht. Weitere rechtswissenschaftliche Stellungnahmen dazu finden sich bei Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit (2. Aufl., 1968), S. 308 f.; Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 194 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 290. 101 Vgl. etwa die Feststellung Weinbergers, der die adäquate Form der Darstellung von Rechtsprinzipien „für ein bisher nicht gelöstes Problem“ hält, Weinberger, Rechtstheorie 9 (1978), 131 f.
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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gänge und Probleme aufgezeigt werden, die für die Herausbildung und Identifizierung von Rechtsprinzipien eine Rolle spielen. Indem man den dazu bereits in der Rechtswissenschaft referierten Anschauungen und Überzeugungen nachspürt, kann die Existenz von Rechtsprinzipien und der Weg ihrer Gewinnung zumindest mit einiger Plausibilität nachvollziehbar gemacht werden.102 1. Das Problem des normativen Maßstabes Insofern ist hervorzuheben, dass das erste Problem bei der Herausbildung und Kenntlichmachung von Rechtsprinzipien schon im normativen Maßstab besteht, der bei der Gewinnung des Rechtsprinzips anzulegen ist, weil kein anderer nutzbar zu machender Maßstab existiert. Dieses Problem lässt sich folgendermaßen beschreiben: In der Naturwissenschaft besteht die wissenschaftliche Erklärung oder die Aufstellung einer Theorie für eine Gruppe empirischer Befunde in der Aufdeckung eines „allgemeinen Prinzips“ oder allgemeiner Faktoren, die so nach bestimmten objektiv nachweisbaren, aus sich heraus logischen Merkmalen zu ordnen sind, dass die zu erklärenden Befunde als Wirkungen/Ausflüsse jenes Prinzips verstanden werden können, das als das Allgemeine, Konstante, sich Erhaltende i.S.d. Gestalt, des Typus, des Charakters in dem Besonderen (d.h. einzelnen Ausformungen) hervortritt.103 Anders als in der Naturwissenschaft existieren aber in der Rechtswissenschaft (als Geisteswissenschaft) keine natürlichen Klassen- und Typenbildungen auf Grund empirischer Befunde, die der „Erkennende“ nur noch herauszustellen braucht. Denn die Elemente der Typenbildung,104 die Gesetze, sind menschengemacht und auch der aus ihnen abzuleitende Einzel- und Gesamtbefund unterliegt der menschlichen Wertung. Außerdem ändert sich die Exzerptionsgrundlange mit der Neueinfügung von Gesetzen ständig.105 Schon die Wandelbarkeit des Gesetzes durch die Modifizierung des Vorverständnisses106 zeigt, dass die Spannbreite der Interpretierbarkeit und Handhabung eines an sich feststehenden äußeren Systems regelmäßig weit gesteckt ist (was für die Anpassung des Rechtes an die sich laufend ändernden Systembedingungen auch durchaus notwendig ist).107 Trotzdem tragen die Einzelregelungen in sich – wie die Naturgesetze – auch den Anspruch einer Einfügung ins (sonstige) System und damit das Postu102
Dworkin, Introduction, S. XI, in: Taking Rights Seriously (1977); Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz, S. 59, 61. 103 Hempel/Oppenheim, Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik (1936), S. 102. 104 Zur Einteilung in die natürliche und künstliche Klassen- und Typenbildung vgl. Hempel/Oppenheim, Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik (1936), S. 107. 105 Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 87. 106 Zum Vorverständnis vgl. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 33. 107 Vgl. dazu meine Ausführungen im Ersten Teil zur Wandelbarkeit der Zivilrechtskodifikation.
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3. Teil: Rechtstheorie
lat einer logischen Geschlossenheit in sich, so als sei das System bzw. als seien sie selbst „naturgegeben“ und damit widerspruchsfrei.108 Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist schließlich Grundgedanke jedes Rechtsstaates.109 Diesem Anspruch muss in dem normativen Prozess der Herausbildung eines Rechtsprinzips genauso Rechnung getragen werden, wie dem Befund der potentiellen weiten Interpretationsspanne und der hinzukommenden möglichen Veränderung der Rechtsordnung selbst. Ordnet nun der Betrachter nach Einbeziehung dieser „schwierigen Systembildungsfaktoren“ auf Grund einer Gesamtschau rechtlicher Regelungen einzelne Elemente einem zu bildenden übergeordneten System durch das „Hinund Herwandern des Blickes“ zu, bedarf es – das ist Grundlage des normativen Vorgangs – einer Gewichtung und Systematisierung einzelner Merkmale dieser Systembausteine.110 Dabei gilt es festzuhalten, dass nicht jedes Detail gleich gewichtig sein kann. Denn die Details bringen in erster Linie Unterschiede der Elemente zum Ausdruck. Was aber wichtiger und was unwichtiger ist, kann in der Naturwissenschaft nur empirisch111 und in der Rechtswissenschaft nur normativ entschieden werden, da es bei letzterem ja auch um die Herausbildung eines nicht naturgesetzlichen, aber dennoch existenten (so jedenfalls der Anspruch!) inneren Wertungs- und Ordnungssystems geht.112 Das Grundproblem bei dem Aufspüren von Gemeinsamkeiten, gerade rechtlicher Phänomene i.S.v. Zusammenhängen, ist der Umstand, dass die Suche nach Gemeinsamkeiten und das Erkennen von Unterschieden, d.h. die Systematisierung des Rechts, vom Rechtsanwender vorgenommen wird und deshalb notwendig durch das subjektive „Auge des Betrachters“ geprägt ist.113 Das Ergebnis der Bewertung lässt sich deshalb auch nur normativ nachvollziehen. Diese „Wertungsabhängigkeit“ des Erkenntnis- und Bewertungsprozesses in der Rechtswissenschaft ist letztlich auch der Grund dafür, weshalb die Herausbildung eines allgemeinen Rechtsprinzips i.S.e. Typus besonders anfällig ist für kritische Betrachtungen, die häufig eher die „Detailfülle“ in Bezug auf die in Betrachtung stehenden Einzelelemente in Ansatz bringen (wollen) und damit eher auf die Unterschiede hinweisen, anstatt – ordnend i.S.v. klassifizierend – eventuelle Gemeinsamkeiten ausfindig zu machen. In der Diskussion um den Sonderrechtscharakter des Verbraucherrechts ist dies etwa besonders häufig zum Ausdruck 108 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1993), S. 38 f.; 62; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 35: „operative Geschlossenheit“. 109 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 16; Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 110 Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 65; Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit (2. erg. Aufl., 1968), S. 144 ff. 111 Hempel/Oppenheim, Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik (1936), S. 109. 112 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 164. 113 Zu diesem Grundproblem schon Esser, Vorverständnis und Methodenwahl (1970).
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gekommen, indem dargetan wurde, dass die einzelnen verbraucherschützenden Regelungen noch viel zu vereinzelt und unabgestimmt (d.h. verschieden) sind, als dass man sie zu einem eigenen Regelungscluster zusammenfassen könnte.114 Die insofern bestehende Kritikanfälligkeit des Sytematisierungsvorgangs darf jedoch nicht dazu führen, auf den ordnenden Vergleich ganz zu verzichten. Würde man das tun, würde die Rechtswissenschaft ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, und damit auf innere Logik, selbst aufgeben. Insofern soll dieser Umstand nicht dazu verleiten, die Prinzipienbildung als „nicht wissenschaftlich praktikablen Vorgang“ dahingestellt sein zu lassen. 2. Die unterschiedlich bewertete Ausgangsbasis für den Exzerptionsvorgang Nach der insofern vorausgeschickten, zweifellos etwas schematischen und näherungsweisen Einführung in die Funktion von Rechtsprinzipien und die Darstellung des Problems des normativen Maßstabes muss für den Vorgang der Aufdeckung von fundamentalen Rechtsgrundsätzen, auf den es nun ankommen soll, zunächst ermittelt werden, wo man nach Rechtsprinzipien sucht, d.h. aus welchem Medium sie stammen (können). Es handelt sich dabei um die strittige Frage, worin der Ursprung rechtlicher Geltung von Prinzipien liegt, m.a.W., was man als Exzerptionsgrundlage heranzieht. Hierfür bieten sich prinzipiell zwei Bereiche an, die in der Literatur auch diskutiert werden:115 dies sind der vorrechtliche Bereich und das positive, d.h. kodifizierte Recht. a. Das Naturrecht als Ausgangspunkt Die These, die zunächst in Bezug auf die Herausbildung von Rechtsprinzipien vertreten wurde, war, dass Rechtsprinzipien die Quelle ihrer Gültigkeit im Naturrecht116 hätten. Rechtsprinzipien bilden – so die ursprüngliche Vorstellung – 114
Vgl. dazu meine Ausführungen im ersten Teil, 5. Kapitel B II. Zum Ganzen Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/ Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 86. 116 Grundsätzliche Darstellungen zum Naturrecht finden sich schon bei Cicero, De legibus (Cic. Leg. 1, 15–30), De institutis rerum publicarum as de optimis legibus, übersetzt: Die Herleitung des Rechts aus der Natur (des Menschen); ferner bei Grotius, De iure belli ac pacis, übersetzt: Über das Recht in Krieg und Frieden, ursprünglich erschienen 1625, neu in Deutsch hrsg. durch Schätzel (1950); v. Pufendorf, De iure naturae et gentium, übersetzt: Über das Natur- und Völkerrecht, ursprünglich erschienen 1672; neu herausgegeben durch Böhling, in: v. Pufendorf, Gesammelte Werke, Bd. 4 (1998); später: Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie (2. Aufl., 1963); Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie (2. Aufl., 1977), S. 502 ff.; Maihofer, Naturrecht und Rechtspositivismus (1962); Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre. Versuch einer Orientierung (3. Aufl., 1963); Scattolo, Das Naturrecht vor dem Naturrecht. Zur Geschichte des ius naturae im 16. Jahrhundert (1999); Ronkheimer, Praktische Vernunft und das von Natur aus Vernünftige. Zur Lehre von der lex naturalis als Prinzip der Praxis bei Thomas v. Aquin, in: Theologie und Rechtsphilosophie, Bd. 75 (2000), S. 493 ff.; vgl. dazu auch Messner, Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik und Wirtschaftsethik (7. Aufl., Berlin 1984); Engisch, Auf der Suche nach der 115
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3. Teil: Rechtstheorie
„kondensiertes“ Naturrecht ab, sind von allgemeiner Gültigkeit und grundsätzlich unveränderlich.117 Im Extremfall wurde sogar danach getrachtet, aus ihnen durch Deduktion eine bis in alle technischen Einzelheiten entfaltete „natürliche Rechtsordnung“ zu konstruieren.118 Die damit festgelegte Exzerptionsgrundlage für Rechtsprinzipien – das Naturrecht – ist freilich sehr abstrakt, d.h. wenig fassbar, was die Herleitbarkeit von grundlegenden Prinzipien nicht gerade einfach macht,119 zumal derartige Prinzipien von ewigem Bestand sein sollen.120 Wenngleich es rechtlich bedeutsame Gebote unzweifelhaft gibt, die notwendigerweise – also „naturwüchsig“ – in dem menschlichen Miteinander, der Bildung und Aufrechterhaltung einer Gesellschaft wurzeln,121 die als ethische Leitprinzipien auf das Recht ausstrahlen,122 erscheint die so gewählte Ausgangsbasis aus heutiger Sicht doch zu eng und auch wenig praktikabel. Denn sie klammert aus dem Kreis der potentiellen fundamentalen Rechtsgrundsätze alle diejenigen, ggf. auch in Bestand, Gewicht und Form veränderbaren Elemente aus, die von einer Ebene herrühren, die selbst steter Veränderung unterliegt, weil sie auf einem Willensakt (beispielsweise des Gesetzgebers, aber auch der Rechtsprechung) beruhen. Angesprochen ist damit das positive (geschriebene und ungeschriebene) Recht. Richtig ist wohl eine vermittelnde Auffassung, nach der Prinzipien, die das Recht beeinflussen, aus vielen Quellen gespeist sein können.123 Daran, dass die vorpositivistischen Prinzipien allein kein den Detailfragen des Lebens standhaltendes Orientierungsmaß bieten, dass sie dazu vielmehr (entweder durch sponGerechtigkeit (1971) mit Erörterungen unterschiedlicher Methoden der Naturrechtslehre auf S. 207 ff.; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie (4. Aufl., 1985), S. 31. 117 Die These der Naturrechtslehre so zusammenfassend F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 1. 118 Als prominenter Vertreter des Naturrechts gilt etwa Chr. Wolff, Jus naturae methodo scientifica pertractatum (1740–1749); dazu insbesondere Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl., 1967), S. 318. 119 Zur Vagheit siehe F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 12; ähnlich Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung (1967), S. 99. 120 Vgl. dazu Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie (1963), der zu den unveränderbaren Naturrechtsprinzipien die Menschenwürde und das Gemeinwohl zählte. Eine modernere Sichtweise der Naturrechtslehre, die auch die Veränderlichkeit vorrechtlicher Wertvorstellungen eingesteht, wird etwa von Lompart, Die Geschichtlichkeit der Rechtsprinzipien (1976), S. 2 ff., 43 ff. vertreten. Interessant in diesem Zusammenhang (zu unabdingbaren, naturwüchsigen Rechtsprinzipien) ist aber auch die Anerkennung durch Dworkin, The Model of Rules II, in ders., Taking Rights Seriously (1977), S. 68 121 Vgl. dazu F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 2 f.; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 73 f.; 369. 122 Dazu, dass ethische Leitprinzipien in der Sozietät selbst entstehen (ebenso wie Gewohnheitsrecht, Verkehrssitte, Handelsbrauch) und damit keinem willentlich-bewussten Kreationsakt des Gesetzgebers entstammen, siehe F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 3; v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit I (1980), S. 14 ff., 51 ff., 57 ff. 123 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 108.
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tane Entwicklungen oder aber durch positive Rechtssetzung) konkretisiert werden müssen,124 um den normativen Orientierungsbedarf der Mitglieder der Gesellschaft zu befriedigen, kann kein Zweifel bestehen.125 Allerdings gibt es sie und sie beeinflussen den Rechtssetzungsprozess im Hinblick darauf, dass sie als rein normative Prinzipien häufig sogar „stabiler“126 sind als in Gesetzesform gegossene Rechtsgrundsätze. Dass es zahlreiche normative Prinzipien gibt, die ihre Existenz nicht dem freien Kreationswillen bestimmter Rechtsautoritäten verdanken, sondern unmittelbar auf bestimmten gesellschaftlichen Gegebenheiten und Entwicklungen beruhen, wird schon angesichts der Befunde deutlich, die die Rechtsvergleichung liefert. Rechtsgeschäftliche Privatautonomie, Fürsorge in der Familie, Eigentumsfreiheit, Verschuldens- und Gefährdungshaftung, Rechtskraft, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialschutz, Schuld als Voraussetzung für Strafe (um nur einige beliebig vermehrbare Beispiele zu nennen) lassen sich ohne alle Schwierigkeiten in zahlreichen modernen Rechtsordnungen als leitende Prinzipien nachweisen, die menschliches Verhalten, insbesondere auch bei der Setzung von Normen, bestimmen.127 Diese Sichtweise deckt sich mit der m.E. zutreffenden, weil aus der Menschenwürde folgenden These, dass Individuen Rechte haben, unabhängig davon, ob vorher entsprechende Regeln geschaffen wurden.128 Von dem Boden des geschriebenen Rechts aus ist es aber natürlich für denjenigen, der Rechtsprinzipien nachspürt, viel leichter und bzgl. des Exzerptionsvorgangs viel transparenter, auf hinter den existenten („positiven“) einfach-gesetzlichen Normen stehende „allgemeine Rechtsgedanken“ zu schließen, die in den Einzelerscheinungen praktisch nur dupliziert sind. Die Exzerptionsgrundlage ist hier viel handfester. Schon daher macht es Sinn, das geschriebene Recht als Medium der Gewinnung von Rechtsprinzipien nicht außen vor zu lassen. Genauso bedeutend für den hier vertretenen vermittelnden Standpunkt ist freilich, dass es in einem kodifizierten Rechtssystem schlicht nicht denkbar ist, nicht auch das geschriebene Recht zur Gewinnung allgemeingültiger übergeordneter Wertungen heranzuziehen.
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Canaris, ebenda, S. 93 Fn. 123. A. Kaufmann, Theorie der Gerechtigkeit (1984), S. 38 f. 126 Dazu F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 120. 127 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 93 ff.; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 119. 128 So Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, in: Gesamtausgabe der Werke von, Bd. 6, 1961; Dworkin, Taking Rights Seriously (1977), Introduction, S. XI; Luf, Freiheit als Rechtsprinzip, (Hrsg.) Holzleitner/Somek (2008); Schockenhoff, Naturrecht und Menschenwürde. Universale Ethik in einer geschichtlichen Welt (1996). Ein Hinweis darauf findet sich auch bei Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 61. 125
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b. Das geschriebene Recht als Ausgangspunkt Dies ist auch der Standpunkt der heute ganz herrschenden Meinung in der Rechtstheorie.129 Auf Grund des Studiums rechtstheoretischer Abhandlungen lässt sich heute gut nachvollziehen, dass in dem Maße, in dem das Naturrecht selbst – über einen langen Zeitraum hinweg – einem immer feiner gestrickten Netz aus gesetzlich definierten rechtlichen Anordnungen wich, sich auch die Grundlage für die Bildung des Kondensats von Rechtsprinzipien mehr und mehr verschob. Die Idee der Kodifikation des Rechts brachte es mit sich, dass das geschriebene Recht selbst Ausgangspunkt des Vorgangs der Exzerption von Rechtsprinzipien werden musste. Die verbleibende Frage ist mithin nur, ob das geschriebene Recht abschließende Grundlage ihrer Aufdeckung ist oder eher als Ausgangspunkt der Suche zu sehen ist, aber nicht als ausschließlicher Endpunkt zum Nachweis ihrer Existenz begriffen werden sollte. Bekanntlich beinhaltet auch der Rechtspositivismus keinen einheitlichen Gedankenstrom. Er tritt in vielen Facetten in Erscheinung, die diese Frage unterschiedlich beantworten. aa. Die Sichtweise des reinen Rechtspositivismus So gibt es etwa Anhänger der These, dass außerhalb des geschriebenen Rechts kein weiteres rechtlich relevantes Element vorhanden ist und als Grundlage einer rechtlichen Wertung nutzbar gemacht werden darf, unter anderem auch, weil man sonst das Prinzip der Gewaltenteilung missachten würde und die Rechtswissenschaft ihren Anspruch als „Wissenschaft“ aufgäbe.130 Diese Denkrichtung wird häufig als reiner bzw. orthodoxer Rechtspositivismus131 bezeichnet. Sie sieht das Recht als in sich abgeschlossenes, sich selbst genügendes System kodifizierter Regelungen an.132 Das Recht stellt danach ein starres System dar und ist von fremden, d.h. von außerhalb liegenden Einflüssen (wie etwa moralischen Vorstellungen) abgeschottet.133 129 Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 83; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 93 ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 59, 80 ff.; vgl. dazu bereits Savigny, System des heutigen römischen Rechts (1840), Bd. I, S. 9. 130 Kelsen, Reine Rechtslehre (2. Aufl., 1960), S. 200. 131 Zum Begriff vgl. etwa F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 10. 132 Vgl. dazu etwa Kelsen, Reine Rechtslehre (2. Aufl., 1960), S. 196 ff. Die Kritik, die daran zu übern ist, liegt auf der Hand. Keine Kodifikation kann jemals völlig abgeschlossen und bar jeder Interpretationsnotwendigkeit sein. Sowohl zur Lückenfüllung als auch zur Interpretation ist es notwendig, dass der Richter das Recht systematisch fortentwickelt. 133 Zu den Vertretern des reinen Rechtspositivismus zählen neben Kelsen (a.a.O.); ders., Allgemeine Theorie der Normen, Hrsg.: Ringhofer/Walter (1979); Krawietz, Recht als Regelsystem (1984); Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie I (1892), S. 144, 240, 398; Walter, ÖZöR 17 (1967), 143 ff.; Hoerster, in: Jb. für Rechtssoziologie und Rechtstheorie II (1972), S. 122 ff.; ders., Verteidigung des Rechtspositivismus (1989); Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, entwickelt aus dem Rechtsbegriff (1923).
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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Der Nachteil dieser Sichtweise liegt freilich darin, dass erwiesenermaßen die Rechtsanwendungspraxis eben nicht von außerhalb des positiven Rechts liegenden Bewertungsmaßstäben freigehalten wird bzw. freigehalten werden kann,134 schon weil das Recht nicht als etwas Lückenloses existiert und selbst die anerkannten Methoden der Lückenfüllung (Analogie und teleologische Reduktion) dort nicht weiterhelfen, wo das geschriebene Recht absolut schweigt.135 Die logische Armatur des Gesetzes führt mit seinen Rechtsbegriffen und dem ihm entnehmbaren „positiven System“ nur bis an den Punkt, an dem die entscheidenden Wertfragen auftreten, für welche auch die Interessenjurisprudenz kein Zauberstab ist, wenn und soweit es an (herausgearbeiteten) übergeordneten Rechtsprinzipien fehlt, die die Entscheidung rationalisierend lenken können.136 J. Esser stellte in Bezugnahme auf diese als „offene Funktionskrise“ des positiven Rechts beschriebene Beschränktheit klar, es ist Tatsache, nicht ein Problem der Erlaubtheit,137 dass Richter auf außerhalb des Gesetzes liegende Argumentationsstränge zurückgreifen, wenn sich das kodifizierte Recht selbst indifferent verhält.138 Zutreffend wird daher in Bezug auf den reinen Rechtspositivismus auch von anderen von einem „methodologischen Nihilismus“139 sowie davon gesprochen, dass die rechtspositivistische Theorie für die wichtigen (Wertungs-)Fragen oft „völlig steril“140 ist und deshalb in allen wichtigen Fragen des Lebens auf eine Theorie des (richterlichen) Ermessens verweist, die „nirgendwohin führt“.141 Für viele Rechtsprobleme bzw. Rechtsfälle gibt das eng positivistisch verstandene, in den Gesetzesblättern vorformulierte Recht allein infolge der – teils vermeidbaren, teils unvermeidbaren – Mängel, die ihm anhaften (Vagheit, Mehrdeutigkeit, Widersprüchlichkeit, Lückenhaftigkeit, Alterung von Rechtsnormen142) keine eindeutige bzw. „gute“ Lösung.143 Auf Grund des Rechtsgewährungsanspruches müssen jedoch auch solche schwierigen Problemlagen aufgreifbar und methodisch geleitet entschieden werden. Hier nun entfalten gerade auch Rechtsprinzi134
Siehe i.d.S. das Grundsatzwerk von Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990). F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 11; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 2. 136 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 4. 137 Aber freilich ist die Rechtsfortbildung durch die Gerichte i.S.d. Lückenschließung vor dem Hintergrund der Rechtsgewährungsgarantie (Art. 20 III, Art. 19 IV GG) aus heutiger Sicht nicht nur notwendig, sondern auch erlaubt, vgl. dazu etwa Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht (1996), S. 25 ff. 138 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 26; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 187 ff. 139 Adomeit, Rechtstheorie für Studenten (2. Aufl., 1981), S. 77. 140 Ott, Der Rechtspositivismus (1976), S. 176. 141 Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen (1984), S. 89. 142 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 174; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 187 ff. 143 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (1992), S. 119; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 2. 135
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3. Teil: Rechtstheorie
pien ihre Funktion: Immer dann, wenn die klassischen Instrumente der Lückenfüllung versagen, können und müssen übergeordnete Prinzipien als Orientierungshilfe herangezogen werden, um der Rechtsanwendung und -fortbildung überhaupt eine methodisch geleitete Rechtsfindung zu ermöglichen,144 auch wenn und soweit Prinzipien nicht immer abschließend aus dem geschriebenen Recht selbst ableitbar sind.145 Um sich dennoch zu empfehlen, bleibt der reinen bzw. orthodoxen Rechtstheorie nur übrig, sich besondere Wissenschaftlichkeit zuzuschreiben146 und abweichende Auffassungen als „metaphysisch“ zu bekämpfen. Die innere Abgeschlossenheit eines zu betrachtenden Systems, quasi die Selbstgenügsamkeit, führt jedoch nicht zwangsläufig zu einem besonderen Wissenschaftsanspruch. Dieser könnte genauso gut für diejenigen Theorien proklamiert werden, die Recht als eine in seinem Entstehen komplexe, vielerlei Einflüssen unterliegende Masse begreifen. bb. Die den Rechtspositivismus zum vorrechtlichen Umfeld öffnende Sichtweise All die vorgetragenen Einwände gegen den reinen bzw. orthodoxen Rechtspositivismus werden denn auch von einer Gegenströmung innerhalb der rechtspositivistischen Denkrichtung aufgegriffen, die seit langem bekannt ist. Wenngleich die Kodifikationsidee bestimmender Ausgangspunkt bleibt, werden doch „Schwächen“ des Ansatzes, die zum einen in der Missachtung der faktisch unabwendbaren Einflüsse des außerrechtlichen Umfeldes auf den Rechtsanwender liegen, aber auch in der theoretischen Beschränkung des Ausgangspunktes auf das nicht immer aus sich selbst heraus effektive Recht, zu Tage gefördert. Diese den Rechtspositivismus zum vorrechtlichen Umfeld147 öffnende (modernere) Sichtweise wird etwa von so prominenten Rechtstheoretikern wie J. Esser,148 H. Hart,149 R. Dworkin150 und F. Bydlinski151, aber auch von vielen anderen152 vertreten. 144 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (1992), S. 119; Dworkin (Taking Rights Seriously [1977], Introduction, S. XI) spricht hier von der „soundest theory of law“, die Ergebnisse in schwierigen Fällen rationalisierbar macht. 145 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 17. 146 So Kelsen, Reine Rechtslehre (2. Aufl., 1960), S. 200. 147 F. Bydlinski spricht sogar von „einer Öffnung zum Naturrecht“, die allerdings restriktiv zu interpretieren ist, siehe F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), Vorwort VIII. 148 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990). 149 H. L. A. Hart, The Concept of Law, 1961. 150 Dworkin, The Model of Rules I, in: ders., Taking Rigths Seriously (1977); ders., (Hrsg.), The Philosophy of Law (1977). 151 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988). 152 Vgl. etwa Rawls, A Theory of Justice (1971); Nozick, Anarchy, State and Utopia (1974).
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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J. Esser, der sich bei seinem Unterfangen, aufrichtig Rechenschaft über die juristische Praxis abzulegen, als Realist betrachtete, konnte die vom reinen Gesetzespositivismus angebotene, als künstlich und ungenügend angesehene Rechtskonzeption in ihrer Simplizität nicht akzeptieren. Denn diese Konzeption proklamiert die Selbstgenügsamkeit von Gesetzen und sonstigen mit Geltung versehenen rechtlichen Regeln zur Lösung aller rechtlichen Konflikte, ohne (angeblich) eines Rückgriffs auf außerhalb des Systems stehende politisch moralische Wertungen zu bedürfen. Diese geschlossene Rechtskonzeption spiegelt – so J. Esser – das wirkliche Leben des modernen Rechts nur unzulänglich wider, welches sich der Notwendigkeit gegenüber sieht, Rechtsprobleme mit ethischem Sinngehalt vermittels Verwendung werthaltiger Prinzipien, die nicht allein im unzulänglichen geschriebenen Recht ihre Grundlage finden, zu lösen. Sie verbinden das kodifizierte Recht mit einer Ordnung oder Stufenleiter politisch-ethischer Werte der jeweiligen Epoche mit der gestaltenden Energie des Gesellschaftsbewusstseins, mit dem Wesen und dem Zweck der Institution, mit sozialen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten.153 Derjenige, der diese Verbindung herstellt, ist der Richter. J. Essers Anschauung birgt letztlich eine harte Kritik am reinen Rechtspositivismus, der die Existenz von Gesetzeslücken und die Notwendigkeit ihrer Schließung mittels methodischer Leitung verneint. Diese Auffassung stimmt in wesentlichen Grundgedanken überein mit der von H. Hart,154 dem führenden Vertreter einer etwas verfeinerten Version des Rechtspositivismus. Die Auffassung H. Harts ist insofern „verfeinert“, als er keinerlei Problem damit hat, einen richterlichen Entscheidungsspielraum oder eine richterliche Rechtsschöpfungskompetenz anzuerkennen, sobald die Gesamtheit der gültigen Rechtsnormen keine klare Antwort für den zur Entscheidung gestellten Fall anbietet. Letzteres geschieht seiner Ansicht nach mit ziemlicher Häufigkeit, was darauf zurückzuführen sei, dass Regeln wegen ihrer Allgemeinheit an einer substantiellen Unbestimmtheit oder „offenen Struktur“ (open texture) leiden, weswegen sie nicht imstande seien, eine ausdifferenzierte Antwort auf jeden einzelnen der unzähligen Problemfälle vorzusehen, welche das wirkliche Leben (auch in der Zukunft) hervorbringe. Stehe der Richter vor einem dieser zweifelhaften Fälle, in denen das positive Recht schweige oder lediglich stammle, müsse er die Grenzen des ungenügenden geltenden Rechts überschreiten und selbst Recht für den konkreten Fall schöpfen. Das bedeutet allerdings nicht, dass er damit automatisch in den Genuss eines souveränen Auswahlrechts käme und unter Nichteinhaltung sogar der „Schwerkraft“ des Rechts ein Problem nach seinen persönlichen Präferenzen oder aufs Gratewohl lösen könnte. Vielmehr werde er Werte, Überzeugungen und soziale 153 154
So die Lehre Essers beschreibend, Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 19. Vgl. etwa H. L. A. Hart, The Concept of Law (1961), S. 60.
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3. Teil: Rechtstheorie
Interessen, politische Zwecke und Zielsetzungen, moralische Prinzipien und Gerechtigkeitsgesichtspunkte bzw. sonstige Elemente zur Anwendung bringen, die als „gute Gründe“ für eine Entscheidung angesehen werden können.155 H. Hart bindet damit ebenso wie Esser – unter bestimmten Bedingungen (nämlich bei Gesetzeslücken) – außerrechtliche Umstände in die Entscheidungsfindung ein. Wesentlicher Kritikansatz R. Dworkins an der These Harts (und damit auch Essers) ist, dass er sich gegen das richterliche Entscheidungsermessen in Fällen eines „hard cases“ wendet, welches die außerrechtlich in Bezug genommenen Bewertungselemente als beliebig einsetzbar ansieht. Stünde einem Richter solch ein Entscheidungsermessen zu, dann wäre er bei seiner Entscheidungsfindung in Wirklichkeit nicht gebunden.156 In diesen Fällen stellt R. Dworkin darauf ab, dass dort, wo positive Regeln selbst nicht mehr vorhanden sind, um die schwierigen Fälle zu lösen, andere subtile Stimmen wirksam werden müssen, nämlich vorausgearbeitete Rechtsprinzipien, die die Entscheidungsfindung des Richters stärker lenken als es H. Hart proklamierte.157 Binden Rechtsprinzipien nach Ansicht R. Dworkins158 – und vieler anderer – den Richter,159 muss freilich dargelegt werden, wie diese Bindung zustande kommt. R. Dworkin selbst geht daran, einige mögliche Einwände zu widerlegen, die man gegen diese These erheben könnte. So könnte man z.B. argumentieren, die Prinzipien seien nicht als verpflichtend (und damit bindend) im strengen Sinne 155 H. L. A. Hart, New York University Law Review 51 (1976), S. 541; ders., in: Essays in Jurisprudence and Philosophy, Oxford, Clarendon Press (1983), S. 106 f.; zu den gestatteten Rechtsquellen siehe ders., The Concept of Law, Oxford, Clarendon Press (1961), S. 246–247. 156 Dworkin, The Model of Rules I, in: ders., Taking Rights Seriously (1977), S. 17 ff. 157 Dworkin unterscheidet genau genommen drei Arten von Ermessen (discretion). Ermessen in einem ersten schwachen Sinn liegt vor, wenn die Anwendung einer Regel nicht mechanisch erfolgen kann, sondern Urteilskraft voraussetzt; Ermessen in einem zweiten schwachen Sinn ist gegeben, wenn der oder die Entscheidenden die letzte Instanz sind, die Entscheidung also nicht mehr aufgehoben werden kann; Ermessen im dritten starken Sinn hat jemand, wenn er nicht durch Maßstäbe gebunden ist, die durch die Autorität, der er unterworfen ist, gegeben wurde (Dworkin, The Model of Rules, a.a.O., S. 31 ff.). Dworkin wendet sich allein gegen die These, dass der Richter ein völlig freies Ermessen im dritten Sinn habe. Zu Dworkins Begriff des Ermessens, der hier nicht diskutiert werden kann, vgl. G. C. MacCallum, The Journal of Philosophy 60 (1963), S. 638 ff.; Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 60. 158 Dworkin, The Model of Rules I, a.a.O., S. 66. 159 Wobei hier auch die Ansicht Dworkins hineinspielt, dass Individuen Rechte haben, unabhängig davon, ob vorher entsprechende Regeln geschaffen wurden (Dworkin, Taking Rights Seriously, 1977, Introduction, S. XI). Dies zeigt, wie stark sich Dworkin der früheren Naturrechtsauffassung annähert. Auch in schwierigen Fällen (in denen das Gesetz selbst keine Aussage trifft), so Dworkin, gebe es nur eine richtige Antwort. Zwar gebe es kein Verfahren, diese Antwort in jedem Fall zwingend zu beweisen, hieraus folgt jedoch nicht, dass nicht stets genau diese Aussage über Rechte wahr sei, vgl. dazu Dworkin, No Right Answer?, in: Hacker/Raz (Hrsg.), Law Morality and Society, Festschrift für H. L. A. Hart (1977), S. 77 ff.
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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anzusehen, weil sie nicht aus sich heraus jedem Rechtsstreit ein einziges Ergebnis zuordnen.160 Sicher sei – so erwiderte R. Dworkin zutreffend auf diese Kritik –, dass Rechtsprinzipien wegen ihrer eigenen Natur nicht in gleicher Weise bei der Rechtsfindung zum Tragen kämen wie Rechtsnormen. Denn sie führen nicht auf beinahe mechanische Weise in allen ähnlich gelagerten Fällen zum selben Ergebnis. Sie beschränken sich vielmehr darauf, die Entscheidung auf einen Sinn hin zu orientieren, wenn auch nicht in logisch zwingender Form. Dies zwinge aber zumindest den Richter, die verschiedenen auf den Einzelfall anwendbaren Prinzipien zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, was jedoch nicht bedeute, dass er in seiner Entscheidung völlig frei sei. Er sei vielmehr verpflichtet, den von den einschlägigen Prinzipien vorgezeichneten Linien in methodisch vorgegebener Weise zu folgen. Auch F. Bydlinski tritt dafür ein, das Recht in Assoziation mit seinem vorrechtlichen Umfeld zu betrachten.161 Für die Prinzipien leitet sich aus dem Zusammenspiel von Recht und sozialem Umfeld ab, dass sie sich in zwei große Kategorien einteilen lassen. Zum einen gibt es diejenigen, die dadurch positives Recht bilden, dass sie ausdrücklich oder implizit Eingang in das Rechtssystem gefunden haben, und zum anderen diejenigen (vorpositivistischen), die – auch wenn sie potentiell genauso tauglich sind zur Konfliktbewältigung wie die ersteren – noch nicht mit förmlicher Rechtsautorität (kraft eines Willensaktes der Gesetzgebung) versehen sind und deshalb außerhalb der Mauern des Rechtssystems wandeln, wenngleich die daraus resultierenden Vorgaben sich häufig in der Rechtsanwendung wiederfinden, sodass sie das Recht doch mitbeeinflussen162 und deshalb ebenfalls den Status von Rechtsprinzipien tragen sollten.163 cc. Zusammenfassung Resümierend lässt sich sagen, dass die sich dem vorrechtlichen Umfeld öffnende Ansicht in der Rechtstheorie beständig an Boden gewinnt, auch weil sie – so jedenfalls mein Standpunkt – die tatsächliche Rechtspraxis wirklichkeitsnah einfängt und nach methodisch geleiteter Rechtsfortbildung sucht. Dafür muss freilich der rein positivistische Ansatz verlassen werden. Genauso wie es J. Esser, aber etwa auch F. Bydlinski in ihren Werken darstellen, gilt es nicht nur bei der Handhabung des einfachen Rechts, sondern auch bei der Herausbildung von Prinzipien, die eine Orientierungsfunktion gerade bei der Lückenfüllung übernehmen können, das vorrechtliche Umfeld mit einzubeziehen. So gibt es auch eine 160 So als möglicher Einwand dargestellt, der dann aber doch verworfen wurde, bei Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 27. 161 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 58 ff. 162 Zu diesem Wirkaspekt, der dazu führt, dass auch außerrechtlich verhaftete Prinzipien Rechtsprinzipien sein können, siehe auch Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 18. 163 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 40 ff.
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3. Teil: Rechtstheorie
vorrechtliche Prinzipienkategorie, an deren Existenz und Einwirkung auf das Recht kein Zweifel bestehen kann und in Bezugnahme derer es sinnwidrig wäre, die Zuordnung zur Rechtsordnung und die Annahme eines Rechtsprinzips abzulehnen. Das Problem des Nachweises der vorpositivistischen Rechtsprinzipien besteht freilich darin, dass die Gewinnung von rechtlich bedeutsamen fundamentalen Rechtsgrundsätzen aus der „reinen Magma sozialer Werte“164,165 die das geschriebene Recht umgibt, einen besonderen Aufwand erfordert,166 der noch umfangreicher und im Endeffekt in Bezug auf den Erkenntnisgewinn ggf. sogar ertragloser sein kann (es vielleicht zumeist auch ist, weil die Bewertungs- und damit „Angriffsfläche“ zu groß ist), als es der Exzerption von Rechtsprinzipien aus dem geschriebenen Recht zugeschrieben werden kann. Denn für den Nachweis von fundamentalen Rechtsprinzipien auf der Grundlage des kodifizierten Rechts mangelt es zumindest nicht an einer festen, in ein äußeres System gegossenen, wenngleich auch unterschiedlich interpretierbaren Ausgangsbasis.167 c. Die Induktion als notwendige Ermittlungsmethode bezüglich des positiven Rechts Hat man einmal den mit der Idee der Gewaltenteilung einzig zu vereinbarenden Standpunkt bezogen, dass Richter keine echte Rechtsschöpfung betreiben dürfen, sondern sie das, was in einem Fall Recht ist, aus dem Gesetz und in Ermangelung dessen, aus den in und um das Recht gruppierten, ggf. auch noch nicht explizit im Gesetzestext verfestigten Rechtsprinzipien methodisch geleitet168 herauszufiltern haben,169 gibt es auch in schwierigen Fällen kein völlig freies richterliches Entscheidungsermessen. Allerdings bleibt dann immer noch die Frage, welche Prinzipien auf das Recht und seine Fortbildung lenkend wirken. Dahinter verbirgt sich das Problem der Identifikation von Prinzipien, die das Recht legitimerweise steuern.170 In Bezug auf diesen Problemkomplex kommen die vorgenannten Wissenschaftler, aber auch andere Autoren, zu einem sehr ähnlichen Standpunkt. R. Dworkin selbst geht etwa davon aus, dass zu den Rechtsprinzipien alle Maßstäbe zählen, die, 164
Ausdruck von Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 19. Dworkin (The Model of Rules II, in: Taking Rights Seriously, 1977, S. 59) spricht in diesem Zusammenhang von der sog. „social rules of recognition“. 166 Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek//Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 62. 167 Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 27. 168 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 28. 169 Dworkin, The Model of Rules II, in: Taking Rights Seriously (1977), S. 59 ff.; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 2; Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawaietz/Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 62. 170 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 16, 17. 165
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ohne einfache Normen zu sein, als Argumente für individuelle Rechte dienen können.171 So spricht er etwa von Prinzipien wie Gerechtigkeit und Gleichheit, die notwendigerweise das Recht determinieren, aber auch von allgemeinen Moralvorstellungen.172 Andere Autoren erarbeiten Rechtsprinzipien aus der Rechtsidee derart, dass sie Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit zu den fundamentalen Rechtsgrundsätzen zählen.173 Hier gibt es eine große Anzahl von Ansätzen, die zum Teil Rechtsprinzipien nur exemplifizierend herausstellen, z.T. aber auch darauf ausgerichtet sind, die das einfache Recht steuernden Rechtsprinzipien abschließend zu erfassen und zu ordnen. Freilich geben gerade die hier zuerst genannten fundamentalen Grundsätze Anlass darüber nachzudenken, ob sie eher einen außerrechtlich angelegten, ethisch-moralischen Bezug oder doch auch eine originäre Verbindung zur Rechtsidee haben. Bedeutsam ist insofern etwa, dass R. Dworkin selbst ein bedeutsames Requisit bzgl. der Feststellung eines Rechtsprinzips, das die Rechtsfindung bestimmen soll, hinzufügt. Denn kein noch so „moralisch“ hochwertiges Prinzip könne – so R. Dworkin – in einer Rechtsordnung als gültig angesehen werden, wenn es mit dieser Rechtsordnung – so wie sie sich selbst explizit, d.h. in ihrem äußeren System, darstellt – nicht vereinbar sei.174 Um also behaupten zu können, dass ein bestimmtes Prinzip Bestandteil einer Rechtsordnung sei, müsse man notwendigerweise einen institutionellen Rückhalt finden oder, was damit gleichzusetzen sei, Gerichtsurteile, in denen auf das Prinzip Bezug genommen wird bzw. Gesetze, in denen ein Prinzip exemplifiziert wird. Weiter fügt er, was für den Gang der kommenden Untersuchung in Bezug auf das die Herausbildung eines Prinzips (hier des Verbraucherschutzprinzips) entscheidende Bedeutung gewinnen wird, seinem Standpunkt folgende Aussage hinzu: Je mehr Präsenz oder institutionellen Rückhalt eine rechtliche Idee im Recht habe, desto eher kann man es als Rechtsprinzip begreifen und umso 171 Dworkin, Hard Cases, in: ders., Taking Rights Seriously (1977), S. 90. Den Prinzipien stellt Dworkin die „policies“ gegenüber. Hierunter versteht er kollektive soziale Ziele. Policies sollten nach Dworkin nur subsidiär – nach der Anwendung von einfachen Normen, Rechtsprinzipien – die Rechtsfindung lenken. Diese Unterscheidung Dworkins ist freilich nicht unproblematisch, vgl. dazu Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/Schramm, Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59, 61 Fn. 19. 172 Dworkin, Law’s Empire (1986). 173 BVerfGE 7, 89, 92; Benda/Weber, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung (1983), S. 1, 7; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 26; ders., Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982), S. 290 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie (8. Aufl., 1973), S. 119 ff., 164 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit (1971), S. 187 ff., 281 ff.; Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 32 ff.; Dreier, NJW 1986, 890 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), § 139 ZPO Rn. 3. 174 Insofern stellt Dworkin auch bei dem mitzubetrachtenden vorrechtlichen Umfeld immer wieder den Bezug zum geschriebenen Recht her.
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größer ist die Bedeutung dieses Prinzips, das bei der Rechtsfindung in Abwägung mit anderen Prinzipien zu stellen ist.175 Von dieser ganz grundlegenden Vorstellung der Notwendigkeit einer großen Spannweite von Einzelnormen etc., die auf das Prinzip rückführbar sind, leitet sich wiederum das methodische Vorgehen beim Nachweis der Existenz eines Rechtsprinzips ab. So ruft R. Dworkin dazu auf, die Rechtsordnung zu durchforsten, um die Existenz eines Rechtsprinzips nachzuweisen, das auch den Richter in seiner Entscheidungsfindung bindet. Vor diesem Hintergrund erklärt sich nicht zuletzt auch die Darstellung der vielen verbraucherschützenden Regelungseinheiten im zweiten Teil meiner Arbeit, die letztendlich nichts anderes beinhaltet, als die hier geforderte „Durchforstung“ des (Zivil-)Rechtes auf den kodifizierten Rückhalt an verbraucherschutzrechtlichen Elementen. R. Dworkin selbst bringt damit den Gedanken der induktiven Ableitbarkeit des Rechtsprinzips aus der Rechtsordnung ins Spiel. Er räumt jedoch ein, dass dem Richter bzw. Wissenschaftler die Durchführung dieses Prinzipienidentifikationsverfahrens eine wirklich überdimensionale Anstrengung/resp. Fähigkeit abverlange, da sie praktisch eine Gesamtevaluation des geltenden Rechts voraussetzen würde. Doch diese Schwierigkeit dürfe nicht dazu verleiten, deshalb das genannte Vorgehen als solches (als Aufgab und Ziel) abzulehnen.176 Nichts stehe im Wege, eine Art regulativer Idee einer Entscheidungsfindung zugrunde zu legen; mag es sich dabei auch um etwas nur schwer Erreichbares handeln, wenn es immerhin geeignet ist, die wirkliche richterliche und legislative Praxis, die sich daran orientiert, zu erklären oder sie – was noch wichtiger erscheint – zu rechtfertigen und methodisch zu lenken.177 Dass es bei der Ermittlung von übergeordneten Prinzipien auf der Grundlage der Existenz gleichgerichteter Einzelnormen um eine Verallgemeinerung geht und hierfür – wählt man als Ausgangspunkt das positive Recht – die induktive Methode anzuwenden ist, steht heute wohl auch in der Rechtswissenschaft außer Frage.178 Autoren, wie etwa W. Wilburg, die sich bereits sehr früh mit Prinzipien („Elementen“) des Rechts befasst haben, sind auf dieses Mittel zwar noch nicht explizit eingegangen, sie haben diese Vorgehensweise jedoch vorausgesetzt. Zwar herrschte zunächst in der Rechtstheorie oft die Ansicht vor, dass es wenig bringe, über methodisches Vorgehen zu reflektieren. Denn auch – so etwa W. Wilburg – ein Maler sinniere nicht über die Beschaffenheit seines Pinsels, seiner Leinwand 175 Dworkin, in: Taking Rights Seriously, a.a.O.; ebenso auf das Masseargument abstellend Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 248. 176 Die Rechtswissenschaft ist gerade hier gefordert. Sie muss sich auf Grund ihrer systembildenden Kraft an die Spitze dieses Identifikationsprozesses stellen. 177 Referiert bei Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 28 ff. 178 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 23 ff.; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 42; Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 15.
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und seiner Farben, sondern male, und der Jurist sollte es ähnlich halten.179 Diese Sichtweise ist jedoch seit langem überholt. Denn die Rechtswissenschaft, will sie ihrem Anspruch als Wissenschaft gerecht werden, darf selbst in „schwierigen Fällen“ keine Zufallsergebnisse befördern. Um dies sicherzustellen, bedarf es aber natürlich auch einer Offenlegung und nicht zuletzt einer diskursiven Auseinandersetzung über die angewandten Methoden.180 Das notwendig induktive Vorgehen bei der Ermittlung von Prinzipien auf der Grundlage des geschriebenen Rechts wird von W. Wilburg letztlich auch in seiner Wiener Ehrenpromotionsrede von 1975 bestätigt. Darin beschreibt er die ihn interessierenden materiellen „Elemente“ wie folgt: „ … das bedeutet für mich, die im Recht anerkannten Wertungsgesichtspunkte, nicht nach freiem Willen, sondern nach einer vorgegebenen Wertung im Gesetz“ ermittelt werden müssen.181 Später wird dieser Ermittlungsvorgang von anderen noch deutlicher herausgestellt. Zu nennen sind hier etwa J. Esser,182 F. Bydlinski,183 D. Leenen,184 K. Larenz/C.-W. Canaris185 und J. Pascua186. Alle hier genannten Autoren vertreten die Ansicht, dass man zur Gewinnung von Rechtsprinzipien nicht bei den ausdrücklichen von einer Rechtsordnung angesprochenen fundamentalen Rechtsgrundsätzen stehen bleiben dürfe, sondern dass es typisch für Rechtsprinzipien sei, dass sie auf dem Grunde der einfachen, positiven Regeln „schlummern“.187 Damit soll freilich nicht bestritten werden, dass fundamentale Rechtsgrundsätze, die mit Recht deshalb als Rechtsprinzipien bezeichnet werden, weil sie auf das Recht einwirken,188 nicht auch mittels des umgekehrten Ableitungsvorgangs, 179 Wobei er darin seinem Lehrer Ernst Rabel folgte, der der Auffassung war, dass ein ordentlicher Jurist eine Methode habe, aber nicht darüber sprechen sollte, vgl. dazu F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 9, 23. 180 Kaufmann, Die Kriterien des Rechts (1924), S. 2 f. 181 Die von Wilburg nicht selbst veröffentlichte Rede ist z.T. bei F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 24 wiedergegeben. 182 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 2. 183 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller//Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 23. 184 Leenen, Typus und Rechtsfindung (1971), S. 65. 185 Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4; ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 97 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 205. 186 Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 15. 187 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 3; vgl. auch RGZ 24, 50, wo man lesen kann, es sei Sache der „Judikatur, die nicht in einer allgemeinen Norm konzentrierten in dem Gesetz ausgesprochenen Grundprinzipien des Gesetzes zu Tage zu fördern und auf die im Leben hervortretenden, im Gesetz nicht besonders hervorgehobenen, unter das betreffende Prinzip fallenden Fälle anzuwenden“. 188 So schon Pound, Philosophy of Law, in: Twentieth Century’s Philosophy (1943), 82 f.; später auch Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 94.
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nämlich durch Deduktion189 aus Oberprinzipien (zur Annahme einer Prinzipienhierarchie später), hergeleitet werden können.190 Somit wäre R. Dworkins Auffassung vom notwendigen positivrechtlichen/institutionellen Rückhalt des Prinzips im geltenden Recht auch als etwas zu eng anzusehen und der Ermittlungsweg über die Induktion zu einseitig. Die Exzerption von rein vorpositivistischen Rechtsprinzipien in Form der Ableitung aus vorpositivistischen Oberprinzipien bildet jedoch ein eigenes „methodologisches Problem“, worauf F. Bydlinski bereits zutreffend hingewiesen hat,191 das sich – wie bereits angesprochen – an der Vagheit und „Verschwommenheit“192 der Oberprinzipien festmachen lässt und beim Vorliegen eines positiv-rechtlichen Rückhalts eines Prinzips im Recht deshalb auch nicht den zu bevorzugenden Weg des Nachweises beschreiben kann. Diese Vorgehensweise kann nur subsidiär zur Anwendung kommen,193 nämlich nur, wenn zunächst untersucht wurde, ob nicht die expressis verbis vorhandenen unterschiedlichen Einzelnormen als „legitime Kinder eines Prinzips“194 auf selbiges hindeuten.195 d. Zum Zusammenhang von Induktion und Gesamtanalogie Wählt man das positive Recht als Ausgangspunkt für die induktive Ermittlung eines oder mehrerer Rechtsprinzipien, kommt es zunächst zum Vergleich von verschiedenen Einzelnormen. Dieser Vergleich führt dann ggf. dazu, dass als tatbestandlich ähnlich begriffene Sachverhalte in der Rechtsfolge als gleichlaufend geregelt charakterisiert werden können. Darauf aufbauend lässt sich bei mehreren vergleichbar geregelten Tatbeständen bzw. Normen eine so genannte „Typenreihe“196 bilden, die wiederum den Ausgangspunkt für eine Gesamtanalogie sein kann.197 189
Dazu allgemein Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung (1967), S. 30 ff. Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4, der aber neben der Einräumung der prinzipiellen Möglichkeit der deduktiven Ableitung selbst der Induktion (ausgehend vom positiven Recht) den Vorzug gibt. 191 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsprinzipien (1988), S. 124. 192 Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 1. 193 Allgemein zur subsidiären Geltung des Naturrechts und der aus ihm folgenden Prinzipien Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 73 ff.; ebenso Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4, der ausdrücklich feststellt, hinsichtlich der Vielgestaltigkeit des Vertrauensgedankens im Anwendungs- und Rechtsfolgenbereich, ist gegenüber allein rein deduktiven Ableitungen äußerste Zurückhaltung zu wahren. Für seine Erfassung/Konkretisierung kommt es in erster Linie auf die Wertungen des positiven Rechts an. 194 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 42. 195 Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4. 196 Zum Begriff siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 282; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 71 ff. 197 Dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 204. 190
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Mittels der Gesamtanalogie kann ein weiterer, vom Gesetzgeber noch nicht ausdrücklich geregelter Fall bei Feststellen der „tatbestandlichen Einpassfähigkeit“ in die zuvor gebildete Typenreihe auf der Rechtsfolgenseite einer ähnlichen Gleichschaltung zugeführt werden, mit dem Argument, dass es nur gerecht und angemessen ist, einen ähnlichen Fall analog zu entscheiden.198 Eingesetzt wird die Gesamtanalogie deshalb zu allererst bei der Schließung von Regelungslücken. Die Gewinnung eines allgemeinen Grundsatzes im Wege der Gesamtanalogie beruht auf der Erkenntnis, dass die gemeinsame ratio legis aller herangezogenen Einzelbestimmungen nicht nur in den geregelten Einzelfällen, sondern immer schon dann zutrifft, wenn bestimmte, in allgemeiner Weise angebbare Voraussetzungen vorliegen. Der Rückgang auf die insofern herausgearbeitete (verallgemeinerbare) ratio legis aller Einzelbestimmungen ermöglicht die Formulierung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der durch den ihm innewohnenden materialen Gerechtigkeitsgehalt einleuchtet und durch die im Gesetz in Übereinstimmung mit ihm geregelten Fälle seinen positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden hat. Der Vergleichs- und Gleichschaltungsprozess im Rahmen der Gesamtanalogie unterliegt freilich einem Interpretations- und Bewertungszwang. Schon die entscheidende Überlegung, ob eine „Lücke“ im Gesetz angenommen werden soll, ist normativ zu beantworten.199 Sie ist nicht nur Erkenntnisquelle, sondern Argument und Rechtfertigung für Rechtsfortbildung am selbstgewählten Maßstab, der bestenfalls für sich eine gewisse Plausibilität beanspruchen kann. Insofern ist ihr immer auch eine gewisse „Angreifbarkeit“ eigen.200 Von dieser Problematik abgesehen, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Gesamtanalogie und Induktion stehen.201 Das Verhältnis beider methodischer Vorgehensweisen klärt sich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Gesamtanalogie auf der Ebene des einfachen Rechtes verhaftet bleibt. Sie führt somit noch nicht zu einer von dieser Ebene abgehobenen und daher noch viel abstrakteren Systembildung.202 Erst die weitere Abstraktion der in Tatbestand und Rechtsfolge mittels der Gesamtanalogie als „ähnlich“ eingestuften Fälle führt zur Bildung des allgemeinen und deshalb auch in Tatbestand und Rechtsfolge viel vageren „höherrangigen“ Rechtsprinzips. Während die Gesamtanalogie die horizontale Gleichschaltung von Einzelnormen veranschaulicht, läuft die Induktion auf die vertikale „Hochzonung“ ihrer gemeinsamen Kernaussage auf eine noch weiter abstrahierte allgemeine Wertungstendenz heraus.
198 199 200 201
Canaris, Die Festellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 71. Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 252 f. Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 253. Vgl. dazu auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983),
S. 97 ff. 202
Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 231.
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Nicht unerwähnt soll hier bleiben, dass in diesem Zusammenhang manchmal davon gesprochen wird, die (Gesamt-)Analogie beinhalte den Schluss von Besonderem auf Besonderes; wird hingegen von Besonderem auf Allgemeines zurückgeschlossen, so handelt es sich um eine Induktion.203 Dabei wird aber verkannt bzw. nicht richtig herausgestellt, dass die auf der horizontalen Ebene der Einzelnormen durchzuführende Gesamtanalogie bereits zu einer ersten Verallgemeinerung führt, die weiterforciert erst die „Hochzonung“ zum noch viel abstrakter gefassten Rechtsprinzip erlaubt. Gesamtanalogie und Aufdeckung eines Rechtsprinzips im Wege der Induktion bilden deshalb genau genommen eher ein funktional aufeinander aufbauendes System von mehreren Verallgemeinerungsstufen. 3. Was Prinzipien sind: Zur Beschaffenheit des gesuchten „Objekts“ Sollen mehrere Typen oder ein bestimmtes Rechtsprinzip in Bezug auf die Rechtsordnung „freigelegt“ werden, ist es natürlich auch von Bedeutung zu wissen, was ein Rechtsprinzip (abstrakt) ausmacht. Denn nur, wer weiß, wonach er sucht, indem er wesentliche Identifizierungsmerkmale von Anfang an offenlegt, kann nach Klärung der notwendigen Vorgehensweise, die zur Exzerption der Erscheinung führt, Gesuchtes und Gefundenes miteinander abgleichen. a. Prinzipien als normative, gewichtige Maximen von großer Allgemeinheit Der seit jeher vielfach verwendete Begriff des „Rechtsprinzips“ wurde und wird in aller Regel in dem Sinn verstanden, dass es sich um eine normative Maxime von großer Allgemeinheit (d.h. mit einem umfassenden Realitätsausschnitt als Normbereich) und daher auch fast zwangsläufig von erheblicher Vagheit handelt.204 „Allgemein“ sind Rechtsprinzipien jedenfalls im Verhältnis zu einfachgesetzlichen Regeln,205 wobei – ausgehend von der Rechtsidee und dem Gedanken der „Einheit der Rechtsordnung“206 – immer wieder behauptet wird „principium est primum“, andererseits aber auch als ein Prinzip häufig erst das erkannt wird, was lange Zeit als konkrete Problemlösung nur isoliert und ohne „prinzipielle“ Bedeutung geübt wurde, wenn es denn durch Hinzutreten weiterer ähnlich gerichteter Fälle ein neues Gewicht erlangt. Der damit inzident beschriebene funktionelle Zusammenhang von „Grundsatz und Norm“, d.h. von Prinzip und Einzelregelung, wurde bereits umfänglich von J. Esser dargelegt.207
203 So Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 98; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 205. 204 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (1992), 120; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsprinzipien (1988), S. 121; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 1. 205 F. Bydlinski, ebenda, S. 124. 206 Zu diesem Postulat siehe Zippelius, Juristische Methodenlehre (10. Aufl., 2006), S. 43. 207 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 41 ff.
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b. Mögliche weitere konturierende Kriterien In der Literatur werden neben der Bezugnahme auf die These, Prinzipien seien normative Maximen von großer Allgemeinheit, vielfach noch weitere Kriterien zur Konturierung fundamentaler Rechtsgrundsätze herausgearbeitet: aa. Prinzipien und ihre Zuordnung zur Rechtsordnung An dem Umstand des übergeordneten allgemeinen Aussagegehaltes eines Rechtsprinzips knüpft sich etwa die weitergehende These an, dass Prinzipien nicht expliziter Inhalt des positiven Rechts seien, sondern lediglich bedeutsame inhaltliche Gründe für dessen Regeln mit maßgeblichem Wertgehalt liefern.208 M.E. schließt sich beides aber nicht aus, da Rechtsprinzipien vielfach in einfach-gesetzlichen Normen (zugeschnitten auf spezielle Fälle und damit auch konkreter gefasst) „dupliziert“ sind. Freilich ist dies nicht notwendig so. Insbesondere bei rein vorpositivistischen Prinzipien, die noch keinen Eingang ins geschriebene Recht gefunden haben, könnte man den Rechtsanspruch in Abrede stellen. Aber auch die vorpositivistischen Prinzipien gestalten unbestreitbar die Auslegung und Anwendung des geschriebenen Rechtes mit und sollten schon deshalb auch als „Rechtsprinzipien“ verstanden werden.209 bb. Prinzipien und das Fehlen von Tatbestand und Rechtsfolge Neuerdings wird die Besonderheit von Rechtsprinzipien überdies darin gesehen, dass man sie als Elemente der Rechtsordnung von den einfach-gesetzlichen Normen abzugrenzen versucht. Maßgebliches Kennzeichen für ein Rechtsprinzip ist, so die Argumentation, dass es trotz der Existenz der von ihm herrührenden übergeordneten Wertaussage im Unterschied zu den „normalen“, 210 einfach-gesetzlichen Regelungen weder einen genau konturierten Tatbestand noch konkrete Rechtsfolgen aufweist.211 Ein Prinzip drückt insofern (was m.E. nicht bestreitbar ist) lediglich eine „normative Bewertungstendenz“ aus.212 Die Charakterisierung von Rechtsprinzipien von dieser Warte aus ist jedoch schon deshalb nicht ganz unproblematisch, weil etwa auch einfach-gesetzliche Generalklauseln213 tatbestandlich vage und in der Rechtsfolge oft „offen gehalten“ sind. Die vorgenannte 208
Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 23 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (2. Aufl., 1983), S. 52 ff. 209 Ebenso schon Pounnd, Philosophy of Law, in: Twentieth Century’s Philosophy (1943), 82 f.; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 94. 210 Anders ist das bei Generalklauseln. 211 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 50; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1994), S. 303; Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 27. 212 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 122; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 93 Fn. 123; ähnlich auch Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht (1996), S. 30 f. 213 Grundlegend dazu Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln (1933), S. 53.
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These hilft deshalb nur bedingt weiter, um die Besonderheit von Prinzipien herauszustellen. cc. Das Kriterium des vollen Realisationsanspruchs In engem inhaltlichen Zusammenhang mit der hier gerade angesprochenen tatbestandlichen Vagheit des Rechtsprinzips und der Offenheit im Hinblick auf Rechtsfolgen steht manchmal auch die Aussage, dass eine einfach-gesetzliche Norm in der Regel darauf angelegt ist, „voll realisiert“ zu werden, während ein Rechtsprinzip nur darauf ausgerichtet ist, je nach den Umständen im Rahmen des tatsächlichen und rechtlich Möglichen mehr oder weniger verwirklicht zu werden (d.h. vor allem auch unter Beachtung etwaiger das Regelungsgebiet mitbesetzender gegenläufiger Rechtsprinzipien).214 Richtig daran ist, dass Rechtsprinzipien, wenn und weil sie in einem kodifizierten Rechtssystem häufig in einfach-gesetzlichen Normen dupliziert sind, nur subsidiär, d.h. lückenausfüllend, herangezogen werden können. Denn sie wirken primär über die Normen, die das vom Gesetzgeber kreierte Abwägungsergebnis einer ggf. vorhandenen Prinzipienkollision konkret wiedergeben. Deshalb finden sie sich nur mittelbar und mehr oder weniger in ihrem ursprünglichen Geltungsanspruch verwirklicht. Andererseits ist auch der volle, unmittelbare Realisationsanspruch einfachgesetzlicher Rechtsnormen im Einzelfall „beschränkt“, wenn und weil einfach-gesetzliche Generalklauseln (etwa § 242 BGB) diesen durchbrechen können. Das vorgebrachte Abgrenzungskriterium ist somit ebenso wenig wie die davor genannten Bewertungselemente vollumfänglich belastbar. c. Ergebnis In einem Resümee lässt sich aber immerhin sagen, die Besonderheit des Prinzips besteht darin, dass es ein verallgemeinerbares Postulat von besonderem Gewicht statuiert, das sich häufig in einem gesamten Komplex von Einzelnormen ausgedrückt findet.215 An den in den Einzelnormen vorgenommenen unterschiedlichen, konkreten Abwägungen lässt sich ersehen, dass die Wertaussage eines Prinzips von dem eines anderen abweichen kann und Prinzipienmehrheiten, Prinzipienkollisionen hervorrufen können, die wiederum zum Ausgleich aufrufen. Und: Obgleich Prinzipien vage in Tatbestand und Schlussfolgerungen sind, 214 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (1992), S. 120; ders., Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz/Opałek/Peczenik/Schramm (Hrsg.), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), S. 59 ff.; ders., Theorie der Grundrechte (1985), S. 71 ff.; ders., in: McCormick u.a. (Hrsg.), Geltungs- und Erkenntnisbedingungen im modernen Rechtsdenken (1985), S. 13 ff.; Dreier, Rechtsbegriff und Rechtsidee (1986), S. 26 ff.; Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen (1984), S. 24, 56 ff.; gegen eine strenge logische Scheidung von Regel und Prinzip Otte, Zur Anwendung komparativer Sätze im Recht, in: F. Bydlinski u.a. (Hrsg.), Das bewegliche System im geltenden und künftigen Recht (1986), S. 279. 215 Ähnlich auch F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 123.
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sind sie trotzdem „verpflichtend“ in dem Sinne, dass sie Beachtung verlangen. Sie kommen zwar schon wegen ihrer besonderen Natur nicht in gleicher Weise zum Tragen wie Rechtsnormen. Denn sie führen nicht auf beinahe mechanische Weise in allen ähnlich gelagerten Fällen zum selben Ergebnis. Sie beschränken sich vielmehr darauf, die Entscheidung auf einen Sinn hin zu orientieren, wenn auch nicht in logisch zwingender Form. Dies zwingt den Richter und den Gesetzgeber jedoch, die verschiedenen auf den Einzelfall ggf. anwendbaren Prinzipien zu bewerten und gegeneinander abzuwägen und dabei sein Urteilsvermögen auszuschöpfen. Letzteres bedeutet freilich nicht, dass er in seiner Entscheidung völlig frei ist. Der Richter wie der Gesetzgeber ist verpflichtet, der von den einschlägigen Prinzipien vorgezeichneten Linie nach deren angemessener Gegenüberstellung und Abwägung zu folgen.216 4. Prinzipienmehrheit, innere Spannungen sowie Über- und Unterordnung Die oben beschriebenen verschiedenen Funktionen von Rechtsprinzipien und die Verallgemeinerung von in Einzelnormen zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, die ganz unterschiedliche Bereiche des positiven Rechts wie Klammern verallgemeinernd zusammenfassen,217 führen fast zwangsläufig zu dem Schluss, dass die fundamentale Schicht von Rechtsprinzipien als thematisch „aufgefächert“ betrachtet werden muss. Sie setzt sich aus einer Vielfalt von Einzelprinzipien zusammen,218 insofern besteht eine „Pluralität der Elemente“.219 Herausgearbeitet werden in Bezug auf das deutsche Zivilrecht etwa Prinzipien wie das der gleichen Personalität und Rechtsfähigkeit für jedermann, die allgemeine Handlungsfreiheit, die Eigentumsfreiheit, die Privatautonomie (insbesondere die Vertragsfreiheit),220 das Prinzip der Gehilfenhaftung, das Bereicherungsprinzip, der Grundsatz von Treu und Glauben, das Verbot des Rechtsmissbrauchs, der Vertrauensschutz,221 die Testierfreiheit, die Eheschließungsfreiheit, die Familienfürsorge, die Vereinigungsfreiheit, die Verschuldens- und Gefähr216
Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 28. Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 5. 218 Alexy, Theorie der Grundrechte (1994), S. 75 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 33; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 125 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (2. Aufl., 1983), S. 184 ff., 214 ff.; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 87 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (5. Aufl., 1983), 452 ff.; Schilcher, Theorie der sozialen Schadensverteilung (1977), S. 184 ff.; Viehweg, Topik und Jurisprudenz (5. Aufl., 1974), S. 72 ff.; Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950); ders., Elemente des Schadensrechts (1941); ders., AcP 163 (1963), 346 ff. 219 F. Bydlinski, in: Schilcher/Koller//Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 11 f. 220 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 5, 70 f. 221 Siehe dazu insbesondere Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971). 217
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3. Teil: Rechtstheorie
dungshaftung, aber auch der hochaktuelle Ausgleich vertraglicher Ungleichgewichte.222 Dabei kann diese Aufzählung keinesfalls als abschließend betrachtet werden. Relativ deutlich wird vor dem dargestellten Hintergrund auch, dass die in einem Rang stehenden Einzelprinzipien inhaltlich zueinander durchaus nicht in allen Anwendungszusammenhängen im Verhältnis der Harmonie, sondern für manche Anwendungsfälle in jener Beziehung der Spannung bzw. Polarität stehen, in der auch einfach-gesetzliche Normenkomplexe „aufeinander stoßen“ (können), weil ihre Anforderungen bzw. Wertaussagen in unterschiedliche Richtungen weisen.223 So steht etwa das Prinzip der Vertragsfreiheit und Vertragsbindung („pacta sund servanda“) in einer gewissen Polarität zum Prinzip des Ausgleichs sozialer Ungleichgewichte bzw. dem des Schutzes der Verbraucher, insbesondere in Bezugnahme zu dem dort regelmäßig eingesetzten Instrument des Widerrufsrechts. Das Phänomen der Prinzipienantinomie nötigt im Spannungsfall primär den Gesetzgeber, subsidiär die Judikatur, zu einer ausgleichend konkretisierenden Festlegung.224 Bei der konkretisierenden Abwägung innerhalb einer Prinzipienkollision gilt das Abwägungsgesetz, je höher der Grad der Nichterfüllung oder die Beeinträchtigung des einen (im konkreten Fall kollidierenden) Prinzips ist, um so größer muss die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.225 Die Wichtigkeit eines Prinzips lässt sich wiederum an seinem Rang und ansonsten, d.h. innerhalb ein und desselben Ranges, daran messen, wie viel Platz ihm Gesetzgebung und Rechtsprechung bereits explizit oder inzident in der Rechtsordnung (etwa durch Gesetze und Präjudizien) eingeräumt haben. Es geht hier auch und gerade darum, wie viele (Quantitätsargument) und wie wichtige (Qualitätsargument) menschliche Handlungen von einem Prinzip besetzt durch Einzelregelungen bzw. Entscheidungen bereits erfasst werden.226 Wenn hier von Rangunterschieden im Sinne von Ober- und Unterprinzipien227 gesprochen wird, deutet dies auf eine hierarchische Anordnung hin. Dass Rechtsprinzipien nicht nur in einem Verhältnis der inhaltlichen Antinomie auf 222
F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 41. F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 125; ders., in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 19; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 303; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (1975), S. 121; Wilburg, AcP (1963), 349 ff. 224 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 125. 225 Alexy, Theorie der Grundrechte (1994), S. 146; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 126; ders., in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9, 19; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (1975), S. 121. 226 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 41. 227 Siehe dazu auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (2. Aufl., 1983), S. 57; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1990), S. 303. 223
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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gleicher Regelungsstufe, quasi über dem kodifiziertem Recht, sondern darüber hinaus – wie das geschriebene Recht selbst (Stichwort: Normenhierarchie) – auch in einer vertikalen Rangordnung zueinander stehen, ergibt sich aus dem Umstand, dass alle Prinzipien selbst wieder zur Systembildung und damit zu einer Über- und Unterordnung neigen. Denn nur dadurch kann der Rechtsstoff, der in ihnen „aufgeht“, auf ein überschaubares Minimum an allseitig brauchbaren, weil transparenten und damit sachlich ergiebigen Wertaussagen kondensiert werden.228 In der Literatur wurde in der Vergangenheit bereits verschiedentlich der Versuch unternommen, die die Rechtsordnung bestimmenden Prinzipien in ihrer unterschiedlichen „Stoßrichtung“ und auch in der formal stufentheoretischen Einteilung systembildend darzustellen, wobei die fundamentalen Rechtsgrundsätze teilweise feierlich aufgezählt werden, darüber hinausgehend aber vereinzelt auch eine vollständige Klassifizierung im Sinne von Systembildung229 und Kodifikation230 derselben gefordert wurde. Die Arbeiten an diesem „Projekt“ sind jedoch so ambitioniert und weitläufig, dass hier nicht der Platz ist, darauf umfassend einzugehen, zumal ein solches „In-die-Breite-gehen“ mittels eines ausführlichen Exkurses auch für den hier interessierenden Umstand des zu führenden Nachweises des Verbraucherschutzprinzips im deutschen Zivilrecht nicht notwendig ist. Vielmehr soll der auf das Projekt der zu ordnenden Prinzipienmehrheit, -kollision und -hierarchie bezogene Hinweis lediglich dazu dienen, die Struktur und Problematik der Prinzipien(bildung) insgesamt in einen systematischen Bezug zu bringen, der für das Systemverständnis jedes einzelnen Prinzips – und daher auch hier (in Rekurs auf das Verbraucherschutzprinzip) von grundlegender Bedeutung ist. IV. Beispiele für die Herleitung von Prinzipien und verwandte Tatbestände Nachdem in einem ersten Schritt die methodischen und rechtstheoretischen Grundlagen der Bildung von Rechtsprinzipien und ihre Funktion herausgearbeitet wurden, sollen nun konkrete Beispiele dafür geliefert werden, wie bereits in der Vergangenheit mehrere „rechtliche Einzelerscheinungen“ zur Bildung eines übergeordneten Grundsatzes im Sinne einer Gesamtanalogie und daran ansetzend in Form eines allgemeinen Rechtsprinzips „zusammengeführt“, d.h. einem einheitlichen, abstrahierten Bewertungstatbestand zugeordnet wurden. Aus dem dargestellten Befund an praktizierter Prinzipienbildung lässt sich nachvollziehen, dass über den beschriebenen Weg der Gesamtanalogie/resp. In228
Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 7. F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 125 ff.; Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 87. 230 Hinweise darauf finden sich auch bei Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), 7, 15. 229
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duktion in der Vergangenheit verschiedentlich übergeordnete Grundsätze dem geltenden Recht entnommen wurden und sich dieses Vorgehen daher – wenngleich die methodischen Grundlagen oft nicht so breit besprochen wurden wie hier231 – bereits „bewährt“ hat. 1. Vertrauenshaftung Bekanntermaßen begründete C. W. Canaris 1971 die Vertrauenshaftung als Rechtsprinzip des deutschen Privatrechts damit, dass er nach Herausstellen der breiten Masse an Rechtsnormen, die dem Vertrauensschutzgedanken zuzurechnen sind, zu dem Schluss kam, dass es sich hierbei zwar um Regelungen handelt, die im Ausgangspunkt ihres Entstehens voneinander unabhängig waren, dass sie aber mittlerweile nicht mehr nur „als zusammenhangsloses Nebeneinander heterogener Einzelheiten“ zu verstehen sind. Sie sind heute durch Bezugnahme vertrauensbegründender Umstände auf Tatbestandsseite und durch den Ausspruch einer Einstandspflicht des dieses Vertrauen zurechenbar Setzenden und zugleich Enttäuschenden miteinander wertungsmäßig verbunden und bringen daher einen übergeordneten Rechtsgedanken, das Vertrauensschutzprinzip, zum Ausdruck.232 C. W. Canaris stützte sich bzgl. dieser Aussage etwa auf die Rechtsscheinshaftung im Vertretungsrecht (§§ 171 I, 172 BGB), die Lehre vom Blankettmissbrauch und der Scheinbotenschaft, die Rechtsscheinshaftung nach §§ 15, 25, 362 HGB, die Rechtsscheinshaftung von Schein-GbR und Handelsgesellschaften sowie die Rechtsscheinshaftung im Recht der Umlaufpapiere und im Arbeitsrecht.233 Abgerundet wurde die Betrachtung durch Herausstellung der rechtsethischen Notwendigkeit der Vertrauenshaftung nach § 242 BGB, die nach Canaris insbesondere in der Lehre des „venire contra factum proprium“ zum Ausdruck kommt.234 2. Die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (cic) In einem ähnlichen Zusammenhang wie die Herausbildung des Einstandsprinzips der Vertrauenshaftung gestaltete sich früher bekanntermaßen der Umgang mit der Fallgruppe der culpa in contrahendo (so genannte „cic“). Eine Reihe von gesetzlichen Vorschriften verpflichteten schon vor der Schuldrechtsreform im Jahr 2001 den Schuldner zum Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertrags231 Typisch ist etwa die Darstellung von Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4 f., der bzgl. der Darlegung der methodischen Vorgehensweise (nämlich der Induktion) nur 1 ½ Seiten verwendete und sich darauf beschränkte, die Einzelerscheinungen der Vertrauenshaftung wie Perlen auf einer Kette hintereinander weg zu beschreiben und danach zu abstrahieren. 232 Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4 ff. 233 Canaris, ebenda, S. 28 ff. 234 Canaris, ebenda, S. 273 ff.
B. Einführung in die Diskussion um Rechtsprinzipien
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verhandlungen, ohne dass ein wirksamer Vertrag oder der Tatbestand der unerlaubten Handlung gegeben zu sein brauchte (vgl. etwa §§ 122, 179, 307, 309, 463 S. 2, 663 BGB a.F.). Aus diesen Einzelvorschriften haben Rechtsprechung 235 und Lehre236 im Wege der Rechtsfortbildung, d.h. über eine Gesamtanalogie, den verallgemeinernden, d.h. übergeordneten Grundsatz abgeleitet, dass bereits durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder einem diesen Umstand gleichzusetzenden geschäftlichen Kontakt ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis entsteht, das den Schuldner zur Beachtung von Sorgfaltspflichten anhält.237 Die so hergeleitete Fallgruppe der cic wurde später auch gewohnheitsrechtlich anerkannt.238 3. Die positive Forderungsverletzung (pFV) Ein weiterer Anwendungsfall für die gesamtanaloge Ableitung eines Haftungstypus stellt die positive Forderungsverletzung (pFV) dar. Vor der Schuldrechtsreform im Jahr 2001 bestand für Pflichtverletzungen im Rahmen von Schuldverhältnissen, die weder Verzug noch Unmöglichkeit beinhalteten, und für die keine expliziten Gewährleistungsvorschriften existierten, noch kein ausdrücklicher Auffangtatbestand, der eine Rechtsfolge explizit vorgab. Derlei Leistungsstörungen wurden als positive Vertrags- bzw. Forderungsverletzungen bezeichnet.239 Die für sie ausgemachte Regelungslücke wurde übereinstimmend dahingehend geschlossen, dass Rechtsprechung und Literatur eine sich später zum Gewohnheitsrecht240 entwickelnde Haftungsregelung kreierten, die in Tatbestand und Rechtsfolge den ausdrücklich formulierten Leistungsstörungstatbeständen glich.241 Während das Reichsgericht zur Begründung der Haftung des Schuldners noch unmittelbar auf § 276 BGB a.F. abstellte,242 befürworteten der Bundesgerichtshof243 und der überwiegende Teil der Literatur244 später 235
RGZ 95, 58, 60 ff.; 78, 240 ff.; 120, 251 ff.; 162, 156 ff.; BGHZ 6, 330, 333; 66, 54 ff.; 71,
386. 236 Als Begründer der Lehre von der cic gilt Jhering, JherJb 4 (1961), 1; Ballerstedt, AcP 151 (1950/1951), 501, 507; Palandt/Heinrichs (55. Aufl., 1996), § 276 Rn. 65. 237 Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 ff.; Larenz, MDR 1954, 515; Soergel/Siebert/Schmidt (10. Aufl., 1967), Vor § 275 Rn. 5; MüKo/Emmerich (2. Aufl., 1985), Vor § 275 Rn. 33. 238 Vgl. dazu BGH NJW 1979, 1983. 239 MüKo/Emmerich (2. Aufl., 1985), Vor § 275 Rn. 95. 240 Dazu Palandt/Heinrichs (55. Aufl., 1996), § 276 Rn. 105. 241 Als „Endecker“ der pVV gilt Staub, FS für den 26. DJT 1902, S. 29; ders., Die positive Vertragsverletzung (2. Aufl., 1913/1916). 242 RGZ 66, 291 ff.; 106, 25 ff. 243 BGHZ 11, 83 ff. 244 Enneccerus/Lehmann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. 1 (15. Aufl., 1958), § 55 II; Palandt/Heinrichs (55. Aufl., 1996), § 276 Rn. 105 f.; a.A. etwa Canaris, JZ 1965, 475 ff., der als Grundlage der Haftung nicht den Vertrag ansah, sondern ein selbständiges allgemeines Schutzverhältnis, auf dem auch die Haftung für cic beruhen soll. Wieder anders vertrat etwa Himmelschein (AcP 135 [1935], 255 ff.) die Ansicht,
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3. Teil: Rechtstheorie
mit Recht245 einen anderen Ansatz. Sie leiteten aus den Haftungsregelungen für den Schuldnerverzug, d.h. aus §§ 286, 326 BGB a.F, und aus den Sanktionsnormen für die Unmöglichkeit der Leistung, §§ 280, 325 BGB a.F., einen allgemeinen Rechtsgedanken her, nach dem der Schuldner für jede schuldhaft herbeigeführte Leistungsstörung durch Leistung von Schadensersatz einzustehen habe. 4. Resümee Die hier gewählten Beispiele für die Bildung von Typenreihen bzw. Rechtsprinzipien geben natürlich nur einen begrenzten Einblick in den Kreis derjenigen Kategorien, die das deutsche Zivilrecht konstituieren. Es ließe sich an dieser Stelle zwanglos auf weitere (rechtstheoretisch angelegte) Studien verweisen, die, wenngleich ohne abstrakten „Vorspann“ zur Rechtsprinzipbildung an sich, immerhin unter Zugrundelegung eines ähnlichen „Musters“ bei der Prinzipienidentifikation verfahren, aufgrund dessen Typenreihen gebildet werden, um auf einen verallgemeinerbaren Gedanken zu schließen. Verweisen ließe sich hier etwa auf eine Abhandlung zur Entstehung und Entwicklung eines Rechtsscheinsprinzips im deutschen Recht,246 auf eine Arbeit über die Prinzipien der Beherrschbarkeit, der Absorption sowie der arbeitsteiligen Veranlassung als Risikozurechnungsgründe bei Vertragsstörungen in Austauschverhältnissen,247 auf Ausarbeitungen zum Prinzip der Verschuldens- und der Gefährdungshaftung 248 sowie auf Darstellungen zum Prinzip der Privatautonomie und Vertragsfreiheit249. Die hier als primäre Vergleichsbasis gewählten zivilrechtlichen Institute der pVV, der cic und der Vertrauenshaftung wurden aber gerade deshalb als primäre Referenzbasis herangezogen und etwas ausführlicher besprochen, weil sie ebenso wie der hier untersuchte Regelungskomplex des Verbraucherschutzrechts vornehmlich vertraglich bzw. vorvertraglich angelegt sind. Von dem hier gewählten methodischen Ansatz her (der Bildung von Typenreihen) ließe sich aber für den Vorgang der Prinzipienbildung ohne weiteres auch auf die i.Ü. genannten Arbeiten und thematischen Ansätze rekurrieren. Egal also, von welcher bereits aufgedeckten thematischen Typenreihe als Referenz ausgegangen wird, es ist es naheliegend, zu schlussfolgern, dass sich der es handle sich um eine Teilunmöglichkeit. Beide wählten deshalb auch andere gesetzliche Ausgangspunkte zur dogmatischen Begründung der Rechtsfigur. 245 Kritik wurde an der Ansicht des RG insoweit geübt, dass geltend gemacht wurde, § 276 BGB beschreibe nur den Haftungsmaßstab, sage aber nichts über die Rechtsfolge aus, die bei einer schuldhaften Vertragsverletzung eintreten soll. 246 Siehe dazu Selter, Die Entstehung und Entwicklung des Rechtsscheinsprinzips im deutschen Recht (2006). 247 Umfassend dazu Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen(1979). 248 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht (2. Aufl., 1996), S. 16. 249 Dazu siehe etwa Reinhardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2009).
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gesamtanalog herbeigeführte Bewertungsbefund dann von der einfachgesetzlichen Ebene der Typenfolge zur abstrakteren Induktionsebene aufschwingt, wenn nicht nur Typenfolgen aus einem Gesetz, etwa dem BGB, in Bezug genommen werden, sondern wenn sich das Prinzip in vielen verschiedenen Gesetzen (etwa auch im HGB) findet. Dies ist nämlich bei dem von C. W. Canaris herausgearbeiteten Vertrauensschutzprinzip der Fall. Die These trifft aber etwa auch für das Prinzip der Verschuldens- und Gefährdungshaftung, das Rechtsscheinsprinzip und das Prinzip der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit zu, nicht unbedingt jedoch für die cic und die pVV. Der damit gewählte Ausgangspunkt des Schrittes von der Gesamtanalogie zur Induktion scheint nachvollziehbar, geht aber dennoch am notwendigen Bewertungs- und Abstraktionsbogen vorbei. Denn er richtet sich an Formalien aus. Würde man dies nicht klar herausstellen, könnte man auch aus der ggf. nur dem stilistischen Dafürhalten des Gesetzgebers geschuldeten Einstellung einiger Normen in das BGB und in Sondergesetzen (wie es etwa vor der Schuldrechtsreform im Verbraucherschutz der Fall war) auf ein allgemeines Rechtsprinzip des Verbraucherschutzes schließen. Man müsste seine Existenz jedoch konsequenterweise mit Überführung der verbraucherschützenden Gesetze in das BGB in Frage stellen, und zwar, ohne dass sich etwas an der verbraucherschützenden Rechtsmasse vom Volumen her geändert hat. Das kann nicht richtig sein.250 Es ist wohl vielmehr so, dass die „Streubreite“ bezogen auf unterschiedliche Gesetze ein Indiz für die Normenvielfalt an sich ist und damit für den kodifikatorischen Rückhalt eines Gedankens in der Rechtsordnung (der wiederum auf ein Prinzip deutet), mehr aber auch nicht. Denn die Streubreite, d.h. das Quantitätsargument kann sich auch aus dem vielfältigen Auftauchen des Gedankenganges in einer Kodifikation ergeben. Wenn man davon ausgeht, dass es von der Gesamtanalogie zur Induktion eines weiteren Abstraktionsschrittes bedarf, muss es m.E. darauf ankommen, dass es durch die Masse der bezogenen Rechtsvorschriften eine gewisse Variationsbreite im Tatbestand und der Rechtsfolge gibt, die für sich genommen bei weiterer Verallgemeinerung nur noch auf eine gewisse Bewertungstendenz beim übergeordneten Prinzip rückschließen lässt. Das soll ja gerade das Rechtsprinzip ausmachen. So können beispielsweise die tatbestandlichen Anknüpfungspunkte für die Vertrauenshaftung bezogen auf die vertrauensbildenden (zurechenbar gesetzten) Umstände genauso vielfältig sein wie die Rechtsfolgen, die daraus ableitbar sind (Behandlung als Vertragspartner beim Blankettmissbrauch, Ersatz des Vertrauensschadens, Ersatz des positiven Interesses etc.). 250 Gleiches gilt für die im Teil 1 gestellte Frage der richtigen Anknüpfung für den Sonderprivatrechtscharakter des Verbraucherschutzes, der nicht auf Grund formaler Umstände der Stellung in der Rechtsordnung, sondern nur auf Grund inhaltlicher Wertungsunterschiede zum allgemeinen Zivilrecht und der Masse entsprechender Anderswertungen beantwortet werden kann.
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3. Teil: Rechtstheorie
Induktiv, d.h. noch stärker „abgehoben“ von den in Form der Gesamtanalogie geschaffenen Instituten der cic und der pVV könnte man so etwa den verallgemeinernden Grundsatz bzw. das Prinzip ableiten, dass der Schuldner für jede Form der schuldhaften Forderungsverletzung (sei sie vertraglich, vorvertraglich bedingt) einzustehen habe.251 Allein diese weitere Abstrahierung auf Grund eines vorhandenen breiten Fundamentes an Rechtsnormen, die alle in eine ähnliche Richtung weisen, kann m.E. der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die induktive Prinzipienbildung sein, nicht die Frage, wo die einzelnen in Bezug genommenen Normen im kodifizierten Rechtssystem Eingang gefunden haben.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips in der deutschen Rechtsordnung Obgleich man – auch nach dem Aufzeigen dieser bekannten Beispiele von Verallgemeinerungen zivilrechtlicher Einzeltatbestände – nicht leugnen kann, dass das Offenlegen von Verdichtungstendenzen (und ihre Negierung) immer eine Interpretationssache ist und bleibt,252 haben sich – was für die Frage nach der Herausbildung eines Verbraucherschutzprinzips im deutschen Recht relevant ist – seit den ersten Stellungnahmen zu dem gesetzgeberischen Aufgreifen von Verbraucherschutzfragen die rechtstatsächlichen Bewertungsgrundlagen maßgeblich geändert. Die ersten Stellungnahmen zu dem Fragenkreis liefen bekanntlich vor mehr als zwanzig Jahren noch darauf hinaus, die Existenz eines verbraucherschützenden Rechtsprinzips zu verneinen, weil das Verbraucherprivatrecht als viel zu verstreut, nebensächlich und inhomogen angesehen wurde, als dass es der Ausgangspunkt eines Rechtsprinzips sein konnte.253 Gerade das gewandelte rechtstatsächliche Umfeld ist es aber nun, das heute fast zwangsläufig zu einem erneuten Aufgreifen der alten Fragestellung und ggf. ihrer Neubewertung aufruft.254
251 So in Zusammenfassung der Lehre von der cic und pVV schon Soergel/Siebert/ Schmidt (10. Aufl., 1967), Vor § 275 Rn. 1. 252 Vgl. dazu auch Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 53; so schon oben dargestellt, als grundsätzliches Problem der Rechtsfortbildung. 253 Siehe dazu meine Ausführungen zur Diskussion um den Sonderrechtscharakter des Verbraucherschutzrechtes im 1. Teil. 254 Vgl. dazu MüKo/Micklitz (4. Aufl.), § 13 Rn. 1.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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I. Die Wandelbarkeit von Prinzipien mit dem geltenden Recht Prinzipien sind eben, und das ist der theoretische Ansatz der Neubewertung, den es neben dem rechtstatsächlichen gibt, sofern sie nicht wie nach der naturrechtlichen Vorstellung als von ewigem Bestand angesehen werden, wandelbar. Sie können sich (wenngleich viele von ihnen auch jenseits naturrechtlicher Ansätze mit Recht als „langlebige Erscheinungen“ gelten können)255 jeder Zeit neu bilden, modifizieren und auch „vergehen“.256 Insofern lohnt jeder Schritt der faktischen Rechtsentwicklung, die Frage nach dem Bestand und dem Gewicht vorhandener Prinzipien erneut zu stellen. Wird erst einmal der Umstand anerkannt, dass Prinzipien, wie auch Rechtsnormen, kein rechtliches Kontinuum bilden, ist es möglich, dass sie mit dem Wandel des positiven Rechts, ggf. nach einer Initialnorm und/oder einer Initialentscheidung,257 die weitere gleichgerichtete Regelungen bzw. Fallentscheidungen nach sich ziehen, über eine „Inkubationszeit“ durch die Bewusstseinsschwelle in das juristische Denken stoßen;258 wobei sich – nach Aufdeckung ihrer Existenz – nur noch die Frage des Umgangs mit ihnen (auch und gerade im Verhältnis zu anderen vorhandenen Prinzipien) stellt. II. Die gewandelte Exzerptionsgrundlage In der Literatur wurde bereits verschiedentlich festgestellt, dass das Zivilrecht in den letzten Jahrzehnten eine besonders starke Entwicklung durchlaufen hat. 259 Dies ist für das Vordringen verbraucherschützenden Gedankenguts von einer wohl unbestreitbaren Evidenz. Das Verbraucherprivatrecht ist durch die autonome Tätigkeit des deutschen Gesetzgebers, aber auch durch die Richtlinienaktivitäten der EU und durch Judikate der Rechtsprechung beständig gewachsen.260 Es hat mittlerweile eine solche Fülle angenommen, dass sich der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsreform entschied, das neue Recht in die Zentralkodifikation einzustellen und damit dem Bedeutungszuwachs des Verbraucherrechts mit einem „neuen Gewand“ Rechnung zu tragen – zumal sich nur da255 Zutreffend stellen insofern Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 315, heraus, dass die Wandelungsfähigkeit häufig mehr die sekundären Wertentscheidungen, die Konkretisierungen, die Akzentuierungen und das Zusammenspiel der Prinzipien betrifft. 256 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 14; ähnlich zur Wandelungsfähigkeit von Prinzipien Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 315. 257 Zur notwendigen Einbeziehung bei der Rechtsprechung bzgl. der induktiven Auswertung des Rechtsbestandes bei der Forschung nach Rechtsprinzipien schon Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 4. 258 Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 53. 259 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 315. 260 Siehe dazu meine Ausführungen im 1. Teil der Arbeit.
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3. Teil: Rechtstheorie
durch auf breiter Front absehbare materielle und formelle Abstimmungsdefizite mit dem sonstigen (allgemeinen) Zivilrecht vermeiden ließen.261 1. Die große Rechtsmasse und ihre thematische Spreizung Die breitflächige thematische „Spreizung“262 des Verbraucherrechts und die große Masse an Rechtsnormen und Entscheidungen, die ihm mittlerweile zuzuordnen sind, machen deutlich, dass aus der einstigen Randerscheinung ein neuer, gewichtiger Regelungskomplex hervorgegangen ist, der gerade in Bezug auf sein Anwachsen auch durch übergeordnete, verklammernde Begriffsbildung und Instrumentarien (vgl. etwa den nun einheitlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriff263 und das Widerrufsrecht264) systematisch konsolidiert und damit auch regelungstechnisch „zusammengeführt“ wurde.265 Die Zunahme des Verbraucherrechts und seine innere Verdichtung durch Systembildung ist ein Fakt, der kaum bestreitbar ist. Diese Umstände (Normenmasse, thematische Spreizung, Normenqualität durch Konsolidierung der Rechtsmasse)266 bilden, wie es im oberen theoretischen Teil vorweggenommen beschrieben wurde, den notwendigen Ausgangspunkt für die juristische Prinzipienbildung, egal, auf welchen Themenkomplex sie sich bezieht. Für die Prinzipienbildung im Verbraucherrecht ist nun zu gegenwärtigen, dass sich verbraucherrechtliche Schutzbestimmungen heute in allen Feldern des Zivilrechts und seiner Randbereiche finden. Verbraucherschutz wird neben dem hier nicht thematisierten (öffentlichen) Kartellrecht, das freilich auch ins Zivilrecht hineinwirkt, schon im Bereich des Lauterkeitsrechts267 sichergestellt, das durch die Vorgaben für den „lauteren“ Rechtsverkehr Rahmenbedingungen für die Entfaltung zivilrechtlicher Verträge schafft, den Verbraucher in den zu schützenden Personenkreis neuerdings miteinbezieht und sogar Verbandsklagebefugnisse statuiert.268 Im vertraglichen Vorfeld konstituiert sich Verbraucherschutzrecht weiter über die Reglementierung der unbestellten Warensendungen nach § 241a BGB269 und über die Sanktionierung des Gewinnmitteilungsversenders gemäß § 661a BGB.270 Zum allgemeinen vertraglichen Recht, das auch, aber nicht nur dem 261
Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel, A II 1. Der gesamte 2. Teil des Werkes dient gerade dazu, die thematische Spreizung aufzuzeigen. 263 Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, 1 Kapitel ,A. 264 Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel, B II. 265 Hönn, ZfA 2003, 325, 354 f. 266 Zur Normenqualität und -quantität vgl. schon meine Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel, A I, II. 267 Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, 2. Kapitel, A I. 268 2. Teil, 2. Kapitel, A I 5, 6. 269 2. Teil, 2. Kapitel, A II. 270 2. Teil, 2. Kapitel, A III. 262
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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Verbraucherschutz dient, zählt das Recht der AGB, das den Verbraucher nach §§ 305 ff. BGB in besonderer Weise vor einseitig belastenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen schützt.271 Zum allgemeinen Verbrauchervertriebsrecht, das den vertragsspezifischen Regelungen vorgeschaltet ist, sind die vielfältigen Bestimmungen zu Haustürgeschäften (§ 312 BGB), Fernabsatzverträgen (§ 312b–d BGB) und die Vorschriften zum elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312e BGB) zu rechnen, die die Art und Weise der Vertragsanbahnung gerade auch zugunsten des Verbrauchers mit umfangreichen Vorgaben „überziehen“. Selbst im vertraglichen Bereich lassen sich heute kaum mehr „verbraucherrechtliche Blindflecken“ ausmachen. Der deutsche Gesetzgeber hat zum Teil autonom, in der Masse jedoch durch die Transformation europäischer Vorgaben, das einstige Zivilrecht in wenigen Jahrzehnten umgestaltet. Er hat besondere Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers im Kaufrecht als Annex zu den allgemeinen Bestimmungen in §§ 474 ff. BGB im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufes kodifiziert.272 Im Gelddarlehensrecht ist er mit gleicher Regelungstechnik vorgegangen und hat an die allgemeinen Regelungen zum Darlehen in §§ 491 ff. BGB Sonderbestimmungen zum Verbraucherdarlehensvertrag geschaffen.273 Ihre Fortsetzung finden diese Bestimmungen regelungstechnisch wie thematisch im weiteren Annex zu den Finanzierungshilfen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher in §§ 506 ff. BGB.274 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Darlehensvermittlung (§§ 655a ff. BGB),275 das Timesharing (§§ 481 ff. BGB),276 den Pauschalreisevertrag (§§ 651a ff. BGB),277 den Fernunterrichtsvertrag (§§ 1 ff. FernUSG)278 und den Wertpapieranlagevertrag mit einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§§ 31 ff. WpHG)279 als „Füllbecken verbraucherrechtlichen Gedankenguts“ ausgestattet. All diese Regelungsbereiche hat sich der Gesetzgeber herausgegriffen, um im engeren oder weiter verstandenen Sinn Verbraucherprivatrecht zu etablieren, d.h. um Sonderregelungen gerade für den Fall zu schaffen, dass ein Unternehmer mit einem Verbraucher einen Vertrag schließt, selbst wenn diese Begriffe wie beim Wertpapieranlagegeschäft, beim Pauschalreise- und Fernunterrichtsvertrag nicht immer formale Anknüpfungspunkte für den personellen Anwendungsbereich darstellen. Die direkt oder indirekt durch diese gesetzlichen Vorgaben in Bezug genommene Verbraucher-Unternehmer-Stellung als personaler Anknüpfungspunkt für die Entfaltung von Sonderprivatrecht impliziert natür271 272 273 274 275 276 277 278 279
2. Teil, 2. Kapitel, B II. 2. Teil, 2. Kapitel, C I. 2. Teil, 2. Kapitel, C III. Ebenda. 2. Teil, 2. Kapitel, C V 3. 2. Teil, 2. Kapitel, C II. 2. Teil, 2. Kapitel, C IV. 2. Teil, 2. Kapitel, C V 1. 2. Teil, 2. Kapitel, C V 2.
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3. Teil: Rechtstheorie
lich die Zugrundelegung rollensoziologischen Gedankenguts.280 Ihm ist die Annahme der strukturellen Schwäche des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer (aus wirtschaftlichen, psychologischen und informationellen Gründen) immanent.281 Dieser Bewertungsbefund, der alle verbraucherrechtlichen Regelungen „anschiebend“282 legitimiert, erfordert eine gesetzgeberische Intervention, die auf eine Ausbalancierung des Machtungleichgewichtes zwischen den Parteien gerichtet ist. Denn bestehende, strukturell angelegte faktische Disparitäten erfordern als allgemeine Tatbestände von großer Streubreite keinen Ausgleich i.S.e. Einzelfallgerechtigkeit durch die Rechtsprechung.283 Für sie besteht ein generelles Regelungsbedürfnis, dem auch unter demokratischen Gesichtspunkten, dem Postulat der Gewaltenteilung und Rechtssicherheit nur der Gesetzgeber entsprechen kann.284 Diese für das vorvertragliche und das vertragliche Verbraucherrecht bestehenden Legitimationserwägungen gelten auch für das deliktische und das zivilprozessuale Verbraucherrecht, das den Verbraucher durch Rechtsprechungsund Regelungsvorgaben zur Produzenten- und Produkthaftung nach § 823 BGB285 und §§ 1 ff. ProdHaftG286 sowie durch so verschiedene prozessuale Instrumente287 wie die außergerichtliche Streitschlichtung, die Beratungs- und Prozesskostenhilfe, besondere Zuständigkeitsregelungen, Kollektivverfahren zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen, Forderungen nach einer kompensatorischen Prozessleitung, besondere Beweislastgrundsätze und vollstreckungsrechtliche Schutzgewährleistungen protegiert. 2. Die neue Verklammerung durch einheitliche Begriffe und Instrumente Der Gesetzgeber ist innerhalb der aufgegriffenen (vorvertraglichen, vertraglichen, deliktischen, zivilprozessualen) Materien freilich mit unterschiedlichen Mitteln intervenierend eingeschritten. Er hat dabei auf klassische Instrumente wie Informationspflichten, aber auch auf die Einführung von materiell-rechtlichen Standards und nicht zuletzt auf Widerrufsrechte gesetzt. In manchen Be280
1. Teil , 5. Kapitel, A. Ebenda. 282 „Anschiebend“ nur deshalb, weil der Gesetzgeber konkret sagen muss, wo die strukturelle Schwäche, die nie ganz auszugleichen ist, so groß wird und gesellschaftspolitisch nicht mehr hinnehmbar erscheint, dass er eingreifen muss. Dabei steht ihm nicht nur bzgl. der Festlegung der Interventionsschwelle, sondern auch bzgl. der einzusetzenden Mittel eine Einschätzungsprärogative zu, siehe dazu meine Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel, E III. 283 1. Teil, 5. Kapitel, B II. 284 Ebenda. 285 2. Teil, 2. Kapitel, D V 1. 286 2. Teil, 2. Kapitel, D V 2. 287 Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, 3. Kapitel. 281
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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reichen – wie dem Fernunterricht – ist sogar eine behördliche Kontrolle des Anbieters durch das Zertifizierungserfordernis vorgesehen. Die zugunsten des Verbraucherschutzes aktivierten Instrumente sind vielfältig und zeigen, dass die konkrete Interventionsschwelle288 in jedem bezogenen Bereich eigenständig bewertet werden muss, woran sich dann die zum Einsatz gebrachten Mittel, die jenseits der mit dem Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis aufgegriffenen (allgemeinen, rollensoziologischen) Asymmetrie, deren Effekten es entgegenzuwirken gilt, im weiteren an situativen bzw. vertragsspezifisch ausgerichteten Umständen festmachen lassen. III. Die neue Grenzziehung zwischen Verbraucherrecht und sonstigem Zivilrecht Dabei beanspruchen die zum Einsatz gebrachten Mittel für sich, in dem jeweiligen „Operationsbereich“ den Grundsatz der Privatautonomie – so wie er ursprünglich verstanden wurde – nur so weit zurückzudrängen, als dies erforderlich ist, um in der personalen Sonderbeziehung Verbraucher/Unternehmer das Ideal der privatautonomen Gestaltung der Beziehungen nicht von vornherein einer Gefährdung bzw. Usurpation durch das bestehende strukturelle Ungleichgewicht auszusetzen.289 Die genaue Grenzziehung, d.h. die Festlegung der Interventionsschwelle, auch in Anbetracht des nach Art. 2 I GG gewährten Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit, die im Zivilrecht weiterhin nach Freiräumen für eine unreglementierte Gestaltung von Verträgen verlangt, ist Aufgabe des Gesetzgebers und obliegt seiner über das Demokratieprinzip abgesicherten Einschätzungsprärogative. Diese stößt freilich dann an eine Schranke, wenn es überhaupt keinen unreglementierten Freiheitsbereich im Privatrecht mehr gibt, was aber gegenwärtig weder der Fall ist, noch mit der hier vertretenen Auffassung von der Möglichkeit der Herausbildung eines Verbraucherschutzprinzips aus dem geltenden Recht gefordert wird. 1. Der Streit um die Generalisierung(snotwendigkeit) Diese Sichtweise, dass dem Gesetzgeber die Einschätzungshoheit über das gerechte Maß von unreglementierter Vertragsfreiheit und Rahmengebung/Intervention bei strukturellen Ungleichgewichten zufällt, bringt es mit sich, die Grenzen zwischen klassischem „freiem“ Zivilrecht und gesetzgeberisch gestaltetem Bürgerlichen Recht als veränderlich zu betrachten. Die Trennlinie zwischen beiden Bereichen hat sich mittlerweile – dafür stehen die zugunsten des 288
1. Teil, 6. Kapitel, E III. Zu den zunehmenden Spannungen unter den Bereichen vgl. Basedow, AcP 200 (2000), 445, 453. 289
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Verbrauchers „durchregulierten“ Materien in dieser Abhandlung (vgl. dazu den 2. Teil) – bereits weit verschoben. Die Rechtswissenschaft ist sich – das zeigt der oftmals eher ablehnende Umgang mit dem Verbraucherrecht – allerdings noch nicht schlüssig, wie mit diesem Fakt umzugehen ist; ob eine weitere Grenzverschiebung in Richtung auf das Aufgreifen weiterer Verbraucher-Unternehmer-Disparitäten eher zu befürworten oder eher abzulehnen ist. Die Vertreter des rollensoziologischen Verbraucherschutzmodelles290 sind – das ist nicht anders zu erwarten – „klassische“ Befürworter einer weitreichenden gesetzgeberischen Regulierung von Unternehmer-Verbraucher-Asymmetrien, auch in Bereichen, in denen sie heute noch nicht durch Gesetzgebung und Rechtsprechung thematisiert werden. Die Anhänger des situativen bzw. vertragsspezifischen Regelungsansatzes trachten dagegen danach, diesen „Generalisierungsdrang“, der dem rollensoziologischen Verständnis unterlegt ist, eher einzugrenzen, indem Asymmetrien auch in anderen Vertrags(partner)beziehungen, etwa zwischen Groß- und Kleinunternehmern oder zwischen Verbrauchern verschiedenen Bildungsgrades und mit unterschiedlichem ökonomischen Potential geltend gemacht werden.291 Diese Ansätze laufen darauf hinaus, dass das Machtgefälle im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis nicht mehr als etwas „Besonderes“, den Regelungsauftrag an den Gesetzgeber und die Rechtsprechung schon im Ausgangspunkt „Rechtfertigendes“ angesehen werden kann.292 2. Alpha- und Beta-Asymmetrien Bezeichnend für diesen, die „Besonderheit“ der Unternehmer-Verbraucher-Beziehung nivellierenden Ansatz ist, dass der Behauptung, ökonomische, psychologische, intellektuelle Asymmetrien gäbe es überall, an sich nichts entgegengesetzt werden kann. Dieser Fakt ist unbestreitbar. Er führt auch, wie bereits im 1. Teil dargelegt, dazu, dass Machtungleichgewichte nie ganz ausgeglichen werden können.293 Daraus jedoch die Schlussfolgerung abzuleiten, dann brauchen Gesetzgebung und Rechtsprechung auch nicht die rollensoziologisch angelegte Asymmetrie im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis in speziellen Bezug zu nehmen,294 ist nicht gerechtfertigt. Denn der Gesetzgeber ist nicht aufgerufen, 290
Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel, B III 2 sowie 6. Kapitel, A III 2. Siehe dazu beispielhaft Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 41. 292 Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar , Bd. I (2002), Art. 2 I GG Rn. 115 f. 293 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 71 Fn. 259; Lieb, AcP 183 (1983), 327, 363; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1985), S. 25; vgl. zum Ganzen auch meine Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel, E III. 294 Siehe dazu Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468, der dartut, dass die Anerkennung des Vertrages als Rechtsquelle nur dadurch möglich gewesen ist, dass man entschlossen von na291
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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alle auftretenden Ungleichgewichte zu regulieren oder es sonst insgesamt „bleiben zu lassen“.295 Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sämtliche Asymmetrien wird er schon deshalb niemals thematisieren können, weil ein derartiges Vorgehen die Funktionsfähigkeit des Rechts – die er stets im Auge behalten muss – stark beeinträchtigen würde.296 Differenzierungen machen eine Materie nämlich immer unübersichtlich und deshalb auch schwierig(er) in der Handhabung.297 Je mehr Unterschiede eingebaut, je mehr Sonderrechte zu- oder aberkannt werden, desto komplexer, träger und undurchsichtiger wird das Gebilde, 298 was letztlich das der Rechtsidee immanente Postulat der Orientierungssicherheit untergraben kann. Deshalb können bzw. sollten der Gesetzgeber und die Rechtsprechung Differenzierungen auch nur dort anbringen, wo sie zwingend sind, weil die rollensoziologischen Unterschiede mit ihren negativen Folgewirkungen besonders „typisch“ und herausgehoben „stark“299 in Erscheinung treten. Diese Phänomene möchte ich hier als Alpha-Asymmetrien bezeichnen. Für das Verbraucher-Verbraucher- und Unternehmer-Unternehmer-Verhältnis ist diese einzufordernde Typik bzw. Stärke noch zu verneinen. Hier handelt es sich eher um zweitrangige, weil nicht so deutlich ausgeprägte Ungleichgewichtslagen (m.a.W.: „Beta-Asymmetrien“).300
turgegebener unterschiedlicher Verhandlungsstärke wie Intelligenz, Erfahrung, Charakterbild, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Marktüberlegenheit absah. 295 So auch deutlich Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 2 I GG Rn. 55b, der im Zusammenhang mit der Gewährung der Privatautonomie klarstellt, „allerdings könne die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt sei“. 296 Zur Notwendigkeit der Reduktion der Komplexität und der Besinnung auf das Wesentliche zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des Rechtssystems, Schulte, in: Kluth (Hrsg.), Facetten der Gerechtigkeit (2010), S. 10, 20. 297 So schon Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 324, in Bezug auf die Erwägung einer „flächendeckenden Durchnormierung“. 298 Zum Befund der bereits bestehenden (neuen) Unübersichtlichkeit im Zivilrecht (die sich mit weiteren Differenzierungen ausweiten würde), vgl. Kramer, ZSR 124 (2005), I 425; Graham-Siegenthaler, SJZ 2006, 449, 456 f.; Habermas, Die neue Unübersichtlichkeit (1985). 299 Zur Pflicht einer Inhaltskontrolle von Verträgen, „die einen der beiden Vertragspartner besonders stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind“, vgl. BVerfGE 89, 214. 300 Der Gesetzgeber hat freilich etwa mit der Schaffung des HGB gezeigt, dass er für Kaufleute „Deprivilegierungen“ in Bezug zu sonstigen Vertragsschließenden etwa im Leistungsstörungsrecht für opportun hält und somit auch hier ein Sonderrecht geschaffen hat. Dieses ist jedoch keines, dass soll hier betont werden, das Ungleichgewichte zwischen zwei mit ungleicher faktischer Stärke ausgerüsteten Vertragspartnern ausgleichet. Das Regelungsmotiv ist also anders.
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3. Teil: Rechtstheorie
3. Prinzipienbildung und Verschiebung der Grenze zwischen den Zivilrechtsbereichen Wenngleich das deutsche Verbraucherschutzrecht gegenwärtig durch ein umfangreiches Regelungskompendium in Erscheinung tritt, das zudem durch gemeinsame Begriffe (Verbraucher/Unternehmer)301 und allgemein verwandte Instrumente302 (wie Transparenzgebote, Informationspflichten, Umgehungsverbote, fehlende Dispositivität und Rechtswahlmöglichkeit sowie Widerrufsrechte) miteinander inhaltlich und systematisch verknüpft ist, und es auch durch sein Aufrücken in die Zentralkodifikation einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren hat, sind die Schlussfolgerungen, die vor diesem tatsächlichen Hintergrund gezogen werden, sehr unterschiedlich. Zur Frage, ob dem Verbraucherschutzrecht heute ein Rechtsprinzipcharakter beigemessen werden kann, nimmt – das ist der erste (verblüffende) Fakt – kaum jemand Stellung. Wenn aber doch, so findet man Erstaunliches bis Befremdliches.303 So wurde erst jüngst in der Literatur zwar vereinzelt der Gedanke aufgeworfen, dass dem deutschen Recht ein verbraucherschützendes Prinzip eigen sein könnte, das über eine Gesamtanalogie (!) herausbildbar sei. Jedoch wird das dadurch beförderte Resultat ergebnisorientiert verworfen mit dem m.E. kuriosen Argument, dass ein derartiger Befund „das Kräfteverhältnis zwischen allgemeinem bürgerlichen Recht und verbraucherschützenden Vorschriften stark verschieben würde“, was abzulehnen sei.304 Die Stellungnahme macht – formuliert man es zurückhaltend – deutlich, dass der Wissenschaft häufig noch die Kraft zum Ausspruch des Gedankens fehlt, dass schon der neue Rechtsbestand im Verbraucherrecht natürlich das Verhältnis vom überkommenen zum neuen Zivilrecht quantitativ verschiebt und dies nicht ohne Rückkopplung für die (zukünftige) Ausrichtung des Bürgerlichen Rechts i.S.e. qualitativ neuen Entwicklung bleiben kann.305 Das ist ja auch gar nicht an-
301
1. Teil, 5. Kapitel A; 2. Teil, 1. Kapitel, A. 2. Teil, 1. Kapitel, B I, II, III. 303 Zur Kritik an einer Ausweitung des Verbraucherrechts, welches die unkonkrete Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers zum Bezugspunkt nimmt und das Regel-AusnahmeVerhältnis zum allgemeinen Zivilrecht nicht „einhalte“ siehe auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 141 f.; ähnlich Adomeit, NJW 1994, 2467 ff.; Lieb, DNotZ 1989, 274, 277, 296; Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 111. 304 Vgl. zu diesen Überlegungen (allerdings mit ablehnender Stellungnahme) v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2006), S. 233 ff.: „Befürwortet man eine analoge Anwendung der entsprechenden Verbraucherschutznormen, so wird das Kräfteverhältnis zwischen allgemein bürgerlich-rechtlichen Vorschriften und verbraucherschützenden Regelungen verschoben.“ In die gleiche Richtung zielt die Habilitation von Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge (2009). 305 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 79. 302
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ders möglich und denkbar, wenn man Recht als etwas notwendig Veränderliches begreift und nicht als ein feststehendes Kontinuum. IV. „Aus der sich zusammenballenden Masse entwickelt sich eine neue Kraft“ Wenn man dem dargestellten (befremdlichen) Befund begegnen will, muss es zunächst darum gehen, zu beschreiben, wie groß der Bestand an normativ gleichgerichteten Normen und sonstigen Einzelerscheinungen bereits ist.306 Denn je größer sich die Masse an Normen gestaltet, die einem verallgemeinerbaren Gedanken in der Rechtsordnung Rückhalt bieten, je mehr „Kinder“ einem übergeordneten Typus entspringen, desto plausibler ist es, aus der Gleichrichtung von Einzelerscheinungen etwas Verallgemeinerbares, d.h. ein Prinzip zu folgern307 (und desto größer ist potentiell die Bedeutung des Prinzips im Reigen der anderen fundamentalen Rechtsgrundsätze). Deshalb kann es bei der Frage nach dem Bestand eines Verbraucherschutzprinzips im deutschen Zivilrecht eigentlich nur darum gehen, die Breite des Regelungsfeldes, auch in Anbetracht seiner thematischen Spreizung (Quantitätsargument), daneben aber auch und gerade seine inhaltliche/systematische Verknüpfung (Qualitätsargument) zu bewerten.308 1. Emergenz als bestimmendes Konzept Wegen der bereits beschriebenen Folgewirkungen, die „freigelegten“ Rechtsprinzipien immanent sind (Tendenz zur inneren und äußeren Systembildung, Beachtungsanspruch des Rechtsprinzips bzgl. der Schaffung neuen Rechts durch Gesetzgebung und Rechtsprechung), könnte man in Bezug auf die das Prinzip stützenden Einzelnormen das Bild von der sich zusammenballenden Masse verwenden, die aus der Verdichtung der Einzelteile zu „Synergien“ führt. Man könnte bzgl. der Einzelregelungen von einem Cluster i.S.e. komplexes Systems reden,309 das zunächst organisch angewachsen ist, aus seinem Wachsen heraus aber mehr und mehr Eigenleben i.S.e. Dranges nach weiterer Ausbreitung, Beachtung und Konsolidierung entwickelt und sich dabei seinen Platz neben anderen Clustern/Systemen/Prinzipien im Recht sucht. Interessant daran erscheint mir der in diesem Zusammenhang über den Bereich der Rechtswissenschaft hinausreichende Gedanke, dass letztlich allen komplexen Systemen ein gewisser Drang zur Selbstorganisation310 und Wachstum/ 306
Ähnlich auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 99. Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 248. 308 Zum Quantitäts- und Qualitätsargument vgl. bereits meine Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel, A I, II. 309 Die Zunahme der Komplexität ist ein charakteristisches Merkmal der Evolution, auch der Rechtsevolution, die an die gesellschaftliche Evolution gekoppelt ist. 310 Dieser ist für die Evolution von entscheidender Bedeutung, vgl. dazu Krohn/Küppers 307
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3. Teil: Rechtstheorie
Weiterentwicklung eigen ist und dass – was auch für die Prinzipienbildung im Recht von Bedeutung ist – solche komplexen Systeme regelmäßig „Eigenschaften“ 311 produzieren, die nicht allein aus der Summe der Eigenschaften ihrer Einzelelemente erklärbar sind.312 Es ist hier das Prinzip der Emergenz,313 das als disziplinübergreifendes Konzept zum Tragen kommt. Dieses wird oft als Argument gegen einen reduktionistischen naturwissenschaftlichen Atomismus verwendet.314 Es gilt aber im Prinzip für alle Disziplinen,315 m.E. auch für das Recht, was gerade im Rahmen der Prinzipienbildung auf Grund von Gesamtanalogie/Induktion deutlich hervorgehoben werden müsste und m.E. so überhaupt noch nicht herausgestellt worden ist.316 2. Universalität der Erscheinungsform Wollte man einen Vergleich mit ähnlichen Erscheinungen in der Biologie wagen, wo aus dem Verbund von Einzellern ein Mehrzeller entsteht, daraus wiederum ein Gewebe/ein Organ erwächst, welches selbst auf der höheren Organisationsebene Teil eines Gesamtorganismus ist,317 wird die Universalität des Prinzips deutlich. Dies gilt insbesondere, wenn man das Phänomen der Bewusst(Hrsg.), Emergenz: Die Entstehung von Ordnung, Organisation und Bedeutung (1992); Holland, Emergence – From Chaos to Order (1998). 311 Gemeint ist hier insbesondere die Orientierungs- und Bindungswirkung. 312 Vgl. zu diesem Phänomen Anderson, in: Brockman (Hrsg.), Die wichtigsten Erfindungen der letzten 2000 Jahre (2000), S. 178; Laughlin, Abschied von der Weltformel. Die neue Erfindung der Physik (2007); Mayr, Das ist Biologie – Die Wissenschaft des Lebens (2000), S. 403; Krohn/Küppers (Hrsg.), Emergenz: Die Entstehung von Ordnung, Organisation und Bedeutung (1992); Holland: Emergence – From Chaos to Order (1998); Fromm: The Emergence of Complexity (2004); Popper/Eccles: The self and its brain (1989). 313 Ein früher Vorläufer der Theorie von emergenten Eigenschaften eines Systems findet sich bereits in der Metaphysik des Aristoteles: „Dass was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, ist nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloss die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute: ba ist nicht dasselbe wie b plus a und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde.“, so Aristoteles, Metaphysik, Buch 8.6. 1045a: 8–10. 314 Emergenztheoretiker bestreiten, dass eine vollständige Beschreibung der Welt allein auf Grund der Kenntnis der Elementarteilchen und allgemeiner physikalischer Gesetze prinzipiell möglich ist. Die Anerkennung emergenter Phänomene muss allerdings nicht auf einen Verzicht auf naturwissenschaftliche Erkennisse/Erklärungen hinauslaufen. Vielmehr zeigen die Entwicklungen in der Systemtheorie und der Chaostheorie, dass Emergenz, verwandte Phänomene wie Selbstorganisation und ihre Entstehungsbedingungen durchaus in einem gewissen Bereich systematischen und objektiv nachvollziehbaren Erklärungen zugänglich sind. Allerdings tritt an die Stelle der hierarchischen Ableitung aus universalen Gesetzen ein transdisziplinärer Dialog, dessen Ziel es ist, analoge Strukturen komplexer Systeme auf unterschiedlichen Emergenzebenen zu vergleichen. 315 Fromm, The Emergence of Complexity (2004). 316 Ausführungen dazu waren für den rechtlichen Bereich nicht auffindbar. Offenbar wird diese Erscheinung so noch nicht in der Rechtstheorie diskutiert. 317 Mayr, Das ist Biologie – Die Wissenschaft des Lebens (2000).
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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seinsbildung im Gehirn318 betrachtet, das auch Mediziner und Philosophen noch nicht vollständig erklären können. In der Soziologie lässt sich dieses Prinzip (der Emergenz) ebenfalls verfolgen, wenn und soweit es um das Funktionieren von Gesellschaften geht, in die sich Individuen in unterschiedlichen Konstellationen von Zusammenschlüssen einbringen.319 Selbst in der Betriebswissenschaft wird die Erscheinung der Emergenz beschrieben, und zwar im Zusammenhang mit nicht-intendierten Effekten durch z.B. Handlungen des Managements großer Unternehmen (als eine Form von komplexen Systemen). Auch in der Physik 320 finden sich Beispiele für die Emergenz von Merkmalen, da die Eigenschaften der gesamten makrokosmischen Welt emergente Eigenschaften sind. In der Rechtswissenschaft finden sich ebenfalls Ansätze emergenter Denkstrukturen, etwa bei dem Gebilde der „Juristischen Person“, die überindividuell und als eigenständiger sozialer und rechtlicher Organismus321 existiert.322 V. Problem: Fehlende Verifizierbarkeit der notwendigen „kritischen Masse“ Auf Grund der Universalität des Phänomens der Emergenz lautet die eigentliche Frage, die auch bei der Prinzipienbildung durch eine Normenreihe Platz greift, ab welcher Masse der Erscheinungsformen der kritische Punkt, der zu einer qualitativ neu zu bewertenden Gesamtheit führt (die aus sich heraus besondere, emergente Eigenschaften hervorbringt) als erreicht angesehen werden kann. Dieser Punkt lässt sich deshalb als wirklich „kritisch“ bezeichnen, weil er sich nicht allgemein festlegen lässt. Bereits für die Naturwissenschaft gilt die Erkenntnis, dass die Entstehung emergenter Eigenschaften nicht algorithmisch simuliert werden kann. Für die Geisteswissenschaft, die noch viel stärker von normativen Bewertungen getragen ist, ist das umso mehr hervorzuheben. Auch die Frage danach, wie vieler sich zu einem Verbund zusammenfügender Einzelerscheinungen es zur Annahme eines Rechtsprinzips eigentlich bedarf, kann mithin nur wertend beantwortet werden. Es besteht hierfür in der Rechtswissenschaft noch kein wissenschaftlich diskutierter, geschweige denn „abgesicherter“ Erkenntnisbefund bzw. Maßstab. Es muss deshalb an dieser Stelle eine Einschätzung vorgenommen wer318 Stephan, Emergenz in kognitionsfähigen Systemen, in: Pauen/Roth (Hrsg.), Neurowissenschaften und Philosophie, UTB für Wissenschaft, Bd. 2208 (2001); Popper/Eccles, The self and its brain (1977). 319 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (1997); ders., Was ist Kommunikation?, in: Luhmann, Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch (1995), S. 113 ff. 320 Laughlin, Abschied von der Weltformel. Die Neue Erfindung der Physik (2007). 321 Grundlegend T. Raiser, AcP 199 (1999), 104 ff. 322 Die juristische Person ist neben dem Vertrag und den Verfügungsmitteln ein Kopplungsinstrument, das wirtschaftliches Handeln in einer bestimmten Form erst ermöglicht und in das Rechtssystem überführt, vgl. dazu Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 64.
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3. Teil: Rechtstheorie
den, ob die Summe von sich in der Bewertungstendenz inhaltlich und systematisch „zusammenballenden“ Einzelregelungen als ausreichend erachtet wird, um daraus etwas Verallgemeinerbares zu schlussfolgern.323 VI. Vergleich mit ähnlichen Erscheinungsformen/Inhalt des Prinzips Es existieren anhand der vorbezeichneten Rechtsinstitute (Vertrauenshaftung, cic, pVV, s.o.) aber immerhin einige Vergleichsmaßstäbe im Zivilrecht. In diesem Sinn sollen an dieser Stelle die bereits in der Vergangenheit induktiv herausgebildeten allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Vertrauenshaftung, der Haftung von schuldhafter Forderungsverletzung im vertraglichen und vorvertraglichen Bereich (pVV/cic) nochmals ins Bewusstsein gerufen werden. Sie lassen zumindest einen einigermaßen plausiblen Rückschluss auf die Existenz eines anderen (in ähnlicher Weise herausbildbaren) verallgemeinerbaren Grundsatzes zu. In diesem Zusammenhang wäre hier hervorzuheben, dass die Anzahl und Verklammerung der Normen und Einzelerscheinungen, die zur Begründung der Vertrauenshaftung oder des Grundsatzes der Haftung aus cic bzw. der pVV herangezogen wurden, gegenüber den Normen, die für die Herausbildung des Verbraucherschutzprinzips in Ansatz gebracht werden, bei der Vertrauenshaftung vielleicht noch gleich groß, i.Ü. aber weitaus geringer ist. Der quantitative und qualitative Vergleich mit ähnlichen Erscheinungsformen führt damit unweigerlich zu einer Bejahung der Existenz des Verbraucherschutzprinzips im deutschen Recht. Inhalt des Prinzips ist der den Normen des Verbraucherrechts entnehmbare allgemeine Gedanke, dass der Verbraucher, der dem Unternehmer im Wirtschaftskreislauf als Abnehmer von Waren und Dienstleistungen gegenübertritt, aufgrund rollensoziolodisch bedingter Asymmetrien einer Stärkung seiner Rechtsstellung bedarf, wobei hier je nach Grund und Ausmaß der Asymmetrie unterschiedliche Instrumente zum Einsatz gebracht werden müssen. VII. Fehlender Verstoß gegen höherrangiges, geschriebenes Recht Die Bildung des Rechtsprinzips des Verbraucherschutzes auf Grund einfachgesetzlicher Normen, die mittels der Induktion vorstehend befürwortet wurde, verbietet sich allerdings dann, wenn höherrangige Normen, etwa des deutschen Verfassungsrechts bzw. europäischen Primärrechts, diesem auf einfachgesetzlicher Grundlage herausgebildeten Grundsatz entgegenstehen würden. Denn die auf einfach-gesetzlicher Grundlage hervorgebrachten Prinzipien nehmen zwingend
323 Zu diesem Wertungsproblem vgl. auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983), S. 99.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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eine Mittlerrolle324 zwischen den Einzelnormen und der normenhierarchisch höher stehenden Regelung ein. Will ein Prinzip dieser Mittlerrolle gerecht werden, muss es mithin auch mit der höherrangigeren Regelung im Einklang stehen. Eine endgültige Entscheidung über den Bestand eines verbraucherschützenden Rechtsprinzips kann damit erst getroffen werden, wenn sich auf Grund eines Abgleichs mit den höherrangigen Normenvorgaben des Grundgesetzes und des europäischen Primärrechtes eine Möglichkeit bietet, dieses Prinzip als „verfassungsrechtlich unbedenklich“ zu charakterisieren. 1. Unbedenklichkeit in Bezug auf Verfassungsrecht (Art. 2 I, 20 I GG) Es ist daher zu untersuchen, ob vielleicht schon grundgesetzliche Vorgaben der Bildung eines verbraucherschützenden Rechtsprinzips widersprechen. a. Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) als Anknüpfungspunkt Primärer Ausgangspunkt für die Bewertung dieser Frage muss das durch die Verfassung geschützte Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG sein, das umfassend alle menschlichen Verhaltensweisen als Generalfreiheit325 vor Eingriffen des Staates schützt, die nicht über seine Schranken (Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz) legitimiert sind. Wenn Art. 2 I keine inhaltlichen Differenzierungen bzgl. geschützter Verhaltensweisen zulässt, so umgreift die Regelung selbstverständlich – was für das Verbraucherrecht von Relevanz ist – auch wirtschaftliche Betätigungen im Rahmen rechtsgeschäftlichen Handelns. Das Bundesverfassungsgericht geht insofern in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Art. 2 I GG die „Freiheit im wirtschaftlichen Verkehr“,326 d.h. die „Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet“,327 schützt, und zwar, indem ihr ein „angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmerinitiative“328 bereitgestellt wird. Art. 2 I GG leistet damit einen bestimmenden Beitrag zur Konstituierung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Denn durch die gewährte Handlungsfreiheit wird zugleich die Privatautonomie der Rechtssubjekte und damit auch die Verhandlungsfreiheit in Bezug genommen.329 324
Diese Funktion wird Rechtsprinzipien, die auf einfachgesetzlicher Grundlage gebildet werden, generell zugestanden. 325 Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2000), Art. 2 I Rn. 12. 326 BVerGE 25, 371, 407. 327 BVerGE 50, 290, 366. 328 BVerGE 65, 196, 210. 329 BVerfGE 8, 328 ff.; 9, 11 ff.; 10, 99 ff.; 12, 347 ff.; 78, 320 ff.; 84, 372 ff.; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG (2. Aufl., 2004), Art. 2 I Rn. 38; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu u.a. (Hrsg.), GG (11. Aufl., 2008), Art. 2 I Rn. 33 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 213 f. Rn. 129 f.; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 2 I GG Rn. 108 ff.; Kunig, in: v. Münch/ Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2000), Art. 2 I Rn. 16; Rollecke, in: Umbach/Clemens, Grundge-
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3. Teil: Rechtstheorie
Die Wirkweise des Art. 2 I GG ist allerdings unterschiedlich, je nachdem ob der Gewährleistungsbereich als Abwehrrecht gegen den Staat fungiert oder als Ordnungsvorgabe im Privatrecht: Art. 2 I GG wehrt zunächst, das ist selbstverständlich, an den Adressaten gerichtete gesetzliche oder auf Einzelakt beruhende Maßnahmen des Hoheitsträgers ab.330 Das Grundrecht wirkt hier in vertikaler Richtung zwischen Bürger und Staat. Grundrechte wie Art. 2 I GG entfalten aber nach g.h.M. auch horizonate (Dritt-)Wirkung,331 da sie eine objektive Wertordnung festlegen, die für alle gilt.332 Dem Staat obliegt diesbezüglich eine Schutzpflicht, die Grundrechten auch im Privatrechtsverkehr, wo es um gegenläufige Belange geht, die durch staatliche Vorgaben zum Ausgleich gebracht werden müssen, einer weitestmöglichen Beachtung zuzuführen.333 Die grundrechtliche Position wird damit zum Anlass genommen, im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht der verfassungsrechtlich gewährleisteten Privatautonomie auf einfachgesetzlicher Grundlage ein gegenständliches Substrat334 zuzuordnen und damit auch ihre Grenzen festzulegen.335 Bedeutsam für diese Wahrnehmung des staatlichen Schutzauftrages zur „Übertragung“ der grundgesetzlichen Wertungen in das Privatrechtsverhältnis ist, dass eine einfache Transformation der abstrakten Schutzbereichsgarantie gar nicht stattfinden kann, sondern dass es bei der Anwendung im Privatrecht, wo es um die Ausgestaltung vieler Einzelfragen geht, immer auch eines auf den Einzelfall abgestimmten Wertungsaktes des Gesetzgebers bedarf. Denn die Privatbzw. Verhandlungsfreiheit, die durch das Grundgesetz gewährleistet wird, entsetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 20 GG Rn. 191; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 2 I GG Rn. 55a; vgl. dazu auch BVerfGE 103, 89, 100 zum Unterhaltsverzicht; BVerfG NJW 2005, 2363, 2365; 2376, 2377 f. zur Lebensversicherung; BVerfG NJW 2006, 596, 598 zum Künstlervertrag. 330 Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2000), Art. 2 I Rn. 17. 331 Die Konstruktion der bloßen Drittwirkung ergibt sich aus Art. 1 III GG, aus der sich nur für den Hoheitsträger die unmittelbare Pflicht ableitet, Grundrechte der Bürger zu beachten. 332 BVerfGE 7, 198, 205; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 198 Rn. 103. 333 „Verträge werden einer inhaltlichen Erforderlichkeits- und Angemessenheitskontrolle am Maßstab der Grundrechte unterworfen danach, ob eine vertraglich übernommene Verpflichtung einem legitimen Interesse des anderen Teils diene und die Freiheit des Verpflichteten nicht unangemessen beeinträchtige. Bei Unvereinbarkeit mit den Grundrechten (hier dem materiell verstandenen Grundsatz der Privatautonomie) eröffnen sich differenzierende Lösungen, die von der völligen Unmöglichkeit rechtlicher Regelungen und von gesetzlichen Verboten i.S.d. § 134 über die freie Widerruflichkeit des Vertrages […] reichen.“, so wörtlich Isensee, in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 214 Rn. 129. 334 Zum grundsätzlichen Problem des nur begrenzten Anteils des Untersatzes aus einem Obersatz durch Subsumtion vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl., 1995), S. 93 ff. 335 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225, 232 ff.; ders., JuS 1989, 161, 163; Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 214 Rn. 129.
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scheidet bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeiten nicht unmittelbar. Die Regulation, die durch Art. 2 I GG vorgenommen wird, ist damit aus dem abstrakten Wortlaut des Grundrechts selbst heraus begrenzt. Für ein Mehr an konkreter Einwirkung ist die Normvorgabe (Entfaltung der allgemeinen Persönlichkeit, begrenzt nur durch die Schrankentrias) viel zu unkonkret.336 Das Grundrecht des Art. 2 I GG, das Freiheitsbereiche für die private Betätigung fordert, entfaltet sich vor dem Hintergrund seiner eigenen Unbestimmtheit und Offenheit im Tatbestand deshalb vordringlich durch „das Medium der das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften“.337 Insofern kommt es – das ist hier zu betonen – auch zwangsweise zu einer Rückkopplung mit dem einfachen Recht, das die bloße Rahmenvorgabe des Grundgesetzes konkretisiert.338 Diese Rückkopplung zeigt sich gerade auch darin, dass es anerkannt ist, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des grundrechtlichen Schutzbereiches ein weiter Ermessensspielraum zusteht.339 Anhand des Vorgesagten zeigt sich sehr deutlich, dass das Verfassungsrecht nicht nur von „oben nach unten“ regulierend auf das einfache Recht einwirkt. Es gibt vielmehr in vielfacher Form einen bestimmten Rahmen vor, der mit den Wandlungen des einfachen Rechts in die Gegenrichtung, quasi „von unten nach oben“ neu ausgefüllt werden kann, solange die grundsätzliche Rahmenvorgabe nicht klar durchbrochen wird.340 Eine Grenzziehung für die freie Regulation bzw. Ausformung des verfassungsrechtlichen Rahmens durch das einfache Gesetz ergibt sich nur aus dem Umstand, dass jedem Grundrecht ein unantastbarer Kerngehalt eigen ist, der durch das jederzeit gestaltbare einfache Recht nicht angetastet werden darf. Aus Art. 2 I GG folgt für den unantastbaren Kernbereich des Grundrechts auf Handlungsfreiheit etwa, dass die Regulation des Privatrechts (auch und gerade im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis) nicht so weit gehen darf, dass es keine von staatlicher Kon336
Zum allgemeinen Problem des fehlenden „juristischen Profils“ bei Grundrechten vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 108, S. 189 Rn. 87. 337 BVerfGE 42, 143, 148; v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2000) Vorb. Art. 1–19 Rn. 31; so auch Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 225 Rn. 151. 338 Zutreffend und klarstellend Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 189 Rn. 87: „Verfassungsrecht und einfaches Recht stehen in einer Wechselbeziehung. Die grundrechtliche Schutzpflicht ist auf die Vermittlung des einfachen Rechts angewiesen. Dies wird wiederum legitimiert durch die Schutzpflicht. In der Rechtspraxis fungiert die Schutzpflicht denn auch vielfach als Legitimationstitel für bestehende Gesetze.“ 339 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 191 Rn. 90: „Die Verfassung belässt dem Gesetzgeber einen Gestaltungsraum darin, wie er seine Aufgabe (beim Schutz von Grundrechten) erfüllt. Seine Vorkehrungen müssen aber geeignet, wirksam und ausreichend sein.“; Isensee, ebenda, § 111, S. 225 Rn. 152: „Nicht jede Vorkehrung, die der Schutzpflicht Genüge tut, ist auch grundrechtlich geboten.“ 340 Der Wertungskreislauf ist hier ähnlich ausgestaltet wie der zwischen einfachen Normen und Prinzipien.
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3. Teil: Rechtstheorie
trolle und staatlichem Eingriff freien Bereiche mehr gibt.341 Bis zu dieser Grenze des „notwendigen Restbereiches an deregulierter Entscheidungsfreiheit“ steht jedoch Art. 2 I GG einer staatlichen Regulation des Privatrechts – auch und gerade im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis – nicht entgegen.342 Ist das klargestellt, scheitert die Herausbildung verbraucherschützender Regelungen nicht am Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit/resp. dem Grundsatz der Privatautonomie des Art. 2 I GG. Dann ist zugleich ein durch Induktion auf Grund der Vielzahl einfachgesetzlicher Normenvorgaben herausgebildetes Verbraucherschutzprinzip nicht als gegen Art. 2 I GG verstoßend einzustufen. Denn diese Vorgaben sind als konkretisierende Ausflüsse des Art. 2 I GG zu betrachten. Ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Vorgaben durch ein herausgebildetes Verbraucherschutzprinzip ist jedenfalls solange und soweit ausgeschlossen, als damit nicht zugleich der Anspruch erhoben wird, im VerbraucherUnternehmer-Verhältnis keine regulierungsfreien Räume mehr offen zu lassen (was hier nicht der Fall ist).343 b. Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG) als Anknüpfungspunkt Als Anknüpfungspunkt für eine verfassungsrechtliche Bewertung bietet sich neben Art. 2 I GG freilich auch das in Art. 20 I GG verankerte Sozialstaatsprinzip an.344 Ob die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) allein oder daneben auch Art. 20 I GG verbraucherschützende Maßnahmen legitimieren oder sie gar verlangen,345 wurde bislang von der Wissenschaft unterschiedlich bewertet. M.E. ist insofern zu differenzieren: Art. 20 I GG beschreibt zweifelsohne die Pflicht des Staates zur Herstellung sozialstaatlicher Verhältnisse.346 Aufgabe des Staates ist es danach u.a., auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik und der Existenzsicherung tätig zu werden. Daneben soll der Staat nach Ansicht einiger auf Grund 341
Auch die nähere Untersuchung der zitierten Entscheidung des BVerfG, in der davon gesprochen wurde, dass die Zivilgerichte zur Inhaltskontrolle von Verträgen verpflichtet sind, „die einen der Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind“ (BVerGE 89, 214, 231), zeigt, dass auch dieses Gericht keine Angemessenheitskontrolle in jedem Fall will; dieser (eingeschränkten) Angemessensheitskontrolle zur Wahrung eines Restbereiches an freier Privatautonomie zustimmend, Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 310. 342 Auf das Über- und Untermaßverbot i.d.S. hinweisend Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 45, ähnlich auch Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 256. 343 Bereits oben wurde dargelegt, dass das von mir herausgebildete Verbraucherschutzprinzip nur den Anspruch erhebt, eines neben vielen privatrechtlichen Rechtsprinzipien zu sein. 344 Grundlegend Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999). 345 Die Fragestellung aufgreifend, aber dahinstehen lassend Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 2 I Rn. 119; Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 43. 346 BVerfGE 5, 198 ff.; 40, 133; 52, 348; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu u.a. (Hrsg.), GG (11. Art. 2008), Art. 20 Rn. 29.
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des Sozialstaatsprinzips aber auch dazu veranlasst sein, in der jeweils geltenden, grundgesetzkonformen und geförderten Wirtschaftsordnung für einen gerechten Interessenausgleich unter Privaten zu sorgen. Es müssten insofern – so wird vorgetragen – insbesondere die strukturellen Schwächen von Teilen der Verbraucherschaft als Teil der Bevölkerung und zugleich des Marktes ausgeglichen werden.347 Ob Art. 20 I GG wirklich derart instrumentalisiert werden kann (bzw. sollte), erscheint mir aber zweifelhaft. Diese Regelung als Auftrag zum Einschreiten gegen Ungleichgewichtslagen im Privatrecht heranzuziehen, ist schon deshalb verfehlt, weil das Sozialstaatsprinzip nicht nur durch eine „große Flexibilität“ 348 gekennzeichnet ist. Entscheidend ist, dass das Sozialstaatsprinzip als Staatsstrukturbestimmung349 nur vertikal (zwischen Staat und Bürger) wirkt und auch hier noch der Ausgestaltung bedarf, die keine Ableitung subjektiver Rechte350 oder sonst unmittelbar eintretender Rechtsfolgen351 zulässt. Schon dieser strukturelle Unterschied (Verpflichteter aus Art. 20 I GG ist nur der Staat) führt dazu, dass das Sozialstaatsprinzip nicht zur Absicherung einer Grundrechtsgewährleistung oder -begrenzung (etwa in Bezug auf die Ausübung des Grundrechts der Privatautonomie) in Dienst genommen werden darf.352 Vor diesem Hintergrund erscheint es unangebracht, das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG allein oder auch nur vordergründig zur Herleitung einer Verpflichtung des Staates in Bezug auf den Erlass verbraucherschützender Maßnahmen heranzuziehen. Denn es geht beim Erlass von verbraucherschützenden Maßnahmen nicht um soziale Vergünstigungen seitens des „fürsorgenden“ (bevormundenden)353 Staates. Es geht im Verbraucherrecht vielmehr um einen gerechten Interessenausgleich unter Privaten, wobei nicht der Staat der „Gebende“, d.h. der primär Verpflichtete ist, sondern der jeweils in Anspruch genommene Private. Insofern 347 Vgl. dazu Reich, Markt und Recht (1977), S. 197 ff.; die Ansicht jedenfalls referierend K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 84 f.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), S. 47, 66; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht (1975), S. 15 ff.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 30 ff.; v. Hippel, JZ 1990, 730, 732; Breuer, in: Isensee (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV (Freiheitsrechte), § 148, S. 961 ff.; Karpen, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz (1990), S. 47; zur Frage des subjektiven Rechtes des Verbrauchers gegenüber dem Staat aus Art. 2 I GG auf Vornahme bestimmter Schutzmaßnahmen vgl. Spießler, Öffentlich-rechtlicher Verbraucherschutz – Staatsaufgabe oder Verbraucheranspruch? (1992), S. 146 ff. 348 Sachs, in Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 Rn. 47. 349 Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2001), Art. 20 Rn. 1. 350 BVerfGE 27, 253, 283; Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2001), Art. 20 I Rn. 38. 351 Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG (5. Aufl., 2001), Art. 20 I GG Rn. 38; Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 20 Rn. 50. 352 BVerfGE 59, 231, 263; 52, 283, 298; so auch Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu u.a. (Hrsg.), GG (11. Aufl., 2008), Art. 20 Rn. 30. 353 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 3.
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kann bereits auf die auf Aristoteles354 zurückgehende Unterscheidung zwischen austeilender und ausgleichender Gerechtigkeit zurückgegriffen werden. Die austeilende Gerechtigkeit (iustitia destributiva) soll die Verfügung über die einer Sozietät gemeinsamen Güter beherrschen; die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) befördert hingegen die Äquivalenz bei Austauschgeschäften. 355 Art. 20 I GG steht für erstere, die austeilende Gerechtigkeit, Art. 2 I GG hingegen für die ausgleichende Gerechtigkeit. Gerechtigkeit in Form der iustitia commutativa entfaltet sich damit in einem Zwei-Personen- bzw. in einem Zwei-Gruppen-Verhältnis, zum anderen wirkt sie in Form der iustitia distributiva bei der Ordnung sozialer Verbände, wofür der Staat „Pate“ steht.356 Um es deutlich zu sagen: Der Staat interveniert bei der Bildung von verbraucherschützenden Normen nicht aus sozialstaatlichen Erwägungen (und gibt dem Verbraucher „fürsorgend“ etwas, worauf er keinen „Anspruch“ hat). Vielmehr ordnet er dem Konsumenten durch die Schaffung von Verbraucherrecht Positionen zu, weil es angesichts des sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichts der Partien im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis an einer Voraussetzung für die reguläre Grundrechtsausübung fehlt, derer bzw. deren negativer Folgewirkung es entgegenzuwirken gilt, um privatautonome Handlungsfreiheit und damit Vertragsäquivalenz zu gewährleisten.357 c. Weitere Argumente zur Abgrenzung der Gewährleistungsbereiche von Art. 2 I, 20 I GG Bzgl. der Frage, ob die Exzerption eines Verbraucherschutzprinzips aus dem Besitzstand des geltenden Privatrechts durch Verfassungsrecht „mitgetragen“ wird oder ob es sich hieran „stößt“, ist mithin weniger auf Art. 20 I GG, als vielmehr auf Art. 2 I GG zu rekurrieren, der mit dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit – wie dargelegt – die Wahrung der Privatautonomie, insbesondere die Freiheit, Verträge zu schließen oder nicht zu schließen,358 postuliert. Es geht dann darum, das Postulat materieller Privatautonomie als in den Gehalt des Grundrechts aus Art. 2 I GG immanent eingebundenen Wertmaßstab zu betrachten. Dann entspringt auch die Forderung nach Protektion des Verbrauchers i.S.d. Regulierung faktischer, strukturell angelegter Disparitäten keinem äußeren Eingriff in das Freiheitsrecht, sondern dem inneren Gewährleistungsbereich des Grundrechts selbst, hier also Art. 2 I GG, dem die Privatautono354
Aristoteles, Nikomachische Ethik 5, 7; 1131 b 10. Siehe zu dieser Unterscheidung auch F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsgeschäft (2. Aufl., 1991), S. 339 ff., 357 ff.; ebenso Eichenhofer, in: Kluth (Hrsg.), Facetten der Gerechtigkeit (2010), S. 24, 26. 356 Eichenhofer, in: Kluth (Hrsg.), Facetten der Gerechtigkeit (2010), 24, 26. 357 So zutreffend Isensee, in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 215 Rn. 131. 358 BVerfGE 8, 274, 328; 65, 196, 210; 70, 115, 123; 74, 129, 151 f. 355
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mie zugeordnet ist.359 Der Gesetzgeber „nachvollzieht“ dann lediglich den neuen Ansatz, den das Prinzip der Privatautonomie verfolgt, nur noch begleitend durch gesetzliche Maßnahmen mit. aa. Innere und äußere Beschränkungen des grundrechtlichen Gewährleistungsbereiches Für diese Sichtweise spricht auch, dass die von Art. 2 I GG in Bezug genommene Schranke der „Rechte anderer“ zur Regulierung des Gewährleistungsbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit in Bezug auf die Privatautonomie/Vertragsfreiheit ungeeignet erscheint. Das wird insbesondere daran deutlich, dass es beim Abstellen auf die Schranke der „Rechte anderer“ zur notwendigen Ausbalancierung von kollidierenden Interessen/Grundrechtspositionen kommt. Diesbezüglich würden „die Rechte anderer“ den entgegengesetzen Grundrechten der Vertragspartner entsprechen, die sich beide auf die Privatautonomie/Vertragsfreiheit nach Art. 2 I GG berufen könnten. Diese Form der Gegenüberstellung impliziert aber – was maßgeblich ist – eine Ausbalancierung von zwei zunächst unbeschränkten Grundrechtsbereichen. Es käme im Rahmen einer gegeneinander abzuwägenden Grundrechtskollision zu einer Inbezugnahme und Abwägung zweier Freiheiten (Art. 2 I GG auf Unternehmerseite gegen Art. 2 I GG auf Verbraucherseite), die auf die bloße formale – weil aus sich selbst heraus zunächst unbeschränkte – Vertragsautonomie der jeweiligen Seite hinausliefen. Diese Form der Abwägung (über die Inbezugnahme der Rechte anderer) kann aber, schon weil der Maßstab auf beiden Seiten notwendigerweise die formale Vertragsfreiheit ist, in keiner Weise erklären, warum es nach einem überwiegenden Teil der Rechtsprechung und Literatur360 ausgerechnet auch auf materiale, d.h. strukturell bedingte, faktische Disparitäten bei der von Art. 2 I GG gewährleisteten Privatautonomie mitankommen soll. Eine solche Gegenüberstellung von Grundrechtspositionen zur Herstellung materieller Vertragsautonomie wäre nur dann erklärlich, wenn beide Seiten neben der formalen Handlungsfreiheit noch zuzüglich ggf. auch nur einseitig auftretende faktische Ungleichgewichte reklamieren und zum Ausgleich bringen könnten. Bei dieser Art der Qualifizierung der Handlungsfreiheit bräuchte es aber keines durch unterschiedliche Grundrechtspositionen verbürgten Ausgleiches von Interessen. Wird die Privatautonomie qualitativ so verstanden, könnten beide Positionen in einem in sich selbst ausgewogen ausgestalteten Gewährleistungsbereich der Handlungsfreiheit „verschmelzen“. Insofern geht es darum, nicht bereits schon entstandene formal kollidierende Rechtspositionen zum Aus359 Koch, Verbraucherprozeßrecht (1990), S. 10 Fn. 22; Simitis, Verbraucherschutz – Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 81 f. 360 Vgl. dazu unten.
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gleich zu bringen, sondern Rechtspositionen unter Einbeziehung faktischer Disparitäten überhaupt erst einmal zuzuweisen, d.h. zu definieren. 361 An dem Beispiel der Frage, ob ein auf Grund einfachgesetzlicher Normenvorgaben exzerpiertes Verbraucherschutzprinzip als verfassungsrechtlich mitgetragen angesehen werden kann und wenn ja, welche Verfassungsnorm hierfür am meisten „hergibt“, zeigt sich freilich auch deutlich ein Grundproblem im Umgang mit verfassungsrechtlichen Determinanten. Denn die Frage, ob der Schutz des Verbrauchers bereits als integraler Bestandteil des Schutzbereiches des Art. 2 I GG anzusehen ist (so die hier vertretene Ansicht) oder doch eher als Eingriff 362 in einen sich noch nicht selbst im Rahmen der Schutzbereichsdefinition regulierenden Bereich, macht deutlich, dass verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere Grundrechte, immer mehreren „Einschränkungen“ unterworfen sind.363 Zum einen wird ihr Gewährleistungsbereich schon durch den festzulegenden (personellen und sachlichen) Schutzbereich, quasi intern, abgesteckt.364 Zum anderen lässt der Gesetzgeber nach dieser ersten Eingrenzung unter erhöhten Anforderungen zum Ausgleich mit kollidierenden Freiheitsrechten oftmals „weitere Eingriffe“ im Rahmen der vorgegebenen Schranken zu. bb. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Deutlich stehen sich insofern die so genannte „Innen- und Außenbetrachtung“ bzw. „enge/weite Tatbestandstheorie“365 gegenüber. Bei der Auslegung des Art. 2 I GG in Bezug auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit kann der 361 So zutreffend Isensee, in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111 Rn. 131. 362 Siehe dazu etwa Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 2 I Rn. 53, der ausgehend von der hier sog. Außentheorie den Standpunkt vertritt, die Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit findet nicht auf der Ebene des Tatbestandes, sondern erst auf der Ebene der Schranke der „Rechte anderer“ statt. Zum Problem des weiten Verständnisses des Eingriffs, das heute der Dogmatik des „Abwehrrechts“ obwaltet, siehe auch Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), S. 194 Rn. 98. 363 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 192 f. Rn. 94. 364 Zum engen und weiten Schutzbereichsverständnis insbesondere bei Art. 2 I GG vgl. Murswiek, in Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 2 I Rn. 43 ff. 365 Vgl. dazu Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 234 Rn. 171: „Es ist problematisch, ob die grundrechtlichen Schutzbereiche auch den Übergriff in das Grundrecht des anderen decken, ob der Übergriff also von seiner tatbestandlichen Basis her als Betätigung grundrechtlicher Freiheit zu werten ist oder nicht. In erstem Fall genießt auch die Rechtsverletzung Schutz […], der Ausgleich mit den grundrechtlichen Schutzpflichten zugunsten des Opfers vollzieht sich auf der Ebene der Schranken. Im zweiten Fall scheidet die Anwendbarkeit des Abwehrrechtes von vornherein aus. Die dogmatische Qualifikation hat rechtspraktische Folgen. Die Tatbestandsgrenze ist vorgegeben. Die Schranke wird nachträglich an das Grundrecht herangetragen.“ Isensee, ebenda, Rn.172: „Die weite Tatbestandsgarantie betrachtet die Grundrechtstatbestände nicht als ihre materiellrechtlichen Vorgaben, sondern als Spielbälle des methodischen Dis-
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von Art. 2 I GG mitverbürgte Grundsatz der Privatautonomie aber nur durch die „Tatbestandstheorie“ erklärt werden. Sie allein garantiert die widerspruchslose Einheit der Rechtsordnung. Denn nur sie ist in der Lage, dem mittlerweile breit etablierten gewandelten Verständnis von der Privatautonomie i.S.d. aufgezeigten Materialisierungstendenzen des Zivilrechts366 Rechnung zu tragen. In diesem Sinne ist m.E. auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu interpretieren. In zwei Entscheidungen367 hat nämlich der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts sein Verständnis von der Privatautonomie und deren grundrechtlichen Schutz bereits dargelegt. Dabei hält der Erste Senat in den Judikaten daran fest, dass „die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen einen Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit“ darstellt.368 Die rechtsgeschäftliche Selbstbindung ist zugleich Ausübung der individuellen Freiheit.369 Während das Bundesverfassungsgericht im zeitlich früheren „Handelsvertreter-Fall“ allerdings noch betonte, dass die nicht abdingbaren Vorschriften des Zivilrechts der Privatautonomie Schranken setzen,370 spricht es in seiner späteren Bürgschaftsentscheidung (differenzierter) davon, „dass die Privatautonomie notwendigerweise begrenzt sei“ und der „rechtlichen Ausgestaltung bedürfe“.371 Das Gericht hebt in diesem Zusammenhang weiter hervor, „dies bedeute jedoch nicht, dass die Privatautonomie zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers stünde und ihre grundrechtliche Gewährleistung infolgedessen leer liefe. Vielmehr ist der Gesetzgeber bei der gebotenen Ausgestaltung an die objektiv-rechtlichen Vorgaben gebunden.“372 cc. Stellungnahme der Literatur Von der Literatur wird diese – hier für richtig befundene – Sichtweise zumindest teilweise unterstützt. Es wird insofern geltend gemacht, dass jede gesetzliche oder richterliche Tätigkeit, die regulierend auf ein Privatrechtsverhältnis kurses. In dieser Hinsicht verliert der Grundrechtstatbestand jedoch seinen normativen Charakter. Er definiert nicht mehr objektiv das praktische Potential der Freiheit.“ Isensee, ebenda, Rn. 174: „Mit der Weite des Tatbestandes nehmen auch die Grundrechtskollisionen zu.“ Isensee, ebenda, Rn. 176: „Die enge Tatbestandstheorie vermeidet dagegen die Schwierigkeit der Abwägung. Sie grenzt bestimmte Formen des Rechtsübergriffes von vornherein aus dem Schutzbereich aus.“ 366 Zu den Materialisierungstendenzen des Privatrechts vgl. meine Ausführungen im 1. Teil, 6. Kapitel, E. 367 BVerfGE 81, 242, 253 – Handelsvertreter; BVerfGE 89, 214, 231 ff. – Inhaltskontrolle von Bürgschaften. 368 BVerfGE 89, 214, 231. 369 BVerfGE 81, 242, 255. 370 BVerfGE 81, 242, 254. 371 BVerfGE 89, 214, 231. 372 BVerfGE 89, 214, 231; so auch später BVerfGE 103, 89, 100 – Unterhaltsverzicht; BVerfG NJW 2005, 2363, 2365; 2376, 2377 f. – Lebensversicherung; BVerfG NJW 2006, 596, 598 – Künstlervertrag.
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3. Teil: Rechtstheorie
einwirkt, zwar einen beschneidenden Akt darstellen kann, dass die Annahme eines „Eingriffes“ in den Schutzbereich der Handlungsfreiheit aber voraussetze, dass die Bedingungen der Selbstbestimmungen des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind.373 Ist das nicht der Fall, ist Privatautonomie, in die man „eingreifen könnte“, noch gar nicht existent.374 Gerade die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der zumindest deutliche Anklänge i.S.e. „inneren Sichtweise“ von der Privatautonomie in dem oben dargestellten Sinn zu entnehmen ist, ist von anderen Teilen der Literatur aber auch stark kritisiert worden, dies etwa mit dem Argument, es drohe in Vergessenheit zu geraten, dass die Privatautonomie auf dem Gedanken der freien, staatlicherseits unreglementierten Selbstverantwortung aufbaue. 375 Den hier wiedergegebenen Judikaten ist eine solche „Vergesslichkeit“ jedoch kaum zu entnehmen. Denn das Gericht betonte – wie aufgezeigt – sehr deutlich, dass die Privatautonomie nicht zur beliebigen Regulation durch den Gesetzgeber offen stehe, weil der Kerngehalt der Handlungsfreiheit (i.S.v. privatem, unreglementiertem Handeln) insoweit Schutz genieße, als es nur darum geht, besonders schwere, typisierte Ungleichgewichte auszugleichen. d. Folgerungen Resümierend lässt sich feststellen, dass dann, wenn man sich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hält und den Schutzbereich des Art. 2 I GG derart festlegt, dass die durch das Grundrecht gewährte Vertragsfreiheit nicht nur, aber, sofern Anlass dazu besteht, eben auch nach dem Ausgleich faktischer, struktureller Defizite trachtet, der Auftrag zur Protektion des Verbrauchers in die über Art. 2 I GG gewährleistete Privatautonomie/Vertragsfreiheit eingebunden und damit auch als verfassungsrechtlicher Wert determiniert ist. Insofern hat man Art. 2 I GG so auszulegen, dass dann, wenn alle Beteiligten (= Vertragspartner) den Schutz der Privatautonomie genießen, nicht nur das Recht des Stärkeren zur Durchsetzung gelangen darf. Die kollidierenden Interessen in Bezug auf die Wahrnehmung von Vertragsfreiheit sind in diesem Fall (schon bei der Festlegung des Schutzbereiches von Art. 2 I GG) in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so aufeinander „abzustim373 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar (4. Aufl., 2007), Art. 2 GG Rn. 55a, der insofern seine pauschale Stellungnahme in Rn. 53 (a.a.O.) zugleich relativiert. Eine ähnliche Stellungnahme findet man auch bei Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu u.a. (Hrsg.), GG (11. Aufl., 2008), Art. 2 I Rn. 34. 374 In diese Richtung wohl auch tendierend Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 198 Rn. 103, wenn dort ausgeführt wird: „Privatautonomie ist (auch) unter den Bedingungen der (formalen) Rechtsgleichheit nur möglich, wenn alle Rechtsgenossen sich gegenseitig als Personen anerkennen, die Selbstbestimmung der anderen respektieren, die Selbstbestimmung der anderen achten, deren Rechtsgüter achten […]“. 375 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 36.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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men“, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden können (so genanntes Prinzip der praktischen Konkordanz).376 I.d.S. ist die notwendige Verfahrens- und Inhaltskontrolle von Verträgen/Disparitäten im Privatrechtsverhältnis nicht unmittelbar aus dem staatlichen (sozialen) Schutzauftrag herzuleiten, sondern vor dem Hintergrund eines neuen, d.h. materialisierten Vorverständnisses von der Privatautonomie zu legitimieren. Nicht der Staat gebietet dann den Ausgleich, sondern die Privatautonomie selbst; der Staat sorgt dann nur für die gesetzliche Rahmengebung derselben.377 e. Ergebnis In Bezug auf Art. 2 I GG als maßgeblichen Wertmaßstab bietet die Verfassung nach der hier befürworteten Einschätzung der Reichweite des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit mithin keine Grundlage, der Bildung des verbraucherschützenden Rechtsprinzips aus den im 2. Teil in Bezug genommenen einfachgesetzlichen Normen kritisch zu begegnen oder das Verbraucherschutzprinzip gar als verfassungswidrig zu betrachten. 2. Unbedenklichkeit in Bezug auf das Primärrecht (Art. 169, 114, 12, 4 II lit. f) AEUV) In Bezug auf den Vorranganspruch des europäischen Rechts bleibt nun nur noch zu hinterfragen, ob das hier aus den Regelungen des deutschen Bürgerlichen Rechts exzerpierte Verbraucherschutzprinzip eventuell gegen das den einfachgesetzlichen Normen des deutschen Zivilrechts ebenfalls vorgehende EU-Recht (als höherrangiges Recht) verstößt. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn wie bereits ausgeführt wurde,378 fanden auch im europäischen Primärrecht zahlreiche Regelungen zum Verbraucherschutz ihre Verankerung. Freilich statuiert Art. 169 AEUV derzeit noch keine eigenständige Kompetenzgrundlage, sodass verbraucherschützende Maßnahmen, wenn sie von der Gemeinschaft in die Wege geleitet werden, immer auch der Binnenmarktzielsetzung nach Art. 114 AEUV entsprechen müssen. Wenn und soweit der Binnenmarkt aber von der EU „harmonisiert“ wird, ist der Verbraucherschutz nach Art. 12 AEUV bei allen von der Gemeinschaft zu ergreifenden Maßnahmen mit zu berücksichtigen (sog. „Querschnittsklausel“). Das Maß der Berücksichtigung ist dabei nicht irgendeines; vielmehr ist der Verbraucherschutz durch gemeinschaftliche Maßnahmen von Mitgliedstaaten und Gemeinschaft – vgl. Art. 4 II lit. f) AEUV – auf einem hohen Niveau sicherzustellen.
376
Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG (4. Aufl., 2007), Art. 2 I Rn. 55b. Vgl. dazu auch Tamm, in: Tonner/Willingmann/Tamm (Hrsg.), Vertragsrecht. Kommentar (2010), § 242 Rn 16. 378 Siehe dazu die differenzierten Ausführungen im 1. Teil, 8. Kapitel. 377
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3. Teil: Rechtstheorie
Ein aus dem Privatrecht eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft hergeleitetes Verbraucherschutzprinzip, das zudem maßgeblich auf Regelungen basiert, die gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs sind, weil sie infolge der Transformation von Verbraucherschutzrichtlinien entstanden sind, kann damit nicht gegen das höherrangige Gemeinschaftsrecht verstoßen.379 Etwas anderes würde nur dann der Fall sein, wenn dieses Rechtsprinzip, das auch und gerade bei der zukünftigen Rechtssetzung Beachtung beansprucht, derart instrumentalisiert würde, dass es die bestehenden Marktfreiheiten (insbesondere die mit ihnen inzident gewährte Privatautonomie/Vertragsfreiheit) unverhältnismäßig zurückdrängen oder ganz aushöhlen würde.380 Der der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung der EU (siehe Art. 34 ff. AEUV) zugrunde liegende Ansatz der Privatautonomie ist trotz mangelnder expliziter Erwähnung Teil des von der Gemeinschaft über Art. 114 AEUV als Kompetenznorm und Art. 169 AEUV als Aufgabenbeschreibungsnorm zu befördernden Privatrechts.381 Das marktwirtschaftliche Grundbekenntnis des Gemeinschaftsprimärrechts begründet jedoch für sich kein generelles Verbot von regulierenden Maßnahmen.382 Dies belegen schon die zahlreichen interventionistischen Eingriffe der Gemeinschaft.383 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass solange die marktwirtschaftliche Grundausrichtung des Gemeinschaftsrechts durch das hier exzerpierten Verbraucherschutzprinzips nicht untergraben wird, das Verbraucherschutzprinzip auch als „gemeinschaftskonform“ betrachtet werden kann.384 379 Zur Ausformung eines „parallel geschalteten“ Verbraucherschutzprinzips auf europäischer Ebene, mit dem ein mitgliedstaatliches Verbraucherschutzprinzip korrespondieren würde, grundlegend Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004). 380 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-203/07 – Gysbrechts; siehe dazu meine Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel E V 1 e bb (3.) (a.). 381 Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2009), S. 53; ders., Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche (1993), S. 873, 887 ff., 889 f.; siehe zur grundlegenden Bedeutung der Privatautonomie als Ausgangsbasis aller europäischen Rechtsordnungen Müller-Graff, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft: Ebenen und gemeinschaftsprivatrechtliche Grundfragen, in: Baur/Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht, FS Börner (1992), S. 303 ff. 382 Häde, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EUV und zum EGV (2. Aufl., 2002), Art. 4 Rn. 9. 383 Häde, ebenda. 384 Das Verhältnis des (deutschen) Verbraucherschutzprinzips zum DCFR wurde hier nicht untersucht, weil es sich beim DCFR noch um „soft law“ handelt, aus dem sich noch keine Rückwirkung für das nationale Recht eröffnet. Gleichwohl soll hier darauf verwiesen werden, dass ein „materialisiertes“ Privatrecht eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft nicht im Widerspruch zum im DCFR abgebildeten Zivilrecht steht. Denn dieser geht nach Meinung einiger „deutlich über das hinaus, was etwa in den jüngeren Privatrechtsentwicklungen unter dem Prozess der Materialisierung verstanden wurde“, so ausdrücklich Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 537 f.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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VIII. Schlussfolgerungen für Politik, Gesetzgebung und Judikatur Legitimerweise schließt sich an die Herausbildung eines jeden Rechtsprinzips schlussendlich die Frage nach seinem verifizierbaren Erkenntnisgewinn an, den es für das Recht und diejenigen, die es schaffen und anwenden, hervorbringt. Damit geht es um die Bedeutung des Rechtsprinzips für die Politik, Gesetzgebung und Judikatur. 1. Ausgangspunkt: „Wertungstendenz“ und die Ausbalancierung mit anderen Prinzipien Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst noch einmal darauf hinzuweisen, dass aus einem Rechtsprinzip (wie dem des Verbraucherschutzes) keine konkrete, für sich evidente Handlungsanleitung folgt,385 da jedes Prinzip charakteristischerweise sowohl im Tatbestand als auch in der Rechtsfolgenanordnung relativ konturlos ist.386 Aus ihm kann lediglich eine gewisse Wertungstendenz abgeleitet werden,387 die jedoch (darin liegt nun wieder die Bedeutung des Rechtsprinzips) im Zusammenhang mit der notwendig kohärent zu gestaltenden Anwendung und Fortbildung des Rechts insofern eine Rolle spielt, als sie immerhin eine gewisse Orientierung bietet.388 Jenseits dieser Wertungstendenz hat man sich bei der Nutzbarmachung eines Rechtsprinzips weiter darüber zu vergewissern, dass es kein Prinzip gibt, das für sich allein den Anspruch erheben kann, die Rechtsordnung zusammenfassend abzubilden. Auf Grund der bestehenden Prinzipienmehrheit 389 ist die Anwendung und Fortbildung des Rechts in Aufgreifung der Bewertungstendenz eines bestimmten allgemeinen Rechtsgrundsatzes immer auch in Zusammenhang mit anderen Prinzipien zu setzen, die – so sie gegenläufig sind – auch nach Ausbalancierung verlangen. Erst nach Hervorhebung des „eingeschränkten Realisationsanspruches“ eines Rechtsprinzips lässt sich ohne Übertreibung und Abgleiten in diffuse Folgerungen seriös darüber nachdenken, was an zu ergreifenden Maßnahmen innerhalb des Handlungsrahmens des verbraucherrechtlichen Schutzprinzips liegen könnte.
385
Vgl. dazu die Ausführungen im 3. Teil B III 3. Pascua, in: Prinzipien des Rechts (1996), S. 7, 27; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 13. 387 F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 122; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (2. Aufl., 1983) Fn. 123; Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht (1996), S. 30 f. 388 Zur Funktion von Rechtsprinzipien bei der Anwendung und Fortbildung des Rechts siehe die Ausführungen im 3. Teil A II. 389 Siehe dazu die Ausführungen im 3. Teil B III 4. 386
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3. Teil: Rechtstheorie
2. Grenze: keine konturlose Relativierung der Vertragsbeziehung Die Vergewisserung über die Ausgangsbasis der weiteren Überlegungen ist schon deshalb wichtig, weil erst dadurch auch deutlich wird, dass das aus dem deutschen Zivilrecht „zu Tage geförderte“ Verbraucherschutzprinzip nicht dazu dienen soll, den ihm eigenen Gestaltungs- und Schutzauftrag pauschal an die Stelle anderer Grundsätze des deutschen Zivilrechts zu setzen, etwa dergestalt, dass er den liberalen Ausgangspunkt des Bürgerlichen Rechts, der auch heute noch seine Berechtigung besitzt, wenngleich er bereits spezifisch eingeschränkt wurde, ganz beseitigt. Wenngleich bereits verschiedentlich vertreten wurde, dass die Gültigkeit der Vertragsbeziehung über die durch §§ 134, 138 BGB zur Verfügung gestellte Korrekturmöglichkeit hinaus von der (individuellen) wirtschaftlichen Potenz des jeweiligen Verbraucher-Vertragspartners abhängig sein müsse390 oder gar gefordert wurde, jeden Verbraucher-Unternehmer-Vertrag widerruflich391 zu stellen,392 so sind doch derartig undifferenzierte Forderungen in Bezug auf das herausgearbeitete verbraucherrechtliche Schutzprinzip nicht zu rechtfertigen und sollen auch hier nicht erhoben werden. Dies gilt es insbesondere deshalb zu betonen, weil derartige Pauschalierungen schon dem Funktionszusammenhang von formaler Vertragsfreiheit und ma390 Vgl. dazu etwa Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1979), S. 311 ff. Reifner will durch eine großzügige Vertragsauslegung im Konsumentenkreditbereich erreichen, dass es als Vertragsabrede angesehen wird, den Verbraucher-Kreditnehmer allein aus seinem zukünftigen Arbeitseinkommen zur Rückzahlung heranzuziehen. Diese „Auslegung“ des Vertrages durch Reifner (ähnlich Reifner aber auch Schatzschneider, MDR 1986, 274, 276) ist jedoch für den Regelfall eine Unterstellung (so auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente [1994], S. 341) und führt zu einer nicht gerechtfertigten Relativität des Schuldverhältnisses. Die künftigen Einkommensverhältnisse können freilich dann Grundlage der Haftungsbeschränkung des Schuldners sein, wenn sie anlässlich des Vertragsschlusses erörtert und daraus konkrete Folgerungen für die Vertragsgestaltung im Verbraucherkreditrecht gezogen wurden (so zutreffend Medicus, AcP 188 [1988], 489, 504 ff.). Notwendig zur Verhinderung einer unangemessenen Verbraucherverschuldung wäre jedoch die Postulierung des Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe, dazu später im Text. 391 So aber offenbar Micklitz, ZEuP 1997, 253, 263, 265; ähnlich in der Tendenz Lurger, Vertragliche Solidarität (1998), S. 128 ff. zur „Transformation des klassischen Privatrechts“; differenzierter Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 255 f., der jedenfalls bzgl. situativ eingeräumter Widerrufsrechte, d.h. in Bezug auf den Schutz vor Überrumplung, das „Fallenlassen des Enumerationsprinzips“ beim Widerruf fordert, jedoch bzgl. komplexer Verbraucherrechtsgeschäfte (wie dem Darlehensvertrag) eher das Modell der zwingenden vorvertraglichen Bedenkzeit befürwortet. 392 Zutreffend ablehnend insofern Basedow, AcP 200 (2000), 445, 454, der im weiteren aber anfügt, denkbar, weil in die Vertragsbindung nicht zu stark eingreifend, wäre es, für Verbraucherverträge eine allgemeine (vorvertragliche) Informations- und Beratungspflicht zu statuieren, wie sie in einigen sekundärrechtlichen Akten der Gemeinschaft verankert ist, während solche Pflichten bei sonstigen Verträgen weiterhin nur unter besonderen Voraussetzungen bestünden (Basedow, a.a.O., S. 454).
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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terialer Vertragsgerechtigkeit,393 die auch in den Normen zum Ausdruck kommt, aus denen sich das verbraucherrechtliche Schutzprinzip konstituiert, nicht gerecht werden kann. Denn dieser Funktionszusammenhang drückt sich gerade darin aus, dass im Rahmen der grundsätzlichen Anerkennung der freien Gestaltung der Vertragsbeziehungen über Vorgaben zum Vertragsabschluss und einzelne Eingriffe in die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrages die Privatautonomie wegen der notwendigen Herstellung annähernder Vertragsgerechtigkeit nur ausnahmsweise eingeschränkt wird, wobei jeder Eingriff verhältnismäßig sein muss, was nach einer differenzierten Ausgestaltung des Eingriffsinstrumentariums verlangt. Darüber wird es erklärlich, dass die vorhandenen (im 2. Teil ausführlich dargestellten) verbraucherschützenden Bestimmungen zwar rollensoziologisch „grundierte“, aber zugleich über spezifische Situationen noch zusätzlich „konturierte“ Ungleichgewichte aufgreifen und sie diesen mit unterschiedlichen, an die jeweilige Situation „angepassten“ Instrumenten entgegentreten. Die Bandbreite reicht hier von Vorgaben zur Form, über vorvertragliche Informationen, das Gebot der transparenten Vertragsgestaltung bis zur Statuierung eines Mindeststandards an zu gewährenden Verbraucherrechten, der nicht abbedungen werden darf.394 Von verbraucherrechtlichen Bestimmungen wurden dabei in und außerhalb des BGB noch nirgendwo externe (wirtschaftliche) Faktoren als grundsätzlich maßgeblich für das Schicksal des Schuldverhältnisses angesehen.395 Das wirtschaftliche Ausfallrisiko des (Verbraucher-)Vertragspartners wird „breitflächig“ erst auf der Ebene der möglichen Verbraucherinsolvenz mit Restschuldbefreiung396 durch den Gesetzgeber in Ansatz gebracht, wo es in grundsätzlicher Anerkennung der Vertragsbindung auch anzusiedeln ist. Ausfluss dieses differenzierten Regelungssystems ist es überdies, dass verbraucherschutzrechtliche Bestimmungen nicht überall Widerrufsrechte einführen (oder gar nach ihnen verlangen), sondern eine nachträgliche Lösung vom Vertrag in steter Abwägung mit dem Grundsatz „pacta sunt servanda“397 nur dort zulassen, wo besondere situative Umstände (etwa wegen einer „Überrumpelungsgefahr“) oder vertragsspezifische Ausgestaltungen (häufig i.S.v. „hoch kom393
1. Teil, 6. Kapitel, E. Zur Bandbreite der verbraucherrechtlichen Rechtsinstrumente vgl. die Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel, B. 395 So auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 340. 396 Siehe dazu meine Ausführungen im 2. Teil, 3. Kapitel, C II. 397 Zum Grundsatz „pacta sunt servanda“, der daraus hervorgeht, dass die „Vollendung“ der Privatautonomie bzgl. der Eingehung des Vertrages durch die Bindung an den Vertrag flankiert werden müsse, vgl. Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 56; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 28 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 7; Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht (2005), S. 100. 394
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3. Teil: Rechtstheorie
plexen Materien“) sie ausnahmsweise über das allgemeine rollen-soziologische Defizit des Verbrauchers hinaus rechtfertigen. In zentralen Materien des Verbraucherschutzrechtes, wie etwa dem Verbrauchsgüterkaufrecht und dem Pauschalreiserecht, fehlen derartige Widerrufsrechte ganz, sodass dieses Instrument schon vor dem Hintergrund des tatsächlichen Rechtsbestandes bei der Fortentwicklung des Regelungsclusters zu keiner (pauschalen) Verallgemeinerung im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis Anlass gibt. Das vorhandene, differenzierte Regelungssystem macht m.E. sehr deutlich, dass der Grundsatz der Vertragsfreiheit bzw. Vertragsbindung und der Aspekt der Vertragsgerechtigkeit, der partielle Eingriffe in die Vertragsherbeiführung und Vertragsgestaltung zum Schutz des Verbrauchers befördert, durch den Gesetzgeber dergestalt gegeneinander abgewogen wurden, dass es zur Herstellung einer praktischen Konkordanz398 zwischen beiden Postulaten kam, was grundsätzlich zu befürworten und in der Regelungstendenz auch in Aufgreifung des verbraucherrechtlichen Schutzprinzips beizubehalten ist. 3. Ergebnis: Differenzierte Umsetzung Nimmt man das sich auf den gegenwärtigen Rechtsbestand stützende verbraucherrechtliche Schutzprinzip ernst, muss es auch künftig darum gehen, den Blick für eine differenzierte Sichtweise zu öffnen. Hierfür ist es in einem ersten Schritt wichtig, überhaupt deutlich zu machen, dass aus dem in das deutsche Zivilrecht über viele partikulare Regelungen hineingewachsene Verbraucherschutzprinzip mittlerweile der ganz allgemeine Auftrag an Politik, Gesetzgebung und Judikatur zu entnehmen ist, die Unternehmer-Verbraucher-Beziehung auf Grund rollensoziologischer Besonderheiten besonders auszugestalten.399 Wie sich die konkrete Ausgestaltung vollzieht, d.h. wo die Interventionsschwelle vor dem Hintergrund des Gedankens, dass es nie eine vollständige Parität geben wird, angesetzt wird, und mit welchen Mitteln versucht wird, der Asymmetrie entgegenzuwirken, obliegt freilich – wie auch bisher – nur der an der Gewährung der Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG zu messenden Einschätzungsprärogative der Politik/resp. des Gesetzgebers400 und, sofern es der Schließung unbeabsichtigter Regelungslücken bedarf, auch der der Judikatur. 398
D.h., so viel Freiheit wie möglich, so viel Intervention wie nötig. A.A. Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 69: „Ausgehend von der freiheitsbasierenden Rechtsordnung […], kommt das Prinzip in dubio pro libertate zum Tragen, dass der Freiheit im Zweifel den Vorrang gegenüber anderen Faktoren einräumt. Hieran anknüpfend, kann eine Systemaversion durch Paradigmenwechsel zum rein materialen Vertragsverständnis keine Legitimation erfahren“. 400 Zum Ermessensspielraum des Gesetzgebers und der auch politischen Bedeutung des Zivilrechts Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (1990), S. 84; Reichardt, Der Ver399
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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4. Umsetzung bei der Evaluierung des Rechts/Schaffung neuen Rechts Ganz generell ergibt sich aus dem „Beachtungsanspruch“ des Verbraucherschutzprinzips quasi als „abwägungserheblicher Belang“ bei der Fortentwicklung des Rechts aber der stete Auftrag an die Politik bzw. den Gesetzgeber: – geltendes Verbraucherschutzrecht in steter Rückkopplung mit dem liberalen Ausgangspunkt des deutschen Zivilrechts401 zu koordinieren und zu effektivieren – und zudem in starken, typisierten Verbraucher-Unternehmer-Ungleichgewichtslagen, die noch nicht legislatorisch erfasst wurden, abzuwägen, ob verbraucherschützende Bestimmungen, die viele Facetten haben können,402 neu einzuführen sind.403 Neben der Politik und der Gesetzgebung sind auch die Gerichte angesprochen, in Aufgreifung des verbraucherrechtlichen Schutzprinzips dann eine Inhaltskontrolle von Verträgen vorzunehmen, wenn sie einen Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und sie das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärken sind.404 Die Rechtsprechung ist hier u.a. aufgerufen, wie bisher über Präjudizien und Fallgruppenbildung unter Ausnutzung des Spielraumes, den Generalklauseln berechtigterweise bieten, auch als Impulsgeber405 für die Politik und die Legislative zu fungieren. Die hier praktizierte Herleitung eines Verbraucherschutzprinzips aus dem gegenwärtigen Rechtsbestand soll Politik, Legislative und Judikatur in einem ersten Schritt dabei unterstützen, sich eine Vergewisserung über den derzeitigen verbraucherrechtlichen Besitzstand zu verschaffen, über die der Bedeutungszuwachs von Verbraucherrecht und seine Legitimationsgrundlage deutlich wird. Diese Vergewisserung bietet einen gewissen Orientierungsmaßstab, der bei der Evaluierung und Fortbildung des Rechts notwendig ist. Da dabei die stete Rückkopplung zu anderen (bestehenden) Rechtsprinzipien zu suchen ist, soll das Sinnieren freilich überdies dazu inspirieren, das Verhältnis von Verbraucherschutzrecht zu den tradierten, liberalen Prinzipien des bürgerlichen Rechts auf einer abstrakten Ebene neu zu bestimmen. Dieses Unterfangen wird darauf hinauslaufen, dass das liberale Verständnis von der Privatautonomie heute nicht mehr einschränkungslos Platz greift bzw. greifen darf, sondern dass braucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr (2008), S. 84; Limbach, JuS 1985, 9, 10; Zöllner, JuS 1988, 329 ff. 401 Der immer noch fortwirkt und außerhalb von besonders starken, typisierten Asymmetrien auch Geltung beansprucht. 402 Dazu im Folgenden mehr. 403 In diesem Sinne schon K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 231. 404 BVerfGE 89, 214, 231 ff.; BGHZ 125, 206 ff. 405 Dazu 1. Teil, 5. Kapitel, A VII 1 c aa.
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3. Teil: Rechtstheorie
es nur noch ein – wenngleich immer noch sehr zentrales – Prinzip unter vielen darstellt, dem heute und auch für die zukünftige Rechtsentwicklung in Aufgreifung von besonders starken, typisierten Asymmetrien das Verbraucherschutzprinzip an die Seite zu stellen ist. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses sind die Ableitungen, die aus dem Verbraucherschutzprinzip für die Gesetzgebung und Judikatur folgen, genauso umfassend wie differenziert zu sehen. Das deutlich herauszustellen, ist schon deshalb wichtig, damit das offengelegte Rechtsprinzip jenseits aller notwendigen (theoretischen) Systematisierungsbestrebungen, die der Rechtsprechung und der Legislative natürlich auch zugute kommen, einen unmittelbar deutlich werdenden praktischen Nutzwert hervorbringt.406 Welche konkreten Folgerungen aus der Existenz des Verbraucherschutzprinzips ableitbar sind, kann hier freilich nur überblicksartig dargestellt werden.407 Die nachfolgenden Überlegungen erheben daher weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf unbedingte Befolgung.408 Sie zeigen lediglich auf, welche Instrumente in der Wertungstendenz des Verbraucherschutzprinzips in steter Abwägung mit dem Grundsatz der Privatautonomie/Vertragsbindung liegen und bei der Fortentwicklung des Rechtes, die kohärent zu gestalten ist, eine Rolle spielen können. 5. Konkrete Beispiele zur Umsetzung des Verbraucherschutzprinzips Die Ableitung von differenzierten Folgerungen muss an dem Befund ansetzen, dass ein allein auf dem privatautonomen Entscheidungsmechanismus aufbauendes System zur Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit auf Grund der rollensoziologischen Asymmetrie im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis Funktionsdefizite aufweist. Will man Verbraucherschutz (in der bisherigen Regelungstendenz) auch weiter gewährleisten, geht es folglich zwingend darum, den 406 Die nachfolgenden Denkanregungen sollen deutlich machen, dass es hier eben nicht nur darum geht, einen theoretischen Erkenntnisgewinn zu befördern nach dem Motto, „der Berg rumort und er gebiert ein Mäuschen“, sondern dass es möglich und wichtig ist, die verschiedenen Möglichkeiten zur Anwendung und Fortbildung des geltenden (Verbraucherschutz-)Rechtes deutlich werden zu lassen. Dabei ist freilich der Facettenreichtum der zu ergreifenden denkbaren Maßnahmen in Übereinstimmung zu sehen mit der bereits vielfach angesprochenen „Vagheit“ des Verbraucherschutzprinzips insgesamt und dem daraus folgenden Gestaltungsspielraum für Rechtsprechung und Gesetzgebung. 407 An das herausgebildete Rechtsprinzip müsste eine umfassende Arbeit bzgl. zu verbessernder bzw. neu einzuführender Verbraucherschutzinstrumente ansetzen. Ein älteres Werk dieser Art (aus dem Jahr 1994) ist das von Kemper mit dem allgemein gehaltenen Titel „Verbraucherschutzinstrumente“, das insofern einer aktualisierten 2. Auflage bedürfte. Die darin z.T. bereits aufgezeigten Ideen werden hier an passender Stelle mitverarbeitet. 408 Ein zwingender Befolgungsanspruch ist einem aus einem Rechtsprinzip „hergeleiteten“ Tatbestand mit Rechtsfolge wegen der Ursprungsvagheit des Prinzips sowieso nie zu entnehmen.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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bestehenden Funktionsdefiziten – wo immer sie sich zeigen – entgegenzuwirken oder zumindest die sich daraus ableitenden negativen Folgen für den Verbraucher in Grenzen zu halten. In Anbetracht des schon durch Vorgaben des Grundgesetzes (Art. 2 I GG) sicherzustellenden Kernbereiches an nicht reglementierter Handlungsfreiheit im Wirtschaftsleben und unserer marktwirtschaftlichen Grundordnung sind dabei freilich zunächst marktkomplementäre Verbraucherschutzinstrumente in Ansatz zu bringen,409 die die allgemeine Handlungsfreiheit der Parteien viel weniger einschränken als marktkompensatorische Instrumente, die erst dann herangezogen werden dürfen, wenn erstere keinen genügenden Schutz privatautonomer Handlungsfreiheit für den Verbraucher im Verhältnis zum Unternehmer mehr bieten.410 Wann das der Fall ist, steht prinzipiell in der demokratisch abgesicherten Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers. a. Marktkomplementäre Verbraucherschutzmaßnahmen Konsumentenprotektion realisiert sich in Aufgreifung des Gedankens des Primats marktkomplementär einzusetzender Verbraucherschutzinstrumente in einem ersten Schritt darin, das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems von Angebot und Nachfrage auch in der Unternehmer-Verbraucher-Beziehung zu gewährleisten. Es geht hier um die Gestaltung von „Marktrecht“,411 mit dem die grundlegenden Rahmenbedingungen für das Tätigwerden der Anbieter auf dem Markt festgelegt werden, obgleich (etwa bzgl. der ihnen auferlegten Informationspflichten) die Trennlinie zum marktkompensatorischen Rechtskreis, mit dem die konkrete Unternehmer-Verbraucher-Beziehung ausgestaltet wird, nicht immer klar gezogen werden kann. Mit der Ausgestaltung des „Marktrechts“ verbinden sich drei Regelungskomplexe: Zum einen geht es um die Regulierung der Aufnahme der Tätigkeit;412 zum anderen sind die Ausübung der Tätigkeit als Anbieter und die Marktzulassung bestimmter Produkte betroffen.413 Bestimmungen dafür finden sich in Deutschland in öffentlich-rechtlichen Spezialgesetzen. Die diesbezüglichen Einzelheiten können hier wegen der notwendigen Beschrän409
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 66 ff. Zum Gegensatzpaar „marktkomplementär“ und „marktkompensatorisch“ vgl. meine Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel, E I, II. 411 Das Wort „Marktrecht“ steht hier für das vor allem im skandinavischen und französischen Recht vertretene Konzept, das streng zwischen den Regeln über die allgemeinen Marktbedingungen einerseits und dem einzelvertraglichen Verhältnis andererseits trennt, siehe dazu etwa Hermite, Le consumérisme dévoyé (1985), S. 256; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 152; Keyßner, Täuschung durch Unterlassen – Informationspflichten in der Werbung (1986), S. 107; Bernitz, ZHR 138 (1974), 336 ff. 412 Zu den engen Grenzen der Berufszulassungs- und -ausübungsbeschränkung, die durch Art. 12 GG vorgegeben sind, vgl. BVerfGE 7, 377, 404 f. 413 Regulierung gibt es hier insbesondere im Lebensmittel- und Betäubungsmittelrecht und durch Verbote, Inhaltsvorgaben, Behandlungspflichten und Kennzeichnungspflichten, darüber hinaus werden auch Grenzwerte für Schadstoffe vorgegeben. 410
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kung des Werkes auf den zivilrechtlichen Verbraucherschutz nicht weiter erörtert werden.414 In diesen markt(zugangs)regulierenden Bereich hinein ragen aber auch die Regelungen für das Verhältnis der Anbieter untereinander, die klassischerweise durch das Kartell- und Wettbewerbsrecht festgelegt werden. Diese „wachsen“ – etwa mit der Einräumung von Klagebefugnissen in Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Verbraucherinteressen – schon in mancher Weise in das Zivilrecht hinein, sodass sich diese Abhandlung jedenfalls ansatzweise auch mit ihnen auseinandergesetzt hat. Schließlich (auf der Grenzlinie) zum marktkompensatorischen Verbraucherschutz geht es um allgemeine Regeln in Bezug auf das Verhalten der Anbieter gegenüber den Verbrauchern gerade im Vorfeld eines Vertrages. Der Vertrag selbst, aber auch der deliktische Bereich, wird überwiegend von Gestaltungs- und Inhaltsvorgaben mitgeregelt. Da vieles zum Bereich des marktkomplementären Verbraucherschutzes (etwa in Bezug auf das UWG und seine derzeitige Ausgestaltung)415 schon gesagt wurde, soll sich der hier zu eröffnende Blick für eine mögliche Fortentwicklung des Verbraucherschutzes in der herausgearbeiteten bestehenden „Tradition“, d.h. nach Offenlegung des bestehenden Verbraucherschutzprinzips im Bürgerlichen Recht, nur denjenigen Instrumenten zuwenden, die nicht im Fokus der Ausarbeitung standen. aa. Sicherung der Anbietervielfalt Mit der Aufnahme und Ausübung einer Anbietertätigkeit (vgl. dazu etwa § 7 HandwO, § 4 BRAO, § 3 BÄrztO, § 2 BApothekenG, §§ 55 II GewO, § 2 GastG) hat sich diese Arbeit – die zivilrechtlich angelegt ist – ebenso wenig beschäftigt wie mit den Vorgaben der öffentlich-rechtlich ausgestalteten Produktzulassung (LMGB, TabakVO, AMG, Zusatzstoff-ZulassungsVO, GerätesicherungsG, PflanzenschutzG; für die Zulassung von Kfz siehe auch §§ 18 ff. StVO). Freilich sind aber auch diese Regelungen dem Verbraucherschutz zuzuordnen, der gerade hier als eine „Querschnittsmaterie“ 416 in Erscheinung tritt.417 Zu bestehenden diskursiven Auseinandersetzungen in diesem Bereich soll an dieser Stelle auf Spezialliteratur hingewiesen werden.418 Hervorzuheben ist an dieser Stelle le414
Die Reglementierung des Zugangs zu einer Anbietertätigkeit wird angesichts der zutreffend durch Art. 12 GG eng gezogenen Grenzen eher die Ausnahme darstellen. Ohnehin können aber solche präventiv ansetzenden Regelungen nur einen Minimalstandard sicherstellen, die den Qualifikationsstand gerade im Zeitpunkt der Zulassung gewährleisten. Nachwirkend setzt die Ausübungsüberwachung ein, mit der i.S.d. Verhältnismäßigkeitsprinzips einzelne Pflichtverstöße aufgedeckt und sanktioniert werden. 415 Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Teil, am Beginn des 2. Kapitels. 416 Zum Querschnittscharakter des Verbraucherrechts siehe die Ausführungen im 1. Teil, 4. Kapitel. 417 So schon K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 59 ff. 418 Zu Zulassungsbestimmungen für Anbieter vgl. etwa Tettinger/Wank, Gewerbe-
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diglich das generelle Problem, dass ein reines „Behördenmodell“ im Verbraucherschutz zu kurz greifen würde, weil Schadensersatzprobleme des geschädigten Verbrauchers darüber keine Regulierung finden. Schon deshalb bedarf es einer Ergänzung durch ein zivilrechtlich ausgestaltetes Verbraucherschutzmodell.419 Klar ist freilich, dass es in einem Verbraucherschutzmodell, das einerseits den Auftrag des Verbraucherschutzes ernst nimmt, andererseits aber ein „Zuviel“ an Marktregulation zu vermeiden sucht, neben der Überwachung der Anbietertätigkeit und der Produktzulassung zunächst darum gehen muss, einen möglichst großen Wettbewerb der Anbieter untereinander sicherzustellen, und zwar nicht nur überhaupt, sondern auch in der Form, dass Angebots- und Verhaltensstandards dabei nicht absinken.420 Dies impliziert die Forderung, dem Wettbewerb der Anbieter untereinander und im Verhältnis zu den Kunden durch Mindestvorgaben einen feststehenden rechtlichen Rahmen zu geben. Die Beziehungen der Unternehmer untereinander sind in Deutschland in m.E. ausreichendem Maße durch das UWG421 und das GWB422 reglementiert, wobei letztere Bestimmungen durch die Art. 101 ff. AEUV ergänzt werden. Das schließt freilich nicht aus, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, neue Gefahrenlagen auch in diesem Regelungsbereich sukzessive in sein legislatorisches Kalkül aufzunehmen, so wie er es etwa kürzlich mit der Regelung der Telefonwerbung423 in der Überarbeitung des UWG und eines kürzlich dazu erlassenen weiteren
ordnung: GewO (7. Aufl., 2004); Landmann/Rohmer, (Hrsg.), Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Bd. I und II (54. Aufl., 2009); Metzner, Gaststättengesetz: GastG (6. Aufl., 2001); Honig, Handwerksordnung (2004); Römermann, Anwaltschaft und Berufsrecht (2008); Bäune/Meschke/Rothfuß, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte (2008); zur Produktzulassung vgl. etwa Zipfel/Rathke (Hrsg.), Lebensmittelrecht (136. Aufl., 2009); zur Arzneimittelzulassung vgl. i.Ü. auch Tamm, ZRP 2007, 123 ff.; dies., VuR 2007, 432 ff.; zur notwendigen bundeseinheitlichen Regelung der Zulassung zum Heilpraktikerberuf zur Sicherstellung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes in dieser Branche, Tamm, VuR 2008, 465 ff. 419 Borrie, JBL 1988, 116, 124. 420 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 21; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 63 f. 421 Ähnlich wie durch kooperative Formen i.S.v. Kartellbildung kann der Wettbewerb der Anbieter untereinander durch aggressive bzw. andere unlautere Verhaltensweisen einzelner Anbieter gegenüber ihren Mitbewerbern beeinträchtigt werden. In diesen Fällen sinkt der Leistungswettbewerb, was das Spiel der Kräfte am Markt zum Nachteil des Verbrauchers auch verschieben kann. 422 Das GWB und Art. 81 EGV reglementieren wettbewerbsbeschränkende Absprachen und sonstige darauf gerichtete Verhaltensweisen, die durch Ausschaltung bzw. Reduzierung des Leistungs- oder Preiswettbewerbs eine Verstärkung der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers bewirken, da auf diese Weise der Marktregelungsmechanismus von Angebot und Nachfrage behindert oder ganz ausgeschaltet wird, dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 157 ff. 423 Vgl. dazu § 7 UWG n.F.; hier dargestellt im 2. Teil, 2. Kapitel, A I 4 g; instruktiv auch Tonner/A. Reich, VuR 2009, 95 ff.
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Gesetzes424 getan hat. Besonders bedeutsam wird hier in Zukunft die Regulierung der für Verbraucherbelange besonders wichtigen Bereiche der Daseinsvorsorge425 (Telekommunikation,426 Energie,427 Wasser,428 Bahnreisen) sein, bzgl. derer eine echte Marktöffnung durch Förderung von Anbietervielfalt und Sicherung eines hohen Qualitätsstandards notwendig ist. bb. Sicherung der Zurverfügungstellung und Verwertung der Informationen Besteht ein Markt, der durch Rahmenbedingungen reguliert ist, ist es im Folgenden notwendig, dem Konsumenten zu ermöglichen, sich auf diesem zurechtzufinden, d.h. insbesondere die für seine Entscheidung erforderlichen Informationen zu sammeln und diese in einem von sachfremden Beeinflussungen429 freien Entscheidungsprozess zu verarbeiten. Die Sicherung der für eine rationale Entscheidung erforderlichen Informationsgrundlage muss dabei schon weit im Vorfeld einer konkreten Vertragsbeziehung ansetzen. Bereits in der Phase der Anpreisung einer Leistung durch den Unternehmer (und erst recht in späteren Stadien, in denen sich der Verbraucher-Unternehmer-Kontakt intensiviert hat), ist dafür zu sorgen, dass der Verbraucher auf Grund ausreichender Information eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. (1.) Informationsvergabe und Sicherung der Informationsqualität Das deutsche Recht reagiert auf diese Anforderung insbesondere mit einem Irreführungsverbot in § 3 UWG und besonderen Kennzeichnungspflichten etwa für den Preis (vgl. dazu die PreisAngVO) und durch Produktausweisungen bzgl. der Inhaltsstoffe, dem Volumen und Hinweise zum sicheren Umgang, wobei die diesbezüglichen Angaben etwa auf Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und technischen Geräten anzubringen sind. Diese Vorgaben reichen jedoch nicht aus. Denn innerhalb des Rahmens des danach Erlaubten ist jeder Anbieter frei zu bestimmen, wie er sein Verhalten gegenüber der Verbraucherseite i.Ü. gestaltet. Soll die nach dem Irreführungsverbot und die Produktkennzeichnung wei424
BGBl. I 2009, S. 3181 ff. v. 5.10.2009. Kämmerer, NVwZ 2002, 1041. 426 Vgl. dazu Kurth, Ist die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes ein Beispiel für andere Bereiche der Daseinsvorsorge?, in: Schader-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft der Daseinsvorsorge (2001), S. 133 ff.; Gabelmann/Groß, Telekommunikation: Wettbewerb in einem dynamischen Markt, in: Knieps/Brunekreeft (Hrsg.), Zwischen Regulierung und Wettbewerb (2. Aufl., 2003), S. 83 ff. 427 Kuhnt, in: Hüffer/Ipsen/Tettinger, FS Fabricius (1989), S. 235 ff.; Ehlermann, EuZW 1992, 689 ff. 428 Grundlegend dazu Schur, Der Wasserversorgungsvertrag. Verbraucherschutz bei der Privatisierung von Wasserversorgungsunternehmen (2009). 429 Die Produktentscheidung sollte geprägt sein von sachlicher Information zum Produkt und Hersteller, d.h. auch frei von rein gefühlsbetonten Aspekten (die durch den Hersteller häufig befördert werden, wie etwa Mitleid, Angst oder den Appell an die Frömmigkeit), siehe dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 182 ff. 425
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ter verbleibende (restliche) Marktintransparenz verringert werden, müssen diese nur rahmengebenden öffentlich-rechtlichen Vorgaben durch weitere positive Regelungen zur Informationsvergabe durch die Anbieterseite ergänzt werden. Die Anbieter müssen insofern gezwungen werden, den Verbrauchern die von diesen benötigten, darüber hinausgehenden kardinalen Vergleichsdaten zur Verfügung zu stellen.430 Das deutsche Recht hat diesbezüglich – vielfach befördert durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben – einen umfassenden Katalog von Informationspflichten insbesondere für komplexe Verträge (Bsp.: Timesharing-Verträge, Pauschalreisen, Verbraucherkreditverträge) und Distanzgeschäfte (E-Commerce, Fernabsatz) in und außerhalb des BGB, insbesondere in der BGB-InfoV und seit kurzem im EGBGB, aufgestellt.431 Diese werden durch die Rechtsprechung über die Grundsätze zu allgemeinen Informationspflichten nach § 242 BGB ergänzt. Die danach mitgeteilten Informationen sind von der Menge und ihrem Gewicht grundsätzlich als ausreichend zu betrachten. (2.) Informationsverarbeitung Die Sicherung der Informationsvergabe allein ist jedoch ungenügend, wenn der weitere Schritt (nämlich der, der Informationsentscheidung) dadurch nicht optimal befördert wird. Notwendig ist bzgl. dieses in Aussicht genommenen Zieles, dass das Ausmaß und die Art und Weise der Darbietung der Information, wenn sie nicht kontraproduktiv wirken sollen, den durchschnittlichen Verbraucher nicht überfordern darf. Hier hinein reicht das schon angesprochene (derzeitige) Problem der „Informationshypertrophie“,432 dessen sich die Gesetzgebung auf deutscher und europäischer Ebene in Evaluation des derzeitigen „Informationsbesitzstandes“ zur Schaffung von mehr Stringenz und Kohärenz dringend annehmen muss.433 Die erforderliche Überarbeitung hat darauf hinauszulaufen, dass das angebotene Datenmaterial „dosiert“,434 „geordnet“435 und in einer für den durchschnittlichen Verbraucher verständlichen Sprache angeboten wird.436 Erste Schritte in 430
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 176. Siehe zu dem komplizierten, ineinander geschachtelten System von Informationspflichten die Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel, B I 2. 432 Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz (1998), S. 504 ff.; Wendlandt, VuR 2004, 117, 119; MüKo/Franzen (5. Aufl., 2008), Vor § 481 Rn. 5; Staudinger/Martinek (2004), Vor § 481 Rn. 57; Nordhausen Scholes, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Consumer Law (2009), S. 213, 214 ff.; Howells/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Consumer Law (2009), S. 3, 14. 433 Siehe dazu im 2. Teil, 1. Kapitel, B I 2 c bb (2) (d.). 434 Für eine Reduktion Howels/Schulze, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising EU Consumer Contract Law (2009), S. 3, 14. 435 Brönneke, Widerruf und Belehrungspflichten (2009), S. 33, spricht zutreffend u.a. von der Notwendigkeit klarer Strukturierung der Texte. 436 Vgl. dazu auch Grundmann, JZ 2000, 1133, 1140. 431
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diese Richtung der Konsolidierung wurden bereits mit dem Vorschlag der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher vom 8.10.2008437 unternommen, weil in diesem Vorschlag in Kapitel II, Art. 5–7 Informationspflichten aus vier verbraucherrechtlichen Kernrichtlinien überarbeitet, d.h. aufeinander abgestimmt und zusammengeführt wurden. Dieser Weg der Konsolidierung ist weiter zu beschreiten, wobei hier dafür geworben wurde, in den Evaluationsprozess die Erkenntnisse aus der Sozialforschung einfließen zu lassen.438 Für die erforderliche Übersicht über die Informationspflichten, die Vorstufe zu deren Einhaltung durch den Anbieter ist, wäre es überdies wünschenswert, die Verortung im Gesetz zu überprüfen. Der derzeitige Rechtszustand in Deutschland ist dadurch gekennzeichnet, dass Informationspflichten im BGB, in der BGB-InfoV und (nach der Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie) auch im EGBGB stehen. Der deutsche Gesetzgeber sollte sich m.E. – um die Anwendungstransparenz zu erhöhen – zu einem einheitlichen Regelungsmodell durchringen. (3.) Standardisierung der Informationsvergabe Ob der Gesetzgeber so weit gehen sollte, neben den Vorgaben für den Inhalt an Informationen, für den es vielfältige gesetzliche Detailvorgaben gibt, auch die Art und Weise der Verbraucherunterrichtung zu diktieren, etwa nach Art der französischen „Modellverträge“ im Bereich des Konsumentenkredites, bei denen nicht nur das Angebot der Anbieter bestimmte Informationen enthalten muss, sondern auch die Informationsabfolge vorgegeben ist, ist eine andere Frage. Die Markttransparenz würde dies zweifellos erhöhen. Allerdings würde damit auch ein starker Formalismus einhergehen und möglicherweise würden von den üblicherweise verwendeten „Bausteinen“ ausgehandelte Vertragsspezifika nicht in dem erforderlichen Zusammenhang dargestellt werden können oder ganz „untergehen“. Dieses Gebilde hat sich selbst in Frankreich als zu unflexibel erwiesen. Deshalb ist die dortige Rechtsprechung auch mehr und mehr dazu übergegangen, die Umstellung einzelner „Bausteine“ innerhalb des Informationsgefüges zu erlauben, was das Konzept freilich insgesamt in Frage stellt.439 Gleichwohl ist überall in der EU – wie bereits ausgeführt440 – ein gewisser Trend zur Standardisierung bzgl. der (vor-)vertraglichen Informationspflichten erkennbar, weil die auferlegten Pflichten gerade im Massengeschäft für den Anbieter erst durch die standardisierte Erfassung und Vergabe handhabbar werden.441 Der deutsche Gesetzgeber hat diesem Trend bzw. den Bedürfnissen des Marktes/ 437
KOM (2008), 614 endg. 2. Teil, 1. Kapitel, B 2. 439 Zu den gesetzlichen Regelungen in Bezug auf die französischen Modellverträge und deren Handhabung in der Rechtsprechung vgl. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 206 f. 440 Ebenda. 441 Zum Trend der Standardisierung bei ähnlich kompakten Inhalten wie AGB, vgl. Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl., 2006), Einl. Rn. 4. 438
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der Anbieter bspw. dadurch Rechnung getragen, dass er in der BGB-InfoV und in den Neuregelungen zum EGBGB (unverbindliche) „Muster“ für den Sicherungsschein bei Pauschalreisen sowie die Widerrufs- und Rückgabebelehrung zur Verfügung gestellt hat. Überaus deutlich wird der Trend zur Standardisierung aber mittlerweile auch auf Grund der neuen Verbraucherkreditrichtlinie,442 die dem gewerblichen Kreditgeber die Pflicht (!) auferlegt, ein bestimmtes Standardformular mit EU-weit einheitlichem Inhalt und einer einheitlichen Gestaltung zu nutzen. Insoweit wird erkennbar, dass die (frühen) französischen Anfänge der Standardisierung von Informationen im Kreditbereich auf EU-Ebene partiell Früchte getragen haben. cc. Unterstützung der Verbraucherzentralen Neben der Informationsvergabe und Sicherung der Informationsqualität durch die Anbieter, die schon deshalb nicht immer effektiv genug für die Meinungsbildung des Verbrauchers ist, weil sie nicht wirklich von „unabhängiger“ Seite erfolgt,443 bedarf es zusätzlich der Verbraucherinformation von dritter Seite sowie der umfassenden Verbraucherbildung und der Verbrauchererziehung. Denn nur ein Verbraucher, der die vom Anbieter erhaltenen, daneben aber auch von dritter (unabhängiger) Seite erlangten Informationen bewerten kann und zudem um seine Rechte weiß, ist in der Lage, sich als „mündiger Marktakteur“ zu betätigen. Verbraucheraufklärung i.S.v. Verbraucherbildung und -erziehung, im Zusammenhang mit Vertragsabschlüssen, Leistungsstörungen, deliktischen Ansprüchen, aber auch bei der Rechtsdurchsetzung und der Schuldnerberatung in bestehenden oder sich anbahnenden Verbraucherinsolvenzsituationen wird heute z.T. über die Medien, kontinuierlich und breitflächig aber nur über die Verbraucherzentralen betrieben.444 Letztere bestehen in allen 16 Bundesländern, sind überall als eingetragene Vereine organisiert und nach vergleichbaren Prinzipien aufgebaut.445 Ihre Mitglieder sind fast ausschließlich Institutionen, gewisse Verbrauchervereinigungen und Vereinigungen mit meist (allgemeiner) sozialer Zielsetzung, die Verbraucherinteressen als Teil ihrer Aufgabenstellung wahrnehmen. Gerade die Beratungsarbeit der Verbraucherorganisationen ist sehr personalund kostenintensiv, insbesondere wenn ein ortsnahes Netz an Beratungsstellen unterhalten wird. Diese Kosten können aus Beiträgen der ratsuchenden Verbraucher regelmäßig nicht annähernd gedeckt werden, sodass bei Unterfinanzie442 Richtlinie 2008/48/EG v. 23.4.2008; vgl. dazu Benedict, ZEuP 2008, 395, 398 f.; Rott, WM 2008, 1104 ff. 443 Zu diesem Hintergrund der Notwendigkeit unabhängiger „Drittinformationen“ vgl. schon K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 118. 444 Zum Befund vgl. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 73 ff. 445 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 128.
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rung auf Grund fehlender öffentlicher Zuschüsse die Arbeit der Beratungsstellen reduziert oder ganz eingestellt werden muss.446 Das ist der Hintergrund, weswegen viele Verbraucherzentralen, die in der Vergangenheit von drastischen Mittelkürzungen betroffen gewesen waren, wie etwa die Verbraucherzentrale Hamburg447 und die Mecklenburg-Vorpommerns,448 nicht so effizient arbeiten konnten, wie sie es sollten. Soll das Ziel der Verbrauchererziehung und -bildung aber i.S.e. umfassend verstandenen, zunächst marktkonform zu verwirklichenden Verbraucherschutzprinzips nicht leerlaufen, ist es unerlässlich, die Verbraucherzentralen auch in Zeiten der Ressourcenknappheit (die es ja eigentlich immer gibt)449 mit ausreichenden staatlichen Unterstützungsleistungen zu versorgen. Andernfalls bleibt die ernsthaft nachdenkenswerte Option für den Gesetzgeber, den Verbraucherzentralen durch die Einräumung eines im Verbandsklageverfahren in Wahrnehmung von Verbraucherbelangen geltend zu machenden Schadensersatzanspruches (den es heute noch nicht gibt) zukünftig die Möglichkeit zu gewähren, verbraucherschädigendes Verhalten gegenüber Unternehmen zu sanktionieren,450 um auf diese Weise (quasi mittelbar und ausgabenneutral für die Staatskasse) die Kosten für die Beratungsleistung und die Wahrnehmung von Verbandsklagebefugnissen „finanzierbar“ zu stellen. dd. Einführung eines obligatorischen Rechtskundeunterrichts in Schulen Verbraucherzentralen betreiben Verbraucherbildung und Aufklärung über Broschüren und Faltblätter, Informationsstände auf Wochenmärkten, Veranstaltung von Vorträgen und Seminaren, telefonische Beratung, Internetauftritte und nicht zuletzt über das persönliche Beratungsgespräch vor Ort mit dem Betroffenen, der die Verbraucherzentrale in Problemsituationen als Ansprechpartner aufsucht. Die Arbeit der Verbraucherzentralen kommt aber nur einem Teilausschnitt der beratungsbedürftigen Konsumenten zu Gute, weil nicht alle Verbraucher den Weg zu ihr bzw. ihren Publikationen und Veranstaltungen fin446
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 97. Die Verbraucherzentrale Hamburg hatte nach Öffnung der Grenzen der DDR ihre Beratungstätigkeit ausgedehnt, ohne eine entsprechende Gegenfinanzierung zu erlangen. Hinzu kamen leider auch Unregelmäßigkeiten in der Buchführung, die zur Sperrung eines Zuschusses des Senats führten, vgl. dazu Hamburger Abendblatt v. 22.10.1991, S. 9 („Das Aus für die Verbraucher-Zentrale“). 448 Die Verbraucherzentrale M-V ist wegen rückwirkender Kürzung der zugesagten Finanzmittel in die Insolvenz gefallen und hat sich daraus als „Neue Verbraucherzentrale“ neu gegründet. 449 Der auf § 10 UWG gestützte Gewinnabschöpfungsanspruch führt zwar zu Finanzmitteln, die sind aber an die Staatskasse abzuführen, vgl. dazu meine Ausführungen zu den Verbandsklagebefugnissen im 2. Teil, 3. Kapitel. 450 Zu diesen Vorschlägen de lege ferenda im Zusammenhang mit der Finanzierung der Verbandsklage, vgl. meine Ausführungen im 2. Teil, 3. Kapitel, B III 4 b cc. 447
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den.451 Darüber erklärt sich u.a. das Bestreben der Verbraucherzentralen, Massenmedien mitzunutzen und Bildungsseminare auszurichten. Insbesondere Schüler sollen als künftige Marktteilnehmer durch Bildungs- und Aufklärungsarbeit möglichst früh für Verbraucherbelange sensibilisiert werden.452 Freilich ist der Weg der Seminarveranstaltung in Schulen durch Verbraucherzentralen nicht immer effektiv. Das Problem ist strukturell bedingt. Die notwendige Kompetenz, in rechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten das „Richtige“ zu tun, kann breitenwirksam nicht allein durch unregelmäßige und eben auch nicht für alle durchführbare Seminarveranstaltungen sichergestellt werden. Viel sinnvoller und notwendig wäre es, den Multiplikationsfaktor „Unterricht“ 453 nachhaltig zu nutzen, dergestalt, dass ein für alle Schüler obligatorischer Rechtskundeunterricht für die 7.–10. Klasse eingeführt und von rechtskundigen Juristen oder speziell aus- bzw. weitergebildeten Lehrern abgehalten wird.454 Alternativ dazu wäre festzulegen, dass in diesen Klassenstufen zumindest ein nicht unerheblicher Prozentsatz des Sozialkundeunterrichts rechtliche Fragestellungen aufgreifen sollte. Hierzu müssen Lehrpläne und entsprechend geeignetes Schulmaterial zur Verfügung gestellt werden. Denn nicht nur die von so vielen geforderte Einbringung als „Bürger“ im Staat, etwa bei der demokratischen Mitbestimmung, setzt Grundkenntnisse im rechtlichen Bereich voraus.455 Es ist m.E. geradezu ein Paradoxon, dass in einer modernen komplexen Wirtschaftsund Rechtsgesellschaft neben der Vermittlung von Naturgesetzen und Sprachkenntnissen an Schulen der Umgang mit Normen und Verträgen, mit denen sich jeder im Alltag tagtäglich auseinanderzusetzen hat, nur als freiwilliges Lehrfach oder gar als Arbeitsgemeinschaft (und dann auch nur an Gymnasien) angeboten wird. Der Bildungsauftrag muss sich hier den gesteigerten Anforderungen des Rechts- und Wirtschaftslebens stellen.456 Wissensvermittlung über rechtliche Zusammenhänge an Schulen ist für die Herausbildung einer modernen, lebendigen Rechtsgesellschaft unumgänglich. Wenn man sich vorstellt, dass Jugendliche mit 18 Jahren in die so genannte Geschäftsfähigkeit entlassen werden, weil sie die kognitive Reife besitzen sollen, Lebensvorgänge zu erfassen und sie sich deshalb auch rechtlich binden können, aber regelmäßig keinerlei „Vorbildung“ in rechtlichen Angelegenheiten aufweisen, bleibt die zur Verfügung gestellte Rechtsbindungsfreiheit nur formal, da sie 451
Zum Befund Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 80. Z.T. wurden sogar Veranstaltungen in Kindergärten durchgeführt, vgl. dazu Cebulla-Jünger, Verbraucherschau 1990, Heft 8/9, S. 8 f. 453 So zutreffend auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 80. 454 Binschus, ZfF 1974, 196 ff. 455 Wabnik, RpflBl 1979, 55–57. 456 Siehe dazu auch Leible/Schlachter (Hrsg.), Verbraucherschutz in der Aus- und Weiterbildung (2007), Schriftenreiche des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. 452
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keine Rechtsgestaltungsfreiheit, die unabhängig von der Verhandlungsmacht auch das Wissen um rechtlich fest geregelte Positionen voraussetzt, einschließt. In einem neueren Beitrag zu notwendigen Bildungsreformen hat Rauschenbach das Problem mit folgenden Worten zutreffend auf den Punkt gebracht, indem er feststellt: Vielfach ist das schulische Lehren und Lernen nicht auf eine Verwertbarkeit im gegenwärtigen wie im späteren Leben ausgerichtet. So ist es in der heutigen Zeit noch nicht selbstverständlich, dass rechtliche und ökonomische Zusammenhänge im obligatorischen Unterricht vorkommen, obgleich es sich hierbei durchweg um Themen handelt, bei denen man mit einem fröhlichen Dilettantismus längst nicht mehr ungeschoren durchs Leben kommt. Hier geht es um die bislang kaum geführte Debatte einer Relevanz von notwendig veränderten Lerninhalten.457 „Rechtsinhalte“ müssen, damit sie nicht nur auf ein „law in the books“ herauslaufen, sondern lebendig (wahrgenommen) werden, unbedingt breitflächig transportiert werden. Natürlich wird mit dieser Forderung nicht in Abrede gestellt, dass die derzeitige Rechtsfülle und Detaildichte bei Vermittlung von Schulwissen nie dazu führen kann bzw. soll, Spezialkenntnisse zu vermitteln. Arbeit für spezialisierte Juristen wird es immer geben. Andererseits muss das Recht, gerade das Verbraucherrecht, aber auch davon entbunden werden, als bürgerferne „Geheimwissenschaft“ wahrgenommen zu werden. Schließlich erhebt es ja auch den Anspruch, für alle (gleichermaßen) da zu sein, wenn es die Positionen unterschiedlicher Gruppen der Gesellschaft austariert. ee. Verbrauchererziehung und -bildung durch andere (staatliche) Maßnahmen Verbraucheraufklärung und -erziehung kann und sollte neben der Förderung der Arbeit der Verbraucherzentralen und der Vermittlung von verbraucherrelevanter Rechtskunde an Schulen freilich auch in anderer Form vom Staat betrieben werden. Der Staat kommt dem Auftrag des Schutzes des Verbrauchers vielfach in Form von öffentlichen Informationskampagnen, z.T. aber auch durch adhoc-Warnhinweisen nach. Den wichtigsten Fall einer mittelbaren staatlichen Verbraucheraufklärung in der Bundesrepublik stellt gegenwärtig die Arbeit der Stiftung Warentest dar, die 1964 von der Bundesregierung in der Rechtsform einer privatrechtlichen Stiftung errichtet wurde458 und deren Tätigkeit nahezu ausschließlich459 aus dem Bundeshaushalt finanziert wird. Gemäß § 2 I ihrer Satzung führt die Stiftung 457
Rauschenbach, APuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) 2005, 3, 5 f. Der Gründung der Stiftung Warentest vorausgegangen waren erste vergleichende Warentests durch die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und die Redaktion der Zeitschrift „DM“, die in der Bevölkerung große Resonanz ausgelöst hatten, vgl. dazu Wieken, Die Organisation der Verbraucherinteressen im internationalen Vergleich (1976), S. 23 f.; Bornecke, Handbuch der Verbraucherinstitutionen (1982), S. 155 ff. 459 Durch Publikationen werden weitere Einnahmen erzielt. 458
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Warentest zur Verbesserung der Marktbeurteilung für Verbraucher Tests an Produkten nach wissenschaftlich anerkannten Methoden durch und veröffentlicht die Ergebnisse im Internet und in der Zeitschrift „Test“. (1.) Warentestung Die Verbraucher werden durch die Arbeit der Stiftung mit objektiven Testinformationen versorgt und können ihre (Kauf-)Entscheidung daran ausrichten.460 Aber auch die Verbraucher, die das nicht tun, kommen zumindest mittelbar in den „Genuss“ der Testergebnisse. Denn das Testergebnis schafft für das getestete Produkt wegen seiner relativ großen Verbreitung ein positives oder negatives Image, über das sich der Markt auch selbst reguliert. Der Grund dafür ist, dass der Hersteller ein schlecht bewertetes Modell umgehend vom Markt nehmen wird, um negative Imageausstrahlungen auf sein übriges (nicht getestetes/ negativ indiziertes) Angebot zu vermeiden.461 In der Literatur wird zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass die den Tests zugrunde liegenden Anforderungen in vielen Fällen ihrerseits zu Standards für vergleichbare Produkte werden. Das Qualitätsniveau einer bereits getesteten Produktkategorie in seiner Gesamtheit wird sich daher zumeist insgesamt anheben.462 Wenngleich i.S.d. Verbraucherschutzgedankens zu fordern ist, dass auch die Aufklärungsarbeit der Stiftung Warentest weiter durch die öffentliche Hand gefördert wird, kann die Arbeit von staatlichen Informationsstellen oder (durch den Staat unterstützter) privater Organisationen zur Produkttestung nur ein begleitendes Instrument des Verbraucherschutzes sein, das andere schlagkräftige Formen ergänzt.463 Das beruht auf mehreren systemimmanenten Ursachen, insbesondere auf der Testkapazität, die naturgemäß nicht alle Arten von Produkten erfassen kann.464 Untersucht wurden bisher vor allem Nahrungsmittel und Elektrogeräte.465 Außerdem orientierten sich die Tests insgesamt an dem Konsumverhalten der gehobenen Mittelschicht, da hier (jedenfalls in der Vergangenheit) das Hauptfeld der Konsumenten lag.466
460 Zur Haftung der Stiftung Warentest vgl. Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest für Schäden der Verbraucher aufgrund irreführender Testinformationen (1998). 461 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 100. 462 Stiftung Warentest, Jahresbericht 1984, S. 25; Bornecke, Handbuch der Verbraucherinstitutionen (1982), S. 23; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 100. 463 So schon K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 125. 464 Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 100, 101. 465 Und selbst bei diesen Produkten kann mit einer Testung keine völlige Marktabdeckung erreicht werden. Dazu, dass 15 % des am Markt gängigen Angebots häufig „außen vor“ bleiben, Tölle, Das Informationsverhalten der Konsumenten (1983), S. 27. 466 Wieken, Die Organisation der Verbraucherinteressen im internationalen Vergleich (1976), S. 26; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 100 f.; Reich/Micklitz, Verbraucherschutz in der Bundesrepublik Deutschland (1981), S. 4.
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(2.) Überprüfung von Finanzprodukten Seit einigen Jahren werden freilich auch Finanzprodukte durch eine Unterabteilung der Stiftung Warentest untersucht und die Ergebnisse in der Zeitschrift „Finanztest“ veröffentlicht. Die Notwendigkeit einer vorgeschalteten neutralen Untersuchung von Finanzprodukten und die Ausweisung der Ergebnisse467 ergibt sich heute aus der hohen Komplexität der vorhandenen Anlageformen, dem immer stärker in den Mittelpunkt der Verbraucherbelange rückenden Aspekt der Altersvorsorge und dem großen finanziellen Risiko, das eine Fehlinvestition auf Grund falscher, unterbliebener oder nur risikoverschleiernder Information nach sich zieht.468 Die zutreffende, unabhängige Informationsvergabe und Produktberatung durch den privaten Anbieter kann auf Grund des bestehenden Provisionsinteresses der Anlagevermittler und -berater derzeit nicht sichergestellt werden. Abhilfe wird auch nicht dadurch geschaffen, dass der Berater das Bestehen seines Provisionsanspruchs (und damit seine „fehlende Unabhängigkeit“) offen legt. Denn dadurch gewinnt der Kunde noch nicht die notwendige Orientierung im Dschungel der Finanzprodukte. Zwar gibt es bereits vielfältige private RatingAgenturen, die Aktien und Anleihen auf ihre Werthaltigkeit hin untersuchen. Jedoch sind diese zum einen nicht unabhängig und nur zum Teil auf die Finanzprodukte des deutschen Marktes zugeschnitten. Auch der Umstand, dass ein Finanzprodukt (etwa eine Aktie eines Unternehmers) überhaupt zum Handel an der Börse durch die BaFin zugelassen worden ist, ist bzgl. der Werthaltigkeit nicht aussagekräftig. Vielmehr ist es häufig sogar so, dass sich gerade vor dem Hintergrund dieses Hinweises der private Anlagekunde in falscher Sicherheit wiegt, wenn er damit das Vertrauen in die Seriosität/resp. Bonität des Emittenten verbindet. Wie gerade auch auf Grund der BondRechtsprechung469 deutlich wurde, bezieht sich die Kontrolle der BaFin für die Börsenzulassung nur darauf, dass das Unternehmen (mit der Erstellung eines eigenen Börsenzulassungsprospekts und der Beifügung weiterer erforderlicher Unterlagen), von dem aufzubringenden Mindestkapital abgesehen, nach § 32 II, III BörsG lediglich formal alle Börsenzulassungskriterien erfüllt. Die Bonität/Seriosität des Emittenten wird im Weiteren nicht geprüft, sodass der Umstand der Börsenzulassung durch die BaFin dafür auch nichts hergibt. Unabhängige Finanzprodukttestung, die auch die Bonität/Seriosität des Finanzproduktes zum Inhalt hat, ist deshalb ein wichtiger Bestandteil des Verbraucherschutzes. Förderlich für den Verbraucherschutz wäre darüber hinaus eine gesetzlich vorgesehene obligatorische Produktkennzeichnung durch eine seitens des Herausgebers des Produkts auszustellendes „Stammblatt“, das bestimmte, 467 468 469
Zu diesem Gedanken vgl. bereits Loritz, FS Stauder (2006), S. 245, 265. Dazu 2. Teil, 2. Kapitel, C V 2. f. ee. BGHZ 123, 126, 128.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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vom Gesetzgeber vorgegebene Eckdaten (Laufzeit, Anlageart, Verlustrisiko, etc.) enthalten muss, sodass sich der Anleger in transparenter Form an ihnen orientieren kann. Dabei muss es zur Kernaufgabe des Finanzvermittler und -beraters gehören, ein solches Stammblatt im Gespräch mit dem (privaten) Anleger auszuhändigen, da eine solche Produktkennzeichnung dem nicht-gegenständlichen Finanzprodukt nicht in anderer Weise „angeheftet“ werden kann. Ähnlich wie bei Verbraucherkrediten, für die derartig offenzulegende Kerndaten bereits jetzt vom EU-Gesetzgeber aufgrund der neuen Verbraucherkreditrichtlinie durch Benutzung eines einheitlichen Standardformulars festgeschrieben wurden, wäre eine solche (EU-weite) Regelung wünschenswert. ff. Selbstregulierung der Anbieter durch Verhaltenscodices Zu den marktkomplementären, weil in den Markt nicht durch gesetzliche Regulierung eingreifenden Mitteln gehört auch die Selbstregulierung der Anbieter durch private Normsetzung, so genannte Verhaltenscodices. Diese wird jedoch in Deutschland aus gutem Grund eher kritisch gesehen,470 da dadurch zum einen Kartelle befördert werden können, zum anderen aber die so geschaffenen Verhaltensmaßstäbe nur einen sehr begrenzten Geltungsbereich haben. Denn sie binden nur die, die sich binden lassen wollen, während Anbieter, die Nichtverbandsmitglieder der den Verhaltenscodex aufstellenden Vereinigung sind, sich nicht an sie zu halten brauchen oder sich über einen Verbandsaustritt jederzeit der Bindungswirkung entziehen können. Einen Schwachpunkt der Selbstregulierung stellt regelmäßig auch das unterentwickelte Sanktionsinstrumentarium dar, das für einen Verstoß angesetzt wird,471 jedenfalls solange es nur bei der bloßen (d.h. typischen) Abmahnung bleibt.472 Die Selbstregulierung der Anbieter ist in Aufgreifung dieser Einwände damit als ein denkbares Mittel zur Beförderung von Verbraucherschutz zu sehen, aber nicht als „Königsweg“ einzustufen, wobei entscheidend ist, dass die Selbstbindung nie so effektiv ist wie eine gesetzliche Vorgabe. Letztendlich läuft die Selbstregulierung der Anbieter in vielen Fällen nur auf ein Marketinginstrument heraus, mit dem eine (auch inhaltlich typischerweise weitergehende) gesetzliche Regelung verhindert werden soll.473 Deswegen stellt sie bei der Weiterentwicklung des Rechts in Umsetzung des Verbraucherschutzprinzips ein eher zu vernachlässigendes Instrument dar. 470 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 165 ff.; Blankenburg/Gottwald/Strempel, Alternativen in der Ziviljustiz (1982), S. 143; Tonner, Reiserecht in Europa (1992), S. 175; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 143 ff. 471 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 168. 472 Richardson/Morris, JCP 11 (1988), 315, 327. 473 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 169: „Maßstab für die Kontrolle sind die Eigeninteressen der Wirtschaft und nicht die des Konsumenten“; ähnlich Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 149.
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3. Teil: Rechtstheorie
b. Marktkompensatorische Verbraucherschutzmaßnahmen Quasi den Gegenpol zu der gerade beschriebenen Schaffung von Verbraucherschutzmechanismen durch die Marktbeteiligten allein oder mit Unterstützung des Staates, der sich dabei aber eher auf eine informelle oder rahmenregelnde Rolle am Markt beschränkt, bildet die verbindliche Regelung des zivilrechtlichen Verbraucher-Unternehmer-Verhältnisses in Form von gesetzlichen Regelungen, die die Freiheit der Vertragsgestaltung oder sogar die Vertragsabschlussfreiheit insgesamt beschränken. Der vorhandene Rechtsbestand an gesetzlichem Verbraucherrecht (gerade im Zivilrecht) legt mittlerweile ein beredtes Zeugnis dafür ab, dass ohne diese Form des Verbraucherschutzes, der sich auch über marktkompensatorische Mechanismen entfaltet, angesichts der beschränkten Wirkung der Gegenmachtbildung und der defizitären Selbstbeschränkung der Anbieterseite keine moderne Rechtsordnung mehr auskommen kann.474 Das dem geltenden Recht entnehmbare Verbraucherschutzprinzip läuft in seinem Beachtungsanspruch auf die Forderung hinaus, dass der Gesetzgeber diejenigen Normen bereitzustellen hat, die zur Sicherung der Privatautonomie des Verbrauchers gegen private Übergriffe/Übermacht geeignet und zumutbar sind, wobei der grundrechtlichen Vorgabe des Art. 2 I GG zur Sicherstellung eines deregulierten Kernbereiches privater Entscheidungsfreiheit stets abwägend Rechnung zu tragen ist. Der an den Gesetzgeber gerichtete Auftrag zur Berücksichtigung des bestehenden Prinzips aktualisiert sich vor allem, wenn neuartige Gefahren auftreten.475 Das Verbraucherschutzprinzip fordert wegen der aus ihm folgenden bloße Wertungstendenz, dass der Gesetzgeber, soweit notwendige Schutzvorkehrungen fehlen, diese insbesondere in Bezug auf aktuelle Gefährdungslagen schafft und, soweit die vorhandenen Regelungen den Anforderungen des Verbraucherschutzprinzips nicht entsprechen, diese zu ersetzen oder nachzubessern.476 aa. Bildung von neuen Schutznormen Mithilfe der Herausbildung von gesetzlichen Schutzvorkehrungen muss der Gesetzgeber – anknüpfend an den Umstand der prinzipiellen rollensoziologischen Disparität477 zwischen Verbrauchern und Unternehmern – auch in Zukunft danach trachten, Asymmetrien von besonderer Typik und Stärke (so ge-
474
Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 151. So ganz allgemein, ohne Berufung auf einen aus einem Prinzip folgenden Regelungsauftrag, sondern unter Heranziehung des grundgesetzlichen Schutzauftrages für die Grundrechte schon Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V (1992), § 111, S. 226 Rn. 153. 476 K. Simitis, Verbraucherschutz: Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976), S. 231. 477 Zu den Vertretern des rollensoziologischen Deutungsmodells des Verbraucherschutzrechtes vgl. die Ausführungen im 1. Teil, 2. Kapitel, B III 2. 475
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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nannte Alpha-Asymmetrien),478 wie sie im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis vorliegen, aufzugreifen und den aus ihnen folgenden negativen Ergebnissen für die Vertragsfreiheit entgegenzuwirken. Wo und wann der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der jede Schutzregelung „anschiebenden“ rollensoziologischen Disparität genau mit Gegenmaßnahmen ansetzt, obliegt seiner Einschätzungsprärogative,479 die zum einen das Postulat der Effektivität des Rechtes im Auge behalten muss (zu viele Differenzierungen machen es zu schwerfällig).480 Zum anderen hat die gesetzgeberische Entscheidung aber auch in Ansatz zu bringen, dass die gemäß Art. 2 I GG zu gewährende Vertrags- und Handlungsfreiheit gegenüber jedermann sicherzustellen ist. Der vom Gesetzgeber einzufordernde Regelungsauftrag zum Schutz des Verbrauchers richtet sich deshalb i.S.d. Gewährleistung materialer Vertragsfreiheit/ Vertragsgerechtigkeit (gemäß Art. 2 I GG) darauf, zu überprüfen, ob und wann in einem bestimmten, ggf. neu auftauchenden Regelungsfeld in ähnlicher Weise wie bereits bei bestehenden Vorschriften neben dem den „Kontrolllauf“ anschiebenden rollensoziologisch angelegten Grunddisparitäten auch noch situative bzw. vertragsspezifische Risiken von solchem Ausmaß hinzutreten, dass die „Interventionsschwelle“, an die er mit konkreten Gegenmaßnahmen anzuknüpfen hat, erreicht ist, um neue Regelungen zu kreieren. (1.) Einführung einer Gefährdungshaftung für selbständige Dienstleister Ein Beispiel für das notwendige Aufgreifen einer besonderen Gefährdungslage im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis, die durch den Gesetzgeber bisher noch nicht „bedacht“ wurde, könnte die Einführung einer harmonisierten Gefährdungshaftung oder einer Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr für selbständige Dienstleister innerhalb der EU sein, die schon lange in Parallele zur Haftung nach dem ProdHaftG gefordert481 wird und bzgl. derer auch kein Grund ersichtlich ist, den freien Dienstleistungserbringer (etwa den Arzt) im deliktischen Haftungsbereich gegenüber dem Produkthersteller zu privilegieren.482 478
Vgl. dazu meine Ausführungen im 3. Teil unter C III 2. Zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers vgl. BVerfGE 56, 80 f.; 77, 170, 214 f.; 77, 381, 405. 480 So schon zutreffend Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 324. 481 BaRoth/Fuchs (2003), § 611 Rn. 49; Hirte, Berufshaftung (1996), S. 222; Frietsch, PHI 1997, 24 ff.; Hakenberg, MedR 2000, 55 ff.; dies., AnwBl 1997, 56 ff.; zu einem Länderbericht vgl. Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Haftung der Dienstleistungsberufe. Natürliche Vielfalt und europäische Vereinheitlichung (1991); grundlegend zur Dienstleistungshaftung i.Ü. Mäsch, Chance und Schaden: Zur Dienstleistungshaftung bei unaufklärbaren Kausalverläufen (2004); Poll, Die Haftung der freien Berufe (1994), S. 164 ff.; kritisch zur EU-weit einheitlichen Dienstleistungshaftung Schalast/Voigtländer-Tetzner, VersR 1994, 1266 ff. (dort mit Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip, das für die Gemeinschaft gilt); Schalast, AnwBl 1995, 27 ff. 482 Vgl. dazu meine Ausführungen zur Schlussbetrachtung der Produkthaftung im 2. Teil, 2. Kapitel, D V 2 d. 479
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3. Teil: Rechtstheorie
Im Abschnitt zur Produkthaftung wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Kommission im Jahr 1990 versucht hatte, parallel zur Haftung des Produktherstellers eine Haftung des Dienstleisters zu etablieren; sie arbeitete hierzu einen auf Art. 100a EGV a.F. gestützten Richtlinienvorschlag aus.483 Da dieser jedoch auf erheblichen Widerstand in den Mitgliedstaaten stieß (der dort von entsprechenden Lobbykreisen ausging), musste die Kommission diesen auf Empfehlung des Rates zurückziehen.484 In der Literatur wird jedoch zutreffend davon ausgegangen, dass die Frage der Harmonisierung der Dienstleistungshaftung innerhalb der EU eines Tages wieder „auf die Tagesordnung kommt“, dies schon deshalb, weil „angesichts der Bedeutung des Dienstleistungssektors eine […] Richtlinie ebenso erforderlich ist wie auf dem Gebiet der Produkthaftung“.485 Dem ist beizupflichten. (2.) Zumindest: gesetzliche Regelung für den Bereich der Arzthaftung Sollte eine neue, umfassende Regelung der Dienstleistungshaftung auf europäischer Ebene nicht möglich bzw. politisch opportun sein, würde es sich jedenfalls in Deutschland aus Gründen der notwendig herzustellenden Rechtstransparenz486 anbieten, dem von der Rechtsprechung umfassend aufbereiteten Bereich der Arzthaftung (wie es bereits vorgeschlagen wurde487) ein feststehendes, legislativ abgesichertes Gewand zu geben. Dabei ist es m.E. derzeit nicht zwingend, für eine Abkehr von den bisher erarbeiteten Grundsätzen der Verschuldenshaftung zu plädieren und die Einführung einer Garantiehaftung488 für den 483
ABl.EG Nr. C 12/8 v. 18.1.1991. KOM (1994), 260 endg. 485 BaRoth/Fuchs (2003), § 611 Rn. 49; ebenso Hirte, Berufshaftung (1996), S. 222 ff. 486 Siehe zur herausragenden Bedeutung des Transparenzprinzips im Verbraucherschutz die Ausführungen im 2. Teil, 1. Kapitel, B I 1. 487 Instruktiv ist diesbezüglich das umfangreiche Gutachten zur Notwendigkeit einer autonomen gesetzlichen Regelung der Arzthaftung, das bereits 1981 von Deutsch/Geiger (Deutsch/Geiger, Medizinischer Behandlungsvertrag, in: Bundesministerium der Justiz [Hrsg.], Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II [1981], S. 1049 ff.) vorgelegt wurde. Die beiden Autoren schlugen vor, im Rahmen der Schuldrechtsreform einen eigenständigen Vertragstyp des ärztlichen Behandlungsvertrages mit wenigen Paragraphen ins BGB aufzunehmen. Sie meinten (zutreffend), es sei angesichts der Wichtigkeit der Beziehung und wegen des gestiegenen Informationsbedürfnisses der Beteiligten angebracht, das Arzt-Patienten-Verhältnis besonders zu regeln. In einem weiteren Sinne würde damit auch der Notwendigkeit entsprochen, das besondere Schuldrecht im BGB weiter zu materialisieren. Dies ist notwendig, weil die §§ 611 ff. BGB zu abstrakt und formal gestaltet sind, als dass sich daraus hinreichende Anhaltspunkte für die gegenseitigen Pflichten in diesem speziellen Verhältnis ableiten könnten, vgl. dazu bereits Tamm, in: Tonner/ Willingmann/Tamm (Hrsg.), Vertragsrecht. Kommentar (2010), Anhang II zu § 611 ff. BGB Rn. 5. 488 Im Hinblick auf die Garantiehaftung wird häufig auf das schwedische Modell der Arzthaftung Bezug genommen, das seit 1975 Bestand hat. Durch dieses System werden über die Berufshaftpflicht des Arztes alle Schäden abgedeckt, die bei einer Behandlung des Patienten eintreten, nicht nur solche, die „verschuldet“ herbeigeführt wurden, vgl. dazu Hei484
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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ärztlichen Behandlungsvertrag zu fordern, jedenfalls dann nicht, wenn auf der Ebene der Beweislast, wie bisher praktiziert, eine Umkehr derselben vorgenommen wird und somit die Verschuldenshaftung im Arztvertrag „funktional“ dem Schutzniveau der Garantiehaftung schon sehr nahe kommt. Es geht m.a.W. jenseits der generell zu erwägenden (umfassenden) Dienstleistungshaftung in der EU in einem Mindestmodell der Dienstleistungshaftung in Deutschland darum, die Rechtsprechung des BGH zur Arzthaftung zugunsten des Verbrauchers/Patienten überhaupt erst einmal legislativ aufzubereiten. bb. Überarbeitung „alter“ (Schutz-)Normen Da sich das wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Umfeld ständig ändert und weil Recht, das dieses Umfeld gestalten will, diese Wandlungen aufgreifen muss, ist der Gesetzgeber nicht nur für den Bereich des Verbraucherschutzes, aber besonders in diesem sehr schnelllebigen, dynamischen Bereich i.Ü. gehalten, das bestehende Schutzniveau, d.h. den geltenden Normenbestand, ständig zu evaluieren. Er kann und darf sich auf einem einmal „installierten“ Normenbestand nicht ausruhen. So ist er vor dem Hintergrund des bereits jetzt dem Zivilrecht unterlegten Verbraucherschutzprinzips verpflichtet zu kontrollieren, ob nicht vielleicht Vorschriften, die zur Zeit ihres Erlasses noch „ausreichend“ waren, sich bei Änderungen der Umstände nicht bereits als unzulänglich erwiesen haben. Es geht hier darum, bisher unbekannte Gefahren, wie sie etwa die technische Entwicklung mit sich bringt, bei einem Wandel der gesellschaftlichen Sensibilität und der Standards von Sozialadäquanz und Zumutbarkeit nicht nur bei der Schaffung für notwendig befundener neuer Normen ausreichend zu berücksichtigen, sondern auch alte Normenbestände zu modernisieren. (1.) Überarbeitung des Verbraucherrechts auf europäischer Ebene Ein lebendiges Beispiel für das Aufgreifen dieses Gedankens bieten die vielen Grünbücher der Kommission, die den vorhandenen Rechtsbestand im Verbraucherschutz auf die Effektivität der Schutznormen hin ständig analysieren und diesbezüglich nach ausreichender Konsultation der Ergebnisse aus der Wissenschaft und Praxis die Überarbeitung „alter“ Richtlinien in die Wege leiten oder gar neue Bereiche erstmals als Regelungsfelder belegen. Der derzeit von der EU-Kommission auf Grund der letzten Grünbuchvorgaben ausgearbeitete „Entwurf einer Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“489 ist jedoch jenseits des grundsätzlich positiven Bestrebens um mehr Kohärenz (etwa bzgl. der Evalua-
dermann, in: Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht. Grundlagen und Praxis (2. Aufl., 2001), Rn. 389. Zur gleichfalls verschuldensunabhängigen Einstandspflicht für Gesundheitsschäden in der DDR vgl. Grambow, Die Haftung bei Gesundheitsschäden infolge medizinischer Betreuung in der DDR (1997). 489 KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008.
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3. Teil: Rechtstheorie
tion der Informationspflichten zugunsten des Verbrauchers490 und der einheitlichen Regelung des Widerrufsrechts) im Bereich des Verbraucherschutzes in vielerlei Hinsicht kritisch zu sehen. (a.) Verbrauchsgüterkauf Zum einen schon deshalb, weil der Vorschlag den Vollharmonisierungsansatz verfolgt, zum anderen aber auch, weil der derzeit bestehende Verbraucherschutzstandard durch ihn eine Absenkung erfährt.491 So erwägt die EU-Kommission in dem darin vorgestellten Konzept zur Überarbeitung des europäischen Verbrauchersekundärrechts etwa im Rahmen der geplanten Änderung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie das Wahlrecht des Käufers bzgl. der beiden Formen der Nacherfüllung in ein Wahlrecht des Verkäufers umzugestalten (Kapitel IV Art. 26 Nr. 2) und eine generelle unverzügliche Rügeobliegenheit für den Käufer bei Mängeln einzuführen (Kapitel IV Art. 28 Nr. 4). I.Ü. sind die Vorschriften über den Unternehmerregress in dem Richtlinienvorschlag nicht mehr enthalten. (b.) Widerrufs- und AGB-Recht Materiell-rechtliche Einschnitte in den verbraucherrechtlichen Schutzstandard werden zudem bzgl. der Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechtes (im Richtlinienvorschlag stehen dazu Vorschriften im Kapitel III Art. 12 ff.)492 und im AGB-Recht (im Richtlinienvorschlag vgl. dazu die Regelungen in Kapitel V Art. 30 ff.)493 die Folge der Vollharmonisierungsbestrebungen der Gemeinschaft sein. Negativ bemerkbar macht sich der neue Ansatz der EU-Kommission bei der Überarbeitung des verbraucherrechtlichen Besitzstandes bereits im Zusammenhang mit der abgeschlossenen Revision der neuen Verbraucherkreditrichtlinie.494 (c.) Widerstand gegen die Vollharmonisierung mit abgesenktem Schutzniveau Damit das dem deutschen Recht bereits immanente Verbraucherschutzprinzip, das sich gerade auch über die Vorgaben der Gemeinschaft in den anderen Mitgliedstaaten mittlerweile als integraler Bestandteil des Zivilrechts etabliert haben dürfte, eine kohärente Weiterentwicklung erfährt, müssten sich Politik, Gesetzgebung und Wissenschaft in Bezug auf die (sich abzeichnenden) Änderungen im Gemeinschaftssekundärrecht einbringen. Es wäre in Anbetracht des Verbrau-
490
Dazu Nordhausen Scholes, in: Howells/Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law (2009), S. 213, 218. 491 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel, E V 1. 492 Dazu 1. Teil, 7. Kapitel E V 1 c cc; 2. Teil, 1. Kapitel B II 6; instruktiv Schinkels, JZ 2009, 774 ff. 493 Siehe dazu 1. Teil, 7. Kapitel, E V 1 c cc sowie im 2. Teil, 2. Kapitel, B II 3. Individualklageklauseln wären danach einer Kontrolle unzugänglich, die Auffangkontrolle nach §§ 138, 242 BGB wegen des Vollharmonisierungsansatzes wohl versperrt; vgl. dazu Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279, 286. 494 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 7. Kapitel, E V 1 c bb.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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cherschutzprinzips darauf zu dringen, dass der bereits erreichte Schutzstandard der Gemeinschaft nicht abgesenkt werden darf. Insofern ist auch der derzeitige Vollharmonisierungsansatz der Gemeinschaft, der – wie im 1. Teil gezeigt – zu einer Herabsetzung des verbraucherrechtlichen Schutzniveaus führt, abzulehnen. In Übereinstimmung mit dem verbraucherrechtlichen Schutzprinzip, das auch im Gemeinschaftsprimärrecht eine Verankerung erfahren hat (vgl. dazu Art. 169, 114, 12, 4 II lit. f) AEUV) und das es auszugestalten gilt, wäre der acquis communautaire auf der Basis des bisherigen Mindeststandardprinzips Schritt für Schritt unter Einbindung der verbraucherrechtlich überschießenden Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten bereichsspezifisch fortzuentwickeln,495 wobei gegen eine peu á peu vorangetriebene formale und inhaltliche Stringenz (etwa bei der einheitlichen Regelung der Modalitäten der Ausübung des Verbraucherwiderrufs und der Konsolidierung der Informationspflichten) auf einem hohen verbraucherrechtlichen Schutzniveau schon aus Transparenzgesichtspunkten und Grundsätzen der Orientierungssicherheit keine Bedenken erhoben werden könnten.496 (d.) Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie de lege ferenda In dem damit aufgezeigten konzeptionellen „Revisionsrahmen“ wäre in der Zukunft unter Abwägung der unternehmerischen Interessen an der Herstellung eines einheitlichen Binnenmarktes selbst ein „Mehr“ an Verbraucherschutz in einzelnen Bereichen zu befürworten, weil marktförderlich und marktschützend. So wäre bei der Überarbeitung des verbraucherrechtlichen Besitzstandes an die bisher gescheiterte (echte) Einführung des Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe für das Verbraucherdarlehensrecht zu denken.497 Dieses würde nicht nur das Interesse der Verbraucher fördern, sondern auch das Interesse der Bankwirtschaft an der Minimierung des Kreditausfallrisikos aufgreifen, das bei einheitlichen Rahmenbedingungen auch keine Wettbewerbsverzerrungen in der Gemeinschaft produziert und global betrachtet das Vertrauen in den europäischen Finanzmarkt stärkt. (e.) Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie de lege ferenda Zu denken wäre aber auch an eine Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie, um vorhandene Schutzlücken im Verbraucherdeliktsrecht zu schließen, wobei es bzgl. der Produkthaftungsrichtlinie um ein Fallenlassen der Selbstbeteiligung bei Sachschäden und der Kappungsgrenze für Personenschäden gehen muss.498
495
Siehe dazu im 1. Teil, 8. Kapitel, B. Zum derzeit noch verhaltenen Widerstand der Mitgliedstaaten, vgl. 1. Teil, 7. Kapitel, E V 1 c bb. 497 Siehe dazu bereits meine Ausführungen im 2. Teil, 2. Kapitel, C III 5 e bb. 498 2. Teil, 2. Kapitel, D V 2 d. 496
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3. Teil: Rechtstheorie
(f.) Überarbeitung der Pauschalreiserichtlinie de lege ferenda Einer dringenden Überarbeitung auf Gemeinschaftsebene bedürfte i.Ü. die 20 Jahre alte Pauschalreiserichtlinie, bzgl. derer die Einbindung des Problemkreises des „dynamic packaging“499 zu fordern wäre. Möglich wäre dies etwa über eine Umstellung der Richtlinie, die auf breiteren Füßen stehend in eine Gesamtrichtlinie über touristische Dienstleistungen500 einzubringen wäre.501 Im Zusammenhang mit der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches der Richtlinie wäre es zugleich erwägenswert, ob nicht die Herausnahme der touristischen Dienstleistungen aus dem Anwendungsbereich der fernabsatzrechtlichen Vorschriften (vgl. § 312b III Nr. 6 BGB) als verfehlt angesehen werden muss und diese Ausnahme zu streichen ist. Die Gründe dafür wurden bereits dargetan. 502 (g.) Überarbeitung der Informationspflichten: aktueller Prozess und zukünftige Anforderungen Jenseits der bereits aufgezeigten Regelungsfelder ist es – wie es bereits angedeutet wurde – notwendig, die Regelungen zu den (vor-)vertraglichen Informationspflichten des Unternehmers im Verbraucherrecht kohärenter auszugestalten. Die Regelungstendenz muss stärker als bisher dem Sinn und Zweck der Informationsvergabe entsprechen, die den Verbraucher (aber auch den Unternehmer) nicht überfordern darf, sodass die Regelungsvorgaben zu den Informationen künftig mehr als bisher auf Dosierung, Ordnung und die Verständlichkeit der verwendeten Sprache zugeschnitten sein müssen. Hierzu wären verstärkt (gerade auch auf europäischer Ebene) die Erkenntnisse der Sozialwissenschaft bzgl. der Verarbeitung von Informationen einzubeziehen. Ansätze dazu sind bereits jetzt in dem neuen „Vorschlag einer Richtlinie über die Rechte der Verbraucher“ deutlich geworden (vgl. dazu die Regelungen in Kapitel II Art. 5 ff. des Richtlinienvorschlags),503 der jedenfalls in diesem Punkt der notwendigen Konsolidierung das Verbraucherrecht positiv vorantreibt. (2.) Überarbeitung des Verbraucherrechts auf deutscher Ebene Ein Nachjustieren von verbraucherrechtlichen Bestimmungen erwiese sich in Anbetracht des verbraucherrechtlichen Schutzgedankens aber auch in anderen Bereichen als sinnvoll. 499
Vgl. dazu Palandt/Sprau (68. Aufl., 2009), § 651a Rn. 1; Führich, RRa 2006, 194; Tonner/D. Schulz, RRa 2007, 50; grundlegend D. Schulz, E-Commerce im Tourismus. Die rechtliche Einordnung von Reiseportalen in das Haftungssystem des deutschen Reiserechts (2010). 500 Dafür auch MüKo/Tonner (5. Aufl., 2009), Vor § 651a Rn. 90. 501 So schon im 2. Teil, 2. Kapitel, C IV 6 a. 502 2. Teil, 2. Kapitel, B I 2 e bb (4) (b); dafür ebenfalls plädierend Micklitz, VuR 1993, 129, 133; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005), S. 66. 503 Vgl. dazu Art. 5 des Vorschlags einer Richtlinie über die Rechte der Verbraucher, KOM (2008), 614 endg. v. 8.10.2008.
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(a.) Überarbeitung des AGB-Rechts Im AGB-Recht wäre etwa zu überlegen, ob nicht § 309 Nr. 9 lit. a und lit. b BGB einer Überarbeitung bedürfte. Durch § 309 Nr. 9 BGB werden derzeit AGB verboten, durch welche bei einem Vertragsverhältnis, das die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen zum Gegenstand hat, eine Laufzeit von mehr als zwei Jahren oder die stillschweigende Verlängerung des Vertrages um mehr als ein Jahr vorgesehen wird. In der verbraucherrechtlichen Literatur wird schon seit einiger Zeit bemängelt, dass diese Vorgaben unbefriedigend, weil zu undifferenziert, sind. Denn während eine an die Zweijahresgrenze heranreichende Bindungsfrist bei Unterrichts- oder Wartungsverträgen regelmäßig ohne Weiteres als den Interessen beider Seiten Rechnung tragende angemessene Vertragsgestaltung anzusehen ist,504 erscheint diese Frist für Ehemaklerverträge, Verträge mit Fitness-505 oder Nageldesignstudios sowie Zeitschriftenabonnements506 grundsätzlich als erheblich zu lang.507 Zwar ist im Einzelfall eine Korrektur der Laufzeitbestimmung über § 307 BGB möglich,508 die Rechtsprechung verfährt mit dieser Einschränkung aber sehr restriktiv, denn sie befürwortet eine Herabsetzung der Zwei-Jahre-Regelfrist einschränkend nur bei Vorliegen besonderer, im jeweiligen Vertragsverhältnis wurzelnder Gründe,509 was im Regel-Ausnahme-Verhältnis der Vorschriften seinen Grund findet, jedoch verbraucherpolitisch als nicht sachgerecht erscheint. (b). Notwendigkeit einer Regelung zu Vertragsfallen im Internet Noch keine umfassend befriedigende Lösung hat der Gesetzgeber für Vertragsfallen im Internet gefunden. Phänotypisch für die Situation ist, dass der Verbraucher mit einem vorgeblich kostenfreien Angebot geködert wird (z.B. durch das Versprechen kostenlosen SMS-Versands, der Teilnahme an Gewinnspielen, Probenutzungen, kostenlosen IQ-Tests etc.) und dabei, weil eine entsprechende Ausweisung des Preises versteckt platziert wurde, unbewusst ein Abonnement oder eine andere Leistung „mitbucht“.510 In Ermangelung einer spezialgesetzlichen Lösung, derer es dringend bedarf, haben die Gerichte in diesen Fällen z.T. eine überraschende Klausel gemäß § 305c BGB angenommen.511 504 Christensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 309 Nr. 9 BGB Rn. 12, 15. 505 BGH NJW 1997, 737. 506 BGHZ 100, 373 ff.; ähnlich OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 957 für Buchgemeinschaft. 507 Christensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 309 Nr. 9 BGB Rn. 12, 15; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 329. 508 Christensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht (10. Aufl., 2006), § 309 Nr. 9 BGB Rn. 12, 15. 509 BGHZ 90, 280; BGH NJW 1985, 2585; so auch OLG Hamm MDR 2002, 750. 510 Brönneke, Widerrufsrecht und Belehrungspflichten (2009), S. 76 ff. 511 AG München I v. 16.1.2007, Az. 161 C 2395/06; AG Hamm v. 26.3.2008, Az. 17 C 62/09.
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3. Teil: Rechtstheorie
Problematisch daran ist, dass es sich bei bezahlten Dienstleistungen um Hauptleistungen handelt, für die nach § 612 I BGB das Entgelt als stillschweigend vereinbaret gilt. Anzusetzen wäre daher auch wohl eher daran, dass es bei einem derart getäuschten Kunden häufig schon am Rechtsbindungswillen fehlt (was auch äußerlich erkennbar ist), sodass keine verbindliche Willenserklärung abgegeben wurde. Wenngleich neben dieser „Lösungsmöglichkeit“ auch die Option einer Vertragslösung wegen arglistiger Täuschung mittels Anfechtung nach §§ 142, 123 BGB) in Betracht kommt oder ein Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschlusses (§§ 280 I, 311 BGB) den Anspruch auf Naturalrestitution nach §§ 249 ff. BGB eröffnet, bleibt doch zu wünschen, dass der Gesetzgeber gegen diese Form des Kundenfanges eine ausdrückliche gesetzliche Regelung verabschiedet. (c.) Einsatz für die Herausbildung eines umfassenderen Verbraucherprozessrechts Bei der Weiterentwicklung des materiellen Verbraucherrechtes ist zu berücksichtigen, dass Politik und Gesetzgebung dem Gebot nach Sicherstellung eines ausreichenden Schutzes des Verbrauchers nicht schon durch den bloßen Erlass und das substanzielle Nachjustieren von bereits vorhandenen Schutznormen entsprechen. Sie müssen überdies für ihre praktische Umsetzung bzw. Beachtung der Regelungsvorgaben sorgen. Diesbezüglich gilt es nicht nur, geeignete Sanktionen512 bei Verletzung verbraucherrechtlicher Positionen zu statuieren. Einer Fortentwicklung bedarf in diesem Zusammenhang insbesondere das dem derzeitigen Entwicklungsstand des materiell-rechtlichen Verbraucherrechts noch nicht genügend entsprechende Prozessrecht. Zugangs- und Erfolgsbarrieren, die zu Lasten des Verbrauchers in diesem Bereich noch in zu starkem Maße bestehen,513 gilt es weiter abzubauen. (aa.) Verbrauchergruppenklage. Eines von mehreren denkbaren Instrumenten ist die Befürwortung und Einführung einer Verbrauchergruppenklage über die Gemeinschaft, für die hier nachhaltig plädiert wurde, wenngleich die genauen Modalitäten noch auszuloten sind, um das notwendige Maß an Rechtssicherheit und Effektivität, aber auch das Gebot des rechtlichen Gehörs abzusichern. 514 (bb.) Umgestaltung des Mahnverfahrens. Innovativ wäre m.E. überdies das Eingreifen des Gesetzgebers bei der missbräuchlichen Verwendung des Mahnverfahrens zu Lasten von Verbrauchern. Andenkenswert wäre es hier, dass Verbrau512 Die Einsetzung geeigneter Mittel zur Sicherstellung des Normanspruchs folgt aus dem Effektivitätsgebot staatlicher Normsetzung. Gesetzte Regelungen müssen damit beachtet und zur Absicherung genügend „Anreize“ und „Abschreckungen“ bereitgestellt werden. 513 Vgl. dazu 2. Teil, 3. Kapitel, B II 1, 2. 514 2. Teil, 3. Kapitel, B III 4.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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cherverbände in den Situationen, in denen sie Unterlassungsverfügungen u.ä. gegen unseriöse „Betreibungsunternehmen“ durchgesetzt haben, die bei ihnen vorliegende (stets zu aktualisierende) „schwarze Liste“ an die Amtsgerichte, die die Mahnverfahren betreiben, weiterreichen müssen. Der Gesetzgeber könnte insofern eine Passage in § 688 II ZPO einfügen, nach der Mahnbescheide nicht für geltend gemachte Forderungen solcher Unternehmen erlassen werden dürfen, die denen auf der „schwarzen Liste“ mit Namen des Unternehmens/Forderungsgegenstands entsprechen und insoweit „(global) inkriminiert sind“. 515 In jedem Fall erstrebenswert wäre i.Ü. auch eine Evaluation des Mahnbescheidtextes, die dazu führen muss, dass die verwendeten Texte stärker als bisher auf den Sprach- und Verständnishorizont des durchschnittlichen Bürgers/Verbrauchers zugeschnitten sind.516 Damit wären diejenigen Instrumente aufgeführt, die in der Wertungstendenz des herausgearbeiteten Verbraucherschutzprinzips liegen, ohne dieses unausgewogen zu verabsolutieren. 6. Schlusswort Abschließen soll diese Arbeit mit einem Schlusswort, in dem ich herausstellen möchte, dass mit der Abhandlung versucht wurde, dem Juristen bzw. rechtlich Interessierten das Gebiet des zivilrechtlichen Verbraucherschutzrechtes in all seinem thematischen Facettenreichtum, seiner Praxisrelevanz, seinem dogmatischen Tiefgang, seiner Tendenz zur Systembildung und seinem Anspruch zur Beeinflussung von Politik, Gesetzgebung und Jurisprudenz näher zu bringen. Es war mir wichtig, neben dem aktuellen Sachstand und den Tendenzen bei der Fortentwicklung des Rechtes auch die grundlegenden Interessenkonflikte aufzuzeigen, die bei der Bewältigung des Themas „Verbraucherschutz“ auf europäischer und deutscher Ebene eine Rolle spielen. Denn sie bilden die Grundlage für das durch Politik, Gesetzgebung und Jurisprudenz beförderte Konglomerat von verbraucherrechtlichen Vorschriften, die das (deutsche) Zivilrecht mittlerweile breitflächig durchziehen, indem sie in den vielfältigen Bereichen, in denen sich Verbraucher und Unternehmer gegenüberstehen,517 nach einem angemessenen Ausgleich der gegensätzlichen Interessen suchen. Der nicht nur, aber auch über das Zivilrecht forcierte Ausgleich zwischen Anbieter- und Verbraucherinteressen führt letztlich zurück auf das stete Bestreben des Rechts, den der Rechtsidee immanenten Gedanken der „Gerech515
2. Teil, 3. Kapitel, B III 7 b. Zu den derzeitigen Sprach- und Verständnisbarrieren vgl. 2. Teil, 3. Kapitel, B III 7 a. 517 Zum sich gerade auch im Verbraucherrecht stark widerspiegelnden Grundproblem des Hin- und Her-Gerissenseins des Zivilrecht zwischen normativistischen Ansätzen, die stets in Gefahr geraten, den Kontakt mit der gesellschaftlichen Realität zu verlieren und den objektivistischen Ansätzen, die diesen Kontakt zwar herstellen, aber häufig dem normativen Postulat völlig entrückt sind, siehe Habermas, Faktizität und Geltung (1997), der m.E. richtig für die Zusammenführung beider Ebenen eintritt. 516
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3. Teil: Rechtstheorie
tigkeit“ stärker als bisher in das Privatrechtsverhältnis zu transportieren, und zwar ohne die Entscheidungsfreiheit der Rechtssubjekte mehr als nötig einzuengen. Im Sinne des so verstandenen modernen Zivilrechts ist es gemäß einem alten Ausspruch „zwischen den Starken und den Schwachen die (ungebändigte) Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit“. 518 Das „befreiende Gesetz“ ist dasjenige, das sich in Gestalt der „Materialisierung des Rechtes“519 zeigt. Die hier an vielen Stellen aufgegriffene in der Gesetzgebung, aber auch in der Rechtsprechung auszumachende Tendenz in der Rechtsentwicklung,520 die gerade auch das Verbraucherrecht „trägt“, ist darauf ausgerichtet, insbesondere den Vertragsschluss auf den Sinn und Zweck der vertraglichen Bindungsfreiheit, nämlich die Herbeiführung eines angemessenen Interessenausgleiches, zurückzuführen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass strukturell angelegte, faktische Ungleichgewichte (wie sie im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis typischerweise auftreten) unter den Marktteilnehmern als „Bedrohung“ des gerechten/angemessenen Interessenausgleiches aufzufassen sind, weil sie seine Funktionsbedingung in Frage stellen. Soll das nicht geschehen, bedarf es zwischen der Forderung nach Freiheit und derjenigen nach Gerechtigkeit eines regulierenden Ausgleichs, der auf die Herstellung eines Zustandes optimaler Entfaltung beider Postulate gerichtet ist. Die damit angesprochene Notwendigkeit der Herstellung der praktischen Konkordanz ist nur in einem Prozess der gegenseitigen normativen Ausbalancierung zu erreichen. Sich diesem Ziel zu verschreiben, sich stetig auf die Suche 518 Der Spruch lautet im Original: „Entre le faible et le fort c’est la liberté qui opprime et c’est la loi qui libére. Er wird Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) zugeschrieben, und zwar seinem Werk „Vom Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechts“ (Übersetzung, 1986). Der Satz findet sich so nicht ausdrücklich in diesem Werk, greift aber seinen Geist auf. Später wurde der Gedanke von Henri Lacordaire erneut formuliert, der sagte: „Sachent donc ceux qui l’ ignorent, sachent les ennemis de Dieu et du gere humain, quelque nom qu’ ils prennent, qu’ entre le fort et le faible, entre le riche et le pauvre, entre le maître et le serviteure, c’est la liberté qui opprime, et la loi qui affranchit“ (aus: Übersetzungen aus den Conferérences von Pater Henri-Dominique Lacordaire: Conférences de Notre-Dame de Paris 1846–1848, herausgegeben: Paris 1872, zweiundfünfzigste Rede, gehalten 1848, von der „Doppelten Arbeit des Menschen“, S. 471, 494). 519 Zur Materialisierungstendenz im Privatrecht siehe etwa Auer, Materialisierung, Flexibilisierung und Richterfreiheit (2005), S. 23 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277; Kramer, Die Krise des liberalen Vertragsdenkens (1974), S. 20 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht (1996), S. 63; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 498 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 7, 208 f., 266; Hönn, FS Kraft (1998), S. 251, 259; ders., Kompensation gestörter Vertragsparität (1982); Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995), S. 33 f., 39 f.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970). 520 Siehe zu den Materialisierungstendenzen die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel A VII 1.
C. Die Verhaftung des Verbraucherschutzprinzips
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nach dem „richtigen Maß“ zu begeben und dieses im weiteren mit einer entsprechenden Begründung zu definieren, in dem die Interventionsschwelle und die anzuwendenden Mittel als Steuerungsinstrumente festgelegt werden, gehört zu den vornehmsten Aufgaben von Politik, Gesetzgebung und Rechtsprechung. Wenngleich die Rechtsprechung hierbei oft eine Vorreiterrolle übernimmt, indem Präjudizien herausgearbeitet und Fallgruppen gebildet werden,521 ist vor dem Hintergrund der dem Demokratieprinzip entspringenden Forderung, dass wesentliche Fragen durch den Gesetzgeber entscheiden werden müssen, doch zu fordern, dass die Herbeiführung des „richtigen Abwägungsergebnisses“ bei einer breitenwirksamen Problemlage primär durch die Legislative bewirkt wird.522 Denn nur die demokratisch legitimierte Mehrheitsentscheidung lässt auch Rückschlüsse auf die Stimmigkeit des gefundenen Resultats zu, indem sie sicherstellt, dass in ihm nicht nur Sonderinteressen, sondern Gemeinwohlaspekte zum Ausdruck kommen.523 Aus der zu fordernden demokratischen Rückkopplung folgt zugleich, dass sich Abwägungsergebnisse ändern können, 524 nachdem ihre Geltungskraft in Bezug auf die jeweiligen Umfeldbedingungen ggf. erneut evaluiert wurden und dass dies zu akzeptieren ist, 525 auch deshalb, weil nur der mit der demokratischen Grundentscheidung verbundene Prozess der Reflektion und Anpassung des Rechts sicherstellt,526 dass das Recht trotz der ihm eigentümlichen (der 521
Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Teil, 5. Kapitel A VII 2. Zur Einschätzungsprärogative der Legislative vgl. die Darstellung im 1. Teil, 6. Kapitel E III 3. 523 Dazu Rollecke, in: Umbach/Clemens, GG, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 20 Rn. 151. 524 Döhring, Die gesellschaftlichen Grundlagen der juristischen Entscheidung (1977), S. 153 ff. Esser spricht vom „Opfer der Ideale der Rechtssicherheit für die Interessen sozialer Evolution“, vgl. dazu Esser, Grundsatz und Norm (4. Aufl., 1990), S. 26. 525 Die Erweiterung der Systemautonomie (Macht zur Variation/Fortentwicklung) ist von der Entfaltung der Produktivkräfte und der Veränderung daran anknüpfender normativer Strukturen (Richtigkeit/Angemessenheit rechtlicher Regelungsmodelle) abhängig, vgl. dazu Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 22. Ein und dieselbe Systemveränderung kann dabei als Lernprozess und Wandel (notwendige Evolution des Rechts) als auch als Auflösungsprozess und Systemzusammenbruch begriffen werden. Gegen die Deutung jeder Veränderung als (zu vermeidenden) Systembruch spricht aber, dass es in jeder Gesellschaft einen Toleranzbereich gibt/geben muss, in dem die Sollwerte eines (Rechts-)Systems schwanken können, ohne dass es gleich bestandskritisch gefährdet wird und seine Identität verliert. Ansonsten wäre – was der Gesellschaft abträglich wäre – eine Entwicklung innerhalb des Systems nicht möglich, dazu Habermas, ebenda, S. 12. 526 So auch Rollecke, in: Umbach/Clemens, GG, Mitarbeiterkommentar, Bd. I (2002), Art. 20 Rn. 155, wonach sich in der Demokratie die tatsächliche Freiheit des Einzelnen mit Recht und Politik zur normativen Entscheidung verbindet, die in Gesetzen ausgedrückt auch die notwendige Anpassung des Rechts an geänderte gesellschaftliche Gegebenheiten sicherstellt. 522
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Rechtssicherheit geschuldeten) „Beharrungstendenz“ 527 mit der gesellschaftlichen Entwicklung, d.h. mit den geänderten Gefahrenlagen und Anschauungen – für jedermann transparent – Schritt halten kann.528 Das Verbraucherschutzrecht spiegelt die Änderungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfelds besonders deutlich wider, weil es ein Rechtsbereich ist, der sich rasanter als manch ein anderer entwickelt. Sein Anwachsen, seine Tendenz zur Systembildung und die Notwendigkeit der Abstimmung mit anderen Gebieten kennzeichnet aber letztlich das, was jedem Regelungscluster, dem eine bestimmte Wertungstendenz unterlegt ist, immanent ist.
527 Emmenegger, Gesetzgebungskunst (2006), S. 98; Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip (2002), S. 347 ff., 455 ff. Zur notwendigen Beständigkeit des Rechts als Element der Rechtssicherheit und damit des Rechtsstaatsprinzips des GG, vgl. auch Sachs, in: GG (4. Aufl., 2007) Rn. 131; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I (2. Aufl., 1984), S. 831. 528 Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (1979), S. 14. Soziale/rechtliche Probleme können sich in einer überkomplexen Umwelt nur dadurch behaupten, dass sie entweder Systemelemente oder Sollwerte oder beides ändern, vgl. dazu Eder, Komplexität, Evolution und Geschichte (1973), S. 18. Dazu, dass sich Grenzen des Variationsspielraumes sich zunächst als Grenzen geschichtlicher Kontinuität erweisen, siehe Baumgartner, Kontinuität und Geschichte (1972).
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Stichwortverzeichnis Absenkung des Schutzstandards 241 Abzahlungsgesetz 650 f. Acquis Communautaire 281 f. Acquis-Gruppe 280 AGB 532 ff. Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler 278 f. Aliud 589 ff. Allgemeine Geschäftsbedingungen 532 ff. – Auslegungszweifel 556 – Begriff 546 ff. – Bereichsausnahmen 550 – Einbeziehung in den Vertrag 551 ff. – Einverständnis des Kunden 555 – Gefahrenlage 533 f. – Gestaltung 551 – Hinweis des Verwenders 552 – Individualvereinbarung 558 – Inhaltskontrolle 558 ff. – Kenntnisnahme 553 – Klauselrichtlinie 542 ff. – persönlicher Anwendungsbereich 545 f. – prozessuale Durchsetzung 567 ff. – Rechtsfolge bei Unwirksamkeit 564 ff. – Regelungsgenese 536 ff. – Transparenzgebot 562 ff. – Umgehungsverbot 556 – Unangemessene Benachteiligung 562 ff. – Verbandsklage – Verbot der geltungserhaltenden Reduktion 564 – Vielzahl von Verträgen 549 f. – Vorrang der Individualvereinbarung 558 Altliberales Modell 137
Amsterdam (Vertrag von) 193 f. Anlageberatungsvertrag 736 ff. Arbeitnehmer 335 ff. Arbeitsvertrag 335 ff. Asymmetrien 16 Aufklärungspflichten 360 ff. Aufwendungsersatz 604 f., 717 f. Auslegung 26 ff. – autonome Auslegung 27 f. – gemeinschaftskonforme Auslegung 26 – richtlinienkonforme Auslegung 28 ff. Belästigung 438 ff. Beratungs- und Prozesskostenhilfe 821 ff. Beschaffenheit 583 Beschaffenheitsgarantie 608 f. Binnenmarkt 232 Binnenmarkt contra Rechtsvielfalt 241 ff., 267 ff., 301 ff. Bürgerliches Gesetzbuch 46 ff. – Liberale Grundausrichtung 46 f. – Einbrüche in die liberale Grundausrichtung 48 ff. Cassis de Dijon 191 Caveat emptor 167 f., 168 Choice-Modell 38 f., 163 f. Commission on European Contract Law 275 ff. Common Frame of Reference 287 ff. Common Core-Projekte 272 ff. Common Law System 107 f. Darlehensvermittlung 761 ff. – Aushändigungspflicht (des Vertrages) 770
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Stichwortverzeichnis
Auslagen 768 Beweislast 773 Entstehungsgeschichte 762 Europarechtliche Aspekte 773 Finanzierungshilfe 761 Kreditvermittler 761 Kausalität 773 Nebenentgelte 768 Schadensersatz 772 Textform 770 Umgehungsverbot 774 Vergütung 769 f. Verletzung der Beratungspflicht 772 f. Versicherungsvermittlungsrichtlinie 773 – Vertragsnichtigkeit 771 Darlehensvertrag 649 ff. – Beendigung des Darlehensvertrages 641 ff. – Europarechtliche Aspekte 656 f. – Fälligkeit 666 f. – Geldüberlassung 666 f. – Gesetzgebungsgenese 650 ff. – Informationspflichten 679 ff. – Kreditwürdigkeit 660 – Kündigung des Darlehens 672 f., 674 ff. – mit Verbrauchern (s. Verbraucherdarlehen) 677 ff. – Rechte und Pflichten der Parteien 666 ff. – Rückzahlung des Darlehens 666 – Sittenwidrigkeit 668 – Verbraucherkredit 677 ff. – Zinssatz 668 Daseinsvorsorge 10 Deliktischer Verbraucherschutz 774 ff. Dienstleistungsverträge 725 ff. Disparität 15 f., 168 ff., 174 ff. Distanzgeschäfte (s. Fernabsatzgeschäfte) 464 ff. Draft Common Frame of Reference 287 ff., 289 f. Dual-use-Geschäfte 337 E-Commerce (s. elektronischer Geschäftsverkehr) 512 ff. Effizienzverlust 257 f.
Einheitliche Europäische Akte 191 f. Einschätzungsprärogative 177 f. Einwendungsdurchgriff 413 Elektronischer Geschäftsverkehr 512 ff. Endverbraucher 9 ff. Existenzgründer 331 f. Falschlieferung 589 f. Fehler 582 ff. Fernabsatzgeschäfte 480 ff. Fernunterrichtsvertrag 725 ff. – Aushändigungspflicht (des Vertrages) 731 – Entstehungsgeschichte 726 f. – Inhaltsverbote 731 – Schriftform 731 – Teilnehmer 725 – Umgehungsverbot 734 – Veranstalter 725 – Vertragskündigung 733 f. – Vertragsschluss 730 – Widerrufsrecht 732 f. Finanzgeschäfte und Verbraucherkredite 667 Finanzierungshilfen 690 ff. Finanzierungsleasingverträge 690 Flexibilität des BGB 110 f. Friktionen 99 ff. Garantie 608 f. Gefährdungslagen 13 Gemeinsamer Referenzrahmen 21 ff., 91 Gemeinschaftsrecht 21 ff., 91 – EuGH-Judikatur 31 ff. – Idee eines europäischen Zivilrechts 284 ff. – Primärrecht 21 f. – Sekundärrecht 22 f. Generalklauseln 105 ff., 361 f. Gerichtsstand 825 ff. Gewinnmitteilungen 451 ff. Grünbuch der Kommission 287, 852 ff. – grenzüberschreitendes B2C-Recht 287 – kollektiver Rechtsschutz 852 ff. Handelsrecht 126 f. Haustürgeschäfte 465 ff.
Stichwortverzeichnis
Heininger-Entscheidung 411 f. Herkunftslandprinzip 262, 266 Hersteller 797 Homo oeconomicus 148 ff. Induktion 922 ff. Information 358 ff. Informationsdefizit 150 f., 163 f. Informationsmodell 38 f., 150 f. Informationspflichten 358 ff. – durch besonderes Verbraucherrecht 370 ff. – Informationshypertrophie 374 f., 376 – nach Treu und Glauben 361 – Sanktionen bei Pflichtverletzung 378 ff. – Überregulierung 374 f. Informelle Disparität 163, 362 Inhaltskontrolle 108 Inhaltskontrolle von AGB 562 ff. Inkohärenz des Gemeinschaftsrechts 292 ff. Instrumente des Verbraucherschutzes 35 ff., 347 ff. – marktkomplementäre 35 ff. – marktkompensatorische 42 f. Ius commune 279 f., 283 ff. Kaufvertrag 572 ff., 581 ff. – Aliudlieferung 589 f. – Anderslieferung (s. Aliudlieferung) 589 f. – Aufwendungsersatz 604 f. – Bedienungsanleitung 588 f. – Beschaffenheitsgarantie 608 f. – Beschaffenheitsvereinbarung 583 f. – Form 582 – Garantien 608 f. – Gewährleistung 590 ff. – Gewährleistungsausschluss 606 f. – Haltbarkeitsgarantie 608 f. – Hauptleistungspflicht 583, 590 – Kenntnis von Fehlern 606 – Kosten der Rückgewähr 597 – Mangel der Kaufsache 582 ff. – Minderlieferung 589 f. – Minderung 598 f. – Minderungsfolgen 599 f.
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Montage(anleitung) 587 f. Nachbesserung 591 ff. Nacherfüllung 591 ff. Nachfristsetzung 593 f. Nachlieferung 591 ff. Rücktritt vom Vertrag 593 ff. Rücktrittsfolgen 596 ff. Sachmangel 582 ff. Schadensersatz 600 ff. Selbstvornahme 605 f. Verjährung der Ansprüche 610 f. Vertragsinhalt 581 Vertragsschluss 581 f. Vertretenmüssen 602 ff. Werbeaussagen 586 Zuviellieferung 590 Zuweniglieferung (s. Minderlieferung) 589 f. Kodifikation des europäischen Privatrechts 277 ff. Kompetenzbeschränkung der EU 94 f., 248 ff. Konsumenten- und Unternehmersouveränität 144 ff. Krise des Privatrechts 109 ff.
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Laissez-Faire-Ansatz 162 f. Lando-Kommission 275 f. Maastricht (Vertrag von) 192 Mahnverfahren 875 ff. Mangel 582 Marktübersicht 50 Marktverhalten 51 f. Materialisierungstendenz 100, 104 Minderung 598 Mindestharmonisierung 267 ff., 301 ff. Monopole 14 ff. Montage 587 f. mündiger Verbraucher 153 ff. Nacherfüllung 591 ff. Nachlieferung 591 ff. Neuherstellung 591 ff. Nichtbestehen von Wettbewerb 52 f. Nichtkaufmann 129 f. Normendichte 101 f., 402
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Stichwortverzeichnis
Null-Plan (in der Verbraucherinsolvenz) 887 f. Nutzungs- und Wertersatz 597 f. Organisationsprobleme 16 f. Pauschalreisevertrag 696 ff. – Abhilfeverlangen 717 – Allgemeine Reisebedingungen 707 – Aufwendungsersatz 717 f. – Begriff 701, 705 – Buchung 707 – Dynamic Packaging 722 f. – Erhöhung des Reisepreises 708 f. – Ersatzreisender 709 – Europarechtliche Aspekte 699 ff. – Gesetzgeberischer Hintergrund 697 ff. – Haftungsausschluss 720 ff. – Höhere Gewalt 710 – Immaterielle Schäden 720 – Informationspflichten 711 f., 723 – Insolvenz des Veranstalters 724 f. – Katalog 706 – Kündigung des Reisevertrages 718 f. – Leistungsträger 703 – Mangelanzeige 716 – Minderung des Reisepreises – Rechte und Pflichten der Parteien – Reisebestätigung 707 – Reisebüro 704, 706 – Reisemangel 711 f., 714 ff. – Reisender 702 f. – Reisepreis 712 f. – Reisepreiserhöhung 708 f. – Reiseveranstalter 702 – Schadensersatz wegen Nichterfüllung 719 – Selbstabhilfe 717 f. – Sicherungsschein 725 – Stornogebühren 710 – Vertragslösung 709 f. – Vertragsschluss 706 ff. – Vertragsveränderungen 708 f. Paritätsstörung 174 partnerschaftliches Zusammenwirken 256 personales Element 76 ff.
Principles of European Contract Law 283 f. Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit 95, 249 f. Privatautonomie 167 ff., 170 ff. – klassische Sichtweise 167 ff. – neuere Sichtweise 170 ff. – Produkthaftung 774 ff. – Anspruchsteller 796 – Entstehungsgeschichte 776 ff. – EU-Importeur 797 – Europarechtliche Aspekte 778 ff. – Fehler des Produkts 799 ff. – Hersteller und Quasi-Hersteller 797 – Lieferant 797 f. – Produkt 799 – Produktfehler 799 ff. – Produkthaftungsrichtlinie 780 – Schaden 802 – Vollharmonisierung 780 Produzentenhaftung 781 ff. – Anspruchsteller 783 – Ausreißer 788 f. – Beweislast 786 – Endhersteller 784 – Entstehungsgeschichte 776 ff. – Europarechtliche Aspekte 778 ff. – Exkulpationsmöglichkeit 788 – Fabrikationsfehler 787 f., 793 f. – Haftungsumfang 795 f. – Honda-Fall 791 – Instruktionsfehler 789 f., 794 – Konstruktionsfehler 786 f., 793 – Milupa-Fall 790 – Naturprodukt 779 – Produkt 785 – Produktbeobachtungsfehler 790 f., 794 – Schaden 792 ff. – Verkehrssicherungspflicht 777 – Verletzungserfolg 791 f. – Verschuldensvorwurf 781, 792 ff. Programme/Beschlüsse der Gemeinschaft 195 ff. Ratenlieferungsvertrag 691 Rechtsangleichung 91 ff., 285 ff. Rechtsdurchsetzung 806 ff.
Stichwortverzeichnis
Rechtsevolution 112, 117 f. Rechtsliberalismus 46 f. Rechtsprinzip 5, 896 ff. Rechtsmasse 96 f. Rechtsprechung des EuGH 31 f. Rechtstheorie des Verbraucherschutzes 893 ff. – Alpha- und Beta-Asymmetrien 944 – Beispiele für Rechtsprinzipien 933 ff. – Emergenz als bestimmendes Konzept 946 ff. – Funktion von Rechtsprinzipien 899 ff. – Gesamtanalogie 926 ff. – Herausbildung von Rechtsprinzipien 910 ff. – Induktion 922 – Naturrecht 913 – Rechtsprinzipien 895 ff. – Prinzipienbegriff 928 ff. – Prinzipienmehrheit und -hierarchie 931 ff. – Problem des normativen Maßstabes 911 f. – Rechtspositivismus 916 ff. – Verbraucherschutz als Rechtsprinzip 940 ff. – Wandelbarkeit von Rechtsprinzipien 939 Rechtsvereinheitlichung 284 Regelungsdichte 101 f. Regelungskompetenz 94 ff. Regelungstechnik 102 f. Regelungstypus 67 Reisepreis 712 Reisevertrag (s. Pauschalreisevertrag) 696 ff. Restatement-Gedanke 274, 291 Restschuldbefreiung 882 ff. Richtlinien 26 ff., 245, 248 ff., 258 – Auslegung 26 ff. – Kompetenzfragen 248 ff. – überschießende Umsetzung 29 ff., 258 f. – Vollharmonisierung 240 ff. – Vorschlag einer Richtlinie über Verbraucherrechte 245 Richtlinien der Kommission 198 ff. – AGB-Richtlinie 217–220
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Dienstleistungsrichtlinie 233–237 E-Commerce-Richtlinie 228–233 Fernabsatzrichtlinie 221–222 Haustürwiderrufsrichtlinie 203 Pauschalreiserichtlinie 215–217 Produkthaftungsrichtlinie 206–208 Richtlinie über die elektronische Signatur 228–233 – Richtlinie über Unterlassungsklagen 224–225 – Richtlinie über Verbrauchsgüterkauf und Garantien 225–228 – Timesharingrichtlinie 220–221 – Verbraucherkreditrichtlinie 208–215, 656 ff. – Werberichtlinie 199 ff. rollensoziologischer Ansatz 76 ff., 165 ff. Rückgewähr der Sache/Leistung 402 ff. Rücktritt 593 ff. Rügeobliegenheit 606 Sachmangel 582 ff., 585 Schadensersatz 414, 600 – infolge Verbraucherwiderrufs 414 – wegen Mangelfolgeschäden 600 ff. – wegen Mangelschäden 600 ff. Schutzbedürfnis 136 ff. – personales Element 76, 143 f. – situatives Element 83, 142 f. – vertragliches Element 83, 142 f. Schutzprogramme 19, 55, 56 – gemeinschaftsrechtliche 19 f., 56 – internationale 56 – nationale 55 Situatives Element 83 ff., 142 Sonderprivatrecht 85 f., 120 ff., 130 ff. – Begriff 122 – Diskussion 85 f., 130 ff. – Kriterien 84, 122 ff. soziales Verbraucherschutzmodell 141 ff. Spannungsverhältnis 301 ff. – im Primärrecht 306 ff. – im Sekundärrecht 309 ff Study Group on a European Contract Code 278 Subsidiaritätsprinzip 95 f., 250 f. Systembildung 897
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Stichwortverzeichnis
Teilzahlungsgeschäfte 690 Teilzeitwohnrechteverträge 629 ff. – Europarechtliche Aspekte 634 ff. – Formvorschriften 642 – Informationspflichten 642 ff. – personeller Anwendungsbereich 640 f. – Rechte und Pflichten der Parteien 641 ff. – Rechtsfolgen bei Rechtsverstößen 645 ff. – sachlicher Anwendungsbereich 641 f. Telefonwerbung 438 Timesharingverträge (s. Teilzeitwohnrechteverträge) 629 ff. Transparenzgebot 347 ff. Typisierung 177, 896 ff. Umgehungsverbote 417 ff. Unabdingbarkeit 416 f. Unaufrichtiges Marktverhalten 51 f., 426 ff. Unbestellte Waren/Leistungen 441 ff. Ungleichgewichtslage 15 f., 174 ff. Unlauterer Wettbewerb 426 ff Unterlassungsklagen nach UKlaG 568 ff. Unternehmerbegriff 342 ff. – Bedeutung 342 – Europäischer Hintergrund 343 ff. Unzumutbare Belästigung 438 UWG 426 ff. Verbandsklagen 568 ff. Verbraucherbegriff 88 f., 91, 181 ff., 190, 320 ff. – Arbeitnehmer als Verbraucher 335–337 – Beweislast 341 f. – Handeln durch Dritte 337 ff. – Entwicklung 88 f., 181 ff., 321 – Europäischer Hintergrund 91, 190 ff. – Existenzgründer als Verbraucher 331 f. – GbR als Verbraucher 333 f. – GmbH-Geschäftsführer als Verbraucher 334 Verbraucherdarlehen 677 ff. – Abschlussvollmacht 682 – Aushändigung der Vertragsurkunde 682, 685, 686
Beendigung des Vertrages 671 ff. Einwendungsverzicht 688 Europarechtliche Aspekte 656 ff. Fälligkeit 667 Finanzierungshilfen 689 ff. Finanzierungsleasingverträge 690 f. Formvorschriften 679, 684 Fristsetzung 688 Geldüberlassung 666 Gesamtfälligstellung 688 Gesetzgeberischer Hintergrund 650 ff. – Grundsatz verantwortungsvoller Kreditvergabe 660 f. – Höhe der Zinsen 668 ff. – Informationspflichten 679 ff., 681 f., 683 f. – Kündigung 672 ff. – neue Verbraucherkreditrichtlinie 657 f. – personeller Anwendungsbereich 678 f. – Ratenlieferungsverträge 691 – Rechte und Pflichten der Parteien 665 ff. – Rechtsfolgen des Widerrufs 687 – Rückzahlung 666, 670 f. – sachlicher Anwendungsbereich 679 – Schuldturm 688 – Sittenwidrigkeit 669 – Teilzahlungsgeschäfte 690 – Überschuldung 660 – Überziehungskredite 683 – Umgehungsverbot 692 – Verbot abweichender Vereinbarung 692 – Vertragsnichtigkeit 684 f. – Verzug mit Rückzahlung 674, 677 – Vorfälligkeitsentschädigung 672 – Vorschläge de lege ferenda 692 ff. – Wechsel- uns Scheckverbot 688 – Widerrufsrecht des Verbrauchers 686 ff. Verbraucherinformation 371 ff. Verbraucherinsolvenz 879 ff. Verbraucherkollisionsrecht 419 ff. Verbraucherkreditgesetz 651 f. Verbraucherleitbilder 147 ff., 165 ff. – homo oeconomicus 148–150
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Stichwortverzeichnis
– aufzuklärender homo oeconomicus 150–151 – schutzbedürftiger Verbraucher 151–152, 157–162 – rollensoziologisches Verbraucherleitbild 165 ff. Verbrauchersammelklagen 835 ff., 852 ff. Verbraucherschutzinstrumente 35 ff. – Marktkompensatorisch 42 ff. – Marktkomplementär 35 ff. Verbraucherschutzrecht 9 ff.,13 f., 19 f., 45 ff., 55 ff., 68 ff., 73 f. , 76, 91 f., 100 f. – Begriff 9–13, 62–66 – Entwicklung 5 ff., 45 ff. – Gefahrenlagen 13 f., 75 f. – im engeren Sinne 76 – Informationsdefizit 15 f. – Internationalität 21 ff., 45 ff., 55–56 – Mittel der Rechtsangleichung 91 f. – Modifikation des Zivilrechts 72 ff. – Normendichte 68, 100 f. – Normenhöhe 68 ff. – Organisationsprobleme der Verbraucher 16 – Problemimpuls 93 ff. – Querschnittscharakter 59–62 – Regelungsstringenz 73 f. – Regelungstypus 67 ff. – rollensoziologische Asymmetrien 16, 76 f. – Ziele 19 f. Verbrauchervertragsrecht 462 ff. Verbrauchervertriebsrecht 464 ff. Verbraucherwiderrufsrecht 385 ff. – Entwicklung 387 f., 390 ff. – Form des Widerrufs 396 – Gegenstand des Widerrufs 394 – Gerichtsstand 415 – Heininger-Entscheidung 411 f. – Konzeption 388 ff., 391 ff. – Rechtsfolge einer nicht ordungsgemäßen Belehrung 400 – Rechtsfolgen eines Widerrufs 401 ff. – Rechtsnatur des Widerrufs 395 f., 398 – Rückgewähr von Sicherheiten 413 – Rücksendepflicht 402 f., 406 – Schadensersatz 414 – Überarbeitungsvorschläge 415 f.
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– verbundene Geschäfte 409 ff. – Wertersatzpflicht 403 ff. – Widerrufsberechtigter 395 – Widerrufsfrist 397 f. Verbrauchsgüterkauf 612 ff. – Beweislast für den Mangel 662 ff. – europarechtlicher Hintergrund 574 ff. – Garantien 624 – Gefahrtragung 616 – personaler Anwendungsbereich 612 ff. – Rückgriff des Unternehmers 627 f. – sachlicher Anwendungsbereich 614 f. – Unabdingbarkeit von Schutznormen 618 ff. – Verhältnis zu anderen Normen 615 ff. Verbundene Geschäfte 409 f. Vergleichende Werbung 438 Verordnungen 22 ff. Vertrag 192 ff. – von Amsterdam 193 – von Lissabon 195 – von Maastricht 192 Vertragsspezifisches Elemente 83 f., 142 Vollharmonisierung 240 ff. – Ansatz 240 ff., 303 – Begriff 240 ff. – Probleme 240 ff., 304 ff. Vorvertragliches Verbraucherrecht 425 ff. Wandelbarkeit des BGB 110 ff. Wechselwirkung 115–117 Werbung 586 Wertpapieranlageberatungsvertrag 736 ff. – Anlageberater 739 – anlagegerechte Beratung 741 – Anlageobjekt 743 – Anlageziele 753 – anlegergerechte Beratung 741 – Beratungsvertrag 740 f. – Beweislast 753 – Bond-Rechtsprechung 741 ff., 744 – Erkundigungspflichten 751 – europarechtliche Aspekte 745, 747 f. – Finanzmarktrichtlinie 745 – Fragebögen 753 – Haftungsbeschränkungen 756 f. – Informationspflichten 750 ff.
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Stichwortverzeichnis
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Kundenprofil 752 Portfolioverwaltung 751 ff., 754 Qualitätskontrolle von Produkten 759 f. Risikoabschätzung 738 f. Schadensbegründende Kausalität 758 f. Vertragsschluss 756 f. Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 745 Wettbewerb 254 ff. Widerruf 385 ff. – Beweislast 400 – Gegenstand des Widerrufs 394 – Gesetzesgenese 390 ff. – Gesetzgeberische Konzeption 388 ff. – Rechtsfolgen 400 ff. – Widerrufsbelehrung 399 – Widerrufsberechtigter 395 – Widerrufserklärung 396 f., 398 – Widerrufsfrist 397 f. – Widerrufsrechtsauslösende Vorschriften 394 Wissenschaftsprojekte zum europäischen Privatrecht 268 ff.
Zivilprozessualer Verbraucherschutz 16 f., 806 ff.
– Beratungs- und Prozesskostenhilfe 821 ff. – Beweislast und Beweislasterleichterungen 872 ff. ± Brüssel-I VO (EuGVVO) 830 ff. – Erfolgsbarrieren vor Gericht 815 f. – Erkenntnisverfahren 808 ff. – Grundprobleme für Verbraucher 806 ff. – Internationales Prozessrecht 889 ff. – Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz 847 ff. – Kollektivklagen in der EU 852 ff. – Kollektivverfahren 835 ff. – Kompensatorische Prozessleitung 868 ff. – Mahnverfahren 875 ff. – Musterverfahren 846 – Prorogation und deren Ausschluss 828 f. – Restschuldbefreiung 882 – Verbandsklage 836 ff. – Verbraucherinsolvenz 879 ff. – Vollstreckungsverfahren 878 ff. – Zugang zum Recht 813 – Zuständigkeitsregelungen 825