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German Pages [756] Year 1993
ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE REIHE A: QUELLEN · BAND 4
V&R
ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Joachim Mehlhausen und Leonore Siegele-Wenschkewitz
REIHE A: QUELLEN
Band 4
Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen (Bearb.) Verantwortung für die Kirche
G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1993
Verantwortung für die Kirche Stenographische Aufzeichnungen und Mitschriften von Landesbischof Hans Meiser 1933-1955
Band 2: Herbst 1935 bis Frühjahr 1937
Bearbeitet von Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen
Mit 15 A b b i l d u n g e n
GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1993
Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Verantwortung für die Kirche: stenographische Aufzeichnungen und Mitschriften von Landesbischof Hans Meiser 1933-1955 / bearb. von Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht. Literaturangaben N E : Meiser, Hans; Braun, Hannelore [Bearb.] Bd. 2. Herbst 1935 bis Frühjahr 1937. - 1993 (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte : Reihe A, Quellen ; Bd. 4) I S B N 3-525-55755-8 N E : Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte / A
© 1993 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
XI
Dokumente
1
1 Besprechung mit Kerrl. 1935 August 23
1
2 Informationsbesprechung der Vorläufigen Kirchenleitung I. 1935 September 13
11
3 Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Lutherischen Tages. 1935 September 30
28
4 Besprechung mit Vertretern lutherischer Kirchen und lutherischer Bruderräte. 1935 Oktober 1
32
5 Gemeinsame Sitzung des Bruderrates der Deutschen Evangelischen Kirche (Reichsbruderrat) und der Vorläufigen Kirchenleitung I. 1935 Oktober 8
40
6 Besprechung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents im kleinen Kreis. [1935 Oktober 13]
48
7 Sitzung des Exekutivkomitees des Lutherischen 1935 Oktober 21
49
Weltkonvents.
8 Gemeinsame Sitzung des Bruderrates der Deutschen Evangelischen Kirche (Reichsbruderrat) und der Vorläufigen Kirchenleitung I. 1935 November 8
60
9 Besprechung mit Kerrl. 1935 November 10
85
10 Besprechung mit Vertretern der Landeskirchen Baden, Hannover und Württemberg. 1935 November 18
88
11 Informationsbesprechung der Vorläufigen Kirchenleitung I. 1935 November 29
94
12 Gemeinsame Sitzung des Bruderrates der Deutschen Evangelischen Kirche (Reichsbruderrat) und der Vorläufigen Kirchenleitung I. 1935 November 29
109
13 Sitzung von Vertretern des Lutherischen Einigungswerks (Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz). 1935 Dezember 10 . . .
125
VI
Inhaltsverzeichnis
14 Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Lutherischen Tages. 1935 Dezember 16
131
15 Sitzung des Lutherischen Rates. 1935 Dezember 17
136
16 Besprechung des Reichskirchenausschusses mit Kühlewein, Meiser und Wurm. 1936 Januar 10
151
17 Besprechung mit Kerrl. 1936 Januar 11
162
18 Besprechung mit der Vorläufigen Kirchenleitung I, Kirchenführern, Vertretern von Bruderräten und kirchlichen Organisationen. 1936 Januar 16
169
19 Besprechung mit Vertretern lutherischer Kirchen. 1936 Februar 27
187
20 Besprechung mit Vertretern des Frauenwerks der Deutschen Evangelischen Kirche und des Reichskirchenausschusses. 1936 März 3
193
21 Besprechung mit Vertretern lutherischer Kirchengebiete, Gemeinden und Werke. 1936 März 11
195
22 Besprechung mit Veidt. [1936 März 11]
204
23 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 März 18 207 24 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 April 6 210 25 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 Mai 9 216 26 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 Mai 28 231 27 Besprechung mit Vertretern der Landeskirchen Baden, Nassau-Hessen und Württemberg. 1936 Juni 23 233 28 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 August 7 241 29 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 September 18 253 30 Sitzung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents. 1936 September 29 bis Oktober 6 285 31 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 November 5/6 314
Inhaltsverzeichnis
VII
32 Besprechung mit Vertretern der Landeskirchen Baden, Hannover, Kurhessen-Waldeck, Nassau-Hessen, Mecklenburg, Sachsen, T h ü ringen und Württemberg. 1936 November 19
340
33 Besprechung des Reichskirchenausschusses mit führenden nichtdeutschchristlichen Amtsträgern der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz"). 1936 November 19 . . .
345
34 Besprechung mit Zoellner. 1936 November 19
359
35 Besprechung mit Dibelius. 1936 November 19
360
36 Besprechung des Reichskirchenausschusses mit führenden nichtdeutschchristlichen Amtsträgern der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz") — (Fortsetzung). 1936 November 20 360 37 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 November 25/26 367 38 Gemeinsame Sitzung des Reichskirchenausschusses mit führenden nicht-deutschchristlichen Amtsträgern der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz"). 1936 November 27 .
389
39 Besprechung führender nicht-deutschchristlicher Amtsträger der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz"). 1936 November 27
397
40 Besprechung des Reichskirchenausschusses mit führenden nichtdeutschchristlichen Amtsträgern der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz") - (Fortsetzung). 1936 November 27
405
41 Besprechung mit Breit. 1936 Dezember 4
409
42 Besprechung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) mit dem Reichskirchenausschuß. 1936 Dezember 9 412 4 3 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1936 Dezember 10 423 44 Gemeinsame Sitzung des Reichskirchenausschusses und der führenden nicht-deutschchristlichen Amtsträger der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz"). 1936 Dezember 10 . . .
428
45 Besprechung der führenden nicht-deutschchristlichen Amtsträger der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz"). 1936 Dezember 10 444
Vili
Inhaltsverzeichnis
46 Gemeinsame Sitzung des Reichskirchenausschusses und der führenden nicht-deutschchristlichen Amtsträger der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz") — (Fortsetzung). 1936 Dezember 11 449 47 Besprechung mit Kloppenburg und Lücking. 1936 Dezember 22
456
48 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lu therrat). 1937 Januar 6 466 49 Besprechung eines ökumenischen Vorbereitungsausschusses. 1937 Januar 15 476 50 Besprechung mit Kloppenburg, Koch und Lücking. 1937 Januar 20
492
51 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1937 Februar 2/3 514 52 Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat). 1937 Februar 11 521 53 Besprechung der führenden nicht-deutschchristlichen Amtsträger der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz"). 1937 Februar 11 535 54 Gemeinsame Sitzung des Reichskirchenausschusses und der führenden nicht-deutschchristlichen Amtsträger der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz"). 1937 Februar 12 538 55 Sitzung der führenden nicht-deutschchristlichen Amtsträger der deutschen evangelischen Landeskirchen („Kirchenführerkonferenz") - (Fortsetzung). 1937 Februar 12 541 56 Besprechung von Kirchenführern im kleinen Kreis. 1937 Februar 13
546
Anhang I Zentrale kirchliche Leitungsorgane in der Deutschen Evangelischen Kirche und der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union (Stand 1935-1937) 556 II Schreiben Bestes an Meiser. 1935 September 14
562
III Entwurf für eine Erklärung des Reichskirchenausschusses vor seiner Ernennung. [1935 vor Oktober 12] 563 IV Schreiben Dibelius' an Meinzolt. 1936 August 30
566
Inhaltsverzeichnis
IX
V Anlage zur Niederschrift über die 40. Sitzung des Reichskirchenausschusses. 1936 Oktober 8
568
VI Grünagel: Entwurf für eine Resolution der Kirchenführer. [ 1 9 3 6 November 19]
570
VII Beste: „Die kirchliche Lage in Mecklenburg". 1936 Mitte November
573
V i l i Otto: „Bericht über die Lage in Thüringen". 1936 November 2 0 .
579
IX T h . W u r m : Entwurf für eine Erklärung der Kirchenführer. [ 1 9 3 6 Dezember 10]
590
X T h . W u r m : Entwurf für eine Eingabe der Kirchenführer an Hitler. 1937 Januar 17
591
Chronologisches Dokumentenverzeichnis
595
Quellen- und Literaturverzeichnis
623
Abkürzungen
640
Personenregister/Bibliographische Angaben
642
Orts- und Sachregister
705
Berichtigungen zu Band 1
722
EINLEITUNG
Die in diesem Band vorgelegten Texte aus dem Nachlaß des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser dokumentieren im wesentlichen jene Phase des deutschen „Kirchenkampfes" zwischen Spätsommer 1935 und Winter 1937, die K. D. Schmidt „die Zeit des Reichskirchenausschusses" 1 genannt hat. Dieser Zeitabschnitt ist gekennzeichnet durch einen Neuansatz in der Kirchenpolitik Hitlers: am 24. September 1935 ermächtigte der Führer und Reichskanzler den früheren preußischen Justizminister, Reichsminister ohne Geschäfisbereich und Leiter der Reichsstelle für Raumordnung Hanns Kerrl, fur die „Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche" zu sorgen 2 ; damit sollte der „Kirchenkampf" aus staatlicher Sicht beendet werden. Kerrl, der neue Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, plante, die ihm übertragene Aufgabe in der Weise zu lösen, daß er an die Stelle der bisherigen Kirchenleitungen in der evangelischen Kirche „Kirchenausschüsse" setzen wollte. Ein derart flächendeckendes „Befriedungskonzept" konnte er jedoch wegen des massiven kirchlichen Widerstands nur ansatzweise verwirklichen; er scheiterte damit bereits im Februar 1937, als der Reichskirchenausschuß, das von ihm selbst berufene oberste Leitungsgremium der Deutschen Evangelischen Kirche, zurücktrat. Kerrls „Kirchenausschußpolitik" provozierte in der evangelischen Kirche, besonders innerhalb der Bekennenden Kirche, substantielle theologische Auseinandersetzungen über die Legitimität eines vom Staat eingesetzten Kirchenregiments. Es vertiefe sich in der veränderten Situation auch der Dissens darüber, wie die nationalsozialistische Kirchenpolitik, ja der Nationalsozialismus überhaupt, zu beurteilen seien. Die Meinungsverschiedenheiten wurden so grundsätzlich, daß sich die Bekennende Kirche in zwei Flügel spaltete: Ihre beiden im März 1936 herausgestellten neuen Leitungsgremien — die Vorläufige Kirchenleitung II und der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) — blieben bis zum Ende des „Dritten Reiches" sichtbarer Ausdruck dieser Spaltung. Die Auswahlkriterien für die in dieser Edition dokumentierten Texte sind in der Einleitung zu Band 1 ausfuhrlich dargelegt. Auch im Fortsetzungsband liegt der Hauptakzent — abgesehen von zwei Zusammenkünfien des Exekutiv1 Vgl. K. D. SCHMIDT, Dokumente II (Untertitel) sowie K. MEIER, Kirchenkampf 2, der sogar von der „Ära" der Kirchenausschüsse spricht (S.66). 2 „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 24. September 1935 (GB1DEK 1935, S.99).
XII
Einleitung
komitees des Lutherischen Weltkonvents in Paris 1935 und New York 1936 — auf der Wiedergabe von Aufzeichnungen auf Sitzungen und Besprechungen deutscher gesamtkirchlicher Gremien. Innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche, zu der sich 1933 die damals 28 evangelischen Landeskirchen zusammengeschlossen hatten, beriet und beschloß Meiser als Repräsentant seiner Landeskirche mit Kirchenfuhrern und maßgeblichen Vertretern verschiedener kirchenpolitischer Lager in regelmäßig tagenden Gremien wie in rasch zusammengerufenen Diskussionsrunden. Auch wenn aus aktuellem Anlaß die je unterschiedliche Situation in den „zerstörten", d. h. deutschchristlich regierten, und „intakten" Landeskirchen in solchen Besprechungen recht häufig zu einem der zentralen Beratungsgegenstände wurde, behielten Meiser wie die übrigen Beteiligten dennoch in „ Verantwortung für die Kirche" immer die Entwicklung der gesamten Deutschen Evangelischen Kirche im Blick; das gilt auch für die Gesprächsrunden, in denen vornehmlich über Bedingungen und Gestalt einer künftigen deutschen lutherischen Kirche verhandelt wurde. Insgesamt hatte sich das Spektrum allerdings etwas verengt; institutionalisierte Verhandlungen mit deutschchristlichen Amtskollegen, wie sie in den Jahren 1933/34 noch gelegentlich gefuhrt worden waren, fanden nicht mehr statt, und auch die relativ regelmäßigen informellen Kontakte Meisers mit zuständigen staatlichen Vertretern3 fehlen in der handschriftlichen Meiserschen Uberlieferung. Es wird in diesem zweiten Band also ein Zeitabschnitt von nur 19 Monaten vorgestellt, in dem sich unterschiedliche Kräfte in Kirche, Staat und Partei bei der Verfolgung ihrer theologisch-kirchenpolitischen resp. weltanschaulich-politischen Ziele mehr mißverstanden, gegenseitig blockierten und in starre Positionen drängten, als auf Kompromisse einigten. Innerhalb der Bekennenden Kirche hatten die Kontroversen ein kaum überschaubares Chaos von miteinander konkurrierenden kirchenpolitischen Orientierungen und kirchenleitenden Ansprüchen zur Folge. Die vielschichtigen sachlichen Konflikte und persönlichen Zerwürfnisse sind hier aus der Perspektive Hans Meisers dokumentiert. Als Bischof einer „intakten" Landeskirche war er einer der Repräsentanten der „bischöflichen" Bekennenden KircheZusammen mit ähnlich gesinnten nicht-deutschchristlichen Amtsbrüdern hielt er es unter den vorgegebenen Bedingungen fiir seine Aufgabe, mit der — vom Staat eingesetzten — Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche so weit zusammenzuarbeiten, wie es ihm praktisch-politisch nötig und theologisch verantwortbar schien. Als schließlich der Sturz bzw. Rücktritt des Reichskirchenausschusses drohte, bemühte sich die Gruppe nicht-deutschchristlicher Kirchenführer um eine kirchlich legitime „ Ersatzlösung" und zwang den Vgl. hierzu H . B R A U N / C . N I C O L A I S E N , Verantwortung 50, 56, 70, 71 und passim. 4 Vgl. dazu unten S. 18 3
1,
etwa die Dokumente 40, 41, 46,
Einleitung
XIII
Reichskirchenausschuß geradezu, die in der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche von 1933 als beratendes Organ vorgesehene, von Reichsbischof Ludwig Müller jedoch meistens übergangene sog. Kirchenführerkonferenz zu revitalisieren. Als einer der maßgeblichen Vertreter des deutschen Luthertums stand Meiser in den Jahren 1935 bis 1937 vor ungewöhnlich schwierigen Entscheidungen: Während er einerseits das Auseinanderbrechen der Bekennenden Kirche zu verhindern suchte und auch nach ihrer Spaltung weiterhin um Verständigung bemüht blieb, betrieb er daneben unbeirrt die Bildung einer bekennenden lutherischen Kirche Deutschlands. Wo immer er mitberiet, standen diese beiden für ihn eng miteinander verknüpften Anliegen — kirchlich legitime Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche und lutherische Kirche Deutschlands — mehr oder weniger deutlich ausgesprochen auf der Tagesordnung. Dementsprechend hat auch dieser Band wieder zwei eindeutige Schwerpunkte. Von den insgesamt 56 abgedruckten Dokumenten belegen knapp die Hälfe, drei Empfänge des Reichskirchenministers für die Kirchenführer miteingeschlossen, Sitzungen aus dem Bereich der Bekennenden Kirche bzw. der Deutschen Evangelischen Kirche (das sind, in Fortsetzung von Band 1, Beratungen der Vorläufigen Kirchenleitung I, des Reichsbruderrates und der Kirchenführerkonferenz, neu hinzu kommt der Reichskirchenausschuß); 20 Schriftstücke geben Verhandlungen von Lutheranern wieder, überwiegend Zusammenkünfte des im März 1936 gegründeten Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat); ferner werden Aufzeichnungen über kleinere Gesprächsrunden mit unterschiedlichen Partnern und die schon erwähnten beiden Tagungen des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents dokumentiert. Im Sommer 1935 befand sich die Deutsche Evangelische Kirche, die bereits seit Monaten weitgehend handlungsunfähig war, in einer Art Wartestand ohne funktionsfähiges Kirchenregiment. Reichsbischof Ludwig Müller, 1933 Hoffnung und Repräsentant der Deutschen Christen, und seine wechselnden Mitarbeiter in der Reichskirchenregierung hatten abgewirtschaftet; mit ihnen auch die deutschchristlichen Kirchenregierungen in einigen Landeskirchen, besonders in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union und ihren Provinzialkirchen. Die bereits im Herbst 1934 von der Bekennenden Kirche unter Berufung auf kirchliches Notrecht herausgestellte Vorläufige Kirchenleitung I (die von den deutschchristlichen Kirchenleitungen in den Landes- und Provinzialkirchen selbstverständlich abgelehnt wurde), war vom Staat nicht anerkannt worden; ebensowenig galt das fur die Bruderräte, die in diesen Kirchen von der Bekennenden Kirche als „Notkirchenleitungen" eingesetzt worden waren. Der Staat hatte bislang nicht einmal auf das Rechtshilfeersuchen der Vorläufigen Kirchenleitung I zur „ W i e d e r h e r s t e l -
XIV
Einleitung
lung verfassungsmäßiger Zustände" in der Deutschen Evangelischen Kirche vom 26. Januar 1935 geantwortet. Allgemein hatte sich das Klima zwischen Kirche und Staat erheblich verschlechtert; die Kirche wurde immer weniger konsultiert, immer öfter vor vollendete Tatsachen gestellt, war mangels gesicherter Informationen auf Vermutungen und Gerüchte darüber angewiesen, was die Staatsführung plane. Das Thema eines drohenden Staatskirchentums beherrschte die Gespräche der Kirchenführer. Sie hatten zudem die bittere Erfahrung machen müssen, daß Staats- und Parteistellen entgegen ojfiziellen Verlautbarungen sehr wohl immer wieder in das kirchliche Leben einzugreifen pflegten, so daß die Kirche sich ausgeliefert und bedrängt fühlen mußte. Unter diesen Umständen wurde die Berufung Kerrls am 16. Juli 1935 in evangelischen Kreisen quer durch alle Gruppierungen mit einer gewissen Erleichterung aufgenommen, schien doch bereits die Schaffung eines neuen kirchenpolitischen Instruments — nämlich eines für die Kirchenfragen ausschließlich zuständigen Reichsressorts, das es bis dahin so überhaupt nicht gegeben hatte — das wiedererwachte staatliche Interesse an den Kirchen zu signalisieren. Mit ihren Kirchenführern erhofften sich viele evangelische Christen nach dem monatelangen Schweigen des bis dahin für die Kirchenfragen zuständigen Reichsinnenministers Wilhelm Frick, daß der neue staatliche Ansprechpartner bei der „Befriedung und Ordnung" der Kirche in ihrem Sinne vorgehen werde. Auf seinem ersten Empfang für die nicht-deutschchristlichen Kirchenführer am 23. August 1935 betonte Kerrl eingangs ausdrücklich, daß er in „vollk o m m e n e ^ ) Ubereinstimmung" mit Adolf Hitler „von nun an selbständig" handeln werde (Dokument I, S. 1). Den Sinn dieser Aussage konnten, wie sich an Meisers Aufzeichnungen deutlich verfolgen läßt, die Kirchenführer allerdings erst im Lauf der folgenden Monate begreifen, nachdem sie sich viele Male — im Gegensatz zu den Jahren 1933 und 1934 vergeblich — um den Empfang eines ihrer Repräsentanten beim Führer und Reichskanzler bemüht hatten: Hitler war an den Kirchen prinzipiell nur noch insoweit interessiert, als sie sie sich für die nationalsozialistische Außenpolitik instrumentalisieren ließen. In der Situation der Jahre 1935/36 hieß das, daß sie sich auf die Seite von Staat und Partei stellen und mit ihnen gegen „den Bolschewismus" kämpfen sollten5. Mit dieser Zielsetzung scheint Hitler dem Reichskirchenminister weitgehend feie Hand gelassen zu haben, die „zerrissene" evangelische Kirche zu einen; aber er griff selbst dann noch nicht 5 Zu der Fehleinschätzung der Kirche, der Staat werde als Gegenleistung für ihre Loyalität in diesem Punkt die antichristliche Propaganda eindämmen, vgl. etwa die Voten Bretts (Dokument 29, 37) und Zoellners (Dokument 33) sowie das Zerwürfnis der Kirchenführer mit Kerrl wegen der sog. Resolution gegen den Kulturbolschewismus im November und Dezember 1936.
Einleitung
XV
ein, als das Scheitern Kerrls immer offenkundiger wurde (Dokument 34, 38). Erst als dessen Ordnungsversucbe den realen kirchenpolitischen, theologischen und juristischen Gegebenheiten immer weniger standhielten und kaum die von Hitler intendierte Wirkung zeigten, hatte der Reichskirchenminister seinen Kredit verspielt6. Maßgebliche Persönlichkeiten der NSHierarchie, die einen christentumsfeindlichen Kurs verfolgten und Kerrls Aktivitäten von Anfang an beargwöhnt hatten, fanden mehr und mehr Gehör1. Schließlich brach Hitler das gescheiterte „Experiment"* ohne Rücksicht auf den völlig desavouierten Reichskirchenminister im Spätwinter 1937 ganz ab. Am 23• August 1935 gab Kerrl noch keine konkreten Auskünfte darüber, wie er praktisch vorgehen werde. Die Geladenen erfuhren nur, daß er weder auf den Reichsbischof zurückkommen noch die Vorläufige Kirchenleitung I als „endgültige Kirchenregierung" einsetzen werde (damit hätte er im nachhinein den vom Staat bislang nicht beantworteten kirchlichen Vorschlag auf Errichtung einer „Kirchenverweserschafi" vom 26. Januar 1935 anerkannt!). Vielmehr entfaltete er in einem mit Bibelzitaten und philosophischen und theologischen Versatzstücken aufgefüllten Monolog das Konzept einer Synthese von Christentum und Nationalsozialismus, wobei ein gewisser Enthusiasmus für die neue Aufgabe nicht zu überhören war: Ein religiöser Mensch werde „den letzten Zielen des Nationalsozialismus folgen können"; er wolle „kein Streiten in der Kirche" mehr dulden; es sei Pflicht der Pfarrer, die Menschen „zum Nationalsozialismus zu bringen"; es solle Einklang herrschen „mit der Führung des Staates"; die Stunde müsse kommen, „wo die auf Fronten aufgeteilten Pastoren sich wieder in einer Front" fänden (Dokument 1,
s-m Die Kirchenführer, die Kerrl zum größeren Teil vermutlich zum ersten Mal begegneten, mußten in Erwartung neuer staatlicher Aktivitäten' schon bald den Eindruck gewinnen, daß der Reichskirchenminister kaum Verständnis 6 Damit hängt auch zusammen, daß die Kirchenfrage — entgegen Kerrls ausdrücklicher Ankündigung — nicht auf der Sitzung der Reichsregierung am 1. Dezember 1936 behandelt wurde (Dokument 42, Anm. 7 und 24). 7 Es bleibt zu untersuchen, welche Kräfte im Sommer 1936auf die Beurlaubung resp. Entlassung des Ministerialdirigenten von Detten und die Amtsübernahme durch „Staatssekretär" Muhs (November 1936) mit der damit verbundenen verschärft kirchenfeindlichen Politik des Ministeriums hingewirkt haben. Vgl. dazu H.BOBERACH, Organe, bes. S.316f. 8 Zur These, daß Hitler mit der Berufung Kerrls ein „Experiment" durchfuhren wollte, vgl. H . G . HOCKERTS, G o e b b e l s - T a g e b ü c h e r , S . 3 6 7 .
9 Uber die Form der staatlichen Hilfe bestand in Kirchenkreisen bis unmittelbar vor Einsetzung der Kirchenausschüsse keine Klarheit. Bereits im April 1935 war u. a. mit einem Summepiskopat {vgl. H. BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung 1, Dok. 174, Anm 1), im Mai mit der Einsetzung eines Kollegiums durch den Staat (DOKUMENTE II, S. 301—307) gerechnet worden, und nach Kerrls Amtsantritt machte bis zuletzt das Wort von einem „Direktorium" die Runde (vgl. Dok. 2, S. 14 und Dok. 5, S. 47).
XVI
Einleitung
für die zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche aufgebrochenen theologischen und ekklesiologischen Streifragen aufbringen konnte; vielmehr schien er die Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände10 in der evangelischen Kirche ausschließlich als eine politische Ordnungsaufgabe anzusehen. Kerrl war wohl weder fähig noch willens, sich mit der Problematik einer innerkirchlichen Häresie, wie sie bestimmte Gruppierungen der Deutschen Christen vertraten, zu befassen, noch begriff er das Anliegen der Bekennenden Kirche, die dieser Häresie mit dem „Bekenntnis" — sei es mit einem aktuellen Bekennen im Sinne der Barmer Theologischen Erklärung, sei es mit der Berufung auf die Bekenntnisschriften der Reformationszeit — entgegentreten wollte und darauf drang, daß auch die „Ordnung" der Kirche, d. h. vor allem das Kirchenregiment an dem Bekenntnis zu messen sei. Mit den Kirchenausschüssen, die treuhänderisch und für eine Ubergangszeit von rund zwei Jahren arbeiten sollten11, berief Kerrl völlig neue, in der reichsrechtlich anerkannten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933 nicht vorgesehene kirchenleitende Organe. Er besetzte sie mit „Neutralen" und „gemäßigten" Vertretern sowohl der Bekennenden Kirche als auch der Deutschen Christen und glaubte damit — auch selbst lediglich als Treuhänder fungierend12 — mittels eines Interessenausgleichs die für den Staat so störenden Auseinandersetzungen in der Kirche aus der Welt zu schaffen. Er konnte oder wollte nicht nachvollziehen, daß es dabei für die Kirche selbst um fundamentale Fragen ihres Selbstverständnisses ging. Im Oktober 1935 wurden zunächst fur die Deutsche Evangelische Kirche der Reichskirchenausschuß und gleichzeitig fur die Evangelische Kirche der altpreußischen Union ein Landeskirchenausschuß berufen13. In den folgenden 10 Vgl. dazu K. MEIER, Kirchenkampf 2, S. 79, der mit Recht darauf aufmerksam macht, daß das „ Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche " vom 24. September 1935 (vgl. Anm. 2) der „Wiederherstellung g e o r d n e t e r Zustände" dienen sollte, während im Rechtshilfeersuchen („Befriedungsvorschlag") der VKL I vom 26. Januar 1935 (K. D. SCHMIDT, Dokumente II, S.3) und im „Gesetzentwurf des Reichsinnenministers zur Entwirrung der Rechtslage in der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 17. Juni 1935 (DOKUMENTE II, S.318) von ¿^„Wiederherstellung v e r f a s s u n g s m ä ß i g e r Zustände" die Rede war. 11 Vgl. die „Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 3• Oktober 1935 und den „Aufruf des Reichskirchenausschusses und des Landeskirchenausschusses fur die Evangelische Kirche der altpreußischen Union " vom 19. Oktober 1935 (GB1DEK 1935, S. lOlf.; 104). 12 Vgl. das „ Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 24. September 1935 (vgl. Anm. 2), in dem sich die Reichsregierung auf ihre „Pflicht als Treuhänder" berief 13 Die Vorgeschichte der Gründung des Reichskirchenausschusses und des altpreußischen Landeskirchenausschusses und die Umstände der Wahl der Mitglieder (vgl. dazu Anhang l) ließ sich bislang nicht in allen Einzelheiten erhellen. Im jetzt zur Verfügung stehenden Bestand 51. 01 (Reichskirchenministerium) im Bundesarchiv Abt. Potsdam fehlen die Handakten Kerrls, die u. U. darüber näheren Aufschluß geben könnten (Auskunft Frau Mokry). Vielleicht befinden sie sich noch unter den Restakten, die kürzlich in Moskau wieder aufgefunden wurden (und
Einleitung
XVII
Wochen gelang es dem Reichskirchenministerium — mit Unterstützung des Reichskirchenausschusses — auch in einigen preußischen Provinzialkirchen sowie in Sachsen, Nassau-Hessen, Kurhessen-Waldeck und schließlich noch in Schleswig-Holstein Kirchenausschüsse zu bilden. In anderen Landeskirchen amtierten die alten Kirchenleitungen, teilweise nach dem Ausscheiden von Deutschen Christen, in veränderter personeller Zusammensetzung weiter. Daneben hatten in „zerstörten" Kirchen, etwa in Mecklenburg und Thüringen, die Deutschen Christen nach wie vor das offizielle Kirchenregiment inne. Uber den Auseinandersetzungen, ob die vom Minister — also von einer staatlichen Instanz — berufenen neuen Kirchenleitungen „rite" wirken oder doch wenigstens bei der Erfiillung ihres staatlichen Ordnungsauftrages unterstützt werden dürften, vertieften sich nicht nur die Gräben zwischen den „Kirchenparteien" und Konfessionen, den Deutschen Christen, der Bekennenden Kirche, der sog. Mitte, den Lutheranern, den Reformierten und den Unierten; die kirchenpolitisch-konfessionell unterschiedlich ausgerichteten Gruppierungen zerfielen vielmehr in sich noch einmal in mehr oder minder unversöhnliche Fraktionen. In Meisers Aufzeichnungen lassen sich naturgemäß vor allem die Gegensätze verfolgen, die in den leitenden Gremien der Bekennenden Kirche ausgetragen wurden. Die Bildung der Kirchenausschüsse bewirkte sehr rasch eine Polarisierung innerhalb der Vorläufigen Kirchenleitung I. Während ihre lutherischen Mitglieder (August Marahrens, Karl Koch, Thomas Breit und Wilhelm Flor) der Meinung waren, „daß man den Kirchenausschüssen unter klar abgegrenzten Voraussetzungen die Mitarbeit zusagen müsse, sofern sie ihr Amt treuhänderisch verwalten, sich auf die Wiederherstellung der rechtlichen O r d n u n g beschränken und der geistlichen Leitung enthalten würden" 14 , lehnte Paul Humburg, der reformierte Vertreter, jegliche Zusammenarbeit mit den Ausschüssen ab. Die unterschiedlichen Positionen ließen sich in diesem Gremium ebensowenig harmonisieren wie im Reichsbruderrat, der aufgrund einer nie erfolgten Klärung der Kompetenzverteilung eine Art „Mitregierung" in der Bekennenden Kirche beansprucht15 und die Vorläufige Kirchenleitung I durch Kritik und Mißtrauen von den Bearbeitern noch nicht benutzt werden konnten). Bis jetzt besteht der Eindruck, daß kein amtierender Kirchenfuhrer, auch nicht der um Ratgebetene Friedrich von Bodelschwingh, entscheidenden Anteil an der endgültigen Auswahl hatte (vgl. dazu demnächst G. GRÜNZINGER-SIEBERT/C. NICOLAISEN, D o k u m e n t e zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches, Band 3, N r . 30 und Kerrls Votum in Dokument 17, S. 164; vgl. auch K. D. SCHMIDT, D o k u m e n t e II, S. XXII f.) 14 „Abschiedswort der lutherischen Mitglieder der ersten Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 29. Februar 1936 (K. D. SCHMIDT, D o k u m e n t e II, S. 438). 15 Das angespannte Verhältnis der beiden Gremien thematisiert beispielsweise — ohne daß der Reichsbruderrat namentlich genannt wird — Breit in seinem Votum vom 13• September 1935 (Dokument 2, S. ¡7ff.)
XVIII
Einleitung
von Anfang an geschwächt hatte. Die mit großem Ernst geführte Diskussion darüber, ob diese nun — ggf. auf dem Wege einer Namensänderung — als Leitung der Bekennenden Kirche neben dem vom Staat bestellten Reichskirchenausschuß amtieren könne, blieb ohne Ergebnis. Als der Reichsbruderrat mit einem Mehrheitsbeschluß am 3• Januar 1936 ¿1er Vorläufigen Kirchenleitung I ihre Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, weil „ihre Mitglieder ihre Bindung an die grundlegenden Beschlüsse der Bekenntnissynode nicht gleichmäßig" anerkannten16, war es nur folgerichtig, daß die Vorläufige Kirchenleitung I auf der Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen im Februar 1936 ihren Auftrag zurückgab. Die so in sich zerfallene Bekennende Kirche brachte kein neues einheitliches Leitungsgremium mehr zustande; vielmehr kam es zu einem Leitungsschisma auf der oberen Ebene, und der Riß durchzog auch weithin die Landes- und Provinzialkirchen. Bekenntnisgemeinschaften, Bruderräte und Gemeinden waren, wie Stimmungsberichte aus verschiedenen Teilen Deutschlands in diesem Band zeigen, gespalten und dementsprechend belastet. Auf der einen Seite beanspruchte der „dahlemitische", bruderrätlich orientierte Flügel, angeführt von tonangebenden Männern vor allem aus dem altpreußischen Bruderrat, die Führung. In konsequenter Auslegung des auf der Dahlemer Bekenntnissynode vom Oktober 1934 verkündeten kirchlichen Notrechts, nach dem allein von eler Bekennenden Kirche gebildete Organe kirchenleitend tätig sein konnten, lehnte dieser Teil der Bekennenden Kirche es ab, seine kirchenregimentlichen Befugnisse zugunsten der Kirchenausschüsse preiszugeben; wer dennoch bereit war, mit den Kirchenausschüssen zusammenzuarbeiten, mußte in der Regel seine Amter in der Bekennenden Kirche ruhen lassen. Nach dem Rücktritt der Vorläufigen Kirchenleitung I stellte die „dahlemitische" Mehrheit des Reichsbruderrates mit der Vorläufigen Kirchenleitung II ein neues, im wesentlichen von Mitgliedern des altpreußischen Bruderrates besetztes Leitungsgremium heraus. Ihr gegenüber stand der Teil der Bekennenden Kirche, der wohl am zutreffendsten als „bischöflicher" Flügel bezeichnet wird, weil vor allem die Landesbischöfe der „intakt"gebliebenen lutherischen Kirchen von Bayern, Hannover und Württemberg seinen Kurs bestimmten. Das Dahlemer Notrecht hatte für sie schon aus dem Grunde keine vergleichbare Bedeutung, weil in ihren Landeskirchen nicht die „Not" bestand, die amtierenden Kirchenleitungen abzulösen. Dennoch rechneten sich diesem Kreis auch Bruderräte resp. Bekenntnisgemeinschaften aus „zerstörten" — vor allem lutherischen — Landeskirchen zu, die bereit waren, die Kirchenausschüsse unter bestimmten Bedingungen als Kirchenregiment anzuerkennen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Im März 1936 bildete diese Gruppe — nicht zuletzt als Reaktion auf die Herausstellung der Vorläufigen Kirchenleitung II, deren Grundauffassungen 16 K.D.SCHMIDT, D o k u m e n t e II, S. 188.
XIX
Einleitung
sie nicht mittragen konnte — deshalb den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) als „geistliche Leitung für die lutherischen Kirchen und Gemeinden der Bekennenden Kirche" 1 7 . Das Leitungsschisma in der Bekennenden Kirche ist sichtbarer Ausdruck dafiir, daß kontrovers und letztlich theologisch ungeklärt blieb, was die Verpflichtung auf das „Bekenntnis" bedeute und wie dies ekklesiologtsch umzusetzen sei. Zwar hatten sich Lutheraner, Reformierte und Unierte unbeschadet ihrer unterschiedlichen konfessionellen Herkunft zur Bekennenden Kirche zusammengefunden und auf der Barmer Bekenntnissynode im Mai 1934 „angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung" 18 zum ersten Mal seit der Reformationszeit eine gemeinsame „ Theologische Erklärung" formuliert; spätestens im Verlauf des Meinungsstreites um die Kirchenausschüsse zeigte sich jedoch, daß die Barmer Theologische Erklärung auf Dauer ihre bindende Kraft verlor, ja sogar eine polarisierende Wirkung entfaltete. Die Texte dieser Edition belegen einmal mehr, in wie hohem Maße die innerkirchlichen Auseinandersetzungen nach 1934 in ihrem Kern eigentlich Kontroversen über die Bedeutung von „Barmen" waren. Für die Kreise um die Vorläufige Kirchenleitung II rückte „Barmen" in die Nähe eines neuen, kirchengründenden Bekenntnisses, an dem sich nicht nur die persönliche Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche, sondern auch jede Kirchenleitung zu messen haben sollte. Diese — in der Lage „zerstörter" Kirchen durchaus verständliche — Sicht vermochten jedoch besonders die Gründungsmitglieder des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) und ihre theologischen Freunde nicht zu teilen. Für sie war die Identität der lutherischen Kirche in den Bekenntnissen der Reformationszeit begründet, auf die sich lutherische Kirchen in ihren Verfassungen und Kirchenordnungen im allgemeinen verpflichteten. Beide Seiten konnten sich mit gewissem Recht auf die Barmer Theologische Erklärung berufen. In ihr standen allerdings gewichtige Aussagen in einem spannungsvollen Nebeneinander; denn es war dort einerseits durchaus von der „Vereinigung" der bisher getrennten Kirchen und von der „Gemeinsamkeit" des Bekenntnisses die Rede, andererseits aber wurde gleichzeitig ebenso die Treue zu den je unterschiedlichen Bekenntnissen betont sowie die Tatsache, daß die Deutsche Evangelische Kirche nach wie vor ein „Bund der Bekenntniskirchen" sei19. Beide Flügel der Bekennenden Kirche gerieten in ihrem theologischen Denken und mit ihren ekklesiologischen Konzeptionen in gewisse konfessionalistische Engführungen, aus denen sie nicht wieder heraus-
17 EBD., S. 479. Schmidt weist mit Recht daraufhin, Leitung zu verstehen sei" (EBD., S.XXV). 1 8 Zit. 19
nach
EBD.
daß „ unklar blieb, was unier geistlicher
H . B R A U N / C . NICOLAISEN, V e r a n t w o r t u n g
1, S . 4 5 1 .
XX
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fanden: Bis weit nach 1945 blieb die kirchenpolitische Landschaft in Deutschland durch das Gegenüber eines gewissen „Barmen-Konfessionalismus" auf der einen Seite und eines lutherischen Konfessionalismus auf der anderen Seite geprägt™. Bis zur Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) im März 1936 hatte der Gedanke, das deutsche Luthertum zusammenzuschließen, vor allem im Lutherischen Rat (Sommer 1934) und im Lutherischen Pakt (Februar 1935) Gestalt gewonnen. Einen nach außen sichtbaren Erfolg verbuchte die lutherische Sammlungsbewegung dann knapp vor dem Amtsantritt Kerrls mit dem Deutschen Lutherischen Tag vom 2. bis 5• Juli 1935 in Hannover. Auf dieser repräsentativen Versammlung — einer synodenähnlichen Veranstaltung — waren Lutheraner aus nahezu allen Teilen Deutschlands anwesend, vor allem gehörten ihr Vertreter aus vielen „zerstörten" Landeskirchen und den meisten Provinzialkirchen der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union an. Es gelang, sich auf eine gemeinsame Erklärung „ Gestalt und Ordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche"21 zu verständigen. Damit schien eine Einigung des lutherischen Lagers näher gerückt, zumindest ein wichtiger Schritt getan, um die Idee der Gründung einer deutschen lutherischen Kirche in die Tat umzusetzen. Tatsächlich aber standen noch immer alte und neue Hindernisse im Weg. Nicht nur mangelte es, wie Thomas Breit im Dezember 1935feststellte, an einer einheitlichen lutherischen Theologie (Dokument 13, S. 126f); als besonders schwierig erwies sich das Problem, wie die sog. Unionslutheraner, d. h. die bewußt lutherischen Gemeinden und Kirchenglieder vor allem in Preußen, die einem unierten Kirchenregiment unterstanden, in eine lutherische Kirche eingegliedert werden könnten, ohne daß damit die „Union" gesprengt resp. das Kirchenregiment der Bruderräte in den „zerstörten" unierten Kirchen in Mitleidenschaft gezogen würden. Unklar war ferner, was die lange angekündigte und in den Jahren 1935/36 noch immer erwartete staatliche Reichsreform Jiir die Umgestaltung der historisch gewachsenen Kirchenlandschaft bedeuten könne (Dokument 3, 25). Bei diesem Stand der Entwicklung brachen die Differenzen um die Kirchenausschüsse auf, die auch das lutherische Lager entzweiten und den Konsens von Hannover mit Blick auf ein geeintes lutherisches Kirchentum in Deutschland zumindest Jiir den Augenblick wieder in Frage stellten; denn es war selbst dem Lutherischen Rat im Winter 1935 nicht möglich, eine verbindliche Aussage fur den Umgang mit den Kirchenausschüssen zu formulieren (Dokument 13, 14). 20 Ähnlich schon K. D . SCHMIDT, D o k u m e n t e II, S. XXVI. K. NOWAK, Barmer Bekenntnissynode, S. 250 spricht davon, daß „àie verschiedenartigen Kräfte der Bekennenden Kirche . . . in einer je anders gearteten Teilinterpretation Barmens erstarrt" seien: die Lutheraner in der „Isolierung und Verabsolutierung des Rufs zum Bekenntnis der lutherischen Reformation", die „Dahlemiten" in einem „Barmen-Fundamentalismus". 21 K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. I46f.
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Die Landesbischöfe August Marahrens, Hans Meiser und Theophil Wurm hatten sich im Februar 1935 in den Vereinbarungen fiir den Lutherischen Pakt auf konkrete Maßnahmen, vor allem engere Zusammenarbeit in theologischen und kirchenrechtlichen Fragen verständigt, um so allmählich ein gemeinsames lutherisches Kirchenregiment fur ihre Landeskirchen vorzubereiten21. Es ist schwer einzuschätzen, ob diese Kirchenfuhrer einen weiterreichenden lutherischen Zusammenschluß gerade im Februar/März 1936 realisiert hätten, wären sie nicht schon vor der Einsetzung der Kirchenausschüsse dem ständigen Druck führender Vertreter von Bruderräten aus „zerstörten" lutherischen Kirchen ausgesetzt gewesen. Nachdem der sächsische Landesbruderrat den vergeblichen Versuch unternommen hatte, die Landeskirche dem Lutherischen Pakt anzuschließen20, wurden Männer wie Hugo Hahn, Niklot Beste und Ernst Otto als Sprecher der Bruderräte in Sachsen, Mecklenburg und Thüringen nicht müde, immer wieder nachzufragen, auf welche Weise die von ihnen vertretenen Lutheraner sich auf der Grundlage des gemeinsamen Bekenntnisses den „intakten" Kirchen fester verbinden könnten (ζ. B. Anhang II). Vor dem Hintergrund der „Zerstörung" der Gemeinden und der Bedrängnis der Pfarrer in ihren deutschchristlich regierten Kirchen baten sie dringend um eine baldige Entscheidung. Diese Männer gehörten auch nach der Synode von Bad Oeynhausen dem neu berufenen Reichsbruderrat an, hielten sich aber — bei gleichzeitigem Einsatz fur die Einheit der Bekennenden Kirche — zum „bischöflichen"Flügel und besaßen — im Unterschied zu anderen Kirchen — fur eine solche Entscheidung in ihren landeskirchlichen Bekenntnisgemeinschaften resp. Bruderräten eine Mehrheit. Es schien nach Lage der Dinge nicht mehr auszureichen, diese Bekenntnisgemeinschaften einzelnen „intakten" Landeskirchen zur Betreuung zuzuweisen; ihre Sprecher verlangten, sich einer lutherischen geistlichen Leitung unterstellen zu können, die ihre Belange auch nach „außen" — gegenüber dem Staat, gegenüber dem Reichskirchenausschuß und schließlich auch gegenüber der Vorläufigen Kirchenleitung II — wahrnehme. Spätestens nach deren Amtsantritt schien diese Forderung aus den lutherischen Bruderräten unabweisbar, und da sich auch die „intakten" lutherischen Landeskirchen nicht durch die Vorläufige Kirchenleitung II vertreten lassen wollten, wurde zwischen dem 27. Februar und dem 18. März 1936 überraschend und unfeierlich die Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) vollzogen1'1, — ohne Rücksicht auf die 22
Text
der
Vereinbarung
ζ. B. G A U G E R I I I , S . 4 5 3 - 4 5 7 ; L U T H E R I S C H E G E N E R A L S Y N O D E
1948,
S. 2 0 8 - 2 1 1 .
23 Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf 2, S. 350. 24 Wie sehr die veränderte kirchenpolitische Situation zu der relativ „spontanen " Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) beigetragen hat, belegt erstmals Dokument 19 dieses Bandes. Die undatierte, nur mit „ Würzburg" überschriebene Aufzeichnung vom 27. Februar 1936 ist nicht im Wachstuchheft, sondern auf Einzelblättern überliefert (Meiser hat vermutlich dieses Treffen im voraus nicht fur entscheidend gehalten). Die Bearbeiter konnten sie erst verhältnismäßig spät mit Hilfe der Stolischen „Gegenüberlie-
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Lutheraner in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union und in anderen unierten Kirchen 25. Trotz aller Bemühungen gelang es dem Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) nicht, die Anerkennung durch den Reichskirchenminister zu erlangen. Aus der Sicht Kerrls vermehrte dieses Gremium nur die Zahl der „illegalen" Kirchenleitungen und verschärfte auf diese Weise den evangelischen Kirchenstreit. Tatsächlich empfanden sich der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) und die Vorläufige Kirchenleitung LI als konkurrierende Leitungen, — wobei letztere allerdings beanspruchte, die (vorläufige) Leitung der ganze η Deutschen Evangelischen Kirche zu sein. Der in beiden Lagern als Affront empfundene Zustand wuchs sich, von theologischen Differenzen ganz abgesehen, zu einer Art Machtkampf aus, in dem sich einige der Kontrahenten gelegentlich auch die menschliche Glaubwürdigkeit absprachen (Dokument 50). Versuche einzelner Persönlichkeiten zum Brückenschlag (Dokument 47, 50, Anhang IV) schlugen völlig fehl; eine Annäherung erfolgte — in dem hier betrachteten Zeitabschnitt — trotz der fur beide Gremien gleichermaßen bedrohlichen Haltung des Staates nicht. Meisers Aufzeichnungen legen offen, wie sehr insbesondere die Denkschrift der Vorläufigen Kirchenleitung II an Hitler vom Mai 1936 und die Umstände ihrer Verbreitung im Ausland die Atmosphäre nachhaltig vergifteten. Während eine Kooperation zwischen Reichskirchenausschuß und Vorläufiger Kirchenleitung II von beiden Seiten her nicht zur Debatte stand, war der Reichskirchenausschuß geneigt, dem Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) die geistliche Leitung für die ihm angeschlossenen lutherischen Kirchen zuzubilligen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er dringend des Rückhalts dieses neuen lutherischen Gremiums bedurfte. Denn die Schwierigkeiten, mit denen der Reichskirchenausschuß seit seiner Einsetzung zu kämpfen hatte, waren aus verschiedenen Gründen erheblich. Die zum Teil hochgeachteten „Männer der Kirche" 26 , allen voran der ehemalige Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner, die sich dem Reichskirchenminister im Herbst 1935fur den Reichskirchenausschuß (und den preußischen Landeskirchenausschuß) zur Verfugung gestellt hatten, waren voller Zuversicht ans Werk gegangen (Anhang III). Doch bereits nach wenigen Wochen erwies ferung" identifizieren und einordnen. Tatsächlich liegt hier jedoch der Text einer Besprechung vor, auf der im wesentlichen bereits die Weichen fur den am 11./18. März 1936 vollzogenen Zusammenschluß der lutherischen Kirchen gestellt wurden. 25 In Baden drängten beispielsweise starke Kräfte, unterstützt von Landesbischof Julius Kühlewein, darauf den Bekenntnisstand der konsensusunierten Landeskirche zum Zwecke eines Anschlusses an den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) zu überprüfen (vgl. das Votum Breits Dokument 28, S. 252). 26 Vgl. oben Anm. 11 (3- Oktober 1935).
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sich der Reichskirchenausschuß als mehr oder minder handlungsunfähig; einmal, weil das Reichskirchenministerium dessen kirchenregimentlichen Vollmachten niemals eindeutig definierte und gegensteuerte, sobald die gefällten Entscheidungen — etwa die Ablehnung der Thüringer Deutschen Christen aus theologischen Gründen oder die Aufwertung der „illegalen" Bruderräte in Mecklenburg und Thüringen — den staatlichen Intentionen zuwiderliefen, zum anderen, weil sich die Mitglieder des Reichskirchenausschusses aufgrund unvereinbarer Auffassungen sehr bald selbst blockierten (Dokument 28, S. 243)· Nicht zuletzt nahm die Unterstützung, die der Reichskirchenausschuß in der Kirche anfangs zumindest partiell gefunden hatte, rapide ab. Spätestens als deutlich wurde, daß das anfängliche Vertrauensverhältnis zum Reichskirchenminister in die Brüche ging, drohte auch der Verlust der staatlichen Beauftragung. Jetzt versuchte der Reichskirchenausschuß, seine Existenz dadurch zu retten, daß er auf eine nachträgliche kirchliche,, Vokation" drängte. Doch selbst die ursprünglich kooperationsbereiten nicht-deutschchristlichen Kirchenführer verweigerten ihm die erbetene Anerkennung, weil er sich — auch in erregten Debatten — nicht dazu bewegen ließ, eine verpflichtende Bekenntniserklärung abzugeben (Dokument 46 und Anhang IX). Die Kirchenführer ihrerseits täuschten sich allerdings, als sie meinten, die neu belebte Kirchenführerkonferenz oder ein von ihr bestimmtes — also rein kirchliches — Gremium (Dokument 33, 36, 38-40, 44—46, 53—55) könne nach dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses das entstandene Vakuum füllen. Zu dieser Zeit waren sie über die gesamtpolitische Entwicklung und die Behandlung der Kirche durch Staat und Partei so irritiert, daß sie davon Abstand nahmen, für Deutschland an den geplanten ökumenischen Konferenzen in Oxford und Edinburgh teilzunehmen (Anhang X). Der in diesem Band behandelte Zeitraum ist in der Literatur im großen und ganzen besser dokumentiert als andere Abschnitte der Geschichte des „Kirchenkampfes"17. Dennoch fehlen noch immer detaillierte monographische Einzelstudien über Entstehung, Organisation, Konzeption, Aktivität und personelle Zusammensetzung wichtiger kirchlicher Gremien und Amtsstellen, etwa der Vorläufigen Kirchenleitungen I und II, des Reichsbruderrates, des Reichskirchenausschusses, der Kirchenführerkonferenz und nicht zuletzt des Reichskirchenministeriums. Forschungsdefizite der angedeuteten Größenordnung kann eine Edition nicht beheben, aber manch ein neuer Befund aus den hier vorgelegten Texten ließe sich aufnehmen und weiterverfolgen mit dem Ziel, 27 Hervorzuheben ist besonders K.D.SCHMIDT, Dokumente II. In dieser umfangreichen und hilfreichen Dokumentation wurde allerdings weitgehend auf eine Kommentierung und damit auch Zuordnung der Dokumente verzichtet. Dank der bei Schmidt abgedruckten Schriftstücke konnten jedoch viele Texte Meisers besser erschlossen und in ihren Kontext eingeordnet werden; umgekehrt wird ofi erst durch die Meiserschen Aufzeichnungen deutlich, in welchen engeren Zusammenhang die bei Schmidt veröffentlichten Dokumente gehören.
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bisher vernachlässigte Linien auszuziehen, bestimmte Positionen in der vorhandenen Literatur zu überprüfen und neu zu bewerten. Dies gilt etwa für die komplizierten Binnenstrukturen und divergierenden Zielvorstellungen innerhalb des Reichskirchenausschusses und der sog. Kirchenführerkonferenz, die die Verhandlungen beeinträchtigten und die Kommunikation der Mitglieder untereinander gelegentlich sogar unmöglich machten, insbesondere aber für die Bedingungen und Zusammenhänge, die im März 1936 zur Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) führten. Handlungsstränge, Wege und Umwege dieser Gründung werden hier erstmals freigelegt; sie sind als Teilskizze der Geschichte des deutschen Luthertums der 30er und 40er Jahre und zugleich als ein Stück Vorgeschichte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) des Jahres 1948 einzuordnen. Insgesamt überliefert auch dieser Band wieder Aufschlüsse über Entscheidungsprozesse, von denen in vielen Fällen bisher nur die Ergebnisse, d. h. geglättete, gelegentlich nur teilweise veröffentlichte Erklärungen, Worte und Beschlüsse bekannt sind. Die edierten Texte werfen Licht auf die Frage, unter welch bedrängenden Umständen Entscheidungen zustandegekommen sind, wann konfessionelle oder politische Grundsätze festgehalten, wann aufgegeben wurden, wer Entwicklungen vorangetrieben oder behindert hat, welche äußeren Einflüsse aus Kirche, Staat und Partei berücksichtigt oder übergangen wurden. Viele aus dem ersten Band bekannte, aber auch neue Akteure des kirchenpolitischen Geschehens28 treten auf und charakterisieren sich in ihren Redebeiträgen selbst als unnachgiebige oder kompromißbereite, entschlossene oder zögernde, klarsichtige oder fehlgeleitete Zeitgenossen. Die einflußreiche Rolle, die einzelne Persönlichkeiten — zu nennen sind etwa Niklot Beste, Thomas Breit und Christhard Mahrenholz — in dieser Zeit gespielt haben, wird erstmals deutlich. Über die Sachinhalte in all ihrer Mannigfaltigkeit hinaus vermitteln die Sprecher etwas von der vorsichtig optimistischen, ja auch illusionären Atmosphäre, die nach Kerrls Amtsantritt anfanglich in verschiedenen Gesprächsrunden vorgeherrscht hatte, aber schon bald Gefühlen von wachsender Hilflosigkeit, Resignation und Bitternis wich. Die von der Quelle vorgegebene Anlage der Edition erlaubt es dem Leser generell, Entwicklungsprozesse einzelner Gremien oder den Klärungsprozeß zwischen den verschiedenen Bern tungs- und Entscheidungskörpern quasi in einer gleichzeitigen Zusammenschau zu verfolgen. Das macht, wie in Band 1, die Einzigartigkeit der Mitschriften Meisers aus.
28 Mit Hilfe der Originaltexte und Gegenüberlieferungen ließ sich manches unbekannte Detail hinsichtlich der Besetzung von Gremien wie auch der Funktionen ihrer Mitglieder aufklären, die — häufig ehrenamtlich bzw. nebenamtlich ausgeübt — in den Personalakten der Betreffenden nicht immer festgehalten sind.
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Im ganzen sind bei der Anlage dieses Bandes die Editionsgrundsätze von Band 1 beibehalten worden. Die Vorlagen wurden für die Druckfassung in bezug auf Rechtschreibung, Zeichensetzung und Untergliederung der Dokumente vereinheitlicht. Alle falsch geschriebenen Eigennamen wurden stillschweigend korrigiert, private bzw. damals gängige interne kirchliche Abkürzungen aufgelöst. Gesicherte Ergänzungen der Bearbeiter erscheinen im Druck kursiv, ungesicherte Auflösungen oder Zusätze in kursiven eckigen Klammern, Einfügungen, die den Satz in seinem Fluß unterbrechen, in steilen eckigen Klammern. Die Kopfregesten sind in der Regel von den Bearbeitern formuliert worden; in der Datumszeile wurden korrekte Angaben der Quelle übernommen, Irrtümer unkommentiert berichtigt und fehlende Teile ergänzt. Im Apparat, der sich anschließt, wird unter I. der Fundort angegeben, unter II. folgt dann, häufig in getrennten Alphabeten, die Liste der Teilnehmer resp. der Gesprächspartner, soweit sie zu ermitteln waren: Steil gesetzte Namen hat Meiser selbst in der Textvorlage oder seinem Amtstagebuch festgehalten; kursiv gesetzte Namen haben die Bearbeiter aus der Sekundärliteratur und vor allem aus der Gegenüberlieferung erschlossen. Unter III. sind so präzise wie möglich Tagungsort und -zeit angegeben, unter G schließlich die zu den jeweiligen Aufzeichnungen Meisers aufgefundenen direkten Gegenüberlieferungen angeführt. Um dem Leser die komplexen Inhalte und Zusammenhänge der Originale zu erschließen, mußten die Texte neben der editorischen Aufbereitung ausführlich kommentiert werden. Dabei reichte es in zahlreichen Fällen nicht aus, Betreffe knapp zu erläutern. Unleserliche oder bis zur Unverständlichkeit verkürzte Stellen, nicht selten auch einzelne Wörter waren aufzuschlüsseln, wenn sich hinter ihnen kompliziertere Sachverhalte verbergen, die zwar Meiser und seinen Zeitgenossen geläufig waren, nicht aber dem heutigen Leser verständlich sind. Manches zunächst enigmatische Textbruchstück wurde wieder und wieder an der handschriftlichen Vorlage, verschiedenen ungedruckten und gedruckten Schriftstücken und, wo möglich, der Sekundärliteratur geprüft, bevor in der Fußnote überhaupt eine schlüssige oder wahrscheinliche Interpretation angeboten werden konnte. Wo die Bearbeiter: „Nicht ermittelt" vermerkten, wurde in aller Regel vorher der Zusammenhang zu klären versucht; lediglich in einigen Fällen erschien eine Nacharbeit als zu aufwendig. Wegen der notwendigen Aufhellung so vieler nicht aus sich selbst verständlicher Textstellen hat der Anmerkungsapparat einen verhältnismäßig großen Umfang angenommen. Wir haben erneut allen — im Quellenverzeichnis namentlich aufgeführten — Personen zu danken, die uns mit Rat und Tat behilflich waren, das umfangreiche Material für die Kommentierung zusammenzutragen. Unser Dank gilt an erster Stelle den Archivleitern und ihren Mitarbeitern, die auch dann noch Geduld und Verständnis aufbrachten, als wir in letzter Minute Informationen zur Vervollständigung verbliebener kleiner Lücken
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erbaten. Unsere Kollegin Gertraud Grünzinger-Siebert hat uns wieder bei der Entschlüsselung vieler verderbter Textstellen in den Originalen geholfen und auch schwierige Interpretationsfragen uneigennützig mit uns diskutiert. Ulrich Schultz M. A. hat, geduldig und gesprächsbereit, dank seiner technischen Kenntnisse die Druckvorlage im Computer erstellt; bei den umfangreichen Verzeichnissen und Registern haben Betina Heckner, Susanne Nicolaisen und vor allem Norbert Schulze geholfen. Ihnen allen sei für ihre Mühe und Sorgfalt herzlich gedankt. Unser besonderer Dank gilt schließlich Herrn Prof Dr. Joachim Mehlhausen, der sich die Zeit genommen hat, die Fahnenkorrektur aufmerksam mitzulesen, und Herrn Rudolf Stöbener vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der die Drucklegung des Manuskripts sachverständig begleitet hat. München, im November
1992
Hannelore Braun Carsten Nicolaisen
ABBILDUNGEN
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Abbildungen
1. Wilhelm Zoellner 1935
2. Christhard Mahrenholz 1935
3. Otto Koopmann 1935
4. Johannes Eger 1935
Abbildungen
7. Friedrich Hanemann 1935
XXIX
8. Theodor Kuessner 1935
XXX
Abbildungen
11. Ernst O t t o ca. 1932
12. Karl Koch
XXXI
Abbildungen
14. Hermann Muhs
BiUnachweis Abb. 1-8 F r e i m u n d . Luth. W o c h e n b l a t t f ü r Kirche u n d Volk für das J a h r 1935, 81.Jg., S . 4 4 5 ; Abb. 9 Landeskirchliches Archiv Nürnberg; Abb. 10 Propst H e r m a n n Beste, Kirche G r a m b o w ( M e c k l e n b u r g ) ; Abb. 11 Landeskirchliches Archiv Eisenach; Abb. 12 Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen (Best. 2 5 Nr. 6 8 6 ) ; Abb. 13 u n d 14 Bundesarchiv Koblenz; Abb. 15 Berlin D o c u m e n t Center.
15. Hermann von Detten 1935
DOKUMENTE
1
Besprechung mit Kerrl 1935 August 23 I. Meiser, Mappen Nr. 3. II. von Bodelschwingh — Eger — Humburg — Kerrl (Ef — Karl Koch - Loycke — Marahrens — Meiser — Niemöller - Putz — von Soden. Bosse — Hage — Hahn — Heyden — Holstein — Friedrich Klein — Kühlewein — Kuessner — Lohmann — Meinzolt — Gerhard Merzyn — Stahn — Stoltenhoff— Winckler — Wurm — Zänker. III. Berlin W 8, Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten („Preußenhaus"), Str. 3; von 10.00 Uhr bis 14.30 Uhr. G: l . Meiser, ATB; 2. Mitschrift eines Teilnehmers (EZA Berlin, 50/17; Druck: K. D. Dokumente II, S. 1372-1377); 3. Notizen Niemöllers (LKA Bielefeld, 5,1 Nr. 19 4. Rundschreiben der VKL I vom 4. September 1935 (EvAG München, NL Forck); derschrift (Merzyns?) - (LKA Kassel, NL Happich, Gesamtkirche 1933-1939).
Leipziger Schmidt, Fase. 1); 5• Nie-
Kerrl: Aussprache mit dem Führer [ H i t l e r ] hat vollkommene Ubereinstimmung zwischen uns beiden ergeben2. Für die Zukunft trägt den Erfolg der Führer, den Mißerfolg ich. Von nun ab werde ich selbständig handeln. Wenn ich Sie nicht [drei Wörter unleserlich] bin ich verpflichtet, zuerst auseinanderzusetzen, von welchem Standpunkt ich an die Sachlage herangehe. Niemals ist entscheidend das Gesetz, sondern die Persönlichkeit, die es ausführt. Es ist entscheidend, daß ich 1 Der Reichskirchenminister hatte nach seiner Amtsübernahme zunächst am 8. August 1935 die preußischen Oberpräsidenten (K. MEIER, Kirchenkampf 2, S. 70 f.) und am 21. August 1935 die DC-Kirchenführer empfangen (Niederschrift Balzer: STADTA MINDEN, Bestand DC), um ihnen die Grundzüge seiner Kirchenpolitik vorzutragen. Am 23. August wollte Kerrl ein Gespräch mit der „Bekenntsn'isfront" führen; es waren jedoch auch Vertreter der „Mitte" sowie „gruppenmäßig nicht engagierte Kirchenmänner" eingeladen (K. MEIER, Kirchenkampf 2, S. 402). Niemöller protestierte in einem Schreiben an Marahrens vom 22. August 1935 dagegen, den Kreis der Geladenen als „Vertretung der Bekennenden Kirche" anzusehen; er fürchtete, Kerrl habe die Besprechung lediglich darum anberaumt, „um festzustellen, daß sich die ,Bekenntnisfront' in sich nicht einig ist, daß also ein Staatsregiment für die Kirche den einzigen Weg der .Befriedung' darstellt" (K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 1371). 2 Nach G 2, S. 1372 hatte die Unterredung zwischen Hitler und Kerrl „vor kurzem" stattgefunden.
2
Dokument 1 / 1935 August 23
Ihnen meine Auffassung des Nationalsozialismus auseinandersetze 3 . Wir werden von den kommenden Geschlechtern beneidet werden um die Zeit, in der wir heute stehen. Die Revolution setzte ein bei Kopernikus. Er hat uns eine neue Idee gegeben. Seine Ideen kommen aus dem Gebiet des Glaubens. Seine Ideen widersprechen scheinbar dem christlichen Dogma. Darum erklärt die katholische Kirche, der Glaube ist in Gefahr. Luther sagt: Es sind Narrenteidinge 4 , die uns Kopernikus erzählt, aber Kopernikus kümmerte sich nicht darum. Er war gläubiger Katholik und starb in Frieden. Die katholische Kirche bannte die Lehre, aber das alles half nichts. Hinweis auf das Wort Gamaliels 5 . So ging es mit den Ideen des Kopernikus. Es entwickelte sich aus seinen Ideen die exakte Naturwissenschaft und aus ihr heraus die Technik. Aus der Wendung des Menschen zum richtigen Ziel hin (Beobachtung der Naturerscheinungen) entwickelte sich die unerhörte Revolution des ganzen geistigen Lebens. Nachdem diese Revolution über uns hingebraust ist, ist festzustellen, daß weder der katholische noch der evangelische Glaube dadurch berührt wurde. Die Monisten glaubten, uns klar machen zu können, daß man wissenschaftlich an das Wesen des Glaubens herankomme, eine unglaubliche Meinung 6 . Die vernünftigen Menschen hätten längst eingesehen, daß hier eine Unmöglichkeit vorliegt. Darum Scheidung der Gebiete des Glaubens und Wissens. Nun aber mußten wir feststellen, daß das Wort Jesu richtig ist: „Was hülfe es dem Menschen ... " 7 . Wir haben die ganze Welt gewonnen, aber wir mußten feststellen, letzten Endes nicht zum Nutzen des Menschen. In diese Zeit hinein, in der alle gegen alle standen, kam uns nun plötzlich die Stimme eines bis dahin Unbekannten, der uns zur Besinnung rief, und zwar zur Besinnung über uns selbst. Aber Gott ist nicht bei den Gerechten, sondern ist immer bei den Zöllnern und Sündern. Darum sagt er: Schlagt euch an eure Brust, wir haben allzumal gesündigt 8 . Die Natur des Menschen weist ihn auf die Gesell-
3 Ahnliches hatte Kerrl in öffentlichen Reden und am 21. August 1935 auch vor den DC-Kirchenfiihrern ausgeführt (Niederschrift Balzer; vgl. oben Anm. 1). 4 Vgl. Epheser 5, 4. Zu diesem Begriff bei Luther vgl. J. UND W. G R I M M , Deutsches Wörterbuch, 7. Bd. Leipzig 1889, Sp. 382. 5 Auf der Besprechung mit den DC-Kirchenführern hatte Kerrl Gamaliel nach Apostelgeschichte 5, 39 zitiert: „Wenn diese Sache [= der Nationalsozialismus\ aus Gott ist, so wird sie bleiben" (Niederschrifi Balzer; vgl. oben Anm. 1). 6 Nach G 2, S. 1372 erwähnte Kerrl besonders Ernst Haeckel und Charles Darwin. 7 Vgl. Matthäus 16, 26: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele." 8 Anspielung auf Lukas 18, 13: „Und der Zöllner ... schlug an seine Brust und sprach: ,Gott sei mir Sünder gnädig'."
Dokument 1 / 1935 August 23
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schaft. Die sozialistische Natur müßte ihre Befriedigung finden. Das Volk ist eine organische, aber immer selbst geschaffene Gemeinschaft. Der einzelne findet nur dann den Weg zu seinem Heil, wenn er sich dieser [Ordnung] beugt. Darum m u ß das Ziel des einzelnen Menschen sein das Aufgehen in dem ihm von Gott Bestimmten, der Nation. Darum m u ß das Ziel der Staatskunst sein die Sicherung des Bestandes der Nation. Erlebnis von 1914. Das Werk der physischen Lebendigkeit haben wir durch Vernunft zu einem Werk moralischer Form zu machen. Darum unsere Erkenntnis in der Rassenfrage. Kaum erklang unsere Lehre, so sagte die katholische Kirche, das ist eine Vergottung der Rasse, das ist Irrlehre. Sie wird gebannt 9 . Der Führer sagt: „Wenn diese Lehre dem Christentum widerspricht, dann widersprechen die Christen Gott. Ich habe den Menschen nicht gemacht" 1 0 . W i r haben nicht die Ansicht [sic!\, uns in das Gebiet des Glaubens einzumischen. Wer vorher gläubig war, kann, nachdem er Nationalsozialist geworden ist, nachher ebenso gut gläubiger Protestant oder Katholik werden, denn das alles widerspricht nicht dem positiven C h r i s t e n t u m " . Das positive Christentum fordert: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst 12 . W i r fordern damit etwas, was der christlichen Forderung absolut entspricht. Wenn wir fordern: Setze dein Leben ein für die Gemeinschaft, so fordern wir damit in etwa, was die höchste Blüte des Christentums ist (Hingabe des Lebens für die Brüder). Niemand braucht in seinem Glauben [gehindert] zu sein, wenn er sich beugt unter die Forderungen der nationalen Politik. (Die Botschafter [ein Wort unleserlich] die durch gemeinsames Blut miteinander verbunden sind zu ihrem gesamten Heil). Die Idee des Nationalsozialismus verdient, daß jeder ein religiöser Mensch ist, und ein religiöser Mensch wird den letzten Zielen des Nationalsozialismus folgen können. Deshalb m u ß der Nationalsozialismus verlangen, daß alles, was zu seiner Bewegung gehört, religiös ist.
9 Vgl. dazu die Dokumente aus den Jahren
1930/31 bei
H . MÜLLER,
Katholische Kirche,
S . 1 3 - 4 1 ; B . STASIEWSKI, A k t e n I, S . 7 8 7 - 8 4 3 .
10 Zitat nicht ermittelt. 11 Kerrl bezog sich hier auf Artikel 24 des Parteiprogramms
der NSDAP vom 24. Februar 1920:
„Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz" (zitiert nach G . F E D E R , Programm, S. 18). 12 Vgl. 3. Mose 19, 18.
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Atheisten und Materialisten können nicht [ein Wort unleserlich]. Solche [ein Wort unleserlich] sind bereit, ihr Leben hinzuschmeißen. Aus diesem Grund fordert der Nationalsozialismus den religiösen Menschen. Ebenso selbstverständlich kann er nicht in die Glaubensungewißheit [sie!] und -freiheit des einzelnen eingreifen. Hier beginnt das Majestätsrecht der Gewissensfreiheit. Damit liegt ganz klar, was der Nationalsozialismus unter positivem Christentum verstand. Er kann nicht dulden, daß seine Menschen Atheisten werden. Damit liegt klar, daß er sich freihalten muß von den Eingriffen in die Gewissensfreiheit selbst. Es ist ein Unsinn, daß sich die Deutsche Glaubensbewegung 13 nationalsozialistisch drapiert. Die Partei denkt gar nicht daran, sich irgendwie zu identifizieren mit irgendeiner Konfession. Wir denken nicht daran, irgendeinen Zwang auf irgendeinen Menschen auszuüben. Das deutsche Volk hat in seiner Vergangenheit bekannt, daß es christlich ist. Wir sind bereit, dieses Christentum zu schützen, wir sind bereit, von jedem Menschen das praktische Christentum für sein Handeln zu fordern. Der Führer hat schon vor Jahren gesagt: Wenn doch die evangelische Kirche ihre Stunde erkennte 14 . Leider haben die Menschen ihre Stunde nicht zu fassen verstanden. Was die kirchliche Lage anlangt: Es stehen einander Parteien gegenüber, die sich vorwerfen, ihr seid die Schuldigen, und wir sind die Gerechten. Nur wenn aus beiden Parteien Zöllner 15 werden, haben die Parteien, die Zöllner werden, Anspruch und Recht darauf, die evangelische Kirche zur Einigung zu führen. Der Staat hat das höchste Interesse an einer geeinten Kirche. Die evangelische Kirche steht anders dem Staat gegenüber als die katholische Kirche. Luther wollte eine deutsche Volkskirche haben, aber eine Volkskirche, die eine neue Stütze für den Staat war. Die damalige Zeit ist anders als die heutige. Aber damals konnte Luther sein Ziel überhaupt nur erreichen, wenn er mit den Fürsten sich stellte. Luther stände hier begeistert neben dem Führer und hätte die Stunde erkannt, die sich ergab für ein Inbewegungsetzen des Innersten des deutschen Menschen. Wenn wir von der evangelischen Kirche als von einem Leichnam sprechen mußten, dann ist das die Schuld derer, welche nicht zu wirken verstanden auf die Menschen. Immer muß man sich vom Volk belehren lassen, denn das Volk läßt sich nicht belehren. Wo 13 Seit 1933 bestehender Zusammenschluß verschiedener völkisch'religiöser („neuheidnischer") Gruppen unter Führung des Tübinger Religionswissenschafilers J . W. Hauer. 14 Am 13. März 1934 hatte Hitler auf dem Empfang der Landesbischöfe Meiser und Wurm geäußert: „Die Kirche hat ihre Zeit verkannt" (DOKUMENTE II, S . 8 0 ) . 15 Vgl. dazu Lukas 18, 9-14.
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das Volk in der instinktiven Stimme seines Willens etwas will, darf man überzeugt sein, daß das Volk recht hat. Es wäre nicht recht zu sagen: An dem gegenwärtigen Zustand haben nur die Pastoren usw. schuld. Ich sage immer: Alle beteiligten Faktoren haben schuld. Ich stehe hier als Zöllner: Was geschehen ist, ist nicht richtig. Wenn es richtig wäre, hätte es zu richtigen Lösungen geführt. Darum bin ich der Auffassung, daß der Weg, den man beschritten hatte mit dem Ziel, das der Staat haben muß, nicht richtig war. Es konnte unmöglich eine Einigung erzielt werden von außen her, von der Fassade her. Sie müßte von innen her erzielt werden, darum bedauere ich den Weg, den man ging, der schließlich nur zur Bildung von Fronten geführt hat 16 . Frage nach der einheitlichen Weltanschauung. Ich bin der Überzeugung, daß wir das Christentum schützen müssen aus verschiedenen Gründen. Das deutsche Volk ist christlich dieser Gesinnung nach. Das Christentum muß sich in sich reinigen. Die germanischen Völkerschaften sind ohne weiteres Christen geworden, wenn sie auf das Christentum trafen. Arianismus — Athanasianismus 17 . Ich schätze Karl den Großen außerordentlich. Wir sind Christen geworden, aber wir sind es immer nur als Germanen geworden. Ekkehart: hier sehen Sie den arianischen Christen stehen. „Das Licht Gottes ist in uns" 18 . Das brach auch in Luther heraus. Luther unternahm eine Reinigung des Evangeliums vom [ein Wort unleserlich\. Er mußte den Weg gehen zum Wort, aber das Wort galt ihm nichts in seiner äußeren Form. Ihm ist es nur um einen inneren Glauben zu tun. Wir Nationalsozialisten haben das [Gebot] Luthers vom Glauben recht verstanden, daß uns der Glaube innerlich frei macht. Wie Luther es wollte, ist es nicht geworden. Es wurde das Wort in seiner äußeren Form zu stark in den Vordergrund geschoben. Schließlich werden die Pfarrer wandelnde Bücher. Die Pflicht der Pfarrer ist es, wieder lebendige Menschen zu werden, den Menschen wieder zu sich selbst zu führen. Und damit sie zum Nationalsozialismus zu bringen.
16 Vgl. G 2, S. 1373, wo es heißt: „Die Kirche hat in vielem falsch gehandelt, aber auch der Staat hat in der Kirchenfrage Fehler gemacht. Eine Einigung in der DEK kann nicht von außen, sondern nur von innen her gemacht werden. Ich bedauere, daß dieser falsche Weg vom Staat gegangen wurde". 17 Widerstreitende theologische Richtungen im 4. Jahrhundert. Der Arianismus fand bei den Goten Anklang und trennte die Germanenreiche der Völkerwanderung von der römisch-katholischen Bevölkerung des Mittelalters. Auf dem Empfang der DC-Kirchenfuhrer zwei Tage zuvor (vgl. obenAnm. 1) hatte Kerrlgeäußert „Wünschenswert wäre gewesen die Umwandlung des Christentums bei uns zu einer arianischen Form." 18 Zitat nicht ermittelt. Sinngemäßfindet sich die Wendung vom Lichte Gottes bzw. göttlichen Lichte bei Meister Ekkehart (1260-1327/28) häufig.
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Jesus hat recht, wenn er sagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen"19. Ich bin der Uberzeugung, daß man neue Religionen nicht mehr stiften kann, [daß] seit Jesus die alten Religionen an ihn anknüpfen müssen. Ich möchte nur das eine: eine in sich geschlossene und geeinte Kirche, die dem deutschen Menschen die Worte wieder erschließt, die im Christentum beschlossen sind. Wunder der nationalsozialistischen Bewegung. Sie wissen, was wir als Menschen erstreben, wir wissen, daß das nicht etwas ist, was der religiösen Politik absolut entspricht. Nun hat mich der Führer beauftragt, auf dem Gebiet der Kirche Klarheit zu schaffen20. Nun sagen Sie selbst: Wie soll ich handeln? Man gebe dem Reichàì'ischof [Ludwig Müller] gesetzliche Grundlagen21, dann kann es weitergehen. Nein, mir liegt nicht an den äußeren Fassaden, mir liegt an einer innerlich geschlossenen Kirche. Soll ich umgekehrt sagen: Die Vorläufige Kirchenleitung22 wird endgültige Kirchenregierung? Das kann ich nicht. Ich handle nach Luthers Willen. Luther verlangt vom Staat, daß er darauf schaut, ob die evangelische Kirche in Ordnung sei. Wenn sie nicht in Ordnung ist, dann verlangt er vom Staate, daß die Kirche in Ordnung gebracht wird. Das Recht steht heute dem Reich und dem Führer zu. Aus dieser Erkenntnis heraus [wähle ich] den Weg, den ich gehen muß. Einer muß für Ordnung sorgen, die notwendig ist, um eine innere Reformation herbeizuführen. Ich kann nicht mehr dulden, daß Sie sich gegenseitig aus den Amtern herausschmeißen. Ich kann nicht dulden, daß die Pastoren, die sich am Nationalsozialismus orientieren, herausgeschmissen werden23. Ich will die Glaubensfreiheit auch den Pastoren 19 Matthäus 24, 35. 20 Vgl. G 2, S. 1372: „Ich habe schon vor längerer Zeit vom Führer den Auftrag erhalten, die Kirchenfrage in die Hand zu nehmen. Der Führer hat mir Zeit gelassen, mich einzuarbeiten. Das habe ich fünf Monate lang getan." 21 Das Reichsbischofsamt hatte seine gesetzlichen Grundlagen eigentlich in der Verfassung cUr DEK vom 11. Juli 1933; Reichsbischof Ludwig Müller hatte sich aber in seiner Amtsführung von dieser Verfassungsgrundlage entfernt. — Am 21. August 1935 hatte Kerrl vor den DC-Führem betont: „Ich möchte wünschen, daß sich in der evangelischen Kirche eine Persönlichkeit finden möchte, der es gelingt, sie wieder zusammenzuschließen." Mit Recht vermerkte Balzer dazu, daß dies die „erste klare Absage" des Ministers an den Reichsbischof gewesen sei (Niederschrift Balzer; vgl. oben Anm. I). 22 Gemeint ist die am 22. November 1934 von der Bekennenden Kirche herausgestellte, bis zur 4. Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen im Februar 1936 amtierende Kirchenleitung (VKL I), die keine staatliche Anerkennung erhalten hatte. 23 In der Regel wurden eher bekenntniskirchliche Pfarrer von DC-Kirchenbehörden diszipliniert; in Bayern kam es allerdings auch zur Entlassung von einigen DC-Pfarrern (vgl. H . B A I E R , Deutsche Christen, S. 177ff.)·
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geben. Es wäre das schädlichste, wenn der Mensch in der Kirche gezwungen würde, den Buchstaben zu glauben. Ich gedenke, im ganzen Reich innerhalb der Kirche die Vermögensverwaltung in meine Hände zu nehmen. Ich gedenke in meine Hände zu nehmen die Disziplinargewalt. Ich will, daß nunmehr Ordnung und Ruhe innerhalb der Kirche vorhanden ist. Ich will auch die Kirchenverwaltung in meine Hände nehmen (Geistliches Ministerium 2 4 ). Ich werde ein freies Konzil berufen, in welchem die Streitigkeiten untereinander ausgetragen werden. Ich werde kein Streiten innerhalb der Kirche mehr dulden. Die Kirche ist nicht zum Streiten da. Wenn ich das tue, dann werden Sie erkennen, daß ich nicht die Aufgabe habe, in den Glauben einzugreifen. Ich will nicht eigentlich in die Kirche eingreifen. Unter keinen Umständen trenne ich Staat und Kirche voneinander. Ich will nicht Staat und Kirche trennen, sondern Staat und Kirche miteinander verbinden. Ich habe die Zuversicht, auf diese Weise den Boden bereitet zu haben. Darauf werden die Menschen entstehen können, die wieder einig werden mit dem deutschen Volk und mit der Führung des deutschen Volkes. Als äußersten Schritt: völlige Trennung von Staat und Kirche. Fronten gibt es in der Kirche nicht mehr, wenn ich meinen Weg gehe. Ich ziehe die Priester heraus und gebe sie der Seelsorge wieder. Ich bin überzeugt, daß die von mir gewollte Kirche nur deutsche Menschen, deutsche Christen in sich schließt. Marahrens: D a n k dafür, daß es endlich einmal 2 5 zu einer Aussprache kommt. Die Schaffung des neuen Ministeriums wird von uns freudig begrüßt. Es kommt dadurch zum Ausdruck, daß der Führer und der Staat den Dingen der Kirche eine große Bedeutung zumißt. 1933 ein starkes Wollen zur evangelischen Kirche. Bei der Durchführung dieses Wollens entstanden viele Hemmnisse. Charakterisierung der Lage. Der aufgebrochene Gegensatz ist ein kirchlicher. Uns liegt an geistlicher Führung, an einem klaren sauberen Verhältnis zu unserem Staat und zu unserem Volk. Uns liegt an einer Pfarrerschaft, die wirklich theologisch begründet ist und an Gemeinden, die lebendig aus dem [echten ] Quell schöpfen.
24 Nach G 2, S. 1373 sagte Kerrlan dieser Stelle, er werde „die Kirchenverwaltung in die H a n d von unbeeinflußten M ä n n e r n legen u n d die Aufsicht darüber f ü h r e n . " Möglicherweise dachte er an ein kirchenleitendes Organ in der Art des in der Verfassung der DEKvom I ¡.Juli 1933 vorgesehenen Geistlichen Ministeriums, das seit Anfang 1934 nicht mehr ordnungsgemäß amtierte. Vgl. dazu auch unten Dok.2, Anm. 10 und 11. 2 5 Zwischen der VKL / und höchsten staatlichen stattgefunden.
Stellen hatten
bislang
noch keine
Gespräche
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Zurückweisung des Vorwurfs der Reaktion. Der Streit ist nicht ein Pastorenstreit. Wir wollen eine geschlossene Deutsche Evangelische Kirche. Wir wollen das beste für unser Volk wünschen. Die Verantwortung, daß das beste eingesetzt werden muß, kann uns keiner abnehmen. Frage des Neuheidentums. Unverantwortliche [Ministerrede]16. Dabei haben wir keine Möglichkeit der Zurückweisung. Pressefreiheit27. Ein großes Anliegen aber können wir nicht lassen. Es muß die Gewähr gegeben werden, daß das, was die Kirche zerstört hat, ausgeschlossen wird. Es muß die Gewähr gegeben werden, daß das, was die großen Anliegen zusammengeschlossen hat, nicht zu kurz kommt. Ich darf für uns, die wir in der Stunde der Not zusammengebrochen sind und nur ein Anliegen wollen, bitten, daß unser Ziel ganz klar gesetzt wird, und daß man dann klare Sicherheiten schafft, die Vorkommnisse sich nicht wiederholen, die unser Volk zerreißen28. Innere Einigung, aber Schutz der \ein Wort unleserlich]. Das Wort von der Ehre findet auch in unserem Herzen ein Echo. Kerrl: Ich habe von vornherein betont, daß ich weiß, daß auch der Staat gefehlt hat. Ich bin gleichzeitig auch von der Partei her Auftrag habe [sie!]. Auch die Partei hat Anlaß zu vielfacher Sorge gegeben. Das Neuheidentum und die Deutsche Glaubensbewegung sind nicht staatlicher-parteiamtlicherseits geschützt sind [sie!]. Ich habe auch Ihnen nicht vorgeworfen, daß Sie allein gesündigt haben. Die Lehre Christi von der Buße ist die Lehre des Germanen und Arier überhaupt gewesen ist [sie!]. Wo schaut der Germane die Götter? In sich! 26 Nach G 2, S. 1374 sagte Marahrens: „Bedauerlich ist, daß wir uns gegen gewisse Reden, die z.B. die Sünde leugnen, nicht wehren können." Niemöller notierte: „Unverantwortliche Reden" (G 3, S. 3). Diese Kritik bezog sich wahrscheinlich auf die Abschlußrede Leys auf der Reichstagung der NS-Gemeinschafi „Kraft durch Freude" am 8. Juli 1935, in der Ley u. a. gesagt hatte: „Wenn ich das Leben verneine, dann muß ich die Sünde bejahen, und wenn ich die Sünde bejahe, dann muß ich Buße tun, und wenn ich Buße tue, bin ich ein Knecht und bin minderwertig, und das ist die Lehre für die Schwachen und für die Niedrigen und die Erbärmlichen" (JK 3, 1935, S . 6 6 l f . ) . 27 „Wir brauchen größere Freiheit in der Presse" (G 2, S. 1374). Aufgrund der Erlasse des Reichsinnenministers vom 6. und 7. November 1934 waren alle „Veröffentlichungen über die derzeitigen Verhältnisse der evangelischen Kirche in Kirchenzeitungen, Gemeinde-, Wochenblättern und Zeitschriften verboten" ( D O K U M E N T E I I , S.213). 28 „Wenn uns dieses Anliegen, in dem wir völlig geschlossen und entschlossen sind, erfüllt wird, so sind wir zur Mitarbeit bereit, aber es muß die Gewähr gegeben werden, daß alles das, was die Kirche zerstört hat, aufhört. Wir lehnen falsche Lehre und unchristliche Methode ab. Blut und Boden muß heute ganz anders gesehen werden wie [sie!] früher, aber darüber darf man nicht vergessen, daß uns Gott im Neuen Testament sich offenbart hat" (G 2, S. 1374).
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Das Gewissen ist die Summe alles dessen, was der Mensch zum Handeln wissen muß. Das Gewissen nannte Jesus das Reich Gottes in uns 29 . Es soll nicht eine Kluft aufgeworfen werden, sondern es soll Einklang herrschen mit der Führung des Staates. Der Staat will praktisch dasselbe, was die Lehrer des Neuen Testaments wollten. Die Beseitigung des Alten Testaments ist ja keine nationale Forderung, sondern eine Forderung, die aus den Kreisen der Kirche von Anfang an immer wieder auftrat (Marcion - Harnack) 30 . Ich will mich nicht von Staats wegen in die dogmatischen Fragen hineinmischen. Die Sache mit dem Neuheidentum muß bereinigt werden. Der Nationalsozialismus muß religiös sein. Er hat in erster Linie die Pflicht der Ehrfurcht zu beachten. Ich werde nicht dulden, daß das Christentum verhöhnt wird. Ich will auch keine Fronten und nur die Sache. Dafür will [ich arbeitet^, daß weiterhin keine Fronten bestehen. Laßt uns nun neue Menschen werden. Laßt uns das Vergangene vergessen. Wenn ich aber beide Fronten wahrnehme, werde ich niemals das Mißtrauen von beiden Seiten beseitigen. Darum werden wir nicht eingreifen in Ihre Glaubensfreiheit. Mein Werk ist nur eines: Ihnen dafür die Ordnung zu gewährleisten. Es soll in der Kirche in wahrer Ruhe gearbeitet werden. Sie sollen nicht erfüllt sein von Angst, daß der Staat Sie schädigt auf Ihrem Weg. Es muß die Stunde kommen, wo die auf Fronten aufgeteilten Pastoren sich wieder in einer Front finden. von Soden über das rechte Lutherverständnis: Das landesherrliche Kirchenregiment ist keine Schöpfung Luthers, es ist der Kirche mehr oder weniger aufgedrängt worden. Die Fürsten der Reformation sind damals für die bekennende Kirche eingetreten. Man darf sich auf Luther nicht berufen für die Einrichtung irgendeines Staatskirchentums. Arianismus: Luther ist in keiner Beziehung irgendein Arianer gewesen. Athanasianismus wahrte den Offenbarungscharakter des Christentums. Kirchenpolitische Entscheidungen gegenüber [ein Wort unleserlich] dürfen nicht mit Anschauungen verbunden werden, wie sie von Ihnen ausgesprochen wurden. Das Konfessionsproblem ist noch gar nicht bewußt. Das Christentum beruht darauf, daß wir überzeugt sind, daß uns in der Bibel die Offenbarung Gottes gegeben ist. Die Kirche ist [durchJ das Bekenntnis konstituiert. [ÄußerlicheJ Kirc h e n [ m a c h t ] . Man kann Bekenntnisfragen nicht entscheiden. Es ist 29 Problematische Auslegung von Lukas 17,21: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch." 30 Marcion hatte im 2. Jahrhundert die seiner Meinung nach judaisierende Kirche reformieren und darum das Alte Testament als Urkunde des „Judengottes" beseitigen wollen; unter Berujung auf Marcion lehnte auch der Berliner Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1851—1930) die kanonische Autorität des Alten Testaments ab.
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zu befürchten, daß dann die Gedanken des Herrn Reichsministers [Kerrl] Platz greifen. Doch wurde eine Trennung von Bekenntnis und Verfassung, Bekenntnis und Verwaltung herbeigeführt. Keine vermeintlich neutrale Verwaltung! Die bekennende Kirche wünscht nicht ein Eingreifen des Staates analog zu dem Eingreifen vor 400 Jahren. Kerrl: Ich bin nicht da, eine Staatskirche zu schaffen. Ich will [wirkliches] Evangelium und die Macht in der Kirche in die Hände nehmen, um so die Aufrechterhaltung der Kirche zu garantieren. Es ist notwendig, daß ich das Aufsichtsrecht über die Kirchenverwaltung übernehme. Der Jurist Jäger31 ist absolut zu weit gegangen. Ich gedenke nicht, in dieser Weise vorzugehen. Pressefreiheit geben wir überhaupt nicht mehr. Der Zustand von heute ist selbstverständlich besser und kann [ein Wort unleserlich] bestehen bleiben. Ich gedenke nicht mehr, irgendwie die Konzentrationslager anzuwenden32. [Zwei Wörter unleserlich] wird die Kirche nicht entstehen, wir können sie nicht entbehren. Mein Tun wird nicht von Leichtsinn oder Verkennung der Realitäten getragen sein. Putz: [ohne Eintrag]33. Eger: Staatseingriff muß sich auf ein Minimum beschränken. von Bodelschwingh: [ohne
Eintrag].
Konsistorialpräsident Loycke, Magdeburg: [ohne Koch: [ohne
Eintrag],
Humburg: [ohne Meiser: [ohne
Eintrag].
Eintrag]. Eintrag]3i.
31 Gemeint ist besonders die gewaltsame „Eingliederungspolitik " von Landeskirchen in die Reichskirche, die Jäger als „Rechtswalter" der DEK1934 betrieben hatte. Vgl. K. MEIER, Kirchenk a m p f 1, S . 2 0 4 - 2 2 1 ; K.SCHOLDER, K i r c h e n 2 , S . 2 7 1 - 3 0 7 -
32 Im Frühjahr 1935 waren einige hessische Pfarrer auf Anordnung von Gauleiter Sprenger ins KZ eingeliefert worden, weil sie eine Kanzelabkündigung gegen das „Neuheidentum " verlesen hatten (vgl. DOKUMENTATION 3 , S . 4 5 0 - 5 0 3 ) . 33 Zu den Voten „ohne Eintrag" vgl. G 2, S. 1375 ff. 34 Für sein Votum notierte sich Meiser unten auf dem Blatt als Stichworte: „Freie Kirche verhindert die Freikirche. Einladung. Gewissensnot." Das Votum lautete nach G 2, S. 1376: „Stöcker sagt, die freie Kirche im Staat verhindere die Freikirche. Der Staat muß sich entscheiden, welche von beiden Kirchen er will. Das Schicksal der Kirche ist in den Händen des Herrn Reichsministers wohl so aufgehoben, daß die Kirche im Staate frei ist; das muß sie auch sein, nicht um dem Staat das Leben zu erschweren, sondern um ihre Verpflichtung gegenüber dem Staat erfüllen zu können. Machen Sie sich, Herr Reichsminister, zum Anwalt der ungeheuren Gewissensnot vieler Pfarrer und Gemeindeglieder. Sorgen Sie dafür, daß die .Deutschen Christen' nicht fortfahren, für ihre eigenen machtpolitischen Bestrebungen die Autorität der Partei des Führers zu stehlen. Eine Neutrali-
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N i e m ö l l e r : [ohne
Eintrag].
Kerrl: Kirche soll nicht zur Staatskirche werden, es soll ihr die Ruhe und Ordnung verschafft werden, die es ihr ermöglicht, ihr Werk richtig zu tun.
2 Informationsbesprechung der Vorläufigen Kirchenleitung I 1935 I. Meiser, Wachstuchheft 3, S.
September
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269-288.
II. von Arnim-Lützlow - Baumann - Böhm - Bosse - Breit (E) - Bronisch - Denkhaus Otto Dibelius - Gollnick - Hahn - Herntrich - Hülsen - Jacobi - Kühl - Marahrens (V) - Meiser - von Rabenau - Kurt Dietrich Schmidt - Karl von Schwartz - Veidt - Winckler. Baumann — Beste — Dürr — Martin Gauger — Graeber — Haenisch — Heine — Herder — Jacob —Jannasch — von Kirchbach — Kloppenburg — Karl Koch — Menge — Friedrich Müller — Ludolf Müller — Martin Müller — Oltmann — Presset — Remé — Rendtorff - Schalter — Scharf— Johannes Schlingensiepen — Schnelle - van Senden — Seyler — Steil — von Thadden — Tramsen — Viebig. III. Berlin SW68, Uhr.
Hospiz „St.Michael",
Wilhelmstr. 34; ab 9.30 Uhr und nachmittags bis 16.40
G: 1. Meiser, ATB; 2. Protokoll gez. Gauger (ΈΖΑ Berlin, 50135c und LKA Dresden, Akte 214); 3. Niederschrift Kloppenburgs (LKA Oldenburg, A / 3b); 4. Niederschrift Jannaschs (LKA Bielefeld, 5, 1 Nr. 81 Fase. 1; Druck: W. Niemöller, Oeynhausen, S. 54—90; auszugsweise auch W. Niemöller, Steglitz, S. 119f.).
Information der Kirchenregierungen und der Landesbruderräte durch die Vorläufige Kirchenleitung / ' .
sierung der Gegensätze vom Staat her müßte uns in neue Gewissenskonflikte bringen. Der Konflikt muß von innen heraus geheilt werden, nicht von außen zugedeckt werden. D e m Staat muß es nicht um Ruhe, sondern um Frieden zu tun sein. Vor entscheidenden Schritten des Staates bitte ich noch um Fühlungnahme mit den davon betroffenen Kirchen. Ich hoffe, daß die vom Herrn Reichsminister als möglich angedeutete Trennung von Kirche und Staat nur die ultima ratio wäre." Meisers abschließende Randnotiz „Herztöne der Frömmigkeit" gibt offenbar seinen Eindruck von der Rede Kerrls wieder. 1 Eine derartige Informationsbesprechung hatte bereits am 10. April 1935 stattgefunden (H. BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung 1, S . 3 9 1 ) , aber damals im Rahmen einer Sitzung des Reichsbruderrates, der miteingeladen hatte. Weitere gemeinsame Sitzungen vgl. EBD., S. 4 1 7 ff., 420 ff. Zur Reaktion Niemöllers auf die Einladung der Bruderräte zu der Besprechung vgl. die Aktennotiz Gaugers vom 9. September 1935: „Es handele sich um einen weiteren Versuch
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Vorsitz D . Marahrens. Breit: Bericht über die kirchliche Lage. Allgemeine Einleitung. Besonderes: Verhältnis von Kirche und Staat, bestimmt a. durch die Tradition; b. durch den Totalitätsanspruch des Staates; c. durch die Tatsache der bekennenden Kirche; d. dadurch, daß diese bekennende Kirche ihre wesensmäßige Bestimmung noch nicht gefunden hat. Die bekennende Kirche hat eine Theologie entwickelt, die viel Wichtiges und Wertvolles zu Tage gefördert hat. Die Theologie aber kann nicht ohne weiteres über die Fragen der praktischen Gestaltung entscheiden. Es ist falsch zu meinen, daß es eine einzige evangelische Theologie für alle zur bekennenden Kirche gehörenden Kreise gäbe. Es darf nicht vergessen werden, daß auch in der bekennenden Kirche der Glaube sich in der Liebe erweisen muß. Auch in der bekennenden Kirche ist noch nicht erschienen, was wir sein werden \sic!\2 Es ist wohl Aufgabe der Kirche, den Staat an seine Grenzen zu erinnern, aber die bekennende Kirche erliegt einer Versuchung, wenn sie wähnt, daß es Aufgabe der Kirche sei, über den Staat zu Gericht zu sitzen, ihn zur Buße zu rufen. Darum muß die bekennende Kirche sich davor hüten, der positiven Dogmatisierung der Anschauungen über Kirche, Volk und Staat, wie es die Deutschen Christen tun, eine negative Dogmatisierung entgegenzusetzen. Die bekennende Kirche ist nicht schon immer eine Darstellung der reinen Kirche Jesu. Sie hat auch immer ein Stück Welt in ihrer eigenen Mitte. Wir haben auch diesem Staat gegenüber nur [den] einen Vorbehalt, daß wir den verkündigen dürfen und müssen, der für uns gestorben, ja auch auferstanden ist. Unter den Führenden [in Staat und Partei] ist noch keine einheitliche Meinungs- und Willensbildung vorhanden, wie Artikel 24 3 auszulegen
der V K L , gegen [sicf\ die altpreußische Kirche , h i n e i n z u f u m m e l n ' , wie dies in d e n letzten M o n a t e n schon sehr o f t beobachtet w o r d e n wäre. D i e V K L solle ihre Finger aus der altpreußischen U n i o n lassen. D i e altpreußische U n i o n gehe die V K L absolut nichts an. E b e n s o w e n i g wie die V K L etwa an die bayerischen D e k a n a t e schreiben k ö n n e , d ü r f e sie an die Provinzialbruderräte innerhalb der altpreußischen U n i o n schreiben" ( E Z A BERLIN, 50/35e). 2 Vgl. ¡.Johannes
3,2.
3 Vgl. dazu oben Dok. 1, Anm. 11. — Nach dem Bericht Breits in G 4, S. 60 war es die Rede Hitlers auf dem Parteitag 1935, die gezeigt hatte, „ d a ß unter den F ü h r e n d e n n o c h keine einheitliche W i l l e n s b i l d u n g über die A u s l e g u n g v o n Artikel 2 4 " zustandegekommen sei.
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sei, und in welchem Verhältnis die Weltanschauung des Nationalsozialismus zum Christentum stehe. Minister Kirr/: Kein Grund, von vornherein mißtrauisch zu sein. Besprechung bei Kerrl am 23. August 1935 4 . Darstellung des Verlaufs. Dabei wurden erhoben folgende Forderungen: geistliche Leitung der Kirche; geordnetes Verhältnis zwischen Staat und Kirche; Heranbildung eines intakten Pfarrerstandes; lebendige Gemeinden. Die Haltung der Kirche dem Staat gegenüber ist begrenzt durch den Auftrag, den die Kirche aus dem Neuen Testament her gewonnen hat. Dr. Kinder hat die Reichsleitung der Deutschen Christen niedergelegt. Leitung hat Rehm-Stuttgart. Die Verbindung mit den Thüringer Deutschen Christen scheint wieder aufgelöst werden zu sollen 5 . Gesamteindruck: Die Kraft der Deutschen Christen ist gebrochen. Staat und Partei haben sich von diesem Zustand überzeugt. W i r müssen denen eine innere Hilfe leisten, die eine aufrichtige Wendung von den Deutschen Christen vollzogen haben. Die rote Karte 6 hat sich als unentbehrliche Waffe im Kampf der Kirche erwiesen, aber sie bestimmt nicht die Grenze der bekennenden Kirche 7 In diesem Zusammenhang ist auch die Frage Dahlem III, 3 und ihre Exekutierbarkeit zu würdigen 8 . Verhandlungen mit dem Ministerium Kerrl durch die Vorläufige Kirchenleitung I. Aufklärung, Fühlungnahme, Bezeugung unseres Anlie-
4 Vgl. oben Dok. 1. 5 Zum Wechsel in der Reichsleitung der Deutschen Christen im September 1935 und zum Verhältnis der Reichsbewegung DC zu den Thüringer DC vgl. K.MEIER, Deutsche Christen, S. 106—110. 6 Wer Mitglied einer Bekenntnisgemeinde werden wollte, mußte sich beim zuständigen Bruderrat anmelden und erhielt dann eine rote Mitgliedskarte. 7 Nach G 4, S. 6 fuhr Breit fort: „Ich bin darauf gefaßt, daß diese These angegriffen wird, aber ich lasse sie stehen.". 8 Die zweite Bekenntnissynode der DEK vom 19.120. Oktober 1934 in Berlin-Dahlem hatte in Artikel III, 3 ihrer „Botschaft" beschlossen: „Wir fordern die christlichen Gemeinden, ihre Pfarrer und Altesten auf, von der bisherigen Reichskirchenregierung und ihren Behörden keine Weisungen entgegenzunehmen und sich von der Zusammenarbeit mit denen zurückzuziehen, die diesem Kirchenregiment weiterhin gehorsam sein wollen. Wir fordern sie auf, sich an die Anordnungen der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche und der von ihr anerkannten Organe zu halten" (H. BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung 1, S. 455; W. NIEMÖLLER, Dahlem, S. 38). Ob dieser Beschluß so auszulegen sei, daß die Beziehungen zu allen Deutschen Christen völlig abgebrochen werden sollten, wurde in der Bekennenden Kirche sehr kontrovers diskutiert. Breit teilte mit, auf einem — nicht näher bezeichneten - Ausschußtreffen zu diesem Thema am 20. August 1935 habe Koch erklärt, Dahlem III, 3 sei nicht durchzuführen (G 4, S.6). - Zur Problematik insgesamt vgl. K . SCHOLDER, K i r c h e n 2 , b e s . S . 3 3 9 f.
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gens9. Erfolg bleibt nicht ganz aus. Ministerium ist bemüht, nicht bloß auf unsere Beschwerden zu hören, sondern in ganz konkreten Fragen zu helfen. Ob das Ministerium schon einen konstruktiven Plan hat, ist noch nicht zu übersehen. Drei Punkte dürfen nicht außer acht gelassen werden bei dem, was wir hoffen und fürchten und was wir uns selbst als Aufgabe stellen, a. Es hat sich ein kirchlicher Notstand entwickelt, aus dem die bekennende Kirche mit ihren Mitteln und Kräften nicht herauskommt. Es bedarf der Rechtshilfe des Staates. Die Anschauungen des Staates darüber unterscheiden sich wesentlich von den Anschauungen der bekennenden Kirche. Unter der Voraussetzung, daß der früher gemachte Vorschlag der Vorläufigen Kirchenleitung /10 nicht angenommen wird, darf es sich unter keinen Umständen darum handeln, daß die Personen, die von Minister Kerrl berufen werden, eine kirchliche Legitimierung erhalten. Die verschiedene Auffassung von der kirchlich zulässigen und tragbaren Rechtshilfe, wie sie beim Staat und bei der Kirche besteht, verbietet es, daß ein Direktorium11 mit geistlicher Vollmacht arbeitet. Der Staat wird die Maßnahmen treffen, die nach seiner Meinung zur Ordnung der Kirche notwendig sind und die nach seiner Auffassung das Wesen der Kirche unberührt lassen. Wir müssen uns hüten, die zugezogenen Persönlichkeiten kirchlich zu legitimieren. Es muß eine rein staatliche Aktion bleiben.
9 Vgl. dazu G 4, S. 62: „Es sind besonders in der letzten Zeit allerlei Verdachte ausgesprochen worden, als habe die VKL sich verführen lassen zu Abmachungen mit dem Staat, die die Handlungsfreiheit der VKL gefährden oder zerstören. Diese Verdachte sind völlig grundlos, und ich darf wohl zur Ehre der VKL herzlich und bescheiden bitten, man möge, bevor solche Verdachte ausgesprochen werden, sich ihres Grundes oder ihrer Grundlosigkeit versichern. Selbstverständlich verkehren wir im Ministerium Kerrl, wenn wir hinkommen, als freie Leute. Wir vertreten die Verantwortung der Bekennenden Kirche, was aber doch nicht hindern darf, das zu hören, was dort gesprochen wird." 10 Bereits am 26. Januar 1935 hatte die VKL I dem Reichsinnenminister einen „Befriedungsvorschlag" als Denkschrift vorgelegt. Danach sollte der Staat der Kirche Rechtshilfe leisten und statt der bisherigen Reichskirchenregierung die VKL I als „Kirchenverweserschaft" anerkennen (K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S.3—7). Von Seiten des Staates war darauf nie eine offizielle Antwort erfolgt, und Kerrl akzeptierte den Vorschlag nach seiner Amtsübernahme nur bedingt. Wie er am 23. August 1935 betonte, wollte er „die Kirchenverwaltung in die Hand von unbeeinflußten Männern legen und die Aufsicht darüber führen" (EBD., S. 1373; vgl. auch oben Dok. 1, Anm. 24). 11 Zu Überlegungen, die Kirchenleitung der DEK in der Form eines „Direktoriums" zu installieren, vgl. auch die Entwürfe für ein Reichsgesetz, eine Rechtsverordnung und Richtlinien für die Bildung eines Direktoriums, die die Kirche von Nassau-Hessen im Auftrag Kippers am 19. September 1935 Stahn vorlegte (BA ABT. POTSDAM, 51.01 RKM 23705), sowie entsprechende Äußerungen Ludwig Müllers auf der DC-Bischoftkonferenz am 26. September 1935 (Niederschrift Balzers: STADTA MINDEN, Bestand Deutsche Christen).
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b. Das Gesetz vom 22. August 1935, das gestern im Rheinland veröffentlicht worden ist und dessen Vollzug einstweilen sistiert werden soll 12 . „Finanzabteilungen" 13 . c. Ziffer a) schließt nicht aus, daß erbetener guter Rat erteilt wird, aber außer der Verantwortung der bekennenden Kirche, ohne daß der Ratgeber das Recht hätte, unverantwortlich zu reden und zu raten (um Schlimmeres zu vermeiden). Am 5. September 1935 ging eine Verordnung hinaus 14 : 1. Der Minister [Kerrl] stellt sich vor als der Beauftragte des Führers [Hitler], zur Befriedung der Kirche. 2. Er verfügt, daß von nun an alle polizeilichen Maßnahmen gegen die Pfarrer einzustellen seien. Wenn polizeiliche Maßnahmen nicht aufgehoben werden können, so darf die Fortdauer der Maßnahmen nur nach Genehmigung des M i n i s t w Kerrl ausgesprochen werden. Die neu notwendig werdenden Maßnahmen dürfen nur mit Genehmigung des Min Wim Kerr/in Vollzug gesetzt werden. A m Schluß wird ausdrücklich dargelegt, daß alle Maßnahmen des Ministers K « r / d e m einen Zweck unterzuordnen seien, einen Zustand herbeizuführen, in dem die Kirche ihre Angelegenheiten wieder selbständig ordnet.
12 Es handelte sich um den vom Reichskirchenminister am 22. August 1935 veröffentlichten Erlaß „Handhabung des Gesetzes über die Vermögensverwaltung in den evangelischen Landeskirchen vom 11. März 1935 und der Ersten Durchführungsverordnung dazu vom 11. April 1935" (KAB1 RHEINPROVINZ N r . 25 vom 10. September 1935; abgedruckt als „Rundschreiben" bei W . NIEMÖLLER, Steglitz, S . 7 1 ff.). — Die erwähnte Sistierung wurde nicht ermittelt. — Vgl. dazu auch unten Anm. 13. 13 Das Preußische Staatsministerium hatte am 11. März 1935 das „Gesetz über die Vermögensverwaltung in den evangelischen Landeskirchen" und am 1 I.April 1935 eine 1. DVO dazu erlassen (GBIDEK 1935, S. 42 f.). In den preußischen Landes- und Provinzialkirchen wurden daraufhin als Abteilungen der Kirchenbehörden „Finanzabteilungen"gebildet und mit kirchlichen Beamten besetzt, die das durch den Kirchenkampf gestörte kirchliche Finanzwesen (vgl. dazu H . BRUNOTTE, Entwicklung) ordnen sollten. Gegen dieses staatliche Vorgehen erhob vor allem die altpreußische Bekennende Kirche Protest, deren Mitglieder und Gemeinden im Widerstand gegen deutschchristliche Behörden ihre Umlagebeträge teilweise selbst verwalteten bzw. seit Anfang 1935 auf ein von Präses Koch verantwortetes „ Treuhandkonto " einbezahlten [vgl. dazu unten Anm. 43; zu Einzelheiten: W . NIESEL, Kirche, S. 49 f.; K. MEIER, Kirchenkampf 2, S . 4 1 f., 159ff.; W.NIEMÖLLER, Steglitz, S . 2 1 , 28 und 78). Nach einem Treffen mit kirchlichen Finanzfachleuten am 6. August 1935 (vgl. K.MEIER, Kirchenkampf 2, S. 395) ging Kerrl in seiner „Handhabung" (vgl. oben Anm. 12) kritisch auf diese Entwicklung ein und untersagte die Verwaltung der kirchlichen Gelder außerhalb der dafür geschaffenen Abteilungen. 14 Breit referierte im folgenden den Inhalt des Schnellbriefes des Reichskirchenministers an die nachgeordneten Behörden vom 5. September 1935 (GStA BERLIN-DAHLEM, Rep. 90 Ρ 51,2). Vgl. dazu auch den Kommentar Breits auf der Sitzung des altpreußischen Bruderrates und der VKL I am 10. September 1935 (W. NIEMÖLLER, Steglitz, S. 109).
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I. Inhalt und Ergebnis der Besprechungen mit dem M i n i s t m « / » Kerrl: 1. Frage der theologischen Fakultäten und Frage der Prüfungen der bekennenden Kirche 1 5 . Es ist verbindlich zugesichert, daß in der Frage der theologischen Fakultäten, von denen einige zerstört worden sind 1 6 , einer gründlichen Revision der Besetzungsmethoden zugesteuert werden wird. Der ganze Fragenkomplex soll bald in einer Besprechung zwischen Minister Kerrl und Rust geklärt werden. Sie wird durch eine Referentenberatung vorbereitet werden, a. Rückblick auf die Besetzungsmethoden; b. Besprechung über das Projekt der „auszurichtenden" Fakultäten; c. Aufhebung der theologischen Fakultät Kiel 1 7 ; d. Prüfungsfrage. Die Versetzungen und Neubesetzungen geschehen von nun an nur [durch] Wahl mit Zustimmung des Ministers Kerrl. Wir hoffen, daß es nicht nur möglich sein wird, den einen und anderen theologischen Dozenten, der seines Amtes beraubt wurde, wieder in die alten Rechte zurückkehren zu sehen, sondern daß auch die bekennende Kirche bei der Besetzung der Fakultäten das Recht empfängt, das ihr bisher vorbehalten [muß heißen: vorenthalten] wurde. 2. Das Ministerium Kerrl steht auf dem Standpunkt, daß die Prüfungen der bekennenden Kirche illegitim sind. Den Kandidaten, welche die Prüfung der bekennenden Kirche abgelegt haben, soll kein Schaden daraus erwachsen. 3. Schulfrage. Hinweis auf die Denkschrift der Vorläufigen Kirchenleitung 18 . Von der Polizei beschlagnahmt. Einrichtung einer Schulkammer 1 9 in Angriff genommen.
15 Zur Errichtung von Prüfungsämtern der Bekennenden Kirche und den damit verbundenen Auseinandersetzungen mit staatlichen und kirchlichen Behörden vgl. etwa W . NIESEL, Kirche, p a s s i m ; E . HORNIG, K i r c h e , S . 2 8 F .
16 Zur staatlichen Kontrolle und der verstärkten „Politisierung" der evangelisch-theologischen Fakultäten vgl. den Bericht von Merz (unten Dok.3, S.30f); H.MULERT, Fakultäten; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ/C. NICOLAISEN,
Fakultäten.
17 Die Forderung nach Abschaffung der Evangelisch-Theologischen Fakultät Kiel scheint zu dieser Zeit innerhalb der Universität selbst lanciert worden zu sein, die diese Fakultät als „Fremdkörper" empfand. Vgl. Memorandum Rengstorfi vom 6. Mai 1936, S. 4 ( L K A HANNOVER, D 15 I N r . 4 5 ; vgl. dazu auch unten Dok.25, S. 230); zur weiteren Entwicklung der Fakultät vgl. J.ALWAST, Geschichte, S. 189 ff. 18 Vgl. „Denkschrift der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche zur Frage des evangelischen Religionsunterrichts an den Volks-, Mittel- und Höheren Schulen " vom September
1935
(K. D . SCHMIDT, Bekenntnisse 1935,
S.22(>-230).
19 Vgl. dazu den neunseitigen „Bericht über die erste Sitzung der Schulkammer bei der VKL ", die unter Vorsitz von Breit am 13- November 1935 in Berlin stattfand ( E v A G MÜNCHEN, A 1.10).
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II. Innere Lage. Verlegung der Preußensynode 20 . Aussprache über die Verlegung im altpreußischen Rat 21 . Dabei brach die ganze Problematik der inneren Lage wieder auf. Auf die Dauer ist dieselbe untragbar. Es muß unter allen Umständen die Frage ehestens entschieden werden, ob wir in Augsburg 22 gelogen oder die Wahrheit gesprochen haben oder ob seit Augsburg etwas geschehen oder nicht geschehen ist durch die Schuld der Vorläufigen Kirchenleitung /, wodurch die Brüder, die Augsburg mit beschlossen haben, von dem dort gegebenen Wort entlastet werden müssen. Es müssen die Konsequenzen von Augsburg gezogen werden und es muß klar gestellt werden, ob man weiterhin die Vorläufige Kirchenleitung / will oder nicht will. Das Kampfgebiet. Mit der Errichtung des Ministeriums Kerrl hat in Nassau-Hessen, Sachsen, Mecklenburg usw. ein verschärfter Kampf gegen die Kirche eingesetzt auch auf den peripherischen [sie!] Gebieten 23 . Tätigkeit der Rechtsabteilung der VKL I. Arbeit zur Wahrung der Einheitlichkeit innerhalb der bekennenden Kirche. Die Einheitlichkeit ist dringend erforderlich. Sie ist um so schwerer herzustellen, als der bekennenden Kirche jetzt ein Staat gegenübersteht, welcher sich im Ministerium Kerrl bemüht, um das Wesen und die Aufgaben der bekennenden Kirche zu wissen 24 . Frage nach der Legitimität des Kirchenregiments in den einzelnen Kirchengebieten. Wo legitimes Kirchenregiment wiederhergestellt wurde, ist der Bruderrat in die Stellung eines geistlichen Kraftzentrums zurückgetreten 25 .
20 Die altpreußische Bekenntnissynode sollte ursprünglich am 16. September 1935 in Königsberg stattfinden, wurde dann aber wegen interner Spannungen und mit Rücksicht auf den bis zum 15. September dauernden Parteitag der NSDAP verschoben und tagte schließlich vom 23. bis 25. September in Berlin-Steglitz (vgl. G 2, S.4; W . NIEMÖLLER, Steglitz, S. 99; 105). 21 Gemeint ist die Sitzung des altpreußischen Bruderrates am 10. September 1935, an der zeitweise auch die VKL I teilnahm {Protokoll: W . NIEMÖLLER, Steglitz, S. 106-119)· Kontrovers war die Stellung zu den Finanzabteilungen (vgl. dazu oben Anm. 13). 22 Breit spielte offenbar auf den Beschluß der Augsburger Bekenntnissynode der DEK vom 4.15. Juni 1935 an, nach dem die VKL I als die rechtmäßige Leitung der DEK anerkannt wurde (W. NIEMÖLLER, Augsburg, S. 75). 2:1 In G 4, S. 66 werden „kirchliche Jugend, Jugendunterweisung, kirchliche Vereine, Schule, Frauenhilfe" erwähnt. Die genannten Landeskirchen standen unter deutschchristlichem Kirchenregiment. 24 Präziser in G 4, S. 67: „Die Einigkeit des Vorgehens ist zur Zeit wegen der schwierigen Lage besonders erforderlich, zumal, neben Übelwollen anderswo, im Ministerium Kerrl Kräfte vorhanden sind, die u m die Aufgaben der evangelischen Kirche wissen.". 25 Vgl. etwa die Situation in Braunschweig und Hamburg, wo sich die Bruderräte dem Kirchenregiment der (ehemaligen) DC-Landesbischöfe wieder unterstellten (D. KUESSNER, Geschichte, S . 7 0 ; H.WILHELMI, Kirche, S . 2 l 6 f f . ) .
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Auch aus der Sicht der Rechtsabteilung ergibt sich die Notwendigkeit, sowohl den Rat der preußischen Kirche26 als auch das Büro von Oeynhausen27 in ein engeres Verhältnis zur Vorläufigen Kirchenleitung / zu bringen. Vorsicht in den Urteilen, vor allem über die Person des Ministers Kerrl! Mehr Zucht! III. Arbeitslage28. Volksmission und Apologetische Zentrale. Bildung einer Kammer im Werden. Jugendkammer. Rechtliche Grundlagen evangelischer Jugendarbeit. Heeresseelsorge. Exerzitien beider Konfessionen künftig nicht mehr möglich wegen der Kürze der Ausbildungszeit. Gottesdienstbesuch der Militärgemeinden. Dienstliche Kommandierung zum Gottesdienst nicht mehr statthaft. (Ein Gottesdienst des Feldbischofs [Dohrmann ] wurde von 25 Angehörigen der [ein Wort unleserlich} besucht!) Die evangelischen Geistlichen und die allgemeine Wehrpflicht. Einrichtung einer allgemeinen Hilfskasse bei der Vorläufigen Kirchenleitung /. Der Pfarremothunà unterstützt nur solche Amtsbrüder, welche ihm angehören. Die Unterstützungstätigkeit der Vorläufigen Kirchenleitung / greift weiter. Richtsatz 1—2 RM für Mitglieder der Pfarrbruderschaften. Konto: Landesbischof Marahrens 8.600 RM. Ökumenische Fragen. Personelle Erweiterung der Vorläufigen Kirchenleitung I. Verfassung der bekennenden Deutschen Evangelischen Kirche. Die bekennende Kirche befindet sich verfassungsgemäß in einem Strukturwandel. Die Bekennende Kirche der altpreußische» Union (Schlüsselstellung) muß in enge Verbindung mit der Vorläufigen Kirchenleitung I gestellt werden. Wenn es nicht anders möglich ist, dann muß eben der verantwortliche Bruderrat der altpreußischen Union gebeten werden, die nähere Verbindung herbeizuführen.
26 = das am 16. November 1934 vom altpreußischen Bruderrat herausgestellte Leitungsorgan, der „Rat der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union", dem Koch, Müller-Dahlem, Martin Niemöller, Niesei, später Seyler und Ehlers angehörten (W. NIESEL, Kirche, S. 32 f.). 27 Damals übliche Kurzformel fiir das im Frühsommer 1934 dort eingerichtete Büro der Bekenntnissynode der DEK unter Leitung von Präses Koch, mit einer theologischen Abteilung unter Asmussen und einer juristischen Abteilung unter Fiedler. 28 Nach G 4, S. 68 sprach Breit „über den Plan einer inneren Verbindung der Volksmission und der Apologetischen Zentrale, die Heeresseelsorge, die Gründung einer OKR Pressel unterstellten Hilfskasse, die Behandlung der ökumenischen Frage".
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Die Unionsfrage darf nicht mit rauhen Händen und unbedacht angegriffen werden. Die Unionsfrage wird in dem Maß dringlich werden, in dem die innere Mächtigkeit der lutherischen Kirche in Deutschland wächst und in dem aus dem theologischen und kirchlichen Überfluß der lutherischen Kirchen auch über die Grenzen der lutherischen Kirchengebiete [die Krafi und das Leben] hinausschäumt und hinausdrängt. Daß die theologische Besinnung ein gutes Recht hat, planmäßig eingesetzt zu werden, ist selbstverständlich. Die lutherische Kirche hat das Recht, sich auf ihr Wesen zu besinnen. Forderung, daß der Dualismus zwischen Vorläufiger Kirchenleitung I und Oeynhausen und daß der Dualismus zwischen Vorläufiger Kirchenleitung / und altpreußischer Union aufgehoben wird. Verstärkung der Vorläufigen Kirchenleitung I. Steil und Pressel29. Zielgedanke. Es ist Aufgabe der bekennenden Kirche, und die Erfüllung derselben ist der Initiative der Vorläufigen Kirchenleitung / zuzuweisen, die Aufgabe zu klären und zu umreißen, die der bekennenden Kirche gestellt ist für Fortbestand und Gestaltung 30 . Die Aufgabe setzt voraus, daß der entschlossene Wille wach wird, die bekennende Kirche dem Staat und ihr selbst in lebendiger Geschlossenheit zu erhalten. Nur wenn diese Geschlossenheit in Stand und Erscheinung da ist, kann sie das ihr in einem uns beschämenden Maß entgegengebrachte Vertrauen tragen und aktivieren. Es muß auch in eine Prüfung der kirchlichen Legitimität der Organe der bekennenden Kirche eingetreten werden. Vertrauensfrage der Vorläufigen Kirchenleitung /. Es muß klar sein, wer im Ring der gemeinsamen Verantwortung steht und wer nicht. Man kann diese Frage nicht der Zukunft überlassen. Die Vorläufige Kirchenleitung / kann von den auf ihre Zukunft ausgestellten Wechseln nicht leben. Das innere Ziel muß sein, daß die bekennende Kirche und in wachsendem Maß die Vorläufige Kirchenleitung / sich der Erkenntnis der Notwendigkeit erschließt, eine geistige Klärung unter uns selbst zu schaffen. Ist es Zufall oder nicht, daß diese Forderung und Erwartung so häufig schon ausgesprochen werden mußten? Wenn diese innere Sammlung von uns gewollt ist und wenn Gottes guter Geist auf unser Gebet [hin] sie schenkt, dann werden auch die Formen unserer Aussprachen und Auseinandersetzungen reiner werden. Dann wird es gegen keine Kompetenz verstoßen, in Zweifelsfällen weniger zu schrei-
29 Breit berichtete, daß die Abteilung II durch Steil besetzt und Pressel in die Abteilung III der VKL I eingerückt sei (G 4, S. 11). - Ein „Geschäftsverzeichnis" der VKL I findet sich im E Z A BERLIN, 5 0 / 2 2 7 .
30 Konstruktion des Satzes verderbt.
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ben, als einmal zu einem freundlichen persönlichen Wort sich aufzuraffen. Dabei halten wir uns gegenwärtig, daß der Schritt von der theologischen Prinzipienlehre zur kirchlichen Praxis ein sehr großer ist. Ein wenig mehr Brüderlichkeit und ein wenig mehr brüderliches Vertrauen! Einer ist unser Meister; Ihr aber seid alle Brüder 31 . Luther: Das aber sollen sie wissen, daß das ganze leibliche Regiment und Wesen stehet und bleibet, solange es stehen soll — allein durch Gottes Wort und Christi Gebot und der Christen Gebet 32 . Das sind die zwei Säulen, welche die ganze Welt tragen. Offenbarung 12. Es erhob sich ein Streit im Himmel. Michael und der Drache 33 . von Arnim-Lützlow bestreitet, daß die gegenwärtige Versammlung das Recht habe, sich zur Vertrauensfrage zu ä u ß e r n . Marahrens berichtet über die persönliche Aussprache mit Kerrl 35 . Mitteilungen über Fiedler 36 . Jacobi: Ich fürchte, daß Breit die Initiative dem Staat überläßt. Die Initiative muß doch bei uns bleiben. Wir müssen wissen: Was will die Vorläufige Kirchenleitung /? Was fordert sie? Davon hängt das Vertrauen zur Vorläufigen Kirchenleitung / ab. Sagt sie uns einen klaren Weg, dann wird die Bruderschaft im Lande der Vorläufigen Kirchenleitung / gerne folgen. Wir müssen wissen: Der Zug läuft den Weg. Es ist gänzlich unmöglich, daß wir hier die Vertrauensfrage zur Debatte stellen. Warum halten wir an dem Vorschlag, den wir dem Reichsinnenminister [Frick] gemacht haben 37 , nicht fest? Wir verlangen Kampfeswillen, nicht nur Verhandlungswillen. Unsere Gesamtsicht ist doch etwas auseinandergehend. Kerrl hat gewiß guten Willen,
3 1 = Matthäus 23, 8. 3 2 Wörtlich: „ W i r aber sollen wissen, daß das ganze leibliche R e g i m e n t u n d W e s e n steht u n d bleibt, solange es stehen soll, allein durch G o t t e s O r d n u n g u n d G e b o t u n d der C h r i s t e n Gebet" (WA 45, S. 535,4). 3 3 Vgl. Offenbarung 12, 7. 34 Nach G 2, S . 5 versuchte Marahrens, die gespannte Lage in seiner Antwort zu entschärfen: Breit habe kein Vertrauensvotum „in irgendeinem rechtlichen formalen S i n n e " gemeint, wofiir dieses Gremium „allerdings nicht z u s t ä n d i g " sei. „ E r meinte nur, o h n e ihr [sie!] Vertrauen k ö n n e die V K L nicht weiterarbeiten." 3 5 Am 6. September 1935 (vgl. G 3). 3 6 „ E s besteht Einverständnis darüber, daß z. Z t . nicht d a m i t gerechnet werden k a n n , d a ß D r . Fiedler die Arbeit der Rechtsabteilung wieder a u f n i m m t , s o n d e r n zu erwarten ist, daß die Wiederherstellung seiner G e s u n d h e i t n o c h einige M o n a t e in A n s p r u c h n i m m t . U n t e r diesen U m s t ä n d e n erscheint es m i t Rücksicht a u f die gefährdete Lage der V K L als das Richtige, d a ß D r . Fiedler die Möglichkeit z u m W i e d e r a u f b a u seiner Leipziger Praxis vermittelt wird, weil die Aussichten dort für ihn als a m günstigsten angesehen w e r d e n " (Protokoll der 64. Sitzung der VKL 1 vom 17. September 1935: E v A G MÜNCHEN, A 1.10). 3 7 Vgl. oben Anm.
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ist er denn nicht aber von vornherein begrenzt? Es soll ja doch auf ein Ausspielen des Kräfteverhältnisses hinausgehen. Die weltanschaulichen Mächte sind auch im Ministerium Kerrl stärker als die Mächte des Evangeliums. Vergötzung des Menschen und der menschlichen Kräfte. Der Mensch kann alles. Demgegenüber das Evangelium, das sagt: Der Mensch kann gar nichts. Wie soll Kerrl auf diese Stimme des Evangeliums zu hören imstande sein? Aus der verschiedenen Sicht ergeben sich verschiedene Konsequenzen und verschiedene Wege. Die Vorläufige Kirchenleitung / soll die ¿//preußische Bekenntnis-Synode als Stärkung in ihrem Kampfeswillen ansehen. Die Synode soll diese Dinge aufgreifen; daß sie redet zur Vergötzung des Menschen, zur Vergiftung der Jugend durch den „Stürmer" (Pastor in Norddeutschland weihte einen Stürmerkasten 38 ). Wenn die Synode gesprochen hat, dann muß die Vorläufige Kirchenleitung Isagen: Staat, so wird unten gedacht; so denkt die bekennende Kirche in den Gemeinden! Wir können dich, Staat nur bitten, zu hören. Dibelius: Man muß unterscheiden zwischen der allgemeinen Kampfaufgabe der Kirche und der Wiederherstellung der zerstörten Rechtsordnung. Der Kampf gegen das Widerchristentum ist ein Kampf auf Jahrzehnte hinaus. Davon unabhängig ist die Frage, ob die zerstörte Ordnung wiederherzustellen ist. Daran hat auch die Kirche ein großes Interesse. Was diese Seite anlangt, so wäre es nicht der richtige Weg, einfach zu sagen: Hier ist unser Plan, und von dem wollen wir nicht weichen. Wir sind ja auf die Zustimmung der anderen Seite angewiesen. Die Frage der Vermögensverwaltung sollte gesondert behandelt werden. Die in der Kirche miteinander ringenden Gruppen sollen dann jede ihren Kampf führen. Kerrl will aber keine Verfestigung der Fronten. Es gäbe einen dritten Weg. Wir sollen vorschlagen, den staatlichen Eingriff auf ein Minimum zu beschränken. Von unten her soll in schnellem Zug in den zerstörten Kirchen gebieten 39 neu gebaut werden. Bedenken gegen kirchliche Neuwahlen sind nicht unüberwindlich. Der Staat will nur Wahlen vermeiden, welche große Unruhe erzeugen. Es dürfe keine Wahl geben, welche eine eklatante Niederlage der vom Staate gestützten Richtung bedeutet.
38 Vorgang nicht ermittelt. Vgl. aber BRIEFE ZUR LAGE, S. 463, wo über die Anbringung eines „Stürmer"-Schaukastens am Pfarrhaus der St. Thomas-Kirche in Berlin auf Antrag des DCGemeindekirchenrates berichtet wird. 39 Als „zerstört" galten nach dem Sprachgebrauch der Bekennenden Kirche diejenigen Kirchengebiete, die aufgrund der Kirchenwahlen von 1933 ein DC-Kirchenregiment erhalten hatten. „Intakt"geblieben waren nur die Landeskirchen Bayern, Württemberg und — bedingt — auch Hannover, wo sich die Deutschen Christen dem bisherigen Kirchenregiment unterstellt hatten.
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Die Wahl müßte an eine Qualitätsbestimmung kirchlicher Art geknüpft werden, die es unmöglich macht, daß Massen zur Wahl kommandiert werden 40 . Für einen Termin müßte eine Versicherung verlangt werden, daß der Betreffende im letzten Jahr sich am Heiligen Abendmahl beteiligt hat. Verzicht auf Listenwahl. von Thadden stimmt Jacobi zu. Bejaht die Gemeinschaft in dem versammelten Kreise. Angesichts der Kirche muß die Maske des Staates fallen. Wir müssen von der Vorläufigen Kirchenleitung /erfahren, was das Maximal- und Minimal-Programm ist. Kühl-Lübeck: Auch die Vorläufige Kirchenleitung / kann das Wissen um die Gefolgschaft nicht entbehren. Ein Programm kann nicht die Grundlage von Vertrauen sein. Vertrauen schenken wir Menschen. Wir sind für die Zusammenfassung unserer Kräfte in der Vorläufigen Kirchenleitung / außerordentlich dankbar. Wenn ein Kampf geführt wird, muß er geführt werden mit Wucht. Dann muß aber alle Kampfkraft in einer Hand liegen. Es ist taktlos, wenn abweichende Meinungen immer öffentlich besprochen werden. Wir brauchen ein geschlossenes Heer. Darum muß der Dualismus aufhören, auch der Dualismus zwischen Oeynhausen und Berlin (Partei und Staat!) 41 . Auf dem Boden der Kirche sollte die Einheit möglich sein. K. D. Schmidt-Kiel: Kerrl muß einheitliche Willensbildung im Staat gegenüber der Kirche herausarbeiten. Daneben hat das Ministerium Kerrl eine Aufgabe gegenüber der Kirche. Da es sich um Auseinandersetzungen um das Wesen und die Substanz der Kirche handelt, kann das Eingreifen des Staates unmöglich zu einem Ziel führen. Wenn die bekennende Kirche sich an irgendeinem Punkt durchsetzt, hätte der Staat an einem wichtigen Punkt des öffentlichen Lebens seinen Totalitätsanspruch verloren. Das wird der Staat nicht zugeben. Darum wird sich der Minister nicht durchsetzen. Deshalb kein zu großes Vertrauen! Superintendent Bronisch widerspricht Dibelius in Bezug auf den vorgeschlagenen Weg: Neubildung der kirchlichen Körperschaften durch kirchliche Wahlen.
40 Anspielung aufdie Kirchenwahlen vom Juli 1933, bei denen Postdienststellen die Mitglieder der NSDAP aufgefordert hatten, sich in die kirchlichen Wählerlisten einzutragen und die Deutschen Christen zu wählen ( D O K U M E N T E I, S. 115 ff.). 41 Klarer in G 4, S. 75: „Der Dualismus zwischen Oeynhausen und VKL entspreche dem Dualismus zwischen Partei und Staat, den wir doch gerade ablehnten."
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Hülsen-Magdeburg: Es kann für uns kein Paktieren mit den Finanzabteilungen in den zerstörten Kirchengebieten geben, wenn nicht zugleich durchgeführt wird, daß die geistliche Führung auf die bekennende Kirche übergeht. Böhm: Es ist nötig, daß eine gemeinsame Vertrauensbasis hergestellt wird. Die Basis ruht auf einer gemeinsamen Sicht der Dinge. Diese ist unter uns nicht vorhanden. Die Vorläufige Kirchenleitung / muß erwarten, was unten in der Front erfochten wird [ Text verderbt]. Baumann-Stettin: Das kirchliche Problem ist das alte geblieben trotz der Einsetzung des Ministeriums Kerrl. Es handelt sich nicht um zwei Parteien in der Kirche, sondern um einen Einbruch in die Kirche, um eine Überfremdung der Kirche durch außerkirchliche Mächte. Im übrigen ist von der einen Partei 42 nichts mehr übriggeblieben. Der Staat, der die Schuld trägt an der Zertrümmerung der Kirche, fühlt sich berufen, jetzt eine Neuordnung herzustellen. Das sind groteske Dinge. Trennung zwischen Bekenntnis und Ordnung der Kirche wird erneut versucht. Es geht nicht anders, als daß wir dagegen aufs äußerste Widerstand leisten. von Rabenau: Wir leben in einem historischen Augenblick und vermissen, daß die Entscheidungswucht dieses Augenblicks bei unserer Leitung voll durchschaut wird. Es ist notwendig, daß wir in solchen Augenblicken Distanz haben. Wir dürfen das kirchliche Recht nicht preisgeben. Es kommt jetzt darauf an, daß auch die bekennende Kirche alle persönlichen Empfindlichkeiten zurückstellen muß. Veidt-Frankfurt: Dem Ernst der grundsätzlichen Haltung soll nichts abgebrochen werden, aber es scheint mir doch um die Frage zu gehen, wie wir an einem bestimmten konkreten Punkt zu handeln haben. Müssen wir aus unserer grundsätzlichen Haltung heraus zu dem Schluß kommen, daß jedem Eingriff des Staates gegenüber ein unerbittliches Nein entgegengesetzt wird? Ist es wirklich eine grundsätzliche Preisgabe unseres Standpunktes, wenn die Vorläufige Kirchenleitung / von sich aus mit dem Staat verhandelt? Wenn das verneint wird, dann müssen wir zu der Vorläufigen Kirchenleitung / das Vertrauen haben, daß sie sich bestimmen läßt von den Gesichtspunkten, die hier geltend gemacht wurden, und daß sie die Linie halten wird, die bisher eingehalten worden ist.
A2 Gemeint: Die Deutschen
Christen.
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Graeber-Rheinland bespricht die Einrichtung der Finanzabteilungen43. Meiser, Winckler, Hahn, Herntrich, Breit, Bosse, Schlingensiepen, von Schwartz, Gollnick 44 . 43 Nach G 4, S. 20 sagte Graeber: „In den offiziellen Verlautbarungen heißt es, daß dieses ganze Unternehmen nur dazu dienen solle, die Aufrechterhaltung der Kirchenfinanzen zu gewährleisten, auf die wir alle angewiesen wären. Wenn es nur darum ginge, müßten die Finanzabteilungen wirklich auf diese spezielle Aufgabe eingeschränkt werden, was ohne ein neues Gesetz gar nicht möglich ist. Das ist in den intakten Landeskirchen gar nicht so gefährlich, aber bei uns ist es katastrophal. Das führt zwangsläufig zu einer Erledigung des Kirchenstreites im Sinne der DC". Vgl. auch oben Anm. 13. 4 4 Meiser notierte hier die Namen der Redner. Nach G 4 , S. 2 1 (abgedruckt bei W . NIEMÖLLER, Oeynhausen, S. 83 f.) lautete sein eigenes Votum: „,Es ist mit Recht gesagt worden, daß die Voraussetzung eines Vertrauensverhältnisses die Tatsache ist, ob man die Dinge von einer gemeinsamen Sicht sieht, und ob man in den Zielen einig ist. Ich möchte diese Frage ergänzen durch die Frage an bestimmte Kreise innerhalb der Bruderschaft: Was wollt I h r eigentlich? Das ist auch notwendig, daß das einmal festgestellt wird.' Er könne sich des unbestimmten Gefühls nicht erwehren, daß in unserem großen Kreis Kräfte vorhanden seien, die nach einer anderen Richtung zielen, als die große Mehrzahl derer, die in unserem Kreis zusammengeschlossen sind. .Wollt Ihr wirklich ein vertrauensvolles Verhältnis zum Staat? Oder seht Ihr im Staat den Antichristus lebendig werden? Welche Meinung habt Ihr von der Kirche? Es ist die Frage oft gestellt worden, ob sich die Bekennende Kirche beschränken müsse ausschließlich auf den Kreis der Inhaber roter Karten. Diese Frage wird immer dringender. Das andere: Es ist natürlich sehr einfach, von der VKL ein Maximal- und ein Minimalprogramm zu fordern. Ist aber damit nicht die VKL überfordert? Nehmen Sie ein Beispiel aus unserem eigenen Leben. Jeder von uns muß für die Gestaltung seines Lebens letzte Ziele und Grundsätze haben. Es wäre aber eine Überforderung, wenn man von dem Einzelnen in bezug auf das praktische Handeln ein Programm im voraus fordern sollte in bezug auf Lagen, die er noch gar nicht kennt. So ist es auch mit der VKL. Wenn wir uns grundsätzlich als ihre Gefolgschaft wissen, müssen wir ihr auch für den konkreten Fall das Vertrauen schenken. Insbesondere war das Anliegen von Breit in seinem Referat schon berechtigt, daß die VKL weiß, man ist bereit, mit ihr zu gehen. Wenn sie dann einmal wirklich unsere Sache verrät, dann ist es Zeit, ihr das Vertrauen zu entziehen. Wenn weiter gefragt wurde über die Finanzabteilungen, da kann man natürlich fragen, ist jeder Versuch des Staates, in irgendeiner Form in die Finanzen einzugreifen, schon eine Verleugnung des Prinzips. Es gäbe, wie die Tradition zeigt, schon eine Form des Zusammenwirkens von Staat und Kirche. Dabei ist vorauszusetzen, daß die Zuständigkeiten genau abgegrenzt werden müßten, und daß alles, was geschieht, in gegenseitigem Vertrauen geschieht, daß die staatlichen Maßnahmen nicht Mittel zu einem ganz bestimmten Zwecke sind. So, wie die Finanzabteilungen jetzt sind, hätte ich die allergrößten Bedenken, dazu Ja und Amen zu sagen. An einer gewissen öffentlichen Kontrolle kann die Kirche nur ein Interesse haben. Aber so, wie die Finanzabteilungen jetzt sind, können sie zu einem Instrument der Kirchenpolitik werden. Darum muß man den Versuch machen, zu einer Änderung der Dinge zu kommen; dabei muß man mit bestimmten Vorschlägen kommen. Man kann natürlich stundenlang darüber reden, ob man zu einem guten Ende in diesem Staate kommen kann oder nicht. Aber es sollte jedenfalls an uns nicht liegen, wenn es zu einem restlosen und endgültigen Bruch kommt. Wenn das dann nicht geht, gut, dann nehmen wir es hin als Gottes Willen. Aber wir sollen es bis zum äußersten zu verhindern suchen. Es soll nicht kommen durch unsere Leichtfertigkeit, Unbesonnenheit und Bockbeinigkeit. Nur dann wird auf der Leidenszeit
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Denkhaus-Bremen: Wir sind nicht hierhergekommen, um in blindem Vertrauen zu sagen: Wir stehen hinter euch. Wir wollen wissen: Welchen Weg gedenkt die Vorläufige Kircbeniextnn^ I in einer bestimmten konkreten Lage zu gehen? Hahn-Dresden: Die Lage in Sachsen hat sich zugunsten der bekennenden Kirche geändert. Wir empfangen Staatshilfe gegen Coch (Versammlungen des Landeskirchenamtes sind verboten worden; Sperrung der Friedhöfe wird mit Schutzhaft bedroht) 45 . Winckler: Die Anwesenden müssen mit dem Vertrauen heimkehren können, daß die Vorläufige Kirchenleitung / auf der Wacht ist. Die Vorläufige Kirchenleitung / befindet sich in keinerlei Illusion über den Ernst der Lage. Keine Kanonisierung des Liberalismus in der Kirche. Generalstab und Front. Nur ein Zusammenarbeiten kann im Augenblick in Frage kommen. von Schwartz-Braunschweig berichtet von den Braunschweiger Verhältnissen. Breit: Meine Aufgabe ist Information. Politische Urteile dürfen nicht angewendet werden zu kirchlicher Urteilsfindung. Der Pessimismus der Vorläufigen Kirchenleitung / wird nicht übertroffen von dem Pessimismus der Bruderräte. Wohin der Zug geht, wissen wir nicht und können es nicht wissen und müssen es nicht wissen (gegen Jacobi) 46 . Ich befürchte, daß in unseren Reihen idealistische Gedanken eine Rolle spielen. Das tat man im liberalistischen Zeitalter (Ideen, Programme). Wir stehen töricht in unserer Arbeit. Die Kritik Jacobis beweist das gute Recht unserer alten Forderung. Jawohl, die militante Kraft! Aber sie muß eingebaut werden in das Pflichtbewußtsein der Vorläufigen Kirchenleitung I, in ihre praktische Arbeit, in ihren Dienst. Liegt nicht auch eine Unterschätzung der inneren Voraussetzungen für in Kraft sich äußernde und tätige Gemeinschaft vor? Wie soll uns Gott gute Gedanken zubereiten, wenn die Gemeinschaft, zu der wir uns vor ihm verbunden haben, immer wieder zerreißt? Ich habe die Hoffnung, wenn wir in dieser Gemeinschaft uns verbinden, dann bleibt unser Dienst gesegnet; dann ist es mir auch nicht angst um das Anliegen der bekennenden Kirche. Vor der Kraft der Gebete und vor der Macht des Glaubens ein Segen liegen. Ich möchte meine Stimme erheben gegen ein selbstverschuldetes Martyrium. Ich sehe mit einiger Sorge auf die kommende preußische Synode, wenn sie solche Dinge anschneiden will wie z. B.die Judenfrage. Was in Königsberg [vgl. oben Anm.20] geschieht, das bleibt nicht beschränkt auf den Kreis der preußischen Synode."' 45 Vgl. dazu auch J. FISCHER, Landeskirche, S. 45. 46 Vgl. oben S. 20 f .
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hat schon oft in der Weltgeschichte ein Volk und die öffentliche Gewalt eines Volkes weichen müssen. Zu der Frage der Finanzabteilungen habe ich keine Stellung genommen. Ich bin der Überzeugung, daß die Frage so schwierig ist, daß die kurze Zeit der Vorbereitung bis zur Preußensynode 7 zur Klärung aller Fragen [nicht] reicht. Ich habe die Bibel durchstudiert in bezug auf das, was man in bezug auf das Verhältnis von Staat und Kirche beachten müsse. Offenbar fehlen in meinem Neuen Testament die Stellen, die gebieten, dem Staat zur Buße und von seiner Schuld zu reden. Für uns bleiben alle Fragen unserer Denkschrift 48 , die zwischen Staat und Kirche [liegen], in Kraft. Wir haben kein Wort zurückgenommen. Freilich ist zu fürchten, daß die erhobenen Forderungen vom Staat unerfüllt bleiben. Gollnick-Ostpreußen: In den letzten Wochen starkes Anwachsen der Bekenntnisbewegung. Wir dürfen unter keinen Umständen den Ansatz unserer Bewegung vermissen lassen. Um unserer Bekenntnisbewegung willen müssen wir den Standpunkt vertreten, daß die geistliche Leitung der Kirche durchaus bei den Bruderräten bleibt. Wir sind aber durchaus der Meinung, daß man mit dem Kirchenminister sprechen kann über die Ordnung der Finanzfragen. Herntrich-Bielefeld: Die Gefahr ist, daß die Wege Breits und Jacobis auseinandergehen. Ich bitte, daß wir mit ganzem Ernst fragen, ob es geht um die gemeinsame Sicht des Wortes Gottes und der Bekenntnisse oder um die gemeinsame Sicht der gegenwärtigen Lage oder der politischen Verhältnisse. Jacobi-Berlin: Wir haben großes persönliches Vertrauen zu den Männern der Vorläufigen Kirchenleitung /. Ich bin der Letzte, der irgendwie das Verhältnis zur Vorläufigen Kirchenleitung I stören will. Nur hat mich sein [Breits] Vortrag heute besorgt gemacht. Das Ziel ist für uns alle inzwischen starke Gemeinschaft zwischen Vorläufiger Kirchenleitung / und uns. Es ist richtig, daß wir nicht wissen, wohin der Weg geht; aber wir müssen wissen, welchen nächsten Schritt wir tun müssen. Wir wollen eine Verwaltung der Kirche in einer Gesamtlösung, die der bekennenden Kirche Raum gibt zu ihrer freien Entfaltung. Ich wehre mich dagegen, daß zur bekennenden Kirche nur die Inhaber der roten Karten 49 gehören. Die Sache der bekennenden Kirche ist die Sache der ganzen Deut-
47 Vgl. oben Anm. 20. 4 8 Vgl. oben Anm. 10. 4 9 Vgl. oben Anm. 6 und 7.
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sehen Evangelischen Kirche, ganz abgesehen von den Gliedern, die zur bekennenden Kirche gehören. Bosse unterstreicht den Satz: Die rote Karte ist nicht das Kennzeichen der bekennenden Kirche. Marahrens: Breit hat das meiste gesagt, was mir auf dem Herzen liegt. Es ist eine falsche Sicht, aus der heraus man die heutige Information unter den Gesichtspunkt stellt, daß die Vorläufige Kirchenleitung I im Dunkeln stehe und nicht wisse, was sie zu tun habe. Wir wissen, was wir wollen und wir werden es auch tun. Es wurde gesagt: Es sei jetzt wichtiger, Zeitung zu hören [sie!], als mit Stahn und Kerrl zu verhandeln. Das ist eine unzulässige Uberspitzung. Unterhaltungen mit den Staatsmännern sind nicht bedeutungslos, sondern sind unentbehrlich. In einem Punkt liegt immer wieder ein Gegensatz vor: Der Partner (Staat) wird von mir anders beurteilt, als es in manchen Worten zum Ausdruck kam. Ich kann nicht sagen, er trägt eine Maske. Ich persönlich stehe noch heute unter dem Eindruck, daß es ein fürchterliches Ringen auf Seiten des Staates ist, welche Tendenzen überhaupt im Staate zum Siege kommen sollen. Die Lage ist in dieser Richtung außerordentlich ernst. Wir müssen die unterstützen auf der Seite des Staates, die wirklich ehrlich das Beste wollen. Ich fühle mich innerlich gezwungen, um Gottes willen dem Staat, wo ich nur kann, zu glauben, und solange für mich die Möglichkeit besteht, diesem Werk zu dienen, werde ich es tun. Darin lasse ich mich durch nichts beirren. Was unser Handeln betrifft, so brauchen wir wirklich kein Ziel anzugeben. Wir verlangen geistliche Führung, sauberes Verhältnis zwischen Staat und Kirche, eine Pfarrerschaft, die Pfarrbruderschaft ist, und verlangen lebendige Gemeinden. Das sagten wir immer aufs neue: Unser Anliegen ist das Bekenntnisanliegen. Wenn die Uberzeugung besteht, die Vorläufige Kirchenleitung / arbeite aus der Sicht der Kirche, ist bereits mit diesem Bekenntnisanliegen ausdrücklich erklärt: Deutsche Christen werden abgelehnt; DCMethoden werden abgelehnt; Ludwig Müller wird abgelehnt. So ist damit das Ziel so klar bestimmt, als es bestimmt werden kann. Wahlen im Augenblick sind abzulehnen. Verschiebung der Preußensynode. Wir müssen um Verständnis bitten, wenn wir in dieser Situation Verhandlungen mit dem Staat nicht ablehnen 50 .
50 Zu dieser Besprechung vom 13. September 1935 vgl. auch den Briefwechsel, Meiser anschließend geführt haben (Anhang, S.562f).
den Beste und
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3 Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Lutherischen Tages 1935 September 30 I. Meiser, Wachstuchheft 3, S. 289-294. II. Duensing (für Marahrens) - Meiser (V) - Merz - Emst Otto (fiir Hahn) - Hermann Sasse - Stoll. III. Würzburg, Dekanat, Zwinger 3a; ab 10.15 Uhr und von 15.00 Uhr bis 19.30 Uhr. G: /. Meiser, ATB; 2. Niederschrift Stolls vom 7. Oktober 1935 (LKA Nürnberg, Personen LXXXVIII Nr. 8).
Lesung: Epheser 4,9-26. Aussprache über die allgemeine Lage. [M... 7 berichtet: Raeders Vorstellung beim Führer [Hitler] Scheidungen, die sich in der altpreußischen Union vollziehen 2 . Neueinteilung von Preußen 3 wird auch neue kirchliche Gliederung bringen. Deutliche Distanzierung des engeren Kreises des altpreußischen Bruderrates von Präses Koch . Stoll: Bericht über Sitzung vom 15. Juli 1935 5 und den Vollzug der gefaßen Beschlüsse. Zeitschrift: „Luthertum". Besprechung mit Althaus und Eiert. Frage der Schriftleitung der „Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung" (Artikel für „Junge Kirche") 6 . Sasse: Referat: „Wie kann in der Kirche der altpreußischen Union wieder ein bekenntnismäßiges Kirchenregiment aufgerichtet werden?" 7 1 Vorgang nicht ermittelt. Zu Gesprächen Raeders mit Hitler und anderen nationalsozialistischen Führern über kirchenpolitische Probleme vgl. E. RAEDER, Mein Leben, S. 135 ff. 2 Gemeint sind offenbar die Meinungsverschiedenheiten im altpreußischen Bruderrat über die Finanzabteilungen. Vgl. Protokoll der Sitzung des altpreußischen Bruderrates vom 10. September 1935
( W . NIEMÖLLER, S t e g l i t z , S . 1 0 6 - 1 1 9 ) .
3 Anspielung auf die seit Jahren vom Staat erwartete, aber nicht durchgeführte Reichsreform (vgl. dazu auch H.BRAUN/C.NICOLAISEN, Verantwortung 1, S. 118 und 416). 4 Vgl. oben Anm. 2. 5 H . BRAUN/C. NICOLAISEN, V e r a n t w o r t u n g 1, S . 4 1 0 - 4 1 6 .
6 Der Sinn dieser stichwortartigen Notizen erschließt sich aus G 2: Danach konnte die Zeitschrift „Luthertum" „nicht als bekennende lutherische Zeitschrift angesprochen werden"; für „abgeschlossene periodische Veröffentlichungen" sollte daher die Reihe „Bekennende Kirche" zur Verfügung stehen, für die „Diskussion" und die „fortlaufende Arbeit" die AELKZ. Diese publizierte am 11. Oktober 1935 die von Meiser als dem Vorsitzenden des Lutherischen Rates (vgl. dazu unten Dok. 13, Anm. 5) unterzeichnete Erklärung „Das Kirchenregiment nach dem Bekenntnis der Evangelisch-Lutherischen Kirche" (Jg. 68, Nr. 11, Sp. 971-975), die von JK 3, 1935, S. 967-973 (Heft 20 vom 19. Oktober 1935) übernommen wurde. 7 Dieses für den Lutherischen Rat erstellte Gutachten: „ Wie kann in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union ein bekenntnisgebundenes Kirchenregiment wieder aufgerichtet wer-
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Die altpreußische Kirche eine Kirche zweier Bekenntnisse. Die C o n sensunierten, die schlechthin evangelischen Gemeinden höchstens 1/8 oder 1/10 aller Gemeinden (Kirchliches Jahrbuch 1931, S . 3 3 ) 8 . Dieser Bekenntniszustand ist eine A u s η a h m e. Es ist also kein über den beiden evangelischen Konfessionen stehendes Bekenntnis in der Kirche der altpreußischen Union vorhanden. Als M i n i m u m wurde von jeder Gemeinde die Eingliederung in die Verfassung gefordert. Alle Gemeinden m u ß t e n sich ein gemeinsames Kirchenregiment gefallen lassen. In den Evangelischen Oberkirchenrat Berlin sollten nur solche Personen a u f g e n o m m e n werden, welche das Zusammensein beider Konfessionen im Kirchenregiment für ihr Gewissen für möglich hielten. M a n nahm in Anspruch, in Preußen ein neues Verständnis des Bekenntnisses gewonnen zu haben. Die preußische Union gab praktisch die Bekenntnisse beider Konfessionen auf. August ana VII 9 hat m a n auf die unsichtbare Kirche bezogen. Dazu stimmt nicht der Anspruch auf unveränderte Geltung der Bekenntnisse. Jede Lösung der Bekenntnisfrage in Preußen, die das vorhandene Problem nicht löst, ist unvollkommen. Es handelt sich hier um ein Problem des gesamten deutschen Luthertums. Deshalb kann es niemals in Preußen allein gelöst werden. Es ist ein Irrtum der Väter der Union zu meinen, die lutherische Kirche könne fortbestehen ohne ein lutherisches Kirchenregiment. Die itio in partes 1 0 im Kirchenregiment reicht nicht aus, um der Forderung nach einem an das Bekenntnis gebundene Kirchenregiment Genüge zu tun. Das noch vorhandene reformierte Kirchentum m u ß nach der echten presbyterialen Verfassung von der Gemeinde her aufgebaut werden. Forderungen Boudriots: das Recht der Französisch-Reformierten in der preußischen Union. Denkschrift. Verlag des reformierten Konsistoriums. Die reformierte Kirche m u ß bei der Gemeinde b e g i n n e n " . Träger der lutherischen Kirchengewalt ist die gesamte Kirche.
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den?" ist abgedruckt bei K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. 230—240. Zur Entwicklung der preußischen Landeskirche im 19. Jahrhundert vgl. W. ELLIGER, Kirche der Union. Gemeint: Neben der Mehrzahl der Gemeinden in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, die sich entweder zum lutherischen oder zum reformierten Bekenntnis hielten, gab es eine Minderheit von konsensus-unierten und sog. „schlechthin evangelischen" Gemeinden, deren Bekenntnisstand als möglich anerkannt wurde, der aber keinesfalls charakteristisch für die Mehrzahl der Gemeinden war (EBD., S. 2 3 1 ) . Die Confessio Augustana von 1530 beschreibt in Artikel 7 die Kirche als „die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden" (BSLK, S.61). = Auseinandertreten in Parteien. Mit Boudriot forderte Sasse den Aufbau des in Preußen noch vorhandenen reformierten Kirchentums nach den Grundsätzen echterpresbyterial-synodaler Verfassung von der Gemeinde her (K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S.235). - Die Publikation Boudriots im Verlag
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Erneuerung der Ordination! Erneuerung des Amtes des Ordinatore. Der Auftrag für das Predigtamt wird nicht von einer einzelnen Gemeinde, sondern von der ganzen Kirche erteilt. Wo die Ordination recht verstanden wird, da ist die Kirche erneuert. Der Ordinator ist zugleich der Visitator 12 . Merz: Korreferat: Dringlichkeit der Lösung des Problems durch Merz bestritten. Hochschulfrage. Welche Rechtsmittel stehen heute noch zur Verfügung, um an den geordneten Fakultäten noch eine Belehrung unserer Studenten zu ermöglichen? 1. Es ist nötig, daß man bei den bestehenden Fakultäten rettet, was zu retten ist, und das Geltendmachen bei den staatlichen Stellen. 2. Ist ein Ersatz der Fakultäten geboten, oder wird man sich mit einer Ergänzung begnügen, oder ist beides nicht möglich, nicht nötig oder nicht erlaubt? Stellung zu den staatlichen Fakultäten überhaupt. Die Forderung akademischer Bildung findet ihre Grenze an der Forderung der in der Heiligen Schrift gegründeten Erkenntnis. Die Universität, mit der die Reformatoren gerechnet haben, ist grundsätzlich anders als die heutige Universität. Die alte Universität stand in der Ehrfurcht vor dem Worte Gottes. Auch das 19. Jahrhundert stand uns näher als die heutige Universität. Im 19. Jahrhundert hat die Universität die in der jeweiligen Gesellschaft bestehenden wissenschaftlichen Bedürfnisse anerkannt, so das Faktum Kirche, und hat darum der Universität die Pflicht zugeschrieben, eine entsprechende Bildung zu vermitteln. Das Dritte Reich will die politische Universität (nicht nur politische Schulung; die heutige Universität versteht unter dem Akademiker den politischen Amtswalter). Grundsätzlich sind alle akademischen Berufe nationalsozialistische Amtswaltungen. Für diese Universität ist der Theologe entweder ein fremdes Phänomen oder eine besondere Form des nationalsozialistischen Amtswalters. Wir sind über das 16. Jahrhundert zurückgekehrt ins Mittelalter, wo die Universitäten päpstliche Institute waren. Der Staat verlangt, daß die Universitäten unter seiner politischen Kontrolle stehen und gleichzeitig die politische Weltanschauung propagieren. Die Universität be-
des reformierten Konsistoriums ließ sich nicht ermitteln. Vgl. dazu aber sein Gutachten „Zur Lage der reformierten Gemeinden in der bisherigen hessischen Landeskirche" und seine Leitsätze „Aufbau der christlichen Kirche und Gemeinde nach reformierten Grundsätzen" von 1935 (Auskunft Richter). 12 Meiser hat diesen Passus sehr unvollständig mitgeschrieben. Sasse rief die rechtmäßigen lutherischen Bischöfe dazu auf, die von den preußischen Bruderräten bestellten Ordinatoren anzuerkennen (vgl. auch G 2, S. 2).
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findet sich in einer Umwandlung. Wir müssen heute fragen: Dürfen wir heute unsere Studenten noch auf den Universitäten bilden und wie lange können wir es? Die Politisierung der Kirche wird auf einer Reihe von Nebenwegen versucht. Kalte Politisierung der Kirche. Merz möchte sich für die Frage der Ergänzung [der Fakultäten] entscheiden, nicht für die Frage der Ersetzung. Der Staat wird auch freie Universitäten sofort von sich aus unterdrücken. Breslau 13 gibt neben der Universität eine Ergänzung. Daneben der Weg Bodelschwinghs 14 . Freie Fakultät. Nicht am gleichen Ort, sondern in ganz anderer Umgebung. Diese zweite Möglichkeit müßte die Kirche auf jeden Fall ins Auge fassen. Schon rein grundsätzlich würde sich die Kirche um ihre Glaubwürdigkeit bringen, wenn sie die Bildung ihrer Gemeindeglieder dem Staat überließe. Sie m u ß ein Beispiel geben, wie sie sich die Bildung denkt. 3. In den Verhandlungen mit dem Staat müssen wir zeigen, wie wir uns jetzt noch eine Fakultät denken, wenn sie eine Vorbildung für die Kirche vermitteln soll. Es wird aber schwer möglich sein, daß wir eine solche Fakultät bauen. [Darum] müssen wir für die Zwischenzeit eine andere Lösung suchen. Es m u ß in jedem Kirchenbezirk ein Vertrauensmann für die Studenten ernannt werden. Derselbe m u ß mit allem Informationsmaterial versehen sein und m u ß die Studenten beraten (Empfehlung von Erlangen, Tubingen, Rostock) 15 . Welche Vorlesungen m u ß t du da und da hören? Hinweis auf Bethel. Hinzu k o m m t folgendes: Für die Studenten, die aus wirtschaftlichen Gründen genötigt sind, gewisse Fakultäten zu besuchen, müßten Ferienkurse gehalten werden. Akademischer Hilfslehrerstand aus der Pfarrerschaft. Kirchliche Lebensgemeinschaft! Endlich: die Kandidaten zwischen dem 1. und 2. Examen müssen systematisch zu theologischen Übungen eingezogen werden. Zur D u r c h f ü h r u n g der Anregungen müßte alles zugleich ins Auge gefaßt werden. Predigerseminar für die zerstörten Gebiete in den intakten Landeski rchen 16 .
13 Gemeint ist das von der Altlutherischen Kirche in Preußen 1883 errichtete Theologische Seminar in Breslau, das die altlutherischen Theologen neben ihrem Universitätsstudium zu besuchen hatten. Das Seminar bestand bis 1945; die Nachfolgeeinrichtung ist die Theologische Hochschule, seit 1948 in Oberursel. 14 Merz sprach hier von der seit 1905 bestehenden Theologischen Schule — später Kirchlichen Hochschule — in Bethel. 15 Offenbar empfahl Merz diese Fakultäten, weil sie noch wenig durch die nationalsozialistische Fakultätenpolitik beeinträchtigt waren. Vgl. dazu auch H . MULERT, Fakultäten. 16 Besser G 2, S. 4: „Für die zerstörten lutherischen Gebiete wäre ein Predigerseminar u n d damit zugleich eine theologische Schule zu schaffen."
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4 Besprechung mit Vertretern lutherischer Kirchen und lutherischer Bruderräte 1935 Oktober 1 I. Meiser, Wachstuchhefi 3, S. 295-305. II. Beste — Bosse — Duensing — Henke — Herntrich — Kühl — Marahrens — Mayer-List — Meiser (E;V) — Ernst Otto (fiir Sachsen und Thüringen) — Schöffel — Karl von Schwartz — Stoll — Tilemann — Wester. III. Hannover, Evangelisches Vereinshaus (Lutherhaus), Uhr und ab 15.15 Uhr. G: 1. Meiser, ATB; 2. Niederschrift
Ebhardtstr. 3a; von 10.00 Uhr bis 13.30
gez. Stoll (LKA Nürnberg, Personen LXXXVIII Nr.8).
Meiser: Lesung: Lukas 18, 1 — 6. Begrüßung, Präsenz1. Bericht über die Arbeiten des Deutschen Lutherischen Tages und des Fortsetzungsausschusses2. Kirchliche Lage. Beste berichtet von neuer Verschärfung der Lage. Neue Disziplinierungen. „In zwei Jahren werden in Mecklenburg alle Pfaffen beseitigt sein und nur noch nationalsozialistische Redner das Evangelium von Blut und Boden verkünden dürfen" (Reichsstatthalter Hildebrandt in Mecklenburg) 3 . [ . . . ] Ausgabe grüner Karten durch Müller 4 . Geistliche Leitung der zerstörten Kirchen (Kühl, Schöffel, Tilemann, Bosse) Beste, Otto, Kühl5. Otto: Einziger Ausweg für Thüringen: Entstehung einer deutschen lutherischen Kirche, welche die bedrängten Gemeinden aufnimmt. Die Arbeit der Deutschen Christen im Thüringer Raum wirkt sich katastrophal aus. Das Führerprinzip zerstört die Gemeinden. Meist bestimmt der Führer der örtlichen Partei die Mitglieder der kirchlichen Körperschaften. Oft sind die Mitglieder der Körperschaften die einzigen Deutschen Christen in der Gemeinde. 1 Die Einladung der Teilnehmer (nach G 2: „Zusammenkunft der lutherischen Bischöfe mit den Vertretern der Bruderräte aus den zerstörten lutherischen Kirchen") nach Hannover ging u. a. auf eine „Bitte aus dem Kreis der Bruderräte" zurück (G 2, S. 1). Vgl. dazu auch den Briefwechsel Beste/Meiser vom September 1935 (Anhang, S. 562f). 2 Vgl. dazu H. Braun/C. Nicolaisen, Verantwortung 1, S. 403—416 und oben Dokument 3. 3 Zitat nicht ermittelt. 4 Vorgang nicht ermittelt. 5 Meiser führte hier offenbar die Liste der Redner, die sich zum Problem der geistlichen Leitung für die „zerstörten" lutherischen Kirchengebiete äußerten (vgl G 2, S. 3).
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Kühl: D e r Vorschlag des Fortsetzungsausschusses 6 schafft k a u m neue Z u stände in den bedrängten Kirchen. E s sind grundsätzliche und weiterreichende Entscheidungen herbeizuführen. Im Vorschlag von Mecklenburg 7 liegen größere Zukunftsmöglichkeiten. D e r Vorschlag zeigt den Willen z u m Z u s a m m e n s c h l u ß besonders deutlich. D i e Schwierigkeit des Vorschlages ist die, daß m a n hier zwar in eine große sachliche Weiterformung k o m m e n dürfte, daß aber darüber sofort große personale Fragen auftauchen. Schöffel berührt den K a m p f gegen die Konfessionen überhaupt. Wenn der K a m p f u m das Christentum überhaupt geht, dann m u ß für uns klar sein, daß mit C h r i s t e n t u m allein nichts getan ist. N u r konfessionelles C h r i s t e n t u m , nur klares L u t h e r t u m kann uns helfen. Schöffel k o m m t a u f bestimmte N ö t e innerhalb der Bekenntnisgemeinschaft zu sprechen. „Wir fühlen innerhalb der Bekenntnisgemeinschaft eine Erweichung des konfessionellen Bewußtseins". Lehre (Asmussen). „Grenzen des Konfessionalismus". Auflockerung durch die liturgische Bewegung 8 . Taktik. Fall H a m b u r g . Lutherische Lehre = bekenntniswidriges H a n d e l n (Tügel erklärt, daß er die Eingliederung nur auf staatlichen Z w a n g hin vornahm. Er habe die Bedenken der H a u p t p a s t o r e n nicht nur geteilt, sondern überboten 9 ). Vorschlag Bestes ist nur eine Zwischenlösung. Sie müßte aber von Kerrl anerkannt werden. Tilemann hat den Eindruck, daß die widerchristliche Tendenz innerhalb der Partei sich außerordentlich verstärkt hat. Rosenberg würde im Augenblick zurückgehalten. Es fragt sich, ob der Kerrl'sche Versuch Aussicht auf Berücksichtigung hat. Selbst wenn der Versuch unsere Z u s t i m m u n g fände, würde er der Zensur Rosenbergs unterstellt und vermutlich zu Fall gebracht. Der dringlichste Punkt ist: Was soll jetzt geschehen? Wir müssen uns klarmachen: Es m u ß endlich die Linie von Würzburg 6 Dabei ging es darum, die lutherischen Bruderräte bzw. Bekenntnisgemeinschaften in den „zerstörten" Kirchen einer „intakten" Kirche zuzuweisen (vgl. H . BRAUN/C. NICOLAISEN, V e r a n t w o r t u n g 1, S. 4 1 3 , A n m . 13). 7 Beste hatte den Vorschlag gemacht, die lutherischen Bruderräte und Bekenntnisgemeinschaften der „zerstörten" Kirchen einem einheitlichen Kirchenregiment zu unterstellen ( G 2, S . 2 ) . 8 Nach G 2, S. 2 warnte Schöffel vor der Gefahr einer A u f l o c k e r u n g des konfessionellen Bewußtseins vonseiten der Lehre und vonseiten der Liturgie her". Mit der liturgischen Bewegung ist die sog. Berneuchener Konferenz gemeint, ein 1923 erstmals auf Gut Berneuchen (Neumark) zusammengetretener Kreis evangelischer Theologen aus verschiedenen Landeskirchen, der auf regelmäßigen Treffen liturgische Ordnungen und Regeln geistlichen Lebens erarbeitete, um die Kirche zu erneuern (vgl. W . STAHLIN, Berneuchen). 9 Zur Eingliederung der Hamburger Kirche in die Reichskirche 1934 vgl. F. TÜGEL, M e i n W e g , S. 2 6 6 f i . u n d H . WILHELMI, Kirche, S. 1 5 7 - 1 6 8 . E b d . , S. 3 0 6 - 3 1 2 auch das Gutachten der Hauptpastoren Dubbels, Knolle und Schöffel gegen die Eingliederung vom 23. Mai 1934.
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(1933) 10 ausgeführt werden. Es muß endlich der Block der lutherischen Kirchen verwirklicht werden. Das Luthertum der zerstörten Kirchen muß in einen organisatorischen Zusammenhang mit den intakten Landeskirchen gebracht werden. Es ist fur den Staat die Frage, die an Kerrl gestellt wird, eine M a c h t f r a g e . Es ist von größter Bedeutung, daß jetzt klar wird, daß es Kerrl zu tun hat mit den drei lutherischen Landeskirchen, mit denen die lutherischen Gemeinden in den zerstörten Kirchen zusammengeschlossen sind. Kann die Gesinnungsverwandtschaft ausgedehnt werden auf eine organisatorische Verbindung? Bosse: In Parteikreisen herrscht die Ansicht, daß die Frage der Konfessionskirchen nur noch eine Angelegenheit von 100 Jahren sei. Alle Überlegungen über das Minist«-/«/?* Kerrl müssen davon ausgehen, daß es keine eindeutige Größe ist, sondern daß wir um ihn [sic!\ erst ringen müssen. Praktische Vorschläge führen uns nicht weiter, wenn sie eindeutig in der bisherigen Richtung laufen. Bisher wurde versucht, die Kirchenfragen gesamtkirchlich oder lokalkirchlich zu lösen. Deshalb ist der Blick mit allem Ernst auf das niederdeutsche Luthertum zu richten. Könnte man nicht wieder mehr anknüpfen an 1933?" Aufteilung des Luthertums. Organische Wege der Zusammenfassung bestimmter lutherischer Gebiete unter einer geistlichen Führung. Die sämtlichen Bruderräte des niederdeutschen Raumes müssen sich unter einer geistlichen Leitung zusammentun und dürfen ihre Dinge nur unter einer geistlichen Leitung tun. Meisen Lutherischer Pakt 12 . von Schwanz konstatiert einen Mangel an Substanz der bekennenden Kirche in Braunschweig (400 rote Karten 13 im ganzen Land). Unsere Hilfe liegt bei den intakten Landeskirchen. Jugendarbeit auf bekenntnismäßiger Grundlage mit Zustimmung des Bischofs Johnsen. Volksmission in Verbindung mit Hannover. Wenn in irgendeiner Form ein 10 Gemeint ist der Zusammenschluß der lutherischen Landeskirchen zu einem lutherischen Zweig innerhalb der werdenden DEKam 14. Mai 1933 in Würzburg (vgl. H. BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung 1, S. XXVII ff.). 11 In dem Bemühen, die lutherischen Kirchen in Deutschland zu vereinen, hatten sich die schleswig-holsteinische, hannoversche, hamburgische, braunschweigische und schaumburg-lippische Landeskirche zu der „Föderation der niederdeutschen Landeskirchen " zusammengefunden und zwischen 1929 und 1933 regelmäßig getagt (P. FLEISCH, Werden, S. 22). Vgl. dazu auch den Entwurf Fleischs für ein Statut im April 1933 (EBD., S. 23 f. und 405). Dieser Text bildete die Verhandlungsgrundlage fur den Zusammenschluß der lutherischen Kirchenführer am 14. Mai in Würzburg (vgl. oben Anm. 10). 12 Nach G 2, S. 3 zeigte Meiser Möglichkeiten a u f , wie sich die Bruderräte in den „zerstörten" lutherischen Kirchen dem Lutherischen Pakt der drei Landeskirchen von Bayern, Württemberg und Hannover vom 12. Februar 1935 (GAUGER III, S. 453—457) anschließen könnten. 13 Vgl. dazu oben Dok. 2, Anm. 6.
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Anschluß der kleinen Bekenntniskirche Braunschweig an das große Ganze erfolgt, dann sind wir gegen die Ansicht gefeit, daß Johnsen alles verharmlost. In Braunschweig sind 140 Schüler einer dortigen Führerschule aus der Kirche ausgetreten. Beste: Wir sind gern bereit, auf die Punkte des Lutherischen Paktes einzugehen (Volksmission, Jugendarbeit vielleicht ausgenommen, die durch die Vorläufige Kirchenleitung / betrieben wird). Bemühungen des Staates, zu einer Ordnung zurückzukommen. Praktischer Beitrag dazu die Gründung einer großen lutherischen Kirche im niederdeutschen Raum. Anschluß einzelner Gemeinden an andere Landeskirchen. Tilemann: In Oldenburg besteht ein Präsidium der Bekenntnissynode. Der lutherische Block der drei Landeskirchen14 muß heute erweitert werden. Herntrich: Der Vorschlag Sasse15 kann uns heute nicht mehr weiterführen, weil eine Ordination und eine Einweisung in die Amter heute nicht mehr möglich ist. Es würde auch die Schwierigkeit aufbrechen, daß die Finanzabteilung 16 in der einen Landeskirche gegen das handeln müßte, was in einer anderen Landeskirche angestrebt wird. Die Schwäche des Deutschen Lutherischen Tages [2.—5-Juli 1935] bestand darin, daß er ein lutherischer Tag und keine Synode war17. Wenn wir als Ziel die eine lutherische Kirche in Deutschland sehen, wenn aber die Schwierigkeiten zu groß sind, um überwunden zu werden, dann müssen wir zunächst eine lutherische Synode Niedersachsens einberufen. Nur so können wir auch Kerrl gegenüber in Autorität sprechen. Es würden durch ein von einer solchen Synode herausgestelltes Kirchenregiment die Schwierigkeiten in den einzelnen Landeskirchen überwunden werden können. Allein eine solche Synode könnte die Grundsätze fur den Bau der lutherischen Kirche herstellen. Antrag: Zur Vorbereitung einer solchen Synode wird ins Auge gefaßt eine gemeinsame Besprechung der Bruderräte des niedersächsischen Raumes unter Vorsitz von Marahrens. Beste: Die ganzen Kirchen müssen einem einheitlichen lutherischen Kirchenregiment unterstellt werden. „Volkskirche!" Wenn einzelne Bekenntnisgemeinden sich anschließen, so ist damit die Volkskirche praktisch aufgegeben. Widerrät der Abhaltung einer lutherischen Synode. Zur Uberwindung der Schwierigkeiten, die sich bei der Stellung der DC-Kirchenregimente ergeben, soll ein Kirchenregiment beauftragt werden, im norddeutschen 14 = Lutherischer Pakt vom 12. Februar 19351 5 In seinem Referat am 30. September 1935 (vgl. oben Dot. 3, Anm. II). 16 Zur unterschiedlichen Bewertung der Finanzabteilungen vgl. oben Dok. 2, Anm. ¡3. 17 Vgl. H. BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung 1, S. 403-410, bes. Anm. 1.
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Raum zu ordnen. Durch Verordnung sollen die einzelnen Kirchen gezwungen werden, in eine solche gemeinsame Kirche hineinzugehen. Stoll berichtigt die Auffassung über die Vorschläge des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Rates18. Bosse bringt die Sprache auf die Neutralen. Erst die jetzige Situation erweist, daß sich die bekennende Kirche viel zu wenig mit dem Problem der Mitte abgegeben hat. 700 Bekenntnisgeistliche [in Hannover]·, 120 gehören zur Bischofsfront, die mit der Bekenntnisgemeinschaft Arbeitsgemeinschaft haben wollen. Darunter sind viele ehemalige DC-ler. Wenn wir im niederdeutschen Raum weiterkommen wollen, dürfen wir nicht von der Frontstellung gegen die Deutschen Christen ausgehen. Wir müssen an die Menschen mit denken, die jetzt neutral sind, die aber mit eingespannt werden müssen. Wenn wir jetzt schon Kirchenregiment herausstellen, stoßen wir auf dieselben Schwierigkeiten wie Dahlem19. Für mich geht die Frage noch weiter. Ich habe den Braunschweigern vorgeschlagen: Braunschweig, Hannover und Schaumburg-Lippe sollten eine bestimmte Arbeitsgemeinschaft bilden, zunächst die bekennende Kirche als solche, und sollten dann versuchen, ob unter die Führung von Marahrens auch Johnsen gestellt werden könnte. Der Plan müßte geistlich so gestaltet werden, daß die Neutralen dadurch hineingezogen werden20. Beste: In Mecklenburg spielen die Neutralen keine Rolle mehr. 210 Pfarrer in der Bekenntnisgemeinschaft:. 100 — 110 Deutsche Christen (wovon 32 Nichtakademiker sind21). Die übrigen, etwa 70, sind neutral. Dieselben überschauen weder theologisch noch kirchlich die Dinge. Ein Teil steht innerlich zu uns. In Mecklenburg stehen die, die Kirche wollen, bei uns. Das gleiche gilt von den Gemeinden. Bei dieser Sachlage würde der Plan von Bosse schon jetzt durchzufuhren sein. Es muß uns nur geholfen werden, das Kirchenregiment Schultz zu überwinden. Tilemann: Der Vorschlag Bosse ist beachtenswert. Aber wir haben keine Zeit mehr. Es muß jetzt schneller gehandelt werden. Wir müssen fragen: Was kann im Augenblick geschehen? Die bekennenden Kreise
18 Muß heißen: des Deutschen Lutherischen Tages vom 30. September 1935 (vgl. oben Dok. 3). 19 Vgl. dazu oben Dok. 2, Anm. 8. 20 Nach G 2, S. 3 folgte hier ein Votum Meisers, der riet, „die Verhältnisse doch ja von uns aus zu gestalten, bevor eine Nötigung von außen kommt." 21 Vgl. auch das Schreiben Stolls an den Reichskirchenausschuß vom 29. Oktober 1936 (LKA HANNOVER, D 15 I Nr. 79). Danach gab es unter den DC-Geistlichen Mecklenburgs 49, die erst im Laufe der letzten beiden Jahre nach Mecklenburg gekommen waren, und bei denen nicht feststand, ob sie überhaupt eine abgeschlossene theologische Ausbildung aufweisen konnten. Vgl. dazu auch Anhang Nr. VII.
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in den einzelnen Landeskirchen müssen sagen: Wir gehören da hin. Dann kommt es darauf an, daß D. Marahrens sagen könnte, wenn Sie [ = Kerrl] nach Mecklenburg und Hamburg hinübergreifen, dann haben Sie es mit uns zu tun. Marahrens muß aber auch bevollmächtigt sein. Die Sprecher der Vorläufigen Kirchenleitung / müssen sagen können: Ihr könnt nicht etwa uns so behandeln, sondern Ihr müßt wissen: Ihr habt es mit der Vereinigten Lutherischen Kirche zu tun. Wester: Wir haben dreierlei Gruppen von Neutralen: die Neutralen unter einem DC-Regiment; die Neutralen in Hannover; bei uns in Schleswig-Holstein und Hamburg sind die Neutralen das Kirchenregiment 22 . Die Bekenntnisgemeinschaften können auf eine Legalisierung in den neutralen Kirchen nicht rechnen. Der Bereich der geistlichen Leitung etwa von Hannover aus wird ständig beschnitten von den gleichen Finanzverwaltungen, die Hannover im eigenen Gebiet anerkennt. Arbeitsbeschneidung. Wir befürchten, daß unsere Bekenntnisgemeinschaften zwischen den Neutralen und den legalisierten Kirchen und den intakten Kirchen hindurchfallen. Wenn wir nicht doch wirklich dem Problem beikommen, sind wir sachlich verloren, trotz aller geschenkten geistlichen Leitung. Paulsen macht jetzt den Versuch, im Lande mit dem Namen Bodelschwingh zu agitieren. Johnsen hält Vorträge im ganzen Lande. Uns ist es mit jedem Tag unmöglicher, Paulsen zu vertrauen, weil er immer „auch anders" kann. Kühl: Der Vorschlag Bosse ist auf zu weite Sicht angelegt. Man muß versuchen, die Neutralen schließlich in eine Frontgemeinschaft mit uns zu bringen. Auf der anderen Seite eilt es doch gewaltig. Wir müssen der Vorläufigen Kirchenleitung / die Bitte unterbreiten, mit einem ganz konkreten Plan auf den Reichsminister Kerrl einzuwirken. Einheitliche Zusammenfassung Niedersachsens bietet vielleicht doch eine Möglichkeit, daß auch Kerrl einsieht: Hier ist ein Weg. Unser Kirchenregiment in Lübeck ist mit dem Staat absolut verbunden23. Es wäre anders, wenn man sagen könnte: Es wird der große Zusammenschluß reichsrechtlich legalisiert. Durch diese Auflösung von außen her würde uns geholfen werden. 22 Zu den Neutraten unter einem DC-Kirchenregiment vgl. das Votum Bestes oben S. 36. Bei den Neutralen in Hannover handelt es sich vermutlich um die vielen Gruppen, die sich am 26. Februar 1935 „gegen die Störung der kirchlichen Arbeit und gegen die Angriffe auf Landesbischof D . Marahrens" verwahrt hatten ( G A U G E R III, S.414). In Hamburg und Schleswig-Holstein hatten sich die Landesbischöfe Tügel und Paulsen von den Deutschen Christen losgesagt und bemühten sich darum, das Kirchenregiment legitim zu fiihren. Darum beanspruchten dort die Bruderräte nicht in vollem Umfang die Leitungsfunktion (vgl. dazu J . B I E L F E L D T , Kirchenkampf, S. 1 1 7 ; H . W I L H E L M I , Kirche, S . 2 l 6 f . ) . 23 Vgl. dazu K. F. R E I M E R S , Lübeck, bes. S. 43 ff.
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Bosse: Wenn man praktisch den Weg ginge, daß die sämtlichen Bruderräte in Norddeutschland sich der Führung Marahrens' unterstellten, so wäre Kerrl gegenüber in Verhandlungen ein großes Gewicht geschaffen. D. Marahrens: Was Tilemann sagte: Eine gewisse Bevollmächtigung der Vorläufigen Kirchenleitung I ist schon da 24 . Hier handelt es sich doch darum, daß die Summierung bestimmter Bruderräte einen bestimmten Raum darstellen, das müßte erreicht werden. Problem der Neutralen macht mir viel Sorge. Wir wären in der bekennenden Kirche jetzt weiter, so weit, daß wir den Sturm, der kommt, mit kühler Haltung abschlügen. Es muß unbedingt geschlossen gehandelt werden, aber auf der anderen Seite würde ich sagen: Die Verhandlungsbereitschaft mit den Neutralen muß sein, aber eine Bereitschaft, die eben unser Grundanliegen betont. Kühl: Wir gingen von dem Wunsch aus, wir möchten das eben erschienene Gesetz 25 dazu ausnützen, einen Zusammenschluß der großen Gebiete zu erreichen. Dieser Zusammenschluß ist leicht zu erreichen. Wir müssen aber überlegen: Welchen besonderen Rat könnten wir den Männern nahelegen, die uns bei Kerrl vertreten? Marahrens: Nicht der Staat muß die Sache machen, wir müssen es tun. Herntrich hält den Gedanken der lutherischen Synode fest. Wo lutherische Kirchengebiete zu einer Synode zusammentreten können, ist die echte Aufgabe, welche wir sehen können. Die Dinge, die brennen, liegen genauso in der Hand der Vorläufigen Kirchenleitung / als in der Hand eines Gremiums, das wir schaffen können. Von der Synode her werden wir entscheidend weiterkommen. Von den neutralen Kirchen aus dürfte deutlich werden: Hier steht Hannover in einer Linie mit unseren Bekenntnisgemeinschaften. Das wäre das Zeichen, das wir auch Kerrl gegenüber aufrichten müßten. Bosse: Wir müssen die Dinge im Ansatz richtig ansetzen. Es müssen sich die Bruderräte einer einheitlichen lutherischen Führung unterstellen. Marahrens: Wir müssen in allen diesen Fragen die Initiative ergreifen und nicht an uns und mit uns handeln lassen. 24 Evtl. bezieht sich Marahrens auf Absatz III der „ Vereinbarung über die Bestellung eines vorläufigen Kirchenregiments der DEK" vom 22. November 1934: „In den Kirchen, in denen ein bekenntnis- und verfassungswidriges Kirchenregiment besteht, bestätigt das vorläufige Kirchenregiment die von der Bekenntnissynode der DEK bestellten oder anerkannten Organe der Leitung" (GAUGER II, S. 391). 25 Gemeint ist ¿las „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 24. September 1935, durch das der Reichsminister ftir die kirchlichen Angelegenheiten ermächtigt wurde, „zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den evangelischen Landeskirchen [... ] Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen" (RGBl I 1935, S. 1178; GB1DEK 1935, S.99).
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O t t o spricht f ü r die die Landeskirchen d u r c h k r e u z e n d e n Fronten, die d a n n echt seien. Eine etwaige T r e n n u n g w ü r d e vorbereitet, auch die M ö g l i c h k e i t eines echten M i t e i n a n d e r r i n g e n s . V i e l e D C - G e m e i n d e n w ü r d e n abfallen, weil sie schon jetzt sehr enttäuscht sind. Tritt f ü r den A n s c h l u ß lutherischer B e k e n n t n i s g e m e i n s c h a f t e n an lutherische K i r chen ein. T i l e m a n n : Initiative m u ß bei uns sein. W i r müssen rasch zu e i n e m Ergebnis k o m m e n . W i r k ö n n e n die S y n o d e nicht a b w a r t e n , s o n d e r n w i r müssen jetzt h a n d e l n . W e s t e r b e t o n t Ernst d e r Lage. W e n n sich die intakten K i r c h e n gefährden, d a n n k ö n n e n sie uns retten. S o n s t sind w i r verloren. Bosse: D i e Bruderräte der niederdeutschen K i r c h e n müssen sich d e r geistlichen Leitung v o n M a r a h r e n s unterstellen. Es soll eine S y n o d e v o r bereitet w e r d e n . M a y e r - L i s t : [ Text bricht
ab]26.
26 Nach G 2, S. 3 f. faßte Meiser „als Ergebnis und Beschluß der Anwesenden zusammen: 1. Der Antrag Otto (Anschluß bekennender Gemeinden an bekenntnisgleiche intakte Landeskirchen) wird als Antrag an die Vorläufige Kirchenleitung weitergegeben, damit sie alle Möglichkeiten überprüft. 2. Die Bruderräte des niederdeutschen Raumes unterstellen sich der geistlichen Leitung der Hannoverschen Landeskirche (Landesbischof Marahrens). 3. In kürzester Zeit werden die Bruderräte des niederdeutschen Raumes zusammengerufen. Sie könnten dann feststellen, daß die Abhaltung einer lutherischen Synode mit dem Ziel der Vorbereitung einer großen niedersächsischen Kirche als dringend erforderlich angesehen wird. 4. Eine Mitteilung durch Landesbischof Marahrens an Minister Kerrl erfolgt aufgrund der Synodalbeschlüsse. 5. Die Bruderräte formulieren bestimmte Anträge an die drei den Pakt vertretenden Landeskirchen über eine Teilnahme am Pakt: z. B.Anerkennung der Examina, der Ordination usw. 6. Für künftige Beratungen bleibt die Frage der Aufstellung und Anerkennung besonderer Ordinatoren und Visitatoren wichtig. D. Marahrens kann im Auftrag der intakten Kirchen und der sämtlichen lutherischen Bruderräte dem Ministerium Kerrl gegenüber zum Ausdruck bringen, daß die abgelehnten [gemeint wohl: die DC-] Bischöfe keine lutherischen Bischöfe sind." Dieser Beschlußführte unmittelbar zu der Entschließung der in Lüneburg am 7. Oktober 1935 unter Vorsitz von Marahrens tagenden Bruderratsvertreter der Bekenntnisgemeinschaften aus den Kirchen Hannovers, Braunschweigs, Oldenburgs, Hamburgs, Lübecks, Schleswig-Holsteins und Mecklenburgs: „Die Bruderräte der niederdeutschen lutherischen Landeskirchen berufen als geistliche Leitung einen Ausschuß. Er steht unter der Leitung von Landesbischof D. Marahrens. Dieser Ausschuß übernimmt die Verantwortung für die lutherische Kirche im niederdeutschen Räume in ihrer Gesamtheit und in allen ihren Teilen. Die Bruderräte werden in ihrer Landeskirche nur Lösungen der Kirchenfrage zustimmen, die die Zustimmung dieser geistlichen Leitung gefunden haben" (JK 3, 1935, S. 982; vgl. auch G A U G E R III, S. 457-459).
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5 Gemeinsame Sitzung des Bruderrates der Deutschen Evangelischen Kirche (Reichsbruderrat) und der Vorläufigen Kirchenleitung I 1935 Oktober 8 I. Meiser, Wachstuchheft 3, S.
306-315.
II. Albertz (für Immer) — Asmussen — Flor (ab 21.00 Uhr) — Humburg — von Kirchbach (ftir Hahn) — Karl Koch (E;V) — Marahrens — Meiser — Friedrich Müller — von Soden. Arnim-Kröchlendorff — Beckmann — Bosse — Breit — Dürr — Martin Gauger (fur Eberhard Fiedler) — Hesse — Franz Hildebrandt (ftir Niemöller) — Jacobi — Kloppenburg — Kremer — Link - Lücking — Niemöller (ab 19.45 Uhr) — Pressel (als Gast) — Remé — Sammetreuther Steil (ab Gast) — Stoevesandt — von Thadden — Viebig— Gotthilf Weber — Weißler (als Gast) — Wurm. III. Berlin SW 68, Hospiz „St.Michael", Wilhelmstr. 34; von 18.30 Uhr bis gegen 23.00 Uhr. G: 1. Meiser, ATB; 2. Protokoll gez. Koch und Weber vom 15. Oktober 1935 (LKA Bielefeld, 5,1 Nr. 704 Fase. 2 und LKA Stuttgart, D1/140); 3- Mitschrift Kloppenburgs (LKA Oldenburg, A 13b).
Vorsitz K o c h 1 . Albertz: A n d a c h t . Zwei oberhessische Pfarrer: Bericht über H e s s e n - N a s s a u . 16 b e k e n n e n d e n G e m e i n d e n w u r d e n die G o t t e s h ä u s e r gesperrt. A u f A n o r d n u n g des Ä«iAskirchenministers [Kerrl] w u r d e die Sperre gegen d e n W i d e r s t a n d örtlicher Polizeistellen a u f g e h o b e n 2 . N e u e r d i n g s w u r d e n einzelne Kirchen wieder verriegelt u n d v o n L e u t e n der Wach- u n d Schließgesell1 Dies war die erste gemeinsame Sitzung von Reichsbruderrat und VKL I nach den einschneidenden staatlichen Verordnungen zur Neuordnung der evangelischen Kirche. Bereits nach Erlaß des „Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 24. September (vgl. oben Dok. 4, Anm. 25) hatten verschiedene Mitglieder Koch gedrängt, eine Sitzung des Reichsbruderrates einzuberufen (vgl. die Einladung Kochs vom 1. Oktober 1935: EZA BERLIN, 50/35e). Der ursprünglich für den 11. Oktober 1935 vorgesehene Termin wurde auf den 8. Oktober vorverlegt (vgl. die Liste der telegraphisch und telephonisch zusammengerufenen Mitglieder vom 7. Oktober: LKA BIELEFELD, 5,1 Nr. 702 Fase. 1), wohl nachdem am 3. Oktober die 1. DVO zu dem Gesetz vom 24. September erschienen und damit ersichtlich war, daß der Reichskirchenminister von sich aus neue Kirchenleitungen bilden würde: nämlich den Reichskirchenausschuß für die DEK und zunächst ftir die Evangelische Kirche der altpreußischen Union einen Landeskirchenausschuß sowie Provinzialkirchenausschüsse (GB1DEK 1935, S. 101 f.). Die Sitzung wurde am 9- Oktober 1935 fortgesetzt, allerdings ohne Meiser, Sammetreuther und Wurm (G 2). Es hat sich nicht einwandfrei klären lassen, ob Meiser wegen der bevorstehenden Tagung des Lutherischen Weltkonvents in Paris (vgl. unten Dok. 6 und 7) oder aus anderen Gründen vorzeitig abreiste. Jedenfalls war er bei dem entscheidenden Beschluß über die Stellung zu den Kirchenausschüssen (vgl. unten Anm. 12) nicht dabei. 2
Vgl.
R U N D B R I E F DES PRÄSES DER B E K E N N T N I S S Y N O D E DER D E K N r . 5 3 v o m 3 0 . O k t o b e r
1935, s. 5;
DOKUMENTATION
5, S.4ff.
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schaft bewacht. Die Gemeinden haben mit Ernst und Zucht das Geschenk des Kirchenministeriums begrüßt. Am Pfarrertag in Bad Homburg sollen 580 Pfarrer teilgenommen haben. Zur bekennenden Kirche stehen 4 0 0 Pfarrer. A m Seebergschen Vortrag haben ca. 380 Personen teilgenommen, darunter 4 0 Nichtpfarrer, davon 150 Deutsche Christen, die übrigen Neutrale 3 . Marahrens: Bericht über die kirchliche Lage. Die Vorläufige Kirchenleitung I beschäftigt sich mit der Frage: Welchen Charakter hat der gegenwärtige staatliche Eingriff 4 (willkürlicher Eingriff oder steht hinter dem Ganzen der W i l l e zur erbetenen Rechtshilfe? 5 ). Kirche ist handlungsunfähig. Dadurch staatlicher und kirchlicher Notstand. Versuche, das Gesetz 6 zu stoppen. Stellungnahme in einem Schreiben an das A g r a r m i n i s t e r i u m 7 . Die Neuordnung außerordentlich schwer. Befriedungsvorschlag vom 30. Januar 1935 8 ist immer noch gut. Der Vorschlag erörterte die Frage der Kirchenverweserschaft, gab dann ein Urteil über die Lage und machte Vorschläge. Die Vorläufige Kirchenleitung I hat Informationen eingezogen. Auf der Seite des Ministers ehrlicher W i l l e zur Hilfe. Er verbindet sich nicht mit einer klaren Erkenntnis der Lage. Nicht mit einer wirklichen Einsicht in die innere Lage. Kerrl lehnt gewaltsames Eingreifen ab. M ö g l i c h e Stellungnahme: Grundsätzliche Ablehnung aus zwei Gründen. 1. Aus grundsätzlichen Erwägungen über das Verhältnis von Staat und Kirche (Leipziger Memorandum im bayerischen Amtsblatt 9 ). M a n könnte sagen: Die Ideallösung des Verhältnisses liegt nicht vor. 2. Aus praktischen Erwägungen. Diese können sich ergeben aus den Bestimmungen des Gesetzes selbst: Finanzabteilungen, und an der Art,
:! Vgl. dazu DOKUMENTATION 4, S. 456 ff.: Der DC-Landesbischof Dietrich hatte zum 23. September einen Pfarrertag nach Bad Homburg einberufen, auf dem Seeberg einen Vortrag mit dem Thema „Eckhart und Luther" hielt. Von ca. 800 hessischen Pfarrern nahmen 560 an dem Pfarrertag teil. 4 = die Einsetzung des Reichskirchenministers am 16. Juli 1935 und die staatliche Gesetzgebung vom 24. September 1935 und 3. Oktober 1935 (vgl. oben Anm. 1). 5 Vgl. dazu ζ. B. das Votum Breits (oben Dok. 2, S. 14). 6 Gemeint wohl: die 1. DVO vom 3. Oktober 1935 (vgl. oben Anm. 1). 7 Vgl. die Schreiben der VKl 1 an Kerrl vom 30. September, 2. Oktober und 4. Oktober 1935 (K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 10f., 12, 13-16). 8 Richtig: 26. Januar 1935 (vgl. oben Dok. 2, Anm. 10). 9 Es geht um die Grundsätze „Das Kirchenregiment nach dem Bekenntnis der Evangelisch-Lutherischen Kirche" die der Lutherische Rat am 9. April 1935 in Halle (nicht Leipzig!) verabschiedet
hatte
(vgl.
H . BRAUN/C. NICOLAISEN, V e r a n t w o r t u n g 1, S . 3 9 0 , A n m . 9 )
die im Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen (Abdruck:
Kirche in Bayern veröffentlicht
K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S . 2 5 0 - 2 6 8 ) .
worden
und
waren
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wie das Kirchliche Außenamt in seiner Existenz gesichert wird 10 . Dann aus den bisherigen Erfahrungen des Kirchenkampfes. Wir haben bisher Beweise für ein helfendes Eingreifen des Staates kaum gehabt. Die Vorläufige Kirchenleitung / hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden: nicht grundsätzlich abzulehnen, nicht von vornherein ein Nein zu sagen, sondern im gewissen Umfang eine Mitarbeit für möglich zu halten. Mit einem runden Nein können wir die Mitarbeit nicht ablehnen. Es hat uns dabei mitbestimmt die Verantwortung für unsere Gemeinden, überhaupt der Blick auf die ganze Lage. Möglichkeit des Entzuges der körperschaftlichen Rechte der Kirche bei schroffer Ablehnung. Dieser Schritt würde in die Freikirche hineinführen. Die Vorläufige Kirchenleitung / glaubte, zu einer gewissen Mitarbeit bereit sein zu können, wenn gewisse Bedingungen erfüllt werden. Die Vorläufige Kirchenleitung / ist nicht in der Lage, das ganze Gesetz abzulehnen. Wir können eine Mitarbeit unter gewissen Voraussetzungen vornehmen. Uber diese Voraussetzungen muß mit dem Minister verhandelt werden. Darum Schreiben an Ministerium Kerrl vom 1./2. Oktober: „Die einzuleitenden Maßnahmen müssen von vornherein von einem wahrhaft kirchlichen Ansatz aus erfolgen." 11 Das Schreiben wird verlesen. Zusammenstellung der Gravamina, die dem Reichsminister vorzutragen sind. Sie betreffen: 1. die Kirche und die geistliche Leitung der Kirche. Bereinigung der Gewaltmaßnahmen; 2. die bestehenden kirchlichen Körperschaften sind aufzulösen. Die Beauftragung kommissarischer Körperschaften ist erforderlich; 3. kirchliches Prüfungsrecht. Gravamina betreffend Staat; betreffend Partei und ihre weltanschauliche Stellung. Die entscheidende Frage ist: Wie können die Bedenken, die sich aus dem Gesetz ergeben, überwunden werden? Wie kann dem Mißbrauch des Gesetzes vorgebeugt werden? Das Entscheidende ist die Personenfrage. Sie ist die Auslegung zur Durchführungsverordnung.
10 Nach der 1. DVO vom 3· Oktober 1935 blieben die Befiignisse der Finanzabteilungen beim EOK Berlin und bei den Konsistorien unberührt, und bei der Deutschen Evangelischen KirchenkanzUi wurde eine Finanzabteilung gebildet; das Kirchliche Außenamt war weiterhin für die Beziehungen der DEK „zu ihren außerdeutschen Teilen und zu den Kirchen des Auslandes" zuständig (GB1DEK 1935, S. 101 f.). 11 Vollständiger Text bei K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. 245 f. (dort ohne Datum); vgl. auch oben Anm. 7.
D o k u m e n t 5 / 1935 O k t o b e r 8
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Müller-Dahlem: Bericht über die Verhandlungen des preußischen Bruderrates. In Preußen m u ß t e man nicht nur zu allgemeinen Dingen Stellung n e h m e n . Hier liegt schon eine Namensliste für die Bildung eines Landeskirchenausschusses vor (Superintendent Schmidt-Oberhausen, 2'immermann-Berlin). Z i m m e r m a n n hat seine Z u s t i m m u n g von der Z u s t i m m u n g des Bruderrates abhängig gemacht. Der Bruderrat hat gestern u n d heute darüber beraten 1 2 . In m a n c h e r H i n s i c h t m u ß m a n d e m , was der Minister will, positive W e r t u n g zuteil werden lassen. D e r Staat hat eingesehen, d a ß sein bisheriger Weg nicht weitergegangen werden k a n n . Aus d e m W o r t laut der Gesetze u n d V e r o r d n u n g e n haben wir schließen zu d ü r f e n g e m e i n t , d a ß d a m i t das Urteil über die D e u t s c h e n C h r i s t e n , das bisher galt, erheblich verändert ist. Möglichkeit zur A u f r ä u m u n g . H i e r i n liegt ein erheblicher Fortschritt gegenüber der f r ü h e r e n Zeit. Die Lage der Evangelischen Kirche der ¿//preußischen U n i o n ist deshalb schwierig, als die R i c h t u n g für die O r d n u n g aus den N a m e n hervorgeht, welche der Minister g e n a n n t hat. Er wollte keine der beiden G r u p p e n 1 3 mit der Leitung der Kirche betrauen. Er d a c h t e deshalb an M ä n n e r zwischen den Parteien. N e u t r a l i t ä t kirchlicher Verwaltung soll d a m i t gewährleistet sein. Generalsuperi n t e n d e n t Eger u n d S u p e r i n t e n d e n t Kaminski, die der M i t t e angeh ö r e n . Als f ü n f t e r M a n n k o m m t noch in Frage der D C - D o m p r e diger M a r t i n von M a g d e b u r g . Das G r e m i u m ist also gemischt 1 4 . Beurteilung dieser Lösungsversuche vom Bekenntnis her! Konkrete Stellungnahme. [,,]Der Bruderrat stellt fest, daß die landeskirchlichen Ausschüsse . . . für ihre A m t s f ü h r u n g nicht an das Bekenntnis der Kirche gebunden sind. ["] Eine solche Bindung ist nicht ausgesprochen worden. Das ließe sich nachholen, indem das nachträglich ausgesprochen wird. 12 Der altpreußische Bruderrat tagte fast gleichzeitig mit dem Reichsbruderrat vom 7. bis 9. Oktober 1935 (W. NIEMÖLLER, H a n d b u c h , S. 140). In seinem Beschluß vom 9. Oktober 1935 erkannte er die Kirchenausschüsse „als Organe der Leitung und Vertretung der Kirche" nicht an. Er konnte darum auch „den Gliedern der Bekennenden Kirche nicht r a t e n [Hervorhebung der Bearb.], einem Rufe in den Landeskirchenausschuß oder die Provinzialkirchenausschiisse Folge zu leisten" (K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S . 2 6 9 f . ; νgl. auch unten Dok. 8, Anm. 3). Der Reich s bruderrat übernahm in seinem Beschluß vom selben Tage diese Formulierung {vgl. K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S . 2 7 0 ) . 13 Also weder die Bekennende Kirche noch die Deutschen Christen. 14 Vgl. dazu die wenige Tage später, am 14. Oktober 1935 erlassene „Bekanntmachung betr. Bildung des Landeskirchenausschusses für die Evangelische Kirche der altpreußischen Union ", die neben den Erwähnten noch Kuessner nennt (GBIDEK 1935, S. 105). Nach W . NIESEL, Kirche, S. 84 waren Kuessner, Schmidt und Zimmermann Mitglieder der Bekennenden Kirche, Eger Mitglied des Pfarrernotbundes, während Kaminski und Martin den Deutschen Christen angehörten.
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M a r t i n würde diese B i n d u n g für sich o h n e weiteres in A n s p r u c h n e h m e n . D e s h a l b ist festzustellen, wie solche B i n d u n g jetzt verstanden werden muß. B i n d u n g an das Bekenntnis schließt ein, d a ß gegenüber der Irrlehre die Beschlüsse von B a r m e n u n d D a h l e m 1 5 G e l t u n g haben. D i e von d e m Minister vorgesehenen Kirchenzusschüsse haben eine solche B i n d u n g nicht. Sie können deshalb nicht anerkannt werden. Sie werden nicht durch die Kirche berufen, sondern durch eine außerkirchliche Instanz, die von einer B i n d u n g an Schrift und Bekenntnis nichts wissen kann. Sie sind deshalb lediglich staatliche Hilfsorgane. D e s h a l b steht ihnen nicht das Recht der L e i t u n g der Kirche zu. Wenn sie M a ß n a h m e n in den R a u m der Kirche hinein treffen, so m ü s s e n die Beschlüsse v o m Bekenntnis der Kirche g e p r ü f t werden. N a c h d e m hier der Charakter dieser O r g a n e als lediglich staatlicher O r g a n e festgestellt worden ist, müßten wir uns über die L e i t u n g der Kirche äußern. D i e Kirche soll nach d e m Minister o f f e n b a r durch die Landeskirchenausschüsse geleitet werden. Wer sind die O r g a n e kirchlicher Leitung? D a s A m t kirchlicher L e i t u n g liegt bei den O r g a n e n der Bekennenden Kirche. D i e Vorläufige Kirchenleitung / und die Landesbruderräte haben die Pflicht, die L e i t u n g der Kirche in der H a n d zu behalten. Es ist u n m ö g l i c h , seitens das Staates zu sagen, es m ö c h t e n G r e m i e n geschaffen werden, welche nur die äußere L e i t u n g wahrzunehmen haben. D i e U n m ö g l i c h k e i t , äußere und innere L e i t u n g zu trennen, hat sich bei den Finanzabteilungen erwiesen. D i e Vorläufige Kirchenleitung I und die Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen U n i o n haben d e m Reichsminister [Kerrl] Vorschläge für eine neue Leitung der Kirche unterbreitet 1 6 . D e r kirchliche Weg besteht darin, daß der Staat eine Leitung bestätigt und bevollmächtigt, welche die Kirche selbst herausgestellt hat. D i e Bekennende Kirche der altpreußischen Union ist bereit, Vorschläge zu machen. Solange den Anliegen der Kirche nicht Rechnung getragen wird, kann die Bekennende Kirche der ¿//preußischen Union keine Mitverantwortung übernehmen. D a s personelle Anliegen kann erst dann gewahrt sein, wenn die Männer der Leitung selbst in der B i n d u n g an Schrift und Bekenntnis stehen.
15 = die Beschlüsse
der 1. und 2. Bekenntnissynode
VERANTWORTUNG 16 Dieser
Satz
altpreußischen
der DEK1934
1, S. 450—455).
und die drei folgenden Bruderrates
hier Bezug genommen
Sätze Müllers
vom 9. Oktober
wurde,
war nicht zu
1935
entsprechen fast
( H . B R A U N / C . NICOLAISEN, wörtlich
dem Beschluß
(vgl. oben Anm. 12). Auf welche
ermitteln.
des
Vorschläge
Dokument 5 / 1935 Oktober 8
45
Aussprache. von Soden: Nach dem Wortlaut des Gesetzes gehen die Befugnisse des Reichsbischofs und der Reichskirchenregierung auf den Reichskirchenausschuß über17. Ist die Vorläufige Kirchenleitung I damit auch beseitigt? Oder ist vorgesehen, daß die Vorläufige Kirchenleitung / bestehen bleibt? Die Dinge für die Reichskirche liegen etwas anders als für die einzelnen Landeskirchen. In den Landeskirchen liegen die Dinge wirklich schwierig. Marahrens und Friedrich Müller sind einig, daß wir den ehrlichen Willen von Kerrl anerkennen und mit ihm verhandeln. Mit der bloßen Erinnerung der Bindung an Schrift und Bekenntnis kommt man jetzt nicht aus. Mit der Beziehung auf Barmen und Dahlem wird man nicht durchkommen. Auf die Substanz von Barmen und Dahlem können wir nicht verzichten. Asmussen: Entscheidung ist schwierig; doch scheinen einige Dinge bereits festzuliegen. Das bezieht sich auf grundsätzliche Erörterungen. Wir verdunkeln uns unseren Weg, wenn wir immer auf das Phantom von Freikirchen sehen. Die andere Not ist ebenso groß, daß wir langsam in eine Staatskirche hineinmanövriert werden. Wir müssen uns auch nach dieser Seite hin sehr vorsehen. Freikirche ist eine Gefahr, Staatskirche ist eine dreifach größere. Bindung an das Bekenntnis. [Ein Wort unleserlich]] Mangelnder Einfluß der Bruderräte. Aufbau. Taktik des Vorgehens: Wir sind gerufen, auf zwei Linien zu marschieren. Die eine Linie ist bezeichnet durch die Besprechungen mit Kerrl und seinem Ministerium 18 . Antrag: „Der Ä«VM)ruderrat nimmt dankend Kenntnis von den Bemühungen der Vorläufigen Kirchenleitung /, die Anliegen der Kirche zur Geltung zu bringen." 19 Zweite Linie: Wir müssen in starkem Maße uns selbst darstellen. Es stiert immer alles nach Berlin und wartet von daher auf Klärung aller Dinge. Wir müssen nachweisen, daß in unseren Reihen ein Leben ist, welches nicht zu ersticken ist. Befriedigende Leistung des Oeynhausener Büros20. Wir dürfen uns nicht spalten lassen, insofern als man in der einzelnen Kirche etwas praktiziert, um damit ein Präjudiz für andere Kirchen zu
17 In der 1. DVO vom 3. Oktober 1935 heißt es: „Der Reichskirchenausschuß leitet und vertritt die Deutsche Evangelische Kirche und erläßt Verordnungen in den innerkirchlichen Angelegenheiten" (GB1DEK 1935, S. 101). 18 Am 23-August 1935 (vgl. oben Doi. 1 undK. D. S C H M I D T , Dokumente II, S . 1372-1377). 19 Dieser Antrag Asmussens wurde am 9. Oktober ¡935 angenommen (G 2, S. 3). 20 = Geschäftsstelle der Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen (vgl. auch oben Dok. 2, Anm. 27).
46
Dokument 5 / 1935 Oktober 8
schaffen. Wir müssen der altpreußischen Landeskirche stärkend zu Hilfe kommen. Antrag: „Der Reichsbruderrat dankt dem Bruderrat der Kirche der altpreußischen Union dafür, daß er ..." [Text bricht ab]. Die Stelle des Bekenntnisses, wo wir einsetzen müssen, ist das rite vocatus21. Es soll festgestellt werden, daß grundsätzliche Angelegenheiten des Reichsbruderrates vertrauliche Angelegenheiten sind. Meiser: [ohne Eintrag]. Marahrens: (Lehrzuchtverfahren). Humburg: Neinsagen bedeutet durchaus nicht, einen Bruch herbeiführen. Wir dürfen auf keinen Boden treten, auf dem wir uns so verhalten, als erkennten wir die Grundlage fxir das Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 24. September 1935 an. Für einen Reformierten sind die Verordnungen Kerrls in jeder Weise unannehmbar22. Auf jeden Fall müßte gesagt werden: Kirchenleitung ist der Kirchenausschuß Kerrls auf jeden Fall nicht. Wir dürfen uns nicht durch Eingehen auf diese Vorschläge irgendwie festlegen. Wenn es Kirchenleitung ist, können wir es nicht vertreten, daß jemand von uns in eine Kommission geht, in der auch ein Deutscher Christ sitzt. Wenn wir den KirchenaMssòiuß als staatliches Hilfsorgan erklären, ob wir dann ein Zusammenwirken mit den Deutschen Christen ertragen können, ist sehr fraglich. Wir werden dadurch eine große Verwirrung stiften. Flor-Leipzig: Das Recht ist offenbar im Ministerium Kerrl nicht gut aufgehoben. Vor allem scheint man mit dem Kirchenrecht nicht sehr vertraut zu sein. Stahn sagte, daß es zwischen seiner und der RechtsaufFassung von Flor keine Brücke gebe23. Stahn scheint es grundsätzlich als falsch anzusehen, daß kirchliche Fragen als Rechtsfragen behandelt werden. Die neuen Gesetze sind in Bezug auf Stichhaltigkeit ziemlich schwach. Präambel24 schützt nicht. Im entscheidenden Fall wird immer der Wert auf das Gesetz gelegt werden. Das Gesetz zur Sicherung ist nur eine Verschie-
21 D. h. daß jedes Kirchenregiment ordnungsgemäß berufen werden muß (vgl. Confessio Augu' stana XIV; BSLK, S.69). 22 Humburg steht hier in einer Linie der reformierten Tradition, nach der die Kirche sich aus der Gemeinde aufbaut und die Leitung der Kirche allein von den Gemeinden und den aus ihr erwachsenen Synoden wahrgenommen werden darf (vgl. H. OBENDIEK, Humburg, S. 151). 23 Bezug nicht ermittelt. 24 Nach der Präambel des Gesetzes vom 24. September 1935 trat die Reichsregierung lediglich als „Treuhänder" auf und betonte u. a., sie sei „von dem Willen durchdrungen, einer in sich geordneten Kirche möglichst bald die Regelung ihrer Angelegenheiten selbst überlassen zu können" (GB1DEK 1935, S.99).
47
Dokument 5 / 1935 Oktober 8
bung der Zuständigkeiten innerhalb des Staates. Das wichtigste ist die Frage, wie das Gesetz ausgewertet wird. Die Befristung der Verordnung 25 erleichtert die Situation nicht; denn sie hat wenig Wert. Wenn ein KircAtroauschuß eingesetzt wird, der tatsächlich alle Führung übernimmt, dann hat er ja alle Führung bestimmt bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Verordnung außer Kraft tritt. Das Aufräumungskommando leitet und vertritt die Kirche. Mehr gibt es überhaupt nicht. Das ist die größte Vollmacht, die erteilt werden kann. Es kann die Vollmacht nur weitergeben, wer die Vollmacht hat. Der Staat hat nicht die Vollmacht, Kirche zu leiten und zu fuhren. Also kann er auch keinen einsetzen. Wenn jetzt ein staatlicher Ausschuß die Kirche in Ordnung bringt, dann ist auf weite Sicht gesehen es nachher der Staat gewesen, welcher die Kirche geordnet hat. Principiis obsta 26 ! Der Staat wird es auch weiter tun. Seine Rechtshilfen haben nur darin zu bestehen, daß der Staat kirchliche Stellen, die von sich aus handeln, rechtlich anerkennt. Wir haben nicht den Staat um ein Direktorium gebeten, sondern erklärt, wir sind bereit, ein solches aufzustellen, und bitten dann nur um seine staatliche Anerkennung 27 . Der Staat hat nicht die Legitimation, sondern er soll die Kirche handeln lassen. Meine Bitte ist: gerade diese Bedenken erneut beim Minister zur Sprache zu bringen. Wir müssen dem Minister klarmachen, daß seine juristischen Ratgeber für uns keineswegs maßgebend sind. Wir dürfen diesen Grundsatz des Rechts nicht im Stich lassen. Wieweit wir dann Konzessionen machen dürfen, ist eine Frage für sich. von Kirchbach: Wir brauchen in Sachsen dringend eine Regelung. Die Mitte beurteilt bei uns die Lage so, daß für Sachsen eine analoge Lösung wie in Preußen kommt. Sie ist bereit, sich gegen Coch zu wenden. Die Frage ist sehr wichtig, in welchem Verhältnis wird die Vorläufige Kirchenleitung / zu dem /?«'cÄikirchenausschuß stehen können? Wenn die Vorläufige Kirchenleitung / bleibt, haben wir ein Interesse daran, daß Leute von uns im Reichskirchenausschuß mitwirken. Marahrens: Das schwerste an dem neuen Gesetz ist die Unklarheit. Die Tendenz des Gesetzes geht zweifellos gegen Ludwig Müller. Die Instanz des Reichsbischofs ist praktisch aufgehoben. Der Minister lehnt die Staatskirche absolut ab. Unsere Überlegungen des Notrechts 28 finden kein Verständnis.
2 5 Die 1. DVO
vom 3-Oktober
2 6 = Widerstehe
den
27
Vgl.
die
Eingabe
1935
war bis zum 30. September
der
VKL
I
an
den
Reichsinnenminister
( K . D . S C H M I D T , D o k u m e n t e II, S . 3 - 7 ; vgl. auch oben Dok.2, 28
¡937
befristet (EBD.,
S. 102).
Anfängen!
Vgl. den Beschluß zier Dahlemer
Bekenntnissynode
COLAISEN, V e r a n t w o r t u n g 1, S . 4 5 5 ) .
vom
26.Januar
Anm. 10 und
vom 20. Oktober
1934
1935
11).
( H . BRAUN/C. N I -
48
Dokument 6 / [1935 Oktober 13]
6 Besprechung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents im kleinen Kreis [1935 I. Meiser,
Wachstuchheft
3, S.
Oktober
13]
316-317.
II. Jorgensen — Long — Meiser — Morehead — Pehrsson. III. Paris VI, Hotel Lutetia, 45, boulevard
Raspati; ab 9.00 Uhr.
G:
Pressekomitee: Lilje. Sekretariat: Brunnarius. Reu. Lilje. Wemer-Erlangen 1 . Aufnahme der lutherischen Kirche in Australien 2 . Abendmahlsgemeinschaft. Aufforderung an Schweden 3 . Rußland 4 : 1. Der Konvent soll sich mit den Methoden der Jahresleistungen beschäftigen. 2. Es soll hervorgehoben werden, wem in erster Linie geholfen werden soll. a. Pastoren, b. ihren Familien (200). 2.000 $ monatliche Unterstützung. 1 Gemeint ist die Besetzung des Pressekomitees und des Sekretariats während der Dauer der Sitzung des Lutherischen Weltkonvents, die am selben Tage um 10,15 Uhr begann und am 20. Oktober 1936 abends schloß (LUTHERISCHER WELTKONVENT ZU PARIS, S . 9 - 1 1 ) . 2 Es handelt sich um die Vereinigte Lutherische Kirche in Australien mit circa 28.500 Mitgliedern, der, abgesehen von einer Minderheit in der Missouri-Synode, alle australischen Lutheraner angehörten (LUTHERAN W O R L D ALMANAC, S . 3 0 ; vgl. auch unten Dok.30, S. 300). Die endgültige Aufrahme erfolgte im ersten Halbjahr 1936 (vgl. Mitteilungen des Lutherischen Weltkonvents Pfingsten 1936: L K A N Ü R N B E R G , Meiser 1 7 4 ) . 3 Näheres nicht ermittelt. 4 Die Unterstützung der rund eine Million zerstreut in der Sowjetunion lebenden Lutheraner war von Anfang an ein zentrales Anliegen Moreheads und damit des Lutherischen Weltkonvents gewesen (W. KAHLE, Geschichte, S. 3 3 1 - 3 5 7 ; E . C . N E L S O N , Rise, S. 1 9 6 - 2 0 1 ) . Nach der Trennung von Staat und Kirche 1918 hatten die bisher staatlichen Konsistorialbeamten und die Pfarrer ihre Einkünfte verloren. Der Niedergang der lutherischen Kirche setzte mit den Zwangsumsiedlungen bzw. Deportationen von Bauernfamilien im Zuge der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und der Religions- und Kirchenverfotgung ab 1928 ein ( E . A M B U R G E R , Geschichte, S . 1 1 3 F F . ; D E R S . : Ingermanland, S.420ff., 6 0 5 f.; W. KAHLE, Geschichte). Vgl. auch unten Dok.30.
49
D o k u m e n t 7 / 1935 O k t o b e r 21
Ukraine 5 : Die Presbyterianer von Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika haben den Reformierten in der Ukraine sehr stark geholfen. Es hat sich aber doch gezeigt, daß das ukrainische Volk als solches für die lutherische Kirche eingetreten ist. Deshalb müssen wir den lutherischen Ukrainern helfen. Monatlich 1.000 $ notwendig für die 11 Pastoren. Jahresbedarf 36.000 $ 6 . Verteilung der Summe unter die Lutheraner der Welt. Deutschland 12.000 $ für das Jahr. Die Beiträge sollen in jeder Gruppe verteilt werden. Das soll der Weltkonvent tun. Gaben an den Schatzmeister des Weltkonvents oder direkt an die Ukraine. Programm: Lunch auf Kosten des französischen Komitees. Abendessen 18.30 Uhr. Taglich 16 Uhr Tee während der Sitzung von den französischen Damen.
7 S i t z u n g des Exekutivkomitees des L u t h e r i s c h e n Weltkonvents 1935 Oktober 21 I. Meiser
181\
II. von Bonsdorff (ab 20.00) - Ihmels - Jorgensen - Knubel - Long - Marahrens (ab 20.00 Uhr) - Meiser - Morehead (nach 20.00 Uhr zeitweise) - Pehrsson (ab 20.00 Uhr) Sommerlath (ah 20.00 Uhr).
5 Im polnischen Ostgalizien und Wolhynien war unter den dort lebenden Ukrainern seit etwa 1925 eine evangelische Bewegung entstanden, die von ukrainischen Emigranten in Amerika unterstützt wurde. Die Bewegung spaltete sich bald in einen lutherischen und reformierten Teil. Sie unterstellte sich der Leitung der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Polen (Zöckler in Stanislau), erstrebte aber eine eigene Kirchenorganisation {vgl. T h . ZÖCKLER, Bewegung). 6 Vgl. dazu unten Dok. 7, S. 59. 1 Abdruck nach einer maschinenschriftlichen Fassung mit der Uberschrift „Niederschrift über die 2. Sitzung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents." Diese Niederschrift geht auf stenographische Notizen Meisers zurück, welche zwischen einer Sitzung des ,„Arbeitsausschusses " („ Vorbesprechungen ") am Vormittag und der Sitzung des Exekutivkomitees am Abend unterscheiden (vgl. auch S. 53). Darauf sind die Doppelungen im Text zurückzufuhren. Die erste Sitzung des vom Lutherischen Weltkonvent neugewählten Exekutivkomitees mit den Mitgliedern Jergensen, Knubel, Long, Marahrens, Meiser, Pehrsson und den Stellvertretern Ihmels, Moe und Sommerlath hatte am 19. Oktober 1935 stattgefunden. Auf dieser Sitzung wurden Marahrens zum Präsidenten des Weltkonvents, Knubel und Pehrsson zu Vizepräsidenten, j0rgensen und Long zu Schatzmeistern und Meiser zum Schriftführer gewählt (Protokoll Meisers: LKA NÜRNBERG, Meiser 181).
50
Dokument 7 / 1935 Oktober 21
III. Paris VI, Hotel Lutetia, 45, boulevard Uhr bis 22.00 Uhr.
Raspati; von 10.15 Uhr bis 13.00 Uhr und von
20.00
G:
I. D e m Wunsche der kleineren lutherischen Kirchen sowie der sog. Minoritätskirchen entsprechend wird darüber beraten, wie sie in eine dauernde enge Verbindung zum Exekutiv-Komitee gebracht werden können 2 . Es wird beschlossen, den einzelnen Mitgliedern bzw. stellvertretenden Mitgliedern des Exekutivkomitees bestimmte Kirchen zur Betreuung anzuvertrauen und sie als Referenten für diese Kirchen innerhalb des Komitees aufzustellen. Folgende Verteilung wird beschlossen: China: Japan: Südamerika außer Brasilien: Rußland: Australien: Indien: Madagaskar: Frankreich: Island: Polen (Warschauer Kirche): Holland: Lettland: Polen (Zöckler-Kirche und Ukrainer Bewegung): Estland: Litauen: Spanien: Ungarn: Tschechoslowakei: Südamerika: Österreich: Rumänien: Jugoslawien: Brasilien:
D . Knubel D . Knubel D . Knubel D . Long D . Long D.Ihmels D. Moe D . Jorgensen D . Jorgensen D . Jorgensen D . Pehrsson D . Pehrsson D . Pehrsson von BonsdorfF D. Moe D . Marahrens D . Marahrens D . Marahrens D . Marahrens D . Meiser D . Meiser D . Meiser D. Meiser
2 Vgl. dazu den in Paris angenommenen Beschluß VIII (The Minority Churches): „The Third Lutheran World Convention declares its consciousness of corresponsability particularly also for the fate of the Smaller Lutheran Bodies of the entire World [...] The Lutheran World Convention feels justified and in duty bound to observe with watchful eye the development of even the smallest Lutheran Churches and Congregations, and to assist them [ . . . ] " (LUTHERAN W O R L D ALMANAC, S.35).
Dokument 7 / 1935 Oktober 21
Westpolen: Schweiz:
51 D. Sommerlath D. Sommerlath
Die Referenten sollen, um in persönliche Beziehungen zu den ihnen anvertrauten Kirchen zu k o m m e n , soweit und sobald es möglich ist, diese Kirchen selbst besuchen. Zweck der Besuche soll sein: 1. das lutherische Bewußtsein in den besuchten Kirchen zu stärken, 2. den Z u s a m m e n h a n g mit den übrigen lutherischen Kirchen herzustellen u n d die Sache des Weltkonvents zu fördern, 3. in den betreffenden Kirchen Ausschüsse zu bilden, welche die Gedanken des Weltkonvents in den betreffenden Kirchen verbreiten helfen, 4. über die Besuche Referate an das Komitee zu erstatten. 5. Die Ausschüsse sollen an der Aufbringung der Mittel für die notleidenden Kirchen beteiligt werden. 6. Der Verteilungsplan soll an die einzelnen Kirchen geschickt werden. II. Es wird beschlossen, daß die Niederschriften der Sitzungen des Exekutiv-Komitees vervielfältigt und an alle Mitglieder des Komitees versandt werden. III. Finanzielle Lage. D . Long gibt einen Uberblick über die augenblickliche finanzielle Lage. Danach betrug der Kassenbestand der Verwaltungskasse am 1. Juli 1929 4.399 $ an Gesamteinnahmen vom 1. Juli 1929 64.132 $ bis 19. September 1935 fielen an 68.531 $ es stehen somit zur Verfügung insgesamt 62.371 $ die Gesamtausgaben in der gleichen Zeit betrugen 6.160 $ somit beträgt der Kassenbestand am 18. September 1935 Die Unterstützungskasse wies keinen Kassenbestand auf. Ihre G e s a m t e i n n a h m e n vom 1. Juli 1929 bis 18. September 1935 betrugen 175.901 $ die Gesamtausgaben in der gleichen Zeit betrugen 169.824 $ somit ergibt sich ein Kassenbestand von 6.076 $ Dieser Kassenbestand besteht in 3-918 $ und 10.789 Kronen, die Krone zu 20 C e n t gerechnet. D u r c h die auf der gegenwärtigen Tagung des Weltkonvents beschlossene Bewilligung von 1.000 $ für die Ukraine 3 vermindert sich der Kassenbestand der Unterstützungskasse um den gleichen Betrag.
3 Vgl. oben Dok. 6, S. 49.
52
Dokument 7/ 1935 Oktober 21
D.j0rgensen teilt über die Kosten des Weltkonvents mit, daß nach Abzug aller Ausgaben, die ungefähr 1.000 Frs. betragen, ein Uberschuß von 3-000 Frs. verbleibt, der hauptsächlich einer Sammlung der französischen Kirchen zur Durchführung des Weltkonvents zu verdanken ist. Es wird beschlossen, ein Dankschreiben an die französische Kirche zu richten. IV. In Bezug auf den Ehrenpräsidenten des Konvents D. Morehead 4 wird beschlossen, daß derselbe bis zum 1. Januar 1936 im Genuß seiner Bezüge bleiben soll. Es besteht Ubereinstimmung darüber, daß ihm von diesem Zeitpunkt an ein monatlicher Barbezug von 100 $ aus der Kasse des Weltkonvents gewährt wird. Um den Devisenschwierigkeiten 5 bei den Auszahlungen zu begegnen, schlägt D. Jorgensen vor, vorläufig drei Kassen zu belassen, eine Kasse bei der amerikanischen Gruppe, eine Kasse bei der skandinavischen und eine bei der deutschen Gruppe 6 . Jede Kasse soll die Auslagen für ihren Vertreter selbst decken. Was die Gaben betrifft, die vom Ausland für Auslandshilfe geschickt wurden, so konnten bisher die einlaufenden Gelder auf die Sparkasse gegeben werden und haben sich dadurch verzinst. Jetzt muß alles auf ein Sterlingkonto eingezahlt werden, das keine Zinsen trägt, aber über das auch zu Auszahlungen nach dem Ausland verfügt werden kann. Präsident D. Knubel wünscht eine Klärung des Verteilungsmodus der Unterstützungsgaben. D. Long bespricht die Verhältnisse der deutschen Mission. V. Sekretariat des Weltkonvents 7 . D. Knubel betont sehr stark die Notwendigkeit, ein Sekretariat zu errichten. Landesbischof D. Meiser unterstützt diese Anregung. D. Jorgensen ist ebenfalls grundsätzlich einverstanden, nur soll der Sekretär kein Weltreisender werden. Die Nationalitätsfrage ist bei seiner Anstellung ernstlich zu beachten. Unter Umständen muß für Amerika eine eigene Hilfskraft gewonnen werden. Es wird der Gedanke erwogen, ob es nicht am besten sei, jeder der drei Gruppen eine Beihilfe zu stellen.
4 Morehead war von der Vollversammlung in Paris zum Ehrenpräsidenten gewählt worden (E.C.NELSON, Rise, S.280). 5 Das Gesetz über die Devisenbewirtschaftung vom 4. Februar 1935 (RGBl I 1935, S. 105 f.) mit zahlreichen Richtlinien und Verordnungen schränkte den Devisentransfer von und nach dem Deutschen Reich stark ein. Die Gruppen des Lutherischen Weltkonvents hätten für ihren Geldverkehr der Genehmigung der Deutschen Reichsbank bedurft. 6 Zur Bildung der drei Hauptgruppen des Lutherischen Weltkonvents (amerikanische, skandinavische sowie deutsche oder zentrale Gruppe) vgl. H. BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung 1, S. 124, Anm. 7. 7 Die Errichtung eines Generalsekretariats und die Betrauung Liljes mit dem Amt des Generalsekretärs wurde beschlossen (vgl. dazu unten Dok.30, Anm. 16).
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Die vorstehenden Vorbesprechungen werden um 13 Uhr abgebrochen; die Herren D. Jorgensen und D. Long werden ersucht, im Laufe des Nachmittag einen Budget-Entwurf fertigzustellen, der dann der für den Abend angesetzten Sitzung vorgelegt werden soll. Die beiden Herren übernehmen den Auftrag. Beratungsgegenstände: abends 1. Die Kirchenschulen in Rumänien Nach Mitteilung des Bischofs Glondys von Rumänien liegt in der Behandlung der deutschen Kirchenschulen in Rumänien durch die rumänische Regierung ein Bruch der Genfer Vereinbarung vor; ein bitteres Unrecht wird damit am Luthertum begangen 8 . Bischof Glondys hat in Aussicht gestellt, dem Exekutiv-Komitee einen eingehenden Bericht über die Verhältnisse der Kirchenschulen vorzulegen. Dieser Bericht soll allen Mitgliedern des Exekutiv-Komitees zugeleitet werden. Bischof Glondys regt an, durch die lutherischen Kirchen der Welt entsprechende Vorstellungen bei der rumänischen Regierung zu erheben. D. Jorgensen weist d a r a u f h i n , daß die Frage schon im bisherigen Exekutiv-Komitee behandelt worden ist. Die Meinung geht dahin, daß es sich nicht empfiehlt, sich mit Vorstellungen an die rumänische Regierung zu wenden; dagegen wird beschlossen, daß die einzelnen lutherischen Kirchen nach Eingang des von Glondys in Aussicht ge-
8 Vgl. dazu auch das Referat des als Delegierter seiner Kirche in Paris anwesenden Glondys: „Die gegenwärtige Lage der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien" (AELKZ 69, 1936, Sp. 85-88/· Auf der Grundlage jahrhundertealter Autonomie der Siebenbürgischen Kirche unterhielt danach die nach 1918 zur evangelisch-lutherischen Kirche Rumäniens erweiterte Kirche mit rund380.000 Mitgliedern zum Zeitpunkt der Berichterstattung über 300 Schulen verschiedener Bildungsgänge, war jedoch nach der Enteignung in der Agrarreform zu ihrem Unterhalt auf staatliche Unterstützung angewiesen. Der rumänische Staat hatte im Rahmen der Friedensverhandlungen auf Drängen der Großmächte in Paris am 9• Dezember 1919 einen Minderheitenschutzvertrag unterzeichnet und darin den Gemeinden lokale Autonomie in Religions- und Schulfragen garantiert; 1925 wurde dies in einem Staatsgesetz bestätigt (vgl. dazu J. S. R O U C E K , Roumania, S. 197 fF. und 209). Die benötigten staatlichen Leistungen flössen nach Glondys bereits seit 1932 immer spärlicher. — Trotz sorgfältiger Nachforschungen hat sich nicht zweifelsfrei ermitteln lassen, was mit den „Genfer Vereinbarungen" gemeint ist; möglicherweise wird auf die Uberprüfung von Petitionen rumänischer Minderheitenkirchen durch einen Ausschuß des Völkerbundsrates in den Jahren 1925/26 angespielt (vgl. Official Journal of the League of the Nations 7th Year No. 6; Auskunft Welander, Genf). Nach L. B I N D E R „stand [ . . . ] Glondys' Verhältnis zu den Staatsbehörden [ . . . ] anfangs nicht unter einem günstigen Stern: Im Jahre 1934 wurden zeitweilig die Unterstützungen für die Kirche und die Schule einschließlich des Zusatzbeitrages für die Pfarrbesoldung eingestellt, weil der Staat in ganz große wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war und zu umfassenden Sparmaßnahmen Zuflucht nehmen mußte. Die heftigen Reaktionen des Bischofs in Aufsätzen und Vorträgen im In- und Ausland mißfielen der Regierung" (Kirche, S . 7 7 f . ) .
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stellten Berichts Vorstellungen bei den rumänischen Gesandten der einzelnen Länder erheben. Bischof Glondys soll nur allgemein davon in Kenntnis gesetzt werden, daß der von ihm vorgeschlagene Weg nicht annehmbar erscheint, daß aber in anderer Weise etwas zu Gunsten der lutherischen Kirchenschulen geschehen soll. 2. Armenien Berron, Direktor des christlichen Nationalkomitees der nestorianischen Kirche, hat in einem Bericht an das Exekutiv-Komitee die Verhältnisse der nestorianischen Kirche dargelegt. Dr. j0rgensen gibt den Bericht bekannt. Die nestorianischen Armenier sind aus Kurdistan nach dem französischen Mesopotamien 9 ausgesiedelt worden. Die nestorianische Kirche kann nicht als lutherische Kirche angesprochen werden, sondern stellt eine eigene Konfession dar. Sie hat vor allem den Mangel an Bibeln und an sonstiger kirchlicher Literatur zu beklagen. Sie steht in der Gefahr des Zerfalls oder der Katholisierung. Berron vertritt die Meinung, daß sich die lutherischen Kirchen irgendwie für die nestorianische Kirche verantwortlich fühlen müßten, um diese kleine Kirche vor dem Untergang zu retten. Bisher hatten die Nestorianer Verbindung mit den Anglikanern und Presbyterianern aufrechterhalten. Neuerdings suchen sie nun die Verbindung mit dem Luthertum. Außer äußerer Hilfe wollen sie von uns gerne auch geistige Nahrung empfangen. Diese müßte in erster Linie von den französischen Lutheranern geleistet werden, da Mesopotamien unter französischem Protektorat steht. Notwendig erscheint außerdem die Reorganisation dieser Kirche überhaupt, der Bau von Kirchen und Schulen, die Heranbildung eines Standes von Pfarrern und Lehrern. A m besten wäre es, wenn Lutheraner aus Frankreich in das Gebiet der nestorianischen Kirche kämen und die geistige Führung übernehmen würden. Dr. Ihmels teilt mit, daß Berron elsässischer Pfarrer sei und als eine vertrauenswürdige Persönlichkeit gelten könne. Jürgensen schlägt vor, die Bitte Berrons an die französische lutherische Kirche weiterzugeben. Ihmels empfiehlt die Weitergabe an die drei lutherischen Körperschaften innerhalb Frankreichs, an die Kirchen von Paris, Montbeliard und Elsaß 10 ; es wird demgemäß beschlossen. 3. Finanzielle Verhältnisse D. Morehead teilt mit, daß es ein Konto des Lutherischen Weltkonvents in New York und eines in Berlin gebe. Er fragt, auf welche = heutiger nördlicher Irak. Zum Schicksal der armenischen Nestorianer seit dem 1. Weltkrieg im Ganzen vgl. A. VINE, Nestorian Churches, S. 194 ff. = die drei Kirchenorganisationen der französischen Lutheraner: 1. Circonscription d'Alsace, 2. Circonscription de Paris, 3. Circonscription de Montbeliard ( L U T H E R A N W O R L D A L M A NAC, S. 16 f.).
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D o k u m e n t 7 / 1935 O k t o b e r 21
Persönlichkeiten des neuen Komitees die Konten übertragen werden sollen, und beantragt, darüber Beschluß zu fassen. D . Marahrens vertritt den Standpunkt, daß über das deutsche Konto er selbst verfügungsberechtigt sein müsse. Für das Konto in Amerika müßte in Amerika ein Verfügungsberechtigter aufgestellt werden. D . Knubel schlägt vor, daß die Verfügungsberechtigung über das amerikanische Konto an D . L o n g und an ihn übertragen werde. Uber das Berliner Konto soll auch aus N e w York verfügt werden können. Es sollte außerdem noch ein dritter Mann die Verfügungsberechtigung erhalten. Für die deutschen Glieder sollte ein eigenes Konto bestehen; das Komitee ist damit einverstanden. 4. Charbin-Aktion 1 1 D . Morehead berichtet von einer Besprechung mit D. Ulmer. Ulmer ist Repräsentant für die Niederlassung der Charbin-Leute in Brasilien 12 . Er hat für die Charbin-Aktion 2 . 0 0 0 RM zur Verfügung. Am 1. Dezember 1935 ist wieder eine Rate an den Nansen-Fonds 1 3 zu zahlen. Morehead will den deutschen Konsul bitten, daß die Erlaubnis gegeben wird, daß das Geld in Schweizer Franken gezahlt wird. Er wird gebeten, die nötigen Schritte zu unternehmen. Die Gesamtschuld an den Nansen-Fonds ist 27.500 Schweizer Franken. Am 1.Dezember ist wieder eine neue Rückzahlungsrate im Betrage von 5.500 Schweizer Franken fällig. 5. Flüchtlingsgemeinde in Brasilien D i e Gemeinde1"* hat Pastor Leistner zur Seelsorge. Leistner teilt mit,
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Es handelte sich um die rund 400 rußlanddeutschen Lutheraner, die Anfang der dreißiger Jahre nach China geflächtet und — nach einem Zwischenaufenthalt in einem Lager in Charhin — in Brasilien angesiedelt worden waren (vgl. H . BRAUN/C. NICOLAISEN, Verantwortung 1, S. 122 f., A n m . 3 ) . 12 Es ließ sich nicht genau ermitteln, wie die Verantwortung fur die Betreuung der CharbinFlüchtlinge zwischen Morehead und Ulmer aufgeteilt war. 13 Für die Finanzierung der Charbin-Aktion hatte der Lutherische Weltkonvent große Anleihen aufnehmen müssen, u. a. auch 55.000 Schweizer Franken aus dem Fonds des International Nansen Office for Refugees (under the authority of the League of Nations). Morehead hatte sich verpflichtet, diese Summe zwischen 1932 und 1937 in halbjährlichen Raten zurückzuzahlen {vgl. „Undertaking"-Formular und Schreiben Moreheads an Johnson vom 3. Dezember 1932:
LEAGUE OF N A T I O N S ARCHIVES, G E N F ,
E
1489
jacket
1 ) . Die
Rückzahlung
war
bereits während Moreheads Präsidentschaft in Verzug geraten (vgl. dazu auch unten Dok.30, S. 303f.). — Der neue Präsident Marahrens überließ das Problem Schatzmeister Jergensen, der sich erfolglos um die Beschaffung von Geldern wie auch um Aufschub in Genf bemühte (vgl. Schreiben Jtrgensens an Johnson vom 30. April 1936 und an die Mitglieder des Exekutivkomitees vom 1. Dezember 1936: LKA HANNOVER, L 3 I N r . 35 Varia). Die Rückzahlung an den Nansenfonds war eine Dauersorge des Exekutivkomitees. Es gelang schließlich Pehrsson 1938 durch persönliche Beziehungen, den Erlaß der Restsumme zu erreichen (Schreiben Marahrens'an Pehrsson vom 14. Dezember 1938: EBD.).
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daß der Martin Luther-Bund kein Geld an die Gemeinde überweisen könne, um den [sie!] Gehalt des Pfarrers zu zahlen. Daraus erwachsen Schwierigkeiten. Die Flüchtlinge haben ein Komitee gebildet: ein Teil des Geldes, das diesem Komitee seinerzeit für den Landkauf in Brasilien vorgestreckt wurde, soll durch das Komitee zurückgezahlt werden. Leistner bittet, daß der Weltkonvent ihn bevollmächtigt, das Geld, das die Ansiedler für den Ankauf schuldig sind, aufzubringen; das Geld soll dann an das Exekutiv-Komitee geschickt werden, um für die Tilgung der Schuld beim NansenFonds Verwendung zu Finden. Das Exekutiv-Komitee beschließt, die Bevollmächtigung zu erteilen; sie soll von dem Präsidenten des Komitees D. Marahrens ausgestellt werden. Eine Frage für sich ist die Gehaltsfrage von Pastor Leistner. Ulmer hat zwar das Geld für den Gehalt, kann es aber nicht überweisen. In dieser Frage soll mit D. Ulmer verhandelt werden; die Verhandlungen soll D. Marahrens führen. 6. D. Morehead erklärt, daß ihm alles daran liege, daß der Weltkonvent tue, was in seinen Kräften steht, um die Heidenmission am Leben zu erhalten. Wenn auch nicht sehr viel zu Gunsten der Heidenmission durch den Weltkonvent geschehen könnte, so sei es doch genug, um ein wenig zu helfen. Es sei eine ansehnliche Summe Geldes zusammengebracht worden. Das Exekutivkomitee habe sich über den Stand der Mission stets unterrichten lassen, dann hätten die lutherischen Missionsdirektoren in Deutschland ein Komitee unter dem Vorsitz von D . I h m e l s gebildet 15 ; wenn Geld vorhanden gewesen sei, habe Ihmels einen Verteilungsplan aufgestellt, nach dem dann die Gelder an die einzelnen Missionsgesellschaften überwiesen worden seien. D. Morehead ist der Meinung, daß man diesen Modus auch für die Z u k u n f t beibehalten solle. Dr. Jorgensen teilt mit, daß sich unter den Missionsgaben auch eine große Gabe von Finnland befinde. Diese Gabe sei so aufzufassen, daß wenn später die Möglichkeit dazu gegeben sei, sie als ein Darlehen der finnischen Mission betrachtet werden sollte. D . Ihmels erklärt, daß alle Missionsgesellschaften die jeweiligen Gabenüberweisungen nicht anders benützten. Die Not dauere immer noch fort; er wurde gebeten, im einzelnen mitzuteilen, worin die Not bestehe. Ihmels wies vor allem auf die Reduzierung der Missionsgehälter hin, die auf die Dauer so nicht bestehen bleiben können und stellt dann einen eingehenden Bericht in Aussicht.
14 Gemeint sind die sog. Charbin-Flüchtlinge 15 Nicht ermittelt.
(vgl. oben Anm.
11).
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7. Dr. Jorgensen gibt einen Brief von Dr. Boe bekannt, in welchem Dr. Boe bezweifelt, ob ein Budget aufgestellt werden kann, weil das Exekutiv-Komitee hätte größer sein sollen, um die nötigen Geldmittel hereinzubringen. Dr. Boe vertritt den Standpunkt, daß jede Gruppe die Reiseauslagen für jedes Mitglied des Exekutiv-Komitees selbst aufbringen solle. Er schätzt den Bedarf für die allgemeinen Ausgaben des Exekutiv-Komitees auf etwa 7 . 5 0 0 $, wobei auf jede Gruppe 2 . 5 0 0 $ träfen. Dr. Boe sieht keine Möglichkeit, ein Zentralbüro 1 6 einzurichten, aber es könnten schon bestehende Organisationen für die Erledigung der Geschäfte benützt werden (Lutherisches Nationalkonzil). In den Verhandlungen über die Besoldung eines beamteten Sekretärs, die vor einem Jahr geführt wurden, sei es Dr. Boe sehr deutlich geworden, daß in Europa ein fundamentaler Einwand gegen einen besoldeten Beamten bestehe. W i r würden einen schicksalsschweren Schritt unternehmen, wenn wir versuchten, die Anstellung eines besoldeten Beamten und die Errichtung eines eigenen Büros durchzuführen. Der Bericht dient zur Kenntnis. 8. D. Morehead bringt die Sprache auf die Verhältnisse der ukrainischen Bewegung 1 7 und vertritt die Meinung, daß systematisch geholfen werden müßte. Er habe aus den vorhandenen Mitteln für diese Bewegung 1.000 $ zur Verfügung gestellt. Dem Exekutiv-Komitee liegt der Antrag vor, daß es monatlich für 1.000 $ garantiere. Die von ihm übergebene Summe decke den Bedarf für den Monat Oktober. Für November und Dezember müßten die anderen Gruppen helfen. Von Januar an würde wieder Amerika eintreten. Was Deutschland betrifft, so hat D. Ulmer erklärt, den auf Deutschland treffenden Anteil auf den Martin Luther-Bund, und zwar regelmäßig, übernehmen zu können. Wichtig sei die enge Zusammenarbeit zwischen dem Exekutiv-Komitee und dem ukrainischen Komitee in Stanislau, das geneigt ist, Defizite zu machen. Die Mitteilungen Dr. Moreheads dienen zur Kenntnis. Ferner teilt Dr. Morehead mit, daß auf dem Konto des Exekutiv-Komitees eine Summe für Rußland-Hilfe bereitliege. Es wird beschlossen, daß das Geld bestimmungsgemäß verwendet wird. D. Morehead verläßt die Sitzung, nachdem er das Exekutiv-Komitee noch einmal seiner Bereitwilligkeit versichert hat, jederzeit zur Verfügung zu stehen und der Arbeit des Exekutiv-Komitees in steter Fürbitte gedenken zu wollen. 16 Gemeint ist ein Büro für einen Generalsekretär 17 Vgl. dazu oben Dok. 6, Anm. 5.
in Amerika (vgl. oben Anm. 7).
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9. Dr. Jorgensen bringt die Verhältnisse von D. Morehead zur Sprache. Es bestehe in weiten Kreisen der Wunsch, D. Morehead eine öffentliche Anerkennung zu verschaffen, und es ist der Plan aufgetaucht, den Versuch zu machen, D. Morehead den Nobelpreis für Friedensbestrebungen zu verschaffen. So fremdartig der Gedanke auf den ersten Augenblick erscheint, so liegt es doch durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß D. Morehead um seiner vielen Bemühungen, Verständigung zwischen den Völkern zu schaffen, als Preisträger in Frage kommt. D. Jorgensen berichtet von Schritten, die er nach dieser Richtung bereits unternommen hat. Er hat u. a. von dem früheren amerikanischen Präsidenten Hoover die Zusage, für Morehead eintreten zu wollen. Er wird auch mit dem König von Norwegen [Haakon VII. ] darüber sprechen. Es sei außerdem nötig, daß sowohl von Europa wie von Amerika aus ein Gesuch an das norwegische Komitee 18 in Oslo gerichtet werde. Augenblicklich seien keine anderen Kandidaten da; es könne höchstens noch John Mott dafür in Frage kommen. Die Gesuche müßten aber vor Neujahr eingereicht werden. Besonders günstig wäre es, wenn der Präsident Roosevelt Morehead vorschlagen würde. Politisch läge die Sache sehr günstig. Der Angelegenheit kommt zustatten, daß Propst Pehrsson ein Vorschlagsrecht hat. In Deutschland müßte man sich an Persönlichkeiten wenden, die das gleiche Recht besitzen. In erster Linie kämen hier in Frage Staatsrechtslehrer, Professoren der Philosophie und der Geschichte, Mitglieder des Schiedsgerichts im Haag. Es wird beschlossen, daß die einzelnen Glieder des Komitees jeder nach Maßgabe seiner Möglichkeiten sich für die Verwirklichung des Plans einsetzen soll 19 . Ausführlich wird über die Frage der Fürsorge für die kleineren und sog. Minoritätskirchen gesprochen, über die schon in der vorbereitenden Vormittagssitzung ausführlich gehandelt war. Der dabei aufgestellte Verteilungsplan findet allgemeine Zustimmung 2 0 . Es besteht Übereinstimmung darüber, daß mindestens so wichtig wie die geldliche Unterstützung die Aufnahme der geistigen Verbindung mit diesen Kirchen ist. Die Kirchen müssen möglichst bald besucht werden. U. a. sollten auch kleinere theologische Wochen in den Kirchen veranstaltet werden. D. Long gibt den Voranschlag für die Haushaltführung des Exekutiv-Komitees bekannt, den er mit Dr. Jorgensen aufgestellt hat. Der 18 Die Friedensnobelpreisträger werden von einem norwegischen Komitee ausgewählt. 19 Morehead starb, bevor der Vorschlag dem Osloer Komitee offiziell übermittelt werden (E.C.NELSON, Rise, S.283). 20 Vgl. oben S. 50.
konnte
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Voranschlag sieht vor, daß die Z a h l u n g an den Nansen-Fonds unter allen U m s t ä n d e n geleistet wird. Was sonst im Voranschlag an U n terstützungen vorgesehen ist, soll nach Anfall bezahlt werden. Keine Ausgabe soll von den Schatzmeistern gemacht werden o h n e schriftliche Zahlungsanweisung des Präsidenten des Weltkonvents. Der Voranschlag weist folgende Zahlen auf: 8.550 $ Verwaltungskosten 3.570 $ Schuldentilgung beim Nansenfonds 12.120 $ An Unterstützungen sind vorgesehen: 10.000 $ für deutsche Mission 12.000 $ für Rußland 10.000 $ für die Ukraine 16.000 $ für die kleineren Kirchen Der Voranschlag wurde vom Exekutiv-Komitee gebilligt, nur mit dem Abmaß [«£•/], daß jede Gruppe für die eigenen Reisekosten aufkommen soll. Der Gesamtbetrag für Reisekosten wird auf 3.000 $ veranschlagt. Um diesen Betrag mindern sich die allgemeinen Verwaltungskosten. Dieselben betragen dann 5.550 $ zuzüglich für den Nansen-Fonds 3.570 $ Festsetzung der unter allen Umständen aufzubringenden Jahressumme 9.120$ Es wird ferner beschlossen, d a ß D . M o r e h e a d seinen [sie!] bisherigen Gehalt bis zum 31. Dezember 1935 fortgezahlt erhalten soll. W e n n bis dahin in Bezug auf seine Gehaltsverhältnisse keine andere Regelung getroffen ist, soll er vom 1. Januar 1936 an ein monatliches Stipendium von 100 $ aus den Mitteln des ExekutivKomitees erhalten. Der Niederschrift liegt in Urschrift die Haushaltaufstellung von D. Long und Dr. Jorgensen bei.
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8 Gemeinsame Sitzung des Bruderrates der Deutschen Evangelischen Kirche (Reichsbruderrat) und der Vorläufigen Kirchenleitung I 1935 November 8 I. Meiser, Wachstuchheft 3, S.
318-348.
II. Asmussen - Bauer (fìir Ernst Otto) - Beckmann (ab 11.00 Uhr) - Breit - Dürr - Hahn - Hesse - Immer - Jacobi - Kloppenburg - Karl Koch (V) - Marahrens - Meiser Friedrich Müller - Niemöller - Sammetreuther - von Soden - Stoevesandt - von Thadden - Viebig — Wurm. Arnim-KröchlendorffBosse — Heine (fur Kremer) — Bernhard Hofmann (fur Flor) — Kunkel - Link - Presset (als Gast) - Remé - Steil (fur Lucking) - Gotthilf Weber - Weth (als Gast). III. Berlin SW 68, Hospiz „St.Michael", Wilhelmstr. 34; ab 10.00 Uhr und von 15.00 Uhr bis 21.00 Uhr. G: Meiser, ATB; 2. Niederschrift Kloppenburgs (LKA Oldenburg, A 13b).
Vorsitz Koch. Müller: Finanzabteilung. Stellung der altpreußischen Bekenntnissynoàc. Zwiespältige Haltung zwischen den Landeskirchen und der Haltung des alt preußischen Bruderrates 1 . Koch: Der Reichsbruderrat hat beschlossen, am 8./9. Oktober 1935: Der kirchlich gewiesene Weg für eine Hilfeleistung des Staates besteht darin, daß die Kirche einen Ausschuß vorschlägt, welchen der Staat bestätigt. Wir können n i c h t r a t e n , sich berufen zu lassen in solche Ausschüsse2. Der ¿z/fpreußische Bruder TM hat beschlossen, vor der Teilnahme zu w a r n e n
3
.
1 Aus G 2 geht hervor, daß Müller vor Eintritt in die Tagesordnung in großer Erregung den lutherischen Landeskirchen, besonders Bayern und Württemberg, vorgeworfen hatte, im Gegensatz zu den Beschlüssen der altpreußischen Bekenntnissynode vom 24. September 1935 (vgl. W. NIEMÖLLER, Steglitz, S. 373) mit den Finanzabteilungen (vgl. oben Dok. 2, Anm. 12 und 13) zu kooperieren. Vgl. dazu auch das Protokoll der 75. Sitzung der VKLI vom 7. November 1935, in dem es heißt: „Landesbischof D. Marahrens teilt als seine Ansicht mit, daß die VKL dem Reichsbruderrat offen erklären müsse, die VKL werde den von ihr als richtig erkannten Weg selbst dann gehen, wenn der Reichsbruderrat dissentiere oder an eine Bekenntnis-Reichssynode appelliere" (EvAG MÜNCHEN, A 1.10). 2 Vgl. oben Dok. 5, Anm. 12. 3 Der als Rundverfugung versandte neue Beschluß vom 28. Oktober 1935 lautet: „Der Bruderrat der evangelischen Kirche der altpreußischen Union warnt die Glieder der Bekennenden Kirche, ein Amt in den Provinzialkirchenausschüssen zu übernehmen" (K. D. SCHMIDT, Dokumente II, S. 47 f.). Der am 9· Oktober 1935 —also vor Einsetzung der Kirchenausschüsse -gefaßte Beschluß des altpreußischen Bruderrates, in dem lediglich abgeraten wurde, sich an den Kirchenausschüssen zu beteiligen, war also weniger scharf formuliert (vgl. oben Dok. 5, Anm. 12).
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Wort der Vorläufigen Kirchenleitung I vom 16. Oktober 19354. 17. Oktober 1935 Aufruf des Kirchenausschusses 5 . 24. Oktober 1935 Wort der Vorläufigen Kirchenleitung /. Vorläufige Kirchenleitung / hält sich für verpflichtet, den vom Staat bestellten Kirchenausschüssen gegenüber den Anspruch der bekennenden Kirche voll wahrzunehmen 6 . Hinweis auf die fehlende Abgrenzung gegenüber der im Aufruf des Kirchenausschusses genannten Weltanschauung 7 . Nennung von Männern des Vertrauens vor der Bildung weiterer Ä7rc^f«ausschüsse8. Marahrens 9 : Bericht. Besondere Bedeutung der heutigen Sitzung. Weg der bekennenden Kirche für die nächste Zukunft. Kompliziertheit der gegenwärtigen Gesamtlage. Besonnenheit und Ausrichtung nach dem Grundanliegen der bekennenden Kirche notwendig. Besinnung über den Weg der bekennenden Kirche erforderlich. Ziel und Aufgabe soll durch das Folgende deutlich gemacht werden. Problem: Bedingungslose Ausrichtung des Bekenntnisanliegens. Hochschule. Schule. Fragen der Jugend. Frauenwerk. Männerdienst. Westfalen-Rheinland. Behinderung des Offentlichkeitswillens und Sonntagsnot. Weltanschauungsfragen. Verhalten der untergeordneten Parteistellen. Unser Entschluß: Wir wehren aller Unbesonnenheit. Wir handeln nicht aus Kompromißhaltung. Wir handeln ebensowenig aus einem Doktrinarismus heraus. Pflicht zur unerbittlichen Wahrung und Pflicht der Verantwortung der suchenden Liebe. Die große Grundfrage ist das Verhältnis von Staat und bekennender Kirche. Bildung des Reichskirchenausschusses. Die Problematik des Als-Ob 4 In ihrem „ Wort an die Gemeinden " vom 16. Oktober 1935 hatte die VKL I ihrer Erwartung Ausdruck gegeben, „daß in der Arbeit der Ausschüsse nichts unternommen und versucht wird, was ohne Rechtfertigung aus Schrift und Bekenntnis bleibt"; sie hatte jedoch die Kirchenausschüsse nicht rundweg abgelehnt (K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S.273). 5 Richtig: „Aufruf'des Reichskirchenausschusses und des Landeskirchenausschusses fur die Evangelische Kirche der altpreußischen Union" (GB1DEK 1935, S. 104). Dieser Aufruf, mit dem diese beiden Kirchenausschüsse sich der Öffentlichkeit vorstellten, enthält folgenden Passus: „Wir bejahen die nationalsozialistische Volkwerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden. Wir bejahen den Willen zu Freiheit, nationaler Würde und sozialistischer Opferbereitschaft bis zur Lebenshingabe für die Volksgemeinschaft. W i r erkennen darin die uns von Gott gegebene Wirklichkeit unseres deutschen Volkes." Vgl. dazu auch Anhang, Nr. III. 6 Vgl. dazu die „ Weisung der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche an die Bruderräte" vom 24. Oktober 1935 (K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. 286 f.). 7 Vgl. oben Anm. 5. 8 Nach G 2 hatten Koch und Müller bei einem Gespräch mit Kerrl Namen fur die Besetzung der Kirchenausschüsse genannt, die jedoch nicht akzeptiert wurden (vgl. auch unten Anm. 25). 9 Außer Breit und Koch, die selbst auch dem Reichsbruderrat angehörten, war von der VKL I Marahrens anwesend, um deren Haltung zu erläutern.
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ist für den Augenblick unwichtig. Es handelt sich um die Frage der Ablehnung, Bekämpfung auf der einen Seite oder um Zustimmung und Unterstützung auf der anderen Seite. Abwartende Stellung ist nicht möglich. Es bleibt die Doppelheit der reformatorischen Wertung des Staates bestehen und die Bildung einer zunehmenden antichristlichen Wertung des Staates. Christliche Reorientierung des Staates scheint sich anzubahnen. Dagegen sprechen freilich zahlreiche Symptome. Fortbestehen einer antichristlichen Strömung (Überfall in Dahlem 10 ). Dasselbe gilt von Schulungslagern". Antichristliche Einflüsse an den Hochschulen. Starke DC-Einflüsse. Fiedler-Hannover als Professor für praktische Theologie in Kiel berufen12. Die subjektive Lauterkeit der vom Staat Beauftragten darf nicht bezweifelt werden. Es ist nicht reformatorisch, von den Beauftragten des Staates eine dogmatische Stellung zu verlangen. Die politisch-staatliche Voraussetzung für eine Wiederherstellung der kirchlichen Ordnung ist gegenwärtig eine andere als vor Monaten. Mit unserem Handeln haben wir uns auf den schlimmsten Fall einzustellen. Die Methode wird sein müssen, daß man um jede Position kämpft. Aus der Beurteilung der Gesamtlage heraus hält die Vorläufige Kirchenleitung / die ablehnende Haltung nicht für richtig. Die theologische Fragestellung muß von falschen Gegenüberstellungen befreit werden. Die Schwierigkeit der Aufgabe besteht darin, das rechte Verhältnis zwischen theologischem Denken und praktischem Handeln zu finden. Wer nicht grundsätzlich die Freikirche in diesem Augenblick fördern will, ist im gegenwärtigen Augenblick verpflichtet, den kirchengeschichtlichen Augenblick, den Gott schenkt, mit dem Einsatz aller Kraft auszunützen. Die Verantwortung gebietet, die Frage, ob eine Wiederherstellung der äußeren Ordnung möglich ist, ernstlich zu prüfen. In dem allem steht die Frage: Sollen wir ablehnen oder stüt-
10 Das Burckhardthaus in Berlin-Dahlem - Sitz des Evangelischen Reichsverbandes weiblicher Jugend —, in dem sich auch Amtsräume des Rates der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union befanden, war am 5. November 1935 von Beamten der Gestapo besetzt und durchsucht worden. Dabei wurden Aktenstücke des Rates beschlagnahmt. Vgl. dazu das Schreiben Riethmüllers an Zoellner und Eger vom 13. November 1935 (EZA BERLIN, 1/A 4/391) und W . NIESEL, Kirche, S. 101, Anm. 53.
11 Besonderes Aufsehen hatte die antichristliche Propaganda in einem Schulungslager des NS-Studentenbundes in Darmstadt im Herbst 1935 erregt {vgl. DOKUMENTATION 5, S.37; K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S.714F.; vgl. dazu auch G.SCHÄFER, Landeskirche 4, S.367-371; J.S.CONWAY, Kirchenpolitik, S. 129). 12 Fiedler (der weder promoviert noch habilitiert war) hatte zum Führungsstab der hannoverschen Deutschen Christen gehört, die sich 1935 von der Reichsbewegung DC trennten und den Thüringer DC anschlössen (E. KLÜGEL, Landeskirche 1, S. 155 und 277).
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zen? Der Staat sagt: Ihr haltet euch zurück. Ihr zeigt nicht den Willen, ohne den das Werk undurchführbar ist. Ihr seid spröde. Der Reichskirchenausschuß hat auch gewisse Bedenken unserer Haltung gegenüber. Er sagt, es werde eine Entwicklung, die wir zugunsten des Bekenntnisanliegens gestalten möchten, gefährdet. Es wird gefährdet eine Entwicklung, die den Reichsbischof [ L u d w i g Müller] nicht nur entmächtigt hat, sondern ihn bestimmt beseitigt. W i r können der Tendenz, für das nicht unwahrscheinliche Scheitern des Versuchs die Verbohrtheit der bekennenden Kirche verantwortlich zu machen, nicht auf die Dauer widerstehen. Das Abseitsstehen hat bestimmte Konsequenzen. Dadurch werden nur die neutralen Kreise gestärkt. Die ganze Orientierung des Reichskirchenausschusses wird nach dieser Seite hin gelegt werden. Es besteht sogar die Gefahr, daß die Orientierung nach gewissen Kreisen geht, die ursprünglich in den Reihen der Deutschen Christen standen. Die Neigung, auf unser Urteil zu hören, wird eine geringere werden. Damit gehen wertvolle innere Momente verloren. Die Gegnerschaft gegen das Ministerium Kerrl wird ohne Zweifel dadurch wachsen. Es ist ein Gebot der Weisheit, alles zu tun, um zu verhindern, daß die bekennende Kirche vor der Öffentlichkeit mit dem Schein der Schuld des möglichen Scheiterns des neuen Versuches belastet wird, solange dieser Versuch eine Durchsetzung unserer Grundanliegen nicht ausschließt. Auf alle Fälle müßten wir vor dem Herrn der Kirche und unseren Gemeinden ein gutes Gewissen haben. Die Versicherung des Bekenntnisanliegens durch den Reichskirchenausschuß ist wiederholt ausgesprochen 13 . Die bisherige Entwicklung seit Bestehen des Reichskirchenausschusses hat uns in starke Nöte gebracht (Hessen 14 ; Westfalen 15 ). Der Minister hat hier
13 So hieß es in dem Aufimf vom 17. Oktober 1935 unter Berufung auf die Verfassung der DEK vom 11. Juli 1933: „Die unantastbare Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist [ . . . ] Alle Arbeit der Kirche, auch ihre Theologie und ihre Verwaltung, muß der Verkündigung dieses Evangeliums dienen" (vgl. oben Anm. 5). 14 In der Landeskirche Nassau-Hessen wurde nach intensiven Vorverhandlungen am 9. November 1935 ein neuer Landeskirchenrat gebildet. Damit wurde das Führerprinzip, nach dem Landesbischof Dietrich bisher die Geschäfte geführt hatte, zwar aufgegeben; Dietrich blieb aber Mitglied des Landeskirchenrates, in dem die Deutschen Christen, Mitte und Bekennende Kirche zu gleichen Teilen vertreten waren (vgl. dazu auch unten S. 68; G B 1 D E K 1935, S . 1 1 6 ; DOKUMENTATION 5 , S . 5 3 - 7 7 ) .
15 Erste Verhandlungen zwischen Kerrl und Vertretern der Bekennenden Kirche hatten am 29. Oktober 1935 zu keinem Ergebnis gefuhrt. Die Bekennende Kirche beanspruchte die geistliche Leitung fur Präses Koch; Kerrl lehnte dies ab und wollte die geistliche Leitung einem Provinzialkirchenausschußübertragen, der allerdings erst am 14. Februar 1936gebildet wurde (B.HEY, Kirchenprovinz, S. 117).
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vieles eingesehen 16 . Was im einzelnen daraus wird, wird man abwarten müssen. Die bisherigen Äußerungen der Vorläufigen Kirchenleitung / ' 7 sind von dieser Grundhaltung aus zu verstehen. Wenn jetzt der Reichskirchenausschuß uns den Wunsch ausspricht nach einem Gespräch, dann ergeben sich bei unserer Beurteilung der Lage daraus für uns keine Schwierigkeiten. Wir würden eine Pflicht versäumen, wenn wir diese Pflicht [sie!] versäumten. Wir müssen gegenüber dem Reichskirchenausschuß eine unbedingt kirchliche Haltung sichern. Das bedingte Ja zur Mitarbeit muß so gesagt werden, daß der Ernst der Vorläufigen Kirchenleitung / und die Gebundenheit an das Anliegen des hinter uns liegenden Kampfes vor aller Welt unbestreitbar ist. Es würde also kein ausschlaggebendes Bedenken vorliegen, das uns die Aufnahme des Gespräches verbietet. Wir dürfen die „Mitarbeit" nicht versagen. Unser Wunsch ist, den Reichskirchenausschuß stützen zu können unter bindender Betonung des Bekenntnisanliegens, und zwar, um vor Mißverständnis gesichert zu sein, so, daß eine gemeinsame Verlautbarung erfolgt in einer Form, die auch den Staat bindet. Wir müssen unsere Erfahrungen zur Verfügung stellen; die unbedingte geistige Geschlossenheit der bekennenden Kirche ist dafür unerläßliche Voraussetzung. Ein Abbruch an dem Bekenntnisanliegen darf unter keinen Umständen zugelassen werden. Diese Entschlossenheit muß auch nach innen unbeugsam feststehen. Wir sind ungeeignet, im gegenwärtigen Augenblick zu handeln, wenn wir nicht eine geschlossene Front hinter uns haben und wenn nicht Disziplin gehalten wird. Äußerungen und Maßnahmen von grundsätzlicher Bedeutung müßten in der bekennenden Kirche nur nach Fühlungnahme mit der Vorläufigen Kirchenleitung / geschehen. Nur so ist die Aufgabe durchzuführen, von der heute alles abhängt, ob die Vorläufige Kirchenleitung / die geistliche Leitung der bekennenden Kirche Deutschlands ist. Unsere Aufgabe ist, daß sich die Gemeinde, die um Wort und Bekenntnis sich sammelt, in dieser Zeit zum Besten unseres Volkes [darstellt]. Die Energien in unseren Reihen dürfen nicht erschöpft werden in der Negation und dürfen heute nicht verzehrt werden lediglich in der Ablehnung der Deutschen Christen. Wir können nur geistliche Leitung der bekennenden Kirche sein, wenn wir nicht die Fühlung mit dem Reichskirchenausschuß verlieren und mit dem Ministerium Kerrl. Wollen wir das, was eine geistliche Leitung der bekennenden Kirche umschließt, zur Geltung bringen,
16 Vgl. G 2: „Ansatzpunkt in Nassau-Hessen und Westfalen war falsch. Minister hat das eingesehen!" 17 Vgl. oben Anm. 4 und 6.
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dürfen wir vor dem Versuch einer Fühlungnahme nicht zurückschrecken. Innerhalb unserer Kirche m u ß die Kraft für geistliche Aufgaben noch stärker zur Auswirkung kommen. Daneben gibt es konstruktive Aufgaben: Aufgabe der Gestaltung des kirchlichen Wahlrechts 18 , Einbau der Erfahrungen der Bruderräte, Fragen des gottesdienstlichen Lebens. Das Schwergewicht unseres Kampfes liegt in der Gemeinde. Nur als Bruderratsorganisation können wir den Kampf nicht tragen. Unsere Entschlossenheit ist fest. W i r dürfen uns auch nicht hindern lassen, weil hier und dort ein Bruder meint, er könne nicht mehr mit uns gehen. Dann müssen wir Gott bitten, daß uns die Gemeinschaft erhalten bleibt, wenn uns auch das Votum des [wankenden] Bruders nicht mitträgt. Breit: Bemerkungen zu dem Beschluß der Vorläufigen Kirchenleitung / vom 24. Oktober 19Ò519, zur Erklärung und Begründung des Beschlusses: 26. Oktober 1935 Schreiben des Büros des Reichsbruderrates mit der Bitte um Stellungnahme im Blick auf die staatlichen A7rc¿e«ausschüsse 20 . 28. Oktober 1935 Schreiben von Hesse an die Mitglieder des Reichsbruderrates 2 1 . Brief Webers 2 2 .
18 Vgl. dazu auch unten Dok. 18, Anm. 20. 19 Vgl. oben Anm. 6. 20 Der Brief wird erwähnt in den Protokollen der 74. und der 75• Sitzung der VKL I vom 6. und 7. November 1935 (EvAG München, A 1.10). Nach G 2 berichtete Breit, Gotthilf Weber habe an einige Mitglieder des Reichsbruderrates geschrieben: „Sollen wir nicht aufhören?". 2 1 Vgl. K . D. S C H M I D T , Dokumente II, S . 4 3 F . In diesem Schreiben hatte Hesse der VKL I den Vorwurf gemacht, sich o f f e n gegen den Beschluß des Reichsbruderrates vom 9. Oktober 1935 (vgl. oben Anm. 3 und unten Anm. 24) gestellt zu haben, indem sie die Bruderräte aufgefordert habe, ihrerseits Mitglieder der Bekennenden Kirche für die Kirchenausschüsse zu benennen. 22 Vgl. oben Anm. 20. — Zu den Briefen Webers und Hesses hatte Meiser am 6. November 1935 Arnim-Kröchlendorff gegenüber Stellung genommen: „Ich teile mit vielen anderen Ihr Urteil über die beiden Zuschriften von Hesse und Weber und halte es für unerläßlich, daß auf der Reichsbruderratssitzung, die für den Freitag dieser Woche [5. November] einberufen ist, endlich Klarheit in unseren eigenen Reihen geschaffen wird. Die bisherige Art, der VKL Schwierigkeiten zu bereiten, lähmt nicht nur die Arbeitsfreudigkeit aller an der VKL Beteiligten, sondern zerstört auch vollständig ihre Wirkungs- und Durchschlagskraft. Wer sich aus ehrlicher Überzeugung nicht hinter die VKL stellt und den Kurs, den sie steuert, stellen kann, möge das offen erklären und die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen. Ich hoffe am Freitag in Berlin selbst anwesend zu sein" (LKA NÜRNBERG, Meiser 116).
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Brief einer Bremer Gemeinde an Humburg, in dem kein Gegensatz zwischen dem Beschluß des Reichsbruderrates und der Verfügung der Vorläufigen Kirchenleitung / festgestellt werden will23. Warnung Kloppenburgs. Der Beschluß des Reichsbruderrates vom 8. Oktober 1935 hat im Punkt 2, 3 und 4 als kirchliche Anforderung zu lesen die Feststellung, daß die Leitung der Kirche als eine geistliche Angelegenheit an Schrift und Bekenntnis gebunden ist und der Berufung durch die Kirche bedarf und daß die Leitung der Kirche nach wie vor bei den Organen, die auf Grund des Bekenntnisrechtes ausgebildet worden sind, ruht, und daß nur da eine rechtmäßige Leitung besteht, wo die vorgeschlagenen Männer vom Staat [muß heißen: von der Kirche] berufen werden 24 . Der Reichsbruderrat bildete einen Ausschuß, der dem Kirchenministerium Vorschläge für die Bildung der Kirchenausschüsse gemacht hat. Die Vorschläge wurden dem Ministerium überbracht 25 . Briefe Weber und Hesse26 haben eine ungeheure Verwirrung angerichtet. Kurze Anfrage hätte ja den Tatbestand sofort aufgeklärt. Vier Sätze: 1. Es ist heute eine geistliche Leitung so, wie wir sie mit vollem Recht seit Barmen27 für die Deutsche Evangelische Kirche gefordert und für uns in Anspruch genommen haben, die auch die notwendige staatliche Bestätigung empfängt, durch uns nicht mög-
23 Nicht ermittelt. 24 In Absatz 4 des Beschlusses des Reichsbruderrates vom 9. Oktober 1935 heißt es: „Der kirchlich gewiesene Weg für eine rechtliche Hilfe des Staates in der gegenwärtigen Notlage der Kirche besteht darin, daß der Staat eine Leitung bestätigt und bevollmächtigt, die von der Kirche selbst durch ihre Organe vorgeschlagen ist. Demgemäß bittet der Reichsbruderrat die Vorläufige Leitung, Verhandlungen mit dem Herrn Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten zu führen" (K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S.270). 25 Der Reichs bruderrat hatte am 9. Oktober 1935 Albertz (für Humburg), Beckmann, Kloppenburg, Lücking, Friedrich Müller, von Soden und von Thadden in einen Ausschuß berufen, der gemeinsam mit der VKL I dem Kirchenminister Vorschläge für die Besetzung des Reichskirchenausschusses machen sollte (Protokoll: LKA BIELEFELD, 5,1 Nr. 704 Fase. 2). Nach G 2 wurden Koch, Müller-Dahlem und Breit von Kerrl empfangen und nannten ihre Namensvorschläge fur den Reichskirchenausschuß und den preußischen Landeskirchenausschuß, die der Minister allerdings nicht akzeptierte (vgl. obenAnm. 8). Es ließ sich nicht ermitteln, um welche Namen es sich handelte. In seiner Mitschrift von der Sitzung des Reichsbruderrates vom 9. Oktober 1935 notierte Kloppenburg die Namen Marahrens, Müller-Dahlem, Lücking, Schmidt-Oberhausen, Ministerialrat Engert oder Kotte (Merz, Lilje, Beckmann), Ehrenforth, Diehl (Pfalz) und vermerkte dazu: „Wenn Staat unsere Vorschläge akzeptiert, können wir den Reichskirchenausschuß anerkennen" (LKA OLDENBURG, A I 3b). 26 Vgl. oben Anm. 20 bis 22. 27 Gemeint sind die Beschlüsse der 1. Bekenntnissynode der DEK in Barmen vom 29. bis 31. Mai 1934 (vgl. A. BURGSMÜLLER/R. WETH, Barmer Erklärung).
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lieh. Die einzig mögliche Form einer Leitung, die alle unsere Ansprüche erfüllt, wird vom Staat nicht zugelassen. 2. Das Ziel, durch das alles das, was im Namen der Kirchenausschüsse und durch die Gesetzgebung des Ministeriums Kerrl geschieht, dieses Ziel, das erreicht werden soll, ist auch unser Ziel, einen Zustand herbeizuführen, in dem die Kirche ihre Angelegenheiten wieder selbständig und in Freiheit ordnen kann. 3. Die Vorläufige Kirchenleitung I wird ihren Anspruch aufrechterhalten müssen, der wohl begründet ist in den Äußerungen der verschiedenen Bekenntnissynoden, und wird die Freiheit fordern müssen, die Voraussetzungen dieses Anspruchs im Bewußtsein der Kirche und Gemeinde zu klären und die Erfüllung dieses Anspruchs im Willen der Kirchengemeinde vorzubereiten. 4. Es ergibt sich nicht nur für die Vorläufige Kirchenleitung /, sondern für die Bekennende Kirche die Aufgabe, einen ernsten Rückblick zu tun auf den grundlegenden Beschluß von Dahlem 28 . Was dort beschlossen wurde, ist teilweise um seine Voraussetzungen gebracht. a. Es steht in der Präambel der Botschaft von Dahlem: [„]Mit Polizeigewalt hat die Reichskirchenregierung auch die Kirchenleitungen von Bayern und Württemberg beseitigt; damit hat die Zerstörung ihren Höhepunkt erreicht. ["] Die bayerische und württembergische Kirchenleitung sind wieder in Ordnung. b. II,2 29 : [,,]Es ist uns die letzte Möglichkeit einer an den bisherigen Zustand anknüpfenden Erneuerung [der kirchlichen Ordnung] genommen worden. ["] Das Wort bestand damals zu Recht. Heute entfällt dieser Satz. c. ΙΙΙ,Ι 30 : [„]Gewaltherrschaft des Reichsbischofs.["] Die Reichskirchenregierung ist nicht mehr in Funktion. Aus diesen drei Gründen wird es notwendig sein, daß wir die Lage, in der wir uns befinden, und daß wir auch den Auftrag, den die Vorläufige Kirchenleitung / empfangen hat, neu durchdenken. Ich bitte auch meinerseits, daß wir diesen Tag dazu benützen, in aller 28 Breit nahm im folgenden kritisch Stellung zu der „Botschaft der Bekenntnissynode der DEK" in Berlin-Dahlem vom 20. Oktober 1934(vgl. H . B R A U N / C . N I C O L A I S E N , Veranrwortung 1 , S. 454 f.). 29 Bezug auf Abs. II, 2 der Dahlemer „Botschaft", der lautet: „Durch die Vergewaltigung der süddeutschen Kirchen ist uns die letzte Möglichkeit einer an den bisherigen Zustand anknüpfenden Erneuerung der kirchlichen Ordnung genommen worden" (EBD., S.455). 30 Vgl. Abs. III, 1 der Dahlemer „Botschafi": „Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche ist zerschlagen. Ihre rechtmäßigen Organe bestehen nicht mehr. Die Männer, die sich der Kirchenleitung im Reich und in den Ländern bemächtigten, haben sich durch ihr Handeln von der christlichen Kirche geschieden" (EBD.).
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Nüchternheit und Wahrhaftigkeit uns den Dienst der Liebe zu tun, die aus der Wahrheit ist und die von Gott auch das Recht empfangen hat, den Brüdern die Wahrheit zu sagen. von Soden: Bericht über Hessen 31 . ¿Ä/fc&ikirchenausschuß beschlossen. Verhandlungen im Gange. Stellung der Einstweiligen Kirchenleitung zum Landeskirchen ausschuß. Beschluß der Kreispfarrer: Die Bedingung für eine Beteiligung an einem Landeskirchen ausschuß ist das Bestehenbleiben der Einstweiligen Kirchenleitung. Lage in Darmstadt: Die Verhandlungen dort waren unheilvoll präjudiziert. Der Minister YLerrl wünschte, in Oarmstadt keinen Landeskirchenausschuß zu bilden, sondern den Landeskirchenrat umzubilden durch Aufnahme von zwei oder drei Leuten der bekennenden Kirche. Die bekennende Kirche hat sich dagegen gewehrt. Der Beschluß wurde als unumstößlich bezeichnet. Es ergab sich aber doch sehr starker Widerstand, so daß es gelungen ist, daß der Minister eine Weisung nach Darmstadt gab, die von ihm gegebenen Weisungen seien aufgehoben. Neue Verhandlungen führten dazu, daß in Darmstadt ein Ausschuß ernannt wurde, der Landeskirchenrat heißt 32 . In diesem Landeskirchenrat sitzen drei Leute von der bekennenden Kirche (von Bernus; Bußmann; Lenz-Münzenberg); drei vom Bund der Mitte (Landesoberkirchenrat Friedrich Müller; Zentgraf; Dekan Schäfer); drei Leute von den „Landeskirchlichen" (Dietrich, Landesbischof; Kipper, bisheriger Präsident des Landeskirchenamtes; von Krane). In sehr eingehenden Verhandlungen ist festgestellt worden, daß auf Grund eines Ermächtigungsgesetzes der Landesbischof [Dietrich] in dem Ausschuß nur noch sitzt als ein dem Prestigebedürfnis konzediertes Mitglied. Es wurde festgestellt, daß eine künftige Wirksamkeit Dietrichs in Nassau-Wesscn nicht in Frage käme. Stoevesandt: Der Bund der Mitte in Bremen hat einen Sturmlauf gegen Bischof Weidemann unternommen 33 . 31 von Soden berichtete im ersten Absatz über die Landeskirche Kurhessen-Waldeck. Dort war aufgrund der Kirchenwahlen 1933 eine „Einstweilige" Kirchenleitung errichtet, die das Vertrauen von ca. 75 % der Kreispfarrer (Superintendenten) und ca. 85 % der Pfarrerschaft hatte. Seit Mitte 1934 stand ihr eine deutschchristlich ausgerichtete „Kommissarische" Kirchenregierung gegenüber (vgl. H . S L E N C Z K A , Kirche, S.35—47; K . M E I E R , Kirchenkampf 1, S. 413-420; 2, S. 298-303). 32 Vgl. W. LUEKEN, Kampf, S. 56 ff. sowie die „2. DVO des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 5. November 1935 und die „Bekanntmachung über die Bildung des neuen Landeskirchenrats für die Evangelische Landeskirche Nassau-Hessen " (gez. Zoellner) vom 9. November 1935 (GB1DEK 1935, S. 116 f.); vgl. auch oben Anm. 14. 3 3 Vgl. dazu A . MF.YER-ZOLLITSCH, Nationalsozialismus, S . 1 7 6 f.
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Bauer: In Thüringen ist nichts geschehen. Es ist alles beim alten geblieben. Es wird kein Bekenntnisgottesdienst gewährt. Der Konfirmandenunterricht ist durch staatliche Stellung \sic!\ verboten. Die Geldstrafen werden weiter eingezogen. Müller: /^«¿¿«kirchenausschuß in Preußen. Beschluß des ¿/¿preußischen Bruderrates 34 . Wir haben festgelegt, daß es einen kirchlichen Weg für die Befriedung der Kirche gäbe. Das Ja des Ministers [ K e r r l ] zu einer kirchlichen Bildung wäre für Preußen der gewiesene Weg gewesen. Der Minister ging diesen Weg nicht. Er hat von sich aus Männer seines Vertrauens berufen. Er erklärt diese Männer als „Männer der Kirche" 35 Eine kirchliche Legitimation ist dadurch für die Kirchennusschüsse nicht gegeben. Der Minister hat dann seinen Kirchenausschuß gebildet 36 . In diesen Ausschuß sind zwei Leute der bekennenden Kirche hineingegangen 37 . Der Bruderrat beschäftigte sich mit dieser Tatsache. Es bestand kein Zweifel darüber, daß die Brüder das in eigener Verantwortung täten. Es wurde ihnen das Recht abgesprochen, weiterhin Amter innerhalb der bekennenden Kirche auszuüben 38 . Bildung von Provinzialkirchenausschüssen. Der Bruderrat mußte dazu Stellung nehmen. Es ist eine erhebliche Unsicherheit entstanden. Offenbarer Gegensatz der Anschauungen innerhalb Preußens 39 und innerhalb der Vorläufigen Kirchenleitung /. Kuessner berief sich für seinen Schritt auf eine Aussprache mit Marahrens 40 . Man konnte die Meinung bekommen: Hier sind zwei verschiedene Wege und Anschauungen. Die Vorläufige Kirchenleitung I hat alle Grundsätze verlassen, die seit Januar dieses Jahres aufgestellt wurden. Die bekennende Kirche ist in einem Zustand offensichtlicher Verfolgung. Verbot der Gottesdienste in Berlin-Dahlem durch die Polizei. Verbot der Einführung kirchlicher Amtsträger im Gottesdienst. Befehl, von allen diesen Vorgängen auf 34 Vom 9. resp. 28. Oktober 1935 (vgl. oben Anm. 3). 35 So Kerrl in der „1. DVO zum Gesetz zur Sicherung
der DEK" vom 3• Oktober
1935
(GB1DEK 1935, S. 101).
36 Vgl. die „Bekanntmachung betr. Bildung des Landeskirchenausschusses fur die Evangelischen Kirche der altpreußischen Union" vom 14. Oktober 1935 (GB1DEK 1935, S. 105). 37 Es waren d r e i Mitglieder der Bekennenden Kirche, nämlich Kuessner, Wilhelm Ewald Schmidt und Zimmermann {vgl. W. NIESEL, Kirche, S. 84). 38 So der Beschluß des altpreußischen Bruderrates vom 28. Oktober 1935 (EBD., S. 86; K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 47 f.; vgl. auch oben Anm. 3). 39 D. h. innerhalb der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union. 40 Deutlicher in G 2: „Kuessner in Ostpreußen berief sich auf Marahrens, der ihm gesagc habe, er freue sich, daß Kuessner diesen Weg [der Mitarbeit im Reichskirchenausschuß bzw. Landeskirchenausschuß] gegangen sei".
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der Kanzel nichts zu sagen. Verbot eines Bekenntnis-Gemeindeabends von Albertz 41 . Von daher sind wir in Preußen gezwungen, unsere Beschlüsse zu fassen und wissen uns dabei in Einheit mit den Beschlüssen des Reichsbruderrates. Fortsetzung Jacobi: Antrag: 1. Bedrückungen durch die Polizei. „Wir fordern deshalb die Glieder der bekennenden Kirche, die dem Ruf in staatliche Ausschüsse Folge geleistet haben auf, aus den Ausschüssen auszutreten." 42 Viebig: Abänderungsantrag: „2. fordern wir a u f . . . , daß sich die Glieder der bekennenden Kirche bindende Erklärungen geben [lassen], daß solche Dinge nicht mehr vorkommen, widrigenfalls sie ihre Amter niederlegen sollen." 43 Hesse: Erklärung: [ohne Eintrag]44. Asmussen kann den Kurs der Vorläufigen Kirchenleitung I nicht billigen. Wir stehen vor einer ganz neuen Situation. Ich habe nicht den Mut, das, was Marahrens heute sagte, als Linie der bekennenden Kirche zu verstehen. Ich halte die theologische Voraussetzung dieses Kurses nicht
41 Vgl. dazu den Antrag Jacobis unten Anm. 42. — Anschließend notierte Meiser unten am Rand der Seite: „Ihmels an [Marahrens]·. Ulmer geht gelegentlich allzusehr eigene Wege. Er fügt sich nicht ins ganze ein." 42 Der Antrag Jacobis, der von Asmussen, Immer, Kloppenburg, Link, Stoevesandt und von Thadden unterstützt wurde, lautete: „Seit Bildung der staatlichen Kirchenausschüsse hat die Verfolgung der Bekennenden Kirche durch die Staatspolizei in erhöhtem Maße eingesetzt. 1. Dem Präses der Bekenntnissynode Berlin-Brandenburg, Pfarrer Jacobi, und dem Mitglied des Rates der Ev. Kirche der altpreußischen Union, Assessor Dr. Ehlers, sind die Pässe ohne Angabe von Gründen entzogen. 2. Die Kirchliche Hochschule ist aufgelöst und verboten. 3. Kirchliche Vorträge ζ. B. über die Taufe, über Mystik und Evangelium werden allenthalben verboten. 4. Die kirchliche Presse wird in bisher nicht gekanntem Maße geknebelt. 5. Die Kanzlei des Rates der Ev. der altpreußischen Union ist mit ca. 100 Mann Polizei besetzt und durchsucht in einer Art und Weise, wie sie bislang nur bei kommunistischen Betrieben geübt wurde. Infolgedessen fordern wir die Glieder der Bekennenden Kirche, die dem Ruf in die staatlichen Kirchenausschüsse Folge geleistet haben, auf, aus den Ausschüssen auszuscheiden" (LKA BIELEFELD, 5,1 Nr. 704 Fase. 2). 43 Richtiger Wortlaut: „Infolgedessen fordern wir die Glieder der Bekennenden Kirche, die dem Rufe in die staatlichen Kirchenausschüsse Folge geleistet haben, auf, alsbald vom Staat bindende Erklärungen zu verlangen, daß ein derartiges Vorgehen staatlicher Stellen in Zukunft nicht mehr vorkommen werde. Bekommen sie diese bindende Erklärung nicht, so bitten wir sie, aus den staatlichen Kirchenausschüssen auszutreten" (EBD.). 44 Hesse gab eine längere Erklärung ab (vgl. K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 59—62) und stellte dann folgenden Antrag: „Der Reichsbruderrat wolle die Vorläufige Kirchenleitung auffordern, das Schreiben vom 24. Oktober 1935 {vgl. oben Anm. 6\ zurückzunehmen. Geschieht das nicht, so wolle der Reichsbruderrat die Sachlage der Reichssynode zur S t e l l u n g n a h m e v o r l e g e n " (EBD., S . 6 1 ) .
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für lutherisch und nicht der Barmer Erklärung 4 5 entsprechend. Die Spannungen haben eine kaum mehr erträgliche Belastung erreicht. W i r müssen unseren Pfarrern und Gemeinden sagen, daß die bekennende Kirche nicht mehr besteht. Die Anliegen, welche viele Theologen unter uns haben, sind von der Vorläufigen Kirchenleitung / nicht berücksichtigt worden. Von ganz anderer Seite liegt dieselbe Anzweiflung der Vorläufigen Kirchenleitung / vor. Bei dieser Lage sind wir keine schlagkräftige Gruppe mehr. Marahrens hat offen ausgesprochen, daß die, welche nicht mehr mitmachen können, sich eben scheiden müssen. Ich werde nie aus dem Reichsbruderrat austreten. Ich kann aber auch niemals mehr den Kurs der Vorläufigen Kirchenleitung / als bekenntnismäßig annehmen. Der Antrag Jacobi ist das mindeste dessen, was sachlich zu sagen ist. Die Zusammensetzung der bekennenden Kirche muß durch die Bekenntnissynoàc. neu gestaltet werden. Die Bekenntnissynoàe hat dazu das Wort. Geistliche Leitung und Kirchenregiment können nicht getrennt werden. Breit hat jetzt festgestellt, daß der Anspruch der bekennenden Kirche im Augenblick nicht durchzusetzen ist. Die Frage ist, ob man sich damit abfindet und in welcher Form man sich abfindet. Die Art, wie man es jetzt tut, ist die Rechtfertigung einer Irrlehre 46 . Hier sehe ich den tiefsten Unterschied: Trennung von Rechtfertigung und Heiligung. So hat Engelke vor zwei Jahren auch gesprochen 47 . Das Eine können Sie nicht von uns verlangen, daß wir jetzt vor die Öffentlichkeit hintreten und sagen: Zwar haben wir das alles gesagt . . . , aber [ Text bricht ab ]. Niemöller: Ich kann von Soden sagen, daß zu der zweiten Fassung Viebig 4 8 zu bemerken ist als Faktum: Ich habe Dienstag [5. November 1935) versucht, Eger dazu zu bringen, daß er wegen der stattfindenden Haussuchung im Burckhardt-Haus 4 9 bei Kerrl vorstellig würde. Er sagte: Bitte wenden Sie sich selbst dahin. Wurm: Vor kurzer Zeit haben einige ländliche Kirchenälteste zur Ablehnung eines DC-Pfarrers gesagt: W i r sind der Meinung, daß die Menschen sich nach dem Evangelium richten und nicht das Evangelium nach den Menschen. Der Grund unserer Verschiedenheit ist ein theologischer. Verhältnis zwischen Kirchengestaltung und theologischer
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Vom 31- Mai
1934
( v g l . H . BRAUN/C. NICOLAISEN, V e r a n t w o r t u n g 1, S . 4 5 0 - 4 5 3 ) .
46 Deutlicher in G 2: „Rechtfertigung der Irrlehre, wonach Leitung und Verwaltung zu trennen wäre." 47 Nicht ermittelt. 48 Vgl. oben Anm. 43. 49 Vgl. oben Anm. 10.
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Grundlegung. Differenz zwischen reformierter und lutherischer Grundhaltung. Ein gemischt staatliches Kirchenregiment hatten wir bis 1918. Niemand wird behaupten, daß nicht innerhalb der Landeskirchen ecclesia Christi 5 0 gewesen sei. Immer wenn Verhandlungen mit politischen Stellen drohten, hat sich Gleiches ergeben. Sie sind stärker in der Logik, wir stärker in der Psychologie. Liefern wir doch der anderen Seite nicht immer diesen Vorwand! W i r haben die Pflicht, die dringende Pflicht im Blick auf Volk und Staat, solange wie möglich Verständigungsbereitschaft zu zeigen. W i r müssen das unsere tun bis zum äußersten. von Thadden: Einheitliche Führung der Kirche ist nur möglich von einer gemeinsamen Haltung aus. Darin stimme ich Marahrens bei. Ich halte es für möglich, daß in einem Kreis wie dem unsrigen verschiedene Haltung, verschiedenes Verständnis vorhanden sein und unter uns als wirksame Spannung getragen werden möchte. Es m u ß nicht alles uniform sein. Aber eine Voraussetzung: Es m u ß eine gemeinsame Grundlage da sein, die für die gesamte Haltung im gegenwärtigen Augenblick maßgebend und bindend ist. Kern des vorhandenen Unterschiedes: Verschiedene Beurteilung der Lage. Es ist aber nicht zu verkennen, daß wir es mit einer antichristlichen Spaltung im Staat zu tun haben. Verschiedene Vorstellungen des christlichen Dienstes an Staat und Volk. W i r fühlen alle eine Verpflichtung gegenüber Staat und Volk. Der Unterschied ist aber nicht Römer 13-Apokalypse 13Haltung 5 1 [sie!] oder lutherisch-reformiert. An der Kirche m u ß der Staat lernen, was Staat und Obrigkeit ist. Liegt der Unterschied in einem verschiedenen Kirchenbegriff? Freikirche — Volkskirche. Ich möchte das bestreiten. Ich habe mich von Haus aus nicht für freikirchliche Bestrebungen interessiert. Der Gegensatz ist der, daß wir den Auftrag der Kirche verschieden einschätzen 52 . Es handelt sich auf der einen Seite um reines Staatskirchentum, auf der anderen Seite geht es um die Freiheit der Kirche. W i r müssen das Sammlungspanier für die echte evangelische Kirche in Deutschland [aufpflanzen]. Um dies Banner müssen wir alle sammeln. Viebig: Wenn wir den Ä«'cÄxkirchenausschuß nicht unterstützen, dann ist im Dezember Ludwig Müller wieder an der Macht. W i r müssen hel-
St^ Kirche Christi. 51 Römer 13, 1: „Es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott"; nach Apokalypse (Offenbarung) 13 kann der Staat aber auch mit dem „Tier aus dem Abgrund" verglichen werden. 52 Anschließend notierte Meiser, offenbar als Stichworte fìir seinen eigenen Beitrag (vgl. unten Anm. 55): „Freikirche. Stellung des Staates. Luther. Dahlem. Gemeinden. Haltung der Gegenseite."
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fen, daß Kerrl die Vollmacht erreicht. Das Beiseitestehen ist das furchtbarste, was es gibt. Erst wenn wir den Versuch gemacht haben und alles ist gescheitert, dann können wir den Gemeinden sagen, wir haben alles versucht. Hahn: Fricke hat sich durch die Resolution des Reichsbruderrates im Stich gelassen gefühlt. Der Bruderrat hat sich nicht entschlossen, ein Verbot auszusprechen 53 . Es ist etwas anderes, grundsätzliche und [mußheißen: oder] praktische Entscheidungen zu treffen. Wir können nur noch menschlich gesagt — ganz kurze Zeit die jetzige Haltung durchführen. Mit den Richtlinien von Dahlem können wir nur noch wenige Monate durchhalten. Wenn wir ein Verbot erlassen, dann müssen wir wissen, daß es Gewissenssache ist, oder ist es nicht Überspitzung eines Grundsatzes? Ich kann nicht einen absoluten Unterschied zwischen dem wilhelminischen Staat mit seinem Idealismus und dem jetzigen Staat sehen; der Unterschied ist nur relativ. Kloppenburg: Ich stehe mit tiefer Ehrfurcht vor der Haltung von Marahrens. Aber hier kommen mir vom lutherischen Bekenntnis her die Grenzziehungen. Das Bekenntnis meiner Kirche aber gebietet mir, an bestimmten Grenzen η e i η zu sagen. Was ich sage, möchte ich vom lutherischen Bekenntnis her sagen. Berufung auf Hopf-Aschaffenburg 54 . Der Reichsbruderrat muß den Gemeindeaufbau weiter betreiben. Aber den A7rc^«ausschüssen zustimmen, heißt das lutherische Bekenntnis verlassen. Meiser: [ohne
Eintrag/55.
53 Am 9. Oktober 1935 (vgl. oben Dok. 5, Anm. 12). Der Reichsbruderrat hatte nur abgeraten, sich in die Kirchenausschüsse berufen zu lassen (K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse
1935, S. 270). 54 Gemeint ist Hopfs Gutachten „Die neue Rechtslage der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland" vom 18. Oktober 1935 (K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. 279 ff.). In diesem Gutachten hatte Hopf festgestellt, daß sich durch das Reichsgesetz vom 24. September 1935, durch das der Reichskirchenminister ermächtigt wurde, in der gesamten evangelischen Kirche Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen (GB1DEK 1935, S. 99; K.D.SCHMIDT, D o k u m e n t e II, S . 9 f . ) , die bisherige Rechtslage „hinsichtlich der kirchlichen Selbstverwaltung" und „hinsichtlich der fortdauernden Gültigkeit des Bekenntnisstandes" geändert habe und „als innerkirchlich zu Recht bestehend" von den lutherischen Kirchen nicht anerkannt werden dürfe. 55 Nach G 2 sape Meiser: „Wenn ich mit ähnlichen Lagen der Reformationszeit vergleiche, so weiß ich, daß auch bei Luther dann und wann eine Resignation ist. Luther hat sich n i c h t der Versuchung hingegeben, sich auf die 300 [ wohl Bezug auf Richter 7,6] zu verlassen. Er ging lange, mühsame Erziehungsarbeit. Luther war auch vor die Frage gestellt: äußere Gestaltung - innerer Gehalt. Gegenüber diesen halbstaatlich-halbkirchlichen Institutionen ähnliche Lage. Sie entsprechen unseren Idealen nicht. Sollen wir hier
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Stoevesandt: W a s soll werden, w e n n w i r unsere Leute zurückrufen aus d e m Kirchenausschuß? Das w e i ß niemand v o n uns. Das andere aber w e i ß ich bestimmt, auf das Verhältnis v o n Bremen exemplifiziert: W i r haben in Bremen bisher nur einen Zweckverband 5 6 gehabt. W e n n die Kirchenausschüsse arbeiten dürfen, dann w ü r d e n w i r zu diesem Zweckverband zurückkehren 5 7 . D i e Kirche m u ß rein bewahrt werden. Es kann sein, daß sie in ihrer Bedrängnis reiner bewahrt wird als in friedlichen Zeiten. W i r k ö n n e n nicht abwarten, o b noch einmal eine größere Entscheidung k o m m t oder nicht. Jetzt ist die Entscheidung da. S a m m e t r e u t h e r : A u c h a u f der Seite der O p p o s i t i o n gegen die V o r l ä u f i g e K i r c h e n l e i t u n g / ist keine w i r k l i c h Einigkeit der inneren A u f f a s s u n g u n d keine Geschlossenheit, was eigentlich zu tun ist. Ich bin in d e r E r w a r t u n g g e k o m m e n , d a ß gegen die KirchenausscYiiisse. ein starker S t u r m gelaufen w i r d . Ich bin überrascht, d a ß A s m u s s e n die Ausschüsse als q u a n t i t é négligeable hingestellt hat. Ich k ö n n t e es verstehen, w e n n die Ausschüsse ganz glatt abgelehnt w e r d e n . Ist es dazu n i c h t h e u t e schon zu spät nach d e m Beschluß der letzten Reichsbruderratssitzung 5 8 ? W i r müssen uns gegenseitig die Voraussetzung zubilligen, d a ß j e d e r v o n uns kirchlich h a n d e l n u n d bei C h r i s t u s stehen will. W i r w o l l e n alle b e k e n n e n d e K i r c h e sein. Es ist n u r sehr schwer, i m einzel-
dem P r i n z i p den Vorrang geben? Müssen wir nicht der gegenwärtigen Not Rechnung tragen, aus der Not eine Tugend machen und i η diesen Formen für die Durchsetzung unseres Anliegens kämpfen? Wenn wir stark genug wären, könnten wir sagen: durch. Aber ich sehe die Energien nicht, mit denen wir hundertprozentig unseren Anspruch durchsetzen können. Mit dieser Haltung kriegen wir die Gemeinden nicht mit. Es kann der Augenblick kommen, wo wir die Gemeinden wieder im Kampf führen müssen. Heute geht das so nicht. Vielleicht sind die Brüder im Norden weiter in der Einsicht als wir. In verschiedenen Gauen ist Rosenberg als Grundlage der Schulung aufgegeben! Bürckel soll alle Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung aus der SA ausgeschlossen haben. Kerrl ist in der Partei der Mann, mit dem die christlichen Tendenzen stehen und fallen. Ist es unsere Aufgabe, Kerrl immer wieder Schwierigkeiten zu machen? Lehnen wir den Versuch ab, oder sind wir bereit, den Versuch einer ehrlichen Mitarbeit zu machen? Dahlem III, 3 [vgl. oben Dok. 2, Anm. S]: Wir tun immer noch so, als ob es diskutierbar sei. Seit Monaten ist unser Ausgangspunkt falsch. Sollen die Spannungen uns jetzt sprengen? Daraufwartet die Gegenseite ! Die VKL muß von uns wirklich anerkannt werden ! Auch der Reichsbruderrat hat Fehler gemacht. Wo blieb seine Arbeit an Augsburg? Synodalordnung. Es darf nicht jeder nach seinem Konzept Stellung nehmen. Der einzelne muß sich einordnen in das Ganze." Vgl. dazu auch Meisers Antrag unten Anm. 91. 56 In Bremen waren die Einzelgemeinden bekenntnismäßig und kirchenrechtlich autonom; damit bestand eine landeskirchliche Organisation nur in Ansätzen („Zweckverband"), bis die Gemeinden im Januar 1934 mit dem neuen nationalsozialistisch-deutschchristlichen Kirchenregiment „gleichgeschaltet" wurden (A. MEYER-ZOLLITSCH, Nationalsozialismus, S. 12). 57 Gemeint ist offenbar, daß durch die Bekennende Kirche dieser Zweckverband überwunden worden sei. 58 Vgl. oben Dok. 5, Anm. 12.
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nen Augenblick zu sagen: Was ist jetzt der klare Wille Gottes? Staat u n d Kirche sind zwei Gegebenheiten. Die Linie, die sie voneinander trennt, ist nicht ganz rein von uns zu ziehen. Die Ränder berühren sich. W i r müssen oft kirchlich handeln so, daß es schon am Rande steht. Das ist die Verschiedenheit, daß der eine sagt: Hier ist es schon überschritten; der andere sagt nein. Hier müssen wir die Spannungen betrachten, die unter uns sind. Das ist von A n f a n g an gewesen. Wir werden die bekennende Kirche niemals in Reinkultur sein. Daher k o m m t es, daß wir nicht einfach beiseitestehen können. W i r haben ein schlechtes Gewissen bei den ΛΤ/W'í'Hausschüssen. W i r hätten ein noch schlechteres Gewissen, wenn wir von vornherein dazu nein sagten. W i r k ö n n e n das nicht. W i r müssen dabei immer auf den Augenblick warten, wo wir uns scheiden müssen. Das sollen Sie uns zutrauen, daß wir wirklich auch darauf schauen, daß wir in dem, was Sie vielleicht als K o m p r o m i ß ansehen, auch kirchlich handeln. D a ß wir es so schwer haben, das kommt doch nicht bloß vom Staat her, das k o m m t von unserer Kirche her. Wir tragen doch die DC-Kanzelgemeinschaft. Wir sind mit ihnen noch in einer Kirche. Wenn Sie die Kanzel mit ihnen teilen, dann gehören Sie doch mit in einer Kirche zusammen. Man kann doch die Deutschen Christen nicht alle über einen Kamm scheren. In Bayern ist Dahlem III, 3 5 9 glatt unmöglich. Bei manchen ist die einzige Ketzerei die, daß sie Ludwig Müller folgen. Den Zustand der Kirche, den wir haben, können wir nicht von heute auf morgen aus der Welt schaffen. Wir leiden genauso wie Sie. Wir glauben nicht, daß die W u n d e von heute auf morgen sich schließen wird. Die N o t , die gerade aus der Kirche h e r k o m m t , die m u ß von uns getragen werden. Über den Antrag Viebigs 60 ist gewiß zu reden. Darf m a n wirklich verlangen, daß die M ä n n e r der bekennenden Kirche heute sofort aus den A7rr¿í«ausschüssen austreten? D u r c h solche Erlebnisse wollen wir uns nicht in unserem prinzipiellen kirchlichen H a n d e l n bestimmen lassen. Hesse: Es geht heute nicht u m die Frage Volkskirche oder Freiwilligkeitskirche. Aber es geht um die Frage: babylonische G e f a n g e n schaft der Kirche oder Freiheit der Kirche. Die Finanzabteilungen b e d e u t e n tatsächlich, d a ß unsere G e m e i n d e n bereits e n t r e c h t e t sind. W e n n i m m e r wieder gesagt wird: Es war vorher ja auch so, w e n n uns solche Restaurationsgedanken 6 1 k o m m e n , so ist zu erin-
59 Vgl. oben Dok. 2, Anm. 8. 60 Vgl. oben Anm. 43. 61 Anspielung auf die Zeit vor 1918, als die Verwaltung der kirchlichen Gelder in staatlichen Händen lag (Landesherrliches Kirchenregiment).
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nern an 2. Petrus 2, 22 6 2 . Mitteilung: Es sind eben 14 Tage her, daß ein Mann in hoher Regierungsstellung, der ein evangelischer Christ ist, mich zu sich rufen ließ und mir seine Sorgen mitteilte 6 3 . Es ist die Sorge um den Staat, von dem er sagte, daß er so in den Abgrund rennt. In einem Schulungslager wird ein Katechismus verbreitet: Die Stimme unserer Väter 64 . [„]Die 10 Gebote haben wir nicht mehr nötig. Die Stimmen des Blutes sind unsere Gebote. ["] Es tritt uns die Sorge entgegen, es möchte der Staat sich erweisen als das Tier von Apokalypse 13 65 · Es ist bei diesem Beamten die Sorge um die Naivität der evangelischen Männer. „Sehen Sie denn nicht, daß diese Kirchenausschüsse nur eine Dekoration sind für einen staatlichen Schritt? Sehen Sie denn nicht, daß es sich nicht handelt um den Minister Kerrl? Und daß es letztlich nur einer der Schachzüge ist des Staates, der sich auf diesem gefährlichen Wege befindet?" Es war die Sorge bei diesem Staatsmann angesichts des Weichwerdens bei der bekennenden Kirche. Er hatte Kenntnis bekommen von dem klaren Wort von Humburg 6 6 . Jetzt hörte er das Wort: „Nicht raten" 67 , er sagte, das erinnert mich an meine parlamentarische Zeit. Er sagte, wenn aber so gesprochen wird auf Seiten der Kirche, dann fehlt es an Zivilcourage und an Wahrhaftigkeit. Ich wollte Ihnen sagen: Wir haben das „Nicht raten" anders gemeint. Es sollte heißen: „Nicht gestatten". Er sagte, als er den Aufruf des Ä«'cAjkirchenausschusses68 gesehen hätte, hätte er wieder an seine parlamentarische Zeit denken müssen. Da hatte man ein Programm. Dieses Programm sagte alles und sagte nichts. Dieser Staatsmann hat die Hoffnung gestellt auf das „resister" 69 der bekennenden Kirche. Darum dürfen wir die Nerven nicht verlieren, sondern wir wollen heute bekennen. Breit: Ich nehme Stellung zu der Frage, ob eine Form der Hilfe für die ÄvVrtawausschüsse von uns annehmbar ist. Der staatliche Charakter besteht für uns zweifelsfrei. Diese Ausschüsse haben keine vocatio 70 von Seiten der Kirchen. Sie wollen sie nicht, sie brauchen sie auch 62 „Es ist ihnen widerfahren das wahre Sprichwort: Der Hund frißt wieder, was er gespieen hat; und: Die Sau wälzt sich nach der Schwemme wieder im Kot." 63 Vorgang nicht ermittelt. 64 Nicht ermittelt. 65 Vgl. oben Anm. 51. 66 Vgl. K.D.SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S.246f. 67 So der Beschluß des Reichsbruderrates vom 9. Oktober 1935 (vgl. oben Anm. 3 und Dok. 5, Anm. 12). 68 Vom 17. Oktober 1935 (vgl. oben Anm. 5). 69 = Widerstehen. 70 = Berufung.
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nicht und können sie nicht brauchen, weil sie sonst der Aufräumung des Schuttes nicht gewachsen sein würden. Darum ziehe ich den umgekehrten Schluß aus der Feststellung im Antrag Jacobi 71 . Ich ziehe den Schluß, daß wir uns nicht etwa damit begnügen dürfen, nicht zuzustimmen, daß wir auch nicht davor zurückschrecken vor der Dekoration, hinter der sich der Staat zu verbergen scheint, sondern wir müssen eben — und das ist das Bekenntnis, zu dem ich mich aufgerufen fühle — wir müssen diesen Ausschüssen helfen, daß alsbald heute diese Masken fallen. Wenn es nicht anders geht, dann besteht die Hilfe darin, daß wir den Ausschüssen in den Nacken springen, wenn sie sich auf falschem Weg befinden. Es genügt [nicht], daß wir dem Staat und den Ausschüssen den Text lesen, sondern wir müssen beiden den Text auch auslegen. Pflicht der Barmherzigkeit. Wir sind in den zweiten Akt des Kirchenkampfes eingetreten. Der Gegner ist hier viel gefährlicher. Es handelt sich um die Gegnerschaft, die in der Form einer politischen Religion uns entgegentritt. Im Kampf damit wird es sich herausstellen, ob der Staat, der noch im Stadium eines Naturereignisses sich befindet, die Entwicklung nimmt zu einem sittlichen Regiment. Die Liebe zum Staat verpflichtet uns hinzugehen und alle Teufel, von denen der Staat bedrängt ist, die mit ihm ringen, auf unser Herz zu nehmen. Es gibt allerlei Wege, auf denen man mit Dämonen ringen [kann]. Diese Art fährt nur aus durch Beten und Fasten. Hier ist ein weites Feld, auf dem wir dieser größten Aufgabe uns erschließen sollten, und eine weites Feld, auf dem wir noch vieles zu leisten haben. Ich habe manchmal die Furcht, daß wir zwar ehrlich Kraft an die Reinigung des Ausdrucks unseres Glaubens aufgewendet haben. Wir haben aber doch auch noch andere Aufgaben vor uns stehen. Dem Staat sind wir Barmherzigkeit schuldig. Es ist hier beweglich, ein Wort Kierkegaards zu hören: „Ich habe keine Barmherzigkeit." 72 Ich fürchte mich davor, daß bei aller Treue, mit der wir den Kampf um die Kirche bisher geleistet und gelitten haben, nur eine Schuld uns zugesprochen werden möchte, die Schuld: Ich habe keine Barmherzigkeit. Ich weiß, wie es jetzt ist und wie es wirkt gerade auch auf das sehr bedrängte Bewußtsein derer, die in diese Ausschüsse gestellt sind. Wir müssen diese Brüder stärken. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die beiden Ausschüsse gezwungen sind, den Reichsminister [ K e r r l ] zu bitten, zum Führer [ H i t l e r ] zu gehen und ihm zu sagen, daß sie keinen Tag weitermachen können, wenn andere Instanzen im Staat den Willen Kerrls und des Führers unmöglich machen. An der Kirche entscheidet sich, welche Kräfte im Staat zum Siege 71 Vgl. oben Anm. 42. 72 So nicht ermittelt.
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kommen. Wir müssen den Mut haben, hineinzuspringen in den Riß, der sich im Staate aufgetan hat, und in den Riß, der sich in der bekennenden Kirche aufgetan hat. Die Vorläufige Kirchenleitung / hat sich entschlossen, in diesen Riß zu treten, und ist entschlossen, die von Marahrens hier 73 aufgezeigte und von allen Mitgliedern der Vorläufigen Kirchenleitung / gebilligte Linie einzuhalten. Es kann sich nur darum handeln, ob der Reichsbruderrat heute Ja oder Nein sagt. Verliest einen Brief von Bodelschwingh 74 . Müller: Es ist für uns sehr ernst, wenn in einer solchen Situation so gesprochen wird, wie es Bodelschwingh tut. Ich kann in eine Auseinandersetzung mit dem nicht eintreten, was Bodelschwingh schreibt. Die Bildung der Finanzabteilung bei der Reichskirche 75 ist für uns in Preußen eine schwerwiegende Angelegenheit. Wurm hat dann erklärt, daß in äußeren Dingen das lutherische Bekenntnis uns einen weiteren Spielraum läßt 76 . Durch Luther ist uns ein neues Verständnis eröffnet worden für das, was Staat ist. Es ist aber doch ebenso deutlich eröffnet worden, was Kirche ist. Uber das Verhältnis von Staat und Kirche ist ganz unzweideutig gesagt, daß beide Gewalten nicht miteinander vermischt werden dürfen. Es ist uns schlechterdings vom Bekenntnis her geboten, daß beide Gewalten nicht miteinander vermischt werden dürfen 77 . Dem Staat kann kein Anteil an der Leitung der Kirche zugebilligt werden. In Preußen ist uns die Verantwortung und Bestimmung über das gesamte kirchliche Vermögen genommen worden 78 . Die Finanzabteilungen 79 haben bis in die letzte Woche in geistliche Dinge eingegriffen. Wenn wir in Preußen dazu gezwungen wurden, zu diesen Dingen ernsthaft Stellung zu nehmen und das Wort ein klares Nein zu den Finanzabteilungen sein mußte 8 0 , dann bitte ich zu verstehen, was es für uns bedeuten muß, wenn sich in diesem Augenblick Meinzolt und 73 Vgl. oben S. 61-65. 74 Offenbar handelte es sich um einen Brief Bodelschwinghs an die VKL I, worin dieser zu erkennen gab, daß die Krisis der Bekennenden Kirche die Ursache ßir seine fortdauernde Krankheit sei (vgl Bretts Votum nach G 2). 75 Vgl. die „I. DVO des Gesetzes zur Sicherung der DEK" vom 3. Oktober 1935 (GB1DEK 1 9 3 5 , S. 1 0 1 ) .
76 Vgl. das Votum Wurms oben S. 71 f . 77 Vgl. ζ. B. Confessio Augustana XXVIII (BSLK, S. 120 ff.). 78 Durch Erlaß des „ Gesetzes über die Vermögensverwaltung in den evangelischen Landeskirchen " vom 11. März 1935 (GB1DEK 1935, S.42F.; vgl. dazu auch oben Dok.2, Anm. 12). 7 9 EBD.
80 Zur Ablehnung der Finanzabteilungen durch den altpreußischen Bruderrat vgl. W . NIESEL, Kirche, S . 6 7 f . und 74ff. undW.NIEMÖLLER, Steglitz, passim.
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Hermann Müller in einen solchen Finanzausschuß der Deutschen Evangelischen Kirche berufen lassen 81 . Als wir die Vorläufige Leitung / der Deutschen Evangelischen Kirche aufstellten 82 , habe ich zweimal die Frage gestellt, bedeutet das, daß die Landeskirchen in der Vorläufigen Leitung / der Deutschen Evangelischen Kirche die wirkliche Leitung der Kirche sehen und daß das auch auf die Finanzen sich auswirkt, dann sehe ich nicht ein, wie man Leute in Finanzabteilungen hineinschicken konnte. Ich stimme Hahn zu, daß es sich nur um einen graduellen Unterschied zwischen der wilhelminischen Zeit und der jetzigen Zeit handelt. Aber haben sich die Dinge nicht erst jetzt recht klar enthüllt? Es werden uns Erkenntnisse geschenkt, an denen man nicht mehr vorübergehen kann. Bauer-Thüringen bekennt sich zum Brief Bodelschwinghs. Wir müssen uns hüten, unter einem schweren Eindruck zu schweren Entschlüssen zu kommen. Das gilt für Preußen. Wir werden die Vorkommnisse in Preußen gewiß nicht leicht nehmen. Ich könnte dem Antrag 1 nicht [zustimmen]^. Bittet flehentlich um einen Weg, der gemeinsam gegangen werden kann. Wir können nicht warten. Sagen Sie nicht, daß wir nicht Glauben hätten. Nach unserer Meinung müssen die Möglichkeiten, die sich aus den Reichskirchenausschüssen [sie!] ergeben, bis zum letzten ausgeschöpft werden. Dahlem III,3 84 muß einmal zum Austrag kommen. Wir können auf keinen Segen rechnen, wenn der brüderliche Geist nicht wieder in unsere Reihen zurückkehrt. Wir müssen Buße tun und zu der Liebe zurückfinden, die uns allein tragen kann. Marahrens tritt für Kerrl ein. Stellung Kuessners und Zoellners. Der Vorläufigen Kirchenleitung / kommt es darauf an, wir beabsichtigen, [mit] dem Reichskirchenausschuß in ein Gespräch zu treten, und ihm das, was uns beschwert, und Wege, zu denen wir den Reichskirchenausschuß für verpflichtet ansehen, vorzutragen. Ich halte deshalb den Antrag Jacobi nicht für möglich. Der Antrag von Viebig lautet anders. Dieser Antrag könnte ebensogut an uns gestellt werden.
81 Vgl. den Erlaß Kerrls vom 5. November 1935: „Bekanntmachung über die Zusammensetzung der Finanzabteilung bei der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei" (GBIDEK 1935, S. 117 f.). 82 Am 22. November 1934. 83 Deutlicher in G 2: „Nicht unter dem Eindruck der PolizeieingrifTe stehend schwere Entschlüsse fassen. Stimme Antrag Jacobi nicht zu, der würde Ende der BK in Thüringen bedeuten." 84 Vgl. oben Dok. 2, Anm. 8. Nach G 2 sagte Bauer: „Dahlem 111,3 lehnen wir ab.".
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Wenn dem Antrag nicht stattgegeben wird, so können wir uns weiter entscheiden. Kann sich der Reichsbruderrat dazu entschließen zu erklären, wir halten dieses Gespräch mit dem Reichskirchenausschuß für unbedingt erforderlich? Beckmann: In den intakten Kirchen 85 hat man offenkundig keine Vorstellung davon, wie es in den zerstörten Kirchen zugeht. Wenn wir kämpfen, tun wir es für ein Anliegen, das an uns als unabdinglicher Anspruch gestellt ist. Sind wir uns klar darüber, daß die Absicht des Staates bei den Kirchenausschüssen ist, Frieden um jeden Preis zu bekommen? Wenn wir im Punkte Lehrzucht nachgeben, ist der Kampf unglaubwürdig. Darum können wir uns mit den Sekten 86 in der Kirche nicht an einen Tisch setzen. Damit wird vor den Gemeinden und Pfarrern die Ernsthaftigkeit unseres Kampfes in Frage gestellt. Verweisung auf den Antrag Asmussen 87 . Wir sollen uns nicht in der Auseinandersetzung über die Kirchenausschüsse verzehren, sondern sollen wesentlich als bekennende Kirche handeln. Wir müssen um die Einmütigkeit angesichts der Differenzen ringen. Wir müssen uns gegenseitig das zubilligen, daß wir nicht so radikale Hasardeure sind, sondern daß wir im Wort gefangen sind und daß wir uns gegenseitig zubilligen, daß wir jeder seinem Herrn stehen und fallen. Dann müssen wir jetzt auch gemeinsam durch die gefährlichen Spannungen und Spaltungen hindurchgehen. Wir müssen den Brüdern, die große Hoffnungen haben in Bezug auf die Kirchenausschüsse, die ganze Verantwortung zuschieben. Ich möchte bitten, daß wir viel deutlicher sagen, was die unaufgebbaren Anliegen der bekennenden Kirche sind, mit denen sie steht und fällt. Wenn wir das nicht sagen können, dann sind wir nicht mehr bekennende Kirche. Dürr: Wir müssen von den Mitgliedern der staatlichen KirchenausscWüsst erwarten, daß sie sich weigern, in diesen Ausschüssen Maßnahmen zuzustimmen, die kirchenregimentlicher Art sind. Das können wir den Ausschüssen nicht zubilligen. Niemöller: Für die bekennende Kirche dürfen wir uns vom Staat gewiß nichts Gutes erhoffen. Das ist nicht die Frage, vor die wir gestellt sind; auch der Antrag Jacobi ist nicht entscheidend. Ich würde zur Not mitmachen können, aber ich weiß auch nicht, woher wir diese Voll-
85 Vgl. dazu oben Dok. 2, Anm. 39. 86 Gemeint sind offenbar auch die Deutschen Christen, die nach dem Verständnis Beckmanns von der Lehre der Kirche abgefallen waren. 87 Asmussen hatte den Antrag gestellt: „Die Reichssynode ist bis zum 15. Dezember 1935 einzuberufen. Ein Punkt der Tagesordnung wird sein: Umbildung der Organe der Bekennenden Kirche" (LKA B I E L E F E L D , 5,1 Nr. 704 Fase. 2).
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macht nehmen sollen. Wir haben den Leuten gesagt: „Wir können nicht raten." 88 Jetzt können wir nicht sagen: „Geht jetzt heraus." Man soll uns nicht einen Vorwurf für das sachte Wort machen, da wir ein deutliches Wort sprechen wollten. Die Frage ist eine andere: Sie ist tatsächlich, ob wir als bekennende Kirche noch den Anspruch aufrechterhalten dürfen, daß wir die Kirche repräsentieren. Es ist uns nicht um ein Ideal gegangen. Der Ansatzpunkt ist die Tatsache, dai? man vor den Augen und Ohren des Volkes als biblische Verkündigung etwas hinstellte, was wider das Bekenntnis war. Nun ist die Frage, ob wir diesen Kampf noch führen müssen und in Einigkeit führen können. Es ist uns gelungen festzuhalten, das, was Kirche trägt, ist eine Stiftung ihres Herrn und Meisters und absolutes Eigentum dieses Meisters. In diesem unbedingten Anspruch allein haben wir uns irgendwo gefunden. Die Frage im weiteren Verlauf ist: Hätte Luther sich mit den Schwärmern zusammengesetzt, um zu sagen, daß wir jetzt erst einmal unser Kirchenregiment machen wollen? Kanzelgemeinschaft bedeutet noch nicht Kirchengemeinschaft. Können wir noch als bekennende Kirche einig sein, das heißt für mich allerdings die Frage, ob wir sagen: Eine Union mit den Deutschen Christen ist für uns restlos eine Unmöglichkeit. Die Unkirchlichkeit dieser Dinge muß feststehen. Es wird niemand in eine solche Sache hineingehen, ohne diese Dinge in ihrer Unklarheit zu sehen. Der Tfe/cArkirchenausschuß hat die Maske schon wieder auf. In Wirklichkeit ist reiner Glaube und Aberglaube durcheinandergemengt. Was wird daraus? Unsere Gemeinden sehen, ein Mann, der Präses der bekennenden Kirche in Ostpreußen [Kuessner] ist, sitzt an einem Tisch mit DCLeuten. Das kann man nicht stillschweigend dulden und tragen. Das Faktum wirkt verwirrend, daß Zoellner mit Martin zusammen die Leitung der Kirche beanspruchen und Kerrl sagt: In dem Aufruf 89 sehe ich die richtige Linie, die jeder Pfarrer anerkennen muß, sonst muß er aus der Kirche heraus. Wir müssen vor den Gemeinden rechtfertigen, warum wir diese Gemeinschaft eingegangen sind. Dann sind wir heute vor die Frage gestellt, ob wir jetzt nicht die Weichen stellen müssen. Der Staat macht es uns unmöglich, Kirche des Evangeliums zu sein, aber der Staat gestattet es uns, in dieser Kirche auf unserer 88 Vgl. den entsprechenden Beschluß des Reichsbruderrates vom 8./9. Oktober 1935 (oben Dok. 5, Anm. 12). 89 Gemeint ist der ^Aufruf des Reichs- und des preußischen Landeskirchenausschusses" vom 17. Oktober 1935 (vgl. oben Anm. 5). Kerrl hatte Mitte Oktober 1935 verschiedentlich zu diesem Aufruf Stellung genommen; am 15. Oktober hatte er in einer Rede vor den Gauobmännern der Deutschen Christen u. a. betont, der Aufruf „ist ein absolut klares Maß, an dem wir auch den einzelnen Pfarrer richten können. Wer sich diesem Maß nicht fügt, der muß aus d e r Kirche v e r s c h w i n d e n " (BA ABT. POTSDAM, 5 1 0 1 R K M 2 3 7 5 3 ) .
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Grundlage uns zu sammeln. W i r werden d a n n einmal innerhalb der Organisation das zu werden uns bemühen, eine innere Reformbewegung der Kirche. D a n n müssen wir die Ansprüche, Kirchenleitung zu sein, irgendwie aufgeben. D a n n müssen wir mit der Tatsache Ernst machen, daß uns der Staat zur G r u p p e stempelt. W i r müssen d a n n sagen, d a ß wir in dieser Kirche eine G r u p p e sind. W i r sollen an die Anfänge unserer Wege zurückgeführt werden, weil G o t t sein Urteil über uns spricht. Das andere, da möchte ich jedem O p t i m i s m u s ganz energisch entgegentreten. Es steht in meiner Bibel etwas von den Geistern, die in der Luft herrschen 9 0 . Es hat noch keiner fertiggebracht, d e m Satan die Maske ganz vom Gesicht zu reißen. W e n n wir auf den Augenblick warten, d a n n haben wir uns auf eine Linie begeben, die zu einem Ende k o m m t , aber zu keinem Ergebnis. Sind wir mit dem Anspruch da: W i r sind die bekennende Kirche, d a n n k ö n n e n wir es nur so sein, daß wir auf d e m Boden von Barmen 9 1 stehen. O d e r getrauen wir uns n u r zu sagen: W i r wollen nicht lassen von dem Bekenntnis; das wollen alle, aber wir sind zur G r u p p e gestempelt u n d müssen warten, ob G o t t uns neue Möglichkeiten gibt. W i r betrügen uns selbst, wenn wir meinen, es gäbe einen Weg zwischendurch 9 2 . von Soden: W e n n wir die Ä7rrÄ^«ausschüsse nicht a limine 9 3 ablehnen, so gibt es keinen anderen Weg, als daß m a n ihnen hilft. Sie dürfen nicht an der bekennenden Kirche scheitern, sondern sie müssen mit der bekennenden Kirche scheitern. Lassen Sie uns Stellung n e h m e n zuerst zum Antrag Hesse 94 .
90 Wohl Anspielung auf Epheser 2, 1 f.: „Auch ihr wäret tot in euren Übertretungen und Sünden, in welchen ihr vormals gewandelt seid nach dem Lauf dieser Welt, nach dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich nach dem Geist, der zu dieser Zeit sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens." 91 Vgl. oben Anm. 27. 92 Im Anschluß an das Votum Niemöllers stellte Meiser folgenden Antrag: „Vor Einberufung einer neuen Reichssynode sind die Augsburger Beschlüsse betr. Synodalordnung und Zusammensetzung der Reichssynode zu vollziehen" (G 2 und LKA B I E L E F E L D , 5,1 Nr. 704 Fase. 2). Der entsprechende Beschluß der 3- Bekenntnissynode der DEK in Augsburg vom 6. Juni 1935 lautet: „Die Synode betraut die Vorläufige Leitung der DEK mit den für die Bildung einer geschlossenen synodalen Vertretung der DEK erforderlichen Verhandlungen; sie beauftragt den Reichsbruderrat der DEK mit ihrer Vertretung und ermächtigt ihn, in Zusammenarbeit mit der Vorläufigen Leitung der DEK die erforderkichen Maßnahmen für die Bildung der nächsten Bekenntnissynode zu treffen" (W. N I E M Ö L L E R , Augsburg, S.76). Vgl. dazu auch unten Dok. 18, Anm. 8. 93 = Von vornherein. 94 Vgl. oben Anm. 44.
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Niemöller: W i r verzichten auf Ansprüche, die wir nicht mehr aufrechterhalten können. W i r werden die ÄT/Vr/^wausschüsse arbeiten lassen. Kirchliche Leitung sind sie nicht; denn sie bedeuten die Union 9 5 . Solange dieser Anspruch besteht, ist eine Beteiligung für Glieder der bekennenden Kirche unmöglich. Die andere Möglichkeit ist die, daß man sagt: Der Staat hat etwas getan, wogegen wir nicht aufkommen können. Meiser spricht über den Anspruch der Vorläufigen Kirchenleitung I, gesetzliches Kirchenregiment zu sein. Jetzt Vollmachten des Kirchenausschusses 96 . Marahrens: M a n müßte mit dem Reichskirchenausschuß verhandeln. M a n könnte bestimmte Funktionen der Vorläufigen Kirchenleitung / ruhen lassen. Niemöller: W i r müssen den Gemeinden sagen können, wo wir als Vorläufige Kirchenleitung I und als bekennende Kirche im Augenblick stehen. M a n kann nicht mit dem Anspruch, bekennende Kirche zu sein, mit den Deutschen Christen an einem Tisch sitzen. Wenn wir das Notregiment anerkennen, dann erkennen wir an, daß aus dem Übergang dieses Regiments eine Deutsche Evangelische Kirche hervorgeht, die keine Bekenntnisgrundlage mehr hat. Diese Verquickung können wir nicht als bekenntnismäßig notwendig anerkennen. Asmussen: Der Widerspruch zwischen Anspruch und Tatsachen macht mich kaputt, dieser Widerspruch zwischen den Tatsachen und dem bei uns vorhandenen [objektiven] Wollen. Wenn wir das anerkennen, so sind wir damit ein gutes Stück weiter. Erkennen wir, daß wir die neue Situation als die Rückkehr der Situation von 1933 anerkennen, dann werden wir viel ruhiger miteinander weiterarbeiten können. Immer: Ja oder Nein gegenüber den Kirchenausschüssen. Das schwache Nein vom 9. Oktober 1935'37 war doch eigentlich kein Nein. Es rächt sich, daß man damals nicht zu einem tapferen Wort gekommen ist. 95 In dem Sinn, daß Deutsche Christen, Mitte und Bekennende Kirche gemeinsam die Kirchenleitung bildeten. 96 Nach G 2 lautete das Votum Meisers·. „Also die Frage: kann auf die Dauer das Nebeneinander Ausschuß/VKL bleiben?? Hat bisher VKL diesen Anspruch durchsetzen können? Nein! (Beispiel: Gesetzgebung). Wird das anders werden? Erst recht nicht. Müssen wir nicht einfach das anerkennen und zugeben und sagen: organisatorisch können wir uns nicht durchsetzen, jetzt sauerteigmäßig. Können wir das Regiment anerkennen? Nein, denn es ist nicht rite vocatus. Allenfalls Notregiment. Jetzt: wenn wir nicht auseinandergehen wollen, dem Antrag Marahrens zustimmen!! Aufgabe des Kirchenregiments ist es, die Voraussetzungen für echtes Regiment zu schaffen." 97 Vgl. oben Dok. 5, Anm. 12.
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Der 9. Oktober war ein Kompromiß. Ich für meine Person lehne die ÄVnrÄdTzausschüsse ab mit der ganzen Kraft meiner Uberzeugung. Es ist kein kirchlicher Weg, darüber sind wir uns einig. Wenn es kein kirchlicher Weg ist, dann ist es ein gottloser Weg. Ist es möglich, daß man für die ungemein schwere Aufgabe, eine Kirche, die sich völlig in der Zerstörung befindet, zu ordnen, ein unkirchliches Gremium für geeignet hält, dann kann man noch viel besser in einer ruhigen Zeit ein solches Gremium ertragen. Ich lehne die Ausschüsse auch aus einem anderen Grund ab. Wir müssen Kerrl nach seinen Reden beurteilen. Die sind völlig eindeutig; das ist reine nationalsozialistische Abgötterei. Ich kann nicht anders, als im Blick auf die Religionswerdung des Staates und im Blick auf das, was Kerrl von der Kirche erwartet, sagen: Hier stehen wir gegenüber einer Macht, die die Kirche entweder neutralisiert oder vernichtet. Es bleibt uns nur der Weg, daß wir in kindlichem Gehorsam den Weg gehen, den der Herr der Kirche weist. Wir können nicht Gemeinschaft haben mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis 98 . D a ist auch die Sorge um die Männer, die in den Ausschüssen sind. Wer sich in die Arbeitsgemeinschaft begibt mit Menschen, die in der Macht und der Gefolgschaft des Fürsten dieser W e l t " stehen, begibt sich damit in die Gefahr, ewig verloren zu werden. Sollten sich Brüder von uns den Ausschüssen zur Verfügung stellen, so müssen wir sie bitten, damit sie nicht Opfer einer inneren Unwahrheit werden, daß sie vor Eintritt in die Ausschüsse erklären, wir erkennen den Reichskirchenausschuß nicht als die Leitung der Kirche an. Sie müßten die in dem Aufruf des Reichskirchenausschusses 100 bezeugte dogmatische Grundlage ablehnen. Die Eintretenden müßten fordern, daß vor ihrem Eintritt die problematischen Fragen des Aufrufs genau bezeichnet würden. Damit ist das Ende des Ausschusses von selbst gekommen. Es müßten die Eintretenden wissen, daß ihre Arbeit im Schutz der Geheimen Staatspolizei geschieht. Es wurde gesagt: Wir müssen die bekennende Kirche beieinanderhalten. Es ist aber auch immer wieder gesagt worden, daß die bekennende Kirche sich bereits in der Auflösung befindet. Wohin die zwiespältigen Haltungen der letzten Wochen geführt haben, zeigt Nassau-Hessen 1 0 1 . Was sollen wir jetzt tun? Ich habe von Anfang an immer wieder gesagt: Es ist ein entscheidender Konstruktionsfehler, daß Präses Koch zu-
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Anspielung auf Galater 5, I I . Anspielung auf Johannes 12,31; 14,30; Vgl. oben Anm. 5Vgl. oben Anm. 14.
16,11.
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gleich in der Vorläufigen Kirchenleitung / sitzt und Leiter der Bekenntnissynode ist. Ich frage zum Schluß: Sind wir Kirche oder nicht? Müller: Vorbedingung aller Beschlüsse ist die eindeutige Haltung zu den /Tmr/wíausschüssen. Müller charakterisiert die Tätigkeit der Ausschüsse. Das ist nicht der Weg, auf dem der Kirche geholfen werden kann, daß Kerrl noch größere Vollmachten vom Staat erhält. Ich stehe auf dem Standpunkt: Die Brüder in Hessen-Nassau haben sich bereiterklärt, den Aufruf der Ausschüsse sich zu eigen zu machen 102 .
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Besprechung mit Kerrl 1935 November 10 I. Meiser
1
103/I .
II. Kerrl — Meinzolt - Meiser. III. Nürnberg, G: Meiser,
Hotel Deutscher Hof von 12.15 Uhr bis ca. 14.00
Uhr.
ΛΤΒ.
Auf Einladung des Herrn Reichsministers Kerrl fand ich mich am Sonntag, den 10. November 1935 im Hotel Deutscher H o f in Nürnberg zu einer Aussprache über die kirchliche Lage2 ein. Die Aussprache fand im Restaurationsraume des Hotels statt und war, weil man von den Nachbartischen aus leicht dem Gespräch zuhören konnte, dadurch etwas gehemmt.
102 Die Mitschrifi endet hier, offenbar, weil die Debatte immer erregter wurde. Kontrovers blieb, wie weit es mit dem Selbstverständnis der Bekennenden Kirche vereinbar sei, mit dem Reichskirchenausschuß zu verhandeln. G 2 schließt mit zwei Voten Marahrens': „Ich weiß, wer ich bin. W e r mir das nicht glaubt, der trenne sich. D a n n lassen Sie uns auseinandergehen. W e n n ich VKL bin, verlange ich das Recht der Verhandlung mit dem Ausschuß" und: „Wenn wir mie d e m Reichskirchenausschuß ins Gespräch k o m m e n , wird alles verwertet, was wir hier gehört haben." 1
Das Stenogramm dieses Dokuments wurde nicht ermittelt; als Vorlage dient eine maschinenschrifiliche Niederschrift mit einer handschrifilichen Korrektur und Unterschrift Meisers vom 12. Februar 1936. 2 Der vom Reichskirchenausschuß als Vermittler beauftragte pfalzische Landesbischof Diehl und Kerrl selbst hatten in den Tagen zuvor versucht, in Gesprächen mit den bayerischen Deutschen Christen sowie mit Vertretern der Landeskirche — allerdings ohne Meiser selbst — die Schaffung eines Landeskirchenausschusses fur die bayerische Landeskirche vorzubereiten (vgl. dazu bes. H . BAIER, Deutsche Christen, S. 245 fF.).
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Minister Kerrl entwickelte zunächst seine persönlichen theologischen und kirchlichen Gedanken in der bei ihm bekannten Weise 3 . Er vertritt den Standpunkt einer weitgehenden Toleranz gegenüber allen Richtungen innerhalb der Kirche, unter Verkennung der Bedeutung, die ein festes, klares Bekenntnis für die Kirche hat. i h m ist es in erster Linie um Ruhe und Frieden zu tun, ohne daß es gelingt, ihm völlig klarzumachen, daß der neuen Einheit, die er erstrebt, als tragfähige Grundlage vor allem die Einheit im Bekenntnis gegeben sein muß. Ich lenkte nach einiger Zeit das Gespräch von diesen allgemeinen Ausführungen auf die kirchliche Lage in Bayern. Minister Kerrl vertritt hier den Standpunkt, daß es möglich sein müßte, durch ein großzügiges und weitherziges Entgegenkommen gegen die Deutschen Christen zu einer Befriedung der Landeskirche zu kommen. Er hält dazu für erforderlich, daß die sämtlichen gemaßregelten Pfarrer wieder in ihr Amt eingesetzt werden. Den Verfehlungen, um derentwillen sie vom Disziplinargerichtshof verurteilt wurden, mißt er eine geringere Bedeutung bei, insbesondere hält er auch Dr. Beer für tragbar, der den Minister offensichtlich mit viel Material über seinen Prozeß versehen hatte 4 . Einer hemmungslosen Propaganda der Deutschen Christen will Kerrl allerdings nicht das Wort reden. Ich versuchte dem Herrn Minister klarzumachen, daß an eine echte Befriedung innerhalb der bayerischen Landeskirche nur gedacht werden könne, wenn in Bezug auf die Bekenntnisfrage zwischen uns und den Deutschen Christen restlose Klarheit herrscht. Er selbst zwar wollte weniger Wert auf die Lehre als auf das wahrhaft christliche Handeln gelegt wissen, weshalb ich ihn darauf verwies, daß das rechte Handeln zur Voraussetzung rechte Lehre habe und daß es nicht angehe, etwa in bezug auf die sittlichen Grundforderungen des Christentums, wie es von einem Deutschen Christen geschehen sei, die Gültigkeit der 10 Gebote zu leugnen 5 , während die Landeskirche als solche in ihnen den unverbrüchlichen Gotteswillen auch an die Menschen der Gegenwart erkennt [sie!]. Es sei noch nie in unserer Landeskirche irgendein Gemeindemitglied wegen mangelnder theologischer Einsicht oder weil es für seine Person den Standpunkt unseres Bekenntnisses nicht restlos geteilt habe, aus der
3 Vgl. ζ. B. oben Dok. 1. 4 Nach dem gescheiterten Eingliederungsversuch (vgl. unten Anm. 9) war die bayerische Landeskirche gegen mehrere DC-Pfarrer disziplinarisch vorgegangen und hatte Beer seines Amtes enthoben (H. BAIER, Deutsche Christen, S. 175-182). Am 9.November 1935 hatte Kerrl sich mit den Forderungen der Deutschen Christen einverstanden erklärt, die gemaßregelten Pfarrer wieder zu rehabilitieren (EBD., S. 245 f.; vgl. dazu auch das Votum Meinzolts unten Dok. 10, S. 90). 5 Nicht ermittelt.
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Landeskirche entfernt worden. Es sei aber ein Unterschied, ob es sich um einzelne Gemeindeglieder handele oder um die Frage, was doctrina publica 6 in der Kirche sein soll. Hier kann die Kirche keinen Kompromiß schließen, sondern muß, ebenso wie es der Nationalsozialismus in bezug auf sein eigenes Programm getan hat, ihren Weg kompromißlos und ganz eindeutig gehen. Es zeigte sich bei der Unterredung, daß Minister Kerrl über die Verhältnisse in Bayern, vor allem über die gegenseitigen Zahlenverhältnisse nicht voll im Bilde war. Die Deutschen Christen haben es offenbar verstanden, ihm die eigene Bewegung in viel umfassenderer Größe darzustellen, als es der Wirklichkeit entspricht 7 . In bezug auf die Person des Reichsbischofs äußerte mir Kerrl, Ludwig Müller habe ihm zwar seinen Rücktritt angeboten, aber er habe ihn genötigt, noch einige Zeit zu bleiben. Es sei jetzt noch nicht an der Zeit, ihn vollständig verschwinden zu lassen. Wenn die Kirche einmal in Ordnung gebracht sei, so könne sie ja die nötigen gesetzlichen Handhaben, die die Absetzung Müllers ermöglichen, sich selbst schaffen. Auf meine Bemerkung, daß wenn Müller noch länger im Amt bliebe, eben ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet werden müsse, da das Material gegen ihn im Laufe der Zeit sich zu einem großen Stoß angehäuft habe, erklärte Kerrl, darüber nicht ausführlich informiert zu sein, was gegenüber Müller alles vorliege, doch könne er eben jetzt nicht von seinem Amt entfernt werden. Ich versuchte dem Minister auch klarzumachen, daß die Einrichtung eines Landeskirchenausschusses in Bayern 8 auf den größten Widerstand stoßen würde, und glaubte, ihn im Interesse der von ihm eingeleiteten Befriedung vor einem solchen Experiment warnen zu sollen. Es dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß das Ansehen der Partei nicht noch einmal eine solche Belastungsprobe in kirchlichen Dingen ertrage wie im Oktober des vergangenen Jahres 9 . 6 = Öffentliche Lehre. 7 Die bayerischen Deutschen Christen operierten damals mit falschen Zahlen, wenn sie von 23.000 eingeschriebenen Mitgliedern, 220 Gemeindegruppen und 60 geschlossenen DC-Gemeinden sprachen (H. BAIER, Deutsche Christen, S.246). Meiser berichtete dem Reichskirchenausschuß am 19- November 1935 über die Lage in der bayerischen Landeskirche, daß„d\e Anhängerschaft der Deutschen Christen in Bayern nur etwa 5% der Geistlichen und höchstens 1,5% der evangelischen Bevölkerung" umfasse (EvAG MÜNCHEN, NL Meinzolt 20). 8 Vgl. oben Anm. 2. 9 Gemeint sind die von Partei- und Staatsstellen gedeckten Versuche Ludwig Müllers und Jägers im September/Oktober 1934, die württembergische und bayerische Landeskirche gewaltsam in die Reichskirche „einzugliedern " wobei die Bischöfe Wurm und Meiser abgesetzt und arretiert wurden und Deutsche Christen an ihre Stelle treten sollten. Vgl. dazu GAUGER III, S. 321— 3 6 5 ; H . BAIER, D e u t s c h e C h r i s t e n , S . 1 2 8 - 1 7 0 ; DOKUMENTE II, S. 1 8 0 - 1 9 4 ; G.SCHÄFER, L a n d e s k i r c h e 3, S . 5 2 4 - 6 7 2 ; K.SCHOLDER, K i r c h e n 2, S. 3 0 9 - 3 3 5 .
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Z u einem eigentlichen Ergebnis hat das Gespräch nicht geführt; es dauerte von 12 1/4 bis gegen 2 Uhr. Minister Kerrl mußte mit dem Fern-D-Zug nach Berlin Weiterreisen. Er sagte nur im Aufbrechen: „Wir wollen uns über diese Fragen noch weiter unterhalten; besuchen Sie mich, wenn Sie einmal wieder in Berlin sind."
10 Besprechung mit Vertretern der Landeskirchen Baden, Hannover und Württemberg 1935 November 18 I. Meiser, Wachstuchheft 3, S.
1
349-354 .
II. Bender - Bogner - Borst - Bosse (ab 12,50 Uhr) - Breit - Friedrich - Mayer-List Meinzolt — Meiser — Hermann Müller — von Soden — Wurm. III. Stuttgart, Evangelischer Oberkirchenrat, Alter Postplatz 4; von 11.00 Uhr bis 14.00 Uhr und von 17.30 Uhr bis 18.30 Uhr. G: 1. Meiser, ATB; 2. Mitschrift Bogners (LKA Nürnberg, Tagebuch Bogner II, S. 51—54).
Wurm: Eröffnung. Lied: Wenn wir in höchsten Nöten 2 . Lagebericht. Gemeinsames Vorgehen in Bezug auf Deutsche Christen, Reichsbruderrat und Vorläufige Kirchenleitung /. Meiser: Bericht über die Vorgänge in Bayern 3 . Mayer-List: Vorschlag von Württemberg 4 . 1 Meiser überschrieb dieses Treffen „Zusammenkunft der süddeutschen Landeskirchen", obwohl auch Bosse (Hannover) und von Soden (Kurhessen-Waldeck) teilnahmen. 2 EKG Nr. 2 8 2 . 3 Vgl. dazu oben Dok. 9 und H. BAIER, Deutsche Christen, S. 245-273. 4 Vgl. G. SCHÄFER, Landeskirche 4, S. 454 f.: Es wurde ein Text beraten, in dem die Landeskirchen von Baden, Bayern, Hannover und Württemberg gemeinsam ihre Bereitschaft ausdrücken wollten, am „Befriedungswerk" der DEK mitzuarbeiten. Der württembergische Entwurf sah die Einsetzung eines Befriedungsausschusses mit „dem Landesbischof als Vorsitzenden und etwa zehn weiteren, vom RKA im Einvernehmen mit der württembergischen Kirchenleitung zu berufenden Mitgliedern" vor, an dem auch Deutsche Christen ihrem zahlenmäßigen Verhältnis entsprechend beteiligt werden sollten. Als Voraussetzung dafür wurde angesehen: Unterstellung aller Geistlichen unter Bekenntnis, Verfassung und Ordnungen der Landeskirche; Anerkennung des Evangeliums ab oberste Norm von Verkündigung und kirchlichem Handeln; Einstellung der bisherigen Methoden des Kirchenkampfes.
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von Soden macht auf den Ernst der Lage aufmerksam, wenn uns die Gleichberechtigung der Richtungen förmlich aufgezwungen würde. Die Konferenz5 müßte versuchen, etwas darüber zu sagen, wie man mit den Deutschen Christen fertig wird. Der Kampf gegen die Deutschen Christen muß von der Kirche geführt werden. Dazu bedürfen wir der Ruhe und Ordnung. Die Tatsache, daß jemand Deutscher Christ gewesen ist, kann nicht hindern, daß jemand in Kirchenausschüsse hineinkommt, wohl aber die Tatsache, daß jemand Träger einer Gewaltpolitik war. Der württembergische Vorschlag des Befriedungsausschusses ist gut für intakte Landeskirchen, wenn er als Schlichtungsausschuß 6 gedacht wird. Wenn man aber gegen den Landeskirchenrat appellieren kann an den Reichkirchenausschuß 7 , ist die Landeskirche dem Reichskirchenausschuß ausgeliefert. Das eigentliche Kirchenregiment darf nicht ausgeliefert werden. Die intakten Landeskirchen sind besonders gefährdet. Gefahr der kalten DC=isierung [sie!] auf legalem Weg 8 . Breit weist darauf hin, daß schon der Versuch, ein proponendum 9 dem Reichskirchenausschuß oder dem Reichskirchenm\n\ste.r zu unterbreiten, große Bedeutung hat im Blick auf Wünsche und Ansprüche, die Deutsche Christen dann anderwärts erheben. Es ist fraglich, ob man sich um einen Landeskirchen ausschuß bewerben soll. Faktisch wird die Existenz des Ausschusses dazu führen, daß er in seiner inneren und äußeren Gestalt unwillkürlich den übrigen Landeskirchenausschüssen gleich wird. Reichskirchenausschuß hat die Tendenz, überall die gleiche Zerstörung zu schaffen, um überall mit den gleichen Mitteln helfen zu können. Die intakten Landeskirchen müssen den energischen Versuch machen, von Landeskirchenausschüssen frei zu bleiben 10 . Es muß energisch gefordert werden, daß in den intakten Kir5 Gemeint wohl: die Anwesenden. 6 Ein derartiger Ausschuß hatte nach dem württembergischen Entwurf die Aufgabe, „die für eine Befriedung der kirchlichen Verhältnisse in Württemberg wesentlichen Fragen zu behandeln und nach Möglichkeit zu bereinigen" (G. SCHÄFER, Landeskirche 4, S. 455). 7 Eine salche Regelung sah der Entwurf vor (EBD.). 8 Nach G 2, S. 52 lautete das Votum von Sodens: „Neue Taktik der DC, keine Revolution, ,legaler' Weg". 9 = Vorschlag. 10 Bis zum Zeitpunkt der hier dokumentierten Beratung war — nach dem Reichskirchenausschuß und dem preußischen Landeskirchenausschuß (vgl. oben Dok.5, Anm. 1) — noch ein Landeskirchenrat in Nassau-Hessen entstanden („2. DVO des Gesetzes zur Sicherung der DEK" vom 5. November 1935: GBIDEK 1935, S. 115; vgl. auch oben Dok. 8, S.68). Kurz darauf wurden Landeskirchenausschüsse fur die „zerstörten " Kirchen Sachsen und KurhessenWaldeck gebildet („3- und 4. DVO des Gesetzes zur Sicherung der DEK" vom 21. November und 29. November 1935: GBIDEK 1935, S. 121 und 129). Die „intakten" Landeskirchen wehrten sich, ungeachtet ihrer Bereitschaft, am Befriedungswerk mitzuarbeiten, gegen einen derar-
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chen die Verhältnisse völlig anders liegen [sie!]. Jedes falsche Zugreifen in diesen Kirchen würde dazu führen, den Kampfgeist in unseren Kirchen neu zu wecken. Das Ziel muß sein, daß die Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen innerkirchlich geführt wird. Der Reichsbischof [ L u d w i g Müller] hat es so weit kommen lassen, daß durch das Hereinströmen politischer Kräfte der Kampf ein kirchenpolitischer geworden ist. Ich bin auch überzeugt, daß II, 2 des württembergischen Entwurfes" nicht genügt. Die Deutschen Christen müssen an dem Punkt zu uns stoßen, an dem wir jetzt stehen. W i r stehen nicht an dem Punkt 1933, sondern 1935. Was uns aufgegangen ist, müssen auch die Deutschen Christen anerkennen. Meinzolt: Die Gefahr, daß der württembergischen Landeskirche ein Landeskirchen ausschuß bevorsteht, ist vorhanden. Um sie abzuwenden, sind manche Opfer wert [.MV/]. Äußert Bedenken gegen einen Ausschuß jeglicher Art. Derselbe wird eine Art Landeskirchenrat, er wird außerdem eine Dauereinrichtung. Rät vom Weg des Ausschusses dringend ab. Wiedereinräumung von Kirchen. Wiedereinsetzung von Geistlichen. Mayer-List schlägt möglichst einheitliches Vorgehen vor 12 . Müller betont die Tatsache, daß beabsichtigt ist, für Württemberg einen Landeskirchenausschuß einzusetzen. Das wird von den Deutschen Christen energisch betrieben und hat die Zustimmung staatlicher Stellen gefunden. Es ist zu fragen, wie man dem begegnen kann. Man muß sich im voraus klar werden, wie weit man gehen kann, ohne die wesentlichen Lebensinteressen der Kirche zu verletzen. Daraus entsprang der württembergische Vorschlag 13 . Bender: Baden hat seit dem ersten Jahr [1933] eine Dauerhetze der Deutschen Christen gegen die Kirchenleitung zu erdulden 14 . Die Angriffe erfolgten zum Teil besonders gegen einzelne Mitglieder des L [ a n -
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tigen, aus ihrer Sicht überflüssigen Eingriff in die funktionierenden Kirchenleitungen (vgl. z.B. den Bericht Meisers an den Reichskirchenausschuß vom 19. November 1935: EvAG MÜNCHEN, NL Meinzolt 20). Vgl. auch unten Dok. 17. Vgl. dazu oben Anm. 4: „Bei voller Anerkennung der natürlichen Schöpfungsgrundlagen des deutschen Volkes ist das Evangelium von Jesus Christus in seinem ganzen Umfang oberste Norm der Verkündigung und des kirchlichen Handelns. Andere dem widerstrebende Auffassungen werden zurückgewiesen" (G.SCHÄFER, Landeskirche 4, S.454). Gemeint ist wohl, eine Verständigung mit den Deutschen Christen in den verschiedenen Landeskirchen anzustreben. Vgl. oben Anm. 4. Zu den Verhältnissen in Baden vgl. die ausfuhrliche „Darstellung der kirchenpolitischen Lage in der Vereinigten Evang.-Prot. Landeskirche in Baden" vom 19. November 1935 ( L K A KARLSRUHE, 4 9 1 8 ; K.MEIER, K i r c h e n k a m p f 2, S . 3 1 6 - 3 2 1 ) .
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des]\í[irchen] KfegimentsJ. Auf der anderen Seite haben wir keine eigentlichen ernstlichen disziplinaren Fälle (5—6 Fälle; 3 amnestiert). Kein Antrag auf Abhaltung von Sondergottesdiensten. Im rein kirchlich Verwaltungsmäßigen ist bei uns verhältnismäßig Ruhe außer den ständigen Angriffen in der Öffentlichkeit. Schwierig sind die Dinge kirchenrechtlich insofern, als wir keine Erweiterung der Kirchenleitung mehr haben. W i r mußten dieses Gewächs (Kirchenregierung) schließlich beseitigen, um überhaupt regieren zu können. W i r haben keine Landessynode mehr. W i r brauchen wieder eine Landessynode und Schaffung eines modus zu einer gesunden Bindung der örtlichen Verwaltungskörper. W i r sind der Meinung, daß es nicht gut ist, wenn jede der intakten Kirchen von sich aus den Weg sucht, der den Dingen begegnen soll. M a n sollte versuchen, daß die sog. intakten Kirchen Kerrl gemeinsam gegenübertreten, aber bei unserer Kirche liegt es nicht so. Hier ist eine geordnete Verwaltung, hier sind bloß dauernd von den Deutschen Christen her erfolgende öffentliche Kämpfe, welche die Autorität der Kirchenleitung schädigen. Im übrigen herrscht Ordnung. Es ist mehr ein Zustand des Gehetzes, aber nicht ein Zustand der Zerstörung der Kirche. Die Situation der intakten Kirchen ist wesentlich besser, als wenn jede einzeln geschlachtet wird [sic!\. M a n m u ß bei uns andere Wege beschreiten, die harmloser sind als ein Landeskirchenausschuß 1 5 . Bosse: Hannover würde zustimmen, wenn Grundsätze aufgestellt würden. Eine gemeinsame Verhandlung ist nicht zu empfehlen. Die hannoverschen Deutschen Christen haben sich mit T h ü r i n g e n verbunden 1 6 . W u r m stellt fest: Wir sind darin einig, daß wir eine gemeinsame Stellung einnehmen wollen und vorbereiten und daß wir davon dem Reichskirchenausschuß Kenntnis geben und daß wir den Standpunkt einnehmen, daß wir das in Aussicht gestellte Schema 1 7 ablehnen müssen.
15 Nach G 2, S. 53 folgte an dieser Stelle ein Votum Meisers: „Gemeinsamer Schrill bei Kerrl. 1. Bekenntnis. 2. Disziplinarfälle. 3. Minderheitsrecht. 4. Benützung der Kirchen. RKA ist unionistisches Gebilde. Er muß sich von allen Dingen fernhalten, die mil Bekenntnis zusammenhängen." 16 D.h. mit der nationalkirchlich orientierten Kirchenbewegung DC (= Thüringer DC). Am 26.127. Oktober 1935 nahmen erstmals einige Vertreter der hannoverschen DC an der Reichstagung der Kirchenbewegung DC in Eisenach teil (vgl. K . M E I E R , Deutsche Christen, S. 188 f.; E. KLÜGEL, Landeskirche 1, S . 3 4 7 f . ) . 1'7 D. h. wohl: Einsetzung von Landeskirchenausschüssen durch den Reichskirchenausschuß auch in „ intakten " Landeskirchen.
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Friedrich: Jede der vier Landeskirchen soll einen Überblick geben, wie die Lage in ihrer Kirche ist 18 , mit dem Ergebnis, daß eine Zerstörung nicht vorhanden ist. Die Vorläufige Kirchenleitung / soll dann bei Kerrl Vortrag erstatten 1 9 . A u f jeden Fall sollen die Kirchenausschüsse nach dem Modell von Preußen und Hessen unterbleiben. Man versucht von Seiten der Deutschen Christen her Rumor zu machen. Man kann aber durch Zahlen und Tatsachen beweisen, daß auf unserer Seite Ordnung herrscht. In Baden 6 4 0 Pfarrer, 80—90 Deutsche Christen. Wurm: Positiver Vorschlag: Bekenntnisparagraph. Sollte man hier nicht Formulierungen wählen, die negativen Charakter haben? Die positive Bezugnahme aufs Bekenntnis hilft uns nicht gegen die Deutschen Christen. W i r müssen bestimmte Punkte formulieren, die wir als Verfälschung der evangelischen Verkündigung bezeichnen. Die Deutschen Christen verlangen eine Entkonfessionalisierung des kirchlichen Lebens. Sie nehmen auch Konfessionslose auf. D C Amtswalter sind Katholiken. Von da aus ergibt sich die ganze Behandlung der Frage der Gleichberechtigung. Nur eine Gruppe, die das unterschreibt, kann von uns als Verhandlungspartner angesehen werden. Sie selbst [die Deutschen Christen] bezeichnen sich als politische Gruppe innerhalb der Kirche, die in ihren Reihen gar nicht nach kirchlicher Zugehörigkeit fragt 20 . Meinzolt: W i r wollen in Bayern die Deutschen Christen gar nicht als besondere Gruppe ansprechen. Die norddeutschen Brüder nehmen m. W. den entgegengesetzten Standpunkt ein. Wenn die Deutschen Christen ordentliche Glieder der Kirche sein wollen, dann wollen wir, bis es zur vollen Befriedung kommt, die gemaßregelten Pfarrer wieder anstellen 21 . Schiedsgerichtsbarkeit.
18 Vgl. dazu für Baden oben etwa Anm. 14, für Württemberg oben Anm. 4 und fur Bayern den Bericht Meisers an den Reichskirchenausschuß vom 19. November 1935: „Die Lage in der bayerischen Landeskirche" (vgl. oben Anm. 10). 19 Zu diesem Empfang, der am 27. November 1935 stattfand, vgl. K. D. SCHMIDT, Dokumente II, S. 8 3 - 9 0 und unten Dok. 11. 20 Anschließend folgte nach G 2, S. 53 f. ein Votum Meisers: „Bedingungen: 1. Grundlage: Bekenntnis. 2. Stoppen der Propaganda der DC. Es muß ein Stillstand eintreten (ganz üble Erfahrungen macht da z. Zt. Hessen!). 3. Ziel muß sein: Einheit der Gemeinde. 4. Besitzstand, wie er jetzt ist, darf nicht verändert werden. 5. Rückkehr der disziplinierten Pfarrer. Erkennt Kerrl unser Bekenntnisanliegen nicht an, dann müssen wir den RKA vor die Frage stellen: Willst du deine Hand dazu bieten, daß wir eine bekenntnislose Kirche werden?" 21 Vgl. oben Dok. 9, Anm. 4.
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In der Nachmittagssitzung werden die formulierten Vorschläge, die gemeinsam vertreten werden sollen, durch Meinzolt bekanntgegeben 2 2 (Ausschuß besteht aus von S o d e n , Bogner, Mayer-List, Meinzolt, Friedrich).
2 2 Nach G 2 hat der Ausschuß von 15,30 bis 17,30 Uhr beraten. - Der verabschiedete Text der „Vereinbarungen von Stuttgart" vom 19. November 1935 lautet: „ D i e unterzeichneten Kirchenleitungen sind gewillt, das Befriedungswerk in der D e u t s c h e n Evangelischen Kirche, das d u r c h den v o m Führer bestellten Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten und den von diesem eingesetzten Reichskirchenausschuß in A n g r i f f g e n o m m e n w o r d e n ist, auch im Gebiet ihrer Landeskirchen mit allen Kräften a u f z u n e h m e n . Sie vereinbaren hierfür folgende Richtlinien: 1. D e r S i n n der in Aussicht g e n o m m e n e n B e f r i e d u n g kann u n d d a r f nicht sein, d a ß die B i n d u n g der Landeskirchen an ihr Bekenntnis aufgegeben wird und d a ß ihre G e m e i n d e n derart in G r u p p e n aufgespalten werden, d a ß in der Landeskirche biblische und widerbiblische, b e k e n n t n i s m ä ß i g e u n d bekenntniswidrige Lehre u n d V e r k ü n d i g u n g gleichberechtigt nebeneinander zu stehen k o m m e n . D e m g e m ä ß erkennen die Geistlichen, die sich bisher zu den D e u t s c h e n Christen gehalten haben, das Bekenntnis, die Verfassung, die Gesetze und die O r d n u n g e n der Landeskirche als verbindlich an und unterstellen sich ihrer A m t s - u n d Lehraufsicht. Sie werden jeder V e r l e u g n u n g oder Verfälschung der evangelisch-reformatorischen V e r k ü n d i g u n g und jeder A n w e n d u n g von Gewalt entgegentreten; d i e sachlich notwendige Auseinandersetzung über die A u s r i c h t u n g der kirchlichen Botschaft in unserem V o l k u n d unserer Zeit m u ß rein innerkirchlich u n d geistlich ausgetragen werden. 2. D i e Landeskirchen werden in eine wohlwollende P r ü f u n g darüber eintreten, inwieweit die W i r k u n g von aufsichtlichen M a ß n a h m e n und Disziplinarurteilen, die im Verlauf der kirchlichen Auseinandersetzungen gegenüber Geistlichen erlassen w u r d e n , beseitigt werden kann. 3. K e i n e m Geistlichen soll unter der Voraussetzung von ZifF. 1 Satz 2 aus seiner bisherigen S t e l l u n g n a h m e in den kirchlichen Auseinandersetzungen ein dienstlicher Nachteil erwachsen. 4. V e r ä c h t l i c h m a c h u n g e n haben zu unterbleiben. Verstöße werden nach der kirchlichen O r d n u n g geahndet. 5. D i e amtsbrüderliche G e m e i n s c h a f t unter den Geistlichen wird unter Voraussetzungen, die i m einzelnen zwischen der Kirchenleitung und Vertretern der Pfarrerschaft zu vereinbaren sind, wieder hergestellt. Es ist alles zu unterlassen, was die alten W u n d e n aufreißt. D i e Kirche w i d m e t sich mit ganzer Kraft der ihr gestellten A u f g a b e , das E v a n g e l i u m von J e s u s Christus lebendig zu verkündigen. 6. U n s t i m m i g k e i t e n werden, soweit sie nicht durch die Kirchenleitung behoben werden k ö n n e n , einem Schiedsgericht unterstellt. G e g e n die E n t s c h e i d u n g e n des Schiedsgerichtes ist Beschwerde an den Reichskirchenausschuß zulässig. D a s landeskirchliche Bekenntnis ist nicht G e g e n s t a n d eines Schiedsspruchs; das gleiche gilt von d e m in Ziff. 1 S a t z 2 a u f g e f ü h r t e n Verfahren der A m t s - und Lehraufsicht" ( E v A G MÜNCHEN, N L Meinzolt 20).
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Iiiformationsbesprechung der Vorläufigen Kirchenleitung I 1935
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I. Meiser, Wachstuchheft 3, S. 355-374. II. von Arnim-KröchlendorfF - Beste - Breit - Denkhaus - Hahn - Humburg - Karl Koch - von Lüttichau - Marahrens (V) - Meiser - Friedrich Müller - Riethmüller - Kurt Dietrich Schmidt - Schniewind - von Soden - Veidt - Wester - Zänker. III. Berlin SW 68, Hospiz „St.Michael", G: Meiser, ATB.
Wilhelmstr. 34; von 9.30 Uhr bis mittags.
Meiser: Andacht Lukas 12, 35 ff. Marahrens: Bericht über die Lage 1 . Kerrl: Ich m u ß für Ordnung sorgen. Ich finde keine Unterstützung. Es liegt an der Vorläufigen Kirchenleitung / und an den Bruderräten. Konkurrenz für die staatlichen Kirchenausschüsse. Frage der kirchenregimentlichen Befugnisse. Sie dürfen nicht von verschiedenen Instanzen ausgeübt werden. Stark drohender Ton. M a n hatte das Gefühl, hier solle eine Pression ausgeübt werden. Die äußere Form war ganz ungewöhnlich 2 . Der größere Teil der Vorläufigen Kirchenleitung / ist entschlossen mitzuarbeiten 3 . W i r sind auch dahin entschlossen, daß wir mit dem Reichskirchenausschuß zu überlegen bereit sind über die Form und das M a ß dieser Mitarbeit. Schwierigkeiten werden genügend auftauchen. Beschlüsse von Dahlem 4 . Auf der anderen Seite ist uns das nichts Neues. W i r haben bei gemeinsamen Sitzungen schon oft Verschiedenheiten zwischen uns vorliegen. Dahlem III, 3. Es ist unmöglich, wenn auf der einen Seite Dahlem mit allen Konsequenzen vertreten wird auch hinsichtlich solcher Punkte, die in der Erfahrung als unmöglich bezeichnet wurden, [und] wenn auf der anderen Seite eine klare Erkenntnis über die Unmöglichkeit der Exerzierbarkeiten von Dahlem III, 3 besteht. Das ist im letzten Grund die Not, die uns belastet. W i r müssen uns also mit ganzem Ernst vor die Frage stellen: Wozu verpflichtet uns die Wahrhaftigkeit? Was soll werden, was geschieht, wenn wir jetzt auseinanderfallen? Segen kann uns nur zufließen, wenn 1 Vgl. den Bericht über den Empfang der VKL I bei Kerrl am 27. November 1935 (K. D. S C H M I D T , Dokumente II, S . 83-90). 2 Vgl. E B D . 3 Gemeint ist, daß außer Humburg alle anderen Mitglieder der VKL I bereit waren, an dem „Befriedungswerk" des Reichskirchenministers mitzuarbeiten. 4 Es handelt sich um die Beschlüsse der zweiten Bekenntnissynode DEK vom 20. Oktober 1934 mit der Proklamation des kirchlichen Notrechts in Abschnitt III ( H . B R A U N / C . N I C O L A I S E N , Verantwortung 1, S. 455 f.). Vgl. auch oben Dok.2, Anm. 8.
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wir uns in der Vertretung der Wahrheit durch nichts beirren lassen. Uns liegt daran, daß eine Lösung gefunden wird, die der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht. Es mag unsere Schuld sein, daß in vielen Fällen zugedeckt ist, was nicht hätte zugedeckt werden dürfen. Breit verliest den Brief, den die Vertreter der zerstörten Kirchen an die Vorläufige Kirchenleitung / geschrieben haben 5 . Müller: Lage in Preußen. 22. November 1935 Besprechung zwischen dem Rat der Kirche der altpreußischen Union und dem Reichskirchenausschuß 6 . Die Unterredung suchte die grundsätzliche Frage zu klären. Gleichberechtigung von zwei Gruppen in der Kirche. Wahrung des Bekenntnisanliegens. Frage der Prüfungen. Inzwischen bemühte sich der Minister [Kerrl], seine Provinzialkirchenausschüsse zu bilden. 23. November Besprechung der ausersehenen Personen im Dienstgebäude Jebensstraße 7 . Die Auswahl der Vertreter der bekennenden Kirche erfolgte ohne Benehmen mit den Organen der bekennenden Kirche. Kerrl sagte bei der Besprechung 8 : [„]Als ich meinen Auftrag übernahm, hatten beide Gruppen in der Kirche die Notwendigkeit gefühlt, den Staat zu bitten, Ordnung zu schaffen. Die, die miteinander im Kampf liegen, sind nicht Vertreter des Neuen, das werden will. Der Kampf ist eine Notwendigkeit. Hitler hat uns von neuem geboren werden lassen, weil er, was wir erfühlten, mit der Vernunft erfaßte. Er gab uns ein Programm, das Gott in unser Blut gegeben hat. Er fühlte sich verpflichtet, sich einzusetzen für die neue Gemeinschaft im Volk. Das wurde zu einem Glaubensbekenntnis, das nicht nur der Form nach aus Worten besteht, sondern den Menschen zu einem völlig neuen Menschen macht. Der Mensch handelt nur dann richtig, wenn er die Verbindung mit Gott erfaßt. Die 300 9 starben mit dem Namen
5 Vgl. das undatierte Schreiben der „Arbeitsgemeinschaft der Kirchen mit staatlich nicht anerkanntem Kirchenregiment" an die VKL 1, in dem darauf hingewiesen wurde, daß trotz der Einsetzung der Kirchenausschüsse „die Vorläufige Leitung sich auf keine Weise hindern lassen dürfe, ihr kirchenregimentliches Amt auszuüben" (K. D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 98). 6 Bei W. NIEMÖLLER, Handbuch, S. 141 ist eine Besprechung des altpreußischen Rates mit dem L a n d e s k i r c h e n a u s s c h u β erwähnt; vgl. dazu auch W. NIESEL, Kirche, S. 87 f. 7 Die Verhandlungen fanden am 2 7. November 1935 im Gebäude des Evangelischen Oberkirchenrates in Berlin-Charlottenburg, Jebensstr. 3 statt. Vgl. den Bericht des altpreußischen Bruderrates vom 28. November 1935 (K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 7 6 - 8 3 ; vgl. auch W . NIESEL, K i r c h e , S . 9 0 F . ) .
8 Müller verlas Sätze, die offensichtlich während des Empfangs bei Kerrl notiert wurden; sie finden sich mit einigen Abweichungen in dem oben in Anm. 7 genannten Bericht. 9 Vgl. hierzu die Mitte Oktober 1936 veröffentlichte „Ehrenliste der gefallenen Kämpfer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" mit rund260 Namen fur die Zeit von 1923
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Hitlers auf den Lippen. ,Sie sollen leben, ob sie gleich stürben.' 10 Die Wandlung des Volkes hat begonnen, sie muß erfolgen von innen heraus. Auch die Kirche muß sich wandeln und neu werden. Nicht Sie, meine Herren, haben es verstanden, die Kirche zu wandeln und das Volk zu ändern. Sehen Sie den positiven Kern in dem Wollen der Deutschen Christen, die von der Theologie nichts verstanden haben! Die Deutschen Christen wollen nicht eine Wandlung des Bekenntnisses, sondern neue Menschen. Man sagte mir, daß die evangelische Kirche die Stunde nicht erfaßt hat. Ich nehme es auf mich, die Kirche zu wandeln. Es wird aus Bekenntnisfront und Deutschen Christen ein neuer Mensch entstehen. Der Staat denkt nicht daran, Zwang auf Ihre Gewissen auszuüben. Es kann uns nichts liegen an einer aus Zwang entstehenden Kirche, sondern nur an einer Kirche, die aus Glauben und Uberzeugung entsteht. Ich werde mich nicht um die inneren Dinge der Kirche kümmern, aber ich muß Menschen haben, welche das Neue in der Kirche wollen werden. Wenn die bekennende Kirche nichts wollte, als den Aufbau zu schaffen, dann wäre sie mit fliegenden Fahnen zu mir übergegangen. Ich lasse mein Werk nicht an der Böswilligkeit anderer Leute scheitern. Ich muß den Zuständen in Preußen ein Ende machen. Gott ist ein Gott der Ordnung. Der Staat geht nicht unter, wenn ein paar Pfarrer dumme Reden führen. Unsere Aufgabe kann uns letzten Endes nur durch den Führer [ H i t l e r ] bestimmt werden. ["] Dr. Böhm gab eine Erklärung im Namen der Glieder der bekennenden Kirche ab 11 : [,,]Die Mitglieder der bekennenden Kirche sind nach wie vor bereit, an einer echten Befriedung mitzuwirken. Ehe wir in Besprechungen der einzelnen Provinzial&zVrAewausschüsse eintreten, müssen gemeinsame Fragen geklärt werden: 1. Wir bitten um Erklärung über die Befugnisse der Provinzialkirchenausschüsse. 2. Der bekennenden Kirche sollen die kirchenregimentlichen Befugnisse entzogen werden. Wir erklären, daß wir nach wie vor ... 12 als die allein rechtmäßige Leitung ansehen können. 3. Beabsichtigt der Minister, in den altpreußischen Provinzen eine ähnliche Regelung durchzuführen wie in Sachsen? (Wiedereinsetzung von Coch)["] 13 . bis 1935 ( V O B 1 DER REICHSLEITUNG DER N S D A P ; F o l g e 1 0 6 , 1 9 3 5 , S . 3 2 1 - 3 2 4 ; vgl. H.VOLZ, D a t e n , S . 7 2 ) .
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auch
Vgl. Johannes 11, 25: „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe." Vollständiger Text: K. D. SCHMIDT, Dokumente II, S. 80 f. Text verderbt. Zu ergänzen „die Leitung der Bekennenden Kirche" (EBD.). Kerrl hatte in Sachsen Coch zunächst ausgeschaltet und die Bildung eines Landeskirchenatisschusses unter Einschluß der Bekennenden Kirche und der Mitte betrieben, dann jedoch Coch unter dem Druck der Deutschen Christen in seiner — gesetzlich eingeschränkten — Stellung ab Landesbischof belassen. Vgl. §3 der „3. DVO des Gesetzes zur Sicherung der DEK" vom 21. November 1935 (GB1DEK 1935, S. 121) und K. MEIF.R, Kirchenkampf 2, S. 350 ff.
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Als Böhm die vierte Frage stellen wollte, erklärte Kerrl, die Kirchenleitung ruht bei den Kirchen Ausschüssen·. Ich lasse mir nichts vorschreiben. 14 Mitglieder gingen nicht in die Kirchen Ausschüsse. Abgabe einer Erklärung 1 4 . Die vierte Frage, die Böhm stellen wollte, war, ob es wahr wäre, daß die Berufung der Mitglieder der A7r 1936, S. 306—316. 16 Vgl. dazu das Schreiben Breits an Bodelschwingh vom 5. November 1936 ( H A BETHEL, 2 / 3 9 N r . 64) und oben Dok.29, Anm. 28. 17 Vgl. dazu oben Dok.28, S.243. Zur Geschichte der Veröffentlichung der Denkschrifi im Ausland und der Beteiligung Weißlers und Tillichs vgl. E. C . HELMREICH, Veröffentlichung; M.GRESCHAT, Widerspruch, S. 1 7 1 - 1 7 4 . Vgl. dazu auch unten Dok.37, S.378. 18 Zu diesen Stichworten vgl. unten S. 322. 19 Vgl. dazu besonders die Sitzung des Reichsbruderrates am 3. August 1936, auf der ζ. B. Middendorfhervorgehoben hatte, daß die VKL II den Lutherrat nicht als gleichberechtigtes Organ anerkennen könne (Protokoll und Bericht Presseis: L K A STUTTGART, D 1/140). 2 0 Vgl. EBD., wonach sich von Rabenau, von Thadden und von Soden kritisch zum derzeitigen Kurs der VKL II äußerten.
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N o t in Thüringen, Mecklenburg, Lübeck 21 . Dieser N o t gegenüber befinden sich alle anderen Kirchen geradezu in einem Friedenszustand. Deshalb müssen wir uns mit doppeltem Eifer der N o t der Brüder dort annehmen. Das Ergebnis unserer Beratungen muß dahin zielen, daß wir in konkreter Form diesen Kirchengebieten personelle und finanzielle Hilfe in Aussicht stellen. Notbischöfe! 22 Marahrens: Bericht über die Tagung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents 23 . Meiser: Ergänzt durch Meiser 24 . Marahrens: Bericht über Dänemark 25 . Pfarrer Bogner: Bericht über den Reichsbruderrat. Fall Weißler-Ernst Tillich. Vorläufige Kirchenleitung II hat ihr Verhältnis zu Weißler am 29. Oktober 1936 mit sofortiger Wirkung gelöst 26 . Breit teilt Näheres über den Besuch von Präses Koch in München mit 27 . Er wußte damals noch nicht, daß Weißler verhaftet sei 28 . Er hatte kurz zuvor dem Herrn Reichskanzler [Hitler] einen Eid dafür angeboten, daß die Vorläufige Kirchenleitung II in keiner Weise mit der Veröffentlichung 29 in Verbindung zu bringen sei. Der Lutherrat hat trotz wiederholter Bitten keine Aufklärung erhalten 30 .
21 D.h. in den deutsch-christlich regierten Kirchen. Vgl. dazu die Voten unten S. 323; 325 und Anhang, S. 573-590. 22 Breit stellte die Frage, ob es in diesen Kirchen zur „Einsetzung von Notbischöfen, autorisiert durch die Bischöfe des Lutherrates" kommen sollte (G 3, S. 21). Die Bekenntnisgemeinschaft tn Lübeck hatte sich bereits im Herbst 1934 Marahrens als „Notbischof ' unterstellt (K. F. REIMERS, L ü b e c k , S. 1 4 2 f . ) .
2 3 Vgl. oben Dok. 30. 24 Vgl. dazu die Stichworte, die Meiser im Wachstuchheft IV, S. 547 unten notierte: „Lutherischen Bischofsgedanke. Unionsbestrebungen. Einigungsverhandlungen. Ö k u m e n i s c h e Frage [zwei Wörter unleserlich]. Prozentuales W a c h s t u m der lutherischen Kirchen stärker als das W a c h s t u m der Bevölkerung." 25 Die dänische lutherische Volkskirche beging in der zweiten Oktoberhälfie 1936 die 400-Jahr· feier der Einfuhrung der Reformation. In einem Festgottesdienst im Dom von Kopenhagen hatte Marahrens am Reformationstag die Grüße des Weltluthertums und des deutschen Luthertums überbracht (vgl. dazu JK 4, 1936, S. 1012; 1058). 2 6 Vgl. dazu oben Anm. 17. Die Sitzung des Reichsbruderrates fand am 29. Oktober 1936 in Potsdam statt {Protokoll: LKA BIELEFELD, 5, 1 Nr. 704 Fase. 1). 27 Koch war am 21. Oktober 1936 in München gewesen und hatte mit Bogner, Breit, Meinzolt und Meiser über Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen VKL II und Lutherrat gesprochen
( H . BAIER/E. H E N N , C h r o n o l o g i e , S. 1 6 2 ) .
28 Weißler war Anfang Oktober 1936 verhaftet worden (M. GRESCHAT, Widerspruch, S. 172; vgl. auch unten Dok. 37, Anm. 43). 29 Gemeint: die Denkschrift der VKL II vom 28. Mai 1936 (vgl. oben Anm. 17). 30 Vgl. auch Bretts Votum oben S. 318.
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Breit beantragt, daß die Mitglieder des Lutherrates, soweit sie Mitglieder des Reichsbruderrates sind, sich bis zur Klärung des Falles von der Mitwirkung im Reichsbruderrat fernhalten 31 . Bogner ist nicht für Selbstausschluß. Er hält es für notwendig, daß die lutherischen Mitglieder des Reichsbruderrates vorläufig im Reichsbruderrat bleiben, aber eine Untersuchung gegen die Vorläufige Kirchenleitung II beantragen. Flor ist nicht dafür, jetzt unbedingt wegzubleiben. Fleisch hält Besprechung mit Vorläufiger Kirchenleitung II über neue Cooperation in diesem Augenblick für unmöglich 3 2 . Marahrens ist gegen ein Zurücklenken in frühere Wege. Unser Verhältnis zum Reichsbruderrat muß jetzt klargestellt werden. Wir müssen die Linie des Lutherrates klar verfolgen. Es liegt auf dieser Linie die einzige Möglichkeit für uns in dem Wirrwarr des Augenblicks. Breit: Unser Verhältnis zur Vorläufigen Kirchenleitung II muß ein geordnetes werden. Alle Bemühungen aber werden daran scheitern, daß die Vorläufige Kirchenleitung II den Lutherrat endlich einmal anerkennt [sie!]. Breit bittet, daß der Beschluß so lautet: Wir legen unseren Mitgliedern des Reichsbruderrates, die zu uns gehören, [nahe], den Vorsitzenden des Reichsbruderrates zu bitten, vor der nächsten Reichsbruderratssitzung die Dinge klären zu lassen. Beschluß: Der Lutherrat ist der Meinung, daß das der Vorläufigen Kirchenleitung II mitgeteilt werden muß. Bevor diese Klärung nicht geschehen ist, kann von einer Wiederaufnahme der Besprechungen zwischen der Vorläufigen Kirchenleitung II und dem Lutherrat nicht die Rede s e •i n33 ". Organisation des
Luthenztes.
31 Vgl. dazu auch oben Dok.28, Anm. 12. 32 Nach G 3> S . 2 4 folgte hier ein Votum Meisers: „Die Sache ist s e h r ernst! Die Reden Streichers und Holz' [vgl. oben Anm. 5] beschäftigen sich auch mit der Denkschrift und ihrer Veröffentlichung im Ausland. Diese Leute scheinen irgendetwas zu wissen. Bayern hat letzten Samstag [31. Oktober 1936\ sofort sein Verhältnis zur V K L II suspendiert. Der Lutherrat muß sofort dasselbe tun. Unsere Leute sollen bei der nächsten Sitzung des Reichsbruderrates erscheinen. Untersuchungsausschuß über die V K L II, zur Klärung oder auch zum Schutz der alten V K L gegen erhobene Vorwürfe [...]. Alle Beratungen im Reichsbruderrat, alle Verhandlungen zwischen Lutherrat und V K L II müssen ausgesetzt werden, bis Klärung all dieser Dinge erfolgt ist!" 33 Vgl. dazu das Votum Meisers unten S.335 und Anm. 95.
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Breit teilt mit, daß noch nicht alle Kirchenregierungen ihre Zustimmung zum Unternehmen des Lutherrates erklärt haben 34 . Geschäftsverkehr mit Reichskirchenausschuß. Es wird gebeten, daß der Schriftverkehr durch den Lutherrat gehen möchte. Zustimmungserklärungen einsenden! 35 Etat und Personalverhältnisse. Jede dem Lutherrat angeschlossene Landeskirche muß einen bevollmächtigten Vertreter in das Sekretariat des Lutherrates schicken. Es wäre wertvoll, daß es ein Mitglied des betreffenden Landeskirchenrates ist. Andernfalls ist eine Ermächtigung auszusprechen. Es ist nötig, daß ein Etat genehmigt wird insofern, als auch der Jurist und der Pressevertreter des Luther rates sichergestellt werden. Beschluß: Der Luther rat verpflichtet sich, dafür zu sorgen, daß Dr. Gauger in den Status [sie!] einer Landeskirche eingereiht wird 36 . Lutherischer Pakt. „Federführung" 37 . Vom Lutherrat aus kann am besten dafür gesorgt werden, daß die Grundtendenz des Lutherischen Paktes ausgeweitet wird auf alle lutherischen Kirchen. Dabei ist selbstverständlich, daß der zum Referenten dafür zu Ernennende die Arbeit in engster Fühlungnahme mit den Referenten der einzelnen Kirchenregierungen durchführt. Verhältnis zur ökumenischen Arbeit. Lilje. In welcher Weise kann der Luther rat an der ökumenischen Arbeit des Lutherischen Weltkonvents beteiligt werden? In welcher Weise kann der Weltkonvent an der Erfassung der übrigen Kirchen beteiligt werden? Beschluß: Die Vertretung der ökumenischen Aufgaben des Luther rates soll nebenamtlich durch Dr. Lilje ausgeübt werden. Er bleibt in dieser Eigenschaft Mitglied des Lutherrates 38 . 34 Während die bayerische Landeskirche den Lutherrat bereits am 20. April 1936 „ausdrücklich zu unserer Vertretung gegenüber der Stelle, die sich als 'Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche' bezeichnet", ermächtigt hatte - eingeschlossen die Regelung der finanziellen Beziehungen - (LKA NÜRNBERG, LKR I, 102, Rat 1936 Bd. I), standen die Zustimmungserklärungen Hannovers und Württembergs noch aus (G 3, S.26). 35 Vgl. dazu auch oben Dok. 29, S. 280. 36 Vgl. dazu auch oben Dok. 23, Anm. 12. 37 Nach G 2, S. 2 wurde erörtert, ob das Sekretariat des Lutherrates die Federjuhrung fiir die Kirchen des Lutherischen Paktes (vgl. dazu oben Dok. 23, Anm. 14) übernehmen könnte. 38 Dieses ist der zweite Teileines Beschlusses, dessen erster Teil nach G 2, S. 3 lautete: „Es besteht zwischen dem Rat der evang.-luth. Kirche Deutschlands und den deutschen Mitgliedern des Exekutiv-Komitees des luth. Weltkonvents Einverständnis darüber, daß der luth. Weltkonvent den Rat der ev.-luth. Kirche Deutschlands als die für ihn zuständige Vertretung der lutherischen Kirchen in Deutschland anerkennt."
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Zusammenschluß des Luther rates mit den kirchlichen
Werken.
Fleisch: Angeschlossen an den Lutherrat sind: Neuendettelsau39, Martin Luther-Bund40. Leipzig möchte gerne in Zusammenhang kommen 41 . Mit der Inneren Mission42 sind wir noch nicht vorwärtsgekommen. Die Formel für den Anschluß soll lauten: „Der Verband ... erkennt den Rat der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands als die für ihn in Betracht kommende kirchliche Leitung an, unbeschadet seines Verhältnisses zu einer bestehenden Landeskirche und seiner bisherigen Selbständigkeit . . . " Vertretung im Lutherrat. Frage der Heranziehung von Referenten. Außere Mission: Ihmels. Innere Mission: ? Diasporapflege: Ulmer. Beschluß: Zunächst soll der Sachbearbeiter (Fleisch) ermächtigt werden, die Genannten zu Beratungen beizuziehen43. Gauger: Wahlrechts- und Verfassungsfragen. Stellungnahme zum Entwurf der Vorläufigen Kirchenleitung II „Zur Neugestaltung der Kirche"44. Die entscheidende Frage ist die: „Wird der unterliegende Teil das Wahlergebnis anerkennen?"45 39 Vgl. das Schreiben der — 1853 in Neuendettelsau gegründeten — „ Gesellschaft für Innere und Außere Mission im Sinne der lutherischen Kirche e. V. " an den Lutherrat vom 5. September 1936 mit der Bitte um „entsprechende Eingliederung" ( L K A H A N N O V E R , D 1 5 I Nr. 5 1 ) . 40 Vgl. oben Dok. 29, Anm. 136. 41 Die seit 1848 in Leipzig beheimatete Evang. -luth. Mission (Leipziger Mission) hatte schon im Sommer 1936 zu verstehen gegeben, daß sie sich dem Lutherrat weder unterstellen noch eingliedern könne (Schreiben Ihmels' an Fleisch vom 20. Oktober 1936: LKA H A N N O V E R , D 15 I Nr. 17). Fleisch schlug Ihmels in seinem Antwortschreiben vom 9. November 1936 folgende Formel vor: „Die Evang.-luth. Mission zu Leipzig erkennt für sich den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands als die für sie in Deutschland in Betracht kommende kirchliche Leitung an, unbeschadet ihrer sonstigen Selbständigkeit, sowie vorbehaltlich einer späteren grundsätzlichen Regelung des Verhältnisses von Kirche und äußerer Mission überhaupt" ( E B D . ) . 42 Einzelheiten nicht ermittelt. 43 Nach G 3, S. 26 sollten je ein Vertreter der Inneren Mission, der Heidenmission und des Martin Luther-Bundes „gelegentlich zusammengeholt werden." 4 4 Vgl. H . B Ö H M / O . D I B E L I U S , Neugestaltung. 45 Neben der VKL II hatte auch der RKA einen Entwurf fur eine neue Kirchenverfassung vorgelegt (vgl. Mbl 1936, Nr.6J. Dazu sagte Gauger nach G 3, S. 26: „Schwerste Bedenken gegen eine allgemeine Kirchen wähl in ganz Deutschland. Wird der bei einer Wahl unterliegende Teil das Ergebnis anerkennen? Müller-Dahlem sagt: Nein; denn was bekenntniswidrig ist, ist auch rechtswidrig! Dann ist die Wahl natürlich sinnlos. — Wahlliste: eine
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Beschluß: Sitzung der landeskirchlichen Juristen soll einberufen werden. Fortsetzung
6. November
1936
Dr. Beste-Mecklenburg: Bericht. 250 Pfarrer von 400 im lutherischen Pfarrerkreis, der sich aus den Pfarrern der Bekennenden Kirche und aus den Pfarrern der Mitte zusammensetzt. Vertrauensrat, Hinneigung zum Reichskirchenausschuß 46 . Antrag: Es soll den mecklenburgischen Landessuperintendenten mitgeteilt werden, daß die kirchlich legitime Leitung der Kirche vom Lutherrat aus der Bruderrat ist47. Prüfungsfrage. Dazu ist die Mitarbeit der Landessuperintendenten nötig. Der Oberkirchenrat Schwerin hat sich in letzter Zeit zu Thüringen gestellt. Es sei nicht ein Bündnis in Bezug auf die theologischen Anschauungen, sondern ein kirchenpolitischer Zusammenschluß. Der Bruderrat sammelt die geistlichen Kräfte der Gemeinde. Viele Deutschkirchler 49 , die mit dem Bekenntnis längst nicht mehr im Einklang stehen! Taufen nicht mehr auf den dreieinigen Gott, sondern: Ich taufe dich, indem ich das Zeichen des Kreuzes über dich mache, das Zeichen der Art unseres Volkes. Taufe auf die Volksgemeinschaft. Taufe auf das Edle im Menschen. Bündnis zwischen der DC-Gruppe und der deutschkirchlichen Gruppe. Der Oberkirchenrat Schwerin erklärt, daß er den Ordnungsauftrag des Reichskirchenausschusses anerkenne, aber keine theologischen und Bekenntnisfragen dürfen erörtert werden. Dringende Bitte um Unterstützung durch Gottesdienste 50 . Die Ursache der Schwierigkeiten liegen darin, daß sich die politischen Stellen so fest gestellt [sie!] haben. Die Kirchenregierung betont immer: Wir sind nicht DC-Kirchenregierung, sondern wir sind nationalsozialistische Kirchenregierung.
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Hälfte wird gestrichen als kirchlich unzuverlässig, die andere (seitens des Ortsgruppenleiters) als politisch untragbar, so daß schließlich niemand mehr übrig bleibt. Ein totaler Staat kann eine Wahl mit all ihrem Risiko gar nicht zulassen; denn hier könnten sich Kräfte regen, die die Partei dann als Niederlage empfinden würde! Denn sind es wirklich geheime Wahlen, dann könnte es Überraschungen geben." Der Vertrauensrat (vgl. oben Dok. 28, Anm. 39) beabsichtigte, in Mecklenburg die kirchliche Leitung auszuüben (vgl. das Schreiben Bestes an den Lutherrat vom 22. September ¡936: LKA HANNOVER, D 15 I Nr. 79). Dies stand allerdings im Gegensatz zur Auffassung des Lutherrates, für den der Bruderrat das allein kirchlich berechtigte Kirchenregiment war (vgl. auch unten Anm. 53). Vgl. EBD. D. h. zu den Thüringer Deutschen Christen; vgl. dazu auch unten Anm. 55. Anhänger des 1921 gegründeten „Bundes fiir Deutsche Kirche", der ein „nordisch-arisches Christentum "propagierte. Nach G 2, S. 5 erklärten sich Marahrens und Meiser bereit, „nach Kräften den mecklenburgischen Amtsbrüdern mit ihrer Anwesenheit zu helfen".
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Dr. Geiger ergänzt den Bericht durch persönliche Eindrücke, die er auf einer Reise durch Mecklenburg gewonnen hat. Großkundgebung in Güstrow durch die Deutschen Christen51. 200 Besucher. „Was Christus einst gelehrt [und] gelebt, das wird lebendig heute wieder in dem Einen [gemeint: Hitler}." Ansprache von Kentmann: Die Bekennende Kirche hätte das Gotteshaus in Güstrow geschändet. Drei Telegramme an Reichsstatthalter [ Hil d e b r a n d t] mit der Bitte um Schutz der Deutschen Christen vor den unerhörten Angriffen der Bekennenden Kirche in Mecklenburg. Die völlige Unwahrhaftigkeit der Deutschen Christen wird von vielen einfach nicht verstanden. Schwindendes Vertrauen gegenüber Partei und Staat, weil nichts geschieht. Die Geistlichen sind zum Teil aus ihrer eigenen Kirche entfernt, halten aber Gottesdienste in Pfarrhäusern. Die nicht theologisch ausgebildeten DC-Pfarrer lassen die Gemeinde verwahrlosen. Die Gebäude verludern. [Sie] diffamieren die rechtmäßigen Pfarrer [und] entziehen bei Beerdigungen das Geläute. Die Leute fragen: Sind wir denn ganz verlassen? Die zur Bekennenden Kirche haltenden Gemeindekreise bleiben treu. Die Deutschen Christen orientieren sich rein politisch. Die dazwischen stehenden Leute sind bedenklich, sich gegen den Oberkirchenrat Schwerin zu entscheiden, und sinken in die Unkirchlichkeit ab. Besonders bedeutend ist das, was die Gemeinden über die sog. Schmalspurtheolog^« gesagt haben. Einer von ihren rühmt sich, daß er seinem Amtsbruder eine ins Gesicht geklebt hat, daß er die Gemeindeglieder als „Betziegen" bezeichnet hat. Er ist nicht einmal der deutschen Sprache mächtig. In den ländlichen Stellen ist immer noch ein kleines Fünkchen von Vertrauen nach Berlin hin. Fleisch: Antrag: [,,]Mit Rücksicht darauf, daß nach bestimmten Berichten mecklenburgische Pfarrer die Taufe nicht mehr rite vollziehen, stellen die im Lutherr&t zusammengeschlossenen Kirchen fest, von mecklenburgischen Pfarrern vollzogene Taufen nur noch anzuerkennen, wenn der Bruderrat bestätigt, daß sie einsetzungsgemäß vollzogen sind.["] Der Antrag soll an den Reichskirchenausschuß gerichtet werden 52 . Breit stellt die Bereitwilligkeit der Bischöfe, nach Mecklenburg zu kommen, fest. Es wird festgestellt, daß der Bruderrat die kirchenregimentlichen Befugnisse ausübt und nicht der Vertrauensrat. Endlich Schreiben an die Landessuperintendenten 53 . 51 Vgl. dazu auch G 3, S. 27. 52 Vgl. das entsprechende Schreiben des Lutherrates an den Reichskirchenausschuß vom 9. November 1936 {K. D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 1149). 53 Das Schreiben wurde am 20. November 1936 ausgefertigt und lautete: „Wie Sie wissen, erkennen wir den Bruderrat der bekennenden lutherischen Kirche in Mecklenburg als das allein kirchlich berechtigte Kirchenregiment in Mecklenburg an und bemühen uns mit aller Kraft, diese Anerkennung auch beim RKA durchzusetzen. Schon um den Erfolg
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Otto: Bericht über Thüringen. Reichstagung der Deutschen Christen im Oktober 1936 in Thüringen verlief ziemlich bedeutungslos 54 . Der Landeskirchenrat in Eisenach ist mit dem Reichskirchenministerium höchst unzufrieden, weil es gar nichts tut. Neuerdings erklärt der Landeskirchenrat, er würde jetzt ohne Rücksicht auf die staatlichen Stellen seinen Weg gehen. Gesetzesvorlage, daß sämtliche Pfarrer, die dem Landeskirchenrat nicht gehorchen, ohne Verfahren und Gehalt entlassen werden könnten. Die Sache ist noch zu entscheiden. Jetzt wird von den Thüringern aus mit den anderen deutschchristlich regierten Landeskirchen ein Zusammenschluß nach dem Vorbild des Lutherrates herbeizuführen versucht 55 . Ordnungsstrafe von 300 RM für Pfarrer Otto, weil er eine Ordination hielt. Eigenes Büro für das DC-Gericht. Man sagt, daß Oberheid vom Landeskirchenrat übernommen wird. Jedenfalls spielt er eine besondere Rolle. Bitte um Abstellung eines Theologen für die Betreuung der Jenaer Studierenden und zur Schulung der Pfarrer. Bekenntnisgemeinschaft 150 Pfarrer = 20 %. Mitte 200 Pfarrer, theologisches Gemisch. Der Reichskirchenausschuß soll erklären, daß er noch zu seiner Erklärung im Mitteilungsblatt 56 steht. Er soll die Ordnungsstrafe von 300 RM für Pfarrer Otto zahlen. dieser Bemühungen nicht zu gefährden, bitten wir Sie, einem Beschluß der 8. Vollsitzung des LutherxMs zufolge, sich auf den gleichen Standpunkt zu stellen und nur durch oder zum mindesten nicht ohne das Einverständnis des Bruderrates Verhandlungen mit dem RKA und anderen Stellen zu führen. Wir verstehen es, wenn Sie gegen diese Zumutung aus kirchenrechtlichen, Ihre Amtsstellung betreffenden Gründen Bedenken haben, halten es aber für dringend erwünscht, daß Sie dieselben zurückstellen. Die Geschlossenheit Ihrer Kirche, soweit sie nicht durch die DC zerstört ist, muß unter allen Umständen gesichert w e r d e n " ( L K A HANNOVER, D 15 I N r . 7 9 ) .
54 Nach einem Schreiben Bauers an Duensing vom 19. Oktober 1936 hatte die Polizei eine öffentliche Kundgebung im Rahmen der Tagung am 5- Oktober 1936 verboten; auf der geschlossenen Pfarrertagung waren lediglich 300 Pfarrer aus dem ganzen Reich vertreten ( L K A HANNOVER, Ν 4 8 N r . 1 1 9 H ) .
55 Die deutschchristlich regierten Kirchen von Anhalt, Bremen, Lübeck, Mecklenburg und Thüringen, die Kirchenbewegung DC (Nationalkirchliche Bewegung) und weitere DC-Gemeinschaften hatten bereits am 26. Oktober 1936 angekündigt, daß sie sich zum „Bund fur Deutsches Christentum " zusammenschließen und eine Bundesordnung geben wollten. Dieser Zusammenschluß sollte am 10. November 1936 auf der Wartburg feierlich verkündigt werden (K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S. 1140-1143). Zur tatsächlichen Zusammensetzung des Bundes vgl. K.MEIER, Deutsche Christen, S.337, Anm.538. 56 Vgl. die Erklärung des Reichskirchenaussschusses vom 16. Juli 1936 „Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage" (MBI 1936, S.9-13; K.D.SCHMIDT, Dokumente II, S.861-870). In dieser Erklärung hatte der Reichskirchenausschuß die kirchenregimentliche Tätigkeit der Bruderräte von Mecklenburg und Thüringen fur die ihnen unterstehenden Geistlichen „für die Dauer des Notstandes" anerkannt (Zitat Ebd., S. 865). Vgl. auch oben Dok. 29, Anm. 87.
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Besonders wird um Abstellung eines Theologen für Jena gebeten. Breit: Wir können die uns gestellte Aufgabe nicht in die Hand der zünftigen Theologen legen. Beweis: Theologische Tagung in Bethel57. Ein Consensus war schlechterdings nicht möglich. Dasselbe zeigte sich bei der theologischen Zusammenkunft, die Herr von A r n i m - K r ö c h l e n d o r f f im Rahmen des lutherischen Konvents von Oeynhausen einberufen hatte58. Es ist wichtig und unerläßlich, daß wir als Vertretung der Kirche ganz klar das sagen, was die Kirche, die an ihr Bekenntnis gebunden ist, heute zu sagen hat. Weil sie etwas zu sagen hat, hat sie auch das Recht zu fordern und zu führen. Sie erhebt den Führungsanspruch immer nur im Blick auf die Kirchen gleichen Bekenntnisses. Lilje schlägt als Theologen für Jena vor Berger, Walter, Brunner, Pfarrer Dorsch in Thüringen, Pastor Schomerus-Hannover. Breit berichtet über eine Aussprache mit Zoellner. Zoellner hat versprochen, daß eine erneute Bestätigung der beiden Bruderräte in Mecklenburg und Thüringen59 dadurch erfolge, daß in Mecklenburg das jüngste Kirchengesetz des Landesbischofs60 für ungültig erklärt wird und daß die kirchlichen Rechte des Landesbruderrates in Thüringen erneut bestätigt werden. Der Bekenntnisstand wird [Text bricht
ab],
Stoll: Bericht über Lübeck. Die Bekennende Kirche Lübecks hat am 10. [muß heißen: 20.] September d. J. dem Bischof Balzer die geistliche Leitung abgesprochen, aber in Verwaltungsgeschäften die Beziehungen zu ihm aufrechterhalten61. Nachdem aber Balzer dem Amtsblatt des Mecklenburger Oberkirchenrates beigetreten ist [«V/]62, hat die 57 Eine Theologische Arbeitstagung des Lutherrates, die zunächst vom 15• bis 18. Oktober 1936 auf Schloß Stedten bei Erfurt stattfinden sollte, wurde tatsächlich vom 22. bis 24. Oktober 1936 in Bethel abgehalten. Sie hatte sich zum Thema gestellt, die Barmer Theologische Erklärung von 1934 (vgl. H . B R A U N / C . NICOLAISEN, Verantwortung I, S . 4 5 0 - 4 5 3 ) am lutherischen Bekenntnis zu prüfen. Vgl. dazu)K 4, 1936, S . 998 f.; C. STOLL, Arbeitstagung; H . L U D W I G , Iwand, S. 298 f. 58 Diese Tagung fand am 30. Oktober 1936in Berlin statt (Einladung von Arnim-Kröchlendorffs vom 8. Oktober 1936: L K A KIEL, N L Wester 65). 59 Vgl. oben Anm. 56. 60 = „Gesetz zur Sicherung der Ordnung in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Mecklenburgs" vom 27. Oktober 1936 (vgl. N. BESTE, Kirchenkampf, S. 346). In diesem gegen die Bekennende Kirche gerichteten Gesetz wurde die Ausübung von Amtsbefugnissen, die nicht durch landeskirchliche Bestimmungen oder vom Oberkirchenrat Schwerin übertragen waren, ausdrücklich untersagt. 6 1 Vgl. K . F . R E I M E R S , Lübeck, S.252; K . M E I E R , Kirchenkampf 2, S.258. 62 Auf die zumindest partielle Anerkennung kirchenregimentlicher Tätigkeit der Bruderräte von Thüringen und Mecklenburg durch den Reichskirchenausschuß (vgl. oben Anm. 56) hatten die
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Bekennende Kirche sich auch in verwaltungsmäßiger Beziehung von Balzer gelöst. Was in Lübeck an kirchlicher Substanz vorhanden ist, steht hinter der Bekennenden Kirche. Marahrens schlägt vor, daß in Lübeck eine Sitzung des Lutherrates gehalten wird, bei der auch die Gemeinde zu größeren Veranstaltungen herbeigezogen wird. P u n k t 7 der Tagesordnung: Der Lutherrat, schuß, die Vorläufige Kirchenleitung II.
der Reichskirchenaus-
Breit: Von mancher Seite wird heute bereits vorgeschlagen für den Fall, daß der Reichskirchenausschuß an seiner O h n m a c h t , die seine einzige Beharrlichkeit und Beständigkeit darstellt, fällt [Text verderbt]. Hier glaubt m a n uns nahelegen zu sollen, daß dann ein ganz neues Gremiu m herausgestellt wird. „Ministerium der Köpfe" 6 3 . W i r k ö n n t e n nichts Schlimmeres und D ü m m e r e s begehen. W e n n wirklich der Reichskirchenausschuß fällt, dann m ü ß t e n wir uns bei der Überlegung darauf, was d a n n geschehen soll, auf die Tatsache beschränken, daß der Lutherrat da ist. Bis dieser Augenblick k o m m t , besteht unsere einzige Aufgabe darin, daß wir bis dahin sehr stark sind. Die lutherischen Kirchen m ü ß t e n jetzt alsbald einen M a n n suchen, den sie z u m Bischof kreieren. An diesem würde urbi et orbi 6 4 klargemacht werden, daß die einige lutherische Kirche eine ernste Sache ist. Sie ist keine U n t e r n e h m u n g auf Zeit. Sie ist nicht die Überbrückung eines kirchlichen Vakuums, das wieder zurückgenommen wird, wenn einmal die O r d n u n g wiederhergestellt ist. Es m ü ß t e hier die Welt sehen können, daß hier ein Entschluß am Werke ist, der sich um keinen Preis aufhalten läßt auf seinem Weg der Verwirklichung dessen, was in weiter E n t f e r n u n g geschehen wird. Es wäre das nicht bloß eine formale, sondern eine sachliche Förderung unserer Sache. Ich glaube nicht, d a ß der Reichskirchenausschuß in den allernächsten Tagen fallen wird. Er wird den Versuch machen, den auch von ihm beobachteten Vertrauensschwund dadurch zu paralysieren, daß er sich zu einer tapferen Tat
DC-KirchenUitungen von Mecklenburg und Lübeck im August 1936 mit dem Abdruck eines gleichlautenden Protestes „Wohin steuert der Reichskirchenausschuß?" in den Amtsblättern reagiert (vgl. K. MEIER, Kirchenkampf 2, S. 256 f.; K. F. REIMERS, Lübeck, S. 233 ff.; 280 f.; vgl. dazu auch unten Dok. 48, Anm. 48). 6 3 Einen derartigen Vorschlag hatte offenbar Meinzolt gemacht. Danach sollten neue Männer unter dem Vorsitz Bodelschwinghs „das Interesse der in der D E K verfassungsrechtlich zusammengeordneten Kirchen besser und wirkungsvoller vertreten" (vgl. das Schreiben Bretts an Bodelschwingh vom 5• November 1936: H A BETHEL, 2/39 Nr. 64). Vgl. dazu auch unten S. 331. 64 = der Stadt (Rom) und der ganzen Welt.
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aufschwingt. Er muß versuchen, sich einen neuen Kredit zu verschaffen. Er wird also, mobil gemacht durch den Arger über den Empfang Faulhabers beim Führer [Hitler] 6 5 , um jeden Preis darauf dringen, daß Zoellner der Weg zum Führer ebenfalls erschlossen wird66. Wir wären imstande, den Reichskirchenausschuß heute noch unmöglich zu machen. Zoellner wurde an den 7. August 193$7 erinnert durch Fleisch, und Zoellner [ Text bricht ab]. Die Landeskirchen haben auf die Verlesung des Wortes vom 23. August verzichtet auf die Zusage, daß Zoellner selbst einen Schritt beim Führer tun wird69. Zoellner ist nur bis zu Meissner vorgedrungen70. Zoellner beschwert sich darüber, daß zu wenige hinter ihm stehe«. Es müßten die Kirchen ihr Vertrauen aussprechen, dann erst könnte er für sie eintreten. Würde Zoellner kirchlich handeln, dann würde er Vertrauen finden. Würde er ein wirklicher Führer sein, dann würde er auch Gefolgschaft finden. Dazu müßte er beim Staat das Existenzrecht der christlichen Kirchen und die Freiheit der Verkündigung durchsetzen. Durch einen Rücktritt, der nicht durch den Lutherrat veranlaßt sein soll, müßte etwas geschehen. Es wird von Zoellner gefordert, daß er die von uns am 7. August erbetene Aktion nunmehr durchführt71. Es wurde veranschaulicht an Mecklenburg und Thüringen. Es gab die verpflichtende Zustimmung, daß innerhalb der nächsten 14 Tage die Entscheidung gesucht werden soll. „Der Wechsel wird noch einmal um 14 Tage prolongiert." Es wäre Breit lieber, wenn das persönliche Wort an Zoellner, verstärkt durch die Zustimmung des Lutherrates, wiederholt werden könnte. Es wäre aber auch gut, wenn
65 Vgl. oben Anm. 3. 66 Vgl. dazu auch die Äußerung Johnsens: „Ich bin wiederholt gefragt worden, was der Besuch Kardinal Faulhabers beim Führer zu bedeuten habe. Ich kann darauf leider keine Antwort geben, da ich selbst nicht Bescheid weiß. Es wäre freilich der Wunsch aller staatstreuen Protestanten, wenn nun auch der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses, Generalsuperintendent D. Zoellner, vom Führer in Audienz empfangen würde" (Braunschweiger Bischofsbrief Nr. 8 vom 26. November 1936; abgedruckt bei D . K U E S S N E R , Landesbischof, S. 130 fr.; hier S. 132). Vgl. dazu auch unten Dok. 37, Anm. 30. 67 An diesem Tag hatte Zoellner zu einer gründlichen Aussprache an der Sitzung des Lutherrates teilgenommen; vgl. oben Dok. 28. 68 Vgl. oben Dok. 28, Anm. 6 und 18. 69 In einer Besprechung zwischen Forck und Friedrich Müller von der VKL II sowie Meiser und Presse! vom Lutherrat am 18. August 1936 hatte Meiser erklärt, er hätte sich mit Marahrens und Wurm „gegenüber D. Zoellner so gut wie gebunden, seine von den Bischöfen verlangte Aktion eines unmittelbaren Schritts beim Führer nicht durch eigene vorzeitige Schritte gefährden zu wollen" (Niederschrift Presseis: LKA N Ü R N B E R G , Personen LXXXVIII Nr. 8). 70 Nicht ermittelt. Im folgenden gibt Breit sein Gespräch mit Zoellner vom 5. November 1936 wieder, über das er auch Bodelschwingh berichtet hatte (vgl. oben Anm. 63). 71 Vgl. oben Dok. 28, S. 242; 248f.
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der Lutherrat sein Vertrauen Zoellner im Augenblick noch nicht entzöge. Wurm berichtet über die Stellung der Württemberger Regierung im Fall Georg Schneider. Der Württemberger Kultminister [Mergenthaler] erklärt, der Staat sei verpflichtet, Kirchengenossen [«V/], die gute Nationalsozialisten seien, Kirchen einzuräumen 7 2 . Wurm ist dagegen, daß dem Reichskirchenausschuß im gegenwärtigen Augenblick der Stuhl vor die Tür gesetzt wird. Zoellner hat auf 19. November 1936 e ine Kirchenführerkonferenz einberufen unter Weglassung der Kirchenführer Thüringer Richtung 7 3 . Breit: Es ist nicht unbedenklich, daß die Kirchenführerkonferenz von unseren Kirchen 7 4 unterstützt wird. Es ist zu befürchten, daß unsere guten Kirchenführer herhalten müssen, um das [Kreditmanco] der verschiedenen Landeskirchenausschüsse auszubessern. Meiser: D e m Reichskirchenausschuß muß klargemacht werden, daß der Wechsel nicht länger als 10 Tage prolongiert werden kann. Das Ansehen der Bischöfe steht auf dem Spiel und darf nicht vertan werden zugleich mit dem Ansehen Zoellners. Wir müssen uns klar werden, was geschehen soll, wenn der Reichskirchenausschuß fällt, und welches der Bau der Kirche sein soll, den wir errichten werden. Ficker berichtet über das Auftreten Wolf Meyer-Erlachs in Sachsen. Sein Vortrag 7 5 überbietet alles, was bisher gegen den Lutherrat gesagt werden könnte. Versammlungswelle in Sachsen durch Coch, Ludwig Müller usw. Coch müßte eigentlich das Einvernehmen des Landeskirchenausschusses einholen vor jedem Auftreten. Coch hat dem Reichskirchenministerium mitgeteilt, daß er sich nicht mehr an die Verpflichtung gebunden fühle, weil der Landeskirchenausschuß dem Lutherrat beigetreten sei 76 . Das Reichskirchenministerium steht der Situation ratlos gegenüber. Es hat völlig die Zügel verloren. Wie ist die Zukunft für Sachsen? Im Augenblick, in welchem der Reichskirchenausschuß fällt, ist es möglich, daß die formalrechtliche Legitimation des Landeskirchenausschusses entzogen wird. Ca. 800 Pfarrer stehen hinter dem Landeskirchenausschuß, noch nicht die Kirchengemeindevertretungen. Coch hat die Nationalkirche in Aussicht ge7 2 Vgl. den Erlaß vom 6. Oktober 1936 ( G . SCHÄFER, Landeskirche 4, S. 7 4 9 f . ) . 73 74 75 76
Vgl. dazu unten Dok. 33 und 36. D. h. von den dem Lutherat angeschlossenen Kirchen. „Luther der Ketzer" (vgl. J . FISCHER, Landeskirche, S. 158, A n m . 34). Vgl. dazu EBD., S. 6 7 , oben Dok. 26, Anm. 1 und K. MEIER, Kirchenkampf 2, S . 3 5 4 .
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stellt 77 . Es könnte sein, daß die Kirchengemeindevertretungen bereit sind, das kirchliche Eigentum in den Besitz der Nationalkirche zu überführen. Die Überleitung muß so gemacht werden, daß nicht wieder ein rechtliches Vakuum eintritt. Stoll: Es wird vom ganzen Sekretariat des Lutherrates nur schwer getragen werden, daß der Wechsel noch 14 Tage prolongiert wird. Die Männer um Zoellner sind sich über den Ernst der Lage nicht klar. Der Reichskirchenausschuß ist in Schleswig-Holstein schlechterdings gescheitert 78 . In Preußen ist er in einem ganz schlimmen Zustand. Zoellner hat keinen Kirchenführer gefragt, ehe er seinen Auftrag von Kerrl annahm. Zoellner hat nichts getan, um die Kirchenführer zu verständigen, warum er nichts getan hat. Die Verhältnisse im Reichskirchenausschuß sind unter aller Kritik. Die Spannungen sind so groß, daß der Reichskirchenaussc\\u& zu keiner Handlung kommt. Zoellner wird auch in 14 Tagen keinen Schritt weiter sein. Marahrens stimmt mit Meiser überein. Drei Überlegungen: 1. Staat. W i e steht es in diesem Augenblick mit ihm? Sollten wir nicht als Lutherrat versuchen, mit entscheidenden staatlichen Instanzen zu verhandeln? Ich halte es für ausgeschlossen. Der Staat ist im Augenblick ziemlich unsicher. Es würde aber wertvoll sein, wenn wir als Kirchenführer auf Grund persönlicher Beziehungen den führenden Männern des Staates einmal klaren Wein einschenkten. Wort über das gewissenlose Gebaren des „Stürmer" an den Staat 79 . Hier kann man nicht mehr schweigen. 2. Reichskirchenausschuß. Soll man ihn stürzen? Soll man die Hand dazu bieten? Ich kann das in diesem Augenblick nur für völlig verfehlt ansehen. W i r könnten es im Augenblick nicht verantworten. Ein Sturz des Reichskirchenausschusses hat ein Chaos zur Folge, das uns im Augenblick noch ungerüstet findet. Es muß ihm gesagt werden, daß der Wechsel noch 14 Tage prolongiert wird. Doch sollte man nur die Drohung aussprechen, die man realisieren kann. Ich würde es von der kirchlichen Lage aus für einen Fehler halten, der zu Folgen führen kann, die uns diese Tat bereuen lasssen. Ich würde jetzt noch alles versuchen, um den Reichskirchenausschuß zu stützen und ihn zu trei77 D. h. die von den Thüringer Deutschen Christen erstrebte konfessionsübergreifende deutsche Kirche. Vgl. dazu auch unten Dok. 32, Anm. 6 und 7. 78 Vgl. dazu J . B I E L F E L D T , Kirchenkampf, S . 142 f.; K . M E I E R , Kirchenkampf 2, S . 2 6 6 f . 79 Der von dem fränkischen Gauleiter Julius Streicher begründete „Stürmer" tat sich in der Hetze gegen Christentum und Kirche besonders hervor und hatte im September 1936scharfe Angriffe gegen das Alte Testament gerichtet. Vgl. dazu das Schreiben des bayerischen Landeskirchenrates an das Reichskirchenministerium vom 9. September 1936 (K. D. S C H M I D T , Dokumente II, S . 1028 f.).
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ben. Ich glaube in der Tat: Will man mit gutem Gewissen brechen mit dem Reichskirchenausschuß, dann muß man alles versucht haben. Ich will, wenn ich die Trennung von Staat und Kirche durchführe, mit einem guten Gewissen stehen. Der Reichskirchenausschuß m u ß getrieben werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Meine Tendenz ist die eine: Jetzt handelt kirchlich. Das würde bedeuten, daß Ihr nicht nach Kerrls Zustimmung fragt, sonden daß Ihr in Mecklenburg und Thüringen einfach sagt: Um der Kirche willen ordne ich an . . . Dann stellen wir uns zu ihm und können es dann. In den Gemeinden hat der Reichskirchenausschuß noch ein erhebliches Ansehen. Das Vertrauen, das noch da ist, m u ß er durch ein kirchliches Handeln rechtfertigen. Zur Kirchenführerkonferenz müßte auch Mecklenburg und Thüringen gehören 8 0 . 3. Luthertum. W i r dürfen keine Verwaltungsinstanz werden, die mit dem Reichskirchenausschuß konkurriert. Die Ausweitung auf viele Gebiete der Verwaltung belastet den Lutherrat zu stark. Der Lutherrat muß ganz geschlossen das Anliegen des Luthertums bearbeiten. Niederlegung der landeskirchlichen Grenzen, Bekenntnisse, Kultus, usw. Wir tun damit den wichtigsten Dienst, den wir als Lutherrat tun können. Eine Tat der lutherischen Kirche auf dem Personalgebiet halte ich in diesem Augenblick für ganz unmöglich 8 1 . In diesem Punkt stoßen wir auf den empfindlichsten Punkt beim Staat. Der Staat würde eine solche Kirchenverfassung mit einer persönlichen Spitze nicht noch einmal anerkennen. Ich würde nicht auf personellem Gebiet die Zusammenfassung des Luthertums durchzuführen versuchen, sondern auf sachlichem Gebiet. Deutscher Lutherischer Tag 82 . Repräsentation des Luthertums vor dem Volk und Staat. Wenn man das macht, dann aber so, daß alle Lutheraner, die unter Konfession nicht eindeutig Kirchenverwaltung sehen, als Mitglieder [nicht] ausgeschlossen werden, dann würde ein Kirchentag Bedeutung haben. W i r dürfen 80 Entsprechend wurde auf Antrag Marahrens' beschlossen, „daß die Kirchenführer ihre Beteiligung [an der Besprechung am 19. November 1936 (vgl. unten Dok. 33) ] von der Zuziehung von Pfarrer Dr. Beste und Pfarrer Otto abhängig machen sollen. Vorher kann gegebenenfalls eine Vorbesprechung der Kirchenführer veranstaltet werden, zu der auch Baden, Kurhessen, Schaumburg-Lippe eingeladen werden können" (G 2, S. 5 f. Zu dieser Vorbesprechung vgl. unten Dok. 32). — In einem Schreiben vom 7. November 1936 an den Lutherrat zog Marahrens seinen Antrag zurück, weil Zoellner lediglich die „leitenden Amtsträger der Landeskirchen" eingeladen habe. Breit antwortete am 12. November 1936, daß er keine Möglichkeit sehe, den firmlichen Beschluß zurückzunehmen (LKA H A N N O V E R , D 15 I Nr. 124). 81 Vgl. dazu auch das Votum Breits oben S. 327; im Februar 1937 verhielten sich die lutherischen Kirchenfithrer jedoch anders (vgl. unten Dok. 55, S. 544f.). 82 Vgl. dazu oben Dok. 21, S. 200, wo Marahrens ebenfalb für den Ausbau des Deutschen Lutherischen Tages plädiert hatte.
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nicht dagegen sein, wenn in der Union eine Loslösung auf ein ganz konkretes lutherisches Ziel losgeht. Ich würde jedes Zurücklenken auf die konfessionell unklare Linie, wie wir es versprochen haben, entschieden ablehnen. Hier ist nichts zu holen. Wenn wieder ein Zurückweichen erfolgt und keine Klärung, so haben wir nicht gelernt, was Gott uns hat zeigen wollen. Wir müssen auf jeden Fall innerhalb unserer Landeskirchen und unter unseren Landeskirchen die Frage des Zusammenschlusses viel ernster und energischer anfassen, als es bisher geschehen ist. Zunächst möglichst bald eine Besprechung mit Zoellner mit dem Ziel: Handle jetzt unter Umständen losgelöst vom Reichskirchenausschuß einfach kirchlich. Was die Kirchenführerkonferenz anbetrifft, so ist zu fordern, daß die Landesbruderräte zur Konferenz eingeladen werden 83 . Es ist weiter zu verlangen, daß uns die Absichten mitgeteilt werden, die mit der Konferenz verfolgt werden. Eine neue Kirchenverfassung ist schwer, wenn sie sich löst aus dem Rahmen der Deutschen Evangelischen Kirche. Zu einer völlig neuen Ä7r