Strafrechtliche Probleme: Band II. Hrsg. von Hans Lilie [1 ed.] 9783428530328, 9783428130320

Hans Joachim Hirschs 1999 erschienenem Buch über "Strafrechtliche Probleme" (KKS, Bd. 29) folgt zum 80. Geburt

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Strafrechtliche Probleme: Band II. Hrsg. von Hans Lilie [1 ed.]
 9783428530328, 9783428130320

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HANS JOACHIM HIRSCH

Strafrechtliche Probleme Band II

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Hans Joachim Hirsch · Strafrechtliche Probleme, Band II

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Claus Kreß, Cornelius Nestler J ü rg e n S e i e r, M i c h a e l Wa l t e r S u s a n n e Wa l t h e r, T h o m a s We i g e n d Professoren an der Universität zu Köln

Band 53

HANS JOACHIM HIRSCH

Strafrechtliche Probleme Band II

Herausgegeben von Hans Lilie

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 978-3-428-13032-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Grundsätzliche Fragen

Tatstrafrecht - ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?

2002 I. 1. Zu den Grundprinzipien des Strafrechts gehört, daß es Tatstrafrecht ist. Das gilt als so selbstverständlich, daß die Lehrbücher darüber zumeist nicht allzu viele Worte der Erklärung verlieren. 1 Die Strafgesetze bringen die grundsätzliche Orientierung am Tatstrafrecht (Tatprinzip) dadurch zum Ausdruck, daß sie an vielen Stellen von „Tat" oder „Straftat' 4 sprechen. Zur Abkehr vom Tatstrafrecht besteht auch kein Anlaß. Gesinnungsstrafrecht verwischt die Grenzen von Strafrecht und Moral. Der Staat reglementiert bei ihm den einzelnen bereits hinsichtlich des Denkens und der persönlichen Haltung. Angesichts des Vordringens spezialpräventiver Gesichtspunkte in Theorie und Praxis könnte eher das Täterstrafrecht in den Blick kommen. Bei ihm geht es noch um andere Gesichtspunkte als die Tätergesinnung, etwa das Umfeld und die Gefährlichkeit. Einstellung und Haltung gegenüber den strafbewehrten Normen spielen aber auch bei ihm eine zentrale Rolle. Deshalb werden Täter- und Gesinnungsstrafrecht oft in einem Atemzug genannt,2 und beide sind entweder durch strafrechtliche Tendenzen der NS-Zeit diskrediert 3 oder schon in der damaligen Debatte - man denke an dre Tätertypenlehre - gescheitert4.

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Vgl. BaumannlWeber/Mitsch, Strafrecht Allg. Teil, 10. Aufl., 1995, §3 Rn.80ff.; Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, 1/41 ff., 25/laff., passim; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allg. Teil, 5. Aufl., S.54f.; Köhler, Strafrecht Allg. Teil, 1997, S. 26ff.; Roxin, Strafrecht Allg. Teil. Band 1,3. Aufl., § 6 Rn. Iff.; Stratenwerth, Strafrecht Allg. Teil 1,4. Aufl., 2000, § 2 Rn. 22 ff.; auch die Kommentierung von Schänke/Schröder/ Lenckner, StGB. 26. Aufl. 2001, Vor § 13 Rn. 3 ff. In der engeren Studienliteratur taucht der Begriff als bloße Feststellung oder auch gar nicht auf; er findet sich dementsprechend dort nicht einmal in den meisten SachWortregistern. 2

Siehe etwa Bockelmann, Studien zum Täterstrafrecht, 1. Teil, 1939, S.75, 2. Teil, 1940, S. 118ff., 127, 143; Jescheck/Weigend (Fn. 1), S.54. Auch die in den folgenden Fn. 7 und 8 zitierten Äußerungen von Feuerbach und v. Liszt , außerdem die Fn. 14 zitierten Autoren. 3 Über diese näher Maurach, Deutsches Strafrecht Allg. Teil. 2, Aufl., 1958, S. 117 mit Nachw. 4 Vgl. die im Grundsätzlichen am Tatstrafrecht festhaltenden damaligen Reformarbeiten (siehe den amtl. Entwurf 1939) sowie das zwiespältige Ergebnis der im Jahre 1939 er-

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Grundsätzliche Fragen

Zwar hat die Tatsache, daß das Strafrecht immer Tatstrafrecht gewesen ist, ihre historische Grundlage im Vergeltungsgedanken.5 Eine begangene Tat kann durch ein Strafübel vergolten werden, nicht aber die Gesinnung oder die Einordnung als bestimmter Tätertyp. Dementsprechend ist auch der Schuldbegriff tatbezogen. Den einzelnen kann die Schuld an einer bestimmten Tat angelastet werden, nicht aber Schuld an sich selbst.6 Bemerkenswerterweise hat jedoch das Vordringen der Präventionstheorien an der grundsätzlichen Bezogenheit des Strafrechts auf „Tat" und „Tatschuld"nichts geändert. Im Gegenteil: Feuerbach hat den Tatgedanken nachdrücklich verteidigt. Er schrieb: „dasjenige, was bestraft wird, das Obiekt der Strafe ausmacht, ist eine begangene Handlung ...", die Strafe ist ein Übel, „welches um der gesetzwidrigen Handlung willen und bloß um dieser willen einem Subjekte zugefügt wird". Wo „nicht bloß auf das äußere der Tat, sondern auch auf die Gesinnung der Person, aus welcher sie entsprungen ist," gesehen wird, da wird die Tat gar nicht als Rechtsverletzung, sondern als Immoralität betrachtet. Um Rechtsverletzung geht es nur dann, „wenn bei ihr nur auf die äußere Handlung und auf den Widerspruch derselben zu dem (bloß auf äußere Handlungen sich beziehenden) Gesetze der Gerechtigkeit gesehen wird." 7 Vor allem aber hätte man bei v. Liszt angesichts seiner spezialpräventiven Orientierung ein Abgehen vom Tatprinzip erwarten können. Aber auch er verlangte im Bereich der Strafvoraussetzungen ein konsequentes Tatstrafrecht. Es heißt bei ihm: „Die Strafe bedeutet einen so tiefen Eingriff in die individuelle Freiheit des einzelnen, daß wir sie nicht verhängen dürfen, wenn nicht die Gewißheit, sondern bloß der Verdacht, nicht die Tat, sondern nur die verbrecherische Gesinnung gegeben ist." 8 Daß diese Stelle nicht in dem Sinne zu verstehen ist, als ob ihn nur die Beweisseite zum Festhalten am Tatprinzip nötigte, sondern daß das Freiheitsinteresse des einzelnen das wahre Motiv war, wird an mehreren anderen Stellen im Werk v. Liszts zusätzlich deutlich. Zu erinnern ist an die Formeln „das Strafgesetzbuch ist die magna Charta des Verbrechens", „der Doppelsatz: nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege - ist das Bollwerk des Staatsbürgers gegenüber der staatlichen Allgewalt ... gegenüber dem ,Leviathan'", „das Strafrecht ist uns die unübersteigbare Schranke der Kriminalpolitik". Der Tätergedanke, den die v. Liszt angeführte moderne Schule vertritt, machte also vor den Strafvoraussetzungen

schienenen Monographie von Bockelmann (Fn. 2), 2. Teil, S. 145 ff. Zum bereits damaligen Scheitern auch die Darstellung bei Maurach (Fn. 3), S. 117 m.w. N. 5 Näher dazu Bockelmann (Fn. 2), I. Teil, S. 63 ff., 84. 6 Hierzu Bockelmann (Fn. 2), I. Teil, S. 70. 7 Feuerbach. Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, Band I, 1799, S. 5,13,27. In diesem Sinne auch ders., Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs, 1804,1. Teil, S. 55 ff. Zur Frage der Widersprüchlichkeit wegen der von Feuerbach gleichwohl bejahten umfassenden und schweren Rückfallstrafen näher Bockelmann (Fn. 2), S. 22 ff. 8 v. Liszt , Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Band 2, 1905, S. 16.

Tatstrafrecht – ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?

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halt: Er wird auf den Rechtsfolgenbereich beschränkt. Er soll nicht an die Stelle des Tatgedankens treten, sondern erst auf der zweiten Stufe Bedeutung haben. 9 Ging es bei Feuerbach noch allein um die Wahrung der Grenze zwischen Recht und Moral, nämlich der Unterscheidung zwischen dem sich in äußerem Geschehen niederschlagenden Handeln und der nur inneren Motivation, tritt bei v. Liszt der rechtsstaatliche Aspekt des Tatstrafrechts deutlich hervor. Das Abgehen vom Tatstrafrecht würde die Voraussetzungen der staatlichen Strafbefugnis völlig unbestimmt machen und die Grenzen dieser staatlichen Befugnis in eklatanter Weise überschreiten. Solange nicht Handlungen gegen Rechtsgüter anderer Personen oder der Allgemeinheit vorgenommen werden, liegt nichts vor, das vom Staat zu ahnden wäre. Was man getan hat, nicht das, was man künftig vielleicht tun könnte, ist Gegenstand der Bestrafung. Das Tatstrafrecht bildet daher ein rechtsstaatliches Bollwerk gegen Übergriffe des Staates. 10 Es findet sich deshalb auch mittelbar durch das Bestimmtheitsgebot und das dem Rechtsstaatsgedanken zu entnehmende Schuldprinzip in der Verfassung verankert. 11 Ob dabei etwa zu differenzieren ist zwischen Strafvoraussetzungen, also dem Erfordernis einer schuldhaften Straftat, und strafrechtlichen Rechtsfolgen, wird uns bei der Erörterung der Grenzen, die der Tatbezug bei der Strafzumessung setzt, noch zu beschäftigen haben. 2. Es erhebt sich die Frage, ob das Tatprinzip immer von Gesetzgeber, Theorie und Praxis beachtet wird. Deklamationen und Wirklichkeit fallen bekanntlich nicht selten auch im Bereich der Jurisprudenz auseinander. Die Hauptproblembereiche sind: der untaugliche Versuch, die Gesinnungsmerkmale, die Gefährlichkeitsdelikte, das Koinzidenzprinzip, die Strafhöhe (insbesondere bei Rückfall) und die bedingte Opportunitätseinstellung in § l53a StPO. Die Beschäftigung mit ihnen wird dazu Anlaß geben, sich über die genaueren Grenzen der regelmäßig nur schlagwortartig verwandten Begriffe Tat-, Gesinnungs- und Täterstrafrecht Gedanken zu machen. 12

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Zum vorhergehenden näher Bockelmann (Fn. 2), 1. Teil, S. 105 mit Angaben zu den einzelnen Fundstellen. 10 Über die Tat als Grund und Grenze der Strafverfolgung siehe auch Köhler (Fn. 1), S. 26. 11 Zur Verankerung des Schuldgedankens im Rechtsstaatsprinzip vgl. BVerfGE 20, 323, 331; 25, 269, 286; 27, 18, 29; 45, 187, 259 f. 12 Es geht dabei ausschließlich um das materielle Strafrecht, nicht auch um Probleme des prozessualen Tatbegriffs.

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Grundsätzliche Fragen

II. 1. Untauglicher Versuch

a) Die deutsche Praxis vertritt bekanntlich seit den Anfängen der reichsgerichtlichen Judikatur die subjektive Versuchstheorie. 13 Danach soll es für das Vorliegen eines strafbaren Versuchs genügen, daß jemand den Entschluß zur Verwirklichung eines bestimmten Straftatbestands, z. B. eines Totschlags, faßt und diesen Entschluß so betätigt, daß bei Richtigkeit der Vorstellung des Handelnden ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung gegeben wäre. Der Betätigungsakt braucht objektiv kein Risiko der Tatbestandsvollendung zu enthalten. Dieser Auffassung ist wiederholt vorgeworfen worden, daß sie auf Gesinnungsstrafrecht hinauslaufe, nicht eine Tat, sondern nur einen „Täter“ im Auge habe. 14 Bis Anfang der dreißiger Jahre war sie im Schrifttum auch überwiegend auf Ablehnung gestoßen, 15 und heute versucht eine verbreitete Lehrmeinung, sie mit Hilfe des Eindruckskriteriums einzuschränken. 16 Um Klarheit zu gewinnen, muß man sich vor Augen führen, daß der Strafgrund des „tauglichen“ Versuchs in dem Beginn einer realen vorsätzlichen Tatbestandshandlung besteht und daß dabei die aus der ex ante-Sicht zu beurteilende Eignung (konkrete Gefährlichkeit), die Handlung zu vollenden, eine entscheidende Rolle spielt. Dieser Strafgrund ist genauso erfüllt in denjenigen Fällen des „untauglichen“ Versuchs, bei denen ebenfalls aus der ex ante-Sicht eine solche Eignung (Gefährlichkeit) zu bejahen ist (z. B. jemand schießt mit Tötungsvorsatz auf das Bett des vorgesehenen Opfers, in dem dieses zu dem Zeitpunkt zu erwarten ist, sich aber, vom Standort des Täters unerkennbar, nicht befindet. Oder jemand setzt eine möglicherweise geladene Waffe ein, die sich dann als ungeladen erweist). Hier liegt genauso wie beim „taug13

RGSt. 1, 439, 441; 8, 198, 203; 39, 316; 76, 94; BGHSt. 1, 13, 15 ff.; 2, 74, 76; 40, 257, 271 ff.; 41, 94 ff.; BGH NJW 1997, 750, 751; st. Rspr. 14 So mit dem Blick auf den untauglichen Versuch insbesondere Kohlrausch, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, 1926, S. 3, 27 f.; Rob. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 11, 1930, S. 424; Mezger, Strafrecht, 2. Aufl., 1933, S. 396 ff.; Spendel, ZStW 65 (1953), 518, 522 f.; ders., NJW 1965, 1881, 1883; ders., FS für Stock, 1966, S. 89, 92; Hirsch, FS für Roxin, 2001, S. 711, 722 ff. Auch Kohlrausch / Lange, StGB, 43. Aufl., 1961, Vor § 43 Bem. III. 2.; Gallas, FS für Bockelmann, 1979, S. 155, 160 f., und Schönke / Schröder / Eser, StGB, 26. Aufl., 2001, Vor § 22 Rn. 21 charakterisieren sie in bezug auf Fälle des untauglichen Versuchs als Gesinnungsstrafrecht. 15 Vgl. Frank, StGB, 18. Aufl., 1931, § 43 Fn. I; Rob. v. Hippel (Fn. 14), S. 424 ff.; v. Listl / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Band I, 26. Aufl., 1932, S. 311 ff.; Mezger (Fn. 14), S. 396 ff. 16 So Schönke / Schröder / Eser (Fn. 14), Vor § 22 Rn. 22; Maurach / Gössel, Strafrecht Allg. Teil, Teil II, 7. Aufl. 1989, § 40 Rn. 40 ff.; Gropp, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 2001, 9/48; SK-StGB-Rudolphi, 20. Lfg., 1993, Vor § 22 Rn. 13, 14; LK-Vogler, StGB, 10. Aufl., 1983, Vor § 22 Rn. 52; Wessels / Beulke, Strafrecht Allg. Teil, 31.Aufl., 2001, Rn. 594.

Tatstrafrecht – ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?

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lichen Versuch“ ein Anfang einer realen Verwirklichungshandlung vor. In solchen Fällen – und sie bilden die Überzahl – geht es daher durchaus um Tatstrafrecht. 17 Problematisch werden die Dinge jedoch, wenn es sich um eine aus der ex anteSicht ungefährliche Entschlußbetätigung handelt, und man sollte deshalb präziser das die ex ante- und ex post-Sicht vermengende bisherige Begriffspaar „tauglichuntauglich“ durch „(ex ante) gefährlich-ungefährlich“ ersetzen. 18 Es geht also um die Frage, ob es sich bei der Strafbarkeit des „ungefährlichen Versuchs“ nicht um Gesinnungsstrafrecht handelt. Dafür spricht, daß hier der Sache nach gar kein echter Versuch gegeben ist. Mangels ex ante bestehender Gefährlichkeit liegt gar kein Beginn einer Tatbestandshandlung vor. Sie ist nur eingebildet. Vom Versuch einer Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungshandlung etc. kann daher keine Rede sein. Was vorliegt, ist lediglich ein in bezug auf eine konkrete Tat ungefährlich betätigter Wille. 19 Der böse Handlungsentschluß ist aber für sich allein noch nicht strafbar (cogitationis poenam nemo patitur). Der böse Wille muß sich vielmehr objektiv ganz oder teilweise verwirklichen. Der entscheidende Punkt ist hier daher, ob beim ungefährlichen untauglichen „Versuch“ – auch wenn er jedenfalls niedriger zu bestrafen wäre als die echten Versuchsfälle – schon eine dem Tatstrafrecht genügende objektive Umsetzung des bösen Willens vorhanden ist. Betrachtet man hierzu die Fälle, bei denen der Unterschied zwischen Gesinnungs- und Tatstrafrecht bedeutsam wird, so betreffen sie zumeist die Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen und Versuch. Es handelt sich also regelmäßig um Sachverhalte, bei denen es nicht allein darum geht, was man an bösem Willen in seinem Kopfe bewegt, sondern durchaus um Betätigungen dieses Willens, aber eben um solche, die für eine Straftat noch nicht ausreichend sind. Die (ältere) rein subjektive Versuchstheorie, ein nur noch historisch interessantes Lösungskonzept, hat kaum Anhänger gefunden, weil sie die Strafbarkeit weit in den Bereich des nur moralisch verwerflichen Verhaltens und damit des bloßen Gesinnungsstrafrechts vorverlegt. 20 Die Strafbarkeit des Versuchs wird deshalb auch von der heutigen Form der subjektiven Versuchstheorie objektiv erst beim Ansetzen zur Ausführungshandlung angenommen. Für die Bestimmung dieses Zeitpunkts spielt aber das objektive Kriterium der konkreten Gefährlichkeit eine zentrale Rolle. 21 Nun werden punktuell jedoch auch Vorbereitungshandlungen pönalisiert. Ist es dann nicht vielleicht auch tatstrafrechtskonform, wenn man die Fälle des ungefährlichen „Versuchs“ unter Strafe stellt? Insoweit ist indes zweierlei zu beachten: 17

Näher Hirsch, FS für Roxin, S. 711, 716 ff., 719 f. Näher Hirsch, FS für Roxin, S. 720 ff., 725. 19 Vgl. bereits Gallas, FS für Bockelmann, S. 159 ff. 20 Dazu näher Mezger (Fn. 14), S. 387 ff. 21 Vgl. die Übersicht über Rspr. und Schrifttum bei Schönke / Schröder / Eser (Fn. 14), § 22 Rn. 42 ff.; siehe dazu auch Streng, GS für Zipf, 1999, S. 325 ff. 18

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Grundsätzliche Fragen

Erstens geht es bei den pönalisierten Vorbereitungshandlungen ebenfalls um Risikofälle. Die Gefährlichkeit ist zwar ein Erfordernis des Beginns eines echten Versuchs, kann aber auch schon vorher einsetzen. Für die Fälle des ungefährlichen „Versuchs“ ist demgegenüber aber charakteristisch, daß ihnen im Handlungszeitpunkt die konkrete Gefährlichkeit fehlt. Zweitens kommt auch nicht der Gedanke in Betracht, daß zwar keine konkrete, aber doch eine abstrakte Gefährlichkeit vorliege. Das Wesen abstrakter Gefährlichkeitsdelikte besteht darin, daß ihnen typischerweise die konkrete Gefährlichkeit eigen ist. Daran mangelt es hier, da der ganzen Gruppe des ungefährlichen „Versuchs“ schon von vornherein aus ex ante- und erst recht ex post-Sicht die Möglichkeit fehlt, zur Verwirklichung des jeweiligen Delikts zu führen. Es geht eben bei diesen Sachverhalten lediglich um einen durch eine unrechtsneutrale Handlung betätigten bösen Willen – und das spricht für Gesinnungs- und gegen Tatstrafrecht. 22 Man hat die subjektive Theorie der Rechtsprechung damit begründet, daß die in der Betätigung des verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens liegende Auflehnung eine Gefahr für die rechtlich geschützte Ordnung bedeute. 23 Betrachtet man diese Begründung genauer, geht es bei ihr aber nicht um die konkrete Tat, sondern um den Täter. Es handelt sich nicht darum, den Unrechtsgehalt der begangenen konkreten Tat zu ahnden, sondern um den künftigen Schutz vor einer Person, die keine Bedenken gezeigt hat, ihren bösen Willen – wenn auch entgegen ihrer Vorstellung objektiv ungeeignet – zu betätigen. Als Strafgrund allein auf die Gefährlichkeit einer Person abzustellen, bedeutet aber einen Wechsel vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht. Ein Tatstrafrecht setzt immer eine zu ahndende Tat voraus. Im zur Erörterung stehenden Zusammenhang kann offenbleiben, ob der deutsche Gesetzgeber die subjektive Versuchstheorie sogar mittelbar durch die in § 23 Abs. 3 StGB für Fälle groben Unverstands getroffene Regelung festgeschrieben hat. Der Sache nach handelt es sich bei den betreffenden Fällen jedenfalls noch gar nicht um Versuch, und wer die – nur Strafmilderung oder Absehen von Strafe vorsehende – Vorschrift gleichwohl für anwendbar ansieht, betreibt Gesinnungsstrafrecht. 24 22 Vgl. zum vorhergehenden schon Hirsch, FS für Roxin, S. 722 f. Zu beachten ist dabei, daß der Einwand des Gesinnungsstrafrechts sich nicht auf den gesamten Bereich des „untauglichen Versuchs“ bezieht. sondern nur auf die Fälle des ungefährlichen „Versuchs“. 23 BGHSt. 11, 268, 271; Lackner / Kühl, StGB, 24. Aufl., 1999, § 22 Rn. 11; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht Allg. Teil, 10. Aufl., 1995, § 26 Rn. 17 ff.; Tröndle / Fischer, StGB, 50. Aufl., 2001, § 22 Rn. 40 ff. 24 Das verkennt Herzberg, GA 2001, 257 ff. Zur bestehenden Möglichkeit, trotz § 23 Abs. 3 StGB bereits de lege lata die notwendige sachentsprechende Lösung zu praktizieren, näher Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 149 f., und Hirsch, FS für Roxin, S. 713, 715 f., 725, 727. Zu Herzbergs Bedenken bezüglich der Möglichkeit des Prognoseurteils der Gefährlichkeit siehe bereits Zieschang, a. a. O. S. 29 ff., 54 ff., 61 f.

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b) Diese Ausführungen zum „untauglichen Versuch“ machen gleichzeitig bewußt, wie weit sich die unter dem Einfluß von Armin Kaufmann entstandene subjektivistische Spielart des personalen Unrechts 25 vom Tatstrafrecht entfernt hat. Indem sie meint, das schuldhafte Unrecht der Vorsatztat erschöpfe sich im beendeten Versuch, und dabei den beendeten „untauglichen Versuch“ im Sinne der subjektiven Theorie als ausreichend ansieht, ist sie durch normtheoretische Gedankenexperimente beim Gesinnungsstrafrecht angelangt. Interessant ist, daß der Normtheoretiker Binding, dem diese Richtung besondere Aufmerksamkeit schenkt, sich die Zukunft des Strafrechts anders als die Subjektivisten vorgestellt hat. Er schrieb: „So lehrt die Geschichte in Vergangenheit und Gegenwart, der sich die Zukunft wohl anschließen dürfte, daß der Verbrecher nie für etwas anderes oder mehreres als seine konkrete Verbrechenstat verantwortlich gemacht worden ist.“ 26 2. Gesinnungsmerkmale

Schon der Begriff „Gesinnungsmerkmale“ zeigt, daß wir es hier mit einer weiteren Einbruchstelle ins Tatstrafrecht zu tun haben. Sie sind aufgekommen in der Gesetzgebung der NS-Zeit. Für das heutige Recht werden im Schrifttum genannt: „böswillig“ (§ 90a Abs. 1 Nr. 1, § 130 Abs. 1 Nr. 2 und § 225 Abs. 1 StGB), die Mordmerkmale „Mordlust“, „Habgier“ und „niedrige Beweggründe“ (§ 211 Abs. 2 StGB) und „rücksichtslos“ (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB). 27 Beseitigt worden ist inzwischen das Merkmal „gewissenlos“, das im ehemaligen § l70c StGB und zeitweilig auch im früheren § 170d (jetzt § 171 n.F.) StGB enthalten war. Bei Merkmalen wie „roh“ und „rücksichtslos“ ist es möglich, sie ausschließlich anhand von Unrechtskriterien zu interpretieren. Ob eine Mißhandlung „roh“ ist, läßt sich ebenso wie die „Rücksichtslosigkeit“ der Fahrweise nach der äußeren Begehungsart bestimmen, so daß es hier nur darauf ankommt, daß bei der Auslegung das Tatprinzip beachtet und damit die Eigenschaft als Merkmal des Unrechtstatbestands gewährleistet wird. Bei den meisten der zur Erörterung stehenden Merkmale ist von einer die Unrechts und Schuldseite übergreifenden Wertung die Rede, die bei der Ge25

Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), 34, 50 f.; ders., FS für Welzel, 1974, 393, 403, 411; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973, S. 135 ff., 205 ff.; ders., AK-StGB, 1990, §§ 15, 16 Rn. 7, 107; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 78 ff.; Struensee, FS für Armin Kaufmann, 1989, S. 523, 534 ff.; ders., ZStW 102 (1990), 21, 49; Sancinetti, in: Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften?, 2001, S. 169, 171. 26 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 11, Halbband 1, 2. Aufl., 1914, S. 283. 27 Vgl. auch die Aufzählung bei Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 472 f.

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setzesanwendung auf die ihnen zugrundeliegenden konkreten Sachverhalte zurückgeführt werden soll. 28 Die Zerlegung in die Ebenen von Voraussetzungen des Tatbestandsunrechts und der Schuld ist hier indes praktisch kaum präzise durchführbar, weshalb Schwierigkeiten beispielsweise bei der Akzessorietät der Teilnahme die Folge sind. 29 Aber auch wenn man solche Merkmale insgesamt als besondere Schuldmerkmale einstuft, 30 ergeben sich unlösbare Probleme, sei es bei den Rechtfertigungsgründen, sei es, wenn die Merkmale strafbegründend sind, ebenfalls bei der Akzessorietätsfrage. Ganz abgesehen von diesen Teilproblemen erheben sich grundsätzliche Bedenken, der Gesinnung einen Platz bei der Tatschuld einzuräumen. Das dritte Deliktsmerkmal ist in einem Tatstrafrecht auf das Unrecht der tatbestandsmäßigen Tat bezogen. Es geht, wie auch die Strafgesetze zumeist ausdrücklich angeben, um die Möglichkeit des Täters, bei Begehung der Tat das jeweilige konkrete Unrecht zu erkennen und sich dieser Kenntnis gemäß zu motivieren. 31 Es handelt sich bei den Merkmalen der Tatschuld also darum, daß für die Strafe nicht schon das Begehen des Unrechts genügt, sondern gefragt wird, ob ausnahmsweise Kenntnisdefizite oder Motivationszwänge individuell der Normbefolgung entgegenstanden. Das ist offensichtlich eine andere Frage als die nach der Tätergesinnung. Im Schrifttum sind auch bereits rechtsstaatliche Bedenken gegenüber Gesinnungsmerkmalen geäußert worden, wobei auf den durch diese eröffneten Freiraum des Richters, die Grenzen der betreffenden Strafbarkeit zu bestimmen, und die Gefahren für die Gleichheit der Rechtsanwendung hingewiesen wird. 32 Gesinnungsmerkmale und Gesinnungselemente haben also bei den Voraussetzungen der Straftat nichts zu suchen. Die Gesinnung, aus der eine Tat entsprungen ist, kann erst auf der Ebene der Strafzumessung eine Rolle spielen. Der Höhepunkt der Verwendung von Gesinnungsmerkmalen durch die Gesetzgebung scheint inzwischen immerhin überschritten zu sein. 33

28 Vgl. Stratenwerth, FS für v. Weber, 1963, S. 171, 187 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 79; Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 472 f. 29 Im Schrifttum wird deshalb versucht, diejenigen Merkmale, die nicht ausschließlich einen „besonderen Grad der Vorwerfbarkeit“ kennzeichnen, insgesamt dem Unrechtstatbestand zuzuschlagen und die anderen als reine Schuldmerkmale einzustufen; vgl. Welzel (Fn. 28), S. 79; Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 472 f.; differenzierend auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, 1958. Da jedoch die Gesinnung ihrem Wesen nach kein Unrechtsgegenstand sein kann, müssen die Gesinnungsmomente dann bei der Auslegung der dem Unrechtstatbestand zugeordneten Merkmale auch außer Betracht bleiben. 30 So Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 57. 31 Näher LK-Hirsch, 11. Aufl., Vor § 32 Rn. 187 m.w. N. 32 Vgl. Stratenwerth, FS für v. Weber, S. 190; ders., Allg. Teil (Fn. 1), § 8 Rn. 151; Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 473; zu diesen Fragen auch Lüderssen, Kriminalpolitik auf verschlungenen Wegen, 1981, S. 42 ff., 69 f.

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3. Sogenannte abstrakte Gefährdungsdelikte

Die Expansion sogenannter abstrakter Gefährdungsdelikte rückt die Frage in den Blick, inwieweit eigentlich solche Tatbestände noch dem Tatstrafrecht entsprechen. Anders als bei den konkreten Gefährdungsdelikten, bei denen es ja um die Verwirklichung einer konkreten Gefährdungslage für ein bestimmtes Tatobjekt und damit um Erfolgsdelikte geht, betreffen sie vertypte aus ex ante-Sicht gefährliche Handlungen. Zur Tatbestandsmäßigkeit des „abstrakten Gefährdungsdelikts“ genügt die abstrakte Gefährlichkeit, d. h. die Verwirklichung der vertypten Tatbestandsmerkmale, wenngleich in der Mehrzahl der Fälle bereits eine konkrete (ex ante) Gefährlichkeit im Handlungszeitpunkt gegeben ist. 34 In neuerer Zeit hat vor allem die „Frankfurter Richtung“, 35 die in der Schaffung immer neuer „abstrakter Gefährdungsdelikte“ liegende Ausdehnung des Kriminalstrafrechts ins Vorfeld kritisiert. Sie beruft sich darauf, daß das Verletzungsdelikt, und zwar das gegen Rechtsgüter der Person gerichtete, das Kriminalstrafrecht präge. Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist angeführt worden. Spielt bei der Problematik vielleicht ebenfalls das Tatprinzip eine Rolle? Hierfür könnte sprechen, daß es bei den Vorverlegungen vielfach weniger um die Ahndung des „abstrakten Gefahrdungsdelikts“ als um Prävention geht. Es 33 Außer der schon erwähnten Beseitigung des Merkmals „gewissenlos“ ist das Merkmal „böswillig“ an zwei Stellen gestrichen worden, nämlich in § 134 StGB und mit der Streichung des § 170a StGB. Allerdings hat man in den neuen § 170 Abs. 2 StGB an Stelle des früheren Gesinnungsmerkmals (im ehemaligen § 170a StGB) das ebenfalls jeglicher Gesetzesbestimmtheit entbehrende Merkmal „in verwerflicher Weise“ eingefügt. Im dogmatischen Schrifttum hält sich zum Teil noch die von Gallas (ZStW 67 [1955], 1, 45) vertretene Auffassung, nach der die deliktskonstituierende Tatschuld (Strafbegründungsschuld) in der, wie es bei G. heißt,Vorwerfbarkeit „mit Rücksicht auf die (in der Tat) betätigte rechtlich mißbilligte Gesinnung“ (Hervorhebung im Original) liegen soll. Der „Unterschied zwischen Unrecht und Schuld (sei) der zwischen Handlungsunwert und Gesinnungsunwert der Tat ...“ (S. 45). 34 Terminologisch präziser hätte man von abstraktem Gefährlichkeitsdelikt (oder abstraktem Risiko- oder Eignungsdelikt) zu sprechen, und dabei wäre zu beachten, daß die meisten in der Praxis von ihm erfaßten Fälle konkret gefährliche Handlungen sind, nämlich solche, die aus der ex ante-Sicht einer am Standort des Handelnden befindlichen Maßstabsperson die konkrete Möglichkeit der Schädigung irgend eines der durch den Tatbestand geschützten Güter enthalten. Näher dazu Hirsch, FS für Arthur Kaufmann, 1993, 545; ders., FS für Buchala, 1994, 151, 155 ff. (= Strafrechtliche Probleme 1999, S. 623. 627 ff.); Zieschang (Fn. 24), S. 53 ff., passim. 35 Repräsentiert durch Lüderssen, Hassemer, Naucke. P.-A. Albrecht, Herzog, Neumann und Prittwitz. Siehe etwa Lüderssen u. a., (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultima ratio-Prinzip, 1990; ders., ZStW 107 (1995), 877, 898 ff.; ders., Entkriminalisierung des Wirtschaftsrechts, 1998. Nähere Nachweise zur. „Frankfurter Richtung“ und Auseinandersetzung mit ihren Argumenten bei Hirsch, in: Hirsch / Hofmanski / Plywaczewski / Roxin (Hrsg.), Neue Erscheinungsformen der Kriminalität in ihrer Auswirkung auf das Straf- und Stratprozeßrecht, 1996, S. 33, 34 ff. (= Strafrechtliche Probleme [Fn. 34], S. 162, 163 ff.).

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Grundsätzliche Fragen

wurde eingangs schon hervorgehoben, daß den Präventionstheorien der Drang zum Täterstrafrecht wesenseigen ist. So dienen viele im Vorfeld geschaffene Strafbestimmungen dazu, daß potentielle oder vermutete Verletzungstäter schon vom Kriminalstrafrecht erfaßt werden. Im Falle des vermuteten Verletzungstäters werden auf solche Weise Beweisschwierigkeiten vermieden. Es ist interessant, daß v. Liszt, wie oben gezeigt wurde, gerade diesen Fall als ein Argument für die Notwendigkeit des Tatstrafrechts angeführt hat. Gleichwohl ist es schwierig, hier präzise Grenzen zu ziehen. Denn die grundsätzliche Berechtigung sogenannter „abstrakter Gefährdungstatbestände“ läßt sich nicht ernsthaft bestreiten, wie das Straßenverkehrsrecht in aller Deutlichkeit belegt. Ihre Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht steht denn auch nicht in Frage, sondern die Diskussion betrifft die Vereinbarkeit mit dem Kriminalstrafrecht. Aber die Kritiker müssen einräumen, daß auf derartige Delikte auch hier nicht völlig verzichtet werden kann. 36 Sie kritisieren deshalb nur die inflationäre Ausbreitung und die dadurch innerhalb des Kriminalstrafrechts entstandene Gewichtsverschiebung. Der im Vordergrund stehende Abgrenzungsgesichtspunkt ist daher doch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit. Insoweit hat zu gelten, daß der grundsätzliche Standort „abstrakter Gefährdungsdelikte“ das Ordnungswidrigkeitenrecht bildet. Soll ein solches Delikt im Kriminalstrafrecht geregelt werden, bedarf es daher besonderer Gründe, die erklären, weshalb es sich ausnahmsweise über das Niveau einer Ordnungswidrigkeit hinaushebt. Solche Gründe müssen tatspezifischer Natur sein, also etwa die Größe des drohenden Schadens und den Grad der Gefährlichkeit betreffen. Bloße Beweisvereinfachungen reichen dagegen nicht aus. 37 Zwei Fallbereiche könnten daneben aber auch noch das Tatprinzip berühren. Zum einen ginge es dabei um den – zumindest theoretisch denkbaren – Fall, daß eine Handlung unter Strafe gestellt wird, bei der ein konkretes Risiko einer Rechtsgutsverletzung überhaupt noch nicht in Betracht kommt und die daher auch nicht abstrakt vertypt Gegenstand eines strafbewehrten Verbots sein kann. Ein Beispiel wäre eine zur Bekämpfung von Graffiti-Sprayern eingeführte Strafbestimmung, während der Dunkelheit Farbdosen bei sich zu führen. Hier kann von einer Tat keine Rede sein. Bedeutsamer ist der zweite Bereich: derjenige der nur abstrakt gefährlichen Handlungen. Es wurde oben schon darauf hingewiesen, daß die von den sogenannten abstrakten Gefährdungstatbeständen erfaßten Fälle in tatsächlicher Hinsicht zumeist Handlungen sind, die bereits ein aus ex ante-Sicht bestehendes konkretes Risiko und damit etwas Tatspezifisches aufweisen (z. B. besteht bei Trunkenheit 36

Siehe etwa Hassemer, ZRP 1992, 378, 383. Lüderssen, ZStW 107 (1995), 877, 90 I; Hirsch (Fn. 35), S. 41; Zieschang (Fn. 24), S. 367. 37

Tatstrafrecht – ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?

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im Verkehr [§ 316 StGB] im Regelfall ein konkretes Risiko, daß irgend jemand zu Schaden kommt). Ausreichend sollen gemäß der Konstruktion solcher Tatbestände aber schon Fälle abstrakter Gefährlichkeit sein, also Fälle, bei denen kein konkretes Risiko vorliegt, sondern es um bloßen Normungehorsam geht. Genügt solch bloßer Ungehorsam aber schon dem Tatstrafrecht? Dagegen spricht, daß hier gar nichts vorliegt, was ein konkretes Risiko in bezug auf die Schädigung der Rechtsgüter anderer birgt. Umgekehrt ließe sich anführen, es gebe Werte, die wegen ihrer Hochrangigkeit Schutzobjekte absoluter Verbote seien und deshalb bei Verstoß gegen diese auch als strafwürdig und strafbedürftig erschienen. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, daß solche abstrakten absoluten Verbote zwar ihre Berechtigung haben, dies aber nicht gleichbedeutend mit der Berechtigung einer Kriminalstrafbewehrung ist. Für diese bedarf es vielmehr des Vorliegens einer sich zumindest in einer konkret (ex ante) gefährlichen Handlung äußerlich manifestierenden Straftat. 38 Es zeigt sich mithin, daß das Tatprinzip auch im Bereich der sogenannten abstrakten Gefährdungsdelikte nicht ohne Bedeutung ist. Eine Sonderproblematik bildet hier noch der § 130 Abs. 3 StGB: die bei der Strafbestimmung der Volksverhetzung geregelte „Auschwitz-Lüge“. Das Delikt ist konzipiert als gefährliche Handlung in bezug auf den öffentlichen Frieden („geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören“). Der Tatbestand wirft vor allem hinsichtlich des Leugnens einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordhandlung Zweifel auf, ob er den Anforderungen des Tatstrafrechts genügt. Im bloßen – nicht mit einem der in § 130 Abs. 1 und 2 StGB genannten Äußerungen verknüpften und daher nicht „qualifizierten“ – Leugnen einer historischen Tatsache manifestiert sich eigentlich noch keine Straftat. Daß es sich bei den in Abrede gestellten Völkermorden zumeist um historische Ereignisse unvorstellbarer Dimension und extremen Grauens geht, macht das Abstreiten noch nicht zum Kriminalfall. Das um so weniger, weil gerade das Ausmaß des Geschehens, die große Anzahl erhaltener Stätten der Völkermordhandlungen und die Vielzahl weiterer Dokumentationen es ausschließen, daß die Wahrheit in Zweifel geraten könnte. Es kann auch nicht um die Gefühle von Überlebenden und deren Nachkommen gehen, da das Leugnen für sich allein keine Mißachtung oder Verunglimpfung darstellt. Das Fehlen einer etwaigen Bedrohung des öffentlichen Friedens wird zudem daran deutlich, daß der Gesetzgeber mit Recht keinen Anlaß gesehen hat, das Leugnen der im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten gezielt gegen die Zivilbevölkerung geflogenen Flächenbombardements und ihre Vielzahl von Opfern sowie das Abstreiten der von der Roten Armee beim Einmarsch in die Ostprovinzen an der Zivilbevölkerung massenhaft begangenen Menschenrechtsverletzungen zu pönalisieren. Angesichts der großen Zahl in Deutschland lebender Betroffener dieser Geschehnisse müßte andernfalls in solchen Fällen 38

Hirsch (Fn. 35), S. 41 bzw. 170; Zieschang (Fn. 24), S. 383.

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Grundsätzliche Fragen

von einer wahrscheinlich faktisch noch größeren Bedrohung des öffentlichen Friedens auszugehen sein. 39 Mit dem Blick auf diejenigen Fälle, die in § 130 Abs. 3 StGB praktisch im Vordergrund stehen, kommt als ratio der Vorschrift allein die Bekämpfung der rassistisch, völkisch oder religiös motivierten Diskriminierung anderer Bevölkerungsgruppen und damit deren Schutz in Betracht. Dafür spricht auch die Einordnung als „Volksverhetzung“. Daß jemand eine unrechtsindifferente, auch nicht mit konkludenten Hetzelementen verbundene Äußerung – die also keine „qualifizierte“ Lüge darstellt – aus einem niedrigen Motiv macht, demonstriert jedoch wohl zunächst nur die verwerfliche Gesinnung. Dieses Bedenken spitzt sich zu, wenn man berücksichtigt, daß die Vorschrift den Nachweis einer solchen Gesinnung nicht einmal verlangt. Es geht überhaupt nur um die gesetzliche Vermutung einer rassistischen oder vergleichbaren niedrigen Gesinnung. 40 Die Legitimation der tatbestandlichen Begehungsform des schlichten Leugnens (ebenso des Verharmlosens) stützt sich daher wohl eher auf „political correctness“, nicht aber auf das strafrechtliche Tatprinzip. 4. Koinzidenzprinzip

Ein aktuelles Problem im Zusammenhang mit dem Tatstrafrecht bildet ebenfalls das Koinzidenzprinzip. Bekanntlich stellen die Vorsatz- und die Schuldregelungen des StGB (§§ 16 ff.) ausdrücklich darauf ab, daß diese Merkmale „bei Begehung der Tat“ vorliegen müssen. Das darin zum Ausdruck gelangende Koinzidenzprinzip ist eine Konsequenz des auf die Tat bezogenen Schuldprinzips; im Falle des Vorsatzes folgt es bereits daraus, daß dieser die Willensseite der Tathandlung darstellt. Das Koinzidenzprinzip ist in jüngster Zeit im Zusammenhang mit der actio libera in causa zum Diskussionsthema geworden. Eine Schrifttumsauffassung meint, diese Rechtsfigur stelle auf ein vor dem Unrecht der Tat liegendes Vorverschulden ab und verstoße daher gegen den Koinzidenzgedanken. Sie fordert deshalb für die betreffenden Fälle eine von diesem Prinzip abweichende gesetzliche Ausnahmeregelung. 41 Vor allem geht es um die – an sich seltene – vorsätzliche actio 39 Die strafrechtliche Problematik des § 130 Abs. 3 StGB wird zudem dadurch verschärft, daß der BGH die Anforderungen an die konkrete Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, so niedrig ansetzt, daß dieses Tatbestandserfordernis in der Praxis kaum Bedeutung hat; vg. BGHSt. 46, 36, 43 und 46, 212, 219 f. 40 Zu letzterem vgl. Tröndle / Fischer (Fn. 23), § 130 Rn. 20. Bei evidenten Geschehnissen ist aber die Möglichkeit eines konkludenten qualifizierten Leugnens nach Abs. 2, 4 zu beachten. Im einzelnen zu den Problemen des Abs. 3 siehe auch Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, 2000. 41 Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 524; NK-Paeffgen, StGB, 1995, Vor § 323a Rn. 28; Hettinger, Die „actio libera in causa“, 1988, S. 436 ff., 447 ff.; ders., GA 1989, 1, 19; ders., FS für Geerds, 1995, S. 623, 637; Neumann, FS für Arth. Kaufmann, 1993, S. 581, 590 f.; ders., StV 1997, 23, 25; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565; u. a.

Tatstrafrecht – ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?

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libera in causa; der BGH meint sogar, daß es bei der Fahrlässigkeit gar nicht dieser Rechtsfigur bedürfe. 42 Unser Augenmerk hat sich daher insbesondere auf die vorsätzliche actio libera in causa zu richten. Die h.M. betrachtet die actio libera in causa bekanntlich auch ohne gesetzliche Regelung als geltendes Recht. Die herkömmliche Auffassung stützt sich dabei auf das „Tatbestandsmodell“. Danach soll es sich um einen Unterfall der mittelbaren Begehung handeln, so daß hinsichtlich der Einhaltung des Koinzidenzprinzips auf die mittelbare Täterschaft, bei der die Unrechtshandlung des mittelbaren Täters bereits mit dem mittelbaren Handeln beginnt, verwiesen wird. 43 Zwei andere Richtungen innerhalb der h. M. wollen dieser Konstruktion nicht folgen: Nach dem „Ausnahmemodell“ soll hier eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme vom Koinzidenzprinzip anzunehmen sein, 44 und das „Ausdehnungsmodell“ will eine Ausdehnung des Tatbegriffs in § 20 StGB vornehmen. 45 Die beiden letztgenannten Lösungen vermögen die h.M. jedoch nicht zu stützen. Für das „Ausnahmemodell“ wird angeführt, daß im Bereich des Allgemeinen Teils Gewohnheitsrecht auch zu Lasten der Täter möglich sei. 46 Der Allgemeine Teil läßt sich jedoch nicht aus dem Anwendungsbereich des Satzes Nullum crimen sine lege heraushalten; denn auch die allgemeinen Vorschriften bestimmen den Umfang der Strafbarkeit, sogar mehr noch als eine einzelne Vorschrift des Besonderen Teils. Weder kann die Strafbarkeit von Versuch oder Fahrlässigkeit über den vom Gesetz festgelegten Umfang hinaus ausgedehnt werden, noch kann eine Ausdehnung durch wortlautwidrige Restriktion strafgesetzlicher Rechtfertigungsoder Entschuldigungsgründe erfolgen (z. B. durch Fordern der Gegenwärtigkeit der Gefahr beim rechtfertigenden Notstand oder durch Beschränkung des entschuldigenden Notstands auf die Gefahr für Leib oder Leben). Bereits seit einiger Zeit hat sich deshalb die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß der Nullum crimen-Satz im Allgemeinen Teil Geltung beansprucht. 47 Ebenfalls hat der BGH in diesem Sinne entschieden, und zwar gerade auch bezüglich des „Ausnahmemodells“. 48 42

BGHSt. 40, 341, 343. So RGSt. 22, 413, 415; Hirsch, ZStW-Beiheft 1981, 2, 9; ders., FS für Nishihara, 1998, S. 88, 95 ff.; LK-Spendel, 11. Aufl. § 323a Rn. 36; ders., JR 1997, 133, 13411; ders., FS für Hirsch, 1999, S. 379, 381 ff.; Jakobs (Fn. 1), 17/64; Roxin, FS für Lackner, 1987; S. 307, 314; ders. (Fn. 1), § :W, Rn. 60; Herzberg, FS für Spendel, 1992, S. 203, 218 ff.; AK-Schild, StGB, 1990, § 20 Rn. 83 a.E.; ders., FS für Triffterer, 1996, S. 203, 206. 44 So Hruschka, JuS 1968, 554 ff.; ders., JZ 1989, 310, 312 (siehe dazu noch Fn. 53); LK-Jähnke, 11. Aufl., § 20 Rn. 78; Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 447 f.; Kühl, Strafrecht Allg. Teil. 3. Aufl., S. 367; Küper, FS für Leferenz, 1983, S. 573, 591 f.; wohl auch Schönke / Schröder / Lenckner-Perron (Fn. 1), § 20 Rn. 35 a.E. 45 Streng, ZStW 101(1989), 273, 311; ders., JZ 1994, 709, 711; Schmidhäuser, Die actio libera in causa, 1992, S. 27 ff.; Jerouschek, JuS 1997, 385 ff.; ders., JuS 2001, 417, 420 ff. 46 Jähnke, FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 399, 404 f., will hier jetzt auf den Mißbrauchsgedanken zurückgreifen, der sich jedoch schon bei der Notwehrprovokation als wenig klarer Gesichtspunkt erwiesen hat. 43

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Grundsätzliche Fragen

Im Unterschied zur Ausnahmelösung versucht man beim „Ausdehnungsmodell“, sich in Einklang mit dem positiven Recht zu halten. Jerouschek meint, die Formulierung in § 20 StGB, daß „ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat ...“, sich auch so deuten lasse, daß schuldlos agiere, wer bezüglich der Begehung der Tat nicht einsichts- und steuerungsfähig sei. 49 Dieser Ansicht ist aber entgegenzuhalten, daß es sich bei ihr um ein nur verschleiertes „Ausnahmemodell“ handelt. Ist man nämlich im Gegensatz zum „Tatbestandsmodell“ der Meinung, daß es bei der actio libera in causa um Vorverschulden geht, dann bedeutet die Ausdehnung des Tatbegriffs eine grundsätzliche Abkehr vom Koinzidenzprinzip. Was für § 20 StGB zu gelten hätte, würde ebenso bezüglich des Vorverschuldens bei den benachbarten Vorschriften, in denen ja die gleiche Formulierung zu finden ist, Geltung beanspruchen müssen. Das Tatschuldprinzip wäre damit contra legem ausgehöhlt. Aus guten Gründen hat deshalb der BGH auch diese Begründung verworfen. 50 Wenn man die Tatbestandslösung ablehnt, stellt sich die Frage, wie es sich mit einer gesetzlichen Ausnahmeregelung verhalten würde. Denn kaum jemand will, daß es in solchen Fällen nur bei einer Strafbarkeit nach § 323a StGB bliebe. Eine solche Ausnahmeregelung wäre jedoch inkonsequent. Meint man, daß die Rechtsfigur der actio libera in causa dem Koinzidenzprinzip widerspricht, so ist sie damit für das Strafrecht sachlich erledigt. Eine Ausnahmeregelung wäre deshalb mit dem Makel behaftet, in Widerspruch zu einer der Grundlagen jeglicher Strafgesetzgebung zu stehen: dem Tatschuldprinzip. Diese Problematik ließe sich allerdings dadurch entschärfen, daß man eine gesetzliche Regelung, solange sie innerhalb der Grenzen der actio libera in causa bliebe, auch als Klarstellung im Sinne des Tatbestandslösung auffassen könnte und damit die Harmonie mit dem Tatschuldprinzip wahren würde. 51 Eindeutig bedenklich wird der Ruf nach dem Gesetzgeber jedoch, sobald es nicht mehr um die Festschreibung der actio libera in causa geht, sondern die 47 Würtenberger, FS für Rittler, 1957, S. 125, 133; Welzel (Fn. 28), S. 21; Hirsch, GS für Tjong. 1985, S. 50, 55 ff. (= Strafrechtliche Probleme [Fn. 34], S. 410 ff.); LK-Hirsch (Fn. 31), Vor § 32 Rn. 35 ff.; Schönke / Schröder / Eser (Fn. 14). § J Rn. 17, § 2 Rn. 4. 48 BGHSt. 42, 235, 241. 49 Jerouschek, JuS 2001, 417, 421. 50 BGHSt. 42, 235, 240. Sie hätte zudem die gleichen sachwidrigen Konsequenzen, wie sie nachfolgend für das „Ausnahmemodell“ aufgezeigt werden. 51 Aus der dogmatischen Sicht ist es dabei letztlich gleichgültig, ob man die Klarstellung bei der Regelung der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder – sachnäher – der Täterschaft (§ 25 StGB) vornimmt. Im übrigen wird, abgesehen von der Unvereinbarkeit mit dem Koinzidenzprinzip, beim Ausnahmemodell leicht übersehen, daß es die Grenzen der ihm zugedachten Möglichkeiten erreicht, wenn der Rauschtäter sich für die Erfolgsherbeiführung nicht nur schuldunfähig, sondern handlungsunfähig macht. Hier kämen auch die Anhänger der Ausnahmelösung nicht daran vorbei, den Unrechtsbeginn der Tat bereits beim Sichberauschen zu sehen.

Tatstrafrecht – ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?

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Schuldunfähigkeitsregelung des § 20 StGB für nicht anwendbar erklärt wird, wenn der Täter den Rausch schuldhaft herbeigeführt hat. Ob wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tat zu bestrafen ist, entscheidet sich dann nämlich nach dem psychischen Befund im Zeitpunkt der im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Rauschtat. Wer also fahrlässig eine rauschbedingte Schuldunfähigkeit herbeiführt und in dieser eine vorsätzliche Tötung begeht, wird anders als nach der Rechtsfigur der actio libera in causa nicht wegen fahrlässiger Tötung, sondern wegen Mordes oder Totschlags bestraft. Regelungen solcher Art gibt es in einer Reihe ausländischer Strafgesetzbücher, beispielsweise in Rußland und Polen. 52 Wie das Beispiel zeigt, führt diese Konstruktion zu eklatant ungerechten Ergebnissen. Sie zeigt die Folgen der Durchbrechung des Koinzidenzprinzips. Während sich bei der actio libera in causa Vorsatz oder Fahrlässigkeit nach der im Zustand der Schuldfähigkeit erfolgenden mittelbaren Tathandlung bestimmt, wird bei einer solchen Lösung Vorverschulden zum Ersatz für die fehlende Schuldfähigkeit bei der Rauschtat. Man blickt auf den Täter und vernachlässigt die zum Zeitpunkt der im Rausch begangenen Handlung tatsächlich bestehende Schuldunfähigkeit. Dies wird noch zugespitzt von Hruschka, der von seinem Ausgangspunkt her konsequent dem Vorverschulden nicht nur in Rauschfällen, sondern auch allgemein in Fällen vorverschuldeter Schuldunfähigkeit – und darüber hinaus sonstigen Fällen des Schuldausschlusses – eine die fehlende koinzidente Schuld ersetzende Bedeutung zusprechen will. 53 Damit hat man sich hier dann vollends vom Tatstrafrecht verabschiedet. Es zeigt sich somit, daß die Einhaltung des Koinzidenzprinzips ebenfalls ein striktes Gebot des Tatstrafrechts darstellt. 54 5. Strafhöhe, insbesondere bei Rückfall

Als im 19. Jahrhundert über den Gegensatz von Tat- und Täterstrafrecht diskutiert wurde, hat der Rückfall eine erhebliche Rolle gespielt. Es ging darum, ob es mit einem grundsätzlichen Tatstrafrecht zu vereinbaren ist, wenn bei Vorliegen der Rückfallvoraussetzungen eine höhere Strafe ausgesprochen wird, als dies der Schuld der zur Aburteilung stehenden Tat entspricht. 55 Oben wurde schon 52 Art. 23 russ. StGB, Art. 31 § 3 poln. StGB, auch Kap. 2 § 15 Abs. 3 ehem. DDRStGB. 53 Hruschka, JZ 1996, 64, 69, 72. 54 Dazu, daß entgegen im Schrifttum (so jetzt wieder Jähnke [Fn. 46], S. 405) teilweise geäußerter Auffassung auch § 17 Satz 2 und § 35 Abs. I Satz 2 StGB keine Durchbrechungen des Koinzidenzprinzips darstellen. im einzelnen Hirsch, FS für Nishihara, S. 92 ff. Die von Jerouschek, JuS 2001, 417 ff., 424, vertretene grundsätzliche Relativierbarkeit des Koinzidenzprinzips entspricht nicht dem Tatstrafrecht. 55 Darüber im einzelnen Bockelmann (Fn. 2), I. Teil, S. 11 ff.

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Grundsätzliche Fragen

darauf hingewiesen, daß v. Liszt meinte, das Tatprinzip gelte nur für die Strafvoraussetzungen, nicht aber für die Strafe selbst. 56 Diese ganz am Gedanken der Zweckstrafe orientierte Auffassung hat sich so jedoch nicht durchgesetzt. Denn auch die Strafzumessungsschuld läßt sich nicht von der einzelnen Tat lösen. Sie ist zwar umfassender als die deliktskonstituierende Tatschuld (Strafbegründungsschuld), weil für die Bestimmung der angemessenen Höhe der Sanktion auch Faktoren, die der Straftat vorhergehen, sie begleiten oder ihr folgen, zu Gunsten und zu Lasten des individuellen Täters eine Rolle spielen (siehe den Katalog in § 46 Abs. 2 StGB). Aber die Strafzumessungsschuld betrifft gleichwohl die Ahndung der begangenen einzelnen Tat; sie berücksichtigt dabei nur auch das mit ihr im Zusammenhang stehende Gesamtgeschehen. 57 In § 46 Abs. 1 StGB wird ausdrücklich ausgesprochen, daß die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe ist, und das bedeutet insbesondere, daß die Strafe nicht über die Schuldangemessenheit hinsichtlich der begangenen Tat hinausgehen darf. Die Höhe der verhängten Strafe muß sich in den Grenzen des angemessenen „Schuldausgleichs“ für die Tat halten. 58 Für den Rückfall hat das die Konzequenz, daß er innerhalb dieses Rahmens Berücksichtigung finden kann. Die Rechtsprechung sieht Vorstrafen, vor allem wegen einschlägiger Delikte, durchweg als strafschärfenden Umstand der Strafzumessung an. 59 Im Schrifttum wird dazu darauf hingewiesen, daß es nicht um die Vorstrafe als solche geht, sondern um die von ihr unbeeindruckte Begehung der jetzigen Tat. 60 Der Rückfall eröffnet also, wie die heutige Fassung des deutschen StGB mit Recht zugrunde legt, keinen gegenüber der Strafdrohung der Einzeltat erhöhten Strafrahmen. Eine derartige Regelung wäre nicht mehr Tat-, sondern Täterstrafrecht; denn es ginge bei einer Strafrahmenverschärfung nicht um die Ahndung der abzuurteilenden begangenen Tat, sondern ausschließlich um ein präventives Vorgehen, das neue einschlägige Straftaten des Täters verhindern soll. Dafür sind jedoch das Maßregelrecht und das Strafvollstreckungsrecht zuständig. Im deutschen Recht, das durch § 46 StGB im Grundsätzlichen den Tatbezug garantiert, besteht heute das Problem in weiten Strafrahmen mit Obergrenzen, 56

Näher dazu Bockelmann (Fn. 2), 1. Teil, S. 101 ff. mit Nachw. Zum Tatbezug vgl. auch Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 886 („Schuldausgleich unter Berücksichtigung spezialpräventiver Bedürfnisse“), und Schönke / Schröder / Stree, StGB, 26. Aufl. 2001, § 46 Rn. 9a („in bezug auf die begangene Tat“), 9b („schuldangemessene Strafe als gerechter Schuldausgleich“). Mißverständlich ist es deshalb, wenn man sagt, das Tatstrafrecht gelte für die Strafbegründung, das Täterstrafrecht für die Rechtsfolgen. Daß begrüßenswerterweise bei den Rechtsfolgen verstärkt zugunsten der Täter spezialpräventive Gesichtspunkte (z. B. Strafaussetzung zur Bewährung) Berücksichtigung finden, bedeutet keinen Gegensatz zum Tatprinzip und auch nicht dessen Einschränkung. 58 Vgl. BVerfGE 50, 5, 12; 54, 100, 108; BGHSt 20, 264, 266; Schönke / Schröder / Stree (Fn. 57), Vor § 38 Rn. 13; Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 879; jeweils m.w. N. 59 Vgl. die einzelnen Rspr.-Nachw. bei Schönke / Schröder / Stree (Fn. 57), § 46 Rn. 31 ff. 60 Näher Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 892 f. 57

Tatstrafrecht – ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?

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die über der denkbaren Schuldangemessenheit liegen. So ist bei der Gefährlichen Körperverletzung (§ 224 n.F. StGB), die bislang überhaupt nur als Privatklagedelikt eingestuft war, die Strafrahmenobergrenze kürzlich von fünf auf zehn Jahre Freiheitsstrafe und damit auf das Doppelte angehoben worden. Dies kann angesichts der Interpretationsbreite des Begriffs „Schuldangemessenheit“ und der in der Praxis erkennbaren Tendenz, sich mehr für den Täter als für die Tat zu interessieren, als Einladung gelten, der wirklichen Schuldangemessenheit noch präventive Ziele draufzusatteln. 6. Einstellung nach Leistung einer Geldbuße

Eine mittelbare Aufweichung des Tatstrafrechts ist auch im Bereich des § 153a StPO zu beobachten. Es häufen sich Berichte über an Geldzahlungen an den Staat oder gemeinnützige Einrichtungen gekoppelte Opportunitätseinstellungen (§ 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO), in denen kein hinreichender Tatverdacht festgestellt war, also die Ermittlungen nicht bis zur Anklagereife gediehen waren. Es geht um Fälle, in denen die Beweislage schwierig ist oder auch die Rechtslage Probleme bereitet. 61 Man stellt den Beschuldigten vor die Alternative, daß entweder weiter ermittelt und dann möglicherweise Anklage erhoben wird oder daß das Verfahren gegen Zahlung eines – oft hohen – Geldbetrags eingestellt wird. Wer das notwendige Geld aufbringen kann, entscheidet sich dann regelmäßig für die Geldzahlung, um möglichst schnell nicht mehr mit den Strafverfolgungsbehörden konfrontiert zu sein. Da die Geldzahlung Sanktionscharakter hat, nämlich ein punitives Übel für den Betroffenen darstellt, eine von diesem begangene Tat aber nicht hinreichend ermittelt worden ist, kann von Tatstrafrecht und daraus resultierendem Schuldstrafrecht hier keine Rede mehr sein. Es geht nicht um die strafrechtliche Reaktion auf eine begangenen Tat, sondern um die in die Form einer Unterwerfungssumme gekleidete Sanktion gegen einen nur möglichen Täter. Auf deren Höhe haben zudem der persönliche Eindruck, den der Betreffende vermittelt, und seine Kooperationsbereitschaft beherrschenden Einfluß – also rein personbezogene Faktoren. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß die heute auch im kontinentaleuropäischen Strafrecht um sich greifende Absprachenpraxis bereits zu Bedenken 61 In jüngster Zeit ins Blickfeld auch der breiten Öffentlichkeit getreten bei der mit der Zahlung von 300.000 DM verknüpften Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen angeblicher Untreue (zum Nachteil seiner Partei) gegen den Altbundeskanzler Kohl. Die Zustimmung zur Einstellung durch die Staatsanwaltschaft ist vom LG Bonn, NJW 2001, 1736, u. a. damit begründet worden, daß die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht zweifelhaft sei. Zwar heißt es in dem an die Praxis adressierten StPO-Kommentar von Kleinknecht / Meyer-Großner, StPO, 45. Aufl., 2001, § 153a Rn. 7, daß „hinreichender Tatverdacht bestehen“ müsse, da „nur dann ... dem Beschuldigten die (freiwillige) Übernahme besonderer Pflichten zugemutet werden“ könne. Aber bis zur Anklagereife gediehene Ermittlungen bilden in der Rechtswirklichkeit kaum die Regel.

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Grundsätzliche Fragen

hinsichtlich der Wahrung des Tatstrafrechts geführt hat. So bemerkt der italienische Kriminalist Moccia: „Die Absprachenpraxis ... führt zur Vermehrung diffuser Tatbestände, die an eine Seinsart statt an eine empirisch nachprüfbare Verhaltensweise anknüpfen und somit den Weg zum Wandel vom Tat- zum Täterstrafrecht bereiten.“ 62 III. Es ist an der Zeit, daß von seiten der Wissenschaft das Tatstrafrecht und die von ihm gezogenen Grenzen dort, wo es nötig ist, in Erinnerung gebracht werden. Gesichtspunkte der Prävention und der Verfahrensökonomie drohen zu dominieren. Weder der Gesetzgeber noch die Strafrechtspflege haben einen Freibrief, über die Grundprinzipien des Strafrechts zu disponieren. Auch läßt sich von wissenschaftlichen Aussagen nicht sprechen, wenn hier und dort von Theoretikern gesagt wird, einzelne Abweichungen von den Grundprinzipien seien unvermeidbar und unschädlich. Ausnahmen bestätigen hier gerade nicht die Regel, sondern führen zu Widersprüchen in der Sache. Die „Frankfurter Richtung“, welcher der Jubilar an herausragender Stelle angehört, hat das große Verdienst, den Blick der Fachwelt früh und mit Nachdruck auf negative Gesamtentwicklungen des Strafrechts gelenkt zu haben.

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Moccia, in: Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften?, 2001, S. 293, 298.

Moderne Strafgesetzgebung und die Grenzen des Kriminalstrafrechts 1999 I. Im Jahr 1995 erschien in Deutschland ein Aufsatzband mit dem Titel „Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts“. 1 Auch sonst ist allenthalben von der Krise des Strafrechts die Rede. Wir erleben in Deutschland seit den 70er Jahren entgegen der auf Entkriminalisierung setzenden Tendenz der damaligen Strafrechtsreform eine ständige Zunahme neuer Strafbestimmungen. Ähnlich verhält es sich in vielen anderen Staaten. Bei den neuen Strafbestimmungen geht es um drei sich teilweise überschneidende Erscheinungsformen: Die im Vordergrund stehende Gruppe betrifft Handlungsweisen, die zum Teil bisher im Ordnungswidrigkeitenrecht – in anderen Staaten im Übertretungsrecht – oder Nebenstrafrecht mit punitiven Sanktionen bedroht waren, aber durch einen Wandel der Wertvorstellungen größeres Gewicht erhalten haben. Mit der Aufnahme ins Strafgesetzbuch haben sie eine Aufwertung und Verschärfung zu Kriminalstraftaten sowie eine Ausdehnung, namentlich ins Vorfeld, erfahren. Hierher gehören vor allem das Umweltstrafrecht und das Wirtschaftsstrafrecht. Eine zweite Gruppe hat Handlungsweisen aus Bereichen zum Gegenstand, die infolge des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts neu entstanden sind, wie der Computertechnik, der Atomtechnik und der Gentechnologie. Bei der dritten Gruppe schließlich geht es um Deliktsbereiche, in denen ein bereits strafbares Verhalten stark angestiegen ist und dieses tatsächliche Anwachsen der Delinquenz und ihrer Erscheinungsformen zu Vorverlegungen und Verschärfungen der Strafbarkeit Anlaß gegeben hat. Zu nennen sind die Drogenkriminalität und allgemein die organisierte Kriminalität. Die starke Zunahme der Kriminalität, gerade auch in Gebieten des klassischen Strafrechts, insbesondere der Eigentums-, Vermögens- und Gewaltkriminalität, sowie die zunehmende Professionalisierung und internationale Verflechtung ganzer Kriminalitätsfelder haben außerdem zu Änderungen im Rechtsfolgensystem ge-

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Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a. M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995.

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Grundsätzliche Fragen

führt. 2 In Deutschland ist namentlich die Wiedereinführung der Vermögensstrafe zu nennen. Eine Ausdehnung des Gebiets der Kriminalstrafe spiegelt sich auch in Tendenzen wider, die bisherige Begrenzung auf das Individualstrafrecht aufzugeben und nach dem Vorbild des angelsächsischen Strafrechts juristische Personen für straffähig zu erklären – Tendenzen, die in einigen Staaten schon Gesetz geworden sind. Auf Extension des Strafrechts zielt ferner eine unter der Fahne des TäterOpfer-Ausgleichs und der Theorie von der sogenannten Integrationsprävention angetretene Strömung der Kriminologie und der Kriminalpolitik, von welcher der in einem Strafverfahren angeordnete Schadensersatz als ein Unterfall der Strafe oder doch jedenfalls als eine der Natur nach strafrechtliche Rechtsfolge eingestuft wird. 3 II. Die geschilderte Entwicklung hat in Deutschland eine Grundsatzdebatte darüber ausgelöst, ob das Strafrecht noch auf dem richtigen Wege ist. Terminologisch ist hier anzumerken, daß mit Strafrecht dabei das Kriminalstrafrecht gemeint ist, also das Strafrecht unter Ausschluß der Ordnungswidrigkeiten. Diese sind in Deutschland bekanntlich auch terminologisch vom Strafrecht abgetrennt, während sie in den meisten anderen Rechtsordnungen zwar zum Strafrecht gerechnet, aber auch dort als Übertretungen und Verwaltungsstrafrecht vom Kriminalstrafrecht unterschieden werden. Wenn im folgenden von Strafrecht die Rede ist, geht es, wie auch schon das Thema des Vortrags deutlich macht, um das Strafrecht im engeren Sinne, eben um das Kriminalstrafrecht. Im Mittelpunkt der vorerwähnten Grundsatzdebatte steht die Kritik, die von Frankfurter Strafrechtlern – man spricht inzwischen von Frankfurter Richtung – an der Entwicklung der modernen Strafgesetzgebung geübt wird. 4 Diese Autoren sind der Auffassung, daß die erfolgte Erweiterung des Katalogs der Strafbestimmungen und die Vorverlegung des strafrechtlichen Schutzes dem durch die Kriminalstrafe geprägten Wesen des Strafrechts widersprächen. Hassemer, der führende Vertreter dieser reduktionistischen Richtung, schreibt, 5 es sei an der Zeit, daß die 2

So in Finnland, Frankreich und den Niederlanden. Siehe dazu die Nachweise bei Hirsch, ZStW 102 (1990), 534, 537 ff., 540 ff. 4 Hassemer, ZRP 1992, 378 ff.; ders., JuS 1987, 257 ff.; ders., Neue Kriminalpolitik, 1989, S. 47 ff.; ders., NStZ 1989, 553 ff.; ders., Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 1 ff., sowie seine Schüler Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991; ders., ZStW 105 (1993), 727 ff., und P.-A. Albrecht, KritVJ 1993, 163 ff. Siehe auch Naucke, Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff, 1985, S. 38 ff. Hinzuweisen ist außerdem auf die Ergebnisse des 12.Strafverteidigertages 1988, StV 1988, 275 ff. 3

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neueren Entwicklungen wieder mit den strafrechtlichen Traditionen in Übereinstimmung gebracht werden. Deshalb sei die Reduzierung des heutigen Strafrechts auf ein „Kernstrafrecht“ notwendig. Kritisiert wird an der neueren Strafgesetzgebung insbesondere, daß sie durch die Ausrichtung auf uferlose Rechtsgüter der Allgemeinheit, man spricht auch von Universalrechtsgütern, den Rechtsgutsbegriff auflöse und eine Ausbreitung bloßer abstrakter Gefährdungsdelikte im Kriminalstrafrecht – also oberhalb des Ordnungswidrigkeiten- oder Übertretungsrechts mit sich bringe. Auch wird die praktische Eignung mit dem Blick auf das Umweltstrafrecht durch den Hinweis auf die Schranken, die sich aufgrund der Verwaltungsakzessorietät ergeben, in Abrede gestellt. Soweit die auszugrenzenden Fälle sich nicht durch das Ordnungswidrigkeiten-, Verwaltungs- oder Zivilrecht ausreichend erfassen ließen, soll nach Auffassung der Frankfurter Theoretiker ein zusätzlich zwischen Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht anzusiedelndes sogenanntes staatliches „Interventionsrecht“ eingreifen. 6 III. 1. An erster Stelle wird von dieser reduktionistischen Richtung also vorgebracht, daß die moderne Ausweitung des Katalogs der Strafbestimmungen in Gegensatz zum Rechtsgutsbegriff gerate. Erforderlich sei die Rückbesinnung auf eine systemtranszendente personale Rechtsgutslehre, die auf den Individualgüterschutz ausgerichtet ist. Kritik übt man vornehmlich am Umweltstrafrecht. Aber auch beim Wirtschaftsstrafrecht sowie bei den neuen Tatbeständen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind die Rechtsgutsfragen besonders aktuell. Blicken wir auf das Umweltstrafrecht, so ist in der kriminalpolitischen und strafrechtlichen Diskussion davon die Rede, dass die „Umwelt“ oder jedenfalls – wie vorwiegend gesagt wird 7 – „Wasser, Luft und Boden“ die geschützten Rechtsgüter seien. Der Rechtsgutsbegriff wird hier also auf sehr weite Inhalte ausgedehnt. Während die herrschende Meinung 8 dabei von einem Bezug auf die Erhaltung der menschlichen Lebensgrundlagen ausgeht, weshalb man von einer „ökologisch-anthropozentrischen“ Sichtweise spricht, wird von einigen Autoren sogar eine rein 5

Hassemer, ZRP 1992, 378, 379, 383; ders., Produktverantwortung (Fn. 4), S.2. Hassemer, ZRP 1992, 378, 383; u. a. im Anschluß an den ebenfalls Frankfurter Strafrechtler Naucke (Fn. 4), S. 38 ff. 7 Vgl. Cramer, in: Schönke / Schröder, StGB, 25.Aufl. 1997, Vor § 324 Rdn. 8; Steindorf, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11.Aufl. 1997, Vor § 324 Rdn. 15 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen. 8 Vgl. Cramer (Fn. 7) mit weiteren Nachweisen in Übereinstimmung mit der amtl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. 8/2382, S. 9 f. 6

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Grundsätzliche Fragen

ökologische, also ökozentrische Sichtweise vertreten. Danach soll die Umwelt bereits um ihrer selbst willen strafrechtlich geschützt werden. 9 Auch im Wirtschaftsstrafrecht nimmt die herrschende Meinung bei neueren Vorschriften weite Universalrechtsgüter an, teils neben dem Vermögen, teils aber auch ausschließlich. So ist beim Subventionsbetrug vom Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Subventionswesens, – beim Kapitalanlagebetrug von dem der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts usw. die Rede. 10 Anzuführen ist ferner die Geldwäsche, bei der ein Teil des Schrifttums bezüglich der meisten Begehungsformen schlicht auf die innere Sicherheit als Rechtsgut verweist. 11 Und bei den Straßenverkehrsdelikten wird als geschütztes Interesse das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit des Straßenverkehrs genannt. 12 Was wir in allen diesen Bereichen beobachten, ist der Abstand vom typischen Rechtsgutsverständnis. Dieses ist orientiert an deutlich umrissenen Schutzgütern wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Eigentum und dergleichen; auch ist die anthropozentrische Ausrichtung selbstverständlich. Die reduktionistische Richtung fordert deshalb, daß diese neueren Strafbestimmungen, weil sie mit dem seiner Natur nach systemtranszendent-personalen Rechtsgutsbegriff unvereinbar seien, wieder aus dem Strafrecht ausgeschieden werden. Es stellt sich daher die Frage, ob oder inwieweit der Rechtsgutsbegriff dem Strafrecht inhaltliche Grenzen vorgibt. Eine der Grundaussagen in den strafrechtlichen Lehrbüchern lautet: Aufgabe des Strafrechts ist Rechtsgüterschutz. 13 In Verbindung damit wird nicht nur von Frankfurter Seite, sondern verbreitet behauptet, durch den Rechtsgutsbezug werde die Art der Gegenstände, auf den sich ein möglicher Strafschutz beziehen kann, systemtranszendent inhaltlich eingegrenzt. 14 Anders formuliert: Ein dem Strafgesetzgeber vorgegebener Kreis begrifflich möglicher Schutzobjekte markiere dessen Grenzen. 9

Arzt, Kriminalistik 1981, 117, 120; Krey, Bes. Teil I, 11.Aufl. 1998, Rdn. 813. Vgl. Lenckner, in: Schönke / Schröder, § 264 Rdn. 4, § 264a Rdn. 1; Tiedemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 264 Rdn. 11, § 264a Rdn. 13 mit weiteren Nachweisen. 11 Siehe Barton, StV 1993, 90; Körner / Dach, Geldwäsche, 1994, S. 13, nach denen zwar der in § 261 Abs. 1 dt. StGB enthaltene Vereitelungstatbestand die Rechtspflege schützt, sonst aber hier als Universalrechtsgut die innere Sicherheit geschützt werde. 12 So Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 280 ff., 290, der allerdings vermeidet, dieses Interesse schon als Rechtsgut einzustufen. Vielmehr gehe es – als dem beeinträchtigten Gegenstand der Normen abstrakter Gefährlichkeitsdelikte – um die zur sorgenlosen Verfügung über Güter notwendigen Sicherheitsbedingungen (S. 280), die für eine rationale Verfügung über Güter erforderliche Sicherheit (S. 281 f.). 13 Vgl. Jescheck / Weigend, Allg. Teil, 5.Aufl. 1996, S. 7; Roxin, Allg. Teil I, 3.Aufl. 1997, § 2 Rdn.1. 14 Neben Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, 1973, S. 19 ff., 314 ff.; ders., Alternativkommentar zum StGB, 1990, Vor § 1 Rdn. 255 ff. siehe: Amelung, Rechts10

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Für diese Auffassung scheint die während der nationalsozialistischen Diktatur geführte Diskussion um die Lehre vom Verbrechen als Pflichtverletzung zu sprechen. 15 Dieser von der NS-Weltanschauung geprägten Lehre hat man unter anderem entgegengehalten, daß sie das Rechtsgut als vorgegebenen Bezugspunkt der strafrechtlichen Betrachtung preisgibt. 16 Hassemer hat für das Rechtsgutsargument der Frankfurter Richtung als rechtstheoretische Begründung die Theorie vom Sozialvertrag angeführt. Er leitet aus dem Sozialvertrag ab, daß als Straftat nur die Verletzung der sozial vertraglich gesicherten Freiheiten gelten dürfe. 17 Dem ist aber entgegenzuhalten, daß eine solche Urversion des Sozialvertrags zwar für einen gedachten Anfang menschlicher Gesellschaften nachvollziehbar sein mag, sich in solcher Vereinfachung jedoch nicht auf zivilisatorisch und kulturell weiterentwickelte Gesellschaften übertragen läßt. In ihnen spielen vielmehr auch Werte und Interessen überindividueller, die Gesamtheit betreffender Natur eine wichtige Rolle. Das bestätigt übrigens die Rechtsgutslehre selbst. Sie löste nämlich Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Auffassung ab, die den Schutz subjektiver Rechte als Gegenstand des Strafrechts ansah. Für die Rechtsgutslehre war von Anbeginn klar, daß es nicht nur Individualrechtgüter gibt. Der Bestand des Staates als Rechtsgut der Hoch- und Landesverratsvorschriften oder der öffentliche Frieden als Gegenstand der Religionsdelikte seien als Beispiele genannt. Auch sollte man nicht verkennen, daß der Rechtsgutsbegriff kein ausschließlich strafrechtlicher Begriff ist und sich selbstverständlich der Sozialvertrag nicht auf den strafrechtlichen Schutz beschränkt, weshalb die Berufung auf ihn darauf hinauslaufen würde, überhaupt auf einen rechtlichen Schutz der fraglichen Bereiche zu verzichten. 18 Bemerkenswert ist, daß die reduktionistische Meinung ihren Ausgangspunkt nicht durchhält. Ihre Vertreter räumen nämlich schließlich selbst ein, daß Rechtsgüter der Allgemeinheit, also Universalrechtsgüter, auch im Strafrecht nicht ganz unbeachtet bleiben können, etwa bei den Brandstiftungs- und Rechtspflegedelikten. 19 Es geht ihnen bei der Reduzierung des Strafrechts auf ein „Kernstrafrecht“ güterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972, S. 314 ff.; Otto, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 1, 15 ff.; Rudolphi, Honig-Festschrift, 1970, S. 151, 161. Siehe auch Roxin (Fn. 13), § 2 Rdn. 7, 9 ff., der die „vorgegebene Beschränkung“ jetzt aber aus den „Prinzipien der Verfassung“ ableiten will und damit doch einen positivistischen – von der Existenz oder dem Inhalt einer Verfassung abhängigen – Rechtsgutsbegriff vertritt. 15 Namhafteste Vertreter dieser Lehre: Dahm, ZStW 57 (1938), 225, 233, und Schaffstein, Das Verbrechen als Pflichtverletzung, 1935. 16 Vgl. die Kritik durch Schwinge / Zimmerl, Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken im Strafrecht, 1937; auch die Darstellung der Kontroverse bei Maurach, Allg. Teil, 1.Aufl. 1958, S. 117, 169. 17 Hassemer, ZRP 1992, 378, 379. 18 Kritisch zu der Berufung auf den Sozialvertrag auch Schünemann, GA 1995, 201, 204.

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Grundsätzliche Fragen

genauer betrachtet mithin nur darum, daß das Strafrecht das grundsätzliche Gepräge durch den Individualrechtsgüterschutz wahrt und den klassischen Bereich erfaßter Universalrechtsgüter im Prinzip nicht überschreitet. Demgegenüber ist jedoch anzumerken: Wenn ein strafrechtlicher Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit möglich ist, wie die Rechtsgutslehre seit langem herausgearbeitet hat, dann ist der Katalog solcher Rechtsgüter ebenso offen wie der der Individualrechtsgüter. Die Entwicklung der Wertungen und Gegenstände der Bewertung ist in der Gesellschaft ständig in Fluß, und je nachdem kann sich der Anteil der Individualrechtsgüter und der Rechtsgüter der Allgemeinheit am strafrechtlichen Rechtsgüterschutz verschieben. Gleichzeitig wird dabei deutlich, daß der Rechtsgutsbegriff nicht die Bedeutung hat, dem Gesetzgeber quasi naturrechtlich die inhaltlichen Grenzen des strafrechtlichen Schutzes vorzugeben, sie für ihn gewissermaßen einzufrieren. Darauf hat auch schon Androulakis in seinem 1996 in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft erschienenen Beitrag über den Primat der Strafe hingewiesen, wo er sich gegen „Hypostasierungen wie das Rechtsgut“ wendet. 20 Zu weit gehen jedoch neuere Literaturstimmen, die den Begriff überhaupt für entbehrlich halten. Denn er hat für die Auslegung und Einordnung der Strafbestimmungen eine sehr wichtige positivrechtliche Rationalisierungsfunktion. Ein Tatstrafrecht – im Unterschied zum Gesinnungsstrafrecht – verlangt, daß Rechenschaft darüber abgelegt wird, worin das den Gegenstand der Strafnorm bildende rechtlich schutzbedürftige Interesse besteht. Strafbestimmungen, die nur moralische Verstöße zum Gegenstand haben, man denke an früher pönalisierte Bereiche des Sexuallebens, können auf solche Weise, weil ihnen der Bezug zu einem rechtlichen Schutzinteresse fehlt, als nicht ins Strafrecht gehörig verdeutlicht werden. Es geht hier also um die rationale Erklärung der Strafbarkeit. Eine praktisch noch wichtigere Rolle besteht darin, daß durch eine vom Gesetz her erfolgende klar konturierte Rechtsgutsbestimmung der Umfang des Tatbestands fest umrissen und vor allem erreicht wird, den jeweiligen Tatbestand als Verletzungsdelikt oder als bereits im Vorfeld liegendes Gefährdungsdelikt einzuordnen. Letzteres ist ja für die Bewertung des Unrechtsgehalts und die Höhe der daran anknüpfenden Sanktion von erheblichem Gewicht. Weiterhin ermöglicht der positivrechtliche Rechtsgutsbegriff eine rational nachvollziehbare Abstimmung der Strafrahmen der Delikte im Verhältnis zueinander. Betrachtet man die moderne Strafgesetzgebung, besteht unter dem Blickwinkel des Rechtsgutsbegriffs danach erheblicher Klärungsbedarf. Den Anhängern der Frankfurter Richtung ist einzuräumen, daß Wasser, Boden und Luft, und zwar auch dann, wenn man diese sozialordnungsbezogen ökologisch-anthropozentrisch 19 Siehe namentlich Hassemer, ZRP 1992, 378, 383, und näher ders., in: Alternativkommentar (AK), 1990, Vor § 1 Rdn. 274 ff. 20 Androulakis, ZStW 108 (1996), 300, 331.

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als menschliche Lebensgrundlagen sieht, unter dem Aspekt der Rechtsgutslehre von größter Unschärfe sind. Aber es ist doch festzustellen, daß die weitere Konturierung nicht unmöglich ist. Dabei geht es namentlich darum, daß man bei der Rechtgutsbestimmung hier ebenso, wie es bei Individualrechtsgütern, so der körperlichen Unversehrtheit oder dem Eigentum, der Fall ist, die Blickrichtung auf das jeweilige konkrete Gut, das konkrete Schutzinteresse, eröffnet: also beispielsweise auf einen bestimmten Gewässerbereich in seinem, ihm angemessenen ökologischen Zustand. Das Kriterium der Sozialschädlichkeit ist dabei zur negativen Abgrenzung hilfreich: Das Rechtsgut ist erst dann verletzt, wenn ein meßbarer Schaden eintritt. Ebenso besteht bei den anderen Gebieten, so dem Wirtschaftsstrafrecht, den Strafbestimmungen gegen die organisierte Kriminalität und auch schon dem Straßenverkehrsstrafrecht, das eigentliche Problem in der Präzisierung. Die in dieser Hinsicht bestehenden Defizite wirken sich namentlich im Wirtschaftsstrafrecht in der Weise aus, daß durch die Behauptung, es gehe um die Verletzung von Universalrechtsgütern, verschleiert wird, daß man es nur mit Gefährdungsdelikten, also Vorfelddelikten, und zwar hier in bezug auf das Vermögen, zu tun hat. Die Kritik, die von den Reduktionisten aus der Sicht des Rechtsgutsbegriffs an der modernen Strafgesetzgebung geübt wird, trifft also nicht den eigentlichen Punkt und gelangt zu viel zu weitreichenden Folgerungen. Vom Rechtsgutsbegriff her ergibt sich nicht, daß die neuen Gebiete wieder aus dem Strafrecht herauszunehmen sind, sondern die Forderung an Wissenschaft und Rechtsprechung, die durch die betreffenden Vorschriften geschützten Rechtsgüter zu präzisieren und auf diesem Wege auch klar zu verdeutlichen, ob und gegebenenfalls inwieweit man es mit Ausdehnungen der Strafbarkeit ins Vorfeld zu tun hat. Dabei kann sich dann möglicherweise zeigen, daß es sich um Vorfeldverhalten handelt, das seinem Unrechtsgehalt nach nur ins Ordnungswidrigkeitenrecht paßt. 2. Von der Frankfurter Richtung wird gesehen, daß es sich bei einem Großteil der neuen Vorschriften nicht um Verletzungsdelikte, sondern um abstrakte Gefährdungsdelikte handelt. Sie meint, daß solche Delikte ihrer Natur nach nicht ins Strafrecht gehörten. 21 Liest man genauer, wird allerdings deutlich, daß sie sich mehr gegen die starke Ausbreitung als gegen die Strafbarkeit von abstrakten Gefährdungsdelikten schlechthin wendet. Es heißt, daß deren Einbeziehung ins Strafrecht zwar im klassischen Bereich, namentlich bei den Brandstiftungsdelikten, strafrechtlich legitim sei, nicht aber in den neuen Bereichen. 22 Es geht dieser Richtung also mehr um die Verhinderung einer Akzentverlagerung des Strafrechts auf Vorfeldhandlungen als um die Behauptung einer Unvereinbarkeit schlechthin – also nicht um eine qualitative, sondern eher um eine quantitative Frage. 21 22

Hassemer, ZRP 1992, 378, 383, und insbesondere Herzog (Fn. 4), S. 71 ff. Hassemer, ZRP 1992, 378, 383.

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Grundsätzliche Fragen

Das Problem der sogenannten abstrakten Gefährdungsdelikte ist allerdings bis in die Gegenwart dadurch belastet, daß man mit der Alternative von konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten operiert. Genauer besehen ist zwischen Gefährdungsdelikten, bei denen es sich immer um die Herbeiführung eines konkreten Gefährdungserfolgs handelt, also beispielsweise ein bestimmter Mensch wird in eine konkrete Gefahrenlage gebracht, einerseits und Gefährlichkeits- oder gleichbedeutend Risiko andererseits zu unterscheiden. 23 Bei den letzteren geht es nicht um die Verwirklichung eines solchen Erfolges, sondern um die vom Standort des Handelnden zu bestimmende Gefährlichkeit, also Risikobehaftetheit, einer Handlung, z. B. das Schneiden einer Kurve, ohne daß der Fahrer sich des Nichtvorhandenseins eines entgegenkommenden Fahrzeugs sicher sein kann. Während man bei den Gefährdungsdelikten ebensowenig wie bei den Verletzungsdelikten zwischen konkreten und abstrakten differenzieren kann, weil es sich bei ihnen um die Verwirklichung einer Gefahrlage für ein bestimmtes Objekt handelt, läßt sich bei den Risikodelikten zwischen konkret und abstrakt unterscheiden, je nachdem, ob ein von einer Handlung ausgehendes konkretes Risiko verlangt wird oder eine abstrakte Eignung genügen soll. Macht man sich diesen Sachunterschied bewußt, so springt ins Auge, daß sich hinter der als abstrakte Gefährdungsdelikte bezeichneten Kategorie in Wahrheit auch durchaus konkrete Risikohandlungen verbergen. Und das ist sogar zumeist der Fall, weil ex ante vom Standort des Handelnden in der Regel die konkrete Schädigungseignung der Handlung zu bejahen ist. Damit aber tritt der materiale Unrechtsgehalt klar zutage. Lediglich in den Fällen, in denen eine Handlung kein konkretes Risiko aufweist, haben wir es mit dem Bereich zu tun, bei dem nur noch die Mißachtung des Normbefehls in Rede steht. Angesichts ihres materialen Unrechtsgehalts besteht jedenfalls kein absolutes Bedenken gegen konkrete Risikodelikte im Strafrecht. Was hier jedoch bedeutsam wird, ist die Existenz des Ordnungswidrigkeitenrechts oder – in anderen Rechtsordnungen – der Kategorie der Übertretungen. Sie bilden die Domäne der Risikodelikte – man denke an das Straßenverkehrsrecht – und haben durch diese ihr Gepräge erhalten. Nachdem man zunächst fälschlich glaubte, daß die Unterscheidung von Strafrecht, nämlich Kriminalstrafrecht, und Ordnungswidrigkeitenrecht auf einer qualitativen Verschiedenheit des Unrechts beruhe, hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, daß es sich nur um einen quantitativen Unterschied im Unrecht handelt. 24 Das hat kürzlich Mylonopoulos in Auseinandersetzung mit in Frankreich diskutierten Kriterien erneut aufgezeigt. 25 Daher geht es bei der 23 Näher dazu Hirsch, in: Arthur Kaufmann-Festschrift, 1993, S. 545 ff.; ders., in: K. Buchala-Festschrift, 1994, S. 223 ff.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 52 ff., 158, 203. 24 Jescheck / Weigend (Fn. 13), S. 58 f.; Göhler, OWiG, 12.Aufl. 1998, Vor § 1 Rdn. 4 ff., mit weiteren Nachweisen. 25 Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, 1998, S. 68 ff.

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Frage, ob ein konkretes Risikodelikt ins Kriminalstrafrecht aufgenommen werden kann, um Wertungsgesichtspunkte, mit denen zu begründen ist, daß das betreffende Handeln sich dem Gewicht seines Unrechts nach ausnahmsweise über das der grundsätzlich einschlägigen Ordnungswidrigkeiten – in anderen Rechtsordnungen: Übertretungen – heraushebt. Bloße Beweiserleichterungen reichen daher zur Begründung nicht aus. Auch bedarf es stets einer Abstimmung mit den übrigen kriminalstrafrechtlichen Vorschriften, die das betreffende Rechtsgut schützen. Dies alles ist also bei der Schaffung ausnahmsweiser konkreter Risikotatbestände im vom Ordnungswidrigkeitenrecht abgehobenen Strafrecht zu beachten. Grundsätzliche Bedenken habe dagegen auch ich, ob echte abstrakte Risikohandlungen, also Verhaltensweisen, denen konkret gar kein Risiko anhaftet, überhaupt ins Strafrecht gehören. Denn bei ihnen handelt es sich, wie gesagt, nur noch um das Unrecht eines Gehorsamsverstoßes. Die Problematik ist besonders bei den Brandstiftungsdelikten und im Umweltstrafrecht hervorgetreten. 26 Es zeigt sich nach alledem, daß auch Risikodelikte kein prinzipielles Problem bilden, solange man die genannten Gesichtspunkte beachtet. 3. Schließlich wird noch von den Reduktionisten vorgebracht, daß das moderne Umweltstrafrecht die Grenzen des Kriminalstrafrechts auch deshalb überschreite, weil es für die Regelung dieses Gebiets inkompetent sei. Dies zeige sich an den Schranken, die aufgrund der Verwaltungsakzessorietät bestehen. 27 Die grundsätzliche Bindung an die verwaltungsrechtlichen Genehmigungen bedeute, daß es sich bei der Bestrafung von Umwelttaten nicht um Gerechtigkeit, sondern nur um die formelle Unvereinbarkeit mit verwaltungsrechtlichen Entscheidungen handele. Betrachtet man das überkommene Strafrecht genauer, stellt man indes fest, daß der Einfluß behördlicher Genehmigungen auf die Frage der Strafbarkeit gar keine neue Erscheinung darstellt. Vielmehr findet man solche Akzessorietätsregelungen bereits bei den Strafbestimmungen des Glücksspiels und der Vorteilsnahme durch Amtsträger. 28 Die Verwaltungsakzessorietät bedeutet auch nicht, daß formale Aspekte an die Stelle der Gerechtigkeit treten. Es ist nicht möglich, zu einem vorindustriellen Zustand der Umwelt zurückzukehren, sondern es kann nur darum gehen, die 26

Zu den dortigen, der Unterscheidung von konkreten und rein abstrakten (echten) Risikohandlungen noch nicht Rechnung tragenden Lösungsversuchen siehe im einzelnen Cramer (Fn. 7), Vor § 306 Rdn. 3a f. mit weiteren Nachweisen, und bezüglich des Umweltstrafrechts den § 326 Abs. 6 dt. StGB. Gegen die Einbeziehung echter abstrakter Risikohandlungen ins Kriminalstrafrecht näher Zieschang (Fn. 23), S. 380 ff. 27 Vgl. Ergebnisse des 12. Strafverteidigertages, StV 1988, 275, 276; Vierhaus, ZRP 1992, 161; eingehend auch Meinberg / Link, Umweltstrafrecht in der Praxis, 1988, S. 6 ff.; Heine / Meinberg, Gutachten zum 57. Deutschen Juristentag, 1988, D 72 ff. 28 Siehe § 284 Abs. 1 und § 331 Abs. 3 dt. StGB.

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Schäden nach und nach auf einen möglichst niedrigen Stand zu bringen. Die von der Verwaltung im Wege der Genehmigungs- und Verordnungspraxis festgelegten Richtwerte haben deshalb die Aufgabe, den jeweils möglichen Güterzustand der Umwelt zu gewährleisten und darüber hinausgehender Beeinträchtigungen als vermeidbar kenntlich zu machen. Es geht daher durchaus um etwas Materielles. Für Fälle, in denen Genehmigungen rechtsmissbräuchlich erteilt werden, hat das deutsche Strafrecht inzwischen Vorsorge getroffen: Derartige Genehmigungen sind strafrechtlich unbeachtlich. 29 Die grundsätzliche Begrenzung des Umweltstrafrechts durch die Verwaltungsakzessorietät bildet deshalb kein Argument für die Abschaffung der Umweltstrafbestimmungen. 4. Zur reduktionistischen Frankfurter Meinung läßt sich daher insgesamt feststellen, daß sie sicherlich das Verdienst hat, die Aufmerksamkeit auf die Auflösungs- und Ausdehnungstendenzen in der modernen Strafgesetzgebung gelenkt zu haben. In der Tat ist die starke Zunahme der Bejahung von Universalrechtsgütern fragwürdig, ebenso wie die Ausbreitung der Risikotatbestände. Auch stellt sich bei einigen neuen Vorschriften die Frage, ob eine punitive Sanktion überhaupt notwendig ist. Aber es schießt über das Ziel berechtigter Kritik hinaus, wenn man behauptet, daß alle Strafvorschriften, die über den als „Kernstrafrecht“ bezeichneten Bereich hinausgehen, im Strafrecht nichts zu suchen haben. Dieses ist nicht für alle Zeiten auf den Inhalt des deutschen Strafgesetzbuchs der 50er Jahre eingefroren. Der Gedanke an eine solche Strafrechtsidylle trägt romantische Züge. Vielmehr ist das Strafrecht offen für die Erfassung neuer Erscheinungsformen der Kriminalität, und zwar auch aufgrund veränderter Wertvorstellungen, wie das beim Umweltstrafrecht der Fall ist. Die zu beachtenden Grenzen sind nicht mit jenem „klassischen“ Inhalt des Strafgesetzbuchs identisch. 30 Das wird noch dadurch bestätigt, daß die Reduktionisten selbst davon ausgehen, daß die neu hinzugekommenen Vorschriften nicht sämtlich durch das Verwaltungs-, Zivil- oder Ordnungswidrigkeitenrecht aufgefangen werden können. Sie plädieren vielmehr für die Einführung eines unterhalb des Kriminalstrafrechts angesiedelten staatlichen „Interventionsrechts“. Dieses soll über weniger anspruchsvolle Garantien und Verfahrensregulierungen verfügen können als das Strafrecht, aber dafür auch mit weniger intensiven Sanktionen ausgestattet sein. Demgegenüber erhebt sich jedoch die Frage, wie ein staatliches „Interventionsrechts“ eigentlich bei Interessen der Allgemeinheit, z. B. im Umweltrecht, um die es den Reduktionisten hier doch geht, eine selbständige Rolle zwischen Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht spielen kann. Wenn es so wäre, dass die 29

Vgl. § 330d Nr. 5 dt. StGB. Ebenso Schünemann, GA 1995, 201, 205 ff.; auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 540. 30

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betreffenden Fälle ganz oder teilweise nicht ins Strafrecht passen, dann würde doch das Ordnungswidrigkeitenrecht die zuständige punitive Alternative sein. Darüber hinaus fragt man sich, wieso es eigentlich bei dem „Interventionsrecht“ nur auf weniger anspruchsvolle Garantien ankommen soll. Keineswegs kann ein zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht angesiedeltes Sanktionsrecht hinter den schon bei den Ordnungswidrigkeiten bestehenden Garantien zurückbleiben. Soviel zur Frankfurter Richtung. IV. Es erhebt sich die Frage, ob es nicht noch andere Gesichtspunkte gibt, durch welche die Grenzen des Strafrechts markiert werden, auch wenn die Limitierung nicht so weitreichend ist, wie sie von der Frankfurter Richtung behauptet wird. An erster Stelle drängt sich dabei der Strafbegriff auf. Nicht zu Unrecht spricht Androulakis in seinem schon erwähnten Aufsatz vom Primat der Strafe. 31 Betrachtet man die moderne Gesetzgebung zum Besonderen Teil des Strafrechts, von der in meinen vorhergehenden Ausführungen die Rede war, so ließe sich hinsichtlich des Strafbegriffs an die erwähnte Verwischung der Grenze zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht denken. Dabei handelt es sich jedoch meiner Ansicht nach um eine andere Frage. Der Strafbegriff ermöglicht zwar, weil Strafe in einer gezielten Übelszufügung besteht, vertikale Abgrenzungen des Strafrechts von anderen Rechtsgebieten, zum Beispiel vom zivilen Schadensersatzrecht, bei dem es um eine Regelung für den Ausgleich des Schadens geht. Hinsichtlich des Ordnungswidrigkeitenrechts handelt es sich dagegen nur um eine aus der unterschiedlichen Unrechtsbewertung, von der im vorhergehenden schon die Rede war, resultierende quantitative Abstufung. Die Geldstrafe im Strafrecht und das Bußgeld im Ordnungswidrigkeitenrecht sind übereinstimmend punitive Sanktionen. Die Unterscheidung beider folgt deshalb nicht aus dem Strafbegriff, sondern besteht in einer durch die Unrechtsabstufung bedingten Verschiedenheit der Bezeichnung. Interessant ist nun aber, daß die heutige Entwicklung des Strafbegriffs selbst die Ausdehnung des Strafrechts begünstigt. Bekanntlich haben die Präventionstheorien seit den 60er Jahren einen Siegeszug angetreten. In der Wissenschaft in Deutschland steht daher heute die Theorie von der positiven und negativen Generalprävention im Vordergrund. 32 Es war verständlich, daß angesichts der Starrheit der klassischen Straftheorie und ihrer häufig nicht rationalen Begrün31

Androulakis, ZStW 108 (1996), 300, 331. Vgl. Roxin (Fn. 13), § 3 Rdn. 37 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 2.Aufl 1991, Rdn. 1/14 f.; Stree, in: Schönke / Schröder, 25.Aufl. 1997, Vor § 38 Rdn. 2; jeweils mit weiteren Nachweisen. 32

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Grundsätzliche Fragen

dung die Präventionstheorien immer mehr an Boden gewannen. Inzwischen zeigt sich jedoch, daß sie eine Ausdehnung des Strafrechts begünstigen. Hinzuweisen ist nicht nur auf die unter der Flagge der Prävention erfolgende Ausdehnung der Strafbestimmungen ins Vorfeld der Rechtsgutsverletzungen, von der ich schon gesprochen habe, sondern auch auf den Rechtsfolgenbereich. In letzterem sind durch die von theoretischer Seite innerhalb der positiven Generalprävention angesiedelte sogenannte Integrationsprävention die Grenzen der Strafe und des Strafrechts stark aufgeweicht worden. 33 Am stärksten wird das dort deutlich, wo neuerdings der Schadensersatz nicht mehr als eine nur verfahrensrechtlich mit der Strafklage verknüpfte oder verknüpfbare zivilrechtliche Sanktion, sondern als ein Unterfall der Strafe oder jedenfalls als eine materiellrechtliche strafrechtliche Rechtsfolge begriffen wird. 34 Der Präventionsgedanke führt also zu einer völligen Beliebigkeit. Der Grund dafür liegt darin, daß er gar nicht das Spezifikum der Strafe zum Ausdruck bringt. Eine präventive Wirkung haben viele Rechtsfolgen der Rechtsordnung; außer der Strafe auch die strafgesetzlichen Maßregeln, der schon erwähnte Schadensersatz, das für den Fall der Nichtbefolgung einer einstweiligen Verfügung angedrohte Bußgeld, die Möglichkeit des Widerrufs begünstigender Verwaltungsakte bei Nichteinhaltung der Erteilungsvoraussetzungen etc. In der heutigen Entwicklung ist daher der Strafbegriff selbst zum expansionsfördernden Problem geworden. Nur gegenüber einer bestimmten modernen Tendenz beruft man sich verbreitet auf die Grenzen des Strafbegriffs: Der Tendenz, die Straffähigkeit juristischer Personen vorzusehen. Man führt an, daß das Kriminalstrafrecht auf engste mit Ethik und Moral verbunden sei und sich deshalb nur auf natürliche Personen beziehen könne. 35 Aber macht man es sich damit nicht doch zu einfach? Zum einen sind Strafe und Strafrecht ebenso wie andere Mittel der Rechtsordnung nicht Selbstzweck, sondern Instrumente zur Wahrung von Ordnung und Gerechtigkeit im Sozialleben. Sie haben daher eine zweckgeleitete Funktion. Zum zweiten verhält es sich zwar so, daß strafrechtliche Normen regelmäßig auch sozialethische Normen sind. Aber damit, daß sie an juristische Personen gerichtet werden, ändert sich nichts am sozialethischen Inhalt. Auch diese sind taugliche Subjekte für die Einhaltung solcher Normen. 36 Niemand wird zudem behaupten können, daß das angelsächsische Strafrecht unter ethischem Blickwinkel deshalb, weil es die Straffähigkeit von juristischen Personen anerkennt, einen grundsätzlich anderen Charakter als das bisherige kontinentaleuropäische Strafrecht aufweist. 33 Vgl. Roxin (Fn. 13), § 3 Rdn. 37 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 2.Aufl 1991, Rdn. 1/14 f.; Stree, in: Schönke / Schröder, 25.Aufl. 1997, Vor § 38 Rdn. 2; jeweils mit weiteren Nachweisen. 34 Zu Nachweisen für diese Auffassungen siehe Fn.3. 35 Vgl. etwa Jescheck / Weigend (Fn. 13), S. 227; Lüderssen, bei: Vitt, ZStW 105 (1993), 803, 815. 36 Näher dazu Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, Rhein.Westf. Akademie der Wissenschaften Vorträge G 324, 1993, S. 11 f., 14, 18.

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Der Strafbegriff bildet daher auch bei der Problematik der Straffähigkeit juristischer Personen meines Erachtens kein Hindernis für die Strafgesetzgebung. 37 V. Eine neuere Auffassung im Schrifttum ist bestrebt, deutliche Grenzen des Kriminalstrafrecht aus dem Verfassungsrecht abzuleiten. 38 Auch Androulakis erklärt es für eine besonders wichtige Aufgabe, die verfassungsrechtlichen Grenzen der kriminellen Sanktion, den Umfang der Kriminalisierungsbefugnis des Strafgesetzgebers, festzulegen. 39 Betrachtet man die verfassungsrechtlichen Vorgaben, so treten außer heutigen strafrechtlichen Selbstverständlichkeiten wie dem Satz Nullum crimen nulla poena sine lege insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das Willkürverbot und das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Schuldprinzip als Schranken des Strafrechts in den Blick. 40 Für unsere Erörterungen könnte das Verhältnismäßigkeitsprinzip von Bedeutung sein. In der Literatur werden die neuen Strafbestimmungen insbesondere unter dem Gesichtspunkt der dritten Stufe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, nämlich dem Übermaßverbot, behandelt. 41 Dabei hat sich aber gezeigt, daß nach bisheriger verfassungsrechtlicher Sicht ein solcher Verstoß praktisch kaum in Betracht kommt. Das verfassungsrechtliche Übermaßverbot gebietet, daß der Eingriff in ein Grundrecht nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen darf. Es wird erst dann als verletzt angesehen, wenn die betroffenen Interessen der Grundrechtsträger gegenüber den mit dem staatlichen Eingriff verfolgten Belangen „ersichtlich schwerer wiegen“, also erst dann, wenn der Gesetzgeber ein nach Art oder Maß schlechthin unangemessenes Mittel zur Erreichung des erstrebten Zwecks wählt. 42 Ein so krasses Mißverhältnis zwischen der Pönalisierung eines bestimmten Verhaltens und dem damit verfolgten Zweck des Schutzes eines Rechtsguts wird sich aber bei keiner der zur Erörterung stehenden Strafbestimmungen des Besonderen Teils mit Eindeutigkeit annehmen lassen. 43 Lediglich die durch eine neue Vorschrift des Allgemeinen Teils erfolgte Wiedereinführung der Vermögensstrafe gab

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Vgl. Hirsch (Fn. 36), S. 16 ff.; ders., ZStW 107 (1995), 285, 294 ff. Vgl. die Nachweise bei Lagodny (Fn. 30), S. 1 f., 19 ff. 39 Androulakis, ZStW 108 (1996), 300, 331. 40 Androulakis, a. a. O. 41 Zum Übermaßverbot im einzelnen Lagodny (Fn. 30), S. 216 ff. 42 Vgl. BVerfGE 44, 353, 373; 90, 145, 177; ungenau interpretiert von Paulduro, Die Verfassungsgemäßheit von Strafrechtsnormen, 1992, S. 112, 117, 120 passim. 43 § 43a dt. StGB, der im Jahre 1992 eingeführt worden ist. 38

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Anlaß, daß der BGH sie im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf eine schuldabhängige Geldsummenstrafe einschränkte. 44 Hinsichtlich des bei einigen Vorschriften in den Blick tretenden strafrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatzes läßt sich noch an den die zweite Stufe des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips bildenden Erforderlichkeitsgesichtspunkt denken. Aber auch insoweit sind die vorgenannten Kriterien ausschlaggebend, so daß nichts anderes zu gelten hat. Das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip vermag bei unserer Problematik bisher also kaum Grenzen für den Gesetzgeber zu ziehen. Daher gelangt auch Lagodny am Ende seines Buches über das „Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte“ zu dem Schluß, daß das Verfassungsrecht dem Strafgesetzgeber nur wenig verbindliche Schranken setzt. 45 Für die künftige verfassungsrechtliche Entwicklung bleibt allerdings die Frage, ob das Übermaßverbot nicht strenger gehandhabt werden müßte. Es ist daran zu denken, einen Verstoß bereits dann anzunehmen, wenn eine Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht in Relation zur Dimension der Schäden steht, denen die Vorschrift entgegenwirken soll. Ob ein solches Mißverhältnis vorliegt, würde jedoch wahrscheinlich nicht selten verschieden beantwortet werden. Im übrigen ist auch zu beachten, daß nicht in allen Staaten aus einem Wertsystem der Verfassung unmittelbare Folgerungen für das geltende Recht gezogen werden können. VI. Als Ergebnis der bisherigen Erörterungen läßt sich feststellen, daß die moderne Strafgesetzgebung nicht allgemein, sondern nur punktuell mit strafrechtlichen Grundprinzipien in Konflikt gerät. Dabei kommt vor allem das schon angesprochene Subsidiaritätsprinzip in den Blick, auch wenn es sich noch nicht um Verfassungsverstöße handelt. Sieht man sich die Einstellung des heutigen Strafgesetzgebers zu diesem Prinzip an, so fällt bei Politikern und Strafjuristen die verbreitete Neigung auf, gegenüber vorhandenen oder auch nur möglichen negativen Erscheinungen des Soziallebens vorrangig mit neuen Strafvorschriften zu reagieren. Die Überschätzung der Aufgaben des Strafrechts zeigt sich etwa bei dem weiten Katalog der Strafvorschriften im Bereich der Gentechnologie. 46 Hier erhebt sich nachdrücklich die Frage, inwieweit das Strafrecht berufen und in der Lage ist, die Grenzen der wissenschaftlichen Forschung zu markieren und unmittelbar zu überwachen. Es 44

BGHSt. 41, 20, 24 ff. und 278, 279 f. Lagodny (Fn. 30), S. 536 ff. 46 Siehe das deutsche Embryonenschutzgesetz vom 13. 12. 1990 (BGBl I, 2746), insbesondere die §§ 6 und 7. 45

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ist in der strafrechtlichen Diskussion mit Recht schon darauf hingewiesen worden, daß ein Gebiet wie die wissenschaftliche Forschung, soweit nicht strafbedürftige Mißstände zutage treten, der institutionalisierten Selbstkontrolle vorbehalten bleiben kann. 47 Auch in einem Bereich wie dem des Wirtschaftsstrafrechts fragt man sich, wie eine Strafbestimmung über den nur fahrlässigen Subventionsbetrug 48 mit der sonst bestehenden Auffassung, das die nur fahrlässigen Vermögensdelikte dem Zivil- und Verwaltungsrecht überlassen bleiben können, zu vereinbaren ist. Es wurde von mir im vorhergehenden auch schon darauf hingewiesen, daß in einer zwischen Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeiten- oder Übertretungsrecht abstufenden Rechtsordnung besondere Gründe dafür vorliegen müssen, wenn ein bloßes Risikodelikt ausnahmsweise dem Kriminalstrafrecht zugeordnet wird und nicht dem Ordnungswidrigkeitenrecht überlassen bleiben kann. In vielen Fällen spielt gegenwärtig das Bestreben des Gesetzgebers eine Rolle, daß die Anforderungen an die Justiz, die zum Nachweis eines Verletzungsdelikts notwendig wären, durch Schaffung eines bloßen Risikotatbestands umgangen werden. Ein solcher Vorteil für die Gerichtspraxis darf aber nicht ausschlaggebend dafür sein, dass jemand als Täter einer Kriminalstraftat eingestuft wird. 49 Man muß aber beachten, daß die Kriterien des Subsidiaritätsprinzips sehr dehnbar sind und deshalb unterschiedliche Einschätzungen – je nach Sichtweite – das Normale darstellen. Auch das ist ein Grund dafür, daß bei uns die Verfassungsjustiz nur wenig gegenüber neueren Entwicklungen der Strafgesetzgebung bemüht worden ist. 50 Vielmehr geht man unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel gewöhnlich davon aus, daß sie sich noch im Rahmen zulässigen gesetzgeberischen Ermessens halten. VII. Die Feststellung, daß die moderne Strafgesetzgebung nur punktuell zu strafrechtlichen Grundprinzipien in Widerspruch steht, man aber andererseits ihr gegenüber erhebliches Unbehagen verspürt, lenkt den Blick nun auf die eigentliche Ursache der Probleme. Der unmögliche Zustand des Strafrechts oder auch die Krise des Strafrechts, von denen gegenwärtig gesprochen wird, sind in erheblichem Maße 47

So schon Herzog, ZStW 105 (1993), 727, 748 ff.; Calliess, bei Vitt, ZStW 105 (1993), 803, 804. 48 Vgl. § 264 Abs. 4 dt. StGB, wo der leichtfertige (das heißt: grob fahrlässige) „Subventionsbetrug“ (der entgegen seiner Bezeichnung die Verwirklichung der Betrugsmerkmale nicht einmal voraussetzt, sondern ein abstraktes Gefährlichkeitsdelikt bildet) für strafbar erklärt ist. 49 So auch Zieschang (Fn. 23), S. 367 f. 50 Siehe etwa BVerfGE 75, 329; 90, 145.

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eine Folge der Überforderung dieses Rechtsgebiets durch die tatsächliche Entwicklung in seinem Regelungsbereich. Innerhalb kurzer Zeitabschnitte tauchen neue Problemfelder auf. Das kann auf sich wandelnden Wertvorstellungen beruhen, die zum Beispiel dem Umweltschutz ein Gewicht verleihen, daß er auch kriminalstrafrechtlich zu sichern ist. Es kann auch an der Schnelligkeit des technischen Fortschritts liegen; man denke an Computer- und Internetkriminalität. Darüber hinaus hat das starke Anwachsen der allgemeinen Kriminalität, verbunden mit neuen Erscheinungsformen, den Gesetzgeber außerordentlich in Zugzwang gebracht. Ich verweise nur auf die organisierte Kriminalität und die Drogendelinquenz. Es zeigt sich nun aber, daß sich Kriminalität nicht entscheidend mit strafgesetzlichen Mitteln eindämmen läßt. Das Strafrecht vermag immer nur einer ergänzenden und verstärkenden Rolle gerecht zu werden. Indem man dies zu wenig berücksichtigt, kann eine neue Strafvorschrift leicht nur symbolischen Charakter oder die Bedeutung eines politischen Alibis haben. Der Schwerpunkt der dem Staat aufgegebenen Problemeindämmung liegt stets vor dem Strafrecht, also im Primärsystem. Es geht um die gesellschaftspolitische Zurückdrängung der Gründe, die Kriminalität provozieren: den Defiziten des Erziehungssystems, den Ursachen der Drogenszene, der Gewaltverherrlichung im Fernsehen, dem fehlenden Solidarbewußtsein etc. Hinzu kommen die international zu wenig koordinierten Mechanismen bezüglich der grenzüberschreitenden Delinquenz. Über sie hat sich kürzlich Spinellis eingehend im deutschen Schrifttum geäußert. 51 Die Folge von alledem sind immer neue Strafvorschriften. Daß diese wenig effizient sind, weil im Primärsystem zu wenig geschieht, löst dann entweder den Ruf aus, das Strafrecht solle sich mangels Eignung wieder auf den klassischen Bereich früherer Jahrzehnte zurückziehen, oder die Forderung, es müsse sein Instrumentarium ändern. 52 Beide Forderungen sind nicht haltbar, wie sich im vorhergehenden gezeigt hat. Es geht nicht um strukturelle Defizite des Strafrechts, sondern darum, daß Politik und Gesetzgebung zu ausschließlich und teilweise auch zu schnell auf das eigentlich als ultima ratio gedachte Strafrecht zurückgreifen. Die beste Kriminalpolitik ist nun einmal diejenige, die ihr Hauptaugenmerk auf die Ursachen des jeweiligen Kriminalitätsanstiegs oder der betreffenden Kriminalitätsform richtet. Der deutsche Dichter Friedrich Schiller bemerkt in seiner berühmten Abhandlung über „Die Gesetzgebung des Lykurgos und Solon“: „Bewundernswert bleibt mir immer der Geist, der den Solon bei seiner Gesetzgebung beseelte: der Geist der echten und gesunden Staatskunst.“ 53 Diesen Geist in Erinnerung zu rufen, gilt es auch bei dem von mir in meinem Vortrag erörterten Thema. 51 Spinellis, in: G. Wolf (Hrsg.), Kriminalität im Grenzgebiet, Band 2 (Wissenschaftliche Analysen), 1999, S. 191 ff. 52 Für teilweise Änderung des Instrumentariums insbesondere Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 689, 692 ff. 53 Schiller, Gesamtausgabe, Band 4, 1879, S. 257, 278. Die Abhandlung war erstmalig erschienen 1790 in Heft 11 der Thalia.

Aktuelle Probleme rechtsstaatlicher Strafgesetzgebung 2004 I. Professor Dr. Manuel de Rivacoba y Rivacoba, dessen ehrendem Andenken dieser Beitrag gewidmet ist, hat sich stets mit Nachdruck für den Rechtsstaat eingesetzt. Das lenkt den Blick auf Probleme, die in der Gegenwart in Staaten, die durchaus zu den Rechtsstaaten gehören, bei der Strafgesetzgebung auftreten. Nach heutigem Verfassungsverständnis bedeutet Rechtsstaat allgemein die Ausübung staatlicher Macht auf der Grundlage von verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. 1 Der Rechtsstaatsgedanke ist nicht nur im Verfassungsrecht verankert, sondern findet auch in Einzelvorschriften der Strafgesetzbücher unter Teilaspekten besondere Erwähnung. So sind im Kapitel 1 des polnischen StGB von 1997, das die „Grundlagen der Strafbarkeit“ benennt, wichtige rechtsstaatliche Prinzipien der Anwendung des Strafrechts – vom Gesetzlichkeitsprinzip über den Schuldgrundsatz bis zum Humanitätsgebot – aufgeführt. Betrachtet man in grundsätzlich rechtsstaatlichen Rechtsordnungen die Einhaltung der rechtsstaaliche Erfordernisse bei den strafrechtlichen Einzelvorschriften, so fällt einem auf, daß die heutigen Gesetzgeber Schwierigkeiten haben, sie strikt zu wahren. Die starke Zunahme der Kriminalität und das gestörte Sicherheitsgefühl der Gesellschaft veranlassen die Gesetzgeber dazu, fortwährend strafrechtlich tätig zu werden. Und die rechtsstaatlichen strafrechlichen Grundprinzipien werden dabei leicht zum Problem. Der Schwerpunkt meiner Betrachtung wird bei der neueren deutschen Strafgesetzgebung liegen. II. Betrachten wir die einzelnen Problembereiche: 1. Ein weltweites Phänomen ist gegenwärtig die Schaffung immer neuer Straftatbestände. Es geht dabei um drei sich teilweise überschneidende Erscheinungs1 Näher zum Rechtsstaatsbegriff siehe Hirsch, Panstwo prawne a prawo karne, Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniú. Seria doktorzy honoris causa Nr. 14, Poznan 1991, S. 51 ff. (= ders., Strafrechtliche Probleme, 1999, S. 115 ff. [deutsch]).

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formen: Die einen betreffen Fälle in Bereichen, die durch den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt neu entstanden sind, wie der Computertechnik, der Atomtechnik und der Gentechnologie. Eine zweite Gruppe hat Handlungsweisen zum Gegenstand, die zum Teil schon bisher im Ordnungswidrigkeitenrecht oder Nebenstrafrecht mit punitiven Sanktionen bedroht waren, aber durch einen Bewertungswandel stärker ins Blickfeld traten und mit der Aufnahme ins Strafgesetzbuch eine Aufwertung und Verschärfung sowie eine Ausdehnung, namentlich ins Vorfeld, erfahren haben. Hierher gehören vor allem das Umweltstrafrecht und das Wirtschaftsrecht. Bei der dritten Gruppe schließlich geht es um Bereiche, in denen ein bereits strafbares Verhalten stark angestiegen ist und dieses tatsächliche Anwachsen der Delinquenz und ihrer Erscheinungsformen zu Vorverlegungen und Verschärfungen der Strafbarkeit Anlaß gegeben hat. Zu nennen sind die Drogenkriminalität und allgemein die Organisierte Kriminalität. Die ständige Zunahme neuer Strafbestimmungen, zumal solcher, die Handlungen im Vorfeld von Schädigungen betreffen, hat in Deutschland und anderen Staaten eine Grundsatzdebatte darüber ausgelöst, ob die Strafgesetzgebung noch auf dem richtigen Wege ist. Man hat in bezug auf die heutige Situation bereits vom „unmöglichen Zustand“ des Strafrechts gesprochen. 2 Gegenüber der gegenwärtigen Entwicklung wird insbesondere eingewandt, daß sie den Rechtsgutsbegriff auflöse, eine dem Wesen des Strafrechts widersprechende Ausbreitung bloßer abstrakter Gefährlichkeitsdelikte im Strafrecht mit sich brächten und sich über den Subsidiaritätsgedanken hinwegsetzten. 3 Was den Rechtsgutsbegriff betrifft, geht es darum, daß immer neue ideelle Rechtsgüter genannt werden, die durch vorverlegte Straftaten verletzt sein sollen. So wird bei der Strafbestimmung des Subventionsbetrugs, die weder das Gelingen einer Irrtumserregung noch den Eintritt eines Vermögensschadens verlangt, in der Störung der Institution des staatlichen Subventionswesens eine Rechtsgutsverletzung gesehen. 4 Auf solche Weise werden Delikte, die bloße abstrakte Gefährlichkeitsdelikte – hier in bezug auf das Vermögen – sind, zu angeblichen Verletzungsdelikten aufgewertet und damit die Vorverlagerung der Strafbarkeit kaschiert. 5

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Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a. M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, und die dortigen Beiträge. Siehe ferner den von demselben Institut herausgegebenen Sammelband „Irrwege der Strafgesetzgebung“, 1999. 3 So insbesondere die von Hassemer angeführte „Frankfurter Richtung“, vgl. Hassemer, ZRP 1992, 378 ff.; ders., Neue Kriminalpolitik, 1989, 47 ff.; ders., Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 1 ff. Weitere Nachweise bei Hirsch (Fn. 2), S. 51 f. 4 Siehe Schönke / Schröder / Lenckner / Perron, StGB, 26. Aufl., 2001, § 264 Rnr. 4; Tröndle / Fischer, StGB, 50. Aufl., 2001, § 264 Rnr. 3; auch OLG Karlsruhe NJW 1981, 1383; OLG Hamburg NStZ 1984, 218.

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Erkennt man aber, daß es sich in Wahrheit um bloße abstrakte Gefährlichkeitsdelikte handelt, erhebt sich die Frage, ob sie ins Kriminalstrafrecht gehören. Im deutschen Recht, das zwischen Strafrecht, bei dem es sich um Kriminalstrafrecht handeln soll, und Ordnungswidrigkeitenrecht abstuft, geht es darum, inwieweit für sie im Strafrecht Platz ist. Die meisten anderen Rechtsordnungen haben den Ordnungswidrigkeitenbereich als dritte strafrechtliche Deliktskategorie, nämlich den Übertretungen, im Strafrecht behalten. Dort handelt es sich um die Frage, unter welchen Voraussetzungen abstrakte Gefährlichkeitsdelikte bereits in die beiden darüber liegenden, nämlich die kriminalstrafrechtlichen Deliktskategorien eingestuft werden dürfen. Hinter der aktuellen Einordnungsproblematik steht überall in der neueren Strafgesetzgebung außer der schon angesprochenen Tendenz, Vorfeldhandlungen strafrechtlich höher zu gewichten, das Bemühen, die Beweisanforderungen zu erleichtern. Geht es nur um die Anforderungen eines abstrakten Gefährlichkeitsdelikts, brauchen weder Schadenseintritt oder Kausalität noch der Verletzungsvorsatz nachgewiesen zu werden. Bei einem abstrakten Gefährlichkeitstatbestand sind auch die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geringer, da es eben nicht auf den Anfangsverdacht eines vorsätzlichen Verletzungsdelikts ankommt. Sicherlich sind diejenigen Kritiker im Unrecht, die behaupten, daß oberhalb der Ordnungswidrigkeiten, Übertretungen oder Verwaltungsdelikte, also im Kriminalstrafrecht, abstrakte Gefährlichkeitstatbestände prinzipiell nichts zu suchen hätten, das Kriminalstrafrecht vielmehr seiner Natur nach auf Verletzungsdelikte beschränkt sei. 6 Hoch- und Landesverratsdelikte, Brandstiftungs- und Rechtspflegedelikte zeigen nämlich, wie auch die Kritiker letztlich einräumen, daß es abstrakte Gefährlichkeitsdelikte schon immer im Kriminalstrafrecht gegeben hat. Und entgegen der in Deutschland heute von der Frankfurter Richtung 7 vertretenen Ansicht ist das Kriminalstrafrecht nicht auf diese traditionellen Bereiche ein für allemal beschränkt, sondern es ist wie die gesamte Rechtsordnung für neuere Entwicklungen offen. An der heutigen Gesetzgebung ist jedoch die Bedenkenlosigkeit fragwürdig, mit der immer neue abstrakte Gefährlichkeitstatbestände im Kriminalstrafrecht geschaffen werden. So ist das Bestreben, die Beweisanforderungen zu vereinfachen, kein ausreichender Grund, die Strafbarkeit auszudehnen oder zu verschärfen; 8 denn die Strafbarkeit und deren Einstufung haben sich ausschließlich nach der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit einer Tat zu richten.

5 Näher dazu Matthias Krüger, Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, 2000, S. 20 ff., 119 ff. 6 Bei jenen Kritikern handelt es sich um die „Frankfurter Richtung“ (siehe oben in Fn. 4). 7 Vgl. oben in Fn. 4. 8 Darauf weist auch Hassemer, ZRP 1992, 378, 381 hin.

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Aber auch die Einschätzung der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit steht nicht im freien Belieben des Gesetzgebers. Vielmehr ist in allen Rechtsordnungen festzustellen, daß der Bereich der Ordnungswidrigkeiten oder Übertretungen der typische Standort der abstrakten Gefährlichkeitstatbestände ist. Infolgedessen müssen es besondere Gründe des betreffenden Unrechts sein, die eine ausnahmsweise Einordnung im Kriminalstrafrecht sachlich legitimieren. Dabei geht es namentlich um das Ausmaß des drohenden Schadens und die Höhe des betreffenden Risikos. Es muß also rational erklärbar sein, warum das betreffende Verhalten ausnahmsweise aus dem Ordnungswidrigkeiten- oder Übertretungsbereich herausgenommen und dem Kriminalstrafrecht zugewiesen wird. Das rechtsstaatliche Grundprinzip, das dabei eine Rolle spielt, ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Tat, rechtliche Einstufung und Sanktion müssen in angemessenem Verhältnis zueinander stehen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat sich zwar bisher bei der Anwendung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf das Strafrecht Zurückhaltung auferlegt. 9 Das liegt aber vor allem daran, daß die Auswirkungen dieses Grundsatzes hinsichtlich des Strafrechts erst in jüngerer Zeit stärker in den Blick gekommen und noch wenig vertieft sind. Einen Unterfall des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bildet das ultima ratiooder Subsidiaritäts-Prinzip. Dabei geht es bekanntlich um den Gedanken, daß eine Strafvorschrift erst dann geschaffen werden soll, wenn die Möglichkeiten, die betreffenden Verhaltensweisen bereits in anderen, weniger repressiven Rechtsgebieten angemessen zu regeln, ausgeschöpft sind. Das ultima ratio-Prinzip ist bei der gegenwärtigen Inflation der Strafgesetzgebung am meisten aus dem Blick gekommen. Taucht in der Gesellschaft ein echter oder auch nur vermeintlicher Mißstand auf, wird heute sogleich der Ruf nach dem Strafgesetzgeber erhoben. Und für die politischen Organe ist die Strafgesetzgebung der schnellste und kostengünstigste Weg, um zu beweisen, daß man etwas tut, um die Bevölkerung zu schützen. Ob eine Strafvorschrift ein unbedingt notwendiges oder überhaupt geeignetes Mittel zur Lösung des jeweiligen Problems ist, wird kaum noch gestellt. Die Folge ist, daß viele neue Strafvorschriften den betreffenden Mißstand nicht einzudämmen vermögen oder von den Strafverfolgungsorganen nur sehr zurückhaltend gehandhabt werden. Mißlich sind auch gewisse Fälle der nur sym9

Es verlangt bisher sowohl unter dem Aspekt des Übermaßverbots als auch dem der Erforderlichkeit, daß die betroffenen Interessen der grundrechtsgeschützten Personen gegenüber den mit dem staatlichen Eingriff verfolgten Belangen „ersichtlich wesentlich schwerer wiegen“; vgl. BVerfGE 44, 353, 373. Ein Verfassungsverstoß würde deshalb nach der bisherigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts erst dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber ein nach Art oder Maß schlechthin unangemessenes Mittel zur Erreichung des erstrebten Zwecks wählt; vgl. BVerfGE 90, 145, 173. Näher dazu Matthias Krüger (Fn. 6), S. 89 ff., sowie Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 216 ff., 536 ff.

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bolischen Strafgesetzgebung, nämlich diejenigen, bei denen dem Gesetzgeber von vornherein klar ist, daß sie praktisch kaum Bedeutung haben werden und nur ein gesellschaftspolitisches Zeichen setzen sollen. Beispiele hierfür bilden im deutschen Recht die kürzliche Einführung der Strafbarkeit des Versuchs der leichten Körperverletzung, der Strafschärfung der Vergewaltigung in der Ehe und die Einführung eines Katalogs von Strafvorschriften im Bereich der Gentechnologie. 10 Gerade bei diesen letztgenannten Vorschriften erhebt sich nachdrücklich die Frage, inwieweit das Strafrecht berufen und in der Lage ist, die Grenzen der wissenschaftlichen Forschung zu markieren und unmittelbar zu überwachen. Im Hinblick auf die fortschreitende Entwicklung des Verfassungsrechts ist zu hoffen, daß das ultima ratio-Prinzip in Zukunft wieder stärker Beachtung finden wird. Da die Strafdrohung die schwerste Sanktion im Katalog der in der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsfolgen darstellt, ergibt sich rechtsstaatlich zwingend, daß der Gesetzgeber auf sie nur zurückgreifen darf, wenn alle anderen zulässigen staatlichen Mittel keine Lösung bieten. Um dies zu gewährleisten, sollte verlangt werden, daß der Begründung jedes ins Parlament eingebrachten Entwurfs einer neuen Strafvorschrift eine sorgfältig Stellungnahme zu diesem Punkt beigegeben ist. Damit wäre jedenfalls erreicht, daß die Gesetzgeber sich überhaupt über den ultima ratio-Aspekt Gedanken machen – was wie gesagt gegenwärtig kaum der Fall ist. Unabhängig vom Verfassungsrecht erhebt sich die Frage, ob sich nicht unmittelbar aus dem vorgenannten Wesen des Strafrechts bereits eine Begrenzung unter dem Gesichtspunkt des ultima ratio-Prinzips und damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt. Bestrebungen, die Begrenzung mit Hilfe eines angeblich vorgegebenen Rechtsgutsbegriffs zu erreichen, haben sich dagegen als wenig brauchbar erwiesen. 11 2. Eine zweite allgemeine Problematik heutiger Strafgesetzgebung bildet das Bestreben, absolut lückenlose Strafbestimmungen zu schaffen. In Diktaturen hatte man zu diesem Zweck auf Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgegriffen, so beispielsweise im NS-Staat auf das „gesunde Volksempfinden“ und im Kommunismus auf die „Gesellschaftliche Gefährlichkeit“. Im Rechtsstaat scheidet der strafbegründende Rückgriff auf solche Allgemeinbegriffe aus. Das im Satz „Nullum crimen sine lege“ enthaltene Bestimmheitsgebot verlangt, daß das strafbare Verhalten im Gesetz beschrieben wird. Sehr bedenklich ist nun aber eine Entwicklung, wie sie in der deutschen Strafgesetzgebung zu beachten ist und von Strafgesetzgebern anderer Staaten keinesfalls übernommen werden sollte: die Einführung einer Kategorie „Besonders schwere Fälle“ neben der herkömmlichen Kategorie der qualifizierten Tatbestände. 10 Zu letzterem siehe das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) vom 13. 12. 1990, BGBl. I, S. 2746 ff. 11 Näher darüber Matthias Krüger (Fn. 6), S. 62 ff.

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Grundsätzliche Fragen

Jedes Strafgesetzbuch sieht bekanntlich zu einigen Grundtatbeständen einen oder mehrere qualifizierte Tatbestände vor, also Tatbestände mit verschärften Strafdrohungen. So zum Beispiel als Qualifizierung der leichten Körperverletzung die Gefährliche Körperverletzung und die Schwere Körperverletzung. Es besteht Einmütigkeit darüber, daß diese Tatbestände grundsätzlich ebenso wie die anderen zu behandeln sind, sei es hinsichtlich der Auswirkung der Strafdrohung auf die Zuordnung zu den Deliktskategorien „Verbrechen“ oder „Vergehen“, sei es hinsichtlich des Satzes „Nullum crimen sine lege“. Der deutsche Gesetzgeber ist nun aber in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf den Gedanken gekommen, neben den qualifizierten Tatbeständen noch eine Kategorie der „Besonders schweren Fälle“ einzuführen. Sie soll ermöglichen, daß der Richter unabhängig von einem vielleicht zu engen Katalog gesetzlicher qualifizierender Tatbestandsmerkmale auf eine schärfere Strafdrohung zurückgreifen kann, als sie der Grundtatbestand enthält. Andererseits soll für die Einordnung als Vergehen oder als Verbrechen gleichwohl die Strafdrohung dieses Grundtatbestands ausschlaggebend sein. Die zunächst nur sehr selten im deutschen StGB auftauchenden „Besonders schweren Fälle“ haben sich seit dem 1. Strafrechtsreformgesetz von 1969 geradezu wie ein Ölfleck über das Gesetzbuch ausgeweitet. Man meinte und meint noch, der Rechtsstaatlichkeit sei damit, daß man sie mit Regelbeispielen verbindet, Genüge getan. Zunehmend ging man dazu über, bisherige qualifizierte Tatbestände in „Besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen“ umzuwandeln. 12 Im Vorentwurf von 1997 zum 6. Strafrechtsreformgesetz ging das so weit, daß alle qualifizierten Tatbestände im Vergehensbereich in solche Besonders schweren Fälle umgewandelt werden sollten. Das ist nur durch eine Intervention von Wissenschaftlern verhindert worden. 13 Aber auch so ist die Anzahl der Strafbestimmungen mit Besonders schweren Fällen heute groß. Ein Vorteil dieser Gesetzgebungstechnik ist sicherlich, daß Lücken und Friktionen, die sich nach einiger Zeit in Katalogen qualifizierter Tatbestände einstellen können, vorgebeugt wird. Auch besteht die Möglichkeit, daß man einen konkreten Fall, der an sich ein Regelbeispiel erfüllt, mit der Begründung, er habe gleichwohl nicht das Gewicht eines Besonders schweren Falles, aus der Strafschärfung heraushalten kann. Aber dies alles ändert nichts daran, daß der Satz „Nullum crimen sine lege“ tangiert ist. Man kann diesen nicht dadurch umgehen, daß man so tut, als handele es sich nur um Strafzumessungsfragen. 14 Es geht vielmehr bei den die Besonders schweren Fälle konstituierenden Merkmalen sachlich durchweg um unrechtserhö12 Seit dem 1. StrRG von 1969. Das Hauptbeispiel bildet § 243 dtsch. StGB (Schwerer Diebstahl). 13 Vgl. den Bericht von Freund, ZStW 109 (1997), 455, 470 f.

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hende Tatumstände, wie auch die Regelbeispiele zeigen. Aber nicht nur dies: Die bei den Besonders schweren Fällen vorgesehenen Strafdrohungen beschränken sich nicht lediglich auf einen Strafbereich oberhalb der Obergrenze des Strafrahmens des zugehörigen Grundtatbestandes, sondern der Strafrahmen überschneidet sich stark mit dem des Grundtatbestandes. Das zeigt ebenfalls, daß es sachlich eben doch um einen gegenüber dem Grundtatbestand verschärften Tattyp geht. Der Sache nach bedeutet die Gesetzesfigur der Besonders schweren Fälle, daß der Richter in der Rolle des Gesetzgebers versetzt wird. Während in den Fällen Besonders schwerer Fälle ohne Regelbeispiele sogar mangels Bezugspunkts über den Bereich einer Analogie hinausgegangen wird, handelt es sich bei der heute bevorzugten Regelbeispieltechnik, das heißt dem Anführen von Beispielen regelmäßig anzunehmender Besonders schwerer Fälle, um eine Aufforderung zum Ziehen von Analogieschlüssen. Beides verstößt gegen den Satz „Nullum crimen sine lege“. Zudem wird die Verfehltheit des Arguments, daß eine größere Flexibilität, als sie bei qualifizierten Tatbeständen möglich ist, notwendig sei, sofort bei einem Vergleich mit den Grundtatbeständen deutlich. Auch dort ergeben sich im Laufe der Zeit Lücken und Wertungswiderspüche an den Rändern. Es hat sich aber noch niemand zu dem im Gegensatz zu den strafrechtlichen Grundlagen stehenden Gedanken verstiegen, sie in bloße Regelbeispiele umzuwandeln. 15 Ausländische Gesetzgeber werden deshalb gut daran tun, die Kategorie der „Besonders schweren Fälle“ des deutschen StGB nicht zu übernehmen. 3. a) Auch das Schuldprinzip behält der heutige Gesetzgeber nicht immer im Blick. In Deutschland leitet das Bundesverfassungsgericht es aus dem Rechtsstaatsprinzip der Verfassung ab und verleiht ihm damit verfassungsrechtliche Garantien. 16 Sachlich folgt die Notwendigkeit seiner Beachtung daraus, daß es im Strafrecht nicht lediglich um Schadensausgleich, sondern um die persönliche Ahndung von Handlungen oder Unterlassungen geht. Eine Ahndung hat jedoch zur Voraussetzung, daß die betreffende Person das inkriminierte Verhalten individuell vermeiden konnte. b) Begeht jemand eine Tat alkohol- oder drogenbedingt in einem seine Schuldfähigkeit ausschließenden Rausch, ist nach deutschem Recht und dem vieler anderer Rechtsordnungen eine Bestrafung aus der im Rausch verwirklichten Strafbestim14 So die herrschende Meinung mit Rücksicht auf eine derartige Vorstellung des Gesetzgebers, der in § 12 Abs. 3 dtsch. StGB bestimmt hat, daß die Strafrahmen Besonders schwerer Fälle im Unterschied zu denen der qualifizierten Tatbestände keinen Einfluß auf die Einteilung in Vergehen oder Verbrechen haben. 15 Im übrigen ist bemerkenswert, daß bei der Handhabung der Vorschriften für Besonders schwere Fälle durch die Praxis die Subsumtion unter Regelbeispiele ganz im Vordergrund steht, während die nur auf die Generalklausel gestützten Fälle praktisch nur geringe Bedeutung habén, vgl. den Tagungsbericht von Dietmeier, ZStW 110 (1998), 393, 409. 16 BVerfGE 20, 323, 331; 25, 269, 286; 27, 18, 29; 45, 187, 259 f.

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mung ausgeschlossen, es sei denn, daß ein Fall der sogenannten actio libera in causa vorliegt. Um dadurch keine Strafbarkeitslücke entstehen zu lassen, gibt es noch einen praktisch wichtigen Vergehenstatbestand des Vollrauschs (§ 323a dtsch. StGB). In neuerer Zeit finden sich in Deutschland Stimmen, das aus den Strafgesetzbüchern einiger anderer Staaten 17 bekannte Modell zu übernehmen, wonach die vermeidbare Herbeiführung der rauschbedingten Schuldunfähigkeit genügen soll, um die Tatschuld hinsichtlich der im Rausch begangenen Tat zu bejahen. 18 Das heißt, daß allein der Umstand des vermeidbaren Sichberauschens genügen soll, um wegen vorsätzlicher Tötung bestraft zu werden, wenn beispielsweise jemand im Zustand der rauschbedingten Schuldunfähigkeit eine vorsätzliche Tötung begeht. Ob eine solche Regelung in den Staaten, in denen sie gilt, generalpräventiv in bezug auf exzessiven Alkoholgenuß wirkt, vermag ich nicht zu beurteilen. Mit dem Schuldgrundsatz gerät sie aber wegen des diesem inhärenten Koinzidenzprinzips in Konflikt. Werden Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht im Zustand der Schuldfähigkeit vom Täter gebildet, ist es bloßes Schicksal, welches von beiden subjektiven Merkmalen erfüllt ist. Zu bestrafen ist aber eben nicht die schicksalhafte Erfolgsverwirklichung, sondern die auf Tatschuld beruhende. Inzwischen gibt es in Deutschland eine Gesetzesinitiative des deutschen Bundesrates, die zwar nicht jenen Tendenzen folgen, aber den Vollrauschtatbestand erheblich verschärfen soll. 19 Indem man die Höchststrafe von bisher fünf Jahren auf zehn Jahre anhebt, würde man jedoch hier die Grenze schuldangemessener Strafe überschreiten. c) Ein anderer Problembereich, in dem heute die Schuldfrage ins Blickfeld tritt, bildet die zunehmende Jugendkriminalität. Es wird die Frage aufgeworfen, ob nicht die Strafmündigkeit früher beginnen muß. In Deutschland liegt sie bei 14 Jahren (§ 19 dtsch.StGB). In den USA wird sie unter dem Eindruck des starken Ansteigens der Jugenddelinquenz vielfach schon auf Kinder ausgedehnt. Im allgemeinen liegt das Mindestalter dort heute bei 10 Jahren, in einigen Einzelstaaten sogar bei 9 Jahren, und die Herabsetzung auf 8 Jahre hat schon die Gerichte beschäftigt. 20 Auch in Deutschland ist von politischer Seite eine Strafmündigkeit ab 12 Jahren gefordert 17

Siehe zum Beispiel Art. 31, § 3 poln. StGB und Art. 23 russ. StGB. So etwa Hruschka, JZ 1996, 64, 69, 72. 19 Gesetzesinitiative des Bundesrates, die auf den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (§ 323a StGB) – Strafschärfung bei Rauschtaten“ des Bundeslandes Berlin vom Februar 1997 zurückgeht, vgl. BR-Drucks. 123/97. 20 Vgl. zu den USA die Angaben im Landesbericht von Raymond Teske (Huntsville / Texas) in: Hirsch (Hrsg.), „Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften?“ 2001, S. 111, 114 f. Zu England siehe Crofts, ZStW 111 (1999), S. 728 ff. 18

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worden. 21 Mit dem Schuldprinzip, für das der geistige Reifegrad eines Menschen eine große Rolle spielt, läßt sich dies aber nicht in Einklang bringen, und man fragt sich darüber hinaus, ob eine solche auf Kosten rechtsstaatlicher Vorstellungen gehende Strafgesetzgebung Vorteile für die Kriminalitätsbekämpfung haben kann. Intensive außerstrafrechtliche Erziehungsmaßregeln, auch stationäre, gegenüber den betreffenden Kindern und Strafsanktionen gegen Eltern, die ihre Erziehungspflichten schuldhaft gröblich verletzen, dürften der sinnvollere Weg sein. d) Im Zusammenhang mit dem Schuldprinzip kommen auch die Erfolgsqualifizierten Delikte, beispielsweise die Körperverletzung mit Todesfolge, in den Blick. Ende der 60er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts wurde bei uns ihre Abschaffung diskutiert, wobei die Gegner sie als mit dem Schuldprinzip unvereinbar erklärten. 22 In der deutschen Strafgesetzgebung haben sie jedoch zahlenmäßig immer weiter zugenommen. Gegenüber dem früheren Rechtszustand hat sich die Problematik verringert, weil für die Erfolgsqualifizierten Delikte heute nicht mehr genügt, daß der vorsätzliche Grundtatbestand, etwa eine einfache vorsätzliche Körperverletzung, objektiv zu einer schweren Folge, namentlich einem Todeserfolg, geführt hat. Die neueren Strafgesetze fordern vielmehr, daß bezüglich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit vorliegt, das heißt daß der Täter des Grundtatbestandes die Möglichkeit der Folge voraussehen konnte (siehe § 18 dtsch. StGB). Aber dabei handelt es sich nur um eine Verringerung des Schuldproblems, nicht um seine völlige Beseitigung. Denn das Vorliegen der Erfolgsqualifizierung ist regelmäßig mit einer starken Verschärfung der Strafdrohung verknüpft. Während nach den Regeln der Idealkonkurrenz, wie sie in § 52 dtsch. StGB aufgestellt sind, bei einem tateinheitlichen Zusammentreffen von vorsätzlicher und fahrlässiger Tat der Normalstrafrahmen des beteiligten schwersten Delikts ausschlaggebend bleibt, führt bei der Erfolgsqualifizierung das Zusammentreffen von vorsätzlicher und fahrlässiger Erfolgsverwirklichung zu einer sehr erheblichen Anhebung des Strafrahmens. Insbesondere werden zumeist aus Fällen der leichten oder mittleren Kriminalität dann solche der schweren Kriminalität – im deutschen Recht aus Vergehen dann Verbrechen. Wie soll es aber dem Schuldprinzip entsprechen, daß das Hinzutreten einer nur fahrlässigen Folgeherbeiführung eine so starke Verschärfung bewirkt, die nach deutschem Recht sogar aus einem Vergehen ein Verbrechen werden läßt? Die Bemühungen, die starke Strafschärfung durch erhöhte Anforderungen an den objektiven und subjektiven Gefahrzusammenhang zwischen Grundtatbestand und fahrlässiger Folge zu stützen, sind in der deutschen Praxis nur von nomineller 21 Siehe die Presseerklärung eines CDU-Bundestagsabgeordneten vom 12. 9. 1996, DVJJ 1996, 316 f. 22 So insbesondere die Verfasser des Alternativ-Entwurfs Allg. Teil, 1966; vgl. AE AT, S. 45, und auch die Begründung zu § 119 Abs. 2 AE BT I, 1970, S. 69.

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Bedeutung. 23 Auch findet der Gesetzgeber an der Ausbreitung der Erfolgsqualifizierten Delikte Gefallen, weil sie eine erhebliche Verschärfung der Strafbarkeit von Gewalttätern eröffnet. 24 Nur über die Grenzen des Schuldprinzips wird bei alledem kaum nachgedacht. 4. Probleme bereitet dem an sich rechtsstaatlichen Strafgesetzgeber in einigen Staaten, darunter auch Deutschland, nach wie vor die Einhaltung des Tatstrafrechtsprinzips. Also jenes Prinzips, das eine objektive Tat verlangt und ein Gesinnungs-, Willens- oder Täterstrafrecht als rechtsstaatlich nicht akzeptabel ansieht. In den meisten Strafgesetzbüchern wird es nicht für sich allein, sondern im Zusammenhang mit anderen Prinzipien, so dem Gesetzlichkeitsprinzip, und der häufigen Verwendung des Wortes „Tat“ im Allgemeinen Teil zum Ausdruck gebracht. Im deutschen StGB findet sich nun seit der Reform von 1975 eine Regelung des Versuchs, aus der sich ergibt, daß die Väter des Gesetzes von der subjektiven Versuchstheorie ausgegangen sind und dementsprechend bei untauglichem Versuch nur eine Privilegierung vorsehen wollen, und das auch nur in Fällen groben Unverstands. 25 Diese Versuchstheorie, nach der für die Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs ausreichend ist, daß der Handelnde den Tatentschluß durch eine Handlung betätigt, die auf der Grundlage seiner Vorstellung unmittelbar auf die Verwirklichung eines Strafbestandes gerichtet ist, geht in der deutschen Rechtsprechung bis auf die Anfänge des Reichsgerichts zurück. 26 Die Herausarbeitung subjektiver Unrechtselemente durch die moderne Strafrechtsdogmatik hat bewirkt, daß die subjektive Theorie auch im deutschen Schrifttum nach langen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zunächst Fuß fassen konnte. Sie entspricht überdies dem gegenwärtigen Siegeszug der Präventionstheorien, weil sie die Strafbarkeit schon bei der unmittelbaren Betätigung des bösen Willens beginnen läßt, ohne daß es auf den objektiven Unrechtsgehalt dieser Betätigung ankommt. Inzwischen wird jedoch in der Wissenschaft zunehmend erkannt, daß die subjektive Theorie zu weit geht. Die herrschende Lehre in Deutschland will sie deshalb in der Weise modifizieren, daß sie einschränkend darauf abstellt, ob die Betätigung des Tatentschlusses einen rechtserschütternden Eindruck vermittelt. 27 An dieser als Eindruckstheorie bezeichneten Konstruktion wird jedoch mit Recht kritisiert, daß sie am subjektivistischen Ausgangspunkt festhält und zur Eingrenzung auf einen völlig unscharfen Allgemeinbegriff zurückgreift, der zudem 23

Näher dazu Küpper, ZStW 111(1999), 785, 792 ff. Siehe die Übersicht über die Vermehrung erfolgsqualifizierter Delikte bei Küpper, ZStW 111(1999), 785 ff., 804 ff. 25 Siehe § 23 Abs. 3 dtsch. StGB. 26 Siehe RGSt. 1, 439, 441; 8, 198, 203. Die seitherige ständige Rechtsprechung stand bis Anfang der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Gegensatz zur herrschenden Schrifttumsmeinung. Näher dazu Hirsch, Festschrift für Roxin, 2001, S. 711 ff. 27 Vgl. Schönke / Schröder / Eser, StGB, 26. Aufl., 2001, Vor § 22 Rnr. 22 m.w. N. 24

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nicht versuchsspezifischer Natur ist. 28 Will man beim untauglichen Versuch dem Tatstrafrecht zur Durchsetzung verhelfen, bedarf es vielmehr der Heranziehung der „neueren objektiven Versuchstheorie“, nach der ein Versuch überhaupt nur vorliegt, wenn der Täter aus der Sicht ex ante einer an seinem Standort gedachten Maßstabperson zu einer gefährlichen Handlung ansetzt. 29 Dann liegt objektiv etwas vor, was nicht nur wertneutral ist, sondern deliktische Relevanz hat. Ebenso wie es beim tauglichen Versuch objektiv um die Gefährlichkeit der Betätigung geht, verhält es sich beim untauglichen. Deshalb hat man genauer betrachtet nicht zwischen Tauglichkeit und Untauglichkeit, sondern allein zwischen ex ante bestehender Gefährlichkeit und Ungefährlichkeit zu unterscheiden. Ist die Betätigung ungefährlich, so geht es lediglich um den bösen Willen. Dieser aber genügt nicht zur Strafbarkeit. So sehen es auch die meisten anderen Rechtsordnungen, etwa Frankreichs, Italiens, Japans und Spaniens. 5. Ein sehr aktuelles Problem für die heutige Strafgesetzgebung bildet die Straffähigkeit juristischer Personen. Bekanntlich hat man sie über lange Zeit in allen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen abgelehnt, während sie in den angelsächsischen Rechtsordnungen bejaht wird. Die Ablehnung wurde und wird damit begründet, daß juristische Personen nicht selbst handlungsfähig und schuldfähig, außerdem nicht strafempfänglich seien. Inzwischen ist angesichts der Rolle, die zunehmend Wirtschaftsunternehmen im Kriminalitätsgeschehen – etwa in der Unweltdelinquenz und der Organisierten Kriminalität – spielen, die Forderung immer lauter geworden, sie auch im kontinentaleuropäischen Recht für straffähig zu erklären. Mehrere Staaten sind dem bereits gefolgt. Ich nenne nur Frankreich, Finnland und die Niederlande. Bei der Straffähigkeit von juristischen Personen geht es um mehrere Fragen: Was zunächst die theoretische Möglichkeit betrifft, sind die vorgebrachten Schwierigkeiten nur scheinbare. Die juristische Person kann durch ihre Repräsentanten handeln. Solche Handlungen können auch gegen die Rechtsordnung verstoßen und daher rechtswidrig sein. Ebenfalls läßt sich in bezug auf die konkrete Vermeidbarkeit von Schuld oder jedenfalls etwas Schuldähnlichem sprechen. Die juristische Person ist auch strafempfänglich. Alle Strafzwecke können bei ihr Wirkung entfalten. Eine gegen sie verhängte Geldstrafe trifft sie als Sanktion, und die general- und spezialpräventive Wirkung wird oft größer sein als bei Individualpersonen. Man sollte auch nicht übersehen, daß in den meisten Rechtsordnungen davon bereits in einem Teilbereich, nämlich bei den Ordnungswidrigkeiten oder Verwaltungsdelikten und im Finanzstrafrecht, ausgegangen wird. 30 28 Vgl. Weigend, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, 113, 122 f.; Hirsch (Fn. 27), S. 714 f. m.w. N. 29 Näher dazu Hirsch (Fn. 27), S. 719 ff. 30 Näher dazu Hirsch, ZStW 107 (1995), 285, 289 ff.

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Die eigentliche Frage lautet, ob die Anerkennung der Straffähigkeit juristischer Personen nicht das Individualstrafrecht schädigt. Es heißt, daß individuelle Schuld und gegen das Individuum gerichtete Strafe dem Kriminalstrafrecht eigentümlich seien. 31 Demgegenüber erhebt sich jedoch das Bedenken, ob damit nicht lediglich eine Verabsolutierung des Hergebrachten erfolgt. Auch fließen dabei möglicherweise irrationale Erwägungen in die Betrachtung ein. Die Befürchtung, daß eine Entethisierung des Kriminalstrafrechts die Folge sein könnte, ist kaum berechtigt, da auch an das Handeln juristischer Personen sozialethische Maßstäbe angelegt werden, 32 so daß die kriminalstrafrechtliche Verurteilung einer solchen Person nicht lediglich einen wertneutralen und formalen Charakter haben würde. Zudem zeigt die angelsächsische Praxis, daß das Individualstrafrecht keinen Schaden genommen hat. Eine andere Frage ist, ob wirklich ein ausreichendes gesetzgeberisches Bedürfnis besteht. In Teilen der Literatur wird das bejaht. 33 Die Praxis in denjenigen kontinentaleuropäischen Ländern, die eine allgemeine Straffähigkeit eingeführt haben, bestätigt das aber bisher nicht. Es finden nur sehr wenige Verfahren statt. Dies spricht dafür, daß die nationalen Gesetzgeber sich nicht zu vorschnellem Tätigwerden hinreißen lassen sollten. Das um so weniger, als die Voraussetzungen einer solchen Strafbarkeit wissenschaftlich nicht ausreichend geklärt sind und die bisher zu beobachtenden Regelungen, so die in Frankreich, Zweifel daran wecken, ob der Unterschied zwischen zivilem Haftungsrecht und täterbezogenem Strafrecht hinreichend beachtet wird. Insbesondere geht es darum, daß das spezifische Unrecht der juristischen Person und die bei ihr vorliegende konkrete Vermeidbarkeit als Strafbarkeitserfordernisse in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck gelangen. 34 Auch wird noch diskutiert, ob man für juristische Personen nicht besser ein strafrechtliches Maßnahmenrecht vorsehen sollte, das im Unterschied zum Individualstrafrecht mit geringeren Voraussetzungen auskommt. 35 Demgegenüber erhebt sich jedoch das Bedenken, daß die Maßnahme ebenso wie die Strafe eine punitive Sanktion, in der Regel eine Geldbuße, sein würde und es angesichts des Faktums, daß auch hinter juristischen Personen Menschen stehen, nicht berechtigt wäre, 31 Siehe Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, S. 227 m.w. N. 32 Näher dazu Hirsch, ZStW 107 (1995), 285, 292; ders., Strafrechtliche Probleme, 1999, 597, 607 f. 33 Vgl. etwa Tiedemann, ZStW 102 (1990), 94, 106 ff.; ders., Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 527, 531 f.; Achenbach, JuS 1990, 601, 607 („Wucht des Problemdrucks“). 34 So nachdrücklich Hirsch, ZStW 107 (1995), 285, 312 ff. 35 Vgl. Stratenwerth, Festschrift für R. Schmitt, 1992, S. 295, 304. Siehe auch Otto, Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993, S. 28 ff. („Geldbuße als wirtschaftsaufsichtsrechtliche Maßnahme“).

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die Sanktion an geringere Erfordernisse hinsichtlich Tat und Verantwortlichkeit zu knüpfen. Im übrigen droht die Gefahr, daß ein solches punitives Maßnahmenrecht als besonders modern empfunden und auch als Zukunftsmodell des Individualstrafrechts angepriesen wird. Zusammenfassend läßt sich zur grundsätzlichen Straffähigkeit juristischer Personen mithin feststellen, daß die rechtsstaatliche Problematik hier nicht bei der grundsätzlichen Möglichkeit, sondern bei der inhaltlichen Ausgestaltung liegt. 6. Die gegenwärtige Kriminalitätsentwicklung veranlaßt die Gesetzgeber dazu, einen Teil der Strafdrohungen zu verschärfen. In Deutschland ging es dabei insbesondere um die Körperverletzungsdelikte. So ist beispielsweise die Obergrenze der Strafdrohung des Tatbestands der Gefährlichen Körperverletzung (§ 224 dtsch. StGB), 36 das heißt der Körperverletzung mit einem gefährlichen Tatmittel, im Jahre 1998 von fünf auf zehn Jahre Freiheitsstrafe verdoppelt worden. 37 Es erhebt sich jeweils nach den nationalen Wertmaßstäben die Frage, ob so hohe Strafdrohungen noch tatschuldangemessen sind. Das Schuldprinzip, auf das im vorhergehenden schon im Zusammenhang mit den Straftatvoraussetzungen einzugehen war, tritt hier jetzt hinsichtlich der Strafe als Rechtsfolge der Tat in den Blick. Es entspricht rechtsstaatlichen Anforderungen und wird in § 46 dtsch. StGB auch ebenfalls für die konkrete Strafzumessung bestimmt, daß die Übelszufügung durch die Strafe nicht das Ausmaß der Tatschuld überschreiten darf. Nun sieht die deutsche Realität allerdings so aus, daß diese hohen Strafrahmen im oberen Bereich gar nicht in der Praxis zur Anwendung kommen. Daß jemand wegen einer Gefährlichen Körperverletzung mit 10 Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird, ist kaum vorstellbar. Dies um so weniger, als es sich um ein Delikt handelt, das bis vor wenigen Jahren noch ein Privatklagedelikt gewesen ist. Es geht bei den extremen Strafrahmenerhöhungen deshalb auch nicht um etwas, was wörtlich zu nehmen ist. Vielmehr muß man sie auf dem Hintergrund des Phänomens sehen, daß sich die Gerichte bei uns in der Regel im unteren Bereich der gesetzlichen Strafrahmen bewegen. Eine Bestrafung aus dem mittleren Bereich des Strafrahmens bedeutet in der Praxis, daß es sich bereits um eine schwere Verwirklichung des betreffenden Tatbestands gehandelt hat. Will der Gesetzgeber eine strengere Strafpraxis erreichen, muß er daher die Strafdrohungen erheblich verschärfen, um das Strafgefüge auch nur etwas nach oben zu verschieben. Juristisch ist dieser Zustand aber in hohem Maße unbefriedigend. Strafdrohungen sollten nicht nur schuldangemessen, sondern auch ernsthaft gewollt sein. Auch erhebt sich die Frage, ob die Weite solcher Strafdrohungen – im erwähnten Fall der Strafbestimmung über die Gefährliche Körperverletzung von sechs Monaten 36 37

Bis zum Jahre 1998 war das § 223a dtsch. StGB. Durch das 6. StrRG von 1998.

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bis zu zehn Jahren – dem Satz „Nulla poena sine lege“ entspricht. Dem Richter wird hier ein Ermessensbereich eingeräumt, bei dem von einer hinreichenden Bestimmheit der Strafdrohung nicht mehr die Rede sein kann. 7. Als letzte Problematik heutiger Strafgesetzgebung möchte ich die Korrektur des materiellen Strafrechts durch das Prozeßrecht ansprechen. Daß die gesetzlichen Tatbestände sprachlich nicht so durch Tatumstände beschrieben werden können, daß strafrechtlich irrelevante Bagatellfälle von vornherein außerhalb des Wortlauts bleiben, ist eine durch alle Strafgesetzbücher belegte Beobachtung. Die nationalen Gesetzgeber lösen diese Schwierigkeit zumeist in der Weise, daß sie eine Ausnahme vom verfahrensrechtlichen Legalitätsprinzip in Fällen von Geringfügigkeit vorsehen. Einige Staaten, so insbesondere Polen, sind auch um eine materiellrechtliche Lösung bemüht, indem sie mit Hilfe der Generalklausel „geringfügige Sozialschädlichkeit“ das Bagatellunrecht schon aus der Tatbestandsmäßigkeit ausgrenzen wollen (vgl. Art. 1 § 2 poln. StGB), wobei allerdings in Fällen, daß es zu einer Hauptverhandlung kommt, offenbar gleichwohl kein Freispruch, sondern ein das Verfahren einstellendes Prozeßurteil ergeht. Welche Lösung man auch wählt, jedenfalls ist heute selbstverständlich, daß dem Satz „Minima non curat praetor“ Rechnung zu tragen ist. Kritisch werden die Dinge jedoch, sobald ein Gesetzgeber das Legalitätsprinzip über den Bagatellbereich hinaus einschränkt und dazu Regelungen trifft, die an Geldbußen geknüpfte Opportunitätseinstellungen auch bei mittlerer Kriminalität eröffnen. § 153a Abs. 1 Nr. 2 dtsch. StPO bestimmt, daß die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten von der Anklage absehen kann, wenn die Zahlung eines Geldbetrags an eine gemeinnützige Einrichtung oder bestimmte andere Auflagen geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und dem die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Diese Vorschrift hat inzwischen in der deutschen Strafrechtspflege sehr große Bedeutung erlangt. Mehr als 46% der Verfahren wegen Vergehen werden durch Opportunitätseinstellungen erledigt, wobei die Einstellungen nach § 153a StPO einen großen Anteil bilden. 38 Die extensive Handhabung wird dadurch begünstigt, daß es keine Rechtsbehelfe gegen derartige Einstellungen gibt, sie also keiner Kontrolle unterliegen. Infolgedessen können die für die Einstellungsbeschlüsse zuständigen Rechtspflegeorgane selbst definieren, ob sie im konkreten Fall ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung verneinen wollen. Begründet wird die Notwendigkeit des § 153a Abs. 1 Nr. 2 dtsch. StPO damit, daß nur durch die von ihm ermöglichten Opportunitätseinstellungen die Funktionsfähigkeit der Strafjustiz gewährleistet werden könne. Die Flut der Straftaten 38

Vgl. Heinz, Festschrift für Kaiser, 1998, S. 85, 102.

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würde andernfalls bewirken, daß für die Verfolgung der schweren Kriminalität keine ausreichenden personellen Ressourcen verfügbar wären. 39 Das teils auf der tatsächlichen Zunahme traditioneller Delikte, teils auf der Schaffung neuer Straftatbestände beruhende Anwachsen der Kriminalität führt also dazu, daß die Gesetzgebung sich zu verfahrensrechtlichen Korrekturen veranlaßt sieht. Es erscheint aber zweifelhaft, ob eine Regelung wie jene des § 153a dtsch. StPO eine sachentsprechende Lösung darstellt. Es bedeutet einen Widerspruch, wenn der Gesetzgeber es einerseits für angebracht ansieht, Straftatbestände mit Strafdrohungen bestehen zu lassen oder neu zu schaffen, andererseits für einen erheblichen Teil der unter sie fallenden begangenen Taten von vornherein keine Bestrafung, sondern eine mindere Sanktionierung vorsieht. Auch erhebt sich hinsichtlich des justizökonomischen Arguments die Frage, ob die behauptete Arbeitsersparnis nicht ebenso durch vereinfachte Verfahren, wie insbesondere das ohne Hauptverhandlung erfolgende Strafbefehlsverfahren, erzielt werden könnte. Vor allem aber öffnet der § 153a StPO Justizmißständen Tür und Tor. Das beginnt damit, daß privilegierten Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise Politikern, Wirtschaftsbossen und Ärzten, ermöglicht wird, sich durch die Zahlung hoher Geldbeträge an gemeinnützige Einrichtungen oder die Staatskasse von der Anklageerhebung freizukaufen. Zweitens bietet die Vorschrift den Staatsanwaltschaften die Möglichkeit, daß sie Beschuldigte, bei denen das Beweismaterial für eine Anklage nicht ausreichend ist, aber ein Anfangsverdacht weiterhin besteht, zur Zahlung eines solchen Geldbetrags durch die Drohung nötigen, eine Anklage sei bei weiteren Ermittlungen nicht auszuschließen. Da auch der unschuldige Beschuldigte kein Interesse daran hat, angeklagt zu werden und dabei lediglich darauf hoffen zu können, am Ende der öffentlichen Hauptverhandlung schließlich freigesprochen zu werden, unterwirft es sich regelmäßig einem solchen Druck der Staatsanwaltschaft. Und noch ein weiterer Punkt spricht gegen den § 153a dtsch. StPO: die Begünstigung des Einflusses menschlicher Bequemlichkeit auf das Strafverfahren und eine daraus resultierende Willkürlichkeit. Eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO erspart nämlich dem Staatsanwalt die Mühe der Anfertigung einer Anklageschrift, und bei einer ebenfalls nach dieser Vorschrift rechtlich möglichen Einstellung in der Hauptverhandlung dem Gericht die schriftliche Abfassung der Urteilsgründe. Groß ist auch die Versuchung, einem sich mangels ausreichender Beweise abzeichnenden freisprechenden Urteil mit einer an eine Geldzahlung geknüpften Opportunitätseinstellung zuvorzukommen. Die Folge des § 153a dtsch. StPO ist zudem ein unerträglicher Machtzuwachs der Staatsanwaltschaften. Es steht praktisch in ihrem Belieben, ob bei leichter und mittlerer Kriminalität Anklage erhoben wird. Die richterliche Zustimmung wird 39 Vgl. die amtliche Begründung zur Einführung des § 153a StPO in BT-Drucks. 7/550, S. 298. Siehe außerdem den Ersten Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zum Entwurf des EGStGB 1974 in BT-Drucks. 7/1261, S. 26 f.

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in der Praxis routinemäßig erteilt. Und die hohen Geldbeträge, an welche die Opportunitätseinstellungen geknüpft werden, sind im Ergebnis punitive Sanktionen. Die Staatsanwälte nehmen daher de facto quasirichterliche Funktionen wahr, und die verhängten Sanktionen setzen nicht einmal den Nachweis der Straftat voraus. Ob die 1975 geschaffene und 1993 auf den jetzigen weiten Anwendungsbereich ausgedehnte Vorschrift rechtsstaatlichen Maßstäben entspricht, muß ernsthaft bezweifelt werden. Sie empfiehlt sich jedoch keinesfalls zur Nachahmung. III. Insgesamt läßt sich feststellen: Bei dem größten Teil der im vorhergehenden aufgezählten Probleme, die sich auch noch um einige andere wie etwa die Kronzeugenregelung erweitern ließen, bilden die starke Zunahme der Kriminalität, die Organisierte Kriminalität und das gestörte Sicherheitsgefühl der Bevölkerung den Hintergrund. Sie veranlassen den heutigen Gesetzgeber zur Ausweitung und Verschärfung des Strafrechts. Dieser Aktionismus des Strafgesetzgebers ist jedoch vielfach nur ein Alibi, mit dem der Eindruck vermittelt wird, es werde alles Notwendige zur Eindämmung getan, während in Wahrheit gegenüber den eigentlichen Entstehungsgründen der Kriminalität wenig unternommen wird. Ich nenne nur einige von diesen: Die Aufweichung der Wertvorstellungen und die Entwicklung eines hemmungslosen Individualismus und Gewinnstrebens ohne soziales Verantwortungsbewußtsein, Erziehungsdefizite und der Rückgang der informellen familiären oder nachbarschaftlichen Sozialkontrolle, die Jugendarbeitslosigkeit, die Zunahme des wirtschaftlichen Abstands zwischen benachbarten Staaten, aber auch eine zu schwache, mehr verwaltende als aktive Verfolgungsintensität bei leichter und mittlerer Kriminalität, namentlich der Eigentumsdelinquenz. Sich der Behebung oder Eindämmung dieser Ursachen zuzuwenden, ist sicherlich erfolgsversprechender als die aufgezeigte hypertrophe Strafgesetzgebung, die eher Ratlosigkeit als Bereitschaft zur Problemlösung erkennen läßt. Es kann jedoch keine Rede davon sein, daß Rechtsstaatlichkeit gleichbedeutend mit der Inkaufnahme der Kriminalitätsziffern ist, wie wir sie gegenwärtig in den westlichen Demokratien haben. Zwar ist ein Gemeinwesen ohne Kriminalität nach menschlicher Erfahrung nicht denkbar. Aber es muß sich doch so verhalten, daß Kriminalität von der Gesellschaft nicht als bedrohliches allgemeines Problem empfunden wird. So verhielt es sich bis Ende der 60er Jahre in Westeuropa. Zur Wiederherstellung eines solchen Zustands bedarf es weniger neuer Strafgesetze als vielmehr primär der Eindämmung der Ursachen. Darüber hinaus ist in der Rechtspraxis dafür Sorge zu tragen, daß das Strafrecht seinen Grundprinzipien entsprechend angemessen, human und ohne Willkür, aber innerhalb dieses Rahmens auch konsequent gehandhabt wird, damit Opfer, Täter und die gesamte Bevölkerung von uneingeschränkter Rechtsstaatlichkeit und vom ordnungsgemäßen Funktionieren der Strafrechtspflege ausgehen können.

Grundlagen, Entwicklungen und Mißdeutungen des „Finalismus“ 2003 I. Einleitung Nikolaos K. Androulakis steht mit der deutschen Strafrechtswissenschaft in engem Kontakt. Karl Engisch, einer der herausragenden Strafrechtstheoretiker des vergangenen Jahrhunderts, war sein deutscher Lehrer. Als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung schrieb Androulakis unter seiner Betreuung um die Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren in München die Dissertation „Studien zur Problematik des unechten Unterlassungsdelikts“. Diese stark beachtete Arbeit erschien im Jahre 1963 und war als methodologische Alternative zu der 1959 von dem Finalisten Armin Kaufmann verfaßten Monographie über „Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte“ konzipiert. 1 Den Finalismus und ebenso die auf diesen zurückgehende personale Unrechtslehre hat Androulakis auch später stets abgelehnt. Beim Deliktsaufbau des Vorsatzdelikts hat er an der kausalen Unrechtslehre festgehalten. Beim fahrlässigen Delikt soll allerdings auch nach seiner Ansicht die Sorgfaltswidrigkeit bereits zum Unrechtstatbestand gehören. Die Ablehnung des Finalismus wird von der Mehrheit der griechischen Strafrechtler geteilt. 2 Liest man die eingehenden methodologischen Ausführungen in dem vorerwähnten Buch von Androulakis, so fallen einem mehrere Stellen auf, die auch ein Finalist geschrieben haben könnte. So heißt es dort, es gehe um „die Probleme allein und nicht ihre zeitbedingten Lösungen“, und die Rede ist von Rechtswissenschaft als „System der Probleme möglicher Gesetzgebung“. 3 Dementsprechend bilden dann auch für Androulakis die erkenntnistheoretischen Probleme den Ausgangspunkt der Untersuchung. 4 Er verweist auf die „Dinge selbst“. 5 Auch spricht 1

Das wird auch ausdrücklich im Vorwort betont. Für den Finalismus haben sich nur Philippides, Dedes und Benakis ausgesprochen. 3 Androulakis, Studien zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte, 1963, S. 1, unter Bezugnahme auf Max Salomon, Grundlegung der Rechtsphilosphie, 2. Aufl. 1925, S. 18 ff., insbesondere S. 34, 56 ff. 4 Androulakis (Fn. 3), S. 15, 16 ff. 5 Androulakis (Fn. 3), S. 19. 2

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er von der Notwendigkeit, „angesichts der Transitivität der juristischen Regelung als Regelung von etwas Seiendem sowohl auf die Seinsgestaltung als auch auf die oft das Wesen widerspiegelnde systematische Stellung ihres Problemgegenstandes Rücksicht (zu) nehmen“. 6 Außerdem beruft er sich auf eine Bemerkung von Engisch, wonach eine Regelung vernünftigerweise am Sein ausgerichtet werden muß. 7 Es finden sich also Berührungspunkte zwischen den methodischen Ansätzen von Androulakis und denen – anschließend noch näher darzustellenden – des Finalismus. Vor allem, wenn man an einen von übertreibenden Altlasten entschlackten Finalismus denkt, scheint dieser dem Konzept von Androulakis näher zu stehen als die heute als „modern“ ausgegebenen akzentuiert normativistischen Ansätze. Daß der Jubilar in neuerer Zeit gefordert hat, die „gesamte Strafrechtsdogmatik umzuorientieren“, und zwar auf den Begriff der Strafe hin, 8 läßt die bei näherer Betrachtung begrenzteren Ziele des Finalismus unberührt. 9 Im folgenden sollen diese sowie ihre Entwicklung und Mißdeutungen aus heutiger Perspektive veranschaulicht werden. II. Grundlagen des Finalismus Die als „Finalismus“ bezeichnete wissenschaftliche Richtung verfolgt zwei Ziele: ein allgemeines und ein spezielles: 1. Das allgemeine ist ein methodisches. Der Finalismus wendet sich gegen eine normativistische Vorgehensweise der Strafrechtsdogmatik. Es geht ihm darum, daß die Gegenstände der rechtlichen Wertungen nicht normativistisch gebildet, sondern der Wirklichkeit entnommen werden und daß man innerhalb des normentheoretischen Systems ihre vorrechtlichen Strukturen und die sich daraus ergebende Sachlogik beachtet. 10 Wenn beispielsweise das Gesetz von Anstiftung spricht, hat man sich erst einmal anzusehen, wie dieses Phänomen vorrechtlich strukturiert ist und dabei unter anderem zu erkennen, daß ihm die Hervorrufung eines betätigten Entschlusses wesenseigen ist. Und als sachlogischer Zusammen-

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Androulakis (Fn. 3), S. 7. Androulakis (Fn. 3), S. 7 bezüglich Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 1953, S. 102. 8 Androulakis, Über den Primat der Strafe, in: ZStW 108 (1996), S. 300, 331. 9 Androulakis (Fn. 8), bemerkt auch audrücklich, daß die „aus den Zwecken und Funktionen der Strafe teleologisch ... oder aus den Strukturen der Handlung sachlogisch“ deduzierte Dogmatik weiterhin Bedeutung haben soll. 10 Vgl. Welzel, Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, in: Erinnerungsgabe für Grünhut, 1965, S. 173 ff. (abgedruckt auch in Welzel, Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1973, S. 345 ff.). 7

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hang zeigt sich das Akzessorietätsverhältnis zwischen der Anstiftung und dem durch sie veranlaßten Verhalten des Angestifteten. Unter dem Einfluß des Gesetzespositivismus und des Neukantianismus hatte sich, als der Finalismus in den Jahren 1930/31 erstmalig in Erscheinung trat, 11 in der Strafrechtsdogmatik eine Methodik breitgemacht, welche die Dogmatik nicht auf den Phänomenen und Strukturen der Wirklichkeit aufbaute, sondern die Gegenstände der rechtlichen Regelungen normativistisch konstruierte. Begriffe wie Handlung, Unterlassen, Vorsatz, Anstiftung etc. waren zu juristischen Kunstprodukten geworden. 12 Welzel, der Begründer des Finalismus, erkannte damals, daß die normativistische Methodik die Gegenstände der Rechtsregelungen unerträglich manipulierbar machte und eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Strafrechtssystematik behinderte. Indem die normativistisch gewonnenen Ergebnisse bestenfalls auf Regelungen der nationalen Gesetzgebung – mögen diese auch schon Jahrzehnte alt sein – oder aber nur auf die Meinung des jeweiligen Autors zurückgehen, war durch sie der Weg zu allgemeingültigen Ergebnissen und damit auch zu einer die Grenzen der nationalen Rechtsordnungen überschreitenden international betriebenen Strafrechtswissenschaft verbaut. Welzel hat daher später noch besonders betont, daß der methodische Ansatz des Finalismus es ermöglicht, in der Strafrechtsdogmatik, insbesondere des Allgemeinen Teils, einen ideologisch neutralen Raum zu schaffen und zu Einsichten zu gelangen, die sich wegen ihrer Allgemeingültigkeit in andere Rechtssysteme transferieren lassen. 13 Ein solches Konzept bedeutet sicherlich einen Vorteil für die Wahrung eines rechtsstaatlichen Strafrechts. 2. Ein spezielleres Ziel des Finalismus war die Anwendung dieses methodischen Ansatzes auf einen Zentralbegriff des Strafrechts: den Handlungsbegriff. Dieser ist ein Zentralbegriff, weil es bei den Delikten um Verstöße gegen Verbote oder Gebote geht und Gegenstand beider Normarten Handlungen sind. Das Verbot untersagt eine Handlung, und das Gebot fordert sie. Die Verwandlung des Handlungsbegriffs in ein strafrechtliches Kunstprodukt, nämlich eine auf einem bloßen Willensimpuls, gleichgültig welchen Inhalts, beruhende Erfolgsverursachung, 14 gab Welzel dazu Anlaß, den sogenannten Finalismus zu entwickeln. Angeregt 11 Am Anfang des Finalismus standen die Aufsätze von Welzel über „Strafrecht und Philosophie“, in: Kölner Universitätszeitung, 1930 Nr. 9, S. 5 ff. (abgedruckt bei Welzel [Fn. 10], Abhandlungen, S. 1 ff.), „Kausalität und Handlung“, in: ZStW 51 (1931), S. 703 ff., und „Über Wertungen im Strafrecht“, in: Der Gerichtssaal 103 (1933), S. 340 ff. 12 Siehe die Definitionen bei Mezger, Strafrecht, Ein Lehrbuch, 1. Aufl. 1931, S. 91 ff., 105 ff., 109, 130 ff., 330 ff., 414. 13 Welzel, Zur Dogmatik im Strafrecht, in: Festschrift für Maurach, 1972, S. 3, 5. 14 Siehe für die damalige h.M.: v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Band I, 26. Aufl. 1932, S. 155; Mezger (Fn. 12), S. 109.

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durch entsprechende Deutungen im damaligen psychologischen Schrifttum brachte er wieder in Erinnerung, daß zur Handlung die auf die objektive Verwirklichung gerichtete Intention, also der sie überspannende Willensinhalt, gehört: zu einer Tötungshandlung beispielsweise der Tötungswille. So hatte man den Begriff der Handlung auch früher verstanden. Welzel war bereits bei der Beschäftigung mit Pufendorf in seiner Dissertation hierauf gestoßen. Und bei Aristoteles ist die Handlung ebenso Willenshandlung gewesen, wie das auch im 19. Jahrhundert bei den Hegelianern der Fall war. 15 Daß man dies in der Strafrechtsdogmatik zeitweilig aus den Augen verlor, hängt einmal damit zusammen, daß man bei der Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten Aufgliederung des Delikts in Unrecht und Schuld fälschlich meinte, diese Unterscheidung sei identisch mit der zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen. Ein zweiter Grund, der in der deutschen Dogmatik den Blick für die klare Erfassung des Handlungsbegriffs verstellte, war der frühere § 1 des deutschen Strafgesetzbuchs, in dem bezüglich der Straftat nur von mit Strafe bedrohter Handlung die Rede gewesen ist. Normativistisch leitete man daraus ab, daß Handlung der Oberbegriff für jegliche Form strafbaren Verhaltens sei und damit nicht nur das Tun, sondern auch die Unterlassung umfassen und auch für Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten den gleichen Inhalt haben müsse. Diese Vorstellung finden wir heute noch bei den sich als „sozial“ oder „personal“ bezeichnenden Handlungsbegriffen. 16 Bei der finalen Handlung, von der Welzel gesprochen hat, geht es jedoch nicht um das gemeinsame Minimum aller Straftaten, namentlich den Ausschluß von Reflexen, sondern um eine Analyse der in einem Tun bestehenden Verwirklichungshandlung, wie sie als Gegenstand der Verbote und Gebote eine bei den Delikten auch praktisch bedeutsame Rolle spielt. Aus dem Begriff der Willenshandlung zog Welzel die Konsequenz, daß der Vorsatz des Begehungsdelikts, weil mit dem Handlungswillen identisch, bereits zum Unrechtstatbestand gehört. Und beim fahrlässigen Delikt zeigte er auf, daß hier die Handlung sich in der den Gegenstand des Sorgfaltswidrigkeitsurteils bildenden willentlichen Handlung erschöpft und der Erfolg eine dem Täter zuzurechnende Wirkung dieser normwidrigen Handlung darstellt. 17 15 Vgl. die historischen Angaben bei Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 38 f. Zu Aristoteles näher Benakis, Über den Begriff des Unrechttuns bei Aristoteles, in: Festschrift für Welzel, 1974, S. 213, 215 ff. 16 Vgl. für den „sozialen“ Handlungsbegriff Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S. 221, 223 m.w. N. Einen als „personal“ bezeichneten Handlungsbegriff als Oberbegriff vertritt Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 3. Aufl. 1997, § 8 Rn. 19 f., 44 ff. Zu diesen Handlungsbegriffen nähere Kritik bei Hirsch, Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, in: ZStW 93 (1981), S. 831, 851 ff., und ders., Handlungs-, Sachverhalts- und Erfolgsunwert, in: Gedächtnisschrift für Meurer, 2002, S. 3, 4 mit Fn. 2 bis 4. 17 Welzel (Fn. 15), S. 129 ff. (auch mit Angaben zu vorhergehenden eigenen Aufsätzen).

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3. Man kann den Finalismus nicht als das Produkt einer bestimmten philosophischen Zeitrichtung einstufen. Die Wiederentdeckung der Willenshandlung hätte schon drei Jahrzehnte früher und ebenso drei Jahrzehnte später erfolgen können. Auch ist die Frontstellung gegen einen puren Normativismus heute ebenso aktuell wie damals. Daß Welzel kongeniale Analysen in der Ethik des Philosophen Nicolai Hartmann fand, relativiert den Finalismus nicht zu einer Frucht einer philosophischen Zeitströmung. 18 Er hat auch nichts mit nationalsozialistischem Strafrecht zu tun. Ganz abgesehen davon, daß Welzel ihn schon 1930 wissenschaftlich entwickelte und ein Teil der daraus abgeleiteten strafrechtlichen Ergebnisse sich – noch ohne wissenschaftliche Begründung – schon Mitte der 20er Jahre bei anderen Autoren finden, hat der Finalismus während der Hitler-Zeit keine Rolle gespielt. Das nationalsozialistische Strafrecht tendierte im Gegensatz zur finalen Handlungslehre zu einer völkisch-nationalen Strafrechtsdogmatik, zum Gesinnungsstrafrecht und zum Täterstrafrecht. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als es um die dogmatische Einordnung des Verbotsirrtums ging, trat der Finalismus in ein breites Blickfeld. III. Entwicklung der Diskussion des Finalismus In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war Welzel sehr erfolgreich mit Ergebnissen, die er auf der Grundlage des Finalismus gewonnen hatte. Neben der schon erwähnten dogmatischen Erklärung der Trennung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein und der daraus entwickelten Schuldtheorie beim Verbotsirrtum sind die aus dem Finalismus entwickelten Erkenntnisse zur Teilnahmelehre und zur Fahrlässigkeitsdogmatik hervorzuheben. Nicht nur, daß diese Lösungen von der Rechtsprechung aufgegriffen wurden. Sie fanden teilweise auch ausdrücklich in den neuen Allgemeinen Teil des deutschen StGB von 1975 Eingang. Die Überwindung der kausalen Unrechtslehre war in Deutschland dann auch Anfang der 70er Jahre abgeschlossen. Seither folgt die herrschende Lehre im Deliktsaufbau der Auffassung der Finalisten, daß der Tatbestandsvorsatz bereits 18

N. Hartmann, Ethik, 2. Aufl., 1935, S. 79 ff., 228 ff. Welzel übernahm von ihm lediglich die Bezeichnung „Finalismus“ für den Handlungswillen (darüber Welzel [Fn. 15], S. 34). Daß der Finalismus nicht aus einem bestimmten philosophischen System abgeleitet ist, mindert auch nicht etwa seinen wissenschaftlichen Rang. Philosophische Richtungen können Bedeutung haben für strafrechtliche Grundprinzipien (Vergeltungs- und Präventionsgedanke, Schuldprinzip, Gesinnungsstrafrecht u. dgl.), Schutzgüter des Besonderen Teils (Ehre, Umwelt etc.) und Strafsanktionen (Todesstrafe etc.). Dagegen ist die Frage der strukturellen dogmatischen Voraussetzungen einer mit Strafe bedrohten Tat speziellerer Natur und deshalb von der Strafrechtswissenschaft zu erforschen.

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zum Unrechtstatbestand des Vorsatzdelikts und die objektiv sorgfaltswidrige Handlung bereits zum Unrechtstatbestand des fahrlässigen Delikts gehören. 19 Das bedeutet allerdings nicht, daß sich der finale Handlungsbegriff und der hinter ihm stehende methodische Ansatz durchgesetzt hätten. Durchgesetzt haben sich vielmehr zahlreiche von Welzel daraus unter der Bezeichnung personale Unrechtslehre gezogene dogmatische Folgerungen. 20 Die normativistischen Tendenzen haben teilweise sogar noch zugenommen. So heißt es in den Vorworten eines heutigen deutschen Lehrbuchs, daß die im Strafrecht verwendeten Begriffe überhaupt erst im Zusammenhang strafgesetzlicher Regelungen entstehen. 21 Auch erfreuen sich Zurechnungslehren, nämlich Lehren, die nicht von der normwidrigen Handlung, sondern vom Erfolg her die Deliktserfordernisse entwickeln und die der früher zur kausalen Unrechtslehre vertretenen Relevanztheorie verwandt sind, vermischt mit der personalen Unrechtslehre regen Zuspruchs. 22 Als nachteilig für den Finalismus hat sich eine von Armin Kaufmann und seinen Schülern verfochtene subjektivistische Auffassung erwiesen, die sich von der Welzel’schen Richtung abgespalten hat, aber von Kritikern häufig mit dieser identifiziert wird. 23 Nach Armin Kaufmann soll sich bekanntlich das Unrecht der Vorsatztat im Tätigkeitsakt erschöpfen und der intendierte Erfolg nur eine Art von objektiver Strafbarkeitsbedingung sein. Das Unrecht soll mit dem beendeten Versuch vollständig vorliegen und der Versuch sich dabei auch noch nach der subjektiven Versuchstheorie bestimmen. Handlungsunrecht wird also gleichbedeu19 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 16), S. 565 f.; Lenckner, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl. 2001, Vor § 13 Rn. 54 ff.; Schroeder, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., 14. Lieferung, 1994, § 16 Rn. 146. 20 Darüber, daß die personale Unrechtslehre zwar heute in Deutschland herrschend ist, die finale Handlungslehre aber überwiegend abgelehnt wird, näher Hirsch, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, in: Festschrift 600 Jahre Universität Köln, 1988, S. 399, 403. Unter der Flagge der personalen Unrechtslehre haben sich vor allem die erwähnte Einordnung des Tatbestandsvorsatzes in den Unrechtstatbestand des Vorsatzdelikts und der Sorgfaltswidrigkeit in den Unrechtstatbestand des fahrlässigen Delikts sowie die Teilnahmelehre und die Verbotsirrtumslehre des Finalismus durchgesetzt. 21 Siehe Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, S. VII. 22 Siehe Roxin (Fn. 16), § 11 Rn. 39 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 16), S. 286 ff.; Lenckner (Fn. 19), Vor § 13 Rn. 91 ff.; Wessels / Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 32. Aufl. 2002, Rn. 178 ff. 23 Vgl. für diese Richtung: Armin Kaufmann, Die Dogmatik im Alternativ-Entwurf, in: ZStW 80 (1968), S. 34, 50 f.; ders., Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, in: Festschrift für Welze1, 1974, S. 393, 403, 411; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973, S. 135 ff., 205 ff.; ders., in: Alternativkommentar StGB, 1990, §§ 15, 16 Rn. 7, 107; Struensee, Versuch und Vorsatz, in: Gedenkschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 523, 534 ff.; ders., Verursachungsvorsatz und Wahnkausalität, in: ZStW 102 (1990), S. 21, 49; Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung, 1996. Mit ihr wird zum Beispiel von Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, 1981, S. 59 ff., 129, die finale Handlungslehre identifiziert.

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tend mit Intentionsunrecht gesehen. Wegen ihrer Losgelöstheit vom Tatstrafrecht und des nicht vermittelbaren Ergebnisses, daß Unrecht und Schuld mit dem nach der Vorstellung des Täters beendeten Versuch in vollem Umfang vorlägen und es daher folgerichtig für die volle Strafbarkeit nicht mehr auf den Erfolgseintritt ankommen würde, hat diese Richtung nur wenige Anhänger gefunden. IV. Weitere Mißdeutungen des Finalismus 1. Der gewichtigste Einwand, der gegenüber dem Finalismus erhoben worden ist, lautet: Er wolle aus der Ontologie rechtliche Entscheidungen ableiten. Es gehe bei ihm um eine Art naturrechtlicher Vorstellungen. 24 Richtig ist – wie eingangs schon gezeigt –, daß der Finalismus fordert, die Strukturen und die vorgegebenen Inhalte der Gegenstände, an welche die Rechtsordnung in ihren Regelungen anknüpft, zu beachten. Hierbei geht es nur zum Teil um ontische Befunde (z. B. beim Handlungsbegriff und der Kausalität). Daneben kommen auch allgemeine soziale Phänomene in Betracht (z. B. die Schuld, die Ehre etc.). Es handelt sich daher nicht um einen Gegensatz zwischen ontisch und sozial, sondern um das Verhältnis von Struktur des Regelungsgegenstandes und Recht. Das Recht erfindet nicht die Wirklichkeit, die es regeln will – dann wäre es überflüssig –, sondern es regelt eine ihm vorgegebene Wirklichkeit. Eine solche einfache Wahrheit und die aus ihr gezogenen methodischen Folgerungen haben nichts mit Naturrecht zu tun. 25 Welzel, dem das theoretische Hauptverdienst an der Überwindung der deutschen Naturrechtsrenaissance nach 1945 zukommt, kann zudem kaum verdächtig sein, zu den Naturrechtsanhängern zu gehören. Er hat dementsprechend auch nie, wie das beim Naturrecht der Fall ist, die Behauptung aufgestellt, daß die nach der von ihm geforderten Methodik gefundenen Ergebnisse eine entgegenstehende positivrechtliche Vorschrift außer Kraft setzten. Ihm ging es nur darum, daß durch das wissenschaftliche Herausarbeiten in sich stimmiger rechtlicher Lösungen die etwaige gesetzgeberische Änderungsbedürftigkeit aufgezeigt werden kann. Stellt sich bei wissenschaftlich-dogmatischer Analyse heraus, daß eine Gesetzesvorschrift sachlich unrichtig ist, bedeutet das für den Finalisten

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Für den Einwand, die Ontologie werde zur Rechtsquelle erhoben, siehe insbesondere Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, ZStW 74 (1962), S. 515, 518 f., 522, 527, 547 f., 554; ders. (Fn. 16), § 8 Rn. 25, und Jakobs (Fn. 21), S. VII. Der Naturrechtseinwand knüpft an den Gesichtspunkt der „Natur der Sache“ an. Bei diesem soll es sich nach Maihofer und Hassemer um „konkretes Naturrecht“ handeln (vgl. Maihofer, Die Natur der Sache, in: ARSP 1958, 145, 173 f.; Hassemer, Juristische Hermeneutik, in: ARSP 1986, 195, 207). 25 Über den Unterschied gegenüber Naturrecht näher Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 3. Aufl. 1960, S. 198; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990, S. 41 f.

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nicht, daß die betreffende Vorschrift ungültig ist, sondern daß die Wissenschaft die Berichtigung anmahnt. 26 Es mag zwar der eine oder andere Vertreter des Finalismus das Wort „ontologisch“ häufiger zur Begründung seiner Thesen verwandt haben, als dies berechtigt gewesen ist, und dadurch in dem jeweiligen Teilbereich den Eindruck einer gewissen Blutleere der Argumentation hervorgerufen haben. Jedoch ist vor Übertreibungen keine Theorie gefeit. Vor allem aber sollen vom Finalismus nicht Seinsbefunde in den Rang von rechtlichen Prinzipien erhoben werden. 27 2. Dem Einwand, es handele sich um einen einseitigen Ontologismus, verwandt ist der gelegentlich zu vernehmende Vorwurf des Scholastizismus. Aus der Sicht der Kritiker mag es den Anschein haben, es gehe den Finalisten lediglich um Rubrizierungsfragen innerhalb des Systems und formale Schlußfolgerungen aus dem von ihnen dogmatisch zugrunde gelegten Handlungsbegriff. Schon in der deutschen Diskussion meinten manche, einen Vergleich mit dem bloßen Verrücken der Möbel innerhalb einer Wohnung ziehen zu können. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, daß sich das auf Wirklichkeitsbezug, Rechtssicherheit und Wissenschaftlichkeit zielende Anliegen des Finalismus nicht als lediglich scholastisch interessant abtun läßt. Es geht – wenn man dieses Anliegen beachtet – gerade nicht um formales Konstruieren. Vielmehr soll durch Aufdecken der wahren Phänomene und deren Zugrundelegen ermöglicht werden, daß die rechtlich zu entscheidenden Fragen klar in den Blick kommen und sachentsprechend gelöst werden können. 3. Ein mehr im Ausland als heute in Deutschland erhobenes grundsätzliches Bedenken ist das des Subjektivismus. Die Einbeziehung des Tätervorsatzes ins Unrecht sei abzulehnen, weil sie den in der Objektivierung des Unrechts bestehenden rechtsstaatlichen Grundforderungen widerspreche und eine Tendenz zum Gesinnungsstrafrecht erkennen lasse, heißt es. 28

26 Hirsch, Gibt es eine national unabhängige Strafrechtswissenschaft?, in: Festschrift für Spendel, 1992, S. 43, 57. 27 Stratenwerth, Das rechtstheoretische Problem der „Natur der Sache“, 1957, S. 27. Vordergründig ist die in der Diskussion geäußerte Behauptung, daß die Berufung auf vorgegebene Strukturen, die eine sachentsprechende Gesetzgebung zu beachten habe, nur dazu diene, die Handlungsauffassung des Finalismus unangreifbar zu machen. Denn selbstverständlich ist der Finalismus für abweichende Deutungen der Struktur von Erscheinungen der Wirklichkeit offen. Würde jemand aufzeigen, daß das den Gegenstand von Verboten oder Geboten bildende Phänomen anders strukturiert ist, als es von seiten des Finalismus bisher angenommen wird, wäre das Anlaß für eine Korrektur des von seinen Anhängern bisher vertretenen Handlungsbegriffs. Die Finalisten wenden sich lediglich gegen einschlägige juristische Kunstprodukte und gegen die Auffassungen, die das gemeinsame Minimum aller Formen der Straftat – in weitgefaßten Umschreibungen – als „Handlung“ bezeichnen, während es bei der zur Erörterung stehenden Frage ausschließlich um den Gegenstand von Verboten und Geboten, eben die Handlung, geht.

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Ein solcher Einwand ist wohl berechtigt, wenn man die Vernachlässigung der objektiven Tatseite bei Armin Kaufmann und seinen Schülern betrachtet. Diese subjektivistische Mindermeinung wurde von mir aber schon im vorhergehenden kritisiert. Welzel hat im Unterschied zu ihr in seinen Ausführungen zum Handlungsunwert und zum Unrechtstatbestand die objektive Tatseite unverändert belassen. Allerdings hat er durch mißverständliche Formulierungen zur Entstehung der subjektivistischen Richtung beigetragen. Denn auch er sprach von „Aktunwert“. So findet sich in der Einleitung seines Lehrbuchs der bekannte Satz, daß es im Strafrecht um die „Verhinderung der Sachverhalts- oder Erfolgsunwerte durch Pönalisierung der Aktunwerte“ gehe. 29 Aber, wie schon betont, lag es ihm fern, daraus die von jener Richtung gezogenen subjektivistischen Konsequenzen zu ziehen. Er fügte nämlich sogleich den Satz hinzu: „Daß die Rechtsordnung das wirklich betätigte Abfallen von den Werten rechtlichen Handeins bestraft und damit deren reale Geltung sichert, bedeutet keineswegs, daß sie schlechte oder gefährliche Vorsätze ohne verletzendes oder gefährdendes Tun verfolge und ahnde ... Denn nur die wirkliche Betätigung jenes Abfallens löst Strafe aus ... Es soll nur die Auffassung zurückgewiesen werden, daß es das Recht nur mit dem äußeren Verhalten zu tun habe ...“ 30 Kritiker, insbesondere außerhalb Deutschlands, wollen rechtsstaatliche Bedenken allerdings nicht erst gegenüber der vorstehend kritisierten subjektivistischen Richtung erheben, sondern wenden sich bereits dagegen, daß überhaupt der Willensinhalt des Täters bereits auf der Unrechtsebene Bedeutung haben soll. Das Delikt sei auf solche Weise nicht mehr objektiv fest umschrieben, sondern stehe zur subjektiven Disposition des Täters. Demgegenüber ist jedoch bereits darauf hinzuweisen, daß das betreffende Willensmoment, namentlich beim Vorsatzdelikt der Tatbestandsvorsatz, in einem Schuldstrafrecht nach jeder dogmatischen Auffassung bei den Deliktsvoraussetzungen Berücksichtigung findet, sei es bei der Schuld oder eben schon beim Unrecht. Aber auch das Unrecht wird nicht verkürzt. Denn fehlender Tatbestandsvorsatz schließt zwar das betreffende Vorsatzunrecht aus, läßt aber die Möglichkeit von Fahrlässigkeitsunrecht unberührt. Und fehlt es auch an der Fahrlässigkeit, so ist für ein deliktisches Unrecht kein Raum mehr. Kausal werden für den Erfolg ergibt noch kein deliktisches Unrecht. 28

Dieses Bedenken spiegelt sich insbesondere darin wider, daß in anderen Rechtsordnungen die in Deutschland heute – zumeist kombiniert mit der Lehre von der objektiven Zurechnung – herrschende personale Unrechtslehre (welche die Ergebnisse der finalen Handlungslehre hinsichtlich der Zugehörigkeit des Vorsatzes zum Unrechtstatbestand und der Fahrlässigkeitssystematik übernimmt, ohne jedoch die von der finalen Handlungslehre gegebene theoretische Begründung zu akzeptieren) überwiegend abgelehnt und an dem auf die kausale Unrechtslehre aufbauenden objektivistischen System festgehalten wird. 29 Welzel (Fn. 15), S. 2. 30 Welzel (Fn. 15), S. 2.

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Der Finalismus bedeutet also keinen Verzicht auf die objektive Seite des Unrechts. Er besagt nur, daß der Inhalt des Handlungswillens nicht erst auf der Schuldebene, sondern schon auf der Unrechtsebene deliktseingrenzend Bedeutung erlangt. Möglicherweise hat aber auch die Bezeichnung „personale“ Unrechtslehre zu dem Subjektivismusvorwurf Anlaß gegeben. In der Tat gibt es in Deutschland unabhängig von der im vorhergehenden kritisierten subjektivistisch-finalistischen Richtung Autoren, die der Meinung sind, „personales“ Unrecht bedeute, daß allgemein die subjektive Vorstellung objektiver Unrechtsmerkmale unrechtsbegründende und die objektiver Rechtfertigungsmerkmale unrechtsausschließende Bedeutung habe. So wird heute oft der „personale“ Unrechtsbegriff für die subjektive Theorie beim untauglichen Versuch, die Unrechtsrelevanz der individuellen Voraussehbarkeit bei fahrlässigen Delikt und die auf der Unrechtsebene erfolgende Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums angeführt. 31 Der personale Unrechtsbegriff besagt im Sinne des Finalismus jedoch nur, daß der Handlungswille (beim Unterlassungsdelikt: der Unterlassungswille) bei der Bestimmung der den Gegenstand des jeweiligen Unrechts bildenden Handlung (resp. Unterlassung) zu berücksichtigen ist (einschließlich der Kenntnis besonderer Tätermerkmale und Garantenstellungen, da diese dem betreffenden Verhalten das Gepräge geben). Alles andere ist Subjektivismus ohne klare wissenschaftliche Basis. „Personal“ heißt hier eben nicht Subjektivierung des Unrechts, sondern lediglich, daß für das unrechtmäßige Verhalten nicht schon die objektiven Merkmale genügen, es vielmehr auch vom Willen umspannt sein muß. 32 4. Neben die im vorhergehenden behandelten grundsätzlichen Einwände treten im strafrechtlichen Schrifttum dogmatische Argumente, die Einzelpunkte betreffen. a) Es wurde schon das Mißverständnis angesprochen, es gehe beim Handlungsbegriff um einen allumfassenden Verhaltensbegriff. Wie die von dieser Richtung präsentierten Begriffsbildungen vom sogenannten „sozialen“ bis zum sogenannten „personalen“ Handlungsbegriff zeigen, ist deren Aussagewert minimal. 33 Er geht praktisch nicht darüber hinaus, daß für strafrechtlich relevantes Verhalten bloße Reflexe nicht genügen. Aber selbst wenn es von Nutzen wäre, einen allgemeinen Verhaltensbegriff aufzustellen, der Gemeinsamkeiten von Handeln, Unterlassen, vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten umfaßt, kommt man nicht umhin, die allgemeinen Strukturmerkmale des in einem Tun bestehenden Handeln zu bestim31 Siehe beispielsweise die subjektivistische Stellungnahme zum untauglichen Versuch bei Herzberg, Zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, S. 257 ff., zur Fahrlässigkeit bei Stratenwerth, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2000, § 15 Rn. 12 ff., zum Erlaubnistatbestandsirrtum bei Roxin (Fn. 16), § 14 Rn. 71. 32 Näher Hirsch (Fn. 16), Gedächtnisschrift für Meurer, S. 7 ff. 33 Vgl. zu diesen Handlungsbegriffen oben in Fn. 16.

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men, denn darauf richten sich Verbote und Gebote. Indem man beide Fragen nicht unterscheidet, redet man von ganz verschiedenen Dingen. b) Eine erhebliche Rolle spielen auch die Einwände, die von der Fahrlässigkeit her erhoben werden. Im Banne der vom kausalen Handlungsbegriff überkommenen Vorstellung, daß die tatbestandsmäßige Handlung bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten übereinstimmend in der Verursachung des Erfolges bestehe, bringt man vor, daß der finale Handlungsbegriff beim fahrlässigen Delikt nicht passe, weil der Erfolg hier gerade nicht vom Willen umfaßt wird. 34 Da zunächst ebenfalls Welzel davon ausging, daß die objektive Seite von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrecht identisch seien, ergab sich auch für ihn hier anfangs ein Problem. 35 Dieses löste sich jedoch, als man in den 50er Jahren unter Hinweis auf frühere Untersuchungen Engischs erkannte, daß die den Gegenstand des Verbots bildende Handlung beim fahrlässigen Delikt in der als sorgfaltswidrig zu bewertenden willentlichen Handlung, also z. B. im gewollten Fahren mit der betreffenden Geschwindigkeit, besteht – der Erfolg hier also gar nicht zur Handlung hinzugehört, sondern eine nach Zurechnungskriterien zu bestimmende Auswirkung der normwidrigen Handlung darstellt. 36 Diese Feststellung hat die Diskussion der Unrechtsvoraussetzungen des fahrlässigen Delikts bekanntlich stark angeregt. Sie hat auch den Blick dafür geöffnet, daß die Rechtfertigungsfragen sich allein bei der sorgfaltswidrigen, das heißt normwidrigen Handlung, nicht aber beim Erfolg entscheiden. 37 Gerade bei der Analyse des fahrlässigen Delikts hat sich der Finalismus als außerordentlich fruchtbar erwiesen. 38

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So Jescheck / Weigend (Fn. 16), S. 221 f.; Roxin (Fn. 16), § 8 Rn. 21; u. a. Vgl. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 1. Aufl. 1947, S. 22, 82 ff., der zunächst eine Lösung im subjektiven Tatbestand durch die Annahme einer „potentiellen Finalität“ suchte. 36 Vgl. die Darstellung bei Welzel (Fn. 15), S. 129 ff. Der Inhalt des Handlungswillens ist hier nicht etwa rechtlich irrelevant, wie Roxin (Fn. 16), § 8 Rn. 21, meint. Er ist dies ebensowenig wie bei Gefährlichkeitsdelikten. Denn es geht bei ihm um den Handlungswillen der den Inhalt der Sorgfaltswidrigkeit, also den Gegenstand des beim fahrlässigen Delikt verletzten Normbefehls, bildenden Handlung. 37 Hierzu Hirsch, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., 16. Lieferung, 1994, Vor § 32 Rn. 49 (allgemein) und 107 (bei Einwilligung). 38 Erst die Herausarbeitung der sorgfaltswidrigen Handlung als Erfordernis des Unrechts des fahrlässigen Delikts hat die intensive Debatte über die Dogmatik der Fahrlässigkeit ausgelöst. Daß bereits Engisch den Unrechtscharakter erkannt hatte (Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1930, S. 227 f.) – ohne jedoch daraus umfassende systematische Konsequenzen zu ziehen –, blieb bis zu den seit den 50er Jahren erschienenen Arbeiten der Finalisten so gut wie unbeachtet. Auch außerhalb Deutschlands wurde die Diskussion erheblich angeregt; vgl. die Arbeiten zum Finalismus von Philippides, Dedes und Benakis in Griechenland, Santamaria in Italien, Fukuda in Japan, Moreno Hernandez in Mexico, Cerezo Mir in Spanien u. a. 35

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Grundsätzliche Fragen

c) Kritik am Finalismus hat das Wort „final“ hervorgerufen. 39 Man wendet ein, daß menschliches Handeln nicht immer zweckgerichtet sei. Dies wird durch die Fälle des Eventualvorsatzes bestätigt. Aber es geht nur um eine terminologische Frage. Welzel hatte das Wort „final“ von dem schon erwähnten Philosophen Nicolai Hartmann übernommen. Dieser hatte es offenbar verwandt, weil die zweckgerichteten Handlungen den Hauptanteil bilden und weil „Willen“ leicht „freiem“ Willen gleichgesetzt wird. „Final“ läßt demgegenüber die Freiheitsfrage unberührt. Genauer sollte man aber von Willenshandlung sprechen, wie das auch Welzel ursprünglich getan hatte. 40 d) Einen angeblich zentralen Einwand gegen den Finalismus hat man aus der Problematik des sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtums, z. B. der Putativnotwehr, hergeleitet. Daran, daß Welzel und ich diesen Irrtumsfall nicht als vorsatzrelevant, sondern als Verbotsirrtum eingestuft hätten, zeige sich, daß eine vom Finalismus ausgehende Dogmatik diese Frage nicht sachentsprechend lösen könne. 41 Einen solchen Einwand kann jedoch nur derjenige erheben, der eine konsequente Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vertritt, nämlich dahin gehend, daß bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes beispielsweise schon gar keine Tötungs- oder Körperverletzungshandlung gegeben ist und daher beim Erlaubnistatbestandsirrtum das Vorsatzdelikt bereits mangels Willensseite dieser Handlungen entfallen würde. Eine derartige Sichtweise würde der an den wirklichen Phänomenen ausgerichtete Finalismus in der Tat nicht mitmachen können; denn am tatsächlichen Vorliegen einer Tötungs- oder Körperverletzungshandlung ist hier nicht vorbeizukommen. Die Anhänger der den Erlaubnistatbestandsirrtum bereits in den Unrechtsbereich einordnenden Irrtumslehre gehen daher in der Weise vor, daß sie den Unrechtstatbestand in zwei Teile gliedern, nämlich in „Unrechtsbegründung“ und fehlenden „Unrechtsausschluß“ (zweistufiger Deliktsaufbau), oder zwar nominell einen dreistufigen Deliktsaufbau vertreten, der Unterscheidung von „unrechtsbegründender“ Tatbestandsebene und die Rechtfertigungsfrage betreffender Rechtswidrigkeitsebene aber keine Wertrelevanz zuschreiben. 42 Da in subjektiver Hinsicht dann für die Rechtfertigungsgründe Paralleles zur „Unrechtsbegründung“ zu gelten hat, schließt der Erlaubnistatbestandsirrtum bereits mangels Vorsatzes oder jedenfalls fehlenden Vorsatzunrechts das Unrecht der Vorsatztat aus. 43 Indem jedoch bei dieser Konstruktion die „unrechtsbegründen39

Hardwig, Die Zurechnung, 1957, S. 81; Jakobs, (Fn. 21), 6112; Schmidhäuser, Willkürlichkeit und Finalität als Unrechtsmerkmale im Strafrechtssystem, in: ZStW 66 (1954), S. 27, 36 f.; u. a. 40 Welzel (Fn. 11), ZStW 51 (1931), S. 19. Siehe gegenüber der Kritik an der Bezeichnung „final“ auch Welzel (Fn. 24), S. 37 und 131. 41 So insbesondere Roxin (Fn. 24), ZStW 74 (1962), S. 515, 538, 548 f. 42 Vgl. Stratenwerth (Fn. 31), § 7 Rn. 13 f., § 9 Rn. 158; Roxin (Fn. 16), § 10 Rn. 23 f.; Lenckner (Fn. 19), Vor § 13 Rn. 19 und 60 m.w. N. 43 Vgl. die Nachweise bei Fn. 42.

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de“ Tattyphandlung und die Rechtfertigungshandlung gegenübergestellt werden, legt man Willenshandlungen in ihrer Struktur zugrunde, so daß der Handlungsbegriff ganz unberührt bleibt. Man hat es hier nicht mit Handlungsproblemen, sondern mit Fragen der Normlogik sowie der Wertungsinhalte von Tatbestandsund Rechtfertigungsebene zu tun. Die meisten Vertreter des Finalismus, wenngleich nicht alle, sprechen sich mit der herrschenden Meinung dafür aus, den Erlaubnistatbestandsirrtum erst als ein Schuldproblem anzusehen. 44 Das leuchtet ein, da andernfalls Putativrechtfertigung die Wirkung von Rechtfertigung hätte. Dies zeigt sich insbesondere bei individueller Unvermeidbarkeit des Irrtums. Hier führt die bereits das Unrecht verneinende Mindermeinung zu dem nicht sachentsprechenden Ergebnis, daß man das Risiko des Täters, er könnte sich bei einer von ihm willentlich begangenen Rechtsgutsverletzung über das Vorliegen einer ausnahmsweisen Eingriffsbefugnis irren, auf den Verletzten verlagert. Der Verletzte sähe sich einem rechtmäßigen Angriff gegenüber und hätte deshalb konsequenterweise die Rechtspflicht, diesen zu dulden. Die bereits das Vorsatzunrecht verneinende Auffassung bildet ein Beispiel für einen sachwidrigen Subjektivismus. Es geht beim Erlaubnistatbestandsirrtum nur um die Frage, wie er sich innerhalb der Schuld auswirkt: Ob er, weil er zumeist ein Irrtum über Tatsachen ist, einer spezifischen Vorsatzschuld entgegensteht oder ob er nach den allgemeinen Grundsätzen des Verbotsirrtums zu behandeln ist. Die Entscheidung dieser Wertungsfrage ist unabhängig von der Handlungslehre zu treffen. 45 e) Als angeblich kritischer Punkt des Finalismus wird auch die Stellung des Erfolges genannt. 46 Es wurde oben schon die auf Armin Kaufmann zurückgehende Nebenlinie des Finalismus erwähnt, die nicht nur beim fahrlässigen Delikt den Erfolg von der normwidrigen Handlung trennen will, sondern dies ganz allgemein behauptet. Danach soll auch beim Vorsatzdelikt das deliktische Unrecht nur im 44 Vgl. Welzel (Fn. 15), S. 168 ff.; Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; Maurach / Gössel, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II, 7. Aufl. 1989, § 42 Rn. 36; u. a., wobei sie der strengen Schuldtheorie folgen. Außerhalb des Finalismus wird die herrschende Einordnung bei der Schuld überwiegend auf der Grundlage der eingeschränkten Schuldtheorie (BGH NJW 1982, S. 2831, 2832 [am Ende]) oder der sogenannten rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie (Jescheck / Weigend [Fn. 16], S. 430, 463 ff.) vertreten. Umfassende Nachweise bei Jescheck ebendort. 45 Näher dazu Hirsch, Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre (Teil II), in: ZStW 94 (1982), S. 239, 262 ff. Das von Vertretern der Auffassung, die beim Erlaubnistatbestandsirrtum bereits das Unrecht der Vorsatztat verneinen will, angeführte Argument, andernfalls werde die soziale Dimension des Handlungsunwerts übersehen, verkennt bei einer solchen Subjektivierung des Unrechts gerade den sozialen Aspekt. Dies veranschaulichen die im vorhergehenden aufgezeigten Konsequenzen. 46 Siehe insbesondere Mylonopoulos (Fn. 28), S. 67 ff., 129 f.

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Grundsätzliche Fragen

Tätigkeitsakt bestehen, obwohl der Erfolg hier im Unterschied zum fahrlässigen Delikt vom Willen umfaßt ist. Dies entsprach nicht der Ansicht Welzels, wie schon aufgezeigt wurde. Gegner des Finalismus meinen aber, daß die Auffassung Kaufmanns und seiner Schüler eine notwendige Konsequenz sei und sich deshalb an ihr die Unrichtigkeit des Finalismus zeige. Bei diesem Einwand wird jedoch übersehen, daß eine vollendete Handlung in der Verwirklichung des Intendierten besteht. Es geht bei der Handlung um eine Leistung, nämlich in dem Sinne, daß der Mensch, indem er das Kausalgeschehen seinem Willen entsprechend steuert, das von ihm Gewollte verwirklicht. Diese Leistung aber ist mißlungen, wenn der Handelnde den von ihm gewollten Erfolg nicht erreicht. Denn der Betreffende hat es dann nicht geschafft, sich das Kausalgeschehen in dem zur Realisierung seines Verwirklichungswillens notwendigen Maße zu unterwerfen; ihm ist es nicht gelungen, es seinem Willen entsprechend zu überdeterminieren. Die intendierte Handlung ist dann nur eine versuchte. 47 f) Weiterhin hat man dem Finalismus entgegengehalten, daß seine Kritik am alten Kausalismus zu kurz greife, weil er das Augenmerk einseitig auf den subjektiven Tatbestand richte. Die eigentlichen Einschränkungen seien bereits beim objektiven Unrechtstatbestand vorzunehmen. Aus dieser Kritik hat sich die heutige Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt, die darauf hinweist, daß der objektive Unrechtstatbestand neben der Verursachung des Erfolges noch weitere objektive Kriterien neben der Kausalität erfordert. 48 In der Tat hatte Welzel gemeint, die uferlose Weite des kausalen Handlungsbegriffs dadurch genügend einschränken zu können, daß er durch das Aufzeigen des Charakters der Handlung als Willenshandlung den Tatbestandsvorsatz in den Unrechtstatbestand einordnete. Noch notwendige Randkorrekturen des Tatbestandes sollten mit dem Begriff der Sozialadäquanz erfolgen. 49 Ein Lehrbuch-Beispiel, 47 Zur Handlung als Leistung siehe Welzel, Das neue Bild des Strafrechts systems, 4. Aufl. 1961, S. 12 f.; Gallas, Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs, in: Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 155, 164; Hirsch (Fn. 45), S. 244 f.; ders. (Fn. 16), Gedächtnisschrift für Meurer, S. 13. 48 Zu ihr im einzelnen Roxin (Fn. 16), § 11 Rn. 39 ff. 49 Dieser von Welzel geprägte Begriff sollte aus dem Tatbestand „Verhaltensformen sozialnormaler Handlungsfreiheit“ ausgrenzen (vgl. Welzel [Fn. 15], S. 55 ff.). Die Sozialadäquanz bildete für Welzel zwar einen wichtigen Gesichtspunkt bei seinem Bestreben, den Tatbestandsbegriff, der sich durch die kausale Unrechtslehre vom jeweils hinter ihm stehenden Norminhalt entfernt hatte, mit materiellem Inhalt zu füllen. Im Mittelpunkt seines dogmatischen Konzepts stand sie jedoch nicht, wie auch die von ihm genannten Beispielsfälle (a. a. O. S. 55 ff.) zeigen. Daß er den Begriff hinsichtlich der Strafsanktionen und der Kriegshandlungen anfänglich überdehnt hatte (davon sich später distanzierend a. a. O. S. 57), entsprach dem Zeitgeist jener Jahre. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß gegenwärtige Autoren, die einen Wertunterschied zwischen Tatbestandsausschluß und Rechtfertigung verneinen, konsequenterweise die damalige Einstufung zulässiger Kriegshandlungen noch heute zu vertreten hätten.

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an dem diese theoretischen Fragen erörtert werden, bildet der bekannte ErbonkelFall, also der Fall, daß jemand seinen Erbonkel zu einer gewöhnlichen Flugreise überredet in der Hoffnung, der Onkel werde bei einem Flugzeugunglück ums Leben kommen, und sich dies dann auch zufällig ereignet. Diesen Sachverhalt einfach mit „Sozialadäquanz“ zu lösen, verwischt jedoch die theoretischen Fragestellungen. 50 Welzel hat auch nur selten auf den Begriff zurückgegriffen, weil er seinem Streben nach präzisen dogmatischen Ableitungen wenig entsprach. 51 Auch gibt es dogmatisch parallel gelagerte Fälle, bei denen die Bezugnahme auf Sozialkonformität schon von vornherein nicht paßt (häufig erläutert an dem nur theoretischen Beispiel, daß jemand einen anderen bei aufkommendem Gewitter in den Wald schickt in der Hoffnung, der andere werde durch einen Blitz erschlagen, und dies auch eintritt). Hier wollte Welzel mit der herkömmlichen Lehre erst den Vorsatz verneinen. 52 Daß dieser fehlt, ist jedoch nur die Konsequenz davon, daß bereits Defizite in objektiver Hinsicht vorliegen. Es ist ein Verdienst der von Honig begründeten und von Roxin intensiv vertieften Lehre von der objektiven Zurechnung, 53 daß sie auf Erfordernisse im Bereich des objektiven Unrechtstatbestandes hinweist, die Welzel noch nicht erkannt hatte. Was nun aber von dieser Lehre übersehen wird, ist die Tatsache, daß die Fälle, bei denen es sich um wirkliche Defizite der bisherigen Dogmatik handelt, nicht erst Erfordernisse spezifisch strafrechtlicher Natur betreffen. Vielmehr zeigt sich, daß es bei der angesprochenen Problematik um die Gesichtspunkte der objektiven Beherrschbarkeit des Kausalverlaufs oder der aus der Sicht ex ante zu beantwortenden Verwirklichungseignung geht, die schon vorrechtlich objektive Erfordernisse jeder Handlung sind. 54 Was weitere Anwendungsfälle der objektiven Zurechnungslehre betrifft, muß man sich davor hüten, kasuistisch die verschiedensten Merkmale in den objektiven Tatbestand zu häufeln. Daß die Lehre von der objektiven Zurechnung das gleichwohl tut, erklärt sich aus ihrem Bemühen, wie bei der alten kausalen Unrechtsauffassung eine Identität der Merkmale des objektiven Unrechtstatbestands 50 Hirsch, Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, in: ZStW 74 (1962), S. 78, 100 f.; ders., Zur Lehre von der objektiven Zurechnung, in: Festschrift für Lenckner, 1998, S. 119, 122 f., 126; Roxin, Bemerkungen zur sozialen Adäquanz im Strafrecht, in: Festschrift für Klug, Band 2, 1983, S. 303, 310 f. 51 Vgl. die genannten Fälle bei Welzel (Fn. 15), S. 55 ff. 52 Welzel (Fn. 15), S. 66. Für die herkömmliche Lehre siehe Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931, § 59 Fn. V. 53 Vgl. zu ihr Honig, Kausalität und objektive Zurechnung, in: Festgabe für Frank, Band 1, S. 174 ff.; Roxin, Gedanken zur Problematik der Zurechnung, in: Festschrift für Honig, 1970, S. 132 ff.; ders. (Fn. 16), § 11 Rn. 1 f., 39 ff. Zu Roxins zahlreichen weiteren Stellungnahmen und denjenigen anderer Vertreter dieser Lehre siehe die Nachweise dort § 11 vor Rn. 1. 54 Näher dazu Hirsch (Fn. 50), Festschrift für Lenckner, S. 133 ff.

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Grundsätzliche Fragen

von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt herzustellen. 55 Auf solche Weise geraten aber Gesichtspunkte, die mit der Zurechnung des durch eine fahrlässige Handlung herbeigeführten Erfolges zu tun haben, mit in die Unrechtsvoraussetzungen des Vorsatzdelikts. Daß Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrecht sich auch objektiv voneinander unterscheiden, sollte eigentlich inzwischen geklärt sein. 56 g) Eingewandt wird weiterhin, daß es beim Finalismus um eine Lehre vom aktiven Tun gehe, das Unterlassen dagegen nicht erfaßt werde. 57 Daran ist richtig, daß eine Handlung nur in einem aktiven Tun besteht. Es wurde von mir deshalb schon darauf hingewiesen, daß der Handlungsbegriff nicht mit einem allgemeinen Verhaltensbegriff, der das Minimum an Gemeinsamkeiten aller menschlichen Verhaltensformen auf eine – wenngleich für sich allein unergiebige – Formel bringen will, zu verwechseln ist. Die hinter den Unterlassungsdelikten stehenden Gebote haben nun aber ebenfalls eine Handlung in dem vom Finalismus herausgearbeiteten Sinne zum Gegenstand: nämlich die vom Täter zu erbringende Handlung, in der Regel eine Rettungshandlung. Während bei den durch aktives Tun begangenen Delikten die Tat in einer realisierten Handlung besteht, liegt sie bei den Unterlassungsdelikten in deren Nichtrealisierung. Es geht also um einen Unterschied wie dem von „a“ und „non a“. 58 Die Voraussetzungen des Unterlassungsdelikts sind daher selbständig zu bestimmen. Es zeigt sich dabei, daß auch bei ihnen der Vorsatz bereits zum Unrechtstatbestand gehört, weil durch die Frage, ob eine Willenshandlung erbracht oder nicht erbracht worden ist, die Entscheidung für oder gegen die Rettung bereits auf der Unrechtsebene Relevanz erhält. h) Schließlich ist vorgebracht worden, daß der Finalismus zu einer Entleerung des Schuldbegriffs führe. 59 Indem man den Vorsatz bereits beim Unrecht einord55

Siehe Roxin (Fn. 16), § 11 Rn. 44, § 24 Rn. 10 ff. Vgl. BGHSt. 42, S. 235, 236 f., und im einzelnen Hirsch (Fn. 50), Festschrift für Lenckner, S. 139 f. Die Verschiedenheit ergibt sich daraus, daß es beim fahrlässigen Erfolgsdelikt um eine verbotene Risikohandlung geht, die den Eintritt des Erfolges als Auswirkung hat. Beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt dagegen hat man es mit dem Unrecht einer konkreten Erfolgsverwirklichungshandlung zu tun. 57 Jescheck / Weigend (Fn. 16), S. 223; Maiwald, Abschied vom strafrechtlichen Handlungsbegriff?, in: ZStW 86 (1974), S. 626, 651 f.; Roxin (Fn. 16), § 8 Rn. 19; u. a. 58 So schon Radbruch, Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, 1904, S. 140 ff. Damit ist nur gesagt, daß es beim Unterlassen im Unterschied zum Tun nicht um die Vornahme, sondern um das Unterbleiben einer Handlung geht. Mit Recht hat Androulakis betont, daß dies aber nicht bedeutet, daß die Unterlassung als Seiendes aus dem Grunde keine Handlung darstelle, weil sie „Nicht-Handlung“ sei. Er weist darauf hin, daß sie keine Handlung ist, weil sie „etwas anderes ist“ ([Fn. 3], S. 49). 59 Vgl. etwa Mezger, Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik, 1950, S. 34. Welzel weist die „Klage über die Entleerung des Schuldbegriffs“ mit der Begründung zurück, daß sie „ebenso wie die über die Subjektivierung des Unrechts den inneren Zusammenhang zwi56

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ne, bleibe für die Schuld kein substantieller Inhalt mehr übrig. Dieser Einwand resultiert aus der alten Vorstellung, daß Schuld aus Vorsatz und Fahrlässigkeit bestehe. Aber schon die Definition der Schuldfähigkeit, nämlich als Fähigkeit, das Unrecht zu erkennen und sich demgemäß zu motivieren, zeigt die Unrichtigkeit jener Vorstellung. Man kann vorsätzlich handeln, gleichwohl aber schuldunfähig sein. Durch den Finalismus wird daher erst richtig deutlich, um was es bei der Schuld geht: das individuelle Erkennenkönnen des Unrechts der vorsätzlichen oder fahrlässigen Tat und die Möglichkeit, sich der Unrechtskenntnis gemäß zu verhalten. 60 In speziellen Merkmalen ausgedrückt heißt das: es geht um Schuldfähigkeit, Unrechtsbewußtsein und Entschuldigungsgründe. Im übrigen ist zu beachten, daß Schuld das Unrecht voraussetzt. Es gibt keine Schuld ohne Unrecht. Infolgedessen bedeutet die Schlußfeststellung, jemand sei eines Delikts schuldig, daß auch das betreffende Unrecht vorliegt. Vorsatz und Fahrlässigkeit fließen also auch als Unrechtsmerkmale mit in das abschließende Schuldurteil ein. 61 V. Gesamtergebnis Nach alledem läßt sich feststellen, daß die angeblichen Defizite des „Finalismus“ bei genauerer Betrachtung nicht bestehen, es sei denn, daß man auf Bilder von ihm fixiert ist, die nur Zwischenstadien seiner Entwicklung darstellen. Hinter ihm stehen schlichte Einsichten, nämlich die Notwendigkeit, die Strukturen der den Rechtsregelungen vorgegebenen Gegenstände zu beachten und eine wissenschaftliche Strafrechtsdogmatik zu betreiben, die sich aus strafrechtlichen Grundprinzipien, also Tatstrafrecht, Delikt als Normverstoß, Schuldprinzip, Unterschied von Unrecht und Schuld etc., ableitet und unabhängig von nationalen Gesetzgebungen nach den wissenschaftlich folgerichtigen dogmatischen Lösungen sucht. 62 Darin liegt nicht nur ein wissenschaftlicher, sondern auch ein rechtsstaatlicher Gewinn, und nicht zuletzt erfordert heute die allgemeine Tendenz zur Globalischen der Ablösung des überholten und fehlerhaften Gegensatzpaares ‚Objektiv-Subjektiv‘ und seiner Ersetzung durch das Gegensatzpaar ‚Sollen-Können‘ in der Entwicklung der Unrechts- und Schuldlehre“ verkenne (oben in Fn. 15, S. 141). 60 Näher Welzel (Fn. 15), S. 138 ff.; Hirsch (Fn. 37), Vor 32 Rn. 183 ff., 187 ff. So auch ausdrücklich der Gesetzeswortlaut der deutschen Regelung der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 dtsch. StGB).- Es ist auch kein Widerspruch, daß der Finalismus beim Handlungsbegriff an einen psychisch-realen Befund anknüpft, bei der Schuld aber vom „normativen“ Schuldbegriff ausgeht. Denn verboten können nur reale Handlungen werden. Bei der Schuld dagegen geht es um eine Bewertung der begangenen Tat, wobei im übrigen ebenfalls psychische Befunde – nämlich die vorgenannten – den Anknüpfungspunkt bilden. 61 Darüber Hirsch (Fn. 37), Vor § 32 Rn. 184; ders. (Fn. 44), S. 244 f. 62 Näher zur Bedeutung und Wichtigkeit eines solchen Selbstverständnisses der Wissenschaft Hirsch (Fn. 26), S. 43 ff. Es verwundert, daß sich viele Strafrechtstheoretiker gegen die Emanzipation der Strafrechtswissenschaft sträuben und meinen, deren Aufgabe sei auf die Auslegung gesetzlicher Regelungen beschränkt.

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sierung eine Internationalisierung der Strafrechtswissenschaft. Der „Finalismus“ bildet daher eine wichtige Entwicklungsstufe der Strafrechtsdogmatik. Demgegenüber bedeuten diejenigen neueren dogmatischen Auffassungen, die einen am „Strafrecht in einer Gesellschaft der vorhandenen Gestalt“ orientierten Normativismus vertreten, eine Wiederkehr des nationalen Gesetzespositivismus in neuem Gewand. 63 Wie sich im vorhergehenden gezeigt hat, lassen sich die in der Zeit nach Welzel gewonnenen weiterführenden Einsichten, zum Beispiel bei Roxins Lehre von der objektiven Zurechnung, unschwer in das dogmatische System des „Finalismus“ einordnen und hier mit einer zwingenden wissenschaftlichen Erklärung versehen. So wenn sich aufzeigen läßt, daß sonst nur kasuistisch gewonnene Feststellungen sich hier als allgemeine Fragen der Struktur menschlicher Handlungen erklären lassen. 64 Gegenüber einigen neueren Richtungen zeichnet sich der „Finalismus“ auch dadurch aus, daß er sich der Aufgabe der Dogmatik stellt, durch präzise Begriffe eine sichere und berechenbare Anwendung des Strafrechts zu ermöglichen. Indem manche derzeit diskutierten dogmatischen Konzepte unmittelbar auf ganz unbestimmte Begriffe zurückgreifen, wie etwa Normstabilisierung, rechtserschütternder Eindruck, positive Generalprävention, Organisationszuständigkeit, institutionelle Zuständigkeit, Interaktion und dergleichen, stellen sie den Nutzen der Dogmatik dagegen in Frage. 65 Die weiten Formeln und oft auch nur breit umschreibenden Erklärungen lassen zudem nicht erkennen, ob solche Lehrmeinungen überhaupt in der Lage sind, ein eigenes System zu entwickeln. Es fällt nämlich auf, daß die Ergebnisse weitgehend aus der herkömmlichen Dogmatik einschließlich der personalen Unrechtslehre übernommen sind. 66 Wegen des unscharfen und andersartigen Begriffsarsenals und des Relativismus der Aussagen – bis hin zur Charakterisierung der Schuld als Begriff, der eine „Regelungsleistung ... für eine Gesellschaft bestimmter Verfassung“ erbringt 67 – bedeuten einige solcher 63 Es heißt bei Jakobs (Fn. 21), S. VII: Es „gelten die Bemühungen dem Strafrecht in einer Gesellschaft der vorhandenen Gestalt ... Ziel ist die optimale ... Systematisierung des geltenden Strafrechts.“ Demgegenüber weist auch Moreno Hemandez darauf hin, daß die in solchen Auffassungen, vor allem ihrer extremen Form, liegende „Kehrtwendung zum Normativismus ... in gewissem Maße nichts anderers als eine Kehrtwendung zum rechtlichen Positivismus bedeutet“ (Über die Verknüpfungen von Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, in: Festschrift für Roxin, 2001, S. 69, 90). 64 Siehe oben bei Fn. 54. 65 Siehe die Verwendung solcher weiten Begriffe in der dogmatischen Argumentation insbesondere bei Jakobs (Fn. 21), passim, einiger auch bei Roxin (Fn. 16), passim. Demgegenüber forderte v. Liszt bereits vor über einem Jahrhundert „klare schneidige Begriffe und ein geschlossenes System“ (Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 1. Aufl. 1881, Vorwort). 66 Siehe etwa Jakobs (Fn. 21), S. XI ff., und Roxin (Fn. 16), § 7 Rn. 51 ff. 67 So Jakobs (Fn. 21), 17/22.

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Konzepte einen Bruch mit der bisherigen dogmatischen Entwicklung, während der sogenannte „Finalismus“ nur eine Fortschreibung dieser Entwicklung darstellt. Es geht dabei um eine Fortschreibung, die auch zur Humanisierung der strafrechtlichen Sichtweise beiträgt, weil der „Finalismus“ nicht vom Erfolg, sondern von der normwidrigen Handlung her die Deliktsmerkmale erfaßt und die menschliche Handlung nicht als bloßen Kausalvorgang, vielmehr als Willenshandlung begreift. „Finalismus“ ist durch die langwierig auf ihn konzentrierte Diskussion der ersten Nachkriegsjahrzehnte so etwas wie ein Reizthema geworden. Das um so mehr, als der mit jener Debatte verbundenen einseitigen Fixierung auf die Strafrechtsdogmatik eine Vernachlässigung anderer Gebiete der Kriminalwissenschaften, so der Kriminalpolitik, einherging. Letzteres besagt jedoch nur etwas über die fachlichen Interessen der damals tonangebenden deutschen Strafrechtler, 68 nichts aber über den wissenschaftlichen und praktischen Wert der Ziele des sogenannten „Finalismus“. Der „Finalismus“ ist ein die allgemeinen Strukturmerkmale des Delikts betreffendes Konzept. Er befaßt sich also mit der Tatseite des Tatstrafrechts. Dagegen ist er unabhängig von Straftheorien und Kriminalpolitik. 69 Auf diese ist er jedoch insofern von bedeutendem Einfluß, als er die sich aus den für das Delikt geltenden Grundlagen (Tatstrafrecht, Schuldprinzip u. dgl.) ergebenden allgemeinen Erfordernisse (z. B. Handlung, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Schuld etc.) präzise bestimmt und damit Grenzen gegenüber Expansion und Willkür von Gesetzgebung und Rechtsprechung markiert. Eine Verquickung von Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, wie sie sich teilweise in jüngerer Zeit unter normativem Vorzeichen findet, übersieht diese Aufgabe, die gerade das Auseinanderhalten beider Bereiche zur Voraussetzung hat. Der Gewinn, den der „Finalismus“ für die Dogmatik, immerhin das Hauptgebiet der Strafrechtswissenschaft, gebracht hat, gelangt mit dem herkömmlichen Etikett „Finalismus“ nur sehr ungenau und stark verkürzt zum Ausdruck. Die Beschäftigung mit ihm darf auch nicht auf die Aussagen von Welzel beschränkt werden. Diese waren teilweise noch unfertig oder durch Relikte der Entstehungsphasen, die zu Mißdeutungen einluden, befrachtet. Die Ansätze und Konsequenzen des Finalismus sind seither weiterentwickelt und 68 Man führt die Konzentration auf die Dogmatik darauf zurück, daß die in Deutschland während der 20er Jahre ebenfalls stark betriebene wissenschaftliche Kriminalpolitik mit dem Beginn der Machtübernahme der Nationalsozialisten abbrach und während der Hitler-Zeit die Dogmatik des Allgemeinen Teils einen Bereich bot, in dem man wissenschaftlich arbeiten konnte, ohne sich notwendig ideologisch exponieren zu müssen. Diese Beschränkung wirkte dann in der Nachkriegszeit nach, und erst durch das Auftreten des Alternativkreises in den 60er Jahren, in dem sich Vertreter der nächsten Generation zusammengefunden hatten, ist die Kriminalpolitik als Wissenschaft wieder stärker in Deutschland hervorgetreten. 69 Vgl. auch Welzel oben in Fn. 13. Daß er die Vergeltungstheorie vertrat (vgl. oben in Fn. 15, S. 228), läßt den Finalismus daher gänzlich unberührt. So ist auch der Begriff der Handlung unabhängig von den Straftheorien; denn ausschlaggebend für ihn ist, welche Struktur das den Gegenstand von Verboten und Geboten bildende Phänomen hat.

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Grundsätzliche Fragen

vertieft worden. Es geht heute um den nach jetzigem Stande zu beurteilenden wissenschaftlichen Sachgehalt der von Welzel begründeten Richtung. Zu einer solchen Beurteilung bedarf es mehr als eines Rückblicks auf in der Mitte des vorigen Jahrhunderts publizierte Äußerungen. Inzwischen sind auch zahlreiche der allgemeinen und speziellen Ziele des „Finalismus“ längst ganz oder zum Teil in die Arbeitsweise vieler Strafrechtler eingegegangen, ohne daß sich diese deshalb als „Finalisten“ empfinden. 70 VI. Schlußbemerkung Der vorstehende Beitrag verfolgt keine missionarischen Ziele. Wenn man wie der Jubilar auf dem Höhepunkt eines wissenschaftlich außerordentlich erfolgreichen Weges steht, kann es nur darum gehen, das Gemeinsame zu betonen und die Unterschiede zu erklären. Ohnehin haben sich die wissenschaftlichen Fronten inzwischen verschoben, und man sieht sich jetzt gemeinsam einem den weithin überwunden geglaubten rechtlichen Positivismus wiederbelebenden extremen Normativismus gegenüber.

70 So schreibt Jescheck: „Es ist damit zu rechnen, daß sich die Systemgedanken, die dem Verbrechensbegriff des Finalismus zugrunde liegen, weiter durchsetzen werden, weil sie auch unabhängig von der finalen Handlungslehre überzeugend sind. In diese Richtung weisen (in Deutschland) fast alle neueren Lehrdarstellungen und Kommentare.“ (Jescheck / Weigend [Fn. 16], S. 214).

Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtswissenschaft 2004 I. Hans-Heinrich Jescheck, dem dieser Beitrag in Dankbarkeit und Verehrung zum 90. Geburtstag gewidmet sein soll, ist der anerkannteste und umfassendste Kenner der weltweiten Entwicklung des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft. Das durch ihn im Jahre 1954 übernommene Freiburger Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das zwölf Jahre später den Rang eines Max-PlanckInstituts erhielt, ist während der Amtszeit Jeschecks zum bedeutendsten Institut für Strafrechtsvergleichung geworden. Mit der Einbeziehung der Kriminologie, für die Günther Kaiser als Direktor gewonnen werden konnte, wurde die gesamte Strafrechtswissenschaft unter einem Dach vereint. Literarisch verdanken wir dem Jubilar neben dem bisher in fünf Auflagen erschienenen großen Lehrbuch des Allgemeinen Teils des Strafrechts und grundlegenden dogmatischen und kriminalpolitischen Beitragen eine Vielzahl von strafrechtsvergleichenden, das Fenster nach außen öffnenden Arbeiten und gerade auch internationalstrafrechtliche Untersuchungen. Mit dem Blick auf das Thema meines nachfolgenden Beitrags sind seine wegweisende Habilitationsschrift über „Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht. Eine Studie zu den Nürnberger Prozessen“ (1949) und sein auf der Strafrechtslehrertagung 1953 gehaltenes Referat über das Thema „Die Strafgewalt überstaatlicher Gemeinschaften“ 1 besonders hervorzuheben. Der Jubilar hat sich als Wegbereiter übernationaler Entwicklungen des Strafrechts in herausragender Weise verdient gemacht – und zwar nicht im Sinne eines Befürworters welt- oder europaweiter Einheitsstrafgesetzgebung, sondern ausgerichtet auf bestimmte sachlich notwendige Harmonisierungen, namentlich in bezug auf Menschenrechtsverletzungen und die Möglichkeit der Aburteilung durch einen Internationalen Strafgerichtshof.

1

Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 496.

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II. Die Tendenz zu teilweiser Internationalisierung läßt sich in jüngster Zeit zunehmend beobachten. Man denke an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998. Es enthält materiellrechtliche Strafvorschriften zu Menschenrechtsverletzungen (Art. 5 –8 sowie 23 –33) und verfahrensrechtliche Regelungen (Art. 53 ff., 62 ff., 81 ff.). Den zweiten Schwerpunkt bildet das Europarecht. Die vorgesehene Europäische Verfassung bestimmt in Art. III-l72, daß durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität vorgesehen werden können, die aufgrund der Art oder Auswirkung der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie von gemeinsamen Grundlagen ausgehend zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Als derartige Kriminalitätsbereiche sind aufgezählt: Terrorismus, Menschenhandel, illegaler Drogenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität, Organisierte Kriminalität u. a. Weiterhin heißt es, daß je nach den Entwicklungen der Kriminalität der Ministerrat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments weitere, die genannten allgemeinen Kriterien erfüllende Kriminalitätsbereiche bestimmen kann. Außerdem wird in Art. III -172 Abs. 2 gesagt, daß dann, wenn sich die Angleichung strafrechtlicher Normen als unerläßlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet erweist, bei dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf dem betreffenden Gebiet vorgesehen werden können. Schließlich findet sich noch in einem speziellen Abschnitt über „Betrugsbekämpfung“ ein Art. III-321 Abs. 4, nach dem zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrug, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, durch Europäische Gesetze oder Rahmengesetze festgelegt werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist die in Art. III -175 Abs. 1 ausgesprochene Ermächtigung des Rates zu nennen, durch einstimmigen Beschluß nach Zustimmung des Europäischen Parlaments eine Europäische Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Straftaten, die zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union begangen werden, einzurichten. Gemäß Absatz 4 ist eine Ausdehnung der Befugnisse auf die Bekämpfung von schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension möglich. Die Europäische Staatsanwaltschaft wäre zuständig für die Verfolgung, Untersuchung und Anklageerhebung der betreffenden Straftaten. 2 Voraus gingen Vorschläge für europäische Straf- und Strafverfahrensvorschriften zum Schutze der finanziellen Interessen der EU in einem sogenannten Corpus 2

Zu dem Straf- und Strafverfahrensrecht in dem Verfassungsentwurf kritisch Weigend, ZStW 116 (2004), S. 275.

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Juris aus den Jahren 1997/99, das im Auftrage des Europäischen Parlaments und der Brüsseler Kommission von einer Arbeitsgruppe von Strafrechtlern konzipiert worden ist, und darauf beruhende Vorschläge in einem von der Kommission herausgegebenen „Grünbuch“ von 2001. Schon bisher gibt es im materiellrechtlichen Bereich eine zum Schutz der Finanzinteressen der EU erfolgende mittelbare Internationalisierung strafrechtlicher Vorschriften. Seit dem Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften von 1995 3 ergehen Richtlinienbeschlüsse des Ministerrats, in denen verbindlich für die nationale Gesetzgebung Rahmen der Pönalisierung einzelner Delikte festgelegt werden, z. B. der Umfang der Strafbarkeit des gegen die Finanzinteressen der EU gerichteten Subventions-„Betrugs“. In bezug auf das Strafverfahrensrecht findet sich eine solche Richtlinienrechtsetzung inzwischen auch über den Schutzbereich der Finanzinteressen weit hinausgehend in dem Ratsbeschluß über die Einführung des europäischen Haftbefehls. 4 Die gegenwärtige Diskussion kreist hinsichtlich des Römischen Statuts um die Probleme, die sich daraus ergeben, daß die wichtigsten Staaten, nämlich die USA, Rußland und China, ihm nicht beigetreten sind und die USA – mit dem Blick auf ihre Rolle als „Weltpolizist“ – im Gegenteil bestrebt sind, insbesondere durch Abschluß das Statut unterlaufender bilateraler Verträge, ein Tätigwerden des Internationalen Strafgerichtshofs ihnen gegenüber von vornherein zu verhindern. Und was die Entwicklung in der EU angeht, wird über den Umfang angemessener Vereinheitlichung gestritten. Dabei handelt es sich materiellrechtlich um die Wahrung gewachsener nationaler Eigenheiten und verfahrensrechtlich vor allem um die Erhaltung erreichter rechtsstaatlicher Standards einzelner Mitgliedsländer. 5 Wenig Beachtung wird in der breiten öffentlichen Diskussion dagegen der Frage geschenkt, wo eigentlich die wissenschaftliche Basis eines übernationalen Strafrechts liegt. Woher sind die grundlegenden Regelungen zu beziehen? Treffend bemerkt Nill-Theobald am Anfang ihrer Abhandlung zu zentralen Aspekten der 3 Ergänzt durch zwei Zusatzprotokolle von 1996 und 1997. Durch den 1997 unterzeichneten Vertrag von Amsterdam wurden wesentliche Teile der bisherigen sogenannten „Dritten Säule“ der EU – d. h. die Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – in die „Erste Säule“, nämlich den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) überführt. Art. 208 Abs. 4 EGV sieht in der seitherigen Fassung vor, daß der Rat zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten die „erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Risiken der Gemeinschaft richten,“ beschließt. 4 Rahmenbeschluß „über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten“ des Rates der Justiz- und Innenminister vom 13. 6. 2002. Über den näheren Inhalt von Heintschel-Heinegg / Rohlff, GA 2003, 44. Zur Kritik an dem Beschluß siehe insbesondere die bei der Strafrechtslehrertagung in Dresden Ende 2003 gehaltenen Referate von Nestler, ZStW 116 (2004), S. 332, und Schünemann, ZStW 116 (2004), S. 376. 5 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 2 und 4.

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allgemeinen Lehren des Völkerstrafrechts: „Während man bei der Erarbeitung eines Besonderen Teils schon ein Stück weitergekommen ist, sind die Bemühungen um einen Allgemeinen Teil noch sehr rudimentär.“ 6 Zwar finden sich inzwischen in Teil 3 (Allgemeine Strafrechtsprinzipien) des Römischen Statuts einzelne Regelungen zum Allgemeinen Teil 7, und auch das europäische „Corpus Juris“ enthält einige. Aber wie sie sich wissenschaftlich begründen lassen und woran man bei auftauchenden weiteren Punkten anzuknüpfen hat, ist eine offene Frage. 8 Dies gibt dazu Anlaß, im folgenden der Rolle der Strafrechtswissenschaft nachzugehen. III. Um politische Entscheidungen geht es bei der Wahl der Art der Delikte, für die eine übernationale strafrechtliche Regelung vorgesehen werden soll. Die Grenzen werden hier gezogen durch die in den vertraglichen Grundlagen, also etwa den Verträgen über die europäischen Gemeinschaften und den späteren Zusatzabkommen, festgelegten Ermächtigungen. Jedoch kommt auch die Strafrechtswissenschaft in den Blick, nämlich bei der Frage, ob die betreffende Vorschrift den strafrechtlichen Grundprinzipien entspricht. Es geht dabei insbesondere um das Tat- und das Schuldprinzip. Praktisch größere Bedeutung erlangt der strafrechtswissenschaftliche Aspekt bei den auf der Grundlage dieser Prinzipen sich ergebenden einzelnen allgemeinen Fragen. Es handelt sich dabei um die allgemeinen Voraussetzungen des Delikts und der strafrechtlichen Rechtsfiguren. So geht es beispielsweise um den Inhalt der Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit, um die begrifflichen Grenzen des Versuchs, um Täterschaft und Teilnahme, die Abgrenzung von Tun und Unterlassen, das Verhältnis von Vorsatz und Verbotsirrtum etc. Bekanntlich verhält es sich so, daß diese Fragen je nach Alter und wissenschaftlichem Rang eines Strafgesetzbuches und je nach dem unterschiedlichen Entwicklungsstand einer Strafrechtsordnung uneinheitlich beantwortet werden. Das wird durch die vorherrschende nationale Binnensicht der Strafrechtswissen6 Nill Theobald, „Defences“ bei Kriegsverbrechen am Beispiel Deutschlands und der USA, 1998, S. 6. 7 Darüber näher Kreß, Humanitäres Völkerrecht-Informationsschriften (HuV-I) 1999, 4. 8 Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts. Ansätze einer Dogmatisierung, 2002, läßt in bezug auf das Völkerstrafrecht den auf die Nürnberger Prozesse zurückgehenden bisher dominierenden Einfluß des angelsächsischen Strafrechts deutlich werden. Kreß, ZStW 111 (1999), S. 597, 622 f., betont, daß unbeschadet der im IStGH-Statut enthaltenen Teilregelungen „die Diskussion über die Methode der Rechtsfindung im Allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts ihre Bedeutung behalten“ wird. Siehe zu dem von ihm erörterten Fall noch im folgenden Fn. 30.

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schaft in den einzelnen Staaten begünstigt. Wie soll aber dann ein übernationales Strafrecht hinsichtlich seiner allgemeinen Erfordernisse gebildet und praktiziert werden? Die Antwort aus herkömmlicher Sicht lautet: mit Hilfe der Rechtsvergleichung. Danach wären durch Vergleichen der Vorschriften nationaler Rechtsordnungen diejenigen Regelungen auszuwählen, die am geeignetsten erscheinen. Aber das liefe doch darauf hinaus, daß man sich am Entwicklungsstand nationaler Gesetzgebung orientiert, nicht aber an dem Erkenntnisstand der Wissenschaft. In den nationalen Gesetzestexten spiegelt sich der wissenschaftliche Entwicklungsgrad zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Vorschrift (genauer noch: derjenige zum früheren Zeitpunkt der Gesetzesberatung) wider. Darüber hinaus geht es bei den Fragen des Allgemeinen Teils zu einem erheblichen Teil um solche, zu denen die Gesetze keine oder keine eindeutige Antwort geben. Wo aber erhält man die? Durch Rechtsprechungsvergleichung? Soweit das überhaupt möglich wäre, würde auch dies auf eine Abwägung von Nationalem hinauslaufen. Im übrigen lädt jeglicher Blick auf das Nationale dazu ein, daß Staaten mit hegemonialen Ansprüchen versuchen, dem übernationalen Strafrecht ihr national strafrechtliches Gepräge zu geben. Sehr deutlich ist das bereits beim übernationalen Strafverfahrensrecht zu beobachten. Da aber Hegemonialmächte – oder auch nur solche, die mit derartigem Anspruch auftreten – nicht ohne weiteres über das Strafrecht auf dem höchsten Entwicklungsstand verfügen, würde das übernationale Recht leicht hinter dem in zahlreichen Staaten erreichten Niveau zurückbleiben. Was benötigt wird, ist daher vor allem hinsichtlich derjenigen Bereiche, bei denen es um die generellen Voraussetzungen des Delikts geht, eine übernationale, universale Strafrechtswissenschaft, d. h. eine Strafrechtswissenschaft, aus der sich der gesicherte wissenschaftliche Entwicklungsstand ablesen und für das übernationale Strafrecht fruchtbar machen läßt. Schon vor über 100 Jahren hat Franz von Liszt geschrieben, daß „die Wissenschaft des Strafrechts“ als „die Klarstellung der allgemeinen Merkmale des Verbrechensbegriffs ... notwendig international“ sei. 9 Es muß eine Strafrechtswissenschaft sein, deren Blickfeld nicht durch die Grenzzäune von Regelungen der jeweiligen nationalen Kodifikation eingeschränkt ist, sondern die allgemeingültige Erkenntnisse gewinnt. Das ist etwas, was über bloße Rechtsvergleichung hinausgeht, da es sich bei dieser nur um das Vergleichen von bestehendem nationalen Recht und damit von bereits Gedachtem handelt. IV. Bisher begreift sich die Strafrechtswissenschaft national. Der Blick ist fixiert auf das Strafrecht des jeweiligen Staates. Die Angelpunkte der Argumentation 9

von Liszt, in: ders. (Hrsg.), Das Strafrecht der Staaten Europas, 1894, S. XXIV.

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sind regelmäßig bestimmte nationale Gesetzesvorschriften; und wo einmal aus den strafrechtlichen Grundlagen abgeleitete selbständige Überlegungen angestellt werden, sind sie von positivrechtlichen Überlegungen zumeist nicht klar getrennt. Vielmehr wird üblicherweise beides miteinander vermischt und dann auch hinsichtlich des sachlichen Ergebnisses der jeweiligen Gesetzeslage der Vorrang eingeräumt. Besonders anschauliche Beispiele bilden in der gegenwärtigen deutschen Diskussion einige Stellungnahmen zur Behandlung besonderer persönlicher Merkmale im Rahmen der Teilnahme und zum untauglichen Versuch. 10 Man befaßt sich also ganz mit der Auslegung des jeweiligen nationalen Rechts – und hofft darauf, daß die betreffenden Überlegungen in der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung Berücksichtigung finden. Sieht man genauer hin, läßt sich aber beobachten, daß die Strafrechtstheoretiker der Welt sich namentlich bei der Befassung mit Fragen der allgemeinen Voraussetzungen der Straftat weithin mit den gleichen Problemen befassen. Da in allen Strafgesetzbüchern beispielsweise Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie die oben schon teilweise genannten sonstigen allgemeinen Problemkreise auftauchen, sind sie auf der Suche nach der Lösung gleicher Fragen. 11 Darüber hinaus findet schon seit der Gründung der IKV und der AIDP ein intensiver übernationaler Meinungsaustausch statt. 12 Hierbei geht es nicht nur um bloße Rechtsvergleichung, sondern um eine international gemeinsame Suche nach der sachlich zutreffenden Lösung. Auch sind oft dort, wo man neue Kodifizierungen des Allgemeinen Teils vorbereitet hat, Lösungen de lege ferenda entworfen worden, die nicht aus andernorts bereits bestehenden Regelungen entnommen wurden, sondern auf neuen wissenschaftlichen Überlegungen zur sachentsprechenden Regelung beruhten. Nicht zuletzt ist in den zurückliegenden vier Jahrzehnten ein zunehmender internationaler Tagungsbetrieb zu beobachten, bei dem es nicht einfach darum geht, nationale Regelungen zu vergleichen, sondern ein Meinungsaustausch stattfindet, bei dem die Auffassungen der Teilnehmer auf ihre wissenschaftliche Allgemeingültigkeit hin diskutiert werden. Es zeigt sich also, daß man sich auf der Welt nicht nur weitestgehend mit dem gleichen strafrechtlichen allgemeinen Problemstoff befaßt, sondern überdies im internationalen strafrechtlichen Gespräch nach sachbezogenen Lösungen sucht – mag auch der Kreis der daran aktiv Beteiligten bisher noch eine Minderheit der Strafrechtstheoretiker darstellen. Zusätzlich ist aber zu beachten, daß auch ein Autor, der bei seinem Beitrag ausländische Rechtsordnungen nicht im Blick 10 Siehe zur Teilnahme bei besonderen persönlichen Merkmalen Küper, ZStW 104 (1992), S. 559, und demgegenüber Hirsch, Festschrift für Schreiber, 2003, S. 153, 157, 166, 167. Zum untauglichen Versuch siehe Herzberg, GA 2001, 257, und dazu Hirsch, Gedächtnisschrift für Vogler, 2004, S. 31, 34 f., 42 f. 11 Dazu schon Hirsch, Festschrift für Spendel, 1992, S. 43, 46, 53 f. 12 Zum Einfluß von IKV und AIDP näher Jescheck, ZStW 92 (1980), S. 997.

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hat und sich für Rechtsvergleichung nicht interessiert, durch eine allgemeingültige Erkenntnisse vermittelnde, wenngleich selbst nur die eigene Rechtsordnung im Auge habende Untersuchung gleichwohl einen wichtigen Beitrag zur übernationalen – oder noch treffender: universalen – Strafrechtswissenschaft leisten kann. Den Ausgangspunkt der vorliegenden Erörterung bildete die neuere Entwicklung bei internationalen Strafvorschriften. Eine universale Strafrechtswissenschaft würde, wie schon im vorhergehenden deutlich wurde, aber nicht nur diese betreffen, sondern ebenso diejenigen Teile des nationalen Strafrechts, die allgemeingültige strafrechtliche Aussagen zum Gegenstand haben – und dabei handelt es sich um die praktisch noch größere Bedeutung. 1. Die entscheidende Frage hinsichtlich einer universalen Strafrechtswissenschaft ist die, worauf sie sich eigentlich stützt und wie sie zu ihren Ergebnissen kommt. Für einen puren Normativisten können sich strafrechtswissenschaftliche Aussagen nur aus der jeweiligen Rechtsordnung selbst ableiten, denn jeder strafrechtliche Begriff soll einen durch und durch normativen Inhalt haben. 13 Und wenn man dabei noch – gewissermaßen zu einem vor Hugo Grotius herrschenden Rechtsverständnis zurückkehrend – nur innerstaatliches Strafrecht, nicht aber übernationales für möglich hält, dann ist zu einer universalen Strafrechtswissenschaft von vornherein der Weg verbaut. Grundsätzlich ist einem reinen Normativismus entgegenzuhalten, daß die Gesetzgeber dann jeglicher wissenschaftlichen Kritik entzogen wären, da für diese keine Basis existieren würde. Außerdem liefe eine rein normativistische Sicht der Begriffe darauf hinaus, daß der Inhalt der strafrechtlichen Regelungen sich nicht mehr an den Erscheinungen der Wirklichkeit zu orientieren brauchte, sondern sich stattdessen an begrifflichen Kunstprodukten ausrichten könnte. 14 Ansätze – wenngleich noch zu einseitige – zu einer national unabhängigen Strafrechtswissenschaft finden sich in der Auffassung, die vielfach ungenau als „Ontologismus“ dem Normativismus gegenübergestellt wird. Diese Richtung macht geltend, daß es seinsmäßige Gegebenheiten des Strafrechts gibt, die vom Gesetzgeber zu beachten sind, soll eine gesetzliche Regelung stimmig sein. 15 Solche Strukturen aufzuzeigen und die sich aus ihnen ergebenden Folgerungen abzuleiten, sei Aufgabe der Strafrechtswissenschaft. So hat man beispielsweise 13

Siehe Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, S. VII. Das veranlaßte Welzel zu seiner Kritik am Normativismus; vgl. Welzel, ZStW 51 (1931), S. 706; ders., GS 103 (1933), S. 340; ders., Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935, S. 64 ff.; ders., Erinnerungsgabe für Grünhut, 1965, S. 173. 15 Vgl. Welzel (Fn. 14); Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, 1954, S. II f.; ders., Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 16 ff.; u. a. 14

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darauf hingewiesen, daß eine zwischen Täterschaft einerseits und Teilnahme, nämlich Anstiftung und Beihilfe, andererseits differenzierende gesetzliche Regelung (und deren Auslegung) die der Regelung vorgegebenen Sachverschiedenheiten dieser Phänomene beachten muß. So ist etwa das Hervorrufen eines Tatentschlusses wesenseigenes Element der Anstiftung. Beachtet man das nicht, dann sind mittelbare Täterschaft und Anstiftung nicht mehr klar auseinanderzuhalten. Ein wichtiger Punkt ist in der wissenschaftlichen Diskussion auch gewesen, daß die Seinsstruktur der den Gegenstand strafrechtlicher Tatbestände bildenden Handlung den inhaltlichen Handlungswillen umfaßt. Dieser Richtung ist vorgeworfen worden, aus Seinsstrukturen rechtliche und damit normative Entscheidungen ableiten zu wollen. 16 Dahinter verbirgt sich jedoch ein Mißverständnis: Es geht den Vertretern dieser Richtung nicht darum, daß sich aus der Seinsstruktur direkt geltendes Recht ergeben soll. Vielmehr fordert man: Wenn der Gesetzgeber an ein bestimmtes Seinsphänomen anknüpft, hat er die sich aus dessen Struktur ergebenden inhaltlichen Folgerungen zu beachten. 17 Das ist eigentlich keine ernsthaft in Abrede zu stellende Forderung. Es gibt durchaus nicht wenige übereinstimmende Rechtsfiguren im Strafrecht der Welt, die an Seinsbefunde anknüpfen und daher durch eine Analyse dieser Phänomene allgemeingültig interpretiert werden können. Aber die Beschränkung auf Seinsbefunde ist zu eng und führt leicht zu „blutleeren“ juristischen Ergebnissen. Neben ontischen Befunden kommen auch allgemeine soziale Phänomene in Betracht (z. B. die Schuld, die begriffliche Struktur der Ehre). Es handelt sich daher genauer betrachtet – wie auch bei Welzel, dem Begründer jener Richtung, deutlich wird – nicht um den Gegensatz von ontisch und normativ-sozial, sondern um das Verhältnis von Strukturen des Regelungsgegenstandes und Recht. 18 Damit aber, daß man auf die Beachtung der Regelungsgegenstände verweist, ist wegen der zumeist bestehenden weltweiten Gleichartigkeit der Regelungsgegenstände des Allgemeinen Teils eine weltweite Diskussion über identische Forschungsfragen und die Transferierung der Ergebnisse in andere Rechtsordnungen möglich. 19 So ist es denkbar, daß man Fragen des Zurechnungszusammenhangs zwischen sorgfaltswidriger Handlung und Erfolg beim fahrlässigen Delikt, des Versuchsbeginns etc. allgemeingültig löst. 16

Siehe insbesondere Roxin, ZStW 74 (1962), S. 515, 518 f., 522, 527, 547 f., 554; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 3. Aufl. 1997, § 8 Rdn. 25; Jakobs, Allg. Teil, S. VII; auch Hassemer, ARSP 1986, 195, 207. 17 Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990, S. 41 f.; Hirsch, ZStW 116 (2004), S. 1, 5. 18 Vgl. Welzel, Erinnerungsgabe für Grünhut, S. 188 f. Dazu, daß es nicht lediglich um den Gegensatz von Sein und Sollen geht, sondern um das Verhältnis von Strukturen des Regelungsgegenstandes und Recht, siehe auch Hirsch, Festschrift für Spendel, S. 55; ders., Festschrift für Androulakis, 2003, S. 225, 232 f.; ders., ZStW 116 (2004), S. 1, 5.

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Jedoch ginge es bei jenem Ansatz für sich allein nur um Einzelprobleme, ohne daß die wissenschaftlichen Ausgangspunkte – ein alles verbindendes, gemeinsames Band – in den Blick genommen würden. Das Faktum, daß überall parallele Einzelprobleme bestehen, deutet aber darauf hin, daß man auf der Grundlage gemeinsamer wissenschaftlicher Ausgangspunkte arbeitet. Tatstrafrecht und Schuldprinzip wurden im vorhergehenden schon angesprochen. Insbesondere geht es um das Tatstrafrecht. Offenbar ist es kein Zufall, daß die Strafrechtstheoretiker weltweit mit Fragen befaßt sind, die sich als Folgerung aus diesem Ausgangspunkt ergeben. Wenn es sich aber so verhält, dann gibt es eine universale Strafrechtswissenschaft, die sich damit beschäftigt, welche allgemeinen Folgerungen aus dem Tatstrafrecht abzuleiten sind. 20 Es geht bei diesem um ein Modell, dessen Konsequenzen für die allgemeinen Deliktsvoraussetzungen wissenschaftlich erforscht werden. Ein anderes Modell wäre ein Täterstrafrecht und ein drittes ein Gesinnungsstrafrecht. Auch das Aufzeigen der Strafbarkeitsvoraussetzungen, die sich nach solchen Modellen ergeben würden, wäre eine allgemeine wissenschaftliche Frage. Dabei wird außerdem deutlich, daß diese unterschiedlichen Modelle schon als solche wissenschaftlich gegeneinander abzuwägen sind. Nicht von ungefähr hat sich ein reines Täterstrafrecht oder gar Gesinnungsstrafrecht nirgendwo durchsetzen können, und zwar deshalb nicht, weil eben allgemeingültige wissenschaftliche Einsichten dem entgegenstehen. 21 Auf der Grundlage, daß Strafrecht ein Tatstrafrecht – und Schuldstrafrecht 22 – zu sein hat, haben sich bereits im Laufe der Jahrhunderte in den Strafgesetzbüchern zahlreiche Erfordernisse des Delikts entwickelt (von der Differenzierung zwischen Handeln und Unterlassen über die Unterscheidung von Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit bis hin zu den Entschuldigungsgründen). In den neueren Kodifikationen begegnen wir bereits einem gesetzgeberisch hoch entwickelten Stand der Regelung allgemeiner Fragen des Delikts. Heute stehen in der internationalen Debatte wiederum Teilprobleme der Deliktslehre – die mittelbare Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate und die Straffähigkeit juristischer Personen 23 – im Vordergrund. Sie alle bilden einen Ausschnitt aus einem von den Grundlagen 19 Welzel, Festschrift für Maurach, 1972, S. 3, 5, wies bereits darauf hin, daß jener methodische Ansatz es ermöglicht, zu Einsichten zu gelangen, die sich wegen ihrer Allgemeingültigkeit in andere Rechtssysteme transferieren lassen. 20 Zu diesem Ergebnis war der Verfasser bereits in der Festschrift für Spendel (S. 58) gelangt. 21 Zu Täterstrafrecht und Gesinnungsstrafrecht siehe Hirsch, Festschrift für Lüderssen, 2002, S. 253. 22 Auch das Schuldprinzip basiert auf wissenschaftlich allgemeingültigen Einsichten; denn wird jemand für eine begangene Tat ein Strafübel auferlegt, so ergibt das nur Sinn, wenn der Betreffende individuell für die Tat etwas konnte und daher für sie persönlich verantwortlich gemacht werden kann.

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ausgehenden allgemeinen wissenschaftlichen Gesamtkonzept. Bei der Befassung mit den Einzelproblemen dürfen die wissenschaftlichen Grundlagen daher nicht aus den Augen verloren werden. Auch heutige Gesetzestexte haben sie nicht immer voll im Blick. 24 Hier ist die Wissenschaft aufgerufen, die sachlich richtigen Lösungen aufzuzeigen. Gegenüber bereits bestehenden Kodifizierungen vermag eine national unabhängige Strafrechtswissenschaft – also eine von den Grundprinzipien als Vorgabe, namentlich dem Tatstrafrecht her, die allgemeinen Folgerungen entwickelnde Wissenschaft – als Basis der Kritik, als Quelle der Beantwortung ungeregelt gebliebener Fragen und de lege ferenda eine Rolle zu spielen. Und bei übernationalem Strafrecht, das den Anlaß für die vorliegende Untersuchungen darstellt, bildet sie sachlich die alleinige Quelle für die allgemeinen Regelungen. Während gegenüber gesetzlichen Vorschriften der nationalen Rechtsordnungen die praktische Bedeutung der Wissenschaft darauf beschränkt ist, daß sie die etwaige sachliche Unrichtigkeit aufzeigt und damit Reformbedarf anmahnt – also nicht etwa die Gültigkeit der betreffenden Vorschriften in Frage stellt – 25, kann sie hier unmittelbare rechtliche Wirkung entfalten, wo es an ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen fehlt. Und wo es um Regelungen de lege ferenda geht, liefert sie Vorgaben für die nationalen Gesetzgeber. 2. Auch wenn man sich nach alledem darüber im klaren ist, daß nationales und übernationales Strafrecht zu einem bemerkenswerten Teil aus einer wissenschaftlichen Quelle gespeist werden, die sich nicht aus einem bestehenden nationalen Normenbestand ableitet, sondern diesem unabhängig gegenübersteht, verbleiben mehrere Fragen: (a) Wie bestimmen sich die Grenzen zwischen national unabhängiger und abhängiger Strafrechtswissenschaft oder – vom Gegenstand her gesehen – den allgemeinen strafrechtlichen Vorgaben und dem nationalen Gestaltungsraum? (b) Wie verhält es sich damit, daß es als Folge der bisherigen nationalen Innenorientierung verschiedene wissenschaftliche Strafrechtssysteme auf der Welt gibt? (c) Wie läßt sich der jeweilige Entwicklungsstand der universalen Strafrechtswissenschaft feststellen, und wie verhält es sich mit den Kommunikationsmöglichkeiten zu seiner Bildung? 23 Zur Frage der mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate siehe Roxin, GA 1963, 193; ders., Allg. Teil II, 2003, § 25 Rdn. 105 ff.; BGHSt. 40, 218; zur Problematik der Straffähigkeit juristischer Personen siehe Hirsch, ZStW 107 (1995), S. 285; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S. 226 ff. In vorgenannten Lehrbüchern auch Angaben zu Schrifttum, Gesetzgebung und Judikatur des Auslands. 24 Auch das geltende deutsche StGB nicht. Bezüglich des Tatprinzips siehe Hirsch, Festschrift für Lüderssen, S. 25 ff. Hinsichtlich des Schuldprinzips siehe die Strafbestimmung der Üblen Nachrede (§ 186 StGB); in bezug auf das Gesetzlichkeitsprinzip sind etwa die Nötigungsvorschrift (§ 240 StGB) und die „besonders schweren Fälle“ (§ 12 Abs. 3 StGB) zu nennen. 25 Siehe schon Fn. 15 und 17.

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a) Es wurde schon darauf hingewiesen, daß eine universale Strafrechtswissenschaft die auf die Spezifika des nationalen Strafrechts bezogene Strafrechtswissenschaft unberührt läßt. 26 Letztere dürfte sogar den umfangreicheren Aufgabenbereich darstellen, da der Besondere Teil mit seiner Vielzahl von Auslegungsfragen dasjenige Gebiet des Strafrechts bildet, das typischerweise national geprägt ist. Mit Recht hat Jescheck sich auch gegen Tendenzen gewandt, die auf eine Nivellierung der nationalen Strafrechtsordnungen hinauslaufen. 27 Denn das Strafrecht mit seinem Bestand der in einem Staat geltenden elementaren Verhaltensnormen spiegelt inhaltlich in besonderem Maße die Rechtskultur einer Gesellschaft wider. Das hat Weigend überzeugend dargelegt. 28 Nicht von ungefähr ist deshalb gegenwärtig die Mehrheit der deutschen Strafrechtler gegen ein europäisches Einheitsstrafrecht. 29 Zu beachten ist dabei, daß diese negative Haltung sich auf eine Vereinheitlichung des Strafrechts bezieht. Bei der zur Erörterung stehenden Problematik geht es dagegen um eine teilweise Universalität der Strafrechtswissenschaft. Die Grenzen zwischen der universalen und der national abhängigen Strafrechtswissenschaft sind nun allerdings nicht völlig deckungsgleich mit denen von Allgemeinem Teil und Besonderem Teil. Es wurde schon deutlich gemacht, daß es bei der universalen Strafrechtswissenschaft vor allem um die allgemeinen Erfordernisse der Straftat geht, also beispielsweise den Vorsatz, die Fahrlässigkeit, das Unterlassen etc. Sie läßt unberührt, in welchem Maße ein nationaler Gesetzgeber fahrlässige Delikte pönalisiert, wie er den Kreis der Garantenstellungen beim unechten Unterlassungsdelikt wertend absteckt, den entschuldigenden Notstand umgrenzt etc. 30 Umgekehrt kann im Besonderen Teil eine universale Strafrechtswissenschaft bei Delikten, die in allen Gesellschaften vorkommen, inhaltliche 26 Das wurde auch schon vom Verfasser in der Festschrift für Spendel (S. 43, 58) betont. Sein dortiger Satz „Es gibt keine nur deutsche, keine nur japanische, italienische oder andere rein nationale Strafrechtswissenschaft, sondern hinsichtlich des [im vorhergehenden umgrenzten, der Verf.] zentralen Forschungsbereichs nur eine nach allgemein wissenschaftlichen Maßstäben ganz oder teilweise richtige oder aber falsche“ bezog sich deshalb ersichtlich nur auf den der universalen Strafrechtswissenschaft zuzuordnenden Bereich. Das wird bei der von Kühl, ZStW 109 (1997), S. 777, 786, geübten Kritik infolge verkürzter Wiedergabe leider nicht unmittelbar deutlich. 27 Jescheck, bei Küpper, ZStW 103 (1991), S. 980, 992 f. (Tagungsbericht); ders., bei Vitt, ZStW 105 (1993), S. 803, 817 (Tagungsbericht). 28 Weigend, ZStW 105 (1993), S. 774, 790 ff. Unter Hinweis auf kulturelle Wertevielfalt und politischen Charakter hat Tiedemann, in: Kreuzer / Scheuring / Sieber (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, S. 133, 136, von der wenig realistischen Aussicht auf ein europäisches Strafrecht gesprochen. Siehe auch schon Jung, StV 1990, 509, 515, 517. 29 Vgl. die Nachweise bei Kühl, ZStW 109 (1997), S. 777, 778. Diese Tendenz hat sich verstärkt im Zusammenhang mit Entwicklungen im Strafverfahrensrecht (siehe oben in Fn. 4), und wohl ebenfalls dürfte das „Corpus Juris“ von 1997/99 etwas zur Ernüchterung beigetragen haben. Auch Sieber, ZStW 103 (1991), S. 975, hält nur langfristig ein demokratisch legitimiertes europäisches Strafrecht für möglich.

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Kriterien entwickeln, z. B. für die Voraussetzungen des Diebstahls. Hier sind die Grenzen offen. Einen Anhaltspunkt könnte der bekannte Satz von von Kirchmann bieten: „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur.“ Der Bereich der universalen Strafrechtswissenschaft bleibt bei einem solchen Federstrich des Gesetzgebers in der sachlichen Richtigkeit unberührt. Die national abhängige Strafrechtswissenschaft ist dagegen in ihren Ergebnissen ausgerichtet und festgelegt auf die jeweilige gesetzliche Regelung. Wissenschaftstheoretisch stellt sich hinsichtlich letzterer im übrigen die Frage, ob sie im strengen Sinne überhaupt Wissenschaft ist. Es geht bei ihr nicht um die Suche nach bleibenden Erkenntnissen, sondern um einen jederzeit durch Menschen veränderbaren Stoff. Nimmt man dagegen die universale Strafrechtswissenschaft in den Blick, wie sie hier beschrieben worden ist, so geht es dabei um echte Wissenschaft, nämlich Forschung, die allgemeingültig insbesondere die allgemeinen Voraussetzungen jeglicher Straftat in ihren Erfordernissen aufzuzeigen bestrebt ist. Daß sich der mit der nationalen Rechtsordnung befaßte Straftheoretiker gleichwohl schon immer als Wissenschaftler und nicht bloß als handwerklich versierter Gesetzesinterpret begreift, vielmehr einen Unterschied zwischen seiner Arbeit und der einer Gesetzesinterpretation durch einen Praktiker sieht, liegt daran, daß er letztlich doch eine größere kritische Unabhängigkeit gegenüber dem Gesetzgeber empfunden hat und empfindet. b) Ein Problempunkt scheint zu sein, daß es auf der Welt unterschiedliche Versuche der Strafrechtssystematisierung gibt. Neben dem von der deutschen 30 So gehört es zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er, wie in § 35 des deutschen StGB geschehen, auch die Freiheitsbedrohung in den entschuldigenden Notstand einbezieht. Dagegen ist die Lösung des von Kreß, ZStW 111 (1999), S. 597, berichteten Sachverhalts eines befehlsbedingten Nötigungsnotstands, den die Rechtsmittelkammer des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien im Fall Erdemovic zu entscheiden hatte, bereits wissenschaftlich vorgegeben: Steht der Täter wirklich vor der unentrinnbaren Alternative, entweder die befohlene Exekution vorzunehmen oder selbst sofort erschossen zu werden, so ist die Fähigkeit, sich normgemäß zu verhalten, auf ein derartiges Minimum reduziert, daß ein strafrechtlicher Schuldvorwurf nicht mehr erhoben werden kann. Daß das angelsächsische Strafrecht dies nicht berücksichtigt, liegt an der dort bisher unzureichend entwickelten Beachtung des Schuldprinzips (siehe dazu auch Ashworth, ZStW 110 [1998], S. 461, 465 ff.). Die Erwägungen der Rechtsmittelkammer veranschaulichen gleichzeitig die Gefahren, die der Entwicklung übernationalen Strafrechts von der Dominanz einzelner nationaler Strafrechte drohen, und machen die Dringlichkeit des Bewußtwerdens einer universalen Strafrechtswissenschaft deutlich. Diese ist im übrigen nicht durch völkerstrafrechtliches Gewohnheitsrecht ersetzbar. Ganz abgesehen davon, daß solches nur punktuell existiert und deshalb der Rückgriff auf den Erkenntnisstand der Strafrechtswissenschaft hier in besonderem Maße praktische Bedeutung erlangt, unterliegt das Völkerstrafrecht – und das Strafrecht der EU – nicht anders als das nationale Strafrecht den für die allgemeinen strafrechtlichen Voraussetzungen bestehenden Vorgaben der universalen Strafrechtswissenschaft.

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Strafrechtswissenschaft beeinflußten, zwischen Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld differenzierenden System, das man in zahlreichen Staaten Kontinentaleuropas, in Ostasien und in Lateinamerika findet, gibt es „Systeme“, die nur zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen unterscheiden oder lediglich zwischen strafbegründenden und strafausschließenden Merkmalen differenzieren. Aus den beiden letztgenannten Einteilungen läßt sich jedoch nur wenig ableiten. Von einer wissenschaftlichen Systembildung im eigentlichen Sinne kann nicht gesprochen werden; denn an Sachgesichtspunkten orientierte weitere Einteilungsund Differenzierungsmöglichkeiten ergeben sich nicht. Andererseits können sich auch dort, wo ein verfeinertes System sich noch nicht entwickelt hat, von der Beschäftigung mit den Einzelproblemen her weiterführende Einsichten ergeben, z. B. hinsichtlich der Voraussetzungen eines dem Tatstrafrecht genügenden Versuchs, der Grenzen des Vorsatzes oder der Notwendigkeit der Differenzierung innerhalb des Notstands. Wenn von einer universalen Strafrechtswissenschaft die Rede ist, bedeutet dies also durchaus nicht, daß an eine weltweite Ausbreitung des auf die deutsche Wissenschaft zurückgehenden dogmatischen Systems gedacht ist. Dieses kann wegen seines Entwicklungsgrades hilfreich sein und Einzelprobleme in einen größeren systematischen Zusammenhang einordnen. 31 Aber es ist nur eine Methode zum Auffinden der sachlich richtigen Ergebnisse. Erweist es sich im Laufe der übernationalen wissenschaftlichen Diskussion als veraltet oder überzüchtet, so kann es wie jede Arbeitsmethode anderer wissenschaftlicher Fächer durch eine bessere ersetzt werden. Die Suche nach der besten Methode ist eine Begleiterscheinung der wissenschaftlichen Arbeit. Sobald diese Arbeit eine bewußt übernationale ist, bildet sie sich auf dieser Ebene alsbald heraus. Im übrigen sind es nicht die – häufig sehr abstrakten – Makrosysteme, denen die Hauptrolle bei der wissenschaftlichen Fortentwicklung des Strafrechts zufällt. 32 Unbegründet ist deshalb die von Kühl geäußerte Sorge, daß derjenige, der – wie von Liszt und der Verfasser – einer universalen Strafrechtswissenschaft bezüglich 31 Wobei allerdings nur die hauptsächlichen Gesichtspunkte des Systems von Interesse sein können. Das heutige Überangebot von nuancierenden Systementwürfen, bei denen es zumeist lediglich um unterschiedliche Erklärungen für die herkömmlichen Ergebnisse geht, würde deshalb nicht den Blick für das Wesentliche verstellen. Mit Recht konstatiert auch Kühl, ZStW 109 (1997), S. 777, 802, daß man sich beruhigen kann „mit der Erkenntnis, daß die Divergenzen der neueren Systeme nicht überzubewerten sind, da sie bei der Lösung von strafrechtlichen Problemen oft zu denselben Ergebnissen kommen.“ 32 Das berechtigt jedoch nicht zu dem weitergehenden Schluß, daß beim übernationalen Strafrecht überhaupt auf die Strafrechtsdogmatik verzichtet werden könnte, wie einige dem systematischen Denken fernstehende Autoren meinen. Für eine um Rechtssicherheit und Gleichheit der Rechtsanwendung bemühte Strafrechtsordnung ist eine gute Dogmatik ein unschätzbarer Gewinn, der zudem eine fruchtbare Zusammenarbeit von Theorie und Praxis begünstigt. Bedenklich sind erst Überzüchtungen, bei denen nicht mehr gefragt wird, wofür die Erörterungen eigentlich Bedeutung haben sollen, und solche abstrakten Konstruktionen, bei denen man nicht mehr auf die sachliche Angemessenheit blickt.

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(insbesondere) der allgemeinen Straftatvoraussetzungen das Wort redet, seine eigenen Auffassungen international verbreiten und zum allgemeinen Maßstab erheben wolle. 33 Abgesehen davon, daß das Motiv publizierender Wissenschaftler in erster Linie die Suche nach der sachlich richtig Lösung sein sollte und nicht – wie Kühl offenbar vermutet – das Bestreben, auf möglichst viel Zustimmung zu stoßen, geht es allein darum, daß bei der wissenschaftlichen Arbeit zwischen Fragen, deren Lösung allgemeingültige Antworten fordern, und Fragen, die auf gesetzlichen Vorgaben aufbauen, unterschieden wird. Begrüßenswerterweise äußert sich Kühl, obgleich er von Liszt und den Verfasser kritisiert, selbst positiv zu einer übernationalen Strafrechtswissenschaft, nämlich einer durch die Entwicklung der EU veranlaßten europäischen. 34 Dabei handelt es sich allerdings nur um einen scheinbaren Widerspruch: Bei Kühl stehen die Fragen der geographischen Erweiterung der fachlichen Diskussion (auf Europa) und die Möglichkeiten ihrer technischen Durchführbarkeit ganz im Vordergrund. Bei von Liszt und jetzt mir geht es dagegen besonders darum, daß man sich der universal sich stellenden allgemeinen Fragen des Delikts bewußt wird. Es handelt sich hier eben nicht um bloße territoriale Aspekte, sondern um Fragen der Gegenstände der strafrechtlichen Forschung. Kühl läßt das dann auch noch selbst kurz anklingen, indem er die Frage anspricht, wo eigentlich die Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame europäische Strafrechtswissenschaft liegen sollen. Er meint, sie lägen möglicherweise bei der gemeineuropäischen Tradition des Strafrechts. 35 In der Tat verdankt die Rechtsentwicklung in Europa sehr viel der gemeinsamen Abkunft vom Römischen Recht und der seit der Carolina erfolgten näheren Befassung mit strafrechtlichen Problemen. Aber auch dabei geht es um Resultate, die stets weiter auf ihre Richtigkeit hin diskutiert worden sind und weiter diskutiert werden. Richtig ist nicht schon deshalb etwas, weil es in der europäischen Rechts- oder auch Philosophiegeschichte schon vor langer oder längerer Zeit gesagt worden ist, sondern deshalb, weil die heutige Wissenschaft mit ihrem jetzigen Forschungsinstrumentarium und Erkenntnisstand es ebenfalls als sachlich richtig einschätzt – und das ist, den wissenschaftlichen Fortschritt widerspiegelnd, nicht notwendig der Fall. Der Verfasser hat es gerade erst bei einer wissenschaftlichen Veranstaltung an der Nationaluniversität (UNAM) in Mexico-City beobachtet, daß ein einheimischer Strafrechtler unter teilweisem Beifall des Auditoriums meinte, Importe strafrechtlicher Theorien aus Europa widersprächen dem kulturellen Selbstverständnis 33 Bei Kühl, ZStW 109 (1997), S. 777, 787, heißt es in bezug auf die einschlägigen Thesen von von Liszt (siehe oben bei Fn. 9) und Hirsch: „Ich muß zugeben, daß ich diese Thesen faszinierend finde, habe ich mir doch auch schon manchmal gedacht, daß es alle so machen müßten, wie ich es mache, wenn ich mich wissenschaftlich mit Strafrecht beschäftige. Oder weniger subjektiv formuliert: Erwartet nicht jeder zumindest eine mögliche Zustimmung aller zu seinen wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen?“ 34 ZStW 109 (1997), S. 786, 788 ff. 35 ZStW 109 (1997), S. 794 f.

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lateinamerikanischer Staaten. Die europäische Strafrechtsdogmatik komme aus der europäischen Philosophie. Man habe aber in Lateinamerika eine eigene Tradition. Es muß deshalb klar sein, daß es bei einer universalen Strafrechtswissenschaft nicht um Wissenschaftsimperialismus geht, sondern daß zwar je nach erreichtem fachlichen Meinungsstand unterschiedlich viel in die allgemeine Diskussion eingebracht wird, aber die Diskussion für jeden beachtenswerten Gedanken offen ist, woher er auch kommt. Manchen deutschen Autoren mag diese Einsicht schwerfallen. Man lebt hierzulande vielfach noch in der Vorstellung, die in Deutschland betriebene Strafrechtswissenschaft sei so hoch entwickelt, daß sie in alle Welt vermittelt werden sollte, es dagegen unnötig sei, sich für die im Ausland vertretenen Auffassungen zu interessieren. Es war und ist bedauerlicherweise immer wieder zu beobachten, daß Vertreter deutscher wissenschaftlicher Richtungen christlichen Missionaren gleich ihre Systeme im Ausland an den Mann zu bringen suchen, womit aber ein nur minimales Interesse an ausländischen Entwicklungen einhergeht. So hat man sich beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang nicht dafür interessiert, weshalb im Ausland ganz unbeeindruckt von der deutschen herrschenden Meinung weiterhin die subjektive Versuchstheorie abgelehnt worden ist. 36 Eine Ausnahme von dieser Einbahnstraßenorientierung bildete vor allem der Jubilar. Er hat in seinen zahlreichen rechtsvergleichenden Schriften immer wieder auf ausländische Entwicklungen hingewiesen 37 – ohne daß diese allerdings im deutschen Schrifttum die gebührende Beachtung gefunden hätten. Auch hat der Einfluß der deutschen Strafrechtswissenschaft bei genauerem Hinsehen an Wirksamkeit verloren. Franz von Liszt, Mezger und Welzel haben ehedem im Ausland deshalb so starke Resonanz gefunden, weil sie für praktisch relevante Fragen theoretisch begründete Lösungen anboten. Heute hat sich der „Export“ dagegen stark auf theoretische Positionen mit hohem Abstraktionsniveau verlagert, bei denen die praktische Bedeutung und Verwertbarkeit für die Rechtsanwendung oft nicht klar zutage treten. Anstatt theoretisch begründeter Lösungen von Teilproblemen werden schlagwortartige – wenig präzisierte – Begriffe wie „Ontologismus“, „Normativismus“, „Normstabilisierung“, „Zuständigkeit“ 36 Das änderte sich erst mit den Vorträgen und der Diskussion auf dem JapanischDeutschen Strafrechtskolloquium 1988. Vgl. die dortigen Vorträge von Naka und Weigend sowie den Diskussionsbericht, abgedruckt in HirschlWeigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 93, 113 und 207 f. Heute ist eine ähnliche Desinteressiertheit an der Meinung des Auslands zu der deutschen Rechtsfigur „besonders schwerer Fall“ (§ 12 Abs. 3 StGB) festzustellen. Daß diese von allen neueren ausländischen Strafrechtskodifikationen wegen des klaren Verstoßes gegen den Satz „nullum crimen sine lege“ nicht aufgegriffen worden ist, bleibt ganz überwiegend unbeachtet. 37 Zusammenfassender Abdruck der wichtigsten dieser Schriften bei Jescheck, Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft, Ausgewählte Beiträge aus den Jahren 1953 –1979, 1980, und ders., Beiträge zum Strafrecht 1980 –1998, 1998.

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oder – als unmittelbarer Rechtsbegriff – „Zurechnung“ exportiert. 38 Dergleichen erreicht nur noch einige Theoretikerzirkel. Hinzu kommt, daß das Bewußtsein der Selbständigkeit eigener Forschung inzwischen in vielen Ländern stark zugenommen hat. Besonders zu nennen sind in diesem Zusammenhang Griechenland, Italien, Japan, Polen und Spanien. c) Wer auf die Notwendigkeit einer teilweisen universalen Strafrechtswissenschaft hinweist, sieht sich mit der Frage der praktischen Durchführbarkeit konfrontiert. Sprachliche Barrieren, terminologische Unterschiede zwischen dem angelsächsischen und dem kontinentaleuropäischen Rechtskreis, unterschiedliche Einstellungen zur Prinzipienbildung und Systematisierung 39 sowie Informationsdefizite sind die dabei vornehmlich in den Blick kommenden Punkte. Jedoch steht dem, wie schon erwähnt, ein stark expandierender übernationaler Meinungsaustausch gegenüber, der auf Tagungen und Kongressen sowie bei Vortragsbesuchen und Gastprofessuren stattfindet. Wer das Interesse aufbringt, über die Zäune nationaler wissenschaftlicher Enge hinauszuschauen, kann sich daher über die Entwicklung der Diskussion allgemeiner strafrechtlicher Fragen informieren. Schaltstellen sind bereits renommierte Strafrechtsinstitute mit internationaler Ausrichtung. Vorrangig ist dabei das vom Jubilar aufgebaute Freiburger Max-Planck-Institut zu nennen, aber auch ausländische Institute wie das von Moreno Hernandez geleitete Centro de estudios de politica criminal y ciencias penales (CEPOLCRIM) in Mexico-City und das von der AIDP betriebene International Institute of Higher Studies in Criminal Sciences, Syrakus, spielen als Kommunikator eine erhebliche Rolle. 40 Nicht zuletzt ist auf diejenigen strafrechtlichen Zeitschriften hinzuweisen, die – wenn auch für die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts noch ausbaufähig – über die internationale strafrechtliche Entwicklung berichten und auch ausländische Autoren zu Wort kommen lassen und ihnen eine Diskussionsplattform bieten. 41

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Ein neueres Beispiel für einen auch die Rechtsanwendung erreichenden Export bildet aber Roxins Auffassung von der mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate (vgl. oben in Fn. 23). 39 Dazu Ashworth, ZStW 110 (1998), S. 461, 462, 472. 40 Vgl. die vom CEPOLCRIM veranstalteten großen internationalen Tagungen zum Römischen Statut und zur Globalisierung mit den von Moreno Hernandez herausgegebenen Tagungsbänden „Globalización e internacionalización de derecho penal. Implicaciones politíco-criminales y dogmáticas“, 2003, und „El Estatuto de Roma. El Estatuto de la Corte Penal Internacional y sus implicaciones en el Derecho Nacional de los Países Latinoamericanos“, 2004; auch den Kongreß in Syrakus über „Comparative Criminal Justice Systems: From Diversity to Rapprochement“ und den von der AIDP 1998 veröffentlichten Tagungsband. 41 Zu nennen sind insbesondere die ZStW, die nicht nur traditionell einen Auslandsteil (bzw. eine Auslandsrundschau) aufweist, sondern zu allgemeinen strafrechtlichen Fragen heute auch Beiträge ausländischer Wissenschaftler im Aufsatzteil veröffentlicht, die Revue internationale de droit penal und einschlägige Publikationen des Freiburger Max-PlanckInstituts.

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Es scheint sich im übrigen um ein vorwiegend deutsches Problem zu handeln. Ausländische Strafrechtler sind häufig erheblich breiter über die internationale Entwicklung informiert. Das spiegelt sich auch darin wider, daß in ausländischen Publikationen viel stärker, als es in Deutschland der Fall ist, die Auffassungen von Autoren aus anderen Staaten zitiert werden. 42 Im übrigen hat Coing in einem Plädoyer für eine Europäisierung der Rechtswissenschaft darauf hingewiesen, daß es schon heute im Bereich der juristischen Fächer ein Gebiet gibt, das international betrieben wird: die Rechtsphilosophie (Rechtstheorie). 43 Technisch möglich ist das also. Ohnehin werden sich bei der sich verstärkenden Tendenz zu einer teilweise universalen Strafrechtswissenschaft auch Automatismen ergeben, die bisherigen Kommunikations- und Informationshindernisse zu überwinden. V. Zu den großen Lebensleistungen von Hans-Heinrich Jescheck gehört, daß er durch seine starken internationalen fachlichen Aktivitäten dem Bewußtwerden einer übernationalen Strafrechtswissenschaft und deren praktischer Bedeutung mit den Weg geebnet hat. Er spricht zwar nur von einem Fachgebiet „Rechtsvergleichung“ 44, aber sein Verständnis dieses Faches geht über die bloße Vergleichung hinaus. Er schreibt nämlich, daß es sich bei der Rechtsvergleichung auch darum handle, eine kritische Beurteilung der Ergebnisse der Vergleichsarbeit vorzunehmen. 45 Eine solche kritische Warte setzt aber eine von den verglichenen Rechtsordnungen unabhängige dritte Basis voraus: nämlich den Entwicklungsstand der universalen Strafrechtswissenschaft. Bei Jescheck ist daher auch die Rede von der Entstehung eines „völkerverbindenden Wissenschaftszweiges ..., der viele Gelehrte ... aus den verschiedensten Nationen vereint“. 46 Zu dessen Entwicklung hat der Jubilar zahlreiche wichtige Beiträge geleistet. Dabei kam ihm die umfassende Kenntnis ausländischer Rechtsordnungen zustatten, die er im Rahmen seiner rechtsvergleichenden Arbeit gewonnen hat. Insgesamt läßt sich abschließend feststellen: Es gibt neben der nationalen eine universale Strafrechtswissenschaft. Sie ist von der Rechtsvergleichung zu unterscheiden, und sie gewinnt im Zeichen von Europäisierung und Globalisierung immer mehr an praktischer Bedeutung. 42 Siehe aber auch die teilweise Berücksichtigung ausländischen Schrifttums in den Lehrbüchern von Jescheck / Weigend (Fn. 23) und Roxin (Fn. 16 und 23). 43 Coing, NJW 1990, 937. 44 Jescheck (Fn. 23), S. 44 f. 45 Jescheck (Fn. 23), S. 45. 46 Jescheck (Fn. 23), S. 45.

Über die Entwicklung einer universalen Strafrechtswissenschaft 2006 Giorgio Marinucci, dem dieser Beitrag mit den besten Wünschen zu seinem 70. Geburtstag gewidmet ist, hat der ausländischen Entwicklung der Strafrechtswissenschaft stets große Aufmerksamkeit geschenkt, gerade auch derjenigen in Deutschland. Der Verfasser hofft deshalb, daß die nachfolgenden Überlegungen das Interesse des Jubilars finden. I. Unter universaler Strafrechtswissenschaft ist eine Wissenschaft vom Strafrecht zu verstehen, die aus Grundprinzipien allgemeingültige Folgerungen für die Voraussetzungen jeglicher Straftat ableitet und sich mit deren näherer begrifflichen Festlegung und Begrenzung befaßt, so beispielsweise mit der von Vorsatz, Fahrlässigkeit, Handlung und Schuldfähigkeit. Sie ist unabhängig von den Regelungen nationaler Gesetzgebung. Weicht eine Gesetzesvorschrift – weil zumeist auf einem früheren Entwicklungsgrad der Wissenschaft beruhend – von dem aktuellen Stand der universalen Strafrechtswissenschaft ab, so läßt dies die Gültigkeit der betreffenden gesetzlichen Regelung zwar unberührt, aber es besteht Anlaß, deren Reform anzumahnen. Indem sie allgemeingültige Lösungen für einen Kernbereich des Strafrechts anstrebt, ist die universale Strafrechtswissenschaft an nationale Grenzen nicht gebunden. Zu ihrer Entwicklung kann ein italienischer Strafrechtslehrer ebenso beitragen wie ein japanischer oder deutscher. 1 Den Gegensatz zur universalen bildet eine rein nationale Strafrechtswissenschaft. Ihr Gegenstand sind allein die Normen des nationalen Strafrechts und deren Auslegung. Der rein nationale Bezug entspricht dem herkömmlichen Verständnis der Strafrechtstheoretiker. Der berühmte Satz des deutschen Staatsanwalts von Kirchmann „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers, und ganze 1 Zur universalen Strafrechtswissenschaft vgl. auch Hirsch, Gibt es eine national unabhängige Strafrechtswissenschaft?, in: Festschrift für Spendel, 1992, S. 43 ff.; ders., Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtswissenschaft – Nationale und universale Strafrechtswissenschaft, in: ZStW 116 (2004), S. 835 ff.

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Bibliotheken werden zu Makulatur“ spiegelt dieses gesetzespositivistische Wissenschaftsverständnis anschaulich wider. 2 Dementsprechend bewegen sich bis auf den heutigen Tag die meisten strafrechtlichen Erörterungen ganz innerhalb der durch den nationalen Gesetzgeber errichteten Zäune. Wenn eine universale Strafrechtswissenschaft sich demgegenüber damit befaßt, welche Folgerungen sich für einen Kernbereich, nämlich vor allem die allgemeinen Voraussetzungen der Straftat, aus den Grundlagen ergeben, so bildet den Ausgangspunkt das „Tatstrafrecht“. Aus ihm leitet sich der konkrete Erfolgsbezug, die Unterscheidung von Unrecht und Schuld, das Schuldprinzip bis hin zu weiteren Differenzierungen, etwa der von Mittäterschaft und Beihilfe oder das von Handeln und Unterlassen ab. Andere – theoretisch denkbare – Modelle des Strafrechts wären das Täterstrafrecht und das Gesinnungsstrafrecht. Auch das Aufzeigen der Strafbarkeitsvoraussetzungen, die sich nach diesen Modellen ergeben würden, wäre eine allgemeine wissenschaftliche Frage. Dabei wird außerdem deutlich, daß diese unterschiedlichen Modelle schon als solche wissenschaftlich gegeneinander abzuwägen sind. Nicht von ungefähr hat sich ein reines Täterstrafrecht oder gar Gesinnungsstrafrecht nirgendwo durchsetzen können, und zwar deshalb nicht, weil eben allgemeingültige wissenschaftliche Einsichten dem entgegenstehen. 3 Indem das Blickfeld universaler Strafrechtswissenschaft nicht durch die Grenzzäune von Regelungen der jeweiligen Kodifikation (oder internationale positivrechtliche Regelungen) eingeschränkt ist, sondern sich auf das Gewinnen allgemeingültiger Erkenntnisse richtet, stellt sie eine Wissenschaftsdisziplin dar, die über bloße Rechtsvergleichung hinausreicht. Bei letzterer handelt es sich nur um das Vergleichen von bereits bestehendem (oder – seltener – positivem internationalen) Recht, also um den Vergleich von bereits Gedachtem und nicht um die Weiterentwicklung des Strafrechts aus seinen wissenschaftlichen Grundlagen. Das läßt allerdings unberührt, daß die Rechtsvergleichung von größtem Wert für eine universale Strafrechtwissenschaft ist. Die Kenntnis der strafrechtlichen Regelungen in den wichtigsten Rechtsordnungen bildet eine Basis für ein fruchtbares Arbeiten auf dem Felde universaler Strafrechtswissenschaft. Aus solcher breiten Information entspringen nicht nur viele Anregungen für Fortentwicklungen und Vertiefungen, sondern ebenfalls die Kenntnis davon, wie weit die wissenschaftliche Entwicklung bereits in einzelnen Kodifikationen zum Ausdruck gelangt ist. Indes ist es auch möglich, daß ein Autor, der sich für Strafrechtsvergleichung nicht interessiert und nur die nationale Rechtsordnung im Blick hat, weiterführende Überlegungen allgemeingültiger Natur anstellt und damit einen Beitrag zur Entwicklung der universalen Strafrechtswissenschaft erbringt. 2 J. von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1847, Neuausgabe von G. Neese (Hrsg.), 1938, S. 37. 3 Zu Täter- und Gesinnungsstrafrecht siehe Hirsch, Tatstrafrecht – ein hinreichend beachtetes Grundprinzip?, in: Festschrift für Lüderssen, 2002, S. 253 ff. m.w. N.

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Grundsätzliche Fragen

Nicht zu verwechseln ist die universale Strafrechtswissenschaft mit einer auf die bloße Auslegung internationaler positivrechtlicher Regelungen fixierten Strafrechtswissenschaft. Bei einer solchen geht es nur um die territoriale Erweiterung des auf die nationale Rechtsordnung begrenzten Wissenschaftsverständnisses, nicht aber um das von positivrechtlichen Regelungen unabhängige Entwickeln von wissenschaftlich allgemeingültigen Einsichten. 4 II. 1. Es erhebt sich die Frage, ob es einer universalen Strafrechtswissenschaft bedarf. Sie wurde nicht gestellt, solange das Strafrecht nur in nationalen Regelungen bestand. Das hat sich bekanntlich geändert durch die Entstehung des Völkerstrafrechts und durch strafrechtliche Aktivitäten der Europäischen Union (EU). Hinzu kommt die um sich greifende Tendenz zur Globalisierung. Hinsichtlich des Völkerstrafrechts denke man an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes von 1998. Es enthält materiellrechtliche Strafvorschriften zu Menschenrechtsverletzungen (Art. 5 –8 und 23 –33). Was das Europarecht angeht, bestimmt die vorgesehene Europäische Verfassung in Art. III172, daß durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität vorgesehen werden können, die aufgrund der Art oder Auswirkung der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie von gemeinsamen Grundlagen ausgehend zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Als derartige Kriminalitätsbereiche sind aufgezählt: Terrorismus, Menschenhandel, illegaler Drogenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität, Organisierte Kriminalität u. a. Weiterhin heißt es, daß je nach den Entwicklungen der Kriminalität der Ministerrat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments weitere, die genannten allgemeinen Kriterien erfüllende Kriminalitätsbereiche bestimmen kann. Außerdem wird in Art. III-172 Abs. 2 gesagt, daß dann, wenn sich die Angleichung strafrechtlicher Normen als unerläßlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet erweist, bei dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf dem betreffenden Gebiet vorgesehen werden können. Schließlich findet sich noch in einem speziellen Abschnitt über „Betrugsbekämpfung“ ein Art. III-321 Abs. 4, nach dem zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes die erforderlichen Maßnahmen zur Vergütung und Bekämpfung von Betrug, der sich 4 Eine solche territoriale Erweiterung der Strafrechtswissenschaft fordert Kühl hinsichtlich des Strafrechts in der Europäischen Union (zu diesem noch im folgenden); vgl. Kühl, Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, in: ZStW 109 (1997), S. 777, 791 ff.

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gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, durch Europäische Gesetze oder Rahmengesetze festgelegt werden. 5 Voraus gingen Vorschläge für europäische Straf- und Strafverfahrensvorschriften zum Schutze der finanziellen Interessen der EU in einem sogenannten Corpus Juris aus den Jahren 1997/99, das im Auftrage des Europäischen Parlaments und der Brüsseler Kommission von einer Arbeitsgruppe von Strafrechtlern konzipiert worden ist, und darauf beruhende Vorschläge in einem von der Kommission herausgegebenen „Grünbuch“ von 2001. Schon bisher gibt es im materiellrechtlichen Bereich eine zum Schutz der Finanzinteressen der EU erfolgende mittelbare Internationalisierung strafrechtlicher Vorschriften. Seit dem Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften von 1995 6 ergehen Richtlinienbeschlüsse des Ministerrats, in denen verbindlich für die nationale Gesetzgebung Rahmen der Pönalisierung einzelner Delikte festgelegt werden, z. B. der Umfang der Strafbarkeit des gegen die Finanzinteressen der EU gerichteten Subventions-„Betrugs“. Es stellt sich die Frage: Woher sind bei solchen Vorschriften die für eine Straftat geltenden allgemeinen Regelungen zu nehmen? 7 Die praktisch einfachste Lösung wäre die, daß man sagt: Aus derjenigen nationalen Rechtsordnung, die aufgrund wirklicher oder auch nur beanspruchter Machtverhältnisse einen Vorrang für sich geltend macht. So ist beim Völkerstrafrecht an das angelsächsische und beim EU-Strafrecht an das französische Strafrecht zu denken. Das wäre unbedenklich, wenn der Stärke des politischen 5 Zum Strafrecht und auch Strafverfahrensrecht in dem Verfassungsentwurf kritisch Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, in: ZStW 116 (2004), S. 275 ff. 6 Ergänzt durch zwei Zusatzprotokolle von 1996 und 1997. Durch den 1997 unterzeichneten Vertrag von Amsterdam wurden wesentliche Teile der bisherigen sogenannten „Dritten Säule“ der EU – das heißt die Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – in die „Erste Säule“, nämlich den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) überführt. Art. 208 Abs. 4 EGV sieht in der bisherigen Fassung vor, daß der Rat zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedsstaaten die „erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Risiken der Gemeinschaft richten“ beschließt. 7 Zwar finden sich in Teil 3 (Allgemeine Strafrechtsprinzipien) des Römischen Statuts einzelne Regelungen zum Allgemeinen Teil, und auch das europäische „Corpus Juris“ enthält einige. Aber wie sie sich wissenschaftlich begründen lassen und woran man bei auftauchenden weiteren Punkten anzuknüpfen hat, ist eine offene Frage. Vgl. zum Römischen Statut: Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts. Ansätze einer Dogmatisierung, 2002, und Kreß, Zur Methode der Rechtsfindung im Allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts, in: ZStW 111 (1999), S. 597 ff. Letzterer betont, daß unbeschadet der im Statut enthaltenen Teilregelungen „die Diskussion über die Methode der Rechtsfindung im Allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts ihre Bedeutung behalten“ wird.

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Grundsätzliche Fragen

Einflusses auch der betreffende wissenschaftliche Entwicklungstand entspräche, was jedoch bekanntlich in vielen Punkten nicht der Fall ist. Sollen die Ergebnisse teilweise höher entwickelter Strafrechtswissenschaft nicht international ungenutzt bleiben und darüber hinaus im Gefolge der Ausbreitung übernationaler Strafvorschriften, etwa in der EU, dann auch in nationalen Rechtsverordnungen verdrängt werden, bedarf es einer universalen Strafrechtswissenschaft, an der Maß zu nehmen ist. Der Gedanke, auf die am weitesten entwickelte nationale Strafrechtswissenschaft zurückzugreifen, scheidet von vornherein aus. Keine nimmt ausnahmslos eine führende Position ein. Auch weckte man nationale Ressentiments, an denen eine solche Auswahl scheitern würde. Vor allem aber bedarf ein übernationales Strafrecht auch wissenschaftlich einer übernationalen Legitimation, die von der Mitwirkung aller getragen sein muß. Betrachtet man die heute betriebene Strafrechtswissenschaft genauer, so sind universale Ansätze bereits vorhanden. Es ist zu beobachten, daß die Strafrechtstheoretiker der Welt sich namentlich bei der Klärung von Fragen der allgemeinen Voraussetzungen der Straftat weithin mit den gleichen Problemen beschäftigen. Da in allen Strafgesetzbüchern beispielsweise Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie die oben schon teilweise genannten sonstigen allgemeinen Problemkreise auftauchen, sind sie mit der Lösung gleicher Fragen befaßt. 8 Darüber hinaus findet schon seit der Gründung der IKV und der AIDP ein intensiver übernationaler Meinungsaustausch statt. 9 Hierbei geht es nicht nur um bloße Rechtsvergleichung, sondern um eine international gemeinsame Suche nach der sachlich zutreffenden Lösung. Auch sind oft dort, wo man neue Kodifizierungen des Allgemeinen Teils vorbereitet hat, Lösungen de lege ferenda entworfen worden, die nicht aus andernorts bereits bestehenden Regelungen entnommen wurden, sondern auf neuen wissenschaftlichen Überlegungen zur sachentsprechenden Regelung beruhten. Nicht zuletzt ist in den zurückliegenden vier Jahrzehnten ein zunehmender internationaler Tagungsbetrieb zu beobachten, bei dem es nicht einfach darum geht, nationale Regelungen zu vergleichen, sondern ein Meinungsaustausch stattfindet, bei dem die Auffassungen der Teilnehmer auf ihre wissenschaftliche Allgemeingültigkeit hin diskutiert werden. Auch wenn erst die gegenwärtige Zunahme internationaler Strafvorschriften die Notwendigkeit und die Anfänge universaler Strafrechtswissenschaft klar ins Blickfeld rücken, macht Vorstehendes deutlich, daß die Ansätze zu einer solchen Wissenschaft schon länger gegeben sind. Sie existieren längst hinsichtlich derjeni8

Dazu schon Hirsch, Festschrift für Spendel, S. 46, 53 f. Zum Einfluß von IKV und AIDP Näheres bei Jescheck, Der Einfluß der IKV und der AIDP auf die internationale Entwicklung der modernen Kriminalpolitik, in: ZStW 92 (1980), S. 997 ff. 9

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gen Teile des nationalen Strafrechts, die allgemeingültige strafrechtliche Aussagen zum Gegenstand haben – und dabei handelt es sich um die praktisch noch größere Bedeutung. Es hat sich also in Ansätzen bereits so etwas wie eine universale Strafrechtswissenschaft gebildet, auf die man zurückgreifen kann. Dabei wird deutlich, daß wir es, weil es hier um echte Wissenschaft geht, mit einer Entwicklung zu tun haben, die weit über die Notwendigkeiten, die sich mit dem Blick auf übernationale Strafrechte ergeben, hinausreicht. Eine hinsichtlich der allgemeinen Straftatvoraussetzungen national unabhängige Strafrechtswissenschaft hat sich durch die Befassung mit übereinstimmenden Sachfragen von selbst gebildet, was auch ihren echten Wissenschaftscharakter unterstreicht. Sie erweist sich hinsichtlich des nationalen Strafrechts ebenfalls als notwendig, sei es zu dessen wissenschaftlicher Kontrolle, sei es zur Ausfüllung von Lücken gesetzlicher Regelungen. Es geht hier also um die Bewertung einschlägiger nationaler Regelungen als sachlich richtig oder falsch und um die nicht ausdrücklich in nationalen Strafgesetzen geregelten allgemeinen Bereiche. Die Universalität des wissenschaftlichen Maßstabs erhöht dabei die fachliche Autorität und ermöglicht zudem ein Zurückdrängen ideologischer Verzerrungen. 10 Die Existenz der vorgenannten Ansätze bedeutet nicht, daß durch sie eine weltweite Vereinheitlichung des gesamten Strafrechts im Anmarsch ist. Es handelt sich vielmehr um den in den allgemeinen Erfordernissen bestehenden sachlichen Kernbereich, namentlich die allgemeinen Deliktsvoraussetzungen. Der große deutsche Strafrechtler Franz v. Liszt hat bereits am Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben, daß „die Wissenschaft des Strafrechts“ als „die Klarstellung der allgemeinen Merkmale des Verbrechensbegriffs ... notwendig international“ sei. 11 Vorsatz, Fahrlässigkeit, Mittäterschaft, Anstiftung, Unterlassen etc. sollen also allgemeingültig zu definieren sein. Dagegen geht es nicht darum, die nationalen Eigenheiten einzuebnen. Das betrifft namentlich den Besonderen Teil, aber auch vom nationalen Gesetzgeber vorgenommene normative Eingrenzungen im Allgemeinen Teil, z. B. hinsichtlich des Umfangs der Strafbarkeit von Fahrlässigkeit, des Katalogs der notstandsfähigen Rechtsgüter und des Kreises der Garantenstellungen. Da das Strafrecht das ethische Minimum der in einer Gesellschaft geltenden Verhaltensnormen enthält, ist die nationale Prägung unverzichtbar. Das ist jedoch zu unterscheiden von den wissenschaftlich zu bestimmenden allgemeinen Voraussetzungen und Merkmalen des Delikts und deren begrifflicher Festlegung. 2. Ging es im vorhergehenden darum, daß Notwendigkeit und Ansätze universaler Strafrechtswissenschaft aufzuzeigen waren, so schließt sich nunmehr die weitere Frage an, wo eigentlich die theoretische Basis zu suchen ist. 10 11

Dazu näher Hirsch, Festschrift für Spendel, S. 53. F. v. Liszt, in: ders. (Hrsg.), Das Strafrecht der Staaten Europas, 1894, S. XXIV.

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Grundsätzliche Fragen

Vertritt man einen puren Normativismus, so können sich strafrechtswissenschaftliche Aussagen nur aus der jeweiligen Rechtsordnung selbst ableiten, denn jeder strafrechtliche Begriff soll einen durch und durch normativen Inhalt haben. 12 Und wenn man dabei noch – zu einem früheren Rechtsverständnis zurückkehrend – nur innerstaatliches Strafrecht, nicht aber übernationales für möglich hält, dann ist zu einer universalen Strafrechtswissenschaft von vornherein der Weg verbaut. Grundsätzlich ist einem reinen Normativismus entgegenzuhalten, daß die Gesetzgeber dann der wissenschaftlichen Kritik entzogen wären, da für diese keine Basis existieren würde. Außerdem liefe eine rein normativistische Sicht der Begriffe darauf hinaus, daß der Inhalt der strafrechtlichen Regelungen sich nicht mehr an den Erscheinungen der Wirklichkeit zu orientieren brauchte, sondern sich stattdessen an begrifflichen Kunstprodukten ausrichten könnte. 13 Tendenzen, wenngleich zu einseitig und zu fragmentarisch, in Richtung einer national unabhängigen Strafrechtswissenschaft finden sich bei der Auffassung, die ungenau vielfach als „Ontologismus“ dem Normativismus gegenübergestellt wird. Es wird geltend gemacht, daß seinsmäßige Gegebenheiten des Strafrechts bestehen, die vom Gesetzgeber zu beachten sind, soll eine gesetzliche Regelung stimmig sein. 14 Solche Strukturen aufzuzeigen und die sich aus ihnen ergebenden Folgerungen abzuleiten, sei Aufgabe der Strafrechtswissenschaft. Man hat beispielsweise darauf hingewiesen, daß eine zwischen Täterschaft einerseits und Teilnahme, nämlich Anstiftung und Beihilfe, andererseits differenzierende gesetzliche Regelung (und deren Auslegung) die ihr vorgegebenen Sachverschiedenheiten jener Phänomene beachten muß. So ist etwa das Hervorrufen des Tatentschlusses notwendiges Element der Anstiftung. Beachtet man das nicht, dann sind mittelbare Täterschaft und Anstiftung nicht mehr klar auseinanderzuhalten. Ein wichtiger Punkt ist in der wissenschaftlichen Diskussion bekanntlich auch gewesen, daß die Seinsstruktur der den Gegenstand strafrechtlicher Tatbestände bildenden Handlung den inhaltlichen Handlungswillen umfaßt. 15 12 Siehe Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, S. VII, wo es heißt: Die „Begriffe ... entstehen erst im Zusammenhang strafrechtlicher Regelungen ... Bei der Normativierung ... gelten die Bemühungen dem Strafrecht in einer Gesellschaft der vorhandenen Gestalt ... Ziel ist die optimale ... Systematisierung des geltenden Strafrechts.“ 13 Das veranlaßte Welzel zu seiner Kritik am Normativismus; vgl. Welzel, Kausalität und Handlung, in: ZStW 51 (1931), S. 703 ff.; ders., Über Wertungen im Strafrecht, in: Der Gerichtssaal 103 (1933), S. 340 ff.; ders., Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935, S. 64 ff.; ders., Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, in: Erinnerungsgabe für Grünhut, 1965, S. 173 ff. 14 Vgl Welzel (Fn. 13); Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, 1954, S. II f.; ders., Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 16 ff.; u. a. 15 Darüber Hirsch, Zum 100. Geburtstag von Hans Welzel, in: ZStW 116 (2004), S. 1 ff.; ders., Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, in: ZStW 93 (1981), S. 831 ff. und 94 (1982), S. 239 ff. m.w. N.

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Dieser Richtung ist vorgeworfen worden, aus Seinsstrukturen rechtliche und damit normative Entscheidungen ableiten zu wollen. 16 Dahinter verbirgt sich jedoch ein Mißverständnis: Es geht ihren Vertretern nicht darum, daß sich aus der Seinsstruktur direkt geltendes Recht ergeben soll. Vielmehr fordert man: Wenn der Gesetzgeber an ein bestimmtes Seinsphänomen anknüpft, hat er die sich aus dessen Struktur ergebenden inhaltlichen Folgerungen zu beachten. 17 Das ist eigentlich keine ernsthaft in Abrede zu stellende Forderung. Es gibt durchaus nicht wenige übereinstimmende Rechtsfiguren im Strafrecht der Welt, die an Seinsbefunde anknüpfen und daher durch eine Analyse dieser Phänomene allgemeingültig interpretiert werden können. Aber die Beschränkung auf Seinsbefunde ist zu eng und führt leicht zu „blutleeren“ juristischen Ergebnissen. Neben ontischen Befunden kommen auch allgemeine soziale Phänomene in Betracht (z. B. die Schuld, die begriffliche Struktur der Ehre). Es handelt sich daher genauer betrachtet – wie auch bei Welzel, dem Begründer jener Richtung, deutlich wird – nicht um den Gegensatz von ontisch und normativ-sozial, sondern um das Verhältnis von Strukturen des Regelungsgegenstandes und Recht. 18 Damit aber, daß man auf die Beachtung der Regelungsgegenstände verweist, ist wegen der zumeist bestehenden weltweiten Gleichartigkeit der Regelungsgegenstände des Allgemeinen Teils eine weltweite Diskussion über identische Forschungsfragen und die Transferierung der Ergebnisse in andere Rechtsordnungen möglich. 19 So ist es denkbar, daß man grundsätzliche Fragen des Zurechnungszusammenhangs zwischen sorgfaltswidriger Handlung und Erfolg beim fahrlässigen Delikt, generelle Fragen des Versuchsbeginns etc. allgemeingültig löst. Jedoch ginge es bei jenem theoretischen Ansatz für sich allein nur um Einzelprobleme, ohne daß die wissenschaftlichen Ausgangspunkte – ein alles verbindendes gemeinsames Band – in den Blick genommen würden. Das Faktum, daß überall parallele Einzelprobleme bestehen, deutet aber darauf hin, dass man auf der Grundlage gemeinsamer wissenschaftlicher Ausgangspunkte arbeitet. Tatstrafrecht und 16 Siehe insbesondere Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, in: ZStW 74 (1962), S. 515, 518 f., 522, 527, 547 f. 554.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 3. Aufl. 1997, § 8 Rn. 25; Jakobs, Allg. Teil, S. VII; Hassemer, Juristische Hermeneutik, ARSP 1986, S. 195, 207. 17 Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990, S. 41 f.; Hirsch, ZStW 116 (2004), S. 4. 18 Vgl. Welzel, Erinnerungsgabe für Grünhut, S. 188 f. Dazu, daß es nicht lediglich um den Gegensatz von Sein und Sollen geht, sondern um das Verhältnis von Strukturen des Regelungsgegenstandes und Recht, siehe auch Hirsch, Festschrift für Spendel, S. 55; ders., ZStW 116 (2004), S. 1, 5. 19 Welzel, Zur Dogmatik im Strafrecht, in: Festschrift für Maurach, 1972, S. 3, 5, wies bereits darauf hin, daß jener methodische Ansatz es ermöglicht, zu Einsichten zu gelangen, die sich wegen ihrer Allgemeingültigkeit in andere Rechtssysteme transferieren lassen.

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Schuldprinzip wurden im vorhergehenden schon angesprochen. Insbesondere geht es um das Tatstrafrecht. Offenbar ist es kein Zufall, daß die Strafrechtstheoretiker weltweit mit Fragen befaßt sind, die sich als Folgerung aus diesem Ausgangspunkt ergeben. Wenn es sich aber so verhält, dann gibt es – und hier liegt die wesentliche Erkenntnis – eine universale Strafrechtswissenschaft, die sich damit beschäftigt, welche allgemeinen Folgerungen aus dem Tatstrafrecht abzuleiten sind. 20 Es geht bei diesem um ein Modell, dessen Konsequenzen für die allgemeinen Deliktsvoraussetzungen wissenschaftlich erforscht werden. Auf der Grundlage, daß Strafrecht ein Tatstrafrecht – und Schuldstrafrecht 21 – zu sein hat, haben sich bereits im Laufe der Jahrhunderte in den Strafgesetzbüchern zahlreiche Erfordernisse des Delikts entwickelt (von der Differenzierung zwischen Handeln und Unterlassen über die Unterscheidung von Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit bis hin zu den Entschuldigungsgründen). In den meisten neueren Kodifikationen begegnen wir bereits einem gesetzgeberisch hoch entwickelten Stand der Regelung allgemeiner Fragen des Delikts. Gegenwärtig stehen in der internationalen Debatte wiederum Teilprobleme der Deliktslehre – die mittelbare Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate und die Straffähigkeit juristischer Personen 22 – im Vordergrund. Sie alle bilden einen Ausschnitt aus einem von den Grundlagen ausgehenden allgemeinen wissenschaftlichen Gesamtkonzept. Bei der Befassung mit den Einzelproblemen dürfen die wissenschaftlichen Grundlagen daher nicht aus den Augen verloren werden. Auch heutige Gesetzestexte haben sie nicht immer voll im Blick. 23 Hier ist die Wissenschaft aufgerufen, die sachlich richtigen Lösungen aufzuzeigen. 20 Zu diesem Ergebnis war der Verfasser bereits in der Festschrift für Spendel (S. 58) gelangt. 21 Auch das Schuldprinzip basiert auf wissenschaftlich allgemeingültigen Einsichten; denn wird jemand für eine begangene Tat ein Strafübel auferlegt, so ergibt das nur Sinn, wenn der Betreffende individuell für die Tat etwas konnte und daher für sie persönlich verantwortlich gemacht werden kann. 22 Zur Frage der mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate siehe Roxin, Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate, in: GA 1963, S. 193 ff.; ders., Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 105 ff.; BGHSt. 40, 218; zur Problematik der Straffähigkeit juristischer Personen siehe Hirsch, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, in: ZStW 107 (1995), S. 285 ff.; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5.Aufl. 1996, S. 226 ff. In den vorgenannten Lehrbüchern auch Angaben zu Schrifttum, Gesetzgebung und Judikatur des Auslands. 23 Auch das geltende deutsche Strafgesetzbuch nicht. So bezüglich des Tatprinzips die von der subjektiven Theorie ausgehende Versuchsregelung (§§ 22, 23 Abs. 3 StGB), weil sie bei den Fällen des (aus der Sicht ex ante) ungefährlichen untauglichen „Versuchs“ auf Gesinnungsstrafrecht hinausläuft. Hinsichtlich des Schuldprinzips siehe die Strafbestimmung der Üblen Nachrede (§ 186 StGB); und in bezug auf das Gesetzlichkeitsprinzip sind etwa die Nötigungsvorschrift (§ 240 StGB) und die „besonders schweren Fälle“ (§ 12 Abs. 3 StGB) zu nennen.

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3. Die Existenz einer universalen Strafrechtswissenschaft entschärft auch für diesen Bereich den oft gegenüber der Rechtswissenschaft erhobenen Vorwurf, daß sie gar keine echte Wissenschaft sei. Indem eine universale Strafrechtswissenschaft ihre Ergebnisse nicht aus einem nationalen (oder auch internationalen) Normbestand ableitet, sondern nach allgemeingültigen Einsichten forscht, ist ihre Wissenschaftlichkeit nicht in Abrede zu stellen. III. Die Grenzen einer universalen Strafrechtswissenschaft liegen, wie schon betont, bei demjenigen Bereich, welcher der nationalen (oder bei internationalen Strafvorschriften: der übernationalen) Gestaltung des jeweiligen Gesetzgebers oder sonstigen Rechtsetzenden obliegt. Es geht dabei insbesondere um den Besonderen Teil. In ihm spiegeln sich bei der nationalen Gesetzgebung die Spezifika des betreffenden Landes wider. Es steht im verfassungsmäßigen Ermessen eines nationalen Gesetzgebers, welche Verhaltensinhalte er pönalisieren will und wie er die Rechtsgutsverletzungen inhaltlich umgrenzt. So ist es möglich, daß Abtreibung, eine durch bloßes ehrenrühriges Werturteil begangene Beleidigung, Bereiche der Bestechung, Sodomie etc. nicht unter Strafe gestellt sind. Und andererseits können einfache Homosexualität, Ehebruch, bloßer Gebrauchsdiebstahl etc. pönalisiert sein. Ebenfalls sind die Abstufungen innerhalb der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte häufig verschieden. Historische, kulturelle und religiöse Aspekte kommen hier ins Spiel. Insbesondere ist der Katalog der Straftatbestände in einem moslemischen, buddhistischen oder hinduistischen Staat nicht identisch mit dem in einem laizistischen oder christlichen, ebensowenig der in einem tropischen Staat mit dem eines Staates der gemäßigten Zone. Das universale Strafrecht erlangt im Besonderen Teil, der also keinesfalls übernational nivelliert wird oder vereinheitlicht werden soll, 24 nur insoweit Bedeutung, wie der Allgemeine Teil in ihn ausstrahlt, also bezüglich der Einhaltung strafrechtlicher Grundprinzipien, etwa der Beachtung des Tatstrafrechts, der Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Berücksichtigung des begrifflichen Inhalts der allgemeinen Deliktsvoraussetzungen. Es wurde im vorhergehenden schon angesprochen, daß auch im Allgemeinen Teil ein Freiraum für nur nationale Strafrechtswissenschaft verbleibt. Es steht der nationalen Gesetzgebung frei, die Strafbarkeit bezüglich der Deliktsvoraussetzungen je nach den nationalen Wertvorstellungen zu umgrenzen. So ist ein unterschiedlicher Umfang der Strafbarkeit der Fahrlässigkeit, des Versuchs 24 Das gilt auch für historisch verwandte Rechtsordnungen wie denen der Mitgliedsstaaten der EU. Deliktstatbestände spiegeln inhaltlich in besonderem Maße die Rechtskultur einer Gesellschaft wider; vgl. auch Weigend, Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Strafrechtskultur?, in: ZStW 105 (1993), S. 774, 790 ff.

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und des Unterlassens zu beobachten. Auch die strafschärfende Einstufung als erfolgsqualifiziertes Delikt ist sehr unterschiedlich. Auffallend ist ebenfalls die unterschiedliche Regelung der Beachtlichkeit von entschuldigendem Notstand etc. Ferner ist der Rechtsfolgenbereich zu nennen. Zwar ist die wissenschaftliche Analyse des tatbezogenen Strafbegriffs Gegenstand universaler Strafrechtswissenschaft. Aber die Strafrahmen sind typische Widerspiegelungen nationaler Wertvorstellungen. Figuren des Rechtfolgensystems, etwa die Strafaussetzung zur Bewährung, können dagegen auf allgemeingültigen wissenschaftlichen Einsichten beruhen, wobei jedoch wiederum die spezifische Ausgestaltung nationalen Maßstäben unterliegt, allerdings unter Berücksichtigung der Ergebnisse empirischer Forschung. Es ist nicht auszuschließen, daß sich im Laufe der Zeit über diese Grenzen hinausgehend weitere Gegenstände der universalen Strafrechtswissenschaft herausbilden. Hierbei ist insbesondere an grundsätzliche Fragen des Rechtsfolgenbereichs zu denken. Aber selbst im Besonderen Teil lassen sich noch allgemeingültige wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen. Man denke beispielsweise an die Struktur des Ehrbegriffs, also an das Problem, ob Ehre ihrem Wesen nach ein faktischer Befund, nämlich Ehrgefühl und tatsächlicher Ruf, oder aber ein sozialer Achtungsanspruch ist. Die bloße Gegenüberstellung von Allgemeinem Teil und Besonderem Teil würde daher noch nicht genau die Abgrenzung angeben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob es sich um national unabhängige allgemeingültige Einsichten handelt oder um solche, die von der jeweils geltenden Rechtslage abhängig sind. Jedenfalls aber hat der national abhängige, relative Bereich seinen Schwerpunkt im Besonderen Teil des Strafrechts. Es steht grundsätzlich im Ermessen des nationalen Gesetzgebers, über den spezifischen Inhalt der strafbaren Handlungen zu bestimmen. IV. Es verbleibt die Frage der praktischen Durchführbarkeit universaler Strafrechtswissenschaft. 1. Mit dem Blick auf die Voraussetzungen der Straftat kann als Problem erscheinen, daß es unterschiedliche Versuche der Strafrechtssystematik gibt. Neben dem von der deutschen Strafrechtswissenschaft entwickelten, zwischen Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld differenzierenden System, das man heute in zahlreichen Staaten Kontinentaleuropas, in Ostasien und in Lateinamerika findet, gibt es „Systeme“, die nur zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen unterscheiden oder lediglich zwischen strafbegründenden und strafausschließenden Merkmalen differenzieren. Aus den beiden letztgenannten Einteilungen läßt sich jedoch nur wenig ableiten. Von einer wissenschaftlichen Systembildung im eigentlichen Sinne kann nicht gesprochen werden; denn an Sachgesichtspunk-

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ten orientierte weitere Einteilungs- und Differenzierungsmöglichkeiten ergeben sich nicht. Andererseits können sich auch dort, wo ein verfeinertes System sich noch nicht entwickelt hat, von der Beschäftigung mit den Einzelproblemen her weiterführende Einsichten ergeben, z. B. hinsichtlich der Voraussetzungen eines dem Tatstrafrecht genügenden Versuchs, der Grenzen des Vorsatzes oder der Notwendigkeit der Differenzierung innerhalb des Notstands. Wenn von einer universalen Strafrechtswissenschaft die Rede ist, bedeutet dies also durchaus nicht, daß an eine weltweite Ausbreitung des auf die deutsche Wissenschaft zurückgehenden dogmatischen Systems gedacht ist. Dieses kann wegen seines Entwicklungsstandes hilfreich sein und Einzelprobleme in einen größeren systematischen Zusammenhang einordnen, weshalb es auch in der deutschen Gerichtspraxis weithin Beachtung findet. 25 Aber es ist nur eine Methode zum Auffinden der sachlich richtigen Ergebnisse. Erweist es sich bei der übernationalen wissenschaftlichen Diskussion als veraltet oder überzüchtet, so kann es wie jede Arbeitsmethode anderer Fächer durch eine bessere ersetzt werden. Die Suche nach der besten Methode ist eine Begleiterscheinung der wissenschaftlichen Arbeit. Ist solche Arbeit eine bewußt übernationale, bildet sie sich auch auf dieser Ebene alsbald heraus. Im übrigen sind es nicht die – häufig sehr abstrakten – Makrosysteme, denen die Hauptrolle bei der wissenschaftlichen Fortentwicklung des Strafrechts zufällt. 26 2. Wer auf die Notwendigkeit einer teilweisen universalen Strafrechtswissenschaft hinweist, sieht sich außerdem mit den praktischen Problemen der sprachlichen Barrieren, denen der terminologischen Unterschiede zwischen dem angelsächsischen und dem kontinentaleuropäischen Rechtskreis, der verschiedenen Einstellungen zur Prinzipienbildung und Systematisierung 27 sowie denen der Informationsdefizite konfrontiert. Jedoch steht dem ein stark expandierender übernationaler Meinungsaustausch gegenüber, der auf Tagungen und Kongressen sowie bei Vortragsbesuchen und Gastprofessuren stattfindet. Wer das Interesse aufbringt, über die Zäune nationaler wissenschaftlicher Enge hinauszuschauen, kann sich daher über die Entwicklung der Diskussion allgemeiner strafrechtlicher Fragen 25 Wobei allerdings nur die hauptsächlichen Gesichtspunkte des Systems von Interesse sein können. Das heutige Überangebot von nuancierenden Systementwürfen, bei denen es zumeist lediglich um unterschiedliche Erklärungen für die herkömmlichen Ergebnisse geht, würde deshalb nicht den Blick für das Wesentliche verstellen. Mit Recht konstatiert auch Kühl, ZStW 109 (1997), S. 802, daß man sich beruhigen kann „mit der Erkenntnis, daß die Divergenzen der neueren Systeme nicht überzubewerten sind, da sie bei der Lösung von strafrechtlichen Problemen oft zu denselben Ergebnissen kommen.“ 26 Ida, Welche neuen praxisrelevanten Ergebnisse bringen die gegenwärtig zum materiellen Strafrecht diskutierten neuen systematischen Konzepte?, in: Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften, 2001, S. 137, 147, 149. 27 Dazu Ashworth, Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils – Landesbericht England, in: ZStW 110 (1998), S. 461, 462, 472.

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informieren. Schaltstellen sind dabei bereits renommierte Strafrechtsinstitute mit internationaler Ausrichtung. Ich nenne nur das Freiburger Max-Planck-Institut und das von der AIDP betriebene Institut in Syrakus und das Centro de Estudios de Política Criminal y Ciencias Penales in Mexico City. Nicht zuletzt ist auf diejenigen strafrechtlichen Zeitschriften hinzuweisen, die – wenn auch noch ausbaufähig – über die internationale strafrechtliche Entwicklung berichten und auch ausländische Autoren zu Wort kommen lassen und ihnen eine Diskussionsplattform bieten. Im übrigen hat der deutsche Zivilrechtler und Rechtshistoriker Helmut Coing in einem Plädoyer für eine Europäisierung der Rechtswissenschaft darauf hingewiesen, daß es schon heute im Bereich der juristischen Fächer ein Gebiet gibt, das bewußt international betrieben wird: die Rechtsphilosophie (Rechtstheorie). 28 Praktisch möglich ist das also. Ohnehin werden sich bei der sich verstärkenden Tendenz zu einer teilweise universalen Strafrechtswissenschaft auch Automatismen ergeben, die bisherigen Kommunikations- und Informationshindernisse zu überwinden. V. Da man sich in Deutschland besonders intensiv mit den allgemeinen Voraussetzungen der Straftat befaßt hat, könnten die von mir angestellten Überlegungen vielleicht dahingehend mißdeutet werden, es gehe um die Ausbreitung der deutschen Strafrechtsdogmatik. Aber das ist nicht das Ziel, wie im vorhergehenden schon betont wurde. Vielmehr soll das Bewußtsein der Strafrechtstheoretiker des In- und Auslands dafür geschärft werden, daß es Teile des Strafrechts gibt, die unabhängig von nationaler oder internationaler Rechtsetzung wissenschaftlicher Erkenntnis unterliegen und nach sachlich allgemeingültiger Beantwortung verlangen. An der Suche nach den sachlich zutreffenden Lösungen können sich alle Strafrechtler, gleichgültig welchen Landes, beteiligen. Gerade auch die deutsche Strafrechtswissenschaft benötigt angesichts der Selbstgewißheit mancher ihrer Akteure stärkere Kritik von außen. Wirkung hat das schon gezeigt bei der subjektiven Versuchstheorie, die nicht unbeeinflußt von ausländischen Kritikern jetzt zunehmend in Frage gestellt wird. 29 Zu wünschen wäre außerdem vernehmliche Kritik des Auslands an der im Widerspruch zum Bestimmtheitsgebot und Analogieverbot stehenden deutschen Rechtsfigur der„besonders schweren Fälle“. 30 Bedenklich ist nicht zuletzt die Praxisferne mancher zeitgenössischer deutscher Autoren, die 28

Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, in: NJW 1990, S. 937. Angestoßen wurde die heutige Diskussion insbesondere durch die von japanischer Seite geäußerte Kritik beim Japanisch-Deutschen Strafrechtskolloquium 1988; vgl. Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 93 und 207 f. 29

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neue Strafrechtssysteme entwerfen, ohne daß für die Rechtsanwendung Neues oder Verwertbares dabei herauskommt. 31 Ein teilweise universal betriebene Strafrechtswissenschaft hätte daher auch hier eine ordnende Aufgabe. Die italienische Strafrechtswissenschaft genießt weltweit hohes Ansehen. Angesichts dieser breiten Ausstrahlung wird man sich daher wohl besonders leicht bewußt machen, daß es in dem oben skizzierten Kernbereich wissenschaftlich um mehr als die Auslegung nationaler oder internationaler positivrechtlicher Vorschriften geht, nämlich um das wissenschaftliche Bemühen, zu sachlich allgemeingültigen Lösungen zu gelangen. Ich könnte mir vorstellen, daß ein international erfahrener Strafrechtler, wie es Giorgio Marinucci – der verehrte Jubilar – ist, die behandelte Thematik ähnlich sieht. Meine besten Wünsche für sein Wohlergehen und seine weitere wissenschaftliche Arbeit verbinden sich daher mit der Hoffnung, daß er die aufgezeigte differenzierende Sicht der Strafrechtswissenschaft – universal hinsichtlich des einen und rein national hinsichtlich des anderen Bereichs – im Grundsätzlichen zustimmend beurteilt.

30 Daß die von qualifizierten Tatbeständen zu unterscheidende deutsche Rechtsfigur „besonders schwerer Fall“ (§ 12 Abs. 3 StGB) von allen neueren ausländischen Strafrechtskodifikationen wegen des klaren Verstoßes gegen den Satz „nullum crimen sine lege“ nicht aufgegriffen worden ist, wird in Deutschland bisher überwiegend nicht zur Kenntnis genommen. 31 Zur Praxisferne siehe schon das Vorwort der Verfasser der 22. Aufl. (1985) des Kommentars von Schönke / Schröder, wo es heißt: „Immer deutlicher stellt sich für die Verfasser aber auch das grundsätzliche Problem, daß die wissenschaftliche Diskussion inzwischen zu einer so weitgehenden Differenzierung ... des dogmatischen Instrumentariums geführt hat, daß ... gefragt werden muß, ob die Praxis dieser Entwicklung noch folgen wird und folgen kann.“ Zu Systembildungen ohne neue praktisch erhebliche Lösungen siehe schon oben Kühl (Fn. 25).

Zum gegenwärtigen Stand der Strafrechtsdogmatik in Deutschland 2007 I. Nicht in allen Staaten der Welt wird eine die Voraussetzungen des Delikts nach Sachgesichtspunkten systematisch ordnende Strafrechtsdogmatik betrieben. Im angelsächsischen Rechtskreis findet sie wenig Interesse. Der praktische und theoretische Nutzen einer Systembildung ist jedoch erheblich. Schon der berühmte deutsche Kriminalwissenschaftler Franz von Liszt forderte Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts „Klare schneidige Begriffe und ein geschlossenes System“. 1 Und als in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von Kriminalpolitikern und Kriminologen der Nutzen der Strafrechtsdogmatik angezweifelt wurde, 2 hielt der bekannte spanische Strafrechtler Gimbernat Ordeig dem entgegen: „Indem die Strafrechtsdogmatik Grenzen setzt und Begriffe bildet, ermöglicht sie eine sichere und berechenbare Anwendung des Strafrechts und entzieht es der Irrationalität, der Willkürlichkeit und der Improvisation.“ 3 Es geht bei dieser Dogmatik um die systematische Aufgliederung des Delikts in allgemeine Deliktsmerkmale, die Herausarbeitung der sachlichen Voraussetzungen solcher Merkmale und das Aufzeigen der hierfür ausschlaggebenden Begründungsansätze. Die Entwicklung begann damit, daß man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen Unrecht und Schuld differenzierte, wobei alles Objektive zum Unrecht und alles Subjektive zur Schuld gehören sollte. 4 Es folgte innerhalb des Unrechts die Abstufung zwischen Tatbestandsmäßigkeit und fehlender Rechtfertigung. 5 Dies bedeutete, daß das Delikt sich in drei generelle Merkmale gliedert: Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld. 1

v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 1. Aufl. 1881, Vorwort. Siehe etwa Richard Schmid, in: Nedelmann u. a. (Hrsg.), Kritik der Strafrechtsreform, 1968, S. 7 ff.; Nedelmann, in: Kritik der Strafrechtsreform, S. 21 ff.; Sessar, Die Resozialisierung der strafenden Gesellschaft, in: ZStW 81 (1969), S. 372, 382 ff. 3 Gimbernat Ordeig, Hat die Strafrechtsdogmatik eine Zukunft?, in: ZStW 82 (1970), S. 379, 405. 4 Siehe die historischen Angaben bei Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 38 ff. 2

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Bei der Tatbestandsmäßigkeit geht es um das Vorliegen des im Tatbestand vertypten Verstoßes gegen die jeweilige einzelne Norm, zum Beispiel das Verbot der vorsätzlichen Tötung, des Diebstahls, Betrugs etc. Bei der Rechtswidrigkeit wird geprüft, ob das betreffende tatbestandsmäßige Verhalten etwa im konkreten Fall durch einen Rechtfertigungsgrund ausnahmsweise erlaubt war, und im Fall der Verneinung somit festgestellt, daß es auch gegen die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit verstieß. 6 Der nächste Entwicklungsschritt der Dogmatik war der Übergang vom psychologischen Schuldbegriff, der allein auf die psychisch-subjektive Beziehung zwischen Täter und tatbestandsmäßigem Unrecht abstellte, zum normativen Schuldbegriff. Danach bedeutet Schuld, daß dem Täter das tatbestandsmäßig-rechtswidrige Verhalten individuell vorgeworfen werden kann. 7 In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts erkannte man dann zunächst, daß im Bereich des Unrechts, hier genauer: im Bereich der Tatbestandsmäßigkeit, bei manchen Delikten besondere subjektive Elemente eine Rolle spielen. Es ging dabei um besondere subjektive Erfordernisse in einigen Tatbeständen, zum Beispiel die Zueignungsabsicht beim Diebstahl. Man sprach von subjektiven Unrechtselementen. 8 Grundsätzlich aber galt wie zuvor, daß für die Tatbestandsmäßigkeit die objektive Verursachung des Erfolges genügen sollte. Die verbotene Handlung, an die jedes Delikt anzuknüpfen habe, bestehe in der objektiven Erfolgsverursachung. Man sprach vom kausalen Handlungsbegriff und dem sich aus ihm ergebenden kausalen Unrechtsbegriff. Vorsätzliche und fahrlässige Delikte sollten sich demgemäß erst auf der Ebene der Schuld unterscheiden. 9 Im Anschluß an Arbeiten des Strafrechtlers Hans Welzel folgte nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer wissenschaftlicher Streit über die von ihm entwickelte personale Unrechtslehre. 10 Nach dieser Lehre soll nicht schon für das tatbestands5 Im Anschluß an Beling, Lehre vom Verbrechen, 1906. Näher dazu Welzel (Fn. 4), S. 52 f. 6 Näher Hirsch, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1994, Vor § 32 Rn. 5 f., 10 mit weiteren Nachweisen. 7 Anfänge des normativen Schuldbegriffs bei Frank, Aufbau des Schuldbegriffs, 1907. Näher zur weiteren Entwicklung Welzel (Fn. 4), S. 139 ff., 152 ff. 8 Hauptvertreter dieser Lehre war Mezger, Strafrecht, 1931, S. 168 ff. 9 Vgl. für die damalige herrschende Meinung: Mezger (Fn. 8), S. 89, 108 f., 269; v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927, S. 144 f., 152, 157, 237, 256. Nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Mezger, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch, 2. Aufl. 1948, S. 37, 39 ff., 108 f., 131 f.; Schönke, Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 1949, Vorbem. I 1, III, IV, § 59 I; Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 8. Aufl. 1957, Vorbem. I 1, II. 3., Vor § 51 V; mit weiteren Nachweisen. 10 Die ersten Arbeiten Welzels waren schon die Aufsätze über „Strafrecht und Philosophie“, in: Kölner Universitätszeitung 1930 Nr. 9, S. 5 ff. (abgedruckt bei Welzel, Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1973, S. 345 ff.); „Kausalität und

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mäßige Unrecht genügen, daß jemand den Erfolg verursacht hat. Vielmehr wird von ihr gefordert, daß an eine Willenshandlung des Täters angeknüpft wird. 11 Eine Handlung sei immer ein willentliches Eingreifen in das Kausalgeschehen. Infolgedessen sei eine Tötungshandlung eine willentliche Tötung eines anderen Menschen oder eine Sachbeschädigungshandlung eine willentliche Beschädigung einer fremden Sache. Da ein solcher Wille (man sprach ungenau von Finalität) beim Vorsatzdelikt identisch mit dem Tatbestandsvorsatz sei, ergebe sich als Konsequenz, daß dieser bereits zum tatbestandlichen Unrecht gehöre. Auch beim tatbestandlichen Unrecht des fahrlässigen Delikts spiele eine Willenshandlung eine Rolle. Hier sei Inhalt des Verbots zwar nicht eine auf willentliche Tötung gerichtete Handlung, aber die in bezug auf den tatbestandlichen Erfolg sorgfaltswidrige Handlung. Während also beim Vorsatzdelikt die verbotene Willenshandlung den gesamten Tatbestand einschließlich des vorsätzlichen Erfolges umfasse, betreffe sie beim fahrlässigen Delikt nur einen Teil des Tatbestands, nämlich die als sorgfaltswidrig zu bewertende willentliche Handlung, beispielsweise das willentliche Überholen eines anderen Kraftfahrzeugs in einer unübersichtlichen Kurve. Der Erfolgseintritt sei ein davon zu trennendes zweites Tatbestandserfordernis des fahrlässigen Delikts. Es gehe bei ihm um die Realisierung des von der sorgfaltswidrigen Handlung ausgehenden Risikos. Infolgedessen sei das Fahrlässigkeitserfordernis der Nichteinhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt oder – was dasselbe ist – das Handeln trotz genereller Voraussehbarkeit der Möglichkeit des Erfolges nicht erst bei der Schuld, sondern bereits beim Unrechtstatbestand einzuordnen. 12 Vorsatzdelikt und Fahrlässigkeitsdelikt unterscheiden sich nach der personalen Unrechtslehre also schon im tatbestandlichen Unrecht. Von Gegnern wurde dem personalen Unrechtsbegriff zunächst die Lehre von der objektiven Zurechnung entgegengesetzt. Denn auch sie wurden sich darüber klar, daß die bloße Verursachung des Erfolges die unrechtsbegründenden Erfordernisse nicht ausreichend angibt. Nicht der Vorsatz und nicht die Fahrlässigkeit, sondern objektive Kriterien, ob jemand unter dem Gesichtspunkt gerechter Bestrafung für den verursachten Erfolg zu haften hat, sollten für die notwendige Einschränkung sorgen. 13 Diese Auffassung vermochte jedoch nicht zu verhindern, daß sich die personale Unrechtslehre Mitte der 70er Jahre in Deutschland hinsichtlich der von ihr Handlung“, in: ZStW 51 (1931), S. 703 ff., und „Über Wertungen im Strafrecht“, in: Der Gerichtssaal 103 (1933), S. 340 ff. Nach dem Zweiten Weltkrieg siehe insbesondere Welzel, Das neue System des Strafrechts, 1. Aufl. 1951. 11 Dazu zusammenfassend Welzel (Fn. 4), S. 30 f., 33 ff., 48 ff. 12 Bei der systematischen Erfassung der Fahrlässigkeit lag für die personale Unrechtslehre anfangs ein Problem, weil zunächst der Blick auf das Vorsatzdelikt gerichtet war. Es wurde dann aber in der im vorhergehenden dargestellten Weise sachentsprechend gelöst. Näher dazu Hirsch, Zum Unrecht des fahrlässigen Delikts, 2003, S. 515 ff. 13 So Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, in: ZStW 74 (1962), S. 515 ff.

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für den Deliktsaufbau gezogenen Folgerungen durchsetzte. Das heißt: Der Tatbestandsvorsatz wird seither beim Tatbestand des Vorsatzdelikts, und die generelle Voraussehbarkeit des Erfolges wird beim Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts eingeordnet. 14 Ausschlaggebend waren dabei vor allem die sich aus dem personalen Unrechtsbegriff ableitenden Einzelergebnisse. Bei ihnen handelte es sich vor allem um Folgendes: Nach der schon herkömmlich vertretenen allgemeinen Auffassung war der Tatbestandsvorsatz konstitutives Element des Tatbestands beim Versuch, denn ohne den Vorsatz und seinen Inhalt läßt sich nicht sagen, welches Delikt der Täter versucht hat. Wenn der Tatbestandsvorsatz aber beim Versuch konstitutiv für das tatbestandsmäßige Unrecht ist, dann kann er bei Eintritt des Erfolges nicht wieder aus dem Unrechtsbereich herausspringen und erst für die Schuld Bedeutung haben. Den bisherigen Widerspruch beseitigte der personale Unrechtsbegriff. Auch ermöglichte dieser Unrechtsbegriff eine Lösung der Frage des Irrtums über die Rechtswidrigkeit. Indem der Tatbestandsvorsatz danach bereits beim Tatbestand einzuordnen ist, das Unrechtsbewußtsein dagegen erst die Schuld betrifft, ließ sich das sachentsprechende Ergebnis erzielen, daß der vermeidbare Irrtum über die Rechtswidrigkeit nicht zum Vorsatzausschluß und daher bei nicht bestehender Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zur Straflosigkeit führt, sondern daß eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat (in geminderter Schuld) möglich ist. Ebenfalls wurde der personale Unrechtsbegriff durch die Teilnahmelehre bestätigt. Anstiftung und Beihilfe erfordern eine vorsätzliche Haupttat. Dies zeigt sich bei der Anstiftung schon aus deren Definition als Hervorrufung des Tatentschlusses. Bei Verzicht auf die Vorsätzlichkeit der Haupttat würde die Grenze zwischen Teilnahme und mittelbarer Täterschaft eingerissen. Indem die personale Unrechtslehre den Tatbestandsvorsatz bereits als Tatbestandserfordernis und damit als unrechtskonstitutiv erkannte, ließ die Einführung der sogenannten limitierten Akzessorietät, also die Unabhängigkeit der Strafbarkeit des Teilnehmers von der Schuld des Haupttäters, die Notwendigkeit der Vorsätzlichkeit der Haupttat unberührt. Ein wichtiger weiterer Punkt waren die Erkenntnisse, die sich aus der personalen Unrechtslehre für das fahrlässige Delikt eröffneten. Gerade bei diesem wird sehr deutlich, daß die Rechtsordnung das Sozialleben völlig lähmen würde, wenn nicht für das Handlungsunrecht des fahrlässigen Delikts die Sorgfaltswidrigkeit notwendig wäre. 14 Vgl. aus dem heutigen Schrifttum etwa Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S. 565 f.; Lenckner, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl. 2001, Vor § 13 Rn. 54 ff.; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 3. Aufl. 1997, § 10 Rn. 9, 62 ff., § 24 Rn. 3 ff.; Schroeder, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., 14. Lieferung, 1994, § 16 Rn. 146; Hirsch (Fn. 6), Vor § 32 Rn. 183 ff. mit weiteren Nachweisen. Eine Mindermeinung (insbesondere vertreten von Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972, S. 48 ff., 55 ff.) will schon die individuelle Voraussehbarkeit des Erfolgs den Tatbestandserfordernissen zuordnen. Die sich hiergegen erhebenden Einwände näher bei Hirsch, Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre (Teil II), in: ZStW 94 (1982), S. 239, 266 ff.

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Grundsätzliche Fragen

Alle diese Lösungen wurden auch von der Rechtsprechung aufgegriffen und sind zudem ausdrücklich in den neuen Allgemeinen Teil von 1975 des deutschen Strafgesetzbuchs aufgenommen worden. 15 Die theoretische Grundlage der personalen Unrechtslehre, nämlich die sogenannte „finale Handlungslehre“, wurde und wird von der herrschenden Lehre aber weiterhin abgelehnt. Man begnügt sich damit, daß man auf die geschilderten sachentsprechenden Lösungen und wertend auf das „Wesen der Rechtswidrigkeit“, den „sozialen Sinn“ des tatbestandsmäßigen Verhaltens oder „subjektive Zurechnung“ verweist. 16 Den Hintergrund bildet ein Streit, der unter der Überschrift „Normativismus oder Ontologismus?“ steht. Welzel hatte seine Kritik an dem von ihm vorgefundenen früheren System, das auf den kausalen Handlungsbegriff aufbaute, darauf gestützt, daß die Dogmatik mit theoretischen, normativ gebildeten Kunstprodukten arbeitete, anstatt von den vorrechtlichen Phänomenen der Wirklichkeit auszugehen. 17 Der Handlungsbegriff bildete für ihn dabei den wichtigsten Beispielsfall. Entgegen dem theoretisch gekünstelten kausalen Handlungsbegriff sei Handlung ein vom Willen des Menschen gesteuerter Vorgang. Auch bei anderen Punkten wurde von ihm auf die Seinsstruktur hingewiesen und die Notwendigkeit, daß Gesetzgeber und Dogmatik sie bei ihren Überlegungen beachten, betont. In diesem Zusammenhang war davon die Rede, daß von der ontischen Seite ausgegangen werden müsse. 18 Hiergegen wandte sich die herrschende Lehre mit dem Argument, daß nicht aus Seinsbefunden rechtliche Entscheidungen abgeleitet werden dürften, und bezeichnete die von ihr abgelehnte Richtung als Ontologismus. 19 Ihr gegenübergestellt wurde und wird der Normativismus. Danach sollen Gesetzgeber und Dogmatik frei sein in der Bildung ihrer Begriffe und damit die vorrechtliche und die sachlogische Struktur eines Phänomens unbeachtlich sein. 20

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Vgl. BGHSt. (GrS) 2, 194 (Verbotsirrtum); BGHSt. 9, 370 (Vorsatzakzessorität bei Teilnahme), BGHZ (GrS) 24, 21 (Unrechtserfordernisse der Fahrlässigkeit). Im neuen Allgemeinen Teil des StGB vgl. § 17 (Verbotsirrtum), § 22 (Versuch), §§ 26, 27, 29 (Vorsatzakzessorietät bei Teilnahme). 16 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 14), S. 241 f.; Lenckner (Fn. 14), Vor § 13 Rn. 52 f.; Roxin (Fn. 14), § 7 Rn. 22, § 10 Rn. 61 ff., § 12; jeweils mit weiteren Nachweisen. 17 Vgl. zusammenfassend Welzel, Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, in: Erinnerungsgabe für Grünhut, 1965, S. 173 ff. (abgedruckt auch bei Welzel, Abhandlungen [Fn. 10], S. 345 ff.). 18 Vgl. Welzel (Fn. 17), S. 174 ff. Vom ontologischen Ansatz sprach insbesondere auch Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. XVI und 16 ff. Siehe außerdem den Titel des von Kaufmanns Schülern herausgegebenen Sammelbandes seiner Aufsätze „Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert“, 1982. 19 Der Einwand, die Ontologie werde zur Rechtsquelle erhoben, findet sich insbesondere bei Roxin (Fn. 13), S. 515, 518 f., 522, 527, 547 f. 554; ders. (Fn. 14), § 8 Rn. 25; und Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, S. VII.

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Die überwiegende Lehre, die also von der personalen Unrechtslehre nicht die Begründung, sondern nur die systematischen Folgerungen übernommen hat, begnügte sich nicht mit dieser Rezeption, sondern verband sie mit der schon erwähnten Lehre von der objektiven Zurechnung, wie sie von dem Münchner Strafrechtler Claus Roxin vertreten wird. 21 Diese war, wie schon erwähnt, ursprünglich als Gegenentwurf zur personalen Unrechtslehre entwickelt worden. Jetzt begriff man sie nicht mehr als Theorie für den gesamten Tatbestand, sondern als Theorie für dessen im objektiven Tatbestand bestehenden Teil. Die Lehre von der objektiven Zurechnung besagt nach Roxin: Die Verursachung eines tatbestandlichen Erfolges erfüllt nur dann den objektiven Tatbestand einer Straftat, wenn eine vom Täter geschaffene, nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckte Gefahr innerhalb der Reichweite des Tatbestands gegeben ist. 22 Als Hauptanwendungsfälle, in denen die objektive Zurechnung fehlen soll, werden beim Vorsatzdelikt die wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf und die Sachverhalte mangelnder Steuerbarkeit eines als möglich vorhergesehenen Erfolges angeführt. Beim fahrlässigen Delikt werden als Hauptbeispiele genannt: der zwischen sorgfaltswidriger Handlung und Erfolg erforderliche Pflichtwidrigkeitszusammenhang und die Fälle des Schutzzwecks der Norm. Außerdem soll der sogenannte Unmittelbarkeitszusammenhang beim erfolgsqualifizierten Delikt ein Anwendungsbeispiel sein. Der Handlung wird von dieser Lehre der objektiven Zurechnung keine für das Deliktssystem konstitutive Rolle beigemessen. Der Handlungsbegriff soll praktisch nur besagen, daß bloße innerlich bleibende Gemütsäußerungen, Reflexbewegungen und dergleichen von vornherein bei der Zurechnung außer Betracht bleiben. 23 Die an der normwidrigen Handlung orientierte Sicht der herkömmlichen Dogmatik wird ersetzt durch die Fragestellung, ob der Täter für einen von ihm verursachten Erfolg unter dem Gesichtspunkt gerechter Bestrafung zu haften hat. 24 Erheblich weniger Anhänger hat eine in den 60er Jahren von dem inzwischen verstorbenen Bonner Strafrechtler Armin Kaufmann begründete Richtung 25 ge20 Roxin (Fn. 13), S. 523. Siehe auch Jakobs (Fn. 19), S. VII f.; Lenckner (Fn. 14), Vor § 13 Rn. 31 ff.; Schünemann, Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 1, 51. 21 Vgl. Roxin (Fn. 14), § 11 Rn. 39 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 14), S. 286 ff.; Lenckner (Fn. 14), Vor § 13 Rn. 91 ff.; Wessels / Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 34. Aufl. 2004, Rn. 178 ff. 22 Roxin (Fn. 14), § 11 Rn. 39 ff., 47 ff. Lenckner (Fn. 14), Vor § 13 Rn. 92, verwendet die Formulierung, daß ein tatbestandsmäßiger Erfolg nur dann zurechenbar sei, wenn der ursächliche Täter eine rechtlich verbotene Gefahr geschaffen und diese sich in dem konkret eingetretenen Erfolg verwirklicht habe. Auch von der Schaffung einer „rechtlich mißbilligten Gefahr“ ist die Rede; vgl. Tröndle / Fischer, Strafgesetzbuch, 52. Aufl. 2004, Vor § 13 Rn. 17. 23 Vgl. Roxin, (Fn. 14), § 8 Rn. 51 ff., 63 ff.

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funden, bei der es sich um eine subjektivistische Abspaltung von der personalen Unrechtslehre handelt. Nach dieser Auffassung soll sich das Unrecht des Vorsatzdelikts bereits in der beendeten Versuchshandlung erschöpfen. Damit, daß der Täter alles getan habe, was nach seiner Vorstellung zum Eintritt des von ihm gewollten Erfolges notwendig ist, sei das personale Unrecht voll erfüllt. Wenn der Erfolg ausbleibt, so liege das außerhalb der Einflußnahme des Täters. Der Täter habe mit dem beendeten Versuch vielmehr alles getan, was ihm die Verbotsnorm untersagen konnte. Konsequent wird demgemäß von dieser Lehrmeinung bezweifelt, ob es richtig ist, daß die geltenden Strafgesetzbücher grundsätzlich zur Vollendung den Erfolgseintritt verlangen. Eine andere Strömung will die Merkmale des Delikts akzentuiert von der Strafe her bestimmen. Das Straftatsystem soll insgesamt „funktional“ von den Strafzwecken her neu zu entwickeln sein. Diese von einigen Autoren vertretene Richtung, die sich als „funktionales“ Systemdenken bezeichnet, wird von dem Münchner Strafrechtler Bernd Schünemann wie folgt beschrieben: Die Systemstufen der Straftat seien aus den leitenden Wert- und Zwecksetzungen abzuleiten, wobei eine sozialwissenschaftlich fundierte Ausdifferenzierung des Präventionszwecks als Leitwert der Strafrechtspflege die Grundlage bilde. 26 Größere Aufmerksamkeit hat der Funktionalismus in der von dem Bonner Strafrechtler Günther Jakobs vertretenen Version gefunden. Jakobs fordert, sämtliche Begriffe der Strafrechtsdogmatik von den Aufgaben des Strafrechts her mit Inhalt zu füllen, so daß Begriffe wie Kausalität, Können, Fähigkeit, Schuld usw. ihren vorrechtlichen Inhalt verlieren und erst im Zusammenhang strafrechtlicher Regelungen entstehen. 27 Es müsse eine umfassende Normativierung der systematischen Begriffe des Allgemeinen Teils erfolgen. Diese habe sich an der Generalprävention auszurichten. Weitgefaßte Gesichtspunkte wie „Zurechnung“, „Zuständigkeit“, „Normbruch“ und „Wiederherstellung der Normgeltung durch Normstabilisierung“ spielen für ihn die Schlüsselrolle. Er gelangt daher zu einem Relativismus aller systematischen Begriffe. Selbst die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld soll an sich überflüssig sein und eigentlich nur didaktische Bedeutung haben. Beide, auch die Schuld, seien Derivate der Generalprävention.

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Näher dazu Hirsch, Zur Lehre von der objektiven Zurechnung, in: Festschrift für Lenckner, 1998, S. 119, 131 ff., mit weiteren Nachweisen. Dort auch der Hinweis, daß Roxin seinen Ausgangspunkt nicht konsequent durchhält. 25 Armin Kaufmann, Die Dogmatik im Alternativ-Entwurf, in: ZStW 80 (1968), S. 34, 50 f.; ders.: Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, in: Festschrift für Welzel, 1974, S. 393, 403, 411. 26 Schünemann (Fn. 20), S. 51, 55 f. 27 Jakobs (Fn. 19), S. V f.

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II. Betrachtet man die geschilderten Auffassungen, so zeigt sich, daß die von Kaufmann und auch die funktionalistischen kaum zukunftsweisend sind. Die Auffassung von Kaufmann stellt eine Übertonung der subjektiven Seite dar. Daß der Erfolg auch auf der Grundlage des personalen Unrechtsbegriffs unrechtskonstitutiv ist, entspricht der herrschenden Lehre. 28 Eine vollendete Handlung besteht in der Verwirklichung eines Willensinhaltes. Dazu gehört beim Vorsatzdelikt auch der tatbestandliche Erfolg, denn um dessen Verwirklichung ist es dem Täter gerade zu tun. Hat der Täter den Erfolg nicht erreicht, so ist es ihm nicht gelungen, das Kausalgeschehen entsprechend zu beherrschen. Vollendet ist also die Handlung nicht bereits mit dem auf die Erfolgsverwirklichung gerichteten Akt, sondern mit der Realisierung des Gewollten. Das wird noch besonders anschaulich, wenn man anstelle strafbarer Verhaltensweisen einmal Tätigkeiten betrachtet, die auf sozial positiv zu bewertende Ziele gerichtet sind. Auch wäre die Konsequenz der subjektivistischen Auffassung Kaufmanns, daß man den beendeten Versuch, weil er nach ihr schon das volle personale Unrecht darstellen soll, bei allen Delikten pönalisieren müßte, was eine offensichtlich verfehlte große Ausweitung der Strafbarkeit bedeuten würde. Der Anhängerkreis jener Auffassung ist deshalb im wesentlichen auf Schüler Kaufmanns beschränkt geblieben. 29 Wenig Anhänger haben in Deutschland auch die funktionalistischen Konzepte gefunden. Schünemann räumt selbst ein, daß sich aus dem von ihm vertretenen Ansatz keine wesentlichen neuen Ergebnisse gewinnen lassen. 30 Und massiver Ablehnung sieht sich die Auffassung von Jakobs ausgesetzt. 31 Man kritisiert, daß der von ihr vertretene radikale Normativismus, wonach alle Begriffe des Gesetzes 28 Vgl. die Nachweise und Ausführungen bei: Stratenwerth, Zur Relevanz des Erfolgsunwertes im Strafrecht, in: Festschrift für Schaffstein, 1975, S. 177, 182 ff.; Gallas, Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs, in: Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 153, 161 ff.; Hirsch (Fn. 14); S. 240 ff.; ders., Handlungs-, Sachverhalts- und Erfolgsunwert, in: Gedächtnisschrift für Meurer, 2002, S. 3, 4 ff.; mit eingehenden Nachweisen. 29 Insbesondere Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973, S. 135 ff., 205 ff.; ders., in: Alternativkommentar StGB, 1990, §§ 15, 16 Rn. 7, 107; Struensee, Versuch und Vorsatz, in: Gedenkschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 523, 534 ff.; ders., Verursachungsvorsatz und Wahnkausalität, in: ZStW 102 (1990), S. 21, 49. 30 Schünemann (Fn. 26), S. 18 f. (nur „zu erwartende Verfeinerungen und Verbesserungen des überkommenen Bestands des von der personalen Unrechtslehre geprägten Strafrechtssystems“). 31 Gegen sie Jescheck / Weigend (Fn. 14), S. 215 f.; Lenckner (Fn. 14), Vor § 13 Rn. 117 f.; Hirsch, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, in: Festschrift 600 Jahre Universität Köln., 1988, S. 399, 417 ff.; Schünemann, Strafrechtssystem und Kriminalpolitik, in: Festschrift für R. Schmitt, 1992, S. 117, 135; mit weiteren Nachweisen. Von außerdeutschen Autoren siehe insbesondere Moreno Hernandez (Mexico City), Über die Verknüpfung von Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, in: Festschrift für Roxin, 2001,

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durch und durch als Produkte des Gesetzgebers zu verstehen seien, die Verknüpfung von Recht und vorrechtlicher Wirklichkeit vollständig aufgebe. Auch der Ansatz, den Unrechtsgehalt der Straftat ausschließlich unter dem Blickwinkel des Normbruchs als solchem zu sehen, nicht aber von dem durch die Norm geschützten Rechtsgut auszugehen, wird als zu formale Sichtweise abgelehnt. Ebenfalls werden die von Jakobs in der Argumentation ständig verwandten Begriffe „Zuständigkeit“ und „Normstabilisierung“ als dogmatisch ungeeignet eingeschätzt, weil sie viel zu weit und unbestimmt sind. Es wird zu Recht bezweifelt, ob von ihnen aus überhaupt ein dogmatisches System mit genaueren Differenzierungen möglich ist. Man verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, daß fast alle Ergebnisse, zu denen Jakobs gelangt, mit denen identisch sind, welche die herkömmliche Dogmatik bereits entwickelt hatte. Ferner wird die These, daß Schuld ein Derivat der Generalprävention sei, entschieden kritisiert. Denn eine solche Auffassung bedeutet eine Entindividualisierung des Schuldbegriffs und verkennt, daß Schuld als Gegenbegriff zur Generalprävention dient, der den Täter vor generalpräventiv begründeten exzessiven Bestrafungen schützen soll. 32 Ernsthaft stehen sich daher in der heutigen deutschen Diskussion nur zwei grundsätzliche Konzepte gegenüber: das von Roxins Lehre von der objektiven Zurechnung und das einer weiterentwickelten personalen Unrechtslehre. Der Gegensatz wird häufig noch auf die Formel „Normativismus oder Ontologismus?“ gebracht, was aber ungenau ist. Denn kein Vertreter beider Richtungen vertritt, genauer betrachtet, einen reinen Normativismus, geschweige denn einen puren Ontologismus. Vielmehr erkennt auch Roxin bei seinem von ihm als „teleologischkriminalpolitisch“ bezeichneten Konzept an, daß sich „Widerstand der Sache“ ergeben kann. 33 Und umgekehrt ist es, wenn man näher hinsieht, bei Welzel, dem Begründer der personalen Unrechtslehre, nicht eigentlich um die Unterscheidung von Sein und Recht gegangen. Es ging ihm vielmehr darum, daß Dogmatik, Gesetzgebung und Justiz die Strukturen und sonstigen vorrechtlichen oder vorstraflichen Wesensmerkmale der jeweiligen Gegenstände der strafgesetzlichen Regelungen beachten. Denn auch Regelungsgegenstände mit normativer Natur, wie beispielsweise Ehre, Eigentum oder Urkunde, wurden von ihm einbezogen. 34

S. 69, 90 („Kehrtwendung zum Normativismus bedeutet nichts anderes als eine Kehrtwendung zum rechtlichen Positivismus“). 32 Bock, Ideen und Schimären im Strafrecht, in: ZStW 103 (1991), S. 636, 643, 647 ff., 654 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 14), S. 216; Hirsch, Das Schuldprinzip im Strafrecht, in: ZStW 106 (1994), S. 746, 752 ff.; mit weiteren Nachweisen. 33 Roxin (Fn. 14), § 7 Rn. 47 und 84. 34 Vgl. Welzel (Fn. 17), S. 188 f. Dazu, daß es nicht lediglich um den Gegensatz von Sein und Sollen geht, sondern um das Verhältnis von Strukturen des Regelungsgegenstandes und Recht, siehe auch Hirsch, Gibt es eine national unabhängige Strafrechtswissenschaft?, in: Festschrift für Spendel, 1992, S. 43, 55. Die normativistische Richtung im Strafrecht tendiert jedoch zu an den Strafzwecken orientierten rein strafrechtlichen Wertungen. Dies

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Man sollte daher nicht mit Schlagworten arbeiten, sondern sich stattdessen die einzelnen Sachfragen ansehen: Für die Lehre von der objektiven Zurechnung ist anzuführen, daß Welzel beim Vorsatzdelikt die Aufmerksamkeit noch zu einseitig auf den subjektiven Tatbestand gelenkt hatte. Allerdings wurde von ihm immerhin schon erkannt, daß es bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht erst auf die subjektive Tatseite ankam, sondern bereits im objektiven Tatbestand neben der Kausalität ein weiteres objektives Erfordernis eine Rolle spielt: die Tatherrschaft. 35 Grundsätzlich aber sollte beim Vorsatzdelikt der objektive Tatbestand mit der – nach der Äquivalenztheorie zu bestimmenden – Verursachung des Erfolges erfüllt sein. 36 Mit Recht weisen die Anhänger der Lehre von der objektiven Zurechung deshalb darauf hin, daß es Fälle gibt, in denen trotz Kausalität die objektive Seite des tatbestandlichen Unrechts des Vorsatzdelikts noch nicht gegeben ist. Als Beispielsfall wird von Roxin in seinem Lehrbuch zu Anfang der Einführung in den Problemkreis der Fall genannt, daß jemand einen anderen bei einem aufkommenden Gewitter in den Wald schickt in der Hoffnung, der andere werde durch einen Blitz erschlagen werden, und dieser Erfolg auch tatsächlich eintritt. 37 Bekannte weitere Lehrbuchbeispiele sind der „Krankenhausbrand-Fall“ und der „ErbonkelFall“. Bei ersterem handelt es sich darum, daß das Opfer eines mit Tötungsvorsatz abgegebenen Schusses nicht direkt durch diesen, sondern erst durch einen unerwarteten Brand des Krankenhauses zu Tode kommt. Und das „Erbonkel-Beispiel“ betrifft den Fall, daß der Neffe seinen Onkel zu einer Flugreise in der Hoffnung überredet, das Flugzeug werde abstürzen, und sich dies überraschenderweise auch tatsächlich ereignet. Hier den objektiven Tatbestand zu bejahen, überdehnt infolge der Weite der Kausalität die objektive Seite des Unrechts. Daß Welzel mit der herkömmlichen Meinung erst den Vorsatz verneinen oder im Erbonkel-Fall auf einen so unbestimmten Auslegungsgesichtspunkt wie den der Sozialadäquanz zurückgreifen wollte, 38 spiegelt nur wider, daß es sich in Wahrheit bereits um Defizite bei den Merkmalen des objektiven Tatbestandes handelt. Denn der Vorsatz ist hier zu verneinen, weil der Wille sich auf etwas richtet, was schon objektiv keine Unrechtsrelevanz für den Handelnden hat. 39 führt nicht nur zu einer völligen Unbestimmtheit und Manipulierbarkeit der Begriffe, sondern birgt auch die Gefahr einer die vorgegebenen Begriffe hinter sich lassenden Ausdehnung der Strafbarkeit. Zu diesen Fragen vgl. Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990. 35 Vgl. Welzel (Fn. 4), S. 100 ff. 36 Vgl. Welzel (Fn. 4), S. 45. 37 Siehe Roxin (Fn. 14), § 11 Rn. 39. 38 Im Gewitter-Fall erst für Vorsatzausschluß Welzel (Fn. 4), S. 66. Für die herkömmliche Lehre siehe Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931, § 59 Fn. V. Zum Rückgriff auf den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz im Erbonkel-Fall vgl. Welzel (Fn. 4), S. 56.

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Es erhebt sich jedoch die Frage, ob die Lehre von der objektiven Zurechnung die überzeugende Lösung bietet. Sieht man sich jene Fälle genauer an, stellt man fest, daß es gar nicht um spezifische Erwägungen strafrechtlicher Zurechnung geht, sondern hinsichtlich des konkret eingetretenen Erfolges die objektive Seite einer Tötungshandlung fehlt. Bei jeder Handlung spielen die Erfordernisse der objektiven Beherrschbarkeit des Kausalverlaufs und die aus der Sicht ex ante zu beantwortende Verwirklichungseignung eine Rolle. 40 Hier aber ist es völlig dem Zufall überlassen, wann, wie, wo und bei wem der betreffende Erfolg eintritt. Infolgedessen geht es von vornherein um eine allgemeine, schon vorrechtliche Handlungsproblematik – und dieser ist deshalb bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestands Rechnung zu tragen. Das Anliegen der Lehre von der objektiven Zurechnung, die Weite der Kausalität mit Hilfe zusätzlicher objektiver Gesichtspunkte einzugrenzen, läßt sich mithin problemlos in eine an der Handlung ausgerichteten weiterentwickelten personalen Unrechtslehre integrieren. Bei den von den Anhängern der Lehre von der objektiven Zurechnung genannten sonstigen Fällen – von der Risikoerhöhung über den Schutzzweck der Norm bis zum Unmittelbarkeitszusammenhang beim erfolgsqualifizierten Delikt – geht es um spezifische Fragen des fahrlässigen Delikts und des erfolgsqualifizierten Delikts. 41 Da bei solchen Delikten anders als beim Vorsatzdelikt die Willenshandlung nicht den Erfolg umfaßt, dieser vielmehr nur eine ungewollte Auswirkung der sorgfaltswidrigen Handlung ist, stellt sich hier die Frage der objektiven Zurechnung einer solchen Auswirkung. Aber damit geht es nur um einen spezifischen Deliktskreis und nicht um eine allgemeine Unrechtslehre. Wissenschaftstheoretisch ist gegen die Lehre von der objektiven Zurechnung anzuführen, daß sie Sachprobleme heterogener Art katalogartig zusammenfaßt, ohne eine wissenschaftliche Erklärung dafür geben zu können, weshalb sie dort einzuordnen sind. Auch geht jene Lehre ebenso wie die kausale Unrechtslehre und deren Version „Relevanztheorie“ 42 von übereinstimmenden allgemeinen Voraussetzungen des objektiven Unrechtstatbestands von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten aus. Bei solcher Harmonisierung wird jedoch nicht nur die im vorhergehenden bereits aufgezeigte grundsätzliche sachliche Verschiedenheit des Unrechts vorsätzlicher und fahrlässiger Delikte verkannt, sondern auch das Faktum außer Betracht gelassen, daß infolge dieser Verschiedenheit das Unrecht zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnt. 43 Eine sorgfaltswidrige Handlung kann 39

Das habe ich von der personalen Unrechtslehre aus bereits in kritischer Auseinandersetzung mit der Lehre von der objektiven Zurechnung konzediert; vgl. Hirsch (Fn. 24), S. 123 f., 125, 127, 131 ff., 141 f. 40 Näher Hirsch (Fn. 24), S. 134 ff.; mit eingehenden Literaturangaben auch Küpper (Fn. 34), S. 91 ff. 41 Näher Hirsch (Fn. 24), S. 127 ff. Dort auch im einzelnen kritisch zur von der herrschenden Meinung abgelehnten Risikoerhöhungstheorie (mit weiteren Nachweisen). 42 Zu dieser vgl. Mezger (Fn. 8), S. 122 ff.

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viel früher liegen als die einer Vorsatztat, weil letztere an die Voraussetzungen des Versuchsbeginns geknüpft ist. Auch der von der Lehre von der objektiven Zurechnung genannte allgemeine Gesichtspunkt, daß der Täter eine das erlaubte Risiko überschreitende (verbotswidrige) Gefahr geschaffen haben müsse, ist sehr unpräzise. Denn eine konkrete Gefahrenlage für das geschützte Rechtsgut ist sicherlich bei vielen Tatbeständen nicht erforderlich, sondern nur ein aus der Sicht ex ante abzuschätzendes objektives Risiko der Verwirklichung der tatbestandlichen Handlung. 44 Und was die Verbotswidrigkeit betrifft, eignet sie sich nicht als Voraussetzung der Tatbestandsmäßigkeit, sondern ist erst deren Ergebnis. Wäre die Verbotswidrigkeit bereits Merkmal des objektiven Tatbestands, würde auch die Konsequenz sein, daß der Verbotsirrtum sachwidrig bereits den Vorsatz ausschließen müßte. Eine systematisch stimmigere Deliktssystematik bietet meines Erachtens daher eine weiterentwickelte personale Unrechtslehre: Im Unterschied zu der vom Erfolg ausgehenden Lehre von der objektiven Zurechnung ist für sie der Normbefehl, also das Verbot oder Gebot, der Ausgangspunkt. Rechtfertigung und Schuld beziehen sich stets auf normwidriges Verhalten. Da die Verbote und Gebote sich auf das Unterbleiben oder auf die Vornahme von Handlungen richten, ist der Handlungsbegriff der Basisbegriff der Regelungsgegenstände, wie man auch vor dem Erscheinen der heutigen Lehre von der objektiven Zurechnung allgemein angenommen hat. Wenn man das dogmatische System von der Norm und der Handlung als deren Gegenstand aufbaut, hat man eine wissenschaftliche Grundlage. Es zeigt sich dabei, wie schon im vorhergehenden verdeutlicht wurde, daß beim Vorsatzdelikt diejenigen Gesichtspunkte, die über Kausalität und Erfolg hinaus beim objektiven Tatbestand zu berücksichtigen sind, sich aus dem Handlungsbegriff ergeben: die Gefährlichkeit (aus der ex anteSicht eines objektivierten verständigen Dritten) und die Tatherrschaft in bezug auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestands. Die erwähnten Beispielsfälle – vom Gewitter-Fall bis zum Erbonkel-Fall – machen zudem bewußt, daß die von der Lehre der objektiven Zurechnung angestoßene Debatte weniger praktisch als theoretisch von Bedeutung ist, soweit es sich um die Vorsatzdelikte handelt. Bei den Fahrlässigkeitsdelikten werden dagegen zwar viele Gesichtspunkte, die von jener Lehre vorgebracht werden, auch praktisch sehr bedeutsam. Aber 43 Näher Hirsch (Fn. 24), S. 139 f.; ders. (Fn. 12), S. 522 ff., 536. Die bereits in objektiver Hinsicht bestehende sachliche Verschiedenheit wird auch bei dem Gegenstand der Einwilligungsfrage bedeutsam; vgl. Hirsch (Fn. 12), S. 533 f. Den unterschiedlichen Tatbeginn betont auch BGHSt. 42, 235, 236 f. 44 Zur Unterscheidung von Gefahr und Risiko (Gefährlichkeit) siehe Hirsch, Gefahr und Gefährlichkeit, in: Festschrift für Arthur Kaufmann, 1993, S. 545 ff.

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sie ergeben sich, wie schon gesagt, hier aus der schon erwähnten Struktur des Fahrlässigkeitsunrechts als Handlungsunrecht der sorgfaltswidrigen Handlung und daraus entstandenem zuzurechnenden Erfolgsunrecht. Die von der Lehre von der objektiven Zurechnung genannten Gesichtspunkte bringen hier nichts Neues, sondern fanden sich schon bisher in der Dogmatik des fahrlässigen Delikts (und auch des erfolgsqualifizierten Delikts) bei den Vorausetzungen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs, der zwischen sorgfaltswidriger Handlung und Erfolg gegeben sein muß. 45 Eine weiterentwickelte personale Unrechtslehre eröffnete auch Perspektiven für eine universale Strafrechtswissenschaft. Herkömmlich wird Strafrechtswissenschaft zumeist als eine durch die jeweiligen nationalen Regelungen vorgegebene Auslegungstechnik verstanden – als ein verlängerter Arm des nationalen Gesetzgebers und der nationalen Justiz. Von Wissenschaft im eigentlichen Sinne kann dabei keine Rede sein. Denn Wissenschaft ist dadurch charakterisiert, daß sie nach allgemeingültigen, nicht dem Wechsel menschlicher Disposition unterliegenden, bleibenden Einsichten sucht. Indem die personale Unrechtslehre darauf hinweist, daß die Strukturen der den rechtlichen Regelungen vorgegebenen Phänomene beachtet werden müssen, und sie diese Strukturen aufzeigt – zum Beispiel den Handlungsbegriff, die Formen der Teilnahme, das Wesen des Unterlassens usw. –, ermöglicht sie den Transfer der auf solcher Grundlage gewonnen Ergebnisse über die nationalen Grenzen hinweg. Allerdings ging es dabei zunächst noch um punktuelle Bereiche. Inzwischen aber wird deutlich, daß der auf ein im strengen Sinne wissenschaftliches System gerichtete Ansatz eine universale Strafrechtswissenschaft ermöglicht. 46 Bei dieser geht es darum, daß aufgezeigt wird, welche allgemeinen Folgerungen sich aus den Grundprinzipien des Strafrechts – namentlich dem Tatprinzip und dem Schuldprinzip – für die Deliktsvoraussetzungen ableiten. Sie entwirft daraus ein Grundmodell der allgemeinen Deliktserfordernisse. Von ihm aus kann sie Reformvorschläge für die nationale Gesetzgebung äußern und Auslegungsspielräume des nationalen Strafrechts ausfüllen. Der auf spezielle Inhalte des nationalen Rechts ausgerichteten nationalen Strafrechtswissenschaft verbleibt demgegenüber vor allem die Auslegung des Besonderen Teils, außerdem die von national unterschiedlich genutzten Regelungsspielräumen im Allgemeinen Teil (zum Beispiel des quantitativen Umfangs der Anerkennung des Entschuldigenden Notstands).

45 Siehe Welzel (Fn. 4), S. 136 f., sowie Oehler, Das erfolgsqualifizierte Delikt als Gefährdungsdelikt, ZStW 69 (1957), S. 503 ff. 46 Näher dazu Hirsch, Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtswissenschaft. Nationale und universale Strafrechtswissenschaft, in: ZStW 116 (2004), S. 835 ff.

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III. Neben dem geschilderten Grundsatzstreit gibt es in Deutschland einige weitere Hauptpunkte der gegenwärtigen dogmatischen Diskussion: 1. Ein aktuelles Problem bildet der Umfang der mittelbaren Täterschaft. In den Strafverfahren gegen leitende Funktionäre der ehemaligen DDR wegen der nach dem Recht der DDR ebenso wie nach internationalem Recht rechtswidrigen Todesschüsse an der deutsch-deutschen Grenze, insbesondere der Berliner Mauer, hat der Bundesgerichtshof mittelbare Täterschaft bejaht. 47 Die schießenden Grenzsoldaten wurden als unmittelbare Täter verurteilt. Für die mittelbare Täterschaft ist als Begründung die hierarchische Befehlsstruktur angeführt worden, bei der die Steuerung des Geschehens durch die an der Spitze der Befehlskette stehenden Funktionäre erfolgt ist. Diese Auffassung ist übrigens auch vom argentinischen Obersten Gerichtshof bei der Aburteilung der von der dortigen Militärjunta angeordneten Verbrechen vertreten worden. 48 Der deutsche Bundesgerichtshof meint, jene Form der mittelbaren Täterschaft passe nicht nur für die spezifischen Befehlsstrukturen von Unrechtsregimen und mafiösen Organisationen, sondern auch für die hierarchischen Strukturen von Wirtschaftsunternehmen. 49 Daher könnten auch die Mitglieder eines Unternehmensvorstandes wegen der Anweisung an Untergebene, daß diese Wirtschaftsstraftaten, beispielsweise Betrügereien zu Gunsten des Unternehmens begehen, als Täter und nicht lediglich als Anstifter strafbar sein. Damit werden jedoch die Grenzen zwischen Täterschaft und Anstiftung verwischt. Das Kriterium der massiven und unentrinnbaren Zwangslage des Werkzeugs ist im Wirtschaftsbereich im Unterschied zu Unrechtsregimen nicht gegeben. Im Schrifttum stößt die Ausdehnung der mittelbaren Täterschaft auf die Strukturen von Wirtschaftsunternehmen deshalb vielfach auf Widerspruch. 50 Interessant ist, daß diese extensive Ansicht des Bundesgerichtshofs bisher in der Praxis keine größere Bedeutung erlangt hat. 2. Ein zweites aktuelles Diskussionsthema bildet der Rechtsgutsbegriff. Zu den klassischen Thesen der Strafrechtswissenschaft gehört, daß der Rechtsgutsbegriff dem Gesetzgeber Schranken möglicher Strafbarkeit setzt. Er liefere dem Gesetzgeber den Maßstab dafür, was strafrechtlich geschützt werden darf und was straflos belassen werden muß. Neuerdings wird dies wieder von mehreren Autoren bestritten und dem Begriff ausschließlich systemimmanente Bedeutung für die 47

BGHSt 40, 218. Mitgeteilt von Ambos,Tatherrschaft durch Willensherrschft kraft organisatorischer Machtapparate, in: GA 1998, S. 226, 238 f. 49 Vgl. BGHSt 40, 218, 237. 50 Vgl. Roxin, Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, in: Festgabe 50 Jahre BGH, Band IV, 2000, S. 177, 192 f.; Otto, Täterschaft kraft organisatorischen Machtapparates, in: Jura 2001, S. 753, 755 ff.; mit weiteren Nachweisen. 48

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Grundsätzliche Fragen

Auslegung des positiven Rechts beigelegt. 51 Einige gehen noch weiter, indem sie ihm, insbesondere bei zukunftsorientierten Bereichen wie dem Umweltstrafrecht, jegliche strafrechtliche Eignung absprechen wollen. 52 Hinsichtlich eines dem Gesetzgeber Schranken setzenden Rechtsgutsbegriff ist die zunehmende Kritik überzeugend. Denn keinem Interesse haftet von Natur aus an, daß es nicht zum Gegenstand strafrechtlichen Schutzes erhoben werden kann. Auch ist zu beachten, daß der Rechtsgutsbegriff kein auf das Strafrecht beschränkter Begriff ist. Es wird daher von den Kritikern mit Recht darauf hingewiesen, daß der Kreis der strafrechtlich zu schützenden Interessen von der Strafe her zu bestimmen ist. 53 Die Legitimation der Strafe setzt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und mit diesem das ultima ratio-Prinzips und das Subsidiaritätsprinzip voraus, so daß von daher die Grenzen zu ziehen sind. Die Frage, wie es sich mit einem systemimmanenten, also an den Inhalt des positiven Rechts anknüpfenden Rechtsgutsbegriff verhält, liegt auf einer anderen Ebene. Es geht bei einem solchen Rechtsgutsverständnis strafrechtlich darum, daß man bei der Auslegung der Strafbestimmungen des positiven Rechts danach fragt, welcher Individual- oder Gemeinschaftswert von der jeweiligen Vorschrift gegen Beeinträchtigungen geschützt werden soll, und daraus Folgerungen für die systematische Einordnung und die positivrechtlichen Grenzen einer Vorschrift zieht. Hinzuweisen ist etwa auf die Frage, ob es sich um ein Verletzungs- oder ein bloßes Gefährdungs- oder Gefährlichkeitsdelikt handelt, auf das Konkurrenzverhältnis zu anderen Strafbestimmungen, auf die Abwägung beim Rechtfertigenden 51 Vgl. Jakobs (Fn. 4), 2/22 ff.; Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 69, 71 ff.; Baratta, Jenseits der Strafe – Rechtsgüterschutz in der Risikogesellschaft, in: Festschrift für Arth. Kaufmann, 1993, S. 393, 407; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 146 f., 538 mit 427 f.; M. Köhler, Strafrecht Allg. Teil, 1997, S. 24 f.; Hirsch, Die aktuelle Diskussion über den Rechtsgutsbegriff, in: Festschrift für Spinellis, 2001, S. 425, 429 ff.; Wohlers, Schlußworte aus der Perspektive eines Rechtsgutsskeptikers, in: Hefendehl u. a. (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 281 ff., und schon Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972, S. 340, 350, 393 ff. Weitere Schrifttumsangaben bei M. Krüger, Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, 2000, S. 18. Nachdrücklich für Anerkennung eines die Legitimationsbedingungen strafrechtlicher Vorschriften vorgebenden Rechtsgutsbegriffs: Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, S. 5 f.; ders., Schlußworte aus der Perspektive eines Rechtsgutsbefürworters, in: Hefendehl u. a., S. 286 ff. Siehe auch Schünemann, Das Rechtsgüterschutzprinzip als Fluchtpunkt der verfassungsrechtlichen Grenzen der Straftatbestände und ihrer Interpretaion, in: Hefendehl u. a., S. 133, 141 ff. 52 So Stratenwerth, Zukunftssicherung mit den Mitteln des Strafrechts?, in: ZStW 105 (1993), S. 679, 683, 692 ff.; noch weitergehend in: Hefendehl, u. a., S. 293, 299 f., 307. 53 Vgl. Androulakis, Über den Primat der Strafe, in: ZStW 108 (1996), S. 300, 302 ff.; Hirsch (Fn. 4), S. 434 f. mit weiteren Nachweisen. An das Verfassungsrecht wollen Lagodny (Fn. 51), und Hassemer, in: Hefendehl u. a., S. 303, u. a. anknüpfen, was jedoch wegen des Fehlens klarer verfassungsrechtlicher Aussagen und von vornherein bei Fehlen eines Grundrechtsteils einer Verfassung kaum weiterführt.

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Notstand 54, auch auf die Rangfolge der Vorschriften im Besonderen Teil. Dieser systemimmanente Rechtsgutsbegriff ist unverzichtbar. 55 Seine Brauchbarkeit ist heute jedoch dadurch gefährdet, daß eine starke Tendenz zur Aufweichung zu beobachten ist, vor allem bei der Auslegung neuer Strafbestimmungen. 56 Diskutiert wird gegenwärtig deshalb, wie dieser Entwicklung entgegenzutreten ist. 57 Es geht um die Aufgabe, in den kritischen Fällen durch eine präzisere Herausarbeitung des jeweils hinter einer Regelung stehenden wahren Schutzgutes eine klare Basis für die Handhabung, Bewertung und möglicherweise auch Kritik der betreffenden Vorschrift zu gewinnen. Beispielsweise ist das geschützte Rechtsgut der Vorschriften des Straßenverkehrsrechts nicht die Sicherheit des Straßenverkehrs, sondern präziser sind es das Leben, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum der Verkehrsteilnehmer. Beachtet man das nicht, so werden bloße Gefährlichkeitsdelikte in Verletzungsdelikte verfälscht. Allgemein ufert das Kriminalstrafrecht durch eine solche Umetikettierungen immer mehr aus. 3. Weitere aktuelle Themenbereiche aus der Dogmatik des Allgemeinen Teils sind die Frage der Straffähigkeit juristischer Personen, die subjektive Versuchstheorie, das Problem der actio libera in causa, die Frage der Kausalität bei Kollegialentscheidungen, die Rolle besonderer persönlicher Merkmale im Akzessorietätszusammenhang der Teilnahme sowie die Behandlung unrechtsneutraler Handlungen bei der Teilnahme. Auf diese Themen kann hier nur verwiesen werden. 58 54 Vgl. § 34 dtsch. StGB, wo ausdrücklich von der Abwägung von Rechtsgütern die Rede ist. 55 Vgl. Gössel, Das Rechtsgut als ungeschriebenes strafbarkeitseinschränkendes Tatbestandsmerkmal, in: Festschrift für Oehler 1985, S. 97, 102 ff.; Hirsch (Fn. 53), S. 436 ff., 443 ff.; Jakobs (Fn. 4), 2/22 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 14), S. 259; M. Köhler, Strafrecht Allg. Teil, 1997, S. 24 f.; Lenckner (Fn. 14), Vor § 13 Rn. 9; u. a. 56 Darüber eingehend M. Krüger (Fn. 51), S. 15 ff., 20 ff. Siehe auch die Referate und Diskussionen in: Hefendehl u. a. (Fn. 51). 57 Vgl. Eser, Rechtsgut und Opfer. Zur Überhöhung des einen auf Kosten des anderen, in: Festschrift für Mestmäcker, 1996, S. 1005, 1014 f., 1021;Weigend, Bewältigung von Beweisschwierigkeiten durch Ausdehnung des materiellen Strafrechts?, in: Festschrift für Triffterer, 1996, S. 695, 708 f.; M. Krüger (Fn. 51); nachdrücklich auch Hassemer, in: Nomos-Kommentar zum StGB, 1995, Vor § 1 Rn. 274 ff., der dort jedoch die Lösung bei einem vorrechtlichen „personalen Rechtsgutsbegriff“ sucht; siehe auch ders.(Fn. 53). 58 Mit Nachweisen zum Streitstand siehe dazu näher: Hirsch, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, in: ZStW 107 (1995), S. 285 ff.; ders., Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, in: Festschrift für Roxin, 2001, S. 711 ff.; ders., Zur actio libera in causa, in: Festschrift für Nishihara, 1998, S. 88 ff.; ders., Zur Notwendigkeit der Auslegungsänderung und Neufassung der Teilnahmeregelungen bei „besonderen persönlichen Merkmalen“, Festschrift für Schreiber, 2003, S. 153 ff. Zu den Kausalitätsfragen siehe BGHSt 37, 106 (Lederspray-Fall); 41, 206 (Holzschutzmittel-Fall) und näher Roxin (Fn. 14), § 11 Rn. 16 f. und 18 f.; Zur Teilnahme durch „neutrale“ Handlungen siehe Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Band II, 2003, § 26 Rn. 218 ff., mit eingehenden Nachweisen.

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IV. Abschließend läßt sich feststellen, daß eine klare Dogmatik des Strafrechts einen erheblichen Gewinn für Theorie, Praxis und Rechtssicherheit bietet. Es kommt bei der Dogmatik darauf an, daß man Struktur und Wesen der wirklichen Regelungsgegenstände im Blick hat, denn mit bloßen theoretischen Kunstfiguren oder Schlagworten kann man nicht zu allgemeingültigen Ergebnissen gelangen. Indem sie ausgehend von den Grundprinzipien „Tatstrafrecht“ und „Schuldstrafrecht“ modellartig die sich daraus ergebenden systematischen Konsequenzen für die allgemeinen Voraussetzungen des Delikts herausarbeitet, ermöglicht sie für diesen Zentralbereich eine universale Strafrechtswissenschaft. Diese kann den nationalen Gesetzgebern und Gerichten aufzeigen, wie die Rechtsfiguren des Allgemeinen Teils folgerichtig aussehen, und hierzu klare und subsumtionsfähige Begriffe liefern. Sie trägt damit durch wissenschaftlich fundierte Methodik zu Rechtssicherheit und Gerechtigkeit bei.

Die aktuelle Diskussion über den Rechtsgutsbegriff 2001 I. Eine der hervorragenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Dionysios Spinellis, dem dieser Beitrag in freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet ist, bildet sein bekanntes Werk über das „Rechtsgut der Ehre“. 1 Im folgenden soll die heutige allgemeine Situation der Rechtsgutsproblematik behandelt werden. Diese Erörterungen vertiefen einen Teilaspekt der Gedanken, die ich im Jahre 1999 bei einem Festakt an der Universität Athen in meinem Vortrag über „Moderne Strafgesetzgebung und die Grenzen des Kriminalstrafrechts“ entwickelt habe. 2 Zu den klassischen Thesen der Strafrechtswissenschaft gehört die an die Spitze vieler Darstellungen des Allgemeinen Teils gestellte Behauptung, daß sich das Strafrecht auf den Schutz ihm inhaltlich vorgegebener Rechtsgüter zu beschränken habe. Der Rechtsgutsbegriff liefere dem Gesetzgeber einen kriminalpolitischen Maßstab dafür, was er bestrafen darf und was er straflos lassen soll. In der heutigen deutschen Diskussion knüpft Roxin daran im Ausgangspunkt an, bemerkt dazu aber, daß man „einen Dschungel von Streitfragen durchschreiten (müsse), bevor man mit dieser Aussage einen gesicherten und hinreichend klaren Sinn verbinden“ könne. 3 Die Lehrbücher von Jakobs und Michael Köhler gehen dagegen, wie auch schon Amelung, auf Distanz. 4 Sie lehnen einen vorgegebenen Rechtsgutsbegriff ab und wollen dem Begriff nur systemimmanente Bedeutung bei der Auslegung des positiven Recht beilegen. Stratenwerth geht noch weiter, indem er insbesondere bei zukunftsorientierten Bereichen, namentlich dem Umweltschutz, dem Rechtsgutsbegriff jegliche Eignung abspricht. 5 Umgekehrt will Hassemer von einem vorrechtlichen personalen Rechtsgutsbegriff aus vorgegebene Grenzen des Straf1

Spinellis, Das Rechtsgut der Ehre und seine strafbaren Verletzungen, Athen 1976. Siehe auch ders., Das Rechtsgut der Ehre, Hirsch-Festschrift, 1999, S. 739. 2 Poinika Chronika 49 (1999), 981. 3 Roxin, Strafrecht, Allg. Teil, 3. Aufl., 1997, § 2 Rnr.1. 4 Jakobs, Strafrecht, Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, 2/22 ff.; M. Köhler, Strafrecht, Allg. Teil, 1997, S. 24 L; Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972, S. 340, 350, 393 ff. Siehe auch die weiteren Nachweise Fn. 35. 5 Stratenwerth, ZStW 105 (1993),679, 692 ff.; ders., Lenckner-Festschrift, 1998, S. 377, 388 ff.

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rechts markieren. 6 Dieser Grundsatzdebatte geht einher eine Auflösungstendenz des Rechtsgutsbegriffs, die darin besteht, daß immer neue Universalrechtsgüter, also überindividuelle Rechtsgüter der Allgemeinheit, in Rechtsprechung und Schrifttum auftauchen. 7 Im Wirtschaftsstrafrecht etwa ist bei einigen neueren Vorschriften herrschende Auffassung, daß es neben dem Vermögen auch um Universalrechtsgüter gehe. So ist hinsichtlich des sogenannten Subventionsbetrugs von der „Institution der Subvention als Instrument staatlicher Wirtschaftslenkung und den mit ihr verfolgten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen“ 8 und in bezug auf den Tatbestand des Versicherungsmißbrauchs von der „sozialen Leistungsfähigkeit des Versicherungswesens“ 9 als überindividuellen Rechtsgütern die Rede. Im Umweltstrafrecht werden schlicht die „Umwelt“ oder allgemein „Wasser, Luft und Boden“ als geschützte Rechtsgüter genannt. 10 Beim Straßenverkehrsrecht soll es um das Rechtsgut der „Sicherheit des Straßenverkehrs“ gehen. 11 Und bei der Geldwäsche verweist ein Teil des Schrifttums bezüglich der meisten Begehungsformen schlicht auf die „innere Sicherheit“ als Rechtsgut. 12 II. Der Rechtsgutsbegriff verdankt seine Entstehung dem Bestreben, Schranken für das Strafrecht zu errichten. Seine Anfänge gehören also in den Kreis der 6 Hassemer, in: Philipps / Scholler (Hrsg.), Jenseits des Funktionalismus, 1989, S. 85 ff.; ders., in: Alternativkommentar StGB (AK), 1990, Vor § 1 Rnr. 274 ff. (= Nomos Kommentar StGB „NK“, 1995, Vor § 1 Rnr. 274 ff.); ders., ZRP 1992, 378, 383; ders., ZRP 1997, 316, 320. Siehe auch M. Marx, Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut“, 1972, S. 24 ff., 62. Einen Überblick über Bemühungen um einen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff gibt Kareklas, Die Lehre vom Rechtsgut und das Umweltstrafrecht, 1990, S. 58 ff. 7 Eine umfassende Darstellung dieser Entwicklung findet sich in der jüngst erschienenen Monographie von M. Krüger, Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, 2000, S. 15 ff., 20 ff. 8 Siehe zu § 264 dtsch. StGB Lenckner, in: Schönke / Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, § 264 Rnr. 4; Tiedemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB (LK), 11. Aufl., 1997, § 264 Rdn. 11; Lackner / Kühl, StGB, 23. Aufl., 1999, § 264 Rdn. 1 („Allgemeininteresse an einer wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung“); jeweils mit weiteren Nachweisen. 9 Siehe Lackner / Kühl (Fn. 8), § 265 Rnr. 1; Tröndle / Fischer, StGB, 49. Aufl., 1999, § 265 Rnr. 2. Zur Fassung des § 265 dtsch. StGB vor dem 6. Strafrechtsreformgesetz von 1998 vgl. die umfangreichen Nachweise bei Tiedemann (Fn. 8), § 265 Rnr. 6 Fn. 11. 10 Vorwiegend ist allgemein von „Wasser, Luft und Boden“ die Rede; vgl. Cramer, in: Schönke / Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, Vor § 324 Rnr. 8; Steindorf, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., 1997, Vor § 324 Rnr. 15 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen. 11 Vgl. BayObLG NJW 1968, 1732, 1733; Lackner / Kühl (Fn. 8), § 316 Rnr. 1; Tröndle / Fischer (Fn. 9), § 316 Rnr. 2 mit § 315c Rnr. 2. 12 Siehe Barton, StV 1993, 90; Körner / Dach, Geldwäsche, 1994, S. 13, nach denen zwar der in § 261 Abs. 1 dtsch. StGB enthaltene Vereitelungstatbestand die Rechtspflege schützt, sonst aber hier als Universalrechtsgut die innere Sicherheit geschützt werde.

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Bemühungen, einen materiellen Verbrechensbegriff zu entwickeln. Der deutsche Begründer der Rechtsgutslehre J.M.F. Birnbaum schrieb in seinem grundlegenden Aufsatz aus dem Jahre 1834 13: „Übrigens liegt es in der Natur der Sache, daß es außer dem ... positiven Rechtsbegriff des Verbrechens einen natürlichen Begriff desselben geben muß ... Wenn wir vom natürlichen Rechtsbegriffe des Verbrechens reden, so verstehen wir darunter dasjenige, was nach der Natur des Strafrechts vernunftgemäß in der bürgerlichen Gesellschaft als strafbar angesehen werden kann, insofern es in einem gemeinsamen Begriff zusammengefaßt wird.“ Anschließend heißt es: „Wenn man das Verbrechen als Verletzung betrachten will, (so muß) dieser Begriff naturgemäß nicht auf den eines Rechts, sondern auf den eines Gutes bezogen werden.“ Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß die Güter, auf deren allen gleichmäßig zu garantierenden Genuß im Staate sich die Rechtssphäre eines jeden bezieht, teils dem Menschen schon von der Natur gegeben, teils Ergebnis seiner gesellschaftlichen Entwicklung seien, und so könne bei der Einteilung der Verbrechen derselbe einfache Begriff des Gutes zugrunde gelegt werden. 14 Dieser vorrechtliche Rechtsgutsbegriff, der heute auch als systemtranszendenter bezeichnet wird und der systemimmanenten Funktion eines dem positiven Recht entnommenen Rechtsgutsbegriffs gegenübergestellt wird, hat in Deutschland im zurückliegenden Jahrhundert zweimal die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Das erste Mal ging es um die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Kieler Richtung in den dreißiger Jahren. Damals wurde von den Anhängern dieser Richtung der Rechtsgutsbegriff, und zwar generell, als liberalistisch verworfen. Stattdessen ging man vom Verbrechen als Pflichtverletzung aus. Das Strafrecht sollte danach nicht dem Schutz von Rechtsgütern dienen, sondern Gesinnungswerte im Sinne des damaligen sogenannten „gesunden Volksempfindens“ schützen. Der Rechtsgutsbegriff und die von ihm angemahnten Grenzen des Strafrechts wurden von der Kieler Richtung als störende Hindernisse für ein auf Gesinnung und Treue aufbauendes nationalsozialistisches Strafrecht empfunden. 15 Bekanntlich ist die Rechtsgutslehre damals verteidigt worden, wobei es sich bei den Verteidigern sowohl um Vertreter eines systemtranszendenten als auch eines nur systemimmanenten Rechtsgutsbegriffs handelte. 16 13

Birnbaum, Über das Erfordernis einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens, in: Archiv des Kriminalrechts, Neue Folge, 1834, S. 149. 14 Näher zur Entstehung des Rechtsgutsbegriffs: Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut“, 1962; Amelung (Fn. 4), S. 38 ff., 43 ff., und jüngst Neubacher, Jura 2000, 514 f. 15 Zur Kieler Richtung näher Maurach, Deutsches Strafrecht, Allg. Teil, 2. Aufl., 1958, S. 117, 169; Amelung (Fn. 4), S. 228 ff. 16 Siehe namentlich Schwinge / Zimmerl, Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken im Strafrecht, 1937, S. 60 L; Mezger, ZStW 57 (1938), 675 H.; auch Klee, DStR 3 (1936), 1 ff.

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Grundsätzliche Fragen

Das zweite Mal trat die Rechtsgutslehre Anfang der 70er Jahre bei der Reform des Sexualstrafrechts in den Blick. Man begründete die Abschaffung der Strafbarkeit der Homosexualität unter Erwachsenen, der Sodomie, der Kuppelei und ähnlicher Verhaltensweisen damit, daß es bei ihnen an einer Rechtsgutsverletzung fehle. Niemand werde durch solche Handlungen geschädigt; es gehe nur um moralwidrige und daher mangels eines betroffenen Rechtsguts nicht für strafbar erklärbare Handlungen. 17 Diejenigen Sexualstrafbestimmungen, die im Strafgesetzbuch verblieben sind, wie z. B. der Sexuelle Mißbrauch von Jugendlichen, Gefangenen und Kranken, sind seither unter der Abschnittsüberschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ zusammengefaßt, das heißt als Freiheitsdelikt geregelt. 18 Gegenwärtig wird, wie schon erwähnt, ein vorgegebener Rechtsgutsbegriff von Vertretern der Frankfurter Richtung, insbesondere von Hassemer, geltend gemacht. Es geht ihnen darum, daß das Strafrecht sich auf ein sogenanntes Kernstrafrecht beschränken soll, bei dem nur unmittelbare oder mittelbare Schutzinteressen der Person erfaßt werden. 19 Kritisch im Blick hat man dabei die ständige Zunahme neuer Strafbestimmungen im Strafgesetzbuch: vom Wirtschaftsstrafrecht über das Umweltstrafrecht bis zu einigen Vorschriften zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. 20 III. Die Frage lautet jedoch, ob es einen Rechtsgutsbegriff, der dem Strafrecht die inhaltlichen Grenzen vorgibt, überhaupt geben kann, also ob den heutigen Kritikern nicht Recht zu geben ist. Schon früher ist ein solcher Rechtsgutsbegriff auf Kritik gestoßen. Aber dabei ging es um heute nicht mehr akzeptierbare Gründe. Im 19. Jahrhundert wurden Einwände vor allem von den Hegelianern erhoben. So hieß es bei Köstlin, daß nicht Rechtsgüter von Individuen, sondern der Staat selbst durch ein Verbrechen angegriffen werde. 21 Mit dieser Umkehrung bestand kein Interesse mehr an einem Rechtsgutsbegriff, der dem Staat seine Aufgaben zuweisen konnte. Jene Sicht des Verhältnisses von Staat und Individuum entspricht jedoch nicht mehr dem heutigen Verständnis. 17 Näher darüber Roxin (Fn. 3), § 2 Rnr. 3. Vgl. auch Alternativ-Entwurf (AE) Sexualdelikte, 1968, S. 9, passim. 18 Vgl. die im Jahre 1973 neu gefaßte Überschrift des 13. Abschnitts des deutschen StGB (§§ 174 ff.), die an die Stelle der früheren Überschrift „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ getreten ist. 19 Vgl. Hassemer, ZRP 1992, 378, 379, 383; ders., Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 20 ff.; ders., ZRP 1997, 316, 320. 20 Übersicht über die Hauptproblemkreise siehe bei M. Krüger (Fn. 7), S. 20 ff., 119 ff. mit eingehenden Nachweisen. 21 Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Allg. Teil, 1855, S. 27.

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Auch der Gesetzespositivismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert konnte naturgemäß mit einem das Strafrecht beschränkenden vorrechtlichen Rechtsgutsbegriff nichts anfangen. Binding schrieb damals, daß der Staat nach „Gutdünken“ entscheiden könne, „wo er strafen will und wie er strafen will“. 22 Nur in der veränderten positivrechtlichen Gestalt eines allgemeinen systemimmanenten (methodischen) Begriffs zur Auslegung des positiven Rechts habe das Rechtsgut Bedeutung. Die Vorstellung einer beliebigen staatlichen Straflegitimation ist heute aber überholt und kann deshalb nicht gegen die Annahme eines vorgegebenen limitierenden Rechtsgutsbegriffs ins Feld geführt werden. Was dagegen eine systemimmanente Funktion des Rechtsgutsbegriffs angeht, wird uns später noch zu beschäftigen haben, ob sie anzuerkennen ist, wie dies die herrschende Meinung annimmt. 23 Geht man heute an die Problematik eines vorgegebenen Rechtsgutsbegriffs heran, so kann das hinter ihm stehende Bestreben, Ausuferungen des Strafrechts zu verhindern, sicherlich auf Beifall rechnen. Die Frage ist jedoch, ob der Rechtsgutsgedanke für solche Bemühungen den zutreffenden Ansatzpunkt bildet. Bei Birnbaum und heute bei Hassemer bildet das Modell des Sozialvertrags die Grundlage. 24 Aus ihm wird eine vorgegebene begrenzende Funktion des Rechtsgutsgedankens abgeleitet. Es gehe danach bei der Straftat um die Verletzung der sozialvertraglich gesicherten Freiheiten der Person. Aber schon Birnbaum erkannte und auch Hassemer berücksichtigt, daß es daneben auch Gemeinschaftsinteressen – wie z. B. die Rechtspflege – gibt, deren berechtigter Schutz durch das Strafrecht außer Zweifel steht. 25 Bei dem von Hassemer geforderten angeblichen „Kernstrafrecht“ geht es praktisch um diejenigen Strafbestimmungen, die bereits bei Inkrafttreten des deutschen StGB im Jahre 1871 in diesem vorhanden waren. Wenn ein strafrechtlicher Schutz von überindividuellen Interessen grundsätzlich möglich ist, wie niemand bestreitet, dann ist dieser Katalog aber nicht auf den Bestand eines bestimmten historischen Zeitpunkts eingefroren, sondern grundsätzlich ebenso offen wie der der Individualgüter. 26 An keinem der Gemeinschaftsinteressen ist vermerkt, daß es seiner Art nach Strafschutz beanspruchen oder nicht beanspruchen darf. Auch bei den Rechtsgütern der Person wäre damit, daß man sie gegenständlich bestimmt, z. B. Leben, 22

Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, Band I, 1915, S. 93. Siehe im folgenden unter Ziff. IV. 24 Vgl. Birnbaum (Fn. 13), S. 175 ff.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 379. 25 Während Birnbaum (Fn. 13), S. 178 allgemein von Verbrechen gegen das „Gemeinwesen“ sprach, ist bei Hassemer konkreter von Brandstiftungs- und Rechtspflegedelikten die Rede (siehe namentlich Hassemer (Fn. 6), AK und NK, Vor § 1 Rnr. 274 ff.; ders., ZRP 1992, 378, 383). 26 Hirsch, in: Kühne / Miyazawa (Hrsg.), Neue Strafrechtsentwicklungen im deutschjapanischen Vergleich, 1995, S. 11, 15; M. Krüger (Fn. 7), S. 74 ff., 170. Vgl. außerdem Triffterer, ZStW 91 (1979), 309, 335; Meurer, NJW 1988, 2065, 2067. 23

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Leib und Eigentum, noch nichts über den Umfang berechtigter Strafbarkeit gesagt. So würde das Strafrecht nach heutigem Verständnis sicherlich seine Grenzen überschreiten, wenn es den Selbstmordversuch oder grundsätzlich die körperliche Selbstverletzung 27 oder die Beschädigung eigener Sachen für strafbar erklären wollte. Auch wenn man berücksichtigt, daß der Rechtsgutsbegriff von vornherein ein Beziehungsverhältnis zu einem anderen verlangt, es also nicht um das Leben oder Eigentum überhaupt, sondern um fremdes Leben oder Eigentum geht, bleibt es bei der mangelnden Ergiebigkeit für die Legitimationsfrage. Denn auch bei Individualrechtsgütern ist kein totaler Strafschutz angezeigt, z. B. gegenüber nur vorübergehendem Gebrauch fremden Eigentums. Darüber hinaus wird beim Hinweis auf den Sozialvertrag und überhaupt beim Argumentieren mit dem Rechtsgutsbegriff zu wenig beachtet, daß dieser gar kein spezifisch strafrechtlicher Begriff ist. Von Rechtsgütern wird vielmehr ebenso in anderen Bereichen der Rechtsordnung gesprochen, namentlich im zivilen Deliktsrecht. Weder läßt sich aus dem Sozialvertrag nur ein strafrechtlicher Schutz ableiten, noch ist dem Rechtsgutsbegriff ein strafrechtlicher Bezug zu entnehmen. 28 Es ließe sich lediglich behaupten, daß das Strafrecht jedenfalls stets in Rechtsgüterschutz bestehe. Aber da es diese Aufgabe mit anderen, ihn viel umfassender wahrnehmenden Bereichen teilt, würde sich daraus lediglich die Ausgrenzung des überhaupt rechtlich Irrelevanten ergeben, und das ist kein spezifisch strafrechtliches Problem. 29 Aber sprechen nicht die eingangs erwähnten historischen Beispiele für einen vorgegebenen strafrechtseinschränkenden Rechtsgutsbegriff? Blicken wir auf die Diskussion der NS-Zeit, so war dabei zwar vom Rechtsgutsbegriff die Rede, aber den eigentlichen Hintergrund bildete eine Hinwendung zum Gesinnungsstrafrecht. Es sollte nicht mehr die Verwirklichung eines sich objektiv manifestierenden Schadens das Entscheidende sein, sondern die zutage tretende gemeinschaftsfeindliche Gesinnung. 30 Es ging also um eine über die engere Rechtsgutsproblematik hinausgehende strafrechtliche Grundsatzfrage, nämlich den Gegensatz zwischen 27 Es sei denn, daß wie bei dem gegen die Landesverteidigung gerichteten Delikt der Wehrpflichtentziehung durch Selbstverstümmelung (§ 109 dtsch. StGB) ein anderes Gut als die bloße körperliche Unversehrtheit betroffen ist. 28 Hirsch (Fn. 26), S. 14 L; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 146 f.; M. Krüger (Fn. 7), S. 78 ff. Gegen die Berufung Hassemers auf den Sozialvertrag ebenfalls Schünemann, GA 1995, 201, 206 f. Daß der Rechtsgutsbegriff nicht dem Strafrecht vorbehalten ist, sondern die gesamte Rechtsordnung durchzieht, betont auch Baratta, Arth. Kaufmann-Festschrift, 1993, 393, 399. 29 Was die insbesondere von Hassemer (Fn. 6) vertretene „personale Rechtsgutslehre“ betrifft, siehe die eingehende Kritik bei M. Krüger (Fn. 7), S. 74 ff. Krüger zeigt nicht zuletzt auf, daß die Lehre, indem sie Rechtsgüter der Allgemeinheit insoweit anerkennt, „als sie – vermittelt – auch Interessen von Personen sind“ (so Hassemer [Fn. 6], AK und NK, Vor § 1 Rnr. 276), weder der Entmaterialisierungstendenz noch der damit verbundenen Ausdehnung des Strafrechts in den Vorfeldbereich wirksam zu begegnen vermag.

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rationalem Tatstrafrecht und irrationalem Gesinnungsstrafrecht. Und auch die deutsche Reform des Sexualstrafrechts von 1973 ist nur vordergründig mit dem Blick auf einen vorgegebenen Rechtsgutsbegriff erfolgt. Stratenwerth weist darauf hin, daß der Gesetzgeber Sexualstrafbestimmungen beibehalten hat, bei denen andernfalls ebenso die Frage nach dem Rechtsgut aufzuwerfen gewesen wäre. 31 Er nennt die Straftatbestände der „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, des „Exhibitionismus“ und auch des „Inzests“. Es zeigt sich eben, wie sich noch durch weitere Strafbestimmungen belegen läßt, daß Rechtsgüter auch in gesellschaftlichen Standards und Gefühlen gesehen werden, wenn man diese als rechtlich schutzwürdig einschätzt. 32 Die Bejahung oder Verneinung ist daher eine Wertungsfrage. Der 1973 erfolgte teilweise Abbau des Sexualstrafrechts resultierte somit nicht aus absoluten inhaltlichen Vorgaben, sondern aus einem Wandel der Wertvorstellungen hinsichtlich der Strafwürdigkeit. Die historischen Fälle belegen also nicht die Existenz eines vorgegebenen Rechtsgutsbegriffs. Bemerkenswert ist denn auch die Auffassung von Roxin. 33 Er stellt sich einerseits in die Reihe der Anhänger eines solchen Rechtsgutsbegriffs. Andererseits greift er hierbei auf in der Verfassung enthaltene Prinzipien zurück. Damit entscheidet er sich aber für einen positivrechtlichen Ansatz; denn die Verfassung ist ja als Grundgesetz ein Teil des jeweiligen positiven Rechts. Gegenüber seiner Lösung erhebt sich allerdings die Frage, wie die einem solcherart vorgegebenen Rechtsgutsbegriff zugewiesenen Aufgaben in Rechtsordnungen bewältigt werden sollen, in denen kein entsprechendes Verfassungsrecht existiert. Nicht alle Staaten haben eine Verfassung, aus der ein entsprechendes Wertsystem entnommen werden könnte. Darüber hinaus benennt auch die deutsche nur zentrale Werte, so daß sich das Bedenken erhebt, wie daraus ein allgemeiner Rechtsgutskanon ableitbar sein soll, der die strafrechtlich erfaßbaren Gegebenheiten mit hinreichender Deutlichkeit inhaltlich markiert. 34 Es überrascht daher nicht, daß in neuerer Zeit erschienene Untersuchungen der Frage, inwieweit aus der Verfassung Grenzen der Strafbarkeit abgeleitet werden können, nicht beim Rechtsgutsbegriff ansetzen. 35 30 Vgl. Schaffstein, DStrR 2 (1935), 97, 102. Siehe auch die Analyse der damaligen Diskussion bei Amelung (Fn. 4), S. 230, 232, 233. 31 Stratenwerth, Lenckner-Festschrift, S. 377, 389 f. 32 Weitere Beispiele bei Roxin (Fn. 3), § 2 Rnr. 5, 12. 33 Roxin (Fn. 3), Rnr. 1, 7, 9 ff. 34 Gegen den verfassungsrechtlichen Rechtsgutsansatz von Roxin schon die im Jahre 1972 erschienene Monographie von Amelung (Fn. 4), S. 309 ff. 35 Appel, Verfassung und Strafe – Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen staatlichen Strafens, 1998, S. 206 f., 354 f., 390 („Unter dem Grundgesetz ist der Rechtsgutsbegriff als Strafbarkeitsgrenze, die an den Gesetzgeber herangetragen wird, ebenso systemwidrig wie überflüssig“); Lagodny [Fn. 28], S. 144 („Die Belange, um die es der strafrechtlichen Rechtsgutsdiskussion geht, kommen auf anderem Wege in die Grundrechtskontrolle hinein“, S. 538 mit S. 427 f.); Paulduro, Die Verfassungsgemäßheit von Strafrechtsnormen,

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Auf der Suche nach einer vorgegebenen Beschränkung des Strafrechts muß man daher nach einem anderen Kriterium als dem Rechtsgutsbegriff Ausschau halten: In dem neuen Lehrbuch von Michael Köhler wird dazu ausgeführt: Der Rechtsgutsbegriff biete noch keine hinreichende Basis für den Begriff des Verbrechens. Vielmehr bestimme die kantische Differenzierung zwischen freiheitsgesetzlicher Rechtsform einerseits und materialen Maximeninhalten andererseits die notwendige Abgrenzung, insbesondere zum nur ethischen Normverstoß. Ein Verbrechen bestehe in der Verletzung des Rechts in seiner besonderen und allgemeingesetzlichen Geltung in einem Maße, das die rechtliche Selbständigkeit, sei es der betroffenen Person zur selbstbestimmten Lebensführung, sei es entsprechender Bestandsbedingungen freier Gesellschaftsformen, grundlegend beeinträchtigt. 36 Hierzu ist jedoch zu bemerken, daß das Vorliegen eines Verstoßes gegen eine Norm freiheitsgesetzlicher Rechtsform kein strafrechtsspezifisches Kriterium darstellt, sondern ebenso für andere Rechtsnormen zu gelten hat. Und daß die rechtliche Selbständigkeit betroffener Personen und Gesellschaftsformen grundlegend beeinträchigt ist, bietet keinen klaren Maßstab. Denn was sind „entsprechende Bestandsbedingungen freier Gesellschaftsformen“, und was heißt hier „grundlegend“? Praktisch alle kritischen Fälle – vom Sexualstrafrecht bis zum Umweltstrafrecht – müßten bei diesen Kriterien mit einer unterschiedlichen Beantwortung rechnen. Ebenso ist der Gesichtspunkt der Sozialschädlichkeit, der im Zusammenhang mit einem materiellen Verbrechensbegriff auch genannt wird, für sich allein nicht geeignet, die Aufgabe eines vorgegebenen Begrenzungskriteriums zu übernehmen. Zwar gibt er zutreffend zu erkennen, daß der Staat, indem es um seine Schutzaufgabe geht, nur befugt sein kann, gegen solche Verhaltensweisen einzuschreiten, durch die Interessen der Mitglieder der Gesellschaft oder der sozialen Gesamtheit beeinträchigt werden oder können. Aber das ist ein großer Bereich, der sich weit über den des Strafrechts hinaus erstreckt. Meines Erachtens hat man die Sozialschädlichkeit zwar im Auge zu behalten, den Blick aber entscheidend auf die Skala der staatlichen Eingriffs- und Regelungsmittel zu richten. Nicht von vorgegebenen Gegenständen her bestimmt insbesondere des Strafgesetzbuches im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1992, S. 109, 117 ff., 432 f. (ausschlaggebend sei die „limitierende Funktion des Verhältnismäßigkeitsprinzips“; lediglich könnten aus der Unterscheidung zwischen Individual- und Universalrechtsgütern erste Folgerungen für die Frage der Legitimation eines strafrechtlichen Schutzes gezogen werden). Auch Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, 1998, knüpft der Sache nach an das Übermaßverbot, dem dritten und letzten Teilgebot des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, an (S. 163), wobei er jedoch zur Klassifikation auf den personalen Rechtsgutsbegriff zurückgreifen will. 36 Vgl. zum vorhergehenden: M. Köhler (Fn. 4), S. 22 ff.

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sich die Legitimation der Strafe, sondern von der Legitimation der Strafe her bestimmen sich die von ihr geschützten Gegenstände. Daß der Ausgangspunkt bei der Strafe und nicht beim Rechtsgutsbegriff liegt, hat bereits Androulakis in seinem Aufsatz „Über den Primat der Strafe“ betont. 37 Die Gesellschaft räumt dem Staat Eingriffs- und Regelungsmittel ein, damit er von diesen ihrer Notwendigkeit entsprechend Gebrauch macht. Daher kommt die Strafe als schwerster Eingriff überhaupt erst dann in Betracht, wenn ein geringeres Mittel nicht ausreichend ist. Die Legitimation der Strafe setzt somit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und innerhalb seiner das ultima ratio-Prinzip und Subsidiaritätsprinzip voraus. Wenn es also einer Pönalisierung nicht bedarf, weil die Verhinderung oder Eindämmung der betreffenden Handlungen auch mit einem geringeren Mittel oder schon ohne staatliche Maßnahmen erreicht werden kann, dann besteht keine staatliche Pönalisierungslegitimation. Erst recht fehlt sie, wenn ein Verhaltensbereich keinen Anlaß für sein Unterbleiben bietet. Man wird vielleicht einwenden wollen, daß auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einschließlich des ultima ratio- und Subsidiaritätsprinzips unterschiedliche Wertungen zuläßt. Aber er eröffnet doch jedenfalls rationale Entscheidungen, wenn man ihn wirklich ernstnimmt. Entgegen den bisherigen Beobachtungen ist dann nämlich vom Gesetzgeber genau zu prüfen, ob das Regelungsziel nicht bereits auf einem anderen, weniger einschneidenden Wege erreichbar ist. Ein Hauptmangel heutiger Rechtspolitik besteht ja darin, daß man das nicht zunächst sorgfältig überlegt, sondern sogleich zur Strafgesetzgebung greift. Mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz läßt sich beispielsweise erreichen, daß abstrakte Gefährlichkeitstatbestände nur bei Vorliegen besonderer, evident unrechtserhöhender Gründe dem Kriminalstrafrecht anstatt dem Ordnungswidrigkeiten- oder Übertretungsrecht zugewiesen werden. 38 Auch ist in der strafrechtlichen Diskussion schon darauf hingewiesen worden, daß ein Bereich wie die wissenschaftliche Forschung, soweit nicht ernstlich strafbedürftige Mißstände zutage treten, der institutionalisierten Selbstkontrolle vorbehalten bleiben kann. 39 Ferner käme die Pönalisierung des Versuchs von leichten Sachbeschädigungen und leichter Körperverletzung auf den Prüfstand. Außerdem ist an diejenigen Fälle in den kriminalstrafrechtlichen abstrakten Gefährlichkeitstatbeständen zu denken, bei denen in concreto von vornherein keine Möglichkeit eines Schadens besteht, es sich vielmehr nur noch um einen ordnungsrechtlich erheblichen Gehorsamsverstoß gegenüber dem Normbefehl handelt 40, etc. 37 Die von mir noch in Poinika Chronika 49(1999), 981, 985 am Ansatzpunkt der Strafe geäußerten Bedenken sind jedenfalls insoweit zu relativieren, wie es sich um das mit der staatlichen Straflegitimation verknüpfte Verhältnismäßigkeilsprinzip handelt. 38 Hierzu Hirsch (Fn. 26), S. 20; ders., Poinika Chronika 49 (1999), 981, 984, 987; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 387 ff. 39 Vgl. Herzog, ZStW 105 (1993), 727, 748 ff.; Calliess, bei Vitt, ZStW 105 (1993), 803, 804.

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Grundsätzliche Fragen

Da das Verhältnismäßigkeitsprinzip allgemein als Bestandteil des Rechtsstaatsgedankens begriffen wird, erfahren diese Überlegungen zusätzlich noch eine breite verfassungsrechtliche Absicherung. Sie besteht anders als bei der Auffassung, daß die Grenzen des Strafrechts unter Rechtsgutsgesichtspunkten aus den Wertentscheidungen der jeweiligen Verfassung, so sie solche enthält, herzuleiten sei, für alle Staaten, die für sich in Anspruch nehmen, Rechtsstaaten zu sein. 41 Nun fällt allerdings an der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts auf, daß es bisher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in dem zur Erörterung stehenden Bereich nur ein schmales Anwendungsgebiet einräumt. Es verlangt nämlich sowohl unter dem Aspekt des Übermaßverbots als auch dem der Erforderlichkeit, daß die betroffenen Interessen der Grundrechtsgeschützten gegenüber den mit dem staatlichen Eingriff verfolgten Belangen „ersichtlich wesentlich schwerer wiegen“ 42. Ein Verfassungsverstoß würde deshalb nach der bisherigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts erst dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber ein nach Art oder Maß schlechthin unangemessenes Mittel zur Erreichung des erstrebten Zwecks wählt. 43 Hierbei hat man jedoch zu beachten, daß dieser Punkt bisher von der Strafrechts- und Verfassungsrechtswissenschaft noch wenig problematisiert worden ist, weshalb für die Praxis genügende theoretische Vorarbeiten fehlen. Man kommt hinsichtlich des vorgegebenen Rechtsgutsbegriffs nach alledem zu dem Ergebnis, daß es ihn nicht gibt. 44 Die mit ihm intendierten Ziele müssen vielmehr auf anderem Wege erreicht werden, und dazu bietet sich der von mir vorstehend aufgezeigte Weg an. IV. Die Frage, wie es sich mit einem systemimmanenten, also an den Inhalt des positiven Rechts anknüpfenden Rechtsgutsbegriff verhält, liegt auf einer anderen 40 Gegen die Einbeziehung solcher rein abstrakten Risikohandlungen ins Kriminalstrafrecht näher Zieschang (Fn. 38), S. 380 ff. 41 Über Rechtsstaat und Strafrecht näher Hirsch, Strafrechtliche Probleme, 1999, S. 115 ff. 42 BVerfGE 44, 353, 373. 43 BVerfGE 90, 145, 173. Näher dazu M. Krüger (Fn. 7), S. 89 ff., auch mit kritischer Stellungnahme (S. 87 ff.) zur Interpretation der Verfassungsgerichtsjudikatur durch Paulduro. 44 Im gegenwärtigen deutschen Schrifttum neben den Fn. 4 zitierten Autoren so auch Appel, Lagodny und Paulduro (vgl. die Angaben Fn. 35) sowie Hirsch, Welzel-Festschrift, 1974, S. 775, 785; Günther, JuS 1978, 8, 9; Baratta (Fn. 28), S. 393, 407; Fischer, NStZ 1988, 159, 163; Frisch, Stree / Wessels-Festschrift, 1993, S. 69, 71 ff.; M. Krüger (Fn. 7), S. 18 f., 74 ff., 80 f. mit weiteren Nachweisen.

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Ebene. Im vorhergehenden wurde schon darauf hingewiesen, daß eine solche, auf die Auslegung des positiven Rechts bezogene Funktion des Rechtsgutsbegriffs von der herrschenden Meinung bejaht wird, sei es neben der – im vorhergehenden abgelehnten – systemtranszendenten Funktion, sei es ausschließlich. 45 Es geht bei einem derartigen Rechtsgutsverständnis strafrechtlich darum, daß man bei der Auslegung der Strafbestimmungen des positiven Rechts danach fragt, welcher Individual- oder Gemeinschaftswert von der jeweiligen Vorschrift gegen Beeinträchtigungen geschützt werden soll, und daraus Folgerungen für die systematische Einordung und die positivrechtlichen Grenzen der Vorschrift zieht. Hinzuweisen ist etwa auf die Frage, ob es sich um ein Verletzungs- oder ein bloßes Gefährdungsoder Gefährlichkeitsdelikt handelt, auf das Konkurrenzverhältnis zu anderen Strafbestimmungen, auf die Abwägung beim Rechtfertigenden Notstand, auch auf die Rangfolge der Vorschriften im Besonderen Teil (also die Legalordnung). Ein Problem, das sich für diesen Rechtsgutsbegriff stellt, ist die Unbestimmtheit der Rechtsgutsdefinition. Sratenwerth bemerkt mit Recht, daß für keinen anderen Grundbegriff des Strafrechts eine solche Vielfalt an zumeist nicht näher begründeten Definitionen angeboten wird. 46 Dies belegt bereits eine kurze Auswahl: „Rechtsgüter sind Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die dem einzelnen und seiner freien Entfaltung im Rahmen eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden sozialen Gesamtsystems oder dem Funktionieren dieses Systems selbst nützlich sind“ heißt es bei Roxin. 47 Von „Objekten, die dem Menschen seine Selbstverwirklichung ermöglichen“, spricht Michael Marx in seiner Monographie „Zur Definition des Begriffs ‚Rechtsgut‘“. 48 Von „verletzbaren, schützbaren Zuständen“ ist bei Herbert Jäger die Rede. 49 Zumeist aber wird das Rechtsgut als strafrechtlich geschützter Wert oder als strafrechtlich geschütztes Interesse bezeichnet. 50 Auch von geschützten sozialen Funktionseinheiten wird gesprochen 51. Allen diesen Definitionen ist gemein, daß sie zwar in die Richtung des Gesuchten weisen, aber 45

Vgl. Gössel, Oehler-Festschrift, 1985, S. 97, 102 ff.; Jakobs, (Fn. 4), 2/22 ff.; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, S. 259; M. Köhler (Fn. 4), S. 24 f.; Lenckner (Fn. 8), Vor § 13 Rnr. 9; u. a. 46 Stratenwerth, Lenckner-Festschrift, S. 377, 378. 47 Roxin (Fn. 3), § 2 Rnr. 9. 48 M. Marx (Fn. 6), S. 62. 49 H. Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, 1957, S. 13. 50 Von strafrechtlich geschütztem Wert sprechen: Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht, Allg. Teil, 10. Aufl., 1995, § 3 Rnr. 18 („vergeistigter ideeller Wert“); Jescheck / Weigend (Fn. 45), S. 257 (rechtlich geschützter abstrakter Wert der Sozialordnung). Vom strafrechtlich geschützten Interesse ist die Rede bei: Maurach / Zipf, Strafrecht, Allg. Teil I, 8. Aufl., 1992, § 19 Rnr. 4; Hassemer (Fn. 6), AK und NK, Vor § 1 Rnr. 287 („strafrechtlich schutzbedürftiges menschliches Interesse“). 51 Rudolphi, Honig-Festschrift, 1970, S. 151, 163; ders., in: Systematischer Kommentar StGB (SK), 6. Aufl., 1994, Vor § 1 Rnr. 8 („werthafte Funktionseinheiten“).

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dadurch, daß sie zumeist nicht scharf zwischen einem vorgegebenen und einem positivrechtlichen, systemimmanenten Rechtsgutsverständnis differenzieren, sehr allgemein gehalten sind. Gut zurecht kommt man mit Rechtsgütern physischer Natur wie Leib und Leben. Nicht von ungefähr wird im Rechtsunterricht an den gegen sie gerichteten Delikten der größte Teil der allgemeinen strafrechtlichen Lehren dargestellt. Diese Güter stehen deutlich vor Augen. Sie sind mit dem Tatobjekt identisch. Verletzung und Kausalität sind klar zu veranschaulichen. Aber auch normativ geprägte Güter der Person wie die Ehre lassen sich reibungslos als Rechtsgüter erfassen und mit dem dogmatischen Instrumentarium umgeben. 52 Lange Zeit hat man auch keine Probleme mit der Annahme von Gemeinschafts- oder Universalrechtsgütern gehabt. Schon Birnbaum bejahte, wie gesagt, neben Rechtsgütern der Person solche der Gemeinschaft. Man denke an die geschützten Interessen bei den Hochund Landesverrats-, Bestechungs- und Aussagetatbeständen. In die Krise ist der systemimmanente Rechtsgutsbegriff – und ebenso würde das für den vorgegebenen Rechtsgutsbegriff gelten – jedoch in neuerer Zeit dadurch geraten, daß der Kreis der angenommenen Universalrechtsgüter sich immer mehr ausweitet. Es ist ein Prozeß zunehmender Vergeistigung der Rechtsgüter zu beobachten; man spricht auch von einer Entmaterialisierungstendenz des Rechtsgutsbegriffs. 53 Einschlägige Beispiele aus dem modernen Wirtschafts-, Umweltund Verkehrsstrafrecht sind im vorhergehenden schon genannt worden. Die Entmaterialisierungstendenz hat zur Folge, daß der Begriff in diesen Bereichen nur noch wenig leistet. Indem man nämlich meint, solche unscharfen Rechtsgüter etablieren zu können, gerät leicht der Unterschied zwischen Verletzungs- und Vorfelddelikten ins Schwimmen, weil letztere zu Verletzungsdelikten bezüglich eines angeblichen Universalrechtsguts hochstilisiert werden. Wenn man beispielsweise beim Tatbestand des Versicherungsmissbrauchs (§ 265 dtsch. StGB) eine abstrakt gefährliche Handlung in bezug auf das Vermögen einer Versicherung als Verletzungsdelikt in bezug auf die ungestörte Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens einordnet, dann wird verschleiert, daß und wie weit man die Gesetzesregelung vom eigentlichen schadensbedrohten Gut in dessen Vorfeld verlagert hat. Dieses Bedenken ließe sich nicht mit dem Argument abtun, es werde ja mit dem betreffenden Universalrechtsgut ausdrücklich der Vorfeldbereich 52

Zum Rechtsgut der Ehre näher Spinellis (Fn. 1); Hirsch, Ehre und Beleidigung, 1967; ders., E. A. Wolff-Festschrift, 1998, S. 125. 53 Siehe Hassemer (Fn. 6), AK und NK, Vor § 1 Rnr. 265, sowie den Titel der oben (Fn. 7) zitierten Monographie von M. Krüger. Kritisch zur Entmaterialisierung des Rechtsgutsbegriffs ebenfalls Eser, Mestmäcker-Festschrift, 1996, S. 1005, 1014 f., 1021, und Weigend, Triffterer-Festschrift, 1996, S. 695, 708 f. Zur grundsätzlichen Auffassung von Eser siehe auch dessen Abhandlung in: Duquesne University Law Review 4 (1966), 345, 412 ff.

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benannt. Entscheidend ist vielmehr, daß damit überhaupt etwas als Rechtsgut und Rechtsgutsverletzung deklariert wird, was das hier eigentlich gegen Schädigung geschützte Interesse, im Beispielsfall das bedrohte Vermögen, eben nicht wiedergibt. Auf solchem Wege lassen sich abstrakte Gefährlichkeitsdelikte, also Fälle einer Deliktskategorie, die im Normalfall ihren Standort im Ordnungswidrigkeiten- oder Übertretungsrecht hat, unbesehen ins Kriminalstrafrecht einschleusen. Man deutet sie in Verletzungsdelikte um, und der Abstand, der von der wirklichen Rechtsgutsverletzung besteht, gerät bei solchen Verschiebungen der Rechtsgutsverletzung ins Vorfeld aus dem Blick. Konsequenz derartiger Tendenzen sind außer der immer größeren Vorverlagerung der Strafbarkeit auch unangemessene und innerhalb des Gesetzes unabgestimmte Strafdrohungen. So wenn für das Vorfelddelikt auf solche Weise die gleiche oder sogar eine höhere Strafe als für das wirkliche Verletzungsdelikt angedroht wird. Hinzu kommt die Folge, daß sich wegen der angeblichen Rechtsgutsverschiedenheit die Frage einer Idealkonkurrenz zwischen dem Vorfelddelikt und dem Delikt der eigentlichen Rechtsgutsverletzung bei entsprechendem Zusammentreffen erhebt. 54 Verdeutlicht sei das alles noch einmal am Tatbestand des Subventionsbetrugs (§ 264 dtsch. StGB): Zur Vollendung dieses Tatbestands genügt es, daß jemand einer für die Bewilligung einer Subvention zuständigen Behörde über subventionsrechtliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, die für ihn oder einen anderen vorteilhaft sind. Auf eine Irrtumserregung und Subventionsvergabe kommt es nicht an; auch nicht auf eine betrügerische Absicht. Indem in der Handlung nicht nur ein abstrakt gefährliches Verhalten in bezug auf das Vermögen des Staates, sondern zusätzlich oder sogar ausschließlich ein Angriff auf ein angebliches Rechtsgut „Institution der Subvention“, nämlich das „Allgemeininteresse an einer wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung“, gesehen wird 55, verleiht man dieser Vorschrift einen selbständigen Charakter. Dementsprechend ist auch der Strafrahmen ebensohoch wie der des vollendeten allgemeinen Betrugstatbestands. Aber was sich hinter der Funktionsfähigkeit der „Institution der Subvention“ verbirgt, ist doch nichts anderes als das Interesse des Subventionsgebers daran, daß das zu seiner Disposition stehende Finanzvolumen nicht zweckwidrig durch Täuschungshandlungen vermindert wird. Es geht daher ebenso wie beim allgemeinen Betrugstatbestand rechtsgutsmäßig allein um das Vermögen – und dem muß bei der Ausgestaltung einer solchen Vorschrift Rechnung getragen werden. 56

54 Nachweise zu dieser Streitfrage bei Lackner / Kühl (Fn. 8), § 264 Rnr. 30 f. § 265b Rnr. 10. Siehe jetzt aber auch die Subsidiaritätsklausel in der Neufassung von § 265 Abs. 1 dtsch. StGB. 55 Vgl. die Angaben oben in Fn. 8. 56 Näher M. Krüger (Fn. 7), S. 119 ff., 136 ff., 142; auch schon Hack, Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, § 264 StGB, 1982, S. 65 ff., 74; Sannwald, Rechtsgut und Subventionsbegriff, § 264 StGB, 1982, S. 59; Maiwald, ZStW 96 (1984), 76, 78.

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Die Aufweichung des Rechtsgutsbegriffs zeigt sich ebenfalls beim Straßenverkehrsrecht. Es heißt, daß hier die „Allgemeinheit“ geschützt werde, und oft heißt es deshalb, daß geschütztes Rechtsgut die „Sicherheit des Straßenverkehrs“ sei. 57 Auffallend ist dabei schon, daß einerseits von einem solcherart vergeistigten Rechtsgut der Allgemeinheit ausgegangen wird, andererseits die Straßenverkehrsdelikte als Hauptbeispiele für abstrakte Gefährlichkeitsdelikte genannt werden. Denn geht man von einem Rechtsgut jenes Inhalts aus, dann wären sie jedenfalls bei konkret riskanten Handlungen, nämlich aus der Sicht ex ante die Möglichkeit der Schädigung irgendeines Verkehrsteilnehmers beinhaltenden Handlungen, wie sie bei Straßenverkehrsdelikten den Regelfall bilden, immer schon Verletzungsdelikte. Die „Sicherheit des Straßenverkehrs“ kann auch gar nicht einschlägiges Rechtsgut sein, da Sicherheit hier nicht den Gegenstand des rechtlichen Schutzes, sondern die Gewährleistung des Schutzes für Gegenstände der Verkehrsteilnehmer darstellt. Um was es im Straßenverkehrsrecht geht, ist die Gewährleistung von Sicherheit für am Straßenverkehr beteiligte Rechtsgüter wie Leben, Leib und Eigentum. In bezug auf diese Güter handelt es sich um abstrakte Gefährlichkeitsdelikte. Wenn im Zusammenhang mit den Straßenverkehrsdelikten von Handlungen gegen die Allgemeinheit gesprochen wird, so verbirgt sich dahinter nicht die Frage der Art des betroffenen Rechtsguts, sondern das Faktum, daß abstrakte Gefährlichkeitsdelikte sich anders als Verletzungsdelikte nicht auf ein bestimmtes konkretes Objekt beziehen, sondern auf eine Vielzahl unbestimmter Objekte. Infolgedessen kann bei ihnen die Einwilligungsfrage nicht relevant werden. Nichts anderes ist gemeint, wenn man hier von Delikten gegen die Allgemeinheit spricht. Daß bloße Gefährlichkeitsdelikte nicht in Verletzungsdelikte umdefiniert werden, ist besonders wichtig für die Frage der Abstufung von Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeiten- oder Übertretungsrecht. Bei letzteren handelt es sich regelmäßig um abstrakte Gefährlichkeitsdelikte. Wenn Rechtsordnungen solche Abstufungen vornehmen, und das ist fast überall der Fall, heißt das, daß diese Delikte grundsätzlich ins Ordnungswidrigkeiten- bzw. Übertretungsrecht gehören. Es bedarf daher näherer Erklärung, wenn sie ausnahmsweise als Kriminalstraftatbestände erfaßt werden sollen. Das Gewicht des drohenden Schadens und die Größe des Risikos sind dabei entscheidende Gesichtspunkte, nicht aber genügen schon Vorteile für den gerichtlichen Nachweis der Tat – wie sich das übrigens auch im Drogenstrafrecht beobachten läßt. Die Kritik der Frankfurter Richtung an der übermäßigen Ausbreitung von abstrakten Gefährlichkeitsdelikten im heutigen Kriminalstrafrecht und der sich daraus ergebenden Veränderung des Gepräges dieses Rechtsgebiets ist berechtigt. Um die sachentsprechende Einstufung vornehmen zu können, bedarf es aber zunächst einmal der Dekouvrierung der betreffenden Delikte als abstrakte Gefährlichkeitsdelikte. Und hierzu ist eine genaue Bestimmung des jeweiligen Rechtsguts notwendig. 57

Vgl. die Nachweise oben in Fn. 11.

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Während es in den vorgenannten Beispielsfällen schon bei genauerem Hinsehen möglich war, die eigentlich geschützten Rechtsgüter systemimmanent festzustellen und damit der Expansion von Universalrechtsgütern insoweit Einhalt zu gebieten, werfen einige andere Bereiche größere Probleme auf. Genannt wurde schon das Umweltstrafrecht. Stratenwerth schreibt, daß es passende Maßstäbe für den Bereich der Zukunftssicherung nicht geben könne. 58 Er führt dazu an, die Umwelt und die für sie bestehenden Großrisiken hätten eine solche Dimension, daß der Rechtsgutsbegriff hier nichts mehr leisten könne. Das um so weniger, als eine ökologisch-anthropozentrische Sichtweise den Gegebenheiten nicht gerecht werde, es bei dem Rechtsgut vielmehr ökozentrisch um die Umwelt allein ihrer selbst wegen gehen müßte. Was zunächst den letztgenannten Punkt betrifft, so bezieht er sich auf einen vorgegebenen Rechtsgutsbegriff, und zwar dessen Ableitung aus dem Sozialvertrag. Das ist oben schon behandelt und die Annahme eines transzendenten Rechtsgutsverständnisses abgelehnt worden. 59 Für den jetzt zur Erörterung stehenden systemimmanenten Rechtsgutsbegriff interessiert vielmehr das andere Bedenken von Stratenwerth, ob es angesichts der Dimension der Umwelt überhaupt möglich ist, von einem hinreichend konturierten Rechtsgut zu sprechen. Auch wenn man – wie vorwiegend gesagt wird – Wasser, Luft und Boden als die geschützten Rechtsgüter ansieht, ist die Dimension gewaltig. Aber es ist doch festzustellen, daß die weitere Konturierung nicht unmöglich ist. Dabei geht es namentlich darum, daß man bei der Rechtsgutsbestimmung hier ebenso, wie es bei Individualrechtsgütern, so der körperlichen Unversehrtheit oder dem Eigentum, der Fall ist, die Blickrichtung auf das jeweilige konkrete Gut, den konkreten Gegenstand des Schutzes, eröffnet: also beispielsweise auf einen bestimmten Gewässerbereich in seinem ihm angemessenen ökologischen Zustand. Das Rechtsgut ist dann verletzt, wenn ein meßbarer Schaden für den betreffenden Umweltbereich entstanden ist. Soweit es um wirkliche Großrisiken geht, z. B. den Rückgang der Ozonschicht und eine daraus drohende Klimakatastrophe, kann das geschützte Gut ausnahmsweise von außerordentlich großer Dimension sein. Aber auch in solchem Fall hat es Sinn, es zu bestimmen. Denn nur auf diese Weise finden entsprechende Risikotatbestände, z. B. Abgasvorschriften, ihre rationale Erklärung und Einordnung. Im übrigen würde einem Rechtsgutsbezug nicht entgegenstehen, daß wissenschaftlich das Gegebensein solcher Risiken nur als wahrscheinlich, also nicht als sicher eingeschätzt wird. Für die Bejahung eines rechtlichen Schutzinteresses genügt, daß hier ein für die menschlichen Lebensbedingungen wesentlicher Zustand der Außenwelt möglicherweise bedroht ist. Einen kritischen Bereich bilden Tierschutzstrafbestimmungen. Solche Vorschriften beruhen auf dem menschlichen Mitgefühl mit der Kreatur. Als systemim58 59

Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 683, 692 ff. Siehe auch noch unten Ziff. V mit Fn. 67.

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manentes Rechtsgut ist dieses jedoch nicht anzusehen. Die Rechtsgutsverletzung liegt hier nicht erst in der konkreten Verletzung menschlicher Gefühle. Vielmehr sind durch das deutsche Tierschutzgesetz die von ihm geschützten Tiere selbst zu Rechtsgütern erhoben worden, so daß in der Verletzung des Tieres selbst die Rechtsgutsverletzung besteht. 60 Der Rechtsgutsbegriff verlangt anerkanntermaßen nicht, daß er mit einem subjektiven Recht verbunden ist. Auch bedeutet die erfolgte Präzisierung seiner positivrechtlichen Funktion nicht, daß der Unterschied von Rechtsgut und Tatobjekt eingeebnet wird. Entscheidend ist für diese Differenzierung vielmehr, ob der verletzte Gegenstand selbst das geschützte Gut ist oder ob sich in der Beeinträchtigung eines Gegenstandes die Verletzung eines geschützten ideellen Gutes oder auch eine bestimmte Gefahr für ein geschütztes Gut manifestiert. Als Beispiel wird der Hausfriedensbruch angeführt, bei dem geschütztes Rechtsgut die dem Hausrechtsinhaber zustehende Herrschaftsmacht, Tatobjekt die Räumlichkeit ist, in die der Täter eindringt. 61 Ebenfalls ergibt sich aus der Rechtsgutseigenschaft noch nicht die Notwehr- und Nothilfefähigkeit. Zwar bestätigt auch die Notwehr die Erforderlichkeit des systemimmanenten Rechtsgutsbegriffs, da sie einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff gegen ein Rechtsgut voraussetzt. Es besteht jedoch Klarheit darüber, daß es sich dabei um einen Angriff auf ein Individualrechtsgut handeln muß oder bei einem Universalrechtsgut wenigstens gleichzeitig ein Einzelner durch den Angriff unmittelbar betroffen ist. 62 Unabhängig von der Rechtsgutsseite stellt sich bei den Tierschutzstrafbestimmungen allerdings die Frage, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Pönalisierung solcher Fälle zuläßt oder ob sich aus ihm nicht ergibt, daß dem genannten Schutzmotiv der Gesellschaft bereits durch das Ordnungswidrigkeitenrecht und verwaltungsrechtliche Anordnungen durchaus ausreichend Rechnung getragen werden kann. 63 Es zeigt sich also, daß die durch die Bejahung immer unbestimmterer Universalrechtsgüter erfolgende Aufweichung des Rechtsgutsbegriffs keineswegs unvermeidlich ist. 64 60 Die Vorschrift (§ 17 dtsch. Tierschutzgesetz) lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder 2. einem Wirbeltier 1. aus Roheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder 2. länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.“ 61 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 45), S. 260 mit weiteren Nachweisen. 62 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 45), S. 339 f. mit weiteren Nachweisen. 63 Eine andere Frage ist, ob die Fassung der deutschen Vorschrift, indem sie das unbestimmte Merkmal „ohne vernünftigen Grund“ verwendet, überhaupt dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit von Strafgesetzen entspricht. 64 Zu diesem Ergebnis gelangt auch die Untersuchung der problematischen Strafbestimmungen durch M. Krüger (Fn. 7), S. 119 ff., 171 f.

Die aktuelle Diskussion über den Rechtsgutsbegriff

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Der These, daß der Rechtsgutsbegriff nur für einen Teilbereich der Strafbestimmungen passe, in anderen dagegen auf ihn zu verzichten sei, läßt sich daher nicht zustimmen. Wie gezeigt worden ist, entfaltet er auch in den problematischen Bereichen eine unverzichtbare systemimmanente Funktion. Ohne ihn sind die innerhalb des Straftat- und Rechtsfolgensystems gebotenen Differenzierungen und die Rationalität der Abstufungen nicht erreichbar. Die von Stratenwerth vorgeschlagene Alternative, in jenen Bereichen auf Kulturnormen ohne Rechtsgutsbezug abzustellen 65, würde demgegenüber die Tür für irrationale Strafbestimmungen öffnen. 66 Zum Rechtsgutsbegriff mit systemimmanenter, positivrechtlicher Funktion ist nach alledem festzustellen, daß er durchführbar und notwendig ist. Davon geht übrigens auch der deutsche Gesetzgeber aus, indem er in der 1975 eingeführten Vorschrift des Rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) ausdrücklich von der Abwägung von Rechtsgütern spricht. Es zeigte sich im vorhergehenden zudem, daß die Beschränkung des Rechtsgutsbegriffs auf eine positivrechtliche Funktion nicht bedeutet, ihm ein eigenständiges Gewicht zu nehmen. Entgegen Roxin, der an einem vorgegebenen Rechtsgutsbegriff in der geschilderten Weise festhalten will, erfüllt er auch in der ausschließlich systemimmanenten Rolle eine sehr wichtige Aufgabe, gerade auch mit Rücksicht auf die Kriminalpolitik. Künftige Aufgabe der Wissenschaft wird es sein, den Begriff mit dem Blick auf seine positivrechtliche Funktion genauer als bisher zu definieren. V. Daß es zu der heutigen Krise des Rechtsgutsbegriffs kommen konnte, hängt zum einen damit zusammen, daß man bei der Schaffung neuer Strafbestimmungen, zunächst vor allem des Wirtschaftstrafrechts, diesen durch Zuschreibung neuer Universalrechtsgüter einen selbständigen Stellenwert und eine kriminalstrafrechtliche Legitimation verschaffen wollte. Zum anderen beruht sie darauf, daß man, wie im Umweltstrafrecht, den Unterschied zwischen dem abstrakten Rechtsgutsbegriff und dem konkreten Rechtsgut aus dem Blick verloren hat. Und drittens spielt die mangelnde Unterscheidung von vorgegebenem Rechtsgutsbegriff und systemimmanentem, positivrechtlichem Rechtsgutsbegriff eine Rolle. Ist man fixiert auf einen vorgegebenen Rechtsgutsbegriff, so gerät dabei die positivrechtliche Funktion leicht aus dem Blick. Wenn man beispielsweise aus der Sicht eines vorgegebenen Rechtsgutsbegriffs nach dem Rechtsgut des Tierschutzstrafrechts gesucht hat, so wurde, da man beim vorgegebenen Rechtsgutsbegriff immer be65 Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 693 ff.; ders., Lenckner-Festschrift, S. 377, 388 ff. 66 Hirsch (Fn. 26), S. 17, 29.

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grifflich einen inhaltlichen Bezug zum Menschen verlangt, das Mitgefühl der Menschen mit der leidenden Kreatur zum Inhalt des geschützten Rechtsguts. Von einem systemimmanenten Rechtsgutsbegriff aus kann dagegen dieses Mitgefühl als bloßes gesetzgeberisches Motiv außerhalb des Begriffs bleiben. 67 Als Gesamtergebnis läßt sich festhalten: (1) Die zunehmende Abwendung von der Annahme, daß der Umfang des Strafrechts durch ihm vorgegebene Rechtsgüter bestimmt und begrenzt werde, ist berechtigt. Der Rechtsgutsbegriff bildet für vorgegebene Einschränkungen des Strafrechts keinen tauglichen Ansatz. Ausgangspunkt für solche Einschränkungen kann nur die Strafe und der Umfang ihrer staatlichen Legitimation sein. (2) Bedeutung hat der Rechtsgutsbegriff aber in seiner systemimmanenten Funktion innerhalb des positiven Rechts. Das ist aus guten Gründen auch weiterhin herrschende Meinung. (3) Insoweit ist die Brauchbarkeit des Begriffs jedoch dadurch gefährdet, daß eine starke Tendenz zur Aufweichung zu beobachten ist, vor allem bei der Auslegung neuer Strafbestimmungen. (4) Aus dieser Entmaterialisierung ergibt sich jedoch nicht die Folgerung, auf den systemimmanenten Rechtsgutsbegriff ganz oder teilweise zu verzichten. Vielmehr stellt sich für die Wissenschaft die Aufgabe, sich um eine präzisere Herausarbeitung zu bemühen und dadurch insbesondere deutliche Anhaltspunkte für die Handhabung, Bewertung und möglicherweise auch Kritik der Vorschriften zu geben.

67 Daß jede Rechtsordnung die allgemeine Aufgabe hat, dem unmittelbaren oder mittelbaren Schutz menschlicher materieller oder ideeller Interessen zu dienen, bedeutet eben nicht, daß das danach erforderliche menschliche Interesse in die Definition des einzelnen Rechtsguts einzufließen braucht, vielmehr genügt, daß es das gesetzliche Motiv für den Schutz durch die Rechtsordnung bildet; vgl. Hirsch (Fn. 26), S. 16. Der systemimmanente Rechtsgutsbegriff ist auch nicht lediglich eine andere Bezeichnung für die ratio legis, sondern ein schärfer als diese konturierter Begriff.

Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen * 1994 I. Stand der Gesetzgebung und der Diskussion 1. Gesetzgebung

Das heutige deutsche Strafgesetzbuch und darüber hinaus das gesamte deutsche Kriminalstrafrecht kennen keine Kriminalstrafe gegen Unternehmen. Es gilt der Satz „societas delinquere non potest“. Nur der Mensch wird als straffähig angesehen, nicht eine Personengesamtheit. 1 Möglich ist es, daß gegen juristische Personen und damit auch gegen körperschaftliche Unternehmen der Verfall des aus der Tat Erlangten (§§ 73 ff. StGB) oder die Einziehung der durch sie hervorgebrachten oder zu ihrer Ausführung gebrauchten oder bestimmten Gegenstände (§§ 74 ff. StGB) angeordnet werden. Es handelt sich dabei um „Maßnahmen“ im Sinne des Strafgesetzbuchs. Beide sollen zum Teil auch punitiven Charakter haben. 2 Das Fehlen der allgemeinen Straffähigkeit juristischer Personen läßt das jedoch unberührt. Zu beachten ist aber, daß die Reformentwicklung im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht in § 30 OWiG eine eigene punitive Sanktionsfähigkeit von korporativen Gesamtheiten hervorgebracht hat. Das aus dem früheren Verwaltungsstrafrecht entstandene Ordnungswidrigkeitenrecht sieht als Rechtsfolge von Ordnungswid* Deutscher Landesbericht für den XIV. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung, der vom 31. 7. bis 6. 8. 1994 in Athen stattgefunden hat. Die Gliederung des Berichts und die in den Zwischenüberschriften formulierten Einzelthemen orientieren sich im wesentlichen an dem vom Generalberichterstatter den Landesberichterstattern vorgegebenen Fragenkatalog. 1 Cramer, in: Schönke / Schröder, StGB, 24. Aufl. 1991, vor § 25 Rdn. 113; Jescheck;, Allg. Teil, 4. Aufl. 1988, S. 204; Maurach / Zipf, Allg. Teil, Teilbd. 1, 8. Aufl. 1992, S. 187 f.; Roxin, Allg. Teil, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, S. 202 f. („weitere Entwicklung abzuwarten“); Schmidhäuser, Allg. Teil, Studienbuch, 2. Aufl. 1984, S. 83; R. Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958, S. 196 ff., 231. Ebenso im Anschluß an RGSt. 16, 121, 123; 28, 103, 105; 33, 261, 264; 44, 143, 147 und BGHSt. 3, 130, 132 die ständige Rechtsprechung (nur auf Besatzungsrecht bezog sich BGHSt. 5, 28, 32). 2 Schäfer, in: LK, 10. Aufl. 1985, vor § 73 Rdn. 1, § 73 Rdn. 4 H., § 74 Rdn. 1 ff.; Tröndle, LK, vor § 38 Rdn. 6.

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rigkeiten die Geldbuße vor. Diese hat einen der Geldstrafe parallelen punitiven Charakter. Das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht ist vom Kriminalstrafrecht getrennt, und die Begriffe Straftat und Strafe werden in ihm nicht verwandt. 2. Diskussionsstand

Schon im Jahre 1953 befaßte sich der 40. Deutsche Juristentag mit der Frage, ob es sich empfiehlt, die Strafbarkeit der juristischen Person gesetzlich vorzusehen. Von den Referenten 3 und auch bei der Abstimmung im Plenum 4 wurde die Einführung abgelehnt. Man war der Meinung, daß eine Kriminalstrafe gegen juristische Personen und andere Personenverbände den Sinn- und Wesenselementen der Strafe widerspräche, wie sie sich aufgrund einer gefestigten Tradition im deutschen Kulturkreis herausgebildet haben. Sie sei deshalb nicht zu empfehlen. 5 Neuerdings ist jedoch vom Wirtschafts- und Umweltstrafrecht her eine Tendenz spürbar, die echte kriminalrechtliche Strafbarkeit von körperschaftlich strukturierten Wirtschaftsunternehmen vorzusehen. Zwar spiegelt sich diese neue Strömung in der Rechtsprechung noch nicht wider. 6 Eine Reihe von Befürwortern der Unternehmensstrafbarkeit findet sich aber in der Literatur. 7 Auch die Tagung der deutschsprachigen Strafrechtslehrer 1993 in Basel hat sich mit dem Thema der 3 Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II (Sitzungsberichte), 1953, S. E 7, E 23 ff., E 41; Heinitz, ebd., Bd. I (Gutachten), 1953, S. 65 ff.; Hartung, ebd., Bd. II, S. E 43 ff. 4 Vgl. Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. E 84, E 86. 5 (Fn. 4), S. E 88. 6 Auch nicht in einer Änderung der Blickrichtung dahingehend, daß die Verantwortlichkeit des für das korporative Unternehmen handelnden einzelnen neuerdings aus dem Verhalten des Unternehmens resultieren soll, an statt wie bisher umgekehrt zu fragen, ob dem korporativen Unternehmen das Verhalten des einzelnen verantwortlich zugerechnet werden kann. Der punktuelle, vom BGH nicht als etwas Neues formulierte Satz in BGHSt. 37, 106 (114), daß „Produktion und Vertrieb von Erzeugnissen durch eine im Rahmen ihres Gesellschaftszwecks tätige GmbH ihren Geschäftsführern als eigenes Handeln – auch strafrechtlich – zuzurechnen“ sind, ist im Zusammenhang zu lesen. Er besagt dann etwas Selbstverständliches: daß nämlich Geschäftsführer, die für eine GmbH handeln, sich nicht als fremdbestimmt entlasten und hinter dieser verstecken können, sondern sich natürlich ihre eigene konkrete Handlung als eigene zurechnen lassen müssen. Eine gegenteilige Sichtweise würde auch im Widerspruch zu der prinzipiellen strafrechtlichen Einsicht stehen, daß Ausgangspunkt jeglicher strafrechtlicher Zuschreibung die nach außen stattgefundene, den Rechtsgutsangriff zum Inhalt habende Handlung ist. Natürlich läßt die von der konkret verwirklichten Handlung des einzelnen ausgehende Blickrichtung unberührt, daß sich für die eine Straffähigkeit von korporativen Unternehmen bejahende Auffassung die Frage stellt, ob das Vorliegen der Anknüpfungstat genügen würde oder vielmehr zusätzlich eine eigene konkrete „Schuld“ (Vermeidbarkeit) der korporativen Gesamtheit zu fordern wäre (dazu näher noch unten VIII.). 7 In dieser Richtung Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, 1976, S. 204 ff.; ders., ZStW 102 (1990), S. 94, 106 –108; ders., Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 527, 531 f.,

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Strafbarkeit von körperschaftlich strukturierten Wirtschaftsunternehmen befaßt, wobei auffallend viele Stimmen für die Einführung laut wurden. 8 Die Befürworter der Unternehmensstrafbarkeit verweisen auf die bedeutende Rolle; die solche Unternehmen im heutigen Sozialleben einnehmen, und die Zunahme von Fällen, in denen das Unternehmen in seiner Gesamtheit als der eigentliche Täter erscheint. Es wird als unbefriedigend angesehen, daß das Unternehmen die eigene Bestrafung auf die für es handelnden Individualpersonen gewissermaßen abwälzen kann. Das um so mehr, als die hier im Vordergrund stehende Geldstrafe gegenüber Individualpersonen naturgemäß niedriger ausfallen muß, als sie im Falle der Strafbarkeit von juristischen Personen diesen gegenüber bemessen werden könnte. Hinzu kommt, daß auch die Bestrafung der für das Unternehmen handelnden lndividualpersonen oft nicht einmal diese fühlbar beschwert, weil das Unternehmen ihnen die Geldstrafe erstatten darf und das nicht selten von vornherein bei der Begehung der Straftat ins Kalkül einbezogen wird. 9 Außerdem wird darauf hingewiesen, daß angesichts der gewaltigen Größe vieler Wirtschaftsunternehmen die Schwierigkeit besteht, den oder die individuellen Täter innerhalb des Unternehmens zu ermitteln. Aber auch dann, wenn dies gelingt, hält man es für keine ausreichende Lösung, daß in dem gegen den Individualtäter stattfindenden Strafverfahren der Verfall des durch die Straftat dem Unternehmen zugeflossenen Vermögensvorteils angeordnet werden kann. Denn das Risiko des Unternehmens erschöpft sich dann lediglich darin, daß es den durch die Straftat erlangten Vorteil wieder verliert. Auch die im Ordnungswidrigkeitenrecht enthaltene Bußgeldregelung wird nicht als ausreichend angesehen. Angesichts dieser neueren Tendenz erhebt sich die Frage, ob eine echte Kriminalstrafe gegen juristische Personen mit dem deutschen Rechtssystem vereinbar wäre.

sowie ausdrücklich Baumann / Weber, Allg. Teil, 9. Aufl. 1985, S. 196; Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, 1993, S. 21, 27f.; Jakobs, Allg. Teil, 2. Aufl. 1991, 6/44 f.; Lampe, ZStW 106 (1994), S. 683, 734; Ackermann, Die Strafbarkeit juristischer Personen, 1984, S. 186 ff.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, 1994, S. 175 ff.; E. Müller, Die Stellung der juristischen Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, 1986, S. 19 ff.; H.-J. Schroth, Unternehmen als Normadressaten und Sanktionssubjekte, 1993, S. 25, 221 ff. Siehe auch für bestimmte Fälle Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 249 ff. Für ahndende („vergangenes Unrecht aufarbeitende“) Sanktionen als Maßnahmen gegen Unternehmen Stratenwerth, Festschrift für R. Schmitt, 1992, S. 295, 304. 8 Vgl. die Diskussion im Anschluß an das dortige Referat von Alwart, ZStW 105 (1993), S. 752 ff., zusammengefaßt im Tagungsbericht von Vitt, ZStW 105 (1993), S. 803, 813 ff. 9 Dazu, daß die Zahlung oder Erstattung der Geldstrafe durch einen anderen nach deutschem Recht keine strafbare Strafvereitelung darstellt, vgl. BGHSt. 37, 226.

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II. Problem der Vereinbarkeit mit dem deutschen Rechtssystem Die in Deutschland geltende Gesetzeslage, die keine Straffähigkeit juristischer Personen anerkennt, wird mit drei Hauptargumenten verteidigt: Korporative Gesamtheiten seien erstens nicht handlungsfähig, zweitens nicht schuldfähig, und drittens sei die Strafe dem Wesen nach nur auf Menschen zugeschnitten. 1. Handlungsfähigkeit

In erster Linie soll es also nach der herrschenden Meinung an einer wirklichen eigenen Handlungsfähigkeit juristischer Personen fehlen: Es gehe nur um die Zurechnung von natürlichen Handlungen anderer, und das reiche für eine Straftat nicht aus. 10 Dieses Argument hat man zum einen durch den Hinweis zu entkräften versucht, daß auch bei strafrechtlich anerkannten Täterfiguren wie dem Mittäter und dem mittelbaren Täter diese Personen nicht selbst an der unmittelbaren Handlung beteiligt zu sein brauchen, sondern die Täterschaft sich unter anderen Gesichtspunkten ergeben kann. 11 Aber das ist kein ausreichender Vergleich, weil Mittäter und mittelbare Täter neben der objektiven Innehabung von Tatherrschaft doch jedenfalls durch einen konkreten Entschluß mit der Handlung des anderen verbunden sind. Die Erklärung kann deshalb nur in den Struktureigenheiten von Korporationen (Körperschaften) gefunden werden. Indem korporative Gesamtheiten eine soziale Realität 12 sind und eben wegen ihrer nicht nur gedachten, sondern wirklichen Existenz zum Adressaten von Pflichten – sei es allgemeiner der Gesellschaft, sei es besonderer der Rechtsordnung – gemacht werden, begehen sie eine Pflichtverletzung, wenn sie die an sie gerichteten Normbefehle nicht erfüllen. Und da die Korporation qua Korporation nach außen durch menschliche Handlungen ihrer Organe tätig wird, sind diese Handlungen eben gleichzeitig auch ihre eigenen. Wir haben es hier folglich mit einer durch die körperschaftliche Struktur bedingten Form des eigenen Handelns durch einen anderen zu tun. Korporationen sind also selbst handlungsfähig. 13 10 Cramer, in: Schönke / Schröder, vor § 25 Rdn. 113; Jescheck, Allg. Teil, S. 204; Maurach / Zipf, Allg. Teil, S. 187 ff.; Roxin, Allg. Teil, S. 202 (die weitere Entwicklung offenlassend, S. 203). Von fehlender eigener Handlungsfähigkeit spricht auch BVerfGE 20, 323, 336. 11 Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1172; Ackermann (Fn. 7), S. 215 ff. Dazu, daß das Handeln der Korporation notwendig aus der unmittelbaren Handlung einer natürlichen Person (der Anknüpfungshandlung) resultiert, siehe auch oben in Fn. 6. 12 Litt, Individuum und Gemeinschaft, 1926, S. 234 ff.; Hartmann, Das Problem des geistigen Seins, 1933, S. 151 ff.; Mayntz, Soziologie der Organisation, 1963, S. 7, 18 f., 36; Engisch (Fn. 3), S. E 18 ff.; Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 210, 212.

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Betrachtet man die heutige Diskussion genauer, so stellt man auch fest, daß die eigene Handlungsfähigkeit entgegen dem, was für das Strafrecht behauptet wird, sonst durchaus anerkannt ist. Es wird nämlich nicht nur für das Zivilrecht, bei dem im Hinblick auf seine bloße Haftungsorientierung möglicherweise noch andere Maßstäbe gelten, sondern auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht mit seiner der Ahndung von Ordnungsdelikten dienenden punitiven Sanktion (§ 30 OWiG) die eigene Handlungsfähigkeit der Korporation bejaht. 14 In Wahrheit geht es deshalb bei dem zur Erörterung stehenden Einwand nur darum, daß die grundsätzlich anerkannte eigene deliktische Handlungsfähigkeit qualitativ nicht ausreichend für das Unrecht von Kriminalstraftaten sein soll. Dies rückt die bei der Abschichtung des Ordnungswidrigkeitenrechts vom Strafrecht historisch im Hintergrund stehende Annahme in den Blick, daß das Unrecht von Ordnungswidrigkeiten im Gegensatz zu dem von Kriminalstrafen sozialethisch wertneutral sei. 15 Man meint, beim Handeln von Körperschaften fehle es an einem für Straftaten zu fordernden sozialethisch verwerflichen Handeln. 16 Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, daß diese qualitative Unterscheidung von Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht mit guten Gründen von der heute vorherrschenden Schrifttumsmeinung abgelehnt wird. 17 Man hat überzeugend aufgezeigt, daß auch im Ordnungswidrigkeitenrecht gegen sozialethische Normen verstoßen wird. Lediglich deshalb, weil es dort nur um abstrakte Gefährdungen von Leben, Leib, Vermögen oder Umwelt geht, ist deren sozialethischer Gehalt regelmäßig geringer als der im Kriminalstrafrecht. 18 Außerdem wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die Strafbestimmungen des Kriminalstraf13 Davon gehen der Sache nach nicht nur die Befürworter der Straffähigkeit aus, sondern auch diejenigen ihrer Gegner, deren Einwände erst bei der Schuldfähigkeit einsetzen, so namentlich Heinitz (Fn. 3), S. 84 ff.; Lange, JZ 1952, 261, 264; W. Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen als Unrechtsfolgen gegen Personenverbände, 1967, S. 66 ff. Näher zur Handlungsfähigkeit Hirsch (Fn. 7), S. 9 ff.; auch Schroth (Fn. 7), S. 177 ff. 14 Zum Zivilrecht vgl. Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, 1985, Rdn. 123; Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 165; zum Ordnungswidrigkeitenrecht näher Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1172. 15 So im Anschluß an Goldschmidt, Das Verwaltungsstrafrecht, 1902, und E. Wolf, Festgabe für Frank, Bd. II, 1930, S. 516, 560 ff., insbesondere Eb. Schmidt, SJZ 1948, 225, 230 ff.; Lange, JZ 1956, 73, 519; ders., JZ 1957, 233. 16 Vgl. auch die Begründung, die für das Fehlen der Schuldfähigkeit angeführt wird, so z. B. von Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 210, 213; Engisch (Fn. 3), S. E 24 f. 17 Baumann / Weber, Allg. Teil, S. 40; Jakobs, Allg. Teil, S. 44; Jescheck, Allg. Teil, S. 52 f.; Mattes, Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten, Bd. 1, 1977, S. 376 ff.; Bd. 2, 1982, S. 87 ff., 456 ff.; Maurach / Zipf, Allg. Teil, S. 17; Schmidhäuser, Allg. Teil, S. 258; Stratenwerth, Allg. Teil, 3. Aufl. 1981, Rdn. 42; Tiedemann, Kartellrechtsverstöße und Strafrecht, 1976, S. 101 f. So bereits Welzel, JZ 1956, 238, 240 f.; ders., JZ 1957, 130, 131 ff.; Jescheck, JZ 1959, 457, 460 ff.; Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, 1960, S. 279 f. mit Fn. 40. 18 Näher Welzel (Fn. 17); Mattes (Fn. 17), Bd. 2, S. 87 ff.

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rechts nicht nur den sozialethischen Kernbereich betreffen, sondern daß auch hier der sozialethische Unwertgehalt reduziert sein kann: etwa bei im Strafgesetzbuch geregelten abstrakten Gefährdungsdelikten des Wirtschafts- oder Straßenverkehrsbereichs und bei fahrlässigen Delikten. Die Einordnung ist zudem nicht selten zufällig oder nur historisch bedingt. Man geht deshalb mit Recht als Sachgesichtspunkt von einem lediglich quantitativen Unterschied des Unrechtsgehalts aus, wobei allerdings diese Differenzierung infolge der Herkunft des Ordnungswidrigkeitenrechts aus dem Verwaltungsstrafrecht an einigen Punkten bisher nicht folgerichtig durchgeführt worden ist. Unabhängig davon ist zu bezweifeln, daß es in einer pluralistischen Gesellschaft überhaupt möglich wäre, innerhalb der Verhaltensnormen des staatlichen Deliktsrechts zwischen ethisch fundierten und wertneutralen mit hinreichender Deutlichkeit abzugrenzen. Hinzu kommt, daß das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht als Anknüpfungstat für die gegen einen Personenverband mögliche Geldbuße auch Kriminalstraftaten vorsieht. 19 Es heißt in § 30 OWiG: „Hat jemand ... als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person ... eine Straftat 20 oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, welche die juristische Person ... treffen, verletzt worden sind ...“ Der ethische Unwertgehalt dieser Kriminalstraftaten, z. B. der eines Betruges, bleibt doch bestehen, wen auch immer man für sie zur Verantwortung zieht. Das Argument, daß juristische Personen keine strafrechtlich ausreichende Handlungsfähigkeit aufwiesen, ist deshalb nicht überzeugend. Vielmehr gilt: Wenn sie Adressat von Rechtspflichten sind, dann können sie diese nicht nur erfüllen, sondern auch verletzen. 21 Und ob das Unrecht, das in ihrer Verletzung liegt, geeignet ist, Strafsanktionen gegen juristische Personen zu verhängen, läßt sich nicht unter Berufung auf Besonderheiten des Handlungsunrechts prinzipiell verneinen. 2. Schuldfähigkeit

Die bisher herrschende Meinung stützt ihre Ablehnung der (Kriminal-)Straffähigkeit juristischer Personen weiterhin darauf, daß diesen jedenfalls die Fähigkeit fehle, schuldhaft zu handeln. 22 19 Auf diesen Widerspruch weisen auch Jakobs, Allg. Teil, 6/43, und Stratenwerth, Festschrift für R. Schmitt, S. 295, 296, hin. 20 Hervorhebung vom Verf. 21 So auch Heinitz (Fn. 3), S. 84; Otto, Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993, S. 15. Auch von Liszt wies schon darauf hin, daß derjenige, der für sich selbst „Verträge schließen kann, der kann auch betrügerische und wucherische Verträge schließen“ (Strafrecht, 22. Aufl. 1919, § 28 I. 2.).

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Im Strafrecht geht es bei der Schuldfrage um die persönliche Vorwerfbarkeit der Tat, genauer: um die persönliche Fähigkeit, sich bei Begehung der Tat normgemäß zu motivieren. 23 Der Bundesgerichtshof hat in seinem berühmten Plenarbeschluß aus dem Jahre 1952 in Übereinstimmung mit der herkömmlichen Auffassung definiert: Schuld bedeute, daß der Mensch sich aus „freier, verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung“ gegen das Recht entscheiden konnte. 24 Aus dieser Verknüpfung von Schuld und sittlicher Persönlichkeit folgert man, daß nur gegenüber dem Menschen ein Schuldvorwurf erhoben werden könne. 25 In der Diskussion ist der Gedanke aufgetaucht, ob sich das Schuldproblem nicht dadurch erledigen ließe, daß man bei Korporationen anders als beim Menschen auf Schuld verzichtet und statt dessen an den Gesichtspunkt des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ anknüpft. 26 Aber mit einer solchen Lösung würde man es sich doch zu einfach machen. Nicht nur, daß damit auf die auch vom Bundesverfassungsgericht 27 allgemein für das Strafrecht betonte rechtsstaatliche Garantie verzichtet wäre, die der Schuldbegriff gegenüber unangemessenen Ahndungen bietet. Es würde überhaupt die Verhängung von punitiven Sanktionen ohne Schuld sachlich einen Fremdkörper im Strafrecht bilden. Dieses wäre dann insoweit zu einem bloßen Haftungsrecht denaturiert. 28 Betrachtet man hingegen die soziale Wirklichkeit, so fällt auf, daß durchaus von Schuld einer Korporation gesprochen wird. Beispielsweise spricht man von der Schuld eines Chemieunternehmens, das aus Schlamperei giftige Abwässer in einen Fluß eingeleitet und dadurch den Fischbestand zerstört hat, oder es ist von der Schuld etwa der früheren IG-Farben an der Ausbeutung und dem Tod von Arbeitskräften die Rede. Geläufig ist auch die Verwendung des Wortes „Schuld“ 22 So neben denjenigen, die schon die Handlungsfähigkeit verneinen (Fn. 10), namentlich Heinitz (Fn. 3), S. 84; Lange, JZ 1952, 264; Seiler (Fn. 12), S. 79 ff. Auch Otto (Fn. 21), S. 15 ff., der eine Lösung der Problematik im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts sieht (S. 25 ff.). 23 Vgl. die Nachweise bei Hirsch, in: LK, 11. Aufl. 1994, vor § 32 Rdn. 182, 187 ff. 24 BGHSt. (GrS) 2, 194, 200. 25 Engisch (Fn. 3), S. E 24 f.; Heinitz (Fn. 3), S. 85 f.; Jescheck, Allg. Teil, S. 204; Stratenwerth, Festschrift für R. Schmitt, S. 295, 302, 305 (Unternehmensverband „keine sittliche Person“). 26 Schünemann (Fn. 7), S. 236 ff. Auch Stratenwerth, Festschrift für R. Schmitt, S. 295, 304, der zwar nicht von Strafe, sondern von Maßnahmen spricht, aber diesen hier, indem er ihnen eine „vergangenes Unrecht aufzuarbeitende“ Funktion beilegt, den Charakter einer punitiven Sanktion verleiht, so daß nur ein Etikettenwechsel vorliegt. 27 BVerfGE 20, 323, 331; 25, 269, 286; 27, 18, 29; 45, 187, 259 f. 28 Es ist auch auffallend, daß in der Argumentation Stratenwerths ständig vom Problem der strafrechtlichen „Haftung“ des Unternehmens die Rede ist (Festschrift für R. Schmitt, S. 295, 296 ff., 307) und er aus der Verneinung der Schuldfähigkeit von Korporationen die Relativierung der sich aus dem Schuldbegriff ergebenden schützenden Grenzen folgert (S. 304 f.).

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in bezug auf das Verhalten von Staaten, so etwa bei der Frage, welche Kriegspartei Schuld am Ausbruch eines Krieges hatte. Diese Beispiele machen deutlich, daß die Schuld in solchen Fällen keineswegs etwas ethisch Indifferentes meint. Vielmehr wird an die Körperschaft, indem ihr gegenüber ein Schuldvorwurf erhoben wird, durchaus ein sittlicher Maßstab angelegt. Das spiegelt sich im übrigen auch darin wider, daß man Körperschaften eine Ehre zuerkennt. 29 Man spricht nicht nur von der Ehre von Nationen, sondern ebenfalls von der Ehre von Unternehmen und Vereinen. Die negative Seite, nämlich die Unehre, zeigt deutlich, daß dabei auch ethische Maßstäbe angelegt werden. Insoweit lassen sich also durchaus Parallelen zur Schuld von natürlichen Personen feststellen. Und auch bezüglich der freien Selbstbestimmung besteht diese Parallelität. Da die Körperschaft nur durch Menschen handeln kann, ist die Frage der Willensfreiheit hier wie dort übereinstimmend zu beantworten. Hinsichtlich der Korporationen würde daher nichts anderes als sonst im Strafrecht zu gelten haben. Außerdem ist bemerkenswert, daß die Wissenschaft ebenso wie bei der Handlungsfähigkeit auch bei der Schuldfähigkeit keine Bedenken hat, die vom Gesetzgeber im Ordnungswidrigkeitenrecht vorausgesetzte Schuldfähigkeit von Körperschaften dort anzuerkennen. 30 Die Annahme, dies sei kein Widerspruch, weil man sich bei den Ordnungswidrigkeiten in einem ethisch wertneutralen Bereich bewege, erweist sich als unzutreffend. Wie oben schon aufgezeigt worden ist, beruht sie auf einer Fehleinschätzung des Ordnungswidrigkeitenrechts, und der Gedanke an eine ethisch wertfreie Vorwerfbarkeit ist bereits eine contradictio in adiecto. Aber erhebt sich vielleicht das Bedenken, daß als Folge der Anerkennung der Schuldfähigkeit von Korporationen diese Schuld dann mit auf die einzelnen Mitglieder durchschlagen würde, also die Kollektivschuld der Mitglieder die Konsequenz wäre? Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an die Kollektivschuldthese, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg vertreten worden ist. Aber das Wesen der Korporation besteht doch gerade darin, daß sie nicht eine bloße Addition von Einzelpersonen ist, sondern ein von diesen sich abhebendes eigenständiges Gebilde darstellt. Schuld einer Körperschaft ist deshalb nicht gleichbedeutend mit 29 Siehe BGHSt. 6, 186; 36, 83, 88; BGH(Z) NJW 1971, 1655; Lenckner, in: Schönke / Schröder, vor § 185 Rdn. 3. Näher Krug, Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, 1965; Hirsch, Ehre und Beleidigung, 1967, S. 91 H. (unter Herausarbeitung des sittlichen Aspekts). Ferner ist darauf hinzuweisen, daß man im Zivilrecht mit Selbstverständlichkeit von der Möglichkeit juristischer Personen, sittenwidrig zu handeln, ausgeht und deshalb §§ 138, 826 BGB auf sie anwendet. 30 In Übereinstimmung mit § 1 Abs. 1 OWiG wird von dem Erfordernis vorwerfbaren Handelns der Körperschaft gesprochen; vgl. Cramer, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG (KK OWiG), 1989, § 30 Rdn. 17; Göhler, OWiG, 10.Aufl. 1992, vor § 29a Rdn. 13.

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Schuld ihrer Mitglieder. Vielmehr ist über beide gesondert zu entscheiden. Das wird besonders anschaulich, wenn das schuldhafte Verhalten der Körperschaft entgegen dem Willen einer überstimmten Minderheit zustandegekommen ist oder wenn das für die Körperschaft tätige Organ überhaupt gegen den Willen der Mitglieder gehandelt hat. Auch Staaten, die in die Hände des Unrechtsregimes eines Diktators geraten sind, machen das deutlich. 31 Eine Kollektivschuld, eine summarische Schuld der einzelnen Mitglieder, folgt daher nicht aus der Korporationsschuld (Verbandsschuld). Allein möglich ist eine Kollektivhaftung, und zwar derart, daß die Nachteile, die aus der Verbandsschuld für eine Körperschaft erwachsen, mittelbar auch für die Mitglieder spürbar werden. Aus alledem ergibt sich, daß die Straffähigkeit von Korporationen auch nicht am Schulderfordernis scheitert. Es gibt vielmehr bei ihnen ein zur lndividualschuld paralleles Phänomen „Verbandsschuld“, das für den strafrechtlichen Schuldbegriff genügt. 32 3. Korporationen und Strafbegriff

Beim dritten Hauptargument, das gegen die Straffähigkeit vorgebracht wird – dem Einwand, daß die Strafe ihrem Wesen nach nicht für Korporationen passe –, beruft man sich darauf, daß die Strafe das sozialethische Mißbilligungsurteil der Gesellschaft zum Ausdruck bringe und diejenige Behandlung des Verbrechers enthalte, die ihn als sittliche Persönlichkeit ergreife. Nur auf natürliche Personen sei der Strafbegriff daher anwendbar. 33 Dieser auf die sittliche Persönlichkeit des Menschen ausgerichtete Strafbegriff geht bekanntlich auf Kant zurück. 34 Vom dem mit Kant und dann Hegel verbundenen klassischen Strafbegriff ist im heutigen straftheoretischen Schrifttum jedoch nicht mehr viel die Rede. Stattdessen ist in den beiden letzten Jahrzehnten ein Siegeszug der Präventionstheorien, also von General- und Spezialpräventionskonzepten, zu beobachten. 35 Damit einher geht ein starker Einfluß der soziologischen

31 Das schließt allerdings nicht aus, daß Staaten selbst zum Opfer eines Unrechtsregimes werden, vor allem dann, wenn dieses von einem anderen Staat oktroyiert worden ist, wie das beispielsweise bei Satellitenstaaten der UdSSR der Fall war. 32 Näher dazu Hirsch (Fn. 7), S. 15. Siehe auch Schroth (Fn. 7), S. 191 ff., 209, und Ehrhardt (Fn. 7), S. 185 ff. 33 Siehe z. B. Jescheck, Allg. Teil, S. 204; Heinitz (Fn. 3), S. 86; Engisch (Fn. 3), S. E 34 f. 34 Kant, Metaphysik der Sitten, 1787, neu hrsg. von Vorländer, 1954, S. 158 ff., 163.Zu diesem Strafbegriff vgl. auch Binding, Normen, Bd. I, 4. Aufl. 1922, S. 419 f.; H. Mayer, Allg. Teil, 1953, S. 33; Welzel, Strafrecht, S. 238 ff. 35 Siehe etwa Roxin, Allg. Teil, § 3 Rdn. 36 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 1/14 ff.

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Grundsätzliche Fragen

Schule 36, deren deutscher Stammvater, Franz von Liszt, bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts die Strafbarkeit von juristischen Personen gefordert hatte. 37 Betrachten wir den Gesichtspunkt der Generalprävention, so ist es in der Tat naheliegend, daß er auch auf Korporationen paßt. Wenn gegen eine juristische Person eine Geldsanktion verhängt wird, so ist die Wirkung auf andere Korporationen durchaus derjenigen vergleichbar, die eine gegenüber einer Individualperson verhängte Geldstrafe auf andere natürliche Personen ausübt. Wird, wie es im Ordnungswidrigkeitenrecht zu beobachten ist, gegen eine Aktiengesellschaft wegen eines Wirtschaftsdelikts ein regelmäßig hohes Bußgeld verhängt, dann werden sich andere Unternehmen sehr überlegen, ob sie ein solches Sanktionsrisiko eingehen wollen. Auch die spezialpräventive Wirkung liegt nahe. Der bestrafte Verband wird sich sogar eher noch, als es bei bestraften natürlichen Personen festzustellen ist, davor hüten, erneut mit dem betreffenden Gesetz in Konflikt zu kommen. Empirische Untersuchungen in den USA haben insoweit die Vermutung bestätigt, daß Wirtschaftsunternehmen, weil sie sich im Rampenlicht der Öffentlichkeit befinden, bemüht sind, keinen neuen Schaden an Ansehen entstehen zu lassen. 38 Hinzu kommt, daß von Mitgliedern, also etwa den Aktionären, in der Regel ein auf künftiges Wohlverhalten gerichteter Druck ausgeht, damit die Rendite nicht als Folge des erneuten Aufbringen seiner Geldstrafe und des durch die Reputationseinbuße erfolgten Umsatzrückgangs geschmälert wird. Zweifelhaft ist allerdings, ob der Strafbegriff auch dann auf juristische Personen anwendbar ist, wenn man nicht mit der neuen Moderichtung allein auf den Präventionsaspekt der Strafe verweist. 39 Dann muß die Frage vielmehr lauten, ob gegenüber Korporationen die Strafe ihrer primären Funktion, die begangene Tat schuldangemessen, gerecht zu ahnden, genügen kann. Zu ihrer Beantwortung sind die Weichen schon dadurch gestellt, daß im vorhergehenden die Möglichkeit der Korporation, pflichtwidrig und schuldhaft zu handeln, zu bejahen war. Denn es ist dann nicht ungerecht, wenn auf den schuldhaften Pflichtverstoß mit einer vorher angedrohten ahndenden Sanktion reagiert wird. Was dabei die sittliche Komponente betrifft, ist zwar einerseits zu bedenken, daß das staatliche Sanktionenrecht nur auf die Wahrung legalen, nicht jedoch darüber hinaus moralischen Verhaltens gerichtet ist. Aber andererseits ergibt sich aus der Schuldbezogenheit der Strafe,

36 Und zwar am ausgeprägtesten in der heutigen „funktionalistischen“ Richtung. Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. 1973, S. 16 ff., 24 ff., 33 ff.; Schünemann, in: ders., Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 1, 45 ff.; Amelung, ebd., S. 85, 87, 98 ff.; Jakobs, Allg. Teil, S. V, VII f. 37 von Liszt, Strafrecht, § 28 12 (so auch schon in der 1. Aufl. 1881). 38 Vgl. dazu die Angaben bei Ehrhardt (Fn. 7), S. 204 f. mit Fn. 166. 39 Näher Armin Kaufmann, Die Aufgabe des Strafrechts, 1982; Hirsch, in: Medicus / Hirsch / von Arnim, 25 Jahre Rechtsentwicklung in Deutschland, 1993, S. 35, 44 ff. Die von der Ahndung ausgehende Prävention ist erst ein mittelbarer weiterer Zweck der Strafe.

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daß der Strafbegriff ebenso wie der Schuldbegriff notwendig ethischen Gehalt hat. Sieht man genauer hin, läßt sich daraus jedoch nichts gegen die Körperschaftsstrafe (Verbandsstrafe) ableiten. Die strafrechtlich interessierenden Rechtsnormen, die an die Korporation gerichtet werden, sind – wie oben schon für den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts verdeutlicht – keineswegs ethisch indifferent. Wenn beispielsweise ein Wirtschaftsunternehmen ohne sorgfältige Prüfung ein Schlafmittel produziert, das zu Mißbildungen des Embryos und damit zur Geburt körperlich geschädigter Kinder führt 40, so ist dies nichts ethisch Irrelevantes. Ist aber eine Korporation Adressat ethischer Normen, so daß ihr, wie sich oben gezeigt hat, wegen der Normverletzung ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, dann ist sie damit auch im ethischen Sinne ausreichend Person, um Adressat der Bestrafung im Falle der Nichtbefolgung solcher Normen sein zu können. Man hat als wesentlichen Unterschied gegenüber dem Menschen als Strafadressaten allerdings noch angeführt, daß die Korporation die Strafe nicht selbst empfinden könne, ihr also die Strafempfänglichkeit fehle. 41 Betrachtet man sie als abstrakte Organisationsform, kann sie in der Tat keine Empfindungen haben. Sie ist jedoch ein durch den wechselnden Mitgliederbestand und ihre Organe mit Leben erfülltes Gebilde. Deshalb führt die verhängte Strafsanktion durchaus zu Reaktionen innerhalb der Korporation. Vom Begriff der Strafe her ergeben sich daher keine Friktionen. 4. Weitere Einwände

Es sind im deutschen Schrifttum auch noch einige andere Einwände gegenüber der Anerkennung der Straffähigkeit juristischer Personen erhoben worden: a) Besonders interessant ist das Bedenken, das Karl Engisch auf dem Deutschen Juristentag 1953 in bezug auf die Gerechtigkeit der Auswirkungen, die eine Bestrafung von korporativen Gesamtheiten für die Mitglieder haben würde, vorgetragen hat. Oben war schon davon die Rede, daß die Auswirkungen mittelbar die Mitglieder treffen. Engisch 42 meinte deshalb, daß der Gedanke der Straffähigkeit von Korporationen dazu führe, „daß der Einzelne nicht nach dem Maß seiner Schuld, sondern nach dem seiner finanziellen Beteiligung am Unternehmen der Leidtragende“ sei. Diese Stellungnahme, die in ähnlicher Form auch bei anderen Referenten des Juristentages von 1953 auftaucht 43, ist jedoch auf ihrem historischen Hintergrund 40

§ 95 ArzneimittelG i.V. m. § 30 OWiG. Hafter, Schweizerisches Strafrecht, 2. Aufl. 1946, S. 72 (unter Berufung auf Kohler); Engisch (Fn. 3), S. E 16; Hartung (Fn. 3), S. E 43. 42 (Fn. 3), S. E 28. 41

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Grundsätzliche Fragen

zu betrachten. Spielte bei der Schuldfrage die Befürchtung eine Rolle, daß die Kollektivschuld der Mitglieder die Konsequenz sein würde, will man hier bei der Straffrage nun auch von dem mittelbaren Betroffensein durch die Auswirkungen nichts wissen. Man hatte die Folgen, die sich nach 1945 für die deutsche Bevölkerung aus der vorhergehenden NS-Herrschaft ergaben, vor Augen. Heute lassen sich die Dinge aber weniger emotional sehen. Von dem hier nicht interessierenden Sonderproblem der Sanktionen gegen Staaten abgesehen geht es in erster Linie um die Behauptung Engischs, daß Strafsanktionen gegen korporative Wirtschaftsunternehmen ungerecht in bezug auf die an ihnen finanziell beteiligten Mitglieder (z. B. Aktionäre) seien. In der Tat schmälert eine gegen das Unternehmen verhängte fühlbare Geldstrafe dessen Rendite. Aber es ist doch zu beachten, daß es sich dabei nur um mittelbare Auswirkungen handelt. Die Mitglieder haften nicht mit ihrem eigenen Vermögen, sondern die für sie entstehenden Nachteile sind auf die Auswirkungen beschränkt, die sich aus der Bestrafung der Korporation ergeben. Hierbei handelt es sich um Risiken, die allgemein mit der Mitgliedschaft an einer körperschaftlichen Gesamtheit verbunden sind. Ebenso wie dem Mitglied Vorteile aus der Tätigkeit des korporativen Unternehmens erwachsen, sind auch Nachteile möglich. Diese Risiken können die Mitglieder durch die Wahl zuverlässiger Organe minimieren. Ungerecht sind jene mittelbaren Auswirkungen, die Strafsanktionen gegen Korporationen auf die Mitglieder haben, also nicht. Die Bedenken von Engisch sind daher nicht durchschlagend. b) Das gilt auch für einen weiteren Einwand, der gegen die Anerkennung der Straffähigkeit vorgebracht wird. Er lautet, daß in den Fällen, in denen der als Organ handelnde Individualtäter ebenfalls abgeurteilt wird, eine Doppelbestrafung stattfände. 44 Der schuldige Individualtäter würde im Widerspruch zum Satz „ne bis in idem“ sowohl durch die gegen ihn selbst verhängte Strafe als auch anteilig durch die gegen die Korporation ausgesprochene Strafe bestraft. Aber dieses Bedenken beruht ebenfalls auf mangelnder Unterscheidung von Individualperson und Korporation. Wenn ein Organ eines körperschaftlichen Wirtschaftsunternehmens im Rahmen seiner Tätigkeit eine Straftat zugunsten des Unternehmens verwirklicht, so handelt es sich bei der Bestrafung einerseits um seine eigene Verantwortlichkeit, und andererseits geht es um die Verantwortlichkeit des Unternehmens. Beide werden nicht durch die jeweils andere ganz oder teilweise abgedeckt. 45 Etwaige mittelbare Auswirkungen der Unternehmensbestrafung treffen den Individualtäter nicht anders als andere Arbeitnehmer oder Mitglieder. Zudem zeigt ein Vergleich zu Unternehmen, deren Inhaber nicht eine Körperschaft, sondern eine natürliche Person ist, daß sich im Falle der Bestrafung 43

Hartung (Fn. 3), S. E 43 f.; Heinitz (Fn. 3), S. 89. Engisch (Fn. 3), S. E 36 ff.; Heinitz (Fn. 3), S. 90. 45 Das um so weniger, als hinsichtlich der Korporation zusätzliche Schulderfordernisse notwendig sind. Dazu näher unten VIII. 44

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eines solchen Inhabers das gleiche Problem ergibt, ohne daß jedoch jemand wegen unsozialer Auswirkungen auf die Arbeitnehmer einen solchen Inhaber straflos lassen will. Das Argument der Doppelbestrafung verfängt somit nicht. 46 Nach alledem läßt sich feststellen, daß eine (Kriminal-)Straffähigkeit von körperschaftlichen Unternehmen im deutschen Recht zwar nicht anerkannt; mit unserem Rechtssystem jedoch entgegen bisherigen Bedenken prinzipiell vereinbar ist. III. Frage der Straffähigkeit auch von Unternehmen, die nicht juristische Personen sind Herkömmlich war die Diskussion um diese Problematik ausschließlich auf die Straffähigkeit körperschaftlicher Gesamtheiten gerichtet. Dabei beschränkte man sich nicht auf juristische Personen im engeren Sinne, also solche Korporationen, denen ausdrücklich die volle Rechtsfähigkeit zuerkannt ist. Vielmehr erstreckte sich die Diskussion ebenfalls auf alle anderen korporativen Personenvereinigungen. Diese Einbeziehung von nicht voll rechtsfähigen Personenvereinigungen hat auch der Gesetzgeber in § 30 OWiG vorgenommen, wo es heißt: „Hat jemand ... als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person ..., als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins ..., als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft ... eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen ...“ Bei alledem geht es nicht nur um körperschaftlich strukturierte Unternehmen, sondern um Korporationen schlechthin. In der heutigen deutschen Diskussion ist dagegen die Aufmerksamkeit ganz auf Unternehmen bezogen. Zumeist ist von der Frage nach der Straffähigkeit von „Unternehmen“ die Rede. Dabei wird wohl stillschweigend vorausgesetzt, daß es um körperschaftliche Unternehmen geht. Aber aktuell scheint ebenfalls der Gedanke zu sein, daß Unternehmen, die nicht körperschaftlich strukturiert sind, selbständig für straffähig erklärt werden. Das Recht der Europäischen Union sieht nämlich zum Teil Geldbußen auch gegen nicht körperschaftlich organisierte Unternehmen vor (vgl. Art. 17 ff. VO Nr. 11 des Rates der EG vom 27. 6. 1960 und Art. 15 VO Nr. 17 des Rates der EG vom 6. 2. 1962 [Kartell-VO]). Diese Frage, ob nur körperschaftlichen oder auch allen anderen Unternehmen eine Straffähigkeit zuerkannt werden kann, stellt einen der juristisch zentralen 46 Ebenfalls versagt der Einwand, daß ein Strafverfahren die Anwesenheit eines leibhaften Angeklagten voraussetze. Denn ganz abgesehen davon, daß der strafprozessuale Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht uneingeschränkt gilt, hat die Anerkennung von Körperschaften die Konsequenz, daß das Verfahren sich deren Struktur anzupassen hat. Daß dies möglich ist, zeigt nicht nur die Praxis der angelsächsischen Strafjustiz und des deutschen Bußgeldverfahrens, sondern auch die anderer Gerichtszweige, wie des Zivilprozesses und des Verwaltungsprozesses.

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Grundsätzliche Fragen

Punkte des Problembereichs der Unternehmensstrafbarkeit dar. Nur derjenige, der Adressat von Normen ist, kommt für eine Normverletzung in Betracht. Die bestehenden Rechtssysteme sehen aber ausschließlich natürliche Personen oder korporative Personen als Normadressaten an. Man hat danach also zwischen dem Unternehmen als wirtschaftlicher Wirkungs- und Organisationseinheit einerseits und dem Unternehmensträger andererseits zu unterscheiden. Adressat von Rechtspflichten und Inhaber von Rechten kann nur der Unternehmensträger, d. h. eine natürliche Person oder eine ihre Stelle einnehmende korporative Gesamtheit (insbesondere eine juristische Person), sein. 47 Ausschlaggebend ist auf dieser Grundlage deshalb, wer rechtlich als Unternehmensträger handelt, im Falle eines körperschaftlichen Unternehmens also die Korporation durch ihre Repräsentanten. 48 Im deutschen gesellschaftsrechtlichen Schrifttum ist die Frage aufgeworfen worden, ob man nicht auch dem Unternehmen eine eigene Stellung als Rechtssubjekt einräumen kann. Die ganz herrschende Meinung lehnt dies jedoch ab. 49 Da das Strafrecht einen Ausschnitt aus der Gesamtrechtsordnung bildet, ist es bei seinen Regelungen daran gebunden, daß diese nur natürliche und korporative Personen, also die Unternehmensinhaber, zu Adressaten von Pflichten und Trägern von Rechten macht. 50 47

Zur Unterscheidung von Unternehmen und Unternehmensträger vgl. Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl. 1987, S. 74 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 308 f.; Hirsch (Fn. 7), S. 24 f. 48 So auch Stratenwerth, Festschrift für R. Schmitt, S. 295, 297 f. (leitende Funktionen). Auch die Europaratsempfehlungen v. 20. 10. 1988, Nr. R (88) 18, stellen auf die Direktion der Körperschaft ab. 49 Vgl. Karsten Schmidt (Fn. 47) und Wiedemann (Fn. 47), m.w. N. Dafür aber Th. Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969, S. 138 ff.; gegen diesen im strafrechtlichen Schrifttum ausdrücklich auch Schroth (Fn. 7), S. 2 Fn. 8. 50 Deshalb scheidet auch der Gedanke aus, de lege ferenda Unternehmen, die einen Einzelunternehmer, also eine natürliche Person, als Inhaber haben, für unternehmensbezogene Taten von Angestellten, seien es auch Repräsentanten (z. B. ein alleiniger Prokurist), zu bestrafen. Bestraft werden kann nur, wer als Rechtssubjekt, nämlich Pflichtenadressat, begriffen werden kann. Anders jedoch Schroth (Fn. 7), der zwar einerseits davon ausgeht, daß Rechtsträger nur natürliche Personen und rechtsfähige Personenverbände sein können (S. 2), andererseits gleichwohl das Unternehmen – sei es das eines Einzelunternehmers, sei es das einer körperschaftlichen Gesamtheit – als Normadressat ansehen will (S. 25). „Unternehmen“ sei dabei als „Sammelbegriff“ für wirtschaftlich tätige Gebilde mit unterschiedlichen Rechtsträgern zu verstehen (S. 21). Die praktische Konsequenz dieser Auffassung ist vor allem die, daß deliktische Handlungen von Unternehmensbeauftragten eines Einzelunternehmers dem mit diesem identischen Individualunternehmen als eigene zugerechnet werden (S. 223 ff.). Das bedeutet jedoch, daß der Einzelunternehmer unter dem Etikett seines Unternehmens strafrechtlich wegen einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Straftat, die nicht er, sondern ein Unternehmensbeauftragter begangen hat, bestraft wird, und das unabhängig von der Feststellung eines eigenen konkreten Verschuldens. Die Konstruktion von Schroth verschleiert, daß sie – im Widerspruch zu den dortigen Ausführungen auf

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Hinzuweisen ist schließlich darauf, daß eine Straffähigkeit von Korporationen mit rein krimineller Zielsetzung von Anbeginn ausscheidet. Ihr Gründungsakt ist von vornherein wegen Gesetzesverstoßes nichtig. Die Anerkennung ihrer Straffähigkeit würde sie aber zu Rechtssubjekten aufwerten. Die strafrechtliche Erfassung bezieht sich in diesen Fällen ausschließlich auf die Mitglieder einer solchen kriminellen Vereinigung (vgl. §§ 129 f. StGB). IV. Kategorien körperschaftlicher Verantwortlichkeit im deutschen Rechtssystem Zur Beantwortung der Frage, ob die Einführung der Kriminalstraffähigkeit von körperschaftlich strukturierten Unternehmen wünschenswert ist, bedarf es auch eines Blicks auf die vorhandenen anderweitigen Regelungen. 1. Zivilrechtliche Verantwortlichkeit eines körperschaftlichen Unternehmens für eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht, die durch einen für das Unternehmen Handelnden entstanden ist

In den §§ 31 und 89 Abs. 1 BGB ist die Haftung von Korporationen für Schäden aus unerlaubter Handlung vorgesehen, die eines ihrer Organe, d. h. ihr Vorstand oder andere verfassungsmäßig berufene Vertreter, in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen einem Dritten zufügen. Davon zu unterscheiden sind die Fälle der zivilrechtlichen Haftung für Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) und Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB), bei denen es sich nicht um spezifisch körperschaftsbezogene, sondern allgemeine Regelungen handelt. 2. Administrative Verantwortlichkeit mit der Folge klassischer administrativer Sanktionen

a) Die Auflösung einer juristischen Person kommt vor allem im Falle von gesetzeswidrigem, insbesondere verfassungswidrigem Verhalten ihrer Organe in Betracht. Die Auflösung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist in § 62 GmbHG für den Fall vorgesehen, daß das Gemeinwohl dadurch gefährdet ist, daß die Ge-

S. 2 – auf die Annahme einer eigenen Rechtsträgerschaft des Unternehmens hinausläuft. Siehe zu der Frage aber auch noch §§ 1, 38 GWB, deren Lösung jedoch ebensowenig wie einschlägige Regelungen des Wettbewerbsrechts der Europäischen Union verallgemeinerungsfähig ist, da sie sich von den allgemeinen Grundlagen der Rechtsordnungen, deren Beachtung für das Strafrecht unverzichtbar ist, entfernt hat.

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sellschafter gesetzwidrige Beschlüsse fassen oder gesetzwidrige Handlungen der Geschäftsführer wissentlich geschehen lassen. Gesetzeswidrig sind insbesondere solche Beschlüsse und Handlungen, die einen Straftatbestand erfüllen. Eine Aktiengesellschaft kann unter ähnlichen Voraussetzungen gemäß § 396 AktG aufgelöst werden, wenn Aufsichtsrat und Hauptversammlung nicht für die Abberufung des sich gesetzwidrig verhaltenden Verwaltungsträgers sorgen. Darüber hinaus können GmbH und AG durch die oberste Landesbehörde oder den Innenminister gemäß § 17 Abs. 1 i.V. m. § 3 VereinsG verboten werden (womit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz VereinsG die Auflösung verbunden ist), wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten oder gegen die Staatsschutzvorschriften des Strafgesetzbuches verstoßen. Wegen einer Straftat kann das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gemäß § 35 Abs. 2 Nr. 1 Kreditwesengesetz (KWG) und § 35 Abs. 2 Nr. 4a i.V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 2 KWG die Abwicklung einer juristischen Person, die ein Bankgeschäft betreibt, bestimmen, wobei diese Entscheidung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 KWG wie ein Auflösungsbeschluß wirkt. Schließlich ist noch die Möglichkeit zu erwähnen, daß das Bundesverfassungsgericht die Auflösung einer Gesellschaft nach § 39 Abs. 2 BVerfGG i.V. m. § 13 Nr. 1 BVerfGG und Art. 18 GG anordnen kann, wenn es die Verwirkung von Grundrechten durch die Gesellschaft nach § 39 Abs. 1 BVerfGG feststellt. Die Auflösung einer juristischen Person steht in Parallele zu der – nach Art. 102 GG in Deutschland abgeschafften – Todesstrafe gegen eine natürliche Person, wenngleich beide Sanktionen sich in ihrer Schwere naturgemäß nicht entsprechen. Sie soll im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erst in Betracht kommen, wenn alle anderen Mittel, wozu auch die strafrechtlichen Rechtsfolgen gezählt werden, versagen. 51 Hinsichtlich der Frage, ob die Sanktionsmöglichkeiten für juristische Personen ausreichen, spielen die Auflösungsvorschriften deshalb keine besondere Rolle. 52 b) Auch Tätigkeitsbeschränkungen sind möglich. Nach § 35 GewO, §§ 16, 17 GaststG, § 16 Abs. 3 HandwO kann der juristischen Person der Betrieb eines Gewerbes, nach §§ 20, 25 BImSchG, §§ 25, 51 GewO der Betrieb einzelner Anlagen untersagt werden. Tätigkeitsbeschränkungen können ferner durch die verwaltungsrechtlichen Mittel der Rücknahme und des Widerrufs von Konzessionen, Erlaubnissen und Genehmigungen erfolgen. Als Grund für solche Maßnahmen wird in den einschlägigen Vorschriften vor allem die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden genannt, die besonders im Falle der Begehung von Straftaten (bei juristischen Personen durch einen gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft) angenommen wird. 53 Auch diese Möglichkeiten, die Tätigkeit einer juristischen 51 52

Ackermann (Fn. 7), S. 33; Schünemann (Fn. 7), S. 157 f. Heinitz (Fn. 3), S. 88; Schünemann (Fn. 7), S. 157 f.; Seiler (Fn. 12), S. 160 ff.

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Person zu beschränken, haben im Rahmen der Diskussion, ob die bestehenden Sanktionen gegen juristische Personen genügen, nur eine untergeordnete Bedeutung. Sie sind verwaltungsrechtliche und eben keine punitiven Maßnahmen 54 und werden häufig, wie schon die Auflösung, als ultima ratio betrachtet. 55 3. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit, welche die Verhängung punitiver Sanktionen erlaubt

Es wurde im vorhergehenden schon darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zum Kriminalstrafrecht im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts in § 30 OWiG eine punitive Sanktion gegen juristische Personen und andere körperschaftliche Personengesamtheiten gesetzlich anerkannt ist. Das ähnelt der Rechtslage in mehreren anderen Rechtsordnungen, welche die Straffähigkeit zwar grundsätzlich verneinen, aber im Verwaltungsstrafrecht bejahen. 56 Jene Vorschrift sieht die gegenwärtig praktisch bedeutsamste Sanktion gegen juristische Personen oder sonstige Personenvereinigungen vor: die Festsetzung einer Geldbuße, wenn jemand als vertretungsberechtigtes Organ, als Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs, als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person usw. selbst treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person usw. bereichert worden ist oder werden sollte. 57 Die jetzige Regelung ist in ihrer grundsätzlichen Ausgestaltung im Jahre 1986 eingeführt worden. 58 Es geht um eine selbständige Sanktion gegen die juristische Person, während die Vorschrift in der früheren, im Jahre 1968 in das Ordnungswidrigkeitengesetz aufgenommenen Fassung nur eine Einstufung als „Nebenfolge“ der Handlung eines Organs vorsah. Die mögliche Geldbuße beläuft sich heute bei vorsätzlichen Straftaten bis zu einer Million DM (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG), bei fahrlässigen Straftaten bis zu 500 000 DM (§ 30 Abs. 2 Nr. 2 OWiG). Diese Höchst53 Vgl. Korte, Juristische Person und strafrechtliche Verantwortung, 1991, S. 20 f., m.w. N. in Fn. 68 – 72. 54 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, 1933, S. 128 ff. 55 Schünemann (Fn. 7), S. 157 f.; Seiler (Fn. 12), S. 149 f. 56 So verhält es sich beispielsweise in Schweden, Japan und Korea. 57 Der Text berücksichtigt bereits die am 1. 11. 1994, also erst nach dem Athener Kongreß, durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität erfolgte Änderung des § 30 OWiG, die eine Erweiterung des Kreises der handelnden Repräsentanten auf Generalbevollmächtigte und in leitender Stellung befindliche Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 OWiG) enthält. 58 Vorher gab es bereits Einzelvorschriften des Bundes- und Landesrechts über Geldbußen gegen juristische Personen.

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grenzen können nach § 30 Abs. 3 i.V. m. § 17 Abs. 4 OWiG noch überschritten werden, wenn das gesetzliche Höchstmaß nicht ausreicht, um den wirtschaftlichen Vorteil, den die juristische Person aus der Tat gezogen hat, zu übersteigen. § 30 OWiG kommt der im deutschen Recht fehlenden und von der bisherigen herrschenden Meinung abgelehnten Strafnorm für juristische Personen am nächsten. Die deutsche Diskussion der zur Erörterung stehenden einschlägigen Fragen hat daher hier ihren Schwerpunkt. Daß die Gegner einer kriminalstrafrechtlichen Anerkennung der Straffähigkeit juristischer Personen zumeist keine Bedenken haben, die Verhängung von punitiven Sanktionen gegen juristische Personen im Ordnungswidrigkeitenrecht zu akzeptieren, beruht auf der überholten Ansicht, Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht unterschieden sich darin, daß ersteres im Unterschied zu letzterem wertneutral sei. Oben wurde deshalb schon aufgezeigt, daß die unterschiedliche Behandlung des Problems, d. h. die Bejahung der Straffähigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht und die Verneinung im Kriminalstrafrecht, einen Widerspruch darstellt. Mit einer Vorschrift wie § 30 OWiG ist in Wahrheit der grundsätzlich ablehnende Ausgangspunkt verlassen. Auf der anderen Seite hat man im Schrifttum kritisiert, daß § 30 OWiG inhaltlich nicht weit genug gehe. So ist bemängelt worden, daß er nur Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von leitenden Verbandsorganen erfaßt 59 – ein Bedenken, das der Gesetzgeber bei der erwähnten Änderung der Vorschrift durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität in dem Umfang berücksichtigt, daß eine Erweiterung auf bestimmte andere in leitender Stellung befindliche Verantwortliche vorgenommen wird. Auch hat man Kritik daran geübt, daß die Voraussetzung, „als Organ“ zu handeln, zur Nichtanwendbarkeit der Vorschrift führt, wenn der Täter ausschließlich für sich selbst handelt. 60 Gerügt worden ist außerdem, daß die nach § 30 Abs. 4 OWiG eröffnete Möglichkeit, die Geldbuße allein gegen die juristische Person festzusetzen, gleichwohl den Nachweis der Schuld des unmittelbar Handelnden zur Voraussetzung hat. 61 Und schließlich findet sich das Bedenken, daß die Begrenzung auf Handlungen, die Pflichten der juristischen Person verletzen oder diese bereichern sollen, eine unangemessene Einschränkung der punitiven Verantwortlichkeit der juristischen Person bedeuteten. 62

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R. Schmitt, Festschrift für Lange, 1976, S. 877, 880 f., 886; Schünemann (Fn. 7), S. 162 ff.; Triffterer, Umweltstrafrecht, 1980, S. 128; Müller (Fn. 7), S. 66 ff.; teilweise auch Cramer, in: KK OWiG, § 30 Rdn. 81 ff. Straftaten eines tatsächlichen Geschäftsleiters können indes bei Banken und Kreditinstituten über § 39 HypBKG, § 59 KWG, § 40 SchBKG zu einer Geldbuße gegen die juristische Person selbst führen. 60 Schünemann (Fn. 7), S. 164. 61 Schmitt, Festschrift für Lange, S. 877, 884 f., Schünemann (Fn. 7), S. 165 f. 62 Müller (Fn. 7), S. 73 f., Schünemann (Fn. 7), S. 166 f.

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Diese kritischen Äußerungen veranschaulichen, wo die Gefahrenquelle der heutigen Reformdiskussion liegt: in der Vernachlässigung der Prüfung, welche Grenzen ein punitives Sanktionsrecht von seinen Grundlagen her setzt, und stattdessen der Orientierung an der praktikablen Befriedigung eines bloßen Haftungsbedürfnisses. Es wird allzu leicht übersehen, daß punitive Verantwortlichkeit eine Pflichtverletzung und echte Schuldmaßstäbe voraussetzt und von bloßer Haftung zu unterscheiden ist. Der Unterschied von Zivilrecht und Strafrecht (einschließlich des punitiven Ordnungswidrigkeitenrechts) wird verwischt – mit der Folge, daß die Berechtigung einer Ahndung nicht mehr erklärt werden kann. Bei der Erörterung der Einzelfragen wird auf diese Punkte noch einmal zurückzukommen sein. Zuzustimmen ist dagegen der Auffassung, daß eine auf das Ordnungswidrigkeitenrecht beschränkte punitive Regelung zu eng ist und deshalb darüber hinaus auch eine kriminalstrafrechtliche Vorschrift notwendig wird. Wertungsmäßig ist es sehr unbefriedigend, wenn man zwar den Individualtäter mit Kriminalstrafe bedroht, juristische Personen aber nur nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht zur Rechenschaft gezogen werden können. Auf die unhaltbaren Folgen einer solchen unterschiedlichen Rechtslage wurde schon zu Anfang hingewiesen. Durch die Anerkennung der (Kriminal-)Straffähigkeit würden die verhängten Sanktionen mehr Gewicht erhalten und damit gegenüber der betroffenen juristischen Person und ebenfalls gegenüber der Allgemeinheit verstärkt präventiv wirken. Eine solche Vorschrift könnte allerdings nicht in einer bloßen kriminalstrafrechtlichen Nachbildung des § 30 OWiG bestehen, da dessen Voraussetzungen in dem Nebeneinander von Pflichtverletzungs- (Nr. 1) und Bereicherungsfällen (Nr. 2) noch die historische Entwicklung von der bloßen Gewinnabschöpfung zur punitiven Sanktion widerspiegeln. Die Gewinnabschöpfung gehört heute sachlich in die Rechtsfolge „Verfall“ (§ 29a OWiG, §§ 73 ff. StGB). Anknüpfungspunkt der Körperschaftsstrafe kann allein die körperschaftsbezogene Handlung sein, die einen Pflichtverstoß (auch) der Korporation begründet. 4. Verfall und Einziehung im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht

Als echte strafrechtliche Rechtsfolgen sind im deutschen Recht der Verfall des durch die Tat erlangten Vermögenszuwachses (§§ 73 ff. StGB) und die Einziehung der durch sie hervorgebrachten oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung bestimmten Gegenstände (§§ 74 ff. StGB) vorgesehen. a) Wenn der Täter oder Teilnehmer einer Straftat für eine juristische Person gehandelt und die juristische Person dadurch einen Vermögensvorteil erlangt hat, wird nach § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. Abs. 3 StGB der Verfall dieses Vermögensvorteils gegen die juristische Person angeordnet. Weitere Einzelheiten bestimmen die §§ 73 Abs. 2, 73a StGB. Als verfassungsrechtlich bedenklich wird die neu einge-

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führte Beweiserleichterung des „Erweiterten Verfalls“(§ 73d StGB) angesehen. 63 Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht ist jetzt die Anordnung eines Verfalls gegen eine juristische Person gemäß § 29a Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 OWiG möglich. Eine besondere praktische Bedeutung als straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Rechtsfolge besitzt der Verfall allerdings bisher nicht. 64 Eine Sonderregelung gegenüber diesen Verfallregelungen stellt § 8 Abs. 4 WiStG für den Fall einer strafbaren Zuwiderhandlung im Sinne der §§ 1 –6 WiStG dar: Wenn diese in einem Betrieb begangen wurde, dessen Inhaber eine juristische Person ist, kann die Abführung des Mehrerlöses anstatt nach § 8 Abs. 1 WiStG gegen den Täter auch gemäß § 10 Abs. 2 WiStG gegen die juristische Person selbst angeordnet werden, falls ihr der Mehrerlös zugeflossen ist. b) Durch § 75 StGB wird die schon nach allgemeinen Vorschriften mögliche Einziehung von Dritteigentum (z. B. § 74 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 Nr. 2 StGB) auf die Einziehung von Eigentum einer juristischen Person erweitert: Wenn jemand als vertretungsberechtigtes Organ, als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs, als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person eine Handlung vorgenommen hat, die ihm gegenüber die Einziehung eines Gegenstandes begründen würde, wird seine Handlung der juristischen Person (in deren Eigentum sich der betreffende Gegenstand befindet) zugerechnet. c) Diese Regelungen machen die einzuführende (Kriminal-)Strafbarkeit von juristischen Personen ebensowenig entbehrlich, wie sie das bei Individualtätern tun. Andernfalls besteht das Risiko der Tat, wie gesagt, nur darin, das durch ihre Begehung Erlangte wieder zu verlieren und die Tatmittel einzubüßen. 5. Steuerstrafrechtliche Verantwortlichkeit?

Im deutschen Steuerstrafrecht war früher bestimmt: Wenn ein Vertreter einer juristischen oder natürlichen Person bei der Ausübung seiner Vertretungsbefugnis eine Steuerstraftat begeht, haftet auch der Vertretene dem Staat für die gegen den Vertreter verhängte Geldstrafe (§ 416 RAO). Diese Vorschrift ist im Jahre 1967 ersatzlos aufgehoben worden. Heute gelten im Steuerstrafrecht in bezug auf juristische Personen allein die Ordnungswidrigkeitenregelung des § 30 OWiG und die genannten Vorschriften über Verfall und Einziehung.

63 64

Siehe Dreher / Tröndle, StGB, 46. Aufl. 1993, § 73d Rdn. 4, m.w. N. Korte (Fn. 53), S. 24 Fn. 80, m.w. N.

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V. Theoretische Prinzipien der Verantwortlichkeit korporativer Unternehmen de lege lata und de lege ferenda Es erhebt sich die Frage, auf welchen theoretischen Prinzipien die im deutschen Recht vorgesehene Verantwortlichkeit von Korporationen basiert. Heute werden Korporationen zwar nicht mehr als juristische Fiktion angesehen 65, weshalb auch die deutsche Gesetzgebung die juristische Person im Sinne der Theorie von der realen Verbandsperson (Organtheorie) regelt. 66 Klarheit besteht zudem darüber, daß die Korporationen menschliche Organisationsformen sind, die vom Wechsel der Mitglieder unabhängige, eigenständige Subjekte in der Wirklichkeit des Soziallebens darstellen. Weil sie soziale Realität sind 67, stattet die Rechtsordnung sie mit Rechtsfähigkeit aus und stuft sie als juristische Personen ein oder billigt ihnen – im Falle nichtrechtsfähiger Vereine – wenigstens passive Verfahrensfähigkeit zu. 68 Darüber hinaus geht das deutsche Verfassungsrecht in Art. 19 Abs. 3 GG von der realen Existenz aus, indem es die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten läßt, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Das alles schafft allerdings nicht die Tatsache aus der Welt, daß die Korporation, um nach außen zu handeln, sich der natürlichen Handlung eines Menschen bedienen muß. 69 Dem tragen auch die Regelungen des deutschen Zivilrechts und Ordnungswidrigkeitenrechts Rechnung, indem sie den Eintritt der jeweiligen Rechtsfolge gegenüber der juristischen Person von Handlungen einer natürlichen Person abhängig machen. Wie bereits erwähnt, wird dies von den Gegnern der Straffähigkeit körperschaftlicher Gesamtheiten als Ansatzpunkt der Kritik genutzt. Aus jener Notwendigkeit ergibt sich jedoch – wie dargelegt – lediglich, daß die Verantwortlichkeit des (korporativen) Unternehmens wegen der Körperschaftsstruktur naturgemäß immer nur an zurechenbare tatsächliche Handlungen (und Unterlassungen) der für es tätig werdenden natürlichen Personen anknüpfen kann. Materiellrechtliche Beweisführungserleichterungen (z. B. Vorsatz- oder Schuldvermutungen) sieht dabei weder das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht 70 noch die zivilrechtliche Zurechnungsnorm des § 31 BGB vor. 65 Flume, der noch in seinem Lehrbuch des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1/2, 1983, S. 29 f., die Fiktionstheorie bei Savigny im Grundsatz für zutreffend und nur als ergänzungsbedürftig bezeichnet hatte, spricht in seinem Beitrag zur Festschrift für Kegel, 1987, S. 147, 155, davon, daß die juristische Person „das ‚ideale Ganze‘ der Wirkungseinheit oder sozialen Lebenseinheit“ darstelle, wobei „der soziologische Tatbestand ... eine Beschreibung auf der Ebene der ‚Realität‘“ sei. 66 Vgl. insbesondere § 31 BGB. 67 Siehe die Nachweise oben in Fn. 12. 68 Siehe §§ 21 ff. BGB und § 50 Abs. 2 ZPO. 69 Siehe dazu auch oben II.1. sowie Fn. 6. 70 Siehe dazu auch noch unten VIII. 2.

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Grundsätzliche Fragen

VI. Ausnahmen von der Verantwortlichkeit bei staatlichen oder bestimmten privaten Unternehmen? Das deutsche Recht kennt weder in seinen Regelungen über Verfall und Einziehung noch in der Bußgeldandrohung nach § 30 OWiG derartige Ausnahmen. Bei der letztgenannten ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit ist daher von der Rechtsprechung ausdrücklich die Geltung auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts bejaht worden. 71 Das soll auch für Gebietskörperschaften zutreffen. 72 Im Schrifttum zur Frage der Einführung der (Kriminal-)Straffähigkeit von Korporationen werden jedoch Bedenken erhoben, sie auf Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erstrecken. 73 Hier würde nämlich eine Strafkompetenz nationaler Gerichte die Gewaltenteilung aus den Angeln heben und bei Gebietskörperschaften auch zu der Friktion führen, daß ein Gericht eine Körperschaft bestrafen könnte, deren Bestandteil es selbst ist. Für die soziale Kontrolle der Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die Parlamente sowie die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte zuständig. Aus diesen Gründen erscheint bereits die Einbeziehung der Gebietskörperschaften in den Anwendungsbereich des § 30 OWiG durch die herrschende Meinung bedenklich. VII. Voraussetzungen der Verantwortlichkeit des körperschaftlichen Unternehmens in bezug auf die Anknüpfungshandlung 1. Täterkreis der Anknüpfungshandlung

Die Frage, durch die Handlungen welchen Personenkreises die Verantwortlichkeit des (körperschaftlichen) Unternehmens begründet wird, ist im deutschen Zivilrecht dahin beantwortet: Es muß sich um natürliche Personen handeln, die als Organe berufen sind und in ihren Handlungen die Korporation als solche repräsentieren. 74 Man legt den Organbegriff in der zivilrechtlichen Judikatur verhältnismäßig weit aus und bezieht andere leitende Personen mit ein. 75 Auch § 30 OWiG stellte bisher allein auf die Organstellung des unmittelbar Handelnden ab. Durch die seit 1. 11. 1994 geltende Gesetzesfassung werden nun ausdrücklich die Handlungen von Personen einbezogen, die als Generalbevollmächtigte oder in 71 OLG Frankfurt NJW 1976, 1276; OLG Hamm NJW 1979, 1312; zustimmend Cramer, in: KK OWiG, § 30 Rdn. 54; Göhler, OWiG, § 30 Rdn. 2. 72 Siehe die Sachverhalte der in Fn. 71 zitierten Entscheidungen. 73 Hirsch (Fn. 7), S. 23. Schon für § 30 OWiG ablehnend Schmitt (Fn. 1), S. 211. 74 Vgl. § 31 BGB. 75 BGHZ 49; 19, 21, m.w. N. Dies wird dadurch erleichtert, daß in § 31 BGB auch von einem „anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ die Rede ist.

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leitender Stellung als Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte der juristischen Person oder sonstigen Personenvereinigungen tätig sind. Im Schrifttum wird die Beschränkung des Personenkreises auf die Leitungsebene (Repräsentanten) von mehreren Autoren beanstandet. 76 Zum Teil verweist man auf die US-amerikanische Rechtsprechung und Vorschriften des Rechts der Europäischen Union. Danach sollen alle für die Körperschaft tätig werdenden Bediensteten einzubeziehen sein, auch untere Angestellte, sofern sie nur „within the scope of employment“ handeln. 77 Diese in den USA auf der vicarious liability doctrine 78 beruhende Auffassung ermöglicht, den Umfang der Korporationsstrafbarkeit weit zu erstrecken und dadurch die Praxis der Strafverfolgung sehr zu vereinfachen. Jedoch werden auf solche Weise die Grenzen von zivilrechtlicher Haftung für fremdes Handeln und strafrechtlichem Verschulden für eigenes Handeln verwischt. Das wird sofort deutlich, wenn man ein körperschaftlich betriebenes Unternehmen, z. B. eine GmbH, einem von einer natürlichen Person betriebenen Unternehmen gegenüberstellt. Nehmen wir an, beide wären gleich groß, und einer der Angestellten beginge innerhalb seines Tätigkeitsbereichs Betrügereien, um dem Unternehmen Vermögensvorteile zu verschaffen. Im Falle des von der natürlichen Person betriebenen Unternehmens wäre unstreitig Täterschaft des Unternehmers nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Mittäterschaft oder mittelbaren Täterschaft möglich; sonst käme nur Anstiftung oder im Falle, daß der betreffende Unternehmer von der Tat nichts weiß, allenfalls eine Verletzung der Aufsichtspflicht 79 in Betracht. An dieser sachlich vorgegebenen Differenzierung kann sich aber nicht dadurch etwas ändern, daß das Unternehmen von einer GmbH betrieben wird. Der Unterschied erschöpft sich vielmehr darin, daß im zweiten Fall eine Körperschaft an die Stelle des Einzelunternehmers tritt. Vom eigenen Handeln einer Körperschaft läßt sich, wie im vorhergehenden gezeigt, eben nur bei Handlungen von natürlichen Personen sprechen, die eine leitende Stellung derart innehaben, daß sie in ihrem Handeln die Korporation als solche repräsentieren. 76 Vgl. die Nachweise zur entsprechenden Kritik an § 30 OWiG oben in Fn. 59 sowie im einzelnen strafrechtlich de lege ferenda Ehrhardt (Fn. 7), S. 221 ff., die jedoch auf die Notwendigkeit hinweist, daß das Strafrecht als ultima ratio nicht die in der jeweiligen Rechtsordnung vom geltenden Zivilrecht gezogenen Grenzen überschreitet. 77 Über die US-amerikanische Praxis im einzelnen Ehrhardt (Fn. 7), S. 104 f., 222, mit umfangreichen Nachweisen. Zum EU-Recht siehe die Angaben oben III und Tiedemann, Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1411, 1419 f. 78 Die vicarious liability doctrine bildet die Grundlage für die zu Beginn dieses Jahrhunderts über das Anwendungsgebiet der strict liability doctrine hinausgehende Erweiterung der Straffähigkeit von Korporationen im angelsächsischen Strafrecht auf mens-rea-Delikte. Indem man dabei in den USA die zivilrechtliche respondeat superior rule in das Strafrecht übernahm, entstand eine strafrechtliche Haftung für schuldhaftes deliktisches Verhalten auch unterer Angestellter. Anders entwickelte sich die corporate criminal liability in England, wo auf herausgehobene Personen abgestellt wird (alter ego theory). Näher dazu Ackermann (Fn. 7), S. 83 ff., 101 ff., und eingehend Ehrhardt (Fn. 7), S. 94 ff. 79 Dazu und speziell zu § 130 OWiG siehe auch noch den folgenden Text.

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Grundsätzliche Fragen

Zudem läuft die abzulehnende weite Auffassung auf das verfehlte Ergebnis hinaus, daß sich die sogenannten Multis, also weltweit tätige Aktiengesellschaften mit in die Zehntausende gehenden Beschäftigten, zwangsläufig fast tagtäglich strafbar machen, da sich leicht irgendeiner ihrer Angestellten normwidrig verhält. Hinsichtlich der unternehmensbezogenen Verfehlungen nachgeordneter Mitarbeiter ist aber zu beachten, daß diese Angestellten von ihren Vorgesetzten zu beaufsichtigen sind. Begeht ein solcher Angestellter im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit, kann daher eine Aufsichtspflichtverletzung des Vorgesetzten gegeben sein. Derartige Aufsichtspflichten können eine Garantenpflicht begründen 80, deren Verletzung bei entsprechendem Vorsatz oder ggf. Fahrlässigkeit eine Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdelikts in Betracht kommen läßt. Solche Garantenpflichten treffen jedoch nur leitende Angestellte 81, und lediglich dann, wenn diese zu den Repräsentanten des körperschaftlichen Unternehmens gehören, läßt sich ihr pflichtwidriges Unterlassen auch der Korporation als eigenes Verhalten zurechnen. Im übrigen kann für den Fall, daß die Voraussetzungen eines unechten Unterlassungsdelikts nicht erfüllt sind, die Verletzung einer solchen Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen für sich allein bereits gemäß § 130 i.V. m. § 9 OWiG als Ordnungswidrigkeit des Aufsichtspflichtigen geahndet werden. Unter den auf eine Repräsentantenposition abstellenden Erfordernissen des § 30 OWiG ist es möglich, daß eine solche Aufsichtspflichtverletzung dann auch eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit des körperschaftlichen Unternehmens selbst nach sich zieht. Darüber hinaus ist daran zu denken, Aufsichtspflichtverletzungen leitender Vorgesetzter de lege ferenda als (Kriminal-)Straftaten einzustufen, soweit sie sich auf die Begehung von Straftaten Untergebener beziehen. 2. Art der Anknüpfungshandlung

a) Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist eine Verantwortlichkeit des (körperschaftlichen) Unternehmens gemäß § 30 OWiG sowohl im Falle der Begehung einer (Kriminal-)Straftat (Verbrechen und Vergehen) als auch einer Ordnungswidrigkeit durch das Organ vorgesehen. Falls man im Kriminalstrafrecht eine Strafbarkeit von Korporationen einführen will, müßte demgegenüber die Anknüpfungshandlung stets eine (Kriminal-)Straftat sein, denn was für den individuellen Täter lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt, ist auch für die Korporation keine (Kriminal-) Straftat. 80 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 328 f.; Tiedemann, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I, 1972, S. C 57; Göhler, Festschrift für Dreher, 1977, S. 611, 621. Mit Einschränkungen auch Jescheck, in: LK, 11. Aufl. 1993, § 13 Rdn. 45, und Rudolphi, in: SK StGB, 6. Aufl. 1992, § 13 Rdn. 35a. 81 Vgl. die Nachweise in Fn. 80.

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b) Was die inhaltliche Seite der Handlungen angeht, neigt man vielleicht zunächst zu der Annahme, daß die Art des Korporationszwecks die Art der in Betracht kommenden Anknüpfungstaten begrenze; also bei Wirtschaftsunternehmen nur gegen das Vermögen gerichtete Handlungen in Betracht kommen. Die ordnungswidrigkeitenrechtliche Regelung des § 30 OWiG sieht jedoch keine derartigen Beschränkungen vor. Vielmehr werden nach § 30 Abs. 1, 1. Alt. OWiG alle betriebsbezogenen Pflichtverletzungen erfaßt. Darüber hinaus erstreckt sich § 30 Abs. 1, 2. Alt. OWiG auf Handlungen, durch die zwar die juristische Person bereichert wurde oder werden sollte, die aber nicht vermögensrechtlicher Natur zu sein brauchen. 82 Es zeigt sich nämlich, daß die Möglichkeiten denkbarer Delikte sehr breit sind. Man denke etwa an Tötungsdelikte, die von Wirtschaftsunternehmen durch die Produktion lebensgefährlicher Produkte mit Eventualvorsatz oder Fahrlässigkeit verantwortlicher Organe begangen werden. Nur Delikte, die ihrer Natur nach ausschließlich von einer natürlichen Person verwirklicht werden können, scheiden selbstverständlich aus. Ausschlaggebend ist in allen anderen Fällen allein, daß die Handlung körperschaftsbezogen begangen worden ist. Für eine solche Bezogenheit wird zumeist auf das Kriterium der Nutznießerschaft des Unternehmens abgestellt. 83 Demgegenüber ist aber von anderen Autoren mit zwingenden Gründen betont worden, daß es um das Vorliegen eines „funktionalen Zusammenhangs“ geht, d. h. die Handlung muß im Zusammenhang mit dem übertragenen Aufgabenbereich und nicht lediglich bei Gelegenheit dieser Tätigkeit begangen worden sein. 84 Abgelehnt wird vom deutschen Recht überzeugend auch eine Einschränkung des Kreises möglicher Anknüpfungshandlungen auf Delikte, die der unmittelbar Handelnde innerhalb seiner ihm von der juristischen Person eingeräumten Befugnisse begeht. 85 Denn bei der Verantwortlichkeit der Korporation geht es nicht um die Frage, ob der Täter der Anknüpfungshandlung Pflichten gegenüber dem korporativen Unternehmen eingehalten hat, sondern um die Zurechnung seines Verhaltens zu eben diesem. VIII. Vorsatz, Fahrlässigkeit, Schuld (im engeren Sinne) in bezug auf die Handlung 1. Ein zentrales Problem bildet die Frage, welche Anforderungen für die subjektive Seite zu gelten haben. Ist dabei auf die für die Korporation handelnde 82

Cramer, in: KK OWiG, § 30 Rdn. 97. Tiedemann, (Fn. 80), S. C 58; Schünemann (Fn. 7), S. 253; siehe auch Schmitt (Fn. 1), S. 191 ff. 84 Stratenwerth, Festschrift für R. Schmitt, S. 295, 298 ff.; Hirsch (Fn. 7), S. 25. 85 Vgl. zu § 30 OWiG Göhler, OWiG, § 30 Rdn. 24; zu § 31 BGB Palandt / Heinrichs, BGB, 53. Aufl. 1994, § 31 Rdn. 10. 83

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natürliche Person abzustellen, müssen zusätzlich Gesichtspunkte, die aus der Gesamtheit der Korporation zu erschließen sind, berücksichtigt werden, oder sind sogar diese allein ausschlaggebend? § 30 OWiG geht davon aus, daß es auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit und Vorwerfbarkeit des unmittelbar handelnden Individuums ankommt und es allein deren Feststellung bedarf. Im Grundsatz entspricht dies der die mens-rea-Delikte betreffenden angelsächsischen Auffassung zur Straffähigkeit von Korporationen. 86 Dazu ist noch einmal in Erinnerung zu bringen, daß die Korporation nach außen durch ihre Repräsentanten tätig ist und demgemäß die von ihr begangene Pflichtverletzung, also das Unrecht, bereits durch die Handlung des Repräsentanten begangen wird. Dies deutet nämlich darauf hin, daß das Vorliegen der subjektiven Tatseite bei dem unmittelbar Handelnden ebenfalls genügend ist. Durch seinen Vorsatz oder seine Fahrlässigkeit erhält die konkrete Handlung ihr Gepräge. Und ob diese überhaupt vorwerfbar war, hängt davon ab, daß derjenige, der den Handlungsentschluß faßte, sich hätte rechtmäßig motivieren können. Der unmittelbar Handelnde, dessen Handlungsentschluß die Rechtspflichtverletzung bewirkt, ist identisch mit demjenigen, der durch die Vorwerfbarkeit dieser Pflichtverletzung einen Vorwurf gegen die durch ihn repräsentierte Korporation möglich macht. Es ist aber zweifelhaft, ob das für sich allein nach den Maßstäben strafrechtlich relevanter Schuld schon ausreicht, um einen Vorwurf auch gegen die Korporation erheben zu können. Diese ist ein komplexeres Gebilde als eine natürliche Person. Während man es beim Individualtäter mit einer einheitlichen, nicht weiter aufgliederbaren Person zu tun hat und sich deshalb aus dem vorwerfbaren Handeln bereits ein Versagen der ganzen Person ergibt, ist bei der Korporation dieser Zusammenhang nicht zwingend. Vielmehr ist es bei ihr möglich, daß der Repräsentant eine Straftat begeht, die völlig überraschend und unvermeidbar für sie ist. Die Erwägung, daß es Sache der Korporation sei, sich so zu organisieren, daß Straftaten absolut unterbleiben, erscheint für einen strafrechtlichen Schuldvorwurf als nicht ausreichend. Strafrechtlich ist nichts zu ahnden, solange keine konkrete Vermeidbarkeit vorliegt. Was sich bei natürlichen Personen bereits aus der Personidentität von unmittelbar Handelndem und Täter ergibt, bedarf bei der Korporation deshalb zusätzlicher Feststellung: Es muß zur Schuld des Täters der Anknüpfungstat hinzukommen, daß diese Tat von der Körperschaft hätte vermieden werden können. Dabei geht es dann nicht mehr wie bei der subjektiven Seite der Anknüpfungstat darum, daß Vorsatz oder Fahrlässigkeit notwendig sind, sondern um die Vermeidbarkeit von Mängeln bei der Auswahl und Überwachung der Repräsentanten, sonstige Organisationsmängel, kriminogene Geschäftspolitik usw. 87

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Und ebenso der deutschen zivilrechtlichen Regelung in § 31 BGB. Zur angelsächsischen Auffassung im einzelnen Ehrhardt (Fn. 7), S. 94 ff.

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Der noch weitergehende Gedanke, von vornherein allein auf diese Vermeidbarkeit abzustellen und das Verschulden des Täters der Anknüpfungstat für entbehrlich zu erklären, erwies sich schon im vorhergehenden als nicht haltbar. Denn die Schuld erfordert immer einen konkreten psychischen Bezug zur Tat, so daß die Schuld der Korporation stets abhängig ist von dem Vorliegen einer schuldhaft vorsätzlich oder fahrlässig begangenen Anknüpfungstat. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, daß möglicherweise andere Vorstandsmitglieder ihrerseits rechtswidrige und schuldhafte Anknüpfungstaten begangen haben können, nämlich Unterlassungs- und Fahrlässigkeitstaten, so daß dann auf diesem Wege eine Schuld der Korporation (Verbandsschuld) begründet sein könnte. Es zeigt sich also, daß für die Verbandsschuld einerseits die Schuld eines für die Körperschaft handelnden Repräsentanten notwendige Voraussetzung ist, was man im amerikanischen Schrifttum in den Satz gefaßt hat: „The corporation ... stands in the shoes of its agent.“ 88 Andererseits wird deutlich, daß das für sich allein noch nicht genügt, sondern die Vermeidbarkeit für die Körperschaft selbst hinzukommen muß. 2. Diese subjektiven Erfordernisse bewirken eine strenge Eingrenzung der Strafbarkeit von Korporationen. Im deutschen Recht ist es nicht möglich, dem teilweise durch Reduzierung der subjektiven Seite der Anknüpfungshandlung 87

Zum vorhergehenden vgl. Hirsch (Fn. 7), S. 26 f. Zu konkreten Schuldaspekten bei der Personengesamtheit tendiert auch Jakobs, Allg. Teil, 6/45. Widersprüchlich dagegen Schroth (Fn. 7), S. 209, der einerseits von einer aus der „Organisationsschuld“ der Unternehmensebene folgenden „eigenen Schuld“ des Unternehmens spricht, andererseits das Vorliegen der Tatschuld des Individualtäters der Anknüpfungshandlung genügen läßt. Auf „defiziente Organisation“ und kriminogene „Unternehmensphilosophie“ richtet auch Lampe, ZStW 106 (1994), S. 683, 708 f., 728 ff., den Blick. Er weist diese Mängel unter Bezugnahme auf frühere Überlegungen von Schünemann als „Systemunrecht“ bereits dem Unrecht der Tat zu. Die „Haftung“ des Unternehmens sei an dessen kriminogene Unternehmensphilosophie oder defizitäre Organisationsstruktur anzuknüpfen, „deren kriminogener Charakter im normverletzenden Verhalten eines Unternehmensmitglieds zum Ausdruck gekommen ist“ (S. 732). Dem Unternehmen sei das normverletzende Verhalten seines Mitglieds als unternehmerisches „Erfolgsunrecht“ zuzurechnen (ebd.). Gegenüber diesem von Lampe nicht weiter präzisierten Konzept erheben sich zwei Fragen: Läuft die Akzentverschiebung auf das „Systemunrecht“ nicht darauf hinaus, daß die Straftat tatbestandlich eine andere wäre als die vom unmittelbar Handelnden realisierte? Und geht es im Hinblick auf den Verzicht des Nachweises eines auf der Unternehmensseite gegebenen konkreten Verschuldens nicht um bloße allgemeine, für strafrechtliche Verantwortlichkeit unzureichende Haftungsmaßstäbe? 88 Coffee, in: Kadish (Hrsg.), Encyclopedia of Crime and Justice, Bd. 1, 1983, S. 259. Auch wird in BVerfGE 20, 323, 335 f. ausgesprochen, daß nach dem verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz „nulla poena sine culpa“ die für die juristische Person zurechenbar unmittelbar handelnden Personen schuldhaft gehandelt haben müssen. Durch die Notwendigkeit der schuldhaften Anknüpfungstat erledigt sich auch der von Engisch (Fn. 3), S. E 36, erhobene Einwand, daß die Korporationsstrafe die Gefahr berge, eine Verdachtsstrafe in bezug auf nicht voll zu ermittelnde Organhandlungen zu sein.

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Grundsätzliche Fragen

auszuweichen. Anders als das angelsächsische Recht bei den strict liability crimes geht das deutsche Recht bei allen Delikten (auch Ordnungswidrigkeiten) davon aus, daß Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu verlangen sind und nachgewiesen werden müssen. Dies folgt aus dem in Deutschland verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip. Hinsichtlich der nach den obigen Ausführungen außerdem bei der Korporation selbst erforderlichen Vermeidbarkeit bleibt dagegen der erwähnte § 30 OWiG hinter den Anforderungen des Schuldstrafrechts zurück. Indem die Vorschrift lediglich an die rechtswidrige und schuldhafte Handlung des unmittelbar Handelnden anknüpft, kann aus den genannten Gründen von einer wirklichen eigenen Schuld (im strafrechtlichen Sinne) des korporativen Unternehmens noch nicht die Rede sein. Genauer betrachtet stellt auch § 30 OWiG deshalb nur eine Haftungs- und keine echte Verschuldensregelung für die Korporation dar. Das Defizit mit einer Schuldvermutung zu erklären, widerspräche den für den punitiven Bereich bestehenden Rechtsvorstellungen, ganz abgesehen davon, daß eine solche Vermutung dann auch widerlegbar sein sollte. Will man über das Ordnungswidrigkeitenrecht hinausgehend die Straffähigkeit von Korporationen im Kriminalstrafrecht anerkennen, was zu befürworten ist, so sind die erwähnten subjektiven Voraussetzungen unbedingt zu beachten. Das gilt gerade auch für das Erfordernis, daß die schuldhafte, den Deliktstyp bestimmende Anknüpfungshandlung des unmittelbar Handelnden für die Korporation vermeidbar gewesen ist. Das ist namentlich im Kriminalstrafrecht unverzichtbar, weil durch die Bestrafung ein negatives Urteil über die Korporation (und damit auch ein körperschaftliches Unternehmen) als ganze ausgesprochen wird. Die einzelne unmittelbare deliktische Handlung muß deshalb eine negative Beurteilung der Personengesamtheit ermöglichen. Nur wenn eine über die Schuld des Täters der unmittelbaren Handlung hinausgehende eigene Schuld (hier: Vermeidbarkeit) des korporativen Unternehmens feststeht, ist auch eine eigene sachliche Legitimation für eine Bestrafung der juristischen Person oder sonstigen Personengesamtheit neben der unmittelbar handelnden Einzelperson gegeben. Erst dann tritt das über die Bestrafung des handelnden Individualtäters hinausgehende Bedürfnis, auch die Korporation zu bestrafen, sachlich klar zutage. IX. Kumulative Verantwortlichkeit des Unternehmens Die Verantwortlichkeit des körperschaftlichen Unternehmens muß unter den genannten Voraussetzungen kumulativ neben der des einzelnen stehen, denn es geht um die Tat der Gesamtperson im Unterschied zu der nur des unmittelbar handelnden einzelnen. So ist es auch in § 30 OWiG vorgesehen. Daß durch die Kumulierung keine Doppelbestrafung erfolgt, wie es die Gegner der Straffähigkeit von Korporationen zum Teil behaupten, ist bereits deutlich geworden. 89 Es

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handelt sich um einen besonders wichtigen Punkt der Problematik. Bei der Frage der Doppelbestrafung tritt nämlich noch einmal in den Blick, daß entgegen der in § 30 OWiG getroffenen Regelung jedenfalls im Kriminalstrafrecht noch ein eigener Verschuldensaspekt bei der Korporation insgesamt, die Vermeidbarkeit, hinzukommen muß. Erst dadurch ergibt sich ein über die Schuld des unmittelbar Handelnden hinausgehender selbständiger Schuldvorwurf gegen die Korporation. Durch die Einführung alternativer Verantwortlichkeit könnte hier dagegen keine angemessene Lösung erreicht werden. Denn weder kann man den unmittelbar Handelnden straflos lassen, weil man das „Unternehmen“ bestrafen will, noch kann man das „Unternehmen“ davonkommen lassen, nur weil der unmittelbar Handelnde nicht straflos ausgehen darf. X. Art der Sanktionen und Strafhöhe 1. Welche Sanktionen können gegen das Unternehmen verhängt werden?

De lege lata kann nach § 30 OWiG eine Geldbuße gegen das (körperschaftliche) Unternehmen verhängt werden. Auch sind im (Kriminal-)Strafrecht und im Ordnungswidrigkeitenrecht die Anordnung der Einziehung der producta et instrumenta sceleris und des Verfalls des durch die Tat Erlangten möglich. Von den Befürwortern der Einführung der (Kriminal-)Straffähigkeit korporativer Unternehmen wird in erster Linie an die Geldstrafe gedacht; denn gerade dieser Sanktion kommt hier eine hohe Präventionswirkung zu. Auch läßt sie sich den vielfältigen Erscheinungen der Unternehmenskriminalität gut anpassen. 90 Daneben wird zum Teil über eine „Unternehmensfreiheitsstrafe“ nachgedacht, bei der die Freiheit der geschäftlichen Betätigung durch Auferlegung von Tätigkeitsbeschränkungen beschnitten werden soll. 91 So könnten einem straffälligen Unternehmen als Strafe dauernd oder vorübergehend die Betriebserlaubnis, Lizenzen oder Konzessionen entzogen werden; auch läßt sich an die strafweise Stillegung von Betrieben oder Betriebsteilen oder die Einsetzung eines Treuhänders denken. Ebenfalls kommt ein befristetes Verbot, bestimmte Waren oder Dienstleistungen abzusetzen, in Betracht. Selbst eine Unternehmens-„Todesstrafe“ als ultima ratio gehört in diesen Zusammenhang. 89

Vgl. oben II. 4b und die dortigen Nachweise. Vgl. Ehrhardt (Fn. 7), S. 247 ff., siehe auch S. 249 f. zur Möglichkeit der „equity fine“ als Alternative zur herkömmlichen Geldstrafe entsprechend nordamerikanischem Vorbild: Das Unternehmen, insbesondere die Aktiengesellschaft, soll die Geldstrafe nicht aus liquiden Mitteln erbringen, sondern im entsprechenden Gegenwert neue Stammaktien emittieren und in einen staatlichen Fonds einbringen. 91 Hartung (Fn. 3), S. E 51 ff.; Jescheck, in: Niederschriften, Bd. I, S. 299. Vgl. auch von Weber, DRiZ 1951, 153 ff.; Ehrhardt (Fn. 7), S. 252 f. 90

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Auch eine „Bewährungsstrafe“ nach nordamerikanischem Vorbild ist de lege ferenda im Hinblick auf die genannten Sanktionen denkbar. 92 Dabei könnte durch Erteilung von Auflagen und Weisungen die juristische Person zu Aktivitäten bewogen werden, welche die bisherigen, die Delinquenz verursachenden unternehmerischen Versäumnisse und Fehlleistungen beseitigen. Dagegen läßt sich dem Gedanken, die strafverhängende Entscheidung zu veröffentlichen 93, nicht zustimmen. Ein solcher Ansatz könnte nur als Ausfluß einer antiunternehmerischen Ideologie verstanden werden. Die Anordnung der Veröffentlichung eines Strafurteils wird wegen der damit verbundenen Prangerwirkung heute bei natürlichen Personen als Verstoß gegen die Menschenwürde abgelehnt. Nichts anderes hat aber für Personengesamtheiten zu gelten. 94 2. Kriterien der Bestimmung der Strafhöhe

Im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht, das in § 30 OWiG die punitive Sanktion der Geldbuße vorsieht, werden als Bemessungskriterien insbesondere der Unrechtsgehalt der Bezugstat und deren Auswirkungen auf den geschützten Ordnungsbereich genannt. 95 Auch soll die Geldbuße bisher mit dazu dienen, unrechtmäßige Gewinne abzuschöpfen (§ 30 Abs. 3 i.V. m. § 17 Abs. 4 OWiG) 96, was jedoch eine durch die Einführung des Rechtsinstituts des Verfalls (§ 29a OWiG) überholte Regelung darstellt. Sachentsprechender Ansicht nach wäre entgegen der Gesetzesfassung außerdem § 17 Abs. 3 OWiG zu beachten, der den Grad der Vorwerfbarkeit berücksichtigt und – sofern es sich nicht nur um eine geringfügige Ordnungswidrigkeit handelt – auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters mit in Betracht zieht. Im übrigen sind nach § 30 Abs. 3 i.V. m. § 18 OWiG Zahlungserleichterungen möglich. Ähnliches hätte auch im Falle der Einführung einer echten Kriminalstrafe gegen juristische Personen zu gelten. Wegen der insofern gleichen Zwecke, die mit einer Bestrafung verfolgt würden, liegt es nahe, bei der Strafzumessung immer den hypothetischen Fall eines das Unternehmen betreibenden Einzelunternehmers 92 Entsprechend der US-amerikanischen „corporate probation“; vgl. Ehrhardt (Fn. 7), S. 250 ff. 93 So Alwart, ZStW 105 (1993), S. 752, 770, der in seinem Vorschlag eines Tatbestandes „Gemeingefährdung durch ein Unternehmen“ zugunsten der Urteilsbekanntgabe auf jede weitere Sanktion gegen Unternehmen verzichten will. 94 Denn hinter ihr stehen ebenfalls Menschen; weshalb das deutsche Recht ihr auch Verfassungsschutz zugesteht; vgl. Art. 19 Abs. 3 GG. Daß das Strafrecht bei den Beleidigungsdelikten eine Bekanntgabe der Verurteilung kennt (§ 200 StGB), hat einen anderen Grund: Die Bekanntgabe ist dort erforderlich zur Wiederherstellung der durch die Tat beschädigten Ehre des Opfers. 95 BGH wistra 1991, 268 f.; Cramer, in: KK OWiG, § 30 Rdn. 126 f. 96 Cramer, in: KK OWiG, § 30 Rdn. 131 ff.

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vergleichend heranzuziehen. Das im deutschen Kriminalrecht bei der Geldstrafe geltende Tagessatzsystem würde Unterschieden in den wirtschaftlichen Verhältnissen in besonderem Maße Rechnung tragen. 3. Konfiszierung der aus dem Gesetzesverstoß gezogenen Früchte

Das deutsche Recht sieht, wie schon hervorgehoben, in §§ 73 ff., 74 ff. StGB für (Kriminal-)Straftaten und in §§ 22 ff., 29a OWiG für das Ordnungswidrigkeitenrecht die Rechtsinstitute des Verfalls und der Einziehung vor. Der Verfall gemäß §§ 73, 73a StGB (und § 29a OWiG), der die Abschöpfung des durch die Tat unrechtmäßig erlangten Vermögenszuwachses bezweckt 97, setzt die Begehung einer vorsätzlichen oder fahrlässigen rechtswidrigen, nicht notwendig schuldhaften Tat voraus. 98 Die Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Personen oder sonstige Personenvereinigungen schließt gemäß § 30 Abs. 5 OWiG jedoch als Folge der schon kritisierten Verquickung von punitiver Sanktion und Gewinnabschöpfung die Anordnung der Maßnahme des Verfalls aus. § 73b StGB ermächtigt das Gericht, die Werte, die für die §§ 73, 73a StGB maßgebend sind, zu schätzen. Im Jahre 1992 wurde der sogenannte Erweiterte Verfall (§ 73d StGB) eingeführt. Nach § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB genügt es für die Anwendung dieser Maßnahme, daß Umstände die Annahme rechtfertigen, daß die Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden und wegen der Schwere des Delikts mit einem gewissen Verdacht belastet sind, aus derart gravierenden Taten unmittelbar oder mittelbar herzurühren. Die Vorschrift begegnet aber, wie erwähnt, zahlreichen verfassungsrechtlichen Bedenken. 99 Nach § 74 StGB können die producta et instrumenta sceleris unter den dort normierten Voraussetzungen eingezogen werden, wodurch das Eigentum an den betreffenden Gegenständen gemäß § 74e StGB auf den Staat übergeht. Teils weitergehende, teils speziellere Regelungen der Einziehung treffen die §§ 74a, 74c und 74d StGB. Ebenfalls 1992 wurde das umstrittene Rechtsinstitut der Vermögensstrafe (§ 43a StGB) in das deutsche Strafgesetzbuch eingefügt. Die Einführung resultiert aus der praktischen Erfahrung, daß die Gewinnabschöpfung aus einer Straftat sehr häufig am nicht zu führenden Nachweis der deliktischen Herkunft eines Gegenstandes scheitert. Mit der Vermögensstrafe will der Gesetzgeber nun die sich aus der 97

BGHSt. 31, 145. Dreher / Tröndle, § 73 Rdn. 1 c; Lackner, StGB, 20. Aufl. 1993, § 73 Rdn. 1. 99 Siehe oben in Fn. 63. Zusammenfassende Darstellung bei Möhrenschlager, wistra 1992, 281, 285. 98

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Unschuldsvermutung ergebenden Zugriffshinderungen beiseite schieben. 100 Die Vorschrift ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht allerdings höchst fragwürdig und deshalb sehr umstritten. 101 XI. Verfahrensrechtliche Fragen, Beweisführungserleichterungen 1. Was die Zuständigkeit zur Verhängung der punitiven Sanktion betrifft, so liegt sie in den Fällen der punitiven Geldbußen des Ordnungswidrigkeitenrechts im Normalfall bei einer Verwaltungsbehörde, seltener bei einem Gericht (§ 35 Abs. 2 OWiG). Wenn man die Straffähigkeit von Korporationen im Kriminalstrafrecht einführt, müßte insoweit dann ausschließlich ein Gericht zuständig sein, wie sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt. 2. Gemäß § 30 Abs. 4 OWiG ist ein selbständiges Verfahren gegen das (körperschaftliche) Unternehmen möglich, das unabhängig davon ist, ob der Täter der Anknüpfungstat verfolgt wird. Wie bereits erwähnt, erklärt diese Vorschrift ein selbständiges Verfahren für zulässig, in dem gegen die juristische Person oder sonstige Personenvereinigung auch dann eine Geldbuße festgesetzt werden kann, wenn wegen der Tat des unmittelbar Handelnden ein Verfahren nicht eingeleitet oder aber eingestellt wird. Dabei erscheint es zwar zunächst verfahrensrechtlich problematisch, gegen das Unternehmen ein Verfahren durchzuführen, ohne daß gleichzeitig gegen den unmittelbar Handelnden vorgegangen wird. Da nämlich Anknüpfungspunkt für die Verantwortlichkeit des Unternehmens die schuldhafte Handlung eines seiner Repräsentanten ist, so erfordert die Bestrafung der Korporation, daß die Begehung der Anknüpfungstat nachgewiesen ist. Eine derartige Verfahrenssituation ist jedoch auch bei natürlichen Personen in Fällen der Beteiligung möglich. So kann beispielsweise der Anstifter bestraft werden, ohne daß gegen den unmittelbar Handelnden ein Verfahren durchgeführt zu werden braucht. Insofern hat bei korporativen Unternehmen nichts anderes zu gelten. 102 3. Nach deutschem Ordnungswidrigkeitenrecht besteht darüber hinaus keine Notwendigkeit, die natürliche Person zu identifizieren, von der die unmittelbare Handlung begangen worden ist. Wenn feststeht, daß ein Repräsentant vorwerfbar eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, so ist die Verhängung einer Geldbuße (§ 30 OWiG) auch dann möglich, wenn die Identität des Täters der Anknüpfungshandlung nicht geklärt ist. Erforderlich ist nur, daß feststeht, daß eine den Anforderungen des § 30 OWiG genügende Person gehandelt hat. 103 100

BT-Drucks. 11/5461, S. 5; 12/989, S. 22. Vgl. Dreher / Tröndle, § 43a Rdn. 3, m.w. N.; näher dazu auch Möhrenschlager, wistra 1992, 281, 283. 102 Näher zum selbständigen Verfahren bei § 30 Abs. 4 OWiG: Brender, Die Neuregelung der Verbandstätigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht, 1989, S. 132 ff. 101

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Gleiches hätte auch im Falle der Einführung einer (Kriminal-)Straffähigkeit von korporativen Unternehmen zu gelten. Besondere prozessuale Beweisführungserleichterungen für Verfahren, die den § 30 OWiG zum Gegenstand haben, sieht das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht vor. Zu beachten ist jedoch, daß das Ordnungswidrigkeitenverfahren allgemein im Regelfall ein summarisches Verfahren ist, in dem ein Bußgeldbescheid ergeht (§§ 65 ff. OWiG). 4. Gegen Entscheidungen, durch die eine punitive Sanktion gegen ein (körperschaftliches) Unternehmen verhängt wird, sind Rechtsmittel vorgesehen. Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist gegen den durch die Behörde erlassenen Bußgeldbescheid der Einspruch gemäß § 67 OWiG möglich. Daraufhin kommt es zum gerichtlichen Bußgeldverfahren; gegen die dort ergehende Entscheidung (Beschluß oder Urteil) ist dann unter den Voraussetzungen des § 79 OWiG die Rechtsbeschwerde zulässig. Im Falle der Einführung einer echten Kriminalstrafe gegen Korporationen wären die Rechtsmittel der Strafprozeßordnung (insbesondere Berufung und / oder Revision) gegeben. 5. Daß sich die Korporation durch Selbstauflösung dem ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren entzieht, ist in Deutschland bisher nicht praktisch geworden. Hier geht es in dem Fall, daß sich die Korporation in einer Neugründung fortsetzt, um Identitätsfragen, und sonst käme de lege ferenda eine Schuldfeststellung bezüglich der den Gesetzesverstoß begangen habenden früheren Korporation und die Anordnung des Verfalls ihrer vormaligen Vermögenswerte in Betracht. 6. Ein Verzeichnis der punitiven Sanktionen, die gegen Unternehmen verhängt worden sind, gibt es bisher nicht. De lege lata ist die Eintragung eines wegen einer einschlägigen Ordnungswidrigkeit verhängten Bußgeldes weder in das Zentralregister (§§ 3 H. BZRG) noch in ein anderes Verzeichnis vorgesehen. Insbesondere existiert kein Register, in dem speziell solche Sanktionen verzeichnet werden, die gegen juristische Personen ausgesprochen worden sind. Auch wird im Strafregister in Fällen, in denen Einziehung oder Verfall gegenüber einem Dritten (hier einer juristischen Person) angeordnet worden ist, diese Person nicht besonders angegeben. XII. Erstreckung der punitiven Verantwortlichkeit auch auf andere Körperschaften als körperschaftliche Unternehmen? Die korporative Verantwortlichkeit ist in § 30 OWiG nicht auf körperschaftliche Unternehmen beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle juristischen Personen und 103 OLG Hamm NJW 1979, 1312; OLG Köln GewArch 1974, 141, 143; BayObLG NJW 1972, 1771; Rebmann / Roth / Hermann, OWiG, 2. Aufl. 1993, § 30 Rdn. 52; Cramer, in: KK OWiG, § 30 Rdn. 170; Göhler, OWiG, § 30 Rdn. 40.

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Grundsätzliche Fragen

sonstigen korporativen Gesamtheiten. Forderungen, den Anwendungsbereich auf Unternehmen zu begrenzen, werden nicht erhoben. Andererseits ist in der Diskussion um die Frage der Einführung der kriminalstrafrechtlichen Straffähigkeit heute zumeist nur von Unternehmen die Rede. 104 Gesetzestechnisch wäre es durchaus möglich, den Bereich der Strafbarkeit auf wirtschaftlich tätige Korporationen zu beschränken – wie das Strafrecht auch sonst in einigen Strafbestimmungen nur einen bestimmten Personenkreis als Täter erfaßt. Aber das müßte sachlich begründet sein, und Gründe für eine solche Differenzierung bestehen hier bei näherer Betrachtung nicht. Es ist durchaus nicht fernliegend, daß von Korporationen mit ideeller Zielsetzung Straftaten, beispielsweise eine Steuerstraftat, ein Subventionsbetrug oder – bei korporativen Forschungseinrichtungen – ein Umweltdelikt, begangen werden. Eine Beschränkung auf unternehmerisch tätige Gesamtheiten würde zudem die Konsequenz haben, daß der Bereich der Anknüpfungshandlungen auf Vermögensstraftaten begrenzt werden müßte, weil sich allenfalls damit eine solche Eingrenzung des korporativen Täterkreises erklären ließe. Auf das Unbefriedigende einer derartigen Limitierung der Anknüpfungshandlungen wurde oben aber schon hingewiesen. Es spricht deshalb alles dafür, daß man bei der Einführung der (Kriminal-)Straffähigkeit eine generelle, nicht auf unternehmerisch tätige Korporationen beschränkte Regelung schafft, wie sie sich für das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht bereits in § 30 OWiG und für das Kriminalstrafrecht jetzt in Art. 121 – 2 franz. StGB findet. XIII. Zusammenfassung der Hauptergebnisse 1. In Deutschland ist heute eine zunehmende Tendenz festzustellen, de lege ferenda auch die Straffähigkeit von körperschaftlichen Unternehmensträgern anzuerkennen. 2. Die Straffähigkeit von Korporationen erweist sich entgegen der herkömmlichen Auffassung als vereinbar mit dem deutschen Rechtssystem. Sie können durch die sie repräsentierenden natürlichen Personen nach außen handeln, und für solche Handlungen kann auch ein der Schuld natürlicher Personen entsprechender (paralleler) Vorwurf gegen eine Korporation begründet sein. 3. Nicht vereinbar wäre mit dem deutschen Rechtssystem – und wohl auch dem der meisten anderen Staaten – dagegen die Annahme einer Straffähigkeit des Unternehmens selbst. Man muß vielmehr unterscheiden zwischen dem Unternehmen als wirtschaftlicher Wirkungs- und Organisationseinheit einerseits und dem Unternehmensträger, der eine natürliche oder korporative Person sein kann, 104 Vgl. die Themen der Untersuchungen von Schünemann, Stratenwerth, Schroth und Ehrhardt (Fn. 7) sowie der Basler Strafrechtslehrertagung 1993 (vgl. Alwart, ZStW 105 [1993], S. 752) und des Athener Kongresses für Rechtsvergleichung 1994.

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andererseits. Nur die Unternehmensträger können Adressaten von Pflichten sein und damit diese auch verletzen, wie das für eine Strafbarkeit Voraussetzung ist. 4. Schon jetzt gibt es im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht eine selbständige punitive Sanktion in Form einer Geldbuße gegen juristische Personen und sonstige korporative Gesamtheiten (§ 30 OWiG). Die Vorschrift ist nicht auf diejenigen Korporationen beschränkt, die ein Unternehmen betreiben, sondern erstreckt sich auf alle. 5. Diese ordnungswidrigkeitenrechtliche Bußgeldvorschrift und die kriminalstrafrechtliche Möglichkeit, neben der gegen einen Individualtäter ausgesprochenen Bestrafung gleichzeitig als Maßnahme gegen eine Korporation den Verfall des von dieser durch die Tat Erlangten anzuordnen, werden heute als unzureichend empfunden. Das betrifft vornehmlich Korporationen, die ein Unternehmen betreiben. Bei Einführung einer (Kriminal-)Strafbarkeit von Korporationen wäre zwar eine Beschränkung auf solcherart tätige Korporationen möglich, jedoch sachlich zu eng. 6. Die der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Bußgeldregelung und der zivilrechtlichen Haftungsregelung zugrunde liegende theoretische Konzeption ist die der Organtheorie, wonach der Korporation die Handlung einer natürlichen Person als eigene zugerechnet wird. Diese sogenannte Anknüpfungshandlung des lndividualtäters muß alle Deliktserfordernisse einer Straftat erfüllen. Sie ist notwendige Voraussetzung einer Strafbarkeit der Korporation, weil diese nur durch tatsächliche Handlungen von lndividualpersonen nach außen wirken kann. Auch erhält die Tat der Korporation durch die Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit des tatsächlich Handelnden ihr tatbestandliches Gepräge. 7. Als Täter der Anknüpfungshandlung kommen nur Organe, genauer: leitende Personen, die bei ihrem Handeln die Korporation insgesamt repräsentieren, in Betracht. 8. Um von einer echten kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit der Korporation sprechen zu können, muß zu dem der Tat das Gepräge gebenden Handelnden des Anknüpfungstäters hinzukommen, daß die Korporation in ihrer Gesamtheit diese Tat vermeiden konnte. Hierbei geht es um Mängel bei der Auswahl und Überwachung der leitenden Personen, sonstige Organisationsmängel, kriminogene Geschäftspolitik und dergleichen. 9. § 29a Abs. 4 OWiG sieht die Möglichkeit vor, unabhängig von der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den lndividualtäter der Anknüpfungshandlung oder auch nur der Identifizierung dieses Täters ein selbständiges Verfahren gegen die Korporation durchzuführen. 10. Heute ist das eigentliche Problem nicht mehr die Frage, ob die Straffähigkeit von Korporationen anzuerkennen ist, sondern die Beachtung der dabei einzuhaltenden Grenzen. Die Ausuferungen, die im Strafrecht der USA und im

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Grundsätzliche Fragen

Sanktionsrecht der Europäischen Union festzustellen sind, sollten in anderen Rechtsordnungen vermieden werden. Insbesondere geht es darum, daß der Unterschied zwischen den Voraussetzungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit und nur zivilrechtlich möglicher Haftung nicht verwischt wird. 11. Bei Beachtung dieses elementaren rechtlichen Unterschieds etwa verbleibende Strafbarkeitslücken betreffen eine andere Problematik: die der Verletzung der Aufsichtspflicht durch leitende Vorgesetzte, also Individualpersonen, in bezug auf die Verhinderung von Straftaten Untergebener. Aus dieser Aufsichtspflicht kann sich eine Garantenstellung und damit ein unechtes Unterlassungsdelikt ergeben. Darüber hinaus enthält das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht einen Tatbestand der Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 130 OWiG). Diese Vorschrift könnte zu einer Strafbestimmung des Kriminalstrafrechts angehoben werden, soweit sie (i.V. m. § 9 OWiG) die Aufsichtspflichtverletzung leitender Vorgesetzter hinsichtlich der Straftaten Untergebener betrifft.

Zur Todesstrafe * 2005 I. Durch Art. 102 der Verfassung ist die Todesstrafe im Jahre 1949 in der Bundesrepublik Deutschland abgeschafft worden. Ausschlaggebend war damals der Mißbrauch, den man mit ihr während der Herrschaft des Nationalsozialismus getrieben hatte. Allein während der sechs Jahre des Zweiten Weltkriegs sind in Deutschland durch ordentliche Gerichte, also ohne Einbeziehung der Militärjustiz, 15.000 Todesurteile verhängt worden. 1 Inzwischen haben in Europa alle dem Europarat angehörenden Staaten auf die Todesstrafe verzichtet. In dem im Jahre 1983 verabschiedeten 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention heißt es, daß sie abgeschafft ist und niemand zu ihr verurteilt oder hingerichtet werden darf. 2 Dieses Zusatzprotokoll war bis Ende 1994 in 24 Mitgliedstaaten des Europarats in Kraft getreten. 3 Die Türkei ist der letzte Mitgliedsstaat gewesen, in dem die Todesstrafe noch angewendet wurde. Dort ist sie jetzt ebenfalls abgeschafft worden. 4 Ausdrücklich heißt es auch in Art. II-2 Abs. 2 der vorgesehenen Europäischen Verfassung, daß niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden darf. 5

* Im April 2005 an der Renmin Universität Peking, der Nordwest Universität für Politik und Recht Xian, der Xian Jiaotong Universität und der Ost China Universität für Wissenschaft und Technik Shanghai gehaltener Vortrag. Herrn Professor Dr. Jun FENG, Renmin Universität Peking, danke ich sehr herzlich für die Übersetzung des Manuskripts ins Chinesische. Ebenfalls danke ich Frau Professor Dr. Yingxia SU, Nordwest Universität Xian, und Frau Jing ZHANG, Ost China Universität Shanghai, vielmals für die Übersetzungen bei den Vortragsveranstaltungen. 1 Kaiser, Kriminologie, 3. Aufl. 1996, § 94 Rn. 23. 2 Vgl. den dortigen Art. 1. Näher zu dem Zusatzprotokoll: Möhrenschlager, Völkerrechtliche Abschaffung der Todesstrafe, in: Festschrift für Baumann, 1992, S. 297, 298 ff. 3 Vgl. deutsches Bundesgesetzblatt 1994 II Fundstellennachweis B, S. 285. 4 Im Jahre 2004. Übrigens war Deutschalnd nicht der erste Staat, der sie abgeschafft hat. Schon 1867 ist in Portugal und 1870 in den Niederlanden auf sie verzichtet worden. Es folgten weitere Staaten, so Italien 1890 und Norwegen 1905. Aber immerhin sah in Deutschland bereits die nicht in Kraft getretene Paulskirchenverfassung von 1848 die Abschaffung vor. 5 Europäischer Konvent, Vertrag über eine Verfassung für Europa, 2003, Art. II-2 Abs. 2.

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In Japan ist die Todesstrafe zwar als Rechtsfolge vorgesehen, wird aber nur wenig verhängt und noch weniger vollstreckt. Von 1993 bis 1996 sind 16 Verurteilte hingerichtet worden. 6 Hinzuweisen ist auch auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966. In Art. 6 dieses Paktes wird die Todesstrafe zwar nicht ausgeschlossen, aber auf „schwerste Verbrechen“ und auf Taten Erwachsener beschränkt. Im Jahre 1989 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Fakultativprotokoll zu dem Pakt verabschiedet, wonach Hinrichtungen, wenn auch nicht die Verhängung der Todesstrafe, verboten sein sollen. 7 Das Fakultativprotokoll gilt aber nur in denjenigen Staaten, die es unterzeichnet haben. Nach einer vorliegenden Statistik wurden im Jahre 1990 in 54 Staaten insgesamt 5034 Personen zum Tode verurteilt und davon in 26 Staaten 3029 Personen hingerichtet. 8 Die praktische Bedeutung des Fakultativprotokolls besteht darin, daß ein weltweiter Standard für die Rechtsentwicklung gesetzt werden und an alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zumindest ein Appell zur Entscheidung gegen die Todesstrafe ergehen soll. Anzuführen ist außerdem, daß in Art. 24 des Statuts für das Internationale Tribunal zur Aburteilung von Kriegsverbrechen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens die Todesstrafe nicht vorgesehen ist. Anders als in Europa ist die Entwicklung in den USA verlaufen. Zunächst ließen sich parallele Tendenzen erkennen. Im Jahre 1972 erklärte der US Supreme Court, nachdem jahrelang niemand mehr hingerichtet worden war, den Vollzug der Todesstrafe für unvereinbar mit der Bundesverfassung der USA. 9 Nachdem die Gesetzgeber vieler Einzelstaaten der USA daraufhin genauere Kriterien für die Verhängung der Todesstrafe in ihre Gesetze aufgenommen hatten, stellte der Supreme Court dann jedoch 1976 fest, daß die Todesstrafe nunmehr keine nach dem 8. Zusatzartikel der Bundesverfassung verbotene „ungewöhnliche“ Strafe mehr sei. 10 Die Todesstrafe wird in den USA seither wieder zunehmend vollstreckt. Sogar Personen, die Straftaten als Jugendliche oder im Zustand beschränkter Schuldfähigkeit begangen haben, hat man hingerichtet. 11 Vor kurzem ist aber wenigstens eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ergangen, in der die Hinrichtung von Tätern untersagt wird, die zum Zeitpunkt der Tat unter 18 Jahre alt waren. 12 6

Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 32. GARes 44/128, abgedruckt in: Vereinte Nationen 1990, 118. Zur Vorgeschichte siehe Möhrenschlager (Fn. 2), S. 308 ff. 8 Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 22. 9 Furman v. Georgia, 408 U.S. 238 (1972). Siehe dazu Herrmann, Der Supreme Court der Vereinigten Staaten erklärt die Todesstrafe für verfassungswidrig, in: JZ 1972, S. 615 ff. 10 Gregg v. Georgia, 428 U.S. 153 (1976). 11 Zur Entwicklung in den USA siehe den Überblick bei Frankowski, Die Todesstrafe in den USA, in: ZStW 100 (1988), S. 951 ff., und die Angaben bei Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 27 ff. sowie Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S. 755. 7

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II. 1. Die Befürworter der Beibehaltung der Todesstrafe meinen, daß sie zur Bekämpfung schwerster Straftaten, insbesondere Mord, unentbehrlich und auch durch die Gerechtigkeit geboten sei. Für die Abschaffung wird demgegenüber vor allem angeführt, daß die Todesstrafe keinen rationalen Zwecken zu dienen vermöge, es auch aus moralischen Gründen nicht vertretbar sei, einem anderen Menschen das Recht zum Leben abzusprechen, und daß sie erhebliche Nachteile und Gefahren in sich berge. 2. Betrachten wir die für die Beibehaltung der Todesstrafe genannten Argumente: a) Ein Hauptargument bildet die Gerechtigkeit. Im Vordergrund steht dabei der Mord. Es wird darauf hingewiesen, daß der Staat als Hüter des Rechts die verletzte Ordnung der Gerechtigkeit wiederherzustellen und die Ausübung der Strafgewalt deshalb dem Grunde und der Höhe nach gerecht zu sein hat. Hieraus wird gefolgert: Da das Gleichgewicht zwischen dem vom Rechtsbrecher verletzten oder vernichteten Rechtsgut und dem ihm als Strafe aufzuerlegenden Übel eine Forderung der strafenden Gerechtigkeit sei, müsse gerechterweise der schuldhafte Mord mit dem Tode bestraft werden. Anders formuliert: Wenn jemand schuldhaft einen anderen ermordet, so habe er damit das Recht, selbst weiterzuleben, verwirkt. 13 Diese Einschätzung der Gerechtigkeitsfrage ist die historisch überkommene. In Europa stand dahinter das Talionsprinzip, das heißt: Das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Jeder vom Täter zugefügte Schaden soll danach mit einem gleichen Schaden bei ihm selbst vergolten werden. Es ist der Gedanke der Rache. Das Christentum verklärte dies mit dem Gedanken, daß der Mensch das Ebenbild Gottes sei, weshalb sich der Mörder an Gottes Heiligkeit vergreife und deshalb nach Gottes heiligem Gesetz sein eigenes Leben verwirke. 14 Rationalen Überlegungen, wie wir sie anzustellen haben, können solche Gedanken aber schwerlich standhalten. Es fällt schon auf, daß sie sich regelmäßig 12

Entscheidung vom März 2005. Vgl. zum Beispiel im deutschen Schrifttum: Dorfmüller, Juristische Argumente für die Todesstrafe, in: Dorfmüller u. a., Todesstrafe? Theologische und juristische Argumente, 1960, S. 4, 18; Süsterhenn, Die rationalen Gründe für die Todesstrafe, in: Maurach u. a., Die Frage der Todesstrafe, 1962, S. 121, 125; Künneth, Die theologischen Argumente für und wider die Todesstrafe, in: Maurach u. a., Die Frage der Todesstrafe, S. 153, S. 162; Ermecke, Zur ethischen Begründung der Todesstrafe heute, 2. Aufl. 1963, S. 37 ff. (er spricht von „Rechtsverwirkungstheorie“). Man ist sich dabei darüber klar, daß es nicht um Notwehr gehen kann, da im Zeitpunkt der Bestrafung keine Notwehrsituation mehr gegeben ist; vgl. Ermecke, a. a. O. S. 30. 14 Vgl. Künneth (Fn. 13), S. 161 f. 13

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auf Mord oder jedenfalls vorsätzliche Tötungsdelikte beziehen, nicht aber auf sonstige Delikte schwerster Kriminalität, wie zum Beispiel Hoch- und Landesverrat, schweren Raub oder Vergewaltigung, für die sich ebenfalls die Todesstrafe findet. Darüber hinaus erscheinen sie aber auch hinsichtlich der Tötungskriminalität wenig stimmig. Denn würde wirklich das Gleichgewicht zwischen Taterfolg und Strafe die Gleichartigkeit von beidem, hier den Verlust des Lebens, erfordern, so müßte das doch konsequenterweise ebenso bei Körperverletzungsdelikten gelten. Demjenigen, der einem anderen ein Auge ausschlägt, wäre als Strafe ebenfalls ein Auge zu zerstören. Hier aber gilt das Talionsprinzip nicht. Keine zivilisierte Rechtsordnung sieht eine solche Strafe mehr vor. Aber warum sollen bei vorsätzlichen Tötungen andere Gerechtigkeitsmaßstäbe gelten? Auch erhebt sich die Frage, ob die als Alternative zur Todesstrafe in Betracht kommende lebenslange Freiheitsstrafe weniger gerecht ist. Lebenslang eingesperrt zu sein, macht dem Täter doch viel nachdrücklicher – nämlich tagtäglich über einen langen Zeitraum – bewußt, welch schweres Unrecht er begangen hat. Daß er im Unterschied zum Opfer mit dem Leben davonkommt, wird kompensiert durch die negativen Bedingungen eines Lebens in Unfreiheit. Ganz irrational ist das religiöse Argument, die Gerechtigkeit gebiete die Todesstrafe, weil der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen sei. Denn der Mensch ist deshalb nicht Gott gleich. Und geht man mit der christlichen Religion davon aus, daß Gott die Welt geschaffen habe, so würde Gottes Zorn dann doch nicht nur durch den Mord an einem Menschen, sondern auch durch jede andere Verletzung der göttlichen Weltordnung hervorgerufen werden. Allgemein stellt sich die Frage, wieso die Gerechtigkeit verlangen soll, daß Menschen, ohne daß sie sich eines gegenwärtigen Angriffs erwehren, andere Menschen töten. Betrachtet man die Problematik der Todesstrafe allein unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeit, erheben sich daran ernste Zweifel, da sie in ihrer Absolutheit und Brutalität eher als unverhältnismäßige Sanktion erscheint. b) Als Argument für die Todesstrafe wird ferner die öffentliche Sicherheit angeführt. 15 Denn ein praktischer Vorteil dieser Strafart besteht darin, daß ein hingerichteter Täter nicht rückfällig werden kann. Der Sicherungseffekt ist daher optimal. Aber dieser läßt sich in ausreichendem Maße auch durch dauernden Freiheitsentzug erreichen. 16 Die lebenslange Inhaftierung in einer Haftanstalt läßt sich so einrichten, daß sie größte Sicherheit vor dem Täter garantiert. Das wird übrigens auch durch die Fälle bestätigt, in denen jemand einen Mord im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat und daher nicht bestraft werden kann. Obwohl gerade bei solchen Tätern ein besonders hohes Sicherheitsrisiko gegeben ist,

15 16

Süsterhenn (Fn. 13), S. 132. Das betonen auch Jescheck / Weigend (Fn. 11), S. 752.

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etwa bei einem geisteskranken Serientäter, scheidet bei ihnen die Todesstrafe aus und der erforderliche Schutz der Bevölkerung wird durch Sicherungsverwahrung erreicht. c) Kein ernst zu nehmender Gesichtspunkt ist die Kostenseite. Daß selbst der anspruchsloseste Freiheitsentzug teurer ist als eine Hinrichtung, gestattet nicht, eine so grundsätzliche Frage wie die Beibehaltung der Todesstrafe unter Kostengesichtspunkten zu entscheiden. Dies wäre der Komplexität der Problematik, bei der es um Leben oder Tod geht, in keiner Weise angemessen. Darüber hinaus würde eine zu Buche schlagende Entlastung des staatlichen Finanzhaushalts dadurch, daß man die Täter schwerer Straftaten hinrichtet, anstatt ihnen die Freiheit zu entziehen, wohl niemand ernsthaft behaupten wollen. Dazu wäre die Anzahl der Fälle zu begrenzt. Im übrigen ließe sich die Kostenfrage zu Ende gedacht ebenso bei anderen Straftaten aufwerfen, so daß die Tür zur Androhung der Todesstrafe weit geöffnet würde. d) Aber nimmt nicht die Autorität des Staates Schaden, wenn dieser auf die Todesstrafe verzichtet? In der Tat macht derjenige Staat, der das Richtschwert, den Strang, die Guillotine oder die Genickschußpistole zur Verbrechensbekämpfung einsetzt, einen furchterregenden Eindruck. Früher haben Könige und Kaiser geglaubt, es sei eine der Grundlagen ihrer Macht, über Tod oder Leben eines Untertanen entscheiden zu können. Im christlichen Bereich, aber auch dem mehrerer anderer Religionen verband sich dies mit der Vorstellung, die Herrschaft sei von Gott oder Göttern abgeleitet und die Todesstrafe sei dementsprechend der Vollzug göttlichen Willens. Auch die Diktaturen des vorigen Jahrhunderts in der Sowjetunion und in Deutschland stützten sich auf die Vorstellung, daß Herrschaft und Todesstrafe miteinander verknüpft seien. Wer die Gesetze der von ihnen errichteten Macht in schwerer Weise verletzte, sollte sich damit außerhalb der Gesellschaft gestellt haben und als Unperson durch Tötung aus ihr auszuschließen sein. Aber nach heutigem Staatsverständnis, wie es sich auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte widerspiegelt, stützt sich die Autorität eines Staates nicht auf die Furcht, daß er einem das Leben nehmen könnte. Ausschlaggebend ist für die Bevölkerung vielmehr, was er zu ihrem Wohlergehen leistet. In strafrechtlicher Hinsicht heißt das, daß es ihr vor allem darauf ankommt, daß die Polizei sie ausreichend vor der Begehung von Straftaten schützt, vor allem schwere Straftaten mit Intensität verfolgt werden und die verhängten Strafen menschlich angemessen sind. Wo auf der Welt ein Staat die Todesstrafe durch lebenslange Freiheitstrafe ersetzt und gleichzeitig den Kreis der einschlägigen Delikte im wesentlichen auf Mord und Hoch- und Landesverrat eingegrenzt hat, ist das als Ausdruck der Humanisierung des Strafrechts, nicht aber als Schwäche des Staates empfunden worden. Auch hat sich in Deutschland gezeigt, daß das Vertrauen in die Staatsgewalt gestärkt wird, wenn durch Abschaffung der Todesstrafe einem etwaigen künftigen staatlichen Mißbrauch rechtliche Hindernisse in den Weg gelegt sind. 17

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e) Große Bedeutung nimmt in der Diskussion das Argument ein, die Todesstrafe sei notwendig, um von der Begehung schwerster Straftaten abzuschrecken. Schutzwürdiger als das Leben des Täters sei vor allem das Leben potentieller Opfer. 18 Es erhebt sich jedoch die Frage, ob dieses auf die Generalprävention abstellende kriminalpolitische Argument zutreffend ist. Angesichts seines rationalen Charakters bedarf es besonderer Beachtung. Betrachtet man die historische Erfahrung, die man ganz allgemein mit einer besonderen Schärfe der Strafdrohungen, des Strafmaßes und des Strafvollzuges gemacht hat, so läßt sich konstatieren, daß die Kriminalität nicht wesentlich beeinflußt worden ist. Man denke an die rigorose Strafrechtspflege des europäischen Mittelalters und der folgenden Jahrhunderte bis zum Beginn der Humanisierung der Strafjustiz in der Epoche der Aufklärung. Entsetzliche Hinrichtungsformen und andere grausame Strafdrohungen gab es, und die Anzahl der Delikte, für die schwerste Leibesstrafen angedroht waren, ist groß gewesen. Aber niemals trat eine bemerkenswerte Abnahme der Kriminalität ein. 19 Hinzuweisen ist auch auf die Ära des Nationalsozialismus in Deutschland: In ihr hat der Staat von der Todesstrafe exzessiven Gebrauch gemacht, wie schon eingangs hervorgehoben wurde. Gerade diejenigen Delikte, auf deren Bekämpfung durch extreme Strafdrohungen es dem Regime vor allem ankam, so namentlich strafbare „Zersetzung“, das heißt: regimekritisches Verhalten, und Hören ausländischer Rundfunksender, sind gleichwohl vielfach begangen worden. Auch Fälle von Mord haben sich trotz der unnachsichtigen Hinrichtungspraxis weiterhin ereignet. In der Sowjetunion verhielt es sich nicht anders. Für die Richtigkeit der These, daß die Todesstrafe nicht in besonderer Weise abschreckt, liefert die Statistik die noch deutlicheren Beweise. Hätte die Todesstrafe eine zumindest stärker abschreckende Wirkung als die lebenslange Freiheitsstrafe, hätte doch eigentlich die Abschaffung, wo sie erfolgt ist, zu einer Zunahme der betreffenden Kriminalität führen müssen. Und dort, wo es umgekehrt zu einer Wiedereinführung der Todesstrafe gekommen ist, hätte ein Rückgang der Krimi17 Im Jahre 1992 sprachen sich in den westdeutschen Bundesländern 56% und in den neuen Bundesländern (ehemalige DDR) 49% der Bevölkerung gegen die Todesstrafe aus; der Anteil der Befürworter lag bei 24% bzw. 29%: vgl. Noelle-Neumann / Köcher (Hrsg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 9 (1993), S. 607; Zur Entwicklung der Einstellung der Bevölkerung siehe Dreher, Für und Wider die Todesstrafe, in: ZStW 70 (1958), S. 543, 548; Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 25 f.; Kreuzer, Grundgesetz, Todesstrafe und lebenslange Freiheitsstrafe, in: Kriminalistik 33 (1979), S. 422 ff.; Reuband, Sanktionsverlangen im Wandel, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 32 (1980), S. 535 ff. 18 Dorfmüller (Fn. 13), S. 15; Süsterhenn (Fn. 13), S. 132. 19 Hierzu und den nachfolgenden Feststellungen vgl. insbesondere Bockelmann, Die rationalen Gründe gegen die Todesstrafe, in: Maurach u. a., Die Frage der Todesstrafe, 1962, S. 137, 141 f.

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nalität bei den jeweiligen Delikten nahegelegen. Zu keiner Zeit sind aber derartige Auswirkungen zu beobachten gewesen. 20 So hat sich in Deutschland die Zahl der Mordfälle seit 1949, als man die Todesstrafe in der Verfassung für abgeschafft erklärte, sogar erheblich verringert. Auch wenn sich die Verringerung damit erklären läßt, daß damals gleichzeitig eine Stabilisierung der durch den Zweiten Weltkrieg in Deutschland zerrütteten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse begann, kann doch jedenfalls keine Rede davon sein, daß die Abschaffung der Todesstrafe zu einer Erhöhung der Mordkriminalität geführt hätte. Im übrigen zeigen die beobachteten Schwankungen der Häufigkeit von Mord, wie gering der Einfluß ist, den die Art der Strafdrohung auf den tatsächlichen Verlauf dieser Kriminalität hat. Instruktiv ist insoweit auch die Situation in den USA. Bekanntlich gibt es dort Einzelstaaten, welche die Todesstrafe praktizieren, und andere, in denen das nicht der Fall ist. Würde die Todesstrafe eine besonders abschreckende Wirkung haben, wäre doch hinsichtlich der betreffenden Delikte die Kriminalität in denjenigen Staaten niedriger, die diese Strafart anwenden. Tatsächlich bestehen aber keine Unterschiede. Ginge es bei der Todesstrafe wirklich um die besondere Abschreckung, läge es eigentlich nahe, daß man sie überall in der Welt öffentlich vollstreckt, wie das auch in Europa noch bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts der Fall war. Heute aber erfolgt der Vollzug in den meisten Staaten unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Der Grund ist der, daß man weniger auf eine abschreckende und damit verbrechenshemmende Wirkung des öffentlichen Vollzuges vertraut als sich vielmehr der verrohenden und damit zum Verbrechen anreizenden Wirkung bewußt geworden ist. 21 Natürlich schließen die vorhergehenden Überlegungen nicht aus, daß die Furcht speziell vor der Todesstrafe wenigstens hier und da einmal jemand von der Begehung einer Tat abgeschreckt hat. Aber das ist eben nicht der Normalfall. 3. Man wird sich nun fragen, ob nicht schon die Möglichkeit, daß es solche Ausnahmefälle gibt, die Todesstrafe rechtfertigt oder sogar erforderlich macht. Genügt nicht, daß man wenigstens gelegentlich ein schweres Verbrechen, insbesondere einen Mord, verhindern kann, wenn man die Todesstrafe zur Verfügung hat? 22 20 Vgl. näher dazu Dreher (Fn. 17), S. 553 ff.; Bockelmann (Fn. 19), S. 143 ff.; Sellin, The Penalty of Death, 1980, S. 121 ff.; Zeisel, The Deterrent Effect of the Death Penalty, in: Bedau (Hrsg.), The Death Penalty in America, 3. Aufl. 1982, S. 116 ff.; Amnesty International, United States of America, The Death Penalty, 1987, S. 162 ff.; Wolfgang, The Death Penalty, in: Social Philosophy and Social Sience Research Law Bull 14 (1987), S. 18 f.; Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 26. 21 Bockelmann (Fn. 19), S. 142 f.; auch Dreher (Fn. 17), S. 554 f. 22 Vgl. auch die Fragesstellung bei Bockelmann (Fn. 19), S. 145 f.

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Damit geht es nun nicht mehr nur um kritische Überlegungen, die gegenüber der Richtigkeit und Stimmigkeit der für die Beibehaltung angeführten Argumente auftauchen. Vielmehr treten die für die Abschaffung vorgebrachten Gegenargumente und deren Gewicht in den Blick. a) Eines ist die Humanität. Die Strafrechtsgeschichte ist mit Blut geschrieben. Hingewiesen wurde schon auf die Vielzahl von Todesurteilen in Europa bis zum Wirksamwerden der Epoche der Aufklärung und während der Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts. Von den Gegnern der Todesstrafe wird deshalb vorgebracht: Niemand habe das Recht, über das Leben eines anderen Menschen, auch nicht das eines Mörders, zu verfügen. Vielmehr sei, von unausweichlichen Notsituationen wie insbesondere Notwehr abgesehen, das Leben eines anderen Menschen zu respektieren. Als Person sei der andere, auch wenn er schwere Schuld auf sich geladen habe, in seiner körperlichen und seelischen Existenz zu achten. Dies gebiete die unverlierbare Menschenwürde. 23 Es ist auch von der „Heiligkeit“ des Lebens die Rede. 24 Diese Kritik an der Todesstrafe läßt sich nicht als spezifisch christliches Gedankengut einstufen. Das um so weniger, als die katholische Kirche die staatliche Todesstrafe als religionskonform ansieht und auch die evangelische Kirche die Frage der Zulässigkeit nicht einheitlich beantwortet. 25 Seit die Epoche der Aufklärung hat sich von der Mitte des 18. Jahrhunderts an in Europa der Gedanke, daß die Todesstrafe dem Respekt vor der Menschenwürde des Täters widerspricht, nach und nach ausgebreitet. 26 Diese Strafart erscheint in ihrer Roheit und Brutalität als Relikt aus dunklen Zeiten der Menschheitsgeschichte und mit einem der Humanität verpflichteten, aufgeklärten Menschenbild unvereinbar. Man spricht deshalb heute davon, daß die neuere Geschichte der Todesstrafe tendenziell die ihrer Abschaffung ist. 27 b) Der praktisch wichtigste Einwand gegen die Todesstrafe aber ist ihre Irreparabilität. Anders ausgedrückt: die Gefahr des „Justizmordes“. 23 Jescheck / Weigend (Fn. 11), S. 752; Calliess, Die Abschaffung der Todesstrafe – Zusatzprotokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, in: NJW 1989, S. 1019, 1020; Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 22 f., 26 („aus dem Humanitätsgrundsatz“); mit weiteren Nachweisen. 24 Bockelmann (Fn. 19), S. 140; u. a. 25 Darüber näher Künneth (Fn. 13), S. 156 ff., und Dreher (Fn. 17), S. 551. 26 Näher hierzu Preiser, Die Geschichte der Todesstrafe seit der Aufklärung, in: Maurach u. a., Die Frage der Todesstrafe, 1962, S. 35 ff. Schon Beccaria, Dei delitti e delle pene, 1764, hat dem Staat das Recht abgesprochen, die Todesstrafe zu verhängen, es sei denn, daß es sich um politische Verbrecher handelt, die durch ihr Weiterleben die Existenz des Staates gefährden. Zur neueren Geschichte näher Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 22 ff. (auch mit eingehenden statistischen Angaben). 27 Kaiser (Fn. 1), § 94 Rn. 26; Düsing, Die Geschichte der Abschaffung der Todesstrafe usw., 1952.

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Wenn ein Todesurteil zu Unrecht, beispielsweise aufgrund falscher Zeugenaussagen, ergangen und vollstreckt worden ist, dann ist damit etwas Endgültiges geschehen, das nicht mehr reparabel ist. Zwar läßt sich keine zu Unrecht erfolgte Bestrafung völlig wiedergutmachen. So sind die verlorenen Lebensjahre, die ein unschuldig Verurteilter in einer Haftanstalt verbracht hat, nur unzureichend durch eine Entschädigungszahlung zu ersetzen. Jedoch bedeutet es doch einen eklatanten Unterschied, ob man wenigstens etwas oder aber gar nichts zur Wiedergutmachung tun kann. Die Rehabilitierung, bei der es nach dem Vollzug eines Todesurteils an einem Unschuldigen zwangsläufig nur noch um eine Ehrenerklärung und allenfalls Entschädigungsleistungen an die Familie geht, erreicht den Exekutierten nicht mehr. Wie schwer ein zu Unrecht vollzogenes Todesurteil wiegt, wird durch das in der deutschen Sprache benutzte Wort „Justizmord“ anschaulich zum Ausdruck gebracht. Es liegt hier ein zentraler Punkt der Problematik der Todesstrafe, und es erhebt sich die Frage, ob es möglich ist, solche Fälle praktisch so gut wie auszuschließen. Blickt man auf die bisherige Erfahrung, so spricht sie dagegen. Es hat immer wieder Fälle gegeben, in denen sich ein Hingerichteter hinterher als unschuldig erwiesen hat. Und das sind nicht ganz wenige. Ihre Bedeutung ist neuerdings durch die Möglichkeit der DNS-Tests, also des sogenannten „genetischen Fingerabdrucks“, zusätzlich zu Tage getreten. In den USA, wo es – wie schon hervorgehoben – die Todesstrafe in vielen Gliedstaaten weiterhin gibt, haben nach einer Studie der Universität Michigan in den letzten 15 Jahren nicht weniger als 75 unschuldig zum Tode Verurteilte in Todeszellen verbracht. Große Publizität erlangte der Fall Kirk Bloodsworth. Im Jahre 1984 war Bloodsworth aufgrund von Zeugenaussagen als Kindesmörder und -vergewaltiger von einem Gericht in Baltimore zum Tode verurteilt worden. Nachdem er fast 9 Jahre in der Todeszelle verbracht hatte, stellte sich dank einer DNS-Analyse heraus, daß er nicht der Täter gewesen ist. 28 Man kann solche Fälle nicht allein mit Eigenheiten des US-amerikanischen Justizsystems abtun. Auch in Europa haben sich, als es dort die Todesstrafe noch gab, „Justizmorde“ ereignet. So erregte in Deutschland im Jahre 1878 der Fall des Hamburger Hausangestellten Döpcke Aufsehen, nach dessen Hinrichtung festgestellt wurde, daß er ohne Zweifel geisteskrank gewesen ist. 29 Die meisten Fälle blieben unaufgeklärt. Im übrigen ist auch zu beachten, daß es bei der an die Stelle der abgeschafften Todesstrafe getretenen lebenslangen Freiheitsstrafe eine Reihe von Wiederaufnahmeverfahren gegeben hat, die zum nachträglichen Freispruch des Angeklagten geführt haben. 30

28 29

Kölner Stadt-Anzeiger vom 23. November 1998, S. 3. Vgl. die Angaben bei Dreher (Fn. 17), S. 560.

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Selbst bei sorgfältigster Anwendung des geltenden Rechts sind – auch unabhängig von den heute zur Verfügung stehenden DNS-Tests – Justizirrtümer nicht zu vermeiden. Bei Delikten wie dem Mord ist zudem zu bedenken, daß die Frage, ob der Täter infolge geistiger Störungen schuldunfähig war, vielfach schwierig zu entscheiden ist, so daß selbst bei gewissenhaftester Prüfung hier durchaus ein Irrtum unterlaufen kann. 31 Einige Befürworter der Todesstrafe meinen, die Hinrichtung Unschuldiger lasse sich dadurch vermeiden, daß man nur diejenigen verhängten Todesstrafen vollstreckt, bei denen an der Schuld wirklich kein Zweifel besteht. 32 Einer solchen Lösung ist im Schrifttum aber bereits entgegengehalten worden, daß gemäß dem allgemeinen strafprozessualen Grundsatz „In dubio pro reo“ bei Zweifeln an der Verantwortlichkeit des Angeklagten schon vor vornherein gar kein Todesurteil hätte ergehen dürfen, sondern ein Freispruch von der Tat notwendig gewesen wäre. 33 Auch ist nicht sicher, ob man sich nach der Verurteilung noch rechtzeitig vor der Vollstreckung überhaupt des Zweifels bewußt wird oder ihn nicht sogar verdrängt, so daß gar kein Wiederaufnahmeverfahren mit dem Ziel des Freispruchs oder eine Begnadigung mehr stattfinden könnte. Gewichtiger sind solche Vorschläge von Anhängern der Todesstrafe, nach denen das Beweisrecht so ausgestaltet werden soll, daß bereits eine Verurteilung zur Todesstrafe nur bei wirklich unzweifelhaft bewiesenem Schuldspruch des Angeklagten möglich ist. 34 Als erstes drängt sich hier indes erneut das Bedenken auf, daß eine strafgerichtliche Verurteilung doch stets einen für das Gericht unzweifelhaften Beweis der Schuld erfordert. Verdachtstrafen sind immer unzulässig. Deshalb hilft es nicht weiter, wenn man als einschränkenden Gesichtspunkt auf die unzweifelhaft bewiesene Schuld abstellt, da sie ohnehin Voraussetzung der Verurteilung ist.

30 Zu Wiederaufnahmeverfahren siehe die umfangreichen Schrifttumsangaben bei Gössel, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 25. Aufl. 2003, Vor § 359. 31 Dreher (Fn. 17), S. 560; Bockelmann (Fn. 19), S. 152. Zur Häufigkeit von Justizirrtümer vgl. auch Bedau (Fn. 20), S. 234 ff.; Bedau / Radelet, Miscarriages of Justice in Potentially Capital Cases, in: Stanford Law Review 40 (1987), S. 21; Keller, Die Todesstrafe in kritischer Sicht, 1968, S. 143 ff. 32 Siehe die Angaben bei Dorfmüller (Fn. 13), S. 21. 33 Bockelmann (Fn. 19), S. 149, bemerkt dazu, „daß an die Überlegung des Richters von der Schuld des Angeklagten in schweren Strafsachen unmöglich höhere Anforderungen gestellt werden können als in anderen Sachen. Wer hier Unterschiede machen wollte, käme dazu, dem Richter zu gestatten, in anderen als schweren Strafsachen Verdachtsstrafen auszusprechen. Das ist doch wohl ausgeschlossen“. 34 In dieser Richtung: Dorfmüller (Fn. 13), S. 21, unter Hinweis auf Berichte aus der US-amerikanischen Praxis. Auch Süsterhenn (Fn. 13), S. 130.

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Man hat nun aber angeführt, daß sich bei denjenigen Delikten, für welche die Todesstrafe angedroht sein soll, zur zusätzlichen Sicherung untersagt werden könne, die Verurteilung nur auf einen Indizienbeweis zu stützen. Jedoch ist bekanntlich ein Zeugenbeweis nicht von Natur aus besser als ein Indizienbeweis. Er steht oft gar nicht zur Verfügung, weil der Mörder zumeist mit seinem Opfer allein ist. Wenn man bestimmte Beweismittel als ungenügend ausnehmen will, spricht das eher dafür, sich gegen eine irreparable Strafe wie die Todesstrafe auszusprechen. 35 Vielfach wird eine Lösung des Problems darin gesehen, daß man ein Geständnis des Angeklagten zur Voraussetzung der Todesstrafe oder zumindest der Vollstreckung macht. Man meint, es werde damit, daß der Angeklagte die Tat selbst zugegeben hat, das Risiko eines Justizmordes beseitigt. 36 Aber die allgemeine forensische Erfahrung lehrt, daß auch ein Geständnis kein absolut zuverlässiges Beweismittel darstellt. Es ereignen sich in Strafverfahren immer wieder einmal Fälle falscher Geständnisse. Kein Grund besteht zu der Annahme, daß dies bei Delikten, für welche die Todesstrafe angedroht ist, anders sein sollte. Vor allem aber hätte das Erfordernis eines vorliegenden Geständnisses die unbefriedigende Konsequenz, daß derjenige, der trotz erdrückender Beweise die Tat leugnet, seinen Kopf retten könnte, dagegen derjenige, der sie reuevoll zugibt, hingerichtet würde. 37 Gegner der Todesstrafe haben deshalb an die schrecklichen Folgen erinnert, die sich in Europa vom 15. bis zum 18. Jahrhundert aus dem Erfordernis eines Geständnisses ergeben haben. Der damalige Strafprozeß, das heißt der Inquisitionsprozeß, ließ zum sogenannten vollen Beweis grundsätzlich nur das Geständnis des Angeklagten genügen. Daraus wurde die Folgerung gezogen, daß ein Angeklagter, der beim Leugnen blieb, obwohl er durch Indizien überführt war, gefoltert werden durfte. 38 Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Folter wurden dann im Laufe der Zeit noch immer mehr gelockert. Zahllose Unschuldige sind damals aufgrund eines durch Folter abgepreßten Geständnisses zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Ein besonders trauriges Kapitel bildet dabei die sogenannte Hexenverfolgung. 39 Aber auch die Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Sowjetunion und im nationalsozialistischen Deutschland bietet eine Vielfalt von Beispielen, in denen Hinrichtungen aufgrund von abgepreßten falschen Geständnissen erfolgt sind. Natürlich wollen diejenigen, welche die Todesstrafe unter der Voraussetzung befürworten, daß sie an ein Geständnis geknüpft ist, nicht die Wiedereinführung 35

So auch Bockelmann (Fn. 19), S. 150. Näher zu dieser verbreiteten Meinung die Kritik bei Bockelmann (Fn. 19), S. 150 f., und Dreher (Fn. 17), S. 560 f. 37 Darauf weisen auch die in Fn. 36 zitierten Autoren hin. 38 Näher zum Inquisitionsprozeß: Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, S. 70 ff., 185 ff. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, 3. Aufl. 1998, Rn. 102 und 163 ff. 39 Näher dazu Jerouschek, Die Hexen und ihr Prozeß, 1992. 36

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der Folter in Kauf nehmen. Aber man hält ihnen mit Recht entgegen, daß die Versuchung für die Strafrechtspflege, die Folter anzuwenden, aus den genannten Gründen unausweichlich würde. 40 Möglichkeiten, durch Änderungen des Beweisrechts auszuschließen, daß Todesurteile gegenüber Unschuldigen ergehen und vollstreckt werden, bestehen daher nicht. Die Gefahr des Justizirrtums ist somit niemals zu verhindern. Es ergibt sich also: Wer die Todesstrafe fordert, muß in Kauf nehmen, daß auch Unschuldige hingerichtet werden. Für denjenigen, der sie ablehnt, ist aber bereits auch nur ein unschuldig Hingerichteter einer zuviel. 41 Aber das ist nicht einmal die einzige Konsequenz der Irreparabilität. Auch die Möglichkeit einer späteren Begnadigung wird durch die Absolutheit und Endgültigkeit der Todesstrafe ausgeschlossen. Die Praxis in denjenigen Staaten, welche die Todesstrafe durch die lebenslange Freiheitsstrafe ersetzt haben, zeigt immer wieder Fälle, in denen es nach Verbüßung langjähriger Freiheitsstrafe angemessen erscheint, den Täter aus der Haft zu entlassen und ihm noch einen Rest seines Lebens in Freiheit zu gewähren. Im deutschen Strafgesetzbuch wird ausdrücklich vorgeschrieben, daß sogar schon nach 15 Jahren zu prüfen ist, ob der Rest der Verbüßung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzten ist oder ob die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet. 42 Die Angemessenheit einer solchen Regelung ergibt sich daraus, daß innerhalb der Fälle erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Ursachen und Motive der Tat bestehen, so daß eine dem Rechnung tragende Chance für den Täter sinnvoll ist. Zudem hat sich in der Vollzugspraxis gezeigt, daß für ein friedliches Verhalten eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten in der Haftanstalt eine Rolle spielt, ob er eine Möglichkeit sieht, die Strafe nicht voll absitzen zu müssen. Auch sollte nicht unbeachtet bleiben, daß die Irreparabilität der vollstreckten Todesstrafe die Richter oft vor schwere seelische Belastungen stellt. Über Tod oder Leben eines Angeklagten zu entscheiden, ist insbesondere bei schwierigen Beweiserhebungen, einem sonst integren Angeklagten oder einem fast noch jugendlichen Angeklagten ein auch seelisches Problem: Der Gedanke, eine Gnadeninstanz könne ja noch eine eventuelle Korrektur vornehmen, hilft den Richtern wenig, da sie die justizförmige Entscheidung zu treffen haben und durch ihr Urteil die grundsätzliche Richtung bestimmen. Was eine nach dem Todesurteil etwa noch angerufene Gnadeninstanz tut, ist voller Unwägbarkeiten. Man hat daher beobachtet, daß Richter, die über die Todesstrafe zu entscheiden haben, ihr nicht 40

Darauf weist Bockelmann (Fn. 19), S. 151, mit Recht hin. Bockelmann (Fn. 19), S. 152: „Aus alledem ergibt sich, daß, wer die Todesstrafe fordert, bereit sein muß, eher auf sich zu nehmen, daß ein Unschuldiger hingerichtet wird, als daß ein Schuldiger ungeköpft bleibt.“ 42 Vgl. § 57a dtsch. StGB. 41

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selten dadurch aus dem Weg gehen, daß sie das Vorliegen der Voraussetzungen des mit Todesstrafe bedrohten Delikts verneinen und auf ein mit Freiheitsstrafe zu ahndendes geringeres Delikt oder sogar auf Freispruch ausweichen. 43 Das jedoch bedeutet, daß die Gleichheit der Behandlung der Angeklagten nicht mehr gewahrt ist und bei den Begünstigten die wirkliche Art der begangenen schweren Tat nicht mehr zum Ausdruck gelangt. 4. Ein Sonderproblem bildet die Todesstrafe im Kriege. In dem erwähnten 6. Zusatzprotokoll von 1985 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das die Todesstrafe verbietet, wird eine Ausnahme für Zeiten des Krieges oder unmittelbarer Kriegsgefahr gemacht. Mehrere Staaten, von denen die Todesstrafe grundsätzlich abgeschafft worden ist, behalten sich eine Ausnahme für den Kriegsfall vor. 44 Andere, darunter Deutschland, kennen eine solche Ausnahme nicht. 45 In Deutschland spielt hierbei sicherlich eine Rolle, daß während des Zweiten Weltkrieges unter dem Naziregime die Todesstrafe in besonders exzessiver Weise angewandt worden ist, im schon erwähnten zivilen Bereich ebenso wie in der Militärgerichtsbarkeit. Blickt man auf die von mir dargestellten Gründe, die zu dem Ergebnis führen, daß die Todesstrafe grundsätzlich nicht zu halten ist, dann bedarf es besonderer Gesichtspunkte, die für eine Ausnahme sprechen. Dazu können der Kriegszustand als solcher oder gar nur dessen Gefahr nicht für sich allein genügen; denn die für die Abschaffung der Todesstrafe sprechenden Erwägungen bleiben davon weithin unberührt. Problematisch kann der Verzicht auf die Möglichkeit der Todesstrafe erst in Bereichen werden, in denen kriegsbedingt gewichtige abweichende Sachgesichtspunkte ins Spiel kommen. So kann an der Kriegsfront die Androhung der Todesstrafe gegen Deserteure durchaus eine unmittelbar generalpräventive Wirkung entfalten. Und die lebenslange Freiheitsstrafe ist im direkten Kriegsgeschehen praktisch unrealistisch, ganz abgesehen davon, daß sie unter den jeweiligen Umständen für den Verurteilten sogar eine Lebensversicherung anstatt einer Strafe sein könnte. Wahrscheinlich ist deshalb für bestimmte, eng zu umschreibende Fälle in Kriegssituationen ein absoluter Verzicht auf die Todesstrafe nicht durchzuhalten. 46 Solche Ausnahmen müßten aber rational erklärbar sein und so eng eingegrenzt werden, daß die im Grundsätzlichen erfolgte Abschaffung nicht in Frage gestellt wird. Die theoretische Legitimation solcher Abweichungen könnte sich auf den Gesichtspunkt des Notstands stützen, der für einen im Kriegszustand befindlichen Staat zu gelten hat. 43

Auf letzteres weist Dreher (Fn. 17), S. 555, hin. So Großbritannien, Italien, Malta, Schweiz, Spanien und Zypern. 45 Jescheck / Weigend (Fn. 11), S. 753, sprechen sich auch ausdrücklich gegen eine Wiedereinführung im Kriegsfall aus. 46 Über im Kriegsgeschehen sich ergebende abweichende Gesichtspunkte näher Dreher (Fn. 17), S. 564 f. 44

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Zu beachten ist im übrigen, daß die Todesstrafe in solchen Ausnahmefällen ebenso wie in denjenigen Staaten, in denen sie schon nicht grundsätzlich abgeschafft worden ist, in einer menschenwürdigen Form vollstreckt werden muß und nur bei schwersten Verbrechen verhängt werden darf. Zu Anfang hatte ich dazu bereits auf die Judikatur des US Supreme Court und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte hingewiesen. 47 III. Es steht mir nicht zu, dem chinesischen Gesetzgeber Ratschläge in der vielschichtigen Frage der Todesstrafe zu geben. Das um so weniger, weil ich mit den hiesigen kulturellen Zusammenhängen nicht vertraut bin. 48 Aber ich sehe es bei diesem Vortrag als meine Aufgabe an, darüber zu berichten, was anderswo geschieht und dort zu der Problematik gesagt wird, außerdem meine eigenen wissenschaftlichen Überlegungen mitzuteilen. Kürzlich sind in der Weltpresse Zahlen von Amnesty International veröffentlicht worden. Danach sind im vergangenen Jahr weltweit mindestens 3797 Menschen hingerichtet worden, davon mindestens 3400 in China. 49 Lassen Sie mich das Ergebnis des Vortrags in einigen Feststellungen zusammenfassen:

47 Siehe oben Abschnitt I. Daß die Vollstreckung in einer die „Menschenwürde beachtenden Weise“ zu erfolgen hat, bedeutet zum Beispiel, daß die Hinrichtungsmethode des Vergasens gegen das Verbot der unmenschlichen Behandlung in Art. 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verstößt, wie der Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen in einem gegen Kanada gerichteten Verfahren entschieden hat (Ng. v. Kanada, in: Human Rights Law Journal 1994, S. 149). Auch darf der Verurteilte nicht zum Showobjekt gemacht werden. Öffentliche Hinrichtungen werden heute in den meisten Staaten der Welt als mit dem Anspruch, ein Kulturstaat zu sein, für unvereinbar angesehen. Das um so mehr, als die erhoffte generalpräventive Wirkung gering ist, dafür aber umgekehrt eine Verrohung der Zuschauer provoziert und damit die gegenteilige Wirkung hervorgerufen wird. 48 Zu Reformüberlegungen in China siehe Jia Yu, Death Penalty in China will surely be abolished in the future, 2005. Die Erfahrung lehrt, daß die breite Volksmeinung dort, wo es die Todesstrafe gibt, gewohnheitsmäßig zu deren Beibehaltung tendiert. Aufgabe der Wissenschaftler ist es deshalb, immer wieder über das Fehlen rationaler Gründe aufzuklären und auf den Stand der internationalen wissenschaftlichen Diskussion hinzuweisen, so daß dem Gesetzgeber eine zukunftsweisende Entscheidung erleichertert wird. 49 Vgl. den Bericht von amnesty international, The death penalty worldwide: developments in 2004, http://web.amnesty.org/library/index/ENGACT500012005. Siehe auch die Pressemitteilung vom 5. April 2005: www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde /PR2005024. Da offizielle Angaben von mehreren Staaten verweigert werden, vermutet man erheblich höhere Zahlen.

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(1) Festzustellen ist eine weltweite Tendenz zur Abschaffung. Sie ist nicht auf den europäischen Kulturkreis beschränkt, wie die erwähnten UN-Texte zeigen. In Ostasien zeigt die Entwicklung in Japan, daß hier eine Rechtsordnung sie zumindest stark reduzieren kann. (2) Bei der Tendenz zur Abschaffung handelt es sich nicht um spezifisch christliches und damit einer einzelnen Religion zuzuordnendes Gedankengut. Die Forderung nach Abschaffung basiert vielmehr auf der Entwicklung eines vom Gedanken der Humanität geleiteten Menschenbildes. Respekt vor dem Wert des menschlichen Individuums als solchem ist heute allgemein stärker ins Blickfeld gerückt, wie auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte zeigt. (3) Der Staat ist heute entmythologisiert, das heißt: er tritt dem Einzelnen nicht mehr als in göttlichem Auftrag handelnde Obrigkeit gegenüber, so daß er seine Rechtsordnung an rationalen Maßstäben zu orientieren hat. (4) Rationale Gründe dafür, daß die Todesstrafe notwendig ist, lassen sich nicht feststellen. Ausnahmen sind allenfalls für eng umgrenzte Fälle während eines Krieges denkbar. (5) In den zahlreichen Staaten, in denen die Todesstrafe abgeschafft wurde, ist dies nicht als Autoritätsverlust des Staates gesehen worden. (6) Die Möglichkeit, daß in einem Staat ein Regime künftig die Macht ergreift, das von der Todesstrafe mißbräuchlich in exzessiver Weise Gebrauch macht, ist nirgendwo völlig auszuschließen. Es bedeutet daher einen Gewinn für die Menschheit, wenn die Todesstrafe grundsätzlich geächtet wird. Die in den Unrechtsregimen des 20. Jahrhunderts massenweise vorgenommenen Hinrichtungen sind eine Warnung. (7) Kann man sich in einem Staat noch nicht zur Abschaffung durchringen, wird man sie auf Mord und schwerste Fälle des Hoch- und Landesverrats zu beschränken haben. Auch für Kriegszeiten ist eine enge Umgrenzung angezeigt. Nur insoweit läßt sie sich noch einigermaßen begründen. Außerdem ist die menschenwürdige Form der Vollstreckung zu beachten. (8) In Deutschland ist eine Rückkehr zur Todesstrafe nicht zu erwarten. Nicht nur, daß die Verfassungsnorm, welche die Abschaffung konstatiert, nicht ohne weiteres geändert werden kann, haben Umfragen ergeben, daß die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Wiedereinführung ist. 50

50 Der den Verzicht auf die Todesstrafe aussprechende Art. 102 unterfällt nach überwiegender Meinung der „Ewigkeitsgarantie“ von Art. 79 Abs. 3 in Verb. mit Art. 1 Abs. 1 der deutschen Verfassung, so daß eine Verfassungsänderung, welche die Wiedereinführung der Todesstrafe vorsieht, im Rahmen der bestehenden Verfassung nicht möglich wäre, vgl. Calliess, Die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland, in: NJW 1988, S. 849, 852; ders. (Fn. 23), S. 1020; Jescheck / Weigend (Fn. 11), S. 752. Dazu, daß ohnehin die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen eine Wiedereinführung ist, vgl. das oben in Fn. 17 mitgeteilte Umfrageergebnis.

Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften? Synthese des gleichlautenden Symposiums der A.v. Humboldt-Stiftung (2000)

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I. Wir stehen am Ende des wissenschaftlichen Teils einer in meinen Augen großartigen Tagung. Es ist gelungen, einen intensiven und lebhaften Meinungsaustausch über eine uns alle bewegende Problematik zu führen. Die ausgezeichneten Vorträge und Berichte waren eine vorzügliche Grundlage für ausgiebige Diskussionen. Die Alexander von Humboldt-Stiftung schuf uns hier eine vortreffliche Plattform für eine solche Debatte. Indem Kriminalwissenschaftler aus fast allen Weltgegenden zu Worte kamen, wurden wir alle in gleicher Weise fachlich bereichert – gerade auch wir deutschen Teilnehmer. Wie Sie wissen, neigt man in der deutschen Wissenschaft etwas dazu, deutsche Lösungsvorschläge ins Ausland zu tragen, aber weniger vom ausländischen Strafrecht und seiner Entwicklung Notiz zu nehmen. Dies wird man nach dieser Tagung nicht mehr sagen können. Das als Frage formulierte Generalthema der Tagung „Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften“ und die ebenfalls zumeist als Fragen formulierten Unterthemen sollten uns Klarheit darüber verschaffen, welche Bewandtnis es mit der verbreiteten Behauptung hat, daß das Strafrecht und die Kriminalwissenschaften sich ganz oder teilweise in einer Krise, nämlich einer bedenklichen Lage, befänden. Für mich bestand bei der Vorbereitung dieser Synthese die Schwierigkeit, daß nachmittags drei Sektionen zum gleichen Zeitpunkt stattfanden. Ich verfüge nicht über die göttliche Gabe, alles gleichzeitig sehen und hören zu können. Dank der Unterstützung vor allem durch Prof. Zieschang und auch Prof. Dölling ist es mir aber gelungen, auf einer lückenlosen Informationsbasis aufzubauen. II. Der erste Arbeitstag war den empirischen Grundlagen gewidmet. Zunächst referierte Hans-Jörg Albrecht über „Die Entwicklung der Kriminalität, Ursachen und die Rolle der Kriminalpolitik“. Er führte in seinem Plenarvortrag

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u. a. aus, daß entgegen der in der Öffentlichkeit vorherrschenden Annahme ein Rückgang der Kriminalität festzustellen sei, und zwar insbesondere in solchen Deliktsbereichen, die gemeinhin als besonders schwer eingestuft werden und die Öffentlichkeit in besonderer Weise berühren, wie Wohnungseinbrüchen, KfzDiebstählen, Raub und Tötungsdelikten. Zunahmen seien dagegen in denjenigen Kriminalitätsbereichen zu verzeichnen, die in besonderem Maße der polizeilichen Kontrolle sowie Schwankungen der Anzeigebereitschaft ausgesetzt sind. Albrecht nannte hier Drogendelikte, sexuellen Mißbrauch und Körperverletzung. Er berief sich für seine Angaben neben der Kriminalstatistik besonders auf alternative Instrumente der Kriminalitätsmessung, wie z. B. Opfer-Surveys. Auf diesen Teil des sehr gut in die allgemeine Thematik einführenden und umfassenderen Vortrags konzentrierte sich die Diskussion. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie sich der von Albrecht vertretene Rückgang der Kriminalität mit dem Befund vereinbaren läßt, daß das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gestört ist. Dedes äußerte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Daten, zumal sie sich nicht immer mit der polizeilichen Kriminalstatistik decken. Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob ein auf hohem Niveau erfolgender teilweiser Rückgang genügende Aussagekraft hinsichtlich der Gesamtsituation hat, da es doch eigentlich darauf ankommen müsse, wie weit man von dem als normal einzuschätzenden Kriminalitätsstand entfernt sei. Hinsichtlich des Generalthemas der Tagung stellte sich auf der Basis des Vortrags von Albrecht zudem die weitere Frage, ob die gegenwärtige Tendenz, das Strafrecht zu verschärfen, dann nicht auch wegen eines Mißverhältnisses zu den tatsächlichen Zahlen zu kritisieren wäre – eine Krise also in der mangelnden Beachtung der Wirklichkeit bestünde. Fletcher meinte, daß es überhaupt nur auf das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ankomme, und Albrecht führte an, daß das Sicherheitsgefühl seiner Natur nach nicht im Gleichschritt mit solchen Längsschnitten der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung stehen könne. Einigkeit bestand hinsichtlich der Selbstverständlichkeit, daß eine Gesellschaft ohne Kriminalität eine Utopie ist. Aber die Frage, ob Normalität insoweit nicht heißt, daß Kriminalität von der Bevölkerung nicht als bedrohliches allgemeines Problem empfunden wird, wie das in vielen Staaten noch in den 60er Jahren der Fall war, blieb im Raum. Es schloß sich ein Plenarvortrag von van Zyl Smit an: „Ist das Strafrecht ein geeignetes Instrument, um die heutige Kriminalitätsentwicklung wesentlich zu beeinflussen?“ In seinen die Hintergründe sehr beeindruckend beleuchtenden Ausführungen ging der Referent von einer starken Zunahme der Kriminalität aus und führte sie auf Schwäche des Staates zurück. Bei einigen Staaten der Dritten Welt sei bereits ein so großer Machtverlust eingetreten, daß man nicht mehr in der Lage sei, zumindest ein Minimum an Sicherheit für die Bürger zu gewährleisten.

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In diesen Fällen sei es nicht die Macht des Staates, sondern gerade das Fehlen einer solchen, das eine Gefahr für die Menschenrechte der Bevölkerung darstelle. In diesem Zusammenhang sprach er auch von einer Krise der Gesellschaft. Den Schwächebefund bejahte er am ausgeprägtesten für afrikanische Staaten, aber mit Abstufung auch für europäische. Er forderte eine angemessene strafrechtliche Reaktion auf Kriminalität und bejahte die das Thema des Vortrags bildende Frage, wobei er hinzufügte, daß das Strafrecht – entsprechend angewandt – die Grundlage für soziale Gerechtigkeit sei und direkt zu dieser beitrage. In der Diskussion warf Schreiber die Frage auf, wie das Konzept von van Zyl Smit theoretisch zu begründen sei. Auch wurde gefragt, ob es nicht auf klassisches Vergeltungsstrafrecht hinausläuft. Van Zyl Smit erläuterte seinen Standpunkt dahin, daß es ihm nicht um die inhaltliche Seite der Strafe gehe. Die Probleme, die man der gegenwärtigen deutschen Debatte bei der Frage der Eignung des Strafrechts vor allem im Blick hat – nämlich die seiner Überforderung dadurch, daß man die Bewältigung negativer gesellschaftlicher Entwicklungen primär ihm überläßt –, traten in der Diskussion dieses Vortrags hinter jenen grundsätzlichen Fragen etwas zurück. Nach den beiden Vormittagsvorträgen hatte man noch einen eher gespaltenen Eindruck hinsichtlich des Generalthemas. Wichtig war daher die weitere Vertiefung der Probleme in den nachmittäglichen Sektionen. Eine unmittelbare thematische Fortsetzung der Vormittagssitzung bildete die Sektion I, in der es um die Entwicklung der Kriminalität in verschiedenen Rechtskreisen und die jeweiligen Ursachen ging. Bard berichtete über das nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems starke Anwachsen der Kriminalität in Ungarn. Elbert betonte aus südamerikanischer Sicht, daß das Strafrecht sich als grundsätzlich ungeeignet erweise, die gegenwärtige Entwicklung der Kriminalität in dem Sinne zu beeinflussen, daß eine Verringerung eintritt. Katoh informierte über die Probleme und Zusammenhänge der Bandenkriminalität in Japan. Während diese Berichterstatter und die Diskutanten von einem hohen Stand der Kriminalität berichteten, gab Fattah nähere Informationen über einen Kriminalitätsrückgang in Kanada und den USA, den er mit Veränderungen des Altersaufbaus der Bevölkerung erklärte, d. h. der Verkleinerung des Anteils jüngerer und damit kriminalitätsanfälligerer Jahrgänge. Die Sektion 2 befaßte sich mit Strafzwecken und Fragen der Ausdehnung des Strafrechts ins Vorfeld und der Erweiterung der strafrechtlichen Rechtsfolgen. Janiszewski unterrichtete uns über die Entwicklung in Polen, wo die Ausdehnung ins Vorfeld ähnlich wie in Westeuropa verläuft. Und Teske berichtete über Erweiterungen und Verschärfungen des Strafrechts, insbesondere des Bundesrechts, in USA, wobei es vor allem um das Sexualstrafrecht und die Vorverlegung der Strafmündigkeit von Jugendlichen ging. Schünemann veranlaßten die beiden Referate

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zu der Bemerkung, daß der teilweise Sonnenschein der Bestandsaufnahme am Vormittag nun durch ein „ernüchterndes Regenfeld“ abgelöst werde. Die sehr lebhafte Diskussion knüpfte an die These des vom Vorsitzenden in den Hauptpunkten mitgeteilten Berichts von Bustos an. Sie lautet, daß die Hinwendung zu den Präventionstheorien und zur Systemtheorie die Ausdehnung der Strafbarkeit ins Vorfeld zwangsläufig mit sich bringe. Beide Konzepte seien nicht in der Lage, die Ausdehnung zu begrenzen. Dies löste eine auf hohem Niveau geführte längere Diskussion über systemtheoretische Fragen in Verbindung mit der Rechtsgutslehre und der strafbegrenzenden Möglichkeiten des Verfassungsrechts aus. In dieser erhob Naucke gegen die Strafrechtswissenschaft den meines Erachtens nicht ganz unberechtigten Vorwurf, daß sie es seit mehreren Jahrzehnten vernachlässige, von der Rechtsphilosophie her Grenzen des Strafrechts zu entwickeln. Sehr lebhaft wurde auch in der Sektion 3 diskutiert. Es ging um die Frage, inwieweit anstelle von Straftatbeständen Regelungen außerhalb des Strafrechts möglich sind. Bergalli betonte, daß das Strafrecht nicht der richtige Ort ist, um polizeigesetzliche Probleme zu lösen. Indem der heutige Gesetzgeber das nicht beachte, befinde sich das Strafrecht in einer Krise. Bitzilekis führte in seinem Bericht Beispiele an, bei denen das Strafrecht nicht erfolgreich reagieren kann. Dölling sprach sich dafür aus, bei der Frage, ob eine Strafbestimmung anderweitig zu ersetzen ist, konkret auf die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit abzustellen. Plywaszewski wandte sich unter näherer Erläuterung polnischer Beispiele ebenfalls gegen eine durch die Aufnahme ordnungs- und verwaltungsrechtlicher Vorschriften erfolgende Ausweitung des Strafrechts. In der Diskussion ging es vor allem um drei Fragen: (1) die Kriterien der Begrenzung, (2) die Frage, ob die Verlagerung ins Ordnungswidrigkeitenrecht nicht auf einen bloßen Etikettenwechsel hinausläuft, und (3) inwieweit die Beschränkung auf das Zivilrecht nicht einen Verlust an Rechtsgarantien und Schutz für den Verletzten bedeutet. Dies wurde kontrovers diskutiert, wobei Fletcher, Gössel, Hassemer, Kajafa und Moccia eingehende Diskussionsbeiträge lieferten. Einig war man sich aber darüber, daß jedenfalls der ultima ratio-Gedanke des Strafrechts nachdrücklich gegenüber der Gesetzgebung in Erinnerung gebracht werden muß. III. Der zweite Sitzungstag war dem materiellen Strafrecht gewidmet. Ida hielt einen sehr eindrucksvollen Plenarvortrag über das Thema „Welche neuen praxisrelevanten Ergebnisse bringen die gegenwärtig zum materiellen Strafrecht diskutierten

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neuen systematischen Konzepte?“ Er befaßte sich in ebenso klaren wie kenntnisreichen Ausführungen mit Sinn und Funktion des Strafrechtssystems, mit Ontologie und Funktionalismus und mit den heutigen Tendenzen der Systemdiskussion. Er gelangte zu dem Ergebnis, daß auf der Ebene der systematischen Großtheorien die wissenschaftliche Diskussion kaum über ein durch die Synthese zwischen Ontologie und Funktionalismus erreichtes Niveau hinausgekommen sei. Ida registrierte hinsichtlich der Großtheorien gegenwärtig eher nachteilige Auswirkungen für das Verhältnis von Theorie und Praxis. Demgegenüber sei bezüglich der Subtheorien mit mittlerer Reichweite der Kontakt nach wie vor als gut zu bezeichnen. Er meinte deshalb, daß man nicht mehr so intensiv über Großtheorien diskutieren, sondern sich stärker auf die Subtheorien konzentrieren sollte. Eine dogmatische Systemdiskussion, welche die intellektuellen Ressourcen reichlich verbrauche und trotzdem ohne Folgen bleibe, ähnele den Luxusartikeln, die unsere Konsumgesellschaft in umweltbedrohender Weise unaufhörlich produziere. Es war abzusehen, daß diese kritischen Ausführungen Teilnehmer auf den Plan rief, die sich durch sie angesprochen fühlten. Jakobs sprach sich gegen eine Abwendung von der Befassung mit Großtheorien aus und meinte, daß nur sie eine Einbettung der Strafrechtswissenschaft in die gesellschaftlichen Gesamtzusammenhänge ermöglichten. Außerdem betonte er die Notwendigkeit eines rein normativen Ansatzes. Auch Frisch konnte sich mit den Thesen Idas nicht befreunden. Kritisch gegenüber der Themenstellung meinte er, es sei nicht Aufgabe von Systemen, nur neue Ergebnisse zu liefern, sondern ebenso gehe es darum, für bessere Begründungen zu sorgen. Auch kritisierte er die von Ida vorgenommene scharfe Trennung von Groß- und Subsystemen. Eser, Schünemann, Bacigalupo und Frau Hsu bekundeten dagegen Zustimmung zu vielen Punkten des Referenten. In der Tat ist die scharfe Gegenüberstellung von Normativismus und Ontologismus wenig ergiebig. Es mag zwar in den 60er und 70er Jahren eine einseitig ontologisch vorgehende Richtung innerhalb des Finalismus gegeben haben. Größeren Einfluß hat sie jedoch nicht erlangt. Schünemann konnte wohl der Auffassung der Mehrzahl der Anwesenden sicher sein, wenn er betonte, daß die Arbeitsweise des Strafrechtlers sowohl normative als auch ontische Aspekte zu berücksichtigen hat, je nachdem, um welche Frage es geht. Eser lenkte dann den Blick erneut auf den von Ida kritisierten Vorrang von Großtheorien. Er meinte, daß der unmittelbare Rückgriff auf großtheoretische Ansätze, weil viel zu unbestimmt, gefährlich sei. Auch warf Bacigalupo die Frage auf, wie eigentlich die Grenzen eines angemessenen Funktionalismus gezogen werden sollen. Mir scheint, daß gegen systematische Großtheorien selbstverständlich grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Das heutige Problem dürfte jedoch darin bestehen, daß ihnen ohne Notwendigkeit zuviel Aufmerksamkeit und Forschungsarbeit gewidmet wird. Nicht jeder Habilitand muß den Ehrgeiz haben, in seiner Habilitationsschrift gleich ein eigenes Strafrechtssystem mitzuliefern. Mit seinem Hinweis auf die Subsysteme wollte Ida auch nur zum Ausdruck bringen, daß hier fruchtba-

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rere Arbeit auf die Wissenschaft wartet. Ich nenne nur die Unterlassungsdogmatik und den Schuldbegriff. Es gibt noch viele weiße Flecken auf der dogmatischen Landkarte, zu deren sachentsprechender Lösung es auf neue großtheoretische Ansätze nicht ankommt. Es folgte ein ebenfalls sehr eindrucksvoller Plenarvortrag von Gimbernat Ordeig über die Frage, ob „die bisherigen dogmatischen Grunderfordernisse eines Allgemeinen Teils geeignet sind, dem heutigen Stand der Kriminalität der Strafzumessung und des Sanktionensystems zu genügen“. Die scharfsinnigen Ausführungen stießen auf lebhaftes Interesse. Der Referent zeigte an Hand von Problemen der Kausalität bei der Produktverantwortung, Fragen der Verwaltungsakzessorietät und Problemen bei Kollegialentscheidungen auf, daß die bisherigen dogmatischen Grunderfordernisse in der Lage sind, auch neuen Erscheinungsformen der Kriminalität gerecht zu werden. Insbesondere legte er im Zusammenhang mit den Entscheidungen des deutschen BGH im Lederspray-Fall und des spanischen Tribunal Supremo im Rapsöl-Fall 1 überzeugend dar, daß es für die Bejahung der Kausalität nur darauf ankommt, daß der Täter den Erfolg verursacht hat, nicht aber auf die Ermittlung der Art der Hervorrufung dieses Erfolgs. Neuer dogmatischer Konzepte zur Erfassung der Produzentenhaftung, ebenso der behandelten anderen Problemkreise, bedarf es nicht. Androulakis und Cerezo Mir, die beiden Vorsitzenden dieser Sitzung, stellten daher als wohl ganz überwiegende Einschätzung der Anwesenden fest, daß die Dogmatik selbst krisenfest ist. Roxin betonte darüber hinaus, daß es eine Krise der Dogmatik nie geben könne. Sie könnte nur darin bestehen, daß diese noch nicht ausreichend entwickelt sei. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, daß die Bedenken, die auf der Basler Strafrechtslehrertagung und anderweitig geäußert worden sind, auch nicht eine Existenzkrise der Dogmatik im Auge haben. Es geht den Kritikern nicht um Abdankung, sondern darum, ob das Instrumentarium angesichts der Zukunftsaufgaben allgemein neu überdacht werden muß. Und weitere Kritik bezieht sich auf die Frage, ob die fortschreitenden Verfeinerungen noch für die Praxis Bedeutung haben können. Naucke führte in diesem Zusammenhang an, daß – wie er formulierte – die „Höhen“ der Strafrechtsdogmatik bei den sich immer mehr ausbreitenden Opportunitätseinstellungen und prozessualen Absprachen keine Beachtung fänden. Wie der Vortrag von Gimbernat Ordeig und die Diskussion jedoch bestätigten, ist nicht nur das heutige dogmatische Instrumentarium genügend leistungsfähig, sondern die Dogmatik, sofern sie nicht nur für enge wissenschaftliche Zirkel betrieben, vielmehr auch für die Praxis verständlich ist, von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung des Rechts. Roxin meinte, daß große neue Aufgaben auf die Strafrechtsdogmatik warten.

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BGHSt 37, 106 sowie Tribunal Supremo vom 23. 3. 1992 (teilweise abgedruckt in NStZ 1994, 37).

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Eine Fortsetzung der Debatte des Vormittags fand insbesondere in der Sektion 5 statt, die sich mit der Frage befaßte, „welches Gewicht die heutige strafrechtsdogmatische Diskussion in der Praxis hat“. Bacigalupo berichtete aus Spanien, daß die Diskussion über das System keine Wirkung auf die Rechtsprechung geübt hat. Die Entscheidungen des Tribunal Supremo zeigten implizit einen gewissen dogmatischen Pluralismus auf. Nur bei Einzelpunkten der Systeme, z. B. dem Vorsatz oder der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, sei der Einfluß der gegenwärtigen dogmatischen Diskussion erkennbar. Im übrigen äußerte er die Meinung, daß die Beziehungen zwischen Rechtsprechung und Lehre als ein Dialog zu verstehen seien, da auch die Rechtsprechung den Anspruch erhebe, richtige dogmatische Begriffe zu etablieren. Wrobel hob in seinem Bericht über die polnische Situation hervor, daß gegenwärtig mehrere Strafrechtsprofessoren als hohe Richter tätig sind. Durch diese personelle Verknüpfung fänden dogmatische Einzellösungen gebührende Beachtung in der Judikatur. Gössel berichtete über die deutsche Situation. Er wies insbesondere darauf hin, daß auch der BGH sich nur für einzelne dogmatische Lösungen interessiert. Gleichzeitig machte er auf die gegenseitige Abhängigkeit von Theorie und Praxis aufmerksam. Im übrigen stellte er fest, daß die Zahl der dogmatischen Publikationen unüberschaubar ist, ihr wissenschaftliches Niveau zudem nicht immer über jeden Zweifel erhaben ist, so daß der Praktiker sich nur schwer zurechtfindet und gleichsam aus Notwehr die wissenschaftlichen Erörterungen weitgehend außer acht läßt. Der vorliegende Bericht von Montealegre Lynett schließlich lenkte den Blick auf die neuere Strafgesetzgebung und zeigte, daß das in diesem Jahr in Kraft getretene neue kolumbianische Strafgesetzbuch zwar ausdrücklich bestimmt, daß die Kausalität allein nicht für die rechtliche Zurechnung des Erfolgs ausreichend ist, aber die heute lebhaft diskutierte Lehre von der objektiven Zurechnung sonst keinen Niederschlag in den Regelungen gefunden hat. Die Diskussion, bei der insbesondere Muñoz Conde und Bitzilekis mit wiederholten Diskussionsbeiträgen hervortraten, führte zu dem Ergebnis, daß die Praxis sich nicht für Grund- oder Großsysteme interessiert, sondern sich darauf beschränkt, ihr angemessen und praktikabel erscheinende Lösungen für Teilbereiche aufzugreifen (z. B. eine Lösung für den Verbotsirrtum). Auch wurde deutlich, daß der Einfluß der von der gerichtlichen Praxis entwickelten Problemlösungen auf die Theorie – also die umgekehrte Richtung – eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Man denke nur in Deutschland an die subjektive Teilnahmelehre, die subjektive Versuchstheorie, neuerdings die Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs usw. Naucke wies auf die Kontrollaufgabe der Wissenschaft gegenüber der Praxis hin, wobei er jedoch ebenso wie Schreiber betonte, daß sie heutzutage nur unzureichend geleistet wird. In der Sektion 4 ging es mit dem Blick auf Tendenzen der Gesetzgeber, das Strafrecht zu verschärfen, europarechtliche Entwicklungen sowie Literaturforderungen, das strafrechliche Instrumentarium angesichts neuer Erscheinungsformen

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der Kriminalität einer Revision zu unterziehen, um die Frage, worin die unverzichtbaren dogmatischen Grunderfordernisse eines Allgemeinen Teils bestehen. Die Berichterstatter setzten unterschiedliche Akzente. Wasek und zum Teil der vorgelegte schriftliche Entwurf von Mynolopoulos behandelten mit dem Blick auf das Generalthema, welche allgemeinen dogmatischen Grunderfordernisse jedes Strafrecht einzuhalten hat und nicht verkürzen darf. Ersterer betonte angesichts der aus der gegenwärtigen kriminalpolitischen Situation drohenden Gefahren besonders: Gesetzlichkeits-, Tatstrafrechts-, Schuld- und Verhältnismäßigkeitsprinzip. Sancinetti und Yamanaka befaßten sich – aktuell wegen des Entwurfs eines europäischen „corpus juris“ – mit dem notwendigen Umfang einer gesetzlichen Regelung, und Luzón Peña gab einen Überblick über die wesentlichen Erfordernisse der spanischen Straftatlehre. In der Diskussion äußerten sich Eser, Frisch, Moccia und Militello skeptisch gegenüber der Möglichkeit allgemeingültiger Aussagen zum Allgemeinen Teil. Nachdem Jescheck auf bestehende und vorbereitete supranationale Regelungen des Allgemeinen Teils (Rom-Statut, „corpus juris“ u. a.) hingewiesen und auch andere Teilnehmer, darunter Paliero und Tiedemann, eine solche Skepsis für unbegründet erklärten, setzte sich die Meinung durch, daß es jedenfalls möglich sei, sektorale Regeln des Allgemeinen Teils aufzustellen. In der weiteren Debatte ging es – mit dem Blick auf aktuelle europäische Harmonisierungsfragen – um die Regelungsdichte, wobei einzelne Rechtsfiguren erörtert wurden. Ein für die kontinentaleuropäischen Länder gegenwärtig sehr aktuelle Problematik wurde in der Sektion 6 behandelt: die Frage der Straffähigkeit juristischer Personen. In der wissenschaftlichen Diskussion ist bekanntlich auch in Tendenzen, diese Frage zu bejahen, ein Krisenzeichen gesehen worden. Snyman und der verteilte schriftliche Bericht von Kremnitzer informierten über die langjährige einschlägige Praxis im angelsächsischen Rechtskreis, Frände über die kurzen, bisher erheblich hinter den Erwartungen zurückbleibenden Erfahrungen seit der Einführung in Finnland. Szwarc und Yim berichteten über den eher auf Zurückhaltung hindeutenden Meinungsstreit in ihren Heimatländern. Die anschließende Debatte wurde engagiert geführt. Philippides und mehrere andere Teilnehmer sprachen sich für die Strafbarkeit aus. Fletcher, der mit den Gegnern übereinstimmte, warf dagegen der Dogmatik Versagen vor, weil sie sich in dieser Frage nicht der politischen Tendenz genügend entgegenstelle. Die Mehrheit der Anwesenden neigte einer nicht-schuldstrafrechtlichen Lösung zu. Jakobs stellte abschließend fest, daß es den Teilnehmern der Sektion jedoch nicht gelungen sei, die Problematik zu lösen. IV. Am dritten Sitzungstag wurde das Strafverfahren behandelt. Die Vormittagssitzung eröffnete Roxin. Er wies bereits einleitend darauf hin, daß im Bereich des

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Strafverfahrensrechts das Diagnostizieren einer Krise wahrscheinlich sei. Dies bestätigte sich im weiteren Verlauf dann auch als der für die Mehrheit der Rechtsordnungen zutreffende Befund. Julio Maier führte in seinem von souveräner Fachkenntnis getragenen Plenarvortrag über die Frage „Ist das Strafverfahren noch praktikabel?“ aus, daß die Krise dieses Rechtsgebiets ihre Ursache in einer Inflation des materiellen Strafrechts habe. Der eigentliche Weg zur Praktikabilität eines verfassungskonformen und rechtsstaatlichen Strafverfahrens bestehe darin, daß das Subsidiaritätsprinzip ernst genommen werde. Neben dem Appell an die Gesetzgebung zum materiellen Strafrecht hatte er dabei auch die strafverfahrensrechtliche Subsidiarität im Auge, wobei er insbesondere auf die Wiedergutmachung und die Einschränkung des Legalitätsprinzips als verfahrensrechtliche Entlastung des Strafverfahrens hinwies. Im übrigen vertrat Maier die Auffassung, daß man viel vom anglo-amerikanischen Recht lernen könne, soweit es um das Akkusationsprinzip und die Neutralität des Spruchkörpers gehe. Der anregende Vortrag löste eine intensive Diskussion aus. Sie hatte ihren Schwerpunkt bei der Auseinandersetzung über Vorzüge und Nachteile des angloamerikanischen Strafverfahrens. Herrmann und Linnan gaben dazu sehr informative Informationen. Andererseits wurde deutlich, daß auch von ihm nicht das Heil bei der Lösung der Probleme erwartet werden kann. Was die vom materiellen Strafrecht ausgehenden Ursachen betrifft, äußerte man Zweifel, ob es sich nur um Folgen inflationärer Strafgesetzgebung handelt oder ob nicht auch die große Zahl von Straftaten des klassischen Strafrechts (einschließlich Fällen mit wirtschaftsund steuerrechtlichem Hintergrund) eine erhebliche Rolle spielt. Andererseits wurde aber klar, daß die Krise des Strafverfahrens jedenfalls auch mit problematischen Entwicklungen des materiellen Strafrechts zusammenhängt. In seinem anschließenden Plenarvortrag über die Frage „Welche Grundprinzipien und sonstigen rechtsstaatlichen Anforderungen des Strafverfahrens sind unverzichtbar?“ nahm Weigend in einer klaren und eingehenden Analyse zu allen wesentlichen einschlägigen Fragen Stellung. Der Vortrag fand außerordentliche Beachtung, auch wegen vieler rechtsvergleichender Bezüge. Einen zentralen Punkt bildeten die von Weigend näher ausgeführte Zielsetzung des Strafverfahrens und die daraus gezogenen Folgerungen. Da die Zielsetzung in der Herstellung von Rechtsfrieden durch Klärung des Tatverdachts bestehe, sei wirklich unverzichtbar vor allem die Orientierung des Strafverfahrens an der Wahrheit. Diese Orientierung schlage sich im inquisitorischen Verfahrenstyp in der umfassenden Aufklärungspflicht des Gerichts nieder, und im adversatorischen Verfahren werde die Wahrheit durch den Wettstreit der unterschiedlichen Thesen, die von den Parteien zu ihr vertreten werden, um so klarer ans Licht gebracht. Mit der Aufgabe des Strafprozesses eigentlich unvereinbar erklärte Weigend daher alle Verfahrensformen, bei denen Sachaufklärung durch einen bloß formalen Konsens

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über das Endergebnis, d. h. über die vom Angeklagten zu verbüßende Strafe, ersetzt wird. Auf diesen Punkt konzentrierte sich dann auch weitgehend die Diskussion. In ihr griff Jakobs die von Luhmann für andere Verfahren als Strafverfahren vertretene These auf, daß Ziel des Prozesses nicht die materielle Wahrheit, sondern nur die Darstellung der Wahrheit durch Verfahren sei. Das fand in bezug auf das Strafverfahren jedoch keine Zustimmung. Insgesamt meinte Frisch, daß der Spielraum für Verfahrensvereinfachungen auf der Grundlage von Weigends Anforderungen nicht sehr groß sei. Dölling veranlaßte das zu der Bemerkung, daß die Wissenschaft den Politikern die Bereitschaft versagen sollte, zu weitgehenden Verfahrensvereinfachungen zuzustimmen, und statt dessen einer Aufstockung der Justizressourcen fordern sollte. Realistischer war wohl die abschließende Feststellung von Gaberle, daß es ihm schwerfalle, ohne Skepsis in die Zukunft zu blicken. Er glaube nicht, daß es möglich sein werde, so viel an Bestand zu erhalten. Am Nachmittag ging es in der Sektion 7 um die Frage, „welche Bestrebungen es in den einzelnen Staaten zur Vereinfachung der Verfahren gibt und wie sie sich, wo sie eingeführt worden sind, bewährt haben“. Bradley berichtete, daß sich in den USA die Probleme nicht stellten, da das Verbrechen dort rückläufig ist und man deshalb keine Krise empfindet. Lediglich die Todesstrafe werfe Verfahrensprobleme auf. Dedes, Gómez-Colomer und Moccia berichteten über die Entwicklung in ihren europäischen Heimatländern. In der Diskussion richtete sich besonderes Interesse auf die italienische Prozeßreform, die Moccia in seinem Bericht stark kritisiert hatte. Er charakterisierte „Absprachenstrafjustiz“ und „sogenannte abgekürzte Verfahren“ als „Kumulation von Mißständen“. In der Diskussion ergänzte er, man habe auf die durch Mafia und Terrorismus entstandenen prozessualen Notlagen letztlich die gesamte StPO aufgebaut. Die Sektion 8 befaßte sich mit der Frage, ob das Legalitätsprinzip zu halten ist und welche rechtsstaatlichen Anforderungen für das Opportunitätsprinzip zu gelten haben. Gostynski wies in seinem Bericht auf die materiellrechtliche Lösung der Bagatellkriminalität in Polen hin, wo es im StGB heißt, daß gar keine Straftat vorliegt, wenn die Sozialschädlichkeit gering ist. Krapac berichtete, daß das neue kroatische Strafprozeßgesetz von 1997 eine den deutschen Vorschriften, einschließlich des § l53a dtsch. StPO (Einstellung gegen Erfüllung von Auflagen), ähnliche Regelung vorsieht. Der neue türkische Reformentwurf hat sich dagegen, wie Öztürk mitteilte, nur mit einer geringen Relativierung des Legalitätsprinzips begnügt. Muscos Bericht veranschaulichte die verfassungsrechtliche Problematik in Italien. Für das Opportunitätsprinzip sprach sich nachdrücklich Hermann aus. In der Diskussion wurde wohl von den meisten kontinentaleuropäischen Teilnehmern ein mit Ausnahmen versehenes Legalitätsprinzip bevorzugt. Intensiv wurde die Kontrolle von Opportunitätsentscheidungen, an der es in Deutschland

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mangelt, und der mit dem Opportunitätsprinzip verbundene Machtzuwachs der Staatsanwaltschaft diskutiert. Gegenstand der Sektion 9 war die schon bei anderen Themen der Tagung wiederholt anklingende Frage: „Wie verhalten sich tatsächliche Strafzumessung, gesetzliche Strafdrohung und Gerechtigkeits- und Präventionserwartungen der Öffentlichkeit zueinander?“ Donna konstatierte hinsichtlich der Strafrechtssituation in Argentinien und ganz Südamerika eine gewaltige Identitätskrise. Die Straftaten seien so angestiegen, daß die Politiker dieses Problem ausnutzten und so, um Wahlen zu gewinnen, vorbeugendes und nachträgliches Eintreten versprächen. Ohno informierte uns über sozial-kulturelle Veränderungen in Japan. Kaczmarek berichtete aus Polen, daß die Bevölkerung unterschiedlich auf das nach der Wende liberalisierte Strafrecht reagiert, je nachdem, ob es sich um ökonomische Nutznießer oder Verlierer handelt. Schünemann meinte zur deutschen Situation, daß den in der Bevölkerung verbreiteten Gerechtigkeits- und Präventionserwartungen kein besonderes Gewicht beizumessen sei, da sie weitgehend beliebig formbar wären. Es handele sich um eine postmoderne Gesellschaft, in der im Grunde genommen das Prinzip moralischer Beliebigkeit herrsche. Er sehe daher keine Notwendigkeit, etwa bei der tatsächlichen Strafzumessung auf derartige Pseudoerwartungen der Öffentlichkeit Rücksicht zu nehmen, so daß die Strafzumessung auf strafrechtsdogmatischem Weg gefunden werden müsse, wobei im Augenblick nur auf die Regeln der praktischen Vernunft verwiesen werden könne. In der Debatte wurde diesen Befunden im Grundsätzlichen nicht widersprochen. Iannides bezeichnete die griechische Strafrechtspflege als einen „Verwaltungsbetrieb, der Kriminalität verwaltet“. Allgemein wurden die Präventions- und Gerechtigkeitserwartungen als ganz schwankend und gruppenspezifisch charakterisiert. Kulesza berichtete aus Polen, daß dort praktisch die Medien entschieden, ob die Strafzumessung vernünftig sei oder nicht. In den Präventions- und Gerechtigkeitserwartungen wurde aus den genannten Gründen kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Strafzumessung gesehen. In der Schuldstrafe dagegen sahen Frisch und Schünemann gewisse Anknüpfungspunkte. Welche Folgerungen sich für die ganz auf Generalprävention aufbauenden Straftatsysteme ergeben, konnte nicht mehr erörtert werden. V. Das Thema „Internationale Strafgerichtsbarkeit“ der Sitzung des Abschlußtages lenkte den Blick in die Zukunft. Nishihara vermittelte in seinem Plenarvortrag wertvolle Informationen über die Entstehung des „Römischen Statuts zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs“ von 1998 und dessen inhaltliche Hauptpunkte. Er verband dies in seinen eindrucksvollen Ausführungen mit Bedenken, ob die Zeit bereits ganz reif ist für ein solches Statut. Insbesondere

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meinte Nishihara, daß noch zu viele inhaltliche Probleme aus strafrechtlicher Sicht bestünden. In der Diskussion wurde die Schaffung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit im Grundsätzlichen allgemein befürwortet. Kritik an inhaltlichen Schwächen äußerten neben dem Referenten auch Separovic und Fletcher. Demgegenüber verteidigten Weigend und Eser mit gewichtigen Gründen das bisher Erreichte. Nishihara mahnte in der Diskussion verstärkte Erörterungen der strafrechtlichen Fragen des Statuts durch Strafrechtler an. Jescheck, ein wissenschaftlicher Wegbereiter der Entwicklung, sprach von dem Statut als der Verwirklichung eines Lebenstraums. Meine Damen und Herren, wir haben dreieinhalb Tage lang hart arbeitend versucht, uns einen Gesamteindruck von der Situation des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften zu verschaffen. Wir sind dabei auf viele ähnliche Entwicklungen in unseren Heimatländern gestoßen. Bei dem Meinungs- und Informationsaustausch hat sich gezeigt, daß Krisensymptome in den Bereichen des Faches in unterschiedlichem Maße zu beobachten sind. Am deutlichsten treten sie im Strafverfahren zutage. Aber auch die Inflation des materiellen Strafrechts ist von Strafrechtlern schon vor einiger Zeit zu Recht als Krisensymptom genannt worden. Aufgabe von uns ist es, den größeren Zusammenhängen künftig stärker als bisher Aufmerksamkeit zu schenken und uns kritisch zu Wort zu melden. 2 Deshalb sollten wir uns wohl auch mehr als bisher dafür interessieren, daß durch die dafür zuständigen staatlichen Instanzen diejenigen Ursachen, die die Entste2 Anders werden unsere Aufgaben allerdings in dem im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 10. 10. 2000 unter der Überschrift „Rücktritt vom Versuch des Verstehens“ erschienenen Bericht über diese Tagung gesehen. Es heißt dort: „Man könnte sich auch eine Strafrechtstheorie vorstellen, die vorrangig versucht, die gegenwärtige Rechtsund Strafpraxis zu begreifen. Die meisten der in Bamberg diskutierenden Juristen mochten hingegen ihre Aufgabe im Einfluß ihrer Disziplin auf Rechtsprechung, Gesetzgebung und Kriminalpolitik erkennen. Daß man in diesen Bereichen die angebotene Mischung aus selbstgewonnener Philosophie der Tathandlung, Normauslegung und Seitenblicken auf soziale Wirklichkeit oft nicht benötigt, mag den Strafrechtlern als Krisensymptom erscheinen. Es könnte aber einfach nur das Ergebnis ihrer eigenen Selbstüberforderung sein.“ Demgegenüber läßt sich jedoch darauf hinweisen, daß bei einem nur auf das Registrieren und Erklären der jeweiligen Rechts- und Strafpraxis beschränkten Verständnis von Strafund Strafprozeßrechtswissenschaft ein großer Teil der kulturellen Fortentwicklung des Strafrechts kaum möglich gewesen wäre. Die Mehrzahl der Anstöße zu seiner Verbesserung – von der Überwindung des reinen Erfolgsstrafrechts, der Abschaffung der Folter und dem Verschwinden der Hexenprozesse bis hin zur Einführung der modernen Verfahrensgarantien und einer von Rationalität geleiteten Strategie der Verbrechenseindämmung – sind von theoretischer Seite gekommen, wie die lange Kette einflußreicher Strafrechtler, Rechtsund Staatsphilosophen zeigt, und ein auch nicht unerheblicher Teil der laufenden Gesetzesinnovation und Auslegungspraxis geht auf Denkanstöße von Theoretikern zurück. Vielleicht hätte man den Bericht im Hinblick auf die in ihm vertretene Sicht deshalb zutreffender mit „Fehlgeschlagener Versuch des Verstehens von Geisteswissenschaften“ überschreiben sollen.

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hung von Kriminalität begünstigen, eingedämmt werden. Denn das Straf- und Strafverfahrensrecht ist, wie wir gesehen haben, seiner Natur nach nicht in der Lage, diese gesellschaftspolitischen Defizite auszugleichen. Lassen Sie sich noch einmal danken für Ihre intensive Mitwirkung an den Arbeitssitzungen, auch dafür, daß diese ohne Übersetzungen in deutscher Sprache stattfinden konnten. Und der Alexander von Humboldt-Stiftung gilt großer Dank dafür, daß sie uns diese Zusammenkunft ermöglicht hat.

Allgemeiner Teil

Zur Lehre von der objektiven Zurechnung 1998 I. Die von Honig 1 begründete Lehre von der objektiven Zurechnung ist durch Roxin 2 Anfang der 70er Jahre wiederbelebt und seither ständig weiter vertieft worden. Heute ist sie herrschend im deutschen Schrifttum. 3 Es geht nach Roxin darum, daß Zurechnung zum objektiven Tatbestand die Verwirklichung einer vom Täter geschaffenen, nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckten Gefahr innerhalb der Reichweite des Tatbestands voraussetzt. 4 Und Lenckner spricht von einer den objektiven Tatbestand begrenzenden Zurechnungsregel, wonach ein tatbestandsmäßiger Erfolg nur dann zurechenbar sein soll, wenn der Täter durch seine dafür ursächliche Handlung verbotswidrig ein entsprechendes Erfolgsrisiko geschaffen und gerade diese rechtlich verbotene Gefahr sich in dem konkret eingetretenen Erfolg verwirklicht hat. 5 Honig wollte mit der objektiven Zurechnungstheorie Anfang der 30er Jahre die Uferlosigkeit des objektivistischen Tatbestandsbegriffs der damals herrschenden 1

Honig, Frank-Festg., Bd. l, 1930, S. 174 ff. Roxin, Honig-Festschr., 1970, S. 133 ff.; zu seinen zahlreichen weiteren Stellungnahmen siehe die Nachw. bei Roxin, Allg. Teil I, 3. Aufl., 1997, § 11 vor Rn. l, außerdem die dortige Darstellung der Theorie in § 11 Rn. 39 ff. 3 Vgl. Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 39 ff..;Jakobs, Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, 7/35 ff.; Jescheck / Weigend, Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, S. 286 ff.; Lenckner, in: Schönke / Schröder, 25. Aufl., 1997, Vor § 13 Rn. 91 ff.; Puppe, in: NK, 1995, Vor § 13 Rn. 120 ff.; Rudolphi, in: SK, 6. Aufl., 1997, Vor § 1 Rn. 57 ff.; Schmidhäuser, Allg. Teil StudB, 2. Aufl., 1984, 5/57 ff.; Wessels, Allg. Teil, 27. Aufl., 1997, Rn. 176 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 330 ff.; sowie die umfangreichen weiteren Nachw. bei Roxin, a. a. O. Kritisch gegenüber dieser Lehre: Arm. Kaufmann, Jescheck-Festschr., 1985, S. 251 ff.; Struensee, GA 1987, 97 ff.; Hirsch, Kölner Festschr., 1988, S. 399, 403 ff.; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990, S. 90 ff.; Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, 1994, S. 534 ff.; einschränkend Maiwald, Miyazawa-Festschr., 1995, S. 478 ff. Zurückhaltend Lackner, StGB, 22. Aufl., Vor § 13 Rn. 14; Kühl, Allg. Teil, 2. Aufl., 1997, § 4 Rn. 42; Köhler, Allg. Teil, 1997, S. 144 mit Fn. 26. 4 Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 44. 5 Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 92. Bei Jescheck / Weigend heißt es, daß „die Handlung eine rechtlich verbotene Gefährdung des geschützten Handlungsobjekts geschaffen und die Gefahr sich in dem tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklicht“ haben müsse (S. 287). 2

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kausalen Unrechtslehre im Objektiven eindämmen, 6 und Roxin war es später zunächst darum zu tun, der Einbeziehung des Vorsatzes in den Unrechtstatbestand, wie dies die personale Unrechtslehre verlangt, durch objektive Zurechnungsgesichtspunkte entgegenzutreten. Er schrieb, daß die „Aufgabe der Dogmatik“ in der Aufstellung normativ zu bestimmender allgemeiner objektiver Zurechnungskriterien bestehe. 7 Nachdem der personale Unrechtsbegriff sich dann aber, als Lenckner ihn in den Kommentar von Schönke / Schröder übernahm und er sich auch in gesetzlichen Neuregelungen des Allgemeinen Teils widerspiegelte, 8 im deutschen Schrifttum durchgesetzt hat, ist die Lehre von der objektiven Zurechnung mit ihm kombiniert worden. Die heutigen Vertreter dieser Lehre gehen also gleichzeitig davon aus, daß beim Vorsatzdelikt auch der Tatbestandsvorsatz zum Unrechtstatbestand gehört. Daß die Lehre von der objektiven Zurechnung sich trotz der bereits durch die personale Unrechtslehre vorgenommenen Eingrenzung des Unrechtstatbestands ausgebreitet hat, hängt damit zusammen, daß die Eingrenzung nach Welzels Konzept des personalen Unrechtsbegriffs im wesentlichen erst auf der Ebene des subjektiven Tatbestands erfolgt, jedenfalls beim Vorsatzdelikt. 9 Es wurde als Mangel empfunden, daß der objektive Tatbestand weiterhin grundsätzlich schon durch die nach der Bedingungstheorie zu bestimmende Verursachung des Erfolges erfüllt sein sollte. Denn im Tatstrafrecht bildet die Verwirklichung eines objektiven Tatbestands regelmäßig den Anknüpfungspunkt der strafrechtlichen Betrachtung. Man könnte demgegenüber erwägen, daß der objektive Tatbestand für sich allein noch keine Wertrelevanz habe. 10 Erst durch das Vorliegen auch des subjektiven Tatbestands wird ja die Tatbestandsmäßigkeit begründet. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß es den Unrechtsgehalt beeinflußt, in welchem Umfang der objektive Tatbestand erfüllt ist und wie weit er sich ins Vorfeld erstreckt. Man denke an den Unterschied von Vollendung und Versuch sowie den von Versuchsbeginn und bloßer Vorbereitungshandlung. Käme es – lediglich unter Ausgrenzung bloßer Reflexe – allein auf die äquivalente Verursachung des Erfolges bei den Erfolgsdelikten an, so würden regelmäßig auch alle Vorfahren des Täters, von den Eltern bis zurück zu Adam und Eva, den objektiven Tatbestand des heute von einem Täter begangenen Delikts erfüllt haben, wobei lediglich die Teilnahmelehre (soweit eine 6

Honig (Fn. l), S. 179 f., 188, 195 f. Roxin, Honig- Festschr., S. 147 ff. 8 Siehe Lenckner, in: Schönke / Schröder, 18. Aufl., 1976, Vor § 13 Rn. 46 ff. Zur Widerspiegelung in Neuregelungen von 1975 näher Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 839. 9 Vgl. Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 61 f. Allerdings wollte er einen Teil der heute von der objektiven Zurechnungslehre in den Blick genommenen Fälle mit Hilfe der von ihm stammenden Lehre von der sozialen Adäquanz aus der Tatbestandsmäßigkeit ausscheiden (a. a. O. S. 55 ff.). Zu dieser Lehre siehe noch im folgenden die Ausführungen bei und in Fn. 19. 10 In dieser Richtung früher auch Hirsch (Fn. 3), S. 407. 7

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Rechtsordnung nicht den Einheitstäterbegriff zugrundelegt) eine Einschränkung bilden könnte. Auch Roxin leitet seine Ausführungen zur objektiven Zurechnung mit dem Problem der Abgrenzung zum Vorfeld ein. Er weist darauf hin, daß doch der Hersteller einer später durch einen anderen beschädigten Sache nicht den objektiven Tatbestand des § 303 StGB erfüllt haben kann, nur weil er durch die Herstellung eine Bedingung des Erfolges geschaffen hat. 11 Es ist deshalb einsichtig, daß die Lehre von der objektiven Zurechnung versucht, die dogmatischen Defizite, die ein reiner Kausalitätsansatz beim objektiven Tatbestand der Erfolgsdelikte mit sich bringt, auszugleichen. Länger bemühen sich darum bekanntlich schon die Adäquanztheorie und die Relevanztheorie, wobei erstere die Fragestellung jedoch nicht hinreichend von der Kausalitätsfrage trennt und letztere wegen ihrer Unschärfe nur wenige Anhänger gefunden hat. Es fällt im übrigen auf, daß im Deliktsrecht des Bürgerlichen Rechts eine Einschränkung des Unrechts durch die Adäquanztheorie vorgenommen wird, 12 während das Strafrecht sich herkömmlich im Grundsatz allein an der Äquivalenztheorie orientierte, 13 so daß, obwohl die Strafe nur eine Verschärfung der Rechtsfolge gegenüber den zivilrechtlichen Rechtsfolgen darstellt, ein und dasselbe Verhalten den Anforderungen an das Unrecht im Zivilrecht nicht genügen, aber gleichwohl strafbewehrtes Unrecht sein konnte. II. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob die derzeitige Lehre von der objektiven Zurechnung das zutreffende Lösungskonzept darstellt. Vor einer näheren systematischen Analyse sind dazu die von den Anhängern dieser Theorie genannten praktischen Hauptanwendungsfälle zu betrachten. 1. Als wichtigste Fälle werden beim Vorsatzdelikt die Sachverhalte mangelnder Beeinflußbarkeit eines erstrebten Erfolges und die Fallkonstellation der wesentlichen Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf genannt. 14 a) Die Probleme der mangelnden Beeinflußbarkeit der Verwirklichung eines vom Täter erstrebten Erfolges finden sich mit Vorliebe an dem zwar nicht unter praktischem, aber doch unter theoretischem Aspekt interessanten Erbonkel-Fall erörtert. 15 In diesem Beispiel geht es bekanntlich darum, daß ein Neffe seinen 11

Roxin, Allg. Teil I, § 10 Rn. 55. Vgl. BGHZ 79, 259, 262, st. Rspr.; Kötz, Deliktsrecht, 7. Aufl., 1996, S. 61 f. 13 Zurückgehend auf v. Buri, Über Kausalität und deren Verantwortung, 1873, und ders., Die Kausalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, 1885. Aus der Rspr. siehe jüngst BGHSt. 39, 195, 197 m.w. N. 14 Vgl. Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 39 H.; Jescheck, in: LK, 11. Aufl., 1993, Vor § 13 Rn. 66 und 67; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 93 und 96. 12

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Erbonkel in der Hoffnung, dieser werde bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen, zu einer Flugreise überredet und der Onkel tatsächlich durch ein sich auf ihr ereignendes Flugzeugunglück getötet wird. Nach der herkömmlichen Auffassung hätte die Lösung folgendermaßen zu lauten: Wenn die Gefährlichkeitsvorstellung bei Neffe und Onkel übereinstimmen und letzterer sich frei verantwortlich für den Flug entscheidet, würde der Neffe auch nach ihr schon nicht objektiv tatbestandsmäßig handeln, weil nur eine tatbestandslose Anstiftung zur frei verantwortlichen bewußten Selbstgefährdung vorläge. 16 Aber so braucht der Sachverhalt nicht notwendig zu liegen. Möglich ist auch, daß der Onkel sich gar keine Gefahrvorstellungen macht oder, etwa altersbedingt, gar nicht frei verantwortlich zu entscheiden vermag. Für die herkömmliche Auffassung würde sich in solchem Fall, solange der Neffe keine konkreten Anhaltspunkte für einen etwaigen Defekt der Unglücksmaschine hat, die Verneinung des Verletzungsvorsatzes ergeben. Sie hätte zu sagen: Die Vorstellung des Neffen bezog sich lediglich auf das gewöhnliche, allgemeine Risiko, Opfer eines Unglücksfalles zu werden, nicht aber auf ein konkretisiertes Verletzungsgeschehen. Es handele sich mithin um ein bloßes Hoffen, nicht aber um einen steuernden Willen, wie ihn der Vorsatzbegriff erfordert. 17 Demgegenüber führen die Vertreter der Lehre von der objektiven Zurechnung an: Es fehle an der Verwirklichung einer das erlaubte Risiko überschreitenden Gefahr – oder gleichbedeutend: einer verbotenen Gefahrherbeiführung –, und deshalb sei stets schon von vornherein der objektive Tatbestand – d. h. im Beispielsfall: der des Mordes – nicht gegeben. 18

15 Vgl. die Anführung dieses von Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 517 gebildeten Falles bei Jescheck / Weigend, S. 287; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 93; Roxin, Honig-Festschr., S. 137; Wolter (Fn. 3), S. 79. Das ebenfalls von Welzel (Strafrecht, S. 66) stammende Beispiel, daß jemand einen anderen bei einem aufkommenden Gewitter in den Wald schickt in der Hoffnung, der andere werde durch einen Blitz erschlagen werden, zitiert Roxin, in seinem Lehrbuch zu Anfang der Einführung in den Problemkreis der Lehre von der objektiven Zurechnung (Allg. Teil I, § 11 Rn. 39). 16 So bereits Hirsch (Fn. 3), S. 405. 17 Für die Verneinung erst des Vorsatzes in Fällen mangelnder Steuerbarkeit eines intendierten Erfolgs: Frank, StGB, 18. Aufl., 1931, § 59 Fn. V; Bockelmann / Volk, Allg. Teil, 4. Aufl., 1987, S. 65; Armin Kaufmann (Fn. 3), S. 66 f.; Welzel, Strafrecht, S. 66 („Als Verwirklichungswille setzt der Vorsatz voraus, daß der Täter sich eine Einwirkungsmöglichkeit auf das reale Geschehen zuschreibt. Was nach der eigenen Ansicht des Täters außerhalb seiner Einwirkungsmöglichkeit liegt, das kann er als zufällige Verknüpfung mit seiner Handlung wohl erhoffen oder wünschen, aber nicht verwirklichen wollen.“). Für diese Vorsatzlösung vormals auch Hirsch (Fn. 3), S. 405 f.; anders aber bereits Hirsch, in: LK, 11. Aufl., 1994, Vor § 32 Rn. 32. 18 Roxin, Honig-Festschr., S. 137; ders., Allg. Teil I, § 11 Rn. 62; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 93; Ebert, Jura 1979, 561, 569 m.w. N. bei Fn. 31 sowie Herzberg, Stree / WesselsFestschr., 1993, S. 215 f.

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In der Tat erscheint es hier unabhängig von dem Umstand, ob die Voraussetzungen der bewußten Selbstgefährdung vorliegen, wenig lebensnah, erst die subjektive Tatseite, den Vorsatz, zu verneinen. Die vorerwähnte Begründung, mit der die herkömmliche Auffassung den Vorsatz ablehnt, deutet vielmehr bereits darauf hin, daß Defizite in objektiver Hinsicht vorliegen, die sich dann im Subjektiven darin widerspiegeln, daß dort lediglich ein Hoffen möglich ist. Die Anhänger der Lehre von der sozialen Adäquanz haben im Erbonkel-Fall die Ausgrenzung aus dem objektiven Tatbestand bereits mit Hilfe des Gesichtspunktes der sozialen Adäquität versucht. Er ist jedoch zu unscharf und zudem auch nur für völlig sozialkonformes Verhalten passend, um eine dogmatisch zufriedenstellende Lösung zu bieten. 19 Die seitens der Lehre von der objektiven Zurechnung geäußerte Kritik ist daher bei dieser Fallkonstellation berechtigt. b) Als zweiter Hauptanwendungsfall der objektiven Zurechnungslehre bei Vorsatztaten wird, wie bereits erwähnt, die wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf angeführt. Es handelt sich bei dieser Rechtsfigur bekanntlich darum, daß der Erfolg auf andere Weise eintritt, als es sich der Täter vorgestellt hat. Ein häufig genanntes Beispiel für eine unwesentliche Abweichung bildet der Fall, daß das von einer Brücke geworfene Opfer entgegen der Erwartung des Täters nicht erst durch Ertrinken, sondern schon durch Aufschlagen auf einem Brückenpfeiler zu Tode kommt. Und für eine wesentliche Abweichung ist ein geläufiges Beispiel, daß der Täter das Opfer durch einen Schuß töten will, die Schußverletzung aber nicht tödlich ist, jedoch das Opfer beim Brand im Krankenhaus, in das man es eingeliefert hat, zu Tode kommt. Nach herkömmlicher Auffassung geht es um ein Vorsatzproblem, nämlich um die Frage, ob die Abweichung derart adäquat ist, daß sie innerhalb des Vorstellungsbildes als unwesentlich und deshalb als noch vom Vorsatz gedeckt angesehen werden kann. 20 Ist dies nicht der Fall, so daß also eine wesentliche Abweichung vorliegt, prüft man, ob – abgesehen von einem verbleibenden Versuch – Fahrlässigkeit bezüglich des Erfolgseintritts anzunehmen ist.

19 Für Lösung dieses Falles mit Hilfe des Gesichtspunkts der Sozialadäquanz insbesondere Welzel (siehe oben in Fn. 9). Dazu, daß diese Lehre jedoch zu unscharf ist, um genauere dogmatische Erklärungen und Einordnungen zu ersetzen, bereits Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 93 ff. sowie Roxin, Klug-Festschr., Bd. 2, 1983, S. 303, 310 m.w. N. Auch erschöpft sich der zur Erörterung stehende Problembereich nicht in sozialadäquaten Fällen; siehe die Beispiele bei Hirsch, a. a. O. S. 100. Im übrigen wollte Welzel den oben in Fn. 15 erwähnten „Gewitter-Fall“ durch Verneinung des Vorsatzes lösen (Strafrecht, S. 66). 20 RGSt. 70, 257, 258 f.; BGHSt. 7, 325, 329; 9, 240, 242; 23, 133, 135; 38, 32, 34; Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930, S. 79; Welzel, Strafrecht, S. 66, 73; BaumannlWeber / Mitsch, Allg. Teil, 10. Aufl., 1995, § 20 Rn. 24; Cramer, in Schönke / Schröder, 25. Aufl., 1997, § 15 Rn. 55; Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 16 Rn.7. Zu einer schärferen Herausarbeitung der Kriterien und Grenzen siehe Schroeder, in LK, 11. Aufl., 1994, § 16 Rn. 23 ff.

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Die Lehre von der objektiven Zurechnung will dagegen bei wesentlicher Abweichung vom Kausalverlauf schon den objektiven Tatbestand verneinen. 21 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, daß sie die Grenzen zwischen unwesentlicher und wesentlicher Abweichung dabei anders zieht, als es herkömmlich geschehen ist; denn bislang ging es allein um die Bestimmung des Rahmens des Vorsatzinhalts, d. h. des vom Vorsatz noch als gedeckt Anzusehenden. 22 Deshalb ließ der Gesichtspunkt der Wesentlichkeit im bisherigen Verständnis die Möglichkeit des Vorliegens einer fahrlässigen Tat unberührt. Nach der Lehre von der objektiven Zurechnung soll sich die Abgrenzung dagegen danach richten, ob sich in dem verursachten Erfolg die Verwirklichung einer vom Täter geschaffenen, nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckten Gefahr realisiert hat. Ergibt sich, daß es hieran fehlt, so soll wegen wesentlicher Abweichung der objektive Tatbestand entfallen und damit auch für die Fahrlässigkeit kein Raum mehr bleiben. Hier deutet sich bereits ein kritischer Punkt der Lehre von der objektiven Zurechnung an: die allgemeine Verquickung von objektivem Tatbestand und Fahrlässigkeitskriterien. Andererseits begegnet bei einem Teil der Abweichungsfälle wieder das Phänomen der mangelnden Beeinflußbarkeit, von dem zuvor schon die Rede war. Es läßt sich schwerlich sagen, daß in einem Fall wie dem erwähnten Beispiel des Krankenhausbrandes der objektive Tatbestand eines Mordes oder Totschlags erfüllt ist. Die Problematik wird zusätzlich deutlich, wenn man das Beispiel dahin abwandelt, daß jemand einem anderen nur mit Körperverletzungsvorsatz eine Verletzung zufügt und damit die Hoffnung verbindet, der Betreffende werde bei einem sich vielleicht ereignenden Krankenhausbrand zu Tode kommen, und sich das zufälligerweise tatsächlich realisiert. Daß der Täter subjektiv nur eine Hoffnung und noch keinen Vorsatz haben kann, beruht auch hier wieder auf Defiziten, die bereits im Objektiven liegen. c) Als weitere Anwendungsfälle werden für den Bereich der Vorsatztaten insbesondere genannt: die Risikoverringerung und die Teilnahme an eigenverantwortlicher vorsätzlicher Selbstgefährdung. 23 Was die Fälle der Risikoverringerung betrifft, sollen mangels „Risikoschaffung“ aus dem objektiven Tatbestand diejenigen Sachverhalte ausscheiden, in denen jemand einen Kausalverlauf in der Weise modifiziert, daß er „die für das Opfer bereits bestehende Gefahr verringert, die Situation des Handlungsobjekts also verbessert“. 24 Genannt wird das 21 In diesem Sinne Roxin (Fn. 2), S. 137 und ders., Allg. Teil I, § 11 Rn. 63 f.; Jescheck (Fn. 14), Vor § 13 Rn. 67; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 96; Rudolphi, in: SK, § 16 Rn. 31; Wolter, ZStW 89 (1977),649, 673 ff., 702; Ebert, Jura 1979, 561, 569; Puppe, GA 1981, 1, 14 ff.; Prittwitz, GA 1983, 110, 113, 129; Driendl, GA 1986, 253, 271 ff.; u. a. 22 Vgl. die Nachw. in Fn. 20. Dies wird bereits gegenüber der in Fn. 21 belegten Auffassung kritisch angeführt von Arm. Kaufmann (Fn. 3), S. 262 ff. und Hirsch (Fn. 3), S. 404 f. 23 Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 47 f. sowie Rn. 43, 90 ff.; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 94 und 101b m.w. N. 24 Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 47.

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Beispiel, daß jemand einen Stein, den er in bedrohlicher Weise auf den Kopf eines anderen zufliegen sieht, zwar nicht abwehren, aber auf eine weniger gefährdete Körperpartie ablenken kann. Hier ist Kausalität des Helfers hinsichtlich der konkreten Verletzung gegeben, weshalb die herkömmliche Ansicht die Verwirklichung des Tatbestands der Körperverletzung bejaht und in derartigen Fällen erst Rechtfertigung wegen mutmaßlicher Einwilligung oder Rechtfertigenden Notstands annimmt. Auch die Vertreter der objektiven Zurechnungslehre lassen die Rechtfertigungsebene nicht gänzlich unbeachtet. Lenkt im Beispielsfall der Helfer den Stein in der Weise ab, daß dieser überhaupt nur eine in der Nähe stehende Sache des Gefährdeten zerstört, so liegt auch nach der objektiven Zurechnungslehre der objektive Tatbestand einer Sachbeschädigungshandlung vor. Bei Roxin heißt es dementsprechend: Wenn jemand nicht eine bestehende Gefahr abschwäche, sondern sie durch eine andere ersetze, deren Verwirklichung im Ergebnis für den Täter weniger schädlich sei, als es die ursprüngliche Gefahr gewesen wäre, so habe die Lösung über die erwähnten Rechtfertigungsgründe zu erfolgen. 25 Es kann zunächst offenbleiben, ob diese Abgrenzungsgesichtspunkte tragfähig sind. Jedenfalls macht die Lehre von der objektiven Zurechnung deutlich, daß es Fälle der Risikoverringerung gibt, bei denen die Bejahung des objektiven Tatbestands problematisch ist. Die Fälle der eigenverantwortlichen vorsätzlichen Selbstgefährdung sind oben schon im Zusammenhang mit dem Erbonkel-Fall angesprochen worden. Bei ihnen geht es um eine spezifische Teilnahmeproblematik. Daß der sich selbst gefährdende unmittelbar Handelnde keine tatbestandsmäßige Haupttat verwirklicht, läßt unberührt, daß die ihn auffordernde oder unterstützende Person sachlich nur die Rolle eines Teilnehmers einnimmt. Das ist bekanntlich in der Diskussion um die Beteiligung am Selbstmord seit langem herausgearbeitet worden. 26 Eine Teilnahme aber setzt zu ihrer objektiven Tatbestandsmäßigkeit wegen der ihr wesensmäßigen akzessorischen Natur eine tatbestandsmäßige Haupttat des unmittelbar Handelnden voraus. Daran fehlt es hier, so daß bei diesen Fällen kein dogmatisches Problem liegt. 27 Es zeigt sich somit hinsichtlich der Vorsatztatbestände, daß die Lehre von der objektiven Zurechnung zwar nicht bei jedem der behaupteten Anwendungsfälle, 25

Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 48. Vgl. insbesondere RGSt. 70, 313; BGHSt. 13, 162, 166 f.; 19, 135, 137 ff.; Welzel, Strafrecht, S. 281; Gallas, JZ 1960, 686 ff. – Daß die Differenzierung sachlich auch bei Fahrlässigkeit des Teilnehmers bedeutsam wird, betont treffend BGHSt. 24, 342. Andererseits wird das in anderen Entscheidungen nicht selten übergangen, was in der Literatur kritisiert wird; vgl. Eser, in: Schönke / Schröder, 25. Aufl., 1997, Vor § 211 Rn. 42 f.; Hirsch, JR 1979, 433; u. a. 27 Entsprechend verhält es sich bei den von Roxin (Allg. Teil I, § 11 Rn. 111 ff.) daneben selbständig aufgeführten Fällen der „Zuordnung zu fremdem Verantwortungsbereich“. Die weiteren Fallgruppen sind erst bei der Fahrlässigkeit von praktischem Interesse – so die einverständliche Fremdgefährdung – und dort anzusprechen (siehe Fn. 33). 26

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aber doch bei einer Reihe von Fallkonstellationen Mängel der herkömmlichen weiten, zu einseitig am Kausaldogma ausgerichteten Sicht des objektiven Tatbestands aufdeckt. Ob ihre Kriterien jedoch die richtigen sind, bedarf der kritischen Prüfung. 2. Zunächst aber sind noch die Hauptbeispiele zu betrachten, die von der objektiven Zurechnungslehre beim fahrlässigen Delikt genannt werden. Es geht dabei um den zwischen sorgfaltswidriger Handlung und Erfolg erforderlichen Pflichtwidrigkeitszusammenhang 28 und die Fälle des sogenannten Schutzzwecks der Norm. 29 Bei beiden handelt es sich unzweifelhaft um objektive Gesichtspunkte. Zudem kann man beim fahrlässigen Delikt im Unterschied zum Vorsatzdelikt davon sprechen, daß ein Erfolg zugerechnet wird, der nicht Vollendung einer vom Willen umspannten Handlung, sondern erst deren Auswirkung ist; denn die verbotene Handlung erschöpft sich beim fahrlässigen Delikt in dem als sorgfaltswidrig einzustufenden willentlichen Handeln, beispielsweise dem willentlichen Schneiden einer unübersichtlichen Kurve. Für eine allgemeine Lehre und Systemkategorie der objektiven Zurechnung bietet dies aber keinen Raum; denn die Art der Beziehung zwischen dem sorgfaltswidrigen Handeln und dem Erfolg ergibt sich bereits aus der Eigenheit des fahrlässigen Erfolgsdelikts, bei dem sich im Erfolg gerade die betreffende Sorgfaltswidrigkeit realisiert haben muß. 30 Wenn jemand mit überhöhter Geschwindigkeit Auto fährt und einen sich verkehrswidrig verhaltenden Fußgänger tödlich überfährt, dies aber ebenso bei korrekter Geschwindigkeit geschehen wäre, dann beruht der Erfolg nicht auf der Sorgfaltswidrigkeit der Fahrweise, und damit fehlt es an einer spezifischen Voraussetzung des fahrlässigen Erfolgsdelikts. 31 Nicht anders verhält es sich in dem für den Themenbereich „Schutzzweck der Norm“ charakteristischen Fall, daß ein Autofahrer trotz roter Ampel über eine Straßenkreuzung fährt und dadurch früher an einer einige hundert Meter weiter gelegenen Stelle ankommt, wo er völlig 28

Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 68, 76 ff. („rechtmäßiges Alternativverhalten“); Jescheck / Weigend, S. 288 f.; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 99; Ebert, Jura 1979, 561, 571; jeweils m.w. N. Zum Erfordernis des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs allgemein: BGHSt. 11, 1, st. Rspr.; Ulsenheimer, Das Verhältnis von Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten, 1965; Küper, Lackner-Festschr., 1987, S. 247 ff.; Puppe, ZStW 99 (1987), 595 ff.; Toepel, Kausalität und Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1992. 29 Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 69, 72 ff.; JeschecklWeigend, S. 288; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 96; Ebert, Jura 1979, 561, 574; jeweils m.w. N. 30 Welzel, Strafrecht, S. 136; Hirsch (Fn. 3), S. 406. 31 Auch die von Roxin, bezüglich des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs entwickelte Risikoerhöhungstheorie (siehe den heutigen Stand bei Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 76 ff. m.w. N.) bildet ein auf eine spezifische Fahrlässigkeitsproblematik hin konzipiertes Lösungskonzept. Zu den Einwänden, die ihr gegenüber zu erheben sind, siehe Cramer (Fn. 20), § 15 Rn. 171 ff.; Baumann / Weber / Mitsch, § 24 Rn. 86 f.; Arth. Kaufmann, Jescheck-Festschr., S. 273, 277 ff.; Schlüchter, JA 1984, 673, 676; Ulsenheimer, JZ 1969, 364 ff.; Hirsch, in: LK, 10. Aufl., 1989, § 230 Rn. 7 m.w. N.

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ordnungsgemäß fahrend einen plötzlich verkehrswidrig auf die Straße laufenden Passanten tödlich überfährt. Auch hier geht es um ein spezifisches Fahrlässigkeitsproblem: daß nämlich die Sorgfaltswidrigkeit des Autofahrers sich nur auf den Bereich der Straßenkreuzung bezieht und deshalb der spätere Erfolg keine objektive Manifestation dieser Sorgfaltswidrigkeit darstellt. 32, 33 3. Nicht anders verhält es sich bei dem schließlich noch zu erwähnenden sog. Unmittelbarkeitszusammenhang beim erfolgsqualifizierten Delikt, der ebenfalls als Anwendungsfall der Lehre von der objektiven Zurechnung in Anspruch genommen wird. 34 Auch bei ihm geht es um ein Erfordernis, das sich nicht aus einem allgemeinen dogmatischen Prinzip, sondern aus der Eigenart der Deliktsform ergibt: daß sich nämlich in der schweren Folge gerade das dem vorsätzlich verwirklichten Grundtatbestand innewohnende tatbestandsspezifische Folgerisiko realisiert. 35 Für das Merkmal können auch gar nicht die Kriterien jener Lehre genügen, da es dann neben der in bezug auf die schwere Folge notwendigen Fahrlässigkeit keine selbständige Bedeutung mehr hätte. Durch den besonderen Bedingungszusammenhang soll gerade dem Umstand Rechnung getragen werden, daß es bei den erfolgsqualifizierten Delikten mit ihren hohen Strafschärfungen um mehr geht als ein nur tateinheitliches Zusammentreffen von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt. Deshalb verlangt die herkömmliche Auffassung, daß es gerade die dem vorsätzlich verwirklichten konkreten Erfolg des Grundtatbestands innewohnende spezifische Gefahr sein muß, die sich in der schweren Folge realisiert hat. Die bedenkliche Tendenz der Rechtsprechung, die Anforderungen an das erfolgsqualifizierte Delikt dadurch aufzuweichen, daß schon das tatbestandsspezifische 32 So auch Küper (Fn. 28), S. 247, 251. Vgl. zu diesem Fragenkreis ferner BGHSt. 33, 61, 64 m.w. N. zu Rspr. und Schrifttum sowie die literarischen Stellungnahmen zu dieser Entscheidung von Ebert, JR 1985, 356; Puppe, JZ 1985, 295; Streng, NJW 1985, 2809. 33 Bei den von Roxin (Allg. Teil I, § 11 Rn. 119, § 24 Rn. 42 ff., § 11 Rn. 105 ff.) angeführten weiteren Anwendungsfällen, die für den Fahrlässigkeitsbereich erheblich sein könnten, geht es bei den Schockschäden Dritter um die Fahrlässigkeitsfrage, worauf sich bei dem geprüften Tatbestand die Sorgfaltspflicht bezieht (vgl. auch BGHZ 56, 163). Bei Folgeschäden fehlt nicht selten schon die Voraussehbarkeit; liegt sie vor, so stehen Inhalt der Sorgfaltspflicht und Pflichtwidrigkeitszusammenhang in Rede. Und was die einverständliche Fremdgefährdung betrifft, handelt es sich ausschließlich um Fragen der Einwilligungslehre, die dort ihre sachentsprechende Lösung finden; näher hierzu Hirsch, in LK, Vor § 32 Rn. 94 f., 105 ff. Auch bei der Regreßverbotsfrage soll es sich um einen Anwendungsfall der objektiven Zurechnungslehre handeln; vgl. Ebert, Jura 1979, 561, 569; Jescheck, in: LK, Vor § 13 Rn. 58; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 17 ff. Hier geht es jedoch ebenfalls, soweit nicht im konkreten Fall schon die Voraussehbarkeit fehlt, um spezifische Fahrlässigkeitsfragen des Inhalts der Sorgfaltspflicht und des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs. 34 Einen Anwendungsfall nehmen an: JeschecklWeigend, S. 289; Wolter, GA 1984, 443, 445 (5. Leitsatz); u. a. 35 BGH NJW 1971, 152. BHGSt. 31, 96, 98; 32, 25, 28; 38, 295, 298; st. Rspr.; Stree, in: Schönke / Schröder, § 226 Rn. 3 H.; h. M.

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Risiko des vorsätzlichen Tätigkeitsakts – und damit in der Konsequenz das schon in der Folgefahrlässigkeit enthaltene Risiko – genügen soll, wird beim Abstellen auf die Kriterien der objektiven Zurechnungslehre noch gefördert. 36 Indem Vertreter dieser Lehre meinen, es gehe beim sog. Unmittelbarkeitszusammenhang um einen der Anwendungsfälle, verkennen sie daher den speziellen Charakter dieses Erfordernisses des erfolgsqualifizierten Delikts und der sich daraus ergebenden besonderen Kriterien. 4. Die Betrachtung der von den Anhängern der Lehre von der objektiven Zurechnung genannten Hauptanwendungsfälle zeigt, daß ganz unterschiedliche dogmatische Fragen in der Rubrik „objektive Zurechnung“ vereint werden. Zumeist geht es zwar um objektive Gesichtspunkte. Aber deren Funktion und Inhalt leiten sich aus spezielleren Rechtsfiguren ab. Jene Theorie reklamiert daher für sich zu einem erheblichen Teil objektive Erfordernisse, die neben der Kausalität schon bisher Berücksichtigung gefunden haben. Das Kausaldogma ist bereits von der bisherigen Dogmatik nicht verabsolutiert worden. Vielmehr hat man trotz grundsätzlicher Ausrichtung auf die Erfolgsverursachung seit langem erkannt, daß für die Bejahung des objektiven Tatbestands weitere objektive Tatbestandserfordernisse an verschiedenen Punkten eine Rolle spielen – und zwar aufgrund speziellerer dogmatischer Fragen, wie den Erfordernissen des fahrlässigen oder des erfolgsqualifizierten Delikts. Hierher gehört übrigens auch die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Bekanntlich ist die subjektive Teilnahmetheorie, die in der Rechtsprechung noch immer nicht völlig überwunden ist, auf der Grundlage der einseitig am Kausaldogma orientierten früheren Dogmatik entstanden. Wegen der nach der Äquivalenztheorie anzunehmenden Gleichwertigkeit aller Bedingungen meinte man damals, die Abgrenzung nicht nach objektiven, sondern nur nach subjektiven Kriterien vornehmen zu können. 37 Inzwischen hat sich jedoch längst die Einsicht Bahn gebrochen, daß objektive Gesichtspunkte die entscheidende Rolle spielen. 38 Aber man wird deshalb nicht annehmen wollen, daß es sich bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme um Fragen der objektiven Zurechnung handele. Es ist vielmehr deutlich, daß es nicht um ein 36 Für die bereits das vom Tätigkeitsakt ausgehende Risiko als genügend ansehende Rspr. vgl. BGHSt. 7, 37; 14, 110; 31, 96; 41, 113; anders noch RGSt. 44, 59; RG JW 1924, 1735 Nr. 29. Gegen diese BGH-Rspr.: Hirsch, GA 1972, 65; ders., Oehler-Festschr., 1985, S. 111, 129 ff.; Geilen, Welzel-Festschr., 1974, S. 655 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 9/35; Küpper, Der unmittelbare Zusammenhang, 1982, S. 35 ff., 85 ff.; LacknerlKühl, StGB, 22. Aufl., 1997, § 226 Rn. 2; Rudolphi, in SK, § 18 Rn. 3; für Tätigkeitsaktslösung aber Stree, in: Schönke / Schröder, § 226 Rn. 4 ff. m.w. N. Im übrigen spricht sich bezüglich § 226 StGB auch Roxin für die Erfolgslösung (Letalitätslehre) aus, vgl. Roxin, Allg. Teil I, § 10 Rn. 115 f. 37 v. Buri, Die Kausalität (Fn. 13), S. 41. Vgl. dazu auch Engisch, Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931, S. 41 ff. 38 Vgl. die Nachw. bei Roxin, in LK, 11. Aufl., 1993, § 25 Rn. 10, sowie Küpper, GA 1986, 437 ff.

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allgemeines Zurechnungsprinzip, sondern um eine Abstufungsproblematik geht. 39 Zu erinnern ist ferner daran, daß es Strafbestimmungen gibt, bei denen der Beginn der Handlung schon objektiv durch die genauere Vertypung der Handlung zum Ausdruck gelangt, beispielsweise bei Merkmalen wie „schwören“ oder „Führen von Kraftfahrzeugen“. 40 Als wirklich klärungsbedürftig verbleiben mithin nur die vorwiegend theoretisch interessante Problematik, die sich aus der zur Vergangenheit hin offenen Kausalität ergibt, und die genannten Fälle der mangelnden Beeinflußbarkeit eines Geschehens bei den Vorsatzstraftaten. Der Kreis der Sachverhalte, bei denen die Lehre von der objektiven Zurechnung zu neuen praktischen Ergebnissen führen könnte, ist also recht klein. Dem steht jedoch, wie schon Lenckner 41 hervorhebt, das Faktum gegenüber, daß sie zum „zentralen Thema“ der dogmatischen Diskussion geworden ist. III. 1. Was nunmehr die theoretische Analyse betrifft, ist die erste Frage die nach dem eigentlichen systematischen Ansatzpunkt. Das Wort „Zurechnung“ birgt die Gefahr, daß bei der zur Erörterung stehenden Problematik die Erfolgszurechung im Sinne von Haftung verstanden wird. 42 Es gehört zu den Erkenntnissen der allgemeinen Rechtslehre, daß man klar zwischen Schuld, nämlich schuldhaftem Verhalten, und Haftung, nämlich Aufkommen für einen herbeigeführten Erfolg, zu unterscheiden hat. 43 Bei der Haftung betrachtet man das Geschehen aus dem Blickwinkel des eingetretenen Erfolgs, weshalb sie nicht notwendig Verschulden 39 Allerdings wird von seiten der Risikoerhöhungstheorie, die sich als Unterfall der objektiven Zurechnungslehre betrachtet (siehe oben in Fn. 31), der Gedanke der Risikoerhöhung im Zusammenhang mit der Kausalitätsfrage bei der Beihilfe ins Spiel gebracht. Dazu bereits kritisch Küpper (Fn. 3), S. 112 ff. mit Nachw. Die Entscheidung BGH NStZ 1997, 272 Nr. 2 läßt sich trotz der Verwendung des Wortes „Risikoerhöhung“ nicht für die Theorie anführen, da es dort um einen kausalen Beitrag zur Täuschungshandlung ging. 40 Zu gleichwohl bestehenden Besonderheiten des Handlungsbeginns bei der actio libera in causa siehe Hirsch, NStZ 1997, 230, 231. 41 Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 91. 42 Die Hinwendung zu Haftungsgesichtspunkten findet sich heute schon sehr deutlich bei einem anderen aktuellen Problemkreis: dem der Unternehmensstrafbarkeit. Dort ist häufig von der Frage „strafrechtlicher Haftung“ die Rede (dagegen bereits Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, 1993, S. 13 mit Fn. 41, 24). Darüber hinaus fällt auf, daß kürzlich sogar in einer BGH-Entscheidung (BGH NStZ 1997, 272 Nr. 1) wie selbstverständlich von „strafrechtlicher Haftung“ gesprochen worden ist. 43 Diese Differenzierung zeigt sich besonders augenfällig im Zivilrecht, wo man unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne ein Verschulden für den Schaden eines Dritten haftet, d. h. ihn auszugleichen hat. Vgl. dazu aus dem neueren zivilrechtlichen Schrifttum: Laufs, Gernhuber-Festschr., 1993, S. 245 ff.

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voraussetzt, sondern sich durch Zuschreibung aufgrund von Risikosphären oder personellen Beziehungen zu Dritten ergeben kann. Bei der Schuld dagegen bildet den Anknüpfungspunkt das normwidrige Verhalten. Für das Strafrecht ist angesichts seiner disziplinierenden Funktion naturgemäß der schuldhafte Verstoß gegen Verhaltensnormen, also gegen ein Verbot oder Gebot, und deren erfolgsbezogenen Inhalt einschlägig. Da nun aber Verbote und Gebote Handlungen zum Gegenstand haben – die Verbote begangene, die Gebote unterlassene – worauf das gesamte dogmatische System aufbaut und was auch die historische strafrechtliche Zurechnungslehre bereits herausarbeitete, 44 lautet die primäre Frage: Verbergen sich hinter den Defiziten, welche die herkömmliche Dogmatik bei den Voraussetzungen des objektiven Tatbestands erkennen läßt, nicht bereits Defizite der bisherigen Handlungslehre? Roxin schreibt zu Anfang seiner Darlegungen zum objektiven Tatbestand: Es ist „zu klären, wie die Beziehung zwischen Deliktssubjekt und Erfolg beschaffen sein muß, damit man den Erfolg einem bestimmten Deliktssubjekt als seine Handlung zurechnen kann“. 45 Auch spricht er dort davon, es sei „festzustellen, daß der Erfolg das Werk des Täters ist“, und bei seinem schon erwähnten Sachbeschädigungsbeispiel heißt es, daß diejenigen für den Erfolg kausalen Verhaltensweisen auszuwählen seien, „die als Sachbeschädigungshandlungen gelten dürfen“. Da er und die meisten anderen Vertreter der objektiven Zurechnungslehre der Meinung sind, daß die Bedeutung des Handlungsbegriffs allenfalls darin bestehe, Verursachungen auszugrenzen, bei denen der Mensch lediglich als mechanische Masse wirkt oder bloße Reflexbewegungen ausführt, 46 geht der Blick auf den Handlungsansatz dann aber alsbald wieder verloren, und normative Aspekte beherrschen das Feld. Von vornherein gerät die Handlungsfrage aus dem Blick, wenn man sich überhaupt nur mit Zuschreibungen befaßt, wie das besonders ausgeprägt bei Jakobs mit seinen häufigen Ableitungen aus behaupteten personellen Zuständigkeiten zu beobachten ist, 47 durch welche die Dogmatik in bloßes Werten, bildhafte Erklärungen und den Unterschied von schuldhaftem Handeln und Haftung verwischende Statements abgleitet. Vor der Erörterung der eigentlichen Frage, also der nach etwaigen Defiziten der bisherigen Handlungslehre, bedarf es noch einer zweiten grundsätzlichen Feststellung: Wieso sprechen Anhänger der objektiven Zurechnung eigentlich von 44 Dazu, daß es in der Geschichte der strafrechtlichen Zurechnungslehre immer um die Handlung ging, näher Küpper (Fn. 3), S. 83 ff. sowie Koriath (Fn. 3), S. 102 ff. 330 ff. 45 Roxin, Allg. Teil I, § 10 Rn. 55, wo es weiter heißt, daß man die Festlegung der Voraussetzungen „Zurechnung zum objektiven Tatbestand“ nenne. 46 Siehe Roxin, Allg. Teil I, § 8 Rn. 44, 46 ff.; Jescheck / Weigend, S. 224 f.; Lenckner (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 37 ff. Einige Autoren meinen sogar, auf das Handlungserfordernis ganz verzichten zu können, womit jedoch die hinter dem tatbestandsmäßigen Unrecht stehenden Verbote ihres Gegenstandes beraubt wären. Zur Unverzichtbarkeit näher Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 844 ff. und jetzt auch Roxin, a. a. O. 47 Jakobs, Allg. Teil, 7/47 ff., 7/56 ff.; ders., Armin Kaufmann-Gedächtnisschr., 1989, S. 271, 283 ff.; ders., Der strafrechtliche Handlungsbegriff, 1992, S. 31 ff.

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strafrechtlicher Zurechnung? Für deliktisches Unrecht ist, wie schon zu betonen war, Strafrecht nicht allein einschlägig, sondern diesem kommt regelmäßig nur eine verstärkende Funktion zu: nämlich für ein schon in anderen Gebieten der Rechtsordnung verbots- oder gebotswidriges Verhalten eine schärfere Rechtsfolge, die Strafe, vorzusehen. Die h. M. geht deshalb auch mit Recht vom Gedanken der Einheit der Rechtsordnung aus. 48 Deshalb könnte es sich bei spezifisch strafrechtlichen Gesichtspunkten nur um solche handeln, die mit der Strafbewehrung eines gegebenen Unrechts im Zusammenhang stehen. Aber ganz abgesehen davon, daß allgemeine strafspezifische Maßstäbe, aus denen sich mit wissenschaftlicher Exaktheit Eingrenzungen des objektiven Straftatbestands ableiten ließen, kaum verfügbar sind, zeigen die fraglichen Fälle, daß es bei ihnen schon von vornherein am Normverstoß fehlt. Im Erbonkel-Fall beispielsweise mangelt es nicht erst an der Strafwürdigkeit oder -bedürftigkeit, sondern bereits an jeglichem deliktischen Unrecht. Es geht daher bei der zu erörternden Problematik um Gesichtspunkte, die überhaupt das deliktische Unrecht der jeweiligen Fälle betreffen. Alles das spricht dafür, sich die anstehenden Fragen im Kontext der allgemeinen Unrechtslehre anzusehen, was wiederum zu deren Ausgangspunkt, dem normwidrigen Handeln, zurückführt. 2. Zu interessieren hat uns also die objektive Seite der normwidrigen Handlung selbst. Ist diese etwa schon damit erfüllt, daß jemand äquivalent kausal wird für den jeweiligen Erfolg? Hat in dem erwähnten Beispielsfall von Roxin der Hersteller der später von einem anderen beschädigten Sache eine Sachbeschädigungshandlung begangen? Doch offenbar nicht, und die Begründung dafür drängt sich eigentlich auf: Weil in der Produktion noch kein Beginn der Sachbeschädigungshandlung liegt. Diese beginnt vielmehr erst, wenn der Betreffende direkt oder ggf. durch Einsetzen eines Tatmittlers (Werkzeugs) zum eigentlichen Beschädigungsvorgang ansetzt. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um ein positivrechtliches Argument aus § 22 StGB. Diese Vorschrift verleiht vielmehr nur einer allgemeinen dogmatischen Einsicht Ausdruck: daß es zum Beginn der jeweils in Frage stehenden Handlung des unmittelbaren Ansetzens zu ihrer Ausführung bedarf. Zudem zeigt sich, daß es um eine schon vorrechtliche Einsicht geht, denn das Problem des Handlungsbeginns stellt sich naturgemäß bezüglich jeglichen Handelns. So hat weder der Hersteller eines Hausdachs, das später von einem Dachdecker repariert wird, noch der Hersteller der Ziegel, mit denen diese Reparatur erfolgt, eine Reparaturhandlung vorgenommen. Derartiges Handeln ist noch kein Anfang einer solchen Handlung, sondern allenfalls – bei den zur Reparatur verwandten Ziegeln – ein Teil der Vorbereitung für sie. Daß es um den objektiven Handlungsbeginn geht, wird bestätigt durch den Fall, daß der spätere Täter selbst vorhergehende kausale Aktivitäten entfaltet hat. Derjenige, der zunächst den Sprengstoff herstellt und damit dann plangemäß 48

Vgl. dazu Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rn. l0 m.w. N. (auch zur Gegenansicht).

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einen anderen tötet, hat die Tötungshandlung unstreitig erst mit dem Ansetzen zur unmittelbaren Ausführung begonnen. Was zuvor geschah, war nur eine Vorbereitungshandlung. Die Abgrenzung des Beginns der Tathandlung von dem vorhergehenden Geschehen ist unabhängig davon, ob es um Tatversuch oder -vollendung geht. Wenn bei einem intendierten, aber ausgebliebenen Erfolg der Anfang der im Tatbestand vertypten Handlung erst beim unmittelbaren Ansetzen liegt, dann verhält es sich nicht anders, wenn der Erfolg eingetreten ist. Denn der Eintritt des Erfolgs ist nur die vollständige Verwirklichung der im Versuchszeitpunkt begonnenen Tathandlung. Es ergibt sich daher für die zur Erörterung stehende Problematik: Es muß der Beginn der jeweiligen Tatbestandshandlung vorliegen, um der Kausalität die betreffende Handlungsrelevanz zu geben. Daß es auf die Kriterien des Versuchsbeginns ankommt, bedeutet für die Lehre von der objektiven Zurechnung, daß das von ihr verwandte Kriterium der Herbeiführung einer „Gefahr“ zwar in eine benachbarte Richtung weist, aber nicht den entscheidenden Punkt zum Ausdruck bringt. Ohnehin ist jene Lehre an dieser Stelle von erheblicher Unschärfe. Ginge es bei dem Kriterium der „Gefahr“ nämlich um die Herbeiführung einer Gefahrlage, so hieße das, daß schon ein konkretes Gefährdungsdelikt vorzuliegen hätte. Dies würde jedoch zu Friktionen bei abstrakten Gefährdungsdelikten führen, vor allem aber nicht die gesuchte Abgrenzung zum Vorfeld ermöglichen, da bezüglich der Gefahrlage ebenso, wie es sich aus dem Kausaldogma in bezug auf den tatbestandlichen Verletzungserfolg ergibt, jede Kausalität ausreichend wäre. Präziser ist die objektive Zurechnungstheorie gefaßt, wenn man auf eine Eigenschaft der Handlung abstellt, nämlich riskant in bezug auf den Erfolg zu sein. 49 Daran ist dann auch zutreffend, daß eine Handlung, um den Anforderungen einer Erfolgsverwirklichungshandlung zu genügen, zur Verwirklichung des betreffenden Erfolges geeignet sein muß. Andererseits zeigt die Versuchslehre, daß die Gefährlichkeit noch nicht zum Handlungsbeginn genügt. 50 Das Risiko, daß eine Handlung einen tatbestandlichen Erfolg nachsichzieht, liegt 49

Präziser spricht Lenckner in seiner Definition von „Erfolgsrisiko“; (Fn. 3), Vor § 13 Rn. 92. Aber auch bei ihm ist vom „Schaffen“ (Verursachen?) eines solchen Risikos und der darin liegenden „Gefahr“ die Rede. Es geht jedoch nicht um das Bewirken eines Zwischenerfolgs (Gefahrlage für das betroffene Tatobjekt) – womit die Uferlosigkeit der Kausalität ja nicht begrenzt wäre –, sondern um eine Eigenschaft des Verhaltens selbst. Zur Unterscheidung von Risiko (Gefährlichkeit) eines Verhaltens und Gefahr für ein bestimmtes Objekt siehe Hirsch, Arth. Kaufmann-Festschr., 1993, S. 545 ff. Die Begriffe werden allgemein in den Darstellungen der objektiven Zurechnungslehre nicht klar auseinandergehalten. 50 Zu den Erfordernissen des unmittelbaren Ansetzens beim Versuch näher Maurach / Gössel, Allg. Teil 11, 7. Aufl., 1989, § 40 Rn. 45 ff.; Rudolphi, in: SK, § 22 Rn. 7a ff. Die Gefährlichkeit des Verhaltens kommt dabei nur in Verbindung mit weiteren eingrenzenden Kriterien in Betracht. Andererseits bildet der Eintritt einer Gefährdungslage für das Handlungsobjekt bereits einen Erfolg und damit einen zu späten Zeitpunkt, wie auch die Existenz von konkreten Gefährdungsdelikten bestätigt. Beim untauglichen Versuch bestimmt sich der Versuchsbeginn gemäß § 22 StGB nach dem – auf die Tätervorstellung bezogenen – gleichen objektiven Maßstab wie beim taug-

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auch schon bei Vorbereitungshandlungen vor. Wer mit einem Tötungsplan eine Waffe kauft oder sich auf den Weg zum Tatort begibt, verhält sich bereits gefährlich hinsichtlich des Lebens des vorgesehenen Opfers. Mit der Tötungshandlung – und auf die kommt es an – hat er jedoch noch nicht begonnen. Der Gesichtspunkt der „Gefahr“ resp. des „Risikos“ leistet folglich nicht das, was die Anhänger der objektiven Zurechnungslehre mit ihm erreichen wollen. Überprüft man, ob mit den Versuchskriterien auch die obenerwähnten Fälle der mangelnden Beeinflußbarkeit des Geschehens (Erbonkel-Beispiel) und der absolut wesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf (Krankenhausbrand- Beispiel) 51 erfaßt werden können, so läßt sich feststellen, daß es in beiden Fallkonstellationen schon an der objektiven Seite einer Tötungshandlung fehlt. Der „Täter“ hat den Tod des Opfers zwar gewünscht, sein kausaler Beitrag ist aber in bezug auf den konkreten Todeserfolg noch kein Ansetzen zu einer Tötungshandlung gewesen. Der Grund dafür besteht darin, daß eine Handlung die Beherrschung des von ihr umfaßten Kausalgeschehens erfordert. Ist der konkrete Erfolgseintritt dem außerhalb der Steuerung des Täters liegenden Zufall überlassen, so liegt von vornherein keine auf Erfolgsverwirklichung gerichtete Handlung vor. 52 Der Gesichtspunkt der Beherrschung des Kausalgeschehens ist der Strafrechtsdogmatik im übrigen nicht fremd. Er ist von Welzel in die Teilnahmelehre eingeführt und dort später von Roxin weiter ausgebaut worden. 53 In der um die objektive Zurechnung geführten Diskussion wird außerdem darauf hingewiesen, daß er in der historischen Entwicklung der Handlungslehre wiederholt auftaucht. 54 Auf seine allgemeine Bedeutung für den objektiven Tatbestand der Handlung hatte der Verfasser bereits vor drei Jahrzehnten aufmerksam gemacht. 55 Daß demgegenüber die einseitige Orientierung an den Begriffen „Gefahr“ resp. „Risiko“ die Problematik verkürzt, wird nicht dadurch ausgeglichen, daß die lichen. Das läßt allerdings unberührt, daß die herrschende subjektive Versuchstheorie (einschl. ihrer Modifizierung durch die Eindruckstheorie) dogmatisch nicht haltbar ist, vielmehr eine Rückkehr der Wissenschaft zur neueren objektiven Theorie angezeigt erscheint. Gerade durch die Diskussion der objektiven Zurechnungslehre kommt in den Blick, daß ohne jegliches – aus der Sicht ex ante zu bestimmendes – Risiko einer Tatvollendung noch kein realer Anfang einer Erfolgsverwirklichungshandlung vorliegen kann. 51 Zur Unterscheidung von Fällen relativ wesentlicher Abweichung, bei denen es erst um eine Vorsatzfrage geht, und Fällen absolut wesentlicher Abweichung, bei denen mangels objektiver Beherrschbarkeit schon eine Verneinung des objektiven Tatbestands in Betracht kommt, siehe oben II.1.b). 52 Küpper (Fn. 3), S. 92 f. 53 Siehe Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 543 ff.; ders., Strafrecht, S. 100 ff., sowie Roxin, Täterschaft und Teilnahme, 1963, S. 107 ff. (inzwischen 6. Aufl.). Im übrigen spricht Roxin in seiner Darstellung des Handlungsbegriffs von „beherrschten oder beherrschbaren“ Persönlichkeitsäußerungen: vgl. Allg. Teil I, § 8 Rn. 44. 54 Vgl. die Angaben bei Küpper (Fn. 3), S. 85 ff. 55 Vgl. Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 98.

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objektive Zurechnungstheorie als weiteres Kriterium das Beruhen der „Gefahr“ (des „Risikos“) auf einem das „erlaubte Risiko“ überschreitenden Verhalten, also – wie Jescheck und Lenckner folgerichtig formulieren – verbotenen Verhalten verlangt. 56 Ob das Täterverhalten das in bezug auf den tatbestandlichen Erfolg maßgebliche Verbot erfüllt, bildet ja die Frage, nach deren Beantwortung gesucht wird. Das Verbotensein kann nicht Voraussetzung seiner selbst sein. Ob eine Tötungshandlung vorliegt, ist nicht davon abhängig, ob sie verboten ist. Wenn sie aber gegeben ist, dann erfüllt sie die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands des § 212 StGB, ohne daß es auf eine besondere Verbotsprüfung ankommt. Im übrigen liefe der Einbau eines solchen normativen Gesichtspunkts darauf hinaus, daß der Verbotsirrtum konsequenterweise zum vorsatzausschließenden Irrtum würde. Das aber stünde in Gegensatz zu der aus guten wissenschaftlichen Gründen das Unrechtsbewußtsein vom Vorsatz trennenden Schuldtheorie und deren Verankerung in § 17 StGB. 57 Hinter der Aufnahme jenes normativen Merkmals durch die Lehre von der objektiven Zurechnung steht vor allem die Fallgestaltung, daß jemand durch ein rechtlich als sorgfaltsgemäß zu bewertendes Verhalten, beispielsweise verkehrsgerechtes Autofahren, einen tatbestandlichen Erfolg verwirklichen möchte und es tatsächlich zum Erfolgseintritt kommt, z. B. zu einem allein von dem anderen Verkehrsteilnehmer zu verantwortenden tödlichen Unfall. In der Tat befriedigt es nicht, hier erst den Vorsatz zu verneinen. Daß bereits der objektive Tatbestand nicht gegeben ist, läßt sich jedoch auch bei dieser Fallkonstellation anhand der oben entwickelten Kriterien erklären: Es fehlt eine Erfolgsverwirklichungshandlung. Wenn in einer Gesellschaft Verhaltensweisen sorgfaltskonform sind und sich damit völlig im Rahmen sozialer Normalität halten, so sind sie kein Mittel, mit dem sich zu einer steuernden Beherrschung des Kausalverlaufs ansetzen läßt. Zwar geht es beim „erlaubten Risiko“ um eine Rechtsfigur. Die durch sie erfolgende Festlegung der Grenzen des sozialkonformen Bereichs bewirkt aber, daß die Allgemeinheit sich auf die betreffenden Regeln einstellt und deshalb solche sozialkonformen Verhaltensweisen nicht als Ansetzen zu einer Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungshandlung begriffen werden können. Das Defizit bei der objektiven Handlungsseite spiegelt sich im Subjektiven darin wider, daß ein Vorsatz, der auf Beherrschung des Geschehensablaufs gerichtet ist, nicht mehr möglich sein kann, sondern die Intention des Täters sich nur noch als ein Hoffen darstellt. Schon jeder Laie würde den Gedanken verwerfen, daß

56 Siehe zu diesem Erfordernis der objektiven Zurechnungslehre die Nachw. oben in Fn. 4 und 5. 57 In diese Richtung geht bereits die Kritik durch Armin Kaufmann (Fn. 3), S. 261. Auch wenn man anstatt von „verbotenem“ Risiko von „Überschreitung des erlaubten Risikos“ spricht, wäre der Irrtum darüber, nämlich der Irrtum über das Unerlaubtsein, ein Verbotsirrtum.

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derjenige, der verkehrsgerecht mit dem Auto fährt und auf solche Weise einen tödlichen Unfall erhofft, einen Mord oder Totschlag begonnen hat. Aus den genannten Gründen erheben sich überdies Zweifel, ob dem in der Definition der objektiven Zurechnung enthaltenen Merkmal des Verbotenseins des Verhaltens überhaupt eine eigenständige Bedeutung innerhalb der objektiven Zurechnungslehre zukommt. 58 Sind in einer Gesellschaft Handlungen sorgfaltskonform und bewegen sich somit im Rahmen des sozial Normalen, dann verhält sich derjenige, der sich innerhalb dieser Grenzen bewegt, nach sozialer Auffassung nicht riskant. Fährt ein Autofahrer völlig korrekt, so wird ihm kaum jemand eine riskante Verhaltensweise nachsagen. Das wird erst anders, wenn er die Grenzen verkehrsgerechter Fahrweise überschreitet. Deshalb wäre bei sorgfaltsgemäßem Verhalten doch eigentlich schon die Gefährlichkeit des konkreten Fahrverhaltens udgl. zu verneinen. Da nun aber die Gefährlichkeit sich nach der objektiven Voraussehbarkeit eines möglichen Erfolges bestimmt, würde die dann auf die Gefährlichkeit des Verhaltens geschrumpfte Definition der objektiven Zurechnung nicht mehr weit von der seit langem bekannten Adäquanztheorie entfernt sein. Es zeigt sich mithin, daß sich auch jenes normative Merkmal nicht als Argument für die Lehre von der objektiven Zurechnung anführen läßt. Ebenfalls bestätigt sich bei der erwähnten Fallgruppe der Risikoverringerung, daß die objektive Zurechnungslehre kein ergiebiges Lösungskonzept bietet. Auch hier folgt die Lösung bereits aus den Handlungsvoraussetzungen selbst. Dazu ist zunächst der Fall zu betrachten, daß jemand einem anderen, der dem Opfer durch einen Messerstich eine schwere Stichverletzung zufügen will, in den Arm fällt, so daß es an der vorgesehenen Körperstelle des Opfers nur zu einem leichten Einstich kommt. Hier fehlt es bereits objektiv an einer Erfolgsverwirklichung durch den Helfer, weil sein Energieeinsatz lediglich den des Täters reduziert hat und der eingetretene konkrete Erfolg jedenfalls in dem vom Täter beabsichtigten schwereren Erfolg enthalten gewesen wäre. Die durch die Lehre von der objektiven Zurechnung aufgeworfene Frage lautet, ob der objektive Tatbestand einer Körperverletzung auch in dem Fall verneint werden kann, bei dem der Helfer bewirkt, daß dieselbe Person eine andere, aber geringere Verletzung davonträgt. Stellt man auf die konkret entstandene Wunde ab, so ist im Schrifttum bereits darauf hingewiesen worden, daß der Helfer insoweit die Gefahr gesetzt oder jedenfalls mitgesetzt hat, so daß diese Wunde ihm auch objektiv zuzurechnen wäre 59 (sofern man nicht etwa 58

Siehe dazu auch Armin Kaufmann (Fn. 3), S. 260 und 266. Vgl. Maiwald, Miyazawa-Festschr., S. 478. Wenn als Grund dafür, daß hier der objektive Tatbestand mangels objektiver Zurechenbarkeit verneint werden soll, normativ argumentierend angeführt wird, die Verringerung des Schadens könne keine rechtlich verbotene Gefährdung des geschützten Handlungsobjekts sein Jescheck / Weigend, S. 287), so erhebt sich die Frage, wie es sich wertend damit verträgt, daß im oben (II/1/c) erwähnten Fall, bei dem es dem Helfer sogar gelingt, das Geschehen auf eine Eigentumsverletzung zu reduzieren, an der Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit (und erst Rechtfertigung) nicht vorbeizukommen ist. 59

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über das Verbotensein die mutmaßliche Einwilligung bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestands berücksichtigen wollte, was die dogmatischen Friktionen noch verschärfen würde). Anders verhält es sich erst, wenn man den Körperzustand des Opfers als Einheit sieht und deshalb auch bezüglich der Körperschädigung eine Gesamtwürdigung vornimmt. Der Helfer hätte dann durch die Ablenkung des Angriffs auf eine leichtere Verwundung ebenso wie im Ausgangsfall keinen Körperverletzungserfolg verwirklicht. Das alles ist aber eine Frage der Bestimmung des Handlungsobjekts – geläufig bereits vom ärztlichen Heileingriff 60 – und hat nichts mit den von der objektiven Zurechnungslehre offerierten allgemeinen Merkmalen zu tun. Insgesamt läßt sich hinsichtlich der Vorsatztatbestände nach alledem feststellen, daß die objektive Zurechnungslehre zwar Probleme aufdeckt und deren Relevanz für den objektiven Tatbestand aufzeigt, daß sie die eigentlichen Lösungskriterien aber nicht trifft. Sie ist bei diesen Delikten nicht nur entbehrlich, sondern auch nicht sachgemäß. 3. Es erhebt sich die Frage, wie sich die zum Vorsatzdelikt angestellten Überlegungen beim fahrlässigen Delikt auswirken. Die Lehre von der objektiven Zurechnung hält sich zugute, daß sie zu einem einheitlichen objektiven Tatbestand von vorsätzlichen Erfolgsdelikten und fahrlässigen Delikten gelangt. 61 Nimmt man hinzu, daß nach der h. M. die individuelle Voraussehbarkeit erst eine Schuldfrage des fahrlässigen Delikts darstellt, so ergibt sich weiterhin, daß nach der objektiven Zurechnungslehre der Tatbestand des fahrlässigen Delikts in seiner Gesamtheit identisch ist mit dem objektiven Tatbestand des vorsätzlichen Erfolgsdelikts. 62 Das Vorsatzdelikt wird also zu einem durch den Vorsatz qualifizierten Tatbestand gegenüber dem jeweiligen Fahrlässigkeitsdelikt. Aber entspricht eine solche Konstruktion wirklich den sachlichen Gegebenheiten? Man wird erinnert an die tatbestandliche Nivellierung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten durch die kausale Handlungslehre, womit viele Sachunterschiede verwischt worden waren. Der Sachunterschied, der bei der objektiven Zurechnungslehre vor allem unbeachtet bleibt, ist im vorhergehenden bereits ins Blickfeld getreten: Die tatbestandliche Handlung kann beim Vorsatzdelikt erst mit dem Versuchsstadium beginnen. Die für das fahrlässige Delikt ausschlaggebende sorgfaltswidrige Handlung kann dagegen zeitlich schon früher liegen. Dies hat kürzlich auch der BGH betont. 63 Wenn beispielsweise ein Architekt sorgfaltswidrig ein Gebäude derart baut, daß im Brandfall die Bewohner des Obergeschosses kaum eine Chance haben, lebend zu entkommen, und sich dann nach einigen Jahren tatsächlich eine solche Kata60 61 62 63

Näher Hirsch (Fn. 31), Vor § 223 Rn. 3. Roxin, Allg. Teil I, § 11 Rn. 44, § 24 Rn. l0 ff. So ausdrücklich Roxin (Fn. 61); Yamanaka, ZStW 102 (1990), 928, 944. BGHSt. 42, 235, 236 f.

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strophe ereignet, so bildet die frühere sorgfaltswidrige Handlung die Grundlage der Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung. Im Unterschied dazu würde die zum Tod der Bewohner führende unsachgemäße Bauweise nicht für eine vorsätzliche Tötung genügen, auch wenn der Architekt sein Handeln mit der Hoffnung verbunden hat, es werde sich künftig ein solcher Brandfall ereignen. Denn es fehlt bei dem sorgfaltswidrigen Bauen noch an einem Ansetzen zu einer Tötungshandlung; diese hat sich stets auf ein konkretisiertes Geschehen zu richten. Auch noch ein anderes Beispiel kann den Unterschied veranschaulichen: Ein Krankenpfleger eröffnet (mit Hilfe gefälschter Zeugnisse) eine Arztpraxis. Nach einiger Zeit ereignet es sich, daß er es mangels Fachkenntnis unterläßt, einem Patienten ein lege artis gebotenes Medikament zu verordnen, so daß dieser stirbt. Hier liegt ein sorgfaltswidriges Tun vor, das schon in der Übernahme der Tätigkeit besteht (sog. Übernahmeverschulden). Selbstredend wäre in der Eröffnung der Arztpraxis aber noch nicht der für eine Vorsatztat erforderliche Beginn einer konkreten Tötungshandlung zu sehen, wenn der Krankenpfleger die Möglichkeit von Todesfällen in Kauf genommen hätte. Die Verschiedenheit erklärt sich dogmatisch damit, daß es beim fahrlässigen Delikt um eine Risikohandlung geht, die den Eintritt des Erfolges als Auswirkung hat. Beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt dagegen hat man es mit einer konkreten Erfolgsverwirklichungshandlung zu tun. Während sich beim Vorsatzdelikt die allgemeinen Grenzen des objektiven Tatbestands aus dem Handlungsbegriff ableiten, bedarf es beim fahrlässigen Delikt wegen der noch nicht auf den konkreten Erfolg hin festgelegten, den Gegenstand der Sorgfaltswidrigkeitsbewertung bildenden Risikohandlung (z. B. das zu schnelle Fahren) weiterer Kriterien neben der Kausalität, um die Verknüpfung von Sorgfaltswidrigkeit der Handlung und eingetretenem Erfolg zu begründen. Hierbei geht es um Notwendigkeiten, die sich aus der Struktur des fahrlässigen Delikts ergeben. Sie sind deshalb, soweit es sich nicht um einen anfechtbaren Gesichtspunkt handelt (wie etwa bei der Risikoerhöhungstheorie 64), schon unabhängig von der objektiven Zurechnungslehre anerkannt, so daß diese bei der Fahrlässigkeit nichts bringt, was sich nicht schon aus den Besonderheiten des fahrlässigen Delikts selbst ableiten läßt. Im übrigen hat die im vorhergehenden beim Vorsatzdelikt erörterte Problematik, die dadurch entsteht, daß die Kausalität unbegrenzt in die Vergangenheit zurückreicht, beim fahrlässigen keine Entsprechung. Denn durch das Tatbestandserfordernis, daß eine als objektiv sorgfaltswidrig zu bewertende Handlung vorliegen muß, findet eine Eingrenzung auf die tatbestandsrelevanten Risikohandlungen statt.

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Zu dieser Theorie kritisch oben in Fn. 31 m.w. N.

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Es zeigt sich somit, daß die Lehre von der objektiven Zurechnung auch für das fahrlässige Delikt keinen Gewinn darstellt. Sie bildet lediglich eine auf Generalklauseln gebrachte Zusammenfassung von Einzelpunkten, die durch die spezifische Struktur des fahrlässigen Delikts bedingt sind. Vor allem aber ist deutlich geworden, daß die im Mittelpunkt der Erörterung stehende Kritik, die an der objektiven Zurechnungslehre im Zusammenhang mit den Vorsatztatbeständen zu üben war, durch die tatbestandliche Verschiedenheit von vorsätzlichen und fahrlässigen Delikten ihre Bestätigung findet. IV. Die Lehre von der objektiven Zurechnung hat das Verdienst, bewußt gemacht zu haben, daß die durch die personale Unrechtslehre erfolgte subjektive Eingrenzung des durch das Kausaldogma weit geöffneten Tatbestandsbegriffs nicht genügt, sondern auch Restriktionen im Objektiven notwendig sind. Bei den meisten dabei ins Auge gefaßten Fällen wird sie heute hinsichtlich des Ergebnisses, daß es bereits am objektiven Tatbestand mangelt, auf Zustimmung rechnen dürfen. Daß die Theorie gleichwohl zu kritisieren ist, liegt an der ihr zugrundeliegenden methodischen Sichtweise und den sich dadurch aus ihr ergebenden dogmatischen Friktionen. Methodisch gehen die Vertreter der Lehre von der objektiven Zurechnung in der Weise vor, daß sie ausgehend von der Verursachung des Erfolges wertend nach einschränkenden Kriterien suchen und diese dann aneinanderreihen. Nahezu alles, was irgendwo auf der Ebene des objektiven Tatbestands über die speziellen Merkmale der einzelnen Strafbestimmung hinausgehend zur Kausalität hinzukommen muß, wird zu einem Anwendungsfall der objektiven Zurechnung. Begünstigt wird dieses normative Zuschreiben durch den akzentuierten Normativismus der heute in Deutschland vorherrschenden dogmatischen Strömung. 65 Wie sich im vorhergehenden gezeigt hat, sind erhebliche dogmatische Verwerfungen die Folge. Bei Vorsatztatbeständen – im Unterschied zu den generalklauselhaft konzipierten und deshalb zusätzlicher Kriterien bedürftigen Fahrlässigkeitstatbeständen – führt die Aufnahme allgemeiner normativer Gesichtspunkte (um so mehr, wenn sie unscharf sind) zudem zu einer bedenklichen Relativierung der Tatbestandsbestimmtheit. Die von der objektiven Zurechnungslehre genannten Kriterien erweisen sich als nicht sachentsprechend. Geht man dagegen, bevor man mit Wertungen einsetzt, von den Gegenständen der hinter den Tatbeständen stehenden Normen, nämlich den verbotenen Hand65

Kritisch zu ihr Hirsch (Fn. 3), S. 403 ff., 414 ff.; ders., Spendel-Festschr., 1992, S. 43, 44 ff.; Küpper (Fn. 3), S. 196 ff.; Gössel, Miyazawa-Festschr., 1995, S. 317 ff.

Zur Lehre von der objektiven Zurechnung

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lungen und deren sachlich-strukturellen Grenzen, aus an die Dinge heran, so erschließt sich der eigentliche Sitz der Problematik. Bei der Prüfung der Handlungsseite ergibt sich, daß es der Lehre von der objektiven Zurechnung gar nicht bedarf, sondern bereits eine genauere Analyse der allgemeinen Kriterien des Handlungsbeginns und der vorgegebenen wesensmäßigen Handlungsvoraussetzungen zu sachentsprechenden Lösungen führt. 66 Im übrigen wird man nicht aus dem Blick verlieren dürfen, daß es sich zwar um eine theoretisch interessante, überdies von Roxin und ebenso Lenckner eindrucksvoll und wissenschaftlich außerordentlich anregend dargebotene Konzeption handelt, die praktische Bedeutung aber gering ist – zumal die wesentlichen Punkte der Fahrlässigkeitsdogmatik seit langem schon aus dieser heraus ihre sachentsprechende Lösung finden. Die teilweise sehr abstrakten Fallbeispiele bestätigen den Abstand zur Praxis. Die von den Anhängern der Lehre von der objektiven Zurechnung ausgehende Publikationsflut mit ihren diversen Nuancierungen steht wohl nicht ganz mit der tatsächlichen Relevanz in Einklang. Zu denken gibt, daß Lenckner und die anderen Herausgeber des Schönke / Schröder im Vorwort der kürzlich erschienen 25. Aufl. von „einer Zeit einer immer größer werdenden Distanz zwischen Theorie und Praxis“ sprechen.

66 Der von Roxin (Allg. Teil I, § 11 Rn. 41 Fn. 85) erhobene Einwand, meine Kritik an der Lehre von der objektiven Zurechnung beruhe auf einer „finalistischen Sicht“, trifft jedenfalls auf die vorhergehenden Überlegungen nicht zu. Der Hinweis auf die Handlungsseite – die übrigens auch bei Roxin immer wieder durchschlägt (siehe a. a. O. § 11 Rn. 41, 46, 56) – ergibt sich aus den deliktsrechtlichen Grunderfordernissen und ist ganz unabhängig vom Finalismusstreit. Daß es im Strafrecht um begangene Handlungen (und unterlassene Handlungen) geht, ist eine uralte Erkenntnis und spiegelt sich in einer Vielzahl strafrechtlicher Fragen wider. Im übrigen ist der Verf. keineswegs der Auffassung, aus ontischen Befunden ließen sich direkt juristische Ergebnisse ableiten. Er hält es jedoch für notwendig, daß man sich für die Strukturen der Regelungsgegenstände, hier die Gegenstände der Normen, interessiert, bevor man mit dem Werten beginnt und daß man dann auch deutlich werden läßt, welcher Art die Wertmaßstäbe sind, auf die man sich stützt. Im übrigen heißt es bei Roxin (Allg. Teil I, § 11 Rn. 46) in überzeugender Kritik an der von Frisch (Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988, S. 67) vertretenen Trennung von „tatbestandsmäßigem Verhalten“ und „Zurechnung des Erfolges“, daß es „ohne einen Todeserfolg und dessen Zurechnung ... keine Tötungshandlung und kein ‚tatbestandsmäßiges Verhalten‘ (sondern höchstens eine Tötungsversuchshandlung)“ gibt. Außerdem weist er darauf hin, daß „Handlungs- und Erfolgsunwert unlöslich miteinander verknüpft sind“. Das entspricht der von Welzel (Strafrecht, S. 62) und mir (ZStW 94 [1982], S. 239, 240 ff.) hinsichtlich des vollendeten Vorsatzdelikts vertretenen Auffassung. Vollendete Handlung ist (beherrschbare und vom Willen umspannte) Erfolgsverwirklichung, dementsprechend der Handlungsunwert des vollendeten Erfolgsdelikts die (beherrschbare, vorsätzliche) Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges, d. h. des vom Handlungsunwert hier umfaßten Erfolgsunwerts.

Handlungs-, Sachverhalts- und Erfolgsunwert 2002 I. Einführung und Meinungsstand Der frühe Tod von Dieter Meurer lenkt meinen Blick zurück auf gemeinsame Kölner Jahre. Als ich 1975 die Nachfolge von Richard Lange auf dem Kölner Lehrstuhl antrat, fand ich Meurer dort als Habilitanden meines Vorgängers vor. Er ist bis zum Abschluß des Habilitationsverfahrens im Jahre 1978 bei mir als Assistent tätig gewesen. Köln war bei meiner Ankunft ein Hort der in jenen Jahren ausklingenden kausalen Unrechtslehre. Als Welzel-Schüler erschien ich daher zunächst manchem als wissenschaftlicher Störenfried. Erst nach und nach gelang es, das Kölner Umfeld von der personalen Unrechtslehre zu überzeugen. Zahlreiche Gespräche habe ich damals über diese Fragen auch mit Dieter Meurer geführt. Der folgende Beitrag enthält viele Punkte, über die wir damals gesprochen haben. Die von Welzel zu verschiedenen Bereichen des Allgemeinen Teils entwickelten Lösungskonzepte haben bekanntlich die Entwicklung von Strafrechtsdogmatik und Strafgesetzgebung erheblich beeinflußt. Die wissenschaftliche Basis dieser Lösungen, die Lehre von der Willenshandlung – ungenau zunächst als „finale Handlungslehre“ bezeichnet – stößt dagegen zumeist auf Ablehnung. Dem entspricht die Beobachtung, daß die Begriffe „Handlungsunwert“ und „Erfolgs- resp. Sachverhaltsunwert“ inzwischen zum dogmatischen Standardrepertoire gehören, 1 obwohl die meisten Autoren von einem anderen Handlungsverständnis ausge1 Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, S. 8, 51 mit Fn. 4; Lackner / Kühl, StGB, 24. Aufl., 2001, Vor § 13 Rn. 20; Maurach / Zipf, Strafrecht Allg. Teil I, 8. Aufl., 1992, § 19 Rn. 17, 37, § 20 Rn. 27, § 21 Rn. 3; Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Band 1, 3. Aufl., 1997, § 10 Rn. 88 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht Allg. Teil, Studienbuch, 2. Aufl., 1984, 5/38 ff.; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB, 26. Aufl., 2001, Vor § 13 Rn. 11, 52, 54/55 f.; Syst. Kommentar StGB-Samson, 5. Aufl., 1989, Anh. § 16 Rn. 9 ff.; Stratenwerth, Strafrecht Allg. Teil I, 4. Aufl., 2000, § 8 Rn. 60; Kühl, Strafrecht Allg. Teil, 3. Aufl., 2000, § 7 Rn. 16; Gropp, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 2001, § 3 Rn. 31 f.; Wessels / Beulke, Strafrecht Allg. Teil, 31. Aufl., 2001, Rn. 15 u. a. Auch in BGH JZ 1988, 367 ist von Handlungs- und Erfolgsunwert die Rede. Den dogmatischen Nutzen dieser Begriffe bezweifelt dagegen Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, 6/75 f. Er vertritt zur Handlung eine auf einen präziseren Handlungsbegriff der Sache nach verzichtende Ansicht; vgl. Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, 1992, S. 36 ff.

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hen 2 oder dem Handlungsbegriff überhaupt nur eine negative 3 oder gar keine Bedeutung 4 für das Strafrechtssystem einräumen wollen. Welzel verwandte das Begriffspaar „Handlungs- und Erfolgs- resp. Sachverhaltsunwert“, um damit zu verdeutlichen, daß entgegen der im Zeitalter des Naturalismus enstandenen kausalen Unrechtsauffassung nicht die bloße Verursachung des Erfolges (objektiven Sachverhalts) das Unrecht zu erklären vermag, sondern eine willentliche Verwirklichungshandlung vorliegen muß, um einen Bezug zwischen der Person des Täters und dem Erfolg entstehen zu lassen. In der (letzten) 11. Aufl. seines Lehrbuchs aus dem Jahre 1969 stellte Welzel seine Sicht der Begriffe wie folgt dar: „Die Rechtsgutsverletzung (der Erfolgsunwert) hat strafrechtlich nur innerhalb einer personal-rechtswidrigen Handlung (innerhalb des Handlungsunwerts) Bedeutung. Der personale Handlungsunwert ist der generelle Unwert aller strafrechtlichen Delikte. Der Sachverhaltsunwert (das verletzte bzw. gefährdete Rechtsgut) ist ein unselbständiges Moment bei zahlreichen Delikten (den Erfolgs- und Gefährdungsdelikten). Der Sachverhaltsunwert kann im konkreten Fall fehlen, ohne daß der Handlungsunwert entfiele, z. B. beim untauglichen Versuch.“ 5

2 Zumeist geht es um den „Sozialen Handlungsbegriff“, wonach Handlung „jede Antwort des Menschen auf eine erkannte oder wenigstens erkennbare Situationsanforderung durch Verwirklichung einer ihm nach seiner Freiheit zu Gebote stehenden Reaktionsmöglichkeit“ sein soll (Jescheck / Weigend [Fn. 1], S. 223 m.w. N.). Zu diesem sowohl Tun und Unterlassen als auch vorsätzliche und fahrlässige Erfolgsverwirklichung unter Handlungsgesichtspunkten nivellierenden Begriff kritisch im einzelnen: Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl., 1961, S. 12 f., und Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 851 ff. Seine theoretische Bedeutung erschöpft sich darin, daß er die äußere Grenze der Zurechenbarkeit einer Tat als „Menschenwerk“ ergeben soll; vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 218 m.w. N. 3 Indem man in einer negativen Beschreibung versucht, den Handlungsbegriff als das „vermeidbare Nichtvermeiden“ des strafrechtlich relevanten Geschehens zu deuten („negativer Handlungsbegriff“); vgl. insbesondere Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, 1972, S. 177; ders., JZ 1988, 576 ff. Dagegen aber eingehend Roxin (Fn. 1), § 8 Rn. 34 ff. m.w. N. 4 Jedenfalls soll er nicht dazu taugen, aus ihm die Lösung wichtiger Systemfragen der Verbrechenslehre zu deduzieren. Der personale Unrechtsbegriff erkläre sich unabhängig vom Handlungsbegriff allein aus der Tatbestandswertung. So vor allem Bockelmann / Volk, Strafrecht Allg. Teil, 4. Aufl., 1987, S. 48; Schmidhäuser, Strafrecht Allg. Teil, Lehrbuch, 2. Aufl., 1975, 7/33; Schönke / Schröder / Lenckner (Fn. 1), Vor § 13 Rn. 37; so auch früher Roxin, ZStW 74 (1962), 515, 548 f. (siehe aber noch im folgenden am Ende der Anmerkung). Zu dieser Auffassung gelangen insbesondere alle Vertreter des „sozialen Handlungsbegriffs“, da dieser wegen seines nichtssagenden Inhalts nichts für systematische Folgerungen hergibt. Übrigens hat Gallas, von dem die These stammt, daß sich aus dem Handlungsbegriff nichts für wichtige Systemfragen ableiten lasse (vgl. ZStW 69 [1955], 1, 14 f.), die Dinge später anders gesehen und von einem „finalen“ Handlungsbegriff ausgehend dogmatische Folgerungen gezogen (vgl. FS für Bockelmann, 1979, S. 155, 159, 161). Roxin ([Fn. 1], § 8 Rn. 44 ff.) legt jetzt einen „personalen Handlungsbegriff“ zugrunde, der jedoch kaum mehr zu leisten vermag als der „soziale“. 5 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 62.

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Indem Welzel den „Sachverhaltsunwert (das verletzte bzw. gefährdete Rechtsgut)“, d. h. den von ihm auf die Rechtsgutsverletzung beschränkten Erfolgsunwert und die das Rechtsgut gefährdenden objektiven Tatumstände, als „unselbständiges Moment“ des Handlungsunwerts bezeichnete, war er also der Auffassung, daß der Sachverhaltsunwert mit zum Handlungsunwert gehört. Dies wird auch durch seine Analyse der Handlung als finale (genauer: willentliche) Verwirklichungshandlung bestätigt. Er schrieb: „Gemäß der gedanklichen Vorwegnahme des Zieles (und) der Auswahl der Mittel ... verwirklicht der Handelnde seine Handlung in der Realwelt.“ Der Wille gehöre „als integrierender Faktor zur Handlung hinzu“, „da und soweit er das äußere Geschehen objektiv gestaltet“. Die Handlung sei eine „Einheit von objektiven und ... subjektiven Momenten“. Der „Grundfehler der kausalen Handlungslehre“ sei, daß sie die Handlung in einem „bloßen (von einem beliebigen Willensakt ausgelösten) Kausalvorgang“ sehe und dabei die konstitutive Funktion, die der steuernde Wille in der Handlung habe, verkenne. 6 Ihm ging es bei der Auseinandersetzung mit der kausalen Handlungslehre eben nicht darum, den Erfolg von der Handlung abzutrennen, sondern er wollte aufzeigen, daß es außer der objektiven Seite auf den auf diese gerichteten Verwirklichungswillen ankommt. 7 Dementsprechend konnte er mit dem Blick auf den objektiven Unrechtstatbestand feststellen, daß er der „gegenständlich-reale Kern eines jeden Delikts“ sei. Verbrechen sei „ja nicht lediglich böser Wille, sondern der sich in einer Tat verwirklichende böse Wille. Reale Grundlage jedes Verbrechens (sei) die Objektivation des Willens in einer äußeren Tat.“ 8 Der obenerwähnte Satz von Welzel: „Der Sachverhaltsunwert kann im konkreten Fall fehlen, ohne daß der Handlungsunwert entfiele, z. B. beim untauglichen Versuch“, bedeutet daher, daß er einen Handlungsunwert zwar auch ohne Sachverhaltsunwert für möglich hielt, aber nicht den gleichen, sondern bei einem versuchten Erfolgsdelikt nur den des Versuchs dieses Delikts und bei anderen Fällen vorverlegter Strafbarkeit, z. B. abstrakten Gefährlichkeitsdelikten, nur den dieser vorverlegten Handlung. Interessanterweise hat man sich von diesem Begriffsverständnis des Handlungsunwerts alsbald entfernt. Unter dem Einfluß von Armin Kaufmann 9 und Rudolphi 10 erfolgte eine völlige Trennung der Begriffe „Handlungsunwert“ und „Erfolgs- resp. Sachverhaltsunwert“. Die h. L. koppelt seither den Erfolgs- resp. 6

Welzel (Fn. 5), S. 40 f. Welzel (Fn. 5), S. 35, 39 ff., 50 f. Vgl. auch seine grundlegenden Arbeiten in ZStW 51 (1931), 703, 720 („als Handlung einem Subjekt zugehörig“ jeder vom Täter sinnhaft gesetzte „tatbestandlich festgelegte Erfolg“) und ZStW 58 (1939), 491, 522, 523 f. (der Handlungsunwert „überwiegend den Sachverhaltsunwert mit umfaßt [bei den Erfolgsdelikten]“). 8 Welzel (Fn. 5), S. 62 f. 9 Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), 34, 50 f.; ders., FS für Welzel, 1974, S. 393, 403, 411. 10 Rudolphi, FS für Maurach, 1972, S. 51, 54 f., 64 f., 69, 70. 7

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Sachverhaltsunwert auch beim Vorsatzdelikt vom Handlungsunwert ab. Letzterer soll sich in dem den jeweiligen deliktischen Erfolgsunwert erstrebenden Verhalten erschöpfen, und zwar soll der volle Handlungsunwert des Erfolgsdelikts damit gegeben sein, daß der Täter meint, alles Erforderliche zur Erfolgsverwirklichung getan zu haben. Für den vollen Handlungsunwert des vorsätzlichen Erfolgsdelikts, dem im folgenden zunächst unsere Aufmerksamkeit zu gelten hat, genügt danach der beendete untaugliche Versuch im Sinne der subjektiven Versuchstheorie. 11 Auf der Grundlage dieses subjektivistischen Begriffs des Handlungsunwerts haben sich zwei Richtungen gebildet: eine monistische und eine dualistische. Man spricht auch von monistisch-subjektiver und dualistisch-subjektiver Unrechtsauffassung. Erstere will das Unrecht des vollendeten Erfolgsdelikts allein im so verstandenen Handlungsunwert sehen und weist dem Erfolg nur die Rolle einer Art von Strafbarkeitsbedingung zu. Nach der zweiten – im einschlägigen Schrifttum vorherrschenden – Ansicht soll sich das tatbestandliche Unrecht aus jenem Handlungsunwert und dem Erfolgsunwert, also aus Handlungs- und Erfolgsunrecht, zusammensetzen. Kritik ist in unterschiedlichem Umfang an beiden Richtungen geübt worden, insbesondere von Stratenwerth, Gallas, Mylonopoulos und Samson, vor zwei Jahrzehnten auch bereits von mir. 12 Im übrigen ist zur Terminologie anzumerken, daß der Begriff „Erfolgsunwert“, den Welzel noch allein der Rechtsgutsverletzung vorbehalten hatte, inzwischen auf jeden tatbestandlichen Erfolg ausgedehnt worden ist. Denn die Vollendung des Delikts kann auch in einem Erfolg bestehen, der noch keine Rechtsgutsverletzung darstellt. Man denke an die Herbeiführung einer Gefahrlage, z. B. die hilflose Lage eines Menschen bei der Aussetzung, den Brand eines der Wohnung von Menschen dienenden Gebäudes bei der Schweren Brandstiftung. Darüber hinaus wird heute oft auf den Begriff „Sachverhaltsunwert“ verzichtet, und man weist statt dessen auch die begleitenden Tatumstände und die Tatmittel dem „Erfolgsunwert“ zu, so daß dieser dann alle objektiven Tatbestandsmerkmale umfaßt und nur noch vom Begriffspaar „Handlungs- und Erfolgsunwert“ die Rede ist. 13 Soweit die genauere Differenzierung zur Erklärung von Streitfragen und deren Lösung von Bedeutung ist, wird das im folgenden deutlich gemacht. 11

Armin Kaufmann (Fn. 9); Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973, S. 118, 148, 231. Siehe weitere Nachweise Fn. 14 und 25. 12 Vgl. Stratenwerth, SchwZStr. 79 (1963), 233, 255; ders., FS für Schaffstein, 1975, S. 177 ff.; Gallas, FS für Bockelmann, S. 155, 159 ff.; Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, 1981, S. 67 ff., 129 f.; Samson, FS für Grünwald, 1999, S. 585, 588 ff.; Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 242 ff. Siehe auch Wolter, FS 140 Jahre GA, 1993, S. 269, 294. 13 Siehe etwa die Titel der Untersuchungen von Krauß, ZStW 76 (1964), 19; Mylonopoulos (Fn. 12); Samson, FS für Grünwald, S. 585; Zielinski (Fn. 11).

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II. Die Problematik bei der Vorsatztat 1. Die von Armin Kaufmann begründete monistisch-subjektive Auffassung, die heute insbesondere von einigen seiner Schüler vertreten wird, 14 zieht die am weitesten gehenden Schlüsse. Sie führt für die Beschränkung des tatbestandlichen Unrechts auf einen subjektiv verstandenen Handlungsunwert (Intentionsunwert) an, daß die Norm den betätigten Entschluß zum Gegenstand habe und daß von dem Zeitpunkt an, in dem der Täter meine, alles Erforderliche zur Verwirklichung des Erfolges getan zu haben, der weitere Verlauf vom Zufall abhänge. Die Schuld beziehe sich nur auf den bis zu jenem Zeitraum sich subjektiv erstreckenden Betätigungsakt. Was danach komme, sei dagegen, weil vom Zufall abhängig, schuldindifferent. 15 Diese Auffassung ist überwiegend auf Ablehnung gestoßen – und das aus gutem Grunde. Wenn man nämlich das tatbestandliche Unrecht in der bezeichneten Weise verkürzt, dann wird dem Täter lediglich der betätigte Entschluß zum Vorwurf gemacht, nicht aber das, was er angerichtet hat. Der Gedanke, daß sich das Erfolgserfordernis, das bei den in allen Strafrechtsordnungen der Welt im Mittelpunkt stehenden Erfolgsdelikten auftaucht, nur mit sozialpsychologischen Notwendigkeiten erklären lasse, geht an den Realitäten vorbei. So ist ein Mord oder Totschlag von vornherein nicht ohne einen Toten denkbar. Samson 16 hat zudem im einzelnen aufgezeigt, daß dann, wenn der Erfolgsunwert seinen inneren Grund in sozialpsychologischen Notwendigkeiten hätte, eigentlich zu erwarten sei, daß die Einzelmerkmale des Erfolgs- resp. Sachverhaltsunwerts und damit der gesamte objektive Tatbestand daraus abgeleitet würden. Denn die Berücksichtigung dieser Merkmale als Sanktionsvoraussetzung würde aus dem sozialpsychologischen Erklärungsansatz folgen. Daß man gleichwohl nicht in dieser Weise vorgeht, stellt – wie Samson mit Recht betont – einen gravierenden Einwand gegen ein solches Konzept des Erfolgs- resp. Sachverhaltsunwerts dar. Der tatbestandsmäßige Unrechtsgehalt ist ein verschiedener, je nachdem, ob der Täter den tatbestandlichen Erfolg verwirklicht oder ob seine Tat im Versuchsstadium steckenbleibt oder – wie im Falle eines ungefährlichen untauglichen 14 Vgl. Armin Kaufmann (Fn. 9) und seine Schüler: Zielinski (Fn. 11), S. 135 ff., 205 ff.; ders., Alternativkommentar StGB, 1990, §§ 15, 16 Rn. 7, 107; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 78 ff.; Schöne, GS für H. Kaufmann, 1986, S. 649, 654; Struensee, FS für Armin Kaufmann, 1989, S. 523, 534 ff.; ders., ZStW 102 (1990), 21, 49. Auch Schaffstein GA 1975, 342, und Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung, 1995. Siehe auch Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, 1997, S. 230 f. 15 Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), 34, 51; Zielinski (Fn. 11), S. 148; Sancinetti, in: Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften?, 2001, S. 169, 171. 16 FS für Grünwald, S. 585, 591 ff. Siehe auch Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, 2001, S. 127 ff.

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Versuchs – überhaupt nur eingebildet ist. 17 Diese Verschiedenheit tritt übrigens auch sehr deutlich bei Tätigkeiten hervor, die auf sozial positiv zu bewertende Ziele gerichtet sind. Es stellt handlungsmäßig einen erheblichen Unterschied dar, ob in solchen Fällen nur das Stadium des beendeten Versuchs oder bereits der positive Erfolg erreicht ist. Man denke beispielsweise an Prüfungs- oder Sportleistungen und Rettungshandlungen. 18 Das Zufallsargument ist nicht überzeugend. Wenn jemand einen anderen gezielt erschießt, läßt sich nicht ernsthaft davon sprechen, daß der Todeserfolg zufällig sei. Vielmehr ist er das gewollte Ergebnis, das zu erwarten oder wenigstens in Rechnung zu stellen war. Ein glücklicher Zufall kann es dagegen sein, wenn es beim Versuch bleibt – etwa weil das lebensgefährlich verletzte Opfer durch einen zufällig in der Nähe befindlichen Arzt versorgt und dadurch dann noch im Krankenhaus gerettet werden kann. Gleichwohl verbietet sich eine Gleichstellung des Unrechts mit dem der Vollendung, weil der Täter jedenfalls – aus welchem Grunde auch immer – es nicht geschafft hat, den intendierten Todeserfolg zu verwirklichen. 19 In der Mehrzahl der Fälle wird man im übrigen auch beim Versuch nicht von Zufall sprechen können. Vielmehr verhält es sich zumeist so, daß der Täter nicht genügend Energie und Umsicht aufgebracht hat, um konträre Faktoren auszuschalten. Es kann daher keine Rede davon sein, daß die Schuld allgemein nicht über den (subjektiv) beendeten Versuch hinausgehe. Vielmehr ist die Herbeiführung des Erfolges das gewollte und gesteuerte Werk des Täters und ihm daher vorzuwerfen. Die monistisch-subjektive Auffassung beruht auf einer einseitigen Fixierung auf den Aktunwert. Der Philosoph Nicolai Hartmann, dessen Gedanken auf die Lehre vom Handlungsunwert nicht ohne Einfluß waren, hatte in seinem Werk über „Ethik“ 20 geschrieben: Trotz der Abhängigkeit der Aktwerte von der Existenz der Sachverhaltswerte besäßen sie eine durchaus eigenständige Wertqualität. Denn sie seien „nicht Werte des erstrebten Inhalts, sondern Qualitätswerte des Strebens selbst“. Da der sittliche Wert des Aktes als gut oder böse nicht am Erfolg, sondern an seiner Intentionsrichtung selbst hänge, sei er in seiner Existenz unabhängig davon, ob durch den Akt ein Erfolgswert oder -unwert realisiert werde. Diese 17

Weshalb die Strafgesetzbücher eine obligatorische oder zumindest fakultative Strafmilderung vorsehen und mehrere von ihnen den Versuch nur bei einem Kreis von Delikten für strafbar erklären. Was den ungefährlichen untauglichen „Versuch“ betrifft, siehe noch Fn. 21 und den dortigen Text. 18 Darauf weisen auch Schönke / Schröder / Lenckner (Fn. 1), Vor § 13 Rn. 59; Gallas, FS für Bockelmann, S. 155, 165, und Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 245 hin. 19 Gegen die Schlüssigkeit des Zufallsarguments auch Mylonopoulos (Fn. 12), S. 74 ff.; Samson, FS für Grünwald, S. 585, 596 ff. 20 N. Hartmann, Ethik, 2. Aufl., 1935, S. 79 ff., 228 ff. In der 4. Aufl., 1962, S. 251, 261, 266 f.

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Überlegungen Hartmanns betreffen jedoch die Ebene der Moral, nicht schon die des Rechts. Armin Kaufmann und seine Anhänger haben über normtheoretischen Gedankenexperimenten offenbar ein Fundamentalprinzip des Strafrechts aus dem Blick verloren: das Tatprinzip. Während für die moralische Bewertung die innere Seite – d. h. der Willensinhalt – genügt, nimmt das Recht seinen Ausgangspunkt beim äußeren Geschehen, und das gilt auch für das Strafrecht. Es geht diesem um den (ganz oder teilweisen) Schutz von Rechtsgütern dadurch, daß es ihre Verletzung oder (konkrete oder abstrakte) Gefährdung oder den Beginn darauf gerichteter Handlungen ahndet. Dagegen hat es nicht die Aufgabe, die moralische Gesinnung der Bevölkerung durchzusetzen. Jene subjektivistische Auffassung bedeutet daher eine sachwidrige Akzentverschiebung des Strafrechts. Aus guten Gründen wird in den meisten Rechtsordnungen der Welt der objektiv (ex ante) ungefährliche Versuch nicht für strafbar erklärt, weil es sich bei ihm um Gesinnungsstrafrecht handelt. 21 Für die kritisierte Richtung bildet gleichwohl jeglicher (subjektiv) beendeter untaugliche Versuch (im Sinne der subjektiven Versuchstheorie) wegen seines „Aktunwerts“ den „Prototyp“ strafbarer vorsätzlicher Taten. Außerdem ergäbe sich für diejenigen Rechtsordnungen, die eine Versuchsstrafbarkeit nicht bei allen Tatbeständen kennen, wohl zu Ende gedacht die Konsequenz, daß man sie einzuführen hätte, womit jedoch die Pönalisierung dort ohne praktische Notwendigkeit sehr erheblich ausgedehnt würde. Mit Verwunderung liest man auch, wenn jener Richtung das Etikett „Bonner Schule“ aufgeklebt 22 und damit der Eindruck erweckt wird, es sei das die Meinung der „Finalisten“ schlechthin. Zwar hat Welzel, der Begründer der „Bonner Schule“, durch mißverständliche Formulierungen zur Entstehung der subjektivistischen Richtung beigetragen. Denn auch er sprach vom „Aktunwert“. So findet sich in der Einleitung seines Lehrbuchs der bekannte Satz, daß es im Strafrecht um die „Verhinderung der Sachverhalts- oder Erfolgsunwerte durch Pönalisierung der Aktunwerte“ gehe. Außerdem heißt es: „Die zentrale Aufgabe des Strafrechts liegt also darin, durch Strafdrohung und Strafe für den wirklich betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlichen Handelns die unverbrüchliche Geltung dieser Aktwerte sicherzustellen.“ 23 Aber, wie schon oben aufgezeigt, lag es ihm fern, daraus die vorstehend kritisierten Konsequenzen zu ziehen. Er fügte jenen beiden Sätzen vielmehr sogleich hinzu: „Daß die Rechtsordnung den wirklich betätigten Abfall von den Werten rechtlichen Handelns bestraft und damit deren reale Geltung sichert, bedeutet keineswegs, daß sie schlechte oder gefährliche Vorsätze ohne 21 Näher zur Problematik der hinter dem „Intentionsunwert“ stehenden subjektiven Versuchstheorie Hirsch, FS für Roxin, 2001, S. 711 ff. mit Nachw. zu den verschiedenen Rechtsordnungen S. 713. 22 Siehe Mylonopoulos (Fn. 12), S. 59 ff., 129, und Sancinetti (Fn. 14), S. 3 ff. 23 Welzel (Fn. 5), S. 2.

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verletzendes oder gefährdendes Tun verfolge und ahnde ... Denn nur die wirkliche Betätigung jenes Abfalls löst Strafe aus ... Es soll hier nur die Auffassung zurückgewiesen werden, daß es das Recht nur mit dem äußeren Verhalten zu tun habe ...“ 24 Welzel wollte eben nicht die strafrechtlichen Grundprinzipien verändern, die Teil jeder rechtsstaatlichen Ordnung sind, sondern nur deutlich machen, daß Tatstrafrecht nicht besagt, es genüge für das strafrechtlich relevante Unrecht der Erfolgs- oder Sachverhaltsunwert. Nicht von ungefähr hat von den sieben Schülern, die aus der „Bonner Schule“ Welzels hervorgegangen sind, nur einer die hier kritisierte Richtung eingeschlagen. 2. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die heute vorherrschende Lehre von einen dualistisch-subjektiven Unrechtskonzept ausgeht. 25 Bei ihr erhebt sich die Frage, ob der subjektive Begriff des Handlungsunwerts, also des Intentionsunwerts, dann haltbar ist, wenn man neben ihm auch dem Erfolgsunwert unrechtskonstitutive Bedeutung beimißt. Aber auch eine solche Konstruktion ändert nichts daran, daß bei einer intentionalistischen Bestimmung des Handlungsunwerts noch nicht von einer Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungshandlung gesprochen werden kann. Wenn man die bloße subjektive – durch irgendeinen für tauglich angesehenen Akt betätigte – Intentionalität, d. h. den bloßen Aktunwert, als genügend ansieht, wird vielmehr der Unterschied zwischen einer der Intention entsprechenden realen Handlung und einer nur irrig vorgestellten verwechselt. Eine reale Handlung läßt sich nicht rein subjektiv erklären, sondern erfordert eine Umsetzung des Willensinhalts in die objektive Wirklichkeit. Daß man im Gegensatz zum erstgenannten monistischen Konzept den Erfolgsunwert ebenfalls als unrechtskonstitutiv einstuft, ist auf die Unrichtigkeit der nur subjektiven Inhaltsbestimmung des Handlungsunwerts ohne Einfluß. Auch entbehrt ein solches nur additives Nebeneinander von Handlungs- und Erfolgsunwert der sachlichen Verknüpfung beider Begriffe. 3. Gallas hat bereits deutlich gemacht, daß der Handlungsunwert sich nicht im Intentionsunwert erschöpfen kann. Er ist der Auffassung, daß zur Intention die 24 Welzel (Fn. 5), S. 2 (Hervorhebungen im Original). Daß Armin Kaufmann und seine Anhänger demgegenüber den Blick ausschließlich auf den Aktunwert gerichtet haben, hat den „Finalismus“ fälschlich in den Ruf eines dem Tatstrafrecht widersprechenden subjektiven Konzepts gebracht und damit der Anerkennung des von Welzel wiederentdeckten Phänomens der Willenshandlung stark entgegenwirkt. 25 So im Anschluß an Rudolphi (Fn. 10): Bockelmann / Volk (Fn. 4), S. 48 ff.; Maurach / Zipf (Fn. 1), § 19 Rn. 17, 37; Schönke / Schröder / Lenckner (Fn. 1), Vor § 13 Rn. 56; Stratenwerth (Fn. 1), § 8 Rn. 60 a.E.; u. a. Siehe auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 1988, S. 39, 585 ff. („Entscheidungsunrecht“). Konsequenterweise ergibt sich für alle Anhänger einer dualistischen Auffassung, die gleichzeitig die subjektive Versuchstheorie (einschließlich der diese modifizierenden Eindruckstheorie) vertreten, ein dualistisch-subjektives Unrechtskonzept.

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„reale Chance“ der Erfolgsverwirklichung hinzukommen muß, also nur der beendete (ex ante) taugliche Versuch den vollen Handlungsunwert eines Erfolgsdelikts ergibt. Es müssen also bereits objektive Tätigkeitsmerkmale und gegebenenfalls begleitende Umstände erfüllt sein oder wenigstens objektiv möglich erscheinen. Der Erfolgsunwert soll dagegen außerhalb des Handlungsunwerts des vorsätzlichen Erfolgsdelikts stehendes Erfolgsunrecht bilden. 26 Aber verkürzt nicht auch diese neuere dualistische Unrechtsauffassung den Begriff des Handlungsunwerts? Für das Vorliegen des vollen Handlungsunwerts des vorsätzlichen Erfolgsdelikts könnte sprechen, daß mit dem Zeitpunkt des beendeten tauglichen Versuchs der erfolgsgeeignete willensgesteuerte Tätigkeitsakt des Handelnden seinen Abschluß findet. Da es beim Handlungsunwert um den Unwert der Handlung geht, lautet jedoch die Frage, ob diese mit dem beendeten Tätigkeitsakt bereits vollständig vorliegt. Wäre das der Fall, würde kein Unterschied mehr zwischen (beendetem) Versuch und Vollendung der Handlung gegeben sein. Es geht bei dieser Differenzierung ja nicht nur um einen Unterschied der Bewertung als Delikt, sondern auch einen der Handlungsebene. Eine vollendete Handlung ist naturgemäß etwas anderes als eine nur versuchte. Zweitens ist hier auch das Argument unergiebig, daß der Täter mit der Beendigung des Versuchs das Geschehen aus der Hand gegeben habe und nun gewissermaßen dem Schicksal seinen Lauf lassen müsse. Denn der gewollte Kausalverlauf, den er vom beendeten Versuch bis zum Erfolgseintritt in Bewegung setzt, beruht auf seiner Steuerung. Alles vorhergehende dient nur dem Ingangsetzen des programmgemäßen Ablaufs dieser entscheidenden Phase des Geschehens. Daß sie zum Erfolg führt, ist daher, wie schon betont, kein Zufall. Auch wird in diesem Zusammenhang oft übersehen, daß zum Tätigkeitsakt des Täters nicht selten noch Verhaltensweisen Dritter, sei es eines Tatmittlers oder eines Mittäters, dazutreten müssen. Damit, daß jemand den Tatmittler zum Zwecke einer Tötung in Marsch gesetzt hat, liegt noch keine abgeschlossene Tötungshandlung vor; und 26 Vgl. zum vorhergehenden: Gallas, FS für Bockelmann, S. 155, 159; zustimmend Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 51 Fn. 4; Lackner / Kühl (Fn. 1); Ebert / Kühl, Jura 1981, 225, 236. Dementsprechend spricht Gallas bezüglich der Fälle bloßen Intentionsunwerts von „Handlungsversuchsunwert“; so auch Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung, 1981, S. 25, auch 46 ff. Daß es sich beim Intentionsunwert um bloßes Gesinnungsstrafrecht handelt, wurde oben bei Fn. 21 schon hervorgehoben. – Auch Silva Sanchez, ZStW 101, 352, 369 ff., will den Handlungsunwert danach bestimmen, daß „in der Handlung ein tatbestandlich relevantes Risiko für ein Rechtsgut liegt“. Der Erfolg soll seiner Ansicht nach aber kein tatbestandliches Unrecht darstellen, sondern nur für die Strafbarkeit des vollendeten Delikts Bedeutung haben. Diese Auffassung steht wegen der Einordnung des Erfolges als bloßer Strafbarkeitsbedingung der bereits abgelehnten Auffassung von Armin Kaufmann nahe. Zu der von Silva Sanchez aus der Einbeziehung des objektiven Risikos in den Handlungsunwert dann gezogenen Folgerungen für eine Verkürzung des Vorsatzes siehe unten Fn. 33. Von „Gefährdungsunwert“ spricht Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß, 1993, S. 38.

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damit, daß der Mittäter eines Diebstahls seine arbeitsteiligen Mittäterbeitrag geleistet hat, ist noch nicht notwendig die Wegnahmehandlung erfolgt. Vielmehr muß der vom Willen des betreffenden Täters umspannte weitere Verlauf hinzukommen. Auch ist an allen auf den beendeten Versuch abstellenden Auffassungen zu beobachten, daß sie einseitig den nachfolgenden Erfolg im Blick haben. Samson hat demgegenüber bereits darauf hingewiesen, daß auch schon vorher objektive Umstände eine Rolle spielen können, auf die der Täter nicht durch seinen Tätigkeitsakt einwirkt. 27 So gibt es Delikte, bei denen objektive begleitende Umstände bereits im Tätigkeitsstadium vorliegen und bedeutsam werden. Wenn ein Tatbestand z. B. Öffentlichkeit der Begehung verlangt, geht es nicht darum, daß der Täter sie durch Versammeln der notwendigen Personenzahl herstellt, sondern sie liegt bei seinem Tätigkeitsakt vor oder nicht vor. Indem sein Vorsatz sie einbezieht, wird sie zu einer Eigenschaft seiner Handlung. Auch Tatmittel befinden sich vor dem Beendigungszeitpunkt nicht notwendig ausschließlich in der Phase des Betätigungsaktes. So muß bei einem Mord, der durch ein in Raten verabreichtes Gift erfolgt, schon bei der Verabfolgung der einzelnen Dosis es der objektiven Wirkweise überlassen werden, ob die intendierte jeweilige Stufe des Vergiftungsgrades erreicht wird. Gleichwohl handelt es sich bei der ratenweisen Verabfolgung um eine durch die Zwischenglieder verbundene Mordhandlung. Selbst bei der einfachen Tötung durch Erschießen haben wir es nicht nur mit dem vom Täter gestalteten Tätigkeitsakt, sondern auch mit objektiven Voraussetzungen, auf die der Täter nicht unmittelbar einwirkt, etwa der technischen Funktionsfähigkeit des Schießmechanismus, zu tun. Von deren objektivem Gegebensein geht er vielmehr regelmäßig nur aus. Diese Beispiele zeigen, daß man durch die einseitige Fixierung auf den nachfolgenden Erfolg die Realitäten verkürzt hat. 28 Als weitere Argumente werden für eine Trennung von Handlungs- und Erfolgsunwert angeführt, daß die Verbotsnorm nur bis zum beendeten Versuch Wirkung entfalten könne, da danach kein Abbrechen der verbotenen Handlung mehr möglich sei. 29 In der Tat läßt sich der Erfolg nach diesem Zeitpunkt nur noch durch ein gegenläufiges Handeln vermeiden. Aber die Verbotsnorm wird bereits verletzt mit dem Versuchsbeginn, und alles, was sich weiterhin auf dem Wege zum intendierten Erfolg entschlußgemäß realisiert, ist eine graduelle Zunahme des der Norm widersprechenden Unrechts bis zur Vollendung. Ein Auseinanderreißen von Unrecht vor und nach dem beendeten Versuch läßt außer acht, daß es der 27

Samson, FS für Grünwald, S. 585, 590 f. Gallas (FS für Bockelmann, S. 155) berücksichtigt zwar, daß auch der Handlungsunwert objektive Elemente enthält, meint aber, daß der nachfolgende Erfolg gleichwohl davon zu trennen sei (S. 161 ff.). Dazu im einzelnen schon Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 245 ff. Indem Gallas an einem dualistischen Konzept festhält, unterscheidet sich im übrigen auch für ihn eine konkrete Gefährdungshandlung von einer Verletzungshandlung nur durch die subjektive Tatseite. 29 Zielinski (Fn. 11), S. 144. 28

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Rechtsordnung bei der Aufstellung der Verbote um den Schutz von Rechtsgütern geht und deshalb in erster Linie darum, die Vollendung zu verhindern. Daher kann der indendierte Erfolg schon deshalb kein erst außerhalb der Verbotsnorm liegender rechtlicher Unwert sein, sondern es handelt sich um eine verbotene willentliche Erfolgsverwirklichung. Übrigens tritt dies auch deutlich bei dem Fall hervor, daß der Täter die Möglichkeit hat, den Eintritt des intendierten Erfolges noch durch eine Abwendungshandlung zu verhindern. Hier haben wir es nicht mit drei selbständigen Formen des Unwerts zu tun: Handlungs-, Unterlassungs- und Erfolgsunwert. Es geht vielmehr von vornherein ganz um den Handlungsunwert, weil die Handlung sich bis zum Erfolg erstreckt. 30 Man hat die Handlung auch als Leistung charakterisiert, nämlich in dem Sinne, daß der Mensch, indem er das Kausalgeschehen seinem Willen entsprechend steuert, das von ihm Gewollte verwirklicht. 31 Diese Leistung aber ist mißlungen, wenn der Handelnde den von ihm gewollten Erfolg nicht erreicht. Denn der Betreffende hat es dann nicht geschafft, sich das Kausalgeschehen in dem zur Realisierung seines Verwirklichungswillens notwendigen Maße zu unterwerfen; ihm ist es nicht gelungen, es seinem Willen entsprechend zu überdeterminieren. Die intendierte Handlung ist dann nur eine versuchte. Es verbleibt die Frage, ob vielleicht zur besseren Veranschaulichung der Voraussetzungen des vollendeten vorsätzlichen Erfolgsdelikts ein neben den Erfolgsunwert gestellter Begriff von Nutzen ist, der die hinzukommenden Voraussetzungen zum Inhalt hat. Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß der Begriff „Hand30 Hier zeigt sich auch deutlich der Unterschied gegenüber dem Handlungsumfang beim fahrlässigen Delikt. Da dort die Handlung nur in der den Gegenstand des Sorgfaltswidrigkeitsurteils bildenden Willenshandlung besteht, kann sich ihr ein selbständiges unechtes Unterlassen anschließen (z. B. jemand führt durch eine in bezug auf Körperverletzung und Tod sorgfaltswidrige Handlung zunächst einen Körperverletzungserfolg herbei und unterläßt es dann bewußt, den daraus drohenden Todeseintritt abzuwenden, obwohl ihm das durch Rettungsmaßnahmen möglich wäre). 31 Welzel (Fn. 2), S. 12; ders., GS für Grünhut, 1965, S. 173, 175; Gallas, FS für Bockelmann, S. 155, 164; Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 244 f. Wolter (Fn. 12), S. 294 ist demgegenüber der Auffassung, daß der Erfolg bei Vorsatzdelikten nicht wegen seiner Erfassung durch den final überdeterminierenden Willen zur Handlung gehöre, sondern allein deshalb, weil sich das vom Täter erkannte Erfolgsrisiko handlungsadäquat und objektiv zurechenbar in ihm verwirkliche. Denn der Wille könne bei Beendigung des Versuchs abbrechen und bei „Kausalabweichungen a limine“ schon am Anfang der Ausführung scheitern, ohne daß an der Handlung einer vollendeten Tat zu zweifeln sei. Indes, wenn der Täter nach Erreichen des Stadiums des beendeten Versuchs trotz nunmehriger Aufgabe der Intention den Dingen ihren Lauf läßt oder den Erfolgseintritt nicht mehr abwenden kann, so ist der Erfolg jedenfalls das Ergebnis seines auf Verwirklichung gerichteten Willens und deshalb unstreitig auch ein vorsätzlicher. Und was Abweichungen vom Kausalverlauf betrifft, bildet gerade die Frage, ob sie noch als vom Willen des Täters gedeckt angesehen werden können, eine wichtige Abgrenzung und Barriere.

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lungsunwert“ gebildet worden ist, um zu verdeutlichen, daß die bloße Erfolgsverursachung nicht für das Vorliegen einer Handlung genügt, sondern weitere Erfordernisse dazutreten müssen: nämlich der Handlungswille (=Vorsatz beim Vorsatzdelikt) und auch die objektive Eignung. Aber ein auf diese Erfordernisse beschränkter Begriff wäre irreführend und unnötig. Irreführend wäre er, wenn man ihn „Handlungsunwert“ nennt, da er den Handlungsunwert der betreffenden Handlung nur fragmentarisch angeben würde. Denn vollständig gegeben ist die Handlung des (vorsätzlichen) Erfolgsdelikts erst mit dem Erfolgseintritt, und der Handlungsunwert erhält sein über den Unwert des Versuchs hinausgehendes Gewicht daher erst aus der Verwirklichung des intendierten Erfolgs. Unnötig wäre ein jene hinzukommenden Voraussetzungen bezeichnender Begriff zudem, weil er für sich allein nichts aussagt. Die betreffenden zusätzlichen Merkmale erklären sich vielmehr vom Handlungsbegriff her, weshalb es von vornherein allein um die Frage geht, ob alle Voraussetzungen des auch den intendierten Erfolg einbeziehenden Handlungsunwerts eines vollendeten Delikts vorliegen. Handlungs- und Erfolgsunwert sind also nicht zwei grundsätzlich nebeneinander stehende Begriffe, sondern beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt bildet der Erfolgsunwert den inhaltlichen Abschluß des Handlungsunwerts. Die von Gallas vertretene neuere dualistische Theorie hat deshalb zwar das Verdienst, der intentionalistischen Sicht entgegengetreten zu sein, aber die Beibehaltung der dualistischen Sicht überzeugt für das Vorsatzdelikt nicht. 4. Die vorhergehenden Erörterungen weisen mithin in folgende Richtung: Der Begriff des Handlungsunwerts läßt sich nicht losgelöst von Inhalt und Umfang der Handlung bestimmen. Da eine vollendete Handlung in der willentlichen Verwirklichung der intendierten objektiven Umstände besteht, richtet sich der Umfang des jeweiligen Handlungsunwerts danach, welche objektiven Merkmale des Tatbestands vom Willen umspannt sein müssen. Mithin erstreckt er sich bei reinen Vorsatzdelikten bis zur Vollendung des Tatbestands: bei vorsätzlichen Erfolgsdelikten also bis zum Erfolg, bei anderen Vorsatzdelikten bis zum dort jeweils geforderten Vollendungskriterium. 32 Der Inhalt des Handlungsunwerts ist dementsprechend relativ, je nach dem Inhalt der tatbestandsmäßigen Handlung: Es kann um den einer Mordhandlung, aber auch nur den einer abstrakten Gefährlichkeitshandlung gehen. 32

Es bestätigt sich also die Ansicht von Welzel (Fn. 5), S. 62. Vgl. schon Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 240 ff. Im übrigen heißt es bei Roxin ([Fn. 1], § 11 Rn. 46) in überzeugender Kritik an der von Frisch ([Fn. 25], S. 67) vertretenen Trennung von „tatbestandsmäßigem Verhalten“ und „Zurechnung des Erfolges“, daß es „ohne einen Todeserfolg und dessen Zurechnung ... keine Tötungshandlung und kein ‚tatbestandsmäßiges Verhalten‘ (sondern höchstens eine Tötungsversuchshandlung)“ gibt. Außerdem weist er darauf hin, daß „Handlungs- und Erfolgsunwert unlöslich miteinander verknüpft sind“. Das entspricht der von Welzel und mir hinsichtlich des vollendeten Vorsatzdelikts vertretenen Auffassung. Ferner siehe auch Köhler, Strafrecht Allg. Teil, 1997, S. 27 f.

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Von diesem jeweiligen vollendeten Handlungsunwert ist der des Versuchs der betreffenden Handlung zu unterscheiden. Bei ihm handelt es sich eben nicht um den vollen, sondern nur um den teilweisen Unwert der intendierten Verwirklichungshandlung: eben nur um den Unwert einer im Versuchstadium steckengebliebenen Handlung. Diese tatbestandsbezogenen Differenzierungen verdeutlichen gleichzeitig, daß alle vom Willen umspannten objektiven Tatbestandsmerkmale – d. h. der aus ihnen allen bestehende Sachverhaltsunwert einschließlich des beim Erfolgsdelikt einen wichtigen Teil von ihm bildenden Unwerts des Erfolges – den Unrechtsgehalt des Handlungsunwerts mitbestimmen. Nicht die Intentionalität allein oder in Verbindung mit der objektiven Eignung des Tätigkeitsaktes vermögen den Unrechtsgehalt einer Handlung zu erklären. Vielmehr ergibt sich dieser aus dem Umfang der Umsetzung des Verwirklichungswillens. Eine Handlung ist ein gestaltendes Eingreifen in das Kausalgeschehen und nicht ein bloßes subjektives Darüberschweben oder – wie Gallas meint – Schaffen von Voraussetzungen (Eignung). 33 In der Bewertung des Gewichts der objektiven Seite entspricht die hier vertretene Lösung dem Standpunkt der heutigen h. M. 34 Im Unterschied zu dieser bietet sie jedoch eine Erklärung für die Verknüpfung von Tätigkeitsakt und Erfolgsunwert beim Vorsatzdelikt, an der es bei den dualistischen Auffassungen und erst Recht, wie Samson schon näher aufgezeigt hat, 35 bei der Lehre von der objektiven Zurechnung fehlt. 33 Letzteres ist daher auch kein berechtigter Ausgangspunkt für eine Verminderung der Vorsatzanforderungen. Vielmehr führt die Verkürzung des Begriffs des Handlungsunwerts auch insoweit in eine Sackgasse, und es zeigt sich, wie leicht dogmatische Fehlansätze zum Nachteil der Bürger ausgehen können. 34 Vgl. die Autoren oben in Fn. 1, 12 und 18, gerade auch alle Anhänger der Lehre von der objektiven Zurechnung. Bei Welzel (Fn. 5) ist dagegen die Gewichtung beim Vorsatzdelikt eher widersprüchlich (siehe dort S. 2 einerseits und S 62 f. andererseits) und beim fahrlässigen Delikt wenig überzeugend (S. 136). 35 Samson, FS für Grünwald, S. 585, 594 f. Seiner eigenen Lösung kann aber nur zum Teil gefolgt werden. Beizupflichten ist ihm darin, daß er der Erfolgsmächtigkeit der Handlung Bedeutung beimißt und unter Berücksichtigung der Quantifizierbarkeit des Unrechts zur Unrechtsrelevanz des Erfolgs gelangt (S. 595 ff.). Auch ist ihm, jedenfalls hinsichtlich des Vorsatzdelikts, zuzustimmen, daß der Erfolgsunwert die Bewertung des Handlungsunwerts beeinflußt (S. 599). Nicht überzeugend ist jedoch die von ihm vertretene Auffassung, daß der Erfolgsunwert der „nachträglichen Korrektur der zu weit geratenen Bewertung des Handlungsunwerts“ diene (S. 599 f., 604). Denn es gibt insoweit nichts zu korrigieren. Solange der intendierte Erfolg nicht verwirklicht ist, läßt sich der volle Handlungsunwert überhaupt noch nicht bejahen. Samsons Erklärung, daß in der Welt der Kausalgesetze von Anfang an feststehe, ob eine Handlung erfolgsmächtig sei und zum Erfolg führen werde, dies lediglich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit entzogen sei und deshalb die kausalgesetzlich vorhandene Erfolgsmächtigkeit erst ex post aufgedeckt werde (S. 597 ff.), führt nicht weiter. Das Sozialleben interessiert sich für das jeweils in Erscheinung tretende Geschehen, hier den Umfang der Willenshandlungen. Die soziale

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III. Die Problematik bei der fahrlässigen Tat Aber wie läßt sich das alles mit dem fahrlässigen Erfolgsdelikt vereinbaren? Bei ihm fehlt es ja gerade an einem vom Willen umspannten tatbestandlichen Erfolg. Man hat jedoch zu beachten, daß die Sorgfaltswidrigkeit sich auf eine Handlung bezieht, und diese ist auch hier eine Willenshandlung wie jede andere. Ihr Inhalt ist von Unrechtsrelevanz, da sich nach ihm bestimmt, welches Handeln dem Täter als sorgfaltswidrig angelastet wird und wie hoch es einzustufen ist. Es muß nämlich stets geklärt werden, welches willentliche Tun des Täters hätte unterbleiben sollen, und der Willensinhalt beeinflußt den Grad des Handlungsunwerts. 36 Wenn beispielsweise jemand fahrlässig einen Todeserfolg herbeiführt, ist der Handlungsunwert von verschiedenem Gewicht, je nach dem, worin die sorgfaltswidrige (willentliche) Handlung bestanden hat. Sie kann darin liegen, daß jemand bewußt und gewollt auf der Gegenfahrbahn einer Autobahn gefahren ist, oder aber darin, daß jemand willentlich die betreffende Fahrbahn benutzte, jedoch noch nicht erkannt hatte, daß es die Gegenfahrbahn war, oder – ein anderer Sachverhalt – darin, daß jemand einem Kind bewußt und gewollt eine geladenen Pistole zu Schießversuchen in die Hand gegeben hat oder aber daß er sie in der irrigen Annahme, sie sei ungeladen, dem Kind nur für einen Augenblick zum Halten geben wollte. Ein in einer verbotswidrigen Willenshandlung bestehender Handlungsunwert ist also auch beim fahrlässigen Erfolgsdelikt vorhanden. Es stellen sich in bezug auf den Erfolgsunwert nun drei Fragen: (1) Bedeutet das, daß er hier lediglich eine Art von objektiver Strafbarkeitsbedingung ist, 37 (2) Falls er tatbestandliche Unrechtsrelevanz hat, wie ist dann der Bezug zum Handlungsunwert und zum Schulderfordernis zu bestimmen, (3) Würde eine dualistische Unrechtssicht einen Widerspruch zu der beim Vorsatzdelikt vertretenen Lösung bedeuten? Was den ersten Punkt betrifft, läßt sich teilweise schon auf die Ausführungen zur monistisch-subjektiven Auffassung verweisen. Es kann auch beim fahrlässigen Wirklichkeit läßt sich nicht durch ein der Erkenntnisfähigkeit entzogenes deterministisches Weltbild unterlaufen. Die Konsequenz der Auffassung Samsons wäre auch, daß das Unrecht von Handlungen, denen aus ex post-Sicht die Erfolgsmächtigkeit fehlte, nur noch fiktiven Charakter hätte (siehe auch den wenig befriedigenden Erklärungsversuch dieser Fälle bei Samson, S. 601 ff.). 36 Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1953, S. 58 f.; Welzel (Fn. 2), S. 35 ff.; ders. (Fn. 5), S. 130 f.; Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960, S. 308 Fn. 122; ders., ZStW 93 (1981), 831, 857 ff.; Cerezo Mir, ZStW 84 (1972), 1033, 1043 f.; Weidemann, GA 1984, 408, 409 ff. 37 So neben den Fn. 14 genannten Autoren hier beim fahrlässigen Erfolgsdelikt der Sache nach auch Welzel (Fn. 5), S. 135 f. Dagegen im einzelnen Krauß, ZStW 76 (1964), 19, 62; Stratenwerth, SchwZStr. 79 (1963), 233, 254 f., und Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 252 ff.

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Erfolgsdelikt keine Rede davon sein, daß der Erfolgseintritt nur sozialpsychologische Bedeutung oder rechtsstaatliche Bestimmtheitsfunktion hat, nicht aber schuldhaftes Unrecht darstellt. Hier ist vielmehr zu bedenken, daß das Strafrecht Rechtsgüter vor Verletzung schützen soll und die Verbote als Mittel zur Erreichung diese Zieles dienen. Richtig ist zwar, daß der Normbefehl denknotwendig immer auf eine willentliche Handlung gerichtet sein muß. Das aber schließt nicht aus, daß die aus der Begehung der verbotenen Handlung voraussehbar entstehende weitere Auswirkung dem Täter als Unrecht zugerechnet wird. Es ist das mittelbare Unrecht im Unterschied zu dem willentlich herbeigeführten unmittelbaren Unrecht. Die Verbindung beider erfolgt durch die objektive Voraussehbarkeit und den Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Nun läßt sich zwar beim fahrlässigen anders als beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt nicht so ohne weiteres das Zufallsargument ausräumen. Es gibt mehr fahrlässige Handlungen, die nicht zum Erfolg führen, als solche, bei denen er die Folge ist. Der Autoverkehr bietet dafür anschauliche Beispiele. Es läßt sich auch nicht behaupten, daß in den Fällen, in denen es zum Erfolgseintritt kommt, die fahrlässige (sorgfaltswidrige) Handlung graduell besonders groß war. Dennoch zieht das Zufallsargument auch hier nicht. Vielmehr ergibt sich aus dem am Rechtsgüterschutz orientierten Tatstrafrecht, dem Ausgangspunkt jeder strafrechtlichen Betrachtung, daß Bedeutung erlangt, was der Täter (für ihn voraussehbar) tatsächlich realisiert hat. Es geht beim Tatstrafrecht nicht nur um die fahrlässige Handlung, sondern ebenso um den durch sie bewirkten Erfolg, dessen Verhinderung ja gerade das Ziel der Rechtsordnung ist, wobei hier im Unterschied zu den Vorsatztatbeständen der Gesichtspunkt der „Zurechnung“ sachentsprechende Bedeutung erlangt. 38 Daß das auf der fahrlässigen Handlung beruhende Erfolgsunrecht – als voraussehbares mittelbares Unrecht – dem sorgfaltswidrigen Täter zuzurechnen ist, dürfte eigentlich auch evident sein. Der Erfolg ist die voraussehbare objektive Realisierung der Sorgfaltswidrigkeit des Täters. Infolgedessen kann das Zufallsargument nur die Frage enstehen lassen, ob dann, wenn der Erfolg nur zufällig ausgeblieben ist, der Täter nicht ebenso bestraft werden sollte. Diese Frage beantwortet sich wiederum damit, daß die Rechtsordnungen mit Recht danach differenzieren, was der Täter durch sein verbotenes Verhalten objektiv anrichtet oder nicht. Ist der Erfolg des Fahrlässigkeitsdelikts durch einen glücklichen Umstand ausgeblieben, so liegt zwar der volle Handlungsunwert der sorgfaltswidrigen Handlung vor, aber 38 Zur tatbestandlichen Unrechtsrelevanz des Erfolges beim fahrlässigen Delikt vgl. die Nachweise oben in Fn. 25 (h.M.). Dazu, daß der Erfolg hier anders als bei den Vorsatztatbeständen keine Frage der normwidrigen Handlung, sondern der Zurechnung ist, vgl. Hirsch, FS für Lenckner, 1980, S. 119, 127 f. Die heutige Lehre von der objektiven Zurechnung hat auch weitestgehend Kriterien aufgestellt, die zwar weniger für das Vorsatzdelikt, aber häufig für Einzelfragen des fahrlässigen Erfolgsdelikts passen. Kritisch gegenüber dieser Lehre als allgemeinem Unrechtskonzept im einzelnen Hirsch, a. a. O. S. 119 ff. Siehe außerdem neuestens die Kritik bei Degener (Fn. 16), S. 97 ff., 193 Fn. 195, 481 f.

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dem Täter ist kein daraus entstandener Erfolg zuzurechnen. Die Rechtsordnungen bewerten den Täter eben sachentsprechend nicht ausschließlich in bezug auf die verwirklichte Handlung, sondern berücksichtigen auch, was der Täter voraussehbarerweise durch sie darüber hinaus anrichtet. Das betrifft nicht nur das Ausmaß des Unrechts, sondern auch den Umfang der Schuld, d. h. des individuellen Vermeidenkönnens. Die Schuld erschöpft sich eben nicht im schuldhaften Begehen der normwidrigen (willentlichen) Handlung, sondern erstreckt sich auch auf das mittelbare Unrecht. Und auch die dritte Frage – nämlich die nach der Widerspruchsfreiheit eines solchen Lösungskonzepts – läßt sich bei näherem Hinsehen leichter beantworten, als es zunächst den Anschein hat. Man muß sich vor Augen führen, daß auch beim vorsätzlichen Delikt noch mittelbares Unrecht eine Rolle spielt, und zwar im Rahmen der Strafzumessung. Eine Vorsatztat kann über die Tatbestandsverwirklichung hinaus noch ihren Schutzbereich berührende weitergehende objektive Auswirkungen haben, seien diese voraussehbar oder sogar gewollt. So kann beispielsweise eine vorsätzliche Körperverletzung eine längere Arbeitsunfähigkeit oder die Gefahr des Todes nach sich ziehen, ein Betrug die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz im Gefolge haben oder ein dem Schutz von Leben, Leib oder Eigentum dienendes abstraktes Gefährlichkeitsdelikt eine unvorsätzliche, aber voraussehbare Sachbeschädigung hervorrufen. Während nun dieses mittelbare Unrecht bei den Vorsatztatbeständen regelmäßig außerhalb des tatbestandlichen Unrechts verbleibt und erst im Rahmen der Strafzumessung Bedeutung erlangt, ist es beim fahrlässigen Erfolgsdelikt bereits Teil des tatbestandlichen Unrechts. Im übrigen kann auch bei einer Gruppe von Vorsatzdelikten, und zwar den erfolgsqualifizierten Delikten, ein nicht vom Vorsatz umfaßter, nur voraussehbarer Erfolg anstatt auf der Strafzumessungsebene, wie es sich grundsätzlich bei Vorsatzdelikten verhält, bereits auf der Tatbestandsebene auftreten. 39 Es handelt sich daher nicht um einen Widerspruch, sondern um eine Erklärung der unterschiedlichen tatbestandlichen Struktur, wenn man bei fahrlässigen Erfolgsdelikten anders als bei reinen Vorsatzdelikten von einem dualistischen Tatbestandsunrecht ausgeht. 40 39 So gibt es im deutschen StGB mehrere Tatbestände erfolgsqualifizierter Delikte, z. B. (vorsätzliche) Körperverletzung mit (fahrlässiger) Todesfolge (§ 227 n.F. StGB), während solche Fälle z. B. im neuen spanischen StGB weitestgehend der Strafzumessung überlassen sind. Ebenfalls geht es bei Anstiftung und Beihilfe tatbestandlich um mittelbares Unrecht und damit Zurechung. Der Handlungsunwert erstreckt sich bis zur Vollendung der Anstiftung oder Beihilfe. Die Abhängigkeit von der (vollendeten oder ggf. versuchten) Haupttat hat nur den Charakter von mittelbarem Unrecht. Zwar muß dieses hier vom Vorsatz umspannt sein, aber der dazwischen tretende freie und vollständige Entschluß des Haupttäters läßt die Haupttat zur alleinigen Handlung und damit zum alleinigen Handlungsunwert des Haupttäters werden.

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Man könnte allenfalls fragen, ob es dann nicht auch genügen würde, das tatbestandliche Unrecht beim Vorsatzdelikt dualistisch zu erklären. Damit würde man jedoch die sachliche Verschiedenheit, die zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrecht besteht, verwischen. Dasjenige Unrecht, das insgesamt Handlungsunrecht ist, fällt trotz der Verursachung des gleichen Erfolges – also beim Vergleich etwa von vorsätzlicher und fahrlässiger Tötung – gerade deshalb schwerer ins Gewicht, weil es reines Handlungsunrecht ist. Dabei geht es außer dem die Gesamtheit des objektiven Tatbestands umspannenden Vorsatz auch um die größere Erfolgsnähe des Unrechts der Vorsatztat. Während bei dieser nämlich erst mit dem tatbestandlichen Versuchsbeginn das Unrecht beginnt, kann beim fahrlässigen Erfolgsdelikt die Handlung schon weit in der Vergangenheit liegen. 41 Deshalb lautet auch einer der Einwände gegen die heutige Lehre von der objektiven Zurechnung, daß sie – in Fortschreibung der kausalen Handlungslehre – davon ausgeht, die objektive Tatbestandsseite von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt seien identisch. 42 IV. Die Problematik bei der Rechtfertigung Die Begriffe „Handlungsunwert“ und „Erfolgsunwert“ werden auch im Zusammenhang mit der Irrtumsproblematik bei den Rechtfertigungsgründen verwandt. Es heißt, daß bei irriger Annahme des Sachverhalts eines Rechtfertigungsgrundes, dem sogenannten „Erlaubnistatbestandsirrtum“, der Handlungsunwert einer Vorsatztat fehle, so daß der Unrechtstatbestand des vorsätzlichen Delikts nicht gegeben sei. 43 Hierauf kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht erneut näher eingegangen werden. 44 Soweit es sich um die zur Erörterung stehende Thematik handelt, läßt sich jedoch folgendes feststellen: Der Begriff „Handlungsunwert“ 40 Wenn Wolter (Fn. 12), S. 294 f. demgegenüber einwendet, daß wegen des mit der Handlung verbundenen Erfolgsrisikos eine Einheit von Handlungs- und Erfolgsunwert auch hier bestehe, so bleibt dabei unberücksichtigt, daß ein Verbot sich nur auf eine Willenshandlung beziehen kann und deshalb der Erfolg des fahrlässigen Erfolgsdelikts, weil nicht gewollt, sich als „Zustandsunrecht“ vom Gegenstand des Inhalts der Verhaltensnorm unterscheidet. Bedeutsam wird beim fahrlässigen Erfolgsdelikt der Unrechtsdualismus im übrigen auch im Zusammenhang mit der Rechtfertigungsfrage. Diese knüpft allein an die normwidrige Handlung an. Infolgedessen geht es beim Verzicht auf den Schutz durch die betreffende Norm (z. B. das in § 222 StGB enthaltene Verbot der als sorgfaltswidrig in bezug auf einen Todeserfolg zu bewertenden Handlung) um rechtfertigende Einwilligung und nicht um eine nach – unscharfen (siehe Roxin [Fn. 1], § 11 Rn. 109 einerseits und Hellmann, FS für Roxin, 2001, S. 271, 283 ff. andererseits) Kriterien der Lehre von der objektiven Zurechnung zu lösende Tatbestandsfrage. Ist die sorgfaltswidrige Handlung durch Einwilligung gerechtfertigt, so fehlt es für eine Strafbarkeit trotz Erfolgseintritts und damit vorliegenden Erfolgsunwerts am Erfordernis der unrechtmäßigen Handlung des fahrlässigen Erfolgsdelikts; vgl. Leipziger Kommentar StGB-Hirsch, 11. Aufl., 1994, Vor § 32 Rn. 107. 41 Vgl. BGHSt. 42, 235, 236 f. 42 Vgl. Hirsch, FS für Lenckner, S. 119, 139 f.

Handlungs-, Sachverhalts- und Erfolgsunwert

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bietet kein Argument für einen zweistufigen Deliktsaufbau, da der Unwert sich nach dem Bewertungsmaßstab bestimmt, den man als auschlaggebend voraussetzt. Wenn man mit der h. M. in Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zwei abgestufte Bewertungsebenen sieht, dann richtet er sich nach demjenigen dieses Tatbestandsbegriffs. Verneint man eine solche Abstufung, geht man von einem anderen Maßstab und damit einem anderen Verständnis des Handlungsunwerts aus. 45 Im übrigen spricht für die erstgenannte Auffassung, daß in einer den abgestuften Tatbestandsbegriff erfüllenden Handlung, sei es eine Körperverletzungsoder Tötungshandlung, bereits ein rechtserheblicher Handlungsunwert liegt. Ein Rechtfertigungsgrund setzt dies auch der Funktion nach voraus, weil sonst gar keine Kollisionslage gegeben wäre, in der sich die Frage der ausnahmsweisen Gestattung stellt. 46 V. Ergebnis Als Gesamtergebnis läßt sich daher festhalten: 1. Die Frage nach dem Inhalt der Begriffe „Handlungsunwert“ und „Erfolgsresp. Sachverhaltsunwert“ ist nicht nur akademischer Natur. Insbesondere hat die verbreitete subjektivistische Deutung des Begriffs „Handlungsunwert“ zu Akzentverlagerungen der strafrechtlichen Betrachtungsweise geführt, die mit dem Tatstrafrecht als strafrechtlichem Grundprinzip unvereinbar sind. 2. Der Begriff des Handlungsunwerts darf nicht von dem der Handlung abgekoppelt werden. Daher bildet nicht der beendete untaugliche oder auch taugliche Versuch, der sogenannte (beendete) Aktunwert, die Grundstruktur des Handlungsunwerts, sondern der Unwert der vollendeten Handlung. 3. Ebenso wie zwischen vollendeter und versuchter Tat zu unterscheiden ist, hat man zwischen Handlungsunwert der vollendeten und der versuchten Handlung zu unterscheiden. 43 Schaffstein, MDR 1951, 196, 199; ders., GA 1975, 342, 343; Roxin (Fn. 1), § 14 Rn. 71; Schönke / Schröder / Lenckner (Fn. 1), Vor § 13 Rn. 19; Stratenwerth (Fn. 1), § 10 Rn. 158. 44 Siehe statt dessen Hirsch (Fn. 36), S. 220 ff., 267 ff., 332 ff., 347 f.; ders., ZStW 94 (1982), 239, 257 ff.; ders. (Fn. 40), Vor § 32 Rn. 184. 45 Vgl. schon die Kritik bei Hirsch (Fn. 36), S. 246 Fn. 75, 250; auch Jescheck / Weigend (Fn. 1), S. 463. 46 Mit den Begriffen Erfolgs- und Handlungsunwert wird auch beim umgekehrten Fall, daß der Täter das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht erkannt hat, argumentiert. Es sei zwar der Handlungs-, nicht aber der Erfolgsunwert gegeben, weshalb es sich um (untauglichen) Versuch handele (so Jakobs [Fn. 1], 11/23 f.; Roxin [Fn. 1], § 14 Rn. 101; Schönke / Schröder / Lenckner [Fn. 1], Vor § 32 Rn. 15, m.w. N.). Kritisch zu dieser Argumentation Hirsch, FG 50 Jahre BGH, Band IV, 2000, S. 199, 234 ff. Siehe zu der Problematik auch Puppe, FS für Stree / Wessels, 1993, S. 183 ff.

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4. Nicht nur der Handlungswille (die Intention), sondern auch die vom Willen umspannten objektiven Merkmale haben Relevanz für den Handlungsunwert. Deshalb gehört der Erfolg des vorsätzlichen Erfolgsdelikts als Ziel des Vorsatzes zum Handlungsunwert, gleichfalls begleitende objektive Umstände oder Tatmittel. 5. Der Unwert einer vollendeten Handlung ist grundsätzlich größer als der einer nur versuchten. 6. Auch beim fahrlässigen Erfolgsdelikt bezieht sich der Handlungsunwert auf eine Willenshandlung, nämlich die den Gegenstand des Sorgfaltswidrigkeitsurteils bildende Handlung. Der Erfolgsunwert ist hier, weil außerhalb des Gewollten liegend, nicht Teil der Handlung, zählt aber als mittelbares Unrecht mit zum Tatbestand. Hier ist der Gesichtspunkt der Zurechnung einschlägig. 7. Der Begriff „Sachverhaltsunwert“ ist weiter als der des „Erfolgsunwerts“. Er umfaßt alle objektiven Tatumstände des tatbestandlichen Unrechts, also neben dem Erfolg auch begleitende Umstände oder Tatmittel. Beim „Erfolgsunwert“ geht es, jedenfalls bei präziser Handhabung des Begriffs, um den tatbestandlichen Erfolg im Sinne der Erfolgsdelikte. Dieser braucht nicht mit der Rechtsgutsverletzung identisch zu sein. 8. Wenn man die drei Begriffe in der dogmatischen Diskussion verwendet, hat man darauf zu achten, daß die Bestimmung des „Unwerts“ sich nach den Maßstäben derjenigen Bewertungsebene richtet, um die es jeweils geht.

Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht 2001 I. Von der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung wird für die Tatbestandsmäßigkeit eines untauglichen Versuchs als genügend angesehen, daß jemand den Tatentschluß (Vorsatz, ggf. zuzüglich einer besonderen Absicht) in der Weise betätigt, daß auf der Grundlage seiner Vorstellung von der Tat ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung nach objektivem Beurteilungsmaßstab ebenso wie im Falle eines tauglichen Versuchs gegeben erscheint. 1 Diese Auffassung wird heute von einigen Autoren zur Unterscheidung von der rein subjektiven Theorie, nach der auch der Versuchsbeginn ausschließlich subjektiv bestimmt werden sollte, 2 als „subjektiv-objektive Theorie“ bezeichnet. 3 Der Sache nach handelt es sich aber um eine echte subjektive Theorie, weil sie keine objektive Gefahr oder Gefährlichkeit in bezug auf die konkrete Deliktsverwirklichung verlangt, sondern es als ausreichend ansieht, daß der subjektive Tatbestand gegeben ist, während die objektive Seite für sich allein rechtlich indifferent sein kann und lediglich eine zeitliche Parallelität zum Beginn des tauglichen Versuchs aufweisen muß. 4 Da die rein subjektive Theorie (subjektivistische Theorie) nur noch von 1

BGHSt 1, 13, 15 ff.; 2, 74, 76; 10, 388, 390; 11, 268, 271; 11, 324, 326 ff.; 30, 363, 366; 34, 265, 269; 40, 257, 271 ff.; 41, 94 ff.; BGH NJW 1997, 750, 751; st. Rspr. im Anschluß an RGSt 1, 439, 441; 8, 198, 203; 39, 316; 60, 136; 76, 94; u. a. Im heutigen Schrifttum wie die Judikatur: Lackner / Kühl, StGB, 23. Aufl. 1999, § 22 Rn. 11; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, 10. Aufl. 1995, § 26 Rn. 17 ff.; Tröndle / Fischer, StGB, 49. Aufl. 1999, § 22 Rn. 24; der Sache nach auch Köhler, Strafrecht AT, 1996, 451 ff. 2 So namentlich v. Buri, ZStW 1 (1881), 185 ff.; ders., GS 32 (1880), 321 ff. und 40 (1888), 503 ff. Bereits die Judikatur des RG hat sich hinsichtlich des Versuchsbeginns trotz gelegentlicher mißverständlicher Bemerkungen und kritisierter Ausuferungen dagegen grundsätzlich an einem objektiven Bewertungsmaßstab orientiert; dazu näher Mezger, Strafrecht, 2. Aufl. 1933, 385. 3 Siehe. etwa Baumann / Weber / Mitsch (Fn. 1), § 26 Rn. 19; Wessels / Beulke, Strafrecht AT, 30. Aufl. 2000, Rn. 594. 4 Vgl. v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts I, 26. Aufl. 1932, 301 Fn. 7; Mezger (Fn. 2), 388 ff.; Kohlrausch / Lange, StGB, 43. Aufl. 1961, Vor § 43 Bem. III. 1.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, 192 f.; Schönke / Schröder / Eser, StGB, 25. Aufl. 1997, § 22 Rn. 63 ff.; Kühl, Strafrecht AT, 3. Aufl. 2000, § 15 Rn. 1. Mißverständlich ist es daher, wenn Jescheck diese Auffassung als „objektiv-subjektive Theorie“ bezeichnet (siehe Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, 5. Aufl. 1996, 513).

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historischem Interesse ist, wird die Auffassung der Rechtsprechung herkömmlich auch schlicht als die „subjektive Versuchstheorie“ bezeichnet oder doch jedenfalls von der subjektiven Theorie der Judikatur gesprochen. 5 So geschieht es zur Vermeidung von Verwechslungen zwischen den grundsätzlichen Versuchstheorien und den zu den speziellen Erfordernissen der Abgrenzung von Versuch und Vorbereitungshandlung vertretenen Ansichten auch im folgenden. Bis zum Dritten Reich hatte sich die überwiegende Auffassung des Schrifttums dem Standpunkt der Judikatur entgegengestellt und eine objektive Versuchstheorie vertreten. 6 Dem stark auf die Gesinnung ausgerichteten Strafrechtsdenken der NSZeit entsprach dann eher die subjektive Orientierung der Rechtsprechung. 7 Nach 1945 ist es auch im Schrifttum bei der subjektiven Theorie geblieben, 8 später relativiert durch die im folgenden noch zu erörternde Eindruckstheorie. 9 Nur Spendel sprach sich „als einsamer Rufer in der Wüste“ von seinem allgemeinen objektivistischen Systemansatz her schon immer für eine objektive Theorie aus. 10 Historisch wäre es jedoch unrichtig, wenn man die in der Nachkriegszeit hinsichtlich der 5

Vgl. die Nachweise in Fn. 1 und 4. Vgl. v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 21/22. Aufl. 1919, 199 f.; Rob. v. Hippel, Deutsches Strafrecht II, 1930, 424 ff., und – ganz oder teilweise die Lehre vom Mangel am Tatbestand zugrunde legend -: Graf zu Dohna, FS für Güterbock, 1910, 35 ff.; Frank, StGB, 1931, § 43 Fn. I; v. Liszt / Schmidt (Fn. 4), 311 ff.; Mezger (Fn. 2), 396 ff. 7 Vgl. zum „Willensstrafrecht“ der NS-Zeit: Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht AT, 1935, 11 ff.; Roeder, ZStW 62 (1944), 303 ff.; Schaffstein, ZStW 53 (1934), 603 ff. Dabei beriefen sich Freisler (S. 34) und Schaffstein (S. 609) für die sich vom Standpunkt des „Willensstrafrechts“ ergebende Gleichbehandlung von tauglichem und untauglichem Versuch ausdrücklich auf die Rspr. des RG. Auch begründete Mezger seine nunmehrige Hinwendung zur subjektiven Auffassung mit dem Hinweis auf Erfordernisse des Willensstrafrechts (Deutsches Strafrecht, 1936, 26 ff.). 8 Vgl. Baumann, Strafrecht AT, 1. Aufl. 1960, 385 f., 407; Maurach, Deutsches Strafrecht AT, 2. Aufl. 1958, 405 ff.; Schönke, StGB, 4. Aufl. 1949, Vor. § 43 Bem. II, § 43 Fn. II. 1.; Schönke / Schröder, StGB, 1957, Vor § 43 Bem. III. 1., § 43 Fn. II. 1.; Welzel (Fn. 4), 192 f. 9 Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), Vor § 22 Rn. 22; Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, 7. Aufl. 1989, § 40 Rn. 40 ff.; Gropp, Strafrecht AT, 1998, 9/48; Grünwald, FS für Welzel, 1974, 701, 712; Jescheck (Fn. 4), 515;]. Meyer, ZStW 87 (1975), 598, 604; SK-StGBRudolphi (20. Lfg. 1993), Vor § 22 Rn. 13, 14; Schünemann, GA 1986, 293, 311; LK-Vogler, StGB, 10. Aufl. 1983,Vor § 22 Rn. 52; Wessels / Beulke (Fn. 3), Rn. 169; PapageorgiuGonatas, Wo liegt die Grenze zwischen Vorbereitungshandlungen und Versuch?, 1988, 209 ff. Dazu, daß es sich auch bei der Auffassung von Niepoth (Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, 1994, 87 ff.) der Sache nach um die Eindruckstheorie handelt, näher Malitz, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, 1998, 159 Fn. 632. – Die Eindruckstheorie geht zurück auf A. Horn, ZStW 20 (1900), 309 ff. und v. Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht II, 1907, 521, 527, 531, 535 ff. Später ist sie vertreten worden von Mezger, Strafrecht AT, StudB, 1951, 177; Roxin, JuS 1979, 1 ff. (der sich jetzt aber gegen sie ausspricht und eine „Vereinigungstheorie“ vertritt [siehe Fn. 20, 45]). 10 Siehe Spendel, ZStW 65 (1953), 518, 521 ff.; ders., NJW 1965, 1881 ff.; ders., FS für Stock, 1966, 89 ff. (auf S. 89 das obige Zitat). 6

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subjektiven Versuchstheorie festzustellende Übereinstimmung der herrschenden Lehre mit dem Standpunkt der Praxis auf den Einfluß der „finalen“ Handlungslehre in der Wissenschaft zurückführen würde. Bekanntlich haben bis in die sechziger Jahre in der Dogmatik die Kausalisten den Ton angegeben. Lehrbuch- und Kommentarverfasser wie Baumann, Schönke und Schröder, die alle der subjektiven Versuchstheorie gefolgt sind, 11 lassen sich gewiß nicht als Anhänger der „finalen“ Handlungslehre einordnen. Eher handelte es sich um den Einfluß der bis zur Entstehung der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen zurückreichenden generellen Entwicklung, subjektive Elemente im Unrecht, darunter auch den Tatentschluß des Versuchs, anzuerkennen. Für Welzel diente die allseits eingetretene subjektive Orientierung der Versuchslehre nur als Bekräftigung seiner – heute wissenschaftlich als selbstverständlich geltenden – Auffassung, daß der Tatbestandsvorsatz bereits auf der Ebene des Unrechtstatbestands Berücksichtigung zu finden hat. Die Väter der Reform des Allgemeinen Teils sind von dem Faktum ausgegangen, daß die Rechtsprechung – und ihr folgend die damalige fast einhellige Lehre – die Tatbestandsmäßigkeit des untauglichen Versuchs nach den Kriterien der subjektiven Theorie bestimmt. Sie meinten deshalb, durch die 1975 in § 23 Abs. 3 StGB eingeführte Privilegierungsmöglichkeit evident sachwidrigen Konsequenzen in Fällen, bei denen der untaugliche Versuch auf grobem Unverstand beruhen würde, vorbeugen zu sollen. Erst auf der Frankfurter Strafrechtslehrertagung 1985 ist die Diskussion um die objektiven Versuchstheorien wiederbelebt worden. 12 Beim Japanisch-Deutschen Strafrechtskolloquium 1988 in Köln hat man die Problematik dann erneut diskutiert. 13 Große Resonanz hat das aber bisher nicht gefunden. 14 Im Ausland ist die Entwicklung überwiegend anders verlaufen. So findet sich eine objektive, nämlich auf die Gefahr oder Gefährlichkeit in bezug auf die konkrete Tatbestandsverwirklichung oder Erfolgsherbeiführung abstellende Versuchsauffassung bei den Versuchsregelungen oder deren Auslegung durch die Praxis etwa in Italien 11

Nachweise oben in Fn. 8. Für eine objektive Versuchstheorie sprach sich Jakobs, ZStW (1985), 751, 763 f. aus. In der Richtung zustimmend: Hirsch und für Teilbereiche auch Schmidhäuser; vgl. den Tagungsbericht von Gropp, ZStW 97 (1985), 919, 921, 924. Auch auf die Diskussion bei der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung 1985 ist hinzuweisen; vgl. den Diskussionsbericht von Maier, ZStW-Beiheft 1987, 141 ff. 13 Vgl. die sich für eine objektive Theorie aussprechenden Referate von Weigend und Naka, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, 113, 126 ff. bzw. S. 93, 96 ff., sowie die Stellungnahmen von Hirano, ebd., 83 und Hirsch, ebd., 208. 14 Immerhin nimmt die Anzahl der Vertreter einer objektiven Versuchstheorie wieder zu, vgl. die Nachweise Fn. 66. Siehe auch die Diskussion der Problematik bei Roxin, FS für Nishihara, 1998, 157 ff. 12

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(Art. 56 Abs. 1, 49 Abs. 2), Japan (§ 43), den Niederlanden (Art. 45), Österreich (§ 15 Abs. 3), Schweden (eh. 23 § 1), Spanien (Art. 16, 62), der Türkei (Art. 61) sowie der nordamerikanischen Judikatur. 15 Hierunter befinden sich auch Strafgesetze, auf die das deutsche Strafrecht sonst nicht ohne Einfluß gewesen ist. Dies alles wirft die Frage auf, ob die von der deutschen Rechtsprechung geprägte subjektive Theorie mit den strafrechtlichen Grundlagen in Einklang zu bringen ist. II. Daß mit dieser Theorie etwas nicht stimmt, spiegelt sich im verbreiteten Bestreben des neueren Schrifttums wider, sie zu einer Eindruckstheorie zu modifizieren. 16 Danach soll zwar von der herkömmlichen subjektiven Theorie auszugehen sein, aber als einschränkendes Erfordernis hinzukommen der „Eindruck“, der von dem Verhalten des Täters auf die Allgemeinheit ausgeht. Die tatbestandsnahe Manifestation des verbrecherischen Willens, die nach der subjektiven Theorie den Strafgrund des Versuchs bilden soll, müsse das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung zu erschüttern geeignet sein. 17 Es ist auch die Rede vom Eindruck auf die Allgemeinheit, der zu einer Erschütterung des Rechtsbewußtseins und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann. 18 Bei dieser Auffassung handelt es sich nur um eine Modifikation der subjektiven Theorie, weil im Unterschied zu den objektiven Theorien nicht auf ein Ansetzen zu einer konkret gefährdenden oder gefährlichen Handlung abgestellt, sondern nur eine Begrenzung der subjektiven Theorie unter sozialpsychologischen Aspekten vorgenommen wird. 19 Ob dies aber mehr als einen Notbehelf darstellt, ist die Frage. Im Schrifttum ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Eindruckskriterium einen Gesichtspunkt bildet, der nicht versuchsspezifischer Natur ist. Praktisch überall, wo es im Strafrecht um die Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten geht – also auch in Vollendungsfällen –, ließe es sich als allgemeinster Gesichtspunkt mobilisieren. 20 Das Bemühen von Wissenschaft und Praxis um präzise und problembezogene Begründungen würde sich weithin erübrigen. Der 15 Näher dazu JeschecklWeigend (Fn. 4), 527 f., mit Rspr.-Nachweisen. Zum jap. Strafrecht vgl. auch Naka (Fn. 13), 93 ff., zum spanischen Cerezo Mir, FS für Hirsch, 1999, 127, 135 ff. 16 Vgl. die Nachweise in Fn. 9. 17 Vgl. Jescheck (Fn. 4), 514; Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), Vor § 22 Rn. 17 u. 22; jew. m.w. N. 18 Nachweise Fn. 17. 19 Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), Vor § 22 Rn. 22.

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Preis wäre allerdings, daß die Aufgabe der Strafrechtsdogmatik, für klare, sachorientierte Begriffe und Begründungen zu sorgen, nicht mehr erfüllt würde. Denn was heißt schon Eignung zur Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung? Man fragt sich bereits, wieso ein Versuch einer einzelnen Straftat dazu überhaupt in der Lage sein soll. Das Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung wird doch normalerweise erst dadurch erschüttert, daß sich infolge Nachlässigkeit von Polizei und Strafrechtspflege bestimmte Straftaten ausbreiten. Darum geht es hier offensichtlich nicht. Aber auch wenn man davon ausgeht, daß die Begehung der einzelnen Tat das Rechtsbewußtsein erschüttern und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann, so handelt es sich dabei doch gerade hier um sehr hoch gegriffene Kriterien. Was zumal den untauglichen Versuch angeht, kann er das Rechtsbewußtsein verletzen, aber wohl kaum erschüttern, und den Rechtsfrieden wird er, weil untauglich, in der Regel schwerlich gefährden. 21 Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß es insoweit nicht um tatsächliche Feststellungen, sondern um bloße Bewertungen gehen soll. 22 Zudem erhebt sich bei einer die subjektive Theorie nur hinsichtlich des Eindrucks relativierenden Auffassung die Frage, wovon in Fällen äußerlich wertneutraler Verhaltensweisen der „rechtserschütternde Eindruck“ eigentlich ausgeht. 23 Es handelt sich bei den Kriterien der Eindruckstheorie eben um Leerformeln, aus denen man je nach Gefühl ein gewünschtes Ergebnis herauslesen kann. 24 Auch wenn die Eindruckstheorie daher keine wissenschaftlich-dogmatische Theorie im strengen Sinne ist und – wie Eser 25 betont – ihre Existenz „nicht zuletzt (der) Ermangelung eines bislang Besseren“ verdankt, signalisiert sie aber doch jedenfalls das Bedürfnis nach tatbestandlicher Einschränkung des untauglichen Versuchs. Zudem bekundet die herrschende Lehre mit ihr, daß der Tatbestandsumfang des Versuchs unabhängig davon, daß § 23 Abs. 3 StGB die Fälle „groben Unverstands“ – die ja sicherlich keinen „rechtserschütternden Charakter“ haben – erst als Fälle der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe erwähnt, bereits de lege lata allein nach Sachgesichtspunkten zu bestimmen ist. 26 Ausschlaggebend ist eben, daß die Frage, ob überhaupt sachlich ein Versuch vorliegt, dieser Vorschrift vorausgeht. Ist das schon nicht der Fall, so hat der Gesetzgeber 20 Vgl. auch die Kritik bei Stratenwerth, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2000, § 11 Rn. 21; Weigend (Fn. 13), 122; Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, 25 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 1991, 25/22; Roxin (Fn. 14), 170; Malitz (Fn. 9), 160; Murmann, Versuchsunrecht und Rücktritt, 1999, 4 f. 21 Kritisch zur ungeklärten empirischen Basis der Eindruckstheorie Kühl, JuS 1980, 506, 507; Stratenwerth (Fn. 20), § 11 Rn. 21; Weigend (Fn. 13), 122 f. 22 Daß es nur um „Werturteile“ geht, betont Roxin (Fn. 14), 170. 23 Kritisch insoweit auch Weigend (Fn. 13), 123; Malitz (Fn. 9), 160. 24 Im heutigen Schrifttum gegen die Eindruckstheorie außer den Anhängern der subjektiven Theorie der Rspr. (Fn. 1) auch die Vertreter der neueren objektiven oder GefährlichkeitsTheorie (Fn. 66) und der Vereinigungstheorie (Fn. 45). 25 Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), Vor § 22 Rn. 22.

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mit dem § 23 Abs. 3 StGB eine in der restriktiven Tendenz übereinstimmende, aber sich aufgrund der weiteren wissenschaftlichen Entwicklung als unnötig erweisende und daher leer laufende Vorschrift geschaffen. Da es sich bei einer engeren tatbestandlichen Umgrenzung des untauglichen Versuchs, als sie von der herkömmlichen subjektiven Theorie vorgenommen wird, um eine Einschränkung zu Gunsten des Täters handelt, steht daher einer solchen Auslegung des Gesetzes nichts entgegen. Die folgende Erörterung beansprucht somit bereits de lege lata Geltung. III. 1. Es kommt darauf an, worin der Strafgrund des Versuchs besteht und welche Folgerungen sich daraus für die Fälle des untauglichen Versuchs ergeben. Mit Recht lenkt auch Roxin den Blick auf diese Frage. 27 Die subjektive Theorie der Rechtsprechung sieht den Strafgrund in der Betätigung des verbrecherischen Willens, nämlich in der „für die Rechtsgemeinschaft unerträglichen Auflehnung gegen die Rechtsordnung“. Auch von der Gefahr, die aus der Auflehnung für die rechtlich geschützte Ordnung droht, wird gesprochen. 28 Der betätigte Wille findet sich häufig als „rechtsfeindlicher Wille“ bezeichnet. 29 Wie schon aufgezeigt wurde, geht die Eindruckstheorie davon ebenfalls aus. Die Modifizierung durch die Eindruckskomponente erwies sich nur als „Notbehelf“, der die grundsätzliche Problematik des Genügenlassens von jeglichem (zeitlich tatbestandsnahen) Betätigen des verbrecherischen Willens nicht aus der Welt schafft. 2. Um Klarheit zu gewinnen, ist zunächst der Normalfall, nämlich der taugliche Versuch zu betrachten. Bei ihm springt ins Auge, daß die Betätigung des bösen Willens in mehr als einem neutralen objektiven Verhalten besteht. Rechtsprechung und Schrifttum sind sich weithin darin einig, daß hier eine unmittelbare (tatbestandsnahe) „Gefahr“ in bezug auf die konkrete Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Delikts vorliegen muß. 30 Es wird häufig vom 26 So folgert Wolter die generelle Straflosigkeit aller Erscheinungsformen des grob unverständigen untauglichen Versuchs daraus, daß in diesen Fällen kein ernsthafter Eindruck der Gefährlichkeit beim objektiven Betrachter hervorgerufen wird (Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, 1981, 97 f.). Auch Jescheck will unter Hinweis auf die Begr. BTDrucks V/4095, 12 das Absehen von Strafe zur Regel erklären [(Fn. 4), 532], wobei allerdings offenbleibt, weshalb nach der Eindruckstheorie nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit, d. h. der Gegenstand aller Versuchstheorien, in Frage steht. 27 Roxin (Fn. 14), 152 ff. 28 Tröndle / Fischer (Fn. 1), § 22 Rn. 24 und BGHSt 11, 268, 271 sowie die Nachweise oben in Fn. 1. 29 Vgl. Jescheck (Fn. 4),513; Lackner / Kühl (Fn. 1), § 22 Rn. 11 m.w. N.

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Erfordernis einer unmittelbaren konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsguts oder Handlungsobjekts oder einer derartigen Gefahr gesprochen. 31 Auch ist von einer (unmittelbar) konkret gefährdenden oder gefährlichen Handlung die Rede. 32 Es geht beim tauglichen Versuch also offensichtlich um Fälle, bei denen die Betätigung des Willens eine konkrete Gefahr oder Gefährlichkeit hinsichtlich der Vollendung des betreffenden Delikts erkennen läßt. Darauf weist auch schon die Bezeichnung „tauglicher“ Versuch hin, da Tauglichkeit voraussetzt, daß die vorgenommene Handlung für die objektive Verwirklichung des Willens konkret geeignet erscheint. Es verkürzt daher die inhaltliche Bestimmung des Strafgrundes des tauglichen Versuchs, wenn man ihn nur von der Betätigung des verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens her deutet. Andererseits wäre es aber ebenfalls sachwidrig, wenn man den Strafgrund lediglich in der konkreten objektiven Gefährdung oder Gefährlichkeit sehen wollte. 33 Denn dann wäre der taugliche Versuch nur ein Unterfall der Gefährdungs- oder Gefährlichkeitsdelikte. Das aber könnte nicht erklären, weshalb der taugliche Versuch nicht lediglich als ein solches Delikt, sondern als Versuch – eben weil Versuch – erheblich schwerer eingestuft wird. Es besteht ein deutlicher Sachunterschied zwischen einem bloßen Gefährdungstatbestand und dem Versuch eines Verletzungsdelikts, weshalb der Täter aus dem – nach deutschem Strafrecht sogar nur fakultativ – gemilderten Strafrahmen des vollendeten Delikts bestraft wird und es bei der Deliktsnatur als Verbrechen oder Vergehen bleibt. Entscheidendes Gewicht kommt bei der Bestimmung des Strafgrundes des tauglichen Versuchs eben dem Zusammentreffen von zwei Erfordernissen zu: dem Tatentschluß und dem Beginn seiner objektiven Verwirklichung. Dieses Zusammentreffen erhält eine eigenständige Bedeutung für die Rechtsorduung, weil der Täter dadurch, daß er mit seinem Vorsatz unmittelbar zur realen Tatbestandshandlung ansetzt, mit dem Normbefehl (Verbot) in Konflikt kommt. Ihm ist verboten, z. B. eine Tötungshandlung vorzunehmen. Er gerät daher von dem Augenblick an in Widerspruch zum Verbot, in dem er seinen Tatentschluß durch den Beginn einer wirklichen, nämlich die konkrete Möglichkeit der Tötungsverwirklichung beinhaltende Handlung betätigt.

30 Vgl. die Übersicht über Rspr. und Schrifttum bei Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), § 22 Rn. 42 ff.; siehe dazu auch Streng, GS für Zipf, 1999, 325 ff. 31 Vgl. BGHSt 30, 363, 364; Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), § 22 Rn. 42; Lackner / Kühl (Fn. 1), § 22 Rn. 4; jew. m.w. N. 32 Kohlrausch / Lange (Fn. 4), Vor § 43 Fn. III. 2. u. 3; Roxin (Fn. 14), 159; Tröndle / Fischer (Fn. 1), § 22 Rn. 11 m.w. N. 33 Wie dies nicht selten mit dem Blick auf die objektiven Theorien gesagt wird; siehe etwa v. Hippel (Fn. 6), 418; auch die Übersicht über die Strafgründe bei Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), Vor § 22 Rn. 18.

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Als Strafgrund des tauglichen Versuchs läßt sich daher angeben, daß der Täter damit, daß er mit der vorsätzlichen Verwirklichung einer objektiv tatbestandsmäßigen Handlung beginnt, bereits gegen die hinter dem betreffenden Tatbestand stehende Norm verstößt. Bei denjenigen Strafrechtsordnungen, in denen wie in der deutschen der Versuch nicht bei allen (vorsätzlichen) Delikten unter Strafe gestellt ist, muß ein vom Gesetzgeber zu entscheidendes Strafbedürfnis eines solchen rechtswidrigen Verhaltens hinzukommen. Von dieser Klarstellung des Strafgrundes her kann auch das für die objektive Seite des tauglichen Versuchs wesentliche „Gefahr“ -Element genauer bestimmt werden. Es wurde schon aufgezeigt, daß von „Gefahr“, „Gefährdung“ und „Gefährlichkeit“ die Rede ist, außerdem von der Verwirklichung des objektiven Tatbestands oder vom geschützten Rechtsgut als deren Bezugspunkten. 34 Da es bei der objektiven Seite des tauglichen Versuchs um den materiellen Beginn der tauglichen Ausführungshandlung geht, lautet die klärungsbedürftige Frage, welche Rolle das „Gefahr“-Element insoweit spielt. Ein allgemeines Defizit der Lehrbuch- und Kommentarliteratur sowie erst recht der Judikatur liegt nach wie vor darin, daß sie begrifflich nicht scharf unterscheiden zwischen der konkreten Gefahr, die für ein bestimmtes Objekt besteht, und der konkreten Gefährlichkeit (dem Risiko), die (das) von einem Handeln ausgeht. 35 Hier kann nur letztere in Rede stehen; denn beim Versuch haben wir es mit der versuchten Verwirklichung einer Handlung zu tun. Ein tauglicher Versuch setzt dementsprechend nicht voraus, daß das Tatobjekt bereits in eine konkrete Gefahrlage geraten ist. So bildet beim konkreten Gefährdungsdelikt erst der tatbestandliche Erfolg, d. h. die Vollendung, den Eintritt einer solchen Gefahrlage. Und beim abstrakten fehlt es daran tatbestandlich überhaupt. Auf die Gefährlichkeit (das Risiko) des Handelns muß es um so mehr ankommen, als der Versuchsbeginn zwar objektiv zu bestimmen ist, aber doch auf der Grundlage des individuellen Tatplanes. Es ist also nicht, wie die Objektivisten meinten, losgelöst vom Täter zu entscheiden, ob das von ihm objektiv Realisierte eine „Gefahr“ der Tatbestandsverwirklichung darstellt. Vielmehr ist bei der Bestimmung des Versuchsbeginns immer zu berücksichtigen, wie die Tat ausgeführt werden soll. So ist beispielsweise für die objektive Bestimmung des Versuchsbeginns erheblich, ob der Täter die Betätigung einer von ihm installierten 34

Vgl. die Nachweise Fn. 30 bis 32 und den dortigen Text. Die Worte „Gefahr“, „Gefährdung“, „Gefährlichkeit“ und „Risiko“ werden weitgehend austauschbar und bezüglich der Unterschiede unreflektiert verwandt. Deshalb findet sich auch weiterhin die überholte Grundeinteilung in konkrete und abstrakte „Gefährdungsdelikte“, anstatt in Gefährdungs- und (konkrete oder abstrakte) Gefährlichkeits-(Risiko-) Delikte. Im Schrifttum siehe etwa Schönke / Schröder / Cramer, StGB, 25. Aufl. 1997, Vor § 306 Rn. 1 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 4), 263 f. (aber auch S. 264 Fn. 42); Wessels / Beulke (Fn. 3), Rn. 27 ff. 35

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Brandstiftungsanlage einem gutgläubigen Tatmittler überlassen oder sie später selbst einschalten will. 36 Daß es sich so verhält, liegt – unabhängig von gesetzlichen Vorgaben – daran, daß die Gefährlichkeit (das Risiko) des Handelns aus der Sicht ex ante zu bestimmen ist. 37 Es kommt auf das ex ante-Urteil eines verständigen Dritten an, der sich im Zeitpunkt des Anfangs der Entschlußbetätigung an der Stelle des Handelnden befindet und von dessen Tatplan ausgeht. Ausschlaggebend ist also, ob nach der Einschätzung der an der Stelle des Täters befindlichen objektiven Maßstabperson, die den Tatplan zugrunde legt, die Verwirklichung (Vollendung) der intendierten tatbestandsmäßigen Handlung konkret möglich ist. Präzisiert man in der vorbezeichneten Weise das von der herrschenden Meinung herangezogenen „Gefahr“-Erfordernis, so gewinnt die objektive Seite des tauglichen Versuchs als Handlungsbeginn deutliche Konturen. Eine Handlung, sei es eine Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungshandlung, aber auch jede außerrechtliche Handlung, vermag nicht früher zu beginnen als damit, daß der Handlungswille sich in einem betätigten objektiven Verwirklichungsrisiko umzusetzen beginnt. 38 Solange ein Verhalten objektiv kein Risiko der Realisierung des Willensinhalts, z. B. der Herbeiführung eines Todeserfolges, aufweist, liegt noch kein Beginn der betreffenden Handlung vor. Es ist objektiv nichts da, was aus der ex ante-Sicht in Richtung auf einen Todeserfolg verläuft. Zu beachten ist bei alledem, daß wir es bei dem Gefährlichkeits- (Risiko-) Kriterium mit einem notwendigen und zentralen Erfordernis des Vorliegens einer realen Willensbetätigung zu tun haben, aber – wie die Diskussion bestätigt – auch noch zusätzliche Gesichtspunkte für den unmittelbaren materiellen Beginn der intendierten Handlung eine Rolle spielen. Das Täterverhalten kann nämlich schon im Vorbereitungsstadium das Risiko zeigen, auf die künftige Tatbestandsverwirklichung hinauszulaufen. 39 Das ist für das Thema dieser Untersuchung aber kein lösungsrelevanter Punkt. 3. Was folgt aus den vorhergehenden Überlegungen zum tauglichen Versuch nun für die Fälle des untauglichen? 36

Beispiel nach Welzel (Fn. 4), 191. Näher dazu Hirsch, FS für Arthur Kaufmann, 1993, 545, 548 ff., 557 ff.; ders., FS für Buchala, 1994, 151, 154 ff. (abgedr. auch in ders., Strafrechtliche Probleme, 1999, 623, 625 ff.); Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, 52 ff. Zum Gefährlichkeitsbegriff siehe auch schon v. Hippel (Fn. 6), 425 ff. 38 Näher Gallas, FS für Bockelmann, 1979, 155, 159 f. („reale Chance“); Hirsch, FS für Lenckner, 1998, 119, 134 f.; Zieschang (Fn. 37), 140 f. Auch die von Roxin konzipierte Lehre von der objektiven Zurechnung weist in diese Richtung, indem sie unter den objektiven Zurechnungserfordernissen die „Risikoschaffung“ enthält (vgl. Roxin, Strafrecht AT I, 3. Aufl. 1997, § 11 Rn. 47 ff.); dazu auch Hirsch, a. a. O., 134, 142 mit Fn. 66. 39 Zu den Erfordernissen des unmittelbaren Ansetzens beim Versuch näher Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), § 22 Rn. 42 m.w. N. 37

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Als erstes ist festzustellen, daß diese Unterscheidung gar nicht das ausschlaggebende Gegensatzpaar darstellt. Wenn es, wie sich gezeigt hat, beim tauglichen Versuch auf die ex ante-Sicht ankommt, dann ist es ohne Bedeutung, ob Tatobjekt oder Tatmittel aus der Sicht ex post von vornherein untauglich waren. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die Dinge vom Standpunkt ex ante für eine an Stelle des Täters befindliche verständige Maßstabperson darstellen. Würde auch diese zu der Vorstellung gelangen, daß die Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Handlung eine realistische Möglichkeit ist, also die (ex ante zu bestimmende) konkrete Gefährlichkeit des Verhaltens bejahen, dann kommt ein Beginn der betreffenden Handlung und damit ein Versuch in Betracht. Schießt jemand mit Tötungsvorsatz auf das Bett des vorgesehenen Opfers, in dem dieses zu dem Zeitpunkt zu erwarten ist, sich aber, vom Standort des Täters unerkennbar, nicht befindet, liegt beispielsweise ein in bezug auf eine Tötung konkret gefährliches Verhalten vor. Ebenfalls ist dies gegeben, wenn der Täter zu Tötungszwecken einen Sprengsatz an einem parkenden PKW anbringt, ohne ahnen zu können, daß der Fahrer soeben verstorben ist. Gefährlichkeit liegt auch vor, wenn jemand eine möglicherweise geladene Waffe einsetzt, die sich hinterher als ungeladen erweist. Umgekehrt fehlt es an der Gefährlichkeit, wenn jemand zu Tötungszwecken eine zweifellos zu geringe Dosis Schlaftabletten verabfolgt, ebenso dann, wenn er einen Schrotschuß auf ein Objekt abgibt, das für eine solche Waffe eindeutig außerhalb der Reichweite liegt. 40 Ohnehin ist die bisherige Gegenüberstellung von tauglichem und untauglichem Versuch mit der Hypothek belastet, daß von einer konsequenten ex-post-Betrachtung aus, wie sie beim untauglichen Versuch praktiziert wird, dann eigentlich auch die Fälle des tauglichen Versuchs zu untauglichen werden müßten. Ex post gesehen liegen alle Fakten zutage, so daß ein das vorgesehene Opfer infolge schlechten Zielens verfehlender Schuß ebenfalls einen untauglichen Versuch ergeben würde. Auch vom Ergebnis her ist es angemessen, die Fälle des untauglichen, aber gefährlichen Versuchs nicht von denen des tauglichen Versuchs zu unterscheiden. Es bedeutet wertungmäßig keinen relevanten Unterschied, ob jemand seinen Tötungsvorsatz nicht realisieren kann, weil er ein taugliches Tatmittel schlecht einsetzt oder weil er ein auch nach Einschätzung eines verständigen Dritten konkret geeignetes, tatsächlich aber untaugliches Tatmittel verwendet. Die Fälle des gefährlichen untauglichen Versuchs unterscheiden sich also unter dogmatischen Gesichtspunkten nicht von denen des tauglichen Versuchs. Sie leiten sich aus demselben Strafgrund ab. 41 40

Vgl. zu den Beispielen auch v. Hippel (Fn. 6), 429. Das Begriffspaar „gefährlicher – ungefährlicher Versuch“ ist nicht identsch mit der früheren Unterscheidung von „relativ“ und „absolut“ untauglichem Versuch. Auch ein „absolut“ untauglicher Versuch, z. B. bei einem bereits toten Opfer (vgl. das obige Beispiel), kann sich aus der Sicht ex ante als gefährlicher Versuch darstellen. Dazu bereits v. Hippel 41

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IV. Den eigentlichen Problemkreis bilden mithin die Fälle des ungefährlichen „untauglichen Versuchs“, d. h. diejenigen Sachverhalte, bei denen der Vorsatz mit einem Verhalten betätigt wird, das aus der Sicht ex post von vornherein nicht zur Tatbestandsverwirklichung führen kann und dem auch aus der objektivierten ex ante-Sicht kein derartiges Risiko anhaftet. Für sie wird bedeutsam, was die herrschende Meinung allgemein – also auch für die im vorhergehenden behandelten Fälle – als Strafgrund des Versuchs angibt: die in der Betätigung eines verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens liegende Gefahr für die Gesamtrechtsordnung (nach der Eindruckstheorie modifiziert durch den rechtserschütternden Eindruck bei der Bevölkerung). 42 Schon Lange und Gallas hatten darauf hingewiesen, daß der in Deutschland gemeinhin angenommene Umfang des Versuchsbegriffs an zwei verschiedene Strafgründe anknüpft. 43 Auch Roxin spricht jetzt von zwei unterschiedlichen Strafgründen: der tatbestandsnahen „Gefährdung“ und dem „rechtserschütternden Normbruch“. 44 Dabei wird allerdings die Unterscheidung noch auf die herkömmliche Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch bezogen, während es nach dem Ergebnis der obigen Untersuchung um das Gegenüberstehen von gefährlichem und ungefährlichem Versuch geht. Die Vertreter der herrschenden Meinung und der dualistischen Auffassung gehen – möglicherweise durch die bisherige undifferenzierte Erklärung und Behandlung der Fälle des untauglichen Versuchs bedingt – von einem im Grundsätzlichen feststehenden Strafbarkeitsumfang aus und begnügen sich entweder, wie die herrschende Meinung (subjektive Theorie und Eindruckstheorie), mit der Feststellung des gemeinsamen Minimums aller dieser Fälle oder kombinieren verschiedene Strafgründe zu einer „Vereinigungstheorie“. 45 (Fn. 6), 429. – Gegenüber der Lehre vom Mangel am Tatbestand ergeben sich Unterschiede daraus, daß bei sog. Mängeln am Tatbestand (z. B. der Fremdheit der Sache) Gefährlichkeit des Handelns gegeben, dagegen bei angeblich keinem solchen Mangel (namentlich dem Erfolg) fehlen kann. Jene Lehre ist vor allem daran gescheitert, daß sie unbeachtet läßt, daß alle Deliktsmerkmale, Erfolg und andere, tatbestandlich gleich notwendig und inhaltlich gleich wesentlich sind. 42 Nachweise zur h. M. oben in Fn. 28, 29 und 1. 43 Kohlrausch / Lange (Fn. 4), Vor § 43 Bem. III. 2. u. 3; Gallas (Fn. 38), 159. Schmidhäuser (Strafrecht AT, StudB, 2. Aufl. 1984, 344, 348 f., 351 f.) und Alwart (Strafwürdiges Versuchen, 1982, 172 ff.) wollen einen dualistischen Versuchsbegriff aus einem teleologischen System herleiten. Strafgrund des Versuchsdelikts könne sowohl der „Zielunwert“ als auch der „Gefährdungunwert“ sein. Zu der sich dabei ergebenden Widersprüchlichkeit und dem Fehlen einer systematisch stringenten Ableitung siehe Gössel, GA 1984, 45 und Rudolphi (Fn. 9), Vor § 22 Rn. 13 a. 44 Roxin (Fn. 14), 158 ff. 45 So Lange (Fn. 4), Vor § 43 Bem. III 2 u. 3; Roxin (Fn. 14), 158 ff.

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Es erhebt sich jedoch die Frage, ob sich die Fälle des ungefährlichen untauglichen „Versuchs“ denen des echten, nämlich gefährlichen Versuchs überhaupt an die Seite stellen lassen. Roxin weist bereits darauf hin, daß der bisher angenommene Strafbarkeitsumfang der Untauglichkeitsfälle sachlich „keineswegs zwingend“ ist. 46 Der ungefährliche untaugliche Versuch ist völlig sachverschieden von den anderen, da bei ihm gerade kein Beginn der Tatbestandshandlung vorliegt, sondern der Täter sich das nur einbildet. Es geht beim echten Versuch um ein Verhalten, bei dem für jede am Standort des Täters befindliche verständige Person unter Berücksichtigung des Tatplans ein Ansetzen zur konkreten Verwirklichung des jeweiligen Tatbestands deutlich ist, während in den zur Erörterung stehenden Fällen von Anbeginn jedem Vernünftigen klar ist, daß es daran fehlt. Von einem Versuch einer Tötungs-, Körperverletzungs-, Sachbeschädigungshandlung usw. kann daher keine Rede sein. 47 Was vorliegt, ist lediglich ein in bezug auf eine konkrete Tat ungefährlich betätigter Wille, so daß sich allenfalls von einem „unechten“ Versuch sprechen ließe. Auch für radikale Normativisten, welche die Wirklichkeit zur Disposition strafrechtlicher Wertungen stellen wollen, dürften sich deshalb Bedenken erheben, diese Fälle mit unter die für den echten Versuch geltende Vorschrift zu subsumieren. 48 Sach- und Gewichtsverschiedenheit stehen der Gleichstellung entgegen. Es bedürfte daher zumindest einer selbständigen Strafvorschrift unter anderer Bezeichnung und mit erheblich niedrigerer, auch ausschließlich als Vergehen einzustufender Strafdrohung. Damit aber tritt die Frage ins Blickfeld, ob die Pönalisierung der betreffenden Fälle überhaupt mit strafrechtlichen Grundprinzipien in Einklang zu bringen ist. Als die objektiven Theorien im Schrifttum noch herrschend waren, ist gegenüber der subjektiven Theorie bereits der Einwand erhoben worden, daß von ihr Gesinnungsstrafrecht betrieben werde. 49 Zu den Grundlagen des deutschen Strafrechts – ebenso dem der meisten anderen Staaten – gehört, daß es sich um ein Tatstrafrecht handelt. 50 Der bloße Handlungsentschluß ist noch nicht strafbar: cogitationis poenam nemo patitur (Ulpian). 51 Der böse Wille muß sich vielmehr objektiv ganz oder teilweise verwirklichen. Dies nicht nur, weil der Wille sonst 46

Roxin (Fn. 14), 162. So bereits v. Liszt (Fn. 6), 199. 48 So fordert Jakobs (Fn. 20) auch von seiner normativistischen, an Normstabilisierung und Generalprävention ausgerichteten Strafrechtsdogmatik aus eine objektiv restriktive Auffassung, siehe oben in Fn. 12. 49 So von Kohlrausch, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, 1926, 3, 27 f.; Hippel (Fn. 6), 424; Mezger (Fn. 2), 391. 50 Jescheck / Weigend (Fn. 4), 54 f.; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB, 25. Aufl. 1997, Vor § 13 Rn. 3 u. 105; Roxin (Fn. 38), § 6 Rn. 13; heute allg. Auffassung. Dies läßt lediglich unberührt, daß strafschärfend oder -mildernd sowie bei den Rechtsfolgen auch täterstrafrechtliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. 51 Ulpian l. 18 D. 48, 19. 47

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zumeist noch nicht faßbar ist, sondern auch deshalb, weil Moralität nicht durch den Staat erzwungen werden kann. 52 Der entscheidende Punkt bei der zur Erörterung stehenden Problematik ist daher, ob beim ungefährlichen untauglichen „Versuch“ schon eine dem Tatstrafrecht genügende objektive Umsetzung des bösen Willens vorliegt. Betrachtet man hierzu die Fälle, bei denen der Unterschied zwischen Gesinnungs- und Tatstrafrecht bedeutsam wird, so betreffen sie zumeist die Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen und Versuch. Es handelt sich also regelmäßig um Sachverhalte, bei denen es nicht allein darum geht, was man an bösem Willen in seinem Kopfe bewegt, sondern durchaus um Betätigungen dieses Willens, aber eben um solche, die für eine Straftat noch nicht ausreichend sind. Die rein subjektive Theorie, ein nur noch historisch interessantes Lösungskonzept, hat kaum Anhänger gefunden, weil sie die Strafbarkeit weit in den Bereich des nur moralisch verwerflichen Verhaltens und damit des bloßen Gesinnungsstrafrechts vorverlegt. 53 Die Strafbarkeit des echten Versuchs wird deshalb auch von der heutigen Form der subjektiven Versuchstheorie objektiv erst beim Ansetzen zur Ausführungshandlung angenommen. Für die Bestimmung dieses Zeitpunkts spielt aber, wie oben gezeigt worden ist, das objektive Kriterium der Gefährlichkeit eine zentrale Rolle. Es werden punktuell jedoch auch Vorbereitungshandlungen pönalisiert. Ist es dann nicht vielleicht auch tatstrafrechtskonform, wenn man die Fälle des „unechten Versuchs“ unter Strafe stellt? Insoweit ist indes zweierlei zu beachten: Erstens geht es auch bei den pönalisierten Vorbereitungshandlungen um Risikofälle. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Gefährlichkeit nicht immer erst im Zeitpunkt des Versuchsbeginns einsetzt. Für die Fälle des „unechten Versuchs“ ist demgegenüber aber charakteristisch, daß ihnen die konkrete Gefährlichkeit fehlt. Zweitens kommt auch nicht der Gedanke in Betracht, daß zwar keine konkrete, aber doch eine abstrakte Gefährlichkeit vorliege. Das Wesen abstrakter Gefährlichkeitsdelikte besteht darin, daß ihnen typischerweise die konkrete Gefährlichkeit eigen ist. Daran mangelt es hier, da der ganzen Gruppe des „unechten Versuchs“ schon von vornherein aus ex ante- und erst recht ex post-Sicht die Möglichkeit fehlt, zur Verwirklichung des jeweiligen Delikts zu führen. Es geht eben bei diesen Sachverhalten lediglich um einen durch eine unrechtsneutrale Handlung betätigten bösen Willen – und das spricht für Gesinnungs- und gegen Tatstrafrecht. 54

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Vgl. Welzel (Fn. 4), 187. Sie ist in der Wissenschaft schon im 19. Jahrhundert überwiegend auf Ablehnung gestoßen (vgl. die historischen Angaben bei Mezger [Fn. 2], 388, und heute gilt sie gemeinhin als evident unzutreffend und überholt; vgl. Jescheck / Weigend [Fn. 4], 519). 54 Daß es sich um Gesinnungsstrafbarkeit handele, ist nicht nur im älteren Schrifttum (vgl. Fn. 49), sondern von einigen Autoren auch in späterer Zeit vorgebracht worden. So von Spendel, ZStW 65 (1953), 518, 522 f.; ders., NJW 1965, 1881, 1883; ders., FS für Stock, 1966, 89, 92. Aber auch Lange hat die subjektive Theorie der Rspr. als „einen Fremdkörper 53

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Man hat die subjektive Theorie damit begründet, daß die in der Betätigung des verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens liegende Auflehnung eine Gefahr für die rechtlich geschützte Ordnung bedeute. 55 Betrachtet man diese Begründung genauer, geht es bei ihr aber nicht um die konkrete Tat, sondern um den Täter. Es handelt sich nicht darum, den Unrechtsgehalt der begangenen konkreten Tat zu ahnden, sondern um den künftigen Schutz vor einer Person, die keine Bedenken gezeigt hat, ihren bösen Willen – wenn auch entgegen ihrer Vorstellung objektiv ungeeignet – zu betätigen. Sehr deutlich findet das auch bei Lange Ausdruck, der für die von ihm vertretene dualistische Auffassung („Vereinigungstheorie“) auf die Fälle der Gefährlichkeit der Tat einerseits und die der Gefährlichkeit des Täters andererseits hinweist. 56 Als Strafgrund allein auf die Gefährlichkeit einer Person abzustellen, läuft aber auf einen Wechsel vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht hinaus. Ein Tatstrafrecht setzt immer eine zu ahndende Tat voraus. In neuerer Zeit taucht als Begründung für eine Strafbarkeit auch der oben schon im Zusammenhang mit der Eindruckstheorie angeklungene „rechtserschütternde Normbruch“ auf, der im Falle, daß die Betätigung des verbrecherischen Willens zu ihm geeignet ist, die Strafbarkeitsgrenze markieren soll. Es wurde bei der Kritik der Eindruckstheorie bereits darauf hingewiesen, daß der Gesichtspunkt der „Rechtserschütterung“ aber wenig für die Lösung strafrechtsdogmatischer Einzelprobleme hergibt. Er stellt ein inhaltlich sehr unbestimmtes Kriterium dar: wohl doch nur eine Leerformel. Darüber hinaus geht es bei der Eignung zur Rechtserschütterung nicht um Tatmerkmale, sondern um eine Auswirkung, die das Vorhandensein einer dem Tatstrafrecht genügenden Straftat bereits zur Voraussetzung hat. Das aber ist aus den aufgezeigten Gründen bei einer unrechtsindifferenten Willensbetätigung nicht der Fall. Es liegt hier überhaupt noch kein Bruch einer Norm und schon gar nicht der den Versuch untersagenden Norm vor. Der Bürger gerät mit einem Verbot nicht bereits dadurch in Konflikt, daß er seinen Tatentschluß durch irgendein Verhalten betätigt, sondern damit, daß er ihn in den (materiellen) Beginn der objektiven Ausführungshandlung umsetzt. Die Aufstellung des Kriteriums des „rechtserschütternden Normbruchs“ weist daher zwar begrüßenswerterweise in eine einschränkende Richtung – und wahrscheinlich sind die damit angestrebten aus dem Bereich des Gesinnungsstrafrechts“ bezeichnet ([Fn. 4], Vor § 43 Bem. III. 2.). Er meinte jedoch, die von ihm vertretene „Vereinigungstheorie“ lasse sich halten, weil sie parallel zur Gefährlichkeit der Tat beim tauglichen Versuch auf die Gefährlichkeit des Täters beim untauglichen Versuch abstellt. Damit kommt er beim untauglichen Versuch jedoch auf ein Täterstrafrecht ab (siehe auch oben die weiteren Ausführungen), was ebenfalls nicht mit dem Tatstrafrecht zu vereinbaren wäre. Auch Eser sieht den Strafgrund der subjektiven Theorie in der rechtsfeindlichen „Gesinnung“ ([Fn. 4], Vor § 22 Rn. 21). Roxin will dagegen in der h. M. kein Willensstrafrecht sehen, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß er vom gesamten Bereich des untauglichen Versuchs ausgeht und daher auch die zahlreichen Fälle des ex ante konkret gefährlichen untauglichen Versuchs mit im Blick hat. 55 Siehe Fn. 28. 56 In Kohlrausch / Lange (Fn. 4), Vor § 43 Fn. III. 2. u. 3.

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Ergebnisse nicht weit von denen der hier entwickelten systematischen Lösung entfernt –, aber sie löst sich noch zu wenig von der herkömmlichen Betrachtung des untauglichen Versuchs und greift auf zu allgemein gehaltene Kriterien zurück. Strafeinschränkenden Konzepten wird in der strafrechtlichen Diskussion insbesondere von Praktikerseite leicht entgegengehalten, daß ein praktisches Bedürfnis für die Beibehaltung des bisher bejahten Strafbarkeitsumfangs bestehe. 57 Demgegenüber ist jedoch noch einmal darauf hinzuweisen, daß diejenigen Staaten Europas und der Welt, in denen die subjektive Versuchstheorie, wie sie die deutsche Rechtsprechung vertritt, praktiziert wird, eine Minderheit bilden. Auch ist diese deutsche Judikatur durch den starken Einfluß einer einzelnen Richterpersönlichkeit entstanden: nämlich v. Buris. 58 Dessen subjektivistische Lösungsansätze haben bekanntlich auch in der Teilnahmelehre negative Spuren hinterlassen. Außerdem scheint man bei uns noch immer zu wenig zwischen strafrechtlichen und nur moralischen Anforderungen abzustufen. Das beklagte mit dem Blick auf die subjektive Versuchstheorie der Rechtsprechung bereits Robert v. Hippel. 59 Hinzu kommt, daß der noch ungebremste Siegeszug der Präventionstheorien in rechtsstaatlich bedenklicher Weise den Blick zunehmend von der Tat einseitig auf die Person verlagert und damit einer ausufernden Pönalisierung des Vorfeldes der Rechtsgutsverletzung den Weg ebnet. 60 Auch haben Mißdeutungen des Begriffs des Handlungsunwertes den Eindruck entstehen lassen, dieser beziehe seinen Unrechtsgehalt einseitig aus dem Subjektiven, im Unterschied zum an der objektiven Tatseite ausgerichteten Erfolgsunwert (Sachverhaltsunwert). 61 Ebenso aber, wie zum Handlungsbegriff eine objektive und eine subjektive Seite gehören, verhält es sich konsequenterweise auch mit dem Handlungsunwert. Und ebenso, wie die objektive Seite der Handlung erst mit dem objektiven Anfang der intendierten Verwirklichung der objektiven Merkmale beginnt, mithin jedenfalls der Tätigkeitsakt 57

Näher dazu Hirsch, FS für Tröndle, 1989, 19, 25, 37 ff. Vgl. Nachweise zu dessen Schriften oben in Fn. 2 und näher die Kritik bei v. Hippel (Fn. 6), 420 ff. v. Buri war durch die Äquivalenztheorie zur subjektiven Versuchstheorie gelangt. Treffend heißt es dazu bei Mezger (Fn. 2), 391: „Die vermeintlich scharfsinnige, in Wahrheit irrende Logik v. Buris ist ihr (d. h. der Rspr.) nicht zum Heile geworden.“ 59 v. Hippel (Fn. 6), 422. Siehe auch schon Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen für Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 4. Aufl., 304 Fn. 6. 60 Krit. dazu vor allem die Frankfurter Richtung. Vgl. für diese namentlich Hassemer, JuS 1987, 257 ff.; ders., NStZ 1989, 553 ff.; ders., Neue Kriminalpolitik, 1989, 47 ff.; ders., ZRP 1992, 378 ff. Siehe zur Problematik auch Hirsch, in: Kühne / Miyazawa (Hrsg.), Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich, 1995, 11, 19 ff., 32. 61 Zu diesen Mißdeutungen des Handlungsunwerts als „Intentionsunwert“ näher kritisch: Gallas (Fn. 38), 157 ff.; Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 240 ff. Dagegen will Struensee (ZStW 102 [1990], 21 ff.) den Intentionsunwert durch eine innerhalb des Vorsatzes vorzunehmende Differenzierung zwischen Kausalität und Wahndelikt eingrenzen, was zwar die von ihm nachdrücklich befürwortete subjektive Versuchstheorie etwas entlastet, aber die grundsätzliche Problematik der subjektivistischen Orientierung unberührt läßt. 58

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das (ex ante-)Risiko der Handlungsverwirklichung aufweisen muß, ist folglich auch zum Handlungsunwert ein derartiges Risiko erforderlich. 62 Schon Gallas hat darauf hingewiesen, daß die demgegenüber von Teilen des Schrifttums vertretene Auffassung, darauf komme es nicht an, den Handlungsunwert auf einen bloßen Gesinnungsunwert reduziert. 63 Im übrigen ist noch einmal zu betonen, daß es bei den auszugrenzenden Fällen allein um die des ungefährlichen „untauglichen Versuchs“ geht. Daß die subjektive Theorie sich derart lange halten konnte, hängt auch mit der mangelnden Differenzierung von Gefahr- und Gefährlichkeit (Risiko) zusammen, aus der sich der fälschliche Eindruck ergab, daß die einen objektiven Unrechtsgehalt verlangende Meinung eine Gefahrlage für ein durch den Tatbestand geschütztes existentes Objekt fordern müsse. 64 Erkennt man demgegenüber, daß es auf die (aus der ex anteSicht zu bestimmende) Gefährlichkeit des Tätigkeitsakts ankommt, dann hält sich der Kreis der aus der Versuchsstrafbarkeit herausfallenden Sachverhalte durchaus im Rahmen. Denn das ex ante-Urteil des verständigen Dritten wird, wie man es auch beim fahrlässigen Delikt beobachten kann, zumeist mit dem des Handelnden übereinstimmen. 65 Außerdem ist noch einmal daran zu erinnern, daß Fälle groben Unverstandes des Handelnden ohnedies schon bisher wegen § 23 Abs. 3, 2. Alt. StGB i.V. m. der Einstellungsregelung des § 153b StPO praktisch nicht verfolgt werden. Zusammenfassend läßt sich daher feststellen, daß die im vorhergehenden angestellten Überlegungen zu dem Ergebnis führen: Es ist sachlich nicht zwischen tauglichem und untauglichem Versuch, sondern zwischen gefährlichem und ungefährlichem Versuch zu unterscheiden. Hierfür kann man auch das Begriffspaar echter und unechter Versuch verwenden. Unter den echten gehören neben dem herkömmlichen tauglichen Versuch auch diejenigen Fälle des herkömmlichen untauglichen, bei denen die Betätigung des Tatentschlusses in einem (aus ex anteSicht) in bezug auf die Tatbestandsverwirklichung objektiv gefährlichen Verhalten besteht. Beim unechten „Versuch“, also der auch aus ex ante-Sicht objektiv ungefährlichen Entschlußbetätigung, handelt es sich dagegen um ein aliud nach Art und Gewicht, weshalb er vom echten Versuch scharf zu trennen ist und auch nicht als Deliktsversuch etikettiert und eingeordnet werden sollte. Für den Versuch gibt es nur einen Strafgrund, nämlich den für den echten Versuch. Die Fälle des unechten „Versuchs“ gehören überhaupt nicht ins Strafrecht, weil ihre Pönalisierung auf ein Gesinnungsstrafrecht hinausläuft, also mit dem geltenden Tatstrafrecht unvereinbar ist. 66

62 63 64 65

Vgl. Gallas (Fn. 38), 159 f. („reale Chance“). Gallas (Fn. 38), 160 f. Auf dieses Mißverständnis hatte schon v. Hippel (Fn. 6), 418 f., 427 hingewiesen. Vgl. auch Zieschang (Fn. 37), 61 f.

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Da sich die Einordnung der Versuchstheorien als subjektive oder objektive üblicherweise danach richtet, ob hinsichtlich der Fälle des „untauglichen Versuchs“ ein objektiv unrechtsneutraler Betätigungsakt genügt oder ob dieser ein konkretes „Gefahr“-Element aufzuweisen hat, 67 läßt die im vorhergehenden dargestellte Auffassung sich der auf v. Liszt und Robert v. Hippel zurückgehenden „neueren objektiven Theorie“, von letzterem auch als „Gefährlichkeitstheorie“ bezeichnet, zuordnen. 68 Im Hinblick darauf, daß die hier vertretene Versuchsauffassung nicht beim Strafgrund von einer Alternative zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ ausgeht, sondern beide Ebenen, d. h. die subjektive und die objektive Seite des Versuchs, zu einem normbezogenen Strafgrund zusammenzieht, ließe sich bei einer genaueren, sachausgerichteten Terminologie auch von „echter subjektivobjektiver Theorie“ sprechen. 69 V. Aus dem Resultat der vorhergehenden Untersuchung ergeben sich mehrere Konsequenzen für die Rechtsanwendung: (1) Der § 22 StGB ist dahingehend auszulegen, daß zum „unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ einheitlich für alle Versuchsfälle erforderlich ist, daß unmittelbar zur realen Tatbestandshandlung angesetzt wird, d. h. aus der Sicht eines an der Stelle des Handelnden befindlichen verständigen Dritten, der den individuellen Tatplan kennt, das konkrete Risiko der Verwirklichung 66 Im heutigen deutschen Schrifttum für Beschränkung des tatbestandsmäßigen untauglichen Versuchs auf die Fälle des (ex ante) konkret gefährlichen Versuchs: Weigend (Fn. 13), 126 ff.; Tae-Hoon Ha, Die strafrechtliche Behandlung des untauglichen Versuchs, 1991, 50 ff.; Hirsch, FS für Arthur Kaufmann, 560 f.; ders. (Fn. 38),135 Fn. 50; Zieschang (Fn. 37), 137 ff., 148; Malitz (Fn. 9), 179 ff., 198 f. Siehe auch schon Spendel, NJW 1965, 1881 ff.; ders. FS für Stock, 1966, 89 ff. Ansätze in dieser Richtung auch bei Zaczyk (Fn. 20), 235, 328 (zu dessen Lösungskonzept näher Zieschang, [Fn. 37], 143 f.). Zur Auffassung von Jakobs (Fn. 20), 25/21, daß „Strafgrund des Versuchs das Expressiv-Werden eines Normbruchs“ sei, siehe Roxin (Fn. 14), 168, der darauf hinweist, daß sie letztlich doch nur eine Variante der subjektiven Theorie darstellt. Dies gilt auch für die Ansicht von Otto, Grundkurs Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 18 Rn. 58. 67 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 4. 68 Vgl. v. Liszt (Fn. 6), 199 f.; v. Hippel (Fn. 6), 417 ff., 425 ff. Zur Unterscheidung zwischen „älterer“ (die Gefahr vom Standpunkt ex post bestimmender) objektiver Theorie und „neuerer“ (von der aus der Sicht ex ante zu bestimmenden Gefährlichkeit ausgehender) objektiver Theorie siehe auch die Darstellung bei Welzel (Fn. 4), 192 und Maurach / Gössel (Fn. 9), § 40 Rn. 132 ff. Zur Bezeichnung „Gefährlichkeitstheorie“ für die neuere siehe v. Hippel (Fn. 6), 425. 69 Die sich aber von der heute in Teilen des Schrifttums als „subjektiv-objektive“ Theorie bezeichneten h. M. (vgl. oben in Fn. 3) in objektiver Hinsicht grundsätzlich unterscheidet, weshalb im Text von „echter“ subjektiv-objektiver Theorie gesprochen wird.

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der betreffenden tatbestandsmäßigen Handlung vorliegen muß. Ohne das Bewirken eines solchen Risikos ist der Beginn einer Tötungs-, Körperverletzungs-, Sachbeschädigungshandlung usw. nicht denkbar. Der § 23 Abs. 3 StGB hat nur die Funktion, im Falle der von der vorgenannten Auslegung des § 22 StGB abweichenden subjektiven Auslegung deren ärgerlichsten Konsequenzen vorzubeugen. Sobald die herrschende Meinung zu einer dem Versuchsbegriff und dem Tatstrafrecht Rechnung tragenden objektiven Versuchstheorie (zurück-)findet oder der Gesetzgeber den § 22 StGB entsprechend präzisiert, kann die Vorschrift gestrichen werden. Auch in allen Fällen echter und unechter Unternehmensdelikte sind die entsprechenden Eingrenzungen vorzunehmen. Schon jetzt fällt auf, daß bei den unechten Zurückhaltung gegenüber der Einbeziehung von Fällen des herkömmlichen untauglichen Versuchs besteht, wobei das Abstellen auf das aus der Sicht ex ante zu bestimmende Kriterium der konkreten „Eignung“ dem im vorhergehenden für den Versuch verlangten objektiven Erfordernis sehr nahekommt. 70 Für den Versuch bei Unterlassungsdelikten ist bereits in der kürzlich erschienenen Monographie von Kirsten Malitz im einzelnen aufgezeigt worden, daß nur auf der Grundlage der neueren objektiven Versuchstheorie (Gefährlichkeitstheorie) sachentsprechende Lösungen zu erzielen sind. 71 Schließlich führt die genauere Analyse der objektiven Seite des Versuchs auch dazu, daß – um noch einen wichtigen Bereich zu nennen – die Fälle der Untauglichkeit des Subjekts eine sachentsprechende Lösung erfahren. Bemerkenswerterweise übt hier schon der geltende § 23 Abs. 3 StGB Zurückhaltung. Er nennt nur die Fälle der Untauglichkeit des Tatmittels und des Tatobjekts, obwohl grober Unverstand bei Fällen der Untauglichkeit des Subjekts zumindest nicht weniger in Betracht kommt. Unter dem Einfluß der subjektiven Theorie (einschließlich ihrer Modifikation) vertritt die herrschende Lehre aber die – früher oft mit einem Umkehrschluß aus § 59 a. F. (= § 16 n. F.) StGB begründete – Auffassung, daß der umgekehrte Sachverhaltsirrtum über ein Tätermerkmal einen strafbaren (untauglichen) Versuch darstelle. 72

Gegenüber der herrschenden Lehre ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei den Delikten mit besonderen Tätermerkmalen, also den Sonderdelikten, um solche handelt, die täterschaftlich nur von einem bestimmten Personenkreis begangen 70

Näher LK-Gribbohm, StGB, 11. Aufl. 1997, § 11 Rn. 96 m.w. N. Malitz (Fn. 9), 200 ff. 72 So Bruns, Der untaugliche Täter, 1955, 18 ff.; ders., GA 1979, 183 ff.; Schönke / Schröder / Eser (Fn. 4), § 22 Rn. 76; Jescheck / Weigend (Fn. 4), 535 f.; Kühl (Fn. 4), § 15 Rn. 105; Baumann / Weber / Mitsch (Fn. 1), § 26 Rn. 30; SK-StGB-Rudolphi (Fn. 9), § 22 Rn. 28; Schlüchter, Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, 1983, 164 ff.; Wessels / Beulke (Fn. 3), Rn. 623; mit Einschränkungen auch LK-Vogler (Fn. 9), § 22 Rn. 158 f. Fn. 3; Schünemann, GA 1986, 298, 318. 71

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werden können. Niemand vermag sich durch die falsche Vorstellung, zum Täterkreis zu gehören, selbst zum Täter zu machen. Auch der Täter des Versuchs eines Sonderdelikts muß objektiv die betreffende Tätereigenschaft aufweisen. 73 Der in der Versuchslehre herrschende Subjektivismus hat hier also ebenfalls die Grenzen zwischen Gesinnungs- und Tatstrafrecht verwischt. Wer nicht die Sondereigenschaft hat, erzeugt kein Risiko, ein Sonderdelikt zu verwirklichen. VI. Claus Roxin, dem dieser Beitrag mit herzlichen Glückwünschen zum 70. Geburtstag gewidmet ist, hat durch seine Untersuchungen zur Versuchslehre und zur objektiven Zurechnung bereits Weichen in Richtung auf eine stärkere Betonung der objektiven Versuchsvoraussetzungen gestellt. Es zeigt sich daher auch bei der vorliegenden Problematik, daß neben den in den zurückliegenden Jahrzehnten geführten verschiedenen wissenschaftlichen Kontroversen letztlich doch die im Grundsätzlichen bestehenden Übereinstimmungen, insbesondere gegenüber rechtsstaatlich bedenklichen subjektivistischen Auffassungen, überwiegen.

73 So auch Jakobs (Fn. 20), 25/43; Schmidhäuser (Fn. 43), 360 f.; Stratenwerth (Fn. 20), § 11 Rn. 65 f.; ders., FS für Bruns, 1978, 59 ff.; Welzel (Fn. 4), 194; Zaczyk (Fn. 20), 268 ff.; AK-StGB-Zielinski (1990), §§ 15, 16 Rn. 35. Der § 25 Abs. 3 Nr. 1 AE sollte die Straflosigkeit ausdrücklich anordnen. Gegen die allgemeine Abgrenzung von Wahndelikt und untauglichem Versuch mit Hilfe eines Umkehrschlusses auch Roxin, JZ 1996, 981, 984 ff.

Zur Behandlung des ungefährlichen „Versuchs“ de lege lata und de lege ferenda 2004 I. Theo Vogler, dessen Erinnerung dieser Beitrag gewidmet ist, wurde wie ich im Jahre 1929 geboren. Durch seinen frühen Tod verlor ich einen Weggefährten, mit dem ich über Jahrzehnte verbunden gewesen bin. Dem an ihn ergangenen Ruf an die Universität Köln war er allerdings nicht gefolgt, so daß es zu einer auch örtlich nahen Zusammenarbeit nicht gekommen ist. Dafür wirkten wir in der Gesellschaft für Rechtsvergleichung eng zusammen. Von ihm übernahm ich 1987 das Amt des Vorsitzenden der strafrechtlichen Sektion, und wir saßen beide im Vorstand der Gesellschaft. In einem in der Neuen Juristischen Wochenschrift erschienenen Nachruf habe ich Persönlichkeit und Werk des Verstorbenen näher gewürdigt. 1 Zu den herausragenden wissenschaftlichen Leistungen von Vogler gehört seine eingehende Kommentierung der deutschen Versuchsvorschriften in der 10. Auflage des Leipziger Kommentars. 2 Er war sich der Problematik der von der Rechtsprechung seit den Anfängen der reichsgerichtlichen Judikatur praktizierten subjektiven Versuchstheorie, die sich erst seit 1933 auch im Schrifttum ausbreitete, 3 deutlich bewußt und schloß sich deshalb der von einer verbreiteten neueren Schrifttumsmeinung vertretenen Eindruckstheorie an. 4 1

Hirsch, NJW 1998, 39 f. LK-Vogler 10 (1983), vor § 22 und §§ 22 ff. 3 Über den Meinungsstand vor und nach 1933 siehe die Nachweise bei Hirsch, Festschrift für Roxin, 2001, 711, 712. Daß erst jener Zeitpunkt eine Wende in der Auffassung der Wissenschaft einleitete, wird in der neuen Kommentierung LK-Hillenkamp 11 (2003) vor § 22, Rn. 90, Anm. 125, vielleicht doch etwas zu wenig gewichtet. 4 Vogler, Fn. 2, vor § 22, Rn. 52 ff. Weitere Vertreter dieser Theorie: Eser, in: Schönke / Schröder 26 (2001) vor § 22, Rn. 22; Maurach / Gössel, AT II 7 (1989) § 40, Rn. 40 ff.; Gropp, AT 2 (2001) § 9, Rn. 48f; Jescheck, in: Jescheck / Weigend, AT 5 (1996) 515; SK-StGBRudolphi, 20. Lfg (1993), vor § 22, Rn. 13, 14; Schünemann, GA 1986, 293, 311; Wessels / Beulke, AT 33 (2003), Rn. 594; u. a. Die Rspr praktiziert dagegen weiterhin die subjektive Versuchstheorie, wie sie von ihr herkömmlich vertreten wird; so heißt es in der 1995 ergangenen Entscheidung BGHSt 41, 94, 96, daß die in den „Vorstellungen des Täters“ liegende Gefährlichkeit den Strafgrund bilde. 2

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II. Verdient die restriktive Tendenz der Eindruckstheorie auch Beifall, bildet diese Lehre gleichwohl nur eine Behelfskonstruktion, durch welche die subjektive Theorie mit strafrechtlichen Allgemeinbegriffen modifiziert wird. Das ist inzwischen wiederholt aufgezeigt worden. 5 Indem sie sagt, daß die tatbestandsnahe Manifestation des verbrecherischen Willens, die nach der subjektiven Theorie der Strafgrund des Versuchs sein soll, müsse einen Eindruck auf die Allgemeinheit hinterlassen haben, der zu einer Erschütterung des Rechtsbewußtseins und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann, 6 handelt es sich um das Bemühen, die subjektive Theorie unter sozialpsychologischen Aspekten zu begrenzen. Im Schrifttum ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Eindruckskriterium einen Gesichtspunkt darstellt, der nicht versuchsspezifischer Natur ist. 7 Praktisch überall, wo es im Strafrecht um die Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten geht – also auch in Vollendungsfällen –, ließe es sich als allgemeinster Gesichtspunkt mobilisieren. Das hieße jedoch, daß die Aufgabe der Strafrechtsdogmatik, für klare, sachorientierte Begriffe und Begründungen zu sorgen, nicht mehr erfüllt würde. Darüber hinaus erhebt sich der Einwand, wie denn schon die bloße (tatbestandsnahe) Manifestation eines verbrecherischen Willens das Rechtsbewußtsein erschüttern und den Rechtsfrieden in Frage stellen soll. Zudem erhebt sich bei einer die subjektive Theorie nur hinsichtlich des Eindrucks relativierenden Auffassung die Frage, wovon in Fällen äußerlich wertneutraler Verhaltensweisen der „rechtserschütternde Eindruck“ eigentlich ausgeht. 8 Es handelt sich bei den Kriterien der Eindruckstheorie eben um Leerformeln, aus denen man je nach Gefühl ein gewünschtes Ergebnis herauslesen kann, so daß von einer wissenschaftlich-dogmatischen Theorie im strengen Sinne nicht die Rede sein kann.

5 Vgl. Stratenwerth, AT I 4 (2000) § 11, Rn. 21; Weigend, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland (1989) 113, 122; Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat (1989) 25 ff.; ders., in: NK (2001) § 22, Rn. 11; Jakobs, AT 2 (1991) 25/22; Köhler, AT (1997) 454; Kühl, Strafrecht 4 (2002) § 15,Rn. 40 ff.; Roxin, Festschrift für Nishihara (1998) 157, 170; ders., AT, Bd. II, 2003,§ 29, Rn. 46 ff.; K. Malitz, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt (1998) 160; Murmann, Versuchsunrecht und Rücktritt (1999) 4 f.; Hirsch, Fn. 3, 714 f.; MüK-Herzberg (2003) § 22, Rn. 16 ff.; LK- Hillenkamp, Fn. 3, vor § 22, Rn. 77 ff. 6 Vgl Eser, in: Schönke / Schröder, Fn. 4, vor § 22, Rn. 22. 7 Vgl die Nachweise Fn. 5. 8 Weigend, Fn. 5, 123, und eingehend kritisch auch Herzberg, GA 2001, 257, 266 f.

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III. Die Alternative zur subjektiven Theorie stellt daher eine bereits die objektive Seite des Handlungsgeschehens stärker berücksichtigende versuchsspezifische Auffassung dar. Dies ist heute die neuere objektive Theorie oder Gefährlichkeitstheorie, wie sie sich im Bereich der objektiven Versuchslehren herausgebildet hat. Der Kreis derjenigen Strafrechtler, die diese Theorie – im folgenden durchgängig Gefährlichkeitstheorie genannt – als die sachlich zutreffende Lösung betrachten, nimmt inzwischen schnell zu. 9 Sie besagt, daß der Strafgrund des Versuchs einheitlich darin besteht, daß der Täter mit einem auf Vollendung des Tatbestands gerichteten Vorsatz zur Verwirklichung der tatbestandlichen Handlung ansetzt, d. h. mit dem aus ex-ante-Sicht gefährlichen Tätigkeitsakt beginnt. Ebenso wie bei den Normalfällen, nämlich denen des tauglichen Versuchs, kommt es für sie daher im Bereich der Fälle des untauglichen darauf an, ob vom Standpunkt einer objektivierten Maßstabperson ex ante das Risiko einer Vollendung des Tatbestands besteht. Infolgedessen ist nach der Gefährlichkeitstheorie nicht zwischen tauglichem und untauglichem Versuch zu unterscheiden, sondern das Begriffspaar lautet „gefährlich-ungefährlich“. In den Fällen, daß das Verhalten in bezug auf eine konkrete Tatbestandsverwirklichung aus ex ante-Sicht ungefährlich ist, fehlt es nach ihr an einem Versuch. Die für die Gefährlichkeitstheorie sprechenden Argumente habe ich bereits in einem in der Roxin-Festschrift veröffentlichten Aufsatz im einzelnen aufgezeigt. 10 Hier brauchen deshalb nur die Hauptpunkte noch einmal in Erinnerung gebracht zu 9 Vgl Weigend, Fn. 5, 126 ff. (jedenfalls de lege ferenda); Tae-Hoon Ha, Die strafrechtliche Behandlung des untauglichen Versuchs (1991) 50 ff.; Hirsch, Festschrift für Arthur Kaufmann (1993) 545, 560 f.; ders., Festschrift für Lenckner (1998) 119, 135 Fn. 50; ders., Fn. 3, 716 ff.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte (1998) 137 ff., 148; K. Malitz, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt (1998) 179 ff., 198 f. Der Sache nach jetzt wohl ebenfalls Roxin, Fn. 5, AT, Bd. II, § 29, Rn. 24, 27, 57 (hält ihre Anwendung jedoch als durch § 23 Abs. 3 StGB für blockiert). Siehe auch schon Spendel, NJW 1965, 1881 ff.; ders., Festschrift für Stock (1966) 89 ff., und Hirsch, bei Gropp, ZStW 97 (1985) 919, 921, 924 (Tagungsbericht). In diese Richtung ebenfalls Vehling, Die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch (1991) 124, 141. Für objektive Begrenzung ferner Köhler, Fn. 5, 456 f. (sachlich komme es auf die „objektive Wirkmächtigkeit“ an); Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat (1989) 235, 328 (abstellend auf „Anerkennungsverhältnis“), und Rath, JuS 1998, 1111 f.; zu den von diesen Autoren angeführten Gesichtspunkten näher Zieschang, a. a. O., 143 f., und K. Malitz, a. a. O., 166 f. Eine stärkere Berücksichtigung der objektiven Seite fordern ebenfalls Bottke, Wissenschaftsfestgabe für BGH (2000) Band IV, 135 ff.; und neuestens Renzikowski, in: M. Kaufmann (Hrsg.), Wahn und Wirklichkeit – Multiple Realitäten (2003) 309, 321(differenzierend [wohl aufgrund uneinheitlicher Begründungsansätze]). LK-Hillenkamp, Fn. 3, vor § 22 Rn. 92, sieht in der Gefährlichkeitstheorie, wie sie von mir in der Roxin-Festschrift, Fn. 3, weiterentwickelt worden ist, einen „erörterungswürdigen Entwurf für eine neu zu konzipierende Versuchsregelung“, auch wenn er sich de lege lata für die subjektive Theorie ausspricht. 10 Fn. 8, 716 ff.

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werden; auszugehen ist vom tauglichen Versuch. Dieser läßt sich nicht einfach mit der (tatbestandsnahen) Manifestation eines rechtsfeindlichen Willens erklären, wie dies die subjektive Theorie (und im Ausgangspunkt auch die Eindruckstheorie) tut. Vielmehr geht es darum, daß der Täter ansetzt zum Beginn einer realen vorsätzlichen Tatbestandshandlung. Indem das geschieht, verstößt er gegen den hinter dem jeweiligen Tatbestand stehenden Normbefehl. Für den Beginn der Tatbestandshandlung spielt die aus der ex ante-Sicht zu beurteilende konkrete Gefährlichkeit, daß die Handlung zur Vollendung gelangt, eine entscheidende Rolle. Wenn es nun aber beim tauglichen Versuch auf die konkrete (ex ante) Gefährlichkeit der Entschlußbetätigung ankommt, so lassen sich diejenigen Fälle des untauglichen Versuchs, bei denen aus der ex ante-Sicht einer an den Handlungsort zu denkenden Maßstabperson eine konkrete Gefährlichkeit der Handlung anzunehmen ist, demselben Strafgrund zuordnen. Auch bei ihnen geht es um das Ansetzen zum Beginn einer in bezug auf die Tatbestandsvollendung riskanten Handlung. Anders verhält es sich dagegen beim ungefährlichen untauglichen „Versuch“, also denjenigen Fällen, bei denen schon aus ex ante-Sicht kein Risiko der Tatbestandsvollendung besteht. Hier fehlt es am (Ansetzen zum) Beginn einer Tatbestandshandlung. Eine solche wird nicht versucht, sondern der Täter meint dies nur irrig. Es geht nur um eine sich in einem konkret ungefährlichen Tätigkeitsakt sich niederschlagende böse Tätergesinnung. Hier läßt sich weder von echtem Versuch sprechen, noch ein solches Verhalten einem wirklichen Versuch wertungsmäßig an die Seite stellen, geschweige denn eine Strafbarkeit mit dem Tatstrafrecht in Einklang bringen. Soweit die Hauptargumente der Gefährlichkeitstheorie. IV. Inzwischen hat Herzberg die subjektive Theorie mit Vehemenz verteidigt. In dem in Goltdammer’s Archiv abgedruckten Beitrag 11 wird allerdings – wohl aus Raumgründen – leider auf eine alle berücksichtigungsbedürftigen Aspekte einbeziehende Erörterung verzichtet und häufig auch eine vereinfachende Fragestellung gewählt. Daß die subjektive Theorie bis zum Anbruch der NS-Zeit nahezu einhellig von der Literatur abgelehnt worden ist, sie von den meisten ausländischen Rechtsordnungen nicht vertreten wird und immer wieder Bedenken im Hinblick auf Gesinnungsstrafrecht geäußert worden sind, bleibt ganz unbeachtet. 12 Auch ist fortwährend davon die Rede, ob der untaugliche Versuch strafbar zu sein hat, 13 obwohl es nach der Gefährlichkeitstheorie nicht um die Ausgrenzung des 11 Fn. 8, 257 ff. Die in dem Aufsatz vertretenen Thesen finden sich jetzt auch in der kürzlich erschienenen Kommentierung von Herzberg, in MüK, Fn. 5, § 22, Rn. 33 ff.,47 ff.,61 ff., § 23, Rn. 37 ff. 12 Siehe zu diesen Punkten die näheren Angaben bei Hirsch, Fn. 3, 713. 13 Siehe Herzberg, Fn. 8, 257, 259, 263, passim.

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Gesamtbereichs geht, sondern nur um die – weniger häufigen – aus ex-ante-Sicht tatbestandlich ungefährlichen Fälle. Und schließlich ist es dem Autor ganz entgangen, daß es nicht nur „wenige“ Autoren sind, von denen heute die subjektive Theorie sachlich abgelehnt wird, sei es, daß sie die modifzierende Eindruckstheorie vertreten, sei es, daß sie die Gefährlichkeitstheorie als sachlich zutreffende Lösung ansehen. 14 Das Fachgespräch mit Herzberg wird zudem etwas durch dessen akzentuiert gesetzespositivistisches Verständnis von Strafrechtswissenschaft erschwert. In seinem Aufsatz würgt er die gegen die subjektive Versuchstheorie erhobenen Einwände vorwiegend damit ab, daß sie mit dem Wortlaut des § 22 StGB, wo es heißt, daß jemand „nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt“, nicht in Einklang stünden. Die Ablehnung der subjektiven Theorie bedeute eine „Mißachtung des § 22 StGB“. 15 Ein solcherart rein gesetzespositivistisches Verständnis von Strafrechtswissenschaft war früher verbreitet, gilt aber doch seit längerer Zeit als überwunden. Aufgabe der Strafrechtswissenschaft – wenn man in ihr mehr als Wortfassungskunde von Gesetzen sieht – ist, daß sie die aus den dogmatischen Grundlagen sich folgerichtig ergebenden Lösungen herausarbeitet und diese bei der Interpretation des Gesetzes berücksichtigt, sofern es nicht ausdrücklich etwas Gegenteiliges anordnet oder der Satz Nullum crimen sine lege entgegensteht. Infolgedessen ist bei Nichtvorliegen der letztgenannten Schranken die restriktive Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift in der Weise möglich, daß sachlich begründet in eine zu weite Wortfassung ein korrigierendes Erfordernis in den Text hineininterpretiert wird. Es gibt dafür bekanntlich mehrere Beispiele im Allgemeinen und Besonderen Teil. 16 Aber so weit braucht man im Falle des § 22 StGB gar nicht zu gehen. Denn niemand behauptet, daß das in der Vorschrift enthaltene Erfordernis des unmittelbaren Ansetzens zur Verwirklichung des Tatbestandes rein subjektiv zu bestimmen sei. 14 Herzberg, Fn. 8, 258, spricht von „wenigen“, welche „die Strafbarkeit untauglicher Versuche ganz oder in bestimmten Fällen bestreiten.“ Zum Bestreiten „in bestimmten Fällen“ siehe aber die zahlreichen Autoren oben in Fn. 4 und 9. 15 So Herzberg, Fn. 8, 261. An anderen Stellen ist die Rede von: „fehlen(dem) ... Blick auf das Gesetz“ (258 gegen Köhler), „befremdender Undeutlichkeit“ (259 gegen Köhler), Verlassen des „Bodens des Gesetzes“ (159 gegen Rath), bei Überschreitung der Wortfassung des § 22 StGB „Gefahr, sich zu verirren“ (a. a. O.), „selbstherrlich, gesetzesfern“ (260 gegen Rath), „Fehler ..., der eigenen Begründung den Vorrang einzuräumen vor dem gesetzlichen Grund“ (260 gegen Zaczyk), „mit dem Gesetz nicht vereinbar“ (261 gegen Hirsch), „ob ... das konkrete Risiko fehlt, spielt nach dem Gesetz keine Rolle“ (262 gegen Hirsch), „Mißachtung klarer Aussagen des Gesetzes“ (262), „Wer sich von der strikten Beachtung des Gesetzes (so wie Herzberg es versteht, der Verf.) löst, ... muß scheitern“ (272). 16 Hingewiesen sei nur auf die restriktiven Auslegungen der Rücktrittsregelung beim beendeten Versuch (siehe auch neuestens Herzberg, Festschrift für Kohlmann (2003) 37, 47 ff., 50, die Vermögensverfügung bei Betrug und Erpressung sowie den sog. Unmittelbarkeitszusammenhang bei erfolgsqualifizierten Delikten.

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Vielmehr entscheidet auch die subjektive Theorie das unmittelbare Ansetzen aufgrund eines objektiven Beurteilungsmaßstabs. 17 „Nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes ansetzt“ besagt von der Wortfassung her nicht mehr, als daß Vorsatz und Vorstellung des konkreten Tatablaufs bei der objektiven Bestimmung des Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung den subjektiven Bezugspunkt bilden. Die subjektive Theorie interpretiert das dahin, es genüge für das objektive Ansetzen, daß es gegeben sein würde, wenn der Versuch ein tauglicher wäre. 18 Ebenso läßt der Wortlaut aber auch die Interpretation zu, daß ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung ein Ansetzen zur realen und nicht nur eingebildeten Tatbestandsverwirklichung erfordert, und das hieße, wie die Gefährlichkeitstheorie sagt, daß ein ex ante bestehendes Risiko der Tatbestandsverwirklichung als realer Beginn der tatbestandlichen Handlung vorzuliegen hätte. Die Wortfassung des § 22 StGB ist daher für die Auslegung offen. Wenn sich aus wissenschaftlichen Überlegungen ergibt, daß nur die Gefährlichkeitstheorie die Voraussetzungen des Versuchs sachlich zutreffend bestimmt, würde der Text dieser Vorschrift folglich kein Hindernis darstellen. Das positivrechtliche Problem bildet erst der § 23 Abs. 3 StGB, in dem der Gesetzgeber zwar eine restriktive Tendenz gegenüber der von der Rechtsprechung praktizierten subjektiven Theorie zum Ausdruck bringt, aber nur die Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe anbietet, während nach der Gefährlichkeitstheorie schon tatbestandlich gar kein Versuch vorliegen würde. Hier ginge es nach dieser Theorie darum, auf welchem Wege vermieden werden könnte, daß Bürger wegen Versuchs einer Straftat verurteilt werden, obwohl in Wahrheit die Voraussetzungen eines Versuchs überhaupt nicht gegeben wären. Man macht es sich also zu einfach, wenn man die Problematik als positivrechtlich erledigt ansieht. Vielmehr steht wissenschaftlich die Sachfrage im Vordergrund. Und ergibt deren Lösung, daß der Versuch nur von der Gefährlichkeitstheorie zutreffend erklärt werden kann, so ist bei de lege lata entstehenden Problemen nach Wegen zu suchen, wie sie sich im Interesse des Bürgers wenigstens abfedern lassen. 19

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Vgl hierzu die Nachweise von Rspr und Schrifttum bei Eser, in: Schönke / Schröder, Fn. 4, vor § 22, Rn. 21 i.V. m. § 22, Rn. 32 ff., 63 f.; Fischer, in: Tröndle / Fischer 51 (2003) § 22, Rn. 10 ff., und Kühl, Fn. 5, § 15, Rn. 1, 39. Man spricht insoweit von „individuellobjektiver“ Abgrenzung im Gegensatz zu einer ausschließlich subjektiven, wie sie vereinzelt Ende des 19. Jahrhunderts zu finden war und heute nur noch von historischem Interesse ist; näher dazu und zu einschlägigen terminologischen Unklarheiten siehe Hirsch, Fn. 3, 711 f. 18 Vgl. LK-Hillenkamp, Fn. 3, vor § 22 Rn. 50, 60 ff. i.V. m. § 22, Rn. 60 ff.mit weiteren Nachweisen. 19 Dazu noch im einzelnen im folgenden V 2.

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V. 1. Unter den wenigen Sachargumenten, die Herzberg neben seinem gebetsmühlenartig wiederholten Hinweis auf die Wortfassung des § 22 StGB für die subjektive Theorie anführt, steht im Zentrum, daß die (betätigte) Vorstellung einer tatbestandsmäßigen Tat schon eine ausreichende Basis sei, dem Täter einen Versuch anzulasten. Der Strafgrund des Versuchs liege entscheidend in der Gefährlichkeit der Vorstellung des Täters. 20 Daß dies eine Abkehr vom Tatstrafrecht und eine Hinwendung zu dem mit den Grundprinzipien des Strafrechts – zumal in einem Rechtsstaat – unvereinbaren Gesinnungsstrafrecht bedeutet, bleibt dabei jedoch, wie gesagt, unerwähnt. Auch fragt man sich, wie eigentlich jemand, der sich nur irrig vorstellt, bereits eine tatbestandsmäßige Handlung zu beginnen, eine solche schon beginnen und damit einen Versuch begehen soll. Nur derjenige, der zu einer Handlung ansetzt, die aus ex ante-Sicht das Risiko aufweist, zur Vollendung zu führen, versucht die Verwirklichung einer tatbestandsmäßigen Handlung. Beispielsweise begeht den Versuch einer Tötungshandlung, wer zu einer zur Verwirklichung eines Todeserfolgs geeignet erscheinenden Handlung ansetzt. Dagegen kann von einem Ansetzen zu einer Tötungshandlung keine Rede sein, wenn jemand mit einer Handlung beginnt, die kein Tötungsrisiko enthält. Ein solches Risiko liegt nur vor, wenn die Handlung aus ex ante-Sicht die betreffende Eignung aufweist. 21 Herzberg hat ferner kritisiert, daß Bottke gegen die subjektive Theorie vorgebracht hat, sie stelle innerhalb des Versuchs auf den Schutz verschiedener und nicht gleich zu bewertender Güter ab: beim tauglichen auf den Schutz des hinter dem Vollendungstatbestand stehenden Guts – Bottke spricht von „Straftatgut“ –, beim untauglichen dagegen auf den Schutz eines bloßen „Strafrechtsguts“, 20

Herzberg, Fn. 8, 257, 259, 260 (aus Gesetz „ergibt sich, daß es allein auf die Tätervorstellung ankommt ...“), 265. 21 Dazu im einzelnen Hirsch, Fn. 3, 722 f.; ders., Festschrift für Lüderssen (2002) 253, 255 ff. Das bedeutet nicht, daß der Versuch nach der Gefährlichkeitstheorie als bloßes Gefährdungs- resp. Gefährlichkeitsdelikt anzusehen wäre. Vielmehr haben wir es mit dem Zusammentreffen von zwei Erfordernissen zu tun: dem Tatentschluß und dem Beginn seiner objektiven Verwirklichung. Es geht um den Anfang der tatbestandsmäßigen Handlung, mithin bei Verletzungsdelikten, z. B. vorsätzliche Tötung, um den der Verletzungshandlung. Und mit ihm gerät der Täter in Konflikt mit dem hinter der Strafbestimmung stehenden Normbefehl (wobei sich das Unrecht bis zur Vollendung steigert). Dazu im einzelnen Hirsch, Fn. 3, 717. – Entgegen Renzikowski, Fn. 9, 314, handelt es sich bei den objektiven Erfordernissen auch nicht lediglich darum, daß „die Intention des Täters einer externen Kontrolle unterzogen werden muß“. An der gegebenen Intention als solcher ist nichts weiter zu „kontrollieren“. Der Betreffende ist in einem Tatstrafrecht nicht wegen seiner Intention zu bestrafen, sondern weil er die subjektiven und objektiven Erfordernisse eines Ansetzens zur tatbestandsmäßigen Handlung erfüllt hat. Die Frage nach den Versuchsmerkmalen betrifft eben die Strukturerfordernisse des Beginns der Verwirklichungshandlung.

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nämlich „Rechtsfrieden und gemeine Rechtstreue“. 22 Ich habe diesen Einwand in der Roxin-Festschrift 23 von der Gefährlichkeitstheorie her präzisiert: Sobald man erkennt, daß es bei der zur Erörterung stehenden Kontroverse nicht um das herkömmliche Begriffspaar „tauglich-untauglich“, sondern das von „ex ante konkret gefährlich-ungefährlich“ geht, wird sehr deutlich: Es liegt beim konkret gefährlichen Versuch, d. h. beim tauglichen und ebenso beim konkret gefährlich untauglichen Versuch ein konkreter Bezug zum Rechtsgut des jeweiligen Tatbestandes vor, beim konkret ungefährlichen dagegen zu einem nur allgemeinen Rechtswert der rechtstreuen Gesinnung. Stellt man die Fälle in dieser Weise gegenüber, dann ist Bottke beizupflichten, daß die von der subjektiven Theorie angenommene Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit nicht zu halten ist. 24 Herzberg 25 meint jedoch, daß es sich nur um quantitative Unterschiede handele, die zudem angesichts weiter Strafrahmenspannen genügende Möglichkeiten der Abstufung eröffneten. Sei man der Auffassung, daß es in den fraglichen Fällen um „Rechtsfrieden und gemeine Rechtstreue“ gehe, so gelte das doch ebenso und erst recht für den unstreitigen Bereich des Versuchs. Daher handele es sich beim „Schutzsinn“ der Versuchsregelung von vornherein nicht um ein anderes, sondern nur um ein „zusätzliches Interesse“. Daß jedoch durch Strafbarkeit des gefährlichen Versuchs wie bei jedem anderen Straftatbestand mittelbar auch „Rechtsfrieden und gemeine Rechtstreue“ angesprochen sind, läßt evidentermaßen keine qualitative Übereinstimmung hinsichtlich des jeweiligen Schutzgutes entstehen, und das schon gar nicht, wenn es wie hier um das Verhältnis zu einem Bereich geht, der ausschließlich auf solche allgemeinen Aspekte gestützt wird. Herzberg selbst will nun allerdings die Einheitlichkeit dadurch herstellen, daß er in diesem kritischen Bereich die „Tätervorstellung als ausschlaggebendes Indiz der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung“ begreift. 26 Aber ganz abgesehen von der später noch anzusprechenden 27 Frage, wie strafrechtlich denn Indiz der Gefahr und Vorliegen der Gefahr hier tatbestandlich zu einer Einheit verbunden sein können, ist bei konkreter Ungefährlichkeit der Entschlußbetätigung ein solches Indiz nicht gegeben. Will man wie Herzberg gleichwohl einen Versuch bejahen, dann legt man dabei eben nicht ein Ansetzen zur konkreten Tatbestandsverwirklichung zugrunde, sondern den bloßen bekundeten Widerspruch der Tätervorstellung zur Rechtsordnung im allgemeinen. Im übrigen besteht auch zwischen einem Versuch einer konkreten Tatbestandsverwirklichung und der bloßen äußeren Bekundung 22

Bottke, Fn. 9, 141 und 159. Fn. 3, 721. 24 Bottke, Fn. 9, 141 (der dies jedoch erst auf der Ebene der Verfassungswidrigkeit berücksichtigen will, 142, 161. Zur Frage der Verfassungskonformität im folgenden bei V 2). 25 Herzberg, Fn. 8, 263 und 266. 26 Herzberg, Fn. 8, 266. 27 Siehe V 1a.E. 23

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eines rechtsbrecherischen Willens ein weiter Abstand hinsichtlich des Grades der negativen Bewertung – zumal wenn das Strafrecht ein Tatstrafrecht sein soll –, so daß gefährlicher Versuch und ungefährlicher „Versuch“ nicht in denselben Topf gehören. 28 Ein weiterer Einwand Herzbergs, der wahrscheinlich auch die Sorge anderer Vertreter der subjektiven Theorie widerspiegelt, betrifft vermeintlich entstehende Strafbarkeitslücken. Herzberg nennt als Beispiele: 29 Der Täter schickt sich an, aus einiger Entfernung auf einen regungslos am Boden liegenden menschlichen Körper zu schießen, und rechnet – ebenso wie ein zufällig als Zeuge anwesender Polizist 30 – damit, daß es sich um einen lebenden Menschen handelt; tatsächlich ist es eine Leiche. – Jemand glaubt, einen alten Menschen versehentlich eingeschlossen zu haben, und fährt weg, ohne sich um ihn zu kümmern. – Eine Enkelin veräußert eigennützig den bei der Großmutter entliehenen Schmuck, ohne zu ahnen, daß sie ihn vor einer Stunde geerbt hat. – An diesen Beispielen zeigt sich indes nur, daß Anhängern der subjektiven Theorie der Inhalt der im Mittelpunkt der heutigen Gegenmeinung stehenden Gefährlichkeitstheorie häufig aus dem Blick kommt. Es handelt sich nämlich um Fälle, die dafür sprechen, daß aus ex ante-Sicht das Risiko der Vollendung besteht, so daß auch nach der Gefährlichkeitstheorie ein tatbestandlicher Versuch naheliegt. Die Gefährlichkeit orientiert sich an dem Urteil einer am Handlungsort gedachten Maßstabperson. Bei dieser Person geht es nicht um einen Allwissenden, sondern lediglich um einen verständigen Beobachter der konkreten Situation. Von seiten der Gefährlichkeitstheorie ist deshalb wiederholt darauf hingewiesen worden, daß in der Mehrzahl der von der subjektiven Theorie erfaßten Fälle die aus ex ante-Sicht erforderliche Risikoschaffung gegeben ist. 31 Die Fälle dagegen, in denen gar kein Risiko geschaffen wird, lassen sich nicht als Versuch eines bestimmten Delikts begreifen und einordnen. Es fehlt bei ihnen in einem Tatstrafrecht jegliche Legitimation für eine Strafbarkeit. Vom Entstehen von Strafbarkeitslücken kann daher keine Rede sein. 28

Dazu im einzelnen Hirsch, Fn. 3, 720 ff. Auf qualitative Verschiedenheit haben auch Kohlrausch / Lange 43, (1961) vor § 43, Bem III. 1., und Roxin, Fn. 5, Festschrift für Nishihara, 158 ff., hingewiesen. Demgegenüber heißt es bei Herzberg, Fn. 8, 263: „kein aliud, sondern ein Minus, und zwar zweifellos...“ 29 Herzberg, Fn. 8, 257, 260 f., 265 f. 30 Herzberg, Fn. 8, 265 f. Hinsichtlich des Polizisten wird dabei dort darauf hingewiesen, daß er polizeirechllich eine „konkrete Gefahr“ abzuwehren hat, und es heißt dann: „Es versteht sich von selbst, daß mit ‚konkreter Gefahr‘ in diesem Fall die (Anscheins-)Gefahr für das Leben des Daliegenden gemeint ist und nicht etwa irgendeine abstrakte Gefahr für den Rechtsfrieden oder die gemeine Normtreue.“ 31 Vgl insbesondere Zieschang, Fn. 9, 61 f., der darauf hinweist, daß nicht anders als beim fahrlässigen Delikt das ex ante-Urteil des verständigen Dritten zumeist mit dem des Handelnden übereinstimmt. Bemerkenswert ist, daß Androulakis, Festschrift für Schreiber (2003), S. 13, 17 f., jetzt umgekehrt der Gefährlichkeitstheorie entgegenhält, daß nach ihr der Bereich des Versuchs noch zu weit sei.

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Herzberg hat ferner ein von ihm als „phänomenologisch“ bezeichnetes Bedenken geäußert. Er sagt, daß das Kriterium der in bezug auf die konkrete Tatbestandsverwirklichung bestehende Gefährlichkeit nicht bestimmbar sei. 32 Ich weiß nicht, vom Standpunkt welcher Rechtsordnung dieser Einwand zustande gekommen ist. Die deutsche ist jedenfalls voll von auf die ex ante-Sicht abstellenden Gefährlichkeitsurteilen, und in den uns bekannten ausländischen Rechtsordnungen verhält es sich nicht anders Zu nennen sind: An erster Stelle der taugliche Versuch. Es geht bei der Tauglichkeit um die Gefährlichkeit aus der Sicht ex ante, denn ex post gesehen wären solche Handlungen untauglich. Das Gefährlichkeitsurteil wird zudem herangezogen bei der Bestimmung des unmittelbaren Ansetzens zur Tat. 33 Ebenfalls spielt es in der Lehre von der objektiven Zurechnung, zu deren Anhängern auch Herzberg gehört, schon per definitionem eine Rolle. 34 Ferner geht es beim Begriff der Gefahr, der im Strafrecht die Gefahrlage für ein bestimmtes Tatobjekt betrifft, um ein Prognoseurteil. Und nicht anders verhält es sich bei konkreten Gefährlichkeits- und Eignungsdelikten. 35 Während bei der Gefahrlage der örtliche Standort der für das Wahrscheinlichkeitsurteil ausschlaggebenden Maßstabperson bei dem Tatobjekt zu denken ist, wird er bei der Feststellung der Gefährlichkeit einer Handlung am Standort des Handelnden loziert. Herzberg führt für seine „phänomenologischen“ Bedenken an: Um der Maßstabperson die Verneinung der Gefährlichkeit abzugewinnen, müsse „man sie sich ausgestattet denken mit Kenntnissen, die dem Täter fehlen und die die bloße Tatbeobachtung gar nicht verschaffen kann“. Sehe der verständige Beobachter zu, wie der Täter dem Opfer Tabletten eingibt oder es aus 180 m mit Schrot beschießt, dann müsse er schon Bescheid wissen, um das Risiko verneinen zu können, etwa den Beipackzettel gelesen haben oder die Flugweite von Schrotkugeln kennen. 36 Gegenüber diesem Einwand läßt sich jedoch auf die Anforderungen verweisen, die in Rechtsprechung und Schrifttum an den Informationsstand des verständigen Dritten bei denjenigen Prognoseurteilen, welche die Gefährlichkeit (das Risiko) eines Verhaltens betreffen, gestellt werden. Ausschlaggebend ist danach ein verständiger Beobachter aus dem „Verkehrskreis“ des Handelnden. In 32

Herzberg, Fn. 8, 261. Vgl die Übersicht über Rspr und Schrifttum bei Eser, in: Schönke / Schröder, Fn. 4, § 22, Rn. 42 ff., und Kühl, in: Lackner / Kühl 24 (2001) § 22, Rn. 4 ff.; siehe dazu auch Streng, Gedächtnischrift für Zipf (1999) 325 ff. 34 Vgl Roxin, AT, Bd. I 3 (1997) § 11, Rn. 47 ff. („Risikoschaffung“ als eines der objektiven Zurechnungserfordernisse). Die an sich bestchende Anhängerschaft zu dieser Lehre betont Herzberg, Fn. 8, 268 f. 35 Zu diesen Hirsch, Fn. 8, 548 ff., 558 ff.; ders., Strafrechtliche Probleme (1999) 623, 628 ff. Angesichts der großen praktischen Bedeutung, die der Unterscheidung von Gefährlichkeit und Ungefährlichkeit in der Rechtsordnung beigemessen wird, bleibt die von Tröndle / Fischer, Fn. 17 § 22, Rn. 42, bei diesem Punkt – mit unscharfen Beispielen – ansetzende Kritik doch etwas neben der Sache. 36 Herzberg, Fn. 8, 261. 33

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den von Herzberg angeführten Beispielen kommt es deshalb nicht auf die Lektüre des Beipackzettels eines Medikaments oder die sachverständige Kenntnis von der speziellen Reichweite der jeweiligen Art von Schrotpatronen an. Entscheidend ist vielmehr in diesen Fällen, daß ein verständiger Mensch mit durchschnittlichem Erfahrungswissen z. B. eine erhöhte Dosis von Durchfalltabletten oder einen Schuß mit der Schrotflinte auf ein entferntes Ziel nicht als geeignetes Tötungsmittel einschätzen würde. 37 Ergänzend ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, daß die gedachte Maßstabperson nicht als jemand zu denken ist, der unabhängig vom Informationsstand des Täters neben diesen gestellt wird. Vielmehr handelt es sich regelmäßig darum, daß auch Willensinhalt und Sonderwissen des Täters einbezogen werden. Am geläufigsten ist das bei der Entscheidung der objektiven Fahrlässigkeit. Bei der dort im Mittelpunkt stehenden objektiven Voraussehbarkeit geht es der Sache nach um das durch ex ante-Urteil zu bestimmende Risiko der Handlung. Das ein Täterverhalten betreffende Prognoseurteil ist regelmäßig nicht ohne Berücksichtigung des Willensinhalts und eines etwaigen Sonderwissens entscheidbar. 38 So ist auf die Voraussehbarkeit, daß die konkrete Täterhandlung zu einem Todeserfolg führen kann, das Sonderwissen des Täters beispielsweise von der Bluterkrankheit des Betroffenen von Einfluß. Auch ist es möglich, daß ein Versuch in bezug auf die Körperverletzungsintention gefährlich, in bezug auf eine Tötungsintention dagegen ungefährlich ist (z. B. bei der Eingabe eines Wirkstoffes, der zwar zur erheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens geeignet ist, aber absolut nicht zur Tötung). Bemerkenswert ist, daß Herzberg in anderem Zusammenhang, nämlich beim sogenannten abergläubischen Versuch, indirekt selbst auf das Fehlen des konkreten Risikos zurückgreift. 39 Erhellend wäre wohl auch ein Blick auf die Mehrzahl der ausländischen Rechtsordnungen gewesen. Es ist nicht bekannt geworden, daß dort bei der Handhabung der Gefährlichkeitstheorie Probleme mit der Feststellung des Vorliegens der Versuchsvoraussetzungen entstanden sind. Schließlich kritisiert Herzberg, daß von seiten der Gefährlichkeitstheorie in bezug auf das Ansetzen zur konkret riskanten Handlung vom Ansetzen „zur realen Tatbestandsverwirklichung“ gesprochen wird. Zur realen Tatbestandsverwirkli37 Im einzelnen zur Maßstabperson bei Gefährlichkeitsurteilen: Zieschang, Fn. 9, 100. Ist bei einem Schuß mit der Schrotflinte dagegen aus der ex-ante-Sicht eines verständigen Laien die Möglichkeit, daß das Ziel tödlich getroffen wird, nicht eindeutig auszuschließen, so ist das konkrete Risiko gegeben, auch wenn ein Waffenexperte das anders beurteilen würde. 38 Vgl LK-F-C. Schroeder 11 (1994) § 16, Rn. 151 mit weiteren Nachweisen. 39 Siehe Herzberg, Fn. 8, 268, indem er hier auf die Gesichtspunkte „ungewöhnliche (‚inadäquate‘) Verursachung“ und „erlaubtes Risiko“ verweist.

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chung setze immer nur der an, dessen Tat sich vollende, nicht aber der Täter eines erfolglosen, und sei es auch tauglichen, Versuchs. 40 Offenbar erschöpft sich Realität für ihn im Gegenständlichen. Daß das Schaffen des Risikos eine Realität hinsichtlich des möglichen Erfolgseintritts darstellt, ist aber eine alltägliche Beobachtung, insbesondere im Bereich der Fahrlässigkeit. Wenn etwa jemand auf der Überholspur in eine unübersichtliche Kurve hineinfährt und nur deshalb nicht mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenstößt, weil sich, ohne daß der Fahrer davon wußte, zufällig eine Lücke im Gegenverkehr ergeben hat, so ist ein solches Geschehen nichts Irreales. Wie sehr es sich um Realität handelt, dürfte denjenigen Fahrern bewußt werden, die den Überholvorgang neben sich beobachten, und noch mehr demjenigen, der im Falle, daß doch ein Fahrzeug entgegenkommt, im letzten Augenblick ausweichen kann. Die Ausführungen zur angeblichen Unbrauchbarkeit des Risikokriteriums beruhen nach alledem offenbar auf einer Verkürzung des Blickwinkels. Herzberg empfindet das offenbar auch selbst. Er fügt nämlich am Ende dieser Ausführungen dann in positivrechtlicher Sicht hinzu, daß jedenfalls das Fehlen des konkreten Risikos „nach dem Gesetz“ keine Rolle spiele. 41 Interessant ist, daß er – wie schon in anderem Zusammenhang angedeutet – in seinen weiteren Erörterungen den Strafgrund des untauglichen Versuchs auf eine Art von unwiderleglicher Gefahrvermutung stützt. Es heißt bei ihm: „Wenn nun das Gesetz seine Strafdrohung abhängig macht von der Vorstellung des Täters, dann ist das deshalb vernünftig, weil, ebenso wie der Täter, normalerweise auch man die Gegebenheiten nicht hinreichend kennt und so die Tätervorstellung dienen muß als Indiz für die wirkliche Gefahr der Tatbestandserfüllung, die es durch Strafdrohung zu bekämpfen gilt.“ 42 Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß im Strafrecht nur begangene Taten bestraft werden und sich lediglich vermutete nicht als begangene einstufen lassen. Darüber hinaus fragt man sich, wieso auch in den Fällen bestraft werden soll, in denen die „nomalerweise“ gegebene konkrete Gefährlichkeit zu verneinen ist. Daran, daß nur die Gefährlichkeitstheorie das Wesen des Versuchs zu erklären vermag und die subjektive Theorie eine Abirrung ins Gesinnungsstrafrecht darstellt, ist daher sachlich nicht vorbeizukommen. Die Abwendung von der subjektiven Theorie wäre eine Rückkehr in den Kreis der beim Versuch das Tatstrafrecht im Blick haltenden Rechtsordnungen. 43

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Vgl Herzberg, Fn. 8, 261 Anm. 9. Herzberg, Fn. 8, 262. 42 Herzberg, Fn. 8, 265 (Hervorhebung von mir). Im Ausgangspunkt schließt sich dem Renzikowski, Fn. 9, 314, an. 43 Übersicht über diese bei Hirsch, Fn. 3, 713. – Die Befürchtung bei LK-Hillenkamp, Fn. 5, § 22, Rn. 92, daß die Abgrenzung nach den Gesichtspunkten „gefährlich – ungefähr41

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2. Auch wenn § 22 StGB der sachentsprechenden Auslegung keine Hindernisse in den Weg legt, verbleibt de lege lata die Frage, wie angesichts des § 23 Abs. 3 StGB verfahren werden soll. Ist sachlich schon gar kein Versuch in den von dieser Vorschrift erfaßten Fällen gegeben, dann fällt es schwer, dem Täter gleichwohl das Vorliegen eines tatbestandsmäßigen Versuchs zu bescheinigen. Es handelt sich dabei übrigens um ein Problem, das sich ebenso für die heute überwiegend im Schrifttum vertretene Eindruckstheorie stellt. Denn will diese Theorie Geltung beanspruchen, dann doch wohl vor allem bei den Fällen, in denen die Tauglichkeitsvorstellung des Handelnden auf grobem Unverstand beruht. 44 Man kann sich nicht damit beruhigen, daß der Gesetzgeber sich entschieden habe, daß Versuch vorliege und deshalb nur eine (fakultative) Privilegierung durch Strafmilderung oder Absehen von Strafe, also Schuldspruch und nur Verzicht auf Strafausspruch, in Betracht komme. Der Gesetzgeber will nicht die Wirklichkeit erfinden, sondern ist bestrebt, die Wirklichkeit zu regeln. Dies um so mehr, wenn strafrechtliche Sanktionierung in Rede steht, denn hier handelt es sich um Eingriffe des Staates in den grundrechtlich geschützten Bereich des einzelnen Bürgers. Nun wird zwar in Fällen des Absatzes 3 eine Opportunitätseinstellung nach § 153b StPO die Regel sein, da die heutige Praxis der Strafverfolgungsbehörden dazu neigt, die mit dem geringsten Arbeitsaufwand verbundene Lösung zu wählen. Aber eine Sicherheit besteht insoweit nicht. Ich habe vorgeschlagen, daß man § 23 Absatz 3 StGB von der hinter ihm stehenden, die subjektivistische Rechtsprechung vor Auge habenden gesetzgeberischen Intention her betrachtet: nämlich dem Ziel einer Begrenzung der Bestrafung des untauglichen Versuchs. Nachdem sich zeigt, daß die Restriktion sich bereits aus einem Überdenken des Versuchsbegriffs selbst ergibt, bedarf es der in der Vor-

lich“ in das Dilemma der Abgrenzung zwischen „absoluter“ und „relativer“ Untauglichkeit zurückführen könnte, ist unbegründet. Diese Unterscheidung spielt bei dem ex-ante-Gefährlichkeitsurteil keine Rolle. Auch ein „absolut“ untauglicher Versuch, z. B. hinsichtlich eines bereits toten Opfers, kann sich aus der Sicht ex ante als gefährlicher Versuch darstellen. Dazu bereits v. Hippel, Deutsches Strafrecht II (1930) 429. – Köhler, Fn. 9, 458, verweist für die Notwendigkeit der Eingrenzung des untauglichen Versuchs auf Aussagen von Kant und Fichte. Insoweit ist Herzberg, Fn. 3, 258 f., zwar darin zuzustimmen, daß sich aus solchen Hinweisen keine zwingenden Folgerungen für die heutige Sicht ableiten lassen. Aber sie geben doch dazu Anlaß, kritisch zu überdenken, ob die subjektive Versuchstheorie, die sich unter dem Einfluß v. Buris in der deutschen Judikatur (zunächst des RG und dann des BGH) festgesetzt hat, eigentlich eine in sich stimmige und strafrechtsadäquate Auffassung darstellt. Und eine solche Erörterung (und auch Entscheidung) des Sachproblems gehört entgegen der von Herzberg gegenüber Köhler geäußerten Polemik durchaus in ein wissenschaftliche Ansprüche erhebendes Lehrbuch. 44 Das Problem wird von den Anhängern der Eindruckstheorie in der Regel übergangen. Aus einer Theorie, die bei § 22 StGB den Strafgrund betreffen soll, entwickelt sich bei § 23 StGB, wo sie ihren Hauptanwendungsfall hätte, ein bloßes Rabattkonzept. Zu dieser Inkonsequenz bereits Hirsch, Fn. 3, 715, und Herzberg, Fn. 8, 266.

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schrift genannten Lösung nicht mehr. Sie ist als leer laufend zu betrachten. 45 In den betreffenden Fällen liegt schon gar kein Versuch vor. Sieht man darin eine „Mißachtung des Gesetzes“, so stellt sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines den Versuch derart ausweitenden Gesetzes. Bottke, der allerdings noch undifferenziert dabei den ganzen Bereich des bisherigen untauglichen Versuchs in den Blick nimmt, hat diese Frage schon aufgeworfen und einen Verfassungsverstoß bejaht. 46 Grenzt man sie auf die Fälle des ungefährlichen „Versuchs“ ein, so erhebt sich in der Tat der verfassungsrechtliche Einwand, daß bloßes Gesinnungsstrafrecht nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar ist. Darüber hinaus bedeutet es einen eklatanten Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, daß Fälle, bei denen nur grober Unverstand manifestiert wird und damit mangels fehlender Risikoschaffung gar kein Versuch vorliegt, mit einem Schuldspruch wegen Versuchs, gegebenenfalls sogar eines versuchten Verbrechens, belegt werden. Wie unverhältnismäßig das wäre, wird zusätzlich deutlich, wenn man einen solchen Schuldspruch näher konkretisieren würde: „A ist, weil er aus grobem Unverstand meinte, jemand durch eine ungefährliche Handlung töten zu können, des Versuchs des Totschlags schuldig.“ 47 Das Mindeste aber, was man de lege lata zu fordern hat, ist eine zwingende Opportunitätseinstellung nach § 153b StPO. Ob eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO oder nach dieser Vorschrift erfolgt, hängt in der heute vielfach juristisch ungeordneten Einstellungspraxis ohnehin oft vom Gutdünken der Akteure ab, so daß der Rückgriff auf § 153b StPO vielleicht bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers hinzunehmen wäre. 48 Um Widersprüche zu vermeiden, hätte man dabei sinnvollerweise das Merkmal „grober Unverstand“ dahin auszulegen, daß es alle Fälle des ungefährlichen „Versuchs“ abdeckt. 49 45

Vgl Hirsch, Fn. 3, 715 f.; Zieschang, Fn. 9, 149 f. Dagegen die h. M.; vgl. Tröndle / Fischer, Fn. 17, § 22, Rn. 42, § 23, Rn. 6; LK-Hillenkamp, Fn. 3, § 22, Rn. 92, § 23, Anm. 75; Roxin, Fn. 5, AT, Bd. II,§ 29, Rn. 57. 46 Bottke, Fn. 9, 142 und 161. 47 Herzberg, Fn. 8, 263, meint allerdings, daß der Verhällnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt sei. Dazu oben der Text bei Fn. 25 – 28. 48 Für eine zwingende Opportunitätseinstellung in Fällen des § 23 Abs. 3 StGB ließe sich zusätzlich anführen, daß schon der Gesetzgeber meinte, das Absehen von Strafe – mithin auch § 153b StPO – solle die Regel sein (BT-Drs V/4095, 12). Gegen eine solche Handhabung aber LK-Hillenkamp, Fn. 3, § 23, Rn. 71 f. Im übrigen wäre zu beachten, daß anders als bei § 153a StPO keine Sanktionen mit der auf § 153b StPO gestützten Einstellung zu verbinden sind. 49 Ausgehend von der subjektiven Theorie sollen nach BGHSt 41, 94 allgemein nur die Fälle darunter zu bringen sein, in denen „für jeden Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen“ der Irrtum „offenkundig, ja geradezu handgreiflich“ ist. Zu den demgegenüber für die konkrete Gefährlichkeit ausschlaggebenden weiteren und differenzierenden Maßstäben siehe oben den Text bei Fn. 36 –38. Im übrigen dürfte für „jeden Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen“ evident sein, daß die geringe Menge Insektenspray,

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Entscheidend ist, daß jemand, der gar nicht die tatstrafrechtlichen Voraussetzungen eines Versuchs erfüllt, nicht wegen eines solchen strafrechtlich verfolgt wird. Man vermißt bei einer vorwiegend positivrechtlich gestützten Verteidigung der subjektiven Theorie, wie sie Herzberg vornimmt, 50 etwas das Empfinden dafür, daß die Bejahung straftatbestandsmäßiger Versuchstäterschaft in den zur Erörterung stehenden Fällen eine völlig unverhältnismäßige Stigmatisierung des einzelnen Betroffenen bedeutet, die in ein rechtsstaatliches, am Tatprinzip ausgerichtetes Strafrecht nicht hineinpaßt. Dabei kann das deutlicher als in Herzbergs einleitenden Ausführungen seines Aufsatzes kaum zum Ausdruck gelangen. Er schreibt: 51 „Wer einen Nichtjuristen irreführen und später durch kundige Belehrung so recht verblüffen will, der schildere ihm einen drastischen Fall des untauglichen Versuchs und frage ihn nach der Strafbarkeit des Täters! ... Daß (in solchen Fällen) Straftaten begangen sein könnten, würden sie spontan und endgültig verneinen. In manchen Fällen ... käme ihnen wohl gar nicht der Gedanke an ein Versuchsdelikt. Ihnen erscheint es als selbstverständlich, daß man dann, wenn nichts passiert ist und nicht einmal etwas passieren konnte, den Täter nicht bestrafen dürfe. Aus dem Gesetz ergibt sich aber, daß der Richter dies sehr wohl darf, daß in allen ... Fällen der Täter oder die Täterin einen strafbaren Versuch begeht.“ Sodann heißt es: „Man mag aber in der spontanen Leugnung so etwas sehen wie ein volkstümliches Vernunfturteil.“ Gleichwohl spricht Herzberg sich vorbehaltlos für die subjektive Theorie aus. 3. De lege ferenda geht es um eine Klarstellung durch Präzisierung des § 22 StGB und die Streichung des überflüssigen § 23 Abs. 3 StGB. Das könnte in dem überfälligen Strafrechtsbereinigungsgesetz erfolgen, das die den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafrechts widersprechenden oder nicht mit notwendiger Klarheit entsprechenden Vorschriften, darunter verbliebene Reste des NS-Strafrechts, 52 sowie die in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten ständig angewachsenen gesetzestechnischen Unstimmigkeiten korrigiert. Dem § 22 StGB wäre die Fassung zu geben: „Eine Straftat versucht, wer seinen Tatentschluß durch ein Verhalten betätigt, das aus der Sicht eines objektiven Beobachters das Risiko, zur Vollendung zu führen, aufweist und ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes darstellt.“

die in dem vom BGH entschiedenen Fall verwendet worden war, zur Tötung eines Menschen nicht ausreichend ist. Kritisch zu dieser Entscheidung auch Radtke, JuS 1996, 878, 883; Bloy, ZStW 113 (2001) 76, 103. 50 Mehr noch bei denjenigen, die zwar von der sachlichen Bedenklichkeit dieser Theorie ausgehen, aber meinen, solange der Gesetzgeber nicht tätig werde, habe man Strafbarkeit zu praktizieren. 51 Herzberg, Fn. 8, 257. 52 Dazu Vogel, ZStW 115 (2003) 638, 640 ff. Auch Hirsch, Festschrift für Gössel (2002) 287, 300 f.

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VI. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die von der Gefährlichkeitstheorie vorgenommene Ersetzung des Begriffspaares „tauglich – untauglich“ durch das Gegensatzpaar „gefährlich (riskant) – ungefährlich“ keine Strafbarkeitslücken nach sich zieht, vielmehr die Mehrzahl der bisher unter die Rubrik „untauglicher“ Versuch gebrachten Fälle ebenfalls erfaßt. Allein diejenigen – selteneren – Sachverhalte werden aus dem Versuch ausgegrenzt, in denen schon ex ante betrachtet gar kein Risiko der Vollendung gegeben ist. Es verbleibt daher nur noch, auf einige von Herzberg und anderen angesprochene Sonderprobleme aus dem Bereich des „untauglichen“ Versuchs einzugehen. 1. Herzberg befaßt sich mit den Schwierigkeiten, die für die subjektive Theorie beim „abergläubischen Versuch“ entstanden sind. 53 Bildet nämlich die auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete (betätigte) Vorstellung den ausschlaggebenden Strafgrund, ist es nicht ganz einfach, die herrschende Auffassung, 54 daß es schon an der Tatbestandsmäßigkeit fehlt, folgerichtig zu begründen. Beispielsweise hat derjenige, der einen anderen totbeten will, einen Tötungswillen und die Vorstellung, den Tod des anderen in Gang zu setzen. Seine subjektive Energie kann sogar besonders groß sein, wenn der Betreffende sich ganz und anhaltend in sein Tötungsverlangen versenkt. Es gibt auch einige Autoren, die Tatbestandsmäßigkeit annehmen wollen. 55 Das kann indes offensichtlich nicht zutreffen, denn ein – dazu strafbewehrtes – Verbot des weltlichen Rechts, einen anderen nicht totzubeten zu versuchen, gibt es nicht. 56 Für die Gefährlichkeitstheorie drängt sich das sachentsprechende Ergebnis, daß die Tatbestandsmäßigkeit zu verneinen ist, demgegenüber auf, weil sie jedenfalls das Ansetzen zu einer konkret riskanten Handlung zum objektiven Versuchsbeginn verlangt. Aber es erhebt sich die Frage, ob nicht schon der Tatentschluß verneint werden muß, da sich ein z. B. auf Totbeten gerichteter Vorsatz schwerlich als Tötungsvorsatz einstufen läßt. Da der Vorsatz auf den objektiven Tatbestand gerichtet sein muß, kann inhaltlich nicht ein jenseits der irdischen Kausalgesetze liegendes Geschehen seinen Gegenstand darstellen. 57 Nun ist zwar auch in den Fällen des auf grobem Unverstand beruhen53

Herzberg, Fn. 8, 267 ff. Jescheck / Weigend, Fn. 4, 532; LK-Hillenkamp, Fn. 3, § 23, Rn. 50 f.; Eser, in: Schönke / Schröder, Fn. 4, § 23, Rn. 13 f.; Seier / Gaude, JuS 1999, 456, 460; mit weiteren Nachweisen. 55 Vgl Otto, AT 5 (1996) § 18, Rn. 57, 62 –64; ebenfalls noch Mitsch, in: Baumann / Weber / Mitsch, AT 10 (1995) § 26, Rn. 37 (anders jetzt AT 11 [2003] § 26, Rn. 36 ff.). Siehe auch Stratenwerth, Fn. 5, § 11, Rn. 61; Tröndle / Fischer, Fn. 17, § 23, Rn. 9. 56 Herzberg, Fn. 8, 268, spricht deshalb von einer „absurden Lösung“. 57 So auch Herzberg, Fn. 8, 269 (vor 2.), der einleuchtend auch in diesem Zusammenhang die von Teilen des Schrifttums vorgenommene Problemverknüpfung mit dem angeblichen Strafgrund des rechtserschütternden Eindrucks als unzureichende Begründung zurückweist. 54

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den „Versuchs“, z. B. der Annahme, daß die Einnahme saurer Drops ein taugliches Abtreibungsmittel sei, eine Fehlvorstellung bezüglich der Naturgesetze im Spiel. Aber der Unterschied besteht darin, daß der Wille sich auf die Herbeiführung des Erfolges mit Mitteln der realen Welt richtet, und insoweit geht es hier nicht um eine Vorsatzfrage, sondern ebenso wie beim Irrtum über die notwendige Quantität des eingesetzten Mittels erst um eine Frage der konkreten objektiven Gefährlichkeit des Ansetzens zur Tat. Es ergibt sich daher, daß hinsichtlich des abergläubischen Versuchs die Gefährlichkeitstheorie zu demselben Ergebnis gelangt wie die herkömmliche h.M., nämlich zur Verneinung des Vorsatzes und damit bereits des Tatentschlusses. 2. Ein zweites von Herzberg angeschnittenes Sonderproblem bildet die Frage „Versuch bei Untauglichkeit des Subjekts?“. 58 Bekanntlich stehen sich hier traditionell zwei Positionen gegenüber: die herrschende, die auf der Grundlage der subjektiven Theorie im Prinzip jede auf einem Sachverhaltsirrtum beruhende Tätervorstellung genügen lassen will, 59 und die der im Schrifttum verbreiteten Gegenmeinung, nach der ein Versuch mangels Normadressateneigenschaft des Handelnden nicht möglich sein soll. 60 Herzberg folgt – von seinem einseitig an der Vorstellung orientierten Versuchsverständnis her konsequent – der h.M., wobei er meint, es gehe nur darum, ob das Gesetz bei einer ein besonderes Tätermerkmal enthaltenden Strafbestimmung eine grundsätzliche Versuchsstrafbarkeit vorsehe oder nicht, sowie um die gesetzliche Formulierungsweise. 61 Für letzteres führt er unter anderem den umgekehrten Irrtum über das Tatbestandsmerkmal „fremd“ bei den Eigentumsdelikten an, also bei diesen die irrige Annahme der Eigentümerschaft. Dabei berücksichtigt er aber nicht den Unterschied, der darin besteht, daß das Merkmal „fremd“ eine Eigenschaft des Tatobjekts eines Jedermanndelikts beschreibt und es nicht um die besondere Inpflichtnahme von Eigentümern geht, 58

Siehe Herzberg, Fn. 8, 270 ff. Mitsch, in: Baumann / Weber / Mitsch, Fn. 55, AT 11, § 26 Rn. 30; JescheckIWeigend, Fn. 4, 535 f.; LK- Hillenkamp, Fn. 3, § 22, Rn. 230 ff.; Kühl, in: Lackner / Kühl, Fn. 33, § 22, Rn. 13; Eser, in: Schönke / Schröder, Fn. 4, § 22, Rn. 76; Wessels / Beulke, Fn. 4, Rn. 623; mit weiteren Nachweisen. 60 Welzel, Strafrecht 11 (1969) 194 f.; Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, 498; Hirsch, in ders. (Hrsg.), Deutsch-Spanisches Strafrechtskolloquium 1986, 1987, 47, 63; Jakobs, Fn. 5, 25/43; Schmidhäuser, AT StudB 2 (1984) 360 f.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung (1981) 305 f.; Zaczyk, Fn. 5, 268 ff.; AK-StGB-Zielinski (1990) §§ 15, 16, Rn. 35. Zur heutigen Auffassung von Stratenwerth, siehe Fn. 65 und den dortigen Text. 61 Herzberg, Fn. 8, 270 ff. Er führt aus, daß z. B. im Gegensatz zu der nur die Vollendung pönalisierenden Strafbestimmung des § 173 StGB, für welche die nur irrige Annahme, der Vater zu sein, nicht genügt, bei § 174 StGB durch die Anordnung der Versuchsstrafbarkeit in Absatz 3 eine zusätzliche Norm existiere, aus der sich „eindeutig“ ein Verbot auch für Fälle ergebe, in denen der Handelnde nur irrig glaubt, der leibliche Vater zu sein. Eine solche Wortfassungsjurisprudenz läßt jedoch beiseite, daß es bei der Versuchsproblematik der Untauglichkeit des Subjekts um ein Sachproblcm innerhalb, allgemeiner Versuchsregelungen geht. 59

Zur Behandlung des „Versuchs“ de lege lata und de lege ferenda

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wie es bei einem speziellen Tätermerkmal (auf das sich die Untauglichkeit des Subjekts bezieht) der Fall zu sein hätte. 62 Das Hauptargument der verbreitetsten Meinung unter den die h.M. ablehnenden Auffassungen lautet: Wenn nur bei objektivem Vorliegen des Tätermerkmals eine Verwirklichung des betreffenden Delikts möglich ist, also nur ein bestimmter Personenkreis zum Unterlassen des betreffenden tatbestandsmäßigen Verhaltens verpflichtet ist, dann kann die irrige Annahme einer Pflichtenstellung die objektiv nicht bestehende Pflicht nicht ersetzen. 63 Als Beispiel wird angeführt, daß derjenige, der das Amt des Testamentsvollstreckers (noch) nicht angenommen hat, nicht die Pflicht haben könne, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, und folglich sie auch nicht zu verletzen imstande sei. Eine neuere Auffassung ist um Differenzierung bemüht. Vogler will von einem (straflosen) untauglichen Täter nur bei „eigentlichen“ Sonderdelikten sprechen, worunter er solche versteht, bei denen die Täterqualität auf einem Rechtsakt beruht und sich nicht nur aus faktischen Verbindungen ergibt. 64 Aber das hieße, daß derjenige, bei dem sich das besondere Tätermerkmal auf eine durch ausdrücklichen Rechtsakt verdichtete Rechtspflicht stützen würde, z. B. auf eine Ernennung zum Amtsträger, besser gestellt wäre als diejenigen, bei denen sich die besondere Rechtspflicht nur aus faktischen Zusammenhängen, z. B. Ingerenz, abgeleitet wird. Das verkehrt die Gewichte. Stratenwerth meint, es wäre vielleicht danach zu unterscheiden, ob der Tatbestand, wie etwa bei den Amtsdelikten, eine besondere Pflichtenstellung voraussetzt oder nur eine bestimmte einzelne Pflicht, etwa die zur wahrheitsgemäßen Zeugenaussage, besteht. 65 Aber auch hierbei werden die Gewichte verschoben. Wieso derjenige, der mit einer dauernden besonderen Pflichtenstellung konfrontiert ist, besser gestellt sein soll als derjenige, der es nur mit einer aktuellen einzelnen Pflicht zu tun hat, ist schwer einsichtig. Denn beide trifft die besondere Verpflichtung, und von demjenigen, dem ihre Wahrung sogar dauernd und differenzierter auferlegt worden ist, wird eigentlich mehr erwartet als von dem nur im Einzelfall davon betroffenen Täter. Die um objektive Einschränkung der h.M. bemühten Auffassungen machen deutlich, daß die subjektive Theorie sich gerade bei den Fällen der Untauglichkeit des Subjekts als wenig befriedigend erweist. Betrachtet man diese Theorie als allgemeine Grundlage der Versuchslehre, ist die h.M. allerdings folgerichtig: den Ausschlag gibt der (betätigte) böse Wille, und er liegt vor, wenn jemand bei seinem Tun meint, den Sachverhalt des erforderlichen Tätermerkmals zu erfüllen. Dabei tritt nun aber hier besonders deutlich zutage, daß man Gesinnungsstrafrecht 62

Auf jenen Unterschied hat schon Welzel, Fn. 60, 195, hingewiesen. So bereits Welzel, Fn. 60, 195. Im Grundsätzlichen auch Stratenwerth, Fn. 5, § 11, Rn. 65 (siehe aber auch noch unten den nachfolgenden Text). 64 LK-Vogler, Fn. 2, § 22, Rn. 158 f. 65 Stratenwerth, Fn. 5, § 11, Rn. 66. 63

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betreibt. Da nämlich ein Delikt, das der Betreffende gar nicht begehen kann, in Rede steht, scheidet ein ihn treffendes Verbot zum Ansetzen zu einer solchen Tat von vornherein aus. 66 Auch die Modifikation der subjektiven Theorie durch die Eindruckstheorie würde nichts ändern, da das Kriterium „rechtserschütternder Eindruck“ ebensowenig wie sonst verwertbare Anhaltspunkte liefern könnte. 67 Geht man demgegenüber von der Gefährlichkeitstheorie her an die Problematik heran, so wird damit der Blick auf die objektiven Merkmale des Versuchs ermöglicht. Diese Theorie sieht – hier noch einmal erwähnt – nicht anders als beim tauglichen Versuch, d. h. den Normalfällen des Versuchs, den Strafgrund darin, daß der Normadressat seinen Tatentschluß dadurch betätigt, daß er zu einem Verhalten ansetzt, das aus ex ante-Sicht das Risiko der Tatbestandsverwirklichung aufweist. Der Normadressat selbst kann daher nicht einen Gegenstand des Versuchs bilden: Man kann sich nicht durch Irrtum dazu machen, sondern man muß es sein. Das führt nicht zu Strafbarkeitslücken, denn die Rechtsordnung legt die besondere Verpflichtung nur demjenigen auf, der deren objektive Voraussetzungen erfüllt. Wer das sachverhaltsmäßige Vorliegen nur irrig annimmt, ist noch nicht in den besonderen Pflichtenkreis eingetreten und kann deshalb in einem Tatstrafrecht kein Täter sein. Man muß allerdings die Grenzen zwischen Subjekt, Objekt und Tatmittel auch exakt ziehen. Nicht jeder Fall, bei dem von Untauglichkeit des Subjekts gesprochen wird, ist ein solcher. Zu den besonderen Tätermerkmalen gehören bekanntlich auch die Garantenstellungen bei den unechten Unterlassungsdelikten. 68 Bei ihnen wird im zur Erörterung stehenden Zusammenhang der folgende Fall diskutiert: 69 Der Vater erblickt vom Ufer des Sees aus ein Kind, das zu ertrinken droht. Obwohl er davon ausgeht, es handele sich um seinen Sohn, bleibt er untätig. Das fremde Kind ertrinkt. Während für die herrschende, von der subjektiven Theorie ausgehende Auffassung hier die Bejahung eines Versuchs keiner weiteren Erläuterung bedarf, andere dagegen unter Berufung auf fehlende Normadressateneigenschaft eine Strafbarkeit verneinen, bezweifelt eine dritte Meinung, daß es sich überhaupt um 66 Näher zum Einwand des Gesinnungsstrafrechts in solchen Fällen: K. Malitz, Fn. 5, 115 ff., 121, 157, 230 mit weiteren Nachweisen. 67 Stratenwerth, Fn. 5, § 11, Rn. 66. 68 Dazu, daß es sich bei den Garantenstellungen um besondere Tätermerkmale handelt und die unechten Unterlassungsdelikte damit sachlich Sonderdeliktscharakter haben, näher Armin Kaufmann, Festschrift für Klug, Bd. 2, 277, 284; Jescheck / Weigend, Fn. 4, 536; LKRoxin (1993) § 25, Rn. 206; Schlüchter, JuS 1985, 527, 529 f.; Stratenwerth, Fn. 5, Rn. 66 (jedenfalls soweit auf Rechtsakt beruhend); ders., Festschrift für Bruns (1978) 59, 67; K. Malitz, Fn. 5, 205 ff. mit weiteren Nachweisen (auch zum Streitstand). 69 Vgl LK-Vogler, Fn. 2, § 22, Rn. 151; Eser, in: Schönke / Schröder, Fn. 4, § 22, Rn. 91; Mitsch, in: Baumann / Weber / Mitsch, Fn. 55, AT, § 26, Rn. 5; Niepoth, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt (1994) 192; K. Malitz, Fn. 5, 25, 207 ff. mit weiteren Nachweisen.

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einen Fall der Untauglichkeit des Subjekts handelt. So schreibt Niepoth, daß hier nicht eine echte Sonderpflicht, sondern nur die allgemeine Unrechtsvoraussetzung einer Täter-Opfer-Beziehung in Rede stehe, denn die Untauglichkeit des Vaters als Subjekt beruhe auf dem Fehlen einer Schutzbeziehung zu dem tatsächlich gefährdeten Kind. 70 Diese Begründung ist jedoch zu unscharf, um die Einschlägigkeit der Kategorie „Untauglichkeit des Subjekts“ zu verneinen. Eine präzisere Erklärung findet sich bei K. Malitz. 71 Sie weist darauf hin, daß hier dem Grunde nach tatsächlich eine Garantenstellung des Vaters (in bezug auf sein eigenes Kind) gegeben ist und mithin auch ein Normappell vorliegt, der sich speziell an ihn richtet. Diese Garantenstellung wird, wie sie ausführt, lediglich in der konkreten Situation nicht tangiert. Genau genommen irrt sich der Garant im angeführten Fall also nicht über die seine Garantenstellung als solche begründenden Tatsachen, sondern er nimmt irrig ein Tatobjekt an, das seine bereits bestehende Garantenstellung akut werden läßt. 72 Hier geht es also darum, ob in der konkreten Lage aus ex ante-Sicht eines verständigen Dritten (dessen Informationsstand den des Vaters mit umfaßt) das Risiko bestand, daß das eigene Kind nicht gerettet wurde. Das dürfte in solcher Situation in der Regel der Fall sein. Es ist demnach zu beachten, daß es bei der Versuchsproblematik der Untauglichkeit des Subjekts nur um Fälle geht, in denen es sich um die Begründung der Garantenstellung als solche handelt – und diese fallen aus den genannten Gründen nicht unter den Versuchsbegriff. Erinnert man sich an die akzentuiert positivistischen Argumente, die Herzberg aus dem Wortlaut des § 22 StGB für die subjektive Theorie herleiten will, so verwundert es insoweit etwas, daß er hinsichtlich der Untauglichkeit des Subjekts der h.M. folgt, obwohl § 23 Abs. 3 StGB zwar die Untauglichkeit von Objekt und Mittel nennt, nicht aber die des Subjekts. Daß Fälle groben Unverstands hier zumindest ebenso möglich wären, bedarf keiner Erläuterung. 3. Die Unhaltbarkeit der subjektiven Theorie tritt schließlich noch besonders klar hinsichtlich des Unterlassens zutage. Da es in den Unterlassungsfällen um das Unterbleiben einer gebotenen Handlung, und zwar – bei den im Vordergrund stehenden unechten Unterlassungsdelikten um das einer gebotenen Erfolgsabwendungshandlung – geht, taucht mit dem Blick auf den Versuch die Frage der äußeren „Objektivation“ des Tatentschlusses auf. Wollen sich die Anhänger der subjektiven Theorie beim Begehungsdelikt mit einem (tatbestandsnahen) Tun von objektiv jedweder Art – also ohne objektiven Bezug zum Erfolgseintritt durch Schaffung eines diesbezüglichen Risikos – begnügen, legt man in der Literatur zum Unterlassungsdelikt dem Erfordernis der Objektivation vielfach ein materiel70 71 72

Niepoth, Fn. 69, 220 f.; ähnlich Zaczyk, Fn. 5, 270 f. K. Malitz, Fn. 5, 207 ff. K. Malitz, Fn. 5, 209. Vgl auch Zaczyk, Fn. 5, 270 f.

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les Verständnis zugrunde. Es wird auf den objektiven Eintritt oder die Steigerung einer Gefahrensituation für das geschützte Rechtsgutsobjekt abgestellt. 73 Denn ohne rechtsgutsbezogene Objektivation würde beim Unterlassungsversuch in aller Offenheit reines Gesinnungsstrafrecht betrieben werden. Bei der Gefahrensituation ist nun allerdings parallel zum Begehungsversuch nicht auf die Gefahrlage, in der sich das Tatobjekt befindet, sondern auf das Risiko, das aus ex ante-Sicht vom Nichterbringen einer Rettungshandlung für den Erfolgseintritt ausgeht, abzustellen. Denn beim Unterlassungsversuch geht es um den Beginn des gebotswidrigen Verhaltens, entsprechend zum Beginn der verbotenen Handlung beim Begehungsversuch. 74 Und das gilt nicht nur für den tauglichen, sondern ebenso für die als wirkliche Versuchsfälle einzuordnende Sachverhalte aus dem herkömmlichen Bereich des untauglichen Unterlassungsversuchs. Ohne das konkrete Risikoerfordernis läge außer dem Entschluß gar nichts vor, so daß ein Versuch schon von vornherein nur nach der Gefährlichkeitstheorie denkbar ist. 75 4. Es bestätigt sich also, daß nur die Gefährlichkeitstheorie ermöglicht, den Versuchsbegriff stimmig zu erklären und dem Tatstrafrecht widersprechende Überdehnungen des Strafrechts, die zu einer moralisierenden, gesinnungsstrafrechtlichen Vielstraferei führen, zu vermeiden. VII. Greift man abschließend noch einmal zur Kommentierung von Vogler, so wird einem sehr bewußt, welche Lücke dessen früher Tod gerissen hat. Seine Ausführungen bestechen durch umfassende Sachkenntnis, zuverlässige, nicht nur einseitige Dokumentation, Vornehmheit der Auseinandersetzung und gedankliche Qualität.

73

Über die Meinungen im einzelnen K. Malitz, Fn. 5, 116 ff. mit eingehenden Nachwei-

sen. 74 Dazu eingehend K. Malitz, Fn. 5, 180 ff., 200 ff. Zum Risikokriterium als Erfordernis für den Handlungsbeginn beim Begehungsdelikt näher Hirsch, Festschrift für Lenckner, Fn. 9, 134; ders., Fn. 3, 718 f. 75 So bereits K. Malitz, Fn. 5, 200 ff.

Die subjektive Versuchstheorie, ein Wegbereiter der NS-Strafrechtsdoktrin 2007 I. 1. Roland Freisler, Staatssekretär im Reichsjustizministerium und später Präsident des Volksgerichtshofs unseligen Angedenkens, hat 1935 in seinem einleitenden Beitrag zum Bericht über die Arbeit der damaligen amtlichen Reformkommission in bezug auf das nationalsozialistische Strafrecht geschrieben: 1 „Es leuchtet ein, daß ein Strafrecht, für das Ausgangspunkt wie Einwirkungsziel der Wille 2 des Täters ist, seine Haltung diesem gegenüber nicht deshalb ändern kann, weil dieser Wille sich eines untauglichen Mittels bedient oder sich als Opfer einen untauglichen Gegenstand ausgesucht (hat) ... Der Täter (ist) Feind der völkischen Friedensordnung geworden und muß daher das Strafrecht als den Kämpfer für diese Friedensordnung gegen sich auf den Plan rufen. ... Der nationalsozialistische Gesetzgeber freut sich, mit dieser, seiner Grundeinstellung entsprechenden Regelung zugleich dem Reichsgericht seinen Dank aussprechen zu können dafür, daß es jahrzehntelang gegenüber dem kritischen Ansturm fast der gesamten Wissenschaft hier eine Rechtsprechung aufgebaut und gepflegt hat, die ganz auf den Willen des Täters als Angriffsziel des Strafrechts abgestellt war 3 .“ Diese Bemerkungen Freislers zeigen zweierlei: Manche Wurzeln der subjektivistischen NS-Strafrechtsdoktrin liegen nicht erst am Anfang der 30er Jahre, sondern reichen schon bis ins 19. Jahrhundert zurück. Zweitens: Die Strafrechtswissenschaft bis zum Jahre 1933, der Freisler hier unbeabsichtigt seinen Respekt bekundet, stand mit großer Mehrheit der vom Reichsgericht vertretenen subjektiven Versuchstheorie ablehnend gegenüber. 1 Freisler, Willensstrafrecht; Versuch und Vollendung, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht. Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1935, S. 11, 35 f. 2 Hervorhebung schon im Originaltext. 3 Hervorhebung von mir. Auch findet sich bei Dahm, dem führenden Theoretiker der NS-Strafrechtsdoktrin, der Hinweis, daß die grundsätzliche Wendung zur Ausrichtung des strafrechtlichen Denkens auf den Willen schon in „Einzelergebnissen – namentlich in der Versuchslehre – der ... herrschenden Praxis entspreche“; vgl. Nationalsozialistisches und faschistisches Strafrecht, 1935, S. 18.

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Nach dieser Theorie soll es bekanntlich für die Tatbestandsmäßigkeit eines Versuchs genügen, daß jemand den Tatentschluß (Vorsatz, ggf. zuzüglich einer besonderen Absicht) in der Weise bestätigt, daß auf der Grundlage seiner Vorstellung von der Tat ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung gegeben erscheint. Von der nur historisches Interesse beanspruchenden rein subjektiven Versuchstheorie unterscheidet sich diese Form der Theorie dadurch, daß hinsichtlich des unmittelbaren Ansetzens zur vorgestellten Tatbestandsverwirklichung ein Verhalten vorliegen muß, das im Falle der Tauglichkeit den Beginn der tatbestandlichen Handlung dargestellt haben würde. Im heutigen Schrifttum ist wegen des insoweit anzulegenden objektiven Maßstabs teilweise mißverständlich von „objektiv-subjektiver“ oder „gemischt subjektiv-objektiver“ Theorie die Rede, 4 was jedoch, weil alles auf die subjektive Vorstellung projiziert ist, nichts daran ändert, daß es sich um die klassische Form der subjektiven Theorie handelt und immer so gesehen worden ist. 5 Von einer ganz oder zum Teil objektiven Versuchstheorie läßt sich erst dann sprechen, wenn objektiv eine konkrete Gefährlichkeit oder noch weitergehende objektive Voraussetzungen hinsichtlich der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale gefordert werden. 6 2. Die subjektive Versuchstheorie ist vom Reichsgericht seit dessen Anfängen vertreten worden. Die Grundsatzentscheidung – ein Urteil der vereinigten Strafsenate – findet sich bereits im 1. Band der amtlichen Sammlung. 7 Sie stand im Gegensatz zur Judikatur des preußischen Obertribunals, der herrschenden Auffassung in der Wissenschaft sowie den Regelungen der meisten ausländischen Rechtsordnungen. 8 Ihr engagiertester Vertreter war der Reichsgerichtsrat v. Buri, 9 der bekanntlich auch der verfehlten subjektiven Teilnahmetheorie den Weg in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geebnet hat. Zur Übernahme der subjektiven Versuchstheorie hieß es in RGSt. 1, 439 (441): „Darüber nun kann kein Zweifel aufkommen, daß im Versuche der verbrecherische 4 Siehe Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, 5. Aufl. 1996, S. 513 („objektiv-subjektive Theorie“) und Wessels / Beulke, Strafrecht AT, 36. Aufl. 2006, Rn. 594 („gemischt subjektiv-objektive Theorie“), m.w. N. 5 Dementsprechend wird von ihr herkömmlich auch von der subjektiven Theorie gesprochen; vgl. Mezger, Strafrecht. Ein Lehrbuch, 2. Aufl. 1933, S. 387 ff.; Große Strafrechtskommission, Referate und Diskussionsbeiträge zum Beratungsthema „Versuch und Vorbereitung“, Ndschr. Bd. II, 1958, S. 171 ff.; Schönke / Schröder-Eser, StGB, 27. Aufl. 2006, § 22 Rn. 63 ff. Die nur noch historisch interessierende Auffassung, nach der es auch für die Frage, ob das Stadium des Beginns der Ausführung erreicht ist, auf die subjektive Einschätzung des Täters ankommen sollte, läßt sich als rein subjektive Theorie bezeichnen. 6 Vgl. die Nachw. zu den objektiven Theorien unten Fn. 15 bis 21 und 56 bis 59. 7 RGSt. 1, 439, 441 ff. Seither st. Rspr.; vgl. 8, 198, 203; 17, 158; 70, 199; 76, 94, 96. 8 Vgl. die Angaben bei v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, AT, 26. Aufl. 1932, S. 310, und Mezger (Fn. 5), S. 377 und 388 f. 9 Siehe die folgenden Nachw. in Fn. 11 bis 13.

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Wille diejenige Erscheinung ist, gegen welche das Strafgesetz sich richtet, im Gegensatz zu dem in der Vollendung zu Tage tretenden aus dem verbrecherischen Willen hervorgegangenen rechtswidrigen Erfolge.“ Es sei mithin nicht irrig, zur Strafbarkeit des Versuchs „mehr nicht (zu erfordern), als daß die Handlung von dem Täter in der Vorstellung unternommen worden ist, sie werde zur Herbeiführung des beabsichtigen Erfolges führen.“ In den anschließenden Entscheidungen RGSt. 1, 451 und RGSt. 8, 198 wurde bekräftigt, daß dementsprechend sowohl der Versuch an einem absolut untauglichen Objekt als auch der mit absolut untauglichen Mitteln von der Versuchsvorschrift erfaßt sei. Denn beim Versuch im Gegensatz zur Vollendung sei nur die Vorstellung des Täters entscheidend. Weitergehend hieß es: Auch der unreale Irrtum genüge. Es sei ausreichend, wenn der Handelnde nur glaube, es handele sich um einen realen Gegenstand und wenn er in diesem irrigen Glauben seinen „verbrecherischen Willen“ durch eine nicht mehr bloß vorbereitende äußere Handlung an den Tag lege. 10 v. Buri hat damals in mehreren Aufsätzen die subjektive Theorie propagiert und sie gegen die im Schrifttum vorherrschende Ablehnung verteidigt: „Die Strafbarkeit (sei) hier lediglich in dem Dolus des Willens zu suchen; die bewiesene offene Feindschaft gegen das Gesetz, welche der dolose Wille zu erkennen gibt, soll bestraft werden, mag es auch zu einer Vergegenständlichung des abstrakten Verbrechensbegriffs nicht gekommen sein.“ 11 Der „in der objektiven Bedeutungslosigkeit des Versuchs enthaltene verbrecherische Wille (sei) ausschließlich das strafbare Element desselben.“ 12 Es dürfe nicht übersehen werden, daß „im Falle es gestattet wäre, seine ernstlich gemeinte Feindschaft gegen das Gesetz 10 In späteren Entscheidungen tauchte auch noch zusätzlich als positivrechtliches Argument der Umkehrschluß aus § 59 a.F. StGB auf: Wie nach dieser Vorschrift die Unkenntnis vom Vorhandensein eine Tatumstands des gesetzlichen Tatbestands zu Gunsten des irrenden Täters wirke, so finde der Irrtum „auch umgekehrt zu Ungunsten des Täters Beachtung wenn er zur Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Tatbestandserfordernisses führt“ (RGSt. 42, 92, 94). Daß diese Schlußfolgerung aber nicht zwingend war, wird deutlich, sobald man sich bewußt macht: Wenn § 59 a.F. (der inhaltlich mit § 16 Abs. 1 n.F. übereinstimmte) bei Unkenntnis von Tatumständen des gesetzlichen Tatbestands die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat verneinte, so hieß das nicht, daß sie bei irriger Annahme bereits vorlag, denn ihr Vorliegen ist von weiteren Voraussetzungen abhängig, ebenso wie ihr Nichtvorliegen auf anderen Gründen als jener Unkenntnis beruhen kann. Vgl. bereits die Kritik bei Binding, GerS (1917), 177, 322 f. 11 v. Buri, GerS 32 (1880), 321, 322. 12 v. Buri, GerS 32 (1880), 321, 365. Hierbei argumentierte v. Buri: Daß der Versuch eine objektiv tatbestandliche Seite nicht besitze, folge daraus, daß sobald man aus dem objektiven Tatbestand der Vollendung auch nur ein einziges der das Delikt charakterisierenden Merkmale wegnehme, „der Rest objektiv vollständig bedeutungslos werde“. Er verlange rechtliche Bedeutung nur dann, wenn man den in ihm enthaltenen verbrecherischen Willen heranziehe, so daß „mithin der in der objektiven Bedeutungslosigkeit des Versuchs enthaltene verbrecherische Wille ausschließlich das strafbare Element desselben sei“ (S. 365). So schrieb er auch an anderer Stelle, daß eine Theorie, die Subjektives und Objektives als Kriterium des Versuchs anwenden wolle, „schon darum nicht möglich sei,

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durch Handlungen zu betätigen, welche das Gesetz verletzen sollen, es um die Aufrechterhaltung desselben, infolgedessen aber auch um die Überzeugung der Gesamtheit ... schlimm bestellt sein würde“. In den von der subjektiven Versuchstheorie weitergehend als nach der objektiven Theorie erfaßten Fällen trete „diese Feindschaft gegen das Gesetz gerade so gut an den Tag“ wie in den unstreitigen, so daß die Strafbarkeit „ein unbedingtes Gebot der Notwendigkeit“ sei. 13 Es zeigt sich, daß hier auch bereits die Einstufung des Straftäters als „Feind“, die später von der NS-Doktrin übernommen wurde, 14 stark hervortritt. Daß die Wissenschaft sich bis zum Anbruch des Dritten Reiches – also über ein halbes Jahrhundert lang – fast ausnahmslos nicht der subjektiven Theorie angeschlossen hat, hängt damit zusammen, daß es darum ging, ob überhaupt ein Versuch der Tat gegeben ist oder nicht vielmehr nur ein eingebildetes Ansetzen zu einer solchen und damit ein Verstoß gegen das Tatprinzip vorliegt. Aus dem Chor der Stimmen seien hier nur die einiger namhafter Strafrechtler genannt: (a) Binding erhob den Vorwurf, daß nach der subjektiven Theorie die Vorstellung, welche den Inhalt des Willens bilde, „nicht ... wirklich die einer verbotenen Handlung“ sei, sondern sie werde in „vagster Weise mit der rechtsfeindlichen Gesinnung identifiziert und zugleich der Versuch ... als Manifestation jener Gesinnung für deliktisch erachtet“. 15 (b) Bei v. Liszt hieß es: Es „ergibt sich, daß die Gefährlichkeit der Willensbetätigung, d. h. ihre Eignung, die Verwirklichung der sämtlichen Tatbestandsteile, insbesondere den Erfolgseintritt, herbeizuführen, dem strafrechtlichen Versuchsbegriff wesentlich ist. Daraus folgt: „Der ungefährliche Versuch ist nicht Versuch, mithin nicht strafbar.“ 16 (c) Frank hielt der subjektiven Theorie entgegen, sie beachte nicht genügend, daß lediglich eine verbotene Handlung mit Strafe bedroht werden könne. Es müsse eine zur Herbeiführung des Erfolges an sich geeignete Handlung vorgelegen haben. 17 (d) Robert v. Hippel, dem die eingehendste Darstellung und Vertiefung der objektiven Versuchstheorie zu verdanken ist, gelangte zu dem Ergebnis, daß die weil sich Wille und Tat nur in der Vollendung decken“. Im Versuche hingegen bestehe stets eine Divergenz zwischen beiden, und man sei „daher genötigt, entweder das eine oder das andere Moment für maßgebend zu erachten“ (S. 325). Im übrigen bezeichnete er die subjektive Theorie hier auch noch ausdrücklich als „meine Theorie“ (S. 365). 13 v. Buri, ZStW 1 (1881), 185, 203. Weiterhin siehe ders., GerS 40 (1888), 503. 14 Zur Rolle in der NS-Doktrin siehe Freisler (Fn. 1), S. 15, 20, 22 f., 35, 37. 15 Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. I, 1885, S. 695; ders. (Fn. 10), 277 ff. 16 v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 21/22. Aufl. 1919, S. 199 f. 17 Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931, § 43 Fn. III (S. 90).

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subjektive Theorie des Reichsgerichts ebenso „vom Standpunkt des Gesetzes ... wie vom Standpunkt der Rechtsordnung überhaupt ... verfehlt“ sei. „Kriminalpolitisch (sei) er eine Übertreibung des Gedankens der Gesinnungsstrafe.“ Strafbar sei der – aus ex ante-Sicht – „objektiv-konkret gefährliche, straflos der ungefährliche Versuch“. 18 (e) Kohlrausch schrieb, daß eine Anerkennung der subjektiven Versuchstheorie die Entscheidung eines einstigen historischen Streits zwischen „Polizeistaatsund Rechtsstaatsanhängern zu Gunsten der ersteren“ bedeute. Die subjektive Theorie laufe auf die „Zerlegung des ganzen Strafrechts in zwei Teile: in ein rechtsstaatliches, auf objektive Tatbestände abgestelltes, Vollendungsstrafrecht und in ein polizeistaatliches, auf die Gesinnung abgestelltes, Versuchsstrafrecht“ hinaus. 19 (f) Mezger meinte: Wenn sich das Reichsgericht auf den verbrecherischen Willen des Täters als Strafgrund berufe, so übersehe es „das Wichtigste: daß aus rechtsstaatlichen Gründen dieser verbrecherische Wille nur dann als eine geeignete Grundlage der Bestrafung“ anzuerkennen sei, „wenn er sich tatbestandsmäßig ausgewirkt“ habe. „Die vermeintlich scharfsinnige, in Wahrheit irrende Logik v. Buris“ sei der reichsgerichtlichen Judikatur „nicht zum Heile geworden“. 20 (g) Eb. Schmidt betonte, daß es beim Versuch objektiv auf die „Gefährlichkeit der Handlung“ ankomme. Die subjektive Theorie verliere sich in einem grenzenlosen Subjektivismus. Er verwies auf die „rechtsstaatliche Funktion des Strafrechts“ und sprach sich für die damals bei den Anhängern der objektiven Versuchsauffassung verbreitete Lehre vom Mangel am Tatbestand aus. 21 3. Nach der NS-Zeit hat die Rechtsprechung gleichwohl an der subjektiven Versuchstheorie bis heute weiterhin festgehalten, 22 und auch unterblieb jahrzehntelang eine Rückbesinnung der Wissenschaft auf die bei ihr vor 1933 herrschende Ablehnung. 23

18

Rob. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. II, 1930, S. 424 ff. Kohlrausch, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, 1926, S. 3, 28 f. 20 Mezger (Fn. 5), S. 391. Einige Jahre später wandte er sich gleichwohl der subjektiven Auffassung zu unter Hinweis auf Erfordernisse des in der NS-Strafrechtsdoktrin vorgesehenen Willensstrafrechts; vgl. Mezger, Deutsches Strafrecht, 1936, S. 26 ff. 21 Eb. Schmidt (Fn. 8), S. 301 mit Fn. 7, 310 ff., 313. Weitere Schrifttumangaben zu der die subjektive Versuchstheorie vor 1933 ablehnenden Lehre bei v. Liszt / Schmidt (Fn. 8), S. 299 ff., 311 ff. Zur Lehre vom Mangel am Tatbestand vgl. auch noch besonders Graf zur Dohna, FS Güterbock, 1910, S. 35 ff. 22 Siehe BGHSt. 2, 74, 76 und 41, 94, 96. 23 Eine Ausnahme bildete Spendel, ZStW 64 (1953), 518, 521 ff.; ders., NJW 1965, 1881 ff.; ders., FS Stock, 1966, S. 89 ff., der sich jedoch keine Resonanz verschaffen konnte, weil er seine Kritik von einem einseitig objektivistischen allgemeinen Systemansatz aus vorbrachte. 19

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Hinsichtlich der Judikatur ist die Erklärung einfach: Da es sich um eine Rechtsprechung handelte, die sich bis in die Anfänge des Reichsgerichts zurückverfolgen ließ, war sie über jeden Verdacht erhaben, sie mit dem NS-Regime in Zusammenhang zu bringen. Die Möglichkeit, daß ältere Gedanken eine Wegbereiterrolle gespielt haben könnten, trat damals noch nicht ins Blickfeld. Bemerkenswerter ist die Erklärung dafür, warum die Wissenschaft nach 1945 nicht wieder an ihre vor 1933 eingenommene Oppositionsrolle angeknüpft hat. Aufschluß bietet die unter Teilnahme bedeutender Fachvertreter damals in den Beratungen der Großen Strafrechtskommission geführte eingehende Diskussion. 24 Im einleitenden Referat von Bockelmann 25 hieß es, daß der Streit zwischen objektiver und subjektiver Versuchstheorie „praktisch längst zu Gunsten der subjektiven Theorie entschieden“ sei. Die objektive Versuchstheorie sei als solche im Grunde genommen ... unzeitgemäß“. Man wisse heute, daß das Unrecht kein rein objektiv begründbares Phänomen bilde, vielmehr einen personalen Kern habe, dessen „Wesen in dem Abfall von den rechtlichen Gesinnungswerten“ bestehe. Dieses Abfallen verdiene schon da Strafe, wo es „in genügend deutlicher Weise manifest geworden ist, selbst dann, wenn es zu einer Verletzung oder auch nur zu der Gefährdung eines Rechtsguts noch nicht gekommen ist“. Das sei der Grund, der eigentlich die subjektive Theorie gegenüber der objektiven Theorie rechtfertige. Rechtsstaatliche Prinzipien seien damit gewahrt, daß „jener Abfall von den rechtlichen Gesinnungswerten“ nur dann eine Versuchsstrafe begründe, wenn er begleitet sei von der Vorstellung des Täters, daß er durch sein Tun eine Tatbestandsverwirklichung herbeiführe. Auch der Versuch stelle eine tatbestandsmäßige, „freilich eine nur subjektiv tatbestandsmäßige Handlung“ dar. In der anschließend in der Kommission geführten eingehenden Diskussion 26 zeigte sich ebenfalls, daß die Veränderungen, die sich in der Nachkriegszeit wissenschaftlich in der Unrechtslehre ereignet haben, auf die Beurteilung der subjektiven Versuchslehre durchschlugen. Aus der Überwindung des rein objektiven Unrechtsbegriffs der kausalen Unrechtslehre und dessen Ersetzung durch den personalen Unrechtsbegriff, nach dem der Tatbestandsvorsatz und die (generelle) Fahrlässigkeit bereits zum Unrecht gehören, schloß man, daß die subjektive Versuchslehre dieser Entwicklung entspreche. In der Diskussion sprach man sich daher mit großer Mehrheit für die subjektive Theorie aus. Während einige Teilnehmer dabei ausdrücklich Bockelmanns theoretischem Ausgangspunkt, es gehe um ein zu bestrafendes „Abfallen von den Gesinnungswerten“, gefolgt sind, knüpften andere an den „Handlungsunwert“ an.

24 25 26

Fn. 5, Ndschr. II, S. 171 ff. Fn. 5, Ndschr. II, S. 171, 174 f. Fn. 5, Ndschr. II, S. 191 ff.

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Besondere Beachtung verdient der Diskussionsbeitrag von Gallas, der deshalb hier wörtlich wiedergegeben werden soll. Gallas 27 meinte: „Der ... Gesichtspunkt, der Sinn der Bestrafung des untauglichen Versuchs liege in der Berücksichtigung der Symptomatik des Verhaltens des Täters für seine gefährliche Gesinnung, scheint mir eine Begründung für die subjektive Theorie zu sein, die zwar im Ausgangspunkt dieser Lehre durchaus eine Rolle gespielt hat, von der ein heutiger Gesetzgeber aber nicht mehr ausgehen sollte. Auch der von Bockelmann verwendete Gesichtspunkt des Abfalls von Gesinnungswerten zeigt eine gewisse Tendenz zu jener symptomatischen Auffassung. Wäre diese richtig, wäre also die subjektive Versuchstheorie wirklich im Sinne einer Gefährlichkeitssymptomatik (des Täters 28) aufzufassen, dann wäre sie m.E. unvereinbar mit dem, was wir bisher als Grundlage unseres kommenden Strafrechts vorgesehen haben, nämlich mit der Auffassung des Strafrechts als eines Tatstrafrechts. Die subjektive Versuchslehre stellt nach meiner Meinung heute nicht mehr die Hinwendung zu einem Gesinnungsstrafrecht, sondern die Konsequenz aus einer neuen Unrechtsauffassung dar, aus einem Übergang von der bloßen Erfolgsunwert- zu einer Handlungsunwertbetrachtung, die ihrerseits mit dem Finalismus zusammenhängt. Der Kern des strafrechtlichen Unrechts ist für uns nicht mehr mit der Rechtsgutsverletzung, sondern mit der Betätigung eines auf einen Deliktserfolg gerichteten Willens gekennzeichnet. Nur wenn man vom Erfolgsunwertgedanken ausgeht, kann man der Meinung sein, daß die Bestrafung des untauglichen Versuchs an die bloße Manifestierung einer bösen Gesinnung anknüpft. Vom Standpunkt des Handlungsunwerts aus ist auch der nur subjektiv gefährliche, also untaugliche Versuch ein rechtswidriges Handeln und nicht bloße Gesinnungsbetätigung, denn auch beim untauglichen Versuch hat der Täter einen Willen betätigt, der auf einen kriminellen Erfolg gerichtet ist. Entscheidend ist dann die weitere Konsequenz, daß die Beurteilung, ob der Wille auf ein kriminelles Ziel gerichtet gewesen ist und ob schon eine Betätigung des Willens vorgelegen hat, objektiv zu prüfen ist an Hand der Kriterien der Rechtsordnung. Es kommt nicht darauf an, ob der Täter den richtigen Schluß aus seinem Tatbild gezogen hat, sondern darauf, ob die Rechtsordnung dieses Tatbild als ein kriminelles ansieht und ob sie in seinem Tun schon einen Anfang der Ausführung erblickt.“ Soweit Gallas. In einen über die Veränderungen der Unrechtslehre hinausgehenden größeren Zusammenhang stellte Eb. Schmidt sein Votum für die subjektive Versuchstheorie. Hatte er sich in der 1932 erschienenen 26. Aufl. des v. Liszt’schen Lehrbuchs noch nachdrücklich gegen diese Versuchsauffassung gewandt, 29 sagte er nunmehr, 30 daß sich die Entscheidung des Theorienstreits „aus der gesamten Tendenz des 27 28 29 30

Fn. 5, Ndschr. II, S. 195. Eingefügt von mir. Vgl. oben I. 2. (g) und Fn. 21. Fn. 5, Ndschr. II, S. 191.

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Strafrechts“ ergebe. Die objektive Versuchstheorie komme seines Erachtens heute nicht mehr in Frage, weil inzwischen eine Weiterentwicklung erfolgt sei. Es lasse sich „doch nicht leugnen, daß die Persönlichkeit des Täters das Hauptobjekt ist, mit dem es das Strafrecht zu tun hat“. Daher bleibe nichts anderes übrig, als die subjektive Versuchstheorie heranzuziehen, bei der es darauf ankomme, „die akute kriminelle Gefährlichkeit eines in dokumentierten Handlungen sich offenbarenden verbrecherischen Willens des Täters zu erfassen“. Das Ergebnis war, daß der E 1962 von der subjektiven Theorie ausging, dementsprechend die bisherige Versuchsvorschrift, die inzwischen fast einhellig im Sinne der subjektiven Theorie interpretiert wurde, der Sache nach beließ, wie sie war – einschließlich der während des Dritten Reiches erfolgten Ersetzung der obligatorischen Strafmilderung durch eine nur fakultative –, und zur Vermeidung evident abwegiger Konsequenzen die Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe bei Fällen groben Unverstands vorsah. 31 Auch der AE beließ es bei der grundsätzlichen Ausrichtung auf die subjektive Theorie, schrieb aber eine obligatorische Strafmilderung vor und nahm die Fälle, bei denen infolge groben Unverstands von vornherein Ungefährlichkeit vorliegt, und die Fälle irriger Annahme einer besonderen Pflichtenstellung aus der Strafbarkeit aus. 32 Der neue Allgemeine Teil von 1975 folgte hinsichtlich der Fassung der Begriffsbestimmung (§ 22 StGB) im wesentlichen dem AE, hinsichtlich der Strafdrohung und der auszugrenzenden Fälle (§ 23 Abs. 2 und 3 StGB) dem E 1962. Im Schrifttum war man dann seit Ende der 70er Jahre bemüht, die subjektive Theorie wenigstens einzugrenzen, indem eine verbreitete Richtung sich dafür entschied, sie in der modifizierten Form der Eindruckstheorie zu vertreten. 33 31

Vgl. § 26 und § 27 E 1962. Im Dritten Reich war die obligatorische Strafmilderung des § 44 a.F. StGB durch VO v. 29. 5. 43 in eine Kann-Vorschrift geändert worden. Der Kommentar von Kohlrausch / Lange, 38. Aufl. 1944, § 44 Fn. 1, bemerkte zurückhaltend dazu: „Das RStGB ist damit unter allen StGBüchern das strengste geworden, strenger auch als das österr. von 1852, das (ebenso wie Bayern 1813, Preußen 1851, Italien 1930) bei Versuch die Todesstrafe und das lebenslange Zuchthaus ausschloß.“ Was den 1975 als § 23 Abs. 3 ins StGB aufgenommenen § 27 Abs. 3 E 1962 betrifft, handelt es sich nicht um eine Berücksichtigung der objektiven Theorien „durch die Hintertür“. Für eine objektive Versuchstheorie genügt nicht, daß kein Fall groben Unverstands vorliegt. Darüber hinaus läßt die Anwendung einer solchen Vorschrift unberührt, daß vom – tatbestandsmäßig-rechtswidrigen und schuldhaften – Gegebensein eines Versuchs ausgegangen wird. 32 Vgl. § 24 und § 25 AE, 2. Aufl. 1969, sowie die dortige Begründung S. 63. 33 Vgl. Schönke / Schröder-Eser (Fn. 5) Vor § 22 Rn. 22; Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, 7. Aufl. 1989, § 40 Rn. 40 ff.; Gropp, Strafrecht AT, 3. Aufl. 2005, § 9 Rn. 48 f.; Jescheck, in: Jescheck / Weigend (Fn. 4), S. 515; SK-StGB-Rudolphi, 20. Lfg. 1993, Vor § 22 Rn. 13, 14; Schünemann, GA 1986, 293, 311; Wessels / Beulke (Fn. 4) Rn. 594; u. a.

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Danach soll zwar von der herkömmlichen subjektiven Theorie auszugehen sein, aber als einschränkendes Erfordernis hinzukommen, daß das Verhalten geeignet ist, bei der Allgemeinheit einen Eindruck zu hinterlassen, der zu einer Erschütterung des Rechtsbewußtseins und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann. Erst in den 80er Jahren kam wieder eine objektive Theorie in den Blick. Die Anregung ging dabei vornehmlich von der Rechtsvergleichung und vom Ausland aus. 34 Dort hatte und hat die subjektive Versuchstheorie zumeist nicht Fuß gefaßt. 35 Anlaß zum Überdenken gab auch die Tatsache, daß die der deutschen Reform des Allgemeinen Teils zeitlich nachfolgenden ausländischen Strafrechtsreformen sich überwiegend für die Beibehaltung einer objektiven Versuchstheorie entschieden haben. 36

Für nicht modifizierte subjektive Theorie der Rspr. dagegen weiterhin: LK-Hillenkamp 11. Aufl. 2003, Vor § 22 Rn. 60 ff.; MüK-Herzberg, 2003, § 22 Rn. 33 ff., 47 ff., 61 ff.; § 23 Rn. 37 ff.; ders., GA 2001, 257 ff.; Kühl, Strafrecht AT, 5. Aufl. 2005, § 15 Rn. 41 ff., 90; Tröndle / Fischer, 54. Aufl. 2007, § 22 Rn. 42b; u. a. 34 Siehe die Diskussion bei der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung 1985; vgl. den Diskussionsbericht von Maier, ZStW–Beiheft 1987, 141 ff. Außerdem die Referate von Weigend und Naka, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 113, 126 ff. bzw. S. 93, 96 ff. sowie die Stellungnahmen von Hirano ebd. S. 83 und Hirsch ebd. S. 208. Auch Tae Hoon Ha, Die strafrechtliche Behandlung des untauglichen Versuchs, 1991, S. 50 ff. Inzwischen vertreten eine objektive Richtung: Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, S. 235, 328; NK-Zaczyk, 2. Aufl. 2005, § 22 Rn. 7 ff.; Vehling, Die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, 1991, S. 124, 141; Hirsch, FS Arthur Kaufmann, 1953, S. 545, 560 f.; ders., FS Roxin, 2001, S. 711, 712; Köhler, AT 1997, S. 457 f.; Rath, JuS 1998, 1111 f.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 137 ff., 148; Malitz, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, 1998, S. 179 ff., 198 f.; Bottke, WissFG BGH, 2000, Bd. IV, S. 135 ff.; Renzikowski, in: M. Kaufmann (Hrsg.), Wahn und Wirklichkeit, 2003, S. 309, 321 (differenzierend). Der Sache nach jetzt wohl ebenfalls Roxin, AT, Bd. II, 2003, § 29 Rn. 24, 27, 57 (der aber § 23 Abs. 3 StGB als entgegenstehend ansieht); die von ihm bislang vertretene Vereinigungstheorie verknüpft dagegen nicht zusammenpassende Aspekte. Eine objektiv restriktive Tendenz auch bei Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl. 1991, 25/36, und Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2004, § 11 Rn. 53 ff. 35 Vgl. die Versuchsregelungen oder deren Auslegung durch die Praxis etwa in Italien (Art. 56 Abs. 1, 49 Abs. 2), Japan (§ 43), den Niederlanden (Art. 45), Österreich (Art. 15 Abs. 3), Schweden (Kap. 23 § 1), Spanien (Art. 16, 62), der Türkei (Art. 35) sowie die nordamerikanische Judikatur (näher dazu Jescheck / Weigend [Fn. 4], S. 527 f. mit Rspr.Nachw.). Hierunter befinden sich auch Strafgesetze, auf die das deutsche Strafrecht sonst nicht ohne Einfluß gewesen ist. 36 Siehe Österreich (Art. 15 Abs. 3), Spanien (Art. 16, 62) und Türkei (Art. 35). Anders Polen (Art. 13 § 2) und wohl auch Rußland (Art. 30 Nr. 3).

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II. 1. Die im Hintergrund des Meinungsgegensatzes stehende Frage der Abgrenzung von Gesinnungs- und Tatstrafrecht hätte in Deutschland angesichts der Rolle, welche die subjektive Versuchstheorie für die NS-Strafrechtsdoktrin gespielt hatte, eigentlich in der Nachkriegszeit eine breite und in die Tiefe gehende Debatte auslösen müssen. Stattdessen ist sie auf die erwähnte Diskussion in der Großen Strafrechtskommission beschränkt geblieben. 37 Auch dem Bundesgerichtshof ist die Problematik nicht in den Blick gekommen. Es hieß nur in BGHSt. 2, 74, 76, daß der Angeklagte sich „nach der vom Reichsgericht entwickelten sog. subjektiven Lehre vom Versuch, die sich der Senat zu eigen macht“, wegen Versuchs zu bestrafen sei. 38 Da das Tatstrafrecht weltweit zu den Grundlagen eines entwickelten Strafrechts gehört, wiegt der Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts schwer. Diejenigen Vertreter der subjektiven Theorie, welche die Frage gesehen haben, sind deshalb bemüht, darzutun, daß es sich nicht um Gesinnungsstrafrecht handele. 39 Selbst bei der Begründung des die subjektive Theorie favorisierenden Regierungsvorschlags in der Großen Strafrechtskommission wurde indes angemerkt, daß der Einwand der Gesinnungsbestrafung „nicht ohne weiteres beiseite geschoben werden könne“. 40 Für die NS-Doktrin hatte dieser Punkt zusätzliches Gewicht, weil sie nicht nur für den Versuch die Erfordernisse der subjektiven Theorie genügen lassen wollte, sondern bereits für die Vollendung. Für diese sollte grundsätzlich schon der betätigte Wille des Täters genügen. Es hieß: „Bestraft wird demnach der Wille des Täters, nicht die Tat.“ 41 Die Frage, ob man beim Gesinnungsstrafrecht angelangt ist, stellte sich damit für die NS-Doktrin allgemein, während sie sich für ein grundsätzlich am Tatprinzip ausgerichtetes Strafrecht beim untauglichen Versuch als Teilbereich ergibt. 37

Siehe oben I. 3. Zur Ausnahme Spendels, siehe oben in Fn. 23. Und noch im Jahre 1995 hieß es in BGHSt. 41, 94, 96 lediglich: „Das Gesetz geht von der Strafwürdigkeit auch des untauglichen Versuchs aus; die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit ist Grund der Strafbarkeit.“ 39 So etwa Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 193. Auch Roxin beruft sich auf „Willensschuld“ und bemerkt dazu, daß der Täter nicht nur „seinen bösen Willen bewiesen, sondern diesen auch in Ausführungshandlungen umgesetzt“ habe. Für das Tatstrafrecht geht es indes um deren Inhalt, und ungefährliche Handlungen sind kein Beginn einer Tötung, Körperverletzung oder sonstigen Tatbestandsverwirklichung. Dazu in aller Klarheit Binding, Rob. v. Hippel, Kohlrausch (vgl. oben I. 2.); auch Lange hat die subjektive Theorie als einen „Fremdkörper aus dem Bereich des Gesinnungsstrafrechts“ bezeichnet ([Fn. 3] 43. Aufl. 1961, Vor § 43 Bem. III. 2.). 40 Vgl. die Begründung des Vorschlags durch Schwalm (Fn. 5), Ndschr. II, S. 187. 41 Freisler (Fn. 1), S. 18. Siehe ebenfalls v. Gemmingen, JW 1933, 2371 ff.; Dahm (Fn. 3), S. 17 ff.; Schaffstein, DStr 1935, 97, 102. Zum ganzen jetzt auch Hartl, Das nationalsozialistische Willensstrafrecht, 2000. 38

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2. Dem Bedenken, daß das Willensstrafrecht der NS-Doktrin auf Gesinnungsstrafrecht hinauslaufe, trat Freisler mit der Begründung entgegen: „Gesinnungsstrafrecht, das eine Äußerung des Willens oder – übersteigert ausgedrückt – gar der dem Willensentschluß zugrunde liegenden Gesinnung nur zu Zwecken des Beweises dieses Willens oder gar dieser Gesinnung nötig habe, daß aber nichts anderes als den Willen oder die Gesinnung bestrafen wolle“, sei nicht beabsichtigt. Das kommende Strafrecht halte sich „in Wirklichkeit von solchen Gedanken bewußt fern“. Das Willensstrafrecht an sich bedeute keine Erweiterung der Strafbarkeit, es bedeute „vielmehr die Kurseinstellung des Strafrechts“. Es gebe „dem Gestalter des kommenden Strafrechts und später dem, der aufgrund des gewordenen Strafrechts Recht sprechen wird, den Wegweiser ...“. 42 Indes, es kann dahinstehen, welche weiteren Voraussetzungen bei einzelnen Delikten in Betracht kommen sollten. Jedenfalls sollte nach dem Willensstrafrecht ausreichend für die Strafbarkeit sein können, daß die Voraussetzungen der subjektiven Versuchstheorie vorliegen. Es hieß bei Freisler: „In erster Linie soll der verbrecherische Wille des Täters ... und nicht der durch die Betätigung dieses Willens herbeigeführte Erfolg für das strafrechtliche Eingreifen des Staates maßgebend sein.“ 43 Wie Freisler meinte, ist von Gesinnungsstrafrecht dann zu sprechen, wenn eine Äußerung des Willens oder nur dem Willensentschluß zugrundeliegende Gesinnung genüge, man nichts anderes als den Willen oder die Gesinnung bestrafen wolle. Da er das „Strafrecht als Kampfmittel gegen den störungsbereiten Willen“ bezeichnete und außerdem schrieb, daß „bestraft wird demnach der Wille des Täters, nicht die Tat“, 44 liegen diese Kriterien genau gesehen aber schon nach seinen eigenen Worten vor. Das umso mehr, als Gesinnungsstrafrecht – eine akzentuierte Form des Täterstrafrechts – doch den Gegenbegriff zum Tatstrafrecht darstellt. Im Unterschied zu den in sich wenig stimmigen und zudem inkonsequenten Äußerungen Freislers bedürfen die in den Beratungen der Großen Strafrechtskommission vorgebrachte Argumente näherer Erörterung. Es geht vor allem um die Auffassung, daß sich die subjektive Versuchstheorie aus der personalen Unrechtslehre ergebe. Soweit dabei davon die Rede ist, daß Unrecht habe als personalen Kern den „Abfall von den rechtlichen Gesinnungswerten“ und dieses Abfallen verdiene Strafe, wenn es sich in genügend deutlicher Weise manifestiert habe, liegt dem jedoch eine Mißdeutung des personalen Unrechts zugrunde. Sie beruht auf der unglücklichen Formulierung von Welzel, wonach das Strafrecht „den wirklichen 42

Freisler (Fn. 1), S. 19. Hervorhebung von mir. Freisler (Fn. 1), S. 31. (Hervorhebung im Original). An anderer Stelle hieß es: „Inhaltlich wird die Straftat des kommenden deutschen Strafrechts in der Regel dort liegen, wo bisher der Versuch lag“ (S. 26), und dieser sollte i.S. der subjektiven Theorie zu bestimmen sein. 44 Freisler (Fn. 1), S. 18. 43

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betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung“ bestraft. 45 Denn rechtliche Gesinnung hat mit der Unrechtslehre nichts zu tun. Für das Unrecht des Delikts interessiert, was jemand im Widerspruch zu den Verboten oder Geboten herbeiführt, nicht allein schon die Dokumentation der Geisteshaltung des Betreffenden. Auch darf nicht übersehen werden, daß Welzel unter „wirklichem“ Abfallen den „wirklich betätigten“ Abfall durch Vornahme verbotener oder Unterlassen gebotener Handlungen verstand, so daß es auf deren Vorliegen ankommt. 46 Mit Recht hat Gallas deshalb jene Begründung zurückgewiesen. 47 Er lenkte stattdessen folgerichtig von der personalen Unrechtslehre her den Blick auf den von dieser Lehre vollzogenen Übergang zur Handlungsunwertbetrachtung und meinte: Indem der Kern des strafrechtlichen Unwerts nunmehr durch die Betätigung eines auf einen Deliktserfolg gerichteten Willens gekennzeichnet werde, sei vom Standpunkt des Handlungsunwerts aus auch der „nur subjektiv gefährliche, also untaugliche Versuch“ ein rechtswidriges Handeln und nicht bloße Gesinnungsbetätigung, denn auch beim untauglichen Versuch habe der Täter einen Willen betätigt, der auf einen kriminellen Erfolg gerichtet sei. 48 Diese Auffassung von Gallas dürfte derjenigen entsprechen, die bis heute – teilweise modifiziert durch die Eindruckstheorie – zumeist aus dem den Vorsatz bereits beim Unrechtstatbestand einordnenden personalen Unrechtsbegriff hergeleitet wird. 49 Aber was bedeutet eigentlich „Handlungsunwert“ nach dem personalen Unrechtsbegriff? Dieser Unrechtsbegriff besagt bekanntlich, daß die Handlung nicht, wie ehedem von der kausalen Unrechtslehre vertreten, allein schon in der objektiven Erfolgsverursachung besteht, sondern auch den entsprechenden Handlungswillen erfordert und dieser beim Vorsatzdelikt identisch ist mit dem Tatbestandsvorsatz. Die vollendete Handlung umfaßt danach auch den gewollten Erfolg und den zu seiner Verwirklichung führenden objektiven Sachverhalt. Dementsprechend hatte Welzel, der Begründer der personalen Unrechtslehre, auch den Handlungsunwert des vollendeten Delikts als einen Begriff verstanden, der den vom Vorsatz umfaßten Erfolgs- und Sachverhaltsunwert mit enthält. 50 „Handlungsunwert“ mutierte dann jedoch in Verbindung mit der Deutung als „Aktunwert“ zu einem vom Erfolgs- und Sachverhaltsunwert stets zu trennenden Begriff, der die betätigte Willensseite der Handlung betrifft, also zu Intentionsunwert 51 – wie 45 Welzel (Fn. 39), 2. Aufl. 1949, S. 2; so auch noch 11. (letzte) Aufl., S. 3. Kritisch dazu vom Standpunkt der personalen Unrechtslehre: Hirsch, GS Meurer, 2002, S. 3, 9 f. 46 Vgl. Welzel (Fn. 39), 11. Aufl., S. 2 und 5. 47 Fn. 5, Ndschr. II, S. 195. 48 Fn. 5, Ndschr. II, S. 195. 49 Vgl. LK-Hillenkamp (Fn. 33), Vor § 22 Rn. 67; Kühl (Fn. 33), § 15 Rn. 2; Schönke / Schröder-Eser (Fn. 5), § 22 Rn. 63; m.w. N. 50 Vgl. Welzel (Fn. 39), S. 6. Näher dazu Hirsch (Fn. 45), S. 4 ff., 9 f. 51 Vgl. insbesondere Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), S. 34, 50 f.; ders., FS Welzel, 1974, S. 393, 403, 411, und Rudolphi, FS Maurach, 1972, S. 51, 54 f., 64 f., 69, 70.

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das auch schon in der vorgenannten Argumentation von Gallas deutlich wird. Eine solche Subjektivierung ergibt sich jedoch sachlich nicht aus dem personalen Unrechtsbegriff. Aus ihm läßt sich nur ableiten, daß der Tatentschluß (Vorsatz) als subjektive Seite der Handlung, zu der angesetzt wird, bereits zum Unrechtstatbestand gehört. Für die personale Unrechtslehre geht es mithin darum, daß die Betätigung des Entschlusses den normwidrigen (materiellen) Beginn einer Tatbestandshandlung darstellt. In der Berufung der subjektiven Theorie auf den personalen Unrechtsbegriff spiegelt sich ein bis heute häufig mit diesem Begriff irrtümlich verbundener Subjektivismus wider, dessen Spuren wir auch an anderen Stellen der Strafrechtsdogmatik finden. Bei der personalen Unrechtslehre geht es nur darum, daß im Gegensatz zu der zuvor herrschenden kausalen Unrechtsauffassung durch die Berücksichtigung der Willensseite der Handlung der personale Bezug (Handlungsunwert) der Erfolgsverwirklichung zum Ausdruck gelangt. Die Erfordernisse der objektiven Seite des Delikts bleiben richtigerweise unverändert. Indem der personale Unrechtsbegriff vermeintlich zum Subjektivismus einludt, hat er strafrechtsdogmatisch leider die Büchse der Pandora geöffnet. 52 Die in der Großen Strafrechtkommission geäußerten Hinweise auf die neuere Unrechtslehre haben also die gegenüber der subjektiven Versuchstheorie auftauchenden Bedenken nicht ausgeräumt. 3. Das gilt auch für die Eindruckstheorie. 53 Denn sie ist nur eine Modifikation der subjektiven Theorie, weil im Unterschied zu den objektiven Theorien nicht auf ein Ansetzen zu einer konkret gefährlichen oder gefährdenden Handlung abgestellt, sondern nur eine Begrenzung der subjektiven Theorie unter sozialpsychologischen Aspekten vorgenommen wird. Es handelt sich bei ihr nur um eine Behelfskonstruktion, durch welche die subjektive Theorie mit strafrechtlichen Allgemeinbegriffen modifiziert wird. Im Schrifttum ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Eindruckskriterium einen Gesichtspunkt darstellt, der nicht versuchsspezifischer 52 Kritisch zu einem sich auf das Schlagwort „Handlungsunwert“ stützenden Subjektivismus: Hirsch (Fn. 45), S. 7 ff. Weitere Beispiele für die subjektivistische Fehlentwicklung sind die Lehre vom subjektiven Fahrlässigkeitsunrecht, die das Vorsatzunrecht, verneinende Richtung beim Erlaubnissachverhaltsirrtum und die alle Rechtfertigungsmerkmale einbeziehende Richtung innerhalb der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen. Von negativem Einfluß war auch, daß sich von der personalen Unrechtslehre eine Richtung abspaltete, nach der für das tatbestandliche Unrecht des vollendeten Vorsatzdelikts der beendete Versuch i.S. der subjektiven Versuchstheorie genügen sollte. Diese radikale Subjektivierung fand zwar keine größere Anhängerschaft, aber führte verbreitet zu dem fälschlichen Schluß, es handele sich daher um eine konsequente Weiterführung des Welzel’schen Systems. Das Willensstrafrecht der NS-Doktrin war inzwischen so sehr der – sachlich verdienten – Vergessenheit anheimgefallen, daß sich offenbar kein Vertreter jener Richtung der dogmatischen Nähe zu dieser Vergangenheit bewußt geworden ist. 53 Nachw. zur Eindruckstheorie oben in Fn. 33.

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Natur ist. Praktisch überall, wo es im Strafrecht um die Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten geht – also auch in Vollendungsfällen –, ließe er sich als allgemeinster Gesichtspunkt mobilisieren. 54 4. Aber wann ist die Grenze zum Gesinnungsstrafrecht überschritten? Sicherlich nicht erst dann, wenn gar keine konkrete äußere Manifestation gegeben ist. Das hatte sogar schon Freisler in seinen oben erwähnten Ausführungen konzediert. 55 Es geht vielmehr darum, ob schon eine dem Tatstrafrecht genügende objektive Umsetzung des Tatentschlusses vorliegt. Beim tauglichen Versuch ist von Versuch dann die Rede, wenn der Entschluß durch einen Anfang (unmittelbares Ansetzen zu) der tauglichen Ausführungshandlung betätigt worden ist. Wie verhält es sich beim untauglichen? Die objektiven Theorien haben sich schwer damit getan, ein überzeugendes objektives Kriterium zu benennen. Probleme hatten sie vor allem mit dem Gefahrbegriff sowie den Fällen der Untauglichkeit des Objekts. Die ältere objektive Theorie bestimmte den Gefahrbegriff bekanntlich aus der Sicht ex post und unterschied zwischen absolut und relativ untauglichem Versuch. 56 Dies führte nicht nur beim absolut untauglichen Versuch zu unbefriedigenden Strafbarkeitslücken, sondern war auch inkonsequent, da bei einer ex post-Betrachtung folgerichtig jeder Versuch als absolut untauglich anzusehen wäre. Auch die Lehre vom Mangel am Tatbestand war unbefriedigend, weil sie ausgehend von der Auffassung, das es sich bei der Unterscheidung von Vollendung und Versuch um den Gegensatz zwischen Verletzung und Gefährdung des konkreten Rechtsguts handele, bei Untauglichkeit des Objekts stets wegen Mangels am Tatbestand die Möglichkeit eines Versuchs verneinen wollte. 57 Sie war dem Einwand ausgesetzt, daß sie durch die unterschiedliche Behandlung von Tatmittel und Tatobjekt die Gleichwertigkeit der Unrechtserfordernisse unbeachtet ließ, außerdem zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken Umdeutungen von Fällen untauglichen Tatobjekts in solche untauglichen Tatmittels vornehmen mußte 58. Erst die auf v. Liszt zurückgehende neuere objektive Theorie eröffnete in der Fassung, die ihr Robert v. Hippel als „Gefährlichkeitstheorie“ gab, den Weg zu einer Lösung. 59 Indem diese Theorie auf die Gefährlichkeit abstellt, geht es darum, daß aus der Sicht ex ante eines am Standort des Handelnden gedachten verständigen Dritten, der den Tatplan 54

Vgl. zum vorhergehenden: Hirsch, FS Roxin, 2001, S. 711 ff. m.w. N. Siehe oben II. 2. 56 Nachw. zur älteren objektiven Theorie bei Mezger (Fn. 5), S. 392 und Maurach / Gössel (Fn. 33), § 40 Rn. 132 ff. 57 Nachw. zur Lehre vom Mangel am Tatbestand bei Mezger (Fn. 5), S. 392 ff. und v. Liszt / Schmidt (Fn. 8), S. 311 Fn. 3, 313 Fn. 7. 58 Siehe die Umdeutungen bei v. Liszt / Schmidt (Fn. 8), S. 311 Fn. 3. 59 Vgl. Rob. v. Hippel (Fn. 18), S. 417 ff., 425 ff. Zu den Ursprüngen bei v. Liszt, vgl. dens. (Fn. 16), S. 199 f. Die Bezeichnung als „Gefährlichkeitstheorie“ findet sich bei Rob. v. Hippel (Fn. 18), S. 417 Fn. 2, 418 Fn. 4, 425. 55

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des Täters kennt, eine Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Tatbestandsmerkmale verwirklicht werden. Die Friktionen, die sich aus einer ex post-Sicht des Gefahrbegriffs ergeben, sind mit ihr ebenso behoben wie die, die aus dem Abstellen auf die Gefährdung eines existenten konkreten Tatobjekts resultieren. 60 Wie aber läßt sich erklären, daß bei objektiver Betrachtung ein Versuch ohne vorhandenes konkretes Objekt möglich sein kann? Noch in der Großen Strafrechtskommission wurde die Meinung vertreten, daß vom Standpunkt einer objektiven Theorie die Gefährdung eines konkreten Tatobjekts, also ein in Gefahr geratendes konkretes Objekt, gegeben sein müsse. 61 Der Annahme, daß solange kein konkretes Gut bei der Tat vorhanden sei, ein solches nicht zu verletzen versucht werden könne, ist jedoch entgegenzuhalten, daß ein Versuch zwar auf ein konkretes Tatobjekt bezogen sein muß, also der Vorsatz auf ein solches gerichtet zu sein hat, aber zum Zeitpunkt des Ansetzens zur Ausführungshandlung hierbei hinsichtlich der objektiven Tatbestandsverwirklichung regelmäßig nur eine ex ante-Sicht möglich ist. Es handelt sich also darum, daß nach dem Urteil eines am Standort des Handelnden gedachten verständigen Dritten eine Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Täter sein tatbestandliches Ziel realisieren kann. Jede Tatbestandshandlung durchläuft zunächst das Stadium objektiver Gefährlichkeit in bezug auf die Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale. Es geht mithin um den materiellen Beginn der jeweiligen Verletzungshandlung, deren Inhalt vom Vorsatz bestimmt wird. Stellt sich hinterher heraus, daß das Tatobjekt gar nicht existierte, z. B. daß das vorgesehene Opfer der auf Tötung gerichteten Handlung bereits tot war, ändert das nichts daran, daß der Täter, wenn aus objektiver ex-ante-Sicht eine konkrete Eignung bestand, zu einer konkreten Tatbestandshandlung, im Beispiel: zu einer auf die vorgestellte Person gerichteten Tötungshandlung, angesetzt hatte. 62 Indem die Gefährlichkeitstheorie demnach besagt, daß es auf den Beginn der tatsächlichen Tatbestandshandlung ankommt, auf die der Tatentschluß (Vorsatz) gerichtet ist, hat man allgemein in der Versuchslehre nicht mehr zwischen tauglichem und untauglichem, sondern zwischen ex ante konkret gefährlichem Versuch und ungefährlichem „Versuch“ zu unterscheiden. 63 Mit dem Kriterium der (ex ante) Gefährlichkeit wird die Harmonie von Fällen tauglichen Versuchs und Fällen strafrechtlich relevanten untauglichen Versuchs hergestellt. 60 Während es bei der konkreten Gefährdung darum geht, daß ein konkretes Objekt in eine Gefahrlage geraten sein muß, handelt es sich, wie gesagt, bei der konkreten Gefährlichkeit der Handlung um das bei ex-ante-Sicht von Standort des Handelnden aus nach objektiven Maßstab einzuschätzende konkrete Risiko, das der Handlung anhaftet. Näher zu diesen Fragen: Hirsch, FS Arth. Kaufmann, 1993, S. 545, 548 ff., 557 ff.; ders., GS Vogler, 2004, S. 31, 38 f.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 52 ff. Zum Gefährlichkeitsbegriff siehe auch schon v. Hippel (Fn. 18), S. 425 ff. 61 Vgl. Schwalm (Fn. 5), Ndschr. II, S. 187 f. 62 Vgl. Rob. v. Hippel (Fn. 18), S. 429. Näher Hirsch (Fn. 54), S 719; ders. (Fn. 60), S. 36 ff. 63 Vgl. Rob. v. Hippel (Fn. 18), S. 425 und Hirsch (Fn. 54), S. 725.

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Damit ist auch dem Begriff des Versuchs genüge getan. Von seiten der objektiven Theorien war mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die subjektive Theorie nicht mit dem Begriff des Deliktsversuchs in Einklang steht, weil es bei ihr eben nicht um den Beginn einer wirklichen Versuchshandlung, sondern nur um die Einbildung einer solchen geht. 64 Die Gefährlichkeitstheorie bedeutet nicht, daß der Versuch in die Kategorie der Gefährlichkeitsdelikte – genauer: konkreten Gefährlichkeitsdelikte – verlagert wird 65 und damit Erklärungsbedarf hinsichtlich der Höhe der Strafdrohung auftaucht. Ganz abgesehen davon, daß die Anforderungen an das Vorliegen ja strenger als nach der subjektiven Theorie sind, wird durch die Gefährlichkeitstheorie gerade deutlich gemacht, daß es um den Verstoß gegen die das jeweilige Verletzungsdelikt (oder auch sonstige Delikt) verbietende Norm geht, indem sie auf den Anfang der aus subjektiver und objektiver Seite bestehenden verbotenen, auf Verletzung (oder sonstige Vollendung) gerichteten Handlung abstellt. Bestraft wird weder für sich allein der betätigte Tatentschluß noch die objektive konkrete Gefährlichkeit des unmittelbar ansetzenden Tätigkeitsaktes, sondern beides zusammen ergibt als Beginn der Tatbestandshandlung den Versuch des jeweiligen Delikts, z. B. den Beginn einer Totschlags- oder Mordhandlung. Der Versuch einer solchen Handlung ist evidentermaßen mehr als lediglich ein Gefährdungsdelikt. Deshalb ist auch die bloße – dogmatisch richtigerweise obligatorische 66 – Milderung des Strafrahmens des vollendeten Delikts sachentsprechend. Sobald man die Anforderungen, die von der Gefährlichkeitstheorie an die objektive Seite des Versuchs gestellt werden, außer acht läßt und wie die subjektive Theorie auch ungefährliche Betätigungsakte als genügend ansieht, ist die Grenze zum Gesinnungsstrafrecht überschritten. Gesinnungsstrafrecht liegt vor, wenn man wegen Versuchs (oder sogar wegen Vollendung wie in der NS-Doktrin) bestraft, ohne daß ein Anfang der betreffenden konkreten Deliktshandlung gegeben ist. Tatstrafrecht erfordert den Beginn der konkreten Ausführung der jeweiligen verbotenen Tatbestandshandlung, d. h. das unmittelbare Ansetzen zu einem Tätigkeitsakt, der als konkret gefährlich in bezug auf die Verwirklichung des Tatentschlusses einzuschätzen ist. 67 5. Wenngleich das die nach dem Tatstrafrecht folgerichtige Lösung ist, verbleibt noch die Frage, ob ein einheitliches Tatstrafrecht heute vielleicht überholt ist. Die oben erwähnte Stellungnahme Eb. Schmidts in der Großen Strafrechtskommission würde in diese Richtung weisen. 68 Er meinte, daß das Vordringen 64

Siehe oben v. Liszt (Fn. 16), S. 199 f. Siehe aber v. Hippel (Fn. 18), S. 418. 66 Gegen eine nur fakultative Strafmilderung, wie sie im deutschen Strafrecht dann gleichwohl 1943 unter dem Einfluß von subjektiver Versuchstheorie und NS-Strafrechtsdoktrin eingeführt worden ist, schon immer die Vertreter einer objektiven Theorie. 67 Vgl. zur Abgrenzung beim Versuch auch noch näher Hirsch (Fn. 54), S. 722 f. 65

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täterbezogener Aspekte nunmehr zu Gunsten der subjektiven Theorie spreche. Für die Ansicht Schmidts ließe sich anführen, daß derjenige, der den Entschluß zu einer Straftat faßt und diesen, wenn auch irrig umzusetzen meint, häufig jemand ist, vor dem sich die Rechtsgemeinschaft in acht zu nehmen hat. Jedoch obliegt dem Strafrecht nicht die Aufgabe, die Gesellschaft vor Personen zu schützen, die, ohne bisher einschlägige Delikte begangen zu haben, sie nur möglicherweise künftig begehen könnten. Die nötigenfalls erforderliche Prävention ist Sache des Polizei- und Ordnungsrechts, Jugendrechts udgl. Das Strafrecht befaßt sich mit den Rechtsfolgen begangener Delikte, und ein Delikt erfordert den Beginn der objektiven Verwirklichung. Das Tatprinzip ist, zumal in einem Rechtsstaat, keineswegs eine auch nur teilweise überholte Garantie. Es bildet ein Bollwerk gegen Übergriffe des Staates, das verhindern soll, daß die Voraussetzungen der staatlichen Strafbefugnis völlig unbestimmt und die Grenzen dieser staatlichen Befugnis in eklatanter Weise überschritten werden. 69 Solange nicht gegen Rechtsgüter anderer Personen oder der Allgemeinheit gerichtete Tatbestandsverwirklichungen realiter begonnen sind, liegt nichts vor, was der Staat zu ahnden hätte. 70 Wie schon erwähnt, betonte Gallas in der Großen Strafrechtskommission das grundsätzliche Einverständnis darüber, daß das deutsche Strafrecht vom Tatprinzip auszugehen hat. 71 Dieses Prinzip muß um so mehr im Blickfeld sein, weil es heute unter dem Einfluß der Präventionstheorien nicht unerheblich gefährdet ist. Zu gelten hat: Täterstrafrechtliche Gesichtspunkte – und als Ausschnitt daraus die Gesinnung des Täters – haben erst bei den Rechtsfolgen ihren Platz. Die Tat ist Voraussetzung dafür, daß das Strafrecht sich für die Täterpersönlichkeit als solche interessiert. 6. Wer die subjektive Versuchstheorie vertritt, unterscheidet nicht hinreichend zwischen den Anforderungen von Strafrecht und Moral. Darauf hat man schon frü68

Siehe oben bei Fn. 30. Vgl. v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. 2, 1905, S. 16. Im gegenwärtigen Schrifttum näher Köhler (Fn. 34), S. 26, und Hirsch, FS Lüderssen, 2002, S. 253 ff. 70 Gegen geschützte Rechtsgüter gerichtete Tatbestandsverwirklichungen können auch in Gefährdungs- und Gefährlichkeitsdelikten bestehen. Solche Vorverlegungen müssen jedoch, wenn es um Kriminalstrafrecht geht, unter Beachtung des ultima ratio-Prinzips sachlich begründet sein (näher dazu Hirsch [Fn. 69], S. 259 ff.). Ist in solchen Fällen bereits der Versuch des betreffenen Delikts pönalisiert, handelt es sich wie beim Versuch des Verletzungsdelikts darum, daß der Vorsatz in einer Weise betätigt sein muß, daß ein unmittelbares Ansetzen zu der realen, d. h. die Wahrscheinlichkeit der konkreten Tatbestandsverwirklichung aufweisenden Handlung gegeben ist. Anderernfalls liegt kein Versuch der verbotenen Handlung vor, sondern nur die Einbildung einer solchen. Im übrigen scheidet der Gedanke, daß man für die Fälle des ungefährlichen untauglichen „Versuchs“ eine eigenständige Kategorie abstrakter Gefährlichkeitsdelikte (mit anderer Bezeichnung und niedrigerem Strafrahmen) schaffen könnte, von vornherein aus, weil das Wesen abstrakter Gefährlichkeitsdelikte darin besteht, daß sie eine abstrakte Vertypung konkret gefährlicher Handlungen darstellen. Hier aber geht es nur um einen durch eine unrechtsneutrale Handlung betätigten bösen Willen; vgl. dazu Hirsch (Fn. 54), S. 722 f. 71 Gallas (Fn. 5) Ndschr. II, S. 195. 69

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her hingewiesen. 72 Derjenige, der einen ungefährlichen „Versuch“ begeht, verstößt wegen seines „bösen“ Entschlusses und dessen vermeintlicher äußerer Umsetzung gegen moralische Maßstäbe. Sein Verhalten ist sittenwidrig; es deutet auf eine nicht rechtstreue Gesinnung hin. Aber für das Strafrecht genügt das nicht; denn für dieses kommt es auch auf den Inhalt der äußeren Umsetzung an. Solange der Entschluß nicht zu einem Beginn der tatsächlichen Tatbestandsverwirklichung führt, nämlich kein Ansetzen zu einer in bezug auf den intendierten Erfolg konkret gefährlichen Tatbestandshandlung vorliegt, sind die Voraussetzungen für einen Deliktsversuch nicht gegeben. Das Verhalten des Handelnden verstößt deshalb auch nur dann gegen die betreffende Norm, z. B. das Verbot der vorsätzlichen Tötung, wenn der Betätigungsakt sich als Anfang einer aus objektiver ex anteSicht konkret gefährlichen Ausführungshandlung darstellt. 7. Die vorhergehenden Ausführungen machen deutlich, daß der Verzicht auf die subjektive Theorie keine unbilligen Strafbarkeitslücken zur Folge hat. Es werden nur diejenigen Fälle ausgeschieden, die jenseits der Grenzen des Strafrechts liegen. 73 Es wurde auch bereits darauf hingewiesen, daß die von der Gefährlichkeitstheorie vertretene strafrechtskonforme Lösung sich auch in den meisten ausländischen Strafgesetzbüchern findet – indem diese eine konkrete Eignung oder Gefährlichkeit der Versuchshandlung in bezug auf die Tatbestandsverwirklichung verlangen –, darunter gerade auch solchen, die erst nach der Reform des deutschen Allgemeinen Teils in Kraft getreten sind. 74

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Siehe Rob. v. Hippel (Fn. 18), S. 422; auch bereits Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen für Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 4. Aufl., S. 304 Fn. 6. 73 Also diejenigen, bei denen es um eine aus objektiver ex-ante-Sicht konkret ungefährliche Handlung geht. Daß sich nach Beginn die Untauglichkeit des Mittels oder des Objekts herausstellt, läßt dagegen das Vorliegen eines strafbaren Versuchs unberührt, wenn die Handlung aus ex-ante-Sicht gefährlich in bezug auf eine konkrete Tatbestandsverwirklichung war. Indem die Gefährlichkeitstheorie beim herkömmlichen tauglichen Versuch, d. h. den Normalfällen des Versuchs, den Strafgrund darin sieht, daß der Normadressat seinen Tatentschluß dadurch betätigt, daß er zu einem Verhalten ansetzt, das aus ex-anteSicht das konkrete Risiko der Tatbestandsverwirklichung aufweist, ergibt sich auch die sachentsprechende Lösung für die Fälle der Untauglichkeit des Subjekts: Der Normadressat selbst kann nicht einen Gegenstand des Versuchs bilden. Man kann sich nicht durch Irrtum dazu machen, sondern muß es sein. Das führt nicht zu Strafbarkeitslücken; denn die Rechtsordnung legt die besondere Verpflichtung nur demjenigen auf, der deren objektive Voraussetzungen erfüllt. – Zu weiteren Auswirkungen siehe Hirsch (Fn. 54), S. 727. Im übrigen weist v. Hippel (Fn. 18), S. 429 darauf hin, daß gefährliche Betätigungen des Tatentschlusses der häufigere, ungefährliche der weniger häufige Fall ist. 74 Siehe oben in Fn. 8, 35 und 36.

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III. Die Feststellung, daß die subjektive Versuchstheorie Gesinnungsstrafrecht darstellt und ein Wegbereiter der subjektivistischen NS-Strafrechtsdoktrin gewesen ist, könnte zu der Hoffnung Anlaß geben, daß der deutsche Gesetzgeber sich zu einer Angleichung der Versuchsvorschriften an internationale rechtsstaaliche Standards entschließt. Der Rspr. wäre sogar ein Umschwenken durch entsprechende Auslegung m.E. schon jetzt möglich. 75 Jedoch ist Skepsis angesagt. Der deutsche Gesetzgeber hat an Reparaturen des StGB offenbar wenig Interesse. Nicht einmal die bei der neueren Novellengesetzgebung zum Besonderen Teil, namentlich dem 6. StrRG, unterlaufenen zahlreichen handwerklichen Fehler sind korrigiert worden. Auch scheint das Bestreben, mit den strafrechtlichen Grundprinzipien in Einklang zu stehen, zunehmend hinter Pönalisierungsaktionismus und Inkaufnehmen mangelnder Gesetzesbestimmtheit zurückzutreten, wie das vom Bundestag verabschiedete Stalkinggesetz und das Festhalten an der in das StGB geratenen fragwürdigen Kategorie „Besonders schwere Fälle“ zeigen. 76 Und was die Rspr. betrifft, neigt sie eher zu Extension als zu Restriktion des Strafrechts. Wenn grundsätzliche Positionen ins Wanken geraten, vollzieht sich bei ihr, wie etwa die subjektive Teilnahmetheorie und beim dolus eventualis die Einwilligungstheorie veranschaulichen, zudem meistens ein nur schrittweise erfolgender und sich lange hinziehender Vorgang der juristischen Entrümpelung. 77 Bei der vorstehend erörterten Problematik kommt hinzu, daß die deutschen Strafjuristen heute vielfach Subjektivismus und täterstrafrechtliche Sichtweisen verinnerlicht zu haben scheinen. 78 Eine allgemeine Rückbesinnung auf die Grundlagen des 75 Vgl. Hirsch (Fn. 54), S. 715 f., 726 f.; ders. (Fn. 60), S. 41 f.; Zieschang (Fn. 60), S. 149 f. Anders die vorherrschende Ansicht, nach der das nicht ohne Gesetzesänderung möglich sein soll; vgl. LK-Hillenkamp (Fn. 33), Vor § 22 Rn. 92; Roxin (Fn. 34), § 29 Rn. 57; Tröndle / Fischer (Fn. 33), § 22 Rn. 42b; u. a. 76 Vgl. zum Stalkinggesetz (besonders noch zu dem Bundesratsentwurf) die kritischen Hinweise bei N. Gazeas, KritJ 2006, 247 ff. und zu den „besonders schweren Fällen“ die Kritik bei Callies, NJW 1998, 929 ff.; Hirsch, FS Gössel, 2002, S. 287 ff. und Zieschang, Jura 1999, 561, 563 ff. 77 Hinsichtlich der subjektiven Versuchstheorie drängt sich die Charakterisierung als „Entrümpelung“ um so mehr auf, als v. Buri neben dem moralisierenden Aspekt auch neben der Sache liegende Kausalitätsfragen geleitet haben (siehe seine Ausführungen in GerS 32 [1880], 321, 347 ff. und ZStW 1 [1881], 185, 195 ff.), wie es bekanntlich ebenfalls bei der subjektiven Teilnahmetheorie der Fall gewesen ist. 78 Es bedeutete zwar einen erheblichen wissenschaftlichen Fortschritt, daß man subjektive Unrechtserfordernisse erkannte (Einordnung des Tatbestandsvorsatzes, besondere subjektive Unrechtselemente, Handlungswillen der objektiv sorgfaltswidrigen Handlung bei der Fahrlässigkeit). Aber um strafrechtsfremde Dogmatik handelt es sich, wenn darüber die objektive Seite des Unrechts aus dem Blick gerät, sei es, daß das Strafrecht subjektivistisch erweitert (wie im Falle der subjektiven Versuchstheorie), sei es manipulierbar gemacht (wie nach der subjektiven Teilnahmetheorie), sei es sachwidrig bezüglich des

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Strafrechts und damit dessen Grenzen wäre notwendig. Sie hat auch schon Vogel in seinem auf der Strafrechtslehrertagung 2003 gehaltenen eindruckvollen Referat tendenziell angemahnt. 79 Es ist beeindruckend, wie sensibel die herrschende Richtung der deutschen Strafrechtswissenschaft bis zum Anbruch des Dritten Reiches noch gegenüber Überschreitungen der rechtsstaatlichen Grenzen des Strafrechts gewesen ist. Ich veröffentliche meinen Aufsatz ohne jegliche Illusion. Mir kommt es nur darauf an, einmal aufzuzeigen, wie weit man vom Weg abgekommen und in welche Nachbarschaft man dabei geraten ist.

Unrechtstatbestands verkürzt wird (wie bei der Lehre vom subjektiven Fahrlässigkeitsunrecht). 79 Vogel, ZStW 115 (2003), 638, 666, gerade auch unter Hinweis auf die Versuchs- und die Teilnahmelehre.

Zum Unrecht des fahrlässigen Delikts 2003 Ernst-Joachim Lampe, dem dieser Beitrag mit besten Wünschen zum 70. Geburtstag in alter Verbundenheit gewidmet ist, hat sich in zwei in der ZStW veröffentlichten Arbeiten mit Problemen des fahrlässigen Delikts befaßt. Es handelt sich um den im Jahre 1959 erschienenen wichtigen Aufsatz über „Täterschaft bei fahrlässiger Straftat“ 1 und die bedeutende Abhandlung über „Tat und Unrecht der fahrlässigen Delikte“ 2 aus dem Jahre 1989. Das in den beiden Publikationen zum Ausdruck gelangte starke wissenschaftliche Interesse des Jubilars an dem Problembereich veranlaßt dazu, in diesem Festschriftbeitrag auf den von ihm damals behandelten Fragenkreis zurückzukommen. I. Entwicklung und Problemstand Über die Struktur des Fahrlässigkeitsunrechts besteht bis in die Gegenwart keine völlige Klarheit. Die kausale Unrechtsauffassung ging davon aus, daß sich vorsätzliche und fahrlässige Delikte erst auf der Ebene der Schuld unterscheiden: Der Unrechtstatbestand sollte durch die Verursachung des Erfolges erfüllt sein (bei einigen Vorsatztatbeständen ergänzt durch ein tatbestandsspezifisches besonderes subjektives Unrechtselement, beispielsweise die Zueignungsabsicht beim Diebstahl). 3 Die vom Finalismus daran seit Anfang der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geübte Kritik richtete den Blick zunächst auf das Vorsatzdelikt. Er brachte mit der finalen Handlungslehre wieder in Erinnerung, daß zur menschlichen Handlung ein steuernder Wille gehört, beispielsweise zur Tötungshandlung der auf Tötung gerichtete Wille. Daraus ergab sich, daß beim Vorsatzdelikt der Vorsatz als Handlungswille bereits im Unrechtstatbestand zu berücksichtigen ist. Es erhob sich aber die Frage, wie dann das Unrecht des fahrlässigen Delikts erklärt werden soll, da bei diesem ja gerade ein auf den Erfolg gerichteter Wille fehlt. Ausgehend von der durch die kausale Unrechtslehre überkommenen Auffassung, 1

ZStW 71 (1959), S. 579. ZStW 101 (1989), S. 3. 3 Vgl. v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Bd. I, 26. Aufl. 1931, S. 161 ff.; Mezger, Strafrecht. Ein Lehrbuch, 2. Aufl. 1933, S. 108 ff. Soweit dabei vom Willen die Rede war, ging es nur um das Vorliegen eines Willensimpulses, nicht um den Willensinhalt; vgl. v. Liszt / Schmidt, a.a. O., S. 155; Mezger, a. a. O., S. 109. 2

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daß die objektive Seite des Unrechts von Vorsatz und Fahrlässigkeitsdelikt identisch sei, meinten die Finalisten zunächst, daß es bei letzterem im Unterschied zum Vorsatzdelikt nicht um wirkliche „Finalität“, sondern um „potentielle Finalität“ gehe. 4 Darunter wurde die mögliche „Finalität“, die den Erfolg vermieden hätte, verstanden. Das änderte sich, als Niese, der Lehrer des Jubilars, die seither von der vorherrschenden Richtung des Finalismus und der personalen Unrechtslehre vertretene Auffassung entwickelte, dass auch die Fahrlässigkeit an eine wirkliche finale Handlung anknüpfe und sich daher nicht nur auf der subjektiven, sondern auch bereits auf der objektiven Seite des Unrechts ein Unterschied von vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt ergebe. 5 Das Unrecht des fahrlässigen Delikts soll danach aus einer als objektiv sorgfaltswidrig zu bewertenden realen finalen Handlung bestehen, und an sie soll sich der auf ihr beruhende Erfolg anschließen. 6 Es ließ sich darauf hinweisen, daß eine solche Lösung schon in dem Buch von Engisch über „Vorsatz und Fahrlässigkeit“ 7 skizziert, wenn auch nicht dogmatisch ausgewertet worden war. Hinsichtlich der Rechtsnatur des Erfolgs beim fahrlässigen Delikt blieb damals unklar, ob er zum deliktischen Unrecht gehört oder ob er nur eine objektive Bedingung der Strafbarkeit darstellt. 8 In den 70er Jahren trat dann die Lehre von der objektiven Zurechnung auf den Plan. Ihre Anhänger sprechen sich wieder für die Identität des objektiven Tatbestandsunrechts von vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt aus. 9 Zur Verursachung des Erfolges sollen bei beiden Deliktsarten weitere objektive – positive oder negative – Gesichtspunkte hinzukommen, so die Hervorrufung eines unerlaubten Risikos und der Ausschluß der Zurechnung bei fehlender Gefahrschaffung, der Ausschluß bestimmter Fälle einverständlicher Fremdgefährdung, die Ausgrenzung nicht durch den Schutzzweck der Norm gedeckter Erfolge u. a. Diese Entwicklung war und ist begleitet von zahlreichen Debatten, die Teilprobleme betreffen, nämlich die Rechtsnatur des Erfolges, das Verhältnis von Sorgfaltswidrigkeit und Voraussehbarkeit, die Grenzen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit, die Einordnung der individuellen 4 Vgl. insbesondere Welzel, Strafrecht, 2. Aufl. 1949, S. 22 f., 85; zur Übereinstimmung von objektivem Tatbestand von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten dort S. 85 f. 5 Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951, S. 53 f., 58 ff., 64. 6 Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 3. Aufl. 1957, S. 8 f.; ders., Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961, S. 11 ff.; ders., Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 128 ff. 7 Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930. S. 277 f. 8 Siehe Welzel, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte (Fn. 6), S. 19 ff.; ders., Strafrecht (Fn. 6), S. 135 f. 9 Vgl. zu der auf Honig, FG Frank, Bd. I, 1930, S. 174 ff. zurückgehenden, heute verbreiteten Lehre von der objektiven Zurechnung insbesondere Roxin, FS Honig, 1970, S. 133 ff.; ders., Strafrecht Allg. Teil, Bd. I, 3. Aufl. 1997, § 11 Rn. 39 ff.; Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl. 1991, 7/35 ff.; Lenckner, in: Schönke / Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, Vor § 13 Rn. 91 ff.; m.w. N. Für Identität des objektiven Tatbestands von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten ausdrücklich Roxin, Allg. Teil, Bd. I, § 11 Rn. 44, § 24 Rn. 10 ff., und Yamanaka, ZStW 102 (1990), S. 928, 944; auch M. Fellenberg, Zeitliche Grenzen der Fahrlässigkeitshaftung, 2000, S. 96, 98.

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Vermeidbarkeit (sog. subjektive Fahrlässigkeit), die Einordnung der bewußten Fahrlässigkeit, den Pflichtwidrigkeitszusammenhang, die bewußte Selbstgefährdung etc. Es existiert inzwischen zu fast allen Aspekten der Fahrlässigkeit eine umfangreiche Literatur. Da hier nur die Grundlinien und die wichtigsten Probleme angesprochen werden können, muß leider darauf verzichtet werden, sämtliche literarischen Stellungnahmen anzugeben und allen Einzelfragen nachzugehen. 10 II. Zu den grundsätzlichen Lösungskonzepten 1. Die Unrichtigkeit der kausalen Unrechtsauffassung bedarf heute keiner näheren Begründung mehr. Daß die Verursachung des Erfolges nicht für sich allein Unrecht ergeben kann, ist eigentlich evident, und rückblickend wundert man sich, wie eine solche Auffassung sich überhaupt so lange halten konnte. Betrachtet man das fahrlässige Delikt, wird deutlich, daß erst dann, wenn ein Sorgfaltsverstoß vorliegt, von Unrecht die Rede sein kann. Kausal für den Erfolg sind eine Vielzahl von in der Vergangenheit liegenden Faktoren, ohne daß diese mit dem Unrecht der aktuellen Tat etwas zu tun haben. Darüber hinaus gibt es im Sozialleben nicht wenige Fälle, in denen jemand, der sich völlig im Einklang mit den Sorgfaltsanforderungen der Rechtsordnung gehalten hat, kausal für den Erfolg wird. Ein bekanntes Beispiel bildet der verkehrsgerecht fahrende Autofahrer. Daraus folgt nicht, daß dann, wenn ein sorgfaltsgemäßes Verhalten gleichwohl aktuell ein Rechtsgut bedroht, ein Notrecht entfallen würde. 11 Zwar ist mangels eines rechtswidrigen Angriffs keine Notwehrbefugnis gegeben, aber es verbleibt – mit seinen Abwägungen – rechtfertigender Defensivnotstand. 12 Die in der Art der Handlung bestehende Sorgfaltswidrigkeit bildet also das primäre Unrechtserfordernis des fahrlässigen Delikts. 13 Einen Irrweg bildet die Auffassung von der Fahrlässigkeit als potentieller Finalität. Sie war nur eine Verlegenheitskonstruktion in den Anfängen des Finalismus, die – wie gezeigt – darauf beruhte, daß man noch davon ausging, der objektive Tatbestand des vorsätzlichen und des fahrlässigen Delikts erschöpfe sich in der Verursachung des Erfolges. Sie verwandelt die Fahrlässigkeitsdelikte sachwidrig in Gebotsdelikte, nämlich Delikte, bei denen es der Täter unterlässt, die Vermeidungsfinalität zu bilden und damit den Erfolgseintritt zu verhindern. Die fahrlässigen Delikte sind aber im Normalfall ebenso wie die vorsätzlichlichen Delikte solche, die gegen ein Verbot verstoßen: Die Rechtsordnung verbietet bei 10 Umfassende Nachweise auf neuem Stand bei Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001. 11 Abw. Lampe, ZStW 101 (1989), S. 3, 18 mit Fn. 61. 12 Näher Hirsch, FS Dreher, 1977, S. 211, 222 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1994, § 34 Rn. 73 m.w. N. 13 Näher bereits dazu Welzel, Strafrecht (Fn. 6), S. 128 ff.

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ihnen ein Tun, und nur bei fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikten geht es um ein gebotenes Tun. Die zum fahrlässigen Delikt vertretene Diligenzpflichttheorie, die von einem allgemeinen Gebot ausging, ist bereits vor einem Jahrhundert überwunden worden. 14 In der Tradition der Auffassungen, die von der Identität der objektiven Seite des Unrechts von vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt ausgehen, bewegt sich ebenfalls die heutige Lehre von der objektiven Zurechnung. 15 Mit Recht hat diese Lehre zwar ins Blickfeld gerückt, daß sich auch der objektive Unrechtstatbestand des vorsätzlichen Erfolgsdelikts nicht in der Erfolgsverursachung erschöpft. 16 Jedoch begnügt sie sich bei beiden Deliktsarten damit, auf die Kausalität weitere Erfordernisse katalogartig aufzupfropfen. Die Lehre von der objektiven Zurechnung stellt der Sache nach eine weiterentwickelte Form der Relevanztheorie dar. Ein ihr als allgemeiner Zurechnungslehre gegenüber zu erhebender Haupteinwand aber ist, daß sie die objektiven Unrechtstatbestände von fahrlässigen und vorsätzlichen Delikten gleichsetzt und erst auf der Ebene des subjektiven Tatbestands einen Unterschied machen will. Denn beide unterscheiden sich schon elementar hinsichtlich des möglichen objektiven Tatzeitpunkts. Das Unrecht des Vorsatzdelikts beginnt erst mit dem Versuchsbeginn. Das Unrecht des fahrlässigen Delikts kann dagegen zeitlich erheblich früher liegen. Ein Architekt, der ein Haus fahrlässig so baut, daß bei einem einige Jahre später sich ereignenden Brand Menschen mangels Fluchtmöglichkeiten zu Tode kommen, hat durch seine Bauweise Fahrlässigkeitsunrecht begangen. Handelte er bei seiner Bauweise bewußt und in der Hoffnung, es werde irgendwann eine derartige Katastrophe eintreten, liegt demgegenüber noch kein Beginn des Versuchs einer Vorsatztat vor, da ein unmittelbares Ansetzen zu einem Mord nicht gegeben ist. Der objektive Ablauf ist ex ante betrachtet noch 14 Näher dazu Engisch (Fn. 7), S. 307 ff. Reste davon tauchen jedoch auch in der neueren Diskussion immer wieder auf. So schreibt Weigend, FS Gössel, 2002, S. 129, 136: „Die Verhaltensnorm, deren Verletzung Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach sich zieht, lautet also zusammengefaßt: Wenn erkennbarer Anlaß zu der Annahme besteht, du könntest durch dein Verhalten fremde Rechtsgüter beeinträchtigen, dann achte darauf und tue (bzw. unterlasse), was notwendig ist, um die Beeinträchtigung zu vermeiden.“ Zudem kann der Begriff „Sorgfaltswidrigkeit“ leicht in dieser Richtung mißverstanden werden, obwohl heute grundsätzlich Klarheit darüber herrscht, daß es in den Fahrlässigkeitsfällen ganz überwiegend schlicht um Zuwiderhandlungen gegen Verbote zu unterlassender Handlungen geht. Die Rechtsordnung interessiert sich allein dafür, daß die realisierte Handlung, die den Erfolg nach sich gezogen hat, nicht hätte vorgenommen werden dürfen, nicht dafür, wie der Täter sie umsichtiger hätte gestalten sollen. Der Begriff hat sich aber eingebürgert, und er ist unbedenklich, solange man das mit ihm Gemeinte im Auge behält. 15 Vgl. die Nachweise in Fn. 9. 16 Die personale Unrechtslehre und der ihr zugrundeliegende Finalismus hatten den Unrechtstatbestand der Vorsatztat – von periphären Fällen der Sozialadäquanz abgesehen – allein auf der Vorsatzebene einzugrenzen gesucht. Über die Möglichkeit (und Notwendigkeit) der Integrierung einschränkender objektiver Elemente in diese Lehre siehe Hirsch, FS Lenckner, 1998, S. 119, 132 ff., 141 f.

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zuwenig konkretisiert und auch dem Zufall überlassen, so daß es bei der Fahrlässigkeit bleibt. Identität des objektiven Unrechtstatbestands von Fahrlässigkeitsund Vorsatzdelikt scheidet mithin aus. 17 2. a) Von einer Differenzierung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten auch im Objektiven geht, wie erwähnt, demgegenüber die an die späteren Arbeiten Welzels anknüpfende vorherrschende Auffassung unter den Vertretern der personalen Unrechtslehre aus. Sie wählt die Verbotsnorm als Ausgangspunkt. Diese hat eine Handlung zum Gegenstand, und deren Umfang wird begrenzt durch den Handlungswillen. In diesem Zusammenhang ist noch einmal zu betonen, daß bloße Verursachungen nicht verboten werden können, sondern Gegenstand eines Verbots können nur willensgesteuerte Handlungen sein. Es geht im Falle des fahrlässigen Delikts um eine als sorgfaltswidrig zu bewertende (willentliche) Handlung, nämlich die dem Verbot unterfallende, in bezug auf den Erfolg riskante Handlung. Infolgedessen gehört der Erfolg beim fahrlässigen Delikt anders als beim vorsätzlichen Delikt nicht zur Handlung. 18 Vielmehr ist innerhalb des fahrlässigen Erfolgsdelikts bereits in objektiver Hinsicht zu differenzieren zwischen den objektiven Umständen der sorgfaltswidrigen Handlung, z. B. dem objektiven Überholen in der betreffenden unübersichtlichen Kurve, einerseits und dem dadurch hervorgerufenen Erfolg andererseits. 19 Man hat nun eingewendet, daß bei dieser Handlung der Inhalt der Finalität rechtlich keine Rolle spiele und sich deshalb beim fahrlässigen Delikt zeige, daß der „finale“ Handlungsbegriff nicht weiterführe. 20 Eine solche Behauptung beruht jedoch auf einer zu oberflächlichen Analyse des fahrlässigen Delikts. Der Handlungswille, also die „Finalität“, hat hier eine auch praktisch große Bedeutung. Denn durch ihn wird es überhaupt erst möglich, die Handlung zu bestimmen, die auf ihre Sorgfaltswidrigkeit hin geprüft werden soll. Es muß nämlich stets geklärt werden, welches willentliche Tun des Täters hätte unterbleiben sollen, und der Willensinhalt beeinflußt den Grad des Handlungsunwerts. Wenn beispielsweise jemand fahrlässig einen Todeserfolg herbeiführt, ist der Handlungsunwert von verschiedenem Gewicht, je nachdem, worin die sorgfaltswidrige (willentliche) Handlung bestanden hat. Sie kann darin liegen, daß jemand bewußt und gewollt auf der Gegenfahrbahn einer Autobahn gefahren ist, oder aber darin, daß jemand willentlich die betreffende 17 Näher dazu Hirsch (Fn. 16), S. 119, 138 ff. Auf die Verschiedenheit des zeitlichen Beginns wird auch in BGHSt. 42, S. 235, 236 f. hingewiesen. Wenn demgegenüber vorgebracht wird, das Fahrlässigkeitsunrecht dürfe erst zu dem für den Versuchsbeginn des vorsätzlichen Erfolgsdelikts geltenden Zeitpunkt beginnen (so M. Fellenberg [Fn. 9], S. 96, 98), wird übersehen, daß es bei fahrlässigen Delikten bereits um verbotene Risikohandlungen geht. 18 Näher dazu Hirsch, ZStW 94 (1982), S. 239, 240 ff., 251 ff.; ders., GS Meurer, 2002, S. 3, 7 ff., 16 ff., m.w. N. 19 Zur Differenzierung bereits im objektiven Tatbestand siehe auch Hirsch (Fn. 18), S. 16 ff. 20 So Jescheck, ZStW 93 (1981), S. 3, 16 f.; Jescheck / Weigend, Strafrecht Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 221 f. m.w. N.

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Fahrbahn benutzte, jedoch noch nicht erkannt hatte, daß es die Gegenfahrbahn war, oder – ein anderer Sachverhalt – darin, daß jemand einem Kind bewußt und gewollt eine geladene Pistole zu Schießversuchen in die Hand gegeben hat oder daß er sie in der irrigen Annahme, sie sei ungeladen, dem Kind nur für einen Augenblick zum Halten geben wollte. Auch tritt das Willenselement sehr deutlich hervor, wenn die sorgfaltswidrige Handlung gleichzeitig ein vorsätzliches abstraktes Gefährlichkeitsdelikt, beispielsweise eine Straßenverkehrsübertretung, erfüllt. Ein in einer verbotswidrigen Willenshandlung bestehendes Handlungsunrecht ist also auch beim fahrlässigen Delikt vorhanden. 21 Es ergibt sich daraus, daß eine Willenshandlung dem Täter angelastet wird, die als sorgfaltswidrig in bezug auf den eingetretenen Erfolg zu bewerten ist. b) Das Problem, das der vom Verbot ausgehende Ansatz aufwirft, ist die Stellung des Erfolges. Bleibt für diesen dann noch Platz im deliktischen Unrecht, oder ist er überhaupt nur so etwas wie eine objektive Strafbarkeitsbedingung? Das Problem hat zur Bekräftigung der erwähnten Auffassung beigetragen, daß die „finale“ Handlungslehre an der Fahrlässigkeit scheitere. Demgegenüber sollte man jedoch nicht unbeachtet lassen, daß die Stellung des Erfolges auch solche Autoren beschäftigt, die nicht von der „finalen“ Handlungslehre aus an die Fragen herangehen. 22 Die Auffassung, daß der Erfolg nur eine Art objektiver Strafbarkeitsbedingung sei, wird am zugespitztesten von der durch Armin Kaufmann begründeten Richtung vertreten. Sie will den Erfolg sogar beim Vorsatzdelikt nicht als Teil des Unrechtstatbestands verstehen. Das Deliktsunrecht soll sich danach allgemein im normwidrigen Tätigkeitsakt erschöpfen, beim Vorsatzdelikt daher im beendeten Versuch. 23 Demgegenüber ist jedoch anzuführen, daß die vollständige Handlung erst mit der Verwirklichung des Intendierten ihren Abschluß findet. Man hat die Handlung deshalb auch als Leistung charakterisiert, nämlich in dem Sinne, daß der Mensch, indem er das Kausalgeschehen seinem Willen 21 Welzel, Strafrecht (Fn. 6), S. 130 f.; Cerezo Mir, ZStW 84 (1972), S. 1033, 1043 f.; Hirsch, ZStW 93 (1981), S. 831, 857 ff.; Weidemann, GA 1984, S. 408, 409 ff. Das in der kürzlich erschienenen Monographie von Duttge (Fn. 10) verlangte eigene „Veranlassungsmoment“ läßt dies unberührt. Zu diesem Moment noch näher III. 2. 22 Siehe etwa Engisch (Fn. 7), S. 342; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 1988, S. 50 ff., 507 ff.; Maurach / Zipf, Strafrecht Allg. Teil Bd. I, 8. Aufl. 1992, S. 213 ff.; Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, 1981; Wolter, FS 140 Jahre GA, 1993, S. 269, 294 ff. 23 Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), S. 34, 50 f.; ders., FS Welzel, 1974, S. 393, 403, 411; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973, S. 118, 148, 231; Struensee, GS Armin Kaufmann, 1989, S. 523, 534 ff.; ders., ZStW 102 (1990), S. 21, 49; auch Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung, 1995. Im Unterschied zu diesem monistisch-subjektiven Unrechtskonzept wollen andere Autoren zwar das Erfolgsunrecht der Vorsatztat zum tatbestandlichen Unrecht zählen, es aber ebenfalls vom Handlungsunrecht trennen (dualistische Unrechtsauffassung bei der Vorsatztat), so im einzelnen Gallas, FS Bockelmann, 1979, S. 155, 159. Weitere Nachweise bei Lenckner, in: Schönke / Schröder (Fn. 9), Vor § 13 Rn. 56.

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entsprechend steuert, das von ihm Gewollte verwirklicht. Diese Leistung aber ist mißlungen, wenn der Handelnde das von ihm Gewollte nicht erreicht. Der Betreffende hat es dann nicht geschafft, sich das Kausalgeschehen in dem zur Realisierung seines Verwirklichungswillens notwendigen Maße zu unterwerfen; ihm ist es nicht gelungen, es seinem Willen entsprechend zu überdeterminieren. Die intendierte Handlung ist dann nur eine versuchte. 24 Die Beschränkung der Handlung auf den beendeten Versuch, also auf den bloßen Tätigkeitsakt, läßt sich auch nicht mit dem Argument begründen, daß der Täter zu diesem Zeitpunkt das Geschehen aus der Hand gebe und nun gewissermaßen dem Schicksal seinen Lauf lassen müsse. Denn der gewollte Kausalverlauf, den er vom beendeten Versuch bis zum Erfolgseintritt in Bewegung setzt, ist Teil des programmgemäßen Ablaufs des von ihm gesteuerten Geschehens. Von Zufall kann daher keine Rede sein. Vollends verfehlt ist es, wenn behauptet wird, das Handlungsunrecht des vorsätzlichen Delikts sei schon mit dem beendeten Versuch, wie er sich nach der subjektiven Versuchstheorie darstellt, vollständig erfüllt. 25 Es ginge dann nämlich, wie sich beim ungefährlichen untauglichen Versuch zeigt, überhaupt nur um die Meinung des Täters, eine Tathandlung zu verwirklichen. Die subjektive Versuchstheorie läuft auf Gesinnungsstrafrecht hinaus und steht daher im Widerspruch zum strafrechtlichen Grundprinzip des Tatstrafrechts. 26 Beim Vorsatzdelikt gehört also der tatbestandliche Erfolg, weil vom steuernden Willen umfaßt, mit zur Handlung. 27 Das Problem der Stellung des Erfolges betrifft daher allein das fahrlässige Delikt, weil bei diesem der Wille nicht auf die Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges gerichtet ist. Aber hier ist nun zu beachten, daß man zwischen unmittelbarem und mittelbarem deliktischen Unrecht zu unterscheiden hat. Während es beim unmittelbaren (primären) Unrecht um das Unrecht der Begehung der normwidrigen (verbotswidrigen) willentlichen Handlung geht, haben wir es bei Auswirkungen, die zwar ungewollt sind, in denen sich aber das Risiko der Handlung niederschlägt, mit zuzurechnendem mittelbaren Unrecht zu tun. Dieses begegnet uns bei Vorsatzdelikten im Bereich der Strafzumessung. In Fällen der erfolgsqualifizierten Delikte auch schon auf der Tatbestandsebene. Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten ist es in bezug auf den in der Strafbestimmung verlangten Erfolg bereits stets Teil des tatbestandlichen Unrechts. Es ist mit dem beim fahrlässigen Delikt in der sorgfaltswidrigen Handlung, einer riskanten Handlung, bestehenden verbotsbezogenen Unrecht, dem Handlungsunrecht, durch Zurechnungserfordernisse verbunden, die man als Pflichtwidrigkeitszusammen24 Näher zu diesen Fragen Hirsch (Fn. 18), S. 3, 10 ff. Dort auch zu der die Quelle vieler Mißverständnisse bildenden Gleichsetzung des Begriffs des Handlungsunwerts mit dem ethischen Begriff des Aktunwerts, S. 8 f. 25 So aber die in Fn. 23 zitierte monistisch-subjektive Richtung. 26 Näher Hirsch, FS Roxin, 2001, S. 711, 721 ff.; ders., FS Lüderssen, 2002, S. 253, 256 f. 27 Dazu im einzelnen Hirsch, ZStW 94 (1982), S. 239, 240 ff. m.w. N.

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hang bezeichnet. Das Unrecht der Fahrlässigkeitstaten ist daher im Gegensatz zu dem der reinen Vorsatztaten dualistisches Tatbestandsunrecht. Darin liegt kein Widerspruch, sondern die Verschiedenheit erklärt sich aus der unterschiedlichen tatbestandlichen Struktur. 28 3. Unklarheit ist auch hinsichtlich des im Fahrlässigkeitstatbestand bestehenden Verhältnisses von Sorgfaltswidrigkeit und Voraussehbarkeit zueinander zu beobachten. In der Judikatur und in einigen Lehrbüchern werden beide Gesichtspunkte häufig völlig getrennt, und zwar indem bei der Prüfung, ob der Unrechtstatbestand gegeben ist, zuerst eine abstrakte „Sorgfaltswidrigkeit“ festgestellt und sodann nach dem Vorliegen der konkreten Voraussehbarkeit gefragt wird. 29 Dabei ist jedoch übergangen, daß die Voraussehbarkeit herkömmlich dazu dient, die konkrete Sorgfaltswidrigkeit einer Handlung in bezug auf das tatbestandlich geschützte Tatobjekt zu ermitteln. Weder gibt es für alle Bereiche des Soziallebens rechtlich vertypte Verhaltensregeln, noch besagt der Verstoß gegen sie zwingend, daß im jeweiligen Fall eine Sorgfaltswidrigkeit hinsichtlich des geschädigten Gutes vorliegt. 30 Jedenfalls ist die objektive Voraussehbarkeit (zur anders gelagerten Problematik der individuellen Voraussehbarkeit noch im folgenden) daher ein konstitutives Element der Sorgfaltswidrigkeit, nicht aber ein neben dieser im Unrechtstatbestand stehender Gesichtspunkt. 31 Betrachtet man den Gesichtspunkt der objektiven Voraussehbarkeit genauer, zeigt sich, daß es bei ihm darum geht, die konkrete Riskantheit der Handlung (d. h. die aus objektiver ex ante-Sicht zu bestimmende Wahrscheinlichkeit, daß sich aus der Handlung ein Erfolg wie der eingetretene ergeben könnte) festzustellen. 32 Die Risikoeigenschaft genügt indes nicht etwa schon für sich allein, sondern zur Sorgfaltswidrigkeit bedarf es angesichts des von vielen zwangsläufigen Risiken durchsetzten Soziallebens auch der eingrenzenden Berücksichtigung rechtlicher und sonstiger sozialer Verhaltensregeln. 33

28 Näher dazu die Ausführungen zum fahrlässigen Delikt bei Hirsch (Fn. 18), S. 16 ff. Auch Lampe, ZStW 101 (1989), S. 3, 50 geht hier von einem Dualismus aus, indem er feststellt, daß die „Realisierung der Pflichtwidrigkeit“ von der Frage der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens zu trennen ist. 29 Siehe Jescheck / Weigend (Fn. 20), S. 577, 586 f. m.w. N. 30 Zu letzterem näher Lenckner, FS Engisch, 1969, S. 490, 498 ff.; Roxin, Allg. Teil I (Fn. 9), § 24 Rn. 14 ff.; Ida, FS Hirsch, 1999, S. 225, 229 ff., 238. 31 Welzel, Strafrecht (Fn. 6), S. 132 ff. 32 Wenn der Verf. in ZStW 93 (1983), S. 831, 860, davon gesprochen hatte, daß die Voraussehbarkeit eine „Eigenschaft der Handlung“ des fahrlässigen Delikts sei, besagte dies deshalb der Sache nach, daß es um eine Willenshandlung, die hier inhaltlich eine Risikohandlung (in bezug auf einen Erfolg wie den eingetretenen) ist, gehen muß. Mit Recht hat Struensee, JZ 1987, S. 53, 57, aber kritisiert, daß das Verhältnis zwischen Handlungswillen und Risiko dort noch nicht befriedigend beantwortet wurde (dazu näher im folgenden bei III. 1. b).

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4. In grundsätzlicher Hinsicht läßt sich zum Unrechtstatbestand des fahrlässigen Delikts daher festhalten, daß er aus einer sorgfaltswidrigen (Willens-)Handlung und einem darauf beruhenden Erfolg besteht. Infolgedessen unterscheidet er sich schon in objektiver Hinsicht vom Unrechtstatbestand des Vorsatzdeliktes. Während bei diesem auch der Erfolg, weil Teil des gewollten Geschehens, zum Handlungsunrecht gehört, steht er beim fahrlässigen Delikt außerhalb davon. Er ist eine Auswirkung (mittelbares Unrecht) des den Gegenstand des Verbots bildenden Handlungsunrechts (unmittelbaren, primären Unrechts). 34 Im Unterschied zu den Vorsatztaten geht es hier in bezug auf den Erfolg um eine echte Zurechnungsfrage: die der Zurechnung eines aus einem Handlungsunrecht entstandenen Erfolges. Hinsichtlich des Bedingungszusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg beim fahrlässigen Delikt hat die Lehre von der objektiven Zurechnung daher einen berechtigten Anwendungsbereich. Im übrigen spiegelt sich die schon objektive Verschiedenheit des Unrechts von vorsätzlicher und fahrlässiger Tat unter anderem darin wider. Daß das Handlungsunrecht des fahrlässigen Delikts zeitlich früher vorliegen kann, als es bei dem die Voraussetzungen des Versuchsbeginns erfordernden Handlungsunrecht des Vorsatzdelikts der Fall ist. 35 III. Einzelprobleme 1. a) Die Einordnung des Vorsatzes in den subjektiven Unrechtstatbestand durch die moderne Dogmatik hat die Frage entstehen lassen, ob sich daraus nicht als Konsequenz ergibt, daß bei der Fahrlässigkeit dann auch die individuelle Voraussehbarkeit zum Unrechtstatbestand gehört. Während die h. L. ihr erst einen Platz in der Schuld einräumt, wollen einige Autoren das annehmen. 36 Vom personalen Unrecht des Vorsatzdelikts her kann sich in der Tat dogmatisch die Überlegung aufdrängen, der dort zum Vorsatz erforderlichen individuellen Kenntnis sei bei 33

Näher Ida (Fn. 30), S. 232, 236 ff. Rechtliche und sonstige soziale Verhaltensregeln werden also in zweifacher Hinsicht bedeutsam: Die Einhaltung begrenzt trotz objektiver Voraussehbarkeit die Sorgfaltswidrigkeit, und der Verstoß gegen sie bildet ein Indiz, wenn auch kein zwingendes, für das Vorliegen von objektiver Voraussehbarkeit und damit Sorgfaltswidrigkeit. – In ungeregelten Lebensbereichen will Mikus, Die Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts, 2002, generell auf einen „Beurteilungsspielraum des Fahrlässigkeitstäters“ abstellen (S. 17 f., 171 ff.), was jedoch in solcher Allgemeinheit die Abgrenzung von Recht und Unrecht eher unschärfer machen dürfte. – Weiterführende Vorschläge zur Bestimmtheitsverbesserung siehe bei Schünemann, GS Meurer, 2002, S. 37, 59 ff. 34 So im Ergebnis wohl auch Lampe, ZStW 101 (1989), S. 3, 21 ff. 35 Vgl. oben die Ausführungen bei und in Fn. 17. 36 Stratenwerth, Strafrecht Allg. Teil, 1. Aufl. 1971, Rn. 1 164 ff.; 4. Aufl. 2000, § 15 Rn. 12 ff.; Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972, S. 48 ff., 55 ff.; ders. (Fn. 9), 9/8 ff.; Gössel, FS Bengl, 1984, S. 23, 35 f.; Weigend (Fn. 14), S. 142 f. m w. N. Näher Castaldo, GA 1993, S. 495 ff.

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der Fahrlässigkeit die individuelle Voraussehbarkeit (Erkennbarkeit) des Erfolgs in Parallele zu setzen – wie das ja auch die Finalisten zu Anfang meinten. Andererseits wird man den theoretischen Ausgangspunkt der personalen Unrechtslehre im Auge behalten müssen: Er besagt für sich allein nur, daß die verbotene Handlung nicht auf einen lediglich gewillkürten – das heißt durch einen beliebigen Willensimpuls ausgelösten – Kausalvorgang zu reduzieren ist, wie dies die kausale Unrechtslehre vertreten hat, sondern daß der Inhalt des Handlungswillens bei der Bestimmung der verbotenen Handlung Berücksichtigung finden muß. 37 Während dieser konkrete individuelle Handlungswille beim vorsätzlichen Delikt mit dem auf die Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz identisch ist, geht es bei der fahrlässigen Handlung um die Beachtung des konkreten, ebenfalls individuellen Handlungswillens der als sorgfaltswidrig zu bewertenden Handlung. Die Frage kann daher nur sein, ob sich aus der Fahrlässigkeitsnorm weitergehend ergibt, daß auch der Sorgfaltsmaßstab bereits auf der Unrechtsebene zu individualisieren ist. Man hat dafür angeführt, daß gelten müsse, „was beim Unterlassungsdelikt außer Frage steht: daß der Täter nämlich fähig sein muß, sich in der rechtlich gebotenen Weise zu verhalten“; „das Recht (könne) immer nur fordern, das Mögliche zu tun“. 38 Bei diesem Ansatz überrascht die Parallele zu den Unterlassungsdelikten und daß dementsprechend hier von „gebotener“ Sorgfalt und „gebotener“ Verhaltensweise gesprochen wird. Beim fahrlässigen Begehungsdelikt wird, wie die betreffenden Autoren an sich auch grundsätzlich annehmen, nicht gegen ein Gebot, sondern ein Verbot verstoßen. Zur Nichtbegehung der verbotenen (objektiv) riskanten Handlung ist der Handelnde aber allemal in der Lage. Darüber hinaus führt ein Vergleich mit dem Unterlassungsdelikt auch deshalb nicht weiter, weil es bei diesem auf der Unrechtsebene genügt, daß der Betreffende zur Vornahme der gebotenen Handlung physisch-real in der Lage ist. 39 Für die subjektive Lehre wird vor allem vorgebracht, daß der zur Erfolgsvoraussicht unfähige Täter sich nicht zur Erfolgsvermeidung motivieren könne. Die Norm müsse ein Verhalten fordern, das sich vom Vermeidemotiv bestimmen lasse. 40 Demgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß dahinter die heute allgemein abgelehnte radikale Imperativentheorie in ihrer Ineinssetzung von Unrecht und Schuld durchscheint. 41 Deren Anhänger hatten bekanntlich die Auffassung vertre37 Über den theoretischen Ausgangspunkt und die sich aus ihm ableitenden Folgerungen näher Hirsch (Fn. 18), S. 4 ff. 38 Stratenwerth (Fn. 36), 4. Aufl., § 15 Rn. 13. 39 Darauf hat bereits Schünemann, JA 1975, S. 511, 514, hingewiesen. 40 Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt (Fn. 36), S. 66. 41 Bereits kritisiert von Schünemann (Fn. 39), S. 511, 513 f., 516; ders., FS Schaffstein, 1975, S. 159, 163 ff.

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ten, daß sich die Normen an den zu ihrer Befolgung Tauglichen – denjenigen, der durch die Norm subjektiv motiviert werden kann – richteten, und hieraus die Unmöglichkeit der Trennung von Unrecht und Schuld abgeleitet. Diese Auffassung ist jedoch längst überwunden und nur noch von historischem Interesse. Daß das Zurückbleiben hinter objektiven Sorgfaltsanforderungen für die Normwidrigkeit der Handlung genügen muß, zeigt sich auch an folgendem: Objektive Sorgfaltsnormen sind als Standards gegenseitigen Verhaltens notwendig. Sie bezeichnen die Mindestanforderungen, an denen jeder sein Verhalten auszurichten hat. Dem Verhaltensunrecht ist, weil es um Unrecht geht, ein objektiver Maßstab wesensnotwendig. Die Verhaltensnormen müssen so beschaffen sein, daß die Rechtsgenossen sich gegenseitig daran orientieren können. Anderenfalls könnte der – insbesondere im Straßenverkehr bedeutsam werdende – Vertrauensgrundsatz nicht mehr aufrechterhalten werden. Ließe sich normentheoretisch erst bei der subjektiven Erfolgsvoraussehbarkeit ansetzen, wäre auch nicht zu erklären, wie die Fahrlässigkeitsnormen zivilrechtlich funktionieren sollen, denn das Bürgerliche Recht stellt ausdrücklich nur auf die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ (§ 276 BGB) ab und könnte seine Aufgabe sonst auch gar nicht erfüllen. Darüber hinaus entstehen für die subjektive Lehre Friktionen bei der Notwehr. 42 Der Unrechtsbegriff dient eben dazu, Verhalten der Rechtsgenossen zueinander zu regeln und zu bewerten. Sobald man ihn dieser sozialen Funktion entkleidet, wird auf einen zentralen Teil seines Wesensgehalts verzichtet. 43 Kürzlich ist demgegenüber vorgebracht worden, daß das im Zivilrecht geregelte deliktische Unrecht unberührt bleibe und es nur um zusätzliche Anfordrungen des strafbedrohten Unrechts gehe. 44 Eine individualisierende Lösung im Strafrecht lasse sich darauf stützen, daß die „Kennzeichnung eines Verhaltens als strafrechtliches Unrecht nicht das Resultat einer Abwägung zwischen den Interessen der beteiligten Privatpersonen“ sei, „sondern Stigmatisierung als sozial unerträgliches Fehlverhalten“. „Von einem Verstoß gegen die notwendigen Mindestregeln für das menschliche Zusammenleben“ könne bei „demjenigen keine Rede sein, der das ihm Mögliche (aber eben objektiv nicht Ausreichende) zur Voraussicht drohender Rechtsgutsgefahren getan hat“. Der Umstand, dass in den „hier kritischen Fällen strafrechtliches Unrecht verneint“ werde, bedeute nicht zwingend, daß der Verletzte „auch mit Schadensersatzansprüchen leer ausgehe“: Indem das Zivilrecht „mit 42

Diese Fragen sind nicht etwa nur technischer Natur. Näher dazu Hirsch, ZStW 94 (1982), S. 239, 270 ff. Zu dem von der Frage der Mindestanforderungen zu unterscheidenden Punkt, ob und ggf. inwieweit erhöhte individuelle Kenntnisse und besondere Begabungen den objektiven Sorgfaltsmaßstab erhöhen können, im einzelnen dort S. 273 ff. (differenzierend zwischen Sonderwissen sowie erforderlichen Spezialkenntnissen des jeweiligen Tätigkeitsbereichs [z. B. in bezug auf das Fachgebiet einer medizinischen Operation] einerseits und bloßen Möglichkeiten der individuellen Begabung andererseits). 44 Weigend (Fn. 14), 142 f. 43

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guten Gründen“ bereits an die Verletzung objektiver Sorgfaltsnormen anknüpfe, könne der Verletzte auch dann zivilrechtlichen Ausgleich erlangen, wenn der Schädiger mangels Verwirklichung von strafrechtlichem Fahrlässigkeitsunrecht im Strafprozeß freigesprochen werde. Wenn man jedoch auf solche Weise das strafbedrohte Fahrlässigkeitsunrecht einzugrenzen versucht, ändert sich am strafrechtlichen Gesamtergebnis nichts. Denn auch die h. M. verneint in den betreffenden Fällen die Strafbarkeit, da diese neben dem Unrecht stets auch die individuelle Schuld erfordert. 45 Das individuell Mögliche ist charakteristisch für die Schuldebene. Konsequenz jener Auffassung wäre daher, daß auch bei Vorsatzdelikten in Fällen fehlender Schuld bereits das Unrecht verneint werden müßte, weil es ebenso um das Fehlen der individuellen Möglichkeit der Befolgung der „objektiven“ Norm ginge und es hier dann ebenfalls nicht berechtigt sein würde, den Täter wegen sozial unerträglichen Verhaltens „zu stigmatisieren“. Was den Hinweis betrifft, daß strafbedrohtes Unrecht nicht das Resultat einer Abwägung zwischen den Interessen von Täter und Opfer sei, so ist das bezüglich Individualrechtsgütern wohl doch zu vereinfachend. Auch wenn das Strafrecht nur einen selektiven Schutz vorsieht – etwa im Verhältnis zum zivilrechtlich umfassend geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht – spielt die Frage notwendiger Stärke des Schutzes potentieller Opfer naturgemäß eine gewichtige Rolle für die Strafgesetzgebung. Dementsprechend erfolgt die Festlegung und Eingrenzung strafbedrohten Unrechts durch genuine Unrechtsmerkmale, insbesondere objektiver Art, nicht aber dadurch, daß man Schuldmerkmale als solche des Unrechts etikettiert und damit Unrecht und Schuld nivelliert. b) Hinsichtlich der subjektiven Seite des Fahrlässigkeitsunrechts findet sich ferner die Auffassung, daß bei der „Finalität“ des Verhaltens die Vorstellung des „Risikosyndroms“ erforderlich sei. 46 Nur dann sei der „Aktunwert“ gegeben. In diesem Zusammenhang ist auch von „subjektiver Sorgfaltswidrigkeit“ die Rede. Es handelt sich hierbei um ein Lösungsmodell der schon im vorhergehenden kritisierten subjektivistischen Richtung innerhalb des Finalismus, die mit dem strafrechtlichen Grundprinzip des Tatstrafrechts unvereinbar ist. Es geht im Fahrlässigkeitsunrecht wie auch sonst um die Willensseite einer (ganz oder teilweise) realisierten verbotenen Handlung, d. h. um die „Finalität“ der als objektiv sorgfaltswidrig zu bewertenden riskanten realen Handlung. 47 Besteht die 45 Daß Weigend (Fn. 14), S. 143 f., für das Unrecht besondere Fähigkeiten genügen lassen will, findet seine Grenzen an den objektiven Sorgfaltsanforderungen (Fn. 43), da hier strafrechtlich nicht Relevanz haben kann, was nach dem allgemeinen Deliktsrecht des Zivilrechts unbeachtlich ist. 46 Struensee, JZ 1987, S. 53, 57 ff., und S. 541 ff. 47 Näher dazu die oben in Fn. 21 zitierten Autoren. Berechtigt ist die Kritik von Herzberg, JZ 1987, S. 536 ff. an der Vernachlässigung der objektiven Seite durch das subjektivistische (intentionalistische) Handlungsunwertkonzept Struensees; sie ist jedoch insoweit zu weitgehend, als sie der Relevanz der objektiv und subjektiv vorliegenden Willenshandlung nicht hinreichend Beachtung schenkt.

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sorgfaltswidrige Handlung im Überholen in einer unübersichtlichen Kurve, so geht es also um die in bezug auf den an der betreffenden Stelle vorgenommenen Fahrvorgang notwendige „Finalität“ des Kraftfahrers. Nicht erforderlich ist, daß darüber hinaus ein ausdrückliches Risikobewußtsein und / oder eine Kenntnis von außerhalb der objektiven Seite der normwidrigen Handlung liegenden Umständen vorliegt. Daß der Handlungsunwert keinen solchen zusätzlichen subjektiven Befund verlangt, ergibt sich daraus, daß das Handlungsunrecht in der Begehung der dem Normbefehl widersprechenden Handlung besteht, hier daher in der als sorgfaltswidrig zu bewertenden konkreten Handlung. Im übrigen wird dies auch durch die vorsätzlichen abstrakten Gefahrlichkeitsdelikte bestätigt. Deren subjektiver Unrechtstatbestand erfordert lediglich den Vorsatz bezüglich der Verwirklichung der objektiven Merkmale der vertypten Handlung, ohne daß bei dieser Deliktsgruppe deshalb eine für das Handlungsunrecht ausreichende subjektive Tatseite vermißt wird. 48 Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten erhöhen sich die Anforderungen nur insoweit, als bei ihnen wegen der hier den Norminhalt bildenden konkreten Risikohandlung die objektiven Merkmale einer solchen (als konkret sorgfaltswidrig zu bewertenden) Handlung den Gegenstand des Handlungswillens bilden. 49 Die Fälle des Sonderwissens stellen hier kein Sonderproblem dar. Mit Recht ist auf sie als Bestätigung der Relevanz subjektiver Momente beim Handlungsunrecht des fahrlässigen Delikts hingewiesen worden. 50 Die sorgfaltswidrige Handlung wird im Normalfall danach bestimmt, welche (willentliche) Handlung aus der Sicht ex ante einer objektiven Maßstabperson des betreffenden Verkehrskreises konkret riskant in bezug auf einen Erfolg wie den eingetreten ist – nämlich daß sie voraussehbar die konkrete Möglichkeit eines solchen Erfolgseintritts aufweist 51 –, und eingrenzend finden normative Aspekte Berücksichtigung. 52 Bei Sonderwissen beantwortet sich die Voraussehbarkeitsfrage demgegenüber auf der Grundlage dieses Plus an Wissen, weil eine erhöhte Informationsbasis in der Tatsituation vorliegt, so daß in concreto ebenfalls eine riskante – und nach Berücksichtigung 48 Die heutige Kritik an den abstrakten Gefährlichkeitsdelikten (herkömmlich ungenau als abstrakte Gefährdungsdelikte bezeichnet) betrifft etwas anderes: nämlich ihre starke Verlagerung vom Ordnungswidrigkeitenrecht ins Kriminalstrafrecht sowie die Frage, ob diejenigen Fälle, in denen tatsächlich kein konkretes Risiko besteht (es also um bloßen Normungehorsam geht), überhaupt ins Kriminalstrafrecht gehören, vgl. Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 380 ff. m.w. N. 49 Die Risikohandlung des fahrlässigen Erfolgsdelikts unterscheidet sich von der Handlung eines konkreten Gefährlichkeits- oder Eignungsdelikts dadurch, daß bei ersterer der Handlungswille nur auf die objektiven Handlungsmerkmale der als konkret riskant einzuschätzenden Handlung gerichtet sein muß, während bei letzterer die konkrete Eignung (das konkrete Risiko) selbst ein vom Vorsatz umfaßtes Tatbestandsmerkmal bildet. 50 Siehe Struensee, JZ 1987, S. 53, 59. 51 Zur Rolle der objektiven Voraussehbarkeit für das Bestimmen des konkreten Risikos der Fahrlässigkeitshandlung siehe oben II. 3. mit Fn. 32. 52 Siehe dazu Ida (Fn. 30), S. 232.

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auch der normativen Aspekte – als sorgfaltswidrig zu bewertende Handlung gegeben ist. Der Handlungswille bezieht sich hier wie auch sonst auf die das Risiko anzeigenden Handlungsmerkmale (z. B. wenn das Sonderwissen eines Kraftfahrers Gleichgewichtsstörungen des von ihm überholten Radfahrers betrifft, auf die objektiven Risikomerkmerkmale eines den erforderlichen größeren Abstand nicht wahrenden Überholvorgangs). Beruht der tatbestandliche Erfolg auf einer auch schon ohne Sonderwissen sorgfaltswidrigen Handlung (z. B. bereits der Überholabstand ist nicht eingehalten), so führt das Plus an Wissen dazu, daß eine den Unrechtsgehalt erhöhende Risikokohandlung erfüllt ist, die sich im Inhalt des Handlungswillens ebenso wie dem ihrer objektiven Seite nur quantitativ vom Grundfall unterscheidet. c) Es verbleibt die Frage, wie die individuelle Voraussehbarkeit im Schuldbegriff zu verankern ist. Bei der Tatschuld geht es um die Möglichkeit der Unrechtskenntnis und die Möglichkeit, sich dieser Kenntnis gemäß zu motivieren. Für eine selbständige Rubrik „Individuelle Voraussehbarkeit des Erfolges“ ist daher kein Raum. Aber ist dieser auch als „subjektive Sorgfaltsverletzung“ bezeichnete Gesichtspunkt überhaupt begrifflich zutreffend erfaßt? Um was geht es eigentlich bei ihm? Die Antwort lautet: Der Täter kann nur schuldhaft gehandelt haben, wenn für ihn die objektive Sorgfaltswidrigkeit seines Handeins erkennbar war. Diese ist, wie wir gesehen haben, gleichbedeutend mit der Normwidrigkeit des fahrlässigen Delikts. Indem die objektive Sorgfaltswidrigkeit sich aus der objektiven Voraussehbarkeit der Möglichkeit des betreffenden Erfolgseintritts konstituiert, ist daher mit der individuellen Voraussehbarkeit die Möglichkeit des Täters gemeint, die objektive Sorgfaltswidrigkeit seines Handelns zu erkennen. Es geht folglich darum, daß für den Täter das konkrete Verbotensein und damit das Unrecht seines Handelns erkennbar gewesen sein muß. 53 Während zur vollen Schuld beim Vorsatzdelikt das Unrechtsbewußtsein gehört, genügt beim fahrlässigen Delikt, daß der Täter die objektive Sorgfaltswidrigkeit, und das heißt: das Unrecht, hätte erkennen können. Daß man beim fahrlässigen Delikt dabei auf eine konkretisierte Sorgfaltswidrigkeit abstellt, während es beim Vorsatzdelikt um die Kenntnis der typisierten Norm geht, erklärt sich damit, daß die Fahrlässigkeitsdelikte Generalklauseln sind und daher die objektive Sorgfaltswidrigkeit – als ebenfalls generalisierende Wertung – jeweils zu ermitteln und zu bestimmen ist. Diese dem Schuldbegriff entsprechende systematische Einordnung führt gleichzeitig zu einer terminologischen Begradigung. Anders als herkömmlich angenommen wird, 54 ist nicht zu unterscheiden zwischen einem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff des Zivilrechts und einem zusätzlich die „subjektive Sorgfalt“ erfordernden Fahrlässigkeitsbegriff des Strafrechts. Vielmehr ist der Begriff einheitlich für die 53

So bereits Welzel, Strafrecht (Fn. 6), S. 175. Über die herkömmliche Auffassung noch inhaltlich hinausgehend Lampe, ZStW 71 (1959), S. 579, 586 ff. 54

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gesamte Rechtsordnung auf die objektive Sorgfaltswidrigkeit beschränkt. Bei der sog. „subjektiven Sorgfalt“ handelt es sich um das im Unterschied zum Zivilrecht notwendige allgemeine strafrechtliche Schulderfordernis, daß der Täter die Möglichkeit der Unrechtskenntnis gehabt hat. 2. In einer jüngst erschienenen Monographie wird die Rolle des „Veranlassungsmoments“ betont: Dieses sei nicht lediglich ein Spezifikum der Leichtfertigkeit (groben Fahrlässigkeit), sondern der strafbaren Fahrlässigkeit insgesamt. 55 In der Tat setzt der jeweilige Normbefehl beim fahrlässigen Delikt eine objektiv erkennbare „Veranlassung“ zum Unterlassen der betreffenden Handlung voraus. Aber es bedeutet keinen Gewinn, die fahrlässigkeitsspezifische Verhaltensnorm dahin zu bestimmen, daß sie es untersagt, „trotz hinreichenden Warnsignals tätig zu werden“. 56 Denn das „hinreichende Warnsignal“ sind die Umstände, aus denen sich in der konkreten Situation die Riskantheit der Handlung ergibt, d. h. die Fakten, an die ex ante eine objektive Maßstabperson bei der Abschätzung der Voraussehbarkeit des Erfolges anknüpft. Auch wurde bereits betont, daß gerade im modernen Sozialleben zusätzlich normative Aspekte berücksichtigt werden müssen, so daß die Norm jeweils unter dem Blickwinkel der „Sorgfaltswidrigkeit“ zu bestimmen ist. 3. Ein weiteres Teilproblem bildet die Einordnung der bewußten Fahrlässigkeit. Genauer: Wohin gehört dogmatisch dieses Plus an Kenntnis? Bekanntlich bildet eine der dogmatisch diffizilsten Fragen die Abgrenzung von Dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit. 57 Wenn nun nach heute erreichtem Erkenntnisstand der Vorsatz und damit auch der Dolus eventualis bereits ein Problem des Unrechtstatbestands ist, dann auch die von ihm als Minus abzugrenzende bewußte Fahrlässigkeit. Die Lösung ist deshalb beim Inhalt der den Gegenstand des Normbefehls (Verbot) bildenden Handlung zu suchen, also der als sorgfaltswidrig zu bewertenden Handlung. Diese ist inhaltlich steigerungsfähig, ebenso wie wir es von den Vorsatzdelikten her kennen. Wie bei diesen zwischen abstrakt und konkret gefährlichen Handlungen (Risikohandlungen), konkreten Gefährdungshandlungen und Verletzungshandlungen objektiv und subjektiv abgestuft werden kann, 58 läßt sich bei den als sorgfaltswidrig zu bewertenden Handlungen abstufen 55

Duttge (Fn. 10), S. 386, 388, 495, passim. Es bilde den „Kern der Fahrlässigkeit“ (S. 495). Die Möglichkeit der Abstufung von Leichtfertigkeit und einfacher Fahrlässigkeit soll aber bestehen bleiben (S. 388). 56 So jedoch Duttge (Fn. 10), S. 495. 57 Zur Notwendigkeit, zwischcn Dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit zu differenzieren und nicht letztere dem Vorsatz zuzuschlagen, siehe näher F.-C Schroeder, in: LK (Fn. 12), § 16 Rn. 85 und 117. 58 Zu den Abstufungen zwischen abstrakten und konkreten Gefährlichkeitshandlungen sowie konkreten Gefährdungshandlungen siehe im einzelnen Hirsch, FS Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 557 ff. Anders: Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit, 1982, S. 334 ff.

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zwischen willentlichen Handlungen, bei denen der Täter kein Risikobewußtsein hat, und solchen, bei denen er sich des konkreten Risikos bewußt ist. Das wird auch deutlich, wenn man an abstrakte Gefährlichkeitsdelikte – also Delikte, bei denen eine gefährliche Handlung (Risikohandlung) gesetzlich vertypt ist – denkt, z. B. den Verstoß gegen eine Vorschrift des Straßenverkehrsrechts. Diese Delikte sind nur Abstraktionen von konkreten Gefährlichkeitsdelikten, also von Handlungen, bei denen vom Willen umfaßt aus der ex ante-Sicht das konkrete Risiko eines Erfolgseintritts besteht. 59 Es ergibt sich deshalb, daß wir es bei der bewußten Fahrlässigkeit mit derjenigen Gruppe sorgfaltswidriger Handlungen zu tun haben, bei welcher der Täter nicht nur die objektiven Umstände kennt, in denen das riskante Verhalten besteht, sondern er sich darüber hinaus des Risikos auch bewußt ist. Die bewußte Fahrlässigkeit läßt sich also schlüssig in das System des fahrlässigen Delikts einordnen. 4. Der Erfolg des fahrlässigen Erfolgsdelikts muß das Ergebnis der sorgfaltswidrigen Handlung sein. Es besteht heute Einmütigkeit darüber, daß dazu die Ursächlichkeit des Täters nicht genügt. 60 Ohnehin handelt es sich schon deshalb nicht um eine bloße Kausalitätsfrage, weil die Sorgfaltswidrigkeit eine normative Kategorie darstellt und daher, wie auch Lampe betont, 61 von einem Bedingungszusammenhang zu sprechen ist. Dieses als Pflichtwidrigkeitszusammenhang bezeichnete Bedingungsverhältnis läßt eine Problematik, die sich bei der Anwendung des Satzes In dubio pro reo ergibt, ins Blickfeld treten. Es tauchen nämlich immer wieder Fälle auf, in denen zwar die Ursächlichkeit für den Eintritt des Erfolges und auch Sorgfaltswidrigkeit nachgewiesen werden können, aber Zweifel bestehen, ob der Erfolg auf der Sorgfaltswidrigkeit der Handlung beruht. Während die herrschende Meinung in diesen Fällen unter Hinweis auf den In dubio-Satz freispricht, 62 will eine Schrifttumsmeinung, nämlich die Risikoerhöhungstheorie, 63 bekanntlich wie folgt vorgehen: Zwar sei trotz Sorgfaltswidrigkeit freizusprechen, wenn erwiesen ist, daß der Erfolgseintritt nicht auf der Sorgfaltswidrigkeit beruht. Aber in den Zweifelsfallen sei eine Verurteilung dann möglich, wenn der Erfolgsverursacher bei seiner 59 Näher dazu Hirsch (Fn. 58); außerdem ders., Strafrechtliche Probleme, 1999, S 623 ff. (= ders., FS Buchala, 1994, S. 15 1 ff.). 60 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 20), S. 577 ff., und die dortigen Nachweise von Rechtsprechung und Schrifttum. 61 Lampe, ZStW 71 (1959), S. 579, 598 ff. erläutert dort im einzelnen den Unterschied von Kausalitätsfragen und Bedingungszusammenhang. 62 BGHSt. 11, S. 1, 3 f.; 21, S. 59, 61; 24, S. 31, 34; BGH GA 1988, S. 184; Cramer / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder (Fn. 9), § 15 Rn. 173 ff. m.w. N. 63 Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962), S. 411, 430 ff.; ders., Allg. Teil 1 (Fn. 9), § 11 Rn. 72 ff., den Begründer dieser Auffassung; Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974, S. 139 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 20), S. 585 f.; Lackner / Kühl, StGB, 24. Aufl. 2001, § 15 Rn. 44, jeweils m.w. N.

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Handlung die Wahrscheinlichkeit der Erfolgsherbeiführung gegenüber dem „erlaubten Risiko“ wesentlich erhöht habe. Da Überschreiten des „erlaubten Risikos“ gleichbedeutend mit Sorgfaltswidrigkeit ist, heißt das: Es kommt nach dieser Auffassung nicht darauf an, daß der Erfolg das Ergebnis der Sorgfaltswidrigkeit ist, sondern es soll additiv genügen, daß die als sorgfaltswidrig zu bewertende, das Risiko gegenüber dem „erlaubten“ wesentlich erhöhende Handlung vorliegt und der Täter jedenfalls den Erfolg verursacht hat. 64 Entscheidend soll also nicht sein, daß sich die Sorgfaltswidrigkeit im Erfolg manifestiert hat. Indem man darauf verzichtet, bricht man aber gerade das inhaltliche Verbindungsstück zwischen Handlungs- und Erfolgsseite des fahrlässigen Delikts heraus. Praktisch wird von der Risikoerhöhungstheorie hier eine Vermutung aufgestellt, nämlich daß der verursachte Erfolg auf der Sorgfaltswidrigkeit der Handlung des Täters beruht. Das bestätigt auch die von ihren Anhängern vertretene Lösung zu dem Fall, in dem feststeht, daß der Erfolg auch bei sorgfaltsgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Hier will sie die Tatbestandsmäßigkeit verneinen, obwohl das – aus der Sicht ex ante zu bestimmende – „erlaubte Risiko“ ebenfalls überschritten ist, das heißt Sorgfaltswidrigkeit vorliegt. Mit Recht wird ihr daher entgegengehalten, daß sie eine Manipulation des Satzes In dubio pro reo darstellt. 65 5. Fragen wirft das fahrlässige Delikt auch bezüglich der Rechtfertigungsgründe auf. a) Die ältere Auffassung, die noch nicht die Zugehörigkeit der Sorgfaltswidrigkeit zum Unrechtstatbestand gesehen hatte, nannte als Rechtfertigungsgrund mit Vorrang das „erlaubte Risiko“. 66 Inzwischen hat man jedoch erkannt, dass es bei diesen Fällen hauptsächlich bereits um die Tatbestandsfrage der Sorgfaltswidrigkeit geht (z. B. das „erlaubte Risiko“ im Straßenverkehr markiert die Grenzen der sorgfaltsgemäßen, normalen Fahrweise). Nur ein kleiner Kreis von Fällen betrifft die Rechtfertigungsebene; es handelt sich dabei um Kollisionslagen, bei denen unter im einzelnen festgelegten Voraussetzungen eine Ausnahmebefugnis zu einer tatbestandsmäßigen Risikohandlung eingeräumt wird (z. B. die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB im Bereich der Beleidigungsdelikte). 67 64

So auch Lampe, ZStW 101 (1989), S. 3, 27. Vgl. Arthur Kaufmann, FS Jescheck, 1985, S. 273 ff.; Cramer / Sternberg-Lieben, in: SchönkelSchröder (Fn. 9), § 15 Rn. 173 ff.; Hirsch, in: LK (Fn. 12), § 229 Rn. 7; Otto, GS Schlüchter, 2002, S. 77, 96 f.; jeweils m.w. N. Nach Lampe, ZStW; (1989), S. 3, 50 soll die Tat tatbestandsmäßig-rechtswidrig dann sein, wenn dem Täter ein anderes Verhalten auch angesichts der Möglichkeit, daß er dadurch eine Rechtsgutsverletzung nicht vermieden hätte, nach Sinn und Zweck der verletzten Norm „zuzumuten“ war. Aber hier treten ebenfalls die gegenüber der Risikoerhöhungstheorie Roxins, erhobenen Bedenken in den Blick, und der unscharfe Gesichtspunkt der Zumutbarkeit wirft weitere Probleme auf. 66 Siehe die Darstellung der Entwicklung der Rechtsfigur bei Maurach, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl. 1958, S. 433 f. 67 Hirsch, in: LK (Fn. 12), Vor § 32 Rn. 31 ff. m.w. N. 65

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b) Notwehr scheint auf den ersten Blick bei fahrlässigen Delikten keine Rolle zu spielen, da sie den Verteidigungswillen erfordert und mit diesem regelmäßig vorsätzliche Verhaltensweisen verbunden sind. Aber auch wenn es bei ihr in der Regel um Vorsatztaten geht, bleiben fahrlässige nicht ganz außer Betracht. War z. B. die mit dem Risiko ungewollter Folgen behaftete konkrete Verteidigungshandlung erforderlich, so ist damit eine solche fahrlässige Begehung durch Notwehr gerechtfertigt. 68 c) Viel diskutiert wird das Verhältnis von Fahrlässigkeit und Einwilligung. Für die Fahrlässigkeitstatbestände erhebt sich die Frage, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen jemand mit der Risikohandlung eines anderen einverstanden ist und durch diese zu Schaden kommt. Beispiele sind vor allem die Mitfahrerfälle, so wenn das Opfer mit einem alkoholisierten Autofahrer in Kenntnis von dessen Zustand mitgefahren ist. Hat der angetrunkene Autofahrer tatbestandlich eine fahrlässige Körperverletzung begangen, die durch Einwilligung des Mitfahrers gerechtfertigt ist? Im Ergebnis besteht in Rechtsprechung und Schrifttum weithin Einigkeit darüber, daß es – jedenfalls solange nicht die Grenze zur Sittenwidrigkeit der Tat überschritten ist – am Unrecht fehlt. Die h.M. stellt dabei auf Rechtfertigung durch Einwilligung ab; 69 eine andere Meinung will dagegen schon die Tatbestandsmäßigkeit verneinen. 70 Für die auf Rechtfertigung abstellende Auffassung stellt sich das Problem, daß von einer Einwilligung in den Erfolgseintritt eigentlich nicht gesprochen werden kann. Das Opfer vertraute darauf, daß es zu diesem, z. B. dem Körperverletzungserfolg, nicht kommen würde. Die Einwilligung bezieht sich nur auf die riskante Handlung. Das Bemühen der Tatbestandslösung, diesem Problem dadurch auszuweichen, daß sie sagt, es fehle mangels „objektiver Zurechenbarkeit“ des Erfolges an der Tatbestandsmäßigkeit, wenn die bewußte Fremdgefährdung der bewußten Selbstgefährdung gleichzusetzen sei, 71 führt nicht weiter. Denn Fremdgefährdung und Selbstgefährdung sind ebensowenig miteinander vergleichbar wie Fremdverletzung und Selbstverletzung. 72 Die Lösung ergibt sich vielmehr daraus, daß die Rechtfertigungsgründe sich stets auf die norm68 Ganz h. M., vgl. die Nachweise bei Hirsch, in: LK (Fn. 12),1992, Vor § 32 Rn. 49. Entgegen Otto (Fn. 65), S. 95, bedeutet die Anerkennung der Sorgfaltswidrigkeit als Tatbestandserfordernis nicht, daß die Rechtfertigungsfrage bereits bei ihr zu berücksichtigen ist. Vielmehr ist auch hier zwischen dem Widerspruch gegen die einzelne (Sorgfalts-)Norm und der sich erst auf der zweiten Deliktsebene aus der Verneinung der Rechtfertigung ergebenden konkreten Rechtspflichtwidrigkeit zu differenzieren. 69 Vgl die Übersichten über die höchstrichterliche Rechtsprechung bei Hirsch, in: LK (Fn. 12), 1992, Vor § 32 Rn. 106, und ders., in: LK (Fn. 12), 2001, § 228 Rn. 13, § 229 Rn. 8, sowie die dortigen Schrifttumsnachweise. Zur Problematik der Einwilligung in eine Risikohandlung, die tödlich ausgeht, siehe Hirsch, in: LK (Fn. 12),1992, Vor § 32 Rn. 95 f. 70 Roxin, FS Gallas, 1973, S. 241, 242; ders., Allg. Teil I (Fn. 9), § 11 Rnr. 100 m.w. N. 71 In dieser Richtung Roxin, Allg. Teil I (Fn. 9), § 11 Rn. 107. 72 Zu Fremd- und Selbstverletzung näher Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, 2001, S. 41, 116 Fn. 377, 192 ff.

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widrige Handlung beziehen. Infolgedessen kommt es bei der rechtfertigenden Einwilligung in eine Fahrlässigkeitstat nicht auf das mittelbare Unrecht des Erfolges, sondern allein auf das der sorgfaltswidrigen Handlung an. Ist diese durch wirksame Einwilligung gedeckt, so entfällt die Rechtswidrigkeit der fahrlässigen Tat, weil die gegenüber dem Einwilligenden erfolgende sorgfaltswidrige Handlung gerechtfertigt ist. An dieser Fallkonstellation bestätigt sich daher, wie wichtig es ist, daß man beim fahrlässigen Delikt zwischen dem unmittelbaren Unrecht der normwidrigen Handlung und dem dieses voraussetzenden mittelbaren Unrecht des ungewollten Erfolgs unterscheidet. d) Es gibt Autoren, nach deren Auffassung auch schon die irrige Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (sogenannter Erlaubnistatbestandsirrtum), z. B. Putativnotwehr, das Unrecht betreffen soll: Sie beseitige das Unrecht der vorsätzlichen Tat, und nur Fahrlässigkeitsunrecht soll – soweit der Irrtum vermeidbar war und Fahrlässigkeit pönalisiert ist – in Betracht kommen. 73 Die Einordnung dieser Irrtumsfalle in den Unrechtsbereich ist jedoch offensichtlich unhaltbar. Indem bei unvermeidbarer Putativnotwehr oder einem in Putativnotwehr begangenen Versuch dann schon das Unrecht überhaupt entfiele, hätte Putativnotwehr die gleiche Wirkung wie das Vorliegen von Notwehr: sie wäre ein Unrechtsausschließungsgrund. Dies zeigt, daß von jener Auffassung die in den Merkmalen der Notwehr festgelegten objektiven Voraussetzungen der rechtlichen Konfliktentscheidung auf solche Weise einseitig zugunsten des Täters verschoben werden. Aber nicht nur, daß dem Täter damit in derartigen Fällen sachwidrig mangelndes Unrecht bescheinigt und – wenn man konsequent bleibt – deshalb dem Gegenüberstehenden zulässige Notwehr abgeschnitten wird, ergeben sich auch fragwürdige Konsequenzen für die Teilnahmelehre und die Fahrlässigkeitsdogmatik. Was letztere betrifft, ist nämlich zu beachten, daß Rechtfertigungsgründe sich auch auf fahrlässige Taten beziehen können. Es hat daher für den Irrtum Entsprechendes zu den Vorsatztaten zu gelten. Nach der herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie 74 entscheidet sich, ob wegen fahrlässiger Tat zu bestrafen ist, bei der Frage der Vermeidbarkeit des Erlaubnistatbestandsirrtums. Da nun aber die Rechtfertigungsprüfung beim fahrlässigen Delikt zur Voraussetzung hat, daß überhaupt Fahrlässigkeit gegeben ist, macht das besonders deutlich, daß es um zwei völlig verschiedene „Fahrlässigkeiten“ ginge. Die eine betrifft die Sorgfaltswidrigkeit bezüglich der Erfolgsverursachung, die andere die Vermeidbarkeit des Erlaubnistatbestandsirrtums. Will man nicht den Unterschied von Unrecht und Schuld einebnen, handelt es sich bei der zweiten erst um eine Schuldfrage: die der Vermeidbarkeit eines auf einem Sachverhaltsirrtum beruhenden Verbotsirrturns. 75 Ob es zutreffend ist, den 73 Stratenwerth (Fn. 36), 4. Aufl., § 7 Rn. 13 f., § 9 Rn. 158; Roxin, Allg. Teil I (Fn. 9), § 10 Rn. 23 f.; Lenckner, in: Schönke / Schröder (Fn. 9), Vor § 13 Rn. 19 und 60 m.w. N. 74 BGHSt 3, S. 105; 194; 271; 14, S. 52; 22, S. 223; BGH NJW 1982, S. 2831, 2832; Cramer / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder (Fn. 9), § 16 Rn. 16 ff., Jescheck / Weigend (Fn. 20), S. 430, 464 ff., m.w. N.

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Erlaubnistatbestandsirrtum nicht nach den allgemeinen Regeln des Verbotsirrtums zu behandeln, sondern bei Vermeidbarkeit stets – also auch in Vorsatzfallen (mangels spezifischer „Vorsatzschuld“) – wegen fahrlässiger Tat (soweit strafbar) zu bestrafen, ist für die Thematik dieses Aufsatzes nicht relevant, so daß auf frühere einschlägige Ausführungen verwiesen werden kann. 76 e) Im vorhergehenden klang schon die Frage an, ob und gegebenenfalls wie der Umfang strafbedrohten Fahrlässigkeitsunrechts de lege ferenda beschränkt werden muß. Im Schrifttum findet man die Auffassung, daß die unbewußte Fahrlässigkeit ein Fremdkörper im Strafrecht sei, 77 und eine andere Meinung tendiert zur Einschränkung auf grobe Fahrlässigkeit (Leichtfertigkeit). 78 An den Bedenken ist einleuchtend, daß die Weite des Fahrlässigkeitsbegriffs Überdehnungen des Strafrechts mit sich bringt. Dies hängt damit zusammen, daß die Fahrlässigkeit eine Generalklausel ist, bei der jeweils für den einzelnen Fall die Sorgfaltswidrigkeit präzisiert werden muß. Auch dort, wo sorgfaltswidrige Handlungen bereits vertypte abstrakte Gefährlichkeitsdelikte erfüllen, verbleiben Fälle, in denen die Fahrlässigkeit gleichwohl zu gering erscheint, um das Unrecht einer Straftat bejahen zu wollen. Der Gedanke, die unbewußte Fahrlässigkeit ganz aus dem Strafrecht zu eliminieren, geht aber offensichtlich zu weit. Man hat bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, daß Fälle unbewußter Fahrlässigkeit nicht notwendig leichter sein müssen als die der bewußten. Die Unbewußtheit kann gerade auf besonderer Skrupellosigkeit oder Gleichgültigkeit beruhen. 79 Auch hat man zu beachten, daß in den meisten Rechtsordnungen die Ordnungswidrigkeiten nicht vom Strafrecht getrennt, sondern diesem als Übertretungen zugeordnet sind. Eine Beschränkung auf bewußte Fahrlässigkeit könnte bei Ordnungswidrigkeiten oder Übertretungen von vornherein nicht ernsthaft gefordert werden, sollen die einschlägigen Vorschriften funktionsfähig bleiben. Ebenfalls scheidet eine Begrenzung auf Leichtfertigkeit aus. Abgesehen davon, daß die Strafbarkeit auch mittlerer Fahrlässigkeit durchaus sinnvoll ist – man denke an fahrlässige Tötungen oder Körperverletzungen im 75 Für die Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums erst auf der Schuldebene deshalb die h. M., sei es auf der Grundlage der eingeschränkten Schuldtheorie (BGH, NJW 1982, S. 2831, 2832 a.E.), sei es auf Grund der rechtsfolgenverweisenden oder der strengen Schuldtheorie. Vgl die Nachweise bei Jescheck / Weigend (Fn. 20). S 430, 463 ff. 76 Siehe Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; ders., ZStW 94 (1982), S. 239, 257 ff. 77 Vgl. Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 1961, S. 156 ff. m.w. N. 78 So etwa Schlüchter, FS Kaiser, 1998, S. 359 ff. Daß der deutsche Gesetzgeber zunehmend bei einzelnen erfolgsqualifizierten Delikten abweichend von der allgemeinen Regelung des § 18 StGB, die jede Fahrlässigkeit genügen läßt, Leichtfertigkeit bezüglich der schweren Folge verlangt, wird man allerdings mit dem Bestreben zu erklären haben, Ausweitungen dieser strafschärfenden Deliktsgruppe entgegenzuwirken. Zur Begrenzung der Fahrlässigkeitshaftung ferner Otto, JuS 1974, S. 702. 79 Vgl. F.-C Schroeder, in: LK (Fn. 12), § 16 Rn. 121.

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Straßenverkehr 80 –, wären andernfalls Freiräume dort die Folge, wo weder das Schadensersatzrecht noch das Verwaltungsrecht belastende Rechtsfolgen bereithalten könnte. 81 Um was es nur gehen kann, ist die gesetzgeberische Schaffung der Möglichkeit, leichte Fälle als Übertretungen oder Ordnungswidrigkeiten einzustufen, und vor allem die Einführung einer materiellrechtlichen Regelung, nach der eine strafrechtliche Sanktion (bei Ordnungswidrigkeiten entsprechend eine ordnungswidrigkeitenrechtliche) überhaupt entfällt, wenn die Tat aus objektiven oder subjektiven Gründen so geringfügig ist, daß eine Ahndung nicht veranlaßt ist. IV. Gesamtergebnis Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte unterscheiden sich bereits auf der Ebene des Unrechtstatbestands, und zwar nicht nur im Subjektiven, sondern auch im Objektiven. Das tatbestandliche Unrecht des fahrlässigen Begehungsdelikts besteht in einer als sorgfaltswidrig zu bewertenden konkret riskanten (willentlichen) Handlung und einem auf dieser beruhenden Erfolg. Die Sorgfaltswidrigkeit bestimmt sich nach einem objektiven Maßstab aus der Sicht ex ante. Während beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt das Unrecht regelmäßig allein in der verbotswidrigen Erfolgsverwirklichungshandlung besteht und dementsprechend unmittelbares Unrecht darstellt, setzt sich das fahrlässige Delikt aus unmittelbarem und mittelbarem Unrecht zusammen. Letzteres ist kein Handlungsunrecht, sondern eine zuzurechnende Auswirkung von diesem. Hinter dem üblichen strafrechtlichen Fahrlässigkeitsmerkmal der individuellen Voraussehbarkeit verbirgt sich der Gesichtspunkt, daß für den Täter die objektive Sorgfaltswidrigkeit erkennbar gewesen ist, also das allgemeine Schulderfordernis der individuellen Möglichkeit der Normwidrigkeitskenntnis. Hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe gilt nichts anderes als bei den Vorsatzdelikten. De lege ferenda sollten Fälle, in denen die Fahrlässigkeit des jeweiligen Delikts so geringfügig ist, daß eine strafrechtliche Ahndung objektiv unangemessen wäre, schon materiellrechtlich von der Strafbarkeit ausgenommen werden.

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Auch bei Fahrlässigkeit mit breiten Auswirkungen, z. B. in einschlägigen Fällen von Eisenbahn-, Flugzeug- oder Autobahnkatastrophen, wird nicht selten nur mittlere Fahrlässigkeit vorliegen, eine Straflosigkeit aber nicht der Öffentlichkeit vermittelbar sein. Zudem darf man allgemein nicht die Konsequenzen für die Prävention aus dem Blick verlieren, die eintreten würden, wenn man bei unterhalb der Leichtfertigkeit bleibenden fahrlässigen Tötungen und Körperverletzungen nur noch damit zu rechnen brauchte, daß die den Schaden regulierende Versicherung die Prämie anhebt. Die Justiz käme in die Lage, den ohnehin schon unscharfen Begriff der Leichtfertigkeit weiter aufzuweichen, um sozial vertretbare Ergebnisse zu erzielen. 81 So wird es z. B. nicht selten in Fällen des § 163 StGB liegen.

Systematische Einordnung und allgemeine Fragen der Rechtfertigung * 1994 II. Rechtfertigung A. Systematische Einordnung

1. Grundsätzliches [5] a) Abstufung von Tatbestands- und Rechtfertigungsfrage. Tatbestandsmäßigkeit (darüber näher Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 41 ff) bedeutet für sich allein noch nicht, daß das Verhalten auch rechtswidrig ist. Vielmehr besteht die Möglichkeit, daß ein Rechtfertigungsgrund eingreift und deshalb die Rechtswidrigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens fehlt. Demgemäß ist nach der Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit als zweites allgemeines Deliktsmerkmal zu prüfen. Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld sind die drei Elemente, die nach dem herrschenden dreistufigen Verbrechensaufbau ein Verhalten zum Delikt machen (RGSt. 61 242, 247; 66 397; BGHSt.1 131; (GrS) 2 194; 9 370, 375 f; 11 241; ebenso die h. L.) 1. [6] Während die Tatbestandsmäßigkeit besagt, daß der in einer Strafbestimmung beschriebene Tatbestand, nämlich die begriffliche Umschreibung eines verbots- oder gebotswidrigen Verhaltens, objektiv und subjektiv verwirklicht ist, das Täterverhalten somit in Widerspruch zum einzelnen abstrakten Verbot resp. Gebot steht (deshalb Tatbestandsmäßigkeit = Normwidrigkeit), bedeutet die *

Auszug aus Kommentierung in: Leipziger Kommentar zum StGB, Vor § 32 Rn. 5 –67. Beling Lehre vom Verbrechen S. 20 ff, 145 ff; Baumann / Weber § 8 II 2 a, § 15 I; Bockelmann / Volk §§ 9 f; Dreher Heinitz-Festschr. S. 207, 217 ff; Dreher / Tröndle Vor § 1 Rdn. 2; Gallas ZStW 67 (1955) 19, 27; ders. Bockelmann-Festschr. S. 155, 169 f; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 331; ders. Delitala-Gedächtnisschr. Bd. III S. 1931 ff; Jakobs 6/59; Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 3; ders. Lb. § 21 III (wobei er wegen des Handlungserfordernisses von einer „viergliedrigen“ Verbrechensdefinition spricht), § 25 III; Armin Kaufmann Normentheorie S. 158, 248; ders. JZ 1955 37; Lackner Vor § 13 Rdn. 6; Maurach / Zipf § 14 Rdn. 1 ff, § 24 Rdn. 1 f; Roxin I § 10 Rdn. 19 ff; Schmidhäuser StudB 6/10; ders. Lackner-Festschr. S. 77, 89 f; Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 12 ff; Stratenwerth Rdn. 176 ff; Welzel § 10, § 14 I; ders. ZStW 67 (1955) 196, 210 ff; ders. ZStW 76 (1964) 619, 621 ff. 1

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Rechtswidrigkeit: das Täterverhalten steht darüber hinaus in Widerspruch zur Rechtsordnung im ganzen und ist daher auch konkret pflichtwidrig. Denn den Verbots- und Gebotsnormen treten in bestimmten Fällen rechtliche Erlaubnissätze – seien sie dem StGB oder sonst der Rechtsordnung zu entnehmen – gegenüber, die ein tatbestandsmäßiges Verhalten (z. B. eine Körperverletzung) ausnahmsweise gestatten, d. h. Rechtfertigungsgründe (z. B. Notwehr). Sie verhindern, daß die einzelne abstrakte Norm zur konkreten Rechtspflicht wird. Greifen sie ein, bleibt das Verhalten also zwar tatbestandsmäßig, aber es ist nicht rechtswidrig. Die Abstufung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ist dabei nicht im Sinne einer absoluten Trennung zu sehen. Es geht nicht darum, dem Tatbestand alles Tatsächliche, der Rechtswidrigkeit alles Normative zuzuordnen, wie man im Anschluß an die neukantische Antithese von Sein und Sollen gemeint hat 2. Der Tatbestand hat nach heutigem Begriffsverständnis eine durchaus normative Funktion. Da er das verbotene Verhalten beschreibt, auf das sich die Strafdrohung bezieht (man spricht von „Verbotsmaterie“ oder „Unrechtstypus“), und die Tatbestandsmäßigkeit somit angibt, daß die Merkmale des betreffenden generellen Verbots verwirklicht sind, handelt es sich um die erste Wertungsstufe im Unrechtsbereich. Vielfach ist deshalb auch vom unrechtsindizierenden Charakter des Tatbestands die Rede. Umgekehrt besteht die Rechtswidrigkeit inhaltlich nicht lediglich im Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen. Vielmehr hängen alle Verbrechenselemente, weil Wertungsstufen, in der Weise miteinander zusammen, daß jedes spätere das frühere voraussetzt. Die Feststellung, daß ein Verhalten gegen die Rechtsordnung als ganze verstößt und deshalb konkret rechtspflichtwidrig, also rechtswidrig ist, ergibt sich aus der Tatbestandsmäßigkeit und der Verneinung der Rechtfertigungsfrage. Die Tatbestandsmäßigkeit bildet, weil Normwidrigkeit, überhaupt den Kern des Unrechtsbereichs, da es bei der Rechtfertigung nur noch um Ausnahmefälle geht, in denen ein tatbestandsmäßiges Verhalten nicht auch rechtswidrig ist. Indem bei der Rechtswidrigkeit die Bewertung über die Normwidrigkeit hinaus auf die Rechtspflichtwidrigkeit ausgedehnt wird, bildet sie ein positives Deliktserfordernis, wie anschließend auch die Schuld. Nur läßt sie sich, weil das Vorliegen der Tatbestandsmäßigkeit bereits voraussetzend, als zweites Verbrechensmerkmal durch ein rein negatives Verfahren ermitteln: die Feststellung, daß kein Rechtfertigungsgrund eingreift. Näher zum vorhergehenden Welzel § 10, § 14 I 1 u. 2; Jescheck § 31 I, LK Vor § 13 Rdn. 42 ff; Armin Kaufmann Normentheorie S. 138 ff, 248 ff; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 276 f, 309 f; in: Eser / Perron Bd. III S. 27, 32 f. Im einzelnen sind die Erklärungen des dreistufigen Verbrechensaufbaus im Schrifttum jedoch vielfältig, siehe dazu die Übersicht bei Schmidhäuser 9/6 ff. [7] Abw. findet sich in einem Teil des Schrifttums die Ansicht, daß die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe negative Tatbestandsmerkmale seien 2

So noch Mezger LK 8 Vor § 51 Bem. III 9 a.

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(so Arthur Kaufmann JZ 1954 653 ff; 1956 353 ff, 393 ff; Lackner-Festschr. S. 185, 187; Samson SK Rdn. 9 ff; Schaffstein MDR 1951 196 ff; ZStW 72 [1960] 369, 386 ff; Schünemann GA 1985 341, 347 ff) 3. Durch die Einbeziehung der Rechtfertigungsfrage in den Tatbestand fallen danach Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zusammen: sog. zweistufiger Verbrechensaufbau (Verbrechen als unrechtstatbestandsmäßiges und schuldhaftes Verhalten). Diese Theorie geht davon aus, daß jede Verbots- oder Gebotsnorm schon das Nichteingreifen von Rechtfertigungsgründen zur inhaltlichen Voraussetzung habe, ein gerechtfertigtes Verhalten also noch gar nicht die Merkmale eines normwidrigen Handelns oder Unterlassens erfülle. Die Unterscheidung von Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen beruhe nicht auf einem sachlichen Prinzip, sondern sei nur aus gesetzestechnisch-stilistischen Erfordernissen zu erklären, weshalb Rechtfertigungsgründe jederzeit als Tatbestandsmerkmale geregelt werden könnten und umgekehrt. Diese Lehre, deren frühere Anläufe keine Bedeutung erlangt hatten, ist im Zusammenhang mit der Rspr. des BGH zum Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt (BGHSt. 3 105; 194; 271; 14 52; 22 223), der damit eine theoretische Grundlage gegeben werden soll, wiederbelebt worden. Sie hat sich aber auch jetzt nicht durchzusetzen vermocht. [8] Kritik an der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen: Sie verkennt die materielle Funktion des von der Rechtfertigungsfrage abgestuften Tatbestandsbegriffs. Der Wertunterschied zwischen einem Verhalten, das schon nicht tatbestandsmäßig und daher strafrechtlich irrelevant ist, und einem Verhalten, das zwar tatbestandsmäßig, nämlich das geschützte Rechtsgut beeinträchtigend, aber ausnahmsweise gestattet ist, wird von ihr eingeebnet (Welzel kritisiert deshalb: Die Tötung eines Menschen in Notwehr stellt sich für sie nicht anders dar als die Tötung einer Mücke; ZStW 67 [1955] 196, 210 f). Die Rechtsordnung kennt eben nicht nur Verbote und Gebote, sondern sie enthält auch ausnahmsweise Gestattungen eines an sich normwidrigen Verhaltens: selbständige Erlaubnissätze. Da es sich um eine sachlich bedingte Verschiedenheit handelt, spielt die Gesetzestechnik keine Rolle. Ein Rechtfertigungsgrund bleibt vielmehr auch dann ein Rechtfertigungsgrund, wenn er mit in eine Strafbestimmung des Besonderen Teils aufgenommen worden ist, etwa wenn die Notwehr mit in § 212 geregelt wäre. Die rechtliche Bedeutung der Trennung von Tatbestand und Rechtfertigungsfrage zeigt sich gerade auch darin, daß ohne die Wertrelevanz des „positiven“ Tatbe3

So auch im älteren Schrifttum: A. Merkel Lb. (1889) S. 82; Frank Vor § 51 Bem. III, § 59 Anm. III 2; Radbruch Frank-Festg. Bd. I S. 158, 164 ff; Engisch Vorsatz und Fahrlässigkeit S. 10 f; ders. ZStW 70 (1958) S. 566, 583 ff; ders. DJT-Festschr. Bd. I S. 401, 406 ff; Arthur Kaufmann Unrechtsbewußtsein (1949) S. 66 f, 170 f, 178 ff; Lange JZ 1953 9; Lang-Hinrichsen JZ 1953 362; Mezger LK 8 Einl. Bem. III, § 59 Anm. II 11; ders. NJW 1953 2, 6; Schröder MDR 1953 70; ders. ZStW 65 (1953) 178, 207; v. Weber JZ 1951 260; Mezger-Festschr. S. 183 ff. – Von einem nur zweistufigen Deliktsaufbau geht trotz Kritik an der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen auch Schmidhäuser JuS 1987 373, 375 aus.

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stands gar kein Anlaß bestünde, danach zu fragen und zu prüfen, ob etwa ein Rechtfertigungsgrund eingreift. Die dem Verhältnis von Tatbestand und Rechtfertigungsgründen innewohnende materielle Kollisionsproblematik tritt zudem deutlich bei den Rechtfertigungsmerkmalen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit zutage. Durch das Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes wird das in der Normwidrigkeit zum Ausdruck kommende generelle Unwerturteil nicht wieder zurückgenommen oder eingeschränkt (etwa eine bloße Unrechtsvermutung widerlegt), es bleibt vielmehr dabei, daß eine rechtsgutsbeeinträchtigende und daher tatbestandsmäßige Handlung gegeben ist. Die Rechtfertigung schließt lediglich die Rechtswidrigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens aus. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß es im Falle der Rechtfertigung am „Handlungsunwert“ fehle; denn auch der Inhalt dieses Begriffs bestimmt sich nach den Maßstäben der Wertungsstufen des Delikts, so daß auch bei ihm zwischen nicht tatbestandsmäßigen und nur gerechtfertigten Handlungen abzustufen ist. Die Wertdifferenz spiegelt sich auch in der Wortfassung mehrerer Vorschriften des Gesetzes, z. B. in § 32 und § 34, wider: Wer eine durch Notwehr oder rechtfertigenden Notstand gebotene „Tat begeht“, handelt „nicht rechtswidrig“ (weitere Gesetzesnachweise bei Dreher Heinitz-Festschr. S. 207, 220 f). Im übrigen führt die Konstruktion negativer Tatbestandsmerkmale zu unhaltbaren Konsequenzen im Bereich der Teilnahme (Dreher aaO S. 222; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 326 ff). Überdies würde sich aus der Gleichstellung mit den „positiven“ Tatbestandsmerkmalen ergeben, daß dann nach Art. 103 Abs. 2 GG für die Rechtfertigungsgründe dieselben Bestimmtheitsanforderungen zu gelten hätten. Schließlich ist jene Theorie auch gar nicht in der Lage, der herrschenden Irrtumslehre, nach der bei irriger Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts kein Vorsatzdelikt vorliegen soll (sog. eingeschränkte Schuldtheorie, vgl. die Rspr.-Nachw. Rdn. 7; Sch / Schröder / Cramer § 16 Rdn. 13b ff), eine tragfähige Begründung zu bieten. Denn solche Irrtumsfälle bilden erst ein Schuldproblem (BGH NJW 1982 2831, 2832 a. E.), während sie auf der Grundlage der Konstruktion negativer Tatbestandsmerkmale bereits den – nach heute ganz h. L. (vgl. Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 44, 46 m.w. Nachw.) schon zum Unrechtstatbestand gehörenden – Tatbestandsvorsatz und damit das Unrecht der Vorsatztat ausschließen würden. Die überwiegende Auffassung innerhalb der eingeschränkten Schuldtheorie (einschl. der sog. rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie) will dem Wertungsunterschied zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsfrage deshalb dadurch Rechnung tragen, daß sie in jenen Irrtumsfällen nicht den Tatbestandsvorsatz, sondern erst eine auf die Rechtfertigungsgründe bezogene spezifische Vorsatzschuld der mit Tatbestandsvorsatz begangenen rechtswidrigen Tat verneint und daher § 16 lediglich analog anwendet (näher zu dieser „Vorsatzschuldtheorie“: Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 82; Lb. § 24 III 5, § 39 IV 3, § 41 III 2 m.w. Nachw.; dagegen für Verneinung schon des Vorsatzunrechts: Sch / Schröder / Cramer § 15 Rdn. 26, § 16 Rdn. 14 m.w. Nachw.). Die strenge Schuldtheorie (vgl. Schroeder LK 10 § 16 Rdn. 47 ff, 52 m.w. Nachw.) zieht darüber hinaus die Konsequenz, die fraglichen Irrtumsfälle überhaupt dem

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§ 17 zuzuordnen. Näher zu diesen Fragen Hirsch ZStW 94 [1982] 257 ff; Paeffgen Armin Kaufmann-Gedächtnisschr. S. 399 ff m. Nachw. zum Streitstand. Im übrigen hat man ganz allgemein den Eindruck, daß der nur zweistufige Deliktsaufbau wohl von niemand in aller Konsequenz vertreten wird. Auch ist die Anhängerschaft der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen rückläufig (vgl. etwa früher Sch / Schröder 17. Aufl. Vor § 1 Rdn. 6, § 59 Rdn. 21f und demgegenüber die heutige Ablehnung bei Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 17). [9] Im einzelnen zur Kritik der Theorie von den negativen Tatbestandsmerkmalen: Welzel § 10 III, § 14 I 1; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 220 ff; Armin Kaufmann Welzel-Festschr. S. 393, 396 ff; Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 48; Dreher Heinitz-Festschr. S. 207, 217 ff; Jakobs 6/54 ff 4. Teilweise wird vorgeschlagen, zwar von einem dreistufigen Deliktsaufbau auszugehen, aber Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung im Sinne eines wertungsmäßigen Plus-Minus-Verhältnisses zu sehen (Erlaubnistatbestand als Gegentatbestand, der den Erfolgs- und Handlungsunwert aufhebt); so Stratenwerth Rdn. 178 f, 504; Roxin I § 10 Rdn. 23 f; Sch / Schröder Lenckner Vor § 13 Rdn. 17 ff, 60 m.w. Nachw. Diese Auffasssung führt jedoch zu der verfehlten – daher von der h. M. abgelehnten – Konsequenz, daß die irrige Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts bereits das Vorsatzunrecht ausschließt (hierzu Rdn. 8), und bleibt der Sache nach eben doch der Konstruktion negativer Tatbestandsmerkmale verhaftet 5. [10] b) Rechtfertigung und Gesamtrechtsordnung. Die Rechtswidrigkeit drückt den Widerspruch zur Rechtsordnung im ganzen aus, so daß ihre Feststellung allgemein und schlechthin gilt. Das Recht bildet eine in sich geschlossene Einheit (H.A. Fischer Rechtswidrigkeit S. 115; Engisch Einheit der Rechtsordnung S. 57 f, passim). Es gibt keine besondere Strafrechtswidrigkeit, nach der ein tatbestandsmäßiges Verhalten innerhalb des strafbewehrten Deliktsrechts rechtswidrig, außerhalb des Strafrechts dagegen deliktsrechtlich rechtmäßig wäre, und umgekehrt (vgl. RGSt. 61 242, 247; BGHSt. 11 241, 244; OLG Köln StV 1986 537, 538; Engisch aaO S. 55 ff; Kern ZStW 64 [1952] 255, 262; Jescheck § 31 III l; Lackner Rdn.4; Maurach / Zipf § 25 Rdn. 12f; Samson SK Rdn. 19; Welzel § 10 II 3) 6. Deshalb finden die Rechtfertigungsgründe unabhängig davon Anwendung, an welcher Stelle der Rechtsordnung sie geregelt sind, und jede eingreifende Rechtfertigung steht der Rechtswidrigkeit hinsichtlich der gesamten Rechtsordnung 4

Außerdem Welzel ZStW 67 (1955) 196, 208 ff; ders. ZStW 76 (1964) 619, 621 ff; Armin Kaufmann JZ 1955 37 ff; Jescheck § 25 III, § 31 I, § 41 III 2 a; Bockelmann / Volk § 10. 5 Das gilt erst recht für eine Ansicht (Otto AT § 5 II 2c, III 1 und wohl auch Herzberg JA 1989 243, 245; 294 ff), die sich formell von der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen distanziert, aber gleichwohl von einem lediglich zweistufigen Deliktsaufbau ausgeht. 6 Im Grundsatz auch Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 27; Jakobs 11/4 Fußn. 10a; Roxin I § 14 Rdn. 2, 36.

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entgegen. Es ist auch nicht möglich, daß ein Verhalten nur unter strafrechtlichem Blickwinkel gerechtfertigt, in bezug auf ein anderes Rechtsgebiet dagegen unzulässig ist 7. Die Differenzierung zwischen dem Strafrecht und anderen Rechtsgebieten erfolgt vielmehr auf der Tatbestandsebene, ohne daß indes deshalb die einzelnen Verbots- und Gebotsnormen, die den Straftatbeständen zugrunde liegen, als rein strafrechtlich zu klassifizieren wären. Unterschiedlich nach Rechtsgebieten sind nur die Rechtsfolgen (Schadensersatz, Strafe usw.) und die Auswahl der Normverstöße, an welche die jeweilige Rechtsfolge anknüpfen soll. Im Strafrecht tritt das besonders deutlich hervor, da die meisten der von ihm mit Strafdrohungen bewehrten Rechtsnormen bereits umfassend an anderen Stellen der Rechtsordnung auftauchen, insbesondere in § 823 BGB. Es geht im Strafrecht darum, daß aus dem Kreis der allgemein geltenden rechtlichen Verbote und Gebote einige ganz oder teilweise durch Strafandrohung besonders gesichert werden. Man kann daher hinsichtlich des pönalisierten Verhaltens lediglich von strafbedrohtem (strafrechtlich relevantem) Unrecht sprechen. In den Fällen, bei denen das Strafrecht nicht schon jede verbotswidrige Verletzung eines bestimmten Rechtsguts erfaßt, sondern sich auf eine Auswahl von Verletzungen beschränkt (z. B. nur auf einige Besitzstörungen), ergibt sich daraus, daß das Verhalten zwar rechtswidrig in bezug auf die umfassende Rechtsnorm sein kann, aber strafrechtlich von vornherein nicht ins Blickfeld tritt, weil es nicht unter die mit strafrechtlichen Rechtsfolgen bedrohten, also tatbestandlich relevanten Normverstöße fällt. Ist dagegen ein Verhalten tatbestandsmäßig, so geht es bei der anschließenden Rechtfertigungsprüfung immer ausschließlich um die Frage, ob ein Erlaubnissatz etwa das normwidrige Verhalten ausnahmsweise mit der Gesamtrechtsordnung für vereinbar erklärt. Auch im Bereich des Amtsträgerhandelns gilt die Einheit der Rechtsordnung 8. Sind hoheitliche Eingriffsbefugnisse enger als die allgemein geltenden Befugnisse (z. B. im Bereich der Notrechte), so ist das sie überschreitende Verhalten nicht etwa „strafrechtlich“ gerechtfertigt, da die Möglichkeit der Rechtfertigung für derartiges Handeln von vornherein eingeschränkt ist (näher LK § 34 Rdn. 16). Umgekehrt kann ein Amtsträgerverhalten zwar im Außenverhältnis zum Bürger gerechtfertigt sein, aber im Innenverhältnis zum Dienstherrn eine verbleibende Pflichtverletzung darstellen. Auch dann ist die Einheit der Rechtsordnung nicht tangiert, da die Rechtfertigung nur die deliktsrechtliche, nicht jedoch die sich aus den darüber hinausgehenden Pflichten des Dienstverhältnisses ergebende disziplinarrechtliche Seite betrifft. Abw. wird die Auffassung vertreten, daß ein straftatbestandsmäßiges Verhalten nicht strafrechtswidrig, im übrigen aber deliktsrechtlich rechtswidrig sein könne (so vor allem Günther Strafrechtswidrigkeit S. 247 f, 257 ff, 394 ff) 9. Es 7 Siehe auch BVerfG JZ-Sonderheft 1993 S. 23, 31 (Schwangerschaftsabbruch-Entscheidung), nach dessen Auffassung ein strafgesetzlicher Rechtfertigungsgrund jedenfalls im Bereich des Schutzes elementarer Rechtsgüter Wirkung für die gesamte Rechtsordnung hat. 8 Hier jedoch relativierend Jakobs 11/6 Fußn. 11; Roxin I § 14 Rdn.34f.

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gebe neben allgemeinen Unrechtsausschließungsgründen (Rechtfertigungsgründen), die ein straftatbestandsmäßiges Verhalten für die gesamte Rechtsordnung als rechtmäßig ausweisen, auch „genuin strafrechtliche echte Strafunrechtsausschließungsgründe“. Sie regelten, unter welchen Voraussetzungen das Strafrecht auf seine strafrechtsspezifische, gesteigerte Mißbilligung der Tat ausnahmsweise verzichte. Beispiele seien u. a. §§ 193, 218 a, 240 Abs. 2, 253 Abs. 2, Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung, Züchtigungsrecht, Nötigungsnotstand (Günther aaO S. 310 ff, 395). Betrachtet man jedoch die angeführten Fälle, so bieten sie keine Veranlassung, vom herrschenden Prinzip der Einheit der Rechtsordnung abzuweichen. Teils geht es um allgemeine Unrechtsausschließungsgründe (§§ 193, 218 a, anerkanntes Züchtigungsrecht, Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung), teils um Fragen der Tatbestandsbildung (§§ 240 Abs. 2, 253 Abs. 2) 10, teils um Probleme der Zuordnung zum allgemeinen Unrechtsausschluß 11 oder zur Entschuldigung (so bei den Fällen des Nötigungsnotstands) 12. Indem jene Lehrmeinung auf der Ebene des Unrechtsausschlusses den Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit einführt (Günther aaO S. 259, 395), bringt sie das Deliktsmerkmal „Rechtswidrigkeit“ um eine eigenständige, nämlich den Verstoß gegen die Gesamtrechtsordnung angebende, Funktion und droht damit die Grenzen zwischen Unrechtsausschluß einerseits und Entschuldigung und persönlicher Strafausschließung andererseits zu verwischen. Außerdem erweitert jene Auffassung die Macht des Richters gegenüber dem Gesetz und setzt sich damit insoweit den gleichen Einwänden aus, wie sie früher schon hinsichtlich der Annahme eines allgemeinen außergesetzlichen Entschuldigungsgrundes der Unzumutbarkeit erhoben worden sind 13. [11] Ungenau ist es, wenn die Begriffe Rechtswidrigkeit und Unrecht gleichbedeutend verwendet werden (so etwa von Mezger LK 8. Aufl. Einleitung Bem. 9 Ebenfalls Günther JR 1985 268, 275; ders. Spendel-Festschr. S. 189, 196 ff; Amelung in: Schünemann Grundfragen (1984) S. 85, 92; ders. 1982 617, 619; wohl auch Armin Kaufmann Klug-Festschr. S. 277, 291. Hinsichtlich § 240 Abs. 2 ebenso Schäfer LK § 240 Rdn. 69 und Kühl StV 1987 122, 135. 10 Näher dazu LK Vor § 32 Rdn. 19 ff. 11 Vgl. auch BVerfG JZ-Sonderheft 1993 S. 23, 31 zu § 218 a. 12 Unnötig ist die von Schünemann GA 1985 341, 353 und Roxin I § 14 Rdn. 34f für Fälle, in denen es um die mutmaßliche Einwilligung eines beschränkt Geschäftsfähigen in die Beschädigung seines Eigentums geht, eingeräumte Relativierung des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung. Denn die Rechtfertigung betrifft allein die deliktische Seite. Sie schließt nicht aus, daß trotz Rechtmäßigkeit des Handelns zivilrechtlich eine Verpflichtung zum Schadensersatz entsteht (vgl. dazu die bei den Notrechten existierenden ausdrücklichen Regelungen der §§ 228 S. 2 und 904 S. 2 BGB). Darauf weist bereits Weber JZ 1984 276, 278 hin. 13 Nähere Kritik an der Auffassung Günthers bei Roxin Oehler-Festschr. S. 181 f; ders. JuS 1988 425, 430; Bacigalupo Armin Kaufmann-Gedächtnisschr. S. 459, 467 ff; Geiger Tröndle-Festschr. S. 647, 650; Gössel GA 1993 276, 277; Hassemer NJW 1984 351, 352; Hirsch Köln-Festschr. S. 399, 411; Rudolphi Armin Kaufmann-Gedächtnisschr. S. 371 ff; Weber JZ 1984 276, 277.

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III l, Vor § 51 Bem. 9). Während die Rechtswidrigkeit lediglich den Widerspruch zur Rechtsordnung angibt (ein Verhalten ist rechtswidrig oder nicht rechtswidrig), bedeutet das Unrecht etwas Substantielles, nämlich das als rechtswidrig gewertete Verhalten selbst. Es gibt deshalb zwar keine verschiedenen Grade der Rechtswidrigkeit (eine Tat kann nicht mehr oder weniger rechtswidrig sein), wohl aber – je nach dem Maße des Rechtsgutsangriffs – Unrecht von größerem oder geringerem Gewicht (Welzel § 10 II 3; Engisch DJT-Festschr. Bd. I S. 401, 402; Jescheck § 24 I l; Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 53) 14. Außerdem ist der Unterschied zwischen Verhaltens-(Handlungs- oder Unterlassungs-) und Erfolgsunrecht zu beachten. Bei ersterem geht es um die einem Verbot oder Gebot zuwiderlaufende Handlung bzw. Unterlassung, bei letzterem um einen der Rechtsordnung widersprechenden objektiven Zustand. Das strafrechtlich relevante Unrecht knüpft funktionsgemäß stets an das Verhaltensunrecht an. Das Erfolgsunrecht ist beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt ein unselbständiges Element des Verhaltensunrechts, beim fahrlässigen Erfolgsdelikt ein zum primären Verhaltensunrecht hinzutretendes zweites Erfordernis (näher Welzel § 11 II 2; Hirsch ZStW 94 [1982] 239, 240 ff m. Nachw. zum Meinungsstand). Möglich ist aber auch Verhaltensunrecht ohne gleichzeitiges Erfolgsunrecht (z. B. beim Versuch) und – strafrechtlich irrelevant – reines Erfolgsunrecht. Die Rechtfertigungsfrage bezieht sich auf das Verhaltensunrecht. Deshalb ist es möglich, daß eine üble Nachrede (§ 186) gemäß § 193 gerechtfertigt ist, durch diese aber, wie sich später klärt, objektiv die Unwahrheit gesagt und daher – zivilrechtlich für die quasinegatorische Unterlassungsklage bedeutsam – ein ehrverletzender Zustand entstanden ist (Münzberg Verhalten und Erfolg S. 377, 394, 417; Hirsch Dreher-Festschr. S. 211, 231). Praktische Bedeutung hat die Frage der Einheit der Rechtsordnung vor allem für die Notwehr (Rechtswidrigkeit des Angriffs), aber auch für die Irrtumslehre: Beachtlich ist nur der Irrtum über das Unrecht der mit Strafe bedrohten Tat, nicht aber der Irrtum über die Strafbarkeit. [12] c) Rechtfertigung und Unterscheidung von formeller und materieller Rechtswidrigkeit. Im Schrifttum wird teilweise zwischen formeller Rechtswidrigkeit – als dem Verstoß gegen das positivrechtlich Gesollte – und materieller Rechtswidrigkeit unterschieden, wobei letztere der ersteren übergeordnet und deshalb ein Verhalten trotz formeller Rechtswidrigkeit gerechtfertigt sein soll, weil es an der materiellen Rechtswidrigkeit fehle (v. Liszt 12. / 13. Aufl. S. 140 f; Heinitz Eb. Schmidt-Festschr. S. 266, 285 ff; Roxin I § 14 Rdn. 4 ff) 15, „wegen Sozial14 So auch Baumann / Weber § 19 I; Bockelmann / Volk § 12 A IV; Armin Kaufmann Normentheorie S. 147 f; Arthur Kaufmann ZStW 76 (1964) 543, 553; ders. LacknerFestschr. S. 185, 187 f; Kern ZStW 64 (1952) 255 ff; Krümpelmann Bagatelldelikte (1966) S. 27 ff; Lenckner Notstand S. 32 ff; Roxin I § 14 Rdn.3. 15 Ebenfalls Graf Dohna Rechtswidrigkeit S. 38 ff; Heinitz Strafr. Abh. 211 118 ff.

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schädlichkeit und Sittenwidrigkeit mit dem rechtlich geordneten Zusammenleben in unerträglichem Widerspruch stehend“ (Kohlrausch / Lange Syst. Vorbem. III 2), als „unerträgliche Verletzung der Gemeinschaftsordnung“ (Jescheck § 24 I 2) oder gegen die „Sozialethik“ verstoßend (Nagler GerS 111 [1938] 41, 80; Mezger LK 8. Aufl. Vor § 51 Bem. 9 f) 16. Als Gesichtspunkte einer aus dem Gedanken der materiellen Rechtswidrigkeit abgeleiteten überpositiven Rechtfertigung finden sich u. a.: das Prinzip „angemessenes Mittel zum richtigen Zweck“ (v. Liszt / Schmidt § 32 B II), der Grundsatz „des mangelnden und des überwiegenden Interesses“ (Mezger § 27), der „Mehr-Nutzen-als Schaden“-Grundsatz (Sauer AT § 13 I 3 0 und das „Rechtsgefühl, daß die der Strafrechtsnorm zugrunde liegenden Zwecke und Wertvorstellungen hinter anderen berechtigten Interessen, denen die Handlung diente, zurücktreten müssen“ (Jescheck § 24 I 3 b). [13] Gegenüber dem Begriffspaar erheben sich Bedenken, es kann zudem als überflüssig und überholt gelten (krit. insbesondere Hafter AT § 18 I; Kern ZStW 64 [1952] 255; Maurach / Zipf § 24 Rdn. 21; Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 50; Schmidhäuser Lackner-Festschr. S. 77, 79). Die im Mittelpunkt stehende Frage, nach welchen Maßstäben die Rechtsprechung den Katalog der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe ergänzen kann, ist entschärft, seit der übergesetzliche rechtfertigende Notstand zum Gewohnheitsrecht erstarkte, zusätzlich, seit er in § 34 gesetzlich geregelt worden ist. Auch ist jene Antithese schon im Ansatz abzulehnen, da es nur einen einheitlichen Begriff der Rechtswidrigkeit gibt. Entweder verstößt ein Verhalten gegen das geltende Recht oder nicht. Und was das Ausfüllen von Lücken des Rechtfertigungskatalogs angeht, unterliegt das Strafrecht den allgemeinen Regeln der juristischen Hermeneutik. Der Strafrichter ist dort, wo er, weil es sich um Strafeinschränkung handelt, zur Lückenausfüllung berufen ist, methodisch nicht freier gestellt als ein Richter in anderen Rechtsgebieten. Soweit Rechtfertigungsgründe über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus bejaht werden sollen, muß das deshalb durch zulässige Analogie oder sonstige vom geltenden Recht ausgehende, anerkannte hermeneutische Verfahrensweisen gedeckt sein 17 (was auf Grund von Rechtsanalogie beim übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand der Fall war). Zur Gefahr, sich auf dem Wege über die materielle Rechtswidrigkeit aus der Bindung an das geltende Recht zu lösen, siehe auch die Kritik von Jescheck § 24 I 3b an Tiedemann JZ 1969 717, 721 f, 726. Im übrigen zu diesen Fragen noch Rdn. 34, 47 f. [14] Soweit der Unterscheidung von formeller und materieller Rechtswidrigkeit nur außerhalb der Rechtfertigungsproblematik Bedeutung zugemessen wird (vgl. insbesondere Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 42; Lb. § 24 I 3a m. Nachw.), erscheint sie ebenfalls ungenau und überflüssig. Denn teils handelt es sich um Fragen, die in die schon der formellen Rechtswidrigkeit vorgelagerte Rubrik der 16 17

Siehe aber auch Nagler Frank-Festg. Bd. I S. 339, 343 ff. Anders jedoch Roxin I § 14 Rdn. 12.

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(restriktiven) teleologischen Auslegung der Tatbestände gehören, teils geht es, nämlich bei der Abstufung der Schwere des Rechtsverstoßes, um den Unterschied von Rechtswidrigkeit und (graduierbarem) Unrecht (Rdn. 11). [15] Teilweise wird dem Begriffspaar auch eine von der herkömmlichen Sinngebung abweichende Bedeutung beigemessen (so bei Baumann / Weber § 19; Maurach / Zipf § 24 Rdn. 20) 18. Formell rechtswidrig sei ein Verhalten, wenn es den Tatbestand erfüllt, materiell rechtswidrig, wenn es nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Indes, zum einen drückt die Tatbestandsmäßigkeit ganz unabhängig von der Rechtfertigungsfrage materiell eine erste negative Bewertung aus, nämlich daß die Handlung ein tatbestandlich geschütztes Rechtsgut beeinträchtigt (Rdn. 8), zum anderen kann von einer Rechtswidrigkeit im formellen Sinne nicht gesprochen werden, ohne daß das Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen, d. h. die Voraussetzung jeder Rechtswidrigkeit, feststeht. Daher ist auch dieser Sprachgebrauch als mißverständlich abzulehnen 19. [16] d) Rechtfertigung, rechtsfreier Raum und Frage schlichten Unrechtsausschlusses. Tatbestandsmäßiges Verhalten ist nach herrschender Auffassung entweder rechtswidrig oder gerechtfertigt (Jescheck § 31 VI 2; Maurach / Zipf § 24 Rdn. 18 f; Roxin 1 § 14 Rdn. 25 ff; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 8). Eine Reihe von Autoren bejaht als dritte Möglichkeit, daß eine Tatbestandsverwirklichung lediglich „unverboten“ und deshalb aus diesem Grunde als nicht rechtswidrig einzustufen sei. Man beruft sich dabei zumeist ausdrücklich auf die Lehre vom rechtsfreien Raum (Binding Handb.Bd. I S. 765 f; Arthur Kaufmann Maurach-Festschr. S. 327 ff; JuS 1978 361, 366; Schild JA 1978 449 ff, 570 ff, 63l) 20; im Ergebnis stimmen damit auch die Anhänger der,,Neutralitätslehre“ überein (Beling Lehre vom Verbrechen, S. 168; Blei I § 63 II; Otto Pflichtenkollision S. 108, 122 ff) 21. Zur Begründung wird angeführt, daß es Konfliktlagen gebe, in denen eine Bewertung des Verhaltens als rechtswidrig oder gerechtfertigt von Rechts wegen nicht getroffen werden könne und eine Einordnung als „nur entschuldigt“ nicht sachgemäß wäre. Hierzu zählten jene „rechtlich wie auch menschlich problematischen“ Lebenssachverhalte, in denen „gleichwertige oder rational nicht bewertbare Güter bzw. Pflichten miteinander kollidieren“, wobei heute nicht nur Fälle, welche die h. M. dem entschuldigenden Notstand oder der Pflichtenkollision zuordnet, sondern auch und 18

Ausführlicher Maurach / Zipf 5. Aufl. § 24 III 2. Wie hier Bockelmann / Volk § 15; Roxin I § 14 Rdn. 10; Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 52. 20 Im älteren Schrifttum ebenso Nagler Frank- Festg. Bd. I S. 339, 341; H. Mayer AT S. 191; heute auch Comes Rechtsfreier Raum S. 94 ff; Dingeldey Jura 1979 478, 482; Priester Arthur Kaufmann-Festschr. S. 499 ff. 21 So im älteren Schrifttum auch Beling Grundr. 11. Aufl. (1930) S. 14f; Baumgarten Notstand S. 30; Mezger LK 8 Vor § 51 Bem. 101 (S. 353); Kern ZStW64 (1952) 255, 257. 19

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gerade der sonst als Rechtfertigungsfrage betrachtete indizierte Schwangerschaftsabbruch genannt werden (vgl. Arthur Kaufmann Maurach-Festschr. S. 327, 338 ff) 22. Mangels rational einsichtiger, allgemein verbindlicher Entscheidungskriterien ziehe die Rechtsordnung in solchen Fällen ihre Normen zurück und verzichte auf eine Wertung. Es fehle insofern sowohl an einem Verbot als auch an einer Erlaubnis, vielmehr bleibe ein rechtsfreier Raum, in dem es der freien sittlichen, allein vor dem eigenen Gewissen zu verantwortenden Entscheidung des einzelnen überlassen sei, was er zu tun habe. [17] Diese deliktsrechtliche Version der Lehre vom rechtsfreien Raum ist nicht haltbar. Der Gedanke des rechtsfreien Raumes ist entwickelt worden mit dem Blick auf Lebensbereiche, die – wie man meint – das Recht von vornherein, weil einer rechtlichen Regelung nicht zugänglich oder bedürftig, als „tatbestandsfreien“ oder ,,rechtssatzfreien“ Raum ungeregelt läßt (vgl. Bergbohm Jurisprudenz und Rechtsphilosophie Bd. I [1892] S. 375 ff, 386 Anm.; Larenz Methodenlehre 6. Aufl. S. 371). Als Beispiele werden genannt: Liebe, Freundschaft, Erholung, Vergnügen sowie Religion und Kunst (Engisch ZStaatsW 108 [1952] 385, 389, 409 f). Eine Ausdehnung auf deliktsrechtliche Konfliktfälle ist nicht möglich. Die Annahme, daß sich die Rechtsordnung hier jeder Bewertung enthalte, ist schon deshalb verfehlt, weil tatbestandsmäßiges Verhalten gegen ein Rechtsgut gerichtet ist. Wenn die Rechtsordnung ein Gut unter ihren generellen Schutz genommen hat – durch die Aufstellung der hinter dem Tatbestand stehenden generellen Norm –, ist es in den rechtlich erfaßten Bereich getreten, und es bedarf nun einer ausnahmsweisen rechtlichen Gestattung (Eingriffsbefugnis), wenn die rechtlich grundsätzlich negativ beurteilte und deshalb normalerweise rechtswidrige Handlung ausnahmsweise nicht rechtswidrig sein soll. Infolgedessen läßt sich nicht davon sprechen, daß hier eine Rücknahme der rechtlichen Wertung zugunsten des rechtsfreien Raumes erfolge. Indem vielmehr die Ausnahme an das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung, d. h. eine dem generellen Normbefehl unterfallende Handlung geknüpft ist, bleibt sie dem rechtlichen Regelungsbereich verhaftet. Und eben weil in den fraglichen Fällen ein rechtlich grundsätzlich negativ beurteiltes Verhalten nicht als rechtswidrig eingestuft wird, muß eine rechtliche Bewertung der betreffenden Konfliktlage tatsächlich stattgefunden haben, damit die Ausnahme und der Übergang von der normalerweise sich ergebenden Rechtswidrigkeit zu deren Fehlen erklärt werden kann. Es geht also dort, wo die Rechtswidrigkeit eines tatbestandsmäßigen Verhaltens verneint wird, um nichts anderes als „weitere Akte einer rechtlichen Regelung“ (Lenckner Notstand S. 20). Im übrigen wird bei der deliktsrechtlichen Heranziehung der Lehre vom rechtsfreien Raum übersehen, daß gerade deshalb, weil das Handeln gegen ein Rechtsgut gerichtet ist, die Rechtsordnung sich nicht einfach zurückziehen kann, sondern eine 22 Arthur Kaufmann bezieht ausdrücklich alle Fälle des indizierten Schwangerschaftsabbruchs, also auch die der medizinischen Indikation, ein (aaO S. 339 ff); praktisch bedeutsamer wird die Lehre mit dem Blick auf die umstrittenen Fälle.

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Entscheidung der Konfliktlage treffen muß. So muß beim indizierten Schwangerschaftsabbruch rechtlich entschieden werden, innerhalb welcher Grenzen Eingriffe in das Rechtsgut gestattet sein sollen 23. Sonst würde eine für Schwangere und Ärzte untragbare „Rechtslage“ entstehen, die dem Bestreben des Gesetzgebers, den Schwangerschaftsabbruch in den in § 218a StGB anerkannten Indikationsfällen zu ermöglichen, widerspräche. Andererseits läuft in den Fällen, in denen die h. M. einen nur entschuldigenden Notstand bejaht, die unter Berufung auf einen rechtsfreien Raum erfolgende Verneinung der Rechtswidrigkeit darauf hinaus, daß man den Betroffenen hier hinsichtlich seines Lebens und seiner Gesundheit – den insbesondere in Betracht kommenden Rechtsgütern – rechtlich schutzlos stellen und ihm damit das Notwehrrecht abschneiden würde. Die heutigen Bemühungen, dem Gesetzgeber und der Rspr. mit Hilfe der Lehre vom rechtsfreien Raum ein Alibi zu liefern, sich bei schwierigen und umstrittenen Kollisionsproblemen aus der Verantwortung herauszuhalten, übersehen daher auch die der Rechtsordnung aufgegebene Schutzfunktion (Hirsch Bockelmann-Festschr. S. 89, 106 ff, 115). [18] Die Anhänger der deliktsrechtlichen Lehre vom rechtsfreien Raum resp. „Neutralitätstheorie“ verkennen außerdem, daß es keinen Unterschied zwischen Rechtfertigung und bloßem Unrechtsausschluß gibt. Sie sind der Meinung, daß die Begriffe „Rechtfertigung“ und „Erlaubnis“ nur in dem Sinne zu verstehen seien, daß die Rechtsordnung eine positive Bewertung des Handelns vornehme, während sie sich beim „einfachen“ Unrechtsausschluß neutral verhalte (Beling Lehre vom Verbrechen S. 168; Mezger LK 8. Aufl. Vor § 51 Bem. 10 1 [S.353]; Kern ZStW 64 [1952] 255, 257; Arthur Kaufmann Maurach-Festschr. S. 327, 335, 336, 341 f)- Durch diese Differenzierung werden jedoch die Begriffe „Rechtfertigung“ und „Erlaubnis“ inhaltlich überfrachtet. Es geht bei ihnen nur darum, daß eine rechtsgutsverletzende (tatbestandsmäßige) Handlung wegen des Vorliegens eines von der Rechtsordnung respektierten Ausnahmegrundes als nicht rechtswidrig eingestuft, eben dem Makel des ihr sonst anhaftenden Unrechts entzogen wird (Lenckner Notstand S. 22 f; Gimbernat Ordeig Welzel-Festschr. S. 485, 495 f; Hirsch Bockelmann-Festschr. S. 89, 100). Deshalb bedeutet beispielsweise die Rechtfertigung (Erlaubnis) einer in erforderlicher Notwehr begangenen Tötung nicht, daß der Notwehrtäter einen rechtlich erwünschten Erfolg oder eine positiv zu wertende Handlung vorgenommen habe. Wenn in der Praxis Notwehrfälle auftauchen, tritt das auch regelmäßig deutlich zutage. Da das Recht „nicht mehr sein will als eine Ordnung sozialer Beziehungen, genügt für die rechtliche Bewertung die Feststellung, daß das fragliche Verhalten dieser Ordnung nicht zuwiderläuft“ (Lenckner aaO). Für eine Unterscheidung von Rechtfertigungs- und „einfachen“ Unrechtsausschließungsgründen bestehen also weder qualitative noch quantitative Gesichtspunkte; Rechtfertigung und Unrechtsausschluß bezeichnen ein und dasselbe 24. 23

Siehe dazu auch BVerfG JZ-Sonderheft 1993 S. 23 f.

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2. Einzelfragen der Abgrenzung fehlender Rechtswidrigkeit und schon fehlender Tatbestandsmäßigkeit [19] a) Sog. Rechtswidrigkeitsregeln finden sich in § 240 Abs. 2 (hierauf nach h. M. bezugnehmend §§ 105, 106, 108) und § 253 Abs. 2. Es geht um Delikte, bei denen sich der Gesetzgeber außerstande sah, die verbotenen Handlungen ausreichend durch Tatumstände zu vertypen 25. Er hat die gesetzlichen Handlungsbeschreibungen (Abs. 1 der Vorschriften) deshalb zu weit formuliert (H. Mayer Mat. 1 267 ff; Welzel § 14 I 2 b; Roxin JuS 1964 373 ff). Ganz besonders gilt das für die Nötigung, wo die in § 240 Abs. 1 angeführten Tatumstände zahlreiche alltäglichste Verhaltensweisen umfassen, die unmöglich Gegenstand eines Verbots sein können; in gewissem Grade hat das aber auch für die Erpressung zu gelten (Zusammenstellung von Fällen: Niederschriften 6 276 ff; Welzel § 55 III). Um eine Limitierung zu erreichen, wurden die Generalklauseln („Rechtswidrigkeitsregeln“) der zweiten Absätze geschaffen, nach denen der Richter die Verwerflichkeit (des Einsatzes des Zwangsmittels zu dem angestrebten Zweck) und damit die Rechtswidrigkeit der Tat feststellen soll. Die Rspr. und ein Teil des Schrifttums sehen die Tatbestandsmäßigkeit bereits als gegeben an, wenn die im Gesetz (Abs. 1) aufgeführten Tatumstände objektiv und subjektiv verwirklicht sind; die in Abs. 2 genannten Erfordernisse sollen dagegen nicht mehr die Frage der Tatbestandsverwirklichung, sondern allein die der Rechtswidrigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens betreffen (BGHSt. 2 194, 195 f; 35 270, 275 f; 279; Dreher / Tröndle § 240 Rdn. 20; Lackner § 240 Rdn. 17; Schäfer LK 9 § 240 Rdn. 66; Schmidhäuser AT 9/11; Welzel § 14 I 2 b, § 43 I 3 [anders § 55 III bzgl. § 253]; Bergmann Unrecht der Nötigung S. 171 ff, 176) 26. Sieht man von der nicht haltbaren Ansicht Schmidhäusers und Bergmanns 27 (dazu auch Rdn. 22) ab, daß die gesetzlichen Tatumstände des § 240 Abs. 1 schon einen „unrechtsbegründenden“ Tatbestand ergäben, so lautet die Begründung: der Gesetzgeber habe sich hier durch die in Absatz 1 gewählte weite Fassung für einen,,offenen“ (Welzel § 14 I 2 b), nämlich nicht unrechtsindizierenden (BGHSt. 35 270, 275) Tatbestand entschieden. [20] Gegen diese Verkürzung der Tatbestandserfordernisse wendet sich zu Recht, freilich mit unterschiedlichen Lösungsvorstellungen, die h. L.: Gallas ZStW 67 (1955) 1, 24 f; Jakobs 6/61 ff; Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 47; Roxin I § 10 Rdn. 51 f; Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 66 28. 24 Im einzelnen zur Kritik der deliktsrechtlichen Version der Lehre vom rechtsfreien Raum und der Differenzierung von Rechtfertigung und bloßem Unrechtsausschluß: Hirsch Bockelmann-Festschr. S. 89 ff; Lenckner Notstand S. 18 ff; Jakobs 13/3; Roxin I § 14 Rdn. 25 ff; ders. in: Eser / Fletcher Bd. I S. 230, 247 ff. 25 In anderer Form findet sich ein solcher Fall auch in § 17 Nr. 1 TierSchG. 26 So auch Busch Mezger-Festschr. S. 165, 180; Offenloch JZ 1988 12, 15. 27 Siehe auch Meurer / Bergmann JR 1988 49, 52.

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[21] Mit der materiellen Abstufungstheorie ist auf der Grundlage der herrschenden, die Tatbestandsmäßigkeit von der Rechtswidrigkeit abstufenden Tatbestandslehre (Rdn. 5 f) gegen „offene Tatbestände“ einzuwenden: Wenn die Funktion des Tatbestandsbegriffs – der ein wissenschaftlich-systematischer und kein gesetzestechnischer Begriff ist – darin besteht, das generell verbotene Verhalten anzugeben, so läßt sich der Tatbestand stets nur als „geschlossener“ denken, weshalb die Rechtswidrigkeit von keiner anderen Voraussetzung als der Entscheidung der Rechtfertigungsfrage mehr abhängig sein darf. Nur dann hat die Tatbestandsmäßigkeit die Funktion einer ersten Wertungsstufe des Delikts, und es wird vermieden, daß sich aus einer nur gesetzestechnischen Frage sachliche Konsequenzen für den Vorsatz, den Versuch usw. ergeben. Es geht hier vielmehr ebenso wie bei sonstigen „ergänzungsbedürftigen“ gesetzlichen Tatbestandsbeschreibungen (vgl. die Beispiele bei Welzel § 14 I 2a u. c, § 67 V 2 B) darum, daß der Richter anhand eines vom Gesetz in Bezug genommenen Auslegungsmaßstabs die Arbeit der Tatbestandsbildung fortsetzen muß, die der Gesetzgeber nicht vollständig bewältigt hat. Daß das Gesetz, indem es hier auf den unspezifizierten Begriff der Verwerflichkeit verweist, einen sehr unscharfen Maßstab zur Verfügung stellt, ist zwar unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Gebots der Tatbestandsbestimmtheit bedenklich, vermag aber an Begriff und Funktion der Verbrechensmerkmale nichts zu ändern. Der mithin auch bei der Anwendung der Rechtswidrigkeitsregeln zu beachtenden Notwendigkeit, daß die Tatbestandsmäßigkeit unrechtsindizierend sein muß, läßt sich in der Weise Rechnung tragen, daß die Verwerflichkeit zunächst generell, nämlich unter Absehen von Gesichtspunkten, die erst für eine etwaige Rechtfertigung interessant werden, z. B. Notwehroder Notstandsvoraussetzungen, zu entscheiden ist (Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 291 ff; ZStW 74 [1962] 78, 118 ff; zust. Jescheck § 25 II 2; LK Vor § 13 Rdn. 47; Maurach / Zipf § 24 Rdn. 8 f; Welzel § 55 III [bzgl. § 253]). Alles, was völlig sozialkonforme, nicht lediglich ausnahmsweise zulässige Zwangsanwendung ist, wird damit bereits aus dem Bereich des Tatbestandlichen eliminiert. Führt die Prüfung dagegen zur Bejahung der generellen (abstrakten) Verwerflichkeit, womit der unrechtsindizierende Tatbestand erfüllt ist, dann schließt sich im Rahmen der Rechtswidrigkeitsregel als zweite Stufe die Frage an, ob ein Rechtfertigungsgrund eingreift. Ist das zu verneinen, so liegt auch konkrete Verwerflichkeit und damit die Rechtswidrigkeit der Tat vor. Die Rechtswidrigkeitsregeln lassen sich auf diesem Wege vom herrschenden Deliktsaufbau erfassen. [22] Andere Richtungen innerhalb der die Konstruktion „offener Tatbestände“ ablehnenden h. L. wollen hier überhaupt auf die Unterscheidung von Tatbestands28 Näher dazu Engisch DJT-Festschr. Bd. I S. 401, 411 f; Eser Jauch-Festschr. S. 34, 38 f; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 289 ff; ders. ZStW 74 (1962) 78, 117 ff; Hilde Kaufmann GA 1954 359, 362; Lang / Hinrichsen JR 1952 304 f; Roxin Offene Tatbestände S. 154; ders. ZStW 82 (1970) 675, 682 f; Stratenwerth Rdn. 353 ff; Zipf ZStW 82 (1970) 633, 653; ders. in Maurach / Zipf § 24 Rdn. 9.

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mäßigkeit und Rechtswidrigkeit verzichten, also von einem nur zweistufigen Deliktsaufbau (Rdn. 7) ausgehen. Und zwar wird einmal die Auffassung vertreten, daß alle sachlichen Voraussetzungen der konkreten Verwerflichkeit – damit der Rechtswidrigkeit – zum Tatbestand („Unrechts-Gesamttatbestand“) zu rechnen seien (Roxin I § 10 Rdn. 47 ff; Samson SK Rdn. 17 f; Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 66; Stratenwerth Rdn. 353 ff) 29 – Eine andere Lehrmeinung will die Verwerflichkeit selbst als normatives Tatbestandsmerkmal ansehen (Engisch DJT-Festschr. I S. 401, 411 f; Gallas ZStW 67 [1955] l, 24 f). Indes, während die Lehre von den offenen Tatbeständen die Erfordernisse des Tatbestandsbegriffs unangemessen verkürzt, werden sie von den beiden letztgenannten Auffassungen überdehnt. Alle von der herrschenden Verbrechenslehre gegen eine Einebnung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit erhobenen grundsätzlichen Bedenken (Rdn. 5, 8) greifen Platz. Darüber hinaus bedeutet die Richtung, die in der Verwerflichkeit ein normatives Tatbestandsmerkmal sehen will, daß man das mit der Gesamtwertung „rechtswidrig“ hier identische Werturteil „konkret verwerflich“ zur Voraussetzung seiner selbst macht und daß der Irrtum über die mit der Rechtswidrigkeit identische Verwerflichkeit zum Vorsatzausschluß, ihre irrtümliche Annahme zum untauglichen Versuch führen würde 30. Im übrigen finden sich übergreifende Gesetzesbegriffe, die mehrere Deliktsmerkmale betreffen, auch im Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Schuld, ohne daß deshalb behauptet worden wäre, man müsse ihretwegen allgemein auf die Unterscheidung dieser Deliktsmerkmale verzichten; vielmehr geht es auch dort darum, systematisch aufzugliedern (Stratenwerth v. Weber-Festschr. S. 171, 188; Welzel § 13 II 2 c; Jescheck § 42 II 3a m.w. Nachw.). Ebenso lassen sich Vorschriften mit „Rechtswidrigkeitsregeln“ nur auf die von der Abstufungstheorie bezeichnete Weise ohne Spannung für die hinter dem Deliktsaufbau stehenden Sachunterschiede bewältigen (Jescheck § 25 II 2). Eine solche Abstufung ist entgegen Roxin (aaO) und Sch / Schröder / Lenckner (aaO) praktisch durchführbar, weil wegen des im wesentlichen feststehenden Katalogs der Rechtfertigungsgründe immerhin deutlich ist, wo die Ebene des völlig sozialkonformen (von vornherein unverbotenen) Verhaltens endet und der Bereich der – nur ausnahmsweisen und deshalb an festliegende spezifische Erfordernisse geknüpften – Rechtfertigung beginnt. Diese systematischen Erwägungen lassen unberührt, daß es sich bei der Verwerflichkeit um einen für ein Strafgesetz zu unbestimmten und deshalb nicht nur ungeeigneten, sondern auch verfassungsrechtlich bedenklichen Begriff handelt 31. Unzutreffend ist es jedenfalls, wenn in BVerfGE 73 206, 238f die Verfassungsmäßigkeit des § 240 29 So bereits Lang-Hinrichsen JR 1952 304 f; Hilde Kaufmann GA 1954 359, 362; ebenso Hansen Nötigungsunrecht S. 116 f. 30 Gegen eine solche Lösung deshalb schon ausdrücklich Schaffstein ZStW 72 (1960) 369, 395 f. Ungenau wird die hier (Rdn. 21) vertretene Auffassung durch Samson SK Rdn. 21 dieser Ansicht zugeordnet, indem er schreibt, nach ihr sei die Verwerflichkeit Tatbestandsmerkmal.

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StGB schlicht damit begründet wird, daß die Verwerflichkeitsklausel sich als „tatbestandseinschränkendes Korrektiv“ zugunsten des Täters auswirke. Es verhält sich eben gerade nicht so, daß § 240 Abs. 2 StGB schon indiziertes Unrecht nur ausnahmsweise entfallen läßt, sondern mit Hilfe des Maßstabs der Verwerflichkeit wird die Unrechtstatbestandsmäßigkeit erst begründet. Deshalb fehlt hinsichtlich der Drohungsfälle und als Folge der Aufweichung des Gewaltbegriffs heute auch bezüglich der Gewaltfälle eine hinreichende tatbestandliche Bestimmtheit. Wenn man allerdings die Dinge in einem „Unrechts-Gesamttatbestand“ oder durch die Annahme eines normativen Tatumstandes „verwerflich“ nivelliert, so begibt man sich von vornherein des Orientierungspunkts für die verfassungsrechtlich und kriminalpolitisch dringliche Forderung nach genauer gesetzlicher Vertypung. De lege ferenda sollten „Rechtswidrigkeitsregeln“ in jedem Falle vermieden werden (Jescheck § 25 II 2 Fußn. 17) 32. [23] b) Eine durch die Neufassung des § 113 erneut ins Blickfeld getretene Lehre will bei einigen Strafbestimmungen spezielle Rechtswidrigkeitsmerkmale („Rechtspflichtmerkmale“) annehmen, die spezielle Aspekte der Rechtswidrigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens betreffen sollen (so insbesondere Welzel § 14 I 2c; JZ 1952 19 ff u. 133 ff; 1953 119 ff; Armin Kaufmann Normentheorie S. 101, 257, 285 f; Klug-Festschr. Bd. II S. 277 ff) 33. Nachdem der Kreis in Betracht kommender Fälle zunächst weiter gesteckt worden war (siehe Welzel aaO), geht es heute im wesentlichen um die Merkmale „rechtmäßig“ in § 113 Abs. 3 und „eigenmächtig“ in §§ 15f WStG. Von der h. M. wird die Lehre abgelehnt: BGHSt. 3 248, 253; Baumann / Weber § 26 II 4 a; Jakobs 6/64; Roxin I § 10 Rdn. 43 f; Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 67 34. [24] Die Begründung der Theorie von den speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmalen lautet in ihrem wichtigsten Anwendungsfall, dem Merkmal „rechtmäßig“ in § 113 Abs. 3, wie folgt: Das Widerstandleisten sei rechtswidrig, wenn das Vorgehen des Amtsträgers als Diensthandlung gerechtfertigt, mithin rechtmäßig ist. Fehle es dagegen an letzterem, stehe dem Widerstandleistenden Notwehr zur Seite und seine Verwirklichung des Tatbestands des § 113 sei nicht rechtswidrig. 31 Vgl. dazu die umfangreiche Liste von Autoren, die Bedenken gegenüber der Verfassungsmäßigkeit äußern, bei Calliess NStZ 1987 209, 210 Fußn. 5; weitere Schrifttumshinweise bei Sch / Schröder / Eser § 240 Rdn. 1 b. 32 Zu der demgegenüber von Bergmann (Unrecht der Nötigung S. 200 ff) vertretenen Auffassung, daß die gegenwärtige Konzeption der Nötigungsvorschrift „grundsätzlich zu billigen“ sei, siehe die Kritik in LK 10 Vor § 32 Rdn. 22 a. E. 33 Siehe bzgl. § 113 auch Jescheck § 53 I 2b Fußn. 16; Maurach / Zipf § 37 Rdn. 40. 34 Näher Engisch Mezger-Festschr. S. 127, 157 f; ders. DJT-Festschr. Bd. I S. 401, 411 f; Gallas ZStW67 (1955) l, 25; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 296 ff; Roxin Offene Tatbestände S. 132 ff, 187 f; Schaffstein OLG Celle-Festschr. S. 175, 187 ff; Schröder ZStW 65 (1953) 178, 185; v. Weber Mezger-Festschr. S. 183, 188; siehe auch Kunert Normative Tatbestandsmerkmale S. 63 f.

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Also hebe das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung die Frage der Rechtswidrigkeit der tatbestandsmäßigen Widerstandshandlung hervor (Welzel § 14 I 2 c, § 73 III 2b u. c). Es ergeben sich jedoch Bedenken, ob diese Überlegung dafür spricht, eine selbständige, zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsfrage stehende systematische Kategorie zu bilden. Zwar ist einleuchtend, daß es hier um den Zusammenhang mit der Notwehrfrage geht: In der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung lediglich eine objektive Strafbarkeitsbedingung zu sehen, scheidet aus (weil sonst der Widerstand gegen eine rechtswidrige Amtsausübung stets rechtswidrig und der Amtsträger daher gegen ihn stets zur Notwehr berechtigt, überdies die Irrtumsregelung des § 113 Abs. 4 ohne Basis wäre); auch ist einsichtig, daß das Fehlen der Rechtmäßigkeit nicht einfach als negativer Rechtfertigungsgrund erklärt werden kann (weil sich eine bloße Negation nicht als eigenständige Erlaubnisnorm begreifen läßt und der pauschale Begriff „rechtmäßig“ auch der für einen einzelnen Rechtfertigungsgrund erforderlichen Spezifikation entbehrt; abw. aber Dreher JR 1984 401, 404; v. Bubnoff LK § 113 Rdn. 23 m.w. Nachw.) 35; außerdem ist einzuräumen, daß „rechtmäßig“ kein Tatbestandsmerkmal ist (weil andernfalls das in § 113 geschützte Rechtsgut verkürzt, zudem Abs. 4 nicht erklärbar wäre; Dreher Schröder-Gedächtnisschr. S. 359, 365, 379 und näher Hirsch Klug-Festschr. Bd. II S. 235, 245 ff; abw. Sch / Schröder / Eser § 113 Rdn. 20 m.w. Nachw.). Jedoch führt das nicht zur Bejahung eines besonderen Rechtswidrigkeitsmerkmals, sondern angesprochen ist die Notwehrvoraussetzung der Rechtswidrigkeit des Angriffs und deshalb eine Frage des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr. Die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung wird innerhalb der Prüfung, ob dem Widerstandleistenden Notwehr zur Seite stand, bei der Frage der Rechtswidrigkeit des in der Vollstreckungshandlung bestehenden Angriffs erörtert, was auch ohne die ausdrückliche gesetzliche Erwähnung zu geschehen hätte. Es handelt sich lediglich um einen gesetzlichen Hinweis auf das normale Zusammenspiel der Rechtfertigungsfragen (hier von staatlicher Eingriffsbefugnis einerseits und Notwehr andererseits), der für die Prüfung, ob die Widerstandshandlung gerechtfertigt war, klarstellt: Ist die Diensthandlung nicht rechtmäßig, dann liegt ein rechtswidriger Angriff des Amtsträgers vor, so daß eine Notwehrlage für den Widerstandleistenden gegeben ist (näher Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 299 f; Klug-Festschr. Bd. II S. 235, 247 ff [unter gleichzeitiger Darlegung der bei der geltenden Fassung des § 113 Abs. 3 zusätzlich erforderlichen Differenzierung zwischen Rechtfertigung nach § 32 und nur entschuldigender Notwehrüberschreitung]). – Ebenfalls läßt sich das Merkmal „eigenmächtig“ nicht als besonderes Rechtswidrigkeitsmerkmal erklären. Es bedeutet „ohne Genehmigung“ und bildet bereits ein essentielles Erfordernis der betreffenden Tatbestandshandlung (vgl. Schölz / Lingens WStG § 15 Rdn. 18). – Für eine systematische Kategorie spezieller Rechtswidrigkeitsmerkmale verbleibt daher kein Raum. Es geht vielmehr um Rechtfertigungs- oder Tatbestandsfragen. Die kritisierte Lehre birgt 35

Krit. zu dieser Auffassung Hirsch Klug-Festschr. Bd. II S. 235, 247.

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nicht nur die Gefahr, daß Rechtfertigungserfordernisse unbeachtet bleiben (und damit – wie im Falle der Anwendung auf § 113 – die Abstufung von Rechtfertigung und Schuld eingeebnet werden würde; vgl. Hirsch Klug-Festschr. Bd. II S. 235, 248, 251), mehr noch droht von ihr eine Aushöhlung der Tatbestandsmäßigkeit in Richtung auf nicht mehr ausreichend umschriebene unrechtsindizierende Tatbestände. Das wurde besonders deutlich bei den Tätermerkmalen (z. B. Amtsträger bei den Amtsdelikten), die von den Anhängern der Theorie anfänglich als spezielle Rechtswidrigkeitsmerkmale eingestuft wurden (vgl. Welzel Lb. 4. Aufl. § 27 III, § 77 2 [anders Lb. 11. Aufl. § 12 III]; Armin Kaufmann Normentheorie S. 149 ff). Es geriet aus dem Blick, daß durch die Herausnahme aus dem Kreis der Tatbestandsmerkmale (z. B. des Tatbestands der Falschbeurkundung im Amt) und die Verlagerung erst auf die Ebene der Rechtswidrigkeit tatbestandsmäßigen Verhaltens ein die Tatbestandsmäßigkeit der betreffenden Delikte prägendes Element eliminiert wurde. Das dabei im Hintergrund stehende Bestreben, die Fälle irriger Annahme eines Tätermerkmals aus dem Bereich des untauglichen Versuchs herauszuhalten, läßt sich nicht auf solche Weise lösen, sondern bildet ausschließlich ein Problem der Versuchslehre. – Siehe zur Gesamtproblematik aber auch die Verteidigung der Theorie durch Armin Kaufmann Klug-Festschr. Bd. II S. 277 ff (m.w. Beispielen). [25] Während die Existenz eigenständiger „spezieller Rechtswidrigkeitsmerkmale“ zu verneinen ist (Rdn. 23 f), finden sich in einigen Strafbestimmungen gesetzliche Hervorhebungen des allgemeinen Deliktsmerkmals Rechtswidrigkeit, z. B. in §§ 239 und 303. Es handelt sich darum, daß der Gesetzgeber hier Anlaß sieht, ausdrücklich auf die Möglichkeit des Eingreifens von Rechtfertigungsgründen hinzuweisen. Die Terminologie ist dabei nicht einheitlich. Neben dem Begriff „rechtswidrig“ ist gleichbedeutend von „widerrechtlich“ (§§ 123, 239) und „unbefugt“ (z. B. § 203) die Rede. Bei „unbefugt“ verhält es sich allerdings nicht immer so; der Begriff taucht auch in speziellerer Sinngebung auf und ist dann in seiner speziellen Bedeutung Tatbestandsmerkmal (z. B. heißt „unbefugt“ in § 107a „ohne Wahlberechtigung“). Sonderprobleme ergeben sich auch bezüglich der gesetzlichen Verwendung des Begriffs „rechtswidrig“ in §§ 242, 246 und 263 (dazu Ruß LK 10 § 242 Rdn. 68 ff und Lackner LK 10 § 263 Rdn. 275 ff). Im übrigen ist es möglich, daß ein einzelner Rechtfertigungsgrund mit in einer Strafbestimmung des Besonderen Teils geregelt wird. Das würde ihn nicht zu einem (negativen) Tatbestandsmerkmal machen, da der Tatbestand ein Begriff des wissenschaftlichen Deliktsaufbaus ist und daher von einer derartigen, nur stilistisch bedingten Gesetzestechnik unberührt bliebe. [26] c) Nach der Lehre von der Sozialadäquanz (sozialen Adäquanz) fallen Handlungen, die zwar vom Wortlaut einer Strafbestimmung umfaßt sind, sich aber völlig im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens bewegen, aus dem Bereich des Unrechts heraus (Welzel ZStW 58 [1939] 491, 516 ff, 527; Lb § 10 IV) 36. Als Fälle der Sozialadäquanz sind

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beispielsweise angeführt worden: Übliche Neujahrsgeschenke an den Postboten, Verletzungen, die bei ordnungsgemäßer Teilnahme am modernen Straßen-, Schienen- oder Flugverkehr eintreten, Ausschenken von Alkohol an Kraftfahrer (vgl. Welzel § 10 IV) 37. Streitig ist unter den Anhängern der Theorie, auf welcher Stufe der Unrechtsvoraussetzungen die systematische Einordnung der Sozialadäquanz erfolgen soll. Überwiegend nimmt man eine Tatbestandsfrage an (Welzel aaO 38; Dreher / Tröndle Rdn. 12; Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 49; Lackner Rdn. 29; Stratenwerth Rdn. 337 ff; Maurach / Zipf § 17 Rdn. 14 ff) 39. Dagegen ist Schmidhäuser AT 9/27 für Einordnung erst als Rechtfertigungsgrund. Offengelassen wird dies von Schaffstein ZStW 72 (1960) 369, 393 (als vom „Gesamttatbestand“ aus gegenstandslos) und BGHSt. 23 226, 228. Wenn man jedoch überhaupt mit dem Begriff der Sozialadäquanz (Sozialkongruenz) arbeitet, so betrifft er auf der Grundlage der herrschenden, zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsebene abstufenden Verbrechenslehre (Rdn. 50, da völlig normale Handlungsweisen eliminierend, bereits die Tatbestandsmäßigkeit. Er dient dann als Maßstab für eine restriktive Auslegung des Tatbestands (vgl. im einzelnen Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 285 ff; ZStW 74 [1962] 78, 81, 132; Roxin Klug-Festschr. Bd. II S. 303, 310 ff). [27] Nicht prinzipiell durchgesetzt hat sich die Lehre von der Sozialadäquanz in der strafrechtlichen Judikatur. Zurückgegriffen wird auf sie in BGHSt. 23 226, 228; 31 383, was jedoch mit der speziellen Konstruktion des § 86 Abs. 3 zusammenhängt. Außerdem wird der Begriff im Rahmen der Ingerenzfrage bei den unechten Unterlassungsdelikten erwähnt (BGHSt. 19 152, 154; 26 35, 38). Indem es dort aber um den speziellen Gesichtspunkt der Bestimmung des relevanten gefährdenden Vorverhaltens geht, läßt diese Verwendungsart die grundsätzliche Problematik eines Tatbestandskorrektivs Sozialadäquanz unberührt. Beiläufig taucht der Begriff ferner in BGHSt. 31 264, 279 auf (bzgl. §§ 331, 332). Allgemein bejaht wird die Lehre dagegen von OLG München NStZ 1985 549 (jedoch ohne Erwähnung der Gegenmeinung und der Problematik) 40. Offengelassen und für die betreffenden Tatbestandsrestriktionen als entbehrlich angesehen ist sie in OLG Hamm NJW 1980 2537 (zu § 136) und OLG Düsseldorf NJW 1987 2453 36 So auch Dreher / Tröndle Rdn. 12; Jescheck § 25; ders. LK Vor § 13 Rdn. 49; Armin Kaufmann ZfRV 1964 41, 50; Klug Eb. Schmidt-Festschr. S. 249, 255 ff (mit abw. Terminologie); Krauß ZStW 76 (1964) S. 19, 45 ff; Lackner Rdn. 29; Peters Welzel-Festschr. S. 415, 419 ff; Schaffstein ZStW72 (1960) 369 ff; Schmidhäuser 9/26 ff; Stratenwerth Rdn. 337 ff; Zipf ZStW82 (1970) 633, 647 ff; Maurach / Zipf § 17 Rdn. Uff. 37 Nachweise weiterer Beispiele bei Jescheck LK Vor § 13 Rdn. 49 und Hirsch ZStW 74 (1962) 78, 87 ff. 38 In 4. bis 8. Aufl. des Lehrbuchs aber zeitweilig für gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund; krit. dazu Hirsch ZStW 74 (1962) 78, 80 ff, 132. 39 Siehe auch Klug Eb. Schmidt-Festschr. S. 249, 262 ff (bzgl. „Sozialkongruenz“) und der Sache nach Sax JZ 1975 137, 143 f. 40 Krit. dazu Herzberg JR 1986 6, 7.

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(zu § 344 Abs. 1). Im Schrifttum stößt die Theorie zunehmend auf Kritik: Baumann / Weber § 15 III 3 b; Gallas ZStW 67 (1955) l, 22; Herzberg JR 1986 6, 7; Hirsch ZStW 74 (1962) 78, 133 ff; Kienapfel Erlaubtes Risiko S. 10, 29; Küpper GA 1987 385, 388; Roxin Klug-Festschr. Bd. II S. 303, 310, 313 (keine selbständige Bedeutung); Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 107 a, Vor § 13 Rdn. 70 41. [28] Auch in der Rspr. der Zivilgerichte findet der Begriff der Sozialadäquanz nur vereinzelt Erwähnung (so in OLG München NJW 1966 2406, während BGHZ (GrS) 24 21, 26 sich nicht auf ihn stützt). Zur zivilrechtlichen Diskussion näher Deutsch Welzel-Festschr. S. 227, 237 ff mit Nachweisen. Zu beachten ist zudem, daß im Zivilrecht unter Sozialadäquanz vielfach nur der Bereich des sog. erlaubten Risikos (Rdn. 30 ff) verstanden wird (siehe etwa Hanau MünchKomm. § 276 BGB Rdn. 134). In der arbeitsrechtlichen Judikatur und Lehre dagegen war die Sozialadäquanz zeitweilig zum dogmatischen Zentralbegriff des Arbeitskampfrechts geworden (vgl. BAG [GrS] 1 291, 300, 306f [Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes]; 14 174 [Haftung für wilden Streik]; 14 202 [Gewerkschaft und wilder Streik]; [GrS] 20 175 [Differenzierungsklausel]; Hueck / Nipperdey Arbeitsrecht II/2 7. Aufl. § 49 B I) 42. Inzwischen setzt sich jedoch die Auffassung durch, daß dieser Begriff wegen seiner Unscharfe nicht als Rechtsmäßigkeitskriterium des Arbeitskampfes geeignet ist 43; auch stellt die Aussperrungsentscheidung BAG [GrS] 23 292 ganz auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ab. [29] Bei der Kritik an der Lehre von der Sozialadäquanz geht es nicht darum, die Tatbestandsmäßigkeit oder sogar Strafbarkeit der von dieser Lehre gemeinten Fälle zu behaupten. Vielmehr bestehen Bedenken, sich zur Begründung unmittelbar auf einen Maßstab zu stützen, der ebenso unbestimmt ist wie die Gesichtspunkte der Sittengemäßheit und der mangelnden Verwerflichkeit. Angesichts der Unsicherheit (oder auch Verunsicherung) darüber, was sich im Rahmen der sozialen Ordnung hält (vgl. auch die parallelen Schwierigkeiten bei § 226a und besonders § 240 Abs. 2), würde das Arbeiten mit einem so schillernden Gesichtspunkt bedeuten, daß der untere Bereich der Strafbarkeit weithin ins Schwimmen geriete 44. Die Gefahren liegen auf der Hand. Nicht nur, daß Staatsanwaltschaften auf diese Weise die Voraussetzungen (gerade auch die formellen) der §§ 153 f StPO unterlaufen könnten 45, mehr noch würde damit manche 41

So auch schon H. Mayer StudB § 13 II 2c; Würtenberger Rittler-Festschr. S. 125, 129. Nur bezüglich des „sozialadäquaten Risikos“ hält Roeder (Sozialadäquates Risiko S. 27 ff) den Begriff für fruchtbar. 42 Vgl. ferner Nipperdey NJW 1967 1985, 1992 f; Bulla Nipperdey-Festschr. (1965) Bd. II S. 79, 93 ff; Galperin Nipperdey-Festschr. Bd. II S. 197 ff. 43 Ausdrücklich ablehnend: Bernert Zur Lehre von der „sozialen Adäquanz“ und den „sozialadäquaten Handlungen“ (1966) S. 91 f; Ramm AuR 1966 161 ff; Richardi Arbeitsrechtliche Fälle 5. Aufl. S. 141; Rüthers AuR 1967 129 ff; Zöllner / Loritz Arbeitsrecht 4. Aufl. § 40 IV m.w. N. 44 Vgl. auch Küpper GA 1987 385, 388f.

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Strafverfolgungsbehörde der Versuchung ausgesetzt werden, unter Berufung auf die Möglichkeit des Vorliegens „sozialer Adäquanz“ am Gesetzgeber vorbei ihre eigene „Strafrechtsreform“ zu betreiben oder sogar, insbesondere in Zeiten innenpolitischer Spannungen, den für die Behörde mit der Anklageerhebung verbundenen Ungelegenheiten aus dem Wege zu gehen. Ebensowenig, wie man die einzelnen Rechtfertigungsgründe durch eine Generalklausel der materiellen Rechtswidrigkeit ersetzen könnte (Rdn. 13), dürfen die präzisen Gesichtspunkte der restriktiven Tatbestandsauslegung einschließlich der systematischen Aspekte durch eine so vage Generalklausel wie die der Sozialadäquanz aufgeweicht werden (Roxin Klug-Festschr. Bd. II S. 303, 310 ff betont deshalb, daß uns exaktere Methoden der Tatbestandsbegrenzung zur Verfügung stehen). Lehrreich ist auch, daß der Begriff im Arbeitsrecht an seiner Unbestimmtheit gescheitert ist (siehe Rdn. 28). Er gehört nach Wiethölter „zu jenen verführerischen Vokabeln, die bei der Auslegung nur das enthüllen, was vorher an wünschenswertem Ergebnis in sie hineingelegt worden ist“ 46. Bedenken angesichts der Garantiefunktion des Tatbestands erhebt Würtenberger Rittler-Festschr. S. 125, 129. Wo der Begriff bisher bei Vorsatzdelikten verwandt worden ist, lief das zudem häufig darauf hinaus, daß an die Stelle exakter wissenschaftlicher Begründung und Differenzierung einfach das Schlagwort „Sozialadäquanz“ trat (vgl. die Erörterung der einzelnen Fälle bei Hirsch ZStW 74 [1962] 78, 87 ff). Außerdem führt der Gesichtspunkt der Sozialadäquanz zu Fehldeutungen, wenn es dem Gesetzgeber darum geht, ein Verhalten, das herkömmlich als im Rahmen der sozialen Ordnung liegend gilt, aufgrund neuer Erkenntnisse zu untersagen. Jedenfalls aber wird man sich angesichts der Tatsache, daß diese Lehre in all den Jahren kaum für die strafrechtliche Judikatur akut geworden ist, die Frage vorlegen müssen, ob der Gewinn, den man sich von ihrer allgemeinen Anerkennung verspricht, in angemessenem Verhältnis zu den evidentermaßen von ihr ausgehenden Gefahren stehen würde. Der Verzicht auf die Lehre verursacht keine Schwierigkeiten beim fahrlässigen Delikt. Zwar enthält der beim fahrlässigen Delikt auftauchende generalklauselhafte Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (näher zum sog. erlaubten Risiko unten Rdn. 30 ff) Berührungspunkte mit dem Begriff der Sozialadäquanz. Hier geht es aber eben nicht um die Anwendung eines allgemeinen strafrechtlichen Tatbestandskorrektivs „Sozialadäquanz“, sondern um den Inhalt eines tatbestandskonstitutiven – in § 276 BGB formulierten – spezifischen Fahrlässigkeitsmerkmals (zust. Sch / Schröder / Lenckner Vor § 13 Rdn. 70) 47. Auch ist fraglich, ob alles, was als verkehrsgerecht aus dem Fahrlässigkeitsbegriff ausscheidet, als sozialadäquat eingestuft werden könnte. Denn der Begriff der Sozialadäquanz hat im Gegensatz zu dem der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt herkömmlich akzentuiert sozialethische Komponenten („völlig innerhalb der sozialethischen Ordnung liegend“). 45 46 47

Bedenklich daher Peters Welzel-Festschr. S. 415, 425 ff. Wiethölter Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens (1960) S. 57. Anders jedoch Maurach / Zipf § 17 Rdn. 22.

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Andererseits birgt er wegen seines schlagwortartigen Charakters die Gefahr, daß die Grenze zur Rechtfertigungsfrage ins Fließen gerät, was beim Gesichtspunkt der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt weniger der Fall ist. [30] d) Nach der Lehre vom erlaubten Risiko sollen Rechtsgutsverletzungen, die auf sozial normalen Verhaltensweisen beruhen, welche zwar der Natur nach gewisse Risiken für die Rechtsgüter anderer unvermeidlich mit sich bringen, aber die geforderten Sicherungsvorkehrungen und Kunstregeln beachten, aus dem Bereich des Unrechts ausscheiden. Das wichtigste Beispiel bildet der Straßenverkehr; in ihm ist es unmöglich, gewisse maßvolle Risiken für Leben, Körper und Sachgüter Dritter völlig auszuschließen. Weiterhin gehören hierher die unvermeidlichen Risiken des Luft-, See- und Eisenbahnverkehrs, der industriellen Produktion, des Abbaus von Bodenschätzen, der Verwendung moderner Energiequellen, ärztlicher Operationen, einiger Sportarten usw. (Zusammenstellung der Fälle bei Schroeder LK 10 § 16 Rdn. 195 ff) 48. Daß bei derartigen (maßvollen) Risikohandlungen kein Unrecht vorliegt, entspricht der ganz herrschenden Auffassung 49. Streitig ist jedoch, ob es bereits um ein Tatbestands- oder erst um ein Rechtfertigungsproblem geht (dazu Rdn. 31, 32), außerdem, ob es sich um eine systematisch eigenständige Kategorie handelt oder ob die Fälle nicht schon auf andere Weise erfaßt werden (dazu Rdn. 32, 33). Zu unterscheiden von der vorstehenden Problematik ist die Einordnung von Sachverhalten, bei denen es nicht um „maßvolles“ Risiko geht, sondern der Begriff des erlaubten Risikos in bezug auf die Gestattung sorgfaltswidriger riskanter Handlungen und damit jedenfalls als Rechtfertigungsfrage verwandt wird (dazu Rdn. 33). [31] Die systematische Einordnung innerhalb des Unrechts erfolgt zumeist auf der Tatbestandsebene, indem das Unrecht jener (maßvollen) Risikohandlungen schon mangels Tatbestandsmäßigkeit verneint wird (Welzel § 18 I 1 a; Sch / Schrö48

Kein Fall erlaubten Risikos liegt vor, wenn ein HIV-Infizierter ohne Schutzmittel Sexualverkehr ausübt (BGHSt. 36 l, 16; Herzberg JuS 1987 777, 778; Prittwitz StV 1989 123, 127; Schlehofer NJW 1989 2017, 2021). Dies gilt auch bei „geschütztem“ Geschlechtsverkehr eines Infizierten (Dreher / Tröndle Rdn. 13; Rengier Jura 1989 225, 231; anders jedoch Herzberg NJW 1987 1461, 1462; Prittwitz JA 1988 427, 437). Zum Fall einverständlichen Verkehrs siehe Rdn. 95 Fußn. 154 mit Nachw. 49 Mezger LK 8 Vor § 51 Bem. 10 h cc (mit Nachw. älteren Schrifttums); Welzel § 18 I 1 a; Samson SK Rdn. 53; Schmidhäuser AT 9/30 ff; Sch / Schröder / Cramer § 15 Rdn. 142 ff; Stratenwerth Rdn. 337 ff, 1101 ff; ohne Berufung auf den Begriff „erlaubtes Risiko“ BGHZ (GrS) 24 21; OLG Köln NJW 1956 1848 sowie Jescheck § 36 I, § 55 I 3 b; Maurach / Zipf § 28 Rdn. 25 (welche die Bezeichnung den unten Rdn. 33 erwähnten Fällen vorbehalten). Zu den früheren ablehnenden Stellungnahmen von Maurach (AT 4. Aufl. § 43 II B 2) und Rehberg (Erlaubtes Risiko S. 179, 185, 247), die erst die sog. Tatverantwortung (Rdn. 186) verneinen wollten, und von Roeder (Sozialadäquates Risiko S. 65 ff, 94), der sich für einen bloßen Schuldausschließungsgrund aussprach, siehe die treffende Kritik bei Blei I § 82 I; Sch / Schröder / Cramer § 15 Rdn. 144; Jakobs Fahrlässiges Erfolgsdelikt S. 50 ff; zu diesen Fragen auch Wimmer ZStW 75 (1963) 420 ff.

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der Rdn. 94 [Lenckner], § 15 Rdn. 143 [Cramer]; Stratenwerth Rdn. 1101, 1107; Jakobs 7/39 ff; Roxin I § 11 Rdn. 55 ff 50. Abw. stufen andere die Fälle erst als Rechtfertigungsgrund ein (Schmidhäuser AT 9/31; Oehler Eb. Schmidt-Festschr. S. 232, 243 ff; Schaffstein ZStW 72 [1960] 369, 385 [bei gleichzeitiger Annahme eines die Rechtfertigungsfrage einbeziehenden Gesamttatbestands]; auch BGHZ 24 21; offengelassen in BGHSt. 36 l, 16) 51. Im übrigen wird im erlaubten (maßvollen) Risiko vielfach ein Anwendungsfall der Lehre von der Sozialadäquanz gesehen (Welzel § 10 IV, § 181 1 a; Sch / Schröder / Cramer § 15 Rdn. 146; Jakobs 7/30; Maurach / Zipf § 28 Rdn. 23 52; siehe aber Hirsch ZStW 74 [1962] 78, 95 ff; Kienapfel Erlaubtes Risiko S. 9 ff, 22 ff). [32] Eine Klärung und Präzisierung ist vor allem durch die neuere Fahrlässigkeitslehre erfolgt. Indem sie zur Tatbestandsmäßigkeit des fahrlässigen Delikts den Verstoß gegen die „im Verkehr erforderliche“ Sorgfalt verlangt (vgl. die Nachw. LK 10 § 230 Rdn. 5), finden die Fälle des „erlaubten Risikos“, in denen es – wie zumeist – um die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit geht, ihre sachgemäße Lösung: Es fehlt am Tatbestandserfordernis der Sorgfaltswidrigkeit (Engisch DJT-Festschr. S. 401, 418 f; Welzel § 18 I 1 a; Blei § 82 II l; Bockelmann / Volk § 15 D; Jescheck § 36 I 2, § 55 I 3 b, § 56 III l; Sch / Schröder Rdn. 94 [Lenckner], § 15 Rdn. 143 [Cramer]) 53. Handlungen, die nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen 54, unterfallen nicht der Verbotsnorm und sind daher, auch wenn etwas passiert, nicht tatbestandsmäßig. Damit aber zeigt sich, daß es hier beim „erlaubten Risiko“ um keinen systematisch selbständigen Gesichtspunkt, sondern um die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen eines spezifischen Elements des Fahrlässigkeitsbegriffs, eben die Nichteinhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt geht. Aber auch in den praktisch weniger bedeutsamen Fällen, in denen das „erlaubte Risiko“ bei Vorsatzdelikten angeführt wird (so nennt Schaffstein das Beispiel, daß beim 50 Näher Welzel Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte S. 14 ff; Engisch DJT-Festschr. Bd. I S. 401, 418 f; Hirsch ZStW 74 (1962) 78, 94 ff; ders. ZStW 94 (1982) 239, 276; Armin Kaufmann ZfRV 1964 41, 50; Lenckner Engisch-Festschr. S. 490, 499 mit Fußn. 26; Zipf Einwilligung S. 79 ff; Geppert ZStW 83 (1971) 947, 994; Frisch Vorsatz und Risiko S. 118; ders. Tatbestandsmäßiges Verhalten S. 3; Herzberg JZ 1989 470, 475. 51 Auch Schmidhäuser Schaffstein-Festschr. S. 129, 139. Mit Einschränkungen ebenfalls Klug Eb. Schmidt-Festschr. S. 249, 264. Von Samson (SK Rdn. 86, Anh. § 16 Rdn. 18) wird die Einordnung unter Berufung auf die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen als unerheblich angesehen. 52 Vgl. auch Engisch DJT-Festschr. Bd. I S. 401, 418 f; Klug Eb. Schmidt-Festschr. S. 249, 264; Schaffstein ZStW 72 (1960) 369, 385. 53 Näher Welzel Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte S. 14 ff; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 308 mit Fußn. 122; ders. ZStW 74 (1962) 78, 94 ff; ders. ZStW 94 (1982) 239, 276; Armin Kaufmann ZfRV 1964 41, 50; Lenckner Engisch-Festschr. S. 490, 499 mit Fußn. 26. 54 Näher zu diesem Begriff und seiner Anwendung Welzel § 18 I 1a und Kaminski Der objektive Maßstab im Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts (1992).

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Bau von Alpentunneln aufgrund statistischer Erfahrung in Rechnung zu stellen ist, daß trotz aller Sicherheitsvorkehrungen Bauleute zu Tode kommen, und sich das auch tatsächlich ereignet) 55, entfällt der Tatbestand infolge Fehlens allgemeiner anderer Erfordernisse. Nach herkömmlicher Auffassung mangelt es am Tatbestandsvorsatz. Denn von Vorsatz kann keine Rede sein, wenn die Vorstellung von der Möglichkeit eines tatbestandsmäßigen Erfolges eine bloße generelle ist (Binding Normen II S. 859; Frank § 59 Bem. V [191]; Bockelmann / Volk § 14 IV 2 a). Die allein auf dem allgemeinen Wissen um die Gefährlichkeit des Lebens in dieser Welt beruhende Voraussicht möglicher künftiger Unglücksfälle genügt nicht für die Annahme eines Verwirklichungswillens 56. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob das Fehlen nicht auf Defizite des objektiven Tatbestands zurückzuführen ist. Das Kriterium, auf das es dann ankommt, ist jedoch nicht das erlaubte Risiko, sondern die mangelnde objektive Beherrschbarkeit des Kausalgeschehens (Küpper Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik [1990] S. 91 ff) 57. Die heute verbreitete Lehre von der objektiven Zurechnung will demgegenüber zwar auf erlaubtes Risiko abstellen, diesen Gesichtspunkt aber dem Begriff der objektiven Zurechnung integrieren 58. Unabhängig von diesen Streitfragen zeigt sich daher, daß die Lehre vom erlaubten Risiko – die also eigentlich keine Lehre vom „erlaubten“, sondern schon vom unverbotenen, d. h. gar nicht tatbestandsmäßigen Risiko ist – deshalb, weil die von ihr aufgeworfenen Fragen unter präziserem Blickwinkel bereits bei bestimmten anderen Deliktserfordernissen beantwortet werden, keine selbständige Funktion hat und somit systematisch entbehrlich ist 59. Sie beruht auf der älteren Systematik, welche das tatbestandsmäßige Verhalten ganz von der Kausalität her erklärte und deshalb, wollte sie das mangelnde Unrecht dieser Fälle nicht ignorieren, auf die Konstruktion eines Rechtfertigungsgrundes „erlaubtes Risiko“ ausweichen mußte 60. [33] Von diesen herkömmlich die Lehre vom „erlaubten Risiko“ prägenden Fällen (Rdn. 30 – 32), bei denen es schon um fehlende Tatbestandsmäßigkeit geht (unverbotenes Risiko), sind Sachverhalte lediglich ausnahmsweise gerechtfertigter riskanter Handlungen (z. B. riskante Rettungshandlungen), damit im strengen 55 Schaffstein ZStW 72 (1960) 369, 373 Fußn. 11. Weitere Beispiele bei Jescheck § 28 IV 3. 56 Vgl. im einzelnen Bockelmann / Volk § 14 IV 2 a. Anders Krauß ZStW 76 (1964) 19, 46; Herzberg JR 1986 6,7. 57 Siehe auch schon Hirsch ZStW 74 (1962) 78,98. 58 Roxin I § 11 Rdn. 55 ff m.w. N.: dazu Hirsch Köln-Festschr. S. 399, 404 ff. Der Gesichtspunkt des „erlaubten Risikos“ paßt mangels tatbestandsrelevanter Risikoproblematik von vorneherein nicht bei Vorsatztaten; er wäre dort auch viel zu weit. 59 So auch ausdrücklich Bockelmann / Volk § 15 D; Binavince Die vier Momente der Fahrlässigkeitsdelikte S. 69 ff; Preuß Erlaubtes Risiko S. 226 f; Jescheck § 36 I 1 und bereits Hirsch ZStW 74 (1962) 78, 100; siehe außerdem Kienapfel Erlaubtes Risiko S. 27 f. 60 Zur zivilrechtlichen Problematik siehe Deutsch Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt (1963); Hanau MünchKomm. 2. Aufl. § 276 BGB Rdn. 128 m.w. N.

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Sinne erlaubtes Risiko, zu unterscheiden (Hirsch ZStW 74 [1962] 78, 99 f; zust. Blei I § 82 II 1 u. 2; Geppert ZStW 83 [1971] 947, 995 ff; Jescheck § 36 I l, § 56 III l; Lenckner Engisch-Festschr. S. 490, 499 Fußn. 26; Maurach / Gössel / Zipf § 44 Rdn. 1 ff). Es geht dabei um die Einordnung folgender Sachverhalte: Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 61, riskante Rettungshandlungen 62, gewisse Fälle einverständlicher verkehrswidriger Lebensgefährdungen 63 und – bzgl. § 266 – die Vornahme gefährlicher, aber dem Unternehmensleiter nicht schlechthin untersagter Spekulationsgeschäfte, die jenseits der normalen kaufmännischen Risiken der Unternehmensführung oder Vermögensverwaltung liegen, aber den Umständen nach erheblichen Gewinn versprechen 64. Während eine im Vordringen befindliche Richtung im rechtfertigenden erlaubten Risiko nur ein gemeinsames Strukturprinzip für verschiedene, hinsichtlich ihrer einzelnen Voraussetzungen festgelegte Rechtfertigungsgründe sieht 65, betrachtet eine andere Auffassung das erlaubte Risiko als einen eigenständigen, für weitere Fälle offenen allgemeinen Rechtfertigungsgrund 66. Gegenüber der letztgenannten Ansicht ist jedoch einzuwenden, daß der Gedanke des erlaubten Risikos des näheren Inhalts entbehrt, der für einen selbständigen Rechtfertigungsgrund unverzichtbar ist. Es geht nicht an, daß die umgrenzten Voraussetzungen von § 34, der rechtfertigenden Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung durch ein derart unscharfes Prinzip unterlaufen werden. Einer besonderen Rechtsfigur des erlaubten Risikos bedarf es mithin auch auf der Rechtfertigungsebene nicht (Hirsch ZStW 74 [1962] 78, 100; Kienapfel Erlaubtes Risiko S. 26 f; Preuß Erlaubtes Risiko S. 226 ff; Maiwald Jescheck-Festschr. S. 405, 424 [nur Hinweis darauf, daß es Fälle erlaubten riskanten Handelns gibt]) 67.

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Gallas Niederschriften 9 S. 71; Dreher / Tröndle § 193 Anm. 1; Jescheck § 36 II 1; Lenckner H. Mayer-Festschr. S. 165, 180; Schmidhäuser AT 9/55; Welzel § 42 III 2; dagegen: Hirsch Ehre und Beleidigung (1967) S. 201 f; Preuß Erlaubtes Risiko S. 220 ff; Rudolphi SK § 193 Rdn. 1. 62 Maurach / Gössel / Zipf § 44 Rdn. 4 ff; Gössel Bengl-Festschr. S. 23, 37 ff. 63 H. Mayer AT § 28 III 2; Langrock MDR 1970 982, 984; dagegen Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 107 b. 64 Klug Eb. Schmidt-Festschr. S. 249, 260; bis zur 3. Aufl. auch noch Jescheck § 36 II 2 b; krit. dazu Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 107b (soweit Risikogeschäfte im Rahmen ordnungsgemäßer Geschäftsführung, bereits keine Tatbestandsmäßigkeit nach § 266, sonst nur Frage allgemeiner Rechtfertigungsgründe). 65 Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 107 b; Maiwald Jescheck-Festschr. S. 405, 409 ff; Roxin I § 18 Rdn. 1 f; Wessels AT § 8 II 1; seit der 4. Aufl. auch Jescheck § 36 I 1, § 56 III 1. 66 Klug Eb. Schmidt-Festschr. S. 249, 264; Maurach / Zipf § 28 Rdn. 25; Maurach / Gössel / Zipf § 44 Rdn. 1 ff; Gössel Bengl-Festschr. S. 23, 37. 67 Wie hier Baumann / Weber § 21 II 4 a; Bockelmann / Volk § 15 D; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 107b (wo die Ausführungen von Hirsch ZStW 74 [1962] 78, 99, 100 nicht ganz zutreffend wiedergegeben werden); Roxin I § 18 Rdn. 1 f; siehe auch Jescheck § 36 I 1.

Systematische Einordnung und allgemeine Fragen der Rechtfertigung

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B. Allgemeine Fragen der Rechtfertigungsgründe

1. Quellen und Geltung [34] a) Die Rechtfertigungsgründe sind dem Gesamtbereich der Rechtsordnung zu entnehmen (z. B. RGSt. 59 404, 406; 61 242, 247; 63 215, 218; BGHSt. 11 241, 244; Engisch Einheit der Rechtsordnung S. 55 ff; Jescheck § 31 III 1; allg. Auffassung). Denn die Frage der Rechtswidrigkeit ist einheitlich für die gesamte Rechtsordnung zu beantworten: Prinzip der Einheit der Rechtsordnung (vgl. Rdn. 10). Deshalb hieß es ausdrücklich in § 20 E 1925: „Eine strafbare Handlung liegt nicht vor, wenn die Rechtswidrigkeit der Tat durch das öffentliche oder bürgerliche Recht ausgeschlossen ist.“ Außer den im StGB geregelten Rechtfertigungsgründen, z. B. §§ 32, 34, 193, sind also ebenfalls die in anderen Gesetzen, gleichgültig welchen Rechtsgebiets, enthaltenen Rechtfertigungsgründe strafrechtlich erheblich, z. B. §§ 81a Abs. 1 Satz 2, 127 StPO, §§ 228, 229, 859, 904 BGB, § 808 ZPO. Dabei können sich auch aus dem Landesrecht Rechtfertigungsgründe für Tatbestände des Bundesrechts ergeben, soweit die Materie, welcher der fragliche Erlaubnissatz angehört, in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt (BGHSt. 11 241, 244; RGSt. 47 270, 276 f; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 27). Da kein numerus clausus der Rechtfertigungsgründe besteht (BGHZ 24 21, 25), können sich über die positivrechtlich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus weitere Rechtfertigungsgründe bilden. Als außergesetzliche Rechtsquelle kommt Gewohnheitsrecht in Betracht, z. B. die allgemeine rechtfertigende Einwilligung (Rdn. 92), das frühere schulische Züchtigungsrecht (BGHSt. 11 241, 244; zu dessen Fortfall LK 10 § 223 Rdn. 24), die gewohnheitsrechtliche Erlaubnis zur Einleitung nicht ölhaltiger Schiffsabwässer (vgl. zu § 324: BayObLG JR 1983 120), auch das Völkerrecht (Jescheck § 31 III 2). Darüber hinaus werden überpositive Prinzipien als Quelle genannt, so etwa das „an den obersten Wertvorstellungen der Gemeinschaft ausgerichtete überpositive Recht (Naturrecht)“ (Jescheck aaO), die „ethischen Grundlagen des Rechts“ (Mezger LK 8. Aufl. Vor § 51 Bem. 9e bb) oder schlicht „allgemeine Erwägungen“ (Schröder in: Sch / Schröder 17. Aufl. Vor § 51 Rdn. 10). Das Hauptbeispiel bildet dabei der übergesetzliche rechtfertigende Notstand, wie er von RGSt. 61 242 entwickelt worden ist. Aber abgesehen davon, daß diese Problematik an Bedeutung verloren hat, seitdem der rechtfertigende Notstand in § 16 OWiG und § 34 allgemein gesetzlich geregelt worden ist, bestehen ernste Bedenken gegen die unmittelbare Anknüpfung an vorrechtliche Wertmaßstäbe. Auch für die Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Regeln der juristischen Hermeneutik, soll nicht die Rechtsetzungskompetenz des Gesetzgebers unterlaufen werden 68 (näher Rdn. 13). Lücken im Katalog der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe sind deshalb aus Zusammenhang und Zweck der geltenden Rechtssätze, vor allem im Wege der Gesetzes- und Rechtsanalogie, zu schließen (vgl. RGSt. 61 242, 247). 68

Anders aber Roxin I § 14 Rdn. 12.

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Allgemeiner Teil

[35] b) Die Rechtfertigungsgründe unterliegen, jedenfalls soweit sie strafgesetzlich geregelt sind, dem für Strafgesetze geltenden Art. 103 Abs. 2 GG (Würtenberger Rittler-Festschr. S. 125, 133; Sch / Schröder / Eser § 1 Rdn. 17, § 2 Rdn. 4; Stratenwerth Rdn. 169; Welzel § 5 II 1). Nach BGHSt. 39 l, 27f sind sie zumindest nicht generell von dem Schutzbereich dieser Vorschrift ausgeschlossen. Denn durch sie wird der Umfang der Strafbarkeit mitbestimmt, so daß für sie prinzipiell nichts anderes gilt als für andere strafgesetzliche Vorschriften. Es ergeben sich aber gegenüber dem Tatbestandsbereich, bedingt durch die Natur der Rechtfertigungsgründe als Ausnahmesätzen, erhebliche Abweichungen, insbesondere Umkehrungen [36] aa) Analogieverbot. Es ist zu unterscheiden zwischen Erweiterung und Einschränkung von Rechtfertigungsgründen. Nicht gegen das Analogieverbot verstößt eine Erweiterung der Rechtfertigungsfälle durch Gewohnheitsrecht, Analogie u. dgl., da es sich dabei in bezug auf die Strafbarkeit um eine Einschränkung (Analogie zugunsten des Täters) handelt. Zwar bewirkt eine solche Erweiterung der Rechtfertigungsfälle zwangsläufig eine Ausdehnung der Duldungspflicht des durch die Täterhandlung Betroffenen und erweitert damit faktisch dessen Strafbarkeitsbereich. Ausschlaggebend ist jedoch, daß sich diese Strafbarkeitserweiterung lediglich mittelbar über das Merkmal „Rechtswidrigkeit des Angriffs“ der Notwehrvorschrift durch Rezeption einer in anderem Zusammenhang getroffenen rechtlichen Wertung ergibt. Art. 103 Abs. 2 GG will aber nach Sinn und Zweck solche nur indirekten Strafbarkeitserweiterungen nicht erfassen (so auch Suppert Studien S. 297; Rudolphi SK § 1 Rdn. 20; Sch / Schröder / Eser § 1 Rdn. 17 u. 33; anders Gribbohm JuS 1966 155, 159 Fußn. 15). Das zeigt sich übrigens auch schon auf der Tatbestandsebene, wo normative Tatbestandsmerkmale (z. B. Eigentum, Vermögen) mittelbar durch die Auslegung anderer Rechtssätze, etwa zivilrechtlicher Vorschriften, umfangmäßig beeinflußt werden können. [37] EinVerstoß gegen das Analogieverbot liegt dagegen vor, wenn ein Strafrichter einen strafgesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrund entgegen dem Wortlaut einschränkt, also eine Korrektur des Strafgesetztextes zu Lasten des Täters vornimmt (wie hier Engisch Mezger-Festschr. S. 127, 131; Baumann / Weber § 12 I 2 a; Bockelmann / Volk § 4 C I 3; Jescheck § 31 III 3; Maurach / Zipf § 10 Rdn. 20; Schmidhäuser StudB 3/21) 69. Beispielsweise wäre es unzulässig, als zusätzliche Erfordernisse für § 32 allgemein eine Güterabwägung und für § 34 die pflichtmäßige Prüfung der Sachlage zu verlangen. Durch die Festschreibung einiger wichtiger Rechtfertigungsgründe im Strafgesetz ist insoweit eine strafgesetzliche Bestimmung des Rechtfertigungsumfangs und damit des Umfangs der Strafbarkeit erfolgt. Es wäre ein Widerspruch, im Strafgesetz geregelte Rechtfer69 So bereits H. Mayer AT § 30 IV 4b und näher Würtenberger Rittler-Festschr. S. 125, 133; Kratzsch GA 1971 65, 72; Krause GA 1979 329, 330; Engels GA 1982 109 ff; im Grundatz auch Wessels AT § 2 I 3.

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tigungsgründe anders unter dem Blickwinkel des Analogieverbots zu behandeln als die dort festgeschriebenen sonstigen nicht schon den Tatbestandsbereich betreffenden Rechtssätze. Unerheblich ist es auch, ob ein Rechtfertigungsgrund im Allgemeinen oder im Besonderen Teil des Gesetzes steht, denn zwar § 193 und § 226 a, nicht aber § 32 und § 34 dem Analogieverbot zu unterwerfen, liefe auf die Orientierung an einer nur gesetzestechnischen Frage und damit auf eine formale, sachlich nicht zu stützende Unterscheidung hinaus 70. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Analogieverbot und dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, also der einheitlichen Entscheidung der Rechtswidrigkeitsfrage (Rdn. 10), löst sich wie folgt: Das Analogieverbot wirkt sich nur dahingehend aus, daß hinsichtlich der Strafbarkeit des Betreffenden das Verhalten so zu beurteilen ist, als sei es bereits gerechtfertigt. Dagegen bleibt unberührt, daß die fragliche Rechtfertigung außerhalb der strafrechtlichen Beurteilung des Täters, namentlich im Zivilverfahren, aufgrund eines dort nach allgemeinen rechtsmethodischen Grundsätzen zulässigen Analogieschlusses abzulehnen ist und folglich ein Verstoß gegen die Rechtsordnung bejaht wird (näher dazu Hirsch Tjong-Gedächtnisschr. S. 50, 60 f). Im übrigen werden die Auswirkungen des strafrechtlichen Analogieverbots dadurch entschärft, daß § 32 durch das Erfordernis des Gebotenseins (Absatz 1) und § 34 durch die Interessenabwägung ausreichenden Entwicklungsspielraum belassen. Deshalb besteht auch zu der verfassungsrechtlich bedenklichen Forderung, bei strafgesetzlich geregelten Rechtfertigungsgründen trotz Analogieverbots doch eine über die mögliche Wortbedeutung hinausgehende einschränkende Auslegung zuzulassen, schon kein praktischer Anlaß (anders Lenckner GA 1968 l, 9; Roxin Kriminalpolitik S. 31 f; ZStW 93 [1981] 68, 80; zu ihnen kritisch Engels GA 1982 109, 123 ff) 71. [38] Grundsätzlich abw. findet sich die Ansicht, daß die Rechtfertigungsgründe überhaupt nicht dem Analogieverbot unterlägen. Im Anschluß an die ältere Auffassung, die auf dem IV. Int. Strafrechtskongreß 1937 zum Beschluß erhoben worden war (Actes du Congres, 1939, S. 442), sagt eine Richtung, daß das Analogieverbot nicht im Bereich des Allgemeinen Teils eingreife (Tröndle LK 10 § 1 Rdn. 38 [anders Gribbohm LK 11 § 1 Rdn. 73]; Schroeder JZ 1992 990, 991; Hardwig ZStW 78 [1966] l, 8f; Suppert Studien S. 299). Diese Meinung vernachlässigt jedoch, daß gerade auch die im Allgemeinen Teil geregelten Rechtssätze unmittelbar den Umfang der Strafbarkeit mitbestimmen, und hat deshalb heute nur noch wenige Anhänger. Eine andere Richtung stellt deshalb zwar nicht 70

Maurach / Zipf § 10 Rdn. 21; Fincke Verhältnis S. 13 ff; Engels GA 1982 109, 119. Wenn Roxin (I § 5 Rdn. 42 mit Fußn. 61) für die abweichende Auffassung anführt, daß die unterschiedliche Behandlung von strafgesetzlich und außerstrafgesetzlich geregelten Rechtfertigungsgründen auf das Abstellen von gesetzgeberischen Zufällen hinauslaufe, so ist dem entgegenzuhalten, daß die Aufnahme bestimmter – strafrechtlich besonders bedeutsamer – Rechtfertigungsgründe ins Strafgesetz gerade deren Umfang präzisieren und garantieren soll. 71

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Allgemeiner Teil

grundsätzlich in Abrede, daß das Analogieverbot auch für den Allgemeinen Teil Bedeutung hat, sie will aber Rechtfertigung und Entschuldigung (i. e. S., z. B. § 35) davon ausnehmen (Krey Gesetzesvorbehalt S. 234 ff; JZ 1979 702, 712; Stöckel Gesetzesumgehung S. 105). Diese Begrenzungen verschieben indes die Gewichte und relativieren bedeutsame strafrechtliche Festlegungen. Für den Täter und die strafgesetzliche Rechtssicherheit macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob über die mögliche Wortbedeutung hinaus ein Straftatbestand ausgedehnt oder die Schuldfähigkeit, ein persönlicher Strafausschließungsgrund oder eben auch ein im Strafgesetz geregelter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund eingeschränkt wird. Die Herausnahme von Rechtfertigung und Entschuldigung kann insbesondere nicht darauf gestützt werden, daß sich diese Rechtssätze nur indirekt auf die Strafbarkeitsgrenze auswirkten und nicht – wie die Regelungen von Versuch, Schuldfähigkeit und persönlichen Strafausschließungsgründen – den Strafwürdigkeitsgehalt und die Rechtsfolge unmittelbar mitbestimmten. Denn die Rechtswidrigkeit spielt ersichtlich eine zentrale Rolle für die Strafwürdigkeit einer Tat, und zwar eine gewichtigere als die sich erst an ihr Vorliegen anschließenden Fragen der Schuldfähigkeit oder eines persönlichen Strafausschließungsgrundes. Auch ist die kritisierte Auffassung deshalb bedenklich, weil sie sich zu einer Differenzierung innerhalb des Schuldbereichs genötigt sieht. Die von ihr vertretene unterschiedliche Behandlung von Schuldunfähigkeit und Verbotsirrtum einerseits und entschuldigendem Notstand u. dgl. andererseits vernachlässigt, daß sich beide Bereiche auf einer Bewertungsstufe bewegen, nämlich auf der Ebene der Frage, ob der Täter das Unrecht einsehen oder nach dieser Einsicht handeln konnte. Ebenfalls ist die unterschiedliche Behandlung von Entschuldigungsgründen und persönlichen Strafausschließungsgründen nicht einleuchtend. Der offenbar hinter der Konstruktion stehende Gedanke, daß im einen Fall spezifisch strafrechtliche Gesichtspunkte, im anderen allgemeine rechtliche Aspekte eine Rolle spielen, bildet kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Denn auch die meisten Straftatbestände sind – insbesondere durch die Vorschriften des zivilen Schadensersatzrechts – ohnehin schon verboten, und die Schuldfähigkeit hat ebenfalls in weiten anderen Bereichen der Rechtsordnung Bedeutung. Außerdem überzeugt nicht der hinter der Differenzierung zwischen direktem und nur indirektem Einfluß auf die Strafbarkeitsgrenze wohl auch stehende Gedanke, daß es sich im einen Fall um „strafbegründende“, im anderen um „strafausschließende“ Rechtssätze handele; denn Schuldunfähigkeit, Verbotsirrtum und persönliche Strafausschließungsgründe sind ihrer Natur nach gleichfalls negative Rechtssätze (vgl. die Wortfassung der §§ 17, 20 und 36 StGB). Da aus allen diesen Gründen für Entschuldigungsgründe (§ 35 u. a.) nichts anderes zu gelten hat als für die letztgenannten allgemeinen Gesichtspunkte, ergibt sich, daß dann – wegen ihres Vorrangs – doch erst recht die strafgesetzlich geregelten Rechtfertigungsgründe dem Analogieverbot unterliegen müssen. Dazu, daß der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung nicht durch die Geltung des Analogieverbots im Bereich der Rechtfertigungsgründe in Frage gestellt wird (so aber Krey aaO S. 236), siehe Rdn. 37 und 39 72.

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[39] Nicht jedoch gilt das Analogieverbot für die Einschränkung außerstrafgesetzlich geregelter oder nur gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgründe (für eine unterschiedliche Behandlung von strafgesetzlich geregelten und anderen Rechtfertigungsgründen schon ausdrücklich Kratzsch GA 1971 65, 72) 73. Zwar haben alle Rechtfertigungsgründe Einfluß auf den Umfang der Strafbarkeit. Wenn sie nicht in einem Strafgesetz geregelt sind, ist dieser Einfluß jedoch ein nur mittelbarer. Damit, daß keine strafgesetzliche Festlegung erfolgt ist, beschränkt sich das StGB insoweit durch das von ihm genannte Deliktserfordernis „Rechtswidrigkeit“ auf eine Blankettlösung. Ebensowenig aber, wie bei den Tatbeständen ein Blankettmerkmal oder ein normativer Tatumstand dazu führen, daß auch die ausfüllenden außerstrafrechtlichen Rechtssätze dem Analogieverbot unterliegen 74, sind die das Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit ausfüllenden außerstrafrechtlichen Rechtssätze diesem Verbot unterworfen. Die außerhalb der Strafgesetze geregelten Rechtfertigungsgründe entziehen sich weitgehend einer strafgesetzlichen Festlegung, da ihre Zahl unbestimmt und ihr Anwendungsbereich nicht selten spezieller Natur ist. Daß hier für das Analogieverbot kein Raum ist, bedeutet kein Abstellen auf äußere, zufällige Kriterien. Die Grenzziehung berücksichtigt vielmehr den Umstand, daß im einen Fall der Gesetzgeber ausdrücklich eine strafgesetzgeberische Festlegung getroffen hat, für die nichts anderes gelten darf als für die übrigen strafgesetzlichen Regelungen, es dagegen in den anderen Fällen allein bei der pauschalen strafgesetzlichen Angabe des Rechtswidrigkeitserfordernisses geblieben ist. [40] bb) Hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots unterliegen die Rechtfertigungsgründe ihrem Wesen nach weniger strengen Anforderungen als die Tatbestandsmerkmale. Eine strenge Garantiefunktion haben insoweit nur die Tatbestände. Bei den Rechtfertigungsgründen bedarf es ihrer nur in geringem Maße, da es bei ihnen lediglich um ausnahmsweise Einschränkungen der Strafbarkeit geht. Technisch ist es auch gar nicht möglich, alle denkbaren Ausnahmesituationen exakt zu vertypen, so daß hier ohne generalklauselartige Begriffe (z. B. derzeit beim rechtfertigenden Notstand) nicht auszukommen ist und darüber hinaus sogar – weil Ausdehnung zugunsten des Täters – auf ungeschriebene Rechtssätze zurückgegriffen werden darf. Jedoch schließt Art. 103 Abs. 2 GG aus, daß an die Stelle ausformulierter, wenn auch wesensmäßig weitgefaßter Rechtfertigungsgründe lediglich eine Generalklausel gesetzt wird, z. B. pauschal „materielle Rechtswidrigkeit“ (vgl. Rdn. 13). Der Rückgriff auf nur pauschale Rechtfertigungsformeln verstößt auch dann gegen das Bestimmtheitsgebot, wenn sie anderen Rechtsgebieten entnommen werden. Denn aus dem Blankettcharakter des Straftaterfordernisses „rechtswidrig“ folgt gerade, daß auf ausformulierte Rechtssätze Bezug genommen wird. Welche 72

Näher zum Ganzen Hirsch Tjong-Gedächtnisschr. S. 50, 59 ff. Andeutungsweise auch Engels GA 1982 109, 120. Näher dazu Hirsch Tjong-Gedächtnisschr. S. 50, 63 ff. 74 Vgl. Sch / Schröder / Eser § 1 Rdn. 36; Höpfel JurBl. 1979 575, 585 f. 73

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Schwierigkeiten schon leitbildlose Merkmale innerhalb von Rechtfertigungsgründen heraufbeschwören können, ist bei § 226a allgemein deutlich geworden 75. [41] cc) Das Rückwirkungsverbot besagt bei Rechtfertigungsgründen, daß ein im Zeitpunkt der Tat geltender gesetzlicher oder sonst anerkannter Rechtfertigungsgrund vom Gesetzgeber nicht rückwirkend aufgehoben oder eingeschränkt werden kann. Anders als beim Analogieverbot geht es hier nicht nur um strafgesetzlich geregelte Rechtfertigungsgründe, sondern um alle. Insoweit gilt auch hier nichts anderes als bei Änderungen der Ausfüllungsnorm eines Blankettstrafgesetzes, für welche die Geltung des Rückwirkungsverbots heute einhellig anerkannt ist 76. Denn ein deliktischer Verstoß gegen die Rechtsordnung setzt sachlich voraus, daß der Rechtsbefehl, gegen den zuwidergehandelt wird, bereits existent ist. In der Auswirkung auf das Strafrecht ist dies zusätzlich durch Art. 103 Abs. 2 GG garantiert, da es für die Bestimmtheit der Tat notwendig darauf ankommt, daß die Rechtswidrigkeit im Zeitpunkt der Begehung gegeben ist. [42] c) Über den praktisch wenig bedeutsamen Fall hinaus, daß ein Rechtfertigungsgrund wegen Verstoßes gegen das (hier stark abgeschwächte) Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig ist, kann sich die Ungültigkeit auch aus dem Widerspruch zu anderen Normen des GG ergeben, so wenn ein im Wortlaut von der Prozeßordnung gedecktes Haftrecht verfassungswidrig ist. Zur Frage der Auswirkung der MRK auf den Umfang des Notwehrrechts siehe Jescheck § 32 V und Trechsel ZStW 101 (1989) 819, 820 ff. Ungültigkeit aufgrund überpositiver Rechtsgedanken kommt dagegen de lege lata für im Geltungsbereich des GG begangene Taten nicht in Betracht, da die Verfassung und damit das positive Recht umfassende rechtliche Sicherungen enthalten. Anders liegt es bei der Beurteilung von Straftaten, die vor Inkrafttreten des GG oder außerhalb seines im Tatzeitpunkt bestehenden Geltungsbereichs begangen sind. An der Gültigkeit eines Rechtfertigungsgrundes fehlt es, wenn, wie es insbesondere in der NS-Zeit, aber auch in der früheren DDR unter dem SED-Regime geschehen ist, die Form eines Gesetzes oder einer Verordnung zu Unrechtszwecken mißbraucht wird: Kommt in einer Regelung ein „offensichtlich grober Verstoß gegen Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit“ zum Ausdruck, der so schwer wiegt, daß er die der Völkergemeinschaft „gemeinsamen, auf Wert und Würde des Menschen bezogenen Rechtsüberzeugungen verletzt“, so bleibt sie wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht als Rechtfertigungsgrund unbeachtlich (BGHSt. 39 l, 15f [1. Mauerschützen-Entsch.] und BGHSt. 2 234, 237 [Verschleppung von Juden]; auch BGHSt. 39 168, 183f [2. Mauerschützen-Entsch.]; KG NJW 1991 2653, 2654 [Fall Honecker]). Es geht um Regelungen, die dem überpositiven „Kernbereich des Rechts“ widersprechen (BGHSt. 2 234, 237; KG NJW 1956 1570; LG Berlin JZ 75

Näher dazu Hirsch LK § 226a Rdn. 2 mit Nachw. Zur Anerkennung des Rückwirkungsverbots bezüglich der Ausfüllungsnorm von Blankettgesetzen vgl. BGHSt. 20 177, 181; Sch / Schröder / Eser § 2 Rdn. 26 m.w. N. 76

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1992 691, 692), „die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben“ (BGHSt. 3 357, 363). Der Widerspruch zur Gerechtigkeit muß so unerträglich sein, daß das positive Gesetz (oder sonstige staatliche Regelung) als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat (BGHSt. 39 l, 16; Radbruch SJZ 1946 105, 107). Die internationalen Menschenrechtspakte bieten Anhaltspunkte dafür, wann der Staat nach der „Überzeugung der weltweiten Rechtsgemeinschaft“ Menschenrechte verletzt (BGH aaO). Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 ist hierbei von besonderer Bedeutung. Er ist für die Bundesrepublik und die damalige DDR am 23. 3. 1976 in Kraft getreten (BGB1. II 1068; GB1. DDR II 108). Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der in § 27 Abs. 2 DDR-GrenzG vom 25. 3. 1982 (GB1. DDR I 197) genannte Rechtfertigungsgrund, wie er sich in der damaligen Staatspraxis darstellte, bei der Rechtsanwendung nicht zu beachten (BGHSt. 39 l, 15) 77. Daß ein Rechtfertigungsgrund gegen den ordre public der Bundesrepublik Deutschland verstoßen hat, genügt dagegen für sich allein nicht, ihm bei der Aburteilung einer unter dem früheren Recht der DDR begangenen Tat die Berücksichtigung zu versagen (BGHSt. 39 l, 15 gegen Küpper / Wilms ZRP 1992 91, 93). Praktisch noch bedeutsamer als die Ungültigkeit von in Gesetzesoder Verordnungsform gekleideten Rechtfertigungsgründen sind in Unrechtsregimen die Fälle geheimer Befehle, Erlasse und Ermächtigungsschreiben. Hier fehlt bereits das für einen Rechtssatz bestehende formelle Erfordernis der Verkündung (Zu geheimen Führerbefehlen: OGHSt 1 324 mit Anm. Eb. Schmidt SJZ 1949 559, 563 und Anm. Welzel MDR 1949 373, 375; OLG Frankfurt SJZ 1947 621, 623f mit Anm. Radbruch) 78. [43] Aber auch eine abstrakt gültige Rechtsnorm kann in concreto solche Maßnahmen der Exekutive nicht rechtfertigen, die als Willkürakte einen Mißbrauch der gesetzlich eingeräumten Befugnisse enthalten (OLG Braunschweig NdsRpfl. 1948 48, 50). Das gleiche gilt für den Bereich der Rspr. (BGHSt. 3 110; 4 66). Schon zur Zeit des 1. Weltkrieges hatte das RG entschieden, daß eine Schutzhaft, die nicht nach pflichtgemäßem Ermessen, sondern willkürlich angeordnet wurde, eine rechtswidrige Freiheitsentziehung darstellt (RGZ 92 242; 101 325). [44] d) Da die Rechtswidrigkeit stets als Eigenschaft einer tatbestandsmäßigen Handlung auftritt, kann für die Rechtswidrigkeitsbewertung allein die Tatzeit i. S. der Zeit der Ausführungshandlung (vom ersten Versuchsakt bis zur 77 Siehe zur Geltungsproblematik in bezug auf Fälle aus der ehemaligen DDR auch die umfangreichen Schrifttumsangaben bei Lüderssen ZStW 104 (1992) 735 ff sowie den Überblick über den Meinungsstand bei Lackner § 2 Rdn. 16. Zu Fällen aus der NS-Zeit näher Maurach AT 4. Aufl. § 25 IV 2. 78 Außerdem Arndt NJW 1964 486 und 1310; Baumann NJW 1964 1398; Henkys / Scharf / Baumann / Goldschmidt Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen (1964); Lewald NJW 1964 1658; Radbruch SJZ 1946 105; Redeker NJW 1964 1097; Welzel NJW 1964 521; teilweise anders Rittler SchwZStr. 62 (1946) 253, 271; Roesen NJW 1964 133 und 1111.

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abschließenden Tätigkeit) entscheidend sein (z. B. RGSt. 25 375, 383; 60 37; 61 393). Bei den relativ selbständigen Akten einer rechtlichen Einheit (z. B. des fortgesetzten oder des Dauerdelikts) ist jeder Einzelakt für sich zu bewerten 79. Da die Tatzeit (im Gegensatz zu der Zeit des eintretenden Erfolgs) maßgebend ist, kann es keine bedingte Rechtswidrigkeit dergestalt geben, daß sich durch nachträgliche Ereignisse eine nicht widerrechtliche Handlung zur widerrechtlichen oder eine zur Tatzeit widerrechtliche Handlung zur nicht widerrechtlichen wandelt. Der zur Tatzeit bestehende Rechtscharakter der Tat kann sich also nachträglich nicht umgestalten. Mithin gibt es im Unterschied zu der gem. § 184 BGB für Rechtsgeschäfte geltenden Regelung auch keine Genehmigung des Delikts mit der Wirkung, daß seine Rechtswidrigkeit ex tunc entfiele (RGSt. 25 375, 383) 80. Zu dem bereits die Tatbestandsmäßigkeit betreffenden Problem, ob das Rechtsgut eines Zustandsdelikts im Zeitpunkt der Einwirkung auf das Tatobjekt bereits vorhanden sein muß oder ob genügt, es von vornherein gemindert entstehen zu lassen, siehe LK 10 Vor § 223 Rdn. 7. [45] Wird nachträglich durch den Gesetzgeber der Umfang der Rechtfertigung erweitert, so greift zwar § 2 Abs. 3 ein. Jedoch hebt er nicht die zur Tatzeit bestehende Rechtswidrigkeit auf (wichtig für die Notwehrrechte anderer), sondern besagt nur, daß in bezug auf die Bestrafung des Täters so zu entscheiden ist, als habe der Rechtfertigungsgrund schon gegolten. [46] e) Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen. Es ist möglich, daß bei einer tatbestandsmäßigen Handlung mehrere Rechtfertigungsgründe zusammentreffen. In der Regel sind sie nebeneinander anwendbar, da die Rechtfertigungsgründe grundsätzlich voneinander unabhängig sind. Ausnahmsweise kann jedoch ein Rechtfertigungsgrund unter dem Gesichtspunkt der Spezialität andere Rechtfertigungsgründe verdrängen, wenn sich seine Ausschlußwirkung unter Berücksichtigung von Wortlaut und Zweck der Vorschriften ergibt (näher Warda MaurachFestschr. S. 143 ff). Ein solcher Fall kommt in Betracht, wenn ein Rechtfertigungsgrund für einen bestimmten Teilbereich die Voraussetzungen spezieller regelt, so z. B.: gegenüber § 34 der § 218 a, der § 193 (bezüglich der in ihm enthaltenen Notstandsfälle) und die §§ 228, 904 BGB (näher LK § 34 Rdn. 82 ff); gegenüber § 226a StGB das KastrG; gegenüber § 228 BGB der § 26 BJagdG. Die Spezialität kann ihren Grund sowohl darin haben, daß die Rechtfertigungsvoraussetzungen gegenüber der allgemeinen Regelung spezifiziert werden sollen, als auch darin, daß für einen bestimmten Sachbereich eine Verdeutlichung der Rechtfertigungsmöglichkeiten erfolgen soll. Ist dagegen ein derartiges Verhältnis nicht gegeben, so können mehrere Rechtfertigungsgründe gleichrangig nebeneinander stehen, wobei jeder schon für sich allein die Rechtfertigung stützt. Keinen Spezialfall des rechtfertigenden Notstands stellt die Notwehr dar (anders jedoch Seelmann 79 80

Mezger LK 8 Vor § 51 Bem. 9 d. Über Einzelfragen Mezger aaO.

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Verhältnis S. 46 ff). Bei ihr geht es nicht wie in § 34 um eine auf den Einzelfall bezogene Interessenabwägung, sondern um eine vom Gesetzgeber vorgenommene Wertabwägung zugunsten der Bewährung der Rechtsordnung. Zur Frage, wie sich § 32 und die Besitzwehrvorschrift des § 859 Abs. 1 BGB zueinander verhalten, siehe unten Rdn. 68. [47] 2. System der Rechtfertigungsgründe. In der Wissenschaft hat man immer wieder versucht, ein System der Rechtfertigungsgründe zu entwickeln. Dabei geht es darum, durch Herausarbeitung allgemeiner Prinzipien nicht nur die bestehenden Rechtfertigungsgründe zu systematisieren, sondern durch den Weg zum Erkennen und Formulieren neuer Rechtfertigungsgründe aufzuzeigen. Von den „monistischen“ Theorien, die alle Rechtfertigungsgründe einem einzigen Prinzip unterordnen wollen, sind zu nennen: die Zwecktheorie, nach der solche Eingriffe nicht rechtswidrig sind, die sich als angemessenes Mittel zur Erreichung eines berechtigten Zweckes darstellen (v. Liszt / Schmidt § 32 II, § 35 III) 81, das „Mehr-Nutzen-als-Schaden“-Prinzip (Sauer AT § 13 I 3f), das Prinzip des „in der konkreten Situation vorgehenden Gutsanspruchs“ (Schmidhäuser AT 9/13; Röttger Unrechtsbegründung S. 277 ff) oder des „im konkreten Fall überwiegenden Interesses, Rechtsguts oder Werts“ (Seelmann Verhältnis S. 32) und schlicht die „Wertabwägung“ (Noll ZStW 77 [1965] l, 9) 82. Andere Systematisierungsversuche zielen auf Zusammenfassung der Rechtfertigungsgründe in mehreren Gruppen („pluralistische“ Theorien). So wird neben das „Prinzip des mangelnden Interesses“ das „Prinzip des überwiegenden Interesses“ (Mezger § 27; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 7) oder neben das „Prinzip des mangelnden Unrechts“ das „Prinzip des überwiegenden Rechts“ (Blei I § 36 I) gestellt 83. [48] Da die von den monistischen, aber auch die von den pluralistischen Theorien aufgestellten Prinzipien zu allgemein und formal sind, um aus ihnen konkrete Ergebnisse ableiten zu können, haben sich diese Einteilungsversuche bisher als wenig fruchtbar erwiesen. Man ist über „sehr formale Abstraktionen oder lockere Aneinanderreihungen“ nicht hinausgekommen (Roxin Kriminalpolitik S. 26). Überdies hat durch die Schaffung von § 16 OWiG und § 34 das Interesse, mit Hilfe der Aufstellung allgemeiner Rechtfertigungsprinzipien Quellen neuer Rechtfertigungsgründe zu erschließen, stark an Bedeutung verloren. Auch ist dogmatisch unerheblich, wie man den Katalog der Rechtfertigungsfälle gruppiert und an welcher Stelle man einen Rechtfertigungsgrund in ihn einordnet. Die h. L. verzichtet deshalb darauf, eine allgemeingültige Systematisierung der Rechtfertigungsgründe zu versuchen (Baumann / Weber § 19 III 3 a; Bockelmann / Volk § 15 II; Jescheck 81

Auch Graf Dohna Rechtswidrigkeit S. 48, 54; Eb. Schmidt ZStW 49 (1928) 350 ff, Ebenfalls Noll ZStW 68 (1956) 181, 183; ders. SchwZStr. 80 (1964) 160 ff. 83 Zu den Systematisierungsversuchen siehe weiterhin Schröder SchwZStr. 76 (1960) 1, 8; Stratenwerth ZStW 68 (1956) 41 ff; Lenckner GA 1985 295 ff. Näher zum Ganzen Roxin I § 14 Rdn. 37 ff. 82

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§ 31 II 3; Maurach / Zipf § 25 Rdn. 6 ff; Welzel § 14 I 3) 84. Der Verzicht auf die fragliche Systembildung schließt nicht aus, daß sich in der Rechtfertigungslehre einzelne allgemeine Erfordernisse herausarbeiten lassen, wie die subjektiven Rechtfertigungselemente und – bei den meisten Rechtfertigungsgründen – der Gesichtspunkt der konkreten Erforderlichkeit 85. 3. Generelle Erfordernisse der Rechtfertigungsgründe [49] a) Die Rechtfertigungsfrage hat zur Voraussetzung, daß der Täter überhaupt einen Tatbestand verwirklicht hat. Es kann sich dabei um einen Vorsatzoder auch Fahrlässigkeitstatbestand handeln, wobei im zweiten Fall genau zu prüfen ist, ob tatbestandlich überhaupt ein Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt vorliegt (zur Bedeutung der Lehren von der „Sozialadäquanz“ und vom „erlaubten Risiko“ siehe Rdn. 29 u. 32). Für die Möglichkeit der Rechtfertigung von fahrlässigen Handlungen auch die h. M.: BGHSt. 25 229; BGH 2 StR 310/57 bei Dallinger MDR 1958 12; RG JW 1925 962; OLG Hamm NJW 1962 1169 und das Schrifttum 86. War z. B. die mit dem Risiko des Eintritts ungewollter Folgen behaftete konkrete Verteidigungshandlung erforderlich, so ist damit auch der Eintritt der Folgen durch Notwehr gerechtfertigt. Es zeigt sich gerade auch bei diesem Punkt, daß Vorsatz und objektive Fahrlässigkeit (Sorgfaltswidrigkeit) schon Tatbestandselemente sind, da sich andernfalls die Frage, ob auch eine fahrlässige Handlung gerechtfertigt sein kann, im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung gar nicht ergeben könnte. Eine exakte Entscheidung über die Rechtfertigung (dabei speziell über das zumeist notwendige Merkmal der Erforderlichkeit) ist nicht möglich, ohne daß zuvor geklärt worden ist, ob es um die Rechtfertigung einer vorsätzlichen oder einer (objektiv) fahrlässigen Tatbestandshandlung geht. Andererseits liefe eine Auffassung, die weitergehend die Rechtfertigungsfrage beim fahrlässigen Delikt schon zur Voraussetzung des Tatbestandserfordernisses der Sorgfaltswidrigkeit machen würde, darauf hinaus, daß man die Wertdifferenz zwischen einer erfolgsverursachenden Handlung, die sich noch im Rahmen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hält, und einer, die gegen diese Sorgfaltsanforderungen verstößt, aber ausnahmsweise gerechtfertigt ist (etwa durch rechtfertigenden Notstand, Notwehr oder rechtfertigende Einwilligung), einebnet, dabei auch die spezifischen Rechtfertigungsvoraussetzungen leicht vernachlässigt. 84 Auch Roxin I § 14 Rdn. 37 äußert jetzt Zweifel, ob eine Systematisierung abschließend gelingen kann (anders noch Kriminalpolitik S. 26). 85 Zu diesem Armin Kaufmann Normentheorie S. 254. 86 Dreher / Tröndle § 15 Rdn. 15; Jescheck § 56 I l; Maurach / Gössel / Zipf § 44 I D; Roxin I § 24 Rdn. 92; Samson S K Anh. § 16 Rdn. 31; Schaffstein Welzel-Festschr. S. 557, 562; Schmidhäuser 9/18; Welzel § 18 II. In der Rspr. früher anders OLG Frankfurt NJW 1950 119; wohl auch RGSt. 56 285.

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[50] b) aa) Subjektive Rechtfertigungselemente. Die Rechtfertigungsgründe verlangen außer dem Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale stets, daß auch das jeweilige subjektive Rechtfertigungselement, z. B. bei der Notwehr die Verteidigungsabsicht, gegeben ist. So die st. Rspr., nämlich zur Notwehr (BGHSt. 3 194; 5 245; 25 229, 232; 35 270, 279; BGH bei Holtz MDR 1978 279; BGH GA 1980 67; BGH NJW 1983 2267; BGH NStZ 1983 117) 87, zum rechtfertigenden Notstand (BGHSt. 2 111, 114; 3 7; RGSt. 62 137; jetzt, wie BGHSt. 35 270, 279 hervorhebt, ausdrücklich § 34), zur rechtfertigenden Einwilligung (vgl. die Rspr. zur [modifizierten] Erklärungstheorie [siehe Rdn. 109]; abw. KG JR 1954 428 [Willensrichtungstheorie]); zum Züchtigungsrecht (BGHSt. 11 241, 257; RGSt. 67 324, 327; OLG Hamm NJW 1956 1690); zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 (BGHSt. 18 182, 186; RGSt. 61 400; 66 l; RG JW 1936 1909); zur vorläufigen Festnahme gemäß § 127 StPO (RGSt. 71 49). Auch im Schrifttum ist ganz vorherrschend von subjektiven Rechtfertigungselementen die Rede (Dreher / Tröndle § 16 Rdn. 28; Jakobs 11/19 ff; Jescheck § 31 IV l; Lackner Rdn. 6; Maurach / Zipf § 25 Rdn. 24 ff; Welzel § 14 I 3b; siehe außerdem Samson SK Rdn. 41 ff; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 13 ff; Stratenwerth Rdn. 487, 490, die sich bezüglich des Vorsatzdelikts überhaupt für eine Subjektivierung der Frage des Unrechtsausschlusses aussprechen (näher dazu Rdn. 52) 88. Dahinter stehen bezüglich des Inhalts der subjektiven Rechtfertigungsseite, ihrer Funktion und ihrer Auswirkungen auf das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes aber recht unterschiedliche und teilweise erst bei kritischer Analyse klar einzuordnende Lehrmeinungen (näher Rdn. 52, 55, 56). Nicht bei allen, jedoch einer Reihe von Rechtfertigungsgründen werden subjektive Rechtfertigungselemente bejaht von Gallas Bockelmann-Festschr. S. 155, 172 ff; Schmidhäuser StudB 6/21 ff, 9/17 89. [51] Abw. findet sich eine rein objektive Rechtfertigungsauffassung. Danach soll allein schon das Vorliegen der objektiven Merkmale eines Rechtfertigungsgrundes zu dessen Erfülltsein und damit zur Rechtfertigung genügen. Diese Auffassung stammt aus der früheren objektivistischen Unrechtslehre und wird heute am konsequentesten von Spendel 90 vertreten. Von einer solchen Recht87

Schon RGSt. 54 196; 56 259, 268; 60 261; RG GA 45 (1897) 272; RG JW 1938 657. Für Bejahung subjektiver Rechtfertigungselemente bereits Sieverts Subj. Unrechtselemente S. 199 ff; Niese Finalität S. 17 f. Näher auch Lenckner H. Mayer-Festschr. S. 165; Rudolphi Maurach-Festschr. S. 51, 57. Zu der letztgenannten subjektivierenden Ansicht siehe außerdem Schaffstein MDR 1951 196; Herzberg JA 1986 190 ff; Frisch LacknerFestschr. S. 113 ff und Roxin I § 14 Rdn. 91 ff. 89 So auch Waider Subj. Rechtfertigungselemente S. 170 ff. 90 Spendel LK § 32 Rdn. 138 ff; ders. DRiZ 1978 327, 330 ff; ders. BockelmannFestschr. S. 245, 249 ff; ders. Oehler-Festschr. S. 197 ff. Früher vertreten insbesondere von Beling Lehre vom Verbrechen S. 141; Mezger LK 8 Vor § 51 Bem. 9 b; ders. Lb. S. 235 f; Oehler Zweckmoment S. 166; Rittler ÖAT 2. Aufl. S. 140; weitere Nachw. bei Spendel LK § 32 Fußn. 275. 88

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fertigungsauffassung geht ausdrücklich oder unausgesprochen auch eine neuere Richtung aus, die ebenfalls bereits an das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale das Gegebensein des Rechtfertigungsgrundes knüpft und damit die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gegenüber dem Betroffenen bejaht, aber daneben ein im Kenntnismangel liegendes verbleibendes personales Unrecht des Handelnden nach Art des untauglichen Versuchs annimmt (zu dieser Richtung, die auf solchem Wege dann im Falle, daß der Täter irrig vom Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale ausgeht, zu einer subjektivistischen Auffassung des personalen Unrechtsausschlusses gelangt, näher Rdn. 52). Für die von beiden Richtungen zugrunde gelegte rein objektive Rechtfertigungslehre wird angeführt, daß derjenige, der sich im Rahmen der objektiven Merkmale eines Rechtfertigungsgrundes hält, einen Zustand herbeiführe, welcher der Rechtsordnung gemäß sei und deshalb nicht durch Notwehr verhindert werden dürfe 91. Dem ist jedoch entgegenzuhalten: Eine solche Auffassung widerspricht bereits dem positiven Recht, das ausdrücklich in §§ 32 und 34 (BGHSt. 35 270, 279) sowie § 228 BGB (um abzuwenden), § 904 BGB (zur Abwendung), § 229 BGB (zum Zwecke der Selbsthilfe) u. a. angibt, daß zur Rechtfertigung die subjektive Zweckrichtung (subjektive Widmung) notwendig ist 92. Vor allem ist die rein objektive Auffassung aber auch sachlich unzutreffend. Denn Gegenstand der Rechtfertigung sind Verhaltensweisen, also insbesondere Handlungen, und nicht objektive Zustände, so daß eine Handlung vorliegen muß, die subjektiv den Zweck verfolgt, für den die Rechtsordnung ausnahmsweise einen Rechtfertigungsgrund zur Verfügung stellt 93. Das Deliktsrecht knüpft bei seinen Bewertungen grundsätzlich an menschliche Verhaltensweisen an und nicht an objektive Zustände. Das zeigt sich gerade auch bei dem Notwehraspekt der Bewährung der Rechtsordnung. Die Rechtsordnung bewährt sich, wenn jemand zum Zwecke der Verteidigung des Rechts gegen das Unrecht des Angreifers vorgeht, nicht aber dann, wenn jemand aus krimineller Intention handelt und dabei, ohne es zu wissen, zufällig einen Angriff abwendet. Das Wesen der Notwehrbefugnis besteht nicht darin, daß Angreifer für vogelfrei erklärt 94, also ihr Tod oder ihre körperliche Verletzung von der Rechtsordnung als sozial wertvoller Erfolg erachtet werden. Vielmehr räumt die Rechtsordnung zur Verteidigung gegen den Angreifer eine Befugnis ein, deren sich der Angegriffene 91 Vgl. sowohl Spendel LK § 32 Rdn. 140 (Ziff. b) als auch Roxin 1 § 14 Rdn. 93; Jakobs 11/22. 92 Wenn demgegenüber vorgebracht wird, daß sich diese Formulierungen auch rein objektiv interpretieren ließen (Loos Oehler-Festschr. S. 227, 236; Jakobs 11/20 Fußn. 30; Roxin I § 14 Rdn. 97; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 14; u. a.), so widerspricht dies nicht nur sprachlichen Standards, sondern auch deren Einhaltung bei anderen Vorschriften (z. B. §§ 229, 253 und 259). Im übrigen sind die Bemühungen, sich über den Wortlaut hinwegzusetzen, auch unnötig, weil sich die Notwendigkeit der subjektiven Zweckrichtung aus zwingenden Sachgründen ergibt (s. o. den nachfolgenden Text). 93 Zum Bezug der Rechtfertigungsfrage auf das Verhaltensunrecht vgl. auch Rdn. 11. 94 Schmidhäuser StudB 6/24.

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als Ausweg aus der Notlage bedienen kann, wobei die Rechtsordnung lediglich in Kauf nimmt, daß der Angreifer dabei in erforderlicher Verteidigung zu Tode kommt oder sonst körperliche Verletzungen erleidet 95. Die rein objektive Rechtfertigungsauffassung bedeutet, die Rechtfertigung sachwidrig bereits darauf zu stützen, daß ein aus krimineller Intention handelnder Täter, wenn er den Angriff gekannt haben würde, sich befugtermaßen hätte verteidigen können, mithin ein hypothetisches Alternativverhalten zur Grundlage gemacht wird. [51a] Auch die Fälle, welche die Richtigkeit der rein objektiven Rechtfertigungsauffassung begründen sollen, überzeugen bei näherer Betrachtung nicht. Den Ausgangsfall bildet (1) der Sachverhalt, daß A den B aus kriminellen Motiven tötet und dadurch, ohne davon zu wissen, einem nur durch dessen Tötung abwendbaren gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des B auf sein Leben zuvorkommt. Die rein objektive Rechtfertigungsauffassung meint, daß die Tötung des B durch Notwehr gerechtfertigt sei 96, während nach der hier vertretenen Ansicht mangels Verteidigungswillens keine Rechtfertigung vorliegt. Dieses Ergebnis bedeutet keine Parteinahme für den Angreifer B, da dessen Handeln schon aus objektiven Gründen ein rechtswidriger Angriff war. (2) Auch die Fälle, in denen es um das Verhalten eines Dritten geht, werden von der das subjektive Rechtfertigungselement verlangenden Lehre sachentsprechend gelöst: (a) Das gilt einmal für die Abwandlung des vorhergehenden Falles, bei der ein anwesender C, um B zu retten, dem A das Gewehr wegschlägt, bevor dieser auf B schießen kann, so daß, wie von C vorausgesehen, der B den A tötet. Ebenso wie die rein objektive Auffassung gelangt die zur Notwehrrechtfertigung den Verteidigungswillen verlangende Ansicht zu dem zutreffenden Ergebnis, daß C rechtswidrig handelt. Denn C stoppt zwar mit Verteidigungswillen den gegen B von A mit Angriffswillen unternommenen und deshalb rechtswidrigen Angriff, aber gleichzeitig liegt in dem Verhalten des C eine Unterstützung des rechtswidrigen Angriffs des B und damit eine rechtswidrige Beihilfe zu dessen Tat. (b) Geht C hier so weit, daß er selbst den A erschießt, so tritt an die Stelle rechtswidriger Beihilfe eine rechtswidrige Nebentäterschaft, (c) Zu deutlich sachentsprechenderen Ergebnissen als die rein objektive Theorie gelangt die das subjektive Rechtfertigungselement fordernde Lösung bei der Fallkonstellation, daß der Dritte, also der C, nicht gegen A, sondern gegen den ersten Angreifer B vorgeht und dabei nicht mit Verteidigungswillen, sondern aus kriminellem Motiv handelt. Hier müßte die rein objektive Ansicht völlig unabhängig von der Motivation der Beteiligten stets Rechtfertigung des C annehmen, während nach der hier vertretenen Auffassung eine Rechtfertigung sachentsprechend mangels Verteidigungswillens ausscheidet. (3) Die Unrichtigkeit der rein objektiven 95

Vgl. schon Gallas ZStW 80 (1968) 1, 26. Wobei die konkrete Ausgestaltung des Fallbeispiels bei Spendel LK § 32 Rdn. 140 unglücklich gewählt ist, weil das Mitleid des Lesers mit einer durch die Trunksucht des Ehemannes bereits „gestraften“ Ehefrau emotional in die juristische Bewertung einfließt. Das kritisiert schon Prittwitz Jura 1984 74, 75. 96

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Lösung zeigt sich auch noch in dem Fall, daß X und Y den O ermorden wollen und X dabei, kurz bevor Y auf O abdrücken kann, im error in persona den Y anstatt des O tötet. Hier müßte die rein objektive Theorie den X für gerechtfertigt erklären, da dieser objektiv einen Angriff des Y auf O verhindert. Sachentsprechend ist es jedoch, daß sich X mangels Verteidigungswillens nicht auf Notwehr berufen kann. – Im übrigen ist bei den zur Diskussion stehenden Fällen der Konstellationen (1) und (2) zu beachten, daß sich vom Tatsächlichen her betrachtet in derartigen Sachlagen oft von vornherein zwei Angreifer zeitgleich gegenüberstehen, weshalb die rein objektive Auffassung dann ebenfalls zu dem Vorliegen von rechtswidrigen Angriffen auf beiden Seiten gelangen muß, weil alles andere eine Parteinahme zugunsten eines der Beteiligten sein würde. Was schließlich das Argument der Objektivisten betrifft, daß ein Dritter nicht immer erkennen kann, ob jemand zum Zwecke der Verteidigung handelt oder nicht 97, ist auf die Selbstverständlichkeit hinzuweisen, daß er sich bei – in der Realität seltener – Unklarheit zurückzuhalten hat. Zudem ist die Bewertung deliktischen Verhaltens auch sonst oft von der subjektiven Tatseite anderer Personen abhängig. – Zu unterscheiden von der Frage, ob Rechtfertigung ein subjektives Rechtfertigungselement erfordert, ist das Problem, in welcher Form das alleinige Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale unrechtsmindernd Berücksichtigung zu finden hat (dazu Rdn. 59 ff). Die Auffassung von Spendel (LK § 32 Rdn. 138), daß das objektive Vorliegen stets Straflosigkeit nach sich ziehe, wird heute allgemein abgelehnt (Rdn. 50, 52). [52] Nicht überzeugend sind auch akzentuiert subjektiv ausgerichtete Lehrmeinungen, die den personalen Unrechtsbegriff dahingehend interpretieren, daß die Vorstellung vom Vorliegen aller objektiven Merkmale eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes Bedeutung für den Unrechtsausschluß haben soll. Es heißt, daß bei Gegebensein einer solchen Vorstellung der Handlungsunwert des Vorsatzdelikts entfalle. Diese Auffassung findet sich zum einen in der Version, daß jene Vorstellung als tatbestandsausschließendes negatives Vorsatzelement betrachtet wird, indem man die objektiven Rechtfertigungsmerkmale als negative Tatbestandsmerkmale ansieht und dies mit der herrschenden personalen Unrechtslehre, nach welcher der Vorsatz zum Unrechtstatbestand gehört, verbindet; es sollen subjektive Seite des Unrechtsausschlusses und „negative Seite“ des Vorsatzes identisch sein (Schaffstein MDR 1951 196; Samson SK Rdn. 9 ff; Schünemann GA 1985 341, 371 ff). Gegenüber der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen kann jedoch bereits auf die von der h. M. erhobenen Einwände (Rdn. 8, 9) verwiesen werden. Aktueller ist eine andere Richtung, nach der die Vorstellung des Vorliegens der objektiven Rechtfertigungsmerkmale, auch wenn sie nur irrtümlich ist, zwar nicht den Vorsatz selbst und mit ihm den Unrechtstatbestand entfallen läßt, aber als „Gegenstück zum Vorsatz“ das Handlungsunrecht der Vorsatztat ausschließen soll (Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 21, Vor § 13 Rdn. 17, 19, 60; Stra97

Spendel LK § 32 Rdn. 144.

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tenwerth Rdn. 484 ff, 504; Roxin I § 14 Rdn. 62 ff) 98. Sie sagt also ebenfalls, daß das Unrecht der Vorsatztat unabhängig vom Gegebensein der objektiven Rechtfertigungsmerkmale allein schon aufgrund der subjektiven Annahme ihres Vorliegens entfalle. Dagegen spricht aber, daß die Rechtsordnungen die Unrechtsausschlußgründe sachentsprechend vom Vorliegen objektiver und subjektiver Erfordernisse abhängig machen (vgl. auch BGHSt. 35 270, 279). Jene Auffassung läuft darauf hinaus, daß schon die Vorstellung vom Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale zum Unrechtsausschließungsgrund der Vorsatztat wird, also bereits die Putativrechtfertigung unrechtsausschließend wirkt. Durch einen solchen Subjektivismus werden die Voraussetzungen des Unrechtsausschlusses verkürzt (auch im Widerspruch zu den geltenden gesetzlichen Regelungen) und der Unterschied zwischen Unrechts- und Schuldfragen verwischt 99 Diese Richtung hat sachlich zudem nur scheinbar etwas mit den subjektiven Rechtfertigungselementen zu tun, obgleich sie zumeist in diesen Zusammenhang eingeordnet wird. Bei den subjektiven Rechtfertigungselementen geht es allein darum, ob zur Rechtfertigung (z. B. der Notwehr) neben den objektiven Merkmalen noch ein subjektives Element (z. B. der Verteidigungswille) notwendig ist, mit der Folge, daß ohne dieses Element keine Rechtfertigung eintritt (Rdn. 50, 51), weshalb BGHSt. 35 270, 279 von der Einschränkung der Rechtfertigungsmöglichkeit spricht. Die subjektivistische Auffassung nimmt dagegen an, daß mit dem Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale bereits ein der Rechtsordnung gemäßer Sachverhalt gegeben sei und deshalb schon damit der jeweilige Rechtfertigungsgrund erfüllt werde. Hinter ihr steht daher genau betrachtet als Ausgangspunkt ein rein objektives Rechtfertigungsverständnis 100 (krit. zu diesem Rdn. 51, 51 a). Ihre subjektivistische Seite betrifft dagegen die daneben erfolgende Einbeziehung der subjektiven 98 Näher Prittwitz GA 1980 381, 386 (siehe aber auch S. 389); Herzberg JA 1989 294, 295 ff; Puppe Stree / Wessels-Festschr. S. 183, 201; R. Steinbach Subj. Rechtfertigungselemente S. 350f (der um „Rechtfertigungsvorsatz“ zusätzlich zur Wissensseite auch die voluntative Seite fordert). Siehe außerdem Frisch Lackner-Festschr. S. 113, 124 ff. 99 Dazu näher Armin Kaufmann Normentheorie S. 246 f; 258; ders. Welzel-Festschr. S. 393, 398 ff; Gallas Bockelmann-Festschr. S. 155, 166 ff; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 245 ff; ders. ZStW 94 (1982) 239, 257 ff. – Da die subjektive Seite bei der kritisierten Richtung völlig in die Unrechtsfrage eingeordnet und damit dort verbraucht wird, kann sie dann nicht mehr auf der Schuldebene Bedeutung erlangen (siehe auch Puppe Stree / Wessels-Festschr. S. 183, 187 ff). Der sog. Erlaubnistatbestandsirrtum läßt sich jedoch erst bei der Schuld sachentsprechend erfassen (sei es nach der Vorsatzschuldtheorie, sei es nach der strengen Schuldtheorie). 100 Darauf wird jetzt auch ausdrücklich hingewiesen von Frisch Lackner-Festschr. S. 113, 141 ff und Puppe Stree / Wessels-Festschr. S. 183, 186 f. So wohl ebenfalls Roxin I § 14 Rdn. 93, Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 16f wollen allerdings im Anschluß an Lampe GA 1978 l, 7 ausnahmsweise eine Absicht verlangen bei „unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgründen“, z. B. § 127 StPO bezüglich der Ermöglichung der Strafverfolgung. Daß das jedoch einen Bruch innerhalb ihres grundsätzlichen Konzepts darstellt, haben bereits Jakobs 11/21; Herzberg JA 1986 190, 198 ff; Loos Oehler-Festschr. S. 227, 237 ff und Frisch Lackner-Festschr. S. 113, 145 ff hervorgehoben.

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Vorstellung von den Rechtfertigungsmerkmalen in das personale Unrecht, sei es, daß die irrige Annahme des Vorliegens eines rechtfertigenden Sachverhalts bereits das Unrecht der Vorsatztat ausschließen soll – was oben bereits kritisiert wurde –, sei es, daß man bei Unkenntnis vom Gegebensein eines rechtfertigenden Sachverhalts personales Unrecht nach Art des untauglichen Versuchs bejahen will 101. Mit letzterem gerät die subjektivistische Auffassung aber zusätzlich zu den schon genannten Einwänden auch noch in Konflikt mit dem Analogieverbot; denn die analoge Heranziehung der Versuchsvorschriften ist eine Analogie zum Nachteil des Täters, da dieser hinsichtlich der gegenüber dem Betroffenen begangenen Tat doch gerechtfertigt sein soll 102. Aber auch die Einführung einer entsprechenden „Versuchs“-Vorschrift wäre aus den genannten Gründen sachwidrig. Der Fehlansatz der kritisierten subjektivistischen Auffassung besteht darin, daß sie unter Verkennung der Strukturverschiedenheit meint, Tatbestand und Unrechtsausschluß seien parallel strukturiert: der eine sei nur die Umkehrung des anderen. [53] bb) Inhalt des subjektiven Rechtfertigungselements. Der Täter muß subjektiv das Ziel verfolgen, um dessen rechtliche Ermöglichung es bei der jeweiligen Erlaubnisnorm geht, also die Verteidigung, Gefahrabwendung, Selbsthilfe, Erziehung u. dgl. beabsichtigen. Es handelt sich um das finale Element des betreffenden Rechtfertigungsaktes, nämlich die Absicht, die dem betreffenden Verhalten Inhalt und Bedeutung verleiht. Ein Täter, der ungewollt kausal wird in bezug auf eine Angriffsabwehr, hat damit noch keine auf Verteidigung gerichtete (der Verteidigung gewidmete) Handlung vorgenommen. Hierzu gehört vielmehr der Abwendungszweck, was um so deutlicher wird, wenn man beachtet, daß die Rechtfertigung nicht von der Zielerreichung abhängig ist, sondern schon das Unternehmen der Zielverwirklichung erfaßt. Diesen Standpunkt nehmen auch ausdrücklich das Gesetz (siehe Rdn. 51) und ihm folgend die Rspr. (Rdn. 50) ein. Bei der rechtfertigenden Einwilligung gilt, wie in anderen Punkten, eine Besonderheit: Da sie nicht das Ziel des Handelns ist, sondern dessen Voraussetzung, geht es bei ihr subjektiv nicht um den jeweiligen Rechtfertigungszweck, sondern darum, daß der Täter subjektiv aufgrund der Einwilligung handelt (dazu noch Rdn. 57). Im übrigen ist allgemein bei den subjektiven Rechtfertigungselementen zu beachten, daß sie von anderen Zwecken begleitet sein können, solange diese sie nur nicht völlig in den Hintergrund drängen (BGHSt. 3 194, 198; BGH bei Dallinger MDR 1969 16; 1972 16; BGH bei Holtz MDR 1979 634; BGH GA 1980 67; BGH NStZ 1983 117 u. 500; BGH EzSt § 32 Nr. 9) 103. Das gilt auch, wenn Zorn, Wut, Streben nach Rache oder Ekel bei der Tat eine Rolle spielen (BGH bei Holtz MDR 1979 101

Zur analogen Heranziehung des untauglichen Versuchs siehe die Nachw. Rdn. 60. Zu dem Bestreben einiger Autoren, diese Konsequenz durch direkte Anwendung der Versuchsvorschriften zu vermeiden, siehe Rdn. 60, 61a und die dortigen Nachweise. 103 So schon RGSt. 54 196 ff, 199;60 261, 262. 102

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634; BGH GA 1980 67; BGH NStZ1983 117). Dolus eventualis hinsichtlich des Rechtfertigungszieles genügt nicht. [54] Abw. Auffassungen wollen über den jeweiligen Rechtfertigungszweck hinausgehend die subjektive Seite der Rechtfertigung an zusätzliche Erfordernisse knüpfen. Hierbei geht es einmal um die Ansicht, die bei einigen Rechtfertigungsgründen die pflichtmäßige Prüfung als zusätzliches subjektives Rechtfertigungselement verlangt. So hat die damalige Rspr. zum früheren übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand, der heute in § 34 gesetzlich vertypt ist, hier neben dem Gefahrabwendungswillen die pflichtmäßige Prüfung der Sachlage gefordert (RGSt. 62 137; 64 101, 104; BGHSt. 1 329; 2 111, 114; 3 7; 14 1). Dagegen wandte sich zuletzt mit Recht die h. L., weil damit sachwidrig die Frage der Vermeidbarkeit des Putativnotstands mit der des subjektiven Rechtfertigungselements verquickt wurde (näher LK § 34 Rdn. 77, 90 f). Für § 34 kann die frühere Judikatur auch deshalb nicht mehr gelten, weil der Gesetzgeber ausdrücklich nur den Gefahrabwendungswillen als subjektives Erfordernis aufstellt (gegen Erfordernis der pflichtmäßigen Prüfung auch die h. L.: Jescheck § 33 IV 4; Maurach / Zipf § 27 Rdn. 46; Rudolphi Schröder-Gedächtnisschr. S. 73; Samson SK Rdn. 44; Sch / Schröder / Lenckner § 34 Rdn. 49) 104. – Wegen „besonderer Gestaltung des § 218a StGB“ meint BGHSt. 38 144, 155, bei dieser Vorschrift sei zur Rechtfertigung erforderlich, daß der Arzt das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen pflichtmäßig geprüft habe. Wie sich aus der Begründung ergibt (S. 154), geht es dabei wieder um die Vermeidung einer – als Folge der herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie – sich nach Auffassung des Gerichts ergebenden Strafbarkeitslücke im Irrtumsfall. Sachlich hat das mit dem subjektiven Rechtfertigungselement nichts zu tun. Die Entscheidung findet überdies im Gesetz keine Stütze (so bereits Sch / Schröder / Eser § 218a Rdn. 61). – Auch die Ansicht, beim Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung sei die pflichtmäßige Prüfung als subjektives Rechtfertigungselement zu verlangen (Jescheck § 34 VII 3; Roxin Welzel-Festschr. S. 447, 453; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 58 m.w. Nachw.), vermag nicht zu überzeugen, weil dabei ebenfalls Rechtfertigungsvoraussetzungen und die Frage des vermeidbaren Irrtums über deren Vorliegen vermischt werden (näher Rdn. 140). – Von der vorstehenden Problematik sind die Fälle zu unterscheiden, in denen schon für einen Rechtfertigungsgrund genügt, daß der Täter bei objektivsorgfältiger Prüfung der Sachlage die Voraussetzungen des Einschreitens als gegeben annimmt, so bei Amtsrechten (z. B. bei vorläufiger Festnahme durch Beamte nach § 127 StPO). Bei ihnen schränkt die pflichtmäßige Prüfung im Gegensatz zu jenen Auslegungen die Rechtfertigungsbefugnis nicht zusätzlich ein, sondern umgekehrt erweitert sie einen Rechtfertigungsgrund, indem für die Rechtfertigungslage schon die pflichtmäßige Bejahung der Voraussetzungen ausreicht (dazu Lenckner H. Mayer-Festschr. S. 165). 104

Anders aber Blei I § 44 V.

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[55] Ein Teil des Schrifttums verlangt, daß außer dem speziellen Rechtfertigungszweck (Verteidungsabsicht u. dgl.) auch die Kenntnis von der Rechtfertigungslage (gegenwärtiger Angriff u. dgl.) gegeben ist (Blei I § 39 II 1; Dreher / Tröndle § 16 Rdn. 28, § 32 Rdn. 14; Jescheck § 31 IV 1; Maurach / Zipf § 25 Rdn. 24, 26, § 26 Rdn. 27). Bei dieser Kenntnis handelt es sich jedoch, soweit sie relevant wird, nur um eine unselbständige Voraussetzung des Zweckmoments: Wer nicht die Vorstellung hat, angegriffen zu werden, hat auch keinen Verteidigungswillen. Im übrigen kann es bei dem subjektiven Rechtfertigungselement lediglich darum gehen, daß die Handlung das Ziel verfolgt, zu dessen rechtlicher Ermöglichung die jeweilige Befugnis eingeräumt wird (näher Rdn. 53). Es würde nicht nur den Handelnden, insbesondere in den Fällen der Notrechte, überfordern, wenn er sich zum Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes die Rechtfertigungslage in allen ihren Voraussetzungen exakt bewußt machen müßte. Vielmehr würde damit auch der Bereich zulässiger Gegenwehr des durch die Handlung Betroffenen sachwidrig erweitert. Mit Recht lehnt die h. M. es deshalb ab, daß das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes und die sich aus ihm ergebende Rechtmäßigkeit des gegen den Betroffenen gerichteten Handelns von so weitgehenden subjektiven Erfordernissen abhängig gemacht wird 105. Dies zu verlangen, widerspräche überdies den einschlägigen Vorschriften, da sie subjektiv lediglich den zielgerichteten Willen fordern und die Hinzunahme der fraglichen Kenntnis eine über den möglichen Wortsinn hinausgehende und deshalb nicht nur sachlich zu weitgehende, sondern auch unzulässige Einschränkung des jeweiligen Rechtfertigungsgrundes bilden würde. [56] Hinsichtlich des unrechtsrelevanten Kenntnisumfangs geht noch weiter die Lehrmeinung, nach der die subjektive Rechtfertigungsseite bei Vorsatztaten in der Kenntnis aller objektiven Merkmale des jeweiligen Rechtfertigungsgrundes bestehen soll (vgl. die Nachw. Rdn. 52) 106. Die subjektive Seite bildet für sie aber näher betrachtet keine Voraussetzung des Rechtfertigungsgrundes, d. h. kein wirkliches subjektives Rechtfertigungselement. Diese Auffassung geht im Gegenteil davon aus, daß der Rechtfertigungsgrund bereits mit dem Erfülltsein der objektiven Merkmale gegeben sei, weshalb schon damit ein rechtmäßiger Eingriff gegenüber dem Betroffenen vorliege 107; bei der subjektiven Rechtfertigungsseite soll es sich dagegen um ein dem untauglichen Versuch nachempfundenes perso105

Vgl. die Rspr.-Nachweise Rdn. 50 und erst recht die bezüglich des Vorliegens des Rechtfertigungsgrundes auf eine objektive Auffassung hinauslaufenden Lehrmeinungen Rdn. 56 und Rdn. 51. 106 Es geht den dort genannten Autoren um die Kenntnis aller objektiven Merkmale des Rechtfertigungsgrundes, denn es handelt sich für sie um die subjektive Widerspiegelung der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen in der Tätervorstellung (negatives Vorsatzelement oder Gegenstück zum Tatbestandsvorsatz). Wenn gleichwohl auch bei Vertretern dieser Richtung nicht selten nur von Kenntnis der rechtfertigenden „Lage“ die Rede ist, so ist das eine sprachliche Ungenauigkeit in der Beschreibung des betreffenden dogmatischen Konzepts.

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nales Restunrecht handeln (krit. dazu Rdn. 52, 61 a) 108. Hinzu kommt, daß eine solche Konstruktion ebenfalls in deutlichem Gegensatz zu den auf den jeweiligen Rechtfertigungszweck als konstitutives Rechtfertigungselement abstellenden positivrechtlichen Regelungen steht. Der auf der Grundlage jener Konstruktion erhobene Einwand von Stratenwerth Rdn. 489 (und ihm folgend Loos Oehler-Festschr. S. 227, 231 ff), daß die auf den Rechtfertigungszweck abstellende Auffassung, wie sie von der Rspr. und hier vertreten wird, die Grenze zur bloßen sittlichen Beurteilung überschreite, ist nicht einsichtig. Denn es geht lediglich um das finale Moment des Rechtfertigungsaktes. Zum Wesen eines auf Verteidigung gerichteten Handelns gehört die Verteidigungsabsicht, d. h. die Widmung zur Verteidigung. Außerdem geht Stratenwerth, indem er bei Vorsatztaten Kenntnis aller objektiven Rechtfertigungsmerkmale zum Unrechtsausschluß verlangt, hinsichtlich der strafbarkeitsrelevanten subjektiven Anforderungen viel weiter als die von ihm kritisierte Ansicht 109; er ist überdies zu Ausnahmen gezwungen, bei denen auch er auf die spezifische Willensrichtung zurückgreift (aaO Rdn. 491). [57] Bei der rechtfertigenden Einwilligung ist notwendig, daß der Täter subjektiv aufgrund der Einwilligung handelt (Dreher / Tröndle Rdn. 3 b; Jescheck § 34 V; Welzel § 14 VII 2 b; Wessels AT § 9 I 2g). Abw. will ein Teil des Schrifttums bloße Kenntnis der Einwilligung genügen lassen (Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 51; widersprüchlich Blei I § 37 II 2) oder sie sogar als ganz entbehrlich betrachten (Baumann / Weber § 21 II 5 c). Hiermit würde jedoch die notwendige Verknüpfung von Täterverhalten und Rechtfertigungsgrund aufgehoben werden; es wäre ohne Bedeutung, ob der Täter überhaupt von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht hat. Außerdem ergäbe sich ein Widerspruch zur Struktur der subjektiven Rechtfertigungselemente anderer Rechtfertigungsgründe, da dort gerade nicht schlicht die Kenntnis den Ausschlag gibt (Rdn. 53, 55). Vielmehr entspricht dem Handeln wegen der Zielerreichung (Handeln zum Zwecke der Verteidigung u. dgl.), wie es bei den anderen Rechtfertigungsgründen notwendig ist, hier das Handeln wegen (aufgrund) der vorliegenden Einwilligung. Das zeigt sich auch positivrechtlich bei der tatbestandlichen Unrechtsprivilegierung in § 216, die ausdrücklich erfordert, daß der Täter durch die Einwilligung „bestimmt“ worden 107 Vgl. Rdn. 52 mit Fußn. 100. Dort auch zur Ausnahme, die Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 16f bei „unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgründen“ machen wollen. 108 Im übrigen bedeutet die Einbeziehung der Kenntnis aller objektiven Merkmale in die Unrechtsebene, daß der Täter damit noch stärker als nach der Rdn. 55 genannten Auffassung psychisch überfordert wird, zumal die Rechtfertigungsgründe nicht selten eine ganze Reihe nicht unkomplizierter Voraussetzungen aufweisen (z. B. § 34). Subjektiv geht es auf der Stufe des Unrechts nur um subjektive Elemente der Handlung, d. h. bei der Rechtfertigung: das Willenselement der Verteidigungs- oder Gefahrabwendungshandlung udgl., während Rechtfertigungsmerkmale wie „erforderlich“ oder „Abwägung der widerstreitenden Interessen“ erst der rechtlichen Bewertung dienen. 109 Daß die ausschließlich auf den Widmungszweck abstellende Auffassung die geringsten subjektiven Anforderungen stellt, hebt auch Samson Rdn. 46a hervor.

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ist. Es kommt aus den genannten Gründen für die rechtfertigende Einwilligung darauf an, ob der Täter auch gehandelt haben würde, wenn die Einwilligung nicht gegeben wäre; in solchem Fall stützt er sich bei seinem Vorgehen nicht auf die Eingriffsbefugnis. [58] Auch zur Rechtfertigung fahrlässigen Verhaltens bedarf es des subjektiven Rechtfertigungselements (OLG Hamm NJW 1962 1169; Dreher / Tröndle § 32 Rdn. 14; Geppert ZStW 83 [1971] 947, 979; Lackner § 32 Rdn. 9; Maurach / Gössel / Zipf § 44 Rdn. 15 ff; Wessels AT § 8 V 2) 110. Es besteht insoweit kein Unterschied gegenüber der Rechtfertigung vorsätzlicher Handlungen. Ebenso wie dort bedarf es deshalb des Widmungszwecks (Verteidigungswille, Gefahrabwendungswille u. dgl.). Es geht daher nicht um Fälle lediglich unbewußter Rechtfertigungslage, sondern um ein von den objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen gedecktes objektiv sorgfaltswidriges Handeln im Rahmen eines willentlichen Rechtfertigungsaktes (vgl. die Sachverhalte in BGHSt. 25 229 und 27 313). Abw. wird die Notwendigkeit eines subjektiven Rechtfertigungselements bei fahrlässigen Delikten entweder ganz verneint (OLG Dresden JW 1929 2760; Jakobs 11/30; Samson SK Anh. § 16 Rdn. 32; R. Schmitt JuS 1963 64) 111, oder es wird eine differenzierende Lösung vertreten (Jescheck § 56 I; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 97 ff; Stratenwerth Rdn. 1120 f). Die abw. Auffassungen spiegeln die bereits bei den Vorsatzdelikten gegenüber dem Zweckmoment vertretenen Gegenmeinungen wider (dazu Rdn. 51 ff, 55 ff), wobei allerdings die differenzierende Auffassung, die hier zwischen fahrlässigen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten unterscheiden will 112, nach keinem Ansatz konsequent ist. Wenn nämlich bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten das subjektive Rechtfertigungselement entbehrlich sein soll, weil – wie man meint – objektiv ein der Rechtsordnung gemäßer Zustand herbeigeführt sei, so hätte das ebenso für Tätigkeitdelikte zu gelten, da ein solcher objektiver Zustand nicht erst in der Rechtsgutsverletzung, sondern bereits in dem jeweiligen objektiven Geschehen verwirklicht wäre. Andererseits zeigt die Differenzierung besonders deutlich die Schwächen der Gegenmeinungen: Einmal die verfehlte Annahme, daß der in der Rechtsgutsverletzung bestehende Erfolg das von der Rechtsordnung erstrebte Ergebnis sei, außerdem die Schwierigkeit, bei bloßen Tätigkeiten die Richtung des Handelns ohne Rückgriff auf die subjektive Zielrichtung zu bestimmen. Wenn aber beim Tätigkeitsakt neben der objektiven Seite der jeweilige Rechtfertigungswille notwendig ist, dann kann dieser sich nicht dadurch, daß es zusätzlich zum Handeln auch zum Erfolgseintritt kommt, in ein Nichts auflösen. – Zur Berücksichtigung der durch das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale bewirkten Unrechtsminderung siehe Rdn. 59. 110 Auch E. U. Jungclausen Subj. Rechtfertigungselemente beim Fahrlässigkeitsdelikt S. 164 ff (jedoch mit verfehlter Maximierung der subjektiven Anforderungen). 111 So auch Schaffstein Welzel-Festschr. S. 557, 574; Himmelreich Notwehr S. 100 ff; im Ergebnis ebenfalls Roxin I § 24 Rdn. 95 ff. 112 Jescheck § 56 I 3; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 98; Stratenwerth Rdn. 1120.

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[59] cc) Rechtswirkung bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements. Da nur die objektiven Rechtfertigungsmerkmale vorliegen, ist der Rechtfertigungsgrund nicht erfüllt und somit die Rechtswidrigkeit der tatbestandsmäßigen Handlung gegeben. Der Täter ist, falls sich nicht die Rechtfertigungsfrage auf eine nur versuchte Tatbestandsverwirklichung bezog (dann deshalb Versuch), wegen vollendeter Tat zu bestrafen (BGHSt. 2 111, 115; Dreher / Tröndle § 32 Rdn. 14; Gallas Bockelmann-Festschr. S. 155, 172 ff [anders bei Einwilligung]; Schmidhäuser StudB 6/24; Welzel § 14 I 3 b) 113. Wegen der aus dem Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale folgenden Unrechtsminderung greift eine Strafmilderung nach dem Milderungsschlüssel des § 49 Abs. 1 ein. Beim fahrlässigen Delikt kann diese im konkreten Fall zur Unterschreitung der Grenze strafrechtlich relevanten Fahrlässigkeitsunrechts und damit zur Straflösigkeit führen. [60] Abw. will die heute insbesondere im Schrifttum vorherrschende Ansicht mit Rücksicht auf das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale nur wegen untauglichen Versuchs strafen (KG GA 1975 213, 215; Jakobs 11/23 f; Jescheck § 31 IV 2; Roxin I § 14 Rdn. 101; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 15; Vogler LK § 22 Rdn. 140 114; wegen der „besonderen Gestaltung des § 218 a“ dort auch BGHSt. 38 144, 155 f 115). Überwiegend beruft man sich dabei auf Analogie 116 . Für Autoren dagegen, welche die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vertreten, ergibt sich konsequenterweise, auch sachlich vom Vorliegen eines untauglichen Versuchs auszugehen 117. [61] Gegen eine Bestrafung wegen Versuchs anstatt Vollendung spricht jedoch, daß man dabei den Boden der Realität verläßt 118. Denn der tatbestandsmäßige Erfolg ist eingetreten. Wer beispielsweise vorsätzlich einen anderen Menschen tötet, vollendet einen Totschlag und versucht ihn nicht nur. Auch gehört zum Wesen des Versuchs, daß man etwas verwirklichen will, ohne daß dies erreicht 113 Ebenfalls Niese Finalität S. 18; Hirsch Neg. Tatbestandsmerkmale S. 254 f; R. Schmitt JuS 1963 64, 65; Foth JR 1965 366, 369; Zielinski Handlungsunwert S. 259 ff; Paeffgen Verrat S. 156; ders. Armin Kaufmann-Gedächtnisschr. S. 399, 421 ff; Alwart GA 1983 433, 454 f. 114 Ebenso Lackner § 22 Rdn. 16; Maurach / Zipf § 25 Rdn. 32 ff; Samson SK Rdn. 42; Stratenwerth Rdn. 492 ff (in einigen Fällen jedoch für Bestrafung wegen Vollendung); Herzberg JA 1986 190ff; Frisch Lackner-Festschr. S. 113, 138 f; Rudolphi Armin KaufmannGedächtnisschr. S. 371, 379 f. 115 Wobei die Probleme allerdings nicht erwähnt werden. 116 So Jakobs 11/23 f; Jescheck § 31 IV 2; Lackner § 22 Rdn. 16; Maurach / Zipf § 25 Rdn. 34; Stratenwerth Rdn. 494; Vogler LK § 22 Rdn. 140; Scheffler Jura 1993 617, 624. 117 Vgl. Schaffstein MDR 1951 196, 199; Schünemann GA 1985 341, 373 f. Für direkte Anwendung auch Frisch Lackner-Festschr. S. 113, 138 f; Herzberg JA 1986 190, 192 f; Prittwitz Jura 1984 74, 76 f; Roxin I § 14 Rdn. 101; Rudolphi Maurach-Festschr. S. 51, 58. 118 Übereinstimmend Spendel LK § 32 Rdn. 141 (b): „Vergewaltigung der Tatsachen“.

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wird, während es sich hier hinsichtlich der objektiven Rechtfertigungsmerkmale gerade umgekehrt darum handelt, daß die Merkmale zwar objektiv gegeben sind, eine entsprechende subjektive Beziehung aber fehlt. Diese Sachgesichtspunkte lassen sich schwerlich als nur formal bezeichnen und auch nicht durch den Hinweis verdrängen, es gehe nur um Analogie. Zudem orientiert sich der Kreis der Versuchsstrafbarkeit an anderen Wertungsmaßstäben, als sie bei den Fällen fehlender subjektiver Rechtfertigungselemente anzulegen sind. So ist bei den Delikten, die für die Notwehr im Vordergrund stehen, der Versuch oft nicht pönalisiert (z. B. der Versuch von einfacher Körperverletzung und Freiheitsberaubung). Will man das notwendige Maß an Rationalität der Strafbarkeit nicht unterschreiten, müßte der Ruf nach dem Gesetzgeber, der in der Irrtumslehre seitens der eingeschränkten Schuldtheorie wegen des Umfangs der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit erhoben wird 119, daher ausgedehnt werden auf die parallele Schaffung einer allgemeinen Versuchsvorschrift für die Fälle des fehlenden subjektiven Rechtfertigungselements (für Sonderregelung konsequent Jakobs 11/23 Fußn. 35). Aber auch dann führt die Bestrafung wegen Versuchs zu unlösbaren Schwierigkeiten bei der Anwendung der Rechtfertigungsgründe auf fahrlässige Taten. Will man nicht auf die juristische Absonderlichkeit eines Versuchs des fahrlässigen Delikts abkommen, bliebe nur der – von einer Lehrmeinung vertretene (Rdn. 58) – Verzicht auf das subjektive Rechtfertigungselement bei fahrlässigen Delikten, was wiederum die gesamte Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen in Frage stellen würde (vgl. Baldus LK 9 § 53 Rdn. 16). Ebenfalls gerät die Bestrafung wegen Versuchs in Probleme, wenn schon die tatbestandsmäßige Handlung nur ein Versuch ist. Da es einen Versuch des Versuchs nicht gibt und deshalb die nächste Tatreduktion im Entfallen der Strafbarkeit besteht, wäre die Konsequenz, die Strafbarkeit hier überhaupt zu verneinen. Ein solches Ergebnis würde jedoch ganz unbefriedigend sein, weil das auf Erfolgsverwirklichung gerichtete Täterverhalten überhaupt nicht durch das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen beeinflußt ist. Allgemein verbirgt sich hinter dem Gedanken, es komme nur eine Bestrafung wegen untauglichen Versuchs in Betracht, die dogmatische Vorstellung, daß durch die objektiven Merkmale des Rechtfertigungsgrundes der Erfolgsunwert ausgeschlossen oder doch völlig aufgewogen werde (siehe etwa Stratenwerth Rdn. 493). Die Rechtswidrigkeit entfällt bei Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes aber nicht deshalb, weil nichts rechtlich Relevantes passiert ist, sondern weil der einen tatbestandlichen Erfolg herbeiführende (oder dies versuchende) Täter die objektiven und subjektiven Merkmale eines Ausnahmesatzes realisiert. Das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen läßt sich nur in der Weise sachentsprechend berücksichtigen, daß man von der Möglichkeit der Strafmilderung für das vollendete Delikt (resp. eine zusätzliche Strafmilderung im Falle strafbarer 119 Vgl. Dreher Heinitz-Festschr. S. 207, 227, der eine allgemeine Fahrlässigkeitsvorschrift für die Fälle der vermeidbaren irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts fordert. Siehe auch Jakobs 11/53 ff.

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versuchter Tatbestandsverwirklichung) nach dem Milderungsschlüssel des § 49 Abs. 1 ausgeht. Damit wird einerseits dem Bestreben der h. M., eine Strafmilderungsmöglichkeit wie beim Versuch zu schaffen, Rechnung getragen. Andererseits werden die geschilderten Friktionen vermieden. [61a] Die Analogie zu den Versuchsvorschriften ist besonders problematisch für die heute im Schrifttum verbreitete Lehrmeinung, nach der die Kenntnis aller objektiven Merkmale des jeweiligen Rechtfertigungsgrundes in der Weise unrechtsrelevant sein soll, daß sie zwar nicht Voraussetzung des Rechtfertigungsgrundes ist (insoweit rein objektive Rechtfertigungsauffassung), aber bei ihrem Fehlen ein personales Restunrecht wie beim untauglichen Versuch vorliegt (Rdn. 52, 56). Denn dabei handelt es sich um eine unzulässige Analogie in malam partem. Während für die Auffassungen, die neben dem Gegebensein der objektiven Merkmale zusätzlich ein subjektives Element zum Erfülltsein eines Rechtfertigungsgrundes verlangen, eine analoge Heranziehung der Versuchsvorschriften wenigstens noch eine Analogie zugunsten des andernfalls wegen Vollendung zu bestrafenden Täters darstellt, ginge es für die zur Erörterung stehende Lehrmeinung, da sie doch den Rechtfertigungsgrund schon aufgrund der objektiven Merkmale als gegeben ansieht, bei der analogen Anwendung der Versuchsvorschriften um die Begründung einer dann im Gesetz nicht vorgesehenen Strafbarkeit (so auch Scheffler Jura 1993 617, 623). Das Bemühen eines Teils des Schrifttums 120, diese Konsequenz durch direkte Anwendung der Versuchsvorschriften zu vermeiden, ist mit dem von (positiver) Vorstellung und dem Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes sprechenden Gesetzestext nicht in Einklang zu bringen. [62] c) Wird die Rechtfertigungslage (zu Besonderheiten bei der Einwilligung unten) vom Täter absichtlich herbeigeführt, um auf diese Weise „rechtmäßig“ die Tat begehen zu können, so bleibt die dem Plan gemäß ausgeführte Tat rechtswidrig (BGH NJW 1983 2267; BGH bei Dallinger MDR 1954 335; RG DR 1939 364 Nr. 11; RG HRR 1940 Nr. 1143; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1953 166; Dreher / Tröndle § 32 Rdn. 23; Kohlrausch / Lange § 53 Anm. V; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 23, § 32 Rdn. 54 ff; Maurach / Zipf § 25 Rdn. 22; Samson SK § 32 Rdn. 24 ff; Stratenwerth Rdn. 436) 121. Die Begründungen sind unterschiedlich. Vielfach beruft man sich auf den allgemeinen Rechtsgedanken, daß der offenbare Mißbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz beanspruchen kann (so RG DR 1939 364 Nr. 11; BGH NJW 1983 2267; Lenckner aaO [bei bestehender Ausweichmöglichkeit]; Roxin I § 15 Rdn. 59 [in Fällen rechtswidriger Verursachung]; Rudolphi JuS 1969 461, 464 m. Fußn. 26; Wessels AT § 8 V 3). Eine andere Richtung stützt sich auf „actio illicita in causa“ (Kohlrausch / Lange § 53 120 Frisch Lackner-Festschr. S. 113, 138 f; Herzberg JA 1986 190, 192 f; Prittwitz Jura 1984 74, 76 f; Roxin I § 14 Rdn. 101; Rudolphi Maurach-Festschr. S. 51, 58. 121 Einschränkend Baumann / Weber § 21 II 1 b; Bockelmann / Volk § 15 B I 2f; Jescheck § 32 III 3 a; Roxin I § 15 Rdn. 59. Insgesamt ablehnend Spendel LK § 32 Rdn. 282 ff.

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Anm. V; Baumann / Weber § 21 II 1b [bei zwangsläufigem Geschehensablauf]; Lenckner aaO [bei fehlender Ausweichmöglichkeit]) 122. Eines Rückgriffs auf diese teils unscharfen, teils dogmatisch angreifbaren Gesichtspunkte bedarf es jedoch nicht; denn es fehlt in diesen Fällen (sog. Absichtsprovokation) regelmäßig schon am subjektiven Rechtfertigungselement. So wird bei der absichtlichen Notwehrprovokation ein Verteidigungswille nur vorgetäuscht, in Wirklichkeit will der Provozierende den Gegner „in geschickt versteckter Weise angreifen“ (RG HRR 1940 Nr. 1143). Auf das Fehlen des Verteidigungswillens weisen deshalb hin: BGH NJW 1983 2267; BGH bei Dallinger MDR 1954 335; RGH RR 1940 Nr. 1143; Blei I § 39 II 1; Kratzsch Grenzen der Strafbarkeit im Notwehrrecht [1968] S. 39. Bei der absichtlichen Herbeiführung einer Notstandslage, um diese zur Zerstörung eines Rechtsgutes auszunutzen, verhält es sich entsprechend mit dem Rettungswillen; bei der absichtlichen Provozierung eines Züchtigungsfalles, um sadistischen Neigungen zu genügen, entsprechend mit dem Erziehungswillen. Für die rechtfertigende Einwilligung bildet den Parallelfall zu den oben genannten Sachlagen, daß der Täter absichtlich einen für die Erteilung der Einwilligung erheblichen Irrtum hervorruft, um unter Ausnutzung der erschlichenen Einwilligung die Tat begehen zu können. Hier fehlt es aufgrund der Täuschungshandlung bereits an einer wirksamen Erteilung der Einwilligung (näher Rdn. 119). [63] Zu den Fragen, die bei Änderung der Willensrichtung des Täters auftauchen, namentlich wenn sich der zunächst vorhandene Angriffswille des Täters in einen Verteidigungswillen wandelt, näher Baldus LK 9 § 53 Rdn. 37 (der jedoch der veränderten Motivationslage zu wenig Gewicht beilegen dürfte; vgl. auch Bockelmann Honig-Festschr. S. 19, 29 ff; Maurach / Zipf § 26 Rdn. 44). [64] 4. Wirkung der Rechtfertigungsgründe. Sind die Merkmale eines Rechtfertigungsgrundes erfüllt, so fehlt damit die Rechtswidrigkeit. Das Handeln bleibt zwar tatbestandsmäßig, es ist jedoch mangels Rechtswidrigkeit nicht strafbar. Die Rechtfertigungsgründe haben sämtlich die gleiche Wirkung: Rechtmäßigkeit des Verhaltens. Eine Unterscheidung zwischen Rechtfertigungsgründen im engeren Sinne, die ein Verhalten rechtmäßig machen, und bloßen Unrechtsausschließungsgründen mit nur neutralisierender Wirkung, bei denen also das Recht im Konflikt widerstreitender Interessen keine positive oder negative Bewertung ausspricht (vgl. insbesondere Kern ZStW 64 [1952] 255 ff m. Nachw.), ist abzulehnen (näher dazu Rdn. 18 m. Nachw.). Zwar ist es unmöglich, allen Konfliktsfällen, in denen normgemäßes Verhalten des Täters nicht erwartet wird, den Charakter echter Notrechte zu verleihen. Jedoch ist die notwendige Differenzierung nicht innerhalb der Rechtswidrigkeit vorzunehmen. Es handelt sich vielmehr um die Aufgliederung zwischen Fällen rechtmäßigem und nur entschuldigten Verhaltens. Auf der Ebene des rechtlichen Sollens muß eine klare Entscheidung Für oder Gegen ergehen. 122

Eine Ableitung aus dem Notwehrgesichtspunkt der Bewährung der Rechtsordnung findet sich bei Bitzilekis Einschränkung des Notwehrrechts S. 170 ff.

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Zum Wesen der Rechtfertigung gehört auch nicht, daß mit ihrem Eingreifen der tatbestandsmäßige Erfolg zu einem von der Rechtsordnung erwünschten wird. Vielmehr heißt Erlaubtsein nur, daß die Rechtsordnung in solchen Fällen einen Ausnahmegrund respektiert und deshalb eine ausnahmsweise Gestattung einräumt (näher Hirsch Bockelmann-Festschr. S. 89, 100). Selbst wenn mit dieser ein Gebot (z. B. bei Dienstpflicht zur Festnahme) einhergeht, handelt es sich um eine nur ausnahmsweise notwendige Eingriffsbefugnis in ein grundsätzlich geschütztes Rechtsgut. Ebensowenig läßt sich zwischen allgemeinen Rechtfertigungsgründen und nur strafrechtlichen Unrechtsausschließungsgründen unterscheiden (näher Rdn. 10) und daraus auf unterschiedliche Rechtswirkungen schließen. Das gilt auch für § 193; er rechtfertigt die Beleidigungshandlung für die gesamte Rechtsordnung. Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit, daß durch eine gemäß § 193 gerechtfertigte und im Zeitpunkt der Begehung deshalb nicht durch Selbstverteidigung abwehrbare Handlung eine Beeinträchtigung eintreten kann, die als Zustand dem materiellen Recht widerspricht und gegen die daher die quasinegatorische Unterlassungsklage zur Verfügung steht (vgl. Rdn. 11 m. Nachw.) [65] Rechtliche Konsequenzen der Rechtmäßigkeit. Notwehr gegenüber gerechtfertigten Handlungen ist nicht möglich, da keine Rechtswidrigkeit des Angriffs vorliegt. Die Eingriffsrechte, insbesondere auch der rechtfertigende Notstand, begründen eine Duldungspflicht des Betroffenen (BGH NJW 1989 2479, 2481; Sch / Schröder / Lenckner § 34 Rdn. 1) 123. In den Fällen der rechtfertigenden Einwilligung läßt sich zwar wegen der Möglichkeit des Widerrufs regelmäßig nicht von einer „Duldungspflicht“ sprechen, jedoch ist der Einwilligungsempfänger während des Bestands der Einwilligung zum Eingriff berechtigt, und ein Dritter kann keine zulässige Nothilfe leisten. Eine weitere Konsequenz besteht in der Unmöglichkeit einer strafbaren Teilnahme; denn dazu bedürfte es einer rechtswidrigen Haupttat; es kann aber mittelbare Täterschaft, begangen durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug, in Betracht kommen. Die Rechtfertigung schließt auch Maßregeln der Besserung und Sicherung aus, so daß sie nicht verhängt werden können, selbst wenn der gerechtfertigte Täter bei der Tat geisteskrank oder volltrunken gewesen ist (vgl. §§ 63 ff). Das Entstehen einer Duldungspflicht wird von einer im Schrifttum vertretenen Auffassung relativiert bei Rechtfertigungsgründen, die auf ungewisse oder zukünftige Umstände abstellen (wobei insbesondere § 34 genannt wird), für Fälle, in denen dem Betroffenen ein Sonderwissen über den wahren Sachverhalt zur Verfügung steht und es ihm nicht gelingt, den Handelnden rechtzeitig aufzuklären (Jakobs 11/13; Roxin I § 14 Rdn. 106). Als Beispiel dient der Fall des Simulierens einer schweren, als solche eine Rettungsmaßnahme erforderlich machenden Erkrankung. Diese Auffassung beruht jedoch auf einer Mißdeutung des Gefahrbegriffs in § 34, der einen solchen Simulantenfall schon 123

Zu BGH NJW 1989 2479 näher Küpper JuS 1990 184 ff. Bezüglich § 32 vgl. BGH NStZ 1994 184, 185.

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gar nicht deckt (näher LK § 34 Rdn. 26 ff) 124. Auch wird etwa bei § 193 deutlich, daß jemand, der zu Unrecht in den Verdacht einer ehrenrührigen Tat geraten ist und diese deshalb abstreitet, sich gegen die in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgende Äußerung des Verdachts nicht in Notwehr zur Wehr setzen darf (siehe auch Rdn. 11). [66] Der Rechtfertigungsgrund steht der Rechtswidrigkeit nur hinsichtlich derjenigen Tatbestandserfüllung entgegen, auf die er sich bezieht. So rechtfertigt die Notwehr nur die Verletzung des Angreifers, nicht die Verletzung unbeteiligter Dritter (insoweit könnte nur ggf. rechtfertigender oder entschuldigender Notstand in Betracht kommen). Ebenfalls kann sich eine Beschränkung der Anwendung durch die Verschiedenartigkeit der betroffenen Rechtsgüter ergeben; so bezieht sich § 226a nur auf die §§ 223 ff, nicht dagegen auf § 315c (BGHSt. 23 261; OLG Hamm MDR 1971 67). Eine Ausnahme wollen OLG Celle NJW 1969 1775 und Jescheck § 31 VI 3 bei der Notwehr annehmen, wenn durch die gerechtfertigte Handlung zugleich Vorschriften verletzt werden, die überwiegend dem Schutz der öffentlichen Ordnung i.w. S. dienen, z. B. §§ 316, 315b Abs. 1 Nr. 2. Dabei werden jedoch rechtfertigender Notstand und Notwehr miteinander vermengt, wofür auch wegen des gleichen Ergebnisses kein Grund ersichtlich ist 125. [67] Bei nur teilweisem Vorliegen der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes tritt zwar keine Rechtfertigung ein, doch kann dieser Umstand für die Strafzumessung eine Rolle spielen (Günther Göppinger-Festschr. S. 453, 461 f; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 22) 126. So kann z. B. bei der nicht schon durch § 33 entschuldigten Überschreitung der Notwehrgrenzen die Tatsache, daß der Täter immerhin aus einer Notwehrsituation heraus gehandelt hat, strafmildernd berücksichtigt werden 127.

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Außerdem Hirsch Arthur Kaufmann-Festschr. S. 545, 546 ff. Widmaier JuS 1970 611, 614. Siehe auch Günther JR 1985 268 ff. Lenckner Notstand S. 35 ff; Noll ZStW 68 (1956) 181 ff; 77 (1965) l, 17 ff.

Rechtfertigungsfragen und Judikatur des Bundesgerichtshofs 2000 I. Grundsätzliche Einordnung und Hauptproblemkreise Zu den berühmtesten Entscheidungen des Reichsgerichts gehört das Urteil RGSt. 61, 242, in dem im Jahre 1927 der übergesetzliche rechtfertigende Notstand anerkannt wurde. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Rechtfertigungsgründen enthält keinen derartigen „Paukenschlag“, aber sie bietet zahlreiche Entscheidungen zu wichtigen Einzelpunkten. Sie erstreckt sich über die gesamte Breite des Gebiets der Rechtfertigung. Zum systematischen Ausgangspunkt ist festzustellen, daß der BGH in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der h. L. zwischen Tatbestand und Rechtfertigungsebene unterscheidet. Sachentsprechend folgt er nicht der von einigen Autoren vertretenen Nivellierung der Bereiche, d. h. der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1 sondern spricht von den Rechtfertigungsgründen als eigenständiger Kategorie. 2 Daß er mit dem Blick auf die Fälle der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts die eingeschränkte Schuldtheorie vertritt, betrifft ausschließlich die Irrtumsseite. Ein theoretisches System der Rechtfertigungsgründe liegt der Rechtsprechung aber nicht zugrunde. Bekanntlich haben sich derartige Versuche im Schrifttum bisher als wenig gewinnbringend erwiesen. 3 Als Rechtfertigungsgründe werden alle Rechtssätze eingeordnet, die ein tatbestandsmäßiges Verhalten ausnahmsweise erlauben (Erlaubnissätze, Gegennormen). Es geht dabei regelmäßig um konkrete Interessenkollisionen. 4 1

Nähere Kritik dieser Lehre bei Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960. 2 Vgl. BGHSt. 1, 131 (132); (GrS) 2, 194 (195 f.); 11, 241; 39, 1 (8 ff., 27 f., 30); st. Rspr. 3 Vgl. die Übersicht bei Hirsch, in: Leipziger Kommentar StGB, 11. Aufl., 1994, Vor § 32 Rdn. 47 f. 4 Auch bei der rechtfertigenden Einwilligung, da bei ihr die hinter dem Tatbestand stehende allgemeine Norm und das Individualinteresse des einzelnen kollidieren.

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Die im Schrifttum teilweise vertretene Auffassung, daß man zwischen Rechtfertigungsgründen, die ein Verhalten für die gesamte Rechtsordnung deliktsrechtlich gestatten (Gedanke der „Einheit der Rechtsordnung“), und bloßen Strafunrechtsausschließungsgründen zu differenzieren habe, 5 ist von der Rechtsprechung nicht aufgenommen worden. Sie geht vielmehr mit Recht davon aus, daß es sich stets um die Frage handelt, ob ein Verhalten ausnahmsweise zulässig, nicht aber, ob es lediglich strafloses Unrecht ist. Auch dort, wo sich jene Auffassung als Begründung für eine sonst anfechtbare Judikatur anbot, wie bei den Fällen der ohne besondere Ermächtigungsgrundlage erfolgten hoheitlichen Eingriffe, 6 hat der BGH nicht auf sie zurückgegriffen. Anderenfalls würde das der Rechtfertigungsfrage gewidmete Deliktsmerkmal „Rechtswidrigkeit“ um seine Funktion gebracht sein, nämlich bei Bejahen eines Unrechtsausschließungsgrundes anzugeben, daß sich der Täter trotz der Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens in Einklang mit der Rechtsordnung befunden hat. Auch ließen sich bei Einbeziehung des Strafaspekts die Grenzen zu den bloßen Strafausschließungsgründen nicht mehr ziehen. 7 Betrachtet man die Rechtsprechung des BGH zu den Rechtfertigungsgründen, so zeigen sich in den fünf Jahrzehnten eine Reihe von Schwerpunkten. Es sind die Grenzen der Notwehr (§ 32 StGB), die Frage der Heranziehung der strafgesetzlichen Notstandsvorschrift (§ 34 StGB) als Ermächtigungsgrundlage für hoheitliche Eingriffe, das Absterben des schulischen Züchtigungsrechts, die Grenzen der Einwilligung bei der Körperverletzung (§ 226a a. F., § 228 n. F. StGB), die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung sowie der Umfang des Rechts zur vorläufigen Festnahme (§ 127 StPO). Hinzu treten, auch mit dem Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Fragen der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) und zwei generelle Probleme: das der Bedeutung des Satzes Nullum crimen sine lege bei Rechtfertigungsgründen und das der subjektiven Rechtfertigungselemente. Die genannten Problembereiche sind Gegenstand der folgenden Erörterungen. Eine Konzentration auf die Einzelpunkte ist um so mehr angezeigt, als die Entwicklung der höchstrichterlichen Judikatur nicht etwa eine einheitlich auf Restriktion oder Extension ausgerichtete Tendenz erkennen läßt, es vielmehr um spezifische Fragen der einzelnen Problemkreise geht.

5 So insbesondere Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 247 f., 257 ff., 394 ff. 6 Zu diesen Fällen noch unter II. 2. a). 7 Näher zum ganzen vgl. Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 10 m.w. N.; speziell zu der Frage bei hoheitlichen Eingriffen ebendort, § 34 Rdn. 16.

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II. Problempunkte einzelner Rechtfertigungsgründe 1. a) An erster Stelle treten die Fragen der Notwehrgrenzen in den Blick. Die weite Fassung der Notwehrdefinition im deutschen StGB hat es mit sich gebracht, daß der BGH immer wieder mit Fragen der Einschränkung konfrontiert worden ist. In den 50er Jahren trat die zu weite Wortfassung allgemein ins Bewußtsein. 8 Den absoluten Stellenwert, der im 19. Jahrhundert der unmittelbaren Rechtsverteidigung im Verhältnis zu Leben und Leib des rechtswidrigen Angreifers beigemessen worden war, 9 hatten zwar schon früher einzelne Autoren kritisiert. 10 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg führten die nunmehr auf den Primat des Individuums ausgerichteten Wertvorstellungen dazu, daß die Grenzen der Notwehr zu einer besonders wichtigen Frage für Rechtsprechung und Wissenschaft wurden. Die Probleme sind leider nicht vom Gesetzgeber bei der Strafrechtsreform von 1975 durch eine stärkere Präzisierung der Notwehrvorschrift gelöst worden, vielmehr blieb diese unverändert. Bei der Problematik geht es um Fälle sogenannter „sozialethischer“ Einschränkungen, nämlich der Provokation, dem Angriff eines Schuldlosen oder einer in besonders enger persönlicher Beziehung stehenden Person und den Fällen eines extremen Mißverhältnisses zwischen den gegenüberstehenden Schäden. Entgegen mancher höchstrichterlichen Entscheidung 11 haben sie nichts mit dem Merkmal „erforderlich“ zu tun. Bei der konkreten Erforderlichkeit geht es um eine Voraussetzung aller Rechtfertigungsgründe, so daß dieses Merkmal einheitlich nach tatsächlichen Gesichtspunkten auszulegen ist. Das bestätigt auch § 34 StGB, wo die Nicht-anders-Abwendbarkeit nicht bereits die Interessenabwägung und die Angemessenheit einbezieht. Vielmehr handelt es sich dabei erst um einen nächsten Prüfungsschritt. Das kann auch nicht anders sein, weil die Fragen der „sozialethischen“ Einschränkungen zur Voraussetzung haben, daß überhaupt eine tatsächlich erforderliche Verteidigung vorliegt. Den Hauptproblemkreis bilden in der Praxis ebenso wie in der Theorie die Provokationsfälle. Am wenigsten gilt das allerdings für die Absichtsprovokation. Daß sie auszugrenzen ist, wurde schon früh deutlich und ist heute im Ergebnis gefestigte h. M. 12 Wenn jemand einen anderen durch eine Beleidigung zu einem 8

Näher über diese Entwicklung Bitzilekis, Die neue Tendenz zur Einschränkung des Notwehrrechts, 1984, S. 16 ff. 9 Darüber näher Bitzilekis (Fn. 8), S. 38 ff. 10 Siehe insbesondere Geyer, Die Lehre von der Notwehr, 1857, S. 25; ders., in: v. Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafrechts, Bd. 4, 1877, S. 87 (94: „Totschlagsmoral“ des deutschen Notwehrrechts); auch Berner, ArchCrimR 1848, 547 (584) sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts Oetker, VDA II, 1908, 255 (294 ff.). 11 Siehe die Angaben zur Rspr. bei Lilie, Hirsch-Festschr., 1999, S. 277 ff. Allgemein kritisch zu den Erforderlichkeitskriterien der Rspr. bei Tötungshandlungen Bernsmann, ZStW 104 (1992), 290, 294 ff.

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rechtswidrigen Angriff provoziert, um ihn unter dem Deckmantel erforderlicher Notwehr körperlich zu verletzen, kann er sich nicht auf Notwehr berufen – jedenfalls solange, wie er nicht entgegen seinem Plan in eine unausweichliche Defensive gedrängt wird. Der BGH hat dazu als Begründung angeführt, es handele sich um einen Mißbrauch des Notwehrrechts. 13 Die meisten Autoren berufen sich darauf, es fehle an der Bewährung der Rechtsordnung oder am Gebotensein. 14 Die Fälle der Notwehrprovokation lassen sich jedoch unschwer und sachentsprechend bereits im Rahmen der gesetzlichen Notwehrdefinition (§ 53 Abs. 2 a. F., § 32 Abs. 2 n. F. StGB) lösen; denn es fehlt an einer Verteidigung, solange der Täter seine Angriffsabsicht realisiert. Es geht nur um ein vorgetäuschtes Verteidigen. Erst in dem Augenblick, in dem der Täter, insbesondere weil er sich hinsichtlich des Angriffspotentials des anderen verschätzt hat, seinerseits von der vorgetäuschten Verteidigung in echte Verteidigung übergehen muß und damit für ihn eine wirkliche Notwehrsituation entstanden ist, taucht die Rechtsfrage der „sozialethischen“ Einschränkung auf. 15 In der Praxis spielt die Absichtsprovokation aber naturgemäß nur eine geringe Rolle; sie läßt sich auch nur schwer beweisen. Diskutiert worden ist, ob nicht richtiger von Vorsatzprovokation auszugehen ist, indem nicht nur bei Absicht im eigentlichen Sinne, sondern stets dann, wenn der provozierende Täter in bezug auf das Entstehen der Notwehrlage vorsätzlich handelt, die Notwehrbefugnis zu entfallen hat. 16 Auch in der Judikatur des BGH 12 Vgl. im Anschluß an RG DR 1939, 364 Nr. 11, und RG HRR 1940 Nr. 1143 die Entscheidungen BGH bei Dallinger MDR 1954, 335; BGH NStZ 1983, 452. Ebenso die h. L.; vgl. Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, § 32 III 3 a; Lackner / Kühl, StGB, 23. Aufl., 1999, § 32 Rdn. 15; Lenckner, in: Schönke / Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, § 32 Rdn. 55; Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Band I, 3. Aufl., 1997, § 15 Rdn. 61 ff.; jeweils m.w. N. (zu dem umfangreichen Schrifttum und den unterschiedlichen Begründungen). Grundsätzlich gegen die einschränkende Berücksichtigung von Notwehrprovokationen u. a. Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht Allg. Teil, 10. Aufl., 1995, § 17 Rdn. 37; Renzikowski, Notstand und Notwehr, 1994, S. 302 ff.; m.w. N. (hiergegen überzeugend Roxin, a. a. O. § 15 Rdn. 62). Siehe auch die eingehende Darstellung der Probleme bei Kühl, Strafrecht Allg. Teil, 1994, § 7 Rdn. 207 ff. 13 BGH NStZ 1983, 452; auch BGHSt. 24, 356. So bereits die in Fn. 12 angeführte RGRspr. 14 Für unmittelbare Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Bewährung der Rechtsordnung: Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 32 III. 2. und 3; Lenckner (Fn. 12), § 32 Rdn. 47; für Anknüpfung an das in § 32 Abs. 1 StGB aufgeführte Merkmal des Gebotenseins: Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 53 ff.; alle m.w. N. 15 Hier gilt dann wegen des rechtswidrigen Vorverhaltens, daß er auszuweichen hat. Ist ihm das jedoch unmöglich, so steht ihm wie bei den oben nachfolgend erörterten Fällen der unbeabsichtigten Provokation zwar nicht sogleich die volle, aber die abgestufte Notwehrbefugnis (zunächst „Schutzwehr“) zu. Zu abweichenden Lösungsvorschlägen siehe Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 62 f. Die eigentliche Absichtsprovokation ist genau betrachtet gar nicht den Fällen der Notwehreinschränkungen zuzuordnen, weil bei ihr von vornherein die Notwehrmerkmale nicht erfüllt sind. Sie weist Teilaspekte einer mittelbaren Tatbegehung auf.

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war gleichrangig von der Absicht und dem Fall, daß der Herausforderer die Möglichkeit des späteren Angriffs nur in Rechnung stellt, die Rede. 17 Demgegenüber weist man mit Recht darauf hin, daß demjenigen, der den Angriff des Provozierten nicht bezweckt, das Notwehrrecht nicht entzogen, sondern nur eingeschränkt werden darf. 18 Dem Herausforderer geht es hier nicht um einen verdeckten eigenen Angriff, sondern allein um Verteidigung. Die den Begriff der Verteidigung konstituierende Verteidigungsabsicht ist nicht durch eine eigene Angriffsabsicht verdrängt. Der eigentliche Problembereich liegt bei den unbeabsichtigten Provokationsfällen. Die Rechtsprechung hatte ihnen ursprünglich wenig Beachtung geschenkt. 19 Später tendierte man dazu, dem Täter das volle Notwehrrecht mit der Begründung zu versagen, daß er selbst Anlaß zu dem Angriff gegeben habe. 20 In der bedeutenden Entscheidung BGHSt. 24, 356 wurde dann klargestellt, daß das Notwehrrecht hier nur verneint werden darf, wenn und soweit der Täter dem Angriff ausweichen oder über ein Ausweichen zum Einsatz eines weniger gefährlichen Verteidigungsmittels gelangen kann. 21 Biete sich ihm diese Möglichkeit nicht, so bleibe er zu der erforderlichen Verteidigung befugt. Hierbei dürfe er aber zur „Trutzwehr“: namentlich mit einer lebensgefährlichen Waffe, erst Zuflucht nehmen, nachdem er alle Möglichkeiten der „Schutzwehr“ ausgenutzt habe. 22 Diese Linie, die dem Grundgedanken der Notwehr entspricht, hat sich durchgesetzt. 23 Die Lehre von der actio illicita in causa wird dagegen mit Recht von der h. M. verworfen. 24 Gegen sie spricht, daß sie dazu führt, ein und dieselbe Handlung (z. B. der Schuß des sich verteidigenden Provokateurs) gerechtfertigt als Notwehr und rechtswidrig als Verwirklichung eines durch das Vorverhalten in Gang gesetzten, denselben konkreten Erfolg betreffenden Delikts einzustufen. Das ist widersprüchlich. 25 16

Dafür ursprünglich Roxin, ZStW 75 (1963), 541 (572 ff.). Dagegen insbesondere Lenckner, GA 1961, 299 (309 ff.); Bitzilekis (Fn. 8), S. 179. In ZStW 93 (1981), 68 (87 mit Fn. 44) hat Roxin seine frühere Auffassung korrigiert. 17 Siehe noch BGHSt. 24, 356 (359). 18 Vgl. Bitzilekis (Fn. 8), S. 179. 19 Dazu Lenckner, GA 1961, 307 m.w. N. 20 Vgl. etwa RGSt. 71, 133; BGH bei Dallinger, MDR 1958, 12; BGH NJW 1962, 308. 21 Allerdings wurde in der Entscheidung noch der Fall, daß der Täter die Möglichkeit des späteren Angriffs nur in Rechnung stellt, ebenso wie die Fälle der Absichtsprovokation behandelt; siehe dazu oben in Fn. 16 und den zugehörigen Text. 22 Diese Ausführungen finden sich auf S. 358 f. der Entscheidung. 23 Vgl. die Nachweise zur seitherigen st. Rspr. bei Lenckner (Fn. 12), § 32 Rdn. 60; für die h.L. vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 32 III. 3. a); Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 65 f.; Wessels / Beulke, Strafrecht Allg. Teil, 29. Aufl., 1999, Rdn. 346; jeweils m.w. N. 24 BGH NJW 1983, 2267; BGH NStZ 1988, 451; Roxin, ZStW 75 (1963), 541 (545 ff.); Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 32 III. 3. a) mit Fn. 44; näher auch Bitzilekis (Fn. 8), S. 153 ff. 25 Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 64.

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In der Judikatur ist jedoch bis heute nicht klar bestimmt, welche Anforderungen an die Qualität des provozierenden Verhaltens zu stellen sind. Überholt ist allerdings die verfehlte Entscheidung BGH NJW 1962, 308, die einem Wohnungseigentümer die Notwehrbefugnis mit der Begründung beschnitt, daß dieser durch den Versuch, sein Haus zu betreten, und die vorherige Ankündigung, er werde sich den Zutritt notfalls gewaltsam erzwingen, den Angriff provoziert habe. In BGHSt. 27, 336 wird ausdrücklich klargestellt, daß ein sozialethisch nicht zu mißbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen nicht zu einer Einschränkung seiner Notwehrbefugnisse führen kann. Auch war in BGHSt. 24, 356 (358) weitergehend davon die Rede, daß es sich um ein von „Rechts“ wegen vorwerfbares Verhalten handeln müsse. Letzteres würde in die Richtung deuten, daß über die sozialethische Mißbilligung hinausgehend Rechtswidrigkeit vorliegen muß. Die spätere Judikatur hält das aber in der Schwebe. Entweder wird zu den Kriterien gar nicht Stellung genommen, 26 oder es wird im Anschluß an BGHSt. 27, 336 (338) abgestellt auf „ein Vorverhalten, das bei vernünftiger Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen läßt“. 27 Dabei ist weder von rechtlicher Pflichtverletzung noch vom Inhalt der Pflicht die Rede. Einen bedenklichen Punkt hat die Judikatur in der Entscheidung BGHSt. 42, 97 erreicht, wonach es für eine das Notwehrrecht einschränkende Provokation genügen soll, daß jemand durch wiederholtes Öffnen des Abteilfensters einen alkoholisierten und ohne entsprechendes Billet die 1. Klasse benutzenden Reisenden aus dem Zugabteil vertreiben will; darin drücke sich eine Mißachtung aus, „die ihrem Gewicht nach einer schweren Beleidigung gleichkommt“. Hier wird offenbar mit einem außerrechtlichen Begriff der Beleidigung operiert. Daß das gegen den Willen des Mitreisenden erfolgende Öffnen des Abteilfensters weder nach Inhalt noch nach Gewicht einer schweren Beleidigung im Rechtssinne gleichkommt, bedarf keiner weiteren Darlegung. Die juristische Unschärfe der bisherigen Judikatur spiegelt sich auch an dem Fall BGH StV 1996, 87 wider, in dem die Strafkammer der Auffassung war, daß ein (bereits beendetes) Streitgespräch und ein beim Weggehen geäußerter „dummer Spruch“ des Angegriffenen ausreichend seien – eine Ansicht, welcher der BGH zwar nicht gefolgt ist, jedoch ohne hierfür eine genauere Begründung zu geben. Ebenfalls zeigt die Entscheidung BGH NStZ 1998, 508 die eingetretene Verunsicherung der Instanzgerichte. Mit Recht wird in der Literatur betont, daß das provozierende Vorverhalten in einer rechtswidrigen (vorsätzlichen oder sorgfaltswidrigen) Beeinträchtigung eines Rechtsguts des Angreifers bestanden haben muß. 28 Ganz abgesehen davon, daß ein nur sozialethisch mißbilligenswert erscheinendes Verhalten viel zu unbe26

So in BGHSt. 26, 143 und 26, 256. Auf diese in BGHSt. 27, 336 (338) enthaltene Formulierung berufen sich BGH NStZ 1981, 138 und BGH StV 1996, 87. 27

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stimmt ist, um klare rechtliche Abgrenzungen zu ermöglichen, bewegt sich der Betreffende hier noch im Rahmen des rechtlich unverbotenen Bereichs. Infolgedessen eröffnet er dem anderen gegebenenfalls die Möglichkeit, ihm sozialethisch „mit gleicher Münze“ heimzuzahlen. Nicht aber verschafft er dem anderen von Rechts wegen Privilegien für einen rechtswidrigen Angriff. 29 Man darf nicht aus den Augen verlieren, daß die Einschränkung der Rechtsbefugnisse desjenigen, der durch sein Verhalten einen Angriff provoziert, mit einem entsprechenden Zuwachs an Möglichkeiten und Befugnissen des Angreifers verbunden ist. Dieser erhält durch die Beschneidung der Abwehrrechte des sich Verteidigenden nicht nur einen größeren Freiraum für seinen rechtswidrigen Angriff, sondern ihm wächst auch ein Notwehrrecht zu, sobald der von ihm Angegriffene die aus der Provokation folgende Notwehreinschränkung überschreitet. Man verzerrt die Grenzen zwischen Recht und Unrecht daher, wenn man bloße sozialethische Verstöße als ausreichend ansehen würde. Für eine klare Angabe der qualitativen Provokationsanforderungen ist es höchste Zeit. Denn es ist untragbar, daß die Grenzen einer so weitreichenden Befugnis, wie sie das Notwehrrecht darstellt, unbestimmt bleiben. Es gibt nur wenige Punkte des Deliktsrechts, bei denen die Rechtssicherheit von solcher Wichtigkeit ist. Wie schon erwähnt, hat der Reformgesetzgeber von 1975 leider versäumt, die Notwehrdefinition stärker zu präzisieren. Die Rechtsprechung hat sich daher weiterhin auch in den Fällen der nicht beabsichtigten Provokation auf Rechtsmißbrauch berufen, 30 und im Schrifttum spricht man sich zumeist dafür aus, den § 32 Abs. 2 StGB unter dem Gesichtspunkt der Notwehrgrundlagen restriktiv auszulegen. 31 Der Rechtsmißbrauch bildet jedoch kein passendes Kriterium. Beim Mißbrauch handelt es sich darum, daß ein an sich bestehendes Recht in einer ihm widersprechenden Weise ausgenutzt wird. Bei der vorliegenden Problematik geht es aber nicht um den mißbräuchlichen Einsatz, sondern um eine aus der ratio legis folgende nähere Begrenzung des Notwehrrechts. Sachentsprechender ist daher die auf die ratio legis verweisende restriktive Auslegung, die sich an dem der Notwehr zugrunde liegenden Gesichtspunkt der Bewährung der Rechtsordnung orientiert. Das Problem dieser Ansicht besteht aber darin, daß eine über den Wortlaut eines strafgesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrundes hinausgehende einschränkende Auslegung gegen den Satz Nullum crimen sine lege verstößt, weil sie den Umfang der strafgesetzlich festgelegten Strafbarkeit erweitern würde. 32 28

Kratzsch, Grenzen der Strafbarkeit im Notwehrrecht, 1968, S. 206 f.; Lenckner (Fn. 12), § 32 Rdn. 59; Otto, Würtenberger-Festschr., 1977, S. 129 (145); Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 69; Günther, in: System. Kommentar StGB, 7. Aufl., 1999, § 32 Rdn. 121; Schumann, JuS 1979, 559 (565). 29 Vgl. Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 69. 30 Vgl. die an BGHSt. 24, 356 (359); 26, 143 (146) anknüpfende st. Rspr.; siehe aber auch unten Fn. 35. 31 Siehe die einschlägigen Nachweise oben in Fn. 14.

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Zu beachten ist jedoch, daß es auch noch den Absatz 1der Notwehrregelung gibt, wonach die Notwehr „geboten“ sein muß. Diese bei § 53 a. F. StGB als ohne Einfluß auf die Notwehrvoraussetzungen angesehene Vorschrift ist bei der Reform von 1975 bewußt beibehalten worden, um die erforderlichen Einschränkungen der Notwehrdefinition des jetzigen § 32 Abs. 2 StGB zu ermöglichen. 33 Es wird also durch Absatz 1 eine ausdrückliche gesetzliche Beschränkung des Notwehrumfangs vorgesehen. Man hat nun allerdings vorgebracht, daß die Heranziehung des Absatzes 1 den Rückgriff auf einen für sich allein zu unscharfen Gesichtspunkt darstelle. 34 Aber das würde doch nur der Fall sein, wenn man in ihm eine konkrete Billigkeitsklausel sehen wollte. Darum geht es indes bei der Abgrenzung von Rechtfertigung und Rechtswidrigkeit der Sache nach nicht. Vielmehr besagt das Gebotensein, daß das Notwehrrecht nur in dem Umfang besteht, wie ein die Merkmale der Notwehrdefinition des Absatzes 2 erfüllendes Verhalten den Grundlagen der Notwehr, nämlich der dem Rechtsbewährungsprinzip Rechnung tragenden ratio legis, entspricht. 35 Die erörterte restriktive Auslegung steht daher in Harmonie mit dem Gesetzeswortlaut. Paralleles hat zu gelten für die eingangs erwähnten anderen Fälle einschränkender Auslegung der Notwehrvorschrift. Mit Recht hat der BGH Relativierungen des Notwehrumfangs gegenüber Kindern, Betrunkenen und Personen mit engen persönlichen Beziehungen bejaht. 36 Allerdings wird im Schrifttum treffend darauf hingewiesen, daß in der neueren Judikatur die Notwehreinschränkungen gegenüber schuldlosen Angreifern zwar prinzipiell anerkannt sind, aber in den Einzelheiten noch keine klare Linie erkennbar ist. 37 Auch hier ist es aus Gründen der Rechtssicherheit an der Zeit, daß die Rechtsprechung von der Kasuistik zu deutlichen, allgemeingültigen Markierungen der Abgrenzung gelangt. b) Die Frage der Abgrenzung von Notwehr und defensivem Notstand ist in der Judikatur bisher nur in einem Teilbereich praktisch geworden, nämlich bei einer von einem Menschen ausgehenden Dauergefahr. In dem bekannten „Spanner“Fall BGH NJW 1979, 2053 ging der Senat mit Recht davon aus, daß Notwehr 32 Näher (mit Nachw.) zur Bedeutung dieses Satzes bei Rechtfertigungsgründen noch unten III. 1. 33 Vgl. die vom damaligen parlamentarischen Sonderausschuß gegebene Begründung BT-Drucks. V / 4095, 14. 34 So Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 32 III. 2.; Lenckner (Fn. 12), § 32 Rdn. 44; Spendel, in: Leipziger Kommentar StGB, 11. Aufl., 1992, § 32 Rdn. 256. 35 Für Anknüpfung an das Merkmal des Gebotenseins jetzt BGHSt. 42, 97 (102); BSG JZ 2000, 96 (97); auch Geilen, Jura 1981, 370; Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 37; Lackner / Kühl (Fn. 12), § 32 Rdn. 13; Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 53 ff.; Tröndle / Fischer, StGB, 49. Aufl., 1999, § 32 Rdn. 12, 18; Wessels / Beulke (Fn. 23), Rdn. 342. 36 Siehe die Nachweise (auch zum Schrifttum) bei Lenckner (Fn. 12), § 32 Rdn. 53. 37 Vgl. Roxin (Fn. 12), § 15 Rdn. 59. Zum Fall eines schuldlosen Angreifers siehe auch BSG 2000, 96 mit Anm. Roxin.

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ausschied, weil es sich nicht um die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr, sondern um die Abwehr einer in sich wiederholenden Angriffen bestehenden Dauergefahr handelte. Er vermied es jedoch, sich auf rechtfertigenden Notstand festzulegen, sondern erklärte, daß „jedenfalls“ entschuldigender Notstand vorliege. In den Besprechungen der Entscheidung ist aufgezeigt worden, daß die Abwägung hier zur Rechtfertigung führt. 38 Bei der Handhabung der Notwehrvorschrift ist also zu beachten, daß es auch gegen Menschen gerichtete Verteidigungshandlungen gibt, die nicht unter § 32 StGB fallen, aber gerechtfertigt sind. Die beliebte Gegenüberstellung, daß der Notwehr alle menschlichen Angriffe, dem rechtfertigenden defensiven Notstand alle von Sachen, insbesondere Tieren, ausgehenden Angriffe vorbehalten seien, ist also sehr vergröbernd. Zwar regelt § 228 BGB nur Angriffe, genauer Gefahren, durch Sachen. Das schließt aber nicht aus, daß daneben auch Fälle des Defensivnotstands vorkommen, bei denen die Gefahr von Menschen droht und die de lege lata mit Hilfe des § 34 StGB zu lösen sind. 39 Neben den Fällen der Dauergefahr – und dort, wo schon gar keine Handlung vorliegt, vielmehr die gefahrbringende Person einen bloßen Kausalfaktor für eine drohende Rechtsgutsverletzung darstellt, – geht es um Sachverhalte, bei denen zwar eine Angriffshandlung gegeben ist, diese aber nicht auf Sorgfaltswidrigkeit beruht. Hier handelt es sich um die Frage, wie das Notwehrerfordernis, daß der Angriff „rechtswidrig“ sein muß, zu verstehen ist. Die herkömmliche Definition „Rechtswidrig ist jeder Angriff, den der Angegriffene nicht zu dulden braucht“, 40 ist ein Relikt der früheren kausalen Unrechtslehre, nach der es für das Unrecht genügen sollte, daß eine auf einem Willensimpuls beruhende Kausalreihe in bezug auf den Erfolg vorliegt und kein Rechtfertigungsgrund eingreift. Inzwischen hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, daß Handlungsunrecht zumindest Sorgfaltswidrigkeit verlangt. Dies gilt auch hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Angriffs. 41 Geht vom Verhalten eines Kraftfahrers trotz Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine gegenwärtige konkrete Gefahr für ein anderes Rechts38

Vgl. die Nachw. bei Hirsch (Fn. 3), § 34 Rdn. 37 und 73. Vgl. die Nachw. bei Hirsch (Fn. 3), § 34 Rdn. 73 ff. 40 Vgl. RGSt. 21, 168 (171); 27, 44 (45 f.); Spendel, in: Leipziger Kommentar StGB, 11. Aufl., 1992, § 32 Rdn. 57, 60; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 85; inhaltlich gleichbedeutend Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 32 II. 1. c); Köhler, Strafrecht Allg. Teil, 1996, S. 267 f. 41 Hirsch, Dreher-Festschr., 1977, S. 211 (222 ff.); Felber, Rechtswidrigkeit in Notwehrbestimmungen, 1979, S. 174 ff.; Roxin, ZStW 93 (1981), 68, 84; ders., Jescheck- Festschr., 1985, S. 457 (471 ff.); Gropp, Strafrecht Allg. Teil, 1998, § 6 Rdn. 71; Lackner / Kühl (Fn. 12), § 32 Rdn. 5; Lenckner (Fn. 12), § 32 Rdn. 19 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, § 8 Rdn. 26 ff.; Stratenwerth, Allg. Teil I, 3. Aufl., 1981, Rdn. 425; siehe auch Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, 12/18, und Günther (Fn. 28), § 32 Rdn. 61. 39

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gut aus, so besteht für den Rechtsgutsinhaber kein Notwehrrecht, sondern nur der Rechfertigungsgrund des Defensivnotstands. Die abweichende, herkömmlich auf den drohenden Erfolgsunwert abstellende Auffassung, die solche Fälle der Notwehr zuordnet, ist unvereinbar mit dem am Verhaltensunrecht ausgerichteten Rechtsgedanken der Notwehr und der daraus resultierenden Gestattung grundsätzlich jeder erforderlichen Verteidigung. Außerdem wäre nach dieser Ansicht die Regelung des § 228 BGB nicht erklärbar, die sich gerade auf die Einsicht stützt, daß gegenüber Bedrohungen, die nicht auf einem menschlichen Verhaltensunrecht beruhen, das schneidige Notwehrrecht nicht paßt. De lege ferenda wird der Gesetzgeber gut daran tun, den rechtfertigenden Defensivnotstand ausdrücklich und näher im StGB zu vertypen. Bis dahin bildet § 34 StGB die Rechtsgrundlage, soweit es sich um die Abwehr von Gefahren handelt, die von Menschen ausgehen. Für Gefahren, die von Sachen drohen, bietet § 228 BGB schon de lege lata eine Spezialregelung. Bei der Interessenabwägung im Falle des § 34 StGB ist der Umstand, daß die Gefahr von dem Gut, in das durch die Notstandshandlung eingegriffen wird, selbst ausgeht, in die Abwägung einzubeziehen. Entsprechend dem in § 228 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken ist es daher genügend, daß der durch die Abwehr angerichtete Schaden nicht außer Verhältnis zu der drohenden Gefahr steht. Auch hat hier im Unterschied zum aggressiven Notstand der Autonomiegedanke keine Bedeutung. 42 2.a) Der im vorhergehenden schon ins Blickfeld getretene rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB), der erst 1975 im StGB vertypt wurde, spielte in der Rechtsprechung während der Terrorismusbekämpfung eine erhebliche Rolle. Der Terrorismus konfrontierte die Gerichte mit Fällen, in denen hoheitliche Eingriffe in Individualrechtsgüter für erforderlich angesehen wurden, für die eine einschlägige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage aber nicht vorhanden war. Es ging um das Benutzen heimlicher Abhörgeräte, das Abhören von Telefongesprächen, die Unterbindung des Verkehrs zwischen Häftlingen und Verteidigern, die Durchsuchung von Wohnungen nicht konkret Tatverdächtiger in Wohnblöcken usw. Insbesondere handelte es sich um in der StPO nicht vorgesehene Eingriffe. Die damit befaßten Behörden beriefen sich auf rechtfertigenden Notstand. Der BGH hat diese Rechtsauffassung damals in mehreren Entscheidungen bestätigt: In BGHSt. 27, 260 hieß es, der § 34 StGB gelte für hoheitliche Eingriffe uneingeschränkt, in BGHSt. 31, 304 (307) und 34, 39 (51 f.) wurde gesagt, er sei anwendbar, soweit öffentlichrechtliche Sonderregelungen fehlen. 43 42

Näher zum ganzen vgl. Hirsch (Fn. 41), S. 222 f.; ders. (Fn. 3), Vor § 32, Rdn. 73 f. Im Schrifttum wie BGHSt. 31, 304 und 34, 39: Lackner / Kühl (Fn. 12), § 34 Rdn. 14; Lenckner (Fn. 12), § 34 Rdn. 7; Roxin (Fn. 12), § 16 Rdn. 88 f.; Tröndle / Fischer (Fn. 35), § 34 Rdn. 24 f.; u. a. Etwas restriktiver: Bottke, Jura 1987, 356 (363 ff.); Dencker, DünnebierFestschr., 1982, S. 447 (457); Seelmann, ZStW 95 (1983), 797 (809 ff.). Für die weite Auffassung von BGHSt. 27, 260: Lange, NJW 1978, 784 ff.; Gössel, JuS 1979, 162 ff.; zum 43

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Der Rückgriff auf § 34 StGB ist mit Recht verbreitet auf Kritik gestoßen. Zwar ist im Hinblick auf die damalige innenpolitische Situation zu verstehen, daß der BGH bemüht gewesen ist, eine Rechtfertigung der betreffenden Eingriffe zu konstruieren. Aber der Rechtslage entsprach dies nicht. Denn als deliktsrechtliche Positivierung des Notstandsprinzips vermag § 34 StGB hoheitliches Eingriffshandeln nicht zu rechtfertigen, und zwar unabhängig davon, ob es einen Straftatbestand erfüllt oder nicht. Die Rechtmäßigkeit hoheitlicher Eingriffe in den Freiheitsbereich des Bürgers beurteilt sich vielmehr abschließend nach den im Verwaltungs-, Verfahrens- und Verfassungsrecht getroffenen Regelungen; die dort aufgestellten öffentlich-rechtlichen Eingriffsbefugnisse werden durch § 34 StGB nicht erweitert. 44 Hierzu ist insbesondere anzuführen, daß § 34 StGB als im Deliktsrecht positivierter Rechtfertigungsgrund den Freiheitsbereich des einzelnen Bürgers gegenüber gesetzlichen und damit hoheitlichen Ver- und Geboten in den von der Vorschrift erfaßten Ausnahmefällen erweitert. Der freiheitserweiternde Gehalt dieser Regelung wird in sein Gegenteil verkehrt, sobald man sie als auch den Hoheitsträger berechtigende Eingriffsnorm ansieht, die staatliche Befugnisse zu Lasten des einzelnen ausdehnt. 45 Diesem Einwand kommt um so größeres Gewicht zu, als § 34 StGB bei einem derartigen Verständnis leicht den Charakter einer Ausnahmeregelung verlöre und in seiner praktischen Handhabung systemwidrig besonders als öffentlich-rechtliche Eingriffsermächtigung Bedeutung gewänne. Rechtfertigung hoheitlichen Eingriffshandelns durch § 34 StGB scheidet auch deshalb aus, weil die Vorschrift den an eine öffentlich-rechtliche Eingriffsermächtigung zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sind hoheitliche Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Freiheitbereich des Bürgers nur mittels oder aufgrund eines speziellen Gesetzes und nur durch die hierfür zuständigen Organe öffentlicher Gewalt zulässig (vgl. BVerfGE 65, 1, 46 [bereichsspezifisch und präzise]). Diesen Bestimmtheitsanforderungen des Gesetzesvorbehalts genügt § 34 StGB in zweifacher Hinsicht nicht: Die Vorschrift enthält weder eine gegenständliche Konkretisierung zulässigen Eingriffshandelns, noch läßt sie mangels Kompetenzzuweisung einen durch sie berechtigten Träger derartiger Befugnisse erkennen. Eine Konkretisierung als hoheitliche Eingriffsermächtigung haben früheren übergesetzlichen Notstand auch OLG München NJW 1972, 2275 und OLG Frankfurt NJW 1975, 271. 44 Amelung, NJW 1977, 833; Hirsch (Fn. 3), § 34 Rdn. 6 ff.; Jakobs (Fn. 41), 13/42; Lerche, v. d. Heydte-Festschr., 1977, S. 1033 (1043); Lüderssen, Jura 1985, 113 (119); Neumann, in: Nomos Kommentar StGB, 1997, § 34 Rdn. 113 ff.; Rudolphi, in: System. Kommentar StGB, 5. Aufl., 1997, Vor § 331 Rdn. 12. Weitere Nachw. bei Hirsch (Fn. 3), § 34 Rdn. 6 Fn. 11. 45 Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1882 f.); Dahs, ZRP 1977, 164 (168); v. Sydow, JuS 1978, 222 (224).

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§ 34 StGB wie auch der frühere übergesetzliche rechtfertigende Notstand nicht erfahren. Vielmehr hätte das Fehlen jeglicher gegenständlichen Begrenzung und sämtlicher Zuständigkeitsregelungen in § 34 StGB zur Folge, daß bei Bejahung seiner Anwendbarkeit auf hoheitliche Eingriffe – damit seiner grundsätzlichen Anerkennung als öffentlich-rechtliche Eingriffsermächtigung – aus der deliktsrechtlichen Notstandsregelung eine öffentlich-rechtliche „Supernorm“ erwüchse, eine „perfekte, in sich offene Generalermächtigung“: der gegenüber jede gesetzliche Ausformung und Begrenzung staatlicher Gewaltausübung relativiert und vorläufig wäre. Diese Konsequenz ist rechtsstaatlich untragbar. 46 Man wird die hier kritisierte Rechtsprechung, wie schon angedeutet, auf dem Hintergrund der damaligen innenpolitischen Situation sehen müssen. Wohl nicht von ungefähr hat es später keine weiteren einschlägigen Entscheidungen gegeben. Sollte die Frage aber erneut akut werden, wird der BGH jedoch aus den genannten Gründen gut daran tun, eine etwaige Lücke der Eingriffsbefugnisse durch den dafür zuständigen Gesetzgeber schließen zu lassen. Auch damals hat sich gezeigt, daß der Gesetzgeber sehr schnell reagieren kann, wenn er dies für unabdingbar ansieht. 47 Daß er dabei dann den Umfang der in Rede stehenden Eingriffsbefugnis manchmal enger gezogen hat, als es Gerichte getan hatten, 48 bestätigt zusätzlich, daß die Rechtsprechung ihre Kompetenzen überschritten hatte. b) Einen weiteren problematischen Punkt bildet für die Rechtsprechung die Frage, ob Notstand eine gewissenhafte (pflichtgemäße) Prüfung erfordert, daß die objektiven Notstandsvoraussetzungen vorliegen. Bekanntlich hatte das Reichsgericht bereits in seiner grundlegenden Entscheidung RGSt. 61, 242 (255) in den übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand dieses „subjektive“ Rechtfertigungselement eingebaut. Die Konstruktion war schon damals unhaltbar, da sich die Rechtfertigung der von der Gefahrabwendungsabsicht getragenen Notstandshandlung bereits aus der objektiven Notstandslage, der Erforderlichkeit und dem Wertverhältnis der kollidierenden Rechtswerte ergibt. In Wahrheit verbirgt sich hinter jenem angeblichen subjektiven Rechtfertigungselement das Bestreben, daß auf solche Weise Strafbarkeitslücken überbrückt werden, die sich aufgrund der 46 Samson, in: System. Kommentar StGB, 5. Aufl., 1993, § 34 Rdn. 3a („Supernorm“); Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1883: „... Generalermächtigung“). Eine Darstellung und Erörterung der gesamten Problematik findet sich bei Hirsch (Fn. 3), Rdn. 6 ff. 47 Siehe die Angaben bei Hirsch (Fn. 3), § 34 Rdn. 17. Sollte sich wirklich einmal eine extreme Gefahrensituation ergeben, der entgegen den Fällen der 70er Jahre die normale Staatstätigkeit nicht gewachsen ist und die eine Bedrohung gesellschaftlicher und staatlicher Existenz enthält, so könnte sich eine außerordentliche Eingriffsbefugnis ausschließlich aus besonderen für die Ausübung hoheitlicher Gewalt geltenden übergeordneten Prinzipien des Verfassungsrechts ergeben, nicht jedoch aus einem im Deliktsrecht für ganz andere Situationen geregelten Rechtfertigungsgrund (Böckenförde, NJW 1978, 1881 ff.). 48 Dazu Amelung, NJW 1977, 833 (836) unter Hinweis auf OLG München NJW 1972, 2275 und die spätere engere gesetzliche Regelung.

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h. M., nach der die irrige Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts das Vorsatzdelikt ausschließen soll, andernfalls beim Putativnotstand ergeben würden. 49 Die sachliche Unrichtigkeit der Konstruktion, die ein Irrtumsproblem auf die Ebene der Rechtfertigungsvoraussetzungen verlagert, gab dazu Anlaß, daß in § 34 StGB (und schon vorher in § 16 [§ 12 a. F.] OWiG) als subjektives Element nur die Gefahrabwendungsabsicht verlangt wird. 50 Der BGH hatte sich bei § 34 StGB bisher nicht mit diesem Punkt zu befassen. Jedoch hat er in neuerer Zeit bei anderen Notstandsfällen zu jenem Merkmal Stellung genommen. So wird in BGHSt. 35, 347 (350 f.) für einen etwaigen übergesetzlichen, den Anwendungsbereich des § 35 StGB überschreitenden entschuldigenden oder strafausschließenden Notstand an der gewissenhaften Prüfung des Vorliegens einer Notstandssituation bereits als Notstandsvoraussetzung festgehalten. Und in der zu § 35 StGB ergangenen Entscheidung BGHR § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB wird ebenso beim gesetzlichen entschuldigenden Notstand verfahren. 51 Diese Judikatur läßt befürchten, daß der BGH nach wie vor die gewissenhafte Prüfung als sachentsprechendes Notstandserfordernis ansieht; denn zwischen dem entschuldigenden und dem rechtfertigenden Notstand besteht insoweit kein Unterschied. Das zeigt auch der Wortlaut des § 35 StGB, in dessen Absatz 1 von der früher geforderten gewissenhaften Prüfung ebenfalls nicht mehr die Rede ist und der zudem in Absatz 2 eine von der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit unabhängige Lösung für den vermeidbaren Irrtums bereithält. Wollte man entgegen dem erkennbaren Willen des Gesetzes und den entgegenstehenden Sachgründen in den § 34 StGB die gewissenhafte Prüfung der Sachlage hineininterpretieren, läge darin nicht nur ein sachwidriges Festhalten an einer bereits nach bisherigem Recht als unhaltbar erkannten Konstruktion, sondern auch ein ernster Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, da auf diese Weise der strafgesetzlich geregelte Umfang der Rechtfertigung beschränkt und damit die Strafbarkeit zu Lasten des Angeklagten über die strafgesetzlichen Grenzen hinaus erweitert würde. 52 49 Vgl. dazu insbesondere Wachinger, Frank-Festgabe I, 1930, S. 469 (515 f.); Lange, JZ 1953, 9 (12); Welzel, JZ 1955, 142 ff. 50 E 1962 Begr. S. 160; Prot. V. S. 1795. 51 Um etwas anderes geht es dagegen, wenn in BGHSt. 38, 144 (154 f.) der in § 218a StGB geregelte Spezialfall eines rechtfertigenden Notstands dahin ausgelegt wird, daß das Merkmal „nach ärztlicher Erkenntnis“ die „pflichtmäßige Prüfung“ durch den Arzt erfordere. Hierbei geht es wie bei den Amtsrechten darum, daß dem Handelnden, d. h. hier dem Arzt, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, so daß es innerhalb dessen nicht auf das objektive Vorliegen der Notstandslage (Eingriffsindikation) ankommt. Diese Erweiterung der Rechtfertigung bedeutet allerdings entgegen der Auffassung des Senats (S. 155 f.) nicht, daß bei fehlender pflichtgemäßer Prüfung, aber objektiv gegebener Indikation ein strafbarer Versuch vorläge; vielmehr ist dann erst recht Rechtfertigung gegeben, so daß für Versuchsunrecht kein Raum ist.

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3. Hinsichtlich des Züchtigungsrechts spiegeln sich in der Judikatur die Wandlungen des Zeitgeists besonders anschaulich wider. Was das frühere schulische Züchtigungsrecht angeht, ist die Rechtsprechung des BGH häufig kritisiert worden. Bis in die 70er Jahre ging der BGH davon aus, daß gegenüber jüngeren Schülern, etwa bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres, ein schulisches Züchtigungsrecht kraft Gewohnheitsrecht bestehe. 53 Abweichende Verordnungen und Erlasse von Bundesländern sollten auf die deliktsrechtliche Seite keinen Einfluß haben, sondern nur den disziplinarrechtlichen Aspekt betreffen. Auch in BGH NJW 1976, 1949 hat der BGH noch von einer ausdrücklichen Aufgabe dieser Auffassung abgesehen und lediglich einen sich anbahnenden Meinungswandel durchblicken lassen, indem er unter Hinweis auf „gewichtige Gegengründe“ offen läßt, ob eine Züchtigungsbefugnis noch gegeben ist. In der Folgezeit wurde die Derogation des früheren Gewohnheitsrechts allgemein deutlich, vor allem ließ sich aber aus verfassungsrechtlichen Gründen wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 GG das der gesetzlichen Grundlage entbehrende schulische Züchtigungsrecht nicht mehr halten. Erst in dem Beschluß BGH NStZ 1993, 591 bot sich dem BGH wieder die Gelegenheit, sich mit der Frage dieses Züchtigungsrechts zu befassen. Er stellte dort fest, daß die Verabreichung einer Ohrfeige durch den angeklagten Lehrer nicht gerechtfertigt war, weil nach der einschlägigen Vorschrift des dortigen Schulgesetzes in Baden-Württemberg die körperliche Züchtigung ausgeschlossen ist. Bei der Beurteilung der zögerlichen Haltung der Entscheidung von 1976 wird man wohl zweierlei zu berücksichtigen haben: Zum einen die nicht von der Hand zu weisende Sorge, daß das Strafrecht seine Kompetenzen überschreiten könnte, wenn es in eine damals noch nicht völlig zum Abschluß gelangte Entwicklung der Pädagogik eingreifen würde. Zum anderen die Befürchtung, daß es sich angesichts der Konfliktsituation, die zu jener Zeit im Schulwesen bestand, kaum verantworten ließe, die Lehrerschaft durch Kriminalisierung noch zusätzlichen Risiken und Pressionen bei der Berufsausübung auszusetzen, zumal sie strafrechtlich den qualifizierten Tatbestand des § 340 StGB betreffen. Dagegen ist wenig verständlich, daß man sich noch im Jahre 1993 darauf beschränkt hat, sich auf eine gegenteilige landesgesetzliche Vorschrift des betreffenden Bundeslandes zu stützen, und nicht gleichzeitig ein für allemal zum Ausdruck gebracht hat, daß ganz unabhängig davon allgemein kein schulisches Züchtigungsrecht mehr besteht. Eine solche Züchtigungsbefugnis ist heute kein Thema mehr. 54 52 Horstkotte, Prot. V. S. 1795 sowie im einzelnen Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 37. Siehe auch noch im folgenden III. 1. 53 BGHSt. 3, 105; 11, 241 (247); 14, 52; BGH GA 1963, 82. Zweifelnd BGH NJW 1976, 1949.

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Inzwischen ist das elterliche Züchtigungsrecht in die Diskussion geraten. Ein Gesetz gegen Gewalt in der Familie ist in Vorbereitung. Je nachdem, wie weitreichend es sein wird, können sich schwierige Probleme für die Strafjustiz ergeben. Da in nicht wenigen Fällen streßbedingte Affektlagen in Betracht kommen, hätte man sich der in § 150 E 1962 und § 114 AE vorgesehenen Regelung für heftige Gemütserregung und schuldmindernde Beweggründe zu erinnern und an einen aus dem Schuldprinzip abgeleiteten übergesetzlichen Schuldminderungs- und gegebenenfalls Schuldausschließungsgrund zu denken. 4. a) Bei der Einwilligung differenziert auch die Rechtsprechung zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender. So ist in bezug auf § 228 StGB (= § 226a a. F. StGB) stets von einem Rechtfertigungsgrund die Rede. 55 Die in Teilen der Literatur vertretene Einheitslösung will demgegenüber schon Tatbestandsausschluß annehmen. 56 Dafür scheint zu sprechen, daß hier wie dort die konkrete Dispositionsfreiheit eine Rolle spielt. Jedoch bedeutet es eine entscheidende sachliche Verschiedenheit, ob der Wille des einzelnen oder ein unabhängig vom Willen des Inhabers bestehendes, für sich allein einen Wert verkörperndes Gut geschützt wird. Wahrend eine mit Einverständnis des Betroffenen begangene „Nötigung“ noch keine Rechtsgutsverletzung darstellt, bildet die mit Einwilligung erfolgte Körperverletzung immer eine Verletzung des geschützten Rechtsguts. Die von den Vertretern der Einheitslösung dagegen vertretenen Auffassung, daß die Einwilligung stets den Bestand des in Rede stehenden Rechtsguts und damit die Tatbestandsebene betreffe, 57 läuft darauf hinaus, daß dann nicht Körper, Ehre, Eigentum die geschützten Rechtsgüter bilden, sondern der Wille zur Wahrung dieser Werte. Eine solche Rechtsgutsauffassung steht bereits im Widerspruch zum positivrechtlichen Begriffsverständnis in § 34. Es handelt sich bei jenen Gütern um Werte, die wie auch das Leben bereits für sich allein den grundsätzlichen Schutz der Rechtsordnung genießen und zumeist auch durch die Verfassung garantiert werden. Die Ansicht, daß die Einwilligung immer das Gegebensein des 54 Vgl. etwa Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 35 III. 2.; Hirsch, in: Leipziger Kommentar StGB, 10. Aufl., 1981, § 223 Rdn. 24; Horn, in: System. Kommentar, 7. Aufl., 1998, § 223 Rdn. 12; Lackner / Kühl (Fn. 12), § 223 Rdn. 11; sowie Eser, in: Schönke / Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, § 223 Rdn. 20 (mit ungenauer Wiedergabe der Ausführungen von Hirsch, a. a. O.). 55 BGHSt. 4, 88 (90, 92); 16, 309; 19, 201 (204); 20, 81 (82); st. Rspr. (insbesondere zahlreiche Entscheidungen zu § 226a a. F. [= § 228 n. F.] StGB bezüglich Einwilligung in Heileingriff). 56 So Roxin, ZStW 85 (1973), 76 (100 f.); ders. (Fn. 12), § 13 Rdn. 11 ff.; Maurach / Zipf, Strafrecht Allg. Teil, Teilbd. 1, 8. Aufl., 1992, § 17 Rdn. 30 ff., 39 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht Allg. Teil, Studienbuch, 2. Aufl., 1984, 5/106 ff.; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68 (87); Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (61). 57 Das Rechtsgut sei als die objekts- bzw. verhaltensbezogene Autonomie des Berechtigten zu begreifen; so Schmidhäuser (Fn. 56), 5/107; ähnlich Roxin (Fn. 12), § 13 Rdn. 12; Maurach / Zipf (Fn. 56), § 17 Rdn. 33.

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in Rede stehenden Rechtsguts und damit die Tatbestandsebene betreffe, gerät nicht zuletzt in Schwierigkeiten hinsichtlich der Behandlung vorsätzlicher Beeinträchtigung einerseits und fahrlässiger andererseits. Daß – etwa im Falle der Tötung – insoweit eine Differenzierung zu erfolgen hat, kann nach einem solchen Ansatz nicht begründet werden, weil das gleiche Rechtsgut vorliegt und dieses infolge der Einwilligung entfiele. Sieht man demgegenüber richtigerweise das Wesen der Einwilligung in den zur Erörterung stehenden Fällen erst im Normverzicht, kann das Fahrlässigkeitsunrecht ausgeschlossen sein, ohne daß Gleiches für das Vorsatzunrecht gelten müßte. 58 Das grundsätzliche Mißverständnis der abzulehnenden Einheitslösung beruht darauf, daß sie einseitig auf das hier wie dort vorliegende Phänomen einer Zustimmung des Betroffenen blickt und darüber die Verschiedenheit der Bezugsobjekte verkennt: einmal den Umfang von Rechtsgut und Rechtgutsverletzung, das andere Mal den Verzicht auf die Schutznorm. Es handelt sich bei der Differenzierung eben nicht um einen „Bruch“ innerhalb der Einwilligungslehre, sondern um zwei verschiedene Rechtsfiguren. Die Einwilligung, soweit sie rechtlich beachtlich ist, hat deshalb in den Rechtfertigungsfällen im Gegensatz zu den Fällen, in denen der Wille Schutzobjekt ist, nur den Charakter einer ausnahmsweisen Gestattung des Eingriffs. Es geht hier um eine Kollision zwischen den bei der Aufstellung der Rechtsnormen generell getroffenen Wertentscheidungen und einer nur ausnahmsweise abweichenden subjektiven Bewertung (durch den Betroffenen) im Einzelfall, weshalb die rechtfertigende Einwilligung auch keinen Fremdkörper im System der Rechtfertigungsgründe darstellt. Die Rechtsprechung wird daher gut daran tun, an der differenzierenden Auffassung – und den sich aus der Differenzierung ergebenden unterschiedlichen Erfordernissen – festzuhalten. b) Ein Problemkreis, mit dem sich der BGH bei der Einwilligung zu befassen hatte, bildet die Einsichtsfähigkeit. Hierbei ging es zunächst darum, ob sie Geschäftsfähigkeit im zivilrechtlichen Sinne voraussetzt oder ob der tatsächliche Reifegrad den Ausschlag gibt. Der BGH hat sich der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts angeschlossen und stellt auf letzteres ab. 59 Da die rechtfertigende Einwilligung keine rechtsgeschäftliche Handlung ist, sondern sich auf einen tatsächlichen Erfolg richtet, zudem das Deliktsrecht im Unterschied zum Rechtsverkehr, der auf formale Klarheit und Sicherheit ausgerichtet ist, stärker zur Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse tendiert, entspricht dies heute im Grundsatz allgemeiner Auffassung im Strafrecht. 60

58

Näher dazu Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 98. Näher dazu Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 98. 60 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525 ff. und 821 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 34 IV. 1.; Lackner / Kühl (Fn. 12), Vor § 32 Rdn. 16; Roxin (Fn. 12), § 13 Rdn. 55, 60; jeweils m.w. N. 59

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Probleme ergeben sich jedoch, sobald die Einwilligung sich auf ein Eigentumsoder Vermögensdelikt bezieht. Eine im Schrifttum verbreitete Auffassung 61 will in solchen Fällen verlangen, daß analog §§ 107 ff. BGB volle Geschäftsfähigkeit vorliegt und bei deren Fehlen die Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter gegeben ist. Andernfalls bestehe ein Widerspruch zwischen Straf- und Zivilrecht. Daß es auch bei jenen Delikten deliktsrechtlich allein auf die tatsächliche Einsichtsfähigkeit ankommen kann, zeigt sich indes bereits in Fällen des tatbestandsausschließenden Einverständnisses. Ob ein Diebstahl wegen Einverstandenseins des Gewahrsamsinhabers mangels Wegnahme entfällt, richtet sich nicht nach der Geschäftsfähigkeit. Allein dort, wo ein Tatbestandsmerkmal seiner Natur nach eines rechtsgeschäftlichen Einverständnisses zu seinem Entfallen bedarf, wie z. B. die Fremdheit der Sache, kommt es beim tatbestandsausschließenden Einverständnis auf die Geschäftsfähigkeit an. Ob auf der Ebene der rechtfertigenden Einwilligung solcherart differenziert werden kann, ist zweifelhaft. Denn es geht hier nicht um ein konstitutives Element eines Schutzobjekts, also z. B. das Vorliegen fremden Eigentums, sondern stets um den Umfang des deliktsrechtlichen Schutzes. Es ist anerkannt, daß in bezug auf die körperliche Unversehrtheit die tatsächliche Einsichtsfähigkeit den Ausschlag gibt, so daß dort einsichtsfähigen Minderjährigen eine wirksame Einwilligung möglich ist. Soll dann aber für Eigentum und Vermögen ein strengerer deliktsrechtlicher Schutz gelten? Es gibt bei der rechtfertigenden Einwilligung offenbar nur ein Entweder-Oder. Die Problematik ist heute wenigstens dadurch etwas entschärft, daß die Volljährigkeitsgrenze auf 18 Jahre herabgesetzt worden ist. Die einschlägige Judikatur stammt ohnehin aus der Zeit, als sie noch bei 21 Jahren lag. Würde man sich heute dafür entscheiden, bei der rechtfertigenden Einwilligung Geschäftsfähigkeit zu verlangen, hätte man dann gleichzeitig der Frage, ob im Falle des Fehlens eine mutmaßliche Einwilligung des Vertretungsberechtigten anzunehmen ist, verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. Bedenken weckt die Judikatur zur inhaltlichen Seite der Einsichtsfähigkeit. Nach BGH NJW 1978, 1206 („Zahnextraktions-Fall“) soll es an einer Einwilligung fehlen, wenn ein unter ständigen starken Kopfschmerzen leidender Patient aufgrund einer laienhaft selbst gestellten Diagnose darauf besteht, daß ihm alle plombierten Zähne gezogen werden, weil er entgegen der medizinisch richtigen Auskunft der behandelnden Ärzte einen Zusammenhang zwischen dem Leiden und den mit einer Füllung versehenen Zähnen sieht. Der Senat begründet seine Entscheidung damit, daß dem Patienten die zur Beurteilung erforderliche Urteilskraft fehle und er die Einwilligung für einen – hier aber nicht vorliegenden – Heilein61

Jakobs (Fn. 41), 7/114; Lenckner (Fn. 12), Vor § 32 Rdn. 39; Tröndle / Fischer (Fn. 35), Vor § 32 Rdn. 3 b.

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griff erteile. Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen; denn der Patient ist sich hier der Tragweite des Eingriffs und des Umstands, daß die Ärzte diesen nicht für medizinisch indiziert halten, voll bewußt. 62 Es könnte in solchen Fällen deliktsrechtlich allenfalls um die Frage gehen, ob die Tat deswegen, weil sie in Kenntnis der fehlenden medizinischen Indikation erfolgt, gegen die guten Sitten verstößt. Das läßt sich jedoch weder nach der auf den Zweck, noch nach der auf die Dimension des Rechtsgutsangriffs abstellenden Auffassung annehmen. Allenfalls könnte die Vorgehensweise standesrechtliche Bedeutung haben. c) Umfangreich ist die Judikatur zu den Fällen der Einwilligung in eine Risikohandlung mit Verletzungstendenz. Zumeist geht es um die Einwilligung von Mitfahrern im Straßenverkehr. Überzeugend geht die Rechtsprechung davon aus, daß es auch eine rechtfertigende Einwilligung bei fahrlässigen Taten gibt. 63 Wenn eine vorsätzliche Tat durch Einwilligung gerechtfertigt sein kann, dann erst recht eine fahrlässige. Hinter dem in Teilen der Literatur vertretenen Gedanken, daß es in solchen Fällen nicht um Einwilligung, sondern bereits um mangelnde Zurechnung zum objektiven Tatbestand unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm gehe, 64 steht die oben kritisierte Nivellierung der Fälle tatbestandsausschließender und rechtfertigender Einwilligung. Wichtig ist die Frage, ob zur Rechtfertigung eines fahrlässigen Delikts die Einwilligung in die fahrlässige (sorgfaltswidrige) Handlung, z. B. das zu schnelle Fahren, genügt oder ob darüber hinaus auch der durch diese bewirkte unvorsätzliche Erfolg vom Einwilligenden gewollt sein muß. Die ständige Rechtsprechung 65 sieht als ausreichend an, daß eine Einwilligung in eine unter den jeweiligen Tatbestand fallende Risikohandlung mit Verletzungstendenz vorliegt. Abweichend fordert eine Mindermeinung im Schrifttum, daß ein Einverstandensein mit dem Erfolg gegeben ist. 66 Für die Judikatur sprechen gute Gründe. Systematisch ergibt sie sich aus dem Wesen der Einwilligung als eines Dispenses von der Befolgung des hinter dem verwirklichten Tatbestand stehenden Verbots. Dieses richtet sich bei der Fahrlässigkeit allein auf die sorgfaltswidrige Handlung; denn verbieten läßt sich nicht die ungewollte Erfolgsverursachung, sondern nur das hinsichtlich 62 Kritisch zur Auffassung des BGH auch Hruschka, JR 1978, 519; Rogall, NJW 1978, 2344; Horn, JuS 1979, 29 (der jedoch Sittenwidrigkeit der Tat annehmen will); Eser (Fn. 54), § 223 Rdn. 50; Bichlmeier, JZ 1980, 53; Hirsch (Fn. 54), § 226a a. F. Rdn. 32. 63 So grundsätzlich BGHSt. 25, 229; BGH bei Dallinger MDR 1958, 12; RG JW 1925, 962; OLG Hamm NJW 1962, 1169. Bezüglich rechtfertigender Einwilligung BGH MDR 1959, 856; BayObLGSt. 1968, 6; OLG Frankfurt MDR 1970, 694; st. Rspr. 64 So insbesondere Roxin (Fn. 12), § 24 Rdn. 101, § 11 Rdn. 98 ff. Dazu Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 107 Fn. 185. 65 BGH MDR 1959, 856; BayObLGSt. 1968, 6; 1977, 105; KG JR 1954, 428; OLG Celle MDR 1969, 69. Weitere Rspr.-Nachw. zur st. Rspr. bei Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 106; ders. (Fn. 54), § 230 a. F. Rdn. 32. 66 So insbesondere Maurach / Zipf (Fn. 56), § 17 Rdn. 53 ff., 56.

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eines möglichen Erfolgseintritts sorgfaltswidrige Verhalten. Der Erfolg ist beim fahrlässigen Delikt eine Auswirkung des Handlungsunrechts, nicht aber ein Teil desselben. 67 Hinzu kommt die Überlegung, daß derjenige, der in ein gefährliches Verhalten in Kenntnis des Risikos einwilligt, damit das Risiko der Verletzung bewußt übernimmt. Der Eintritt des Erfolges stellt lediglich die Realisierung des bewußt eingegangenen Risikos dar, so daß es für die Einwilligungsfrage unerheblich ist, wenn der Einwilligende darauf vertraut oder gehofft hat, daß es tatsächlich nicht zum Erfolgseintritt kommen werde. Diejenigen, die demgegenüber bei der fahrlässigen Tat eine direkte Einwilligung in den Erfolgseintritt fordern, würden sachwidrig in der Regel zur Verneinung der Einwilligungsmöglichkeit gelangen, weil der Erfolg der fahrlässigen Tat regelmäßig nicht vom Opfer gewollt wird. d) Ein anhaltendes Problem bildet das in § 228 StGB (früher § 226a StGB) enthaltene einschränkende Merkmal, daß die Tat nicht gegen die „guten Sitten“ verstoßen darf. Nach der auf das Reichsgericht zurückgehenden herkömmlichen Auffassung soll es in erster Linie auf den Zweck der Beeinträchtigung ankommen. 68 Dementsprechend hat man bei Schlägen und Zwicken aus sadomasochistischem Motiv und bei Körperverletzungen zur Vorbereitung eines Versicherungsbetrugs oder einer anderen Straftat die Sittenwidrigkeit bejaht und wegen Körperverletzung bestraft. Diese Auffassung ist seit langem Gegenstand der Kritik. 69 Sie gibt mit der grundsätzlichen Ausrichtung am Zweckgedanken das vom Gesetz geforderte ausschließliche Abstellen auf die Tat der Sache nach auf, weil Gesichtspunkte einbezogen werden, die nur die Sittenwidrigkeit der Einwilligung selbst betreffen. Auch wäre § 228 StGB damit, daß man eine mit Einwilligung vorgenommene Körperverletzung allein schon wegen des sittliche negativ zu veranschlagenden Tatzwecks als rechtswidrig einstuft, in Wahrheit gar keine echte Einwilligungsvorschrift mehr; denn das Wesen der zulässigen Einwilligung liegt doch gerade in der grundsätzlich freien Disposition über den deliktsrechtlichen Schutz des Rechtsguts. Daß sich der Gesetzgeber veranlaßt sieht, bei der Einwilligung in eine Körperverletzung eine Limitierung der Dispositionsfreiheit vorzusehen, hängt damit zusammen, daß es Körperverletzungen gibt, bei denen wegen des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs, d. h. unter 67 Näher zum ganzen vgl. Schaffstein, Welzel-Festschr., 1974, S. 557 (563 ff.); Hirsch (Fn. 3) Vor § 32 Rdn. 106 f. 68 Vgl. RGSt. 74, 91; RG JW 1938, 30; RG DR 1943, 579; u. a. Im Schrifttum vgl. Lackner / Kühl (Fn. 12), § 228 Rdn. 10; Stree, in: Schönke / Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, § 226a a. F. Rdn. 7 (jedoch bereits stark rechtsgutsbezogen quantitativ eingrenzend Rdn. 80); Tröndle / Fischer (Fn. 35), § 228 Rdn. 9. 69 Siehe Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung, 1970, S. 39; Hirsch, ZStW 83 (1971), 140 (166 f.); ders. (Fn. 54), § 226a a. F. Rdn. 9 f.; Otto, Tröndle-Festschr., 1989, S. 157 (168); Rudolphi, ZStW 86 (1974), 86; Weigend, ZStW 98 (1986),44 (64); Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, 1992, S. 48.

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Abstellen auf Erfolgsumfang, Gefahrengrad, Vorsatz oder Fahrlässigkeit, die Tat trotz Einwilligung sittenwidrig ist. Daß z. B. dem einverstandenen Betroffenen aus sadomasochistischem Motiv Striemen zugefügt werden, läßt in Anbetracht des nicht schwerwiegenden Erfolgsumfangs die Rechtfertigung durch § 228 StGB unberührt; bei der Anstößigkeit geht es hier nicht um die Körperverletzungsseite, sondern um den sexuellen Aspekt. Ebenso ist unerheblich, daß die einverständliche Körperverletzung zur Vorbereitung, Vornahme, Verdeckung oder Vortäuschung einer anderen Straftat begangen wird; denn dieser Beweggrund hat nichts mit dem Umfang des notwendigen Schutzes der Körperintegrität zu tun, vielmehr betrifft er allein das Rechtsgut, das Gegenstand der bezweckten Straftat ist. 70 Diesen Erwägungen scheint sich der BGH inzwischen nicht mehr ganz zu verschließen. In BGHSt. 38, 83 (87) heißt es mit Selbstverständlichkeit, daß in Anbetracht der Einwilligung bei „nur geringfügigen Verletzungen“ keine Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne des § 226a a. E (§ 228 n. E) StGB angenommen werden könne. Das weist in Richtung der vorstehend dargestellten quantitativen rechtsgutsbezogenen Abgrenzung. Neuerdings wird von Frisch vertreten, daß es des § 228 StGB eigentlich gar nicht bedürfe, da es bei der Abgrenzungsfrage um „Autonomiedefizite“ des Einwilligenden gehe und diese bereits bei den Willensmängeln im Rahmen der allgemeinen Rechtsfigur der Einwilligung zu berücksichtigen seien. Die bestehende Vorschrift sei dementsprechend aus sachlichen Gründen in der Weise auszulegen, daß der Verstoß gegen die guten Sitten sich daraus ergebe, daß die in Frage stehende Einwilligung sich nicht mehr als „Ausdruck einer autonomen Entscheidung (über die körperliche Integrität)“: nicht mehr als „Ausdruck der Entscheidung einer vernünftigen Person“ begreifen lasse. 71 Niemand wird dieser Lehrmeinung bestreiten wollen, daß die Beachtung der Einwilligung durch die Rechtsordnung auf der Respektierung der Autonomie der Person beruht. Jedoch erhebt sich die Frage, ob bei der zur Erörterung stehenden Problematik mit dem Gesichtspunkt „Autonomiedefizit“ weiterzukommen ist. Anders als bei Willensmängeln, insbesondere der fehlenden Einsichtsfähigkeit, 70 Erst ausnahmsweise kann ein positiver Zweck dann für § 228 StGB Bedeutung erlangen, wenn die Körperverletzung für sich allein als sittenwidrig anzusehen wäre, eine solche negative Bewertung aber durch einen Zweck kompensiert wird, der so gewichtig ist, daß seine einverständliche Realisierung auch um den Preis einer derartigen Körperverletzung noch angemessen erscheint (z. B. Organentnahme zum Zwecke der Transplantation). Näher zum ganzen vgl. Hirsch (Fn. 54), § 226a a. F. Rdn. 9. 71 Frisch, Hirsch-Festschr., 1999, S. 485 (490 ff., 504 f.). Auch H. Niedermair vertritt in seiner Monographie über „Körperverletzung mit Einwilligung und die Guten Sitten“ (1999) die Auffassung, daß die moderne allgemeine Einwilligungsdogmatik schon über die Institute der Einsichtsfähigkeit oder der Willensmängel notwendige Vorkehrungen zum Schutze der Disposition über den eigenen Körper treffe (S. 59 ff., 260) und spricht deshalb vom „Funktionsverlust einer Generalklausel“ (so der Untertitel des Buches).

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handelt es sich hier nicht darum, daß der Betroffene nicht oder nicht ausreichend weiß, was er tut, vielmehr geht es, wie gesagt, um die mangelnde Vernünftigkeit. Es soll ankommen auf die aus der Sicht Dritter gegebene oder naheliegende Unvernünftigkeit, darauf, daß eine vernünftige Person die betreffende Einwilligung nicht erteilen würde. 72 Nun ist aber die Vernünftigkeit ein Gesichtspunkt, der nicht weniger unbestimmt ist als die „guten Sitten“ im eigentlichen Sinne. Sie ist hier zudem wenig hilfreich, da auch unvernünftige Einwilligungen grundsätzlich zulässig sind. Wer sich sterilisieren läßt, obwohl nach den Umständen nicht auszuschließen ist, daß er in Zukunft doch noch eine Familie gründen will, handelt ebenso unvernünftig wie derjenige, der sich für das Ziehen seiner Zähne entscheidet, weil er sich entgegen der Auskunft der Ärzte einen Zusammenhang mit seinen Kopfschmerzen einbildet, oder derjenige, der sich den Vornamen einer zeitweiligen Freundin eintätowieren läßt. Andererseits kann es rationaler Bettlervernunft entsprechen, sich verstümmeln zu lassen, um durch das Erregen von Mitleid ein einträgliches Einkommen zu haben. Frisch sieht die sich vor allem bei leichteren Körperverletzungen ergebenden Probleme und schreibt dazu: „Das Urteil, daß eine bestimmte Einwilligung nicht mehr als Ausdruck der Entscheidung eines Vernünftigen nachvollziehbar sei, läßt sich bei Einwilligungen in leichtere Körperverletzungen kaum je fällen. Dem steht allein schon der Umstand entgegen, daß auch vernünftige Personen Launen haben und dort, wo es nicht um allzuviel geht, bereit sind, aus für andere wenig einsichtigen Motiven oder wenig überzeugenden Gründen gewisse ... körperliche Beeinträchtigungen hinzunehmen.“ 73 Aber damit räumt er selbst ein, daß zur Autonomie auch die Unvernünftigkeit gehört. Von einem juristisch brauchbaren Kriterium kann daher keine Rede sein. Das um so weniger, als bei einer Sichtweise, die von Defiziten der Einwilligung (Lehre von den Willensmängeln) und nicht von der begangenen Tat her an die vom Gesetzgeber mit den „guten Sitten“ bezeichnete Abgrenzungsfrage herangeht, die im Gesetz durch das Wort „Tat“ markierte Grenze zwischen der – für § 228 StGB unbeachtlichen – bloßen Sittenwidrigkeit der Einwilligung und der – beachtlichen – Sittenwidrigkeit der Körperverletzung eingerissen würde. Es kommt bei alledem nicht von ungefähr, daß Frisch in seinen Fallbeispielen dem Gewicht der körperlichen Eingriffe eine dominierende Rolle bei der Annahme von „Unvernünftigkeit“ beimißt und eine in den Ergebnissen weitgehende Übereinstimmung mit den auf anderem Wege den § 228 StGB restriktiv interpretierenden neueren Auffassungen konstatiert. 74 Wenn es sich aber so verhält, dann ist es eben doch richtig, die zur Erörterung stehende Problematik von der Tat her zu entscheiden, wie das Gesetz es tut. Es handelt sich gerade nicht um eine paternalistisch zu lösende Problematik, 75 sondern um die Markierung der Grenze, von der an die Gesellschaft es aus Respekt vor Leib und Leben nicht mehr tolerieren kann, daß 72 73 74

Frisch (Fn. 71), S. 498. Frisch (Fn. 71), S. 501, auch S. 496 ff. Frisch (Fn. 71), S. 498, 503.

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Eingriffe in die körperliche Integrität vorgenommen werden – und einer solchen ausdrücklichen Markierung bedarf es zudem aus Gründen der Rechtsklarheit, so daß § 228 StGB auch nicht entbehrlich ist. 5. Neben der Einwilligung erkennt der BGH in Übereinstimmung mit der h. L. – wie schon das Reichsgericht – die mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund an. Besondere Beachtung haben die Entscheidungen BGHSt. 35, 246 und 40, 257 gefunden. In BGHSt. 35, 246 wird für rechtfertigungsfähig durch mutmaßliche Einwilligung eine Sterilisierung angesehen, die Ärzte bei einer Patientin in deren Interesse, aber ohne Einwilligung im Anschluß an eine Kaiserschnitt-Entbindung vornehmen. Dieser Auffassung ist mit Recht entgegengehalten worden, daß die von den Ärzten zugrunde gelegte Lebensgefahr erst bei einer weiteren Geburt gedroht hätte, weshalb die Patientin zunächst hätte befragt werden müssen, und daß zur Verhinderung einer erneuten Schwangerschaft auch andere Mittel als eine Eileiterunterbrechung in Betracht gekommen wären. 76 Entgegen der Meinung des Senats lag daher im zu entscheidenden Fall kein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung, sondern ein Irrtum über die rechtlichen Grenzen dieses Rechtfertigungsgrundes vor. Davon war auch die Strafkammer ausgegangen. Sie hatte deshalb ein im vermeidbaren Verbotsirrtum begangenes Verbrechen der versuchten beabsichtigten schweren Körperverletzung (§§ 225 a. F., 22, 23 StGB) angenommen (versucht, weil die Unfruchtbarmachung nicht eintrat). Der BGH gelangte dagegen zu einer – bereits verjährten – fahrlässigen Körperverletzung. Bei genauerer Betrachtung gewinnt man den Eindruck, daß es bei dieser Entscheidung gar nicht um Probleme der mutmaßlichen Einwilligung ging, sondern daß im Hintergrund die Schwierigkeiten standen, die sich für die Rechtsprechung daraus ergeben, daß sie den medizinisch indizierten und lege artis ausgeführten Heileingriff als Körperverletzung einstuft. 77 Im vorliegenden Fall ließ sich der horrenden Konsequenz dieser Rechtsauffassung, hier die Ärzte wegen eines Verbrechens der (versuchten) beabsichtigten schweren Körperverletzung zu bestrafen, nur über die kritisierte Annahme eines Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung ausweichen. In der jüngsten Entscheidung BGH NJW 2000, 885 (887) will man dagegen jene Konsequenzen ernsthaft in 75 Frisch (Fn. 71) weist den Einwand des Paternalismus zwar unter Hinweis auf einen verbleibenden Toleranzbereich zurück (S. 495 ff.), aber der Sache nach läuft der Ansatz gleichwohl auf ein Gouvernantenkonzept hinaus. Siehe auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 122. 76 Vgl. Roxin (Fn. 12), § 18 Rdn. 12 m.w. N. Beides wird jetzt in BGH NStZ 2000, 30 gesehen. 77 Vgl. für diese Einstufung: BGHSt. 11, 111; 12, 379; 16, 309; BGH NStZ 1996, 34; st. Rspr. im Anschluß an RGSt. 25, 375 (378).

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Kauf nehmen, wobei der sonst ähnliche Sachverhalt sich von dem in BGHSt. 35, 246 dadurch unterschied, daß die Patientin vor der Operation, aber ohne Kenntnis der sich während des Kaiserschnitts ergebenden medizinischen Indikation eine Sterilisation ausdrücklich abgelehnt hatte und diese hier gelang. Es ist wirklich an der Zeit, daß der Heileingriff eine angemessene strafgesetzliche Regelung findet. 78 Fragen werfen auch die Ausführungen zur mutmaßlichen Einwilligung in BGHSt. 40, 257 (262 ff.) auf. In der Entscheidung, die den Behandlungsabbruch bei einer unheilbar Erkrankten betraf, heißt es zunächst in Übereinstimmung mit dem Wesen dieses Rechtfertigungsgrundes, daß objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin „vernünftig“ oder „normal“ sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, keine eigenständige Bedeutung haben; sie könnten lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein. Dann aber wird ausgeführt: „Lassen sich ... konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muß auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen.“ Dieser Satz ist auch als einer der Leitsätze formuliert worden. Der Senat unterscheidet danach offenbar zwischen individuellem und allgemeinem mutmaßlichen Willen. Aber wie soll es bei der mutmaßlichen Einwilligung um etwas anderes gehen können als den individuellen mutmaßlichen Willen? Die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung ersetzt die nicht erreichbare wirkliche Einwilligung. Von der individuellen Person läßt sie sich daher nicht trennen. Allgemeine Wertvorstellungen können lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein. Jener Widerspruch hängt offenbar damit zusammen, daß es beim Behandlungsabbruch eine Grenze gibt, bei der es auf die Erforschung des mutmaßlichen Willens des Patienten nicht mehr ankommt, weil eine Weiterbehandlung des Patienten nicht mehr medizinisch indiziert ist. Das ist jedoch keine Frage der Rechtfertigung, sondern betrifft die schon auf der Tatbestandsebene bedeutsam werdende Dauer der Rechtspflicht zum Handeln. 6. Beim Recht zur vorläufigen Festnahme (§ 127 StPO) hat der BGH ebenso wie bei anderen hoheitlichen Eingriffen an der Auffassung des Reichsgerichts festgehalten, daß die Rechtfertigung hoheitlichen Handelns des Amtsträgers grundsätzlich nicht voraussetzt, daß die Sachlage, an welche die Eingriffsbefugnis anknüpft, objektiv gegeben sein muß, sondern daß insoweit die pflichtmäßige Prüfung durch den Amtsträger genügt. 79 Diese Erweiterung der Rechtfertigung folgt daraus, daß sich im Deliktsrecht die Rechtmäßigkeit einer Amtshandlung nach der Einhaltung 78 Näher dazu Zipf, Bockelmann-Festschr., 1979, S. 577 ff.; Hirsch, Zipf-Gedächtnisschr., 1999, S. 353 ff.; F.-C. Schroeder, Besondere Strafvorschriften gegen Eigenmächtige und Fehlerhafte Heilbehandlung?, 1998. 79 Vgl. BGHSt. 4, 161 (164); 21, 334 (363); 24, 125 (130); BGH VRS 38, 115. So auch BayObLG JR 1981, 29; OLG Koblenz MDR 1987, 957 (958) und die h.L.

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der für das betreffende Verfahren geltenden Amtspflichten bestimmt. Am deutlichsten tritt das bei der richterlichen Tätigkeit hervor. Ein richterliches Urteil ist grundsätzlich deliktsrechtlich rechtmäßig, auch wenn es materiell unrichtig ist oder einen Verfahrensfehler enthält, so daß kein Notwehrrecht besteht. Aber auch bei Vollzugsbeamten ist nicht die objektive Rechtslage ausschlaggebend. Wenn ein Amtsträger die sachlichen Voraussetzungen seines Eingreifens selbst einzuschätzen hat, was regelmäßig – und auch stets bei § 127 StPO – der Fall ist, kommt es darauf an, ob er in der jeweiligen Situation bei pflichtgemäßer Würdigung der ihm bekannten und erkennbaren Umstände zur Annahme der Eingriffsvoraussetzungen gelangen durfte. Begründet ist diese Rechtslage durch die Notwendigkeit, die staatlichen Organe bei der Ausübung der ihnen zugewiesenen Aufgaben zu schützen (BGHSt. 4, 161 [163]; 21, 334 [365]). Ein Vollzugsbeamter kann nicht mehr tun, als sorgfältig zu prüfen, ob die sachlichen Voraussetzungen für sein Eingreifen gegeben sind. Das deliktsrechtliche Risiko der objektiven Unrichtigkeit läßt sich daher nicht ihm auferlegen, weil sonst wegen der Notwehrkonsequenzen die – den Interessen der Allgemeinheit dienende – staatliche Tätigkeit praktisch weitgehend gelähmt würde. 80 Das gilt besonders deutlich bei staatlichen Festnahmerechten. Die im heutigen Schrifttum verbreitete Vollstreckbarkeitstheorie, die zwischen Grund und Vollzugsakt unterscheidet und das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen des letzteren für maßgeblich ansehen will, 81 führt dagegen nicht weiter. Gerade die kritischen Fälle des sofortigen Vollzugs, in denen rasches Handeln gefordert ist, vermag sie nicht überzeugend zu lösen. Einige ihrer Vertreter nehmen daher dem Ausgangspunkt widersprechende Modifizierungen vor (polizeirechtliche Anscheinsgefahr ausreichend, Notwehreinschränkungen u. a.), die im Endergebnis dann doch dem herrschenden deliktsrechtlichen Amtsrechtsbegriff sehr nahekommen. 82 Von einem Zivilsenat des BGH, dem Bayerischen Obersten Landesgericht und Teilen des Schrifttums wird vertreten, daß die pflichtmäßige Prüfung ebenfalls für die vorläufige Festnahme durch Privatpersonen (§ 127 Abs. 1 StPO) genüge. 83 80 Vgl. BGHSt. 4, 161 (163 f.); 21, 334 (365) und näher Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 147 ff. Zuständigkeit und Form müssen dagegen objektiv gewahrt sein. 81 Schünemann, JA 1972, 703 (706 ff.); Amelung, JuS 1986, 329 (336 f.); Bouke, JR 1989, 25; Ostendorf, JZ 1981, 165 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, Bes. Teil, 5. Aufl., 1998, § 91 Rdn. 15; Roxin (Fn. 12), § 17 Rdn. 11 ff.; Thiele, JR 1975, 353 (356 ff.); ders., JR 1979, 397 (398 ff.). 82 Modifizierungen insbesondere bei Roxin a. a. O.; Spendel (Fn. 34), Rdn. 68 ff.; Triffterer, Mallmann-Festschr., 1978, S. 373 (391). 83 Siehe BGH(Z) NJW 1981, 745; BayObLGSt. 1986, 52 (= JR 1987, 344); diesem folgend auch OLG Hamm NStZ 1998, 370; Boujong, in: Karlsruher Kommentar StPO, 4. Aufl., 1999, § 127 Rdn. 9; Fincke, GA 1971, 41 ff.; Hilger, in: Löwe / Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 1997, § 127 Rdn. 11; Kargl, NStZ 2000, 8 (14); Paeffgen, in: System. Kommentar StPO, 1992, Rdn. 8 ff.; Roxin (Fn. 12), § 17 Rdn. 24; Tröndle / Fischer (Fn. 35), Vor § 32 Rdn. 7.

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Als Begründung wird angeführt, daß die Privatperson in solchen Fällen in delegierter Funktion für den Staat tätig sei und deshalb nicht schlechter gestellt sein dürfe als die staatlichen Organe selbst. Auf den ersten Blick erscheint dies folgerichtig. Bei näherem Hinsehen erweist sich die differenzierende herkömmliche Auffassung 84 jedoch als die sachgemäße. Wird ein unbeteiligter Bürger irrig von einem Amtsträger festgenommen, so findet er sich im Regelfall damit ab, sich der Amtsautorität zu fügen und daß die Sache erst anschließend aufgeklärt wird. Er ist sich regelmäßig bewußt, daß ihm gegen eine Amtsperson, die sich im Rahmen ihrer Amtspflichten hält, kein Notwehrrecht zusteht. Anders verhält es sich, wenn eine Privatperson tätig wird. Hier steht man nicht unmittelbar der Staatsautorität gegenüber, so daß ein Unbeteiligter keine Veranlassung hat, sich einer Festnahme durch die irrende Privatperson zu fügen. Mit Recht weist Jescheck darauf hin, daß bei Nichtbeachtung dieses Unterschieds die Stellung von Privatpersonen bei der Strafverfolgung stark überbewertet wäre. 85 Der Ausschluß des Notwehrrechts, der bei einer auf Irrtum beruhenden Festnahme durch Amtspersonen verständlich ist, würde für den Bürger beim Irrtum einer festnehmenden Privatperson schwer erträglich sein. Das um so mehr, als die pflichtmäßige Ausübung des Ermessens, die beim Amtsträger mit Rücksicht auf dessen rechtliche und sonstige fachliche Schulung sowie seine besondere straf- und disziplinarrechtliche Verantwortung vorauszusetzen ist, nicht von jedermann erwartet und deshalb nicht jedermann anvertraut werden kann. Im übrigen führt die Differenzierung der Rechtfertigungsanforderungen nicht zu unangemessenen strafrechtlichen Konsequenzen für den irrenden privaten Festnehmenden. War der Irrtum für ihn unvermeidbar, entfällt die Schuld, und selbst bei Vermeidbarkeit könnte er nach der herrschenden Irrtumslehre nur bei Existenz eines Fahrlässigkeitstatbestands (was bei Nötigung und Freiheitsberaubung nicht der Fall ist) bestraft werden. Während die vorstehend kritisierte Erweiterung des § 127 StPO bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung der Strafsenate des BGH gewesen ist, findet sich eine Aufweichung der auf Einhaltung strikter Grenzen des Festnahmerechts bedachten Rechtsprechung des Reichsgerichts in der Entscheidung BGH bei Holtz MDR 1979, 985. Bis dahin ging man davon aus, daß durch § 127 StPO nur die Festnahme selbst gerechtfertigt wird und deshalb neben §§ 240, 239 StGB eine körperliche Mißhandlung nur insoweit gedeckt sein kann, wie sie mit Festnahmen der Natur nach zwangsläufig verbunden ist (z. B. hartes Zupacken) oder eine bloß ungewollte Auswirkung eines durch § 127 StPO gestützten Verhaltens darstellt. 86 84 Roxin (Fn. 12), § 17 Rdn. 24; Tröndle / Fischer (Fn. 35), Vor § 32 Rdn. 7. OLG Hamm NJW 1972, 1826; Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 156; Jakobs (Fn. 41), 16/16; Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 35 IV. 2.; Kleinknecht / Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., 1999, § 127 Rdn. 4; Lenckner (Fn. 12), Vor § 32 Rdn. 82; Schlüchter, JR 1987, 309. 85 Jescheck / Weigend, a. a. O. Anders verhält es sich nur bei „zugezogenen“ Personen, da in einem solchen Fall eine fachgerechte Prüfung durch einen Amtsträger vorliegt. 86 Vgl. RGSt. 34, 443 (446); 65, 392; 71, 49 (52); 72, 305; BayObLGSt. 33, 39; KG VRS 19, 114; OLG Stuttgart NJW 1984, 1694; Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 157 m.w. N.

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Weitergehende, gravierende Körperbeeinträchtigungen oder die Gefährdung des Lebens wurden mithin nicht durch das Festnahmerecht als gerechtfertigt angesehen. Nach jener Entscheidung des BGH sollen dagegen auch Schüsse auf den fliehenden Täter bei besonders schwerer Rechtsgutsverletzung durch die Vorschrift gerechtfertigt sein. Diese Rechtsauffassung, der die Kommentarliteratur zur StPO leider nicht grundsätzlich entgegengetreten ist, 87 erscheint jedoch sehr bedenklich. Die rechtsstaatlichen Grenzen, die das Reichsgericht hier jahrzehntelang eingehalten hat, sind durch sie kurzerhand eingerissen worden. Bei Festnahmen durch Private könnten nun die in bezug auf Weiterungen zu beachtenden Voraussetzungen von § 32 StGB und – in bezug auf eine Dauergefahr – des § 34 StGB unterlaufen werden. Und bei Festnahmen durch zuständige Beamte ließen sich die für den Schußwaffengebrauch bestehenden besonderen Vorschriften umgehen. Zu wie gefährlichen Weiterungen jene Auslegung führen kann, wird bereits in der Entscheidung BGH bei Holtz MDR 1979, 985 selbst deutlich, wo es um weglaufende Einbrecher ging, gegen die sich der private Schußwaffengebrauch, der zu einer schweren körperlichen Verletzung führte, gerichtet hat. Inzwischen ist die zu kritisierende Rechtsauffassung durch BGH NStZ 1998, 50 relativiert worden. Es heißt dort jetzt, daß zwar dahingestellt bleiben könne, ob der früheren Entscheidung im Ansatz zu folgen sei, jedenfalls aber gebe das Recht zur Festnahme angesichts der außergewöhnlichen Gefahrlage keine Befugnis, auf das Fahrzeug fliehender Autodiebe zu schießen. Das angeordnete Mittel stehe hier nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Festnahmezweck. Man wird in dieser neuen Entscheidung den Beginn einer Abkehr von der Überdehnung des Festnahmerechts des § 127 StPO sehen dürfen, wie auch das kürzlich ergangene Urteil BGH NJW 2000, 1348 bestätigt. 7. Eine theoretisch und praktisch besonders diffizile Problematik bildet die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB). Von den drei Anwendungsbereichen dieser altertümlich gefaßten Vorschrift – nämlich den schon die tatbestandliche Seite der Beleidigung betreffenden Fällen, den Rechtfertigungsfällen der üblen Nachrede und den Fällen der Rechtfertigung von beleidigenden Werturteilen – interessieren im zur Erörterung stehenden Zusammenhang die beiden Rechtfertigungsbereiche. Bei der üblen Nachrede gerät in der Praxis regelmäßig die Frage in den Blick, ob Wahrnehmung berechtigter Interessen in Betracht kommt. Das hängt mit der weiten Wortfassung des § 186 StGB zusammen. In der Vorschrift ist nur von der objektiven Nichterweislichkeit der Wahrheit einer (vorsätzlichen) ehrenrührigen Äußerung die Rede, weshalb die h. M. für die Tatbestandsmäßigkeit nicht verlangt, daß der Täter sich in bezug auf die Wahrheitsfrage 87 Siehe Boujong (Fn. 83), § 127 Rdn. 28; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 127 Rdn. 7; Wanke, in: MR / StPO, 18. Lieferung, 1999, § 127 Rdn. 11; auch Hilger (Fn. 84), § 127 Rdn. 29 (jedenfalls nach beendetem Mord).

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(Möglichkeit der Unwahrheit) sorgfaltswidrig, also in fahrlässiger Weise verhalten hat. 88 Das führt dazu, daß die Probleme, welche die auf eine Erfolgshaftung hinauslaufende h. M. unter dem Gesichtspunkt des Schuldprinzips aufwirft, 89 auf die Rechtfertigungsebene, nämlich den § 193 StGB verlagert werden. Hier schreibt man vor, daß der „Täter“ sorgfältig geprüft hat, ob der Inhalt der Äußerung wahr ist, und man verzichtet auf das Gegebensein eines ausnahmsweise kollidierenden überwiegenden konkreten individuellen Interesses und läßt schon das Informationsinteresse der Allgemeinheit genügen. Bereits in BGHSt. 14, 48 (51) wird mit Selbstverständlichkeit von dem – durch das Reichsgericht aufgestellten – Erfordernis der sorgfältigen Prüfung ausgegangen. Und das Genügen von Informationsinteressen der Allgemeinheit ist nicht nur in BVerfGE 12, 113, sondern auch in BGHSt. 12, 287 und 18, 182 bejaht worden. Lenckner stellt demgemäß fest, daß sich in Angelegenheiten von allgemeinem Interesse jedermann auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen darf. 90 In der Diskussion um eine dem Schuldprinzips genügende restriktive Auslegung des § 186 wird daher von seiten der h. M. darauf hingewiesen, daß man im Endergebnis gar nicht so weit voneinander entfernt ist. 91 Das um so mehr, als selbst bei Presseveröffentlichungen Berichte, denen es auf Skandale und Sensationen ankommt, nicht grundsätzlich aus dem Kreis der Angelegenheiten, an denen ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit bejaht wird, ausgeschlossen sind 92 (mißverständlich insoweit BGHSt. 18, 182 [187]). Unterschiede scheinen sich erst dann zu ergeben, wenn ohne zwingenden Grund in den privaten Lebensbereich eingedrungen wird (vgl. BGHSt. 19, 235 [237]). In solchen Fällen handelt es sich jedoch um die allgemeine Problematik der Indiskretion, die nicht weniger bei Erweislichkeit der Wahrheit auftritt und bereits auf der Tatbestandsebene bei der Formalbeleidigung erfaßt werden kann. 93 Wenn nun aber die heutige Auslegung des § 193 StGB sich hinsichtlich des Endergebnisses, ob Unrecht vorliegt oder fehlt, kaum von dem der auf Sorgfaltswidrigkeit abstellenden restriktiven Tatbestandslösung unterscheidet, dann erhebt sich die Frage, ob ein solcherart verstandener § 193 StGB überhaupt noch als 88 Vgl. für die st. Rspr. BGHSt. 11, 273 (274). Im Schrifttum vgl. Herdegen, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 10. Aufl., 1989, § 186 Rdn. 2 ff., 10; Lackner / Kühl (Fn. 12), § 186 Rdn. 7a; Lenckner (Fn. 12), § 186 Rdn. 1, 10; Tröndle / Fischer (Fn. 35), § 186 Rdn. 12; u. a. 89 Vgl. die Schrifttumsnachweise bei Hirsch, E. A. Wolff-Festschr., 1998, S. 125 (145 Fn. 70) und im einzelnen Hirsch, Ehre und Beleidigung, 1967, S. 153 ff. 90 Lenckner (Fn. 12), § 193 Rdn. 13. 91 So verweisen Geppert, Jura 1983, 580 (583), und Herdegen (Fn. 88), § 186 Rdn. 4, auf die „großzügige“ (Herdegen), Handhabung des § 193 StGB durch die Rspr. Auf diese Praxis hat auch schon Rudolphi (Fn. 44), § 186 Rdn. 15 hingewiesen. 92 Vgl. Herdegen (Fn. 88), § 193 Rdn. 18; Lenckner (Fn. 12), § 193 Rdn. 17. 93 Dazu Hirsch, Ehre und Beleidigung (Fn. 89), S. 226 ff. Siehe zur Indiskretionsproblematik auch Rogall, Hirsch-Festschr., 1999, S. 665 (679 f., 692).

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echter Rechtfertigungsgrund eingestuft werden kann. Ginge es um echte Rechtfertigungskriterien, so müßte es sich um einen wirklichen Kollisionsfall, bei dem wegen eines überwiegenden konkreten Interesses eine ausnahmsweise Eingriffsbefugnis begründet ist, handeln – also eine Ausnahmesituation. Sie werden von der h. M. hier jedoch nicht ernstgenommen. Dies aber läßt die Frage virulent werden, woher die sachliche Legitimation eines solchen angeblichen Rechtfertigungsgrundes kommen soll. In Wirklichkeit bezieht man sie daraus, daß es – wie inzwischen auch der BGH den Ehrbegriff bestimmt 94 – bei der Ehre um den verdienten Geltungswert geht und deshalb über deren tatsächlichen Umfang gesprochen werden darf, wenn der Kundgebende vorher pflichtgemäß den Wahrheitsgehalt geprüft hat. Fragen, die das geschützte Rechtsgut betreffen, sind jedoch nicht solche der Rechtfertigungsebene. Man räumt daher mit der angeblichen Rechtfertigungskonstruktion ein, daß man bisher von einem nicht unrechtsindizierenden Tatbestand ausgeht und daher sachlich die Vornahme einer inhaltlichen Eingrenzung des Tatbestands durch das Erfordernis einer Handlungsfahrlässigkeit bezüglich möglicher Unwahrheit geboten ist. 95 Für eine echte Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen verbleiben bei einer solchen Auslegung des Tatbestands der üblen Nachrede wirkliche Kollisionsfälle: nämlich Situationen, in denen zwar bei der Tat erkennbar die Möglichkeit der Unwahrheit nicht auszuschließen ist, aber ein vorrangiges Interesse die Äußerung gleichwohl erforderlich macht. Ein Beispiel bildet der Fall, daß ein Vereinsmitglied Verdachtsmomente dafür hat, daß vom Kassenwart Vereinsgelder unterschlagen worden sind, dies sich aber später als unwahr erweist oder jedenfalls nicht nachzuweisen ist. Hinsichtlich der Rechtfertigung von beleidigenden Werturteilen ist § 193 StGB durch Art. 5 GG so ausgefüllt und überlagert worden, daß er inzwischen gegenüber diesem praktisch keine selbständige Bedeutung mehr hat. 96 Dementsprechend beherrscht in diesem Bereich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Feld. Die von ihr zu Lasten des Ehrenschutzes vorgenommene weite Ausdehnung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist inzwischen vielfach auf Kritik gestoßen. 97 94

BGHSt. 36, 145 (148). Für eine restriktive Auslegung des Tatbestands der üblen Nachrede in diesem Sinne: Hirsch, Ehre und Beleidigung (Fn. 89), S. 168 ff.; ders., E. A. Wolff-Festschr., S. 125 (144 ff.); Geisler, Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip, 1998, S. 451 ff., 466; Jakobs (Fn. 41), 10/2; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 305 ff.; Küpper, JA 1985, 453 (459); Paeffgen, Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses usw., 1979, S. 160 ff.; Rudolphi (Fn. 44), § 186 Rdn. 15; Streng, GA 1985, 214 (226); Wessels / Hettinger, Strafrecht Bes. Teil/1, 23. Aufl., 1999, Rdn. 509; Zaczyk, in: Nomos-Kommentar StGB, 1995, § 186 Rdn. 19. 96 Darauf weist auch Roxin (Fn. 12), § 18 Rdn. 34 hin. 97 Siehe die Übersicht über die zahlreichen kritischen Stellungnahmen bei Lenckner (Fn. 12), § 193 Rdn. 16. 95

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Ausgehend von der ihm als „carte blanche“ 98 dienenden These, daß aufgrund von Art. 5 GG eine grundsätzliche „Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede“ bestehe, ist vom Bundesverfassungsgericht trotz des in Art. 1 und 2 GG ebenfalls grundrechtlich verankerten Persönlichkeitsschutzes ein Vorrang der freien Rede für den Bereich der öffentlichen Auseinandersetzung entwickelt worden. 99 Da nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung die freie Bildung der öffentlichen Meinung sichere, müsse die Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit gerade in diesen Fällen auf die Abwägung zwischen Ehrenschutz und Meinungsfreiheit einen „wesentlichen“ Einfluß ausüben. 100 Besonderen Ausdruck findet die an die öffentliche Auseinandersetzung anknüpfende „Vermutung“ zugunsten der Meinungsfreiheit in den Fallkonstellationen „Freiheit der spontanen Rede“ und „Recht auf Gegenschlag“ 101: Solle die Kraft und Vielfalt der öffentlichen Diskussion generell erhalten bleiben, müßten im Einzelfall Schärfen und Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes in Kauf genommen werden. 102 Die Befürchtung, wegen einer wertenden Äußerung einschneidenden gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu sein, trage die Gefahr in sich, jede Diskussion zu lähmen oder einzuengen. 103 Mit Recht wird im Schrifttum kritisiert, daß damit bei jenen beiden Fallgruppen eine Abschaffung des Ehrenschutzes erfolgt, da der Betroffene rechtlos gestellt wird. 104 Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widerspricht dem ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsschutz und lädt zu einer Verrohung der öffentlichen Auseinandersetzung ein. Darüber hinaus läßt sie, wie die Vielzahl ergangener Entscheidungen anzeigt, 105 das erforderliche juristische Verständnis dafür vermissen, daß Eingriffsrechte im strafrechtlichen Bereich aus Gründen der Rechtssicherheit inhaltlich klar umrissen sein müssen. Die Strafsenate des BGH haben leider keine Handhabe, dieser negativen Rechtsentwicklung gegenzusteuern. Am ehesten könnte das noch die Ziviljustiz, indem sie sich daran erinnert, daß Rechtfertigungsgründe nicht in allen Fällen Schadensersatzansprüche ausschließen. 106 98

Meurer, Hirsch-Festschr., 1999, S. 651 (652). Siehe BVerfGE 7, 198 (208, 212); 61, 1 (110); st. Rspr.; weiter Nachw. bei Meurer, (Fn. 98), S. 652 ff., 660 ff. 100 BVerfGE 12, 113 (125, 127). 101 Vgl. BVerfGE 7, 198 (212); 54, 129 (139); 66, 151; 85, 16 (51); BVerfG NJW 1991, 1529; u. a. 102 BVerfGE 54, 129 (139). 103 BVerfGE 54, 129 (139). 104 Vgl. Tettinger, JZ 1983, 317 (324 f.); Weber, Faller-Festschr., 1984, S. 448 ff.; Kriele, NJW 1994, 1897 ff.; Meurer (Fn. 98), S. 662 f.; Zaczyk, Hirsch-Festschr., 1999, , S. 819 (828 f.). 105 Vgl. die Übersicht bei Meurer (Fn. 98), S. 651 ff. 106 Siehe § 904 Satz 2 BGB, auch § 228 Satz 2 BGB. 99

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III. Fragen allgemeiner Natur 1. In der 1. Mauerschützen-Entscheidung BGHSt. 39, 1 (27 f.) heißt es, daß auch Rechtfertigungsgründe „nicht generell von dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen“ seien. Der Senat hat dabei vor allem das Rückwirkungsverbot im Auge. Sei eine tatbestandsmäßige Handlung zur Tatzeit nicht rechtswidrig gewesen, so könne sie grundsätzlich nicht bestraft werden. Bemühungen, diese zwingende Einsicht aus aktuellem Anlaß in Frage zu stellen und das Rückwirkungsverbot nur auf die Tatbestandsseite zu beschränken, hat der BGH zu Recht zurückgewiesen. Für die Rechtfertigung wirft das Rückwirkungsverbot zum einen die Frage auf, inwieweit Änderungen der Gesetzesauslegung auf dieses Verbot von Einfluß sind. Folgt man den für Auslegungsänderungen geltenden allgemeinen Grundsätzen, so ist nicht der Zeitpunkt der Tat, sondern der der Urteilsfindung ausschlaggebend. Das gilt schon für die Auslegung von Straftatbeständen – weil sonst jeder Tatbestand mit der ersten Auslegung inhaltlich einfrieren und jede Fortentwicklung gehemmt wäre –, aber erst recht dann auch für die Rechtfertigungsgründe. Das Rückwirkungsverbot spielt daher normalerweise insoweit keine unmittelbare Rolle. Der Vertrauensschutz für den einzelnen erfolgt über die Berücksichtigung eines Verbotsirrtums. 107 Bei der konkreten Problematik des § 27 DDR-Grenzgesetz hat der BGH das jedoch einleuchtend eingeschränkt, wenn es um verschiedene Rechtssysteme geht. Diese Vorschrift darf nicht rückwirkend nach rechtsstaatlichen Maßstäben der Bundesrepublik ausgelegt werden. 108 Andererseits hat er in sehr sorgfältiger Begründung aufgezeigt, daß die Täter auch nach der zur Zeit der Tat geltenden Rechtslage der DDR den Umfang der Befugnis zum Schußwaffengebrauch überschritten hatten. Besonders interessant ist die Frage, wie sich die Ungültigkeit eines Rechtfertigungsgrundes auswirkt. Bei diesem Punkt ist für das Eingreifen des Rückwirkungverbots angeführt worden, die Ungültigkeit werde in den betreffenden Fällen (DDR-Unrecht) erst ex post dekretiert; im Zeitpunkt der Tat habe es sich mithin um einen geltenden Rechtfertigungsgrund gehandelt. 109 Daß kein DDRGericht die Ungültigkeit einer staatlichen Anordnung ausgesprochen hätte, machte diese jedoch nicht zu geltendem Recht. Es gehört gerade zum Wesen eines Unrechtsstaats, daß er sich mit Hilfe seines Machtmonopols über die rechtliche 107

BGH NJW 1976, 1949. BGHSt. 39, 1 (14). 109 Siehe Jakobs, GA 1994, 1 (5 ff.); Dencker, KritV 1990, 298 ff.; K. Günther, StV 1993, 18 ff.; Pawlik, GA 1994, 472 (476 ff.); Pieroth, VVDStRL 51 (1992), 91 (102 ff.); u. a. 108

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Ungültigkeit von Anordnungen, die er erläßt, hinwegsetzt. Eine solche Praxis ändert nichts daran, daß die Ungültigkeit von Anfang an besteht, und zwar aufgrund allgemeiner Menschenrechtsprinzipien. 110 Die Frage ist daher allenfalls die, ob das Rückwirkungsverbot sich schon an der formalen Existenz des materiell ungültigen Rechtssatzes orientiert. Aber dies scheidet aus, weil wegen der Ungültigkeit gar kein rechtfertigungserheblicher Rechtssatz vorgelegen hat. Es kommt auch niemand auf den Gedanken, im Falle einer tatsächlich vorliegenden Einwilligung in eine Körperverletzung einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot anzunehmen, wenn diese sich wegen Sittenwidrigkeit der Tat im Strafverfahren als unwirksam erweist. Und ebenfalls sollte klar sein, daß ungültige Rechtssätze der NS-Zeit nicht das Rückwirkungsverbot auslösen. Ein Vertrauensschutz für die Täter ist auch nicht angezeigt. Mit Recht hat die Rechtsprechung deshalb auf die Ungültigkeitsfälle der NS- und DDR-Zeit das Rückwirkungsverbot nicht angewandt. 111 Eine spezifischere Rechtfertigungsproblematik bildet die Frage, in welchem Umfang der Satz Nullum crimen sine lege über das Rückwirkungsverbot hinaus bei Rechtfertigungsgründen Bedeutung hat. In BGHSt. 39, 1 (27 f.) wird zwar einerseits durch die Formulierung, daß Rechtfertigungsgründe „nicht generell von dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen“ seien, der Eindruck erweckt, als komme diese Verfassungsnorm bei ihnen nur ausnahmsweise zur Anwendung. Anschließend findet sich jedoch eine Begründung für das Eingreifen, welche die Anwendbarkeit durchaus nicht als Ausnahme erscheinen läßt. Es heißt dort nämlich weiter: „Nicht immer spiegelt das Verhältnis von Tatbestand und Rechtfertigungsgrund einen Sachverhalt wider, bei dem die Rechtsgutsverletzung auch in den gerechtfertigten Fällen ein soziales Unwerturteil erlaubt; die Entscheidung des Gesetzgebers, den Tatbestand einzuschränken oder aber bei uneingeschränktem Tatbestand einen Rechtfertigungsgrund vorzusehen, ist unter Umständen nur technischer Natur.“ Dieses Argument, daß die Unterscheidung von Tatbestands- und Rechtfertigungsfrage keinen materiellen Hintergrund erfordere, sondern eine Frage bloßer Gesetzestechnik sein könne, liefe darauf hinaus, daß beide Bereiche sogar völlig gleich behandelt werden müßten. Hinter verfassungsrechtlichen Garantien steht mehr als die Berücksichtigung von Gesetzestechnik. Aber auch wenn man erkennt, daß die Unterscheidung von Tatbestands- und Rechtfertigungsfrage stets auf einem Sachunterschied beruht, bedeutet das nicht, daß Art. 103 Abs. 2 GG nur ausnahmsweise zur Anwendung kommt. Denkt man an die im StGB geregelten Rechtfertigungsgründe, etwa die Notwehr und den rechtfertigenden Notstand, so ist unmittelbar einsichtig, daß mit ihnen der Umfang der Strafbarkeit abgesteckt wird. Auch in BGHSt. 39, 1 wird hervorgehoben, daß 110 Vgl. BGHSt. 39, 1 (15 f.); KG NJW 1991, 2653 (2654); auch BGHSt. 39, 168 (183 f.). Zu NS-Fällen: BGHSt. 2, 234 (237); 3, 357 (363); KG NJW 1956, 1570. Siehe auch die „Radbruchsche Formel“ bei Radbruch, SJZ 1946, 105 (107). 111 Vgl. die Entscheidungen in Fn. 110.

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durch eine Verkürzung der Rechtfertigung das Recht zum Nachteil des Angeklagten verändert wird (S. 28). Jede über den Wortlaut der Vorschriften hinausgehende Einschränkung stellt daher eine durch das Gesetz nicht gedeckte Erweiterung der Strafbarkeit, also einen Verstoß gegen das Analogieverbot, dar. Das gilt übrigens nicht nur für strafgesetzliche Rechtfertigungsgründe, sondern ebenfalls für die im StGB genannten Entschuldigungsgründe und persönlichen Strafausschließungsgründe. Dies ist heute auch herrschende Auffassung im Schrifttum. 112 Deshalb verstößt es gegen Art. 103 Abs. 2 GG, die §§ 34 und 35 StGB entgegen deren Wortlaut durch ein Merkmal „pflichtmäßige Prüfung der Sachlage“ einschränkend auszulegen. 113 Die Sachverschiedenheit von Tatbestands- und Rechtfertigungsebene wirkt sich dahingehend aus, daß diese Ausschlußgründe ihrer Natur nach nicht den strengen Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit genügen können, wie sie bei den Tatbeständen zu fordern ist. 114 Das ist auch angemessen, weil es bei den Tatbeständen darum geht, ob grundsätzlich eine Strafbarkeit gegeben ist, während es sich bei den Ausschlußgründen um bloße Ausnahmen von der Strafbarkeit handelt. Die Bestimmtheitsfrage stellt sich erst, wenn ein Rechtfertigungsgrund völlig unbestimmt wäre, z. B. lauten würde: „Gerechtfertigt wird ein Verhalten, das nach Maßgabe der sozialen Anschauungen als rechtmäßig anzusehen ist.“ Problematischer ist, wie bei außerstrafgesetzlichen Rechtfertigungsgründen verfahren werden soll. Mit Recht hat der BGH für alle Rechtfertigungsgründe ausgesprochen, daß sie hinsichtlich ihrer Verneinung dem Rückwirkungsverbot unterliegen. 115 Wenn eine Tat im Zeitpunkt ihrer Regelung nicht rechtswidrig war, darf sie dies auch nicht rückwirkend werden, wovon jedoch Fälle gewöhnlicher Auslegungsänderung zu unterscheiden sind. Soweit es um das Analogieverbot geht, taucht dagegen die Frage auf, ob Art. 103 Abs. 2 GG auf außerstrafgesetzliche Rechtfertigungsgründe durchschlagen kann; denn die rechtliche Entwicklung erfolgt bei diesen Rechtssätzen in Bereichen (Zivilrecht usw.), in denen das Analogieverbot nicht gilt. Andererseits wirken sie sich unter dem Gesichtspunkt der (deliktsrechtlichen) „Einheit der Rechtsordnung“ auch auf den Umfang der Strafbarkeit aus. Für diese Problematik hat Paralleles zu den Tatbeständen mit Blankettmerkmalen oder normativen Tatumständen zu gelten. Ebensowenig wie dort die ausfüllenden außerstrafrechtlichen Rechtssätze dem Analogieverbot 112

Vgl. Engisch, Mezger-Festschr., 1954, S. 127 (131); Baumann / Weber / Mitsch (Fn. 12), § 9 Rdn. 27, 100; Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 35 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 15 III. 2. c), § 31 III. 3.; jeweils m.w. N.; abw. jedoch bezüglich Analogieverbots bei Einschränkung von Rechtfertigungsgründen: Günther (Fn. 28), Vor § 32 Rdn. 81; Lenckner (Fn. 12), Vor § 32 Rdn. 25; Roxin (Fn. 12), § 5 Rdn. 42 m.w. N. 113 Vgl. dazu oben II. 2. c). 114 Näher hierzu Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 40. 115 Vgl. BGHSt. 39, 1 (27 f.).

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unterliegen, 116 sind die das Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit ausfüllenden außerstrafrechtlichen Rechtssätze diesem Verbot unterworfen. Praktische Bedeutung hat die Frage aber bisher nicht erlangt, so daß hinsichtlich des Näheren auf frühere Ausführungen verwiesen werden kann. 117 2. Ein weiterer Punkt von genereller Bedeutung sind die subjektiven Rechtfertigungselemente. Die Rechtsprechung ist stets von einem solchen Erfordernis ausgegangen. So hat sie immer bei der Notwehr den Verteidigungswillen verlangt. 118 Es handelt sich dabei darum, daß es überhaupt um eine Verteidigungshandlung, Gefahrabwendungshandlung usw. geht, d. h. daß das objektive Geschehen auf einem entsprechenden Widmungsakt des Handelnden beruht. Das wird um so deutlicher, wenn man beachtet, daß die Rechtfertigung nicht von der Zielerreichung abhängig ist, sondern schon das Unternehmen der Zielerreichung erfaßt. Die übrigen Rechtfertigungserfordernisse, wie insbesondere die Erforderlichkeit in § 32 StGB und den meisten anderen Rechtfertigungsgründen, die Interessenabwägung in § 34 StGB usw., sind objektive Bewertungen dieser Handlungen. 119 Während eine ausschließlich objektive Rechtfertigungsauffassung kaum noch vertreten wird, 120 will eine im heutigen Schrifttum verbreitete Auffassung die subjektive Seite der Rechtfertigungsgründe weiter erstrecken, als die Rechtsprechung es tut. Man geht davon aus, daß die einzelnen Merkmale der Rechtfertigungsgründe den Tatbestandsmerkmalen gleichzusetzen seien und daß sie deshalb sämtlich zum Täterbewußtsein in Beziehung stehen müßten. 121 Diese Ansicht verkennt jedoch die verschiedene Struktur von Tatbeständen und Rechtfertigungsgründen. Bei den erstgenannten wird eine verbotene Handlung, zumeist eine Erfolgsverwirklichungshandlung, beschrieben. Infolgedessen bedarf es des zugehörigen Handlungswillens, der bei Vorsatztatbeständen den gesamten objektiven Tatbe116 Zur dortigen Rechtslage vgl. Eser (Fn. 54), § 1 Rdn. 36; Höpfel, JurBl. 1979, 575 (585 f.) 117 Siehe Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 39. 118 Vgl. BGHSt. 3, 194; 5, 245; 25, 229 (232); 35, 270 (279); BGH bei Holtz MDR 1978, 279; BGH GA 1980, 67; BGH NJW 1983, 2267; BGH NStZ 1983, 117. Zum Gefahrabwendungswillen bei § 34: BGHSt. 35, 270 (279); zum Erziehungswillen beim Züchtigungsrecht: BGHSt. 11, 241 (257); zum Interessenwahrnehmungswillen bei § 193 StGB: BGHSt. 18, 182 (186); u. a. 119 Davon gehen auch diejenigen Autoren aus, die neben dem Rechtfertigungszweck (z. B. Verteidigungsabsicht) Kenntnis von der Rechtfertigungslage verlangen. Bei dieser Kenntnis handelt es sich allerdings, soweit sie relevant wird, nur um eine unselbständige Voraussetzung des Zweckmoments. Wer nicht die Vorstellung hat, angegriffen zu werden, hat auch keinen Verteidigungswillen. Näher dazu Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 55 mit Nachw. 120 So von Spendel (Fn. 34), § 32 Rdn. 138 ff. 121 So die Anhänger der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen und die Vertreter der das subjektive „Gegenstück zum Vorsatz“ für die einzelnen Rechtfertigungsgründe verlangenden Literaturmeinung. Siehe dazu die Nachw. bei Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 52.

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stand als objektive Seite der Erfolgsverwirklichungshandlung umspannt. Bei den Rechtfertigungsgründen haben wir es dagegen mit einem differenzierteren Aufbau zu tun. Es geht bei ihnen um die Rechtfertigungslage (z. B. das Vorliegen eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs), die Rechtfertigungshandlung (z. B. die Verteidigungshandlung), die Bewertung dieser Handlung als erforderlich und ggf. eine Abwägung aller gegenüberstehenden Aspekte (z. B. bei der Interessenabwägung in § 34 StGB). Zwar verlangt die Rechtfertigungshandlung als Handlung den zugehörigen Handlungswillen, also das subjektive Rechtfertigungselement im obengenannten Sinne, aber an zusätzliche subjektive Voraussetzungen ist die Rechtfertigung nicht geknüpft. Indem jene Schrifttumsmeinung die subjektiven Erfordernisse überdehnt, erweitert sie gleichzeitig den Bereich der Strafbarkeit. Wenig Klarheit besteht hinsichtlich der Rechtswirkung des Fehlens des subjektiven Rechtfertigungselements. Die herkömmliche Rechtsprechung will wegen Vollendung strafen, 122 das Kammergericht hat in einer jüngeren Entscheidung (untauglichen) Versuch angenommen, 123 und auch im Schrifttum ist die Einordnung als Versuch vorherrschend. 124 Um sich über die sachentsprechende Lösung klar zu werden, sind zwei Fragen auseinander zu halten: die des Tatbildes und die der Rechtsfolge. Bei der ersteren geht es darum, ob Vollendung oder Versuch vorliegt. Nehmen wir als Beispiel eine (vorsätzliche) Körperverletzung, bei deren Begehung dem Täter nicht bekannt ist, daß er mit ihr objektiv einen Angriff abwehrt. Hier hat der Täter den von ihm gewollten Körperverletzungserfolg verwirklicht, so daß der objektive Tatbestand des § 223 StGB vollständig gegeben ist und daher nach den für die Unterscheidung von Vollendung und Versuch geltenden Grundsätzen Vollendung vorliegt. Es verbleibt deshalb nur die Frage, ob diese Grundsätze lediglich für den Normalfall Gültigkeit haben. Verhält es sich etwa so, daß die Unterscheidung zwar im Normalfall allein auf der Tatbestandsebene stattfindet, genauer betrachtet aber auch die Rechtfertigungsseite einzubeziehen ist? Hiervon geht offenbar die Versuchslösung aus. Ihr gegenüber ist jedoch anzuführen: Erstens sind die Begriffe, mit denen die Strafgesetze die Taten beschreiben, an der Wirklichkeit orientiert, weil sie für das sprachliche Verständnis der Allgemeinheit bestimmt sind. Strafgesetzgebung bedient sich keiner juristischen Kunstsprache. Wenn eine Körperverletzung, nämlich eine körperliche Mißhandlung oder eine Gesundheitsschädigung, verwirklicht worden ist, dann ist sie nicht nur versucht. Zweitens ist zu beachten, daß die Strafrechtsdogmatik selbst 122 BGHSt. 2, 111 (115) im Anschluß an die Rspr. des Reichsgerichts. Ebenso Gallas, Bockelmann-Festschr., 1979, S. 155 (172 ff.); Paeffgen, Armin Kaufmann-Gedächtnisschr., 1989, S. 399 (421 ff.); Schmidhäuser (Fn. 56), 6/24; Tröndle / Fischer (Fn. 35),§ 32 Rdn. 14. 123 KG GA 1975, 213 (215). Zur besonders gelagerten Problematik in BGHSt. 38, 144 (154 f.) siehe oben in Fn. 51. 124 Frisch, Lackner-Festschr., 1987, S. 113 (138 f.); Jakobs (Fn. 41), 11/23 f.; Jescheck / Weigend (Fn. 12), § 31 IV. 2. (wie Versuch); Lenckner (Fn. 12), Vor § 32 Rdn. 15; Roxin (Fn. 12), § 14 Rdn. 101; m.w. N.

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die Dinge so in denjenigen Fällen sieht, in denen ein Rechtfertigungsgrund in allen seinen Voraussetzungen vorliegt. Sie nimmt keinen Anstoß daran, in solchem Falle eine vollendete Körperverletzung, einen vollendeten Totschlag usw. zu bejahen. Man spricht von einer gerechtfertigten Körperverletzung, einem gerechtfertigten Totschlag. Wie soll aber aus einer Tat, die bei Gegebensein der Rechtfertigung eine vollendete (gerechtfertigte) Tat darstellt, eine nur versuchte werden, wenn die Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind? Die Differenzierung von Vollendung und Versuch hat offensichtlich nichts mit der von Rechtfertigung und Rechtswidrigkeit zu tun. Sonst würde man auch den Unterschied zwischen Fällen, in denen es um die Rechtfertigung von vollendeter und nur versuchter tatbestandmäßiger Tat geht, einebnen. Drittens ist bei der Problematik des subjektiven Rechtfertigungselements der Ansatz, daß im Falle der Rechtmäßigkeit keine Vollendung vorliegen könne, schon von Anbeginn verfehlt, weil hier gar keine Rechtfertigung vorliegt. Entgegen der heute als überholt geltenden objektiven Theorie ergeben die objektiven Rechtfertigungsmerkmale doch für sich allein noch gar keine Rechtmäßigkeit, sondern für diese ist das subjektive Rechtfertigungselement mit konstitutiv. Auch übersehen die Anhänger der Versuchslösung: Liegt Rechtfertigung in allen ihren Voraussetzungen vor und der Täter erkennt das nicht, so handelt es sich nicht um einen untauglichen Versuch, sondern um ein Wahndelikt. Das eigentliche Problem ist daher das der Rechtsfolge. Die ältere Auffassung, wonach wegen des Nichtvorliegens des subjektiven Rechtfertigungselements und der daher fehlenden Rechtfertigung aus dem normalen Strafrahmen der vollendeten Tat zu bestrafen ist, vermag nicht zu überzeugen. Denn jedenfalls ist doch die objektive Seite des Rechtfertigungsgrundes gegeben, so daß das Unrecht der Tat gemindert ist. Infolgedessen ist eine Strafmilderung nach dem Milderungsschlüssel des § 49 StGB regelmäßig geboten. Hinsichtlich des Strafrahmens hat daher nichts anderes als beim Versuch zu gelten. Insoweit kann also von einer Parallele zum Versuch die Rede sein. Ob diese jedoch so weit zu gehen hat, daß auch der tatbestandliche Kreis der Strafbarkeit nach dem des Versuchs zu bestimmen ist, erscheint fraglich. Wer beim sog. Erlaubnistatbestandsirrtum die eingeschränkte Schuldtheorie vertritt und dabei die Koppelung des vermeidbaren Irrtums an den Katalog der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit befürwortet, dürfte in diesem Punkte wohl keine Bedenken haben. Berücksichtigt man jedoch sachentsprechender, daß die Gesichtspunkte, die auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit für den Umfang der Strafbarkeit den Ausschlag geben, andere sind als diejenigen, die in bezug auf die Rechtfertigungsebene einer tatbestandsmäßigen Tat in den Blick kommen, dann wird man einer Limitierung der (gemilderten) Strafbarkeit auf den Umfang der Versuchspönalisierung eher skeptisch gegenüberstehen. 125

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IV. Zusammenfassende Würdigung Der Blick auf die Rechtsprechung des BGH zu den Rechtfertigungsgründen zeigt, daß die Strafsenate sich in zahlreichen Entscheidungen mit diesem Gebiet befaßt haben. Nicht wenige Urteile sind von erheblichem Gewicht und von bedeutendem Einfluß auf die Rechtsentwicklung. Manche, wie z. B. das 1. Mauerschützen-Urteil BGHSt. 39, 1, haben in der breiten Öffentlichkeit und international starke Beachtung gefunden. Auch die umstrittenen haben zur Diskussion und wissenschaftlichen Vertiefung der Probleme beigetragen. Bei einer ganzen Reihe von Rechtfertigungsfragen ist der Klärungsprozeß noch nicht abgeschlossen. Wenn zu einem Einzelproblem, z. B. der Notwehrprovokation, verhältnismäßig viele Entscheidungen ergangen sind, spiegelt das aber auch wider, daß die in der bisherigen Judikatur genannten Erfordernisse nicht ausreichend die Rechtssicherheit gewährleisten, was gerade bei Notrechten nicht unbedenklich erscheint. Jedenfalls wird der BGH in Zukunft weiterhin Gelegenheit haben, sich mit Rechtfertigungsproblemen zu beschäftigen. Man möchte ihm dafür wünschen, daß ihm hierbei ebenso wie in den zurückliegenden 50 Jahren eine behutsame, kenntnisreiche und die Ergebnisse der Wissenschaft berücksichtigende Hand leitet.

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Näher zum ganzen vgl. Hirsch (Fn. 3), Vor § 32 Rdn. 50 ff., 59 ff.

Allgemeine Fragen der Einwilligung * 1994 Einwilligung des Verletzten a) Allgemeine Fragen [92] aa) Einwilligung als Rechtfertigungsgrund kommt bei einer Reihe von Delikten (insbesondere §§ 203, 223 ff, 303, 308 1. Alt.) in Betracht. Eine ausdrückliche Vorschrift enthält das StGB zwar nur für den wichtigsten und regelungsbedürftigsten Fall, der wegen Einwilligung gerechtfertigten Körperverletzung, in § 226 a 1. Jedoch ist anerkannt, daß die Einwilligung des Verletzten auch bei anderen gegen den einzelnen gerichteten Straftaten als Rechtfertigungsgrund eingreifen kann. Die Erheblichkeit der Einwilligung wird seit Jahrhunderten bejaht (näher Honig Einwilligung S. 32 ff) und heute so einmütig vertreten, daß sich ohne weiteres von Gewohnheitsrecht sprechen läßt 2. Dabei ist zu beachten, daß der Satz „volenti non fit iniuria“ (Dig. 47, 10, 1 § 5) 3 nicht wörtlich zu verstehen ist, sondern immer Grenzen unterworfen war (Mezger § 28 III). Bei der Reform des Allgemeinen Teils hat man auf die Einführung einer allgemeinen Einwilligungsregelung verzichtet, weil sich nach dem bisherigen Diskussionsstand Voraussetzungen und Anwendungsbereich der rechtfertigenden Einwilligung noch einer allgemeinen gesetzlichen Vertypung entziehen und deshalb Rechtsprechung und Wissenschaft die weitere Entwicklung überlassen werden soll. [93] Einige Fälle, in denen es genau betrachtet um die Frage der rechtfertigenden Einwilligung geht, werden teilweise auf anderem Wege zu lösen versucht: Bei vorsätzlichen Verletzungshandlungen, die im Zusammenhang mit einer den Regeln entsprechenden Ausübung einer Sportart stehen, dieser Sportart adäquat sind und zwischen den an der Sportausübung Beteiligten erfolgen, wird * Auszug aus Kommentierung in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1994, Vor § 32 Rn. 92 – 107. 1 Zum Anwendungsbereich siehe LK 10 § 226a Rdn. 1. 2 Als Rechtsgrundlage wird jetzt auch auf Art. 2 Abs. 1 GG zurückgegriffen, so von Amelung Einwilligung S. 29; Geppert ZStW 83 (1971) 947, 953; Maurach / Zipf § 17 Rdn. 36; Roxin I § 13 Rdn. 14. Für sich allein wäre dies aber eine zu unbestimmte rechtliche Grundlage; siehe auch Rdn. 98. 3 Genau lautet der Satz: „nulla iniuria est, quae in volentem fiat.“

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häufig nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung, sondern schon auf Sozialadäquanz abgestellt (Jescheck § 25 IV l; Klug Eb. Schmidt-Festschr. S. 249, 264; Schaffstein ZStW 72 [1960] 369, 379; Zipf Einwilligung und Risikoübernahme S. 92 ff). Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken, die gegenüber der dogmatischen Verwendung des Begriffs der Sozialadäquanz bestehen (siehe Rdn. 29), ist seiner Heranziehung in diesen Fällen entgegenzuhalten, daß die Beteiligung an der konkreten Sportausübung an eine individuelle Zustimmung geknüpft ist, deren Inhalt sich auf das der betreffenden Sportart Wesensmäßige bezieht. Da es um vorsätzliche Rechtsgutsbeeinträchtigung (Kampfsport) geht, ist auch unter normativem Aspekt nicht einsichtig, weshalb hier schon die Tatbestandsmäßigkeit und nicht erst die Rechtswidrigkeit entfallen soll. Auch eine Differenzierung danach, ob eine Sportart mit Verletzungsziel (Boxen) vorliegt (nur dann Einwilligung erforderlich) oder nicht (dann Sozialadäquanz) 4, führt nicht weiter. Denn bei vorsätzlichen Verletzungen, die nicht zum Ziel einer Sportart gehören, fällt die Frage, ob sie noch von einer generell erteilten Zustimmung (bzgl. eines Toleranzbereichs) gedeckt sind, besonders ins Gewicht. [94] Beim fahrlässigen Delikt haben Bestrebungen, Einwilligungsfälle mit Hilfe anderer Rechtsinstitute zu lösen, größere Bedeutung. Nach Frisch Fahrlässigkeitsdelikt S. 118 ff soll das Verhalten des Opfers, das sich bewußt der Gefährdung durch einen anderen aussetzt, bewirken, daß auf seiten des Gefährdenden die Sorgfaltswidrigkeit (und damit die Tatbestandsmäßigkeit) entfällt. Er stützt dies auf eine grundsätzliche Abwägung zwischen dem Verstoß des Opfers gegen die eigenen Interessen und dem Wert der Interessen an der Handlungsfreiheit des Gefährdenden. Dieser Auffassung steht aber entgegen, daß sie letztlich das Mitverschulden des Opfers zum Tatbestandskorrektiv erhebt (was auch in der parallelen Bewertung des Falles deutlich wird, daß Täter und Opfer sich des Risikos aus Unbesonnenheit nicht bewußt waren, aaO S. 125 f). Das reicht für sich allein nicht aus, um den Sorgfaltsverstoß des Täters entfallen zu lassen 5. – Weiterhin findet sich die Ansicht, daß die Einwilligung des Opfers beim fahrlässigen Delikt Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des erlaubten Risikos ermögliche (Krey JuS 1971 248, 250; Langrock MDR 1970 982, 984). Da das Institut der rechtfertigenden Einwilligung daneben bestehen bleibt, hat diese Konstruktion nur bei der Frage der Einwilligung in die Lebensgefährdung praktische Bedeutung 6. Ein selbständiger Rechtfertigungsgrund des erlaubten Risikos ist jedoch nicht anzuerkennen (im Unterschied zu den anders gearteten Fällen des schon nicht sorgfaltswidrigen Risikos, näher dazu Rdn. 30 ff). Es handelt sich vielmehr um die Entscheidung der Frage, ob und ggf. inwieweit die Einwilligung in eine tatbestandsmäßige Lebensgefährdung (damit auch in § 222) rechtfertigt. Die Berufung 4 5 6

So Dölling ZStW 96 (1984) 36, 55 ff. Näher zur Kritik F. Kellner Diss. Regensburg 1974 S. 64 ff. Vgl. Sch / Schröder / Eser § 222 Rdn. 3; Stratenwerth Rdn. 1116.

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auf erlaubtes Risiko dient hier nur dazu, die dogmatischen Schwierigkeiten, die sich nach der herkömmlichen Einwilligungslehre ergeben, zu umgehen (ebenso Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 100, 102). – Nach Roxin Gallas-Festschr. S. 241, 242 7 soll es nicht des Rückgriffs auf die rechtfertigende Einwilligung bedürfen, wenn eine einverständliche Fremdgefährdung unter allen relevanten Aspekten einer Selbstgefährdung gleichsteht. Angesprochen sind hier die Fälle der Beteiligung (im natürlichen Sinne) an tatbestandsloser willentlicher Selbstgefährdung und diejenigen gemeinsamer Selbstgefährdung. Bei ihnen ist der Tatbestand des fahrlässigen Delikts nicht erfüllt, weil es keine Sorgfaltswidrigkeit darstellt, fremde voll verantwortliche Selbstgefährdung zu fördern (so jetzt auch BGHSt. 32 262; BGH NStZ 1984 452; 1985 25; 1986 266) 8. Es kommt nicht einmal darauf an, daß überhaupt tatsächlich eine Einwilligung erklärt worden ist. Die Fälle haben daher von vornherein nichts mit dem Anwendungsgebiet der rechtfertigenden Einwilligung zu tun. Allerdings ist es nicht angängig, Sachverhalte einwilligungsbedürftiger Fremdgefährdung in solche tatbestandsloser Beteiligung an einer Selbstgefährdung umzudeuten 9. So dürfen etwa die den §§ 216 und 226a zugrunde liegenden Wertungen nicht durch Ausweichen auf andere Konstruktionen umgangen werden. [95] Schließlich hat die Rspr. in dem speziellen Fall der einverständlichen Lebensgefährdung (bei § 222) einen Lösungsweg außerhalb der Einwilligungslehre zu finden versucht. Danach soll „unter besonderen Voraussetzungen ... die Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens zu verneinen sein, wenn jemand eine gewisse Gefahr in deren klarer Erkenntnis in Kauf genommen und der Täter seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht genügt hat“ (BGHSt. 4 88, 93; 7 112, 115; RGSt. 57 172; RG JW 1925 7

Ebenso Roxin I § 11 Rdn. 100. Ebenso schon Rudolphi JuS 1969 549, 557; Hirsch JR 1979 429, 430; Sch / Schröder Rdn. 107 (Lenckner), § 15 Rdn. 155 (Cramer); Samson SK Anh. § 16 Rdn. 33; Schünemann NStZ 1982 60, 62 f; Dölling GA 1984 71, 75 ff; im Ergebnis ebenfalls Roxin GallasFestschr. S. 241, 246 ff; Wallher Eigenverantwortlichkeit S. 227 ff. Der Rspr. zustimmend auch Kienapfel JZ 1984 751; Roxin NStZ 1984 411; Stree JuS 1985 179; teilweise enger Weber Spendel-Festschr. S. 371, 376 ff; abweichend im Begründungsweg Horn JR 1984 513; Dach NStZ 1985 24. 9 Anders jedoch Otto Tröndle-Festschr. S. 157, 169 ff, 175; ferner R.-P. Fiedler Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung S. 159 ff. Dagegen aber für eine restriktive Handhabung des Selbstgefährdungsinstituts nunmehr auch Frisch NStZ 1992 1 ff, 62 ff, der mindestens bei gleichzeitigem oder nachfolgendem Opferhandeln regelmäßig eine Lösung über die Einwilligung befürwortet (S. 66 f); in die gleiche Richtung zielt auch die Kritik bei Weber Baumann-Festschr. S. 43, 48 ff. Zu weit geht Frisch aaO. jedoch, wenn er auch die Fälle des Sexualkontakts mit einem HlV-Infizierten in Kenntnis von dessen Infektion als Beispiele für einwilligungsbedürftige Gefährdungen nennt. Hier fehlt es unter dem Gesichtspunkt der Mitwirkung an freiverantwortlicher Selbstgefährdung bereits an der Tatbestandsmäßigkeit (BayObLGSt. 1988 133, 134 f; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 107; Geppert Jura 1987 668, 671; Herzog u. Nestler-Tremel StV 1987 360, 366; Prittwitz NJW 1988 294 f; ders. StV 1989 123, 128; i. E. auch Roxin I § 11 Rdn. 100 ff; anders Helgarth NStZ 1988 361, 362 f). Siehe auch Rdn. 118. 8

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2250; BayObLGSt. 57 75; OLG Karlsruhe NJW 1967 2321; vgl. auch BGHSt. 6 232, 234) 10. Diese Rspr. ist zwar im praktischen Ergebnis, nicht aber in der Begründung überzeugend (vgl. Schaffstein Welzel-Festschr. S. 557, 568 ff; Jähnke LK [10. Aufl.] § 222 Rdn. 21). Denn es handelt sich in den Fällen nicht um eine Frage der Sorgfaltspflicht. Die Sorgfaltswidrigkeit ist vielmehr damit gegeben, daß der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt, und das wiederum ist Voraussetzung dafür, daß die Fälle überhaupt tatbestandlich in den Blick kommen. Auch bezieht sich die bewußte Inkaufnahme eben gerade auf diese Sorgfaltswidrigkeit. Das von der Rspr. hier aufgestellte Erfordernis, daß der Täter seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht genügt haben müsse, bezeichnet lediglich, daß er über die Grenzen des Inkaufgenommenen nicht hinausgehen darf. Der Sache nach handelt es sich also um echte Einwilligungsfälle, die lediglich anders etikettiert werden, weil man sich durch den Satz, daß eine Verfügungsbefugnis über das Rechtsgut Leben nicht bestehe, an der offenen Einordnung bei der rechtfertigenden Einwilligung gehindert sieht. Die Hindernisse der Einwilligungslehre sind jedoch nur scheinbare, da es bei ihr nicht um die Verfügungsbefugnis bezüglich des Rechtsguts, sondern hinsichtlich der einzelnen Schutznorm geht (Rdn. 105, 114). Daß in eine vorsätzliche Tötung nicht rechtfertigend eingewilligt werden kann, besagt daher noch nichts über die Zulässigkeit der Einwilligung in eine nur lebensgefährdende – im Falle der Realisierung der Gefahr nach § 222 strafbare – Handlung 11. Das Problem liegt nicht in der Bejahung der Einwilligungsbefugnis, deren materielle Berechtigung im übrigen durch die obengenannte Rspr. und das ihr folgende Schrifttum bestätigt wird, sondern bei den Grenzen, die der Einwilligung in eine lebensgefährdende Handlung zu setzen sind. Anknüpfungspunkt ist dabei ebenso wie in § 226a der Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit der Tat, wobei zu beachten ist, daß die Bewertung ausschließlich die gefährliche Handlung betrifft, also nicht den tatsächlich eingetretenen unvorsätzlichen Todeserfolg einbezieht (siehe Rdn. 107) 12. [96] bb) Die schon tatbestandsausschließende Einwilligung („Einverständnis“) ist von der rechtfertigenden Einwilligung zu unterscheiden. Während in 10 Zustimmend Dreher / Tröndle § 222 Rdn. 5; Jescheck § 57 IV: Stratenwerth Rdn. 1116; grundsätzlich ablehnend Zipf Einwilligung und Risikoübernahme S. 73. 11 Vgl. Schaffstein Welzel-Festschr. S. 557, 568 ff; Hirsch Welzel-Festschr. S. 775, 797 Anm. 69; Samson SK Anh. § 16 Rdn. 33; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 104; Schroeder LK § 16 Rdn. 180; Weber Baumann-Festschr. S. 43, 48. 12 Ebenso Weber Baumann-Festschr. S. 43, 47f m.w. Nachweisen. Vgl. zur Einwilligung in die Lebensgefährdung auch F. Kellner Diss. Regensburg 1974. – Abw. kritisiert Dölling (GA 1984 71, 89 ff) den Rückgriff auf die in § 226a gezogene Grenze als nicht sachgerecht und zu unsicher. Er will statt dessen auf den Wert der Opferautonomie und des verfolgten Zwecks abstellen. Dieser Begründungszwang führt jedoch zu einer übermäßigen Bevormundung des Einwilligenden. Auch zeigt die Lösung der Beispielsfälle (S. 93), daß nach diesen Kriterien die Abgrenzung vollends unsicher wird. Das um so mehr, als Dölling auch mit dem Gesichtspunkt operiert, ob eine „sittliche Pflicht“ vorliegt, und dadurch nicht lediglich auf die Sittenwidrigkeit als Begrenzung, sondern sogar auf die Sittlichkeit als Begründung wirksamer Einwilligung abstellt.

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den Fällen rechtfertigender Einwilligung der Tatbestand objektiv und subjektiv (z. B. der Tatbestand der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung) erfüllt ist, schließt das Einverständnis bereits den Tatbestand aus, wo ein Handeln gegen den Willen des Betroffenen zum Tatbestand gehört, z. B. bei den Nötigungsdelikten, dem Hausfriedensbruch und der Verletzung der persönlichen Geheimsphäre, aber etwa auch beim Diebstahl, wo der Gewahrsamsbruch und damit das Tatbestandsmerkmal Wegnahme entfällt, wenn der Gewahrsamsinhaber mit der Entziehung einverstanden ist. Für diese Unterscheidung (Differenzierungslösung) die h. M.: BGHSt. 23 l, 3; 26 70; BayObLG JZ 1979 146; Geerds Einwilligung S. 142 ff; Jescheck § 34 I 3; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 29 f, 33 f) 13. [97] Abw. wird die Ansicht vertreten, daß jede wirksame Einwilligung bereits die Tatbestandserfüllung verhindere (Einheitslösung) (Roxin I § 13 Rdn. 12 ff; Schmidhäuser StudB 5/106 ff; Maurach / Zipf § 17 Rdn. 30 ff und 39 ff) 14. Praktische Relevanz hat die Kontroverse für den Vorsatzinhalt, die Irrtums- und Versuchslehre sowie die Beachtung der allgemeinen Rechtfertigungserfordernisse. [98] Gründe für die Differenzierungslösung. Es bedeutet eine entscheidende sachliche Verschiedenheit, ob der Wille des einzelnen oder ein unabhängig vom Willen des Inhabers bestehendes, für sich allein einen Wert verkörperndes Gut geschützt wird. Während eine mit Einverständnis des Betroffenen begangene „Nötigung“ schon keine Rechtsgutsverletzung darstellt, bildet die mit Einwilligung erfolgte Körperverletzung immer eine Verletzung des geschützten Rechtsguts. Der Unterschied spiegelt sich auch deutlich in dem zu verlangenden Vorsatzinhalt wider. Hinter der Einheitslösung stehen insbesondere subjektive Tendenzen innerhalb der Rechtsgutslehre. Begreift man das Rechtsgut als die objekts- bzw. verhaltensbezogene Autonomie des Berechtigten (Schmidhäuser StudB 5/107; ähnlich Roxin I § 13 Rdn. 12) 15 oder als ein Objekt, das gerade wegen seiner Beziehung zum Rechtsgutsträger geschützt wird (Maurach / Zipf Rdn. 33), so sind nicht mehr Körper, Bewegungsfreiheit usw. Rechtsgüter, sondern Rechtsgut ist dann der Wille 13 Siehe ebenfalls Geerds GA 1954 262 ff; ders. ZStW 72 (1960) 42, 43; Baumann / Weber § 21 II 4 e; Blei I § 37 I l; Bockelmann / Volk AT § 15 C I; Dreher / Tröndle Rdn. 3a; Geppert ZStW 83 (1971) 947, 959; Hirsch Welzel-Festschr. S. 775, 799 Fußn. 75; Lackner Rdn. 15; Lenckner ZStW 72 (1960) 446, 448; Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe S. 72 ff; Otto AT § 8 III 2; Welzel § 14 VII 1 a; Wessels AT § 9 I. Siehe auch Jakobs 7/104 ff, 111 ff, 14/1 und Kohlmann Werner-Festschr. S. 387, 401 f, die jedoch den Bereich des Tatbestandsausschlusses zu Lasten der rechtfertigenden Einwilligung teilweise zu weit ausdehnen (dazu Rdn. 98). 14 Kientzy Mangel am Straftatbestand S. 65 ff, 82 f; Kühne JZ 1979 240, 242; Roxin ZStW85 (1973) 76, 100 f; ders. JuS 1988 425, 426; Rudolphi ZStW 86 (1974) 68, 87; Samson SK Rdn. 56 ff, 64; Sax JZ 1976 9 ff; Schmidhäuser StudB 5/106 ff; Weigend ZStW 98 (1986) 44, 61; Zipf Einwilligung und Risikoübernahme S. 28 ff, 59; ders. JZ 1977 379, 380 f; Kioupis Notwehr S. 140 ff; im Ergebnis auch Göbel Einwilligung S. 68 ff und Schlehofer Einwilligung S. 2 f. 15 Siehe auch Weigend ZStW 98 (1986) 44, 59 ff.

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zur Wahrung dieser Werte (Bedenken gegenüber einer generellen Subjektivierung der Rechtsgüter auch bei Stratenwerth Rdn. 362). Eine solche Rechtsgutsauffassung steht bereits im Widerspruch zum positivrechtlichen Begriffsverständnis in § 34. Körper, Bewegungsfreiheit, Ehre, Eigentum und andere Rechtsgüter des einzelnen sind für sich allein Werte, die den grundsätzlichen Schutz der Rechtsordnung genießen und zumeist auch durch die Verfassung garantiert werden. Gerade diese Ausgestaltung der Grundrechte zeigt, daß die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG nicht allein herangezogen werden darf, um die Wirkungen einer Einwilligung zu bestimmen (so aber Roxin I § 13 Rdn. 14), weil diese einzelnen Rechtsgüter vom Recht als spezifische Schutzwerte anerkannt sind und nicht bloße Tatobjekte eines (mittelbaren) Angriffs auf den Willen des Berechtigten darstellen. Die das nivellierende, sich als „liberale“ Rechtsgutslehre bezeichnende Auffassung verstellt überdies den Blick auf die (auch verfassungsrechtlich zum Ausdruck kommenden) Unterschiede der einzelnen Schutzgüter. Unzutreffend ist außerdem, daß Rechtsgüter wie Eigentum oder Leib nur durch „Willen“ oder „Geist“ beherrscht von rechtlicher Relevanz seien. Auch der Geisteskranke und der Bewußtlose genießen uneingeschränkt den Schutz ihrer Körperintegrität und ihres Eigentums. Gerade die allgemein anerkannte Möglichkeit einer Einwilligungszuständigkeit Dritter (dazu Rdn. 117) belegt, daß bei fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit diese Rechtsgüter sogar vor dem „Willen“ des Berechtigten geschützt werden, was konsequenterweise von der hier kritisierten Auffassung nicht anerkannt werden dürfte. Daß es überdies für die Beurteilung der Einsichtsfähigkeit darauf ankommen kann, ob von der Einwilligung nur ein Tatbestandsmerkmal betroffen ist (es also um das Einverständnis im Sinne der h. M. geht) oder diese gesondert neben den gesamten Tatbestand tritt, wird auch von Roxin I § 13 Rdn. 51 eingeräumt, womit die sachliche Notwendigkeit der von der h. M. vorgenommenen Differenzierung jedenfalls für diesen Fall wieder anerkannt wird. Nicht zuletzt gerät die Ansicht, daß die Einwilligung immer das in Rede stehende Rechtsgut und damit die Tatbestandsebene betreffe, in Schwierigkeiten hinsichtlich der Behandlung vorsätzlicher Beeinträchtigungen einerseits und fahrlässiger andererseits. Daß – etwa im Falle der Tötung – insoweit eine Differenzierung erfolgen muß, kann nach einem solchen Ansatz nicht begründet werden, weil das gleiche Rechtsgut vorliegt und dieses infolge der Einwilligung entfiele. Sieht man dagegen richtigerweise das Wesen der Einwilligung im Normverzicht (näher unten Rdn. 105, 114), kann das Fahrlässigkeitsunrecht ausgeschlossen sein, ohne daß Gleiches für Vorsatzunrecht gelten müßte. Das grundsätzliche Mißverständnis der abzulehnenden Einheitslösung beruht darauf, daß sie einseitig auf das hier wie dort vorliegende Phänomen einer Einwilligung des Betroffenen blickt und darüber die Verschiedenheit der Bezugsobjekte verkennt: einmal den Umfang von Rechtsgut und Rechtsgutsverletzung, das andere Mal den Verzicht auf die Schutznorm. Es handelt sich bei der Differenzierung eben nicht um einen „Bruch“ innerhalb der Einwilligungslehre, sondern um zwei verschiedene Rechtsfiguren. Die Einwilligung, soweit sie rechtlich beachtet ist, hat deshalb hier im Gegen-

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satz zu den Fällen, in denen der Wille Schutzobjekt ist, nur den Charakter einer ausnahmsweisen Gestattung des Eingriffs. Auch entsteht die Frage des Umfangs der Dispositionsmöglichkeit des Einwilligenden (vgl. § 226 a) gerade dadurch, daß diese Rechtsgüter bereits unabhängig vom Willen des Inhabers einen rechtlich erheblichen Wert verkörpern 16. Nicht überzeugend ist deshalb auch die von Jakobs 7/104 ff, 111 ff, 14/1 vertretene Dreiteilung in tatbestandsausschließendes Einverständnis, tatbestandsausschließende Einwilligung und rechtfertigende Einwilligung; sie entbehrt zudem im Gegensatz zu der von der h. M. vertretenen Zweiteilung klarer Abgrenzungskriterien 17. Der von der Einheitslösung erhobene Einwand (so von Roxin I § 13 Rdn. 22 ff), daß auch die Zweiteilung keine einleuchtende Abgrenzung gestatte, übergeht den systematischen Unterschied zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsebene. Die als kritisch angeführten Fälle betreffen im wesentlichen Tatbestände des Eigentumsschutzes. Bei diesen ist jedoch zu beachten, daß die Tatbestandsmäßigkeit bereits deshalb entfallen kann, weil Dereliktion, Eigentumsübergang oder Sachverbesserung (anstatt Sachbeschädigung) vorliegen 18. Sind dagegen die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllt, läßt eine Einwilligung nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit, sondern erst die Rechtswidrigkeit entfallen. So ist eine Sachbeschädigung an fremder Sache eben nicht grundsätzlich rechtsneutral, sondern nur ausnahmsweise zulässig. Hinter diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis verbergen sich deshalb auch keine stilistischen Zufälligkeiten des Gesetzes 19, sondern die Wortwahl der gesetzlichen Tatbestände ist bewußt so gefaßt, daß dieser Unterschied auch in den Wortfassungen zum Ausdruck gelangt 20. [99] Auch beim fahrlässigen Delikt wird die rechtfertigende Einwilligung nicht zu einer tatbestandsausschließenden. Ihr Vorliegen läßt den Verstoß gegen die im 16 Vgl. zum vorhergehenden auch: Amelung Einwilligung S. 26 f; Dreher HeinitzFestschr. S. 207, 219 f; Geppert ZStW 83 (1971) 947, 968; Hirsch Welzel-Festschr. S. 775, 782 ff; Jescheck § 34 I 3; Noll OLG-Zweibrücken-Festschr. S. 206, 222; Stratenwerth Rdn. 362 ff. 17 Das gilt auch für die von Kohlmann Werner- Festschr. S. 387, 401f vertretene Ansicht, nach der ausschlaggebendes Abgrenzungskriterium sein soll, ob die freie Verfügbarkeit wesentlicher Wertbestandteil des geschützten Rechtsguts (dann bereits Tatbestandsausschluß) sei. Dem läßt sich nämlich entgegenhalten, daß eine solche Charakterisierung für alle einwilligungsfähigen Rechtsgüter vorgenommen werden könnte, weshalb die Einheitslösung die ungewollte Konsequenz wäre. 18 Dazu, daß es im Fall der ordnungsgemäß vorgenommenen, aber mit vorübergehenden Substanzeingriffen verbundenen Reparatur einer Sache schon am Tatbestand des § 303 fehlt (parallel zum erfolgreichen Heileingriff, der nicht unter den objektiven Tatbestand des § 223 fällt; näher LK 10 Vor § 223 Rdn. 3 ff), weil bereits das Tatbestandsmerkmal „beschädigt“ nicht gegeben ist, siehe Sch / Schröder / Stree § 303 Rdn. 10 m.w. N. Hier kommt es auf den Willen des Berechtigten nicht mehr an; den rechtlichen Schutz vor aufgedrängten Reparaturen leistet allein das Zivilrecht (anders Wolff LK 10 § 303 Rdn. 8). 19 So aber Schlehofer Einwilligung S. 2 im Anschluß an Roxin. 20 Ebenso Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 33a.

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Verkehr erforderliche Sorgfalt, damit die tatbestandsmäßige Sorgfaltswidrigkeit unberührt. Vielmehr bildet gerade diese den Gegenstand der Einwilligung beim fahrlässigen Delikt (dazu Rdn. 94). [100] Die Voraussetzungen der tatbestandsausschließenden Einwilligung stimmen nicht mit denen der rechtfertigenden Einwilligung überein, sondern ergeben sich aus dem Wesen des geschützten Rechtsguts und der Funktion des einzelnen Tatbestands. Nach einer Ansicht soll das die Tatbestandserfüllung hindernde Einverständnis im Gegensatz zur rechtfertigenden Einwilligung rein tatsächlicher Natur sein (Geerds GA 1954 262, 265; Welzel § 14 VII 1 a) 21. Hierzu hat man etwa auf den Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit hingewiesen, der beim Einverständnis von vornherein keine Rolle spielt (vgl. die Beispiele bei Welzel aaO). Auch ist ein Einverständnis nicht notwendig deshalb unbeachtlich, weil es durch Täuschung erschlichen worden ist. Allgemein von einer rein tatsächlichen Natur zu sprechen, bedeutet jedoch eine zu weitgehende Aussage. Vielmehr bestimmen sich die Voraussetzungen des Einverständnisses nach den Erfordernissen des jeweiligen Tatbestands, insbesondere dem Wesen des geschützten Rechtsguts (wie hier Jescheck § 34 I 2 a; Roxin I § 13 Rdn. 30, 51; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 32) 22. [101] Die tatbestandliche Verschiedenheit zeigt sich einmal daran, daß der Druck, mit Hilfe dessen der Täter noch ein wirksames Einverständnis des Betroffenen erzwingen kann, in den einzelnen Tatbeständen unterschiedlich bemessen ist. Während bei § 177 die Grenze relevanter Freiwilligkeit erst bei Gewalt oder bei Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben überschritten wird, schließt bei § 123 auch schon geringerer Zwang ein einverständliches Betreten aus 23. Ebenfalls ist das Maß der für ein wirksames Einverständnis erforderlichen Einsichtsfähigkeit bei den einzelnen Tatbeständen verschieden: Für die Freiheitsdelikte kommt es stets nur auf die natürliche Willensfähigkeit an, weshalb ein Kind oder ein Geisteskranker (BGHSt. 23 1) nicht genötigt werden können, wenn sie mit dem Verhalten des Täters einverstanden sind. Gleiches gilt für die an ein faktisches Herrschaftsverhältnis anknüpfenden Tatbestände, z. B. die Wegnahme in § 242. Dagegen ist bei Vorschriften, die rechtsgeschäftlich bedeutsame Positionen schützen, die natürliche Willensfähigkeit eines Minderjährigen nicht ausreichend. So wird bei § 142 zumindest verlangt, daß der Minderjährige eine genügende Vorstellung von der Bedeutung seines Verzichts hat (OLG Hamm VRS 23 [1962] 102, 104; OLG Karslruhe GA 1970 311, 312 [im Alter von 9 Jahren kein wirksamer Verzicht auf Feststellungen nach § 142 möglich]) 24, und 21

Ebenso heute noch Bockelmann / Volk AT § 15 C I 1 b bb; Wessels AT § 9 I 1. Ebenfalls Jakobs 7/105 ff; Kientzy Mangel am Straftatbestand S. 65 ff; Samson SK Rdn. 64; Stratenwerth Rdn. 370; Zipf Einwilligung und Risikoübernahme S. 15 ff. 23 Zu noch weiterer Differenzierung bei § 123 siehe Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 32. 24 Auch Roth LK 10 § 142 Rdn. 52 und näher Bernsmann NZV1989 49, 53. 22

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ein Teil des Schrifttums fordert weitergehend Geschäftsfähigkeit 25. Notwendig ist letztere für das Einverständnis beim Mißbrauchstatbestand des § 266, weil hier die Überschreitung rechtsgeschäftlicher Befugnisse Tatbestandsmerkmal ist (Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 32). [102] Entsprechend zu differenzieren ist auch bei den weiteren Erfordernissen des Einverständnisses. Während in der Regel eine (ausdrückliche oder konkludente) Einverständniskundgabe nicht notwendig ist, sondern schon das bloße innere Einverstandensein mit der Handlung des Täters genügt (BayObLG NJW 1979 729) 26, ist sie bei solchen Tatbeständen erforderlich, die eine rechtsgeschäftlich bedeutsame Position schützen (so §§ 142 und 266). Auch der Umstand, daß ein Einverständnis auf Täuschung oder Irrtum beruht, hat lediglich dort Bedeutung, wo es um den Schutz des rechtsgeschäftlichen Bereichs geht. So ist ein durch Täuschungshandlung bewirkter Verzicht auf Feststellungen am Unfallort unwirksam (BayObLG NJW 1984 1365; OLG Stuttgart NJW 1982 2266; Bernsmann NZV 1989 49, 53 ff; Horn / Hoyer JZ 1987 965, 972 ff) 27. Ist sich demgegenüber der Hausrechts- oder der Gewahrsamsinhaber der Öffnung des Zugangs zu den Räumlichkeiten bzw. der Aufhebung seines Gewahrsams bewußt, dann scheidet wegen Einverständnisses ein Eindringen bzw. ein Gewahrsamsbruch aus, gleichgültig, ob das Einverstandensein täuschungs- oder irrtumsbedingt ist (vgl. Sch / Schröder / Lenckner § 123 Rdn. 22 [m. Nachw. zum dortigen Streitstand]; Sch / Schröder / Eser § 242 Rdn. 36). Ebenfalls liegt bei §§ 181 und 237 ein beachtliches Einverständnis vor, solange nicht der Grad der List erreicht ist. [103] Kennt der Täter das Einverständnis nicht, so hat er den vollen Vorsatz (z. B. bezüglich der Wegnahme, wenn er nichts vom Einverständnis in den Gewahrsamsbruch weiß), es liegt daher untauglicher Versuch vor (BGHSt. 4 199; 16 271, 278) 28. Hält er umgekehrt ein Einverständnis irrtümlich für gegeben, so bewirkt das Unkenntnis hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals, weshalb der Vorsatz entfällt (OLG Hamm VRS 23 [1962] 102, 104). Das Einverständnis muß bei Begehung der Tat vorliegen, eine nachträgliche Genehmigung genügt ebensowenig wie bei der rechtfertigenden Einwilligung. [104] cc) Das Wesen der rechtfertigenden Einwilligung besteht nach h. M. im Rechtsschutzverzicht (BGHSt. 17 359; OLG Hamburg NJW 1969 336; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 33) 29. Von „Preisgabe des Rechtsschutzwillens“ spricht KG 25

Jakobs 7/106; Sch / Schröder / Cramer § 142 Rdn. 63 m.w. N. Anders jedoch Roxin I § 13 Rdn. 47 f, der hier generell die Kriterien der nach der h. M. erst rechtfertigenden Einwilligung anwenden will und deshalb Kundgabe der Zustimmung verlangt, was eine weitere nicht sachentsprechende Konsequenz der von ihm vertretenen nivellierenden Einheitslösung (dazu Rdn. 98) darstellt. 27 Einschränkend bei Täuschung über Personalien Küper JZ 1990 510, 517 ff. 28 Auch BayObLG JR 1979 296, 297 m. Anm. Paeffgen; OLG Köln NJW 1961 2360; OLG Celle JR 1987 253, 254 m. Anm. Hillenkamp. 26

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JR 1954 428, 429 30. Dagegen wurde früher die Einwilligung als Interessenverzicht gedeutet 31; in dieser Richtung jetzt wieder Arzt Willensmängel S. 17 f. Dieser Ansicht verwandt sind neuere Auffassungen, denen zufolge mit der Einwilligung das Schutzobjekt wegfalle, weil das tatbestandsmäßige Unrecht auch im Angriff auf die Dispositionsfreiheit des Berechtigten liege (Stratenwerth Rdn. 362 f; M. Marx Rechtsgut S. 62 ff, 67, 82 m. Fußn. 18) 32 oder weil weitergehend das Rechtsgut allein in der objektbezogenen Autonomie (Schmidhäuser StudB 5/107) oder Dispositionsfreiheit (Weigend ZStW 98 [1986] 44, 59; ähnlich Roxin I § 13 Rdn. 12 ff) bestehe. Außerdem findet sich die Auffassung, daß der Grund der rechtfertigenden Wirkung der Einwilligung im Prinzip der Güterabwägung zu sehen sei: Die subjektive Wertung der Rechtsgüter durch den einzelnen sei von der Rechtsordnung in gewissen Grenzen als maßgeblich anerkannt, weil der ungehinderte Gebrauch der persönlichen Freiheit als sozialer Wert angesehen werde (Noll Überges. Rechtfertigungsgründe S. 74 ff; Geppert ZStW 83 [1971] 947, 952 f; Jescheck § 34 II 3) 33. [105] Der h. M. läßt sich insoweit folgen, wie sie mit dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzverzichts zum Ausdruck bringen will, daß es bei der rechtfertigenden Einwilligung um einen Verzicht darauf geht, daß aus der zum Schutz des einzelnen bestehenden Norm eine konkrete Rechtspflicht erwächst. Auf der anderen Seite gibt die h. M. keine Begründung für die Verzichtsmöglichkeit und damit auch keinen Aufschluß über die ausschlaggebenden Maßstäbe. Die Interessentheorie versagt, weil das konkrete Interesse des einzelnen nicht allgemein den Ausschlag gibt, wie sich daran zeigt, daß eine Einwilligung in die vorsätzliche Tötung überhaupt nicht und eine in die Körperverletzung nur in begrenztem Umfang zulässig ist. Die „Güterabwägungstheorie“ hebt den entscheidenden Gesichtspunkt insoweit hervor, als sie die Kollision zwischen grundsätzlicher Wertentscheidung der Rechtsordnung und abweichender konkreter Ausübung der persönlichen Freiheit herausarbeitet. Jedoch ist zu beachten, daß hier nicht lediglich Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen sind, sondern daß es um die Abwägung der Entscheidungsfreiheit einerseits und des Schutzzwecks der einzelnen Norm andererseits geht 34. Gegenstand der Einwilligung ist die verbotene Handlung. Es ist möglich, daß 29 Ebenso Dreher / Tröndle Rdn. 3b; Geerds GA 1954 262, 263; ders. ZStW 72 (1960) 42, 43; Lackner Rdn. 10; Lenckner ZStW 72 (1960) 446, 453; Welzel § 14 VII 2 a; Wessels AT § 9 I 2; Bichlmeier JZ 1980 53, 54. 30 Ebenso Mezger LK 8 Vor § 51 Bem. 10e aa. 31 Siehe v. Hippel II § 19 II 2; Honig Einwilligung S. 118; v. Liszt / Schmidt § 35 IV m.w. N. 32 Ebenso Maurach / Zipfl 17 Rdn. 33; Samson SK Rdn. 55. 33 Ebenfalls Noll ZStW 77 (1965) l, 14 ff; ders. SchwZStr. 80 (1964) 160, 194; Böth NJW 1967 1493, 1495; siehe auch Jakobs 14/3 f. 34 Gegen die Güterabwägungstheorie auch Lenckner GA 1985 295, 302 f; Weigend ZStW 98 (1986) 44, 46 f.

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trotz Identität des beeinträchtigten Rechtsguts im einen Fall eine Einwilligungsbefugnis gegeben, im anderen dagegen zu verneinen ist. So handelt es sich beim Rechtsgut der §§ 223 ff um ein „Universalrechtsgut“, bei dessen Schutz sowohl Interessen des einzelnen als auch Interessen der Allgemeinheit in Rede stehen. Ob eine Einwilligungsbefugnis vorliegt, hängt hier davon ab, daß das Gewicht des Rechtsgutsangriffs nicht bereits die in § 226a erwähnte Grenze erreicht, von der an das an der Wahrung des Rechtsguts bestehende Allgemeininteresse dominiert. Das zeigt sich auch bei der Einwilligung in eine zum Tode führende lebensgefährliche Handlung (§ 222). Während die Einwilligung bezüglich des Verbots der vorsätzlichen Tötung stets unzulässig bleibt, ist sie bezüglich des Fahrlässigkeitsverbots nicht völlig ausgeschlossen (vgl. Rdn. 94, 95). Im übrigen läßt sich aus der Notwendigkeit, den Gesichtspunkt der konkreten Entscheidungsfreiheit zu berücksichtigen, nicht folgern, daß die Einwilligung bereits als Einschränkung des einzelnen Rechtsguts zu begreifen sei, wie dies aber von Vertretern der abzulehnenden Einheitslösung (Rdn. 95) der Einwilligungsfälle vertreten wird 35. Denn es geht hier um eine Kollision zwischen den bei der Aufstellung der Rechtsnormen generell getroffenen Wertentscheidungen und einer nur ausnahmsweise abweichenden subjektiven Bewertung im Einzelfall, weshalb die Einwilligung auch keinen Fremdkörper im System der Rechtfertigungsgründe darstellt 36. Jener Auffassung liegt eine Mißdeutung des Rechtsgutsbegriffs zugrunde (näher Rdn. 98 und Hirsch Welzel-Festschr. S. 775, 782 ff; kritisch ebenfalls Amelung Einwilligung S. 26 f; Jescheck § 34 I 3 m.w. Nachw.). Wenn demgegenüber Weigend (ZStW 98 [1986] 44, 61) anmerkt, der Gesellschaft sei es gleichgültig, ob eine bestimmte Person einen Bestand etwa an Vermögen habe oder nicht, so daß dieser nicht als Schutzgut angesehen werden könne, hingegen jedoch als unabdingbare Voraussetzung des Zusammenlebens in Freiheit der Entschluß zu bestimmten Vermögensdispositionen strafrechtlich zu schützen sei, insbesondere auch, ohne Besitz zu leben (aaO S. 59), so ist einzuwenden: Wie erklärt es sich dann, daß zwar Diebstahl, aber nicht aufgedrängte Geschenke, vermögensmindernde Täuschung (Betrug), aber nicht vermögensmehrende, unter Strafe stehen? Im Sinne des von Weigend vorgebrachten Verständnisses wäre die Dispositionsfreiheit des Betroffenen und damit das Rechtsgut verletzt. Hier zeigt sich, daß diese Rechtsgutsdeutung an der sozialen Wirklichkeit vorbeigeht. Der einschlägige Rechtsgüterschutz betrifft den Schutz des einzelnen gegenüber deliktischen Eingriffen in den individuellen Eigentums- und Vermögensbestand, und dieser Schutz vor deliktisch bewirkten Einbußen gehört zu den zentralen Gemeinschaftsaufgaben. Weiterhin ist der Kritik an der Rechtsschutzverzichtstheorie entgegen zu halten: Es bedeutet eine Verkürzung des Gedankens des Rechtsschutzverzichts, wenn man ihm unterstellt, er beziehe sich lediglich auf die strafrechtliche Sanktion 35 36

So von den in Rdn. 104 hierzu genannten Autoren. Dies meint jedoch zu Unrecht Roxin I § 13 Rdn. 20.

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(so jedoch Stratenwerth Rdn. 362 f). Es geht beim Rechtsschutzverzicht in der Einwilligungslehre nicht um den Verzicht auf die Rechtsfolgen der Tat, sondern um den Verzicht auf den konkreten Schutz durch die Norm und damit um etwas, was durchaus die Tat selbst, nämlich ihre Rechtswidrigkeit betrifft. Die Basis bildet also eine normbezogene materielle Rechtsschutzverzichtstheorie, die genauer als Normschutzverzichtstheorie zu bezeichnen ist, und aus ihr folgt die Unterscheidung der rechtfertigenden Einwilligung von dem schon tatbestandsausschließenden Einverständnis (Rdn. 95 ff). [106] dd) Gegenstand der Einwilligungserklärung kann eine tatbestandsmäßig vorsätzliche, aber auch fahrlässige Handlung sein (BGH MDR 1959 856; BayObLG NJW 1968 665; OLG Frankfurt MDR 1970 694) 37. Bei der vorsätzlichen Verletzungshandlung ist Gegenstand die vorsätzliche Erfolgsherbeiführung, also weder allein der Tätigkeitsakt noch allein der Erfolgseintritt (Jescheck § 34 IV 3; Roxin I § 13 Rdn. 49) 38. Abw. wollen jedoch Maurach / Zipf § 17 Rdn. 53 ff, 56 mit einem Teil der älteren Literatur die Einwilligung allein auf den Erfolg beziehen 39, wobei unberücksichtigt bleibt, daß die Tatbestände Verstöße gegen Verhaltensnormen umschreiben und sich demgemäß die rechtfertigende Einwilligung mit der Zulässigkeit einer den Tatbestand erfüllenden Handlung befaßt. [107] Zur Rechtfertigung eines fahrlässigen Delikts genügt die Einwilligung in die sorgfaltswidrige (willentliche) Handlung, z. B. das zu schnelle Fahren. Der durch diese unwillentlich verursachte Erfolg braucht vom Einwilligenden nicht gewollt zu sein. Systematisch ergibt sich das aus dem Wesen der Einwilligung als eines Dispenses von der Befolgung des hinter dem verwirklichten Tatbestand stehenden Verbots. Dieses richtet sich bei der Fahrlässigkeit allein auf die sorgfaltswidrige Handlung; denn verbieten läßt sich nicht die ungewollte Erfolgsverursachung, sondern nur das hinsichtlich eines möglichen Erfolgseintritts sorgfaltswidrige Verhalten (näher LK 10 § 230 Rdn. 5). Der Erfolg ist beim fahrlässigen Delikt eine Auswirkung des Handlungsunrechts, nicht aber ein Teil desselben (näher Hirsch ZStW 94 [1982] 239, 251 ff m.w. Nachw.). Hinzu kommt die Überlegung, daß derjenige, der in ein gefährliches Verhalten einwilligt, damit das Risiko einer Verletzung bewußt übernimmt. Der Eintritt des Erfolges stellt lediglich die Realisierung des bewußt eingegangenen Risikos dar, so daß es für die Einwilligungsfrage unerheblich ist, wenn der Einwilligende darauf vertraut oder gehofft hat, daß es tatsächlich nicht zum Erfolgseintritt kommen werde (vgl. dazu die in Rdn. 106 genannte Rspr.). Diejenigen, die demgegenüber bei der fahrlässigen Tat eine direkte Einwilligung in den Erfolgseintritt verlangen, kommen im 37 Ebenso KG JR 1954 428; OLG Schleswig SchlHA 1959 154; OLG Celle NJW 1964 736; MDR 1969 69; OLG Zweibrücken VRS 30 (1964) 284. 38 So schon Traeger GerS 94 (1927) 112, 141; Schlosky DStR 1943 19, 20; Geppert ZStW 83 (l971) 947, 975 f. 39 Auch Zipf Einwilligung und Risikoübernahme S. 22.

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Ergebnis zu einer faktischen Verneinung der Einwilligungsmöglichkeit, weil der Erfolg der fahrlässigen Tat regelmäßig nicht vom Opfer gewollt wird 40. Näher zu diesen Fragen Schaffstein Welzel-Festschr. S. 557, 563 ff. Beispiele zu den praktisch bedeutsamen Fällen der Einwilligung des Mitfahrers in Risikofahrten siehe LK 10 § 226a Rdn. 13 41. – Bezieht sich die Einwilligung auf ein Verhalten, hinsichtlich dessen der Einwilligende erkennbar auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut, also nur auf eine fahrlässige Tat, verwirklicht der Täter den Erfolg aber (bedingt oder direkt) vorsätzlich, so fehlt es an einer rechtfertigenden Einwilligung für die konkrete Tat 42.

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So konsequent Haefliger SchwZStr. 67 (1951) 92, 100 f; Eb. Schmidt JZ 1954 369, 372; Kohlhaas DAR 1960 348 f; Göbel Einwilligung S. 25 ff; siehe auch Frisch Fahrlässigkeitsdelikt S. 21 ff. Nach Roxin I § 24 Rdn. 101, § 11 Rdn. 98 ff soll es bei diesen Fällen nicht um Fragen der Einwilligung, sondern der Zurechnung zum objektiven Tatbestand unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm gehen. Da er hierzu die Risikoübernahme genügen läßt, ist auch für ihn das Einverstandensein mit der riskanten Handlung ausreichend. Im übrigen bedeutet Risikoübernahme hier nichts anderes als fehlerfreie Einwilligung, so daß es sich der Sache nach auch für Roxin um ein Einwilligungsproblem handelt. 41 Daß er dieses schon dem (objektiven) Tatbestand zuordnen will, obwohl es um eine Einwilligung in ein gegen die Fahrlässigkeitsnorm verstoßendes Verhalten geht, hängt mit seinem Bestreben zusammen, die rechtfertigende Einwilligung bereits der Tatbestandsebene zuzuordnen (kritisch dazu Rdn. 98 f und 105). Zur Risikoeinwilligung beim Doping: Linck MedR 1993 55, 58 ff; ders. NJW 1987 2545, 2548 ff; A. Müller Doping im Sport als strafbare Gesundheitsbeschädigung 1993, S. 87 ff und passim; Turner NJW 1991 2943, 2945. 42 Worauf auch Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 34 hinweisen.

Rechtfertigender defensiver Notstand * 1994 [72] cc) Zugunsten des vom Notstandstäter geschützten Rechtsguts kann dagegen vor allem ins Gewicht fallen, daß die betreffende Gefahr von dem durch die Notstandshandlung beeinträchtigten Gut ausging (Fälle des defensiven Notstands). Dies gilt bei Gefahren, die von Sachen drohen, kraft ausdrücklicher Regelung in § 228 BGB, der lex specialis gegenüber § 34 ist (vgl. Rdn. 82, 87). Über den Anwendungsbereich des § 228 BGB hinaus ist der in ihm enthaltene Rechtsgedanke aber auch bei der Interessenabwägung des § 34 heranzuziehen, wenn sich die Notstandshandlung gegen eine Person richtet, die Verursacher der Gefahr ist (vgl. Hirsch Negative Tatbestandsmerkmale [1960] S. 331 Fußn. 189; Dreher-Festschr. S. 211, 225 ff; JR 1980 116 f; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 30; Jescheck § 33 IV 3 c; Roxin Jescheck-Festschr. S. 457 ff; Samson SK Rdn. 16, § 32 Rdn. 15). 1 Defensiver Notstand gegenüber Personen kommt in Betracht: [73] (I) In den Fällen, in denen überhaupt keine Handlung vorliegt und die Person einen bloßen Kausalfaktor für die drohende Rechtsgutsverletzung darstellt (z. B. bei Zuckungen eines Menschen, der in einem epileptischen Krampfanfall um sich schlägt, oder wenn jemand in Richtung auf eine fremde Sache gestoßen wird und diese dadurch zerstört zu werden droht). Hier paßt nicht das auf ein pflichtwidriges Angriffsverhalten zugeschnittene Notwehrrecht mit seiner sich daraus ergebenden weitreichenden Verteidigungsbefugnis, sondern es ist, weil es wie bei § 228 BGB um bloße Verursachung geht, Defensivnotstand mit seiner in dieser Vorschrift zum Ausdruck gelangten Abwägungsregelung sachentsprechend. 2 (2) Weiter zu nennen sind die Fälle der Dauergefahr, in denen Notwehr * Auszug aus Kommentierung in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1994, § 34 Rn. 72 – 75. 1 Ebenso Blei I § 44 IV 2; Felber Rechtswidrigkeit in Notwehrbestimmungen (1979) S. 174; Jakobs 13/46; Küper Grundfragen S. 66, 69 ff; O. Lampe NJW 1968 88, 91; Schmidhäuser StudB 6/4; Schroeder JuS 1980 336, 340; Wessels AT § 8 IV 3 b; im Ergebnis auch Stratenwerth Rdn. 461; siehe außerdem BGHSt. 13 197. Anders Hruschka Dreher-Festschr. S. 189, 203; NJW 1980 21, 22 und D. Ludwig Angriff und Gefahr S. 155 ff (die den Defensivnotstand als „außergesetzlichen“ Rechtfertigungsgrund ansehen) sowie Maurach / Zipf § 27 III 5b (für die sich der defensive Notstand in den Fällen des § 228 BGB erschöpft). 2 Ebenso Roxin Jescheck-Festschr. S. 457, 468 ff.

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mangels gegenwärtigen Angriffs ausscheidet. So ist unter dem Gesichtspunkt des Defensivnotstands etwa gerechtfertigt eine durch Schußwaffengebrauch begangene Körperverletzung, um einen flüchtenden „Spanner“, der eine Familie durch wiederholtes nächtliches Eindringen in die Wohnung terrorisiert, dingfest zu machen und so eine unerträglich gewordene Dauergefahr abzuwenden (Hirsch JR 1980 115 ff; Hruschka NJW 1980 21 ff; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 31; Schroeder JuS 1980 336 ff; weitere Nachw. oben Rdn. 37; offengelassen dagegen in BGH NJW 1979 2053, wo der Freispruch unzutreffend auf § 35 gestützt wird). (3) Defensivnotstand ist auch möglich, wenn es um die Abwehr eines gegenwärtigen, aber nicht rechtswidrigen Angriffs geht: (a) Soweit es sich dabei um Fälle handelt, in denen die Rechtswidrigkeit des Angriffs infolge Rechtfertigung fehlt, ist die nach § 34 vorzunehmende Interessenabwägung bereits von Gesetzes wegen zu Lasten des angegriffenen Rechtsguts entschieden, so daß dessen Inhaber insoweit eine besondere Duldungspflicht auferlegt ist, die einen zulässigen Defensivnotstand ausschließt. (b) Defensivnotstand kommt dagegen dort in Betracht, wo die Rechtswidrigkeit des Angriffs deshalb entfällt, weil der Täter nicht zumindest sorgfaltswidrig gegenüber dem betreffenden Rechtsgut gehandelt hat (Hirsch Dreher-Festschr. S. 211, 222 ff; Felber Rechtswidrigkeit in Notwehrbestimmungen (1979) S. 174 ff; Roxin ZStW 93 [1981] 68, 84; Jescheck-Festschr. S. 457, 471 ff; Sch / Schröder / Lenckner § 32 Rdn. 19 ff). 3 So liegt es etwa in dem Fall, daß vom Verhalten eines Kraftfahrers trotz Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine gegenwärtige konkrete Gefahr für ein anderes Rechtsgut ausgeht (weitere Beispiele bei Hirsch Dreher-Festschr. S. 213, 225, 226 Fußn. 51). Die abweichende, am Erfolgsunwert orientierte Auffassung, die solche Fälle der Notwehr zuordnet (Baumann / Weber § 21 II I a; Bockelmann / Volk § 15 B I I d; Jescheck § 32 II I c; Spendel LK § 32, Rdn. 54 ff), ist unvereinbar mit dem am Verhaltensunrecht ausgerichteten Rechtsgedanken der Notwehr und der daraus resultierenden Gestattung grundsätzlich jeder erforderlichen Verteidigung. Außerdem wäre nach dieser Ansicht die Regelung des § 228 BGB nicht erklärbar, die sich gerade auf die Einsicht stützt, daß gegenüber Bedrohungen, die nicht auf einem menschlichen Verhaltensunrecht beruhen, das schneidige Notwehrrecht nicht paßt (näher zum ganzen Hirsch und Felber aaO). (4) Fälle des Defensivnotstands sind auch solche, in denen die drohende Gefahr von einem Verhalten der betroffenen Person selbst ausgeht. So ist die gewaltsame Hinderung einer Selbsttötung durch § 34 gerechtfertigt. Unabhängig davon, ob oder inwieweit man hier sogar schon eine Pflicht zum Einschreiten aus § 323c bejaht (vgl. die Rspr.-Nachw. bei Dreher / Tröndle § 323c Rdn. 3), ist jedenfalls ein Recht auf Selbstmord nicht anerkannt (vgl. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz GG Art. 2 II Rdn. 12; Gallas JZ 1960 686 ff; Roellecke in Eser:

3 Ebenso Lackner § 32 Rdn. 5 f; Samson SK § 32 Rdn. 15; Schumann JuS 1979 559, 560; Stratenwerth Rdn. 425; siehe auch Jakobs 12 / J 8; für das Zivilrecht vgl. Münzberg Verhalten und Erfolg, (1966) S. 359, 371.

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Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem [1976] S. 336 ff; J. Wagner Selbstmord und Selbstmordverhinderung [1975] S. 84 ff m.w. Nachw.; anders Bottke Suizid und Strafrecht [1982] S. 32 ff). Da die Gefahr von der zu schützenden Person selbst ausgeht, kommt auch dem Autonomiegesichtspunkt für die Rechtfertigungsfrage keine Bedeutung zu. Die gegenteilige Auffassung würde zu unhaltbaren rechtlichen und sozialen Konsequenzen führen und überdies in Widerspruch zu anerkannten polizeirechtlichen Grundsätzen stehen, nach denen hier sogar eine polizeiliche Pflicht zum Eingreifen gegeben ist. Um die Abwehr einer Selbstgefährdung geht es auch in BGHSt. 13 197, wo angenommen wird, daß eine „im Rahmen der Familienpflege“ notwendig werdende zeitweilige Einschließung eines Geisteskranken, der sonst in Gefahr gewesen wäre, sich selbst zu schädigen, ohne Anrufung des Gerichts zulässig sein kann. Indes ist das nur für den bis zum Ergehen einer Entscheidung des Vormundschaftsgerichts oder des „Verwahrungsrichters“ unumgänglichen Zeitraum anzuerkennen. [74] Entsprechend dem in § 228 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken ist beim Defensivnotstand genügend, daß der durch den Eingriff angerichtete Schaden nicht außer Verhältnis zu der drohenden Gefahr steht (Hirsch Dreher- Festschr. S. 211, 225 f). Dies führt dazu, daß auch erhebliche Eingriffe in Personwerte nicht von vornherein ausscheiden. Äußerstenfalls kann hier eine Tötungshandlung gerechtfertigt sein (Hirsch aaO S. 228 f; BockelmannFestschr. S. 89, 108; Jakobs 13/46; Samson SK Rdn. 16; Schmidhäuser StudB 6/41; anders Maurach / Zipf § 27 III 5 b; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 30). 4 Andererseits gelten in Fällen, in denen die Gefahr von einem Verhalten der bedrohten Person selbst ausgeht, die oben Rdn. 62 ff aufgezeigten Abwägungsgesichtspunkte; die Einordnung als defensiver Notstand hat hier nur die Auswirkung, daß im Unterschied zum aggressiven Notstand der Autonomiegesichtspunkt (Rdn. 68) zurücktritt. Ein Beispiel für eine im Verteidigungsnotstand ausnahmsweise zulässige Tötung bildet die Perforation, bei der es darum geht, daß ein in der Geburt befindliches Kind vorsätzlich getötet wird, um die Mutter aus der nicht anders abwendbaren Gefahr des Todes zu retten. Hier kollidieren zwar Leben der Mutter und Leben des Kindes, aber es ist zu berücksichtigen, daß die Gefahr von dem Kind ausgeht und die im Strafrecht erfolgte Vorverlegung des Anfangs des Menschseins eine Lücke zwischen zulässiger Schwangerschaftsunterbrechung einerseits und Notwehr andererseits entstehen läßt, die durch den rechtfertigenden Notstand zu schließen ist. Wenn die Tötung medizinisch indiziert ist und eine Einwilligung (notfalls mutmaßliche) der Mutter vorliegt, ist deshalb rechtfertigender Notstand zu bejahen (BTDrucks. 7/1981 S. 13). Ebenfalls darf ein gegenwärtiger, das Leben bedrohender Angriff, der trotz Sorgfaltsgemäßheit des Handelns (z. B. verkehrs-

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Wie hier auch Küper Pflichtenkollision S. 74 f; dagegen abw. ebenfalls Felber Rechtswidrigkeit in Notwehrbestimmungen (1979) S. 175.

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richtigen Verhaltens im Straßenverkehr) von einem Menschen ausgeht (Rdn. 73), erforderlichenfalls durch eine vorsätzliche Tötungshandlung abgewehrt werden. Rechtfertigung einer vorsätzlichen Tötung kommt aber auch in Fällen wie dem bekannten Bergsteigerbeispiel (bei einer Bergbesteigung droht ein abgestürzter, im Seil hängender Teilnehmer andere mitzureißen, wenn das Seil nicht sofort gekappt wird) in Betracht (Eb. Schmidt SJZ 1949 559, 565; Otto Pflichtenkollision S. 107 ff; Hirsch Bockelmann-Festschr. S. 89,108; Roxin Oehler-Festschr. S. 181, 194). Das stößt jedoch bei der überwiegenden Meinung, die zumeist Entschuldigung annimmt, auf Ablehnung (Gallas Mezger-Festschr. S. 311, 327; Jakobs 13/23; Sch / Schröder / Lenckner Rdn. 24; Maurach / Zipf§ 27 III 5 b; Schmidhäuser AT 9/72). 5 Dabei wird vernachlässigt, daß die Notstandshandlung im Hinblick darauf, daß die Gefahr für alle Beteiligten gerade von der mißlichen Lage des gestürzten Bergsteigers ausgeht, in vielem die Züge eines defensiven Notstands trägt (Hirsch Bockelmann-Festschr. S. 89, 108). Würde die Rechtsordnung in dieser Situation verlangen, daß jede Rettung unterbleibt und der Tod auf der ganzen Linie siegt, so würde die Lebensschutzfunktion des Tötungsverbots in ihr Gegenteil verkehrt (insoweit wie hier Küper Pflichtenkollision S. 54). Der unter allen Umständen zu Tode kommende Bergsteiger hätte dann ein Recht darauf, daß die anderen gemeinsam mit ihm in den Tod gehen. Eine ähnlich gelagerte Problematik findet sich bei dem nach seerechtlichem Gewohnheitsrecht gerechtfertigten Fall, daß die Schotten des infolge eines Wassereinbruchs sonst sinkenden Schiffes geschlossen werden, auch wenn dies den Tod von Menschen zur Folge hat. 6 Hier geht die Gefahr von dem Teil des Schiffes aus, in dem sich die nach dem Abschotten ertrinkenden Personen befinden. Sie sind in die das gesamte Schiff bedrohende Gefahrenquelle räumlich einbezogen und wären bei einem Unterbleiben des Schließens der Schotten ebenfalls verloren gewesen. [75] Auch bei indirekter aktiver Sterbehilfe, d. h. in den Fällen, in denen das Risiko der Lebensverkürzung nur unbeabsichtigte Nebenfolge einer schmerzlindernden Behandlung ist, kommt rechtfertigender Notstand in Betracht (h. L., vgl. die Nachw. Bei Jähnke LK Vor § 211 Rdn. 15). 7 Hier ist das Interesse des damit einverstandenen Sterbenden an der Linderung seiner unerträglichen Qualen als vorrangig anzusehen gegenüber dem Interesse an der Vermeidung der eventuellen Nebenwirkung einer Beschleunigung des nahen Todeseintritts (Hirsch Welzel-Festschr. S. 775, 795 m. Fußn. 66). Daß in solchen Fällen die gerechtfer-

5 Ebenfalls Küper Grundfragen S. 47 f, 57 ff; Lenckner Notstand S. 27 ff; Samson SK Rdn. 20; Wessels AT § 8 IV 3 b. 6 Vgl. H.Mayer AT § 27 III 1; Hirsch Bockelmann-Festschr. S. 89, 109 f; anders Jescheck § 33 IV 3 a. 7 Dieser will allerdings nicht überzeugend schon die Tatbestandsmäßigkeit verneinen; kritisch hierzu Dölling MedR 1987 6, 7; Schreiber NStZ 1986 337, 338 f. Zum Ganzen Hirsch Lackner-Festschr. S. 597, 608 f.

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tigte Notstandshandlung in einer vorsätzlichen Lebensgefährdung bestehen darf, erklärt sich damit, daß es hier nicht um einen Eingriff in Rechtsgüter Dritter geht, sondern allein die Besserstellung des Moribunden in Frage steht. 8 Zur Lösung der sonstigen Fälle einverständlicher echter Sterbehilfe siehe LK Vor § 32 Rdn. 216.

8

Siehe dazu auch Rdn. 59.

Defensiver Notstand gegenüber ohnehin Verlorenen 2007 I. Wilfried Küper, dem dieser Beitrag mit den besten Wünschen zum 70. Geburtstag gewidmet ist, hat sich wiederholt mit Fragen des Notstands befaßt. Aus jüngerer Zeit ist sein in der Juristenzeitung (2005, 105) erschienener tiefschürfender Rezensionsaufsatz „Von Kant zu Hegel. Das Legitimationsproblem des rechtfertigenden Notstandes und die freiheitsphilosophischen Notrechtslehren“ besonders hervorzuheben. Das spezielle wissenschaftliche Interesse an Notstandsfragen berührt sich eng mit parallelen Interessen des Verfassers, der von der 9. bis zur 11. Aufl. im Leipziger Kommentar die Notstandsvorschriften kommentiert hat. Es liegt daher nahe, im nachfolgenden Beitrag den Blick auf eine aktuelle Problematik aus diesem Bereich zu richten. II. 1. Die Geschehnisse am 11. September 2001 in den USA haben die Gefahr in den Blick gerückt, daß terroristische Anschläge unter Verwendung von gekaperten Zivilflugzeugen als Angriffsmittel auch in Deutschland erfolgen. Der Bundesgesetzgeber hat deshalb bekanntlich im Jahre 2005 ein Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) erlassen. 1 Er sah sich dabei noch bestärkt durch einen Vorfall, der sich Anfang 2004 über Frankfurt a. M. ereignet hat. Mit einem auf einem Sportflugplatz gekaperten Sportflugzeug kreiste ein bewaffneter geistesgestörter Mann über dem Bankenviertel und drohte, das Flugzeug in das Hochhaus der Europäischen Zentralbank zu stürzen, wenn ihm nicht ein Telefonat in die USA ermöglicht werde. Da sich seine Forderung erfüllen ließ, machte der Täter seine Drohung glücklicherweise nicht wahr. 2 In § 1 LuftSiG heißt es, das Gesetz solle dem Schutz von Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs dienen, insbesondere vor Flugzeugentführungen, Sa1 2

Gesetz vom 11. 1. 2005 (BGBI I 2005, 78). Vgl. die Angaben in BVerfG, NJW 2006, 751.

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botageakten und terroristischen Anschlägen. Materiellrechtlich im Mittelpunkt steht § 14 Abs. 3 und 4 LuftSiG, welcher die im folgenden zu erörternden Notstandsprobleme aufwirft. Nach dieser Regelung sollen militärische Streitkräfte auf eine entsprechende Anordnung des Bundesministers der Verteidigung oder des zu seiner Vertretung berechtigten Mitglieds der Bundesregierung hin die Befugnis zur unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt haben, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, daß das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht diese gesetzliche Ermächtigung für verfassungswidrig erklärt. 3 Abgesehen davon, daß es dem Bund nicht erlaubt sei, die Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen, sei – und damit sind die in diesem Aufsatz behandelten Rechtsfragen berührt – die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. 2. Auch wenn sich die aktuelle Diskussion nur mit Fällen befaßt, bei denen das Luftfahrzeug als Tatmittel gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, darf man nicht übersehen, daß diese Fälle lediglich einen Ausschnitt aus einem erheblich größeren Kreis einschlägiger Sachverhalte bilden. Schon im Bereich des Luftverkehrs sind von nicht geringerer praktischer Bedeutung diejenigen Sachverhalte, in denen es nicht darum geht, daß das Flugzeug als Angriffsmittel benutzt werden soll, sich aber wegen ähnlicher Gefahrenlage die Frage der Zulässigkeit des Abschusses ebenfalls stellt. Aus neuerer Zeit sind ein Fall aus Griechenland (2005) und einer aus Japan (1985) zu nennen. Bei ersterem ging es um eine zyprische Passagiermaschine auf dem Fluge von Larnaka nach Athen. Man vermutet, daß der den Luftdruck regulierende Schalter falsch eingestellt war und wegen Sauerstoffmangels daher bald nach dem Start Besatzung und Passagiere bewußtlos wurden. Im Autopilot war als Ziel der Flughafen Athen einprogrammiert. Als der Funkverkehr abbrach, stellten zwei auf Sichtweite heranfliegende griechische Kampfjets fest, daß das Flugzeug führerlos flog. Der vom Verteidigungsminister verständigte griechische Ministerpräsident hielt sich bereit, für den Fall, daß es auf das Stadtgebiet zu stürzen drohte, den Befehl zum Abschuß zu geben. Dazu kam es deshalb nicht, weil die Maschine bis zum Verbrauch des Treibstoffvorrats in der Nähe des außerhalb gelegenen Athener Flughafens kreiste und dann an einem Berghang zerschellte. 4 3

BVerfG, NJW 2006, 751 vom 15. 2. 2006.

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Teilweise ähnlich verlief der japanische Fall: Kurz nach dem Start in Tokio zu einem Flug nach Osaka ereignete sich in einer japanischen Passagiermaschine ein explosionsartiger Ermüdungsbruch im hinteren Druckschott, der zum Ausfall des gesamten Hydrauliksystems und sämtlicher Instrumente der Piloten führte. Manövrierunfähig hielt sich der Jumbo-Jet noch 30 Minuten in der Luft. Beim Absturz befand sich die Maschine glücklicherweise über unbewohntem Gebiet und flog gegen einen Berg. Wäre sie über einer der japanischen Megastädte abgestürzt, hätte man dort immense Menschenverluste zu beklagen gehabt. 5 Diese Fälle zeigen, daß es auch im Alltag des Flugbetriebs zu den zur Erörterung stehenden Krisensituationen kommen kann. Man hätte daher eigentlich vom Gesetzgeber erwarten können, daß er in das „Luftsicherheits“ -Gesetz den Gesamtbereich der im Zusammenhang mit Luftfahrzeugen in Betracht kommenden Fälle einbezog. Daß dagegen das Bundesverfassungsgericht den Blick nur auf die vom LuftSiG erfaßten Sachverhalte gerichtet hat, ist prozeßrechtlich naheliegend, da nur über dieses Gesetz zu entscheiden war. Andererseits wäre bei den rechtlichen Erwägungen ein Blick über den „Tellerrand“ des LuftSiG sicherlich von Nutzen gewesen. Die Notstandsproblematik, um die es geht, ist darüber hinaus nicht einmal auf den Bereich des Luftverkehrs beschränkt und außerdem nicht neu. Das bekannteste Beispiel bildet der Fall „Schotten dicht“. Bei ihm geht es darum, daß ein drohender Schiffsuntergang, der den wahrscheinlichen Tod aller bedeuten würde, nur dadurch abgewendet werden kann, daß die Schotten des beschädigten Teils des Schiffes sofort geschlossen werden. Der Kapitän ist sich dabei darüber klar, daß die eingeschlossenen Personen ertrinken werden. Im strafrechtlichen Schrifttum wird darauf hingewiesen, „daß es im Seerecht altherkömmliche Rechtsgewohnheit ist, die Rettung eines Teiles mit dem Tod des Restes zu erkaufen ... Es darf durch Abschottung eines Schiffsteils die Rettung der in anderen Schiffsteilen befindlichen Personen gesichert werden“. 6 Solche Fälle sind auch immer wieder vorgekommen. Aus dem Zweiten Weltkrieg ist ein Fall bekannt geworden, bei dem es darum ging, daß ein deutsches Transportschiff im Schwarzen Meer von einem sowjetischen U-Boot torpediert wurde und der Untergang nur durch sofortige Abschottung eines Schiffsteils und der damit verbundenen Opferung von zahlreichen Menschenleben verhindert werden konnte. Es bedarf keines Hinweises, daß sich Schiffskatastrophen ebenfalls in Friedenszeiten ereignen können. Die zur Erörterung stehende Notstandsproblematik taucht auch außerhalb von Katastrophenfällen auf. Man denke an den im strafrechtlichen Schrifttum seit 4 Vgl. die Berichte in „Stern“ vom 29. 12. 2005 und Wikipedia (Helios Airways Flug 522). 5 Vgl. www.flugzeug-absturz.de; Herrn Prof. Dr. Makoto Ida, Keio Universität Tokio, danke ich für die näheren Angaben. 6 H. Mayer, Strafrecht AT, 1953, S. 179.

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Jahrzehnten diskutierten „Bergsteiger-Fall“, d. h. den Fall, daß zwei Bergsteiger an einem Seil hängen, das zu zerreißen droht, weil es nur einen von beiden tragen kann. 7 Während der obere Bergsteiger eine reale Rettungschance hat, ist der untere so oder so verloren. Die Strafrechtswissenschaft hat sich weitergehend intensiv mit benachbarten Fällen – von den Anstaltsfällen der sog. „Euthanasie“-Aktion Hitlers bis zu dem „Weichensteller-Fall“ 8 – und mit den Problembereich berührenden grundsätzlichen Fragen des Defensivnotstands 9 befaßt. Um so mehr verwundert es, daß das Bundesverfassungsgericht den einschlägigen strafrechtlichen Erläuterungen überhaupt keine Beachtung geschenkt hat. 10 Den Höhepunkt erreicht übrigens diese an Informierungsabstinenz grenzende Vorgehensweise in den Ausführungen des Gerichts zur Tötung allein der angreifenden Terroristen. 11 Hier wird nicht einmal gesehen, daß es sich bei der Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs um eine Frage der Notwehr und ihres Unterfalls der Nothilfe handelt, stattdessen versucht, diese klassische Rechtsfigur aus Art. 1 GG wenig präzise neu zu erfinden. III. Bevor man für die genannten Fälle ein allgemeines juristisches Lösungskonzept zu entwickeln versucht, ist es notwendig, sie nach ihren etwaigen Besonderheiten zu ordnen und zu prüfen. Anzuknüpfen ist dabei an die im Deliktsrecht gewonnenen und diskutierten Auffassungen. Soweit es um hoheitliches Handeln geht, wie namentlich in den Flugzeugabschuß-Fällen, können sich Modifizierungen ergeben, weil das Gefahrenabwehr- bzw. Polizeirecht eingreift. Aber die Grundentscheidungen folgen auch für dieses aus den im Deliktsrecht herausgearbeiteten Inhalten 7

Vgl. zu diesem Fall die Nachw. bei LK-Hirsch, StGB, 11. Aufl., Stand: 11/1993, § 34 Rn. 74. 8 Zu den Anstaltsfällen (OGHSt 1, 321; 2, 117) siehe Eb. Schmidt, SJZ 1949, 559 und Welzel, MDR 1949, 373. Zum „Weichensteller-Fall“ siehe WelzeI, ZStW 63 (1951), 47 (51). Nachw. zum seitherigen umfangreichen Schrifttum bei LK-Hirsch, § 34 Rn. 74. 9 Zu diesem näher: O. Lampe, NJW 1968, 88 (91); Hirsch, Die Notwehrvoraussetzung der Rechtswidrigkeit des Angriffs, in: FS Dreher, 1977, S. 211 (214 f., 225 f., 228 ff.); LKHirsch, § 34 Rn. 72 ff.; Roxin, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, in: FS Jescheck, 1985, S. 457 ff.; ders., Strafrecht AT 1, 4 Aufl. 2006, § 16 Rn. 72 ff.; Otto, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998; Pawlik, GA 2003, 12 ff.; Köhler, Die objektive Zurechnung der Gefahr als Voraussetzung der Eingriffsbefugnis im Defensivnotstand, in: FS Schroeder, 2006, S. 257 ff.; jeweils m.w. N. 10 Das nicht zuletzt deshalb, weil im strafrechtlichen Schrifttum auch Argumente, die gegen die Auffassung des BVerfG sprechen, zu finden sind. Siehe dazu die Literaturangaben bei LK-Hirsch, Stand: 4/1994, Vor § 32 Rn. 74. 11 Siehe BVerfG, NJW 2006, 751 (760 [Ziff. 144 f.]).

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und Grenzen der Notrechte. Ferner kann das Verfassungsrecht Konsequenzen für die inländische Rechtslage haben: (a) Im Fall eines zu Angriffszwecken gekaperten Flugzeugs haben wir es mit einer Notwehrlage (Nothilfelage) gegenüber den Entführern zu tun, sei es in bezug auf die Verteidigung des Bodenziels, sei es – praktisch nicht mehr hilfreich – hinsichtlich der Freiheit von Besatzung und Passagieren. Die Rechtsfrage lautet, ob die Verteidigung des Bodenziels es gestattet, die infolge der Kaperung zu Teilen des Angriffsmittels gewordenen Insassen durch den Abschuß der Maschine zu opfern. (b) In dem griechischen und dem japanischen Fall liegt keine rechtswidrige Angriffshandlung von in den Maschinen befindlichen Personen vor, so daß Notwehr hier ganz ausscheidet. Die Frage lautet, ob eine von einem außer Kontrolle geratenen Flugzeug ausgehende konkrete Gefahr für am Boden befindliche Personen durch Abschuß und damit Opferung der Insassen abgewendet werden darf. 12 (c) Im „Schotten-dicht“-Fall geht es ebenfalls von vornherein nicht um die Abwehr einer rechtswidrigen Angriffshandlung, sondern um die Abwehr der konkreten Gefahr für das Schiff und das Leben der übrigen auf ihm befindlichen Personen, die von dem beschädigten Schiffsteil ausgeht, in dem sich die durch das Schottenschließen betroffenen Opfer befinden. (d) Und in dem Beispiel der Bergsteiger besteht die Besonderheit darin, daß der untere schon selbst derjenige ist, von dem die Gefahr für den oberen, noch zu rettenden Bergsteiger ausgeht. (e) Nicht in den zur Erörterung stehenden Problemkreis gehört dagegen der erwähnte Frankfurter Fall. Hier befand sich der die Angriffsabsicht äußernde Pilot allein in dem Flugzeug, und es lag in seiner Entscheidung, ob er die Tat ausführte und sich hierzu in den Tod stürzte oder ob er – wie geschehen – zum Startort zurückkehrte. Es handelt sich um einen Sachverhalt, der nach Notwehr(Nothilfe-)Regeln zu lösen war. Sobald ein gegenwärtiger Angriff vorgelegen hätte, wären die Voraussetzungen des § 32 StGB oder der entsprechenden Ermächtigung des Hessischen Polizeigesetzes 13 erfüllt gewesen. IV. Betrachten wir nunmehr die bei den aufgezeigten einschlägigen Fällen (a-d) auftauchenden Rechtsfragen im einzelnen. 12 Indem die Notwehr einen rechtswidrigen Angriff erfordert, muß ein menschliches Verhalten vorliegen, das als unrechtmäßig zu bewerten ist. Daran fehlt es, wenn ein Mensch eine sonstige Gefahrenquelle (allein oder mit anderen) ist und man daher Notstand mit seinen Abwägungsgesichtspunkten zu prüfen hat. Näher dazu Hirsch (Fn. 9), S. 223 ff., und S / S-Lenckner / Perron, StGB, 27. Aufl. 2006, § 32 Rn. 19/20, § 34 Rn. 30; m.w. N. 13 §§ 60 Abs. 2, 61 Abs. 1 Nr. 1 hess. SOG i. d. F. von 2005.

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1. a) Hinsichtlich der Fälle, bei denen wie in den US-amerikanischen ein gekapertes Flugzeug als Angriffswaffe dienen soll, erhebt sich zunächst die Frage: Begründet die gegenüber den Tätern bestehende Notwehr-(Nothilfe-)Befugnis etwa auch eine auf Notwehr gestützte Befugnis zur Opferung der zwangsläufig zu Teilen der Angriffswaffe gewordenen Passagiere und Besatzung? Es handelt sich juristisch um eine aus der Notwehrlehre geläufige Problematik. Es geht darum, daß jemand ohne Einwilligung das Rechtsgut eines Dritten, sei es eine fremde Sache, sei es die Person des Dritten (z. B. zum Schutzschild oder Kugelfang), als Tatmittel benutzt. Auch wenn die Vernichtung oder Beschädigung dieses Rechtsguts zur Verteidigung erforderlich ist, scheidet Notwehr als Rechtsgrundlage ihm gegenüber aus. 14 Denn die Rechtsordnung hat zu berücksichtigen, daß die weitreichende, grundsätzlich jede erforderliche Verteidigung zulassende Notwehrregelung nur gegenüber den Rechtsgütern des handelnden Angreifers selbst zu legitimieren ist. Hinsichtlich der ohne Zustimmung ihrer Inhaber benutzten Rechtsgüter Dritter sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Daher kommt in bezug auf sie nicht Notwehr, sondern defensiver Notstand mit seinen Abwägungen und den daraus resultierenden Folgerungen für die Einstufung als Rechtfertigung oder Entschuldigung in Betracht. 15 Was für die direkte Benutzung als Tatmittel gilt, hat erst recht zu gelten für Fälle, in denen die Verletzung fremder Rechtsgüter – hier des Lebens von Passagieren und Besatzung – einen zwangsläufig mit der Notwehr gegen die Angreifer verbundenen Begleiterfolg darstellt. Bei solchen Sachlagen indirekter Benutzung kommt es dem oder den Tätern nicht unmittelbar auf die Anwesenheit dieser Rechtsgüter bzw. deren Trägern an; im Gegenteil können Passagiere und Besatzung bei der Durchführung des Tatplans von Flugzeugattentätern sehr lästig sein. 16 Andererseits sind sie in der konkreten Situation schicksalhaft zu Teilen des Tatmittels geworden. Daß sie nur indirekt in die Tat involviert sind, macht eine ihnen gegenüber erfolgende Notstandshandlung nicht etwa zu einer aggressiven. Denn es geht um

14 Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl. 1991, 12/28; Lackner / Kühl, StGB, 25. Aufl. 2004, § 32 Rn. 18; LK-Hirsch, Vor § 32 Rn. 66; Renzikowski, Notstand und Notwehr, 1994, S. 299; Roxin, AT I, § 15 Rn. 124 ff.; S / S-Lenckner / Perron § 32 Rn. 31 f.; SK-StGBGünther, Stand: 9/1999, § 32 Rn. 84 a; Tröndle / Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 32 Rn. 15; Wessels / Beulke, Strafrecht AT, 36. Aufl. 2006, Rn. 334; auch st. Rspr., soweit es sich nicht darum handelt, daß der Täter sich zur Durchführung des Angriffs fremder Sachen bedient; vgl. RGSt 58, 27 (29); BGHSt 5, 245 (248); 39, 374 (380 [Person als Schutzschild oder Kugelfang]); differenzierend ebenfalls MK-Erb, StGB, 2003, § 32 Rn. 116 ff.; allgemein für Notwehr jedoch LK-Spendel, Stand: 3/1992, § 32 Rn. 216 (dagegen ausdrücklich BGHSt 39, 374, [380]). 15 Also Differenzierung zwischen Fällen des § 34 StGB (einschl. des Spezialfalles des § 228 BGB) und des § 35 StGB. 16 Man denke an das am 11. 9. 2001 in den USA gekaperte vierte Passagierflugzeug, das infolge des Widerstands von Passagieren vorzeitig abstürzte.

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Verteidigung gegen die Gefahrenquelle, in die sie räumlich untrennbar einbezogen sind. b) Entscheidet sich danach die Frage der Zulässigkeit der mit dem Abschuß verbundenen Tötung der Passagiere und Besatzungsmitglieder nicht nach Notwehrgesichtspunkten, sondern beurteilt sie sich danach, ob die Voraussetzungen des rechtfertigenden Defensivnotstands erfüllt sind, so hat sich der Blick bei den erwähnten reinen Katastrophenfällen schon von vornherein auf die Frage des Vorliegens dieses Rechtfertigungsgrundes zu richten. 2. a) Wenn irgendwo von Notstand die Rede ist, wird in der Regel an den aggressiven Notstand gedacht, d. h. an die Fälle, in denen zur Rettung aus einer nicht anders abwendbaren Gefahr in ein unbeteiligtes Rechtsgut eingegriffen wird. Er steht herkömmlich im Vordergrund der Gesetzesformulierungen (vgl. § 34 und § 35 StGB) und der wissenschaftlichen Betrachtungen. Dementsprechend haben die aufgestellten Grundprinzipien vor allem diese Rechtsfigur vor Augen. Für den aggressiven Notstand ist unmittelbar einleuchtend, daß niemand sein eigenes Leben auf Kosten des Lebens eines unbeteiligten anderen retten darf. Sobald man jedoch den Defensivnotstand in den Blick nimmt, d. h. den Fall, daß die Rettungshandlung sich gegen denjenigen richtet, von dem die nicht anders abwendbare Gefahr ausgeht oder mit ausgeht, sind auch noch andere Aspekte zu berücksichtigen. Die Unterschiede der Abwägung läßt bereits § 228 BGB, die Spezialvorschrift für die Verteidigung gegen gefährliche fremde Sachen, deutlich werden, indem er hinsichtlich des durch die Notstandshandlung verursachten Schadens genügen läßt, daß dieser nicht außer Verhältnis zu der abgewendeten Gefahr steht. Heute bildet die generelle deliktsrechtliche Rechtsgrundlage für den rechtfertigenden Defensivnotstand ebenso wie die für den rechtfertigenden aggressiven Notstand der § 34 StGB. 17 Die Sachunterschiede finden dabei innerhalb der Interessenabwägung in der Weise Berücksichtigung, daß beim Defensivnotstand das Faktum, daß von dem Gut, in das eingegriffen wird, die nicht anders abwendbare Gefahr ausgeht (oder mit ausgeht), erheblich ins Gewicht fällt. Deshalb wird im Schrifttum darauf hingewiesen, daß Defensivnotstand unter bestimmten strengen Voraussetzungen auch vorsätzliche Tötungen rechtfertigen kann. 18 Was den erst entschuldigenden 17 Kühl, Strafrecht AT, 5. Aufl. 2005, § 8 Rn. 134; Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision, 1979, S. 72 f.; LK-Hirsch, § 34 Rn. 72, 82, 87; MK-Erb, § 34 Rn. 9, 145; Roxin (Fn. 9), S. 464 ff.; ders., AT I, Rn. 72 ff.; S / S-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 30; SK-StGB-Günther, Stand: 9/2000, § 34 Rn. 14, 20, 39; h. L. Dazu, daß die teilweise im Schrifttum vertretene Gegenauffassung (vgl. NK-Neumann, StGB, 2. Aufl. 2005, § 34 Rn. 86 m.w. N.) auf einem Mißverständnis des dem § 34 Satz 1 StGB zugrunde liegenden Interessenabwägungsprinzips beruht, siehe S / S-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 30. – § 228 BGB ist gegenüber § 34 StGB lex specialis für Gefahren, die von Tieren und Sachen ausgehen. 18 Hirsch (Fn. 9), S. 228 f.; LK-Hirsch, § 34 Rn. 73 ff.; Roxin (Fn. 9), S. 470 ff.; ders., AT I, § 16 Rn. 78 ff.; Küper (Fn. 17), S. 74 ff.; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT,

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Defensivnotstand betrifft, so ist dieser ein Unterfall des § 35 StGB und spielt darüber hinaus im Rahmen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands eine Rolle – einem Entschuldigungsgrund, mit dem sich zwar hier bei Annahme der Rechtswidrigkeit die Straflosigkeit begründen ließe, dessen Vorhandensein aber nicht dazu legitimiert, die für die Rechtsordnung entscheidende und auch für das zwischen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen differenzierende Strafrecht wichtige Frage der Zulässigkeit etwa für dieses Rechtsgebiet offen zu lassen. 19 b) Daß in den zur Erörterung stehenden Fällen ein mit der Tötung von Passagieren und Besatzung verbundener Abschuß unzulässig wäre, entspricht wohl noch der bisher in der Notstandsdoktrin vorherrschenden Ansicht. 20 Die Rechtmäßigkeit der Rettung des Lebens der am Boden befindlichen potentiellen Opfer um den Preis, daß die unrettbar verlorenen Passagiere und Besatzungsmitglieder bereits durch den Abschuß zu Tode kommen, würde gegen die Schutzpflicht der 11. Aufl. 2003, § 17 Rn. 78; MK-Erb, § 34 Rn. 156; SK-StGB-Günther, § 34 Rn. 43; Renzikowski (Fn. 14), S. 246 f.; Gropp, GA 2006, 284 ff.; siehe auch Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, 5. Aufl. 1996, § 33 IV. 5. Anders – freilich mit Anerkennung von „Sonderfällen“ – S / S-Lenckner / Perron § 34 Rn. 30 unter Bezugnahme auf BGHSt 48, 256 (257); siehe demgegenüber aber die bei Roxin (Fn. 9), S. 470 ff. angeführten zwingenden Argumente. 19 Das meint aber offenbar der 1. Senat des BVerfG, wenn er eine Berücksichtigung der im Strafrecht geführten Diskussion (und damit der dort zum Teil von seiner Auffassung abweichenden Ansichten) für entbehrlich erklärt; siehe BVerfG, NJW 2006, 751 (759 [Ziff. 130]). 20 Vgl. in der zu § 14 Abs. 3 LuftSiG geführten aktuellen Diskussion: Mitsch, JR 2005, 274 (277); ders., GA 2006, 11 (23 f.); Pawlik, JZ 2004, 1045 (1054) [anders aber bezüglich des Bergsteiger-Falles ders., in: Der rechtfertigende Notstand, 2002, S. 326]; Chr. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (789); Hilgendorf, Sicherheit statt Freiheit?, in: Blaschke u. a., 2005, 108 ff., 127. Auch vgl. Jerouschek, Nach dem 11. September 2001, Strafrechtliche Überlegungen zum Abschuß eines von Terroristen entführten Flugzeugs, in: FS Schreiber, 2003, S. 185 (188 ff.), der jedoch de lege ferenda eine Abschußbefugnis bei gegen den Gesamtstaat gerichteten terroristischen Angriffen für zulässig hält, S. 198. Roxin lehnt zwar eine allgemeine Bejahung der Zulässigkeit der zur Erörterung stehenden Rettungshandlungen grundsätzlich ab, will aber in § 14 Abs. 3 LuftSiG für die dort erfaßten Fälle eine sich auf Staatsnotstand stützende zulässige Sonderregelung sehen ([Fn. 9], § 16 Rn. 88, § 22 Rn. 152). Sinn, NStZ 2004, 585 (586 ff.) hält auf der Grundlage der bestehenden Rechtfertigungsdogmatik eine Bejahung der Zulässigkeit für unmöglich, will jedoch für die Fälle des § 14 Abs. 3 LuftSiG einen „Bruch“ mit dieser vornehmen (S. 592 f.; dazu noch Fn. 34). Als Konsequenz ihrer grundsätzlichen Auffassung zu einschlägigen Defensivnotstandssituationen ergibt sich die Ablehnung für: Küper (Fn. 17), S. 57, 72; Jescheck / Weigend, § 33 IV. 2. a; Krey, Strafrecht AT I, 2001, Rn. 573; S / S-Lenckner / Perron § 34 Rn. 30; Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2005, § 9 Rn. 104, § 10 Rn. 125. Im Zusammenhang mit dem LuftSiG neben der abl. Ansicht von BVerfG, NJW 2006, 751 (757 ff., Ziff. 118 ff.) auch abl. Stellungnahmen im öffentlichrechtlichen Schrifttum, siehe Höfling / Augsberg, JZ 2005, 1080 ff.; Pieroth / Hartmann, Jura 2005, 729 ff., u. a., sowie in Teilen der Presse.

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Rechtsordnung für das Leben dieser Personen verstoßen, heißt es. In der Regelung des § 14 LuftSiG haben deshalb Autoren einen Tabubruch gesehen, 21 und ein FDPPolitiker sah bereits den Rechtsstaat in seinen Fundamenten bedroht. 22 Im Vordringen ist eine zur Zulässigkeit tendierende Richtung. 23 Bemerkenswert ist auch, daß im strafrechtlichen Schrifttum Autoren, die der bisherigen h. M. bei der Deutung des heutigen Rechtszustands folgen, diesen als unbefriedigend ansehen. 24 c) Eine diametral entgegengesetzte Position zur h. M. bezieht Gropp. 25 Er ist der Auffassung, daß aus dem defensiven Notstand stets die Befugnis für denjenigen,

21 So Pawlik, JZ 2004, 1045 (Aufsatzüberschrift „§ 14 Abs. 3 LuftSiG – ein Tabubruch?“) in Verbindung mit S. 1046 (beginnende „Erosion der bislang anerkannten Wertungsgrundlagen“) und S. 1055; Merkel, „Die Zeit“ v. 8. 7. 2004, S. 13 („beispielloser Tabubruch im rechtlichen Fundament der Gesellschaft“); letzteres zustimmend zitiert bei Mitsch, JR 2005, 274 (275 Fn. 14). Interessant ist demgegenüber, daß die in der Seeschiffahrt geltende abweichende Sichtweise und auch die harten Entscheidungen, die in Katastrophensituationen während der beiden Weltkriege auf beiden Seiten zu treffen waren, das „rechtliche Fundament der Gesellschaft“ unberührt gelassen haben und nicht als „Tabubrüche“ angesehen wurden und werden. 22 Burkhard Hirsch, in einem Leserbrief in der SZ vom 19. 11. 2003, wo es heißt: „Will der Minister den lieben Gott spielen ... Man muß sich fragen, wohin wir eigentlich gekommen sind.“ 23 Zustimmend zur Abschußermächtigung ausdrücklich NK-Neumann, § 34 Rn. 76 f. (der aber eine schärfere Begrenzung der in § 14 Abs. 3 LuftSiG genannten Voraussetzungen fordert); Gropp, GA 2006, 284 (288), und Köhler (Fn. 9), S. 257, 260, 269 f. Die herkömmlich zumeist am Bergsteiger-Fall erörterte Grundsatzfrage, ob in derartigen Sachlagen Defensivnotstand vorliegt, wird jedenfalls bejaht von: Hirsch, Strafrecht und rechtsfreier Raum, in: FS Bockelmann, 1979, S. 89 (107 f.); LK- Hirsch, § 34 Rn. 74; MK-Erb, § 34 Rn. 156; Otto, Grundkurs Strafrecht Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004, § 8 Rn. 193; auch schon Eb. Schmidt, SJZ 1949, 565. 24 Siehe Pawlik, JZ 2004, 1045 (1051 ff., 1054 f.) und Mitsch, JR 2005, 274 (278 f.). Pawlik, ebd., S. 1051 empfiehlt als Ausweg für die vom LuftSiG erfaßt gewesenen Fälle eine „Grenzsituationsdogmatik“ auf der Grundlage von Art. 20 Abs. 4 GG. Auch Jerouschek (Fn. 20) und Roxin (Fn. 20) richten den Blick auf Staatsnotstand. Demgegenüber hat man bereits darauf hingewiesen, daß hier eine existentielle Bedrohung der Rechtsgemeinschaft kaum einmal vorliegt; vgl. Höfling / Augsberg, JZ 2005, 1080 (1086); Gropp, GA 2006, 284 (286); siehe außerdem noch unten Fn. 83. Aber auch dann, wenn man einen Fall von der Dimension der Geschehnisse des 11. 9. 2001 hier einordnet, wäre damit nur eine partielle Klärung erreicht. Denn die Mehrzahl der praktisch bedeutsamen Fälle würde nicht erfaßt. Die Lage von „todgeweihten“ Passagieren und Besatzungsmitgliedern in einem havarierten Flugzeug ist keine andere als die in einem von Terroristen gekaperten. Wie soll deshalb hinsichtlich der bedrohten Personen am Boden zu erklären sein, daß im einen Fall ihre Rettung untersagt, im anderen dagegen zulässig wäre? Staatsnotstand bietet daher keine allgemeine Problemlösung. Im übrigen relativieren solche Ersatzkonstruktionen das Gewicht der Argumente, mit denen jene Autoren zuvor der juristischen Bejahung der Zulässigkeit grundsätzlich entgegengetreten sind. 25 Gropp, GA 2006, 284 ff.

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der sich der nicht anders abwendbaren Gefahr gegenübersieht, zu jeder geeigneten Abwehrhandlung ergebe. Niemand brauche hinzunehmen, Opfer einer Gefahr zu werden, nur weil auf der Gefahrseite unschuldige Personen in das Geschehen involviert sind. Er bildet dazu folgendes Beispiel: 26 „Familie F fährt auf der Autobahn. Die kerzengerade Trasse führt durch ein Hochwaldgebiet. Die Mutter M lenkt den Wagen, die beiden Kinder sitzen im Fond, der Vater V auf dem Beifahrersitz. Radartechniker V inspiziert ein neu entwickeltes Gerät, mit dem man vom Boden aus die Steuerungselektronik eines Flugzeugs beeinflussen kann. Da sieht V, daß aus der Ferne ein Passagierflugzeug auf ihn zugeflogen kommt und offenbar zur Notlandung auf der Autobahn ansetzt. Wenn es dazu käme, würden Familie F und weitere Benutzer des Fahrstreifens zu Tode kommen, schätzt V die Lage zutreffend ein. V entschließt sich daher, das Flugzeug mit Hilfe seines Radargeräts von der Autobahn ‚abzulenken‘. Wie von V angenommen, explodiert es im Wald. Alle 250 Passagiere sowie die Besatzungsmitglieder kommen ums Leben.“

Nach Auffassung von Gropp soll das Verhalten des V durch Defensivnotstand gerechtfertigt sein. Diese Lösung verblüfft durch ihre Einfachheit. Aber sie verkürzt die Problematik und führt zu nicht hinnehmbaren Folgen. Sie läuft darauf hinaus, daß alle Insassen des Flugzeugs wie rechtswidrige Angreifer behandelt werden; denn der Umfang der bejahten Abwehrbefugnis entspräche dem der Notwehr. Gropp schreibt, daß beim rechtfertigenden Notstand der hinsichtlich des Lebens Gefährdete „sich bei seiner Gegenwehr um Verhältnismäßigkeitserwägungen von vornherein nicht zu kümmern“ brauche. 27 Jedoch zeigt bereits § 228 BGB, nach dem der durch die defensive Notstandshandlung entstehende Schaden nicht unverhältnismäßig sein darf, daß Notwehr und rechtfertigender Defensivnotstand sich nicht gleichbehandeln lassen. Dahinter verbirgt sich der einleuchtende Gedanke, daß man es hier anders als im Falle der Notwehr, bei der es um einen rechtswidrigen Angriff geht, schon allein mit der Abwehr einer verursachten Gefahr zu tun hat. Gropp meint nun aber, daß der Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit nur bezüglich Sachen gelte, dagegen beim Gegenüberstehen von Leben nicht passe, da Leben gegen Leben nicht abwägbar sei. 28 Eine solche Argumentation verwandelt jedoch das beim aggressiven Notstand dem Schutze unbeteiligten Lebens dienende Prinzip der Unabwägbarkeit damit beim defensiven Notstand in ein die Grenzenlosigkeit der Eingriffsbefugnis eröffnendes Prinzip. Um sein Leben zu retten, wäre man berechtigt, wie in dem von Gropp erfundenen Beispiel, eine 26

Gropp, GA 2006, 284 (285). Gropp, GA 2006, 284 (287 f.) unter Anführen einer einen anderen Zusammenhang betreffenden Bemerkung von Pawlik, GA 2003, 11 (22). 28 Gropp, GA 2006, 284 (287 f.) unter Hinweis auf Pawlik, GA 2003, 11 (21), der aus seiner Ansicht, daß die Proportionalitätsklausel nur außerhalb des Bereichs „biographisch einschneidender Verluste“ Anwendung finde, aber die gegenteilige Folgerung zieht, daß defensiver Notstand nicht passe. 27

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Vielzahl sonst überlebender Menschen in den Tod zu reißen und damit Auslöser einer riesigen Katastrophe zu sein. Das kann evidentermaßen nicht stimmen. d) Es erhebt sich die Frage, ob man den Problemen der zur Erörterung stehenden Problematik ausweichen kann, indem man sich der strafrechtlichen Lehre vom rechtsfreien Raum 29 und deren Vorläuferin, der „Neutralitätslehre“ 30, erinnert. Danach soll in bestimmten Notstandslagen, bei denen sich die Gefahr nur durch eine vorsätzliche Tötung abwenden läßt, zwar nicht Rechtfertigung Platz greifen, aber doch die Rechtswidrigkeit zu verneinen sein. So soll die Einordnung der Fälle des entschuldigenden Notstands als rechtswidrig und nur entschuldigt abzulehnen sein. Jene Lehren meinen, daß es sich um Grenzsituationen handele, für welche die Rechtsordnung keine Entscheidung zwischen Recht und Unrecht treffen könne. Indes, der Gedanke, einen rechtsfreien (oder „unverbotenen“) Raum anzunehmen, ist verfehlt. Damit, daß ein Gut als Rechtsgut anerkannt und folglich unter den Schutz der Rechtsordnung gestellt worden ist, bewegt es sich im rechtlichen Raum. Kollidiert es mit dem Rechtsgut eines anderen, ergibt sich hieraus die Notwendigkeit für die Rechtsordnung, diesen Konflikt zu entscheiden. Die Konsequenz des rechtsfreien (oder „unverbotenen“) Raumes wäre zudem, daß der Konflikt durch den stärkeren Beteiligten gelöst würde; denn der rechtsfreie Raum hätte folgerichtig beide Seiten einzubeziehen. Im übrigen sollte man meinen, daß gerade bei einem höchstrangigen Rechtsgut wie dem menschlichen Leben die Rechtsordnung in besonderem Maße dazu aufgerufen ist, für Konfliktlagen Entscheidungen zu treffen. 31 3. Es ist mithin zu prüfen, ob der Defensivnotstand dann, wenn man für ihn genauere Gesichtspunkte herausarbeitet, in der zur Erörterung stehenden Situation, daß beim Abschuß eines zu Angriffszwecken gekaperten oder aufgrund technischer Defekte manövrierunfähigen und daher eine gegenwärtige Gefahr darstellenden Passagierflugzeugs die Passagiere und die Besatzung mit zu Tode kommen, eine rechtfertigende Basis liefern kann. a) Es wurde bereits aufgezeigt, daß der rechtfertigende Defensivnotstand eine Rechtsgrundlage für eine vorsätzliche Tötungshandlung sein kann. Dies war nur lange Zeit kaum beachtet worden, weil das Anwendungsgebiet der Notwehr über die ihr sachlich gezogenen Grenzen hinaus ausgedehnt wurde. Solange man für den rechtswidrigen Angriff „jede von Menschen drohende Verletzung rechtlich 29 Vertreter dieser strafrechtlichen Lehre sind namentlich Arth. Kaufmann, Rechtsfreier Raum und eigenverantwortliche Entscheidung, in: FS Maurach, 1972, S. 331 ff.; ders., JuS 1978, 361 (366); Schild, JA 1978, 449 ff. 570 ff., 631. 30 Sie geht zurück auf Binding, Hdb. I, 1885, S. 765 f.; ders., Normen Bd. 1, 4. Aufl. 1922, S. 105; Bd. 4, 1919, S. 346 f. Weitere Nachw. bei LK-Hirsch, Vor § 32 Rn. 16 ff. 31 Im einzelnen kritisch zur strafrechtlichen Lehre vom rechtsfreien Raum und zur „Neutralitätslehre“: Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 18 ff.; Hirsch (Fn. 23), S. 89 ff.; LK-Hirsch, Vor § 32 Rn. 16 ff., 213, und Roxin, AT I, § 14 Rn. 26 ff.

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geschützter Interessen, die der Angegriffene nicht zu dulden braucht“, 32 genügen ließ, erledigte sich die Mehrzahl der Fälle über die Notwehr. Die Grundlagen der Notwehr und der sich allein aus ihnen ergebende weitreichende, jede erforderliche Verteidigung deckende Umfang der Abwehrbefugnis blieben dabei aber unbeachtet. 33 Bei denjenigen Fällen vorsätzlicher Tötung, die richtiger Ansicht nach erst beim rechtfertigenden Defensivnotstand einzuordnen sind, hat man bisher regelmäßig Sachverhalte vor Augen, bei denen die Gefahr direkt von der getöteten Person ausgeht. Außerdem hat man wie bei der Notwehr nur eine Einzelperson oder allenfalls zwei oder drei Personen im Blick. Vorliegend geht es jedoch um indirekt und unfreiwillig auf der Seite der Gefahrverursacher befindliche Personen, und außerdem handelt es sich um eine große Anzahl. b) Als ausschlaggebendes Kriterium scheidet das gelegentlich erwähnte „Prinzip des kleineren Übels“ von vornherein aus, da es wegen seiner Allgemeinheit und Unbestimmtheit deliktsrechtlich unbrauchbar ist. 34 Um einen präziseren Gesichtspunkt ginge es zwar, wenn man auf das Zahlenverhältnis von geretteten und geopferten Personen abstellen könnte. Aber ein solcher Gedanke scheitert an der Unzulässigkeit der Quantifizierung von Menschenleben als Basis für die Begründung der Rechtfertigung vorsätzlicher Tötungshandlungen. Daß in dem zuvor erwähnten Fall des Radartechnikers ein krasses Missverhältnis zwischen den wenigen in eine Defensivnotstandslage geratenen Personen und der Vielzahl der durch die Notstandshandlung geopferten, sonst eine reale Überlebenschance habenden Personen entscheidungserheblich wurde, beruhte darauf, daß der Satz von der Nichtabwägbarkeit menschlichen Lebens nicht zu Lasten der Opferseite gehandhabt werden darf. Vielmehr ist dem Defensivnotstand schlechthin wesenseigen, daß der angerichtete Schaden nicht unverhältnismäßig höher als der verhinderte zu sein hat. Auch wenn die übrigen Voraussetzungen des Defensivnotstands vorliegen, darf deshalb bei durch ihn gedeckten vorsätzlichen Tötungen keine Unverhältnismäßigkeit zu Lasten der Opferseite bestehen. 32

Vgl. für die frühere h. L.: S / S-Schröder, StGB, 17. Aufl. 1974, § 53 a. F. Rn. 5, 6 und

10. 33

Näher dazu Hirsch (Fn. 9), S. 211 ff. Gegen dieses Prinzip mit Recht: Höfling / Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083 f.); Jerouschek (Fn. 20), 185 (190); Koch, JA 2005, 745 (747); Mitsch, JR 2005, 274 (277); Sinn, NStZ 2004, 585 (588). Keine hinreichende Grundlage bietet ebenfalls ein Grundsatz der „mangelnden Schutzfähigkeit“, der von Sinn (ebd. S. 592 f.) vertreten wird. Daß die Rechtsordnung dem Leben der Flugzeuginsassen im Unterschied zu dem der am Boden befindlichen Personen faktisch weniger Schutz bieten kann, liefert für sich genommen keine Begründung dafür, die Tötung der faktisch Benachteiligten zu gestatten. Auch ermöglicht der von Köhler (Fn. 9), S. 257 (267 ff.) genannte Gesichtspunkt der unmittelbar zwangsrechtlichen objektiv zurechenbaren Gefahrverantwortung keine klare Eingrenzung der Fälle zulässiger Eingriffsbefugnis. 34

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Kann das Zahlenverhältnis deshalb für die Begrenzung der Rettungsbefugnis erheblich sein, ist es umgekehrt aber keine Grundlage für die Begründung der Zulässigkeit. Beim Blick auf Rechtsprechung und Literatur stößt man im Zusammenhang mit dem „Verrechnungsgesichtspunkt“ auf die nach dem Zweiten Weltkrieg abgeurteilten sog. Euthanasie-Fälle. 35 Es ging bekanntlich darum, daß – so jedenfalls der von den Gerichten festgestellte Sachverhalt – bei der von Hitler angeordneten Tötung von Geisteskranken einige Anstaltsleiter in der Weise verfuhren, daß sie bereit waren, einen kleineren Teil der Insassen den SS-Tötungskommandos zu überstellen, wenn dafür der größere Teil verschont blieb. Es kam nur übergesetzlicher entschuldigender (aggressiver) Notstand in Betracht, und das Zahlenverhältnis hatte dabei nur als Faktor, der den entschuldigenden Motivationsdruck der Ärzte beeinflußte, Bedeutung. 36 Für die vorliegende Problematik läßt sich daraus aber nichts ableiten. Denn bei ihr handelt es sich um defensiven Notstand, da die Opfer in die Gefahrenquelle, um deren Abwehr es geht, involviert sind, außerdem haben von vornherein alle keine Überlebenschance. c) Daß das Hinzutreten einer Einwilligung der Passagiere und Besatzung des abgeschossenen Flugzeugs, d. h. eine Einwilligung in den eigenen Tod im Falle einer derartigen Notstandssituation, keine Grundlage für zulässigen rechtfertigenden Notstand bei unserer Thematik abgeben könnte, sei nur der Vollständigkeit halber vermerkt. 37 Die Einwilligung der Passagiere ist nur auf die gewöhnlichen Risiken eines ordnungsgemäßen Flugbetriebs beschränkt, da niemand in Erwägung ziehen würde, darin einzuwilligen, durch einen Flugzeugabschuß vorsätzlich getötet zu werden. 38 Zudem scheitert die Konstruktion einer rechtfertigenden Einwilligung rechtlich daran, daß Einwilligung eine vorsätzliche Tötung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen vermag, wie § 216 StGB zeigt. d) Der Blick richtet sich auch auf einen anderen, in der Überschrift dieses Aufsatzes schon angedeuteten Aspekt: Die Insassen des Flugzeugs, von dem die Todesgefahr ausgeht, sind in jedem Fall verloren; dagegen können die Personen, die sich in dem am Boden befindlichen Gefahrenbereich aufhalten, durch den Abschuß der Maschine und die damit notwendig verbundene Tötung der von dieser nicht zu trennenden Insassen noch gerettet werden.

35

Vgl. oben in Fn. 8. Vgl. LK-Hirsch, Vor § 32 Rn. 212 m.w. N. Um die Frage übergesetzlichen entschuldigenden Notstands handelt es sich auch im „Weichensteller-Fall“, bei dem es um die Opferung einer geringen Anzahl von unbeteiligten Streckenarbeitern zur Rettung der zahlreichen Insassen eines Zuges in aggressivem Notstand geht (näher dazu Hirsch [Fn. 23], S. 110). 37 Erwähnt und abgelehnt ist der Gedanke in BVerfG, NJW 2006, 751 (759 [Ziff. 132]). 38 Mit Recht spricht das BVerfG (ebendort) hinsichtlich einer Einwilligung in den Abschuß von einer Annahme „ohne jeden realistischen Hintergrund und nicht mehr als einer lebensfremden Fiktion“. 36

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Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in der Schiffahrt die Preisgabe der Personen, die sich im Bereich der Gefahrenquelle des drohenden Schiffsuntergangs befinden (also dort, wo der Wassereinbruch erfolgt) und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohnehin ertrinken würden, schon herkömmlich als zulässig angesehen wird, wenn durch die Schließung der betreffenden Schotten die übrigen auf dem Schiff befindlichen Personen eine Rettungschance haben. Auch die Diskussion um den Bergsteiger-Fall, bei dem die Bedrohung von dem Gewicht des unrettbar verlorenen unteren Beteiligten der Seilschaft ausgeht, wurde bereits in Erinnerung gebracht. Man hat gegen ein solches zur defensiven Notstandslage hinzutretendes Kriterium angeführt, daß es gegen die Nichtabwägbarkeit von Leben und Leben verstoße, indem es die kurzzeitige und die normale Lebenserwartung gegenüberstelle. 39 Außerdem orientiere man sich an unsicheren Prognosen oder überhaupt nur Vermutungen. 40 Selbstverständlich ist das nur noch kurzzeitige Leben grundsätzlich ebenso geschützt wie das längerwährende. 41 Ein altes Beispiel ist, daß ein zum Tode Verurteilter (in einem Staate, in dem es die Todesstrafe gibt) an der Hinrichtungsstätte noch zuvor von jemand erschossen wird. Ein modernerer Fall wäre, daß jemand einen tödlich erkrankten Angehörigen vergiftet, um die vom Nachlaß abgehenden teuren Krankenhauskosten zu sparen. Es handelt sich dabei unstreitig um rechtswidrigen Mord oder Totschlag. Aber bei der vorliegenden Problematik hat man den bestehenden unmittelbaren Zusammenhang mit der Situation des Defensivnotstands zu beachten. Die Frage lautet deshalb, ob unter der Voraussetzung, daß alle sonstigen Erfordernisse einer solchen Notstandslage gegeben sind, die Opferung der zu Bestandteilen der Gefahrenquelle gewordenen und daher ohnehin verlorenen Flugzeuginsassen zulässig ist zur Rettung der auf dem Boden befindlichen Personen, die anderenfalls durch das Flugzeug getötet würden. Nicht ausreichend wäre, daß ein zwar ohnehin Verlorener, aber Unbeteiligter, d. h. nicht auf der Seite der Gefahrenquelle Befindlicher, geopfert wird. Es geht für die uns interessierende Frage ausschließlich um die Grenzen des rechtfertigenden Defensivnotstands, so daß die ohnehin Todgeweihten immer in die Gefahrenquelle involviert sein müssen. Nicht hierher gehören also Fälle wie der, daß ein Gangster eine Krankenschwester unter Todesdrohung dazu zwingt, ein mit tödlichen Schußverletzungen im Krankenhaus liegendes Mitglied der Bande durch eine Giftspritze zu töten, um eine in letzter Stunde erfolgende etwaige Aussage über den Verbleib 39

Küper (Fn. 17), S. 57 ff. (siehe zu Küper auch Fn. 45); Sinn, NStZ 2004, 585 (587 ff.). Küper (Fn. 17), S. 61 ff.; Sinn, NStZ 2004, 585 (591); auch BVerfG, NJW 2006, 751 (758 f. [Ziff. 125 ff.]). 41 Vgl. BGHSt 21, 59 (61); BGH, NJW 1987, 1092; BGH, NStZ 81, 218; S / S-Eser (Fn. 12), § 212 Rn. 3; LK-Jähnke, Stand: 11/2001, § 212 Rn. 3; allg. Auffassung. Um ein Sonderproblem handelt es sich bei der indirekten Sterbehilfe; siehe dazu BGHSt 42, 305. 40

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der Beute zu verhindern. Da in solchem Fall die Bedrohung der Schwester nicht von dem Getöteten (oder einem Objekt, in dem er sich untrennbar befindet) ausgeht, handelt es sich um aggressiven Notstand und damit eine Tatausführung, die lediglich entschuldigt wird. Täterin und Opfer sind auch nicht wie in den zur Erörterung stehenden Fällen defensiven Notstands schicksalhaft von vornherein miteinander verknüpft. 42 Es geht eben in den uns hier interessierenden Sachverhalten nicht allein schon um eine Abwägung von kurzzeitiger und normaler Lebenserwartung, sondern darum, ob sich im Defensivnotstand die Bedrohten dagegen wehren dürfen, daß diejenigen, die mit dem gefahrbringenden Objekt untrennbar verbunden oder schon für sich allein Gefahrenquelle sind, sie mit in den Tod reißen. Im strafrechtlichen Schrifttum ist bereits darauf hingewiesen worden: Wollte man in den betreffenden Situationen denjenigen, die noch zu retten sind, die Rettungshandlung untersagen, liefe das daraus hinaus, letztere rechtlich dazu zu verpflichten, mit den ohnehin Verlorenen in den Tod zu gehen. 43 Eine solche „Übersolidarisierung“ läßt sich rational nicht begründen. Vielmehr muß die Rechtsordnung hier für diejenigen Partei ergreifen, welche der Gefahr noch entrinnen können. Sie disponiert damit nicht über das Schicksal der Betroffenen, sondern das Schicksal hat in solchen Fällen bereits gesprochen. 44 Wollte die Rechtsordnung in dieser Situation verlangen, daß jede Rettung unterbleibt und der Tod auf der ganzen Linie siegt, so würde, wie Küper vermerkt, sich die Frage stellen, „ob die Lebensschutzfunktion des Tötungsverbots nicht pervertiert, ins Absurde verkehrt wird“. 45 42 Auch gehört hierher nicht der Fall, daß im Kriege in einem Frontlazarett den tödlich Verwundeten todesbeschleunigende Mittel injiziert werden, um Platz für heilbare Verwundete zu schaffen. Es handelt sich nicht um Defensivnotstand. 43 Hirsch (Fn. 23), S. 107 ff.; LK-Hirsch, § 34 Rn. 74. 44 Das von einigen Autoren (vgl. die Nachw. bei Gropp, GA 2006, 284 [285 in Fn. 8]) vorgebrachte Verbot der Chancenanmaßung gilt hier daher nicht. Darüber hinaus ist zu beachten, daß das Faktum des ohnehin Verlorenseins hier eingebettet ist in ein Bündel weiterer Erfordernisse. 45 Küper (Fn. 17), S. 55. Er will allerdings gleichwohl andere Konsequenzen ziehen. Küper schreibt (S. 57 ff.): „Trotzdem meine ich – so überraschend das nach der vorangegangenen Kritik klingt-, daß man die Frage (der Zulässigkeit der Opferung ohnehin Verlorener: der Verf.) im Ergebnis negativ beantworten muß ... “ Als Begründung führt er an: „Das Recht schützt das Leben jedes Menschen als gegenwärtige Daseinsform, als biologische Existenz hier und jetzt um seiner selbst willen in gleichem Maße, ohne Rücksicht auf seine unterschiedliche Zukunft. Die voraussichtliche Dauer dieser Existenz in der Zeit, die „Lebenserwartung“ des einzelnen, ist deshalb kein tauglicher Maßstab für eine graduelle Differenzierung der Schutz- und Vorzugswürdigkeit, wie sie die Interessenabwägung voraussetzt.“ Außerdem führt er Zweifel an der Sicherheit der Prognose an (S. 61 ff.). Demgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß die Lösung der fraglichen Fälle nicht auf eine Abwägung der Lebenserwartung gestützt werden soll, sondern daß es primär um die Abwehr einer von den Geopferten drohenden Gefahr geht und das „Ohnehin-Verlorensein“ ein hinzutretendes Erfordernis der Notstandsbefugnis darstellt. Und was die Prognosefrage angeht, kann auf die anschließenden Ausführungen verwiesen werden.

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Der Bergsteiger-Fall macht das in seiner Schlichtheit besonders deutlich. Droht das Seil zu reißen, weil es zwei Bergsteiger nicht halten kann, so würde die Rechtswidrigkeit des Abschneidens bedeuten, daß die Rechtsordnung dem oberen Bergsteiger auferlegt, das unentrinnbare Schicksal des jedenfalls verlorenen anderen zu teilen. Zum Schutze des nicht mehr zu rettenden Lebens des unteren Bergsteigers, dessen Verbleiben am Seil auch das Leben des anderen bedroht, würde also diesem von der Rechtsordnung durch Untersagen der möglichen Rettungshandlung der Schutz, sein Leben zu erhalten, entzogen sein. 46 Im übrigen ergäbe sich in den Ausgangsbeispielen der Kaperung von Passagierflugzeugen bei Verneinung der Rechtfertigung der mit dem Abschuß verbundenen Tötung der Passagiere und damit der Unzulässigkeit des Abschusses die fatale Konsequenz, daß das Ziel der Luftpiraten, das Flugzeug als Waffe zur Tötung einer Vielzahl von Opfern zu benutzen, erreicht würde. Es läge Beihilfe durch Unterlassen vor. Eingewandt wird, daß aber keine zuverlässige Prognose möglich sei. 47 Niemand könne mit Gewißheit voraussagen, ob die geopferten Personen wirklich verloren sind. Richtig ist, daß namentlich in den Fällen drohender Katastrophen hier leicht ein sensibler Punkt liegt, weshalb der Befehlsgewalt und ihren Informationsvoraussetzungen auch im gescheiterten Luftsicherheitsgesetz schon besondere Beachtung gewidmet waren. 48 Aber von der Unmöglichkeit zuverlässiger Prognosen zu sprechen, dürfte den Strafrechtler und den Polizeirechtler doch überraschen. Das Strafrecht und noch mehr das Polizeirecht sind geradezu durchsetzt von Prognosen bezüglich des Erfolgseintritts. „Gewißheit“ heißt dabei „mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“. So setzt der große Kreis der unechten Unterlassungsdelikte voraus, daß der tatbestandliche Erfolg „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ abwendbar war. 49 Auch erfordert Fahrlässigkeit, daß der Erfolg voraussehbar gewesen ist. Und der vor allem im Polizeirecht, aber auch im Strafrecht vielfach auftauchende Gefahrbegriff verlangt eine Prognoseentscheidung. 50 Sieht man sich in den hier zur Erörterung stehenden 46 Daß im Bergsteiger-Fall die Bedrohung auch vom oberen Bergsteiger ausgeht (denn hinge er nicht mit an dem Seil, würde es den anderen halten), ist ohne Einfluß auf die rechtliche Beurteilung, weil dem unteren Bergsteiger gegen den oberen keine Rettungshandlung möglich ist. 47 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 40. 48 Vgl. §§ 13, 14 Abs. 2 bis 4, § 15 LuftSiG. Zu Lücken des Gesetzes siehe aber noch die in Fn. 52 genannten Autoren. 49 RGSt 15, 151 (153 f.); BGHSt 6, I (2); BGH, NStZ 1985, 26; st. Rspr.; Jescheck / Weigend, § 59 III. 4.; Tröndle / Fischer, § 13 Rn. 4 m.w. N. 50 Gegen den Einwand, daß hier keine genügende Prognose möglich sei, vgl. auch aus öffentlichrechtlicher Sicht Isensee, AöR 131 (2006), 173 (192 Fn. 13). Daß im Deliktsrecht die Wahrscheinlichkeitsfrage erst bei der ex post vom Gericht für den Zeitpunkt der Handlung zu stellenden Prognose aufgeworfen wird, läßt unberührt, daß der Handelnde

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Notstandsfällen die Sachverhalte näher an, stellt man dann auch fest, daß eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des Umkommens von Passagieren und Besatzung durchweg zu bejahen war: In den US-amerikanischen Fällen der am 11. September von Terroristen gekaperten Flugzeuge, bei dem griechischen und dem japanischen Havarie-Fall, 51 den „Schotten dicht“-Fällen und auch im Bergsteiger-Fall (zum Beispiel, wenn Nägel sich lösen oder das Seil oberhalb der Seilschaft zu reißen beginnt). Auf die Prognosefrage läßt sich daher kein grundsätzlicher Einwand stützen, nur mahnen die insoweit erhobenen Bedenken an, daß die Eingriffsvoraussetzungen streng und klar sein müssen, damit sie umsichtig und verantwortungsbewußt gehandhabt werden. 52 Die Notstandshandlung muß immer ultima ratio sein. Wenn es um den Abschuß von größeren Flugzeugen geht, ist eine Entscheidung von sehr erheblicher Tragweite zu treffen. Nur derjenige, bei dem alle Informationsstränge zusammenlaufen und der im staatlichen Organisationsgefüge die Verantwortung zu tragen hat (d. h. wegen der zum Einsatz gelangenden Waffen: der Verteidigungsminister oder bei Nichterreichbarkeit sein Vertreter), kann hier die Anordnung treffen. Bei Zwang zu unverzüglichem Handeln kann das auch der Befehlshaber der Luftstreitkräfte sein. Es verbleibt noch die Frage, wie es sich verhält, wenn diejenigen, die durch die Notstandshandlung gerettet werden sollen, durch eigenes Verschulden in die kritische Situation geraten sind. Bei den Katastrophen-Fällen wird das kaum einmal praktisch werden. Denkbar wäre immerhin ein Fall wie der folgende: Auf einem Truppenübungsplatz, dessen Betreten wegen der dortigen Gefahren untersagt ist, findet eine nicht genehmigte Demonstration der Friedensbewegung statt. Ein Übungsflugzeug, in dem sich außer dem Piloten noch weitere Soldaten befinden, gerät außer Kontrolle. Die Insassen haben keine Überlebenschancen mehr. Als es auf die Demonstranten zurast, gibt der militärische Kommandeur den Befehl zum Abschuß. An diesem Fall wird deutlich, daß die Frage der Zulässigkeit hier unabhängig vom Vorverschulden der bedrohten Personen zu entscheiden ist. Denn ausschlaggebend ist, daß eine aktuelle konkrete Lebensbedrohung durch das Übungsflugzeug mit seinen Insassen vorliegt und daß für diese ohnehin keine Rettungschance mehr besteht. 53

diese bereits bei seinem Handeln vorzunehmen hatte. Und im Polizeirecht ist unmittelbar deutlich, daß hier die Prognoseeinschätzung zum Alltag polizeilicher Tätigkeit gehört. 51 Diese beiden Fälle zeigen, daß man heute überwachen kann, ob eine aussichtslose gegenwärtige Gefahrenlage für die Insassen eingetreten ist oder nicht eintritt. 52 Zur Unbestimmtheit, die das LuftSiG, insbesondere dessen § 14 Abs. 3, insoweit aufwies, siehe Mitsch, JR 2005, 274 (275 f.) und Pawlik, JZ 2004, 1045 (1055). 53 Unverschuldetheit der Notstandslage ist nicht schlechthin Voraussetzung des rechtfertigenden Notstands; vgl. die Nachw. zu Rspr. und h. L. bei LK-Hirsch, § 34 Rn. 40 und 70. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei § 34 StGB der Gesichtspunkt im Rahmen der

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Insgesamt läßt sich zum vorhergehenden somit feststellen: Deliktsrechtlich sprechen überwiegende Gründe dafür, daß das Vorliegen einer Defensivnotstandslage die vorsätzliche Tötung unrettbar Verlorener zuläßt, falls diese, wenn auch schicksalhaft untrennbar mit der Gefahrenquelle verbunden sind und die Rettung des Lebens der von der Gefahr bedrohten Dritten nur durch die Opferung des Lebens der ohnehin nicht zu rettenden möglich ist. e) Um die Besonderheit dieser Notstandskonstellation weiter zu verdeutlichen und damit gleichzeitig sachwidrigen Ausdehnungstendenzen vorzubeugen, ist noch der Unterschied gegenüber zwei aus der Literatur bekannten anderen Notstandsfällen aufzuzeigen: Geläufig ist das aus der griechischen Philosophie stammende Beispiel des „Bretts des Karneades“. Bei ihm hat im Unterschied zu der vorstehend erörterten Fallkonstellation jeder der beiden Schiffbrüchigen für sich alleine eine Überlebenschance, da das Brett entweder den einen oder den anderen tragen kann. Stößt der eine den anderen von dem Brett weg, so daß dieser ertrinkt, dann entscheidet er die Überlebenschance einseitig für sich. Er rettet sich auf Kosten des anderen, der sich in gleicher Ausgangslage befand. Der Stärkere nimmt sich das Recht, auf Kosten des Schwächeren das Schicksal zu den eigenen Gunsten zu entscheiden. Daß das nicht der Rechtsordnung entspricht, ist evident. Es kommt daher in solchem Fall nur entschuldigender Notstand in Betracht. 54 Auch der berühmte Mignonette-Fall 55 lag anders. Hier war der von den übrigen hungernden und durstenden Schiffbrüchigen getötete und verspeiste Schiffsjunge zwar bereits infolge des Trinkens von Seewasser und Entkräftung dem Sterben nahe. Aber es fehlt an der Defensivnotstandslage. Die Tötung des Schiffsjungen diente nicht der Abwehr einer von ihm ausgehenden Gefahr. Es ist nur an entschuldigenden Notstand zu denken. 56 Interessenabwägung Bedeutung erlangen kann (BGH, NJW 1989, 2479 [248]), wobei es aber vor allem um aggressiven Notstand geht. Ein Beispiel bzgl. defensiven Notstands nennt Roxin (Fn. 9), S. 457 (474 f.) – Was beim defensiven Notstand das „Verschulden“ auf der Seite, von der die Bedrohung ausgeht, betrifft, so ist diesem Rechtfertigungsgrund gerade im Unterschied zur Notwehr wesenseigen, daß er einen Handlungsunwert der Bedrohung nicht voraussetzt. Die Frage kommt hier jedoch hinsichtlich von Personen in den Blick, die unfreiwillig zu Teilen der Gefahrenquelle geworden sind, wie es in den Flugzeugkatastrophen-Beispielen der Fall ist. Soweit diese so gelagert sind wie die den Gegenstand der Untersuchung bildenden Sachverhalte, würde eine solche Sachlage aus den im Text dargelegten Gründen die Verteidigungsbefugnis aber nicht einschränken. Vgl. dazu auch Isensee, AöR 131 (2006), 173 (191 ff.); zu seiner verfassungsrechtlichen Kritik an der gegenteiligen Meinung von BVerfG, NJW 2006, 751 (757 ff. [Ziff. 118 ff.]) noch im einzelnen unten Abschn. VI. – Allgemein zum Verschuldetsein rechtfertigenden Notstands siehe die Monographie von Küper, Der „verschuldete“ rechtfertigende Notstand, 1983. 54 Allg. Auffassung; näher dazu Lenckner (Fn. 31), S. 25 ff.; Hirsch (Fn. 31), S. 106 ff.; Küper (Fn. 17), S. 64 ff.; ders., Immanuel Kant und das Brett des Karneades, 1999; Pawlik, Notstand (Fn. 20), S. 96 f. 55 Zum Sachverhalt vgl. Simonson, ZStW 5 (1885), 367.

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4. Aus dem Deliktsrecht folgt daher, daß in den Fällen, die den Gegenstand dieser Untersuchung bilden, grundsätzlich eine Tötung der ohnehin Verlorenen im Rahmen der Voraussetzungen des rechtfertigenden Defensivnotstands zulässig ist. 57 Wie schon erwähnt, ist bei diesem Rechtfertigungsgrund auch in bezug auf die von ihm erfaßten Tötungsfälle zu beachten, daß der angerichtete Schaden nicht außer Verhältnis zum abgewendeten Schaden stehen darf. Es wurde darauf hingewiesen, daß entgegen der Ansicht von Gropp danach im Regelfall nicht durch rechtfertigenden Defensivnotstand die Rettung weniger Einzelpersonen durch die Opferung einer Vielzahl von Personen gedeckt ist, weil das dem Verhältnismäßigkeitserfordernis widersprechen würde. 58 Wenn es sich auf der Opferseite wie in den zur Erörterung stehenden Fällen jedoch ausschließlich um bereits „Todgeweihte“ geht, hat etwas anderes zu gelten. Man stelle sich vor, die führerlosen Flugzeuge in den griechischen und japanischen Fällen wären auf ein einzelnes Wohnhaus zugerast. Hier würden die Voraussetzungen für den Abschuß vorliegen. Den Ausschlag hätte gegeben, daß die Insassen zu Teilen des Gefahrenherdes geworden waren und unentrinnbar dem unmittelbar bevorstehenden Tod entgegensahen. Ihr im Verhältnis zur Wahrung der Rettungschance der Hausbewohner sinnloser und das Überlebungsrecht dieser Personen mißachtender Lebensschutz würde zurücktreten müssen. Zum Deliktsrecht ist nach alledem abschließend feststellen, daß sich die sachentsprechende Lösung der erörterten Sachverhalte auch ohne spezielle gesetzliche Regelung bereits aus der allgemeinen Vorschrift des rechtfertigenden Notstands ableiten läßt. 59 V. 1. Zu beachten ist nun aber noch, daß bei den im Mittelpunkt der Erörterung stehenden Katastrophenfällen die defensiven Notstandshandlungen regelmäßig hoheitliche Eingriffe sind. Das zuständige Rechtsgebiet ist für sie das der Gefahrenabwehr. In diesem finden sich keine ausdrücklichen Regelungen für Fälle, bei 56

Jescheck / Weigend, § 21 I 1 m.w. N. Dazu, daß es dabei in der Regel nicht schon um Staatsnotstand geht, siehe oben in Fn. 24 und auch im folgenden bei und in Fn. 83. 58 Siehe oben bei IV. 2. c). Daß bei rechtfertigendem Defensivnotstand der durch die Rettungshandlung angerichtete Schaden nicht unverhältnismäßig sein darf, findet bereits in § 228 BGB Ausdruck. 59 Es bestätigt sich daher die von den in Fn. 23 genannten Autoren vertretene Richtung. Zu der Frage, ob dieses Ergebnis durch das Polizeirecht (soweit hoheitlicher Eingriff) und das Verfassungsrecht verändert wird, siehe die anschließenden Erörterungen unter V. und VI. 57

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denen es sich um den Abschuß von Flugzeugen handelt. In den 70er Jahren ist die Frage virulent geworden, ob für nicht von einer gesetzlichen Ermächtigung umfaßte hoheitliche Eingriffe direkt auf die gesetzlichen Regelungen der allgemeinen Notrechte, namentlich die strafgesetzlichen Regelungen von Notwehr (§ 32 StGB) und rechtfertigendem Notstand (§ 34 StGB), zurückgegriffen werden darf. Dabei ging es insbesondere um in der StPO nicht enthaltene Befugnisse. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat bekanntlich die Möglichkeit eines unmittelbaren Rückgriffs bejaht, 60 während sich im öffentlichrechtlichen und strafrechtlichen Schrifttum Bedenken ausbreiteten, weil man zu Recht befürchtet, daß der § 34 StGB sich zu einer Superermächtigung für die außergesetzliche Schaffung neuer hoheitlicher Eingriffsbefugnisse entwickeln könnte und, was den § 32 StGB angeht, die für die polizeiliche Nothilfe geltenden Spezialvorschriften mit ihren Verhältnismäßigkeitsmaßstäben unterlaufen würden. 61 Aber welcher Auffassung man sich bei diesem Streit auch anschließt, ist die Polizei doch jedenfalls polizeirechtlich grundsätzlich befugt und darüber hinaus verpflichtet, in Notwehrlagen den Bürgern Nothilfe zu leisten. Der Unterschied gegenüber der allgemeinen Befugnis besteht nur darin, daß einerseits der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Mittel Begrenzungen der polizeilichen Befugnis bewirkt und andererseits einige aufgabenbedingte Erweiterungen gegeben sind. 62 Deshalb wäre es auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips polizeirechtlich zulässig, den Piloten eines Hubschraubers, der im Begriff zu starten ist, durch die gläserne Kanzel zu erschießen, um eine in der Maschine befindliche entführte Person zu retten. 63 Die uns interessierenden Fragen des Defensivnotstands kämen in den Blick, wenn man sich folgenden Fall vorstellt: Ein Terrorist hat auf einem Flugplatz ein privates Hubschraubertaxi dadurch in seine Hand gebracht, daß er dem Piloten und dem Fluggast ein Betäubungsmittel ins Gesicht gespritzt hat. Dem Tower kündigt er über Funk an, er werde sich mit der Maschine und mitgebrachtem Sprengstoff in die mit vielen Menschen gefüllte Empfangshalle des Flughafens stürzen, um gegen die US-amerikanische Nahost60 BGHSt 27, 260; nach BGHSt 31, 304 (307); 34, 39 (51 f.), soll Rückgriff nur dort unzulässig sein, wo ein bestimmter Interessenkonflikt durch öffentlichrechtliche Sondervorschriften abschließend geregelt ist. 61 Eingehende Nachw. und Darlegungen der Argumente bei LK-Hirsch, § 34 Rn. 6 ff. Was die im Mittelpunkt des Streits stehende Rolle des § 34 StGB betrifft, geht es weniger um Fälle, in denen Individualrechte geschützt werden sollen, als vielmehr um die Erweiterung von staatlichen und sonstigen Allgemeininteressen. Praktische Beispiele waren insbesondere Erweiterungen von in der StPO nicht vorgesehenen Ermittlungsbefugnissen der Polizei. 62 Zu aufgabenbedingten Erweiterungen siehe etwa § 63 Abs. 4 Satz 2 PolG NRW. Näheres zu der Vorschrift noch im folgenden. 63 Der sog. finale Rettungsschuß, d. h. gezielte Todesschuß, ist in den meisten Bundesländern ausdrücklich polizeigesetzlich geregelt, vgl. z. B. § 60 Abs. 2 Satz 2 hess. SOG, in den anderen wird er noch auf die Notwehrvorschrift des StGB gestützt.

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politik zu demonstrieren. Der Flughafenpolizei gelingt es im letzten Augenblick, die Maschine mit Handfeuerwaffen zum Absturz zu bringen. Dabei kommen, wie mit hoher Wahrscheinlichkeit in Rechnung zu stellen war, auch die beiden Geiseln zu Tode. 64 Die Zulässigkeit läßt sich hier ebenfalls aus dem Polizeirecht ableiten. Denn solange der allgemeine Defensivnotstand wie hier in seinen Voraussetzungen erfüllt ist und einschränkende polizeiliche Gesichtspunkte nicht entgegenstehen, ist die Maßnahme von der polizeigesetzlichen Ermächtigung gedeckt. Am nordrh.-westf. Polizeigesetz i. d. F. von 2003 läßt sich das exemplarisch auch für die entsprechende Rechtslage in den anderen Bundesländern aufzeigen. Gemäß § 64 Nr. 1 PolG NRW dürfen Schußwaffen gegen Personen gebraucht werden, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben abzuwehren. Die betreffenden Personen dürfen angriffsunfähig gemacht werden (§ 63 Abs. 2 PolG NRW), was erforderlichenfalls auch die vorsätzliche Tötung einschließt. 65 Daß Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit in Todesgefahr gebracht werden, ist dann zulässig, wenn der Schußwaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr ist (§ 63 Abs. 4 Satz 2 PolG NRW). Da der Tod der Geiseln zwar nicht erstrebt, aber doch als gewiß eintretende Folge erkannt wird, würde diese Regelung, die nur einen Gefährdungsvorsatz zuläßt, keine Lösung bieten. Es erhebt sich aber die Frage, ob die Geiseln überhaupt Unbeteiligte i. S. d. Polizeirechts sind, wenn die Gefahr von einem Objekt, d. h. hier dem Flugzeug, ausgeht und sie mit diesem in der konkreten Bedrohungssituation untrennbar verbunden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mit der Begründung bejaht, daß sie sich nur gezwungenermaßen in solcher Lage befinden. 66 Wie soll es sich dann aber in „gewöhnlichen“ Flugkatastrophen-Fällen wie dem griechischen und dem japanischen Fall verhalten? Gäbe es hier dann auf seiten des Gefahrobjekts gar keine Beteiligten? Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, daß in der Tat Notwehr gegenüber jenen Personen nicht greift, weil sie selbst keine rechtswidrigen Angreifer sind. 67 Aber defensiver Notstand liegt vor. Denn sie sind in der konkreten Situation zu Teilen des Objekts geworden, von dem die Gefahr ausgeht. Die Gefahr für die am Boden befindlichen Personen geht vom Flugzeug einschließlich der mit ihm herabstürzenden Insassen aus. Wenn der defensive Notstand deshalb aber eine Verteidigung ihnen gegenüber gestattet, dann läßt sich nicht sagen, daß von ihnen keine Gefahr ausgehe und sie deshalb nicht Störer

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Auch wenn die beiden Geiseln als Unbeteiligte i. S. des Polizeirechts einzustufen wären, würde das Vorgehen der Polizei zulässig sein. Vgl. etwa § 63 Abs. 4 Satz 2 PolG NRW (siehe dazu auch noch im folgenden). 65 D. h. hier: Körperlich nicht mehr in der Lage zu sein, als Teil der Gefahrenquelle Flugzeug), von der sie nicht zu trennen sind, das Leben anderer zu bedrohen. Zur polizeirechtlichen Möglichkeit des gezielten Todesschusses siehe Fn. 63. 66 BVerfG, NJW 2006, 751 (758 ff. [Ziff. 123 ff.]). 67 Vgl. oben IV. I. a).

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seien. Mithin wäre es wohl widersprüchlich, sie lediglich als Unbeteiligte i. S. d. Polizeirechts einzustufen. 68 Der objektive Maßstab, nach dem sich die polizeirechtliche Beteiligteneigenschaft richtet, wird auch an der polizeigesetzlichen Regelung des Schußwaffengebrauchs gegen Personen in einer Menschenmenge deutlich. Hierzu kann als Beispiel auf § 62 Abs. 2 hess. SOG i. d. F. von 2005 verwiesen werden, wonach Unbeteiligte nicht Personen in einer Menschenmenge sind, die Gewalttaten begeht oder durch Handlungen erkennbar billigt oder unterstützt, wenn diese Personen sich aus der Menschenmenge trotz wiederholter Androhung nicht entfernen. 69 Der bei der vorliegenden Problematik restriktive Gesichtspunkt des ohnehin Verlorenseins der Betroffenen ergibt sich für das Polizeirecht daraus, daß es sich nicht um Fälle der Notwehr (Notwehrhilfe), sondern des defensiven Notstands (Notstandshilfe) handelt und die bestehenden einschlägigen Befugnisse der Polizei, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt, sich an den materiellrechtlichen Voraussetzungen der allgemeinen Notrechte ausrichten. Außerdem bildet die Verhältnismäßigkeit (vgl. etwa § 2 PolG NRW) einen generell begrenzenden Grundsatz polizeilichen Handeins. 2. Geht es um Sachverhalte, bei denen der Abschuß eines Passagierflugzeugs in Rede steht, stellt sich für die Polizei das Problem, daß sie selbst nicht über geeignete Waffen und auch nicht über die notwendigen Informationen verfügt, obwohl es sich bei der Gefahrenabwehr, soweit diese nicht die Landesverteidigung betrifft, der Sache nach um polizeiliche Zuständigkeit handelt. Die Polizei ist daher genötigt, die Amtshilfe des Militärs in Anspruch zu nehmen. Amtshilfe kann zwar nicht über die sachliche Zuständigkeit des Ersuchenden hinausgehen. Die polizeirechtliche Zuständigkeit wäre hier jedoch aus den vorgenannten Gründen gegeben. 70 Für die Bundesrepublik Deutschland stellen sich in diesem Zusammenhang aber noch verfassungsrechtliche Fragen. Gemäß Art. 87a Abs. 2, 35 Abs. 2 Satz 2 68 Vgl. auch Isensee, AöR 131 (2006), 173 (193) und Gropp, GA 2006, 284 (286 f.) zu der Rolle, in welche die Geiseln schicksalhaft geraten sind. Für Beteiligteneigenschaft auch Köhler (Fn. 9), S. 257 (269). Anders Mitsch, JR 2005, 274 (278). 69 Aus § 65 Abs. 2 PolG NRW lassen sich keine abw. Schlüsse ziehen. Es heißt dort: „Wer sich aus einer solchen Menge nach wiederholter Androhung des Schußwaffengebrauchs nicht entfernt, obwohl ihm das möglich ist, ist nicht Unbeteiligter ...“ Die Eigenschaft als Unbeteiligter soll sich in solchen Fällen also danach richten, ob dem Betreffenden die Entfernung möglich ist. Aber dabei geht es um eine Situation, die von den zur Erörterung stehenden Flugzeugfällen grundverschieden ist. Bei der Menschenmenge ergibt sich die Gefahr aus der Kumulierung der Aggressionsbereitschaft einer Vielzahl von Einzelindividuen. Wenn sich jemand wider Willen in ihr befindet, so geht von ihm keine Gefahr aus. Er kann als Einzelperson aus der Gefahrenquelle ausgegrenzt werden. Anders liegt es in den Flugzeugfällen. Bei ihnen ist das Flugzeug das Gefahrobjekt, und aus ihm kann sich kein Insasse individuell ausgrenzen, sondern alle sind schicksalhaft zu Teilen des Objekts als Ganzem geworden. Die objektive Beteiligteneigenschaft ist daher gegeben.

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und Abs. 3 Satz 1 GG dürfen zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall auf Anforderung des betreffenden Bundeslandes oder bei Gefährdung des Gebiets mehr als eines Landes kraft Entscheidung der Bundesregierung Streitkräfte eingesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zum LuftSiG entschieden, daß es den Streitkräften damit aber verfassungsrechtlich nicht erlaubt sei, spezifisch militärische Waffen einzusetzen. 71 Aus dem Wortlaut des Verfassungstextes ergibt sich das jedoch nicht. Die Verfassung will zwar verhindern, daß militärische Einflußnahmen auf innenpolitische Auseinandersetzungen, wie sie in der Weimarer Republik erfolgt sind, sich wiederholen. Vorliegend geht es jedoch inhaltlich um polizeirechtliche Rettungsmaßnahmen, für die der Polizei nur die technische Ausstattung fehlt, 72 die aber im Wege der Amtshilfe von der Bundeswehr mit ihrem militärischen Gerät bewältigt werden können. Die Rechtsgemeinschaft ist dankbar, daß sie in solchen Fällen zur Verfügung steht. Die Unhaltbarkeit der verabsolutierenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Bundeswehr nicht mit spezifisch militärischen Waffen eingreifen dürfe, läßt sich an einem Fall, der sich leicht ereignen kann, aufzeigen: Bei einer großflächigen Überschwemmung, wie wir sie in jüngster Zeit an Oder, Elbe und Mulde erlebt haben, kann sich die Notwendigkeit ergeben, daß ein Damm gesprengt werden muß, damit ein oberhalb liegendes überflutetes Gebiet durch ein unterhalb gelegenes Auffanggebiet entlastet wird. Ist letzteres wegen aufgeweichten Bodens bereits unpassierbar, kann es erforderlich sein, mit Hilfe einiger gezielter Artillerieschüsse oder des Abwurfs einiger Sprengbomben die Bresche in dem Damm zu bewirken. Soll das etwa unzulässig sein und man dem drohenden Absaufen von Ortschaften den Vorzug zu geben haben? Man wird nicht ernsthaft davon ausgehen können, daß die vor Ort befindlichen Verantwortlichen die Meinung der Richter des 1. Senats noch sonderlich interessieren würde. Wie übermächtig die Kraft des Faktischen in solchen Fällen wird, zeigen die Ereignisse beim Brand der südöstlichen Lüneburger Heide (1975) und bei der Hamburger Flutkatastrophe (1962). Es ging um die verfassungsmäßige Leitungskompetenz der Rettungseinsätze. Als der damalige niedersächsische Innenminister den Ein70 Daß die Polizeigesetze den Polizeibeamten nur die Verwendung eines begrenzten Kreises von Waffen gestatten (vgl. z. B. § 58 Abs. 4 und 5 PolG NRW), soll eine Martialisierung des Polizeidienstes verhindern. Es handelt sich nicht um eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit, so daß die Möglichkeit einer Amtshilfe des Militärs mit seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen (zu diesen im folgenden) unberührt bliebe. 71 BVerfG, NJW 2006, 751 (Leitsatz 2), 755 ff. (Ziff. l05 ff.). 72 Das BVerfG sieht darin freilich einen „Kampfeinsatz“ (NJW 2006, 751 [755 Ziff. 105]). Daß bei der Verabschiedung des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 SGG sogar bewußt auf eine einschränkende Formulierung der Verwendung der Streitkräfte „als Polizeikräfte“ verzichtet worden ist, wird vom BVerfG im Anschluß an die Ansicht von C. Arndt, DVBI. 1968, 729 (730) dahingehend restriktiv interpretiert, daß eine gegenständliche Erweiterung der zulässigen Einsatzmittel der Streitkräfte auf militärtypische Waffen damit aber „nicht beabsichtigt“ gewesen sei (S. 756, Ziff. 108).

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satz von seinem Ministerschreibtisch in Hannover aus leiten wollte und darüber die Heide großflächig abzubrennen drohte, übernahm der vor Ort befindliche kommandierende General der zur Unterstützung herbeigerufenen Bundeswehr kurzerhand die Leitung der Rettungsmaßnahmen und führte sie professionell und erfolgreich durch. Ähnlich verhielt es sich – wenn auch innerhalb der Landesebene – mit dem damaligen Innensenator und späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt, der dem überforderten Regierenden Bürgermeister, ohne lange zu fragen, die Leitung der Rettungsmaßnahmen bei der Hamburger Flutkatastrophe aus der Hand nahm und die Aufgaben optimal löste. Schon diese wenigen Bemerkungen zeigen, daß im Ernstfall die organisatorischen Zuständigkeiten glücklicherweise von den faktischen Bedürfnissen überrollt werden. Die vom Bundesverfassungsgericht zur Zuständigkeitsfrage vertretene Auffassung hat daher bei derartigen zugespitzten Sachlagen wohl nur akademische Bedeutung. VI. Es verbleibt die Frage, ob nach dem deutschen materiellen Verfassungsrecht eine Korrektur der Ergebnisse, die sich im vorhergehenden aus dem Deliktsrecht und dem Polizeirecht ergeben, anzunehmen ist? Das Bundesverfassungsgericht hat dies bejaht, indem es in seiner Entscheidung zum LuftSiG die in dessen § 14 Abs. 3 enthaltene Abschußermächtigung für verfassungswidrig erklärt hat, da sie gegen das Recht auf Leben nach Art. 2 GG i.V. m. der Menschenwürdegarantie nach Art. 1 GG verstoße. 73 Zur Menschenwürde stehe die mit dem Abschuß eines gekaperten Flugzeugs verbundene Tötung von Mannschaft und Passagieren in Widerspruch. Der Staat, der in einer solchen Situation zu einer derartigen Abwehrmaßnahme greife, „behandele sie als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer“. Sie würden dadurch „verdinglicht“. Indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt werde, spreche man den „als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen den Wert ab, der dem Menschen um seiner selbst Willen zukommt“. 74 Durch den Abschuß werde den Insassen nicht nur der staatliche Schutz verwehrt, sondern „der Staat greife vielmehr selbst in das Leben dieser Schutzlosen ein“. Damit aber „mißachte (er) die Subjektstellung dieser Menschen in einer mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Weise“. Daher sei der Abschuß des Flugzeugs kein verfassungsrechtlich zulässiges Mittel für den Staat, das er zur Wahrnehmung seiner grundrechtlichen Schutzpflicht gegenüber den Personen, auf die sich der Flugzeugangriff richte, einsetzen dürfe. 75 Der 73 74 75

BVerfG, NJW 2006, 751 (757 ff., Ziff. 118 ff.). BVerfG, NJW 2006, 751 (758, Ziff. 124). BVerfG, NJW 2006, 751 (760, Ziff. 139).

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Verfassungsrechtler Isensee hat demgegenüber klargestellt, daß die Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde eine Mißdeutung und Verkürzung dieser verfassungsrechtlichen Garantie bedeutet. 76 Das Gericht sehe allein auf die Menschenwürde der Flugzeuginsassen, während es die der externen Opfer ignoriere. Damit der Würdeschutz für jene absolut sei, werde er für diese von vornherein ausgeschaltet. Das Dilemma, daß in der Gefahrensituation Leben gegen Leben und Menschenwürde gegen Menschenwürde stehen, werde einseitig aufgelöst, und zwar auf die Weise, daß am Ende niemand gerettet werden könne und alle untergingen, die Insassen des Flugzeugs wie die am Boden befindlichen Opfer des Aufpralls. Isensee kritisiert die „Grundrechtsfürsorge“ für die ohnehin dem Tod geweihten ersten Opfer des Terrors, die dazu führt, daß dem Staat verwehrt wird, wenigstens die weiteren Destinatäre des Terrors zu retten. Geradezu „einfältig“ handhabe das Gericht die Objektformel. 77 Er weist darauf hin, daß entgegen der Ansicht des Gerichts nicht der den Abschuß anordnende Staat die Geiseln zu bloßen Objekten degradiert, sondern daß dies die Geiselnehmer tun, und es deshalb verfehlt ist, dem Staat vorzuwerfen, daß er, anstatt das Leben der Geiseln zu schützen, es vernichte. Mit Recht betont Isensee, daß der Staat sich nicht der den Geiseln gegenüber bestehenden Schutzpflicht entzieht, vielmehr die realen Umstände es ihm verwehren, sie zu erfüllen. 78 Das Gericht wendet, wie es bei Isensee heißt, „die Augen ab von der Wirklichkeit und verliert dabei die Schutzpflicht gegenüber den zu rettenden externen Opfern aus dem Blick“. 79 Zudem ist es einseitig darauf fixiert, ob der Staat ein so weitgehendes Eingriffsrecht haben dürfe, wie es die Ermächtigung zum Abschuß eines Passagierflugzeugs darstellt. Es läßt völlig unberücksichtigt, daß der Staat hier nicht um seiner selbst willen tätig wird, sondern für in eine defensive Notstandslage geratene Bürger, denen er die nur ihm mögliche Notstandshilfe zu leisten hat. Folgt man den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, dürfte selbst dann, wenn ein Terrorist, der auf einem Flugplatz ein Sportflugzeug gekapert hat, um einen Atomsprengkopf abzuwerfen, und dabei den Piloten als Geisel genommen hat, nicht abgeschossen werden, weil die damit zwangsläufig verbundene Tötung der Geisel ein Verstoß gegen Art. 1 GG wäre. Eine absurde Konsequenz!

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Isensee, AöR 131 (2006), 173 (191 ff.). Isensee, AöR 131 (2006), 173 (192). Er spricht davon, daß das „Argument der Menschenwürde hier eine Denkblockade“ auslöse und erinnert an die Warnung Schopenhauers, daß die der Objektformel zugrunde liegende Maxime Kants für jeden Fall ihrer Anwendung erst besonderer Erklärung, Bestimmung und Modifizierung bedürfe. Kritisch gegenüber der Berufung auf die Objektformel Kants schon Küper (Fn. 17), S. 56 mit Fn. 119; auch Köhler (Fn. 9), S. 257 (269). 78 Isensee, AöR 131 (2006), 173 (193). 79 Isensee, AöR 131 (2006), 173 (193). 77

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Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet eine Einladung an zuständige Politiker, sich feige an schwerwiegenden Entscheidungen vorbeizudrücken, und liegt damit auf der Linie von heutigen durch langwährende ruhige Zeiten verwöhnten Schönwetterpolitikern. Sein Bild von der Menschenwürde erinnert an das eines Chirurgen, der aus Respekt vor dem menschlichen Körper nicht die zur Rettung notwendige Amputation vornimmt. 80 Daß eine Relativierung des Begriffs der Menschenwürde – genauer des aus ihr folgenden Achtungsanspruchs – bei der weiten Auslegung, die der Begriff in der deutschen Verfassungsdoktrin erlangt hat, zwangsläufig ist, läßt das Bundesverfassungsgericht an einer anderen Stelle der Entscheidung selbst deutlich werden; denn hinsichtlich der Person der Geiselnehmer soll er natürlich kein Hindernis für den Abschuß bilden. Isensee bemerkt dazu treffend: „Damit wird freilich in die Menschenwürde die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, Täter und Opfer hineingetragen, die ihr als Idee gerade fremd ist.“ 81 Man möchte dem Bundesverfassungsgericht wünschen, daß sich in Deutschland kein Fall ereignet, bei dem seine zum LuftSiG vertretene Rechtsauffassung praktische Bedeutung erlangt. Denn entweder handeln die Entscheidungsträger gleichwohl verantwortungsbewußt und setzen sich über die Meinung des 1. Senats hinweg, oder sie machen es sich bequem, indem sie auf dessen Urteil verweisen, und lassen dem Unheil seinen verheerenden Lauf. Bei der ersten Möglichkeit nähme die Autorität des Gerichts bleibenden Schaden, bei der zweiten würden die Verantwortungsträger und die Richter wohl sogar von der öffentlichen Meinung aus ihren Ämtern hinweggefegt werden, wahrscheinlich sich auch mit der Forderung nach Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden konfrontiert sehen. Es ließe sich daran denken, daß für die Verantwortlichen gar kein solcher juristischer Gewissenskonflikt entstünde, weil die sachentsprechende Lösung sich unabhängig von dem durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten § 14 Abs. 3 LuftSiG ergibt: Der Fortfall der lex specialis lasse die lex generalis wiederaufleben, d. h. hier das aus den Polizeigesetzen in Verbindung mit § 34 StGB folgende Ergebnis. Auch findet sich im Schrifttum der Hinweis, daß ebenfalls nach generellen juristischen Prinzipien ein übergesetzlicher rechtfertigender Notstand für Extremfälle möglich sein muß, 82 wobei indes nicht übersehen werden darf, daß dieser sich nur auf Sachverhalte beziehen könnte, in denen eine Notstandslage für die Rechtsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit entstanden ist, wie 80 Ähnlich heißt es bei Isensee: „Das Bundesverfassungsgericht flüchtet vor der Wirklichkeit, die sich dem Recht nicht fügen will, in das rechtliche Ideal, gleich dem Arzt, der sich vor dem Widrigen der Krankheit, die er behandeln soll, ekelt und sich statt dessen an der Schönheit griechischer Skulpturen weidet“ (AöR 131 [2006], 173 [193]). 81 Isensee, AöR 131 (2006), 173 (193). 82 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1980, § 52 V. 2. b (S. 1330 ff.), VIII (S. 1344).

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z. B. in dem Fall der Drohung mit dem Abwurf einer Atombombe. 83 Die vorstehenden Überlegungen rücken jedoch die in § 31 BVerfGG für Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden angeordnete Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den Blick. Nach st. Rspr. dieses Gerichts soll sie den Urteilstenor und die tragenden Gründe umfassen. 84 Ob und ggf. in wieweit davon auch die Auslegung einschlägiger anderer Gesetze und Rechtsinstitute erfaßt wird, kann der Beurteilung durch die Verfassungsrechtler überlassen bleiben. 85 Soll das erforderliche erneute Überdenken der zuvor in § 14 Abs. 3 LuftSiG speziell geregelten Problematik durch das Bundesverfassungsgericht nicht erst nach dem Eintritt einer derartigen Flugzeugkatastrophe erfolgen, müßte der Gesetzgeber vorsorglich bald ein neues Gesetz verabschieden. Dieses hätte sich nicht auf die Fälle zu beschränken, bei denen es sich um den Abschuß eines zu Angriffszwecken gekidnapten Flugzeugs handelt, sondern auch die sonstigen Fälle drohender einschlägiger Flugzeugkatastrophen (wie den griechischen und den japanischen Fall) einzubeziehen, außerdem die Voraussetzungen noch schärfer zu präzisieren 86 und dem Bundesverfassungsgericht durch eine in der Gesetzesbegründung erfolgende Erweiterung und Vertiefung der Argumentationsbasis Gelegenheit zu geben, seine bisherige einseitige Sichtweise zu korrigieren. Allein schon die Notwendigkeit, dieses Ziel zu erreichen, muß die Frage zurücktreten lassen, ob bei solchen juristischen Grenzsituationen überhaupt eine gesetzliche Vertypung die adäquate Vorgehensweise ist. Eine Vorschrift, die über die Flugzeug-Fälle hinaus den Gesamtbereich einschlägiger Defensivnotstandssachverhalte eigens vertypen würde, wäre zwar sicherlich problematisch. Denn sie würde derartige Grenzsituationen zu sehr ins Blickfeld rücken. Gesetzliche Festschreibungen von Ausnahmebefugnissen laden leicht dazu ein, auf sie unbegründet zurückzugreifen. Das läßt sich bereits beim rechtfertigenden Notstand seit seiner 1975 im StGB erfolgten allgemeinen Vertypung beobachten. 87 Andererseits verlangt für das Teilgebiet der hier zur Erörterung stehenden Flugzeugkatastrophen die aktuelle praktische Bedeutung und das sichere Voraussetzungen und Kompetenzen erfordernde Ausmaß der zu treffenden Entscheidungen eine klarstellende spezielle gesetzliche Regelung. Auch wenn die objektive rechtliche Zulässigkeit in dem oben abgesteckten Rahmen trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und ohne LuftSiG sachlich zu bejahen ist, wäre dringend zu wünschen, daß 83

Stern spricht von einem „Angriff auf die Existenz des Staates und seiner grundlegenden Verfassungsgüter“ (Fn. 82, S. 1344). Demnach würde die Mehrzahl der zur Erörterung stehenden Fälle davon nicht erfaßt sein. Vgl. auch schon oben in Fn. 24. 84 BVerfGE 40, 88 (93). 85 Siehe zu diesen Fragen Wischermann, Rechtskraft und Bindungswirkung verfassungsrechtlicher Entscheidungen, 1979, S. 41 ff.; Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 3. Aufl. 1994, S. 451 ff.; Lechner / Zuck, BVerfGG, 4. Aufl. 1996, § 31 Rn. 30. 86 Vgl. dazu oben in Fn. 52. 87 LK-Hirsch, § 34 Rn. 4.

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der Gesetzgeber hier einen erneuten Anlauf unternimmt und damit dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit gibt, seine verhängnisvolle bisherige Ansicht zu revidieren. Das Gericht wird schwerlich dem Satz huldigen: „Fiat iustitia, et pereat mundus.“

Über Irrungen und Wirrungen in der gegenwärtigen Schuldlehre 2007 I. Harro Otto hat sich in seinen Aufsätzen über „Personales Unrecht, Schuld und Strafe“ (1975) und „Über den Zusammenhang von Schuld und menschlicher Würde“ (1981) kritisch näher mit dem Stand der Schuldlehre befaßt. 1 Der vorliegende Beitrag, der dem Jubilar in freundschaftlicher Verbundenheit zum 70. Geburtstag gewidmet ist, greift die Schuldprobleme aus gegenwärtiger Sicht erneut auf. Dabei wird sich zeigen, daß manche der damaligen Kritikpunkte noch heute aktuell, aber auch neue hinzugekommen sind. II. 1. Die Verlagerung des Tatbestandsvorsatzes und der objektiven Fahrlässigkeit in den Unrechtstatbestand gab dazu Anlaß, den Schuldbegriff neu zu durchdenken. Solange man meinte, daß Unrecht und Schuld sich durch den Gegensatz von objektiv und subjektiv unterschieden und daher Schuld aus Vorsatz und Fahrlässigkeit bestehen sollte, hatte die Schuld durch diese einen selbständigen Gegenstand. Es ging um die der Rechtsordnung widersprechende subjektive Beziehung zur unrechtmäßigen objektiven Tat. Daran änderte sich nur teilweise etwas beim Übergang vom psychologischen zum normativen Schuldbegriff, der dadurch veranlaßt war, daß der psychologische Schuldbegriff nicht für die Fahrlässigkeit paßte und auch die Entschuldigungsgrunde i. e. S., d. h. die Unzumutbarkeitsfälle, unbeachtet ließ. Zwar kam nunmehr ein übergreifender Gesichtspunkt ins Spiel: die Vorwerfbarkeit. Aber Vorsatz und Fahrlässigkeit bildeten weiterhin die zentralen Elemente. Und die Zurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) sollte nach wie vor nicht ein Merkmal innerhalb der Schuld sein, sondern Schuldvoraussetzung. Von dieser Sicht des Schuldbegriffs her lag es nahe, daß in der nach dem Zweiten Weltkrieg geführten Diskussion darüber, ob der Tatbestandsvorsatz und 1

Otto, ZStW 87 (1975) 539, 580 ff., und ders., GA 1981, 481 ff.

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die objektive Fahrlässigkeit bereits beim Unrechtstatbestand einzuordnen sind, die Sorge vorgebracht wurde, daß die Verschiebung zu einer „Entleerung des Schuldbegriffs“ führe. 2 Die Anhänger der personalen Unrechtslehre hielten dem entgegen, daß es auf der Schuldebene um die Frage gehe, ob der Täter, der tatbestandsmäßig-rechtswidrig gehandelt hat, hätte rechtmäßig handeln können. Am Können und damit an der Schuld fehle es, wenn der Täter im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt oder in concreto trotz vorsätzlichen (oder objektiv fahrlässigen) Handelns nicht die Möglichkeit gehabt habe, das Unrecht seines Tuns zu erkennen oder – weil ein Fall der Unzumutbarkeit vorliegt – sich gemäß der Unrechtseinsicht zu verhalten. 3 Diese Lösung wurde von Gallas in seinem auf der Strafrechtslehrertagung 1954 gehaltenen einflußreichen Referat „Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen“ aber verworfen. 4 Er sagte: Mit der Verlagerung des Handlungsentschlusses in den Unrechtstatbestand habe „die Schuld das ihr bis dahin allein vorbehaltene Wertungsobjekt verloren“. Die Mißbilligung dieses Entschlusses finde nun bereits im Rechtswidrigkeitsurteil über die Handlung statt. Die Frage, ob der Täter den Entschluß hätte vermeiden können, lasse sich deshalb nicht bei der Schuld stellen, denn sonst würde beim „Mangel dieses Könnens“ dann „mit der Schuld auch die Rechtswidrigkeit entfallen“. Es bestehe indessen für die Schuld „noch eine andere Möglichkeit der normativen Anknüpfung“. Sie ergebe sich, wenn man sich frage, „worin eigentlich der sachliche Grund für die Verbindung von Vorwerfbarkeit und Können liege“. Und das führte Gallas zu der Auffassung, daß Schuld die Vorwerfbarkeit der Tat mit Rücksicht auf die darin betätigte rechtlich mißbilligte Gesinnung bedeute. Es handele sich bei der Schuld um „ein gegenüber dem Rechtswidrigkeitsurteil selbständiges rechtliches Sollensurteil“. Schuld sei „Vorwerfbarkeit der Tat mit Rücksicht auf die darin betätigte rechtlich mißbilligte Gesinnung.“ Im System der personalen Unrechtslehre könne „der Unterschied zwischen Unrecht und Schuld nur der zwischen Handlungsunwert und Gesinnungsunwert der Tat sein“. Mit der Durchsetzung der personalen Unrechtslehre fand die Lehre von der Gesinnungsschuld bis in die Gegenwart breiten Anhang. 5 So heißt es in dem Studienbuch von Wessels / Beulke, aus dem die Mehrzahl der deutschen Jurastudenten 2

Vgl. etwa Mezger, Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik, 1950, S. 34. Vgl. Welzel, Das Neue Bild des Strafrechtssystems, 2. Aufl. 1952, S. 32 ff., 45; ders., Das Deutsche Strafrecht, 3. Aufl. 1954, S. 102, 105. In den Anfängen wurde allerdings diese Schuldauffassung noch in einigen Punkten etwas undeutlich dargestellt, so daß sie Anlaß zu Mißverständnissen geben konnte. 4 Gallas, ZStW 67 (1955) 1, 44 ff. 5 Ebert, Strafrecht AT, 3. Aufl. 2001, S. 93; LK / Jescheck, 11. Aufl. 1992, Vor § 13 Rn. 77; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, 5. Aufl. 1996, S. 51, 422 f., 426; SchSch / Lenckner / Eisele, 27. Aufl. 2006, Vor § 13 Rn. 119; SK-StGB / Rudolphi, 7. Aufl. 2003, Vor § 19 Rn. 1; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2. Aufl. 1975, 6/23 ff., 10/3, 10/5; ders., 3

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die strafrechtlichen Grundkenntnisse schöpft: Der „Unrechtsgehalt wird durch den Erfolgsunwert der Tat ... und deren Handlungsunwert bestimmt, während ihr Schuldgehalt sich aus dem in der Tat zum Ausdruck kommenden Gesinnungsunwert ergibt, der die fehlerhafte Einstellung zu den Verhaltensnormen der Rechtsordnung und die mangelnde Rechtsgesinnung des Täters widerspiegelt.“ 6 Eine Akzentuierung erfolgte bei Schmidhäuser. Er schrieb, daß die Schuld im „geistigen Verhalten“ des Täters einen eigenen Unwertsachverhalt habe. Zwar sei sie auf das Unrecht bezogen, aber im Unrecht gehe es um das Willensverhalten, in der Schuld dagegen um die das geistige Verhalten betreffende Gesinnung. 7 2. Beim Lesen des Wortes „Gesinnung“ im Zusammenhang der Deliktsvoraussetzungen vermutet man zunächst, es handele sich um ein übersehenes Relikt gesinnungsstrafrechtlicher Tendenzen der NS-Zeit. Während dieses Zeitabschnitts wurde propagiert, daß Schuld Gesinnungsschuld sei. 8 Man hat jedoch zu beachten, daß die Schuld schon früher mit der Gesinnung in Verbindung gebracht worden ist. Bereits v. Liszt hatte in seinem Lehrbuch derartige Überlegungen angestellt. Sie sind nach dessen Tod dann von dem Liszt-Schüler Eberhard Schmidt in den von diesem betreuten Auflagen weitergeführt worden. Bei v. Liszt hieß es: „Schuld im materiellen Sinne ... kann bestimmt werden als die aus der begangenen Tat erkennbare Mangelhaftigkeit der für das gesellschaftliche Zusammenleben im Staat erforderlichen sozialen Gesinnung.“ 9 Und Eberhard Schmidt formulierte: „... der materielle seelische Kern des Schuldbegriffs ... liegt in der aus der begangenen Tat (dem antisozialen Verhalten) erkennbaren asozialen Gesinnung des Täters, also in der charakterlich bedingten Mangelhaftigkeit des durch das Zusammenleben der Menschen im Staate geforderten sozialen Pflichtgefühls und in der dadurch hervorgerufenen antisozialen Motivation (der den Zwecken der Gemeinschaft widersprechenden Zwecksetzung).“ 10

Strafrecht, AT, Studienbuch, 2. Aufl. 1984, S. 188 f.; ders., FS Jescheck, 1985, S. 485 ff.; Wessels / Beulke, Strafrecht AT, 35. Aufl. 2005, Rn. 15, sowie Rn. 16, 144, 401, 422, 425; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 152 und 156. Im klaren ist man sich hierbei darüber, daß die Schuld nicht mehr als „Entschließungsunwert“ gedeutet werden kann, wie das aber noch Fischer / Tröndle, StGB, 53. Aufl. 2006, Vor § 13 Rn. 28, tun wollen. Denn dieser „Unwert“ liegt schon mit dem Vorsatz als subjektivem Unrechtselement vor. Sieht man die Schuld im „Entschließungsunwert“, so entspricht das noch der überholten Auffassung, die Unrecht und Schuld unter den Gesichtspunkten „objektiv“ und „subjektiv“ unterscheiden wollte. 6 Wessels / Beulke (Fn. 5). 7 Schmidhäuser (Fn. 5). 8 Vgl. Ernst Schäfer, Die Schuldlehre, in: Gürtner (Hrsg.) Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1935, S. 49, 65 f. (insbesondere § 1 Abs. 3 des Kommissionsentwurfs). Siehe auch Freisler, Willensstrafrecht ..., in: Gürtner (ebendort), S. 11 ff. 9 v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 16. / 17. Aufl. 1908, S. 157. 10 v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 26. Aufl. 1932, S. 231.

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Der Ursprung bei v. Liszt und Eberhard Schmidt hängt demnach mit der von diesen vertretenen Lehre von der Charakterschuld zusammen. Schmidt meinte, daß „nur diese, die soziale Gefährlichkeit des Tätercharakters mit einbeziehende Schuldauffassung ... eine Brücke zu schlagen (vermag) von der allgemeinen Verbrechenslehre zu der allgemeinen Verbrecherlehre“. Die „normative Schuldlehre werde (damit) ... zugleich zu einer auf den Charakter und die Sozialgefährlichkeit der Täterpersönlichkeit hinweisenden ‚materiellen Schuldlehre‘“. 11 Angesichts ihres Widerspruchs zu dem die „Einzeltatschuld“ gebietenden Tatstrafrecht stieß die Lehre von der Charakterschuld auf Ablehnung durch die h. M. 12 Im Zusammenhang mit dem Gesinnungs- und Täterstrafrecht der NS- Doktrin erlangte sie dann eine kurzzeitige Blüte. Seit der Rückkehr zu einem rechtsstaatlichen Strafrecht ist sie nur noch von historischem Interesse. Anders als v. Liszt und Eberhard Schmidt sowie die täterstrafrechtliche Akzente setzende NS-Doktrin richteten Gallas und die ihm folgende Lehrmeinung den Blick auf die Einzeltatschuld. Er sagte, daß unter Gesinnung hier nicht eine „dauernde Artung des Täters, also auch nicht seine individuelle Gefährlichkeit i.S. der Spezialprävention zu verstehen“ sei. Es handele sich „vielmehr um den Wert oder Unwert der in der konkreten Tat aktualisierten Haltung“. 13 Schmidhäuser sagte ebenfalls: „Wenn hier mit Gesinnung das geistige Verhalten des Täters gemeint ist, so bezeichnet dieser Ausdruck nicht die Dauergesinnung, sondern nur die unrechtliche Einzeltatgesinnung.“ 14 3. a) Ob die Schuld als Deliktserfordernis im Gesinnungsunwert besteht, führt als erstes zu der Frage, weshalb sie überhaupt für die Bestrafung verlangt wird. Interessiert ist die Rechtsordnung primär daran, daß bestimmte Handlungen oder Unterlassungen, die von ihr untersagt sind, nicht stattfinden. Damit, daß gegen die einzelne Norm verstoßen wird, ist jenes Interesse verletzt. Jemand allein schon wegen des tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Verhaltens, um dessen Unterbleiben es der Rechtsordnung zu tun ist, mit einer pönalen Sanktion als Person zur Rechenschaft zu ziehen, würde aber strafrechtlich keinen Sinn ergeben. Denn solange man den Betreffenden nicht individuell für das von ihm gegangenen Unrecht verantwortlich machen kann, ist bei ihm nichts zu ahnden. Anders kann es sich im Zivilrecht verhalten, wo es vornehmlich um Schadensausgleich geht und daher haftungsrechtliche Aspekte ins Spiel kommen. Das strafrechtliche Schuldprinzip hat eine einschränkende Aufgabe, nämlich den Täter für das von ihm begangene Unrecht nur dann strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er die Tat auch individuell zu verantworten hat. Erst bei individueller Verantwortlichkeit kann 11

S. 231 und S. 230 f. Fn. 8. Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931, II. 3. vor § 51; Mezger, Strafrecht, 2. Aufl. 1933, S. 257 m.w. N. 13 Gallas (Fn. 4), S. 45. Siehe auch ders., FS Mezger, 1954, S. 311, 324. 14 Lehrbuch (Fn. 5) 10/3. 12

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eine Strafe gerecht sein. Die heute wohl überwiegende Meinung sieht deshalb das individuelle Befolgen-Können der die begangene tatbestandsmäßig-rechtswidrige Handlung untersagenden Norm als ausschlaggebend an: Der Unwert, den die Bejahung der Schuld ausdrückt, besteht für sie darin, daß der Täter das Unrecht begangen hat, obwohl er individuell fähig war, sich normgemäß zu verhalten. 15 So war es auch, wie schon erwähnt, beim Konzipieren der personalen Unrechtslehre im wesentlichen gesehen worden. 16 Die Annahme von Gallas, 17 daß es bei der Schuldfrage nicht um das Befolgen-Können des Handlungsentschlusses gehen könne, weil dessen Mißbilligung bereits im Unrechtstatbestand stattfinde und daher sonst beim „Mangel dieses Könnens“ dann mit der Schuld auch das Unrecht entfiele, mißdeutet den personalen Unrechtsbegriff. Dieser besagt zwar, daß der mit der Handlung zum Unrechtstatbestand gehörende Entschluß (Handlungswille) im Widerspruch zur Rechtsordnung steht und daher als subjektive Seite des Handlungsunwerts das tatbestandsmäßige Unrecht mit konstituiert. Aber ob der die rechtswidrige Handlung begehende Täter auch individuell fähig war, den Normbefehl zu befolgen, ist ein davon zu unterscheidender Punkt, der die Unrechtsebene unberührt läßt. Stellt man bei der Schuld auf die „geistige Haltung“ oder das „geistige Verhalten“ ab, so verlangt man der Sache nach mehr, als gemeinhin zur Schuld gefordert wird, nämlich eine negative geistige Einstellung. Bei Gallas ist sogar davon die Rede, daß es sich bei der Schuld um „ein gegenüber dem Rechtswidrigkeitsurteil selbständiges rechtliches Sollensurteil“ handele. 18 Der Sache nach würde es hierauf wohl stets hinauslaufen, wenn von rechtlicher Mißbilligung der „geistigen Haltung“ oder des „geistigen Verhaltens“ oder von rechtlichem Gesinnungsunwert gesprochen wird. Pate hat offenbar die frühere Auffassung gestanden, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit die Schuld ausmachen. Betätigter Tatbestandsvorsatz und objektive Fahrlässigkeit sind rechtlich mißbilligte Sollensverstöße. Aber seit man dies erkannt hat, werden sie bereits dem Unrecht zugeordnet. Einen zum Unrecht hinzukommenen Sollensverstoß bei der Schuld anzunehmen, mißdeutet 15 BGHSt (GrS) 2, 194, 200; Gropp, Strafrecht AT, 3. Aufl. 2005, § 7 Rn. 24 ff.; LK / Hirsch, 11. Aufl. 1994, Vor § 32 Rn. 182; Kühl, Strafrecht AT, 5. Aufl. 2005, § 10 Rn. 3; Otto ZStW87 (1975) 539, 581 f.; ders., GA 1981, 481, 484 f.; ders., Grundkurs Strafrecht, Allg. Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004, § 12 Rn. 16 ff.; ders., GA 1981, S. 481, 484 f.; Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2004, § 7 Rn. 26 f.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 138; Zieschang, Strafrecht AT, S. 20 und 83. In den Ergebnissen wohl auch NK-StGB / Schild, 3. Aufl. 2005, § 20 Rn. 2 ff. Bezüglich der Begründung abweichend Köhler, Strafrecht AT, 1996, Kap. 7, 3. Otto formuliert: „Es wird mit dem Strafrecht nicht ‚Schuld vergolten‘ sondern Unrecht, jedoch nur innerhalb der Grenzen der persönlichen Verantwortlichkeit“ (ZStW 87 [1975] 539, 582). 16 Vgl. oben in Fn. 3. 17 Gallas (Fn. 4), S. 44 f. 18 Gallas (Fn. 4), S. 44.

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den Schuldbegriff völlig. Wo es sich um rechtliches Sollen handelt, haben wir es bereits mit der Ebene des Unrechts zu tun. Andernfalls würde man auch in einen regressus in infinitum geraten, da sich nach jedem Sollensverstoß die Schuldfrage erneut stellt. Aber auch wenn man jene Mißdeutung beiseite läßt, fragt man sich, welche selbständige Rolle die geistige Haltung oder das geistige Verhalten spielen sollen. Für ein Tatstrafrecht, wie es in einem Rechtsstaat gilt, geht es bei den Deliktsmerkmalen ausschließlich um Tatunrecht und die individuelle Verantwortlichkeit dafür. Zu verlangen, daß jemand die Tat aus einer negativ zu bewertenden geistigen Haltung oder einem solchen geistigen Verhalten heraus begangen hat, würde konsequenterweise dazu führen, daß ein solcher geistiger Befund zusätzlich vorzuliegen hätte. Aber in einem Tatstrafrecht ist für das Vorliegen der Deliktserfordernisse nur das tatbestandsmäßige Unrecht 19 und die Möglichkeit, den Täter individuell dafür verantwortlich machen zu können, erheblich. Treffend hat Otto dies schon vor mehr als drei Jahrzehnten eingehend dargelegt und nachdrücklich betont. 20 Wohl gibt es Delikte, bei denen das tatbestandsmäßige Unrecht ein spezifisches Motiv des Täters mit personalem Einschlag verlangt. Man denke zum Beispiel an vorsätzliche Tötung aus Rassenhaß oder aus Habgier. Hierbei handelt es sich jedoch bereits um unrechtsprägende besondere persönliche Merkmale. Die Grenzen für die Aufnahme solcher Motive ins Gesetz bestimmen sich nach den Maßstäben des Unrechts eines Tatstrafrechts. Sie sind also bereits vor der Schuldebene zu entscheiden. Bei den von den Anhängern der Gesinnungsschuld genannten geistigen Befunden handelt es sich demgegenüber nicht um Erfordernisse des Delikts, sondern ersichtlich um täterspezifische Eigenheiten, die erst im Rahmen der Strafzumessung bei der Berechnung der nach dem tatbezogenen Strafrahmen zu verhängenden Strafe Berücksichtigung finden können: Daß jemand eine unrechtmäßige Tat schuldhaft begangen hat – und nur darum geht es bei den Deliktsvoraussetzungen –, ist grundsätzlich nicht davon abhängig, aus welcher geistigen Haltung heraus dies geschehen ist. Man belangt den Täter wegen des Unrechts der von ihm zu verantwortenden Tat, nicht wegen seines geistigen Zuschnitts. Gallas suchte den aufgezeigten Konsequenzen seines Ansatzes dadurch zu entgehen, daß er erklärte: Der Gesinnungsunwert liege vor, wenn jemand sich in Freiheit gegen das Recht entscheide. Denn damit werde eine Haltung bekundet, die der widerspreche, welche die Rechtsordnung von dem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsgenossen fordere. Gesinnungsunwert sei mit dem Handlungsunwert regelmäßig gegeben und fehle „nur dann, wenn es dem Täter trotz vorsätzlicher Begehung am Können mangelte“. 21 Er kommt daher im Ergebnis wieder bei der 19 Wobei es nach dem personalen Unrechtsbegriff um Verhalten geht, das den Vorsatz als Willenselement der vorsätzlichen Handlung und den Handlungswillen der als sorgfaltswidrig (objektiv fahrlässig) zu bewertenden Handlung einbezieht. 20 Otto, ZStW 87 (1975) 539, 581 ff., 585 f. 21 Gallas (Fn. 4) 45.

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auf das Befolgen-Können abstellenden Ansicht an. 22 Aber Ergebnis und Begründung stehen nicht miteinander in Einklang. Es kann keine Rede davon sein, daß jeder Straftat ein Gesinnungsunwert einhergeht. Man denke an die Mehrzahl der Fahrlässigkeitstaten, namentlich die unbewußte Fahrlässigkeit. 23 Auch Affekttaten und Unterlassungstaten sind nicht immer mit einem Gesinnungsunwert verbunden. Ebenfalls sind sonstige Vorsatztaten denkbar, die mit positiver oder indifferenter Gesinnung begangen werden, z. B. Fälle aus Mitleid begangener Tötung auf Verlangen. Umgekehrt ist eine negative Gesinnung möglich, ohne daß ein straftatbestandsmäßiges Verhalten gegeben ist, wie insbesondere beim Versuch eines Delikts, das nur bei Vollendung pönalisiert ist. Außerdem kann ein Sexualmörder eine äußerst niedrige Gesinnung an den Tag legen, gleichwohl wegen mangelnden Hemmungsvermögens straflos bleiben. 24 Obgleich Schmidhäuser das von ihm angeführte Kriterium des „rechtsgutsverletzenden geistigen Verhaltens“ etwas näher bestimmt als Gallas den Gesichtspunkt der „geistigen Haltung“, erheben sich die gleichen Einwände. Schmidhäuser schrieb: „Strafrechtliche Schuld ist rechtsgutsverletzendes geistiges Verhalten ..., mit ihr ist gemeint, daß der Täter das durch sein Willensverhalten verletzte Rechtsgut auch im geistigen Verhalten verletzt, d. h. nicht ernstgenommen hat“, obwohl er „geistig in Wertkontakt stand“. 25 Aber „Nicht ernst nehmen“, obwohl „geistig in Wertkontakt stehen“, paßt evidentermaßen nicht für die unbewußte Fahrlässigkeit. 26 Und Ernstnehmen ist ein schon im Vorsatzbereich, nämlich bei der Bestimmung des dolus eventualis, 27 verwendeter Begriff, der daher für die Schuldfrage keine präzisen Anforderungen mehr bereithält. Am ehesten ließe sich an aktuelles Unrechtsbewußtsein denken; denn mit der konkreten, ernst genommenen Tat „geistig in Wertkontakt“ zu sein, erfordert doch wohl ein entsprechendes aktuelles Bewußtsein. Damit aber käme man zu einer erheblichen Erhöhung der Anforderungen an das Vorliegen von Schuld, obwohl diese doch nicht nur dann gegeben ist, wenn der Täter sich bewußt gegen die Rechtsordnung auflehnt. b) Weiterhin drängt sich gegenüber den Vertretern der Gesinnungsschuld die Frage auf, ob sie überhaupt als Einzeltatschuld begriffen werden kann. Schmidhäuser weist schon selbst darauf hin, daß beim „Gesinnungsbegriff in der Ethik und in der Umgangssprache ... oft nur von der Dauergesinnung die Rede ist“. 28 22

Darauf weist bereits Roxin hin (Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 19 Rn. 24). Das kritisiert auch Roxin (Fn. 22) ebendort. Nähere Kritik an der Lehre von der Gesinnungsschuld ebenfalls bei Roxin, FS Henkel, 1975, S. l71, 176 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl. 1991, 17/17; Cerezo Mir, ZStW 108 (1996) 9, 22 f. 24 Roxin (Fn. 22) ebd. 25 Schmidhäuser (Fn. 5) Lehrbuch, 10/6, 10/12. 26 Roxin (Fn. 22), § 19 Rn. 26. 27 Stratenwerth, ZStW 71 (1959) 51, 55 ff.; Stratenwerth / Kuhlen (Fn. 15), § 8 Rn. 117; Roxin (Fn. 22), § 12 Rn. 27 ff. m.w. N. 28 Schmidhäuser (Fn. 5), Lehrbuch, 10/3. 23

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Aber kann „Gesinnung“ eigentlich etwas anderes sein? Wer aus schlechter Gesinnung eine Tat begeht, handelt doch aus einer mehr als augenblicklichen geistigen Disposition heraus. Er handelt auf Grund einer dauernd oder jedenfalls zeitweilig vorhandenen geistigen Verfassung, mag sie auch erstmalig zur Begehung einer Straftat führen. Nur dann hat der Begriff auch Sinn. Wenn es sich nämlich um das geistige Einzelfallverhalten handelt, so geht es um etwas anderes: Vorsatz und Unrechtsbewußtsein. Diese Befunde haben nur dann etwas mit der Gesinnung zu tun, wenn sie aus einer schon vorhandenen negativen geistigen Einstellung, eben aus einer schlechten Gesinnung entspringen. So sieht die Dinge offenbar Beulke. 29 Ausgehend von der verbreiteten Auffassung, 30 daß der Vorsatz eine „Doppelfunktion“ habe, nämlich sowohl im Unrechtstatbestand als auch bei der Schuld, meint er: Auf Grund seiner Doppelfunktion sei der „Vorsatz im Schuldbereich Träger des in der Tat aktualisierten Gesinnungsunwertes. Charakteristisch für ihn als Schuldform ist die rechtsfeindliche oder gleichgültige Einstellung des Täters gegenüber den Verhaltensnormen des Rechts“. 31 Indem Beulke von aktualisiertem Gesinnungsunwert und der gleichgültigen Einstellung des Täters spricht, trifft er das Wesen der Gesinnung eher. Aber dafür setzt er sich anderen Einwänden aus. Die Rolle, die dem Vorsatz nach der Lehre von der Doppelfunktion noch als Schuldelement zugeschrieben wird, beschränkt sich darauf, den Erlaubnissachverhaltsirrtum zu erfassen. Es handelt sich mehr oder weniger um eine Verlegenheitskonstruktion, die ermöglichen soll, einerseits diesen Irrtumsfall erst der Schuld – und nicht schon dem Unrecht zuzuweisen, andererseits gleichwohl eine Strafbarkeit des vermeidbaren Irrtums aus dem Vorsatzdelikt zu verhindern. 32 Dem „Vorsatz“ wird von jener Richtung 29 (Fn. 5), Rn. 425. Vgl. auch Wolter (Fn. 5), S. 152 und 156; Lackner / Kühl, StGB, 25. Aufl. 2004, § 15 Rn. 34 (die in den grundsätzlichen Ausführungen zum Schuldbegriff [Vor § 13 Rn. 23 ff.] aber nicht mehr von „Gesinnungsunwert“ sprechen). 30 Vgl. Gallas (Fn. 4), S. 46 Fn. 89; Gropp (Fn. 15), § 13 Rn. 112 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 464 ff.; Lackner / Kühl (Fn. 29), Vor § 15 Rn. 34 ff.; Tröndle / Fischer (Fn. 5), § 16 Rn. 20; u. a. 31 Beulke (Fn. 5) Rn. 425 (Hervorhebungen teilweise von mir). Auch Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 426, sprechen von der in der Tat „akualisierten, rechtlich mißbilligten Gesinnung“. Unscharf dagegen Gallas, der einerseits davon sprach, daß unter Gesinnung hier nicht eine „dauernde Artung des Täters“ zu verstehen sei, andererseits sagte: Es handele sich um den „Unwert der in der konkreten Tat aktualisierten Haltung“, welche „den Schluß (bedeute), der bei einer generalisierenden, an sozialethischen Wertmaßstäben orientierten Betrachtung aus einer solchen Tat und ihren Beweggründen auf die Gesamteinstellung der Täters zu den Anforderungen des Rechts zu ziehen ist“ ([Fn. 4] 45). 32 Ihr ist zwar hinsichtlich der Zielsetzung beizupflichten, den Erlaubnissachverhaltsirrtum als Schuldelement einzuordnen; und auch das Bestreben, die Ergebnisse der strengen Schuldtheorie gleichwohl nicht eintreten zu lassen, erscheint im Ansatz berechtigt. Jedoch ist die dem Schuldbegriff gemäße Lösung wohl eher bei einer Differenzierung des Unrechts-

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daher hier inhaltlich nur eine periphere Funktion zugewiesen, die – wenn man ihr überhaupt folgen will – weit davon entfernt ist, der Schuld das Gepräge zu geben, geschweige denn den „Vorsatz“ zum „Träger des Gesinnungsunwerts“ zu machen. Die Fälle des vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtums spiegeln in der Regel auch keine rechtsfeindliche Einstellung wider. Und auch Gleichgültigkeit ist hier zumeist nicht im Spiel. Will man weitergehend aus der „Doppelfunktion“ ableiten, daß auf der Schuldebene der „Vorsatz“ unter Einbeziehung seiner Funktion im Unrechtstatbestand zu sehen wäre, so käme zwar der Gesamtbereich der Vorsatzfälle in den Blick. Aber auch dann könnte keine Rede davon sein, daß der Ursprung in einer rechtsfeindlichen oder gleichgültigen Einstellung gegenüber den Verhaltensnormen der Rechtsordnung für ihn charakteristisch ist. Die große Mehrheit der Täter bejaht die Rechtsordnung, nicht zuletzt, wenn es um ihren eigenen Schutz oder den nahestehender Personen geht. Und auch die einzelne Norm, beispielsweise das Tötungsverbot, wird nicht generell verworfen, sondern in der Regel allein in bezug auf die Geltung hinsichtlich der konkreten Opfer. Entsprechend verhält es sich mit der gleichgültigen Einstellung gegenüber den Normen. Auch sie läßt sich aus den genannten Gründen nicht als charakteristisch bezeichnen. Im übrigen geht es bei alledem um Fragen, die bei genauerer systematischer Einordnung das allgemeine Schuldelement „Unrechtsbewusstsein“ beträfen, da es sich um die subjektive Beziehung zur Norm handelt. Würden bei der Schuld die Rechtsfeindschaft oder die rechtliche Gleichgültigkeit in Rede stehen, hätten wir es mit qualifizierten Graden des Unrechtsbewußtseins zu tun. Sie aber werden aus naheliegenden Gründen von keiner Rechtsordnung gefordert, und auch die Autoren, die mit diesen Begriffen bei der Deutung des Schuldbegriffs arbeiten, verlangen verständlicherweise nicht ihr Vorliegen zur Bejahung von konkreter Schuld. Der Gesichtspunkt der Gesinnung im Zusammenhang der Einzeltatschuld paßt also nicht einmal für das von den Autoren Gemeinte. c) Lenckner 33 führt für die Gesinnungsschuld an: Da der Vorwurf des Andershandelnkönnens bei dem (subjektiv) fahrlässig oder in einem vermeidbaren Verbotsirrtum handelnden Täter der gleiche sei wie bei demjenigen, der sich bewußt gegen das Recht entscheide, sei eine zusätzliche Kennzeichnung des Gegenstandes nur dadurch möglich, daß als normativer Anknüpfungspunkt auch die in der vermeidbar fehlerhaften Willensbildung manifest gewordene Gesinnung in die Betrachtung miteinbezogen werde. Die Feststellung, daß sich der Täter bewußtseins zu suchen, nach der es darauf ankommt, ob das Fehlen dieses Bewußtseins auf einem Sachverhaltsirrtum (mit einer bei Vermeidbarkeit eingreifenden rechtlichen „Zwischenfigur“ der Erlaubnisfahrlässigkeit) oder einem Irrtum über die rechtliche Bewertung des Verhaltens beruht (näher hierzu Hirsch, FS F.-C. Schroeder, 2006, S. 223 ff.). 33 Lenckner (Fn. 5) Vor § 13 Rn. 119.

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normgemäß verhalten konnte, besage nur, daß sich überhaupt ein Schuldvorwurf erheben lasse. Lenckner ist jedoch entgegenzuhalten, daß das Können, wenn man es nicht ganz in Abrede stellen will, auch quantifizierbar ist. Das Befolgen-Können der Norm ist beim Vorsatzdelikt in vollem Umfang dann gegeben, wenn der Täter mit Unrechtsbewußtsein handelte und er sich diesem Bewußtsein gemäß motivieren konnte. Es ist reduziert in den Fällen geminderter Schuldfähigkeit und beim vermeidbaren Verbotsirrtum. Was das fahrlässige Delikt betrifft, geht es bei der vollen Schuld hier um das individuelle Können, die (sich im Erfolg niederschlagende) Sorgfaltswidrigkeit zu vermeiden. Sie ist damit gegeben, daß der Täter den Sorgfaltsverstoß, das heißt: das in ihm bestehende Unrecht, erkennen und sich entsprechend verhalten konnte. Und das Können ist wieder reduziert, wenn Schuldminderungsgründe, etwa verminderte Schuldfähigkeit, vorliegen. d) Die Verwendung des Begriffs „Gesinnung“ ist zudem sehr gefährlich. Nicht nur, daß von den betreffenden Autoren Gesichtspunkte in den Schuldbegriff eingeführt werden, die dort nichts zu suchen haben. Die Deutung der Schuld als Gesinnungsunwert bringt mehr noch die Gefahr mit sich, daß das Tatstrafrecht in ein Täterstrafrecht verwandelt und ihm damit die rechtsstaatliche Basis entzogen wird. Da „Gesinnung“ ihrer Natur nach ein mehr als augenblicklicher geistiger Befund ist, bildet die Verwendung des Begriffs eine Einladung, ihn in seiner gebräuchlichen Bedeutung zur Anwendung zu bringen. Damit aber ist man bei der allgemein abgelehnten Charakterschuld, wie sie v. Liszt und Eberhard Schmidt vertreten haben, angelangt. Auch erhebt sich bei der Einbeziehung der Gesinnung in die strafrechtlichen Deliktsvoraussetzungen das Bedenken, daß zwischen Recht und Moral nicht hinreichend differenziert wird. Bei der Moral spielt die Gesinnung eine entscheidende Rolle. Zum moralischen Verhalten gehört, daß man die ethischen Normen um des von ihnen geschützten Wertes willen befolgt, während für die Rechtstreue genügt, daß man die Rechtsnormen einhält. 34 Da auch für moralisches Verhalten nicht verlangt werden kann, daß man auf Schritt und Tritt jene Motivation aktuellbewußt aufweist, sondern ein latentes positives Gesonnensein gemeint ist, auf dem das Verhalten beruht, geht es um die Gesinnung. Rechtstreues Verhalten begnügt sich dagegen mit dem objektiven Faktum, daß man eine Rechtsnorm nicht verletzt. Der Gesinnungsunwert kann daher auch deshalb kein rechtliches Deliktserfordernis sein. Aber das ist noch nicht alles. Der Begriff „Gesinnung“ hat bekanntlich auch erhebliche Bedeutung im Zusammenhang mit Ideologien. Er eignet sich daher 34 Zu der auf Thomasius zurückgehenden Trennung näher Welzel, FS Julius v. Gierke, 1950, S. 290 ff.; ders., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, S. 164 ff. Sie bedeutet nicht, daß die strafbewehrten Rechtsnormen ethisch indifferent wären. Nur genügt für die rechtliche Seite, daß man sie einhält. Die Ablehnung einer Gesinnungsschuld für das Strafrecht läuft daher nicht auf eine Vertreibung der Ethik aus dem Strafrecht hinaus.

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hervorragend zum Mißbrauch des Strafrechts durch ideologisch ausgerichtete Diktaturen. Die faschistischen und kommunistischen Regime bilden warnende Beispiele. Ob ein Verhalten ein Delikt ist und wie schwer es als solches einzustufen ist, hängt dann schnell von der ideologischen Orientierung des Täters ab. Im Schrifttum hat man ohnehin vor einer allgemeinen Beeinflußbarkeit des Schuldbegriffs durch Ideologen gewarnt. 35 Aber diese Risiken sind beherrschbar bei einem an dogmatisch sachbezogene und klare Kriterien gebundenen strafrechtlichen Schulderfordernis, 36 während der Gesichtspunkt der Gesinnung geradezu auf eine Einladung an ideologische Einflüsse hinausläuft. Es könnte darauf hingewiesen werden, daß das deutsche StGB Merkmale enthält, die als Gesinnungsmerkmale eingestuft werden. Für das heutige Recht werden im Schrifttum insbesondere genannt: „böswillig“ und „niedrige Beweggründe“. 37 Dementsprechend ließe sich argumentieren, daß dann der Schuldbegriff doch etwas mit der Gesinnung zu tun haben müsse. Dazu ist zu sagen, daß es sich bei den fraglichen Merkmalen um Relikte der NS-Zeit handelt. Beseitigt worden ist inzwischen bereits das Merkmal „gewissenlos“. 38 Und auch das Merkmal „böswillig“ hat der Gesetzgeber an zwei Stellen gestrichen. 39 Solche Merkmale sind Fremdkörper in einem am Tatprinzip ausgerichteten Strafrecht: Im Schrifttum werden auch zunehmend rechtsstaatliche Bedenken gegenüber Gesinnungsmerkmalen geäußert, wobei auf den durch diese eröffneten Freiraum des Richters, die Grenzen der betreffenden Strafbarkeit zu bestimmen, und die Gefahren für die Gleichheit der Rechtsanwendung hingewiesen wird. 40 Aus solchen Merkmalen, soweit sie noch vorhanden sind, lassen sich keine Folgerungen für die Lösung allgemeiner dogmatischer Fragen ableiten. Im vorhergehenden war auch schon darauf hinzuweisen, daß es bei den Gesinnungsmerkmalen genauer betrachtet um gesetzgeberische Verstöße gegen die im Tatstrafrecht geltenden Grundsätze für die Bildung von Unrechtstatbeständen geht (Gesinnungsstrafrecht, Außerachtlassung des Bestimmtheitsgrundsatzes). Aus ihnen lassen sich um so weniger Schlüsse für die Schuldlehre ziehen, als in den gesetzlichen Regelungen allgemeiner Schuldfragen die Tätergesinnung nicht 35 Siehe Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1974, S. 21, und Otto, ZStW 87 (1975) 539, 580. 36 In der zeitgenössischen strafrechtlichen Praxis liegt hier auch kein aktuelles Problem. Im übrigen siehe noch unter Abschnitt IV. 2. 37 „Böswillig“ findet sich in § 90a Abs. 1, § 130 Abs. 1 Nr. 2 und § 225 Abs. 1 StGB, „niedrige Beweggründe“ in § 211 Abs. 2 StGB. 38 Es war im ehemaligen § 170c und zeitweilig auch im früheren § 170d (jetzt § 171 n. F.) StGB enthalten. 39 Nämlich in § 134 und mit der Streichung des § 170a StGB. 40 Vgl. Stratenwerth, FS H. v. Weber, 1963, S. l71, 190; Stratenwerth / Kuhlen (Fn. 15), § 8 Rn. 151; Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 473; Hirsch, FS Lüderssen, 2002, S. 253, 258 f.

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genannt wird. Weder in den Vorschriften über die Schuldfähigkeit noch denen über den Verbotsirrtum und den Entschuldigenden Notstand ist von ihr die Rede. Es verbleibt die Frage, ob die gegenüber der Gesinnungsschuld bestehenden Einwände vielleicht dadurch relativiert werden, daß es neben der Tatschuld auch noch die Strafzumessungsschuld gibt. Im Katalog der in § 46 StGB genannten Strafzumessungsgesichtspunkte wird „die Gesinnung, die aus der Tat spricht“, aufgeführt. Geht es daher bei der zur Erörterung stehenden Thematik überhaupt nur um ein formales Einordnungsproblem? Jedoch ist zu beachten, daß die Tatschuld deliktskonstituierend ist und daher als Strafbegründungsschuld das Delikt mit umgrenzt, während es bei der Strafzumessungsschuld erst um die Rechtsfolge geht, nämlich die konkret zu verhängende Strafe. Die Strafzumessungsschuld ist zwar umfassender in ihren Gesichtspunkten, wie der Katalog des § 46 StGB zeigt. Aber indem es sich bei ihr um die Ahndung der begangenen Tat handelt, ist sie gleichwohl auf diese in deren Grenzen bezogen, nicht nur bezüglich des gesetzlichen Strafrahmens, sondern auch dadurch, daß die konkret zu verhängende Strafe nicht über die Schuldangemessenheit hinsichtlich der begangenen Tat hinausgehen darf. 41 Die Berücksichtigung der Gesinnung, die aus der Tat spricht, bei der Strafzumessung hat daher auf die Schuld als Deliktsmerkmal keinen Einfluß. Sie hat im Gegenteil die durch die Tatschuld gezogenen Grenzen zu beachten. e) Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die meisten Anhänger der Gesinnungsschuld die Sorge einer anderenfalls eintretenden „Entleerung des Schuldbegriffs“ leitet. Nachdem der Tatbestandsvorsatz bereits zu einem Unrechtsmerkmal wurde, blieben für die Ebene der Schuldprüfung von den bisher angenommenen Erfordernissen allein übrig: Schuldfähigkeit, Unrechtsbewußtsein und Zumutbarkeit. 42 Diese Gesichtspunkte tauchen bei der Fallprüfung überwiegend in negativer Form auf: Da sich bei der Schuldfähigkeit nicht die Normalität subsumtionsfähig definieren läßt und der Kreis der deliktsrechtlich relevanten Anomalien daher völlig unbestimmt wäre, wird man auf einen Katalog von Schuldunfähigkeitsmerkmalen verwiesen. Auch die Zumutbarkeit ist nur durch negative Umschreibung präzise einzugrenzen, weshalb für die vorsätzlichen Begehungsdelikte eine gesetzliche Umgrenzung durch näher umschriebene Entschuldigungsgründe erfolgt. Dem entspricht es, daß jene Schuldmerkmale – und auch das Unrechtsbewußtsein bei seinem Nichtvorliegen: dem Verbotsirrtum 43 – nur in Ausnahmefällen praktisch zu Buche schlagen, jedenfalls beim Vorsatzdelikt. Der Vorsatz und auch die 41 Vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB, wo es heißt, daß „die Schuld des Täters ... Grundlage für die Zumessung der Strafe ist“. Zum Verhältnis von Tatschuld und Strafzumessungsschuld siehe auch Hirsch (Fn. 40), S. 265 f. m.w. N. 42 Nach der Lehre von der Doppelfunktion der Vorsatzes (vgl. oben in Fn. 30 und 32), die den Erlaubnissachverhaltsirrtum über eine Kategorie der „spezifischen Vorsatzschuld“ erfassen will, außerdem noch ein eigenständiges Merkmal für das Nichtvorliegen eines solchen Irrtums. 43 Und auch den Erlaubnissachverhaltsirrtum.

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ebenfalls in den Unrechtstatbestand verlagerte objektive Fahrlässigkeit bedürfen dagegen zumeist näherer Prüfung. 44 Die konstitutive Rolle, die Vorsatz und Fahrlässigkeit früher erst auf der Schuldebene einnahmen, führte daher zu einer Art von Schubladendenken: Schuld habe einen selbständigen Bewertungsgegenstand. Das war jedoch schon damals unzutreffend; denn der Vorsatz, also der Tatentschluß, und auch die Fahrlässigkeit lassen sich nicht vom Unrecht isolieren. Es geht bei der Schuld eben nicht um etwas gegenüber dem Unrecht Unabhängiges, sondern etwas Akzessorisches. Das Delikt setzt sich aus Wertungsstufen zusammen, und jede beinhaltet die vorhergehende als Voraussetzung. Jede nachfolgende erweitert den Wertungsgegenstand um hinzukommende spezifische Voraussetzungen. 45 Schuld bedeutet dementsprechend, daß dem Betreffenden eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung (oder Unterlassung), für die er individuell verantwortlich zu machen ist, vorgeworfen wird. Bezugsgegenstand des abschließenden Schuldurteils ist daher die gesamte Tat. Es kommt mithin allein darauf an, welche spezifischen Merkmale zum Unrecht hinzutreten müssen, damit aus einem unrechtmäßigen Verhalten eine schuldhafte (individuell vorwerfbare) Tat wird. Um den Tatbestandsvorsatz und die objektive Fahrlässigkeit geht es dabei nicht mehr, nachdem die neuere Dogmatik erkannt hat, daß diese Deliktserfordernisse bereits zum Unrechtstatbestand gehören. Das bedeutet jedoch nicht, daß sie für die Schuld dann kein Gewicht haben. Indem die als schuldhaft zu bewertende Tat das Unrecht als Schuldvoraussetzung umfaßt, werden sie über das Unrecht mit berücksichtigt. 4. Aus alledem ergibt sich, daß die Lehre von der Gesinnungsschuld ein dogmatischer und kriminalpolitischer Irrweg ist. Mit Recht hat Otto an ihr kritisiert, daß sie „dem Gehalt des streng auf das Unrecht bezogenen Sachverhalts“ der Frage, wofür der Täter strafrechtlich individuell verantwortlich zu machen ist, nicht gerecht wird. 46

44 Die subjektive Fahrlässigkeit (individuelle Voraussehbarkeit) wird von der h. M. mit Recht weiterhin bei der Schuld eingeordnet. Hinter ihr verbirgt sich bei der unbewußten Fahrlässigkeit die Möglichkeit des Täters, die objektive Sorgfaltswidrigkeit seines Handelns zu erkennen. Es geht folglich darum, daß für den Täter das konkrete Verbotensein und damit das Unrecht seines Handelns erkennbar gewesen sein muß. Während zur vollen Schuld beim Vorsatzdelikt das Unrechtsbewußtsein gehört, genügt beim fahrlässigen Delikt zu ihr, daß der Täter die objektive Sorgfaltspflicht, und das heißt: das Unrecht, hätte erkennen können. Bei Vorliegen objektiver Sorgfaltswidrigkeit (objektiver Fahrlässigkeit) ist dieses Schulderfordernis meistens ebenfalls erfüllt. Näher zum ganzen: Hirsch, FS Lampe, 2003, S. 515, 524 ff., 528 f. Siehe zu der Problematik auch noch im folgenden III. 1. 45 Näher Hirsch (Fn. 15), Vor § 32 Rn. 5 f., 182, 186. Das bedeutet übrigens nicht, daß das tatbestandsmäßige Unrecht schon für sich allein eine teilweise Schuld darstellt. Vielmehr wird die Tat erst mit dem Vorliegen der spezifischen Schuldmerkmale der dritten Deliktsebene zu einer (voll oder gemindert) schuldhaften Tat. 46 Vgl. Otto, ZStW 87 (1975) 539, 581.

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III. 1. Einige Autoren meinen, daß der Schuld neben dem Unrecht keine über diese hinausgehende eigene Bedeutung zukomme. 47 Sie berufen sich dabei auf normentheoretische Überlegungen. Normwidrig könne sich nur verhalten, wer auch in der konkreten Situation imstande sei, die Norm zu befolgen. Es handelt sich hierbei um die alte, längst überholt geglaubte Imperativentheorie. Was die eigentlichen Fragen der Schuldlehre angeht, werden diese auf solche Weise aber nur auf die Ebene des Unrechts verlagert. Zu ihrer Lösung trägt jene Auffassung daher nichts bei. Stattdessen vernachlässigt sie die Regelungsfunktion der Normen, nämlich allgemeinverbindliche Verhaltensanweisungen zu geben, nach denen eine Gesellschaft sich zu richten hat und an denen sie sich orientieren kann. Dazu bedarf es Normen, die an der Normalität des Befolgen-Könnens ausgerichtet sind. Das läßt sich an den Regeln des Straßenverkehrs besonders deutlich machen. Er kann nur funktionieren, wenn die Verkehrsteilnehmer von für jedermann geltenden Regeln ausgehen können. Auch ist zu beachten, daß sich aus der Individualisierung des Normverständnisses ergeben würde, daß die Erweiterung der Rechtmäßigkeit des Handelns des einen zu Lasten der Handlungsfreiheit des anderen gehen würde. Das wird gerade auch beim Notwehrrecht bedeutsam. Handelt der Angreifer nicht rechtswidrig, ist dem Betroffenen Notwehr verschlossen. Die Anhänger der hier kritisierten Auffassung meinen deshalb, das Notwehrrecht bestimme sich nach anderen Kriterien als die Normentheorie. 48 Aber wonach soll sich die Rechtswidrigkeit sinnvollerweise orientieren, wenn nicht nach der Normwidrigkeit des Angriffs? Eine breitere Wiederbelebung erfährt die Imperativentheorie in Teilen der neueren Fahrlässigkeitsdogmatik. Von einigen Autoren wird vertreten, daß die Sorgfaltsnormen sich an den konkreten Fähigkeiten des einzelnen ausrichten. 49 Von jemandem ein bestimmtes sorgfaltsgemäßes Verhalten zu verlangen, der zu dieser Sorgfalt gar nicht fähig sei, weil er den Erfolg individuell nicht vermeiden konnte, ergebe keinen Sinn. Vorstehend wurde demgegenüber aufgezeigt, daß die Rechtsordnung ohne allgemeinverbindliche Verhaltensanweisungen nicht funktionieren kann. Wenn jemand sie individuell nicht zu befolgen vermag, so kommt erst Fehlen der Schuld in Betracht. 50 47

Vgl. eingehend neuestens Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005) 115, 134 ff. m.w. N. Vgl. Renzikowski (Fn. 47), S. 136. 49 Stratenwerth, Strafrecht AT, 1. Aufl. 1971, Rn. 1164 ff.; Stratenwerth / Kuhlen (Fn. 15), § 15 Rn. 12 ff.; Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972, S. 48 ff., 55 ff.; ders. (Fn. 23), 9/8 ff.; Gössel, FS Bengl, 1984, S. 23, 35 f.; Castaldo, GA 1993, 495 ff.; Weigend, FS Gössel, 2002, S. 129, 142 f. m.w. N. Schon Stratenwerth (a. a. O. Rn. 1170, 1180) und Jakobs (Teheran-Beiheft ZStW 1974, 12 ff.) haben diese Subjektivierung des Fahrlässigkeitsunrechts aber bzgl. erhöhter Fähigkeiten teilweise durch „erlaubtes Risiko“ als Unrechtskorrektiv relativiert; hierzu näher Hirsch, ZStW 94 (1982), S. 239, 272 f. 48

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Im Hintergrund der Diskussion um die Unterscheidung von Unrecht und Schuld beim fahrlässigen Delikt steht offenbar wiederum eine Mißdeutung des personalen Unrechtsbegriffs: die Annahme, daß das Pendant zum Vorsatz die subjektive Fahrlässigkeit (individuelle Voraussehbarkeit) sei. Der personale Unrechtsbegriff bedeutet jedoch nicht, wie vielfach unzutreffend gemeint wird, eine der objektiven Tatseite spiegelbildliche Subjektivierung des Unrechts. Vielmehr geht es bei ihm um die Berücksichtigung des Handlungswillens der normwidrigen Handlung. 51 Dieser besteht aber beim fahrlässigen Delikt nur in dem Handlungswillen des als objektiv sorgfaltswidrig zu bewertenden Handelns. Die individuelle Voraussehbarkeit betrifft dagegen erst die Schuldseite des fahrlässigen Delikts, nämlich die individuelle Möglichkeit, die objektive Sorgfaltswidrigkeit (= Normwidrigkeit) des Verhaltens zu erkennen. 52 2. Andere Autoren wollen das Schuldprinzip auch inhaltlich völlig abschaffen. Sie begründen dies damit, daß es auf dem Gedanken der Willensfreiheit beruhe, diese jedoch nicht beweisbar sei. 53 Ihnen wird entgegengehalten, daß sie ihrerseits kein brauchbares Gegenkonzept anzubieten haben, 54 sich vielmehr der Verzicht auf den Schuldbegriff zum Nachteil der Bürger auswirken täte. 55 Es heißt, daß die Bejahung des Schulderfordernisses dem mit dem Strafgesetz in Konflikt gekommenen Bürger immerhin die Chance lasse, nicht dem „höchst zweifelhaften Vorteil der Behandlung als Kranker ausgeliefert zu werden“, weil er sonst „meistens von den einschneidenderen Sicherungsmaßregeln des StGB eingeholt“ würde. 56 Diese Gegenargumente sind einleuchtend, zeigen aber nur praktische Konsequenzen auf. Andere Stellungnahmen sind um den Nachweis der Willensfreiheit bemüht. 57 Ein zwingender Beweis konnte jedoch bisher nicht geführt werden und wird vielleicht auch nicht gelingen. Das gilt erst recht für die gegenüberstehende Position: den Determinismus. 50

So auch die h. M.; näher Hirsch (Fn. 44), S. 524 ff. m.w. N. Entsprechend beim Unterlassungsdelikt um den Willen (Entschluß) zu dem Unterlassen, das als normwidrig eingestuft ist. 52 Im einzelnen darüber Hirsch (Fn. 44), S. 524 ff. 53 Siehe etwa Plack, Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts, 1974: Kargl, Kritik des Schuldprinzips, 1982, S. 198 ff., 375 ff.; Danner, Tatvergeltung oder Tätererziehung? 2. Aufl. 1972, S. 45 ff., 90 ff., passim. 54 Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, 1977, S. 40. 55 Lackner, FS Kleinknecht, 1985, S. 245, 266. 56 Lackner (wie Fn. 55). Auch Arthur Kaufmann, FS Lange, 1976, S. 27, gelangt zu dem Ergebnis: „Gegenüber solchen Extremforderungen kann man getrost zur Tagesordnung übergehen.“ 57 Eindrücklich zum Ausdruck gelangt im Plenarbeschluß BGHSt 2, 194, 200. Interdisziplinär zusammenfassend insbesondere Dreher, Die Willensfreiheit, 1987, passim. Von den jüngeren Stellungnahmen siehe außerdem etwa Griffel, ZStW 98 (1986) 28, 38 ff., und Schünemann, in: ders. (Hrsg.) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 153, 163 ff. Weitere Nachweise bei Lenckner (Fn. 5), Vor § 13 Rn. 108. 51

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Es fragt sich jedoch, ob es für die Rechtswissenschaft auf diesen Streit überhaupt ankommt. Sie ist keine Naturwissenschaft, sondern hat sich an den Erscheinungen des sozialen Lebens zu orientieren. Soll das Recht die Menschen erreichen, muß es diese deshalb so nehmen, wie sie sich selbst verstehen. Es ginge sonst ins Leere. Da der Mensch sich grundsätzlich frei empfindet, hat dieses Selbstverständnis daher den Anknüpfungspunkt zu bilden. Das vom Menschen gesetzte Recht kann sich nicht zu dem gelebten allgemeinen Selbstverständnis seiner Adressaten in Widerspruch setzen. Ihm verbleibt nur, sich an deren Weltbild zu orientieren und damit die Vorstellung der Willensfreiheit, nicht diese selbst, als allgemein akzeptierte Grundlage menschlichen Verhaltens zu akzeptieren. Aus strafrechtlicher Sicht kommt hinzu, daß mit den Strafdrohungen und auch der Strafe selbst in besonderem Maße an dieses Selbstverständnis der Menschen angeknüpft wird. Es geht bei ihnen gerade um Appelle an die Willensbildung, deren Freiheit der Mensch sich selbst zuspricht. 58 Wenn heute von einzelnen Hirnforschern 59 – etwas sensationell aufbereitet – vorgebracht wird, daß nach ihren Forschungen die Willensfreiheit zu verneinen sei, berührt das deshalb die Rechtsordnung und die Rechtswissenschaft nicht. Ganz abgesehen davon, daß solche medizinischen Thesen an die Auffassung von Anatomen des 19. Jahrhunderts erinnern, wonach der Mensch keine Seele haben könne, weil ein entsprechendes Organ anatomisch nicht zu finden sei, sollte beachtet werden, daß das Recht, um wirken zu können, sich an die Gesellschaft mit dem in ihr vorgegebenen Selbstverständnis der Menschen zu richten hat. Die Rechtswissenschaft ist dementsprechend Gesellschafts- und nicht Naturwissenschaft. Im übrigen geht es daher auch nicht um ein spezifisch strafrechtliches Thema: Vielmehr basieren heute weltweit nahezu alle gesellschaftlichen und kulturellen Systeme auf jenem Selbstverständnis. 60 Für die zur Erörterung stehende Frage des „Befolgen-Könnens“ bedeutet das, daß dieses nach dem zugrunde zu legenden menschlichen Selbstverständnis das Kriterium der Schuld sein kann.

58 Vgl. zum vorhergehenden: Hirsch, ZStW 106 (1994) 746, 763 f.; Cerezo Mir (Fn. 23), S. 20 f.; Burkhardt, Das Magazin 14, Hrsg. Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Heft 2 (2003), S. 21 ff.; Lackner / Kühl (Fn. 29), Vor § 13 Rn. 26 mit umfangreichen Nachweisen zum Streitstand. 59 Insbesondere W. Singer, Ein neues Menschenbild? 2003; ders., Deutsche Zeitschrift für Philosophie 52 (2) 235 ff. 60 Zur Kritik an den Thesen Singers siehe vor allem H.-L. Schreiber, Ist der Mensch für sein Verhalten rechtlich verantwortlich? in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 10 (2005), S. 23 H m.w. N. Eingehend zur strafrechtlichen Problematik jüngst G. Detlefsen, Grenzen der Freiheit ... (2006).

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IV. Im Schrifttum machen außerdem Theorien von sich reden, die den Schuldbegriff mit der Generalprävention in Verbindung bringen. 1. An erster Stelle ist hier die Auffassung von Jakobs zu nennen. Sie geht von der Unbeweisbarkeit der Willensfreiheit aus und verneint deshalb die Möglichkeit der Anknüpfung an ein Andershandelnkönnen. 61 Da Jakobs andererseits eine „Zuständigkeit“ des Täters für den Normbruch finden muß, greift er auf das Schuldprinzip zurück und leitet es aus der Generalprävention ab. Schuld sei ein „Derivat der Generalprävention“. 62 Daraus resultiert ein zweckbezogener Schuldbegriff: Schuldhaft sei eine Handlung, die sich als Ausdruck eines „Mankos an Rechtstreue“ beim Täter darstelle, weshalb dieser selbst für den Normbruch zuständig sei. 63 Jakobs ist entgegenzuhalten, daß die Schuld nicht aus der Generalprävention erklärt werden kann, sondern zu dieser in Gegensatz steht. Die Schuld dient als ein die Grenze individueller Verantwortlichkeit markierendes Bollwerk gegen Ausuferungen der Generalprävention. Die Anknüpfung an letztere bedeutet eine Entindividualisierung des Schuldbegriffs. Außerdem ist Prävention im Unterschied zur Schuld auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit – das begangene Unrecht – hin ausgerichtet. 64 Auch fragt man sich, wie aus dem Gesichtspunkt „Ausdruck eines Mankos an Rechtstreue beim Täter“ Kriterien des „Schuld“-Begriffs abgeleitet werden sollen. Es kann jemand ein „Manko an Rechtstreue“ aufweisen, das auf krankhaften seelischen Störungen beruht. Auch vermag derjenige, der sich im Entschuldigenden Notstand befindet, die Rechtstreue nicht durchzuhalten. Niemand wird die Betreffenden deshalb bestrafen wollen. Es zeigt sich hier ein Wesenszug der Dogmatik von Jakobs: Es werden Begriffe verwandt, die systematisch unscharf sind, und ihnen zumeist die sachentsprechenden Ergebnisse dann untergelegt, welche von der durch Jakobs befehdeten Dogmatik entwickelt worden waren. Im übrigen gerät die „Schuld“-Auffassung von Jakobs in einen Widerspruch: Ginge es wirklich um Generalprävention, so wäre vom Standpunkt negativer Prävention der Effekt doch größer, wenn es die – ja einschränkenden – Schulder61

Jakobs (Fn. 23), 17/23. Jakobs, Schuld und Prävention, 1976, S. 8 ff., 31 H; ders. (Fn. 23), 17/18 ff., 1/1 ff.; ders., Das Schuldprinzip, 1993. 63 Jakobs, Allg. Teil (Fn. 23), 17/25, 17/19, 17/20. 64 Vgl. die Kritik bei Bock, ZStW 103 (1991) 636, 643 ff.; Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 215 f.; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990, S. 157 ff.; Lackner / Kühl (Fn. 29), Vor § 13 Rn. 25; Lenckner (Fn. 5), Vor § 13 Rn. 117; Stratenwerth / Kuhlen (Fn. 15), § 10 Rn. 6 f.; jeweils mit umfangreichen Nachweisen. 62

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fordernisse gar nicht gäbe. Und aus der Sicht der sogenannten positiven Generalprävention entsteht ein Zirkel: Diese soll bedeuten, daß durch das Vertrauen der Allgemeinheit in gerechte Bestrafung eine Normstabilisierung erfolgt. Wenn das so wäre, kann die positive Generalprävention aber nicht ihrerseits Voraussetzung der gerechten Bestrafung sein, sondern allenfalls deren Folge. 65 Die Ableitung der Schuld aus der Generalprävention bildet die wohl größte Verirrung, welche die Schuldlehre bisher erfahren hat. Otto bemerkt treffend: Wenn man meint, der auf das menschliche Selbstverständnis der Willensfreiheit gegründete Schuldbegriff sei unzeitgemäß und stattdessen habe man an Prävention anzuknüpfen, sei dies „identisch mit der Feststellung, die Achtung der Würde der Person sei unzeitgemäß“. 66 2. Weniger radikal will Roxin den Schuldbegriff mit der Generalprävention in Verbindung bringen. Er ist der Ansicht, daß an die Stelle des bisherigen Deliktsmerkmals „Schuld“ eine Schuld und Prävention als „sich gegenseitig begrenzende Elemente“ zusammenfassende Deliktsstufe „Verantwortlichkeit“ zu treten habe. 67 Auch hierbei geht es darum, daß das „Können“ durch andere Gesichtspunkte ersetzt werden soll. 68 Diese Auffassung ist nicht in allen Punkten klar. Wenn man meint, daß Schuld und Prävention sich gegenseitig begrenzten, so muß zunächst einmal Schuld vorliegen. Woraus aber leitet diese sich ab, wenn das Befolgen-Können, wie Roxin behauptet, kein geeigneter Gesichtspunkt sein soll? Er will Schuld verstehen als „unrechtes Handeln trotz normativer Ansprechbarkeit“. Das soll heißen, „daß die Schuld eines Täters zu bejahen ist, wenn er bei der Tat seiner geistigen und seelischen Verfassung nach für den Anruf der Norm disponiert war, wenn ihm Entscheidungsmöglichkeiten zu norm-orientiertem Verhalten psychisch (noch) zugänglich waren, wenn die (sei es freie, sei es determinierte) psychische Steuerungsmöglichkeit, die dem gesunden Erwachsenen in den meisten Situationen gegeben ist, im konkreten Fall vorhanden war“. 69 Hinter dieser etwas breiten Definition tritt das Befolgen-Können dann aber doch wieder hervor, wie die Gesichtspunkte „bei der Tat seiner geistigen und seelischen Verfassung nach für den 65

Diese und weitere Argumente gegen die von Jakobs vorgenommene Ableitung der Schuld aus der Generalprävention im einzelnen bei Hirsch (Fn. 15), Vor § 32 Rn. 182c f.; ders. (Fn. 58), S. 753 ff., 756 ff.; mit eingehenden Schrifttumsnachweisen. 66 Otto, GA 1981, 481, 491. 67 Roxin (Fn. 22), § 3 Rn. 51 ff., 59 ff., § 19 Rn. 1 ff.; ders., Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. 1973, S. 33 ff.; ders., FS Henkel (Fn. 23), S. 171 ff. Nachw. zu weiteren Autoren noch unten Fn. 80. 68 Vgl. Roxin (Fn. 22), § 19 Rn. 21 f. 69 Roxin (Fn. 22), § 19 Rn. 36.

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Anruf der Normen disponiert“, „Entscheidungsmöglichkeit zu norm-orientiertem Verhalten psychisch noch zugänglich waren“ und „psychische Steuerungsmöglichkeit, die dem gesunden Erwachsenen in den meisten Situationen gegeben ist, im konkreten Fall vorhanden war“ zeigen. Roxin schreibt dann auch, daß seine Schuldauffassung vom „herkömmlichen Begriff des Andershandelnkönnens alles aufnehme, was forensisch greifbar ist“. Normativ zugeschrieben werde – wegen des von ihm als rechtlich zu beachten angesehenen naturwissenschaftlichen Streits um den Indeterminismus – nur die aus solchem Befund abgeleitete Möglichkeit zu rechtmäßigem Verhalten. 70 Bezüglich der „normativen Zuschreibung“ erhebt sich allerdings die Frage der wissenschaftlichen Grundlage. Was die Beziehung zur Generalprävention angeht, heißt es bei Roxin: Da „die Bejahung menschlicher Schuld nur dazu dient, einem aus präventiven Gründen notwendigen staatlichen Eingriff eine Grenze zu setzen, hängt die Legitimität ihrer Anerkennung als eines Mittels bürgerlicher Freiheitswahrung nicht von ihrer empirischen oder erkenntnistheoretischen Beweisbarkeit ab. Ihre Annahme ist eine normative Setzung“. 71 Indem der Schuld damit lediglich die Funktion einer Obergrenze zugesprochen wird, gerät aber bei konsequenter Betrachtung ihre konstitutive Rolle als Baustein des Delikts aus dem Blick. 72 Roxin verweist darauf, daß sich der von ihm vertretene Schuldbegriff hinsichtlich der Ableitung aus den „sozialen“ Grundlagen dem funktionalen Schuldbegriff von Jakobs ähnele. 73 Damit aber setzt er sich leicht den Einwänden aus, die gegenüber Jakobs zu erheben sind. Auch wenn man der Generalprävention nur die Aufgabe der Begrenzung vorhandener Schuld zuweist, wirft sie Probleme auf. Das erste ist, daß sie völlig unscharf ist und damit als Gesichtspunkt für Teilfragen innerhalb des dogmatischen Systems bar jeglicher Aussagekraft. Unter Hinweis auf sie läßt sich alles und jedes behaupten. Ein zweiter Punkt ist, daß es sich bei ihr um einen mit dem Schuldbegriff unverträglichen Gesichtspunkt handelt. Wie oben aufgezeigt worden ist, geht es beim Schuldbegriff um die individuelle Verantwortlichkeit des Täters. Der Blick richtet sich deshalb auf dessen Befindlichkeit, und zwar bei Begehung der Tat. Prävention ist dagegen auf die Zukunft gerichtet. Sie hat mit der Fragestellung des dritten Deliktsmerkmals nichts zu tun. Auch geht es bei der Generalprävention um die psychische Einwirkung auf Dritte. Soweit es sich um die negative Generalprävention handelt, ist für diese die Ahndung des Unrechts von Interesse, nicht aber der individuelle Rabatt, um den es bei der Schuldfrage 70

Roxin (Fn. 22), § 19 Rn. 46. Roxin (Fn. 22), § 3 Rn. 55. 72 Dazu bereits Hirsch (Fn. 58), S. 754 ff. Roxin weist dieses Bedenken mit dem Bemerken zurück, daß der zitierte Satz von ihm nicht so gemeint sei ([Fn. 22], § 19 Rn. 9). 73 Roxin (Fn. 22), § 19 Rn. 48. 71

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geht. Und was die sogenannte positive Generalprävention betrifft, interessieren für sie die strafrechtlichen Abgrenzungen der individuellen Verantwortlichkeit ebenfalls kaum. Roxin meint nun aber, seine Überlegungen insbesondere am Beispiel des Entschuldigenden Notstands (§ 35 StGB) belegen zu können: Dessen Regelungen lassen sich seiner Ansicht nach inhaltlich nur aus präventiven Erwägungen heraus erklären, wie insbesondere die Gegenausnahme in den Sonderfällen besonderer Gefahrtragungspflichten nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB zeige. Er meint, die Differenzierung könne nur erklärt werden, wenn man trotz der Notlage grundsätzlich Schuld für gegeben erachte, aber außerhalb der Sonderfälle das Fehlen der präventiven Bestrafungsnotwendigkeit als Grund des Entfallens der Verantwortlichkeit ansehe. 74 Dagegen ist aber anzuführen, daß hinter der Differenzierung verschiedene Grade der psychischen Belastbarkeit, also des zu erwartenden Könnens, von Personengruppen stehen und daß in den Normalfällen ein etwa noch vorhandener Schuldrest wegen seiner Geringfügigkeit typischerweise außer Betracht bleibt. 75 Roxin bezeichnet das von ihm als Kombination von Schuld und Prävention gedachte Deliktsmerkmal mit dem Wort „Verantwortlichkeit“. 76 Das klingt modern und nüchterner im Vergleich zu „Schuld“. Aber bei Roxin wird, wie im vorhergehenden aufgezeigt worden ist, auch deutlich, wo die Defizite liegen: bei dem Eindringen entindividualisierender Gesichtspunkte. Der „Schuld“-Begriff läßt demgegenüber unmißverständlich den individuellen Bezug deutlich werden. Für ihn sind auch in langjähriger Praxis Maßstäbe herausgebildet worden, an denen sich die Rechtsanwendung orientieren kann. 77 Wie wenig Halt der Begriff „Verantwortlichkeit“ demgegenüber gibt, wird auch daran deutlich, wenn heute vielfach geschrieben wird, daß juristische Personen für schuldhaftes Verhalten ihrer Repräsentanten strafrechtlich „verantwortlich“ seien, 78 Wie auch immer man zur Frage der Straffähigkeit juristischer Personen stehen mag, sollte aber doch nicht übersehen werden, daß es zur Bestrafung der Korporation als solcher mehr bedürfte als das Faktum, daß die unmittelbar Handelnden als Repräsentanten tätig waren. Unverzichtbar wäre, um ahndend gegen die Gesamtperson vorzugehen, daß sie als solche die konkreten Handlungen hätten vermeiden können (z. B. durch Überwachung der Tätigkeit oder sorgsame Personalauswahl). Wie die aktuelle Diskussion und Gesetzgebung zeigen, verdrängt das der Begriff der „Verantwortlichkeit“ leicht aus dem Blick. Otto hat deshalb schon früh darauf hingewiesen, 74

Roxin (Fn. 22), § 19 Rn. 1 ff. Vgl. Hirsch (Fn. 25), Vor § 32 Rn. 193; auch Jescheck (Fn. 5) Vor § 13 Rn. 72; Cerezo Mir (Fn. 23), S. 23 f. 76 Nachw. oben in Fn. 67. 77 Hirsch (Fn. 58), S. 758 f. 78 Näher dazu Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, passim; Hirsch, ZStW 107 (1995), S. 285 ff. m.w. N. 75

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daß die mit dem schlichten Begriff „Verantwortlichkeit“ einhergehende Entindividualisierung die Ersetzung von Schuld durch bloße Haftung – einen strafrechtsfremden Begriff – bedeutet. 79 Im übrigen gilt hinsichtlich jeglichen Rückgriffs auf die Prävention bei der Schuldfrage 80 das im vorhergehenden schon Ausgeführte. V. 1. Es hat sich gezeigt, daß keines der gegen die Auffassung des BefolgenKönnens vorgebrachten Argumente durchschlagend ist und alternative Konzepte nicht überzeugend sind. Auch Gallas nahm genauer betrachtet an, daß bei der Schuldfrage das individuelle Können zu beantworten ist. Er ging nämlich – wie schon erwähnt – von der Frage aus, „worin eigentlich der sachliche Grund für die Verbindung von Vorwerfbarkeit und Können liegt“. Und außerdem schrieb er, „der Gesinnungsunwert ... fehlt nur dann, wenn es dem Täter trotz vorsätzlicher Begehung am Können mangelte“. 81 Um den Täter, der sich tatbestandsmäßig-rechtswidrig verhalten hat, für seine Tat individuell verantwortlich zu machen, geht es allein darum, ob er das jeweilige Verbot oder Gebot befolgen konnte (wobei dem Gesetzgeber ein Spielraum bezüglich des Grades vorauszusetzenden Könnens belassen ist 82). Die Unterscheidung von Unrecht und Schuld, für die man früher den Gegensatz „objektiv-subjektiv“ als ausschlaggebend ansah, richtet sich nach dem Begriffspaar „Sollen-Können“. Bei den spezifischen Schuldmerkmalen haben wir es daher mit der Möglichkeit des Täters zu tun, bei Begehung der Tat das jeweilige konkrete Unrecht zu erkennen und sich dieser Kenntnis gemäß zu verhalten. Diese Merkmale des Schuldbegriffs werden auch in den gesetzlichen Regelungen der Schuldunfähigkeit deutlich, wo als Schuldgesichtspunkte angegeben werden: das „Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“. 83 Die Möglichkeit des Unrechtsbewußt79 Otto, GA 1981, 481, 494 Fn. 30. Roxin selbst spricht von „strafrechtlicher Haftbarmachung des Täters“ ([Fn. 22] § 19 Rn. 1). Nähere Kritik an Roxins Lehre von der „Verantwortlichkeit“ bei Hirsch (Fn. 15), Vor § 32 Rn. 182b, 195; ders. (Fn. 58), S. 755 ff.; jeweils m.w. N. 80 Der sich auch bei weiteren Autoren findet, so etwa – mit Abweichungen im einzelnen – als „funktionaler Schuldbegriff“ bei Achenbach, in: Schünemann (Hrsg.) (Fn. 57), S. 151; Amelung, in: Schünemann (Hrsg.) (Fn. 57), S. 97 ff.; Schünemann (Fn. 57), S. 169 ff. Siehe auch das „funktionale Schuldverständnis“ bei Streng, ZStW 92 (1980) 637 ff.; ders., in: MüKo-StGB 2003, § 20 Rn. 20 H; ders., FS Hruschka, 2005, S. 697, 710 ff., 716 ff. 81 Vgl. Gallas (Fn. 4), S. 44 f. Auch Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 422 geht es vor allem darum. 82 Siehe die gesetzlichen Voraussetzungen des Entschuldigenden Notstands. 83 Vgl. §§ 20 und 21 StGB, § 11 österr. StGB, Art. 30 und 31 §§ 1 und 2 poln. StGB, Art. 10 schweiz. StGB, Art. 20 Abs. 1 span. StGB, u. a.

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seins bildet das intellektuelle Erfordernis der Schuld, und die Möglichkeit, sich nach dieser Einsicht zu motivieren, das voluntative. Daß die Schuldfähigkeit noch daneben gesondert angeführt wird, hat den Grund, daß die aufgezählten seelischen Störungen sowohl das eine wie das andere oder beide betreffen können und daß diese psychisch bedingten Defekte noch besondere Rechtsfolgen nach sich ziehen. 84 Man ist sich beim Gesichtspunkt des Befolgen-Könnens darüber im klaren, daß er nicht im Sinne einer extremen Individualisierung zu verstehen ist. 85 Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Strafgesetze beim Entschuldigenden Notstand generalisierende Regelungen treffen, die besagen, wann davon auszugehen ist, daß eine Norm nicht befolgt werden kann. Aber auch die Feststellung des Könnens bei den Fragen der Schuldfähigkeit und des vermeidbaren Verbotsirrtums ist ohne den Rückgriff auf Erfahrungswerte durchschnittlichen Könnens oft nicht zu beantworten. Für die Praxis ergibt sich daher vielfach die Notwendigkeit, sich daran zu orientieren, ob der Durchschnittsbürger in vergleichbarer Situation die Norm hätte befolgen können. 86 Bei dieser Generalisierung geht es jedoch nicht um die Frage, wie der Täter sich hätte verhalten sollen, 87 geschweige denn um Präventionsaspekte, sondern um Erfahrungswissen bezüglich des menschlichen Könnens. Auch sind im konkreten Fall immer individuelle und situationsbedingte Abweichungen von den Erfahrungssätzen in beiden Richtungen möglich, es sei denn, daß es sich um nur entfernte und daher rechtsunerhebliche Könnensgrade handelt. Der langwierige Umgang der Gerichte mit dem Schuldbegriff hat zudem ermöglicht, daß dessen Entwicklung nicht nur praxiskonform ist, sondern auch individuell gerechte Ergebnisse erzielt werden. Bei der Fahrlässigkeit, deren Schuldseite die strafrechtliche Gerichtspraxis häufig beschäftigt, gehört die nähere Befassung mit dem individuellen Können sogar zum juristischen Alltag, ohne sich deshalb als ungeeigneter Gesichtspunkt zu erweisen. Daß Erfahrungssätze bei der Feststellung ins Spiel kommen, bedeutet nicht, daß die auf der Schuldebene zu prüfenden einzelnen Merkmale vorwiegend normativer Natur wären. Vielmehr geht es gerade bei ihnen schwerpunktmäßig um Tatsachenfeststellung. Es bestätigt sich nach alledem, daß es bei dem strafrechtlichen Deliktsmerkmal „Schuld“ um das individuelle Können der Normbefolgung geht. Wir haben es nicht mit einem zum Unrecht hinzutretenden weiteren Verstoß gegen eine recht84

Vgl. zum vorhergehenden: Hirsch (Fn. 15), Vor § 32 Rn. 187, 189. Dazu Stratenwerth / Kuhlen (Fn. 15), § 10 Rn. 4; Lenckner / Perron (Fn. 5), § 20 Rn. 26; Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 427 ff. m.w. N. 86 Vgl. die Autoren in Fn. 85. 87 Das wird beim Verbotsirrtum nicht selten übersehen, wenn die Vermeidbarkeit bereits auf den Verstoß gegen Informationspflichten gestützt wird (vgl. BGHSt 4, 1, 5). Unter Schuldaspekten würde man damit, wie schon erwähnt, in einen regressus in infinitum geraten. 85

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liche Sollensnorm zu tun, sondern mit der Frage, ob der Täter für das von ihm begangene Unrecht auch individuell verantwortlich gemacht werden kann. Und schon gar nicht hat die Generalprävention etwas im oder beim Schuldbegriff zu suchen. 2. Die Liste der in der Schuldlehre zu beobachtenden Unstimmigkeiten ließe sich noch weiter fortsetzen. Es handelt sich dabei jedoch mehr um Einzelfragen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Nur ein das Grundsätzliche betreffender Punkt bedarf noch der Erwähnung: Die teilweise festzustellende Vermischung von Unrechts- und echten oder vermeintlichen Schuldfragen in dogmatischen Erörterungen. Sie fällt z. B. auf in Ausführungen zum dolus eventualis. Wenn man den Vorsatz als subjektives Element des Unrechtstatbestands anerkennt, wie das die betreffenden Autoren tun, so sind seine Voraussetzungen und damit auch die des Eventualvorsatzes dann in einem folgerichtigen dogmatischen System anhand unrechtrelevanter Kriterien zu bestimmen. In Teilen der Literatur ist jedoch davon die Rede, daß es bei der Abgrenzung von dolus eventualis und luxuria um die Unrechts- und Schulddifferenz zwischen beiden Erscheinungen gehe. 88 So heißt es, daß das voluntative Vorsatzelement beim Eventualvorsatz ein Schuldelement sei: Der Umstand, daß sich der Täter mit der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts abfinde, charakterisiere seine Einstellung und sei deshalb ein „Schuldelement“: dem Täter werde wegen seines „Gesinnungsmangels“ gegenüber dem Geltungsanspruch des geschützten Rechtsguts ein stärkerer „Vorwurf“ gemacht als im Falle der bewußten Fahrlässigkeit. 89 VI. Harro Otto, unser Jubilar, hat einen Teil der hier monierten Entwicklungen der Schuldlehre schon frühzeitig kritisiert. Es ist zu wünschen, daß man sich von der dogmatischen Auffassung, die Deliktsschuld bestehe im Gesinnungsunwert, nun endlich trennt. Nicht nur, daß eine solche Auffassung denjenigen Vorschub leistet, die behaupten, daß die deutsche Strafrechtswissenschaft sich von den Irrlehren eines vergangenen Zeitabschnitts noch nicht völlig gelöst habe. Auch dem juristischen Nachwuchs wird ein falsches Bild vom Tatstrafrecht auf den Weg gegeben. Die begriffsverwirrenden Ansichten, nach denen der Schuldbegriff aus der Generalprävention abgeleitet oder durch diese ergänzt werden soll, dürften sich dagegen schon angesichts der massiven Kritik, der sie sich gegenübersehen, wohl mit der Zeit von selbst erledigen. Ebenso diejenigen, nach denen der Schuldbegriff überhaupt überflüssig sein soll. Im übrigen ging es bei der vorliegenden 88 Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 300; Roxin (Fn. 22), § 12 Rn. 26; ders., FS Rudolphi, 2004, S. 243, 244; Rudolphi (Fn. 5), § 15 Rn. 3; Schünemann, GA 1985, 341, 364. 89 Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 300 und 305.

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Untersuchung nicht darum, die Reihe der literarischen Schuldbegriffe um einen neuen zu erweitern, sondern es sollten die Kriterien des dem Strafrecht zugrunde liegenden unrechtsbezogenen Schuldbegriffs verdeutlicht werden.

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2006 I. Meine freundschaftlichen Kontakte mit Friedrich-Christian Schroeder, dem dieser Beitrag mit den herzlichsten Glückwünschen zum 70. Geburtstag gewidmet ist, reichen bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre zurück. Wir waren damals die ersten Ordinarien für Straf- und Strafprozeßrecht an der neu gegründeten Universität Regensburg. In der die junge Universität hart treffenden 68er-Revolte haben wir eng zusammengehalten. Auch nach meiner Berufung nach Köln habe ich Schroeders nüchterne Distanz zu kurzlebigen Zeitströmungen, sei es in der Wissenschaft oder in der Politik, immer mit Respekt verfolgt. Seine Geradlinigkeit und seine jeglichem Opportunismus abholde Unbestechlichkeit betrachte ich mit außerordentlicher persönlicher und wissenschaftlicher Wertschätzung. Mögen dem Jubilar auch im neuen Lebensjahrzehnt mutiges Engagement und bewährte Schaffenskraft erhalten bleiben. II. 1. Zu Schroeders herausragenden wissenschaftlichen Leistungen gehört die Kommentierung der §§ 15 –18 StGB im Leipziger Kommentar. 1 Eine der dabei von ihm behandelten Zentralfragen der Irrtumslehre bildet der Fall der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts. Man spricht heute zumeist von Erlaubnistatbestandsirrtum, wobei diese Etikettierung jedoch bereits einem der bisherigen Lösungskonzepte vorgreift. Wissenschaftlich neutraler erscheint die Bezeichnung „Erlaubnissachverhaltsirrtum“. Schroeder schließt sich der strengen Schuldtheorie an, 2 wie sie von Welzel und Maurach vertreten worden ist 3 und von mir in meiner 1960 erschienenen 1 2

LK-Schroeder, 9. Aufl. 1973 (damaliger § 59),10. Aufl. 1980, 11. Aufl. 1994. LK-Schroeder, 11. Aufl., § 16 Rn. 52 (ebenso bereits die Voraufl.).

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Monographie „Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Der Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund“ im einzelnen erörtert und dargestellt worden war. 4 Der Streit über diese Irrtumsproblematik ist von Anbeginn außergewöhnlich emotionsgeladen geführt worden. Er wurde dadurch entfacht, daß der BGH bei der Anerkennung der Beachtlichkeit des Verbotsirrtums zwar die von Welzel konzipierte Schuldtheorie und nicht die von der h.L. favorisierte Vorsatztheorie zugrundelegte, aber im Unterschied zu der unter den damaligen Vertretern der Schuldtheorie vorherrschenden Auffassung die Fälle der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts weiterhin als oder wie einen vorsatzausschließenden Irrtum behandelte (eingeschränkte Schuldtheorie). 5 Beim Eskalieren des Streits warf Engisch den Anhängern der strengen Schuldtheorie vor, „mit geradezu scholastischem Raffinement“ zu argumentieren, andererseits zeigte er dann selbst unbefriedigende Ergebnisse der eingeschränkten Schuldtheorie auf und unterbreitete Abhilfevorschläge de lege ferenda. 6 Roxin verwendet in seinem Lehrbuch jenes Zitat noch heute, um am Beginn seiner Stellungnahme die Leser gegenüber den Kritikern der von ihm besonders engagiert vertretenen eingeschränkten Schuldtheorie zu immunisieren. 7 Auch erinnere ich mich an die lebhafte Hamburger Strafrechtslehrertagung 1964, bei der diese Irrtumsproblematik im Vordergrund stand. 8 Ich durfte – wohl wegen des einschlägigen Themas meiner Monographie – an ihr als Habilitand teilnehmen, was damals nur ausnahmsweise möglich war. Während der sehr lebhaften Diskussion raunte mir – wohl fürsorglich – ein junger Professor zu: „Ich warne Sie, sich an der Diskussion zu beteiligen!“ Mir war das allerdings auch gar nicht in den Sinn gekommen, da ich als Habilitand nur einen Zuschauerstatus hatte, so daß ich künftige Berufungsaspekte nicht abzuwägen brauchte. Da der BGH unbeirrt an seiner grundsätzlichen Position der eingeschränkten Schuldtheorie festhält und die h.L. ihm – von Varianten wie der Lehre von den 3 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 1. Aufl. 1947, S. 81, 11. Aufl. 1969, S. 168 f.; Maurach, Deutsches Strafrecht Allg. Teil, 1. Aufl. 1954, S. 405 ff., 4. Aufl. 1971, S. 319, 475 ff. 4 Ebenfalls sind für die strenge Schuldtheorie zu nennen: Bockelmann, NJW 1950, S. 820 ff.; Gössel, FS Triffterer, 1996, S. 93, 99 ff.; Armin Kaufmann, JZ 1955, S. 37 ff. (aber auch ders., FS Welzel, 1974, S. 393, 398 ff.); Paeffgen, GS Armin Kaufmann, 1989, S. 399 ff.; Eb. Schmidt, JZ 1956, S. 188, 190; Warda, JR 1950. S. 546, 549; u. a. Bisher auch Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen – Der Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund, 1960, und ders., ZStW 94 (1982), S. 239, 265. Siehe ferner Frisch, in: Eser / Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung III, 1990, S. 217, 275. 5 Siehe BGHSt. (GS) 2, 194, 211; BGHSt. 3, 105, 106 f.; 271; 357, 364. Nach wie vor st. Rspr., vgl. BGHSt. 31, 264, 286 f.; 35, 347, 350; 45, 378, 384. 6 Engisch, ZStW 70 (1958), S. 566, 567, 609 ff. 7 Vgl. Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Band 1, 4. Aufl. 2006, § 14 Rn. 64 ff. 8 Referate von Arth. Kaufmann und Roxin, abgedruckt in ZStW 76 (1964), S. 543 ff. bzw. 582 ff.; auch die Diskussionsbemerkungen von Welzel, ebendort, S. 619 ff.

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negativen Tatbestandsmerkmalen und deren Abwandlungen bis zur sog. rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie 9 – darin folgt, meinte man offenbar zeitweilig, daß der Streit wissenschaftlich abgeschlossen und die Vertreter der Gegenmeinung ein Beispiel für das Mitschleppen eines erledigten Problems lieferten. 10 Der Blick auf große neue ausländische Kodifikationen zeigt jedoch eher das Gegenteil. So wird im spanischen StGB von 1995 nur zwischen dem Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal (Art. 14 Abs. 1) und dem Irrtum über die Rechtswidrigkeit (Abs. 3 der Vorschrift) unterschieden und dies von der herrschenden Auffassung im Sinne der strengen Schuldtheorie interpretiert. 11 Noch deutlicher bestimmt Art. 29 des neuen polnischen StGB von 1997: „Wer eine verbotene Tat in der entschuldbar irrigen Annahme begeht, daß ein Umstand vorliegt, der die Rechtswidrigkeit oder die Schuld ausschließen würde, begeht keine Straftat. Ist der Irrtum des Täters nicht entschuldbar, so kann das Gericht die außerordentliche Strafmilderung anwenden.“ Auch kann keine Rede davon sein, daß wenigstens in Deutschland die Diskussion zum Abschluß gekommen ist. Die allermeisten Argumente pro et contra sind zwar bereits seit über vier Jahrzehnten bekannt. 12 Aber das Unbehagen an den Ergebnissen der h.M. hat nie aufgehört und ist im Zunehmen begriffen. 13 Die Anzahl der Versuche, unbefriedigende Auswirkungen der eingeschränkten Schuldtheorie abzumildern, ist so groß, daß von einer „weitgehenden Verwirrung bei der Einordnung dieser Lehren“ gesprochen wird. 14 Schroeder meint, es bestehe inzwischen weitgehende Übereinstimmung im Schrifttum darüber, daß die strenge Schuldtheorie die dogmatisch besseren Argumente für sich habe und auch bedenkliche Strafbarkeitslücken vermeide. 15 9

Auf diese Unterformen der eingeschränkten Schuldtheorie wird später noch im einzelnen einzugehen sein (siehe unten III. und IV. 1.). Die heutige rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie entspricht der Version, die Gallas, ZStW 67 (1955), S. 46 Fn. 89, entwickelt hat. Auf diesen Ursprung weisen auch Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 464 Fn. 54, hin. Sachlich genauer wäre die Unterform wohl als „vorsatzschuldverneinende“ Schuldtheorie zu bezeichnen; vgl. schon Hirsch, ZStW 94 (1982), S. 239, 263 Fn. 159. Zu den Varianten der eingeschränkten Schuldtheorie siehe auch Grünwald, GS Noll, 1984, S. 183 ff. 10 So wohl Schünemann, in ders. u. a. (Hrsg.), Grundfragen des modernen Systemdenkens, 1984, S. 1, 40 ff. 11 Vgl. die Entscheidung des Tribunals Supremo STS 17/2003 vom 15. 1. 2003 (Az. 2003/727), die der vorherrschenden Ansicht entspricht. 12 Vgl. die Übersicht bei Hirsch, Neg. Tatbestandsmerkmale (Fn. 4), S. 220 ff. 13 Siehe Gössel (Fn. 4), S. 99 ff.; Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl. 1991, 11/50; LK-Hirsch, StGB, 11. Aufl. 1994, Vor § 32 Rn. 8; § 34 Rn. 91; Maurach / Zipf, Strafrecht Allg. Teil, Teilbd. I, 8. Aufl. 1992, S. 522 ff.; Paeffgen (Fn. 4), S. 399 ff.; SK-Samson, StGB, 5. Aufl. 1988, § 34 Rn. 52; LK-Schroeder (Fn. 2), § 16 Rn. 49 ff. Zurückhaltend bezüglich des Putativnotstands auch Jescheck / Weigend (Fn. 9), S. 466. 14 LK-Schroeder (Fn. 2), § 16 Rn. 49 m.w. N.

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Zudem ist erst kürzlich in der Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen“ eine Monographie veröffentlicht worden, in der die strenge Schuldtheorie nachdrücklich propagiert wird. 16 2. Wenngleich die Problematik nach wie vor aktuell ist, wird man ihre Lösung aber schwerlich im Übergang von der h.M. zur Gegenmeinung sehen dürfen. Schroeder schränkt seine vorgenannte Bemerkung auch dahingehend ein, daß die Behandlung als Fahrlässigkeit hier dem vorherrschenden Gerechtigkeitsgefühl entspreche. 17 Angesichts des jahrzehntelangen Anhaltens des Theorienstreits und der mißlungenen Bestrebungen, durch Korrekturen zu befriedigenden Ergebnissen zu gelangen, wird man sich kaum noch der Einsicht verschließen können, daß weder die eingeschränkte Schuldtheorie (einschließlich ihrer schon genannten Unterformen) noch die strenge Schultheorie eine befriedigende Lösung anzubieten vermögen. Die beiden Theorien entsprechen Scylla und Charybdis. Der eigentliche Problempunkt besteht darin, daß man bisher entweder auf die Regelungen des Tatbestandsirrtums (§ 16 [analog]) oder die des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) zusteuert und dann spürt, daß beide nicht passen. Die heutige Aufgabe der Wissenschaft dürfte daher darin bestehen, einen sicheren Mittelweg zu finden, der den Schiffbruch im Strudel einer der beiden herkömmlichen grundsätzlichen Lösungsalternativen vermeidet. Die praktischen Defizite der beiden herkömmlichen Theorien sind bekanntlich folgende: a) Die eingeschränkte Schuldtheorie versagt in Fällen der Vermeidbarkeit des Irrtums, wenn es bei dem Delikt keinen allgemeinen Fahrlässigkeitstatbestand gibt, und auch, weil der Versuch eines allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts nicht möglich ist, wenn es sich um einen sonst strafbaren Versuch handelt. Daß die begrenzte Anzahl allgemeiner Fahrlässigkeitstatbestände hier zu willkürlichen Strafbarkeitslücken führt, wird seit langem gesehen. 18 Die Lücken beruhen darauf, daß der Gesetzgeber die Frage, welche allgemeinen Fahrlässigkeitstatbestände notwendig sind, mit dem Blick auf das gegenüber ungewollten Verletzungen bestehende Schutzbedürfnis eines Rechtsguts zu entscheiden hat, während es hier um die vermeidbar irrige Annahme geht, die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen für eine gewollte Verletzung eines Rechtsguts (oder gewollte Begehung eines dieses weitergehend schützenden Tatbestands) lägen vor. Das Reichsgericht, 15

LK-Schroeder, a. a. O. M. Heuchemer, Der Erlaubnistatbestandsirrtum, 2005, S. 292 ff., 355. 17 LK-Schroeder (Fn. 2), § 16 Rn. 49. 18 Vgl. neben der im folgenden angeführten Judikatur und dem E 1962 auch zahlreiche Autoren, darunter Dreher, FS Heinitz, 1972, 207, 226 ff.; Engisch, ZStW 70 (1958), S. 566, 609 ff.; Krümpelmann, Budapest-Beiheft ZStW 1978, S. 39, 47 ff.; Blei, Strafrecht Allg. Teil, 18. Aufl. 1983, S. 171; und alle Vertreter der strengen Schuldtheorie (Fn. 3, 4 und 16). 16

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das den Erlaubnissachverhaltsirrtum im Gegensatz zum error iuris criminalis von jeher für beachtlich angesehen hat, 19 erkannte bereits, daß der Verweis auf die allgemeinen Fahrlässigkeitstatbestände bei den Fällen des Putativnotstands mangels der Existenz einschlägiger Tatbestände zu sachwidrigen Ergebnissen führt. Es hat deshalb bekanntlich in den Ende der 20er Jahre entwickelten übergesetzlichen Rechtfertigenden Notstand das subjektive Rechtfertigungselement der pflichtmäßigen Prüfung der Sachlage eingefügt. 20 Dieses Erfordernis ermöglichte es, daß bei Vermeidbarkeit des Irrtums ohne Rücksicht auf das Vorhandensein eines Fahrlässigkeitstatbestandes bestraft werden konnte: Es wurde mangels Erfülltseins des angeblichen subjektiven Rechtfertigungselements bereits das Vorliegen eines Putativnotstandes verneint – mit der erheblich über die Ergebnisse der strengen Schuldtheorie hinausgehenden Konsequenz einer Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat mit ungemindertem Strafrahmen. Die Verfasser des E 1962 sahen die Problematik. An die Stelle der unhaltbaren Konstruktion des RG – die der BGH übernommen hatte 21 – setzten sie folgerichtig eine Einordnung als Erlaubnissachverhaltsirrtum. Während sie für diesen in sonstigen Fällen die eingeschränkte Schuldtheorie vorsahen (§ 19 E 1962), hielten sie beim Putativnotstand die strenge Schuldtheorie für sachgerechter (§ 39 Abs. 2 E 1962). Diese mit dem Blick auf praktische Notwendigkeiten konzipierte janusköpfige Lösung war jedoch wegen ihrer Widersprüchlichkeit kein tragbares Gesetzgebungskonzept, so daß der Gesetzgeber sich dafür entschied, auf eine Regelung zu verzichten und die weitere Entwicklung lieber Rechtsprechung und Lehre zu überlassen. 22 In der Judikatur hat man, soweit es nicht um § 34 StGB selbst ging, die grundsätzliche Ausrichtung an der eingeschränkten Schuldtheorie zum Teil weiterhin durch Festhalten an der vom RG zum Putativnotstand vertretenen Konstruktion auszugleichen versucht. So ist in der zu § 218a Abs. 2 StGB, einem Unterfall des Rechtfertigenden Notstands, ergangenen Entscheidung BGHSt. 38, 144, 155 von dem Erfordernis der gewissenhaften Prüfung der Indikationslage die Rede. Eine solche Lösung bestätigt zwar das in den Fällen des vermeidbaren Putativnotstands 19 RG Rspr. 1, 23; RGSt. 4, 98; 21, 189; 60, 261; 62, 139; st. Rspr. Es stützte sich dabei darauf, daß es sich um einen Tatirrtum handelt. 20 Vgl. RGSt. 61, 242, 258; 62, 137. In der authentischen Interpretation dieser Rspr. durch Wachinger, FG Frank I, 1930, S. 469, 515 f. heißt es: „Eine andere Stellungnahme würde leichtsinnige Eingriffe in fremde Rechtsgüter unter Berufung auf eine angebliche Notstandslage und damit die durch Not nicht bedingte Vernichtung oder Schädigung von Rechtsgütern fördern: sie würde den Kulturanschauungen ... kaum entsprechen.“ 21 Siehe BGHSt. 3, 7; BGH JZ 1977, S. 139. Auch bezüglich der Wahrnehmung berechtigter Interessen: vgl. BGH NJW 1952, S. 194; BGHSt. 3, 73, 75; 14, 48, 51. 22 BTDrucks. V/4095, S. 9; Sonderausschuß Prot. V, S. 1740. Zur Vorgeschichte des Verzichts siehe auch Dreher, FS Heinitz, S. 207 f.

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bestehende Strafbedürfnis, verstößt aber gegen das geltende Recht. Denn man hat es heute nicht mehr mit einem gesetzlich ungeregelten, der Judikatur einen Freiraum belassenden Rechtsinstitut des Rechtfertigenden Notstands zu tun, sondern mit dem 1975 eingeführten § 34 StGB. Die Grundnorm des Rechtfertigenden Notstands beschränkt sachentsprechend das subjektive Rechtfertigungselement auf den Rettungswillen. Nicht nur, daß die gesetzgeberische Nichterwähnung der pflichtmäßigen Prüfung der Sachlage in bewußter Abkehr von der Rspr. des RG erfolgt ist, sondern jegliche wortlautwidrige Einschränkung des Gesetzestextes eines strafgesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrundes verstößt auch gegen den Satz nullum crimen sine lege. 23 Die zu engen Grenzen der eingeschränkten Schuldtheorie werden zudem leicht dadurch überdeckt, daß man einen Erlaubnissachverhaltsirrtum in einen Erlaubnisirrtum umdeutet und auf solchem Wege die Rechtsfolge des § 17 StGB eröffnet. Da die Rechtfertigungsgründe zumeist generalklauselartige Begriffe enthalten, z. B. das wesentlich überwiegende Interesse oder die Angemessenheit in § 34 StGB, tut sich hier ein vermeintlicher Spielraum auf. So wird in BGHSt. 35, 347, 350 danach differenziert, ob es sich um einen Irrtum über Tatsachen oder einen „Bewertungsirrtum“ handelt. Der Sachverhaltsirrtum erschöpft sich jedoch nicht in Tatsachenirrtümern. Das hat auch der Gesetzgeber so gesehen, wenn er in § 35 Abs. 2 StGB von der irrigen Annahme von „Umständen“ spricht, die den Ausschlußgrund erfüllen würden. Es kommt für den Erlaubnissachverhaltsirrtum daher darauf an, daß der Täter sich einen Sachverhalt vorgestellt hat, bei dessen Vorliegen ein anerkannter Rechtfertigungsgrund erfüllt wäre. Erst bei einem die rechtlichen Grenzen des Rechtfertigungsgrundes überschreitenden Vorstellungsbild kommt ein Erlaubnisirrtum in den Blick. 24 Neben den vorgenannten Merkmalen kann auch das Rechtfertigungsmerkmal der Erforderlichkeit dazu sachentfremdet werden, Defizite der eingeschränkten Schuldtheorie auszugleichen. Aber natürlich wären das alles rechtlich fragwürdige Vorgehensweisen. In der schon erwähnten neuen Monographie zum Erlaubnissachverhaltsirrtum zeigt der Verfasser Heuchemer in näherer Analyse höchstrichterlicher Entscheidungen weitere unbefriedigende Konsequenzen der eingeschränkten Schuldtheorie anschaulich auf. 25 Die von vereinzelten Theoretikern vertretene Auffassung, daß sich in der heutigen Praxis keine Strafbarkeitsdefizite zeigten, vermag daher nicht zu überzeugen. 23 Zum Satz nullum crimen sine lege bei Rechtfertigungsgründen näher LK-Hirsch (Fn. 13), Vor § 32 Rn. 35 ff. Siehe zur grundsätzlichen Anwendbarkeit auch BGHSt. 39, 1, 27 f. Speziell zu der Frage bei § 34 StGB: LK-Hirsch (Fn. 13), § 34 Rn. 77. Vgl. auch Horstkotte, Sonderausschuß Prot. V, S. 1795. 24 Siehe zu dieser Entscheidung auch die bei Tröndle / Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 34 Rn. 18, aufgezählten zahlreichen Urteilsanmerkungen. 25 M. Heuchemer (Fn. 16), S. 68 ff.

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Man hat auch zu bedenken, daß die Staatsanwaltschaften heute im Bereich der leichten und mittleren Kriminalität die Dinge vorwiegend verfahrensökonomisch sehen und daher Fälle, die sich formal ohne Anklage erledigen lassen, kaum zu problematisieren geneigt sind. Die Aussicht, daß einschlägige Sachverhalte an die Obergerichte gelangen, hält sich daher in Grenzen. Gerichte und Wissenschaft, nicht zu vergessen der Gesetzgeber, sind aber jedenfalls dazu aufgerufen, nach der juristisch richtigen Lösung zu suchen. Man könnte daran denken, die sich für die eingeschränkte Schuldtheorie ergebenden Strafbarkeitslücken dadurch auszugleichen, daß man de lege ferenda bei allen Delikten die Fahrlässigkeit pönalisiert. Aber abgesehen davon, daß eine Ausdehnung der allgemeinen Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kriminalpolitisch absolut verfehlt wäre, würde sie bei vielen Delikten obendrein mit erheblichen Verkürzungen der Tatbestandserfordernisse verbunden sein; denn die Vorsatztatbestände sind oft durch objektive Tätigkeitsmerkmale oder besondere subjektive Unrechtselemente enger umgrenzt, als es bei dem das jeweilige Rechtsgut betreffenden Fahrlässigkeitsdelikt der Fall sein könnte. Hinzu kommt, daß die allgemeine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nur einen niedrigen Stellenwert in der strafrechtlichen Praxis hat. Die Fälle werden heute in der Regel entweder gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt oder nur mit geringen Strafen bedacht. Die Koppelung des vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtums an allgemeine Fahrlässigkeitsdelikte läuft daher auf die Verniedlichung eines solchen Irrtums hinaus. Im übrigen stimmen heute auch alle Richtungen der eingeschränkten Schuldtheorie mit Ausnahme der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen darin überein, daß man zwar nur im Umfang der allgemeinen Fahrlässigkeitsstrafbarkeit wegen fahrlässiger Tat bestraft, aber tatbestandlich der Vorsatztatbestand zunächst den Ausgangspunkt der Prüfung bildet. 26 b) Die strenge Schuldtheorie hat Probleme in entgegengesetzter Richtung. Da sie wegen vorsätzlicher Tat bestraft, beläßt sie zwar keine Strafbarkeitslücken, und sie ist auch nicht dem Vorwurf zu niedriger Einstufung ausgesetzt. Aber durch die unrelativierte Bestrafung als Vorsatztäter stigmatisiert sie den Täter, der sich in einem Irrtum über den Sachverhalt eines Rechtfertigungsgrundes befindet, zu stark. Das gilt auch hinsichtlich der Höhe der Strafdrohungen. Indem die strenge Schuldtheorie hier den Sachverhaltsirrtum dem Irrtum über das rechtliche Verbotensein an die Seite stellt, trägt sie nicht ausreichend dem Umstand Rechnung, daß der Täter, der irrig das Vorliegen des Sachverhalts eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes annimmt, sich im Unterschied zu letzterem vorstellungsmäßig im Rahmen der Verbote, Gebote und Erlaubnissätze der geltenden Rechtsordnung bewegt. Etwas unscharf ist davon die Rede, daß der Täter „an sich rechtstreu“ 26 Vgl. die Nachweise u. Fn. 33 zur vorsatzunrechtsverneinenden Schuldtheorie und u. Fn. 38 zur vorsatzschuldverneinenden Schuldtheorie (einschl. der sog. rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie).

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sei. 27 Diese Formulierung ist ungenau, weil selbstredend derjenige, der in einem vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtum handelt, sich nicht rechtstreu verhält. Gemeint ist jedoch das Vorstellungsbild des Täters: Beim Irrtum über die rechtliche Existenz oder den rechtlichen Umfang einer Norm hat er eine unzutreffende Vorstellung von den Verboten, Geboten oder Erlaubnissätzen der Rechtsordnung. Beim Erlaubnissachverhaltsirrtum bezieht sich sein falsches Vorstellungsbild dagegen auf das Vorliegen sachverhaltsmäßiger Voraussetzungen. Es handelt sich um einen Wahrnehmungsirrtum, und insoweit besteht eine Nähe zum vorsatzausschließenden Irrtum. Dies vermag die strenge Schuldtheorie nicht gebührend zu berücksichtigen. 28 3. Da beide Positionen keine befriedigende Lösung ermöglichen, über Kreuz jeweils die eine aufweist, was der anderen fehlt, ist die sachentsprechende Lösung in der Mitte zu suchen. Eine solche vermittelnde Auffassung hätte von der strengen Schuldtheorie zu übernehmen, daß es beim Vorsatzdelikt bleibt, und von der eingeschränkten Schuldtheorie, daß der Charakter des Irrtums als Sachverhaltsirrtum zum Ausdruck gelangt. Die Verbindung von beidem könnte dadurch erfolgen, daß man eine von dem allgemeinen Fahrlässigkeitsbegriff zu unterscheidende und damit von den Fahrlässigkeitstatbeständen unabhängige Rechtsfigur der „Erlaubnisfahrlässigkeit“ einführt. Eine vorsätzliche Körperverletzung in vermeidbarer Putativnotwehr wäre zu bestrafen wegen „Erlaubnisfahrlässiger Körperverletzung“ und ein im Putativnotstand begangener Betrug wegen „Erlaubnisfahrlässigen Betruges“. Hinsichtlich der Strafrahmen hätte man für die zwischen § 16 und § 17 27 BGHSt. 3, 105, 106 f. Diese praktisch von allen Anhängern der eingeschränkten Schuldtheorie verwendete Formulierung findet sich schon im älteren Schrifttum (in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts), als es noch nicht um Folgerungen aus der Schuldtheorie, sondern allein um die Behandlung als Tatirrtum ging; vgl. die Nachweise bei Hirsch, Neg. Tatbestandsmerkmale (Fn. 4), S. 234 Fn. 38. 28 Wenn sie auch die systematisch besseren Argumente als die eingeschränkte Schuldtheorie aufzuweisen hat (wie LK-Schroeder [Fn. 2], § 16 Rn, 49 mit Recht betont), zeigt der Verlauf der Debatte, daß hier ein für sie unlösbares Problem besteht. Entgegen meiner früheren Annahme, dies lasse sich bereits mit Hilfe einer über § 17 Satz 2 StGB hinausgehenden Strafrahmenmilderung lösen, halte ich heute eine den Zentralanliegen beider Theorien Rechnung tragende Lösung für notwendig. Zum Hintergrund der damaligen Überlegungen siehe auch noch im folgenden die Erläuterungen unter IV.1. M. Heuchemer (Fn. 16), S. 261 ff. argumentiert mit der These, daß der vermeidbare Erlaubnissachverhaltsirrtum sich aus „normativer“ Sicht nicht von den unstreitig als Verbotsirrtum eingestuften Fällen des vermeidbaren Erlaubnisirrtums unterscheide. In seinen die h.M. ungewöhnlich scharf angreifenden Ausführungen wird das herkömmliche systematische Denken als überholt abqualifiziert und stattdessen werden rein normativistische Argumentationsmuster bemüht. Am Ende seiner Abhandlung kehrt der Autor der Sache nach dann doch wieder zur Differenzierung der Irrtümer zurück, indem er einen langen Katalog für die sich nach seiner Lösung aus § 17 Satz 2 StGB ergebenden Rechtsfolgen insbesondere des Erlaubnissachverhaltsirrtums aufstellt. Im übrigen fällt an dem Buch auf, daß in den Erörterungen vorwiegend heutige Bonner Strafrechtler zitiert werden, obwohl der Löwenanteil an der Diskussion doch von anderen Autoren geleistet worden ist.

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Satz 2 StGB stehende Rechtsfigur der „Erlaubnisfahrlässigkeit“ einen angemessenen Milderungsschlüssel vorzusehen. Partielle Ansätze in dieser Richtung finden sich bei Engisch und Dreher. Engisch schlug vor, in Fällen des vermeidbaren Putativnotstands wegen „Notstandsfahrlässigkeit“ zu bestrafen. 29 Das stand zwar in Widerspruch zu seinem Ausgangspunkt, wonach der vermeidbare Erlaubnissachverhaltsirrtum und die allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikte auf ein und derselbe Wertungsebene liegen sollten; denn sobald man beim Putativnotstand andere Maßstäbe anlegt, ist das eben doch nicht der Fall. Aber indem Engisch hier die Notwendigkeit einer von der allgemeinen Fahrlässigkeit abgehoben eigenen Fahrlässigkeitsfigur sah, hielt er die dogmatische Möglichkeit einer zwischen allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikten und ausschließlichen Vorsatzdelikten liegenden Zwischenfigur für gegeben. Indem er diese auf den Putativnotstand beschränkte, setzte er sich jedoch dem Einwand aus, daß es widersprüchlich ist, jemand beim Putativnotstand wegen eines in „Notstandsfahrlässigkeit“ verwirklichten Vorsatztatbestands zu bestrafen, bei der Putativnotwehr und sonstigen Fällen des Erlaubnissachverhaltsirrtums dagegen nur aus einem allgemeinen Fahrlässigkeitstatbestand. 30 Engischs Auffassung bedeutet zudem, wie auch der von ihm unterbreitete Gesetzesvorschlag bestätigt, daß zwar bei einem in vermeidbarem Putativnotstand begangenen Versuch bestraft würde, es bei einem Versuch in Putativnotwehr aber bei der Straflosigkeit bliebe. Es handelte sich daher noch um eine „Verlegenheitslösung“ und nicht um ein ausgelotetes Konzept. Dreher war bemüht, diese Schwächen zu vermeiden, indem er vorschlug, für sämtliche Fälle des vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtums eine Bestrafung wegen fahrlässigen Handeins anzuordnen, d. h. es sollte über die Grenzen der eingeschränkten Schuldtheorie hinausgehend wegen fahrlässig begangener vorsätzlicher Tat bestraft werden, also z. B. wegen fahrlässigen Totschlags, fahrlässiger Urkundenfälschung, fahrlässigen Körperverletzungsversuchs und fahrlässiger Teilnahme am Betrug. 31 Damit wurde konsequenter als bei Engisch, der den Blick nur auf den Putativnotstand gerichtet hatte, eine einheitlich von den allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikten abgehobene Richtung eingeschlagen. Andererseits blieb Dreher hinter Engisch, der wegen „Notstandsfahrlässigkeit“ bestrafen wollte, insofern zurück, als er die besondere, von der allgemeinen Fahrlässigkeit zu unterscheidende Natur des Erlaubnissachverhaltsirrtums nicht deutlich zum Ausdruck brachte und dadurch Ungereimtheiten hervorrief. Delikte wie fahrlässige Urkundenfälschung oder fahrlässiger Totschlagsversuch sind Kuriosa, solange 29

Engisch, ZStW 70 (1958), S. 566, 609 ff. mit Gesetzesvorschlag, S. 610. In seinen Vorschlag für den Putativnotstand bezog er lediglich die entsprechenden Unterfälle beim medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch und eventuell auch der Wahrnehmung berechtigter Interessen ein. 31 Dreher, FS Heinitz, S. 207, 226 ff. und den dortigen Gesetzesvorschlag, S. 227. 30

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nicht hinzugesetzt wird, daß es allein um Erlaubnisfahrlässigkeit, also nicht etwa um die auf objektive Tatbestandsmerkmale bezogene allgemeine Fahrlässigkeit geht. Auch verzerrt es die Gewichte, wenn bei denjenigen (vollendeten) Delikten, die eine allgemeine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vorsehen, eine Gleichstellung mit dieser erfolgt, dagegen bei Taten, die nur als Vorsatzdelikt tatbestandsmäßig sind, es sich erst um den vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtum handelt. Dreher hat eben die Folgerung, aus seinem Ansatz eine eigenständige Rechtsfigur der Erlaubnisfahrlässigkeit zu bilden und damit eine in sich schlüssige „vermittelnde Schuldtheorie“ zu entwerfen, noch nicht gezogen. III. Es erhebt sich die Frage nach der dogmatischen Einordnung einer „vermittelnden Schuldtheorie“, wie sie von mir vorgeschlagen wird. Der erste klärungsbedürftige Punkt lautet: Geht es beim Erlaubnissachverhaltsirrtum um ein Unrechts- oder Schuldproblem? Eine Richtung der eingeschränkten Schuldtheorie will im Gegensatz zur vorherrschenden Ansicht bereits eine Lozierung auf der Unrechtsebene vornehmen. Es handelt sich um die Anhänger der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen und damit eines nur zweistufigen Verbrechensaufbaus 32 und zum anderen um Autoren, die zwar nominell einen dreistufigen Aufbau vertreten, jedoch zwischen dem ersten und dem zweiten Verbrechensmerkmal keine rechtlich erhebliche Wertungsabstufung sehen und deshalb das Unrecht der tatbestandsmäßigen Vorsatztat bei irriger Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts verneinen wollen. 33 Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen tritt heute nur noch vereinzelt in Erscheinung. Es sollen hier daher nicht die zahlreichen Einwände wiederholt werden, die gegen sie zu erheben sind. Sie reichen von der Auflösung des Tatbestandsbegriffs einschließlich dessen Garantiefunktion über absonderliche Konsequenzen für den Vorsatzinhalt bis hin zu unlösbaren Teilnahmeproblemen (bezüglich Vorsatzakzessorietät sowie Versuchsfällen) beim Erlaubnissachverhaltsirrtum des Täters. 34 32 So Arth. Kaufmann, JZ 1954, S. 653 ff.; ders., FS Lackner, 1987, S. 185, 187; SKSamson (Fn. 13), Vor § 32 Rn. 23; Schaffstein, MDR 1951, S. 196 ff.; ders., ZStW 72 (1960), S. 369, 386 ff. Für zweistufigen Deliktsaufbau auch Schünemann, FS R. Schmitt, 1992, S. 117, 131 f. und K. Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, 2000. 33 Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht Allg. Teil 1, 5. Aufl. 2005, § 9 Rn. 162; Puppe, FS Stree / Wessels, 1993, S. 183; Roxin (Fn. 7), § 14 Rn. 64 – 78; Schönke / Schröder-Lenckner, StGB, 26. Aufl., 2001, Vor § 13 Rn. 19; Schönke / Schröder-Cramer / Sternberg-Lieben, § 16 Rn. 18; SK-Rudolphi, StGB, 7. Aufl. 2002, § 16 Rn. 13 m.w. N.; im Ergebnis ebenso MKJoecks, StGB, 2003, § 16 Rn. 92. 34 Siehe im einzelnen auch meine in Fn. 4 zitierte Monographie, S. 210 ff.

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Ernster einzuschätzen ist die Lehre vom entfallenden Vorsatzunrecht: Ihre Anhänger behaupten, wie gesagt, daß ein rechtlich relevanter Wertunterschied zwischen fehlender Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung nicht bestehe, so daß auch die subjektive Tatseite parallel zu behandeln sei. Es fehle hier wie dort am Handlungsunwert. Schon bei den oben aufgezeigten praktischen Problemen ist deutlich geworden, daß diese Nivellierung von fehlender Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung aber nicht mit der Wirklichkeit in Einklang steht. Die Konsequenz der Gleichsetzung von allgemeiner Fahrlässigkeit und vermeidbarem Erlaubnissachverhaltsirrtum läßt sich nicht halten. Es wurde im vorhergehenden schon erläutert, daß es bei der Strafbarkeit von allgemeiner Fahrlässigkeit und der eines solchen vermeidbaren Irrtums um unterschiedliche Gesichtspunkte geht. Es ist etwas anderes, ob man versehentlich ein Rechtsgut eines anderen verletzt oder ob man es bewußt und gewollt verletzt und voreilig meint, der Sachverhalt einer ausnahmsweisen Eingriffsbefugnis liege vor. Daß es nicht das Gleiche ist, ob jemand dadurch, daß er beim Zurücksetzen seines PKW nicht genügend achtgibt, ungewollt einen Fußgänger körperlich verletzt oder ob jemand vorschnell von einem Angriff eines anderen ausgeht und deshalb irrig für sich in Anspruch nimmt, auf den anderen einschlagen zu dürfen, ist eigentlich evident. Hinzu kommt, daß sich der Kreis der unbefriedigenden Ergebnisse der eingeschränkten Schuldtheorie erweitert, weil das angebliche Fehlen von Vorsatzunrecht konsequenterweise die Möglichkeit einer Teilnahme ausschließen würde und dies auch nur begrenzt durch einen Rückgriff auf mittelbare Täterschaft ausgeglichen werden könnte. Gewichtiger noch ist der Einwand, daß bei Unvermeidbarkeit des Erlaubnissachverhaltsirrtums gar kein rechtswidriger Angriff des Irrtumstäters vorläge. Dem Angegriffenen wäre damit die Notwehrbefugnis abgeschnitten. Dies aber hieße, daß das Risiko der Inanspruchnahme einer ausnahmsweisen Eingriffsbefugnis nicht beim Eingreifenden, sondern beim Betroffenen läge. Der Gedanke, letzterem zwar kein Notwehrrecht, aber eine rechtfertigende Notstandsbefugnis zuzugestehen, führt nicht weiter, weil dieser Rechtfertigungsgrund nicht gegenüber gewollten menschlichen Angriffen paßt und zudem hier widersprüchlich wäre. 35 Beim Erlaubnissachverhaltsirrtum ist die Frage der Pflichtwidrigkeit gar nicht mehr offen. Während es bei der allgemeinen Fahrlässigkeit darauf ankommt, ob ihr konstitutives Element „Sorgfaltswidrigkeit“ erfüllt wird und im Falle des Fehlens dieses Pflichtverstoßes die Tatbestandsmäßigkeit zu verneinen ist, liegt bei jedem Erlaubnissachverhaltsirrtum der Pflichtverstoß damit vor, daß der Rechtfertigungsgrund nicht erfüllt ist. Es ist also im Falle der Unvermeidbarkeit des 35 Zum vorhergehenden näher Hirsch, ZStW 94 (1982), S. 239, 258 ff. Aus den letztgenannten Gründen u. a. scheitert übrigens auch die vereinzelte Auffassung, die das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsmerkmale allgemein schon aus der Sicht ex ante bestimmen will (ebendort, S. 265 f. Fn. 165).

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Irrtums der Pflichtverstoß, d. h. die Rechtswidrigkeit, zu bejahen – ebenso wie bei Vermeidbarkeit. Beim Erlaubnissachverhaltsirrtum geht es eben nicht um die Frage, ob dem Täter Sorgfaltswidrigkeit in bezug auf das Feststellen des Vorliegens des Rechtfertigungsgrundes angelastet wird. Der Täter handelt vielmehr rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes nicht erfüllt sind. Der Irrtum betrifft nur seine Fähigkeit, dies zu erkennen. Nicht haltbar ist die Behauptung, daß der Erlaubnissachverhaltsirrtum den Handlungsunwert des Vorsatzdelikts ausschließe. Hinter ihr steht der Gedanke, daß, ebenso wie beim Fehlen des Vorsatzes der Handlungsunwert eines Vorsatzdelikts entfällt, dies auch der Fall sei, wenn der Täter sich irrig den Sachverhalt eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes vorstellt. Es werden also Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung als zwei Seiten derselben Bewertungsebene angesehen. Die im vorhergehenden aufgezeigten Probleme der Einordnung und Behandlung des Erlaubnissachverhaltsirrtums haben indes überdeutlich werden lassen, daß beide eine rechtlich relevante Bewertungsstufe trennt. Welzel hat das einmal durch die einprägsame Gegenüberstellung der Tatbestandslosigkeit der Tötung einer Mücke und der Rechtfertigung der Tötung eines Menschen in Notwehr veranschaulicht. 36 Der im vorhergehenden schon betonte Unterschied besteht darin, daß im einen Fall der zum Schutz eines Rechtsguts bestehende Tatbestand inhaltlich nicht erfüllt ist, im anderen Fall ein Rechtfertigungsgrund ausnahmsweise das tatbestandsmäßige Verhalten gestattet. Das tatbestandsmäßige Verhalten gibt einen Handlungsunwert an, weil es dem hinter dem jeweiligen Tatbestand stehenden einzelnen Verbot oder Gebot, z. B. dem Verbot der vorsätzlichen Tötung eines anderen Menschen, widerspricht. Ein Rechtfertigungsgrund entscheidet dagegen eine in concreto bestehende Kollisionslage, die deshalb eine Kollisionslage ist, weil das tatbestandsmäßige Verhalten einen rechtserheblichen Handlungsunwert ausdrückt. Dieser wird durch das Eingreifen eines das Verhalten zulassenden Rechtfertigungsgrundes nicht aus der Welt geschafft, sondern ist Voraussetzung der ausnahmsweisen Gestattung. Und weil es sich nur um eine Ausnahmeerlaubnis für den tatbestandsmäßigen Normverstoß handelt, ergibt sich daraus eine von der Tatbestandsebene abgehobene weitere Bewertungsstufe, an die sich strengere Voraussetzungen als an die Tatbestandslosigkeit und im Falle des Erlaubnissachverhaltsirrtums strengere Rechtsfolgen als an den Tatbestandsirrtum knüpfen. 37 Man muß die Lösung der Problematik also mit der h.M. bei der Schuld suchen. 36

Welzel, ZStW 67 (1955), S. 196, 210 f. Die Anhänger der kritisierten Auffassung wollen den Beweiswert des Mücken-Beispiels mit dem Argument verneinen, daß die Rechtsordnung nur zwischen Unrecht und fehlendem Unrecht differenziere. Daher sei der Unterschied, der in dem Beispiel zum Ausdruck gebracht werde, rechtlich irrelevant; vgl. etwa Schünemann (Fn. 10), S. 168. Die obigen Ausführungen zeigen jedoch das Gegenteil. Für die Rechtsordnung ist durchaus relevant, weshalb das Unrecht zu verneinen ist. Gerade auch die nach Differenzierung rufenden praktischen Auswirkungen, die sich für die Fälle des vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtums ergeben, machen dies deutlich. Vgl. zu diesen Fragen näher Hirsch, Neg. 37

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IV. 1. Die vorherrschende Richtung innerhalb der eingeschränkten Schuldtheorie will dies bekanntlich in der Weise tun, daß sie ein besonderes Schuldelement der spezifischen Vorsatzschuld vorsieht, das bei Vorliegen eines Erlaubnissachverhaltsirrtums nicht erfüllt sein und im Falle der Vermeidbarkeit des Irrtums den Weg zum allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt eröffnen soll. Vielfach wird diese Version der eingeschränkten Schuldtheorie auch als „rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie“ bezeichnet. 38 Für diese Konstruktion nimmt zwar ein, daß sie den zur Erörterung stehenden Irrtum auf der Schuldebene einordnet. Aber durch die Verneinung einer Vorsatztat bleibt sie den allgemeinen Fahrlässigkeitstatbeständen verhaftet und damit den oben aufgezeigten Bedenken gegenüber der eingeschränkten Schuldtheorie ausgesetzt. Darüber hinaus macht die Bildung eines speziell am Erlaubnissachverhaltsirrtum orientierten Merkmals „spezifische Vorsatzschuld“ den Eindruck eines Notbehelfs. Der Vorsatz ist bereits auf der Ebene des Unrechtstatbestands festgestellt, so daß er nicht durch die Hintertür wieder wegdiskutiert werden kann, sondern sich nur noch durch privilegierende Zusätze relativieren läßt. 39 Diese Defizite der heutigen h.M. sind übrigens der Grund dafür gewesen, daß Welzel und damals auch der Verfasser sich vor die Alternative gestellt sahen, entweder die eingeschränkte Schuldtheorie in ihrer auf die Unrechtsebene abstellenden Variante oder die strenge Schuldtheorie zu vertreten. Da jene Form der eingeschränkten Schuldtheorie schon wegen der zahlreichen Kollateralschäden, die sie für die Tatbestands- und Unrechtslehre mit sich bringt, inakzeptabel ist, erschien die strenge Schuldtheorie wegen der klaren Einordnung als Schuldproblem Tatbestandsmerkmale (Fn. 4), S. 236 ff. und Gössel (Fn. 4), S. 94 ff. Auffällig ist im übrigen, daß diejenigen Autoren, die einen zweistufigen oder nur formal dreistufigen Deliktsaufbau vertreten, gleichwohl in anderem Zusammenhang engagiert diskutieren, ob bestimmte Fragen schon die Tatbestandsmäßigkeit oder erst die Ebene der Rechtfertigung betreffen. Ein ins Auge springendes Beispiel bilden die Fälle der herkömmlich als Rechtfertigungsgrund eingeordneten Einwilligung. Kritisch zu Art. 31 estn. StGB von 2001, der unter dem Einfluß der betreffenden deutschen Richtung bestimmt, daß beim Erlaubnissachverhaltsirrtum bereits die Rechtswidrigkeit der Vorsatztat entfällt, einleuchtend Gropp, Juridica international, Law Review University of Tartu, 2003, S. 16, 21. 38 Zur Terminologie oben Fn. 9. Vertreter dieser vorherrschenden, die Vorsatzschuld verneinenden Richtung sind u. a.: Gallas, ZStW 67 (1955), S. 46 Fn. 89; ders., FS Bockelmann, 1979, S. 155, 169; Jescheck / Weigend (Fn. 9), S. 464 ff.; Maurach / Zipf , (Fn. 13), S. 531; Herdegen, FS 25 Jahre BGH, 1975, S. 195, 208; Tröndle / Fischer (Fn. 24), § 16 Rn. 20 (mit teilw. irrtümlichen Nachw.); Gropp, Strafrecht Allg. Teil, 3. Aufl. 2005, § 13 Rn. 112 ff.; Wessels / Beulke, Strafrecht Allg. Teil, 35. Aufl. 2005, Rn. 479. Unentschieden zwischen vorsatzunrechts- und vorsatzschuldverneinender Richtung Lackner / Kühl, StGB, 25. Aufl. 2004, § 17 Rn. 14 f. 39 Kritisch bereits Welzel, ZStW 67 (1955), 196, 215; Hirsch (Fn. 4), S. 205.

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grundsätzlich sachentsprechender. 40 Erst durch die jahrzehntelange Verhärtung der Fronten wird bewußt, daß eine Weiterentwicklung auf der Schuldebene mit dem Ziel einer „vermittelnden Schuldtheorie“ anzustreben ist. Aber wenn auch die kritisierte Konstruktion einer entfallenden spezifischen Vorsatzschuld unbefriedigend ist, weist die h.M. durch sie doch jedenfalls darauf hin, daß die Lösung auf der Schuldebene zu suchen ist. Dazu hat man von der Schulddefinition auszugehen. Diese ist zwar umstritten. Der Streit betrifft jedoch nur die Begründung des Begriffs und seine Grenzbereiche. 41 Bei den für die Rechtsordnung im Mittelpunkt stehenden Gesichtspunkten geht es um die Möglichkeit des Täters, das Unrecht einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Das verdeutlichen auch die §§ 20, 21, 17, 33 und 35 StGB. Vorliegend handelt es sich um die intellektuelle Seite des Schuldbegriffs, d. h. um das konkrete Unrechtsbewußtsein. Damit scheint man auf den ersten Blick bei der strengen Schuldtheorie angekommen zu sein, die sich aber im vorhergehenden hinsichtlich der Ergebnisse kaum befriedigender erwiesen hat als die eingeschränkte Schuldtheorie. Die strenge Schuldtheorie ist indes nur solange die Konsequenz der Einordnung beim Unrechtsbewußtsein, wie man ausschließlich auf die Alternative zwischen § 16 StGB und § 17 StGB blickt. Löst man sich davon aus den eingangs angeführten Gründen, dann eröffnet der Schuldbegriff auch Differenzierungsmöglichkeiten. Es ist nämlich zu beachten, daß die intellektuelle Seite, nämlich das Unrechtsbewußtsein, zum einen aufgrund mangelnder Kenntnis der rechtlichen Norm, also eines Irrtums über die rechtlichen Regeln bezüglich deliktischen Handeins, zum anderen aufgrund eines Sachverhaltsirrtums bezüglich des Unrechts der tatbestandsmäßigen Handlung fehlen kann. Es geht um zwei Gruppen von Quellirrtümern fehlenden konkreten Unrechtsbewußtseins. Gallas sprach in bezug auf 40

Vgl. die Nachweise oben in Fn. 3 und 4. Schünemann (Fn. 10), S. 41 f. meint nun allerdings: „Aus heutiger Sicht muß es fast tragisch erscheinen, daß Welzel das Wohl und Wehe des Finalismus so kompromißlos mit der strengen Schuldtheorie verkettete, obwohl diese ... gerade der fundamentalen Erkenntnis Welzels zuwiderlief: Der finalen Überdeterminierung des sozialen Geschehens ...“ Aber abgesehen davon, daß für Welzel eine solche Verkettung nicht bestanden hat, diese vielmehr eine streitstrategische Erfindung seiner Gegner gewesen ist (vgl. Welzel, GS Grünhut, 1965, S. 173, 181 Fn. 28), spricht es gerade für das wissenschaftliche Gespür Welzels, daß er von der herrschenden Einordnung des Erlaubnissachverhaltsirrtums bei der Schuld nicht abgewichen ist, obwohl die Zuordnung zum Unrecht für ihn vielleicht der einfachere Weg gewesen wäre. Daß namhafte Autoren (Stratenwerth, Roxin, Lenckner, Schünemann) sich gleichwohl für eine solche Zuordnung entschieden haben, beruht auf einer Hinwendung der personalen Unrechtslehre zum Subjektivismus, die dem ihr zugrunde liegenden Handlungskonzept aber nicht entspricht (näher dazu Hirsch, FS Androulakis, 2003, S. 225, 236). Bei Roxin steht diese Subjektivierung im Gegensatz zu seiner sonst die objektive Seite des Unrechts besonders betonenden Tendenz. 41 Zu diesen Fragen siehe Jescheck / Weigend (Fn. 9), S. 425 ff.; LK-Hirsch (Fn. 13), Vor § 32 Rn. 182 ff., 187 ff.; Schönke / Schröder-Lenckner (Fn. 33). Vor § 13 Rn. 103/104 ff.

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den Erlaubnissachverhaltsirrtum wegen der „Vermittlung durch einen Sachverhaltsirrtum“ von einem „Verbotsirrtum besonderer Art“. 42 Diese Unterscheidung ist so gravierend, daß sie nicht vernachlässigt werden kann. Das ist nicht zuletzt durch den nun schon jahrzehntelangen Streit, der um die Einordnung des Erlaubnissachverhaltsirrtums geführt wird, bestätigt worden. Die Verschiedenheit, die in der Klassifizierung des vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtums als Erlaubnisfahrlässigkeit sachentsprechend Ausdruck findet, ließe sich danach ohne Schwierigkeiten in den Schuldbegriff einordnen. 2. Doch bedarf die Frage der Beantwortung, ob innerhalb des Schuldbegriffs bestehende Sachverschiedenheiten überhaupt auf die Deliktsbezeichnung (Deliktstypisierung) durchschlagen können. Wenn jemand wegen einer in verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) oder in vermeidbarem (unmittelbaren) Verbotsirrtum (§ 17 Satz 2 StGB) begangenen Tat zu bestrafen ist, wird dies nur an der in der Regel geringeren Strafe deutlich. Geht es bei der Deliktsbezeichnung also ausnahmslos um den Inhalt des Unrechtstatbestands, während Unterschiede innerhalb der Schuld nur eine Rolle dafür spielen, ob der normale Strafrahmen, ein geminderter Strafrahmen oder Straflosigkeit eingreifen? Verhielte es sich so, würde die Klassifizierung als „Erlaubnisfahrlässigkeit“ nur eine andere Wortwahl für vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtum sein, und hinsichtlich der Rechtsfolgen wäre man auf dem Stande der unbefriedigenden strengen Schuldtheorie. Sieht man sich die Schulddogmatik näher auf die Problematik hin an, so stellt man aber alsbald fest, daß der Einfluß von Schuldverschiedenheiten auf die Deliktsbezeichnung nichts Ungewöhnliches ist. Sie ist das um so weniger, als die Schuld eines der drei Deliktsmerkmale darstellt und deshalb auf den sachlichen Charakter des Delikts nicht ohne Einfluß bleibt. Das nächstliegende Beispiel bildet die unter den Anhängern der eingeschränkten Schuldtheorie vorherrschende Meinung. Indem sie den Erlaubnissachverhaltsirrtum der Schuldebene zuweist, sich hier jedoch nicht wie die strenge Schuldtheorie mit der bloßen Schuldminderung begnügt, sondern unter Berufung auf den Schuldbegriff nach den allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikten bestraft, 43 setzt sie 42 Gallas, FS Bockelmann, S. 155, 169. Es ließe sich demgegenüber daran denken, daß der Täter beim Erlaubnissachverhaltsirrtum doch ein zutreffendes Bild von den Normen des Deliktsrechts habe und ihm deshalb gar nicht das Unrechtsbewußtsein fehle. Hierbei wäre jedoch übersehen, daß es bei dem Unrechtsbewußtsein als Schuldfrage immer um das konkrete Unrechtsbewußtsein geht. Daran aber fehlt es dem Täter beim Erlaubnissachverhaltsirrtum infolge seiner fehlerhaften Sicht des Sachverhalts. Meint der Täter trotz seines Erlaubnissachverhaltsirrtums, er handele rechtswidrig, so stuft er den sein Vorstellungsbild ausmachenden rechtfertigenden Sachverhalt rechtlich falsch ein (z. B. zieht er irrig die Grenzen der Notwehr zu eng). Es liegt daher insoweit ein Wahndelikt und damit Unbeachtlichkeit einer solchen Meinung des Täter vor. Das hatte ich in meiner Monographie noch übersehen (Fn. 4, S. 226 ff.), wie mit Recht kritisiert worden ist. 43 Vgl. oben in Fn. 38.

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die Möglichkeit eines Einflusses des Schuldbegriffs auf die Deliktsbezeichnung voraus. So verhielt es sich schon immer. Als man Vorsatz und Fahrlässigkeit noch allgemein als Schuldformen einstufte, floß die Verschiedenheit natürlich in die Deliktsbezeichnung ein, und nicht etwa ließen sich etwa Bestrafungen wegen Mordes und fahrlässiger Tötung nur durch das unterschiedliche Strafmaß unterscheiden. Ferner gibt es im deutschen StGB noch einige sog. Gesinnungsmerkmale, die nach verbreiteter Auffassung erst auf der Schuldebene einzuordnen sind und auf die Deliktstypisierung Einfluß haben. 44 Da die schuldrelevanten Gesichtspunkte ebenso wie die Voraussetzungen des Unrechts Deliktsvoraussetzungen sind, wäre es eigentlich konsequent, daß alle bei ihnen sich ergebenden Besonderheiten des jeweiligen Falles in der Deliktsbezeichnung zur Geltung kämen. Ein Mörder, der in voller Schuld gehandelt hat, wird in der Regel anders gesehen als einer, der bei der Tat vermindert schuldfähig gewesen ist. Möglicherweise hat die mangelnde Differenzierung ihren Grund darin, daß die Schuldminderungen anders als die Fahrlässigkeit erst neueren Datums sind. Die verminderte Schuldfähigkeit wurde in Deutschland im Jahre 1933, 45 und der vermeidbare Verbotsirrtum überhaupt erst 1952 anerkannt. Offenbar ist die Entwicklung der sich im Strafausspruch prozessual niederschlagenden Deliktsbezeichnungen etwas hinter der generellen Entwicklung des Strafrechts zurückgeblieben. Aber das kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls finden Schuldgesichtspunkte, die über bloße Schuldminderungen hinausgehen, also nicht quantitativer, sondern auch qualitativer Natur sind, Berücksichtigung in der Deliktsbezeichnung. Mit einer solchen qualitativen Verschiedenheit haben wir es zu tun, weil der uns beschäftigende vermeidbare Irrtum auf die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen der Unrechtsseite bezogen ist und sich deshalb als selbständige Rechtsfigur „Erlaubnisfahrlässigkeit“ von den gewöhnlichen Schuldminderungen abhebt. 46 Der Charakter des Delikts wird durch ihn mitgeprägt, und das muß in der Bezeichnung zum Ausdruck gelangen. 47 Die Bestrafung hat also ausdrücklich wegen einer in 44

Siehe Jescheck / Weigend (Fn. 9), S. 472 f. mit Nachweisen. Durch Gesetz vom 24. 11. 1933. 46 Anders verhält es sich beim Sachverhaltsirrtum über den Entschuldigenden Notstand, weshalb die von mir vorgeschlagene Lösung nicht in Widerspruch zur Regelung des § 35 Abs. 2 StGB steht. Bei jenem handelt es sich um einen schuldinternen Irrtum. Beim Erlaubnissachverhaltsirrtum haben wir es dagegen mit einem Irrtum zu tun, der sich auf einen Sachverhalt des Unrechtsbereichs, nämlich den eines Rechtfertigungsgrundes, bezieht und der daher eine abgestufte Nähe zum Tatbestandsirrtum aufweist. 47 Daß hier das zentrale Problem der strengen Schuldtheorie liegt, mißdeutet Jakobs (Fn. 13), 11/43 ff., indem er meint, diese Theorie sei dahingehend zu modifizieren, daß in den einschlägigen Fällen, soweit eine Strafdrohung für Fahrlässigkeit existiert, zwar wegen vorsätzlicher Tat zu verurteilen ist, der Vorsatzstrafrahmen jedoch auf den Rahmen des Fahrlässigkeitstatbestands reduziert wird. Bei Fehlen eines fahrlässigen Delikts bleibe 45

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Erlaubnisfahrlässigkeit begangenen vorsätzlichen Tat zu erfolgen. Selbst wenn die Deliktsbezeichnungen allgemein hinsichtlich der Schuldgesichtspunkte präziser würden und daher ein Strafausspruch „Körperverletzung in vermeidbarem Erlaubnissachverhaltsirrtum“ oder „Körperverletzung in vermeidbarer Putativnotwehr“ möglich wäre, würde sich an der Notwendigkeit nichts ändern, solche Fälle, weil sie als Sachverhaltsirrtümer zwischen dem die rechtliche Existenz der Norm betreffenden (unmittelbaren) Verbotsirrtum und dem Tatbestandsirrtum stehen, als Erlaubnisfahrlässigkeit zu deklarieren – und daraus weitergehende Folgerungen zu ziehen, als sie sich aus der gewöhnlichen Schuldminderung ergeben. Es bestehen also vom Schuldbegriff und seiner Handhabung her keine Hindernisse für das vorgeschlagene Konzept. V. Damit, daß man für den vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtum die zwischen § 16 und § 17 StGB einzuordnende Rechtsfigur der „Erlaubnisfahrlässigkeit“ einführt, ist nun aber noch nicht alles getan. Es sind auch die weiteren Konsequenzen daraus zu ziehen, daß es sich um eine Zwischenfigur handelt. Es genügt nicht, daß man durch die Bezeichnung als „Erlaubnisfahrlässigkeit“ den Charakter des Irrtums als Sachverhaltsirrtum vom (unmittelbaren) Verbotsirrtum i.S. des § 17 StGB abhebt. Diese Einordnung gebietet vielmehr auch mildere Rechtsfolgen. Löst der (unmittelbare) Verbotsirrtum nach § 17 StGB schon die Möglichkeit der in § 49 Abs. 1 StGB geregelten einfachen Milderung aus, so veranlaßt die Zwischenstellung des Erlaubnissachverhaltsirrtums eine weitergehende Milderung, nämlich eine obligatorische mit niedrigeren Strafdrohungen und einer generellen Einstufung als Vergehen. Hinsichtlich der Grenzen der Strafrahmen bietet der in § 39 Abs. 2 E 1962 für den Putativnotstand vorgesehene Milderungsschlüssel instruktive Anhaltspunkte. Er geht bei der Untergrenze der Freiheitsstrafe auf deren gesetzliches Mindestmaß herunter, und für das Höchstmaß bestimmt er, daß fünf Jahre Freiheitsstrafe nicht überschritten werden dürfen. Bezüglich des Mindestmaßes weist das in die Richtung von § 49 Abs. 2 StGB, wobei dieser auch sachentsprechend die alternative Möglichkeit von Geldstrafe einbezieht. Was das Höchstmaß betrifft, das ebenfalls der Begrenzung bedarf, ist ein Strafrahmen bis zu maximal fünf die Vorsatztat straflos („von Fahrlässigkeitsstrafe abhängige Schuldtheorie“). Aber ganz abgesehen davon, daß Delikt und (entfallende oder zu verhängende) Rechtsfolge dann der sachlichen Verbindung entbehrten (zur Kritik siehe NK-Puppe, StGB, 2003, § 16 Rn. 154), wird von Jakobs damit die in der Anbindung an die allgemeinen Fahrlässigkeitsstrafbestimmungen liegende Schwäche der eingeschränkten Schuldtheorie, die zu willkürlichen Ergebnissen führt, der strengen Schuldtheorie als zusätzliche Hypothek aufgehalst. Das läuft auf einen Komprorniß im Negativen hinaus.

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Jahren Freiheitsstrafe (soweit der in dem Irrtum verwirklichte Tatbestand nicht ohnehin einen niedrigeren ausweist) gesetzlich angemessen, wenn man nicht hinter der Strafdrohung für fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zurückbleiben will. 48 Die Mittelstellung zwischen den fahrlässigen Delikten und den reinen Vorsatzdelikten spricht auch dagegen, Fälle der Erlaubnisfahrlässigkeit als Verbrechen einzustufen. Die vorgeschlagene Milderung, die hier überall Strafrahmen unter einem Jahr Freiheitsstrafe und die Möglichkeit der Geldstrafe eröffnet, hat vielmehr wie beim fahrlässigen Delikt und damit im Unterschied zu den von § 12 Abs. 3 StGB erfaßten Fällen auch Einfluß auf die Deliktskategorie. 49 Es bleibt daher bei der Einsicht der eingeschränkten Schuldtheorie, daß der vermeidbare Erlaubnissachverhaltsirrtum nur als Vergehen einzuordnen ist. Die Lösung über die Erlaubnisfahrlässigkeit bedeutet, daß der Vorsatztatbestand, auf den der Eingriff gerichtet war, in der Deliktsbezeichnung zum Ausdruck gelangt. Das rückt noch einen Einwand ins Blickfeld, der gelegentlich gegenüber der strengen Schuldtheorie erhoben worden war: Die etwaige Möglichkeit der Bestrafung eines in Putativnotwehr handelnden Täters wegen Mordes. In der Tat wäre die darin liegende Stigmatisierung des Täters in der Regel befremdlich. Aber betrachtet man den Mordtatbestand genauer, so ist er in allen Fällen, in denen es beim Mord um besondere persönliche Merkmale geht, ohnehin nicht erfüllt. Denn der Verteidigungswille steht dem Gegebensein dieser Merkmale entgegen. Wer sich oder einen anderen verteidigen will, handelt nicht aus niedrigem Beweggrund. Auch das Mordmerkmal des Verdeckungszwecks kommt nicht in Betracht. Es verbleiben daher nur die tatbezogenen Merkmale der zweiten Gruppe. Aber abgesehen davon, daß Heimtücke schon per definitionem nicht bei der Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs paßt und grausame Begehung ohnehin die Erforderlichkeitsgrenzen überschreiten würde, bedarf das Merkmal „mit gemeingefährlichen Mitteln“, bei dem ebenfalls schon Fragen der Erforderlichkeit in den Blick kämen, wie alle Mordmerkmale einer auf die ratio legis des § 211 StGB achtenden restriktiven Interpretation. 50

48 Eingehend zu den Milderungsfragen auch Paeffgen (Fn. 25), S. 170 ff. und M. Heuchemer (Fn. 16), S. 307 ff. 49 Was die Strafbarkeit des im vermeidbaren Erlaubnissachverhaltsirrtum begangenen Versuchs angeht, führt die Einstufung als Vergehen nicht zu Auslegungsproblemen bei der Verbrechen betreffenden 1. Alternative des § 23 Abs. 1 StGB, denn die dort geregelte Frage des Umfangs der Versuchsstrafbarkeit betrifft bereits die Tatbestandsebene. Sie wird also von einer erst auf der Schuldebene erfolgenden Änderung der Deliktskategorie nicht beeinflußt. 50 Zur restriktiven Interpretation dieser Merkmale siehe Schönke / Schröder-Eser, StGB, 26. Aufl. 2001, § 211 Rn. 10 und 29.

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VI. Die Ergebnisse der hier angestellten Überlegungen führen zu der Frage, ob sie sich bereits nach geltendem Recht vertreten lassen oder ob sie einer Reformnovelle bedürfen. De lege ferenda könnte ein § 16a StGB lauten: „ 1Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, nach denen sein einen gesetzlichen Tatbestand verwirklichendes Verhalten nicht rechtswidrig sein würde, handelt ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. 2Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so wird er wegen in Erlaubnisfahrlässigkeit erfolgter Verwirklichung des betreffenden Tatbestandes bestraft. 3Die Strafe ist in solchem Fall nach § 49 Abs. 2 zu mildern. 4Das Höchstmaß einer Freiheitsstrafe darf fünf Jahre nicht überschreiten. 5§ 12 Abs. 3 findet keine Anwendung.“

Angesichts der Zurückhaltung, die sich der Gesetzgeber auch hinsichtlich dringlicher Korrekturen des Allgemeinen Teils auferlegt, ist es wichtiger, wie de lege lata vorgegangen werden könnte. Hierzu ist noch einmal zu betonen, daß der Reformgesetzgeber von 1975 die Lösung jener Irrtumsfrage bewußt offengelassen hat. Da er sich aus den geschilderten Gründen weder für die eingeschränkte noch die strenge Schuldtheorie entscheiden konnte, entspricht eine Lösung, die weder den Einwänden gegen die eine noch den Bedenken gegenüber der anderen ausgesetzt ist, also einen Mittelweg verfolgt, dem durch das Offenlassen auch objektivierten Gesetzeswillen. „Erlaubnisfahrlässigkeit“ bedeutet eine privilegierende Abstufung gegenüber den gewöhnlichen Schuldminderungen, und durch die Verwendung des Begriffs „Fahrlässigkeit“ wird dem Charakter des Irrtums als unrechtsbezogenem Sachverhaltsirrtum Rechnung getragen. Auch läßt sich darauf hinweisen, daß mit der vorgeschlagenen Lösung eine erhebliche Milderung gegenüber der traditionellen Judikatur zum Putativnotstand verbunden ist. Und hinsichtlich des Milderungsmaßstabs für die Strafrahmen und die Deliktskategorie läßt sich auf den Mittelweg zwischen dem schlichten Milderungsschlüssel der die §§ 17 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB anwendenden strengen Schuldtheorie und der auf die gewöhnliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB zurückgreifenden eingeschränkten Schuldtheorie verweisen. Man braucht daher nicht unbedingt auf den Gesetzgeber zu warten. Aber mit Recht kritisiert Schroeder das Fehlen der gesetzlichen Regelung einer praktisch so wichtigen Frage. 51

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LK-Schroeder (Fn. 2), Vor § 15 Rn. 4 und § 16 Rn. 50.

Nachwort zur Monographie „Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen“ 2005 Dieses Buch, meine Dissertation, ist als ein „inzwischen zentrales Werk in der Literatur zum Allgemeinen Teil“ bezeichnet worden. 1 Als ich es Mitte der 50er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts schrieb, ahnte ich nicht, daß es in Fachkreisen weltweite Beachtung finden und anhaltenden Einfluß auf die wissenschaftliche Entwicklung nehmen würde. Obwohl ich mich seither auch zu zahlreichen anderen Gebieten und Problemkreisen des Strafrechts literarisch geäußert habe, wird es bei der Erwähnung meines Namens oft an erster Stelle genannt, nicht zuletzt im Ausland. Das hängt offenbar damit zusammen, daß es zu einem Zeitpunkt erschienen ist, als der dreigliedrige Aufbau der Straftat unter dem Eindruck der über die systematische Einordnung des Irrtums über das Vorliegen des Sachverhalts eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes (z. B. Putativnotwehr) 2 geführten Diskussion in den Mittelpunkt des strafrechtsdogmatischen Interesses gerückt war. Da die herrschende Meinung davon ausging, dieser Irrtumsfall sei grundsätzlich als vorsatzausschließender Irrtum anzusehen, schien es folgerichtig zu sein, die Rechtfertigungsgründe bereits als negative Tatbestandsmerkmale einzuordnen und sich damit für einen zweigliedrigen Aufbau zu entscheiden. Dem kam entgegen, daß die Tatbestandsmäßigkeit bis dahin zumeist nur das formelle Vorliegen des in der jeweiligen Strafbestimmung genannten Deliktstypus bezeichnen, nur „ratio cognoscendi“ sein sollte und erst das zweite Deliktsmerkmal, die Rechtswidrigkeit, als unrechtsbezogene Wertung betrachtet worden ist. In meinem Buch habe ich demgegenüber herausgearbeitet, daß es bei der Systematik des Delikts um Wertungsstufen geht und daß jede die vorhergehende als konstitutives Element voraussetzt. Die Tatbestandsmäßigkeit als erste Wertungsstufe („Unrechtstatbestandsmäßigkeit“) bezeichnet die Verwirklichung der objektiven und subjektiven Merkmale der jeweiligen verbotenen Handlung (bzw. das Unterlassen einer gebotenen Handlung), und das zweite Deliktsmerkmal besagt, daß kein ausnahmsweise rechtfertigender Erlaubnissatz eingreift und 1

K. Bernsmann / F. Zieschang, Neue Juristische Wochenschrift 1999, S. 1001. Man spricht in bezug auf diesen Irrtum auch von der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts. In Deutschland wird heute vielfach die Bezeichnung „Erlaubnistatbestandsirrtum“ verwendet, was jedoch terminologisch die dogmatische Problematik zu verschleiern geeignet ist. 2

Nachwort zu „Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen“

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deshalb eine konkrete Rechtspflichtwidrigkeit gegeben ist. 3 Deliktisches Unrecht setzt sich demnach aus der Unrechtstatbestandsmäßigkeit und dem Fehlen von Rechtfertigungsgründen zusammen. Das Werturteil „rechtswidrig“ ist das Ergebnis von beidem. Und was die Schuld als drittes Deliktsmerkmal betrifft, setzt diese die beiden Unrechtsstufen voraus. Es gibt keine Schuld ohne Unrecht. Jene normbezogene Sicht der Tatbestandsmäßigkeit entsprach grundsätzlichen Ansätzen meines Lehrers Hans Welzel, der den Tatbestand als „Verbotsmaterie“ bezeichnete. Aber die Durchführung war bei ihm noch nicht konsequent. So meinte Welzel damals, daß es bei der Sozialadäquanz erst um einen Rechtfertigungsgrund gehe. Auch erkannte er „offene Tatbestände“ an, bei denen die Tatbestandsmäßigkeit nicht „unrechtsindizierend“ sein, vielmehr eine „Rechtswidrigkeitsregel“ erst auf der Rechtswidrigkeitsebene den Ausgleich schaffen sollte (siehe dazu die Regelungen von Nötigung und Erpressung im deutschen Strafgesetzbuch). Außerdem bejahte er im Anschluß an Armin Kaufmann sogenannte Rechtspflichtmerkmale, was ebenfalls auf eine nicht unrechtsindizierende Tatbestandsmäßigkeit hinauslief. Demgegenüber wurde von mir in der vorliegenden Monographie aufgezeigt, daß die Tatbestandsmäßigkeit, weil sie den Widerspruch gegen die einzelne Verbotsnorm (resp. Gebotsnorm) angibt, immer unrechtsindizierend sein muß. Es wurde die Sozialadäquanz, da bereits den Inhalt der einzelnen Norm eingrenzend, als Tatbestandsproblem herausgearbeitet. Außerdem ist klargestellt worden, daß es zwar offene Strafbestimmungen, nämlich die normwidrige Handlung nicht ausreichend beschreibende – und deshalb eigentlich wegen gesetzgeberischen Verstoßes gegen den Satz Nullum crimen sine lege verfassungswidrige – Gesetzesvorschriften gibt, aber bei ihnen dann eine anhand der Rechtswidrigkeitsregel erfolgende restriktive Auslegung des Tatbestands zu erfolgen hat. Ebenfalls wurde die Unvereinbarkeit der Lehre von den Rechtspflichtmerkmalen mit dem Tatbestandsbegriff veranschaulicht. Der dreistufige Deliktsaufbau hat sich, gefestigt durch die geschilderte Materialisierung des Tatbestandsbegriffs, bis in die Gegenwart behauptet und steht nicht ernsthaft zur Debatte. Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen gilt als gescheitert. 4 Fast alle Argumente, die ich für die Dreigliederung und gegen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vorgebracht habe, beanspruchen 3

Vgl. § 29 Nr. 34, § 40 (letzte Absätze), § 45, § 46 Nr. 1 und 3 sowie § 35 (am Ende) des Buches. Näher dazu auch H. J. Hirsch, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 9. Aufl. 1974, Vor § 51 Rnr. 5 ff., und 11. Aufl. 1994, Vor § 32 Rnr. 5 ff. 4 Vgl. W. Gallas, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 155, 169; H.-H. Jescheck / T. Weigend, Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 250 f.; T. Lenckner, in: Schönke / Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, Vor § 13 Rnr. 18.; R. Maurach / H. Zipf, Allg. Teil, Teilbd. 1, 8. Aufl. 1992, § 37 Rnr. 21; u. a. Jescheck spricht zudem von einer „minutiösen Widerlegung“ durch die vorliegende Monographie; vgl. Jescheck, Festschrift für Hirsch, 1999, S. 4. In neuerer Zeit hat sich jedoch B. Schünemann, Bausteine des europäischen Strafrechts, 1995, S. 149, 175 ff., für die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ausgesprochen.

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heute noch Gültigkeit. Auch sind neue Argumente für diese Lehre nicht mehr aufgetaucht. Es sind umgekehrt verschiedene Problemkreise neuerdings verstärkt in den Blick gekommen, bei denen die Abstufung zwischen der Ebene des Unrechtstatbestandes und der des Fehlens von Rechtfertigungsgründen bedeutsam wird. Ich nenne nur die bei Delikten des Umweltschutzes geführte Debatte, ob Fälle der behördlichen Genehmigung dort schon tatbestandausschließend sind oder erst einen Rechtfertigungsgrund bilden, sowie die aktuelle Diskussion um die systematische Einordnung der herkömmlich als rechtfertigend angesehenen Einwilligungsfälle. Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist, wie erwähnt, vor allem durch die Irrtumslehre aktuell geworden. Das Buch hat deshalb den Untertitel „Der Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund“. Ich habe damals als allgemeine Lösung die strenge Schuldtheorie favorisiert, nach der alle Rechtfertigungsirrtümer als Verbotsirrtümer eingeordnet und behandelt werden. Auch wenn sich die strenge Schuldtheorie in Deutschland – anders als in Polen und Spanien 5 – nicht durchgesetzt hat, ist das entscheidende dogmatische Ziel meiner Arbeit erreicht worden: daß nämlich die herrschende Meinung den Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt weder als einen bereits den zum Unrechtstatbestand gehörenden Tatbestandsvorsatz noch als einen sonst das Unrecht des Vorsatzdelikts ausschließenden Irrtum versteht, vielmehr einen solchen Irrtumsfall ebenso wie die unstreitigen Verbotsirrtümer erst als ein Schuldproblem ansieht. Die damals von der personalen Unrechtslehre des „Finalismus“ eingeleitete Verlagerung des Tatbestandsvorsatzes in den Unrechtstatbestand des Vorsatzdelikts ließ befürchten, daß entgegen der Intention der meisten „Finalisten“ auch der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt in den Unrechtsbereich verlagert würde. Derartiges wurde von einigen Autoren nicht nur in Verbindung mit der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vertreten, sondern auch auf der Grundlage einer zwischen Tatbestandsund Rechtfertigungsfrage differenzierenden, aber das subjektive Spiegelbild der Rechtfertigungsgründe mit in die Rechtfertigungsebene einbeziehenden und daher das Vorsatzunrecht in solchen Fällen verneinenden Auffassung. Letztere findet sich, aber eben nur als Mindermeinung, noch in Teilen des heutigen Schrifttums. Gegen sie spricht, daß sie auf eine Deformierung der Unrechtslehre hinausläuft, weil sie das Risiko des unvermeidbaren Irrtums nicht demjenigen auferlegt, der die Eingriffsbefugnis für sich in Anspruch nimmt, sondern es dem Betroffenen zuschiebt, indem sie diesem durch Verneinung eines rechtswidrigen Angriffs das Notwehrrecht abschneidet. 6

5 Vgl. Art. 29 Abs. 2 poln. StGB und – jedenfalls nach herrschender Meinung – § 14 Abs. 3 span. StGB. 6 Dazu noch näher H. J. Hirsch, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Bd. 94 (1982), S. 239, 258 ff. (= Derecho Penal. Obras completas, Tomo II, 1999, ps. 83, 144 y ss.).

Nachwort zu „Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen“

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Die Frage kann nur sein, wie der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt innerhalb der Schuld einzuordnen ist. Die in Deutschland nach wie vor herrschende eingeschränkte Schuldtheorie will eine von dem zum Unrechtstatbestand gehörenden Tatbestandsvorsatz zu unterscheidende spezifische Vorsatzschuld verneinen – mit der Konsequenz, daß bei Vermeidbarkeit des Irrtums im Ergebnis ebenso wie nach den Auffassungen zum Ausschluß des Vorsatzunrechts nicht wegen vorsätzlicher Tat im Verbotsirrtum, sondern wegen fahrlässiger Tat (wenn ein Fahrlässigkeitstatbestand existiert) zu bestrafen ist. In dem Buch finden sich die Argumente, die für und gegen die eingeschränkte Schuldtheorie anzuführen sind, im einzelnen erörtert. Da es bei der Schuld um die Möglichkeit der Unrechtskenntnis und die Möglichkeit, sich dieser Kenntnis gemäß zu motivieren, geht, bildet der Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt jedenfalls einen Unterfall des fehlenden Unrechtsbewußtseins. Es handelt sich mithin darum, ihn in diesem Kontext sachentsprechend einzuordnen. Daß man es im Unterschied zu den abstrakten Verbotsirrtümern – das heißt denjenigen über rechtliche Existenz oder Umfang eines Verbots, Gebots oder Erlaubnissatzes – hier mit einem Irrtum zu tun hat, der auf einen primären Sachverhaltsirrtum zurückgeht, verdient stärkere Berücksichtigung, als ich es in meinem Buch angenommen hatte. Andererseits ist, wie von mir schon damals betont wurde, die Beschränkung der Strafbarkeit des vermeidbaren Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt auf Fälle, in denen im Besonderen Teil Fahrlässigkeitstatbestände vorgesehen sind, willkürlich und strafbarkeitsverkürzend. Denn die in vielen Rechtsordnungen nur punktuell vorgesehene Bestrafung der Tatbestandsfahrlässigkeit hat tatbestandsspezifische Gründe, während es bei der zur Erörterung stehenden Fallkonstellation um die tatbestandsunabhängigen allgemeinen Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Eingriffsbefugnis geht. Diese Verschiedenheit wird auch an dem bis in die Gegenwart anhaltenden Bestreben der deutschen Rechtsprechung erkennbar, beim Putativnotstand, weil er in der Praxis vorwiegend hinsichtlich Tatbeständen bedeutsam wird, bei denen Tatbestandsfahrlässigkeit nicht pönalisiert ist, mit Hilfe der Interpolation eines angeblichen subjektiven Rechtfertigungselements der „pflichtmäßigen Prüfung der Sachlage“ die Fälle vermeidbaren Irrtums im Bereich der Strafbarkeit zu halten. Ebenfalls bei dem in vermeidbarem Irrtum über den Sachverhalt eines Rechtfertigungsgrundes begangenen Versuch versagt der Rückgriff auf die Rechtsfigur der Tatbestandsfahrlässigkeit, da diese den Erfolgseintritt erfordert. Daß die eingeschränkte Schuldtheorie nicht problemlos ist, erkannte auch der deutsche Reformgesetzgeber von 1975, der deshalb – der Anregung am Schluß meines Buches folgend – im neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches auf eine Regelung bewußt verzichtet hat. Die Diskussion der Thematik ist daher noch nicht abgeschlossen. Sie hätte wohl in die Richtung zu gehen, daß man den betreffenden Rechtfertigungsirrtum, da er auf einem Sachverhaltsirrtum basiert, stärker als eigenständige Irrtumskategorie herausarbeitet und sich aus der Alternative befreit, ihn bei der Vermeidbarkeit entweder der Tatbestandsfahrlässigkeit zuzuordnen oder dem vermeidbaren Irrtum über das abstrakte Verbot

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an die Seite zu stellen. Ob dies dogmatisch durch eine nur auf die vorsätzlichen Grundtatbestände und niedrigere Strafrahmen abstellende Lösung als Vorsatztat oder durch Bildung einer selbständigen Rechtsfigur „Erlaubnisfahrlässigkeit“, die bei allen Tatbeständen und auch beim Versuch möglich wäre, zu geschehen hätte, bedarf wissenschaftlich näherer Klärung. Hätte ich die Monographie heute zu schreiben, würde dies ein Teil des Programms sein. Was sonstige vorzunehmende Änderungen betrifft, beschränken sie sich auf drittrangige oder periphere Fragen. Namentlich läßt sich nicht das in der Aufzählung der gegen die eingeschränkte Schuldtheorie zu erhebenden Einwände angeführte Argument halten, daß nach dieser Theorie ein Irrtum über ein rechtfertigenden Sachverhalt auch dann beachtlich wäre, wenn er nicht zum Ausschluß des konkreten Unrechtsbewußtseins geführt hat. 7 Wie die dort genannten Beispiele deutlich werden lassen, geht es dabei in Wahrheit um Fälle, in denen der Täter lediglich von einem rechtlich nicht existenten Unrecht ausgeht (sogenanntes Wahndelikt), was auf die Frage des Unrechtsbewußtseins ohne Einfluß ist. Ebenfalls bin ich seit längerer Zeit nicht mehr der Auffassung, daß der Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten nur eine objektive Strafbarkeitsbedingung sei. 8 Außerdem ist zu beachten, daß die Monographie eineinhalb Jahrzehnte vor dem Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des deutschen Strafgesetzbuchs publiziert worden ist. Soweit Paragraphen zitiert werden, hat sich daher deren Numerierung geändert. Auch gab es zu der Zeit noch keine ausdrückliche Regelung des Verbotsirrtums im deutschen Strafgesetzbuch. Der dann im Jahre 1975 eingeführte § 17 dtsch. StGB basiert jedoch auf der Schuldtheorie und hat insoweit lediglich die schon vorher bestehende Auffassung von Rechtsprechung und herrschender Lehre gesetzlich festgeschrieben. Das Buch dürfte für jeden, der sich mit der Tatbestandslehre und der Frage des Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt befaßt, auch heute noch eine breite Informationsquelle sein. Darüber hinaus vermittelt es einen Eindruck von der in Deutschland praktizierten strafrechtsdogmatischen Methodik und Argumentationsweise. Die Übersetzung ins Spanische bedeutet für mich eine hohe Ehre und große Freude. Ich hoffe, daß sie zur Vertiefung der engen Kontakte, die zwischen der spanischsprachigen und der deutschen Strafrechtswissenschaft bestehen, beitragen wird. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. José Cerezo Mir, Madrid, und Herrn Prof. Dr. Edgardo Alberto Donna, Buenos Aires, danke ich, daß sie die Übersetzung des Buches veranlaßt und betreut haben. Besonderer Dank gilt Herrn Rechtsanwalt Dirk Stima, 7

Vgl.§ 53 Nr. 3 des Buches. So aber noch § 46 Nr. 2 e) Fn. 122 des Buches. Anders seit meinem oben in Fn. 6 zitierten Aufsatz, S. 251 ff. (= Obras completas [supra nota 6], ps. 136 y ss.). 8

Nachwort zu „Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen“

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Buenos Aires, der den Text ins Spanische übertragen und damit die Hauptarbeit geleistet hat. Zu danken habe ich außerdem dem Goethe Institut Inter Nationes, Bonn, ohne dessen finanzielle Unterstützung die Publikation einer spanischen Ausgabe des Buches nicht möglich gewesen wäre.

Zur actio libera in causa 1998 I. Zu den zahlreichen strafrechtlichen Themen, mit denen sich Haruo Nishihara näher befaßt hat, gehört die actio libera in causa (a.l.i.c.). Seine Forschungen über die mittelbare Täterschaft führten ihn zu dieser Problematik. 1 Er war bestrebt, die Berechtigung der Rechtsfigur, die im japanischen Strafgesetzbuch ebensowenig wie im deutschen ausdrücklich genannt ist, für das geltende japanische Recht nachzuweisen. 2 In Deutschland ist die a.l.i.c. über lange Zeit wenig erörtert worden. Sie wurde von der h.M. als gesicherter Bestand betrachtet. Deshalb sah auch der Gesetzgeber keinen Anlaß, sie im neuen Allgemeinen Teil von 1974 ausdrücklich zu erwähnen. Inzwischen hat sich die Situation aber geändert. Es geht in der Diskussion nicht mehr nur um unterschiedliche Begründungen. Vielmehr finden sich jetzt zunehmend Stellungnahmen, die es im Hinblick auf den Wortlaut der gesetzlichen Regelung der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) für fragwürdig ansehen, sich de lege lata auf die Konstruktion zu stützen, und deshalb den Ruf nach dem Gesetzgeber erheben. 3 In der Vorschrift ist nämlich von der Schuld „bei Begehung der Tat“ die Rede. Diese Entwicklung hat in jüngster Zeit eine Zuspitzung dadurch erfahren, daß der 4. Strafsenat des BGH, dessen vormaliger Vorsitzender Salger sich bereits publizistisch gegen die Konstruktion der a.l.i.c. ausgesprochen hatte 4, zunehmend zu der Rechtsfigur auf Distanz geht. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1994 meint der Senat, bei fahrlässigen Erfolgsdelikten ergebe sich die Lösung schon aus den Eigenarten dieser Delikte, so daß es des „Rückgriffs auf die – umstrit1

Nishihara, Studien zur mittelbaren Täterschaft, 1962 (Japan). Siehe insbesondere Nishihara. Zur Frage, wann die Schuldfähigkeit vorliegen muß, Chihiro Saeki-Festschr. Bd. 1, 1968, S. 404 ff.; ders., Nochmals zur actio libera in causa, Shigemitsu Dando-Festschr. Bd. 3, 1984, S. 29 ff. (beide japan.) 3 Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 524; ders., in: NK, Vor § 323a Rdnr. 28; Hettinger, Die „actio libera in causa“, 1988, S. 436 ff., 447 ff.; ders., GA 1989, 1, 19; ders., GeerdsFestschr., 1995, S. 623, 637; Neumann, Arth. Kaufmann-Festschr., 1993, S. 581, 590 f.; ders., StV 97, 23, 25; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565. 4 Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561 ff. 2

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tene – Rechtsfigur der actio libera in causa“ nicht bedürfe. 5 Und in der neuesten Entscheidung des Senats von 1996 heißt es weitergehend, daß „jedenfalls bei den Delikten der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis die Grundsätze der a.l.i.c. nicht anwendbar“ seien. 6 Neumann hat deshalb in einer Anmerkung zu diesem Urteil geäußert, „es könnte das Ende der actio libera in causa in der Rechtsprechung des BGH einläuten“. 7 Es gibt aber auch Stellungnahmen im Schrifttum, die der Judikatur des 4. Strafsenats nicht zustimmen. 8 Zudem hat sich der 3. Strafsenat des BGH Anfang 1997 für eine grundsätzliche Beibehaltung der Rechtsfigur ausgesprochen. 9 Dieser Meinungsstand gibt Veranlassung, sich die Argumente beider Seiten näher anzusehen. II. Zunächst einmal ist festzustellen, daß eine Straflosigkeit der von der Rechtsfigur der a.l.i.c. erfaßten Fälle niemand befürwortet. Auch stimmt man weitestgehend darin überein, in einer Strafbarkeit nur wegen gefährlichen Sichberauschens, wie sie in § 323a StGB geregelt ist, keine hinreichende Lösung zu sehen. Vielmehr hält man es für angemessen und notwendig, daß der Täter wegen der Handlung, die er rauschbedingt begangen hat, bestraft wird. Die zu untersuchende Frage lautet deshalb, ob und gegebenenfalls wie sich ein solches Ergebnis begründen läßt. Am einfachsten wäre es, wenn man sagen könnte, daß es auf das Koinzidenzprinzip hier nicht ankomme, und sich auf das von einer Richtung des Schrifttums vertretene sog. „Ausnahmemodell“ zurückgreifen ließe. 10 Nach diesem Modell soll es bekanntlich zwar an der Schuld bei der Begehung der Tat fehlen, aber ausnahmsweise ausreichend sein, daß die Schuld bei der die Vermeidbarkeit der Tat begründenden actio praecedens, dem Berauschen, gegeben war. Daß de lege lata eine solche Konstruktion der a.l.i.c. jedoch nicht haltbar ist, hat der 4. Strafsenat des BGH in seiner zweiten Entscheidung mit Recht zum 5

BGHSt. 40, 341, 343. BGHSt. 42, 235. In diesem Sinne schon LG Münster NStZ-RR 1996, 266. 7 Neumann, StV 1997, 23. Im gleichen Sinne Horn, StV 1997, 264 ff. 8 Spendel, JR 1997, 133 ff.; Hirsch, NStZ 1997, 230 ff.; ders., JR 1997, 391 ff.; Jerouschek, JuS 1997, 385 ff. 9 BGH NStZ 1997, 230. 10 So Hruschka, JuS 1968, 554 ff.; ders., JZ 1989, 310, 312 (siehe dazu noch Fn. 12). Ihm folgend: Jähnke, in: LK, 11. Aufl., § 20 Rdnr. 78; Jescheck / Weigend, Allg. Teil, 5. Aufl., S. 447 f.; Kühl, Allg. Teil 2. Aufl., S. 367; Küper, Leferenz-Festschr., 1983, S. 573, 591 f.; Otto, Jura 1986, 426, 429 f.; Schönke / Schröder / Lenckner, 25. Aufl., § 20 Rdnr. 35. 6

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Ausdruck gebracht. 11 Indem § 20 StGB Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat verlangt, ist das Koinzidenzprinzip hier gesetzlich festgeschrieben. Eine nicht im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Ausnahmelösung bedeutet daher einen klaren Verstoß gegen den Satz „Nullum crimen sine lege“. Darüber ist entgegen der Auffassung einiger Autoren nicht hinwegzukommen. 12 Dieser in § 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Grundsatz gilt auch für den Allgemeinen Teil 13; und daß es hier um eine Ausnahme zu Lasten des Täters gehen würde, bedarf keiner Erläuterung. Die Berufung auf ein insoweit bestehendes Gewohnheitsrecht verfängt demgegenüber nicht, da zu Lasten des Täters geltendes Gewohnheitsrecht im Strafrecht, und zwar auch im Allgemeinen Teil, generell unzulässig wäre. 14 Die Frage könnte deshalb nur die sein, ob de lege ferenda eine Ausnahmevorschrift für die bisher unter Berufung auf die a.l.i.c.-Konstruktion gelösten Fälle angezeigt ist. Einleuchtend hält der BGH auch das von einer anderen Richtung vertretene „Ausdehnungsmodell“ de lege lata nicht für verfassungskonform. Bei dieser Konstruktion wird angenommen, daß der Begriff „Begehung der Tat“ im Sinne des § 20 StGB hier vortatbestandliches, auf die Tatbestandsverwirklichung bezogenes Vorverhalten, auch soweit es sich nicht als Versuchshandlung, sondern als bloße Vorbereitung darstellt, im „Schuldtatbestand“ mit erfasse. 15 Demgegenüber weist der 4. Strafsenat mit Recht darauf hin, daß eine Erweiterung des Zeitpunkts der Begehung der Tat dahingehend, daß eine dem Tatunrecht vorhergehende Schuld genügen soll, ebenfalls dem eindeutigen Gesetzeswortlaut widerspricht und deshalb mit dem Satz „Nullum crimen sine lege“ unvereinbar ist. 16 Es verbleibt daher nur die Frage, ob de lege ferenda auf diese Modelle zurückgegriffen werden sollte. In einigen ausländischen Strafgesetzen, vor allem des ehemaligen Ostblocks, gibt es Regelungen der Schuldunfähigkeit, die eine ausnahmsweise Einschränkung für den Fall vorsehen, daß die Schuldunfähigkeit 11

BGHSt. 42, 235, 241. Das erkennt inzwischen auch Hruschka, JZ 1996, 64, 68 und JZ 1997, 22, 24 nach zwischenzeitlich geäußerten Bedenken in JZ 1989, 310, 312 und im Gegensatz zu seiner früheren Ansicht in JuS 1968, 554, 559 an und verbindet dies wie die in Fn. 3 genannten Autoren mit dem Ruf nach dem Gesetzgeber. 13 BGHSt. 39, 1, 27 f.; Hirsch, in: LK, 11. Aufl., Vor § 32 Rdnr. 35 ff. m.w. N. (auch zur Gegenansicht). 14 BVerfGE 25, 269, 285; 26, 41, 42; 64, 389, 393; 71, 108, 115; 75, 329, 340; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 103 Abs. 2 Rdnr. 222 f.; a. A. jedoch: Rüping, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rdnr. 53; Schönke / Schröder / Eser, § 1 Rdnr. 15 (beide speziell zur a.l.i.c.). 15 Streng, ZStW 101 (1989),273, 311; ders., JZ 1994, 709, 711. In die gleiche Richtung gehen die neueren Lösungsansätze von Schmidhäuser. Die actio libera in causa, 1992, S. 27 ff. und Jerouschek, JuS 1997, 385 ff. („im Wege zulässiger Auslegung [des § 20 StGB] gewonnener Zurechnungsmodus“, S. 388). 16 BGHSt. 42, 235, 240. 12

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durch einen Rausch verschuldet ist. 17 Jüngste Vorschläge im deutschen Schrifttum gehen sogar noch weiter. So hat Hruschka unlängst den Vorschlag unterbreitet, daß der Schuldunfähigkeitsregelung als Einschränkung der Satz hinzugefügt wird: „Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Unfähigkeit selbst verantwortlich ist; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.“ 18 Und eine allgemeine Vorschrift soll nach Ansicht dieses Autors lauten: „Ist der Täter dafür verantwortlich, daß Umstände oder sonstige Bedingungen eingetreten sind, die die Schuld ausschließen, dann ist die Tat trotz des Eintritts dieser Umstände oder Bedingungen zur Schuld zuzurechnen. Die Strafe kann jedoch nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.“ 19 Das Problem ist jedoch nicht damit erledigt, daß der Gesetzgeber spricht. Der entscheidende Punkt ist vielmehr, ob eine dem Ausnahme- oder Ausdehnungsmodell folgende Lösung überhaupt sachentsprechend wäre. Stellt man auf ein Vorverschulden oder gleichbedeutend eine Vorverantwortlichkeit ab, das heißt auf eine sich aus der actio praecedens ergebende Vermeidbarkeit, so ergäbe sich, daß auch die Fälle des Vollrauschtatbestands (§ 323a StGB) mit erfaßt würden. Dies räumt Hruschka übrigens selbst ein. 20 Indem das subjektive Bezugsmoment zwischen dem Berauschen und der im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Rauschtat, das für die Fälle der a.l.i.c. charakteristisch ist, um seine abstufende Bedeutung gebracht wäre, würden die Fälle, die bisher nur unter den Gefährdungstatbestand des § 323a StGB subsumierbar sind, mit denen der Rechtsfigur der a.l.i.c. nivellierend in einen Topf geworfen. Nach dem Stand der deutschen wissenschaftlichen Entwicklung läge in der Aufwertung der bloßen Gefährlichkeitstaten zu Fällen der im Rausch begangenen Taten, z. B. zu Mord oder Totschlag, ein evidenter Verstoß gegen das Schuldprinzip. Auch bleibt bei der Konstruktion nach der anderen Seite hin unbefriedigend, daß Hruschka sich gedrängt sieht, für den gesamten Bereich, also auch für die bisher über die a.l.i.c. gelösten Fälle, eine Strafmilderungsmöglichkeit zu eröffnen. Eine positivrechtliche Regelung müßte also mehr auf die Beziehung zur im Rausch begangenen Tat hin konturiert sein. Aber auch eine solche Regelung brächte gegenüber der bisherigen a.l.i.c.-Konstruktion eine Strafschärfung mit sich. Während diese sich nämlich bezüglich der Frage, ob eine Bestrafung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tat in Betracht kommt, daran orientiert, welches der beiden Phänomene im Zeitpunkt der noch vorhandenen Schuldfähigkeit – also bei der actio praecedens – vorliegt, käme es bei einer solchen positivrechtlichen Ausnahme- oder Ausdehnungsregelung für die Einstufung nur noch darauf an, 17 18 19 20

Siehe die Nachweise bei Hirsch, ZStW-Beiheft 1981, 2, 5 mit Fn. 16. JZ 1996, 64, 69. JZ 1996, 64, 72. JZ 1996, 64, 71.

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ob die im Rausch begangene Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden ist. Wenn also jemand sich in einen Vollrausch versetzt und in ihm, ohne daß ihm das beim Berauschen bewußt war, eine Vorsatztat begeht, beispielsweise eine vorsätzliche Tötung, wäre wegen dieser, also wegen Totschlags oder sogar Mordes zu bestrafen. Eine solche Strafschärfung erscheint offensichtlich unangemessen. Es wird nun aber geltend gemacht, daß sich auch beim verschuldeten Verbotsirrtum (§ 17 Satz 2 StGB) und beim verschuldeten Entschuldigenden Notstand (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB) die Frage, ob eine vorsätzliche oder fahrlässige Tat vorliegt, allein nach dem im Zeitpunkt der Ausführung gegebenen subjektiven Befund bestimmt, obgleich hier ein Vorverschulden in Rede stehe. Auf diese Vorschriften wird hierbei gleichzeitig mit dem Bemerken hingewiesen, daß es sich bei der zur Erörterung stehenden Problematik des § 20 StGB um ein über die Rauschfälle hinausgehendes allgemeines Problem der Berücksichtigung des Vorverschuldens handele 21. Die Vorschriften beim Verbotsirrtum und beim Entschuldigenden Notstand zeigten, daß man sich durchaus systemkonform bewege, wenn man konsequenterweise auch bei § 20 StGB eine allgemeine positivrechtliche Einschränkung für die Fälle des Vorverschuldens fordere. 22 In der Tat legen Äußerungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums das Argument nahe, daß beim Verbotsirrtum ein Vorverschulden Einfluß auf die Tatschuld haben könne. So heißt es etwa, daß ein Verbotsirrtum deshalb vermeidbar gewesen sei, weil der Täter sich vor der Tat nicht ausreichend erkundigt 23 oder eine gegenüber den Rechtspflichten gleichgültige Lebensführung betrieben habe. 24 Es empfiehlt sich jedoch, daß man sich bei diesem Problem an eine parallele Frage beim fahrlässigen Delikt erinnert, zumal es sich bei der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums um eine Art von „Rechtsfahrlässigkeit“ handelt. Auch bei der Fahrlässigkeit spielt nämlich häufig eine Rolle, daß der Täter sich genauer hätte unterrichten und damit den Erfolg hätte vermeiden können. In der Fahrlässigkeitsdoktrin hat sich nun aber längst die Einsicht Bahn gebrochen, daß der Täter nicht verantwortlich gemacht wird dafür, daß er ein rechtliches Gebot verletzt hat, bestimmte Informationen einzuholen oder sich sonst sachkundig zu machen. Vielmehr wird ihm beim fahrlässigen Begehungsdelikt angelastet, daß er verbotswidrig eine Handlung vorgenommen hat, obwohl er nicht über einen ausreichenden Informationsstand verfügte. 25 Dies aber deutet darauf hin, daß es 21

Hruschka, JZ 1989, 310, 313; Streng, JZ 1994, 709, 712; Jerouschek, JuS 1997, 385, 389; Schönke / Schröder / Lenckner, § 20 Rdnr. 35. 22 Hruschka, JZ 1996, 64, 68; ders., JZ 1997, 22, 24. 23 BGHSt. 2, 194, 201; BGH NStZ 1993, 594; Schönke / Schröder / Cramer, § 17 Rdnr. 14; Schroeder, in: LK, 11. Aufl., § 17 Rdnr. 41 ff. 24 BGHSt. 2, 194, 208 f.; Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, 1969, S. 254 ff. (bzgl. für den Täter geltender Sondernormen); Tröndle, 48. Aufl., § 17 Rdnr. 7.

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auch bei der Vermeidbarkeitsfrage beim Verbotsirrtum um die Koinzidenz mit der im Irrtum begangenen Tat geht. Es handelt sich hier darum, daß der Täter die Tat ausführt, obwohl er hätte erkennen können, daß er von der Möglichkeit, sich zuvor über die Rechtslage zu informieren, keinen oder nur unzureichenden Gebrauch gemacht hat. Die Berücksichtigung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bedeutet daher keine Durchbrechung des Koinzidenzprinzips. 26 Es ließe sich nun allerdings daran denken, daß man dann auch bei der Schuldunfähigkeit ähnlich argumentieren könnte. Wäre bei den rauschbedingten Schuldunfähigkeitsfällen etwa davon zu sprechen, daß beim Täter im Zeitpunkt der im Rausch begangenen Tat Schuld vorliegt, weil er trotz seines Vollrauschs handelt? Das ist eindeutig zu verneinen. Der Unterschied der beiden Fallkonstellationen besteht darin, daß der Täter, der im vermeidbaren Verbotsirrtum handelt, sich im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten befindet und sich deshalb klarmachen könnte, daß er die Tat begeht, ohne sich vorher hinreichend über die Rechtslage informiert zu haben. Der im Vollrausch handelnde Täter ist dagegen stets außerstande, das Unrecht zu erkennen oder sich einer solchen Kenntnis gemäß zu verhalten. Auch das Argument, daß im Bereich des Entschuldigenden Notstands das Vorverschulden eine einschränkende Rolle spiele, greift nicht. Der in § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB erwähnte einschränkende Gesichtspunkt, daß der Täter die Notstandslage nicht „verursacht“ haben darf, bedeutet zwar, daß eine Pflichtwidrigkeit, die im Vorfeld liegt und die Notstandslage zur Folge hat, berücksichtigt wird. Dies kann aber deshalb geschehen, weil beim Entschuldigenden Notstand ein Spielraum hinsichtlich der Belastbarkeitsgrenze besteht, die kraft gesetzlicher Entscheidung zur Entschuldigung führt. Wenn der Täter selbst durch eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit die Notstandslage provoziert hat, so ist es folgerichtig, wenn das Gesetz die Belastbarkeitsgrenze, die im Zeitpunkt der Tat über die Entschuldigung entscheidet, für solche Fälle erhöht. 27 Außerdem hätte eine Einschränkung der Schuldunfähigkeit in Fällen eines sogenannten „Vorverschuldens“ eine erhebliche Ausweitung der Strafbarkeit zur Folge. Denn ginge man über den Bereich der rauschbedingten Schuldunfähigkeit hinaus – und darin läge eine unabweisbare Konsequenz –, so hätte man auch alle anderen vermeidbaren Ursachen, die zu einer Schuldunfähigkeit führen, einzubeziehen. Es könnte sich dabei um nicht rechtzeitiges Begeben in ärztliche Behandlung und andere Fälle bloßer „Lebensführungsschuld“ handeln, bei denen eigentlich niemand ernsthaft erwägt, dem Täter die Berücksichtigung der 25 Jescheck / Weigend, Allg. Teil, S. 581; Schroeder, in: LK, § 16 Rdnr. 139. Vgl. ferner Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 857 f. 26 In dieser Richtung auch Stratenwerth, Armin Kaufmann-GedSchr., 1989, S. 485, 489 f. 27 Zum Ganzen vgl. Hirsch, in: LK, 11. Aufl., § 35 Rdnr. 47 ff.; siehe auch Roxin, Lackner-Festschr., 1987, S. 397, 311.

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Schuldunfähigkeit zu versagen. Hierauf hat übrigens auch der 4. Strafsenat hingewiesen. 28 Daß weder das Ausnahmemodell noch das auf das Gleiche hinauslaufende Ausdehnungsmodell stimmig sind, hängt damit zusammen, daß die Vertreter dieser Auffassungen von „Schuld“ ohne bereits gegebenes Tatunrecht ausgehen. Der strafrechtliche Schuldbegriff im Tatstrafrecht betrifft aber Tatschuld und bezieht sich daher auf ein gleichzeitiges Unrecht. Wer sich nicht tatbestandsmäßigrechtswidrig verhält, bei dem liegt auch noch keine strafrechtlich erhebliche Schuld vor. Demgegenüber ließe sich hinsichtlich der Rauschfälle nicht anführen, daß doch immerhin das Unrecht des abstrakten Gefährdungsdelikts des § 323a StGB gegeben ist; denn die zur Erörterung stehende Problematik betrifft die Schuld in bezug auf die im Rausch begangene Tat, so daß deren Unrecht bereits begonnen haben muß. Das Gesetz geht daher aus guten Gründen durchgehend von dem auf dem Koinzidenzprinzip beruhenden Tatschuldprinzip aus. Es erweist sich somit, daß das Ausnahmemodell – und Entsprechendes gilt für das Ausdehnungsmodell – keine sachentsprechende Lösung darstellt. Das auf die Begehung der Tat bezogene Tatschuldprinzip duldet keine Ausnahme. Daher ist es verfehlt, dem Gesetzgeber die Durchbrechung vorzuschlagen. III. 1. Die Erörterung hat sich mithin auf die Frage zu konzentrieren, wie die Lösung der a.l.i.c.-Fälle mit dem Tatschuldprinzip, also dem Koinzidenzgedanken, in Einklang zu bringen ist. Erwiese sich das als nicht möglich, so wäre die eingangs festgestellte herrschende Bewertung unrichtig und eine strafrechtlich stimmige Erfassung müßte sich auf eine Konstruktion nach Art des § 323a StGB beschränken. Der herkömmlichen Auffassung der a.l.i.c., nämlich der „Tatbestandslösung“, geht es darum, die Übereinstimmung mit dem Tatschuldprinzip herzustellen. Nicht weiterführend ist dabei allerdings die Ansicht, nach der eine Vorverlagerung des tatbestandlichen Unrechts hier auf Grund der Kausalität angenommen werden soll. 29 Daß die Kausalität für sich allein noch keine Erklärung dafür abgeben kann, das tatbestandsmäßige Unrecht der Tat bereits mit dem Sichberauschen beginnen zu lassen, ist evident. Mit dem Hinweis auf die Kausalität könnte man alle möglichen Vorfeldhandlungen in die Tatbestandsmäßigkeit einbeziehen. Es bedarf daher schon einer genaueren dogmatischen Erklärung und Einordnung. 28

BGHSt. 42, 235, 240 f. Baumann / Weber / Mitsch, Allg. Teil, 10. Aufl., S. 408; Maurach / Zipf, Allg. Teil 1, 8. Aufl., S. 500; Tröndle, § 20 Rdnr. 19; Gehler, JZ 1970, 381; Puppe, JuS 1980, 346, 347. Aus der früheren Rspr.: BGHSt. 17, 259; 17, 333; 21, 381. 29

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Den entscheidenden Gedanken hat das Reichsgericht bereits in einer frühen Entscheidung, welche die Grundlage der herkömmlichen Judikatur bildet, mit den Worten zum Ausdruck gebracht: Hätte der rauschbedingt unzurechnungsfähige Täter die Ausführung „einem bewußtlosen Dritten in die Hand gegeben, so würde er rechtlich nichts anderes getan haben, als was er jetzt getan hat. Im einen wie in dem anderen Falle hat er bewußt und willensfrei eine Handlung vorgenommen, durch welche“ die Ausführung „durch eine unzurechnungsfähige Person herbeigeführt wurde“. 30 Es geht also bei der Tatbestandslösung der vorsätzlichen a.l.i.c. um eine Übertragung des Lösungsansatzes der Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft auf die Sachverhalte, in denen sich der Täter in einen Vollrausch versetzt und dabei im Falle der vorsätzlichen a.l.i.c. den Vorsatz hat, anschließend im Zustand der rauschbedingten Schuldunfähigkeit eine tatbestandsmäßigrechtswidrige Tat zu begehen. 31 Das bedeutet, daß nach dieser Auffassung das Unrecht schon mit der actio praecedens beginnen würde und daher Teil der tatbestandsmäßigen Tat wäre. Der Anfang der Tat läge also bereits bei der mittelbaren Handlung. Nur eine solche Deutung vermag auch zu erklären, weshalb es bei der Fage, ob wegen vorsätzlicher Tat zu bestrafen ist, auf den Tatbestandsvorsatz im Zeitpunkt der actio praecedens ankommen soll. Ebenfalls bei der fahrlässigen a.l.i.c. ginge es entgegen der vom 4. Strafsenat des BGH im Anschluß an Horn vertretenen Ansicht 32 um den Gedanken der mittelbaren Begehung. Das tritt nur weniger deutlich zutage, weil allgemein in Fällen fahrlässiger Taten die sorgfaltswidrige Handlung nicht selten noch durch weitere Zwischenglieder mit der unmittelbaren Erfolgsverwirklichung verknüpft ist. Diese Zwischenglieder können in der Handlung eines anderen oder auch des Täters selbst bestehen. Man hält hier eine ausdrückliche Kategorisierung als mittelbare Begehung für überflüssig, weil es sich nach dem bei der Fahrlässigkeit geltenden Einheitstäterbegriff allein auf das Vorliegen einer zum Erfolg führenden Sorgfaltswidrigkeit des Täters ankomme. 33 Die Vertreter der herkömmlichen Auffassung sehen daher keine Veranlassung, nach dem Gesetzgeber zu rufen. Sie sind vielmehr der Meinung, daß sich die Lösung aus anerkannten Rechtsfiguren (mittelbare Täterschaft, fahrlässiges Delikt) ableitet. Für sie handelt es sich also nur um eine Subsumtion unter das geltende Recht. 30

RGSt. 22, 413, 415. Hirsch, ZStW-Beiheft 1981, 2, 9; Spendel, in: LK, 11. Aufl., § 323a Rdnr. 36; ders., JR 1997, 133, 134 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 2. Aufl., 17/64; Roxin, Lackner-Festschr., S. 307, 314; ders., Allg. Tei11, 3. Aufl., S. 784; Herzberg, Spendel-Festschr., 1992, S. 203, 218 ff.; Schild, in: AK, § 20 Rdnr. 83 a.E.; ders., Triffterer-Festschr., 1996, S. 203, 206. 32 BGHSt. 42, 235, 236 unter Berufung auf Horn, GA 1969, 289, der inzwischen aber seine damalige Auffassung modifiziert hat (siehe StV 1997, 264, 265 f.). 33 Roxin, Lackner-Festschr., S. 307, 312; ders., Allg. Teil I, S. 783. 31

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2. Aber wie verhält es sich mit den ihr gegenüber erhobenen Einwänden? a) Schwach ist der Einwand, daß in § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB in bezug auf mittelbare Täterschaft nur von der Begehung „durch einen anderen“ gesprochen wird. 34 Denn es geht bei der a.l.i.c. um einen Unterfall der 1. Alternative der Vorschrift 35, wo davon die Rede ist, daß der Täter die Tat selbst begeht, und die damit jede Form der Selbstbegehung umfaßt. Dem könnte man nicht entgegenhalten, der Gesetzgeber habe bei der 1. Alternative nur die unmittelbare Begehung vor Augen gehabt. Ihm war nämlich die a.l.i.c. bekannt, und er hielt sie nicht für ausdrücklich regelungsbedürftig. b) Gewichtiger ist der Einwand, daß das Tatbestandsmodell eine sachwidrige Vorverlegung des Unrechts vornehme. 36 Verwirklicht ein Täter den Tatbestand selbst, so scheint es bei dem Beginn seines tatbestandlichen Unrechts immer um den gleichen Zeitpunkt zu gehen: den des Anfangs der unmittelbaren Tatbestandshandlung. Betrachtet man die Dinge jedoch aus der Sicht einer mittelbaren Begehung, so hat hier hinsichtlich des tatbestandlichen Unrechtsbeginns Paralleles zur mittelbaren Täterschaft zu gelten, d. h. daß nicht anders als dort schon ein früherer Handlungszeitpunkt in Betracht kommt. Ebenso wie bei der mittelbaren Täterschaft das Unrecht des mittelbar Handelnden bereits mit dessen actio praecedens beginnt und sich dann vom Zeitpunkt des Aus-der-Hand-Gebens an über das Tätigwerden des Werkzeugs bis zum Erfolgseintritt fortsetzt, hätte es sich auch nach dieser Konstruktion der a.l.i.c. zu verhalten. Je nachdem, ob nur eine unmittelbare oder aber eine mittelbare Begehung vorliegt, erstreckt sich das tatbestandsmäßige Unrecht unterschiedlich weit ins Vorfeld. Bedenken werden in diesem Punkte nun aber bei der a.l.i.c. hinsichtlich der Versuchsfrage erhoben. Geht man davon aus, daß das Tatunrecht bereits beim Berauschen beginnt, so spricht dies dafür, daß der Versuchsbeginn bereits bei diesem Geschehen liegt. 37 Nimmt man dagegen wie die Ausnahme- und Ausdehnungslösung beim Berauschen Schuld ohne Unrecht an, so kommt ein Versuch erst vom Ansetzen zur unmittelbaren Ausführung der im Rausch begangenen Tat an in Betracht. 38 Der Einwand wird deshalb dahin konkretisiert, daß der Täter, der 34 So aber Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 518; Hettinger (Fn. 3), S. 444; Schmidhäuser (Fn. 15), S. 25; Neumann, Arth. Kaufmann-Festschr., S. 581, 585; Streng, JZ 1994, 709, 710. 35 So schon Schild, Triffterer-Festschr., S. 203, 206; Spendel, JR 1997, 133, 134; Hardtung, NZV 1997, 97, 103; Hirsch, NStZ 1997, 230, 231. 36 Hruschka, JuS 1968, 554, 557; Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, 1985, S. 33 ff.; Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 519; Otto, Jura 1986, 426, 428; Hettinger (Fn. 3), S. 437; Streng, ZStW 101 (1989),273, 309; ders., JZ 1994, 709, 710; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 563; Jescheck / Weigend, Allg. Teil, S. 447. 37 In diesem Sinne auch Jakobs, Allg. Tei117/68; Roxin, Lackner-Festschr., S. 307, 314; ders., Allg. Teil I, S. 784; Maurach, JuS 1961, 373, 374; Puppe, JuS 1980, 346, 349.

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sich mit dem Berauschen befaßt, noch nicht zu der tatbestandsmäßigen Handlung, etwa einer Tötungshandlung, ansetze. Hierbei geht es jedoch wiederum nicht um ein spezifisches Problem der a.l.i.c., sondern um eine allgemeine Frage der mittelbaren Begehung. Sie ist von der mittelbaren Täterschaft her geläufig. Dort wird bekanntlich darüber gestritten, ob der Versuchsbeginn bereits im Stadium der Tätigkeit des mittelbaren Täters zu lokalisieren ist oder ob er erst beim Beginn der Handlung des Tatmittlers angesiedelt werden darf. 39 Die h.M. orientiert sich am Tätigkeitsakt des mittelbaren Täters. Es heißt, daß der mittelbare Täter damit, daß er das Geschehen aus der Hand gibt, zur Tat ansetze. 40 Für die h.M. spricht, daß die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft eine Erscheinungsform aus dem umfassenderen Kreis der Fälle darstellt, bei denen zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolg ein selbständig wirkendes Werkzeug die Tat vermittelt. Der Täter, der einen bissigen Hund von der Leine läßt und auf einen anderen hetzt, hat alles getan, was von seiner Seite her zur Erfolgsverwirklichung erforderlich ist. Es liegt damit, daß er das Geschehen aus der Hand gegeben hat, sogar schon ein beendeter Versuch vor. Daher ist es nur konsequent, wenn man parallel bei menschlichen Werkzeugen verfährt, also etwa beim Einsetzen eines Geisteskranken oder eines Volltrunkenen als Tatmittler. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß der Veranlasser in allen diesen Fällen bereits durch seinen Tätigkeitsakt mit dem Normbefehl, die Erfolgsherbeiführung zu unterlassen, in Konflikt kommt. Erginge der an den Täter gerichtete Normbefehl erst zu dem Zeitpunkt, wenn das Werkzeug mit dem engeren Ausführungsgeschehen beginnt, dann würde er ins Leere gehen; denn nun wäre es zu spät, es ist auf seiten des Veranlassers schon alles geschehen. Daß der Normbefehl bereits zu dem früheren Zeitpunkt ergeht, wird auch noch dadurch bestätigt, daß Anstiftungshandlungen und ebenfalls im Vorfeld liegende Beihilfehandlungen unrechtmäßig sind. Das Unrecht der mittelbaren Täterschaft unterscheidet sich davon nur dadurch, daß bei ihr der Veranlasser die Steuerung des Geschehens selbst in der Hand hat. Wenn nun aber bei mittelbarer Täterschaft das Unrecht bereits mit dem Tätigkeitsakt des mittelbar Handelnden beginnt und deshalb hier bereits der Versuchsbeginn zu lozieren ist, dann verhält es sich parallel so bei der a.l.i.c., da dort hinsichtlich des Zeitpunkts des Normbefehls nichts anderes gilt. Ob jemand einen anderen in einen Vollrausch versetzt, um ihn als Tatmittler zur Herbeiführung eines tatbestandlichen Erfolgs einzusetzen, oder ob der Täter mit sich selbst so 38 So JescheckiWeigend, Allg. Teil, S. 447; Küper, Leferenz-Festschr., S. 573, 588 ff.; Schönke / Schröder / Lenckner, § 20 Rdnr. 35; Streng, JZ 1994, 709, 712. 39 Zum Streitstand siehe Roxin, in: LK, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 150 ff.; Vogler, in: LK, 10. Aufl., § 22 Rdnr. 96 ff.; Küper, JZ 1983, 361 ff.; Kühl, JuS 1983, 180 ff. 40 BGHSt. 30, 363, 365; 40, 257, 269; Roxin, in: LK, § 25 Rdnr. 152 m.w. N.

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verfährt, macht insoweit keinen Unterschied. Die Parallele zur mittelbaren Täterschaft bedeutet zugleich auch, daß nicht schon derjenige, der sich an der Theke Mut für eine anschließende Straftat antrinkt, damit bereits ins Versuchsstadium gerät. Ein derartiges Verhalten ist ebensowenig ausreichend, wie wenn jemand einem Dritten, der eine Straftat ausführen soll, Alkohol zur Überwindung von Skrupeln verabreicht. Auch hier gelten also parallele Kriterien. Aber auch wenn man sich der Mindermeinung anschließen würde, die beim Versuchsbeginn der mittelbaren Täterschaft erst auf den Zeitpunkt des Tatbeginns des Tatmittlers abstellen will 41, ergäbe sich daraus kein Einwand gegen die Tatbestandslösung der a.l.i.c. Was für die mittelbare Täterschaft zu gelten hätte, würde dann auch hier zu gelten haben. Wenn man also bei der mittelbaren Täterschaft die den Versuchsbeginn erst beim Anfang der unmittelbaren Ausführungshandlung annehmende sog. Gesamtlösung vertreten will, so hätte das konsequenterweise ebenso für die a.l.i.c. zu gelten und umgekehrt. Die Gesamtbetrachtung ist allerdings systematisch wenig vertieft. Da ein Normbefehl nicht rückwirkend eingreifen kann, sondern im Zeitpunkt des Tätigkeitsakts des Täters vorliegen muß, könnte ein späterer Beginn der Strafbarkeit dann nur als objektive Strafbarkeitsbedingung dogmatisch erfaßt werden. Im übrigen läßt sich auf die entsprechenden Fragen bei der Mittäterschaft hinweisen, wenn man dort mit der h.M. einen Tatbeitrag vor dem Beginn der durch den anderen Beteiligten vorgenommenen Tatausführung als ausreichend ansieht. Der Versuchsbeginn läßt sich mithin nicht als Argument gegen das Tatbestandsmodell der a.l.i.c. vorbringen. c) Der Prüfung bedarf aber noch, welche Folgerungen sich daraus ergeben, daß der Weg zur rauschbedingten Schuldunfähigkeit zunächst das Stadium der geminderten Schuldfähigkeit durchläuft. Bei der mittelbaren Täterschaft spricht die h.M. im Zusammenhang mit dem Versuchsbeginn vom Aus-der-Hand-Geben des Geschehens. 42 Dieser Zeitpunkt scheint bei der a.l.i.c. erst damit vorzuliegen, daß beim Täter der Grad der rauschbedingten Schuldunfähigkeit eintritt. Stellt man deshalb auf den letzten davor liegenden Zeitpunkt ab, so ist jedenfalls bereits eine hochgradig verminderte Schuldfähigkeit gegeben. Es erhebt sich daher die Frage, ob die a.l.i.c.-Konstruktion nicht konsequenterweise dazu führt, daß stets geminderte Schuldfähigkeit anzunehmen wäre. 43 Diese Frage ist jedoch zu verneinen, da das unmittelbare Ansetzen zur Tat doch schon damit beginnt, daß der Täter seinen Tatentschluß auszuführen anfängt. Das ist bei der a.l.i.c. der Fall, sobald die Schwelle zum Überschreiten der Grenze zur verminderten Schuldfähigkeit unmittelbar bevorsteht. 44 Nunmehr ist nämlich ein manifestiertes Risiko 41 42 43 44

So Vogler, in: LK, § 22 Rdnr. 101; Küper, JZ 1983, 361, 369 (jeweils m.w. N.). Vgl. die Nachweise bei Fn. 40. Diesen Einwand erhebt Neumann (Fn. 36), S. 36. So auch Roxin, Lackner-Festschr., S. 307, 318.

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vorhanden. Dieses Stadium des unbeendeten Versuchs erstreckt sich nicht nur bis zu dem im Hervorrufen der Schuldunfähigkeit liegenden „Aus-der-Hand-Geben“, sondern auch noch darüber hinaus. Da nämlich bei der a.l.i.c. der Täter selbst Werkzeug ist, kommen ihm zusätzlich die Rücktrittsmöglichkeiten zugute, die einem Tatmittler zu Gebote stehen. Ein unbeendeter Versuch liegt deshalb noch solange vor, wie der Täter die Möglichkeit hat, durch Nichtweitermachen die Vollendung zu verhindern. 45 Die genannte Lozierung des Tatbeginns zeigt gleichzeitig, daß es nicht darauf ankommt, ob für verminderte Schuldfähigkeit eine nur fakultative Strafmilderung, wie nach § 21 StGB, oder eine obligatorische im Gesetz vorgesehen ist. d) Ein weiterer Einwand lautet, daß das auf die mittelbare Begehung abstellende Tatbestandsmodell bei Delikten, die eine bestimmte Tätigkeitsbeschreibung enthalten, insbesondere den eigenhändigen Delikten, versage, weshalb es hier zu ungerechtfertigten Strafbarkeitslücken führe. 46 Roxin 47 hat demgegenüber behauptet, daß es sachgerecht sei, in Fällen mittelbarer Begehung die Verwirklichung eigenhändiger Delikte zu verneinen, wobei von ihm auf die §§ 153 ff. StGB verwiesen worden ist. Es ist jedoch zu beachten, daß die Eigenhändigkeit nur den Ausschluß der Begehung durch einen Dritten betrifft. Deshalb wird bei ihr die Möglichkeit der durch einen Dritten begangenen mittelbaren Täterschaft zu Recht verneint. Bei der a.l.i.c. geht es aber um eine Handlung des Täters selbst. Daß man es mit einem eigenhändigen Delikt zu tun hat, steht der a.l.i.c. deshalb grundsätzlich nicht entgegen. Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob eine in einer Strafbestimmung genannte Tätigkeit bedeutet, daß der Zeitpunkt des Handlungsbeginns auf den Anfang der unmittelbaren Tatbestandshandlung beschränkt ist. Man verweist dabei insbesondere auf Verkehrsstraftaten, namentlich die Tatbestände der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) und der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) sowie des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG). 48 Die Entscheidung 45 Der Beginn der Versuchsstrafbarkeit nach dem Tatbestandsmodell führt entgegen Neumann (Fn. 36), S. 39 f. nicht zu Friktionen hinsichtlich des Rücktritts. Roxin, LacknerFestschr., S. 307, 318 f. hat bereits dargelegt, daß Schuldunfähigkeit nicht der hier gemeinten Freiwilligkeit entgegensteht und daß diese Frage zeitlich verschoben auch bei den anderen Modellen auftritt. Der Fall, daß der Täter im Rausch einschläft und daher nicht mehr zur unmittelbaren Ausführung kommt, berührt eine spezielle Problematik der Abgrenzung von Versuchsbeginn (Gefährlichkeit?), fehlgeschlagenem Versuch und Rücktritt vom unbeendeten Versuch. 46 Hruschka, JuS 1968, 554, 556; ders., JZ 1997, 22, 23; Hettinger (Fn. 3), S. 439; Streng, ZStW 101 (1989), 273, 310; ders., JZ 1994, 709, 710; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565; Jerouschek, JuS 1997, 385, 388; Hardtung, NZV 1997, 97, 101. 47 Roxin, Lackner-Festschr., S. 307, 317; ders., Allg. Teil 1, S. 785. 48 Jähnke, in: LK, § 20 Rdnr. 77; Schönke / Schröder / Lenckner, § 20 Rdnr. 35; Otto, Jura 1986, 426, 428; Roxin, Lackner-Festschr., S. 307, 318; Hettinger, GA 1989, 1, 13; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565; Neumann, StV 1997, 23, 24.

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des 4. Strafsenats von 1996 hat einen solchen Sachverhalt zum Gegenstand. Der Senat meint in Abweichung von der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung, daß die Rechtsfigur der a.l.i.c. in solchen Fällen nicht anwendbar sei. 49 Entgegen der von ihm vertretenen Auffassung bietet § 323a StGB aber keine befriedigende Auffanglösung, da er der subjektiven Verknüpfung des Sichberauschens mit der im Zustand der Schuldunfähigkeit ausgeführten unmittelbaren Tathandlung nicht ausreichend Rechnung trägt, wie eingangs schon in grundsätzlicher Hinsicht aufgezeigt worden ist. Es ist daher genauer zu prüfen, ob die Tatbestandslösung der a.l.i.c. wirklich bei den fraglichen Delikten scheitert. Wie schon festgestellt, geht es in Anbetracht der Identität des Täters von unmittelbarem und mittelbarem Tätigkeitsakt ausschließlich um die Frage, welche zeitliche Auswirkung es für den Tatbeginn hat, daß in § 315c und § 316 StGB sowie in § 21 StVG vom „Führen“ eines Fahrzeugs die Rede ist. Würde dies erfordern, daß die Tat generell erst mit dem Fahren beginnen kann, so müßte allerdings gemäß dem in § 20 StGB verankerten Koinzidenzprinzip de lege lata mangels der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Schuldfähigkeit die Bestrafung wegen der Begehung dieser Taten absolut ausscheiden. Für die Beantwortung der Frage erweist sich aber auch hier ein genauerer Blick auf die Täterlehre und die Versuchslehre als nützlich: Dem Wesen nach liegt bei mittelbarer Begehung der Tätigkeitsakt des mittelbar Handelnden zeitlich vor der unmittelbaren Ausführungshandlung. Wer als mittelbarer Täter einen Diebstahl durch einen Tatmittler begeht, verwirklicht deshalb regelmäßig nicht schon den Anfang der unmittelbaren Wegnahmehandlung. Gleichwohl wird er wegen Diebstahls – und zwar vollendeter bei durch den Tatmittler realisierter Vollendung, sonst wegen Versuchs – bestraft. Der Grund hierfür ist: Der mittelbar Handelnde beherrscht dadurch, daß er das Werkzeug in Marsch setzt, bereits das Geschehen, weil er den weiteren Verlauf in einem solchen Fall der Automatik des Handelns des Tatmittlers überläßt. Indem der Beginn einer mittelbaren Wegnahmehandlung also früher liegt als derjenige der unmittelbaren, wir es daher insoweit mit einer Relativität des Tatbeginns zu tun haben, spitzt sich die zur Erörterung stehende Frage darauf zu, ob bei § 315c StGB und § 21 StVG – ebenso bei § 316 StGB – die Handlungsbeschreibung etwa ausnahmsweise einer solchen Relativierung des Handlungsbeginns entgegensteht. Dafür könnte des Wort „führt“ sprechen. Aber dieses Wortlautargument gibt wenig her. Es finden sich viele andere Handlungsmerkmale, z. B. „droht“ und „vorspiegeln“, bei denen solche Bedenken nicht erhoben werden. Das ist auch erklärlich, weil derjenige, der mittelbar eine Drohung oder ein Vorspiegeln durch einen schuldunfähigen Tatmittler vornimmt, die betreffende Tathandlung durch das Ansetzen zum Aus-der-Hand-Geben des Geschehens in Gang gebracht hat, so daß sie von ihm begonnen worden ist. Zu diesem Zeitpunkt gerät der mittelbare Täter, wie bereits ausgeführt, mit dem Normbefehl in Konflikt. 49

BGHSt. 42, 235, 238 gegen BGHSt. 17, 333.

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Auch die §§ 153 ff. StGB, auf die Roxin für die Unanwendbarkeit der a.l.i.c. auf die Aussagedelikte hinweist, ergeben kein anderes Bild. Beim Tatbestand der uneidlichen Falschaussage (§ 153 StGB) beginnt die Tat zwar grundsätzlich erst mit dem Anfang der Vernehmung, und beim Meineid (§ 154 StGB) ist zwar grundsätzlich anerkannt, daß der Anfang der Ausführung erst beim Ansetzen zur Eidesleistung liegt. Roxin meint dementsprechend, daß in dem Fall, jemand würde ein schuldausschließendes Psychopharmakon einnehmen, um auf solche Weise bei der anschließenden Vernehmung eine eidliche Aussage im Zustand der Schuldunfähigkeit zu machen, a.l.i.c. nicht möglich sei. 50 Aber auch hier ist – unbeschadet der sich aus dem Prozeßrecht ergebenden Fragen (materiellrechtliche Konsequenzen einer unzulässigen Vereidigung) – zu beachten, daß der normalerweise geltende Tatbeginn sich ausnahmsweise relativiert, sobald es um eine mittelbare Tatausführung – hier durch den Täter selbst – geht. Der Normverstoß liegt dann bereits damit vor, daß der Täter dazu ansetzt, die Steuerungsfähigkeit hinsichtlich der Tatverwirklichung aus der Hand zu geben. Das wird durch den Tatbestand der Verleitung zum Falscheid (§ 160 StGB) bestätigt. Wenn nämlich bei dieser Vorschrift gegen den strafbewehrten Normbefehl, keine Falschaussage herbeizuführen, schon damit verstoßen wird, daß ein Dritter zur mittelbaren Begehung ansetzt, dann muß das erst recht möglich sein, wenn sich der zu vereidigende Zeuge selbst zum Werkzeug der Tat nach § 153 oder § 154 StGB macht. Ob ein mit dem Vorsatz der Herbeiführung einer Falschaussage handelnder Dritter dem Zeugen, um ihn zu enthemmen, das Psychopharmakon heimlich vor der Vernehmung in den Kaffee tut oder ob der Zeuge dies mit gleicher Intention bewußt selbst macht, ergibt nur unter dem Gesichtspunkt, daß es sich im letzteren Fall um das gewichtigere Unrecht einer eigenhändigen Tat geht, einen tatbestandlichen Unterschied. Daß ein derartiger früherer Handlungsbeginn ebenfalls bei § § 315c und 316 StGB sowie § 21 StVG möglich ist, wird zusätzlich dadurch bestätigt, daß das im Zustand der Fahruntüchtigkeit oder das ohne Fahrerlaubnis erfolgende Fahren eines Kraftfahrzeugs auch auf Fahrlässigkeit beruhen kann. Die Sorgfaltswidrigkeit, die zu einem solchen Geschehen führt, kann hier – wie auch sonst – schon vor dem Fahren selbst liegen. Diese Überlegungen zeigen, daß das herkömmliche Tatbestandsmodell der a.l.i.c. entgegen der Auffassung des 4. Strafsenats des BGH durchaus bei den vorgenannten Delikten greift: Indem die unrechtmäßige Tathandlung bereits mit dem – oben präzisierten – Ansetzen zum Aus-der-Hand-Geben des Geschehensablaufs beginnt, genügt es, daß zu diesem Zeitpunkt Schuld vorliegt. Was danach geschieht, ist ein in Lauf gesetzter Automatismus. Auch in den klassischen Fällen der mittelbaren Täterschaft kommt es auf diesen Zeitpunkt an: Wenn jemand einen Dritten als Tatmittler einer Tötungshandlung in Marsch gesetzt hat, dann entlastet 50

Vgl. Fn. 47.

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es ihn nicht mehr, daß er sich im Zeitpunkt der Ausführung durch den Dritten im Zustand der Schuldunfähigkeit befindet. Entsprechend sieht es auch das Tatbestandsmodell bei der a.l.i.c. Die Besonderheit der bei den Straßenverkehrsdelikten auftretenden Problematik besteht lediglich darin, daß wegen der Eigenhändigkeit dieser Delikte eine mittelbare Begehung der Tat überhaupt nur durch denjenigen möglich ist, der schuldunfähig auch die unmittelbare Ausführungshandlung vornimmt – also im Fall der a.l.i.c. 51 Auch aus diesen Fragen lassen sich daher keine Einwände gegen die a.l.i.c. ableiten. IV. Es zeigt sich somit, daß die gegenüber der a.l.i.c. erhobenen Bedenken nicht schlüssig sind. Das ihr zugrundeliegende, auf die mittelbare Begehung abstellende Tatbestandsmodell bildet eine tragfähige Basis. Wenn ein Dritter einen Menschen dadurch, daß er ihn in einen die Schuldfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt, zum Tatmittel einer mittelbaren Täterschaft machen kann, dann vermag das auch ein Mensch mit sich selbst zu tun. Der Vorzug der Tatbestandslösung besteht gerade darin, daß sie sich als sachentsprechende Konsequenz aus im Gesetz verankerten allgemeinen strafrechtstheoretischen Grundsätzen ableitet. Wer sie verwirft und statt dessen nach einer durch den Gesetzgeber zu regelnden Ausnahme vom Koinzidenzerfordernis ruft, stellt das dem Tatstrafrecht gemäße Tatschuldprinzip in Frage und löst das Beziehungsverhältnis zwischen Schuld und Normbefehlsverstoß auf. Es ist deshalb zu hoffen, daß sich im Bundesgerichtshof nicht die gegenwärtige Tendenz des 4. Strafsenats, sich von der a.l.i.c. zu verabschieden, sondern die diese Rechtsfigur bekräftigende Ansicht des 3. Strafsenats 52 durchsetzt.

51 52

Zum vorhergehenden vgl. bereits Hirsch, NStZ 1997, 230, 231 f. BGH NStZ 1997, 230.

Zur Notwendigkeit der Auslegungsänderung und Neufassung der Teilnahmeregelung bei „besonderen persönlichen Merkmalen“ 2003 I. Hans-Ludwig Schreiber, dem dieser Beitrag zu seinem 70. Geburtstag in freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet ist, hat sich wie ich bei Hans Welzel habilitiert. Wir stehen seit den gemeinsamen Bonner Jahren miteinander in Kontakt, und im zurückliegenden Jahrzehnt ist dieser dadurch, dass wir beide am Wiederaufbau der Juristischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg mitgewirkt haben, noch verstärkt worden. In der Bonner Zeit haben wir gemeinsam an den strafrechtlichen Seminaren von Welzel teilgenommen. Dort ging es Mitte der 60er Jahre häufig um Teilnahmefragen. Der Jubilar wird sich an die Diskussionen über den Umfang der mittelbaren Täterschaft erinnern. Welzel, der wesentliche Weichenstellungen der modernen Teilnahmelehre vorgenommen hatte, nämlich hinsichtlich der Vorsatzakzessorietät und der Ausformung der Tatherrschaftslehre, 1 hat den grundsätzlichen Problemen, die sich bei der Beteiligung in Fällen besonderer persönlicher Merkmale auftun, aber keine kritische Beachtung geschenkt. Insbesondere handelt es sich um drei Fragen: (1) Geht es bei den die Unrechtsseite betreffenden persönlichen Merkmalen hier im Akzessorietätsverhältnis um eine Tatbestands- oder nur eine Strafzumessungsfrage? (2) Wie hat die Lösung bei speziellen Schuldmerkmalen auszusehen? (3) Wie steht das sachlich zutreffende Konzept mit dem Gesetzestext in Einklang? Vor dem Reichsstrafgesetzbuch gab es über die Frage, ob eine Tatbestandslösung (Tatbestandsverschiebung) oder eine Strafzumessungslösung (Strafrahmenverschiebung) zugrunde zu legen ist, eine lebhafte Debatte. 2 Diese war unter dem Einfluss der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, die den § 50 a.F. RStGB, der eine dem heutigen § 28 Abs. 2 StGB entsprechende Regelung für strafschärfende und strafmildernde besondere persönliche Merkmale enthielt, im 1 Vgl. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 1. Aufl. 1947, S. 57 ff. und 65 (mit Angaben zu schon früheren Ausführungen von ihm). 2 Näher dazu Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale“, 1994, S. 6 ff.

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Sinne der Tatbestandslösung interpretierte, 3 zum Erliegen gekommen, von lediglich vereinzelten Äußerungen abgesehen. 4 Es ging nur noch um die Forderung an den Gesetzgeber, bei der Teilnahme an strafbegründenden persönlichen Merkmalen eine Strafmilderung für denjenigen Teilnehmer, der das Merkmal nicht selbst aufweist (Extraneus), zu eröffnen – eine Forderung, der die Gesetzgebung im Jahre 1968 durch die Einführung des Vorläufers des heutigen § 28 Abs. 1 StGB nachgekommen ist. Erst durch die Arbeiten von Wagner 5 und Cortes Rosa 6 ist die Debatte wiederbelebt worden, und inzwischen gibt es nicht wenige Stellungnahmen, in denen eine Änderung der bisherigen Auslegung oder doch jedenfalls eine Gesetzesänderung zugunsten einer einheitlichen Strafzumessungslösung verlangt werden. 7 Weder die Rechtsprechung noch den Gesetzgeber hat das jedoch aktiviert. Allein dies gäbe Anlass, die praktisch und theoretisch bedeutsame Problematik erneut ins Blickfeld zu rücken. Mehr noch aber fällt ins Gewicht, dass die Reform der Tötungstatbestände wohl als nächstes größeres strafrechtliches Reformvorhaben des deutschen Gesetzgebers zu erwarten ist und sich deshalb die Gefahr abzeichnet, dass bei der selektiven Vorgehensweise heutiger Reformgesetzgebung die höchstrichterliche Auslegung der für strafschärfende besondere persönliche Merkmale geltenden Teilnahmeregelung zugrunde gelegt und diese dadurch dann sogar noch mittelbar festgeschrieben würde. Eine Reform der §§ 211 und 212 StGB ist ohne gleichzeitiges Überdenken des § 28 StGB nicht sachentsprechend zu bewältigen.

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Siehe RGSt 4, 184, 185 f.; 6, 414, 415 f.; 15, 396, 398. Näher dazu Hake (Fn. 2), S. 22 ff. Zu den vereinzelten Ausnahmen siehe auch noch im folgenden die bei Fn. 11 und 12 erwähnten Stellungnahmen. 5 Wagner, Amtsverbrechen, 1975. 6 Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 413 ff. 7 Für Änderung bereits der Auslegung des § 28 Abs. 2 StGB: Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 413 ff., 429 ff., 440 ff.; Bloy, Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 187; Hake (Fn. 2), S. 141 f.; Hirsch, FS Tröndle, 1989, S. 19, 35; ders., in Leipziger Kommentar StGB (LK), 11. Aufl. 1999, § 340 Rdn. 17; Horn, in System. Kommentar StGB (SK StGB), 5. Aufl. 2000, § 211 Rdn. 24, 26; Horn / Wolters, in SK StGB, 7. Aufl. 2002, § 340 Rdn. 9; Hoyer, in SK StGB, 7. Aufl. 2001, § 28 Rdn. 5; Roxin, in LK, 10. Aufl. 1978, § 28 Rdn. 4 ff.; 11. Aufl. 1994, § 28 Rdn. l ff.; Rudolphi, in SK StGB, 5. Aufl. 1997, Vor § 331 Rdn. 5; Schünemann, GA 1986, S. 293, 340; Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988, S. 40 ff., 49 f. Siehe auch Stratenwerth, Strafrecht Allg. Teil I, 4. Aufl. 2000, § 12 Rdn. 192 mit Fn. 212 („sehr beachtlicher Vorschlag“). Für Änderung durch Gesetzesreform: Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl. 1991; Jescheck, in LK, 11. Aufl. 1997, Vor § 331 Rdn. 12 (gegen Strafzumessungslösung noch Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 657). 4

Teilnahmeregelung bei „besonderen persönlichen Merkmalen“

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II. Bekanntlich besagt die von der h.M. 8 hinsichtlich strafschärfender und -mildernder besonderer persönlicher Merkmale vertretene Tatbestandslösung für die Auslegung des § 28 Abs. 2 StGB, dass der Beteiligte, bei dem im Unterschied zum Haupttäter ein derartiges strafschärfendes Merkmal nicht vorliegt und der mithin ein Extraneus ist, nur wegen Beteiligung am Grundtatbestand bestraft wird (z. B. derjenige, der einen zuständigen Amtsträger zu einer von diesem begangenen Körperverletzung im Amt angestiftet hat, nur wegen Anstiftung zur einfachen Körperverletzung). Und im umgekehrten Fall, dass der Haupttäter ein Extraneus ist, aber der Beteiligte das besondere persönliche Merkmal aufweist (Intraneus), soll letzterer wegen Beteiligung (also Teilnahme oder Mittäterschaft) am qualifizierten Tatbestand zu betrafen sein. 9 Entsprechend wird bei mildernden besonderen persönlichen Merkmalen der Beteiligte, wenn bei ihm im Gegensatz zum Haupttäter das Merkmal vorliegt, wegen Beteiligung am privilegierten Delikt bestraft. Verhält es sich umgekehrt, so wird trotz des vom Haupttäter nur verwirklichten privilegierten Unrechts angenommen, dass der beteiligte Intraneus eine Beteiligung am Grundtatbestand verwirklicht hat. Demgegenüber handelt es sich bei dem das Teilnahmeverhältnis bei strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen regelnden § 28 Abs. 1 StGB eindeutig um eine Strafzumessungslösung: Derjenige Teilnehmer, der ein Extraneus ist, wird gleichwohl wegen Teilnahme an dem Delikt bestraft, das zur täterschaftlichen Begehung ein solches Merkmal erfordert. (z. B. der Anstifter zur Falschbeurkundung im Amt wegen Anstiftung zu diesem Tatbestand). Geht es umgekehrt darum, dass der Veranlasser oder Unterstützende im Gegensatz 8 Vgl. BGHSt. 6, 308; 8, 205, 208; BGH StV 1994, 17; 1995, 84; st. Rspr.; Cramer / Heine, in Schönke / Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 28 Rdn. 28; Gössel, in Maurach / Gössel / Zipf, Strafrecht Allg. Teil Teilbd. 2, 7. Aufl. 1989, § 53 Rdn. 127 ff.; Küper, ZStW 104 (1992), S. 559, 581; Lackner / Kühl, StGB, 24. Aufl. 2001, § 28 Rdn. 8; Mitsch, ZStW 110 (1998), S. 187, 202 ff.; Tröndle / Fischer, StGB, 50. Aufl. 2001, § 28 Rdn. 8; Weber, in Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht Allg. Teil, 10. Aufl. 1995, § 32 Rdn. 23 f.; Wessels / Beulke, Strafrecht Allg. Teil, 31. Aufl. 2001, Rdn. 557; m.w. N. Der Sache nach auch Köhler, Strafrecht Allg. Teil, 1997, S. 548 f. 9 In den weiteren Ausführungen ist zu beachten, dass die vom Begriff des „Beteiligten“ umfasste Mittäterschaft bei dem Hauptfall der zur Erörterung stehenden Problematik, nämlich dem, dass der Täter ein Intraneus, der „Beteiligte“ ein Extraneus ist, kein täterschaftliches Problem darstellt. Denn Mittäter kann hinsichtlich der ein besonderes persönliches Merkmal erfordernden Tat nur sein, wer das Tätermerkmal aufweist. Nur in dem obengenannten umgekehrten Fall, dass der „Beteiligte“ im Unterschied zu dem unmittelbaren Täter ein Intraneus ist, wird der Streit um die Tatbestandslösung bedeutsam. In den anschließenden Erörterungen steht daher die Teilnahme (Anstiftung und Beihilfe) im Mittelpunkt, und die Mittäterschaft wird jeweils eigens oder durch Verwendung des Begriffs „Beteiligung“ angesprochen, wo es darauf ankommt.

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zum unmittelbar Handelnden ein Intraneus ist, so kommt – ohne dass § 28 Abs. 1 StGB sich dazu äußert – bei den hier im Vordergrund stehenden Sonderdelikten mittelbare Täterschaft in den Blick. 10 Schon Kohler, Kohlrausch und Zimmerl hatten in der unterschiedlichen Behandlung – die vor 1968 noch gravierender gewesen ist, weil bei strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen nicht einmal eine gesetzliche Strafmilderung für den teilnehmenden Extraneus vorgesehen war – als Widerspruch gerügt. 11 Zimmerl schrieb sogar: „Die Regelung, welche die Wirkung eines Merkmals nicht von seiner rechtsinhaltlichen Natur, sondern von dem Zufall abhängig macht, ob es gerade bei dem in Betracht kommenden Deliktstypus die Strafbarkeit begründet oder bloß ändert oder ausschließt, ist eine typisch formal-positivrechtliche, würdig einer Begriffsjurisprudenz im übelsten Sinn des Wortes.“ 12 Auch hatte bereits Armin Kaufmann die differenzierende Auffassung der Verfasser des E 1962 mit den Worten kritisiert: „Weshalb werden die strafschärfenden Momente nicht zugerechnet, während die strafbegründenden ausstrahlen? Wo ist das Konzept, das diese Regelung einsichtig macht?“ 13 In der Tat: Wenn man bei strafändernden besonderen persönlichen Merkmalen eine Tatbestandslösung vertritt, dann ist es inkonsequent, bei strafbegründenden anders zu verfahren. Ist der Umstand, dass der Täter einer Körperverletzung ein zuständiger Amtsträger ist und deshalb § 340 StGB verwirklicht, dem teilnehmenden Extraneus nicht tatbestandlich zuzurechnen, so hat das folgerichtig auch bei der Falschbeurkundung im Amt zu gelten – mit der Konsequenz, dass der Extraneus, weil ein von jedermann erfüllbarer Grundtatbestand gegenüber § 348 StGB nicht existiert, straflos zu bleiben hätte. § 28 Abs. 1 StGB ordnet jedoch das Gegenteil an: Strafbarkeit wegen Teilnahme an dem echten Amtsdelikt. Die Widersprüchlichkeit der h.M. wird gerade auch bei der Strafbestimmung der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 n.F. StGB) deutlich. Bei ihr ist anerkannt, dass unter die Begehungsform „quält“ neben körperlichen auch seelische Peinigungen einzuordnen sind, also Fälle, auf die hier über den von § 223 StGB (der von körperlichen Misshandlungen spricht) und der Überschrift des 17. Abschnitts (Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit) vorgesehenen Strafschutz hinaus die Strafbarkeit ausgedehnt wird. 14 Folgt man der zu § 28 Abs. 2 10 Cramer / Heine (Fn. 8), § 25 Rdn. 44; Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 669 f.; Roxin, in LK, 11. Aufl. 1993, § 25 Rdn. 134 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 104; jeweils m.w. N. Vgl. auch BGHSt. 9, 203, 217 f. Gegen mittelbare, aber teilweise für unmittelbare Täterschaft Stratenwerth (Fn. 7), § 12 Rdn. 40, dazu siehe Roxin, a. a. O. Rdn. 139. 11 Kohler, GA 51 (1904), S. 169 ff.; ders., GA 55 (1908), S. 1 f.; Kohlrausch, ZAkDR 1939, S. 246 f.; Zimmerl, ZStW 54 (1935), S. 575, 586 ff. 12 Zimmerl, ZStW 54 (1935), S. 575, 588. 13 Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), S. 34, 36.

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StGB vertretenen h.M., so ergibt sich: Der Extraneus, der den Schutzpflichtigen zu einem körperlichen Quälen des Schutzbefohlenen anstiftet, wird wegen Anstiftung zu § 223 StGB – einem Antrags- und Privatklagedelikt – bestraft. Dagegen macht sich derjenige, der sich beschränkt auf die Anstiftung zu einem seelischen Quälen, d. h. einem Verhalten, für das es keinen allgemeinen Grundtatbestand gibt und bei dem die Zugehörigkeit zum Kreis der Fürsorgepflichtigen daher strafbegründend ist, gemäß § 28 Abs. 1 StGB der Anstiftung zu § 225 StGB strafbar, also eines mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedrohten Offizialdelikts. 15 Das stellt die Dinge auf den Kopf. Auf weitere Strafbestimmungen, bei denen sich die Widersprüchlichkeit der herrschenden Auslegung des § 28 Abs. 2 StGB auswirkt, weist Roxin hin. 16 Die Mehrzahl der Kritiker der h.M. fordert eine einheitliche Strafzumessungslösung. Demgemäß wollen sie – de lege lata oder jedenfalls de lege ferenda –, dass nicht nur in den Fällen strafbegründender, sondern auch strafändernder besonderer persönlicher Merkmale der Teilnehmer, dem im Unterschied zum Haupttäter ein solches Merkmal fehlt, wegen Teilnahme an dem von diesem verwirklichten Delikt bestraft wird. 17 Diejenigen, die dies bereits de lege lata vertreten, sehen in der Verweisung des § 28 Abs. 2 StGB auf den Grundtatbestand nur eine Rechtsfolgenverweisung. Im umgekehrten Fall, dass der Beteiligte im Gegensatz zum Haupttäter ein Intraneus ist, soll es bei Sonderdelikten auch hier um mittelbare Täterschaft gehen, in anderen Teilnahme mit unveränderter Unrechtsakzessorietät gelten. 18 Friktionen, die sich daraus ergeben, dass die herkömmliche Auffassung auch spezielle Schuldmerkmale zu den besonderen persönlichen Merkmalen des § 28 StGB zählt, 19 will man teils durch Zuordnung solcher Schuldmerkmale zur 14 Vgl. BGH LM § 223b a.F. Nr. 3; BayObLGSt 1960, 285; Hirsch, in LK, 11. Aufl. 2001, § 225 Rdn. 12 m.w. N. 15 Trotz des Wertungswiderspruchs ziehen jedoch diese Konsequenz: Gössel, Strafrecht Bes. Teil Bd. 1, 1987, § 16 Rdn. 2; Krey, Strafrecht Bes. Teil Bd. 1, 11 Aufl. 1998, Rdn. 308 f.; Lackner / Kühl (Fn. 8), § 225 Rdn. 3; Otto, Strafrecht Bes. Teil, 5. Aufl. 1998, § 20 Rdn. 3; Rengier, Strafrecht Bes. Teil Bd. II, 4. Aufl. 2002, § 17 Rdn. 1; Stree, in Schönke / Schröder, 26. Aufl. 2001, § 225 Rdn. 16. 16 Roxin, in LK, 11. Aufl. 1994, § 28 Rdn. 4. 17 Vgl. die Nachweise Fn. 7. Für die in Absatz 2 auch hineingenommenen persönlichen Strafausschließungsgründe gelten nach allen Lösungen Besonderheiten. Dazu IV. 2. b) (a.E.). 18 Zur mittelbaren Täterschaft vgl. Roxin, in LK (Fn. 10), § 25 Rdn. 134; Hirsch, in LK, (Fn. 7), § 340 Rdn. 10. Zur unveränderten Teilnahmeakzessorietät in den übrigen Fällen vgl. Hake (Fn. 2), S. 176, und näher unten IV 2b mit Fn. 73. 19 Die h.M. will nur die allgemeinen Regeln über Schuldausschluss, Entschuldigung und Schuldminderung dem § 29 StGB zuweisen, vgl. Gallas, ZStW Beiheft Athen, 1957, S. 3, 156; Cramer / Heine (Fn. 8), § 28 Rdn. 5; Grünwald, GS Armin Kaufmann, 1989, S. 555, 566 ff.; Lackner / Kühl (Fn. 8), § 28 Rdn. 11; Samson, in SK, StGB, 6. Aufl. 1995, § 28 Rdn. 14; Vogler, FS Lange, 1976, S. 265, 267, und die Rspr.-Übersicht bei Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 21 ff.

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Regelung der limitierten Akzessorietät (§ 29 StGB), teils durch eine insoweit differenzierende Interpretation des § 28 StGB lösen. 20 Das sachliche Gegenstück zur einheitlichen Strafzumessungslösung bildet eine einheitliche Tatbestandslösung, nach der § 28 Abs. 1 StGB de lege ferenda dahingehend zu ändern wäre, dass der Teilnehmer, dem das strafbegründende besondere persönliche Merkmal fehlt, straflos zu bleiben hätte. Diese Auffassung ist verschiedentlich im älteren Schrifttum, vereinzelt aber auch in neuerer Zeit vertreten worden. 21 Eine dritte Gegenauffassung meint, dass die Teilnahme bei allen als besondere persönliche Merkmale einzustufenden Unrechtsmerkmalen keiner anderen Behandlung als bei gewöhnlichen Unrechtsmerkmalen bedürfe. 22 Der § 28 StGB wäre dann ganz abzuschaffen. III. 1. Bevor wir uns mit der geltenden gesetzlichen Regelung befassen, ist die wissenschaftliche Frage zu klären, wie eine sachentsprechende Lösung auszusehen hätte. Daran schließt sich dann als zweiter Schritt an, wie oder ob die sachentsprechende Lösung mit dem Gesetz in Einklang zu bringen ist und wie eine verbesserte Gesetzesfassung zu formulieren wäre. Auszugehen ist von der Grundentscheidung für eine Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme sowie der Akzessorietät der letzteren. Beides ist sachlich angezeigt und liegt auch dem geltenden deutschen StGB und den meisten 20

Für Zuordnung zu § 29 StGB (neben Vertretern der Strafzumessungs- auch Anhänger der Tatbestandslösung): Gössel (Fn. 8), § 53 Rdn. 110; Hake (Fn. 2), S. 158 ff.; Hoyer (Fn. 7), § 28 Rdn. 9 ff.; Jakobs (Fn. 7), 23/7; Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 659 f.; Langer, FS Lange, 1976, S. 241, 252 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht Allg. Teil (Lehrbuch), 2. Aufl. 1975, 14/89; Wessels / Beulke (Fn. 8), Rdn. 559. Auch (jedoch mit Vorrang des § 28 Abs. 2 StGB als speziellerer Regelung) Küper, ZStW 104 (1992), S. 559, 576, 590; Kühl, Strafrecht Allg. Teil, 4. Aufl. 2002, § 20 Rdn. 157. Bezüglich strafbegründender Schuldmerkmale ebenfalls Roxin,in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 14 f., und Herzberg, ZStW 88 (1976), S. 71 f. Zur Auswirkung der Anwendung des § 29 StGB bei Fällen, in denen das strafbegründende Schuldmerkmal nur beim Teilnehmer vorliegt, siehe die Nachw. Fn. 62 und den dortigen Text. 21 Vgl. zum älteren Schrifttum die Nachw. bei Hake (Fn. 2), S. 10 f. In neuerer Zeit vertreten von Schmidhäuser (Fn. 20), 14/84 f. bei und in Fn. 25. 22 So zieht Grünwald (GS Armin Kaufmann, 1989, S. 555, 559, 561 ff., 566) aus der Annahme, „daß Merkmale, die den Angriff auf das geschützte Rechtsgut charakterisieren, nicht der Regelung des § 28 unterworfen, sondern uneingeschränkt akzessorisch behandelt werden“ die Konsequenz, dass außer der „historisch bedingten Besonderheit“, die bei der Eigenschaft als „Amtsträger“ besteht, alle sonstigen Täterunrechtsmerkmale, weil jedes zur Bestimmung des Rechtsguts beiträgt, außer Betracht bleiben.

Teilnahmeregelung bei „besonderen persönlichen Merkmalen“

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ausländischen Strafgesetzen zugrunde. Zur Trennung von Täterschaft und Teilnahme besteht Anlass, weil die Tatherrschaft beim Täter liegt und sich der Teilnehmer daher im „zweiten Glied“ befindet, so dass sich – jedenfalls im Kriminalstrafrecht – Unterschiede bei der Bewertung ergeben (insbesondere hinsichtlich der Strafbarkeit des Versuchs sowie der Strafdrohung bei der Beihilfe). 23 Die Notwendigkeit der Akzessorietät ergibt sich daraus, dass bei der Teilnahme der unmittelbare Rechtsgutsangriff durch einen die Tatherrschaft innehabenden anderen geschieht und sich von einer erfolgten Anstiftung oder Beihilfe zu der fremden Tat nur sprechen lässt, wenn diese Tat vollendet oder versucht zur Ausführung gelangt ist. 24 Im übrigen sind bei der Erörterung Unrechts- und Schuldmerkmale auseinander zu halten, da bei der Akzessorietätsfrage grundsätzliche Sachunterschiede nahe liegen. Ferner hat man zu beachten, dass trotz der in § 28 StGB erfolgten Verweisung auf die in § 14 StGB enthaltene Definition besonderer persönlicher Merkmale heute Klarheit darüber besteht, dass es in beiden Vorschriften nicht um dieselben Merkmale geht. 25 Vielmehr muss deren Inhalt im Hinblick auf die unterschiedliche Funktion beider Regelungen für jede dieser Vorschriften selbständig bestimmt werden. 2. a) Was zunächst die Frage betrifft, um welche Merkmale des Unrechtstatbestands es sich bei der Teilnahmeproblematik handelt, findet man verschiedene Antworten. Die h.M. unterscheidet bekanntlich zwischen tat- und täterbezogenen Umständen. Bei den besonderen persönlichen Merkmale i.S. der Teilnahmeregelung soll es um die zweite Gruppe gehen. 26 Im Schrifttum ist wiederholt die Unbestimmtheit dieses Begriffspaares kritisiert worden. 27 So hat man auf subjektive Merkmale, wie z. B. den Vorsatz, die Absicht, sich eine Sache zuzueignen oder sich zu bereichern, u. dgl. hingewiesen, bei denen von Täterbezogenheit gesprochen werden könnte, obgleich sie nicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen gehören. 28 Eine Literaturmeinung will deshalb alle diejenigen Umstände ausnehmen, die „rechtsgutsbezogen“ sind. 29 Als Beispiele hierfür werden die subjektiven Merkmale „zur 23 Im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 14 OWiG) hat man sich für den Einheitstäterbegriff entschieden, da in diesem Deliktsbereich die Bewertungsunterschiede, die sich aus der Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme ergeben, nicht ins Gewicht fallen. Im österr. StGB ist der Einheitstäterbegriff ein Relikt der kausalen Unrechtsauffassung. 24 Zur sachlichen Notwendigkeit der Akzessorietät siehe im einzelnen Roxin, in LK (Fn. 10), Vor § 26 Rdn. 1 ff., und Hake (Fn. 2), S. 59 ff. 25 Vgl. Lenckner / Perron, in Schönke / Schröder, 26. Aufl. 2001, § 14 Rdn. 8; Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 58; m.w. N. 26 Vgl. BGHSt, 22, 375, 378 ff.; 23, 39; 23, 103, 105; Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 658; Tröndle / Fischer (Fn. 8), § 28 Rdn. 2; m.w. N. 27 Näher über diese Diskussion Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 28 ff. mit umfassenden Nachweisen.

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Täuschung im Rechtsverkehr“ (§ 267 StGB), die Zueignungsabsicht (§ 242 StGB) u. dgl. genannt und ihnen die niedrigen Beweggründe bei § 211 StGB als echt täterbezogen gegenübergestellt. Aber auch die Rechtsgutsbezogenheit erweist sich nicht als brauchbares Kriterium. Man hat bereits mit Recht kritisiert, dass sie gerade bei dem klassischen Beispiel eines besonderen persönlichen Merkmals versagt: der Amtsträgerschaft. Denn diese gibt der Rechtsgutsseite der Amtsdelikte mit das Gepräge. 30 Einwände erheben sich auch gegenüber der von Schünemann 31 vertretenen „Einheitslösung“, die sämtliche „persönlichen“ Merkmale den besonderen persönlichen i.S. der Teilnahmeregelung zuordnet und damit z. B. auch bei der Anstiftung zum Diebstahl zu einer Strafmilderung für den Außenstehenden gelangt. Roxin hat bereits im einzelnen aufgezeigt, dass die für diese nivellierende Auffassung gegebenen Begründungen oft nicht passen und auch die Ergebnisse vielfach nicht sachgerecht sind. 32 Herzberg hat es treffend „eine wunderliche Folge der Einheitslösung“ genannt, „daß, wenn ein Ehepaar gemeinsam einen Dritten zu exhibitionistischen Handlungen anstiftet, der Mann die volle Strafe erleidet, die Frau aber ... eine Strafmilderung erhält“. 33 Herzberg selbst will von der Frage ausgehen, „ob die Strafgerechtigkeit die Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB fordert“, und schreibt, dass ein persönliches Merkmal kein besonderes i.S. der Vorschrift sei, „wenn es entweder funktionell ein sachliches ist oder keine Bedeutung für den Tatunwert hat“. 34 Aber auch diese Kriterien sind zu unscharf. Weder lässt sich der Amtsträgerschaft, dem klassischen Beispiel eines besonderen persönlichen Merkmals, der Charakter eines auch „funktionell sachlichen persönlichen Merkmals“ absprechen, noch kann man bei sonstigen persönlichen Unrechtsmerkmalen, wenn man sie mit der ganz herrschenden Auffassung anerkennt, die Bedeutung für den materiellen Unwert der Tat verneinen. Außerdem sind Deliktsmerkmale nicht dadurch begriff28 Dazu Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 28 f. Dass diese Art subjektiver Merkmale sich von den besonderen persönlichen Merkmalen doch durch einen deutlichen Tatbezug unterscheiden lassen, betonen Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 658. 29 Auf die Rechtsgutsbezogenheit als Kriterium der „Tatbezogenheit“ stellen ab: Gallas, bei Grebing, ZStW 88 (1976), S. 162, 175; Geppert, ZStW 82 (1970), S. 40, 64 ff.; Grünwald, GS Armin Kaufmann, 1989, S. 555, 559 ff.; Samson (Fn. 19), § 28 Rdn. 199; u. a. 30 Vgl. Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 30 ff. m.w. N. 31 Schünemann, ZSchwR 1978, S. 131, 149 ff., 158; ders., Jura 1980, S. 354, 365 ff.; ders., GA 1986, S. 293, 336 ff. 32 Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 35 ff. 33 Herzberg, JuS 1983, 1983, S. 737, 742. 34 Herzberg, GA 1991, S. 145, 168, 173 ff., 176. Das von ihm ursprünglich in ZStW 88 (1976), S. 68 ff. verwandte Begriffspaar „wertbezogen – wertneutral“ wird von ihm dort als „terminologischer Missgriff“ bezeichnet (S. 173).

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lich zu bestimmen, dass man negativ sagt, welche Fälle nicht unter sie fallen, sondern es bedarf einer positiven Festlegung. Eine positive Begriffsbildung findet sich dann auch bei Roxin. Er bestimmt die besonderen persönlichen Unrechtsmerkmale als diejenigen Tätermerkmale, die eine vortatbestandliche Sonderpflicht zum Ausdruck bringen, also die Tätermerkmale der Sonderdelikte (z. B. die Amtsträgerschaft). 35 Betrachtet man die Merkmale eines Unrechtstatbestands auf eine Milderungsnotwendigkeit bei der Teilnahme hin, so kommen in der Tat angesichts der konstitutiven Bedeutung, die alle Merkmale des Unrechtstatbestands für dessen Vorliegen haben, und im Hinblick auf die Verknüpfung der Teilnahme mit dem betreffenden tatbestandlichen Unrecht, primär die Tätermerkmale der Sonderdelikte in den Blick. Denn sie heben, weil die Sonderpflichten nur an einen bestimmten Sonderkreis adressiert sind, das täterschaftliche Unrecht von dem ab, was jedermann verwirklichen könnte. Das Fehlen mildernd bei einem Teilnehmer, der nicht zum Kreis der Sonderpflichtigen gehört, zu berücksichtigen, ist daher angezeigt. Aber erschöpft sich der Unrechtsbereich, bei dem eine auf die Person des Täters bezogenen spezifische Komponente ins Spiel kommt, in den Sonderdelikten? Nach vorherrschender Ansicht betreffen auch die meisten anderen als besondere persönliche Merkmale eingestuften Umstände, z. B. die einschlägigen Merkmale des Mordes, bereits den Unrechtstatbestand und nicht erst – wie Roxin meint 36 – die Schuld. 37 Dies ist vor allem deshalb zu beachten, weil eine Akzessorietätslockerung im Unrechtsbereich sachlich andere Fragen aufwirft als die Teilnahmeproblematik im Schuldbereich. Sieht man sich die in Betracht kommenden Merkmale an (z. B. „aus Mordlust“, „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“, „aus Habgier“), so geht es bei ihnen darum, dass der Unrechtsgehalt des Rechtsgutsangriffs täterspezifisch begründet oder intensiviert wird. Das Unrecht einer 35 Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 50 f., 53 ff. Er spricht von Tätermerkmalen der „Pflichtdelikte“. Unterschiede zwischen Sonderdelikten und „Pflichtdelikten“ (i.S. der Auffassung Roxins) sind hier nicht erheblich, da es allein auf die hinter dem Tätermerkmal stehende Sonderpflicht ankommt. Zur speziellen Problematik bei den unechten Unterlassungsdelikten siehe Roxin a. a. O. Rdn. 64 ff. m.w. N. 36 Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 51 f., 74 f., der nur in den auf Sonderpflichten beruhenden Tätermerkmalen besondere persönliche Unrechtsmerkmale sieht. Dem folgt Stratenwerth (Fn. 7), § 12 Rdn. 199. Siehe auch Sánchez Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 180 ff. (der darüber hinaus Sonderpflichten schon de lege lata in jedem Falle nach § 28 Abs. 1 StGB behandeln möchte). 37 Vgl. BGHSt. 1, 368, 370; 6, 329, 330; 22, 375, 377; offengelassen in BGHSt. 36, 231, 233 (bzgl. § 211 StGB). Im Schrifttum vgl. Gössel (Fn. 8), § 22 Rdn. 52; Jähnke, in LK, 11. Aufl. 2002, Vor § 211 Rdn. 47; Krey (Fn. 15), Rdn. 23; Maiwald, in Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht Bes. Teil Bd. I, 8. Aufl. 1995, § 2 Rdn. 23; Welzel (Fn. 10), S. 79. Näher dazu Hake (Fn. 2), S. 117 ff., 128 ff. m.w. N. (auch zur Gegenmeinung).

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aus Habgier begangenen und damit von einem niedrigen Motiv geleiteten vorsätzlichen Tötung ist höher als das eines schlichten Totschlags. 38 Es handelt sich bei den Merkmalen insbesondere um Motive, die im Zusammenhang mit der Tatbestandshandlung das Unwerturteil der Rechtsordnung beeinflussen. 39 Sie betreffen nicht erst einen besonderen Grad der individuellen Verantwortlichkeit für das Unrecht der Tat, d. h. die Schuld, sondern bereits den Unrechtsgehalt selbst, weshalb z. B. auch Schuldunfähige in der Lage sind, mit solchen Merkmalen zu handeln. Dass derartige Merkmale, die vielfach aus der Gesetzgebung der NSZeit stammen, teilweise in übergreifender Wertung zusätzlich auch Schuldaspekte umfassen können, 40 lässt ihren primären Unrechtsgehalt unberührt. Auch wenn man dem Oberbegriff „niedrige Beweggründe“ in § 211 StGB eine hinzutretende Schuldkomponente zuschreibt, ändert das nichts daran, dass beispielsweise eine aus Rassenhass begangene Tötung wegen dieses Motivs einen höheren Unrechtsgehalt aufweist als das bloße Unrecht des § 212 StGB. Welche Wirkungen eine etwaige spezielle Schuldkomponente für die Teilnahmefragen haben könnte, ist im folgenden noch gesondert zu erörtern. Was das Unrecht betrifft, lässt sich dagegen feststellen, dass bei allen vorgenannten Merkmalen wegen der personenbezogenen Prägung des Unrechts das Bedürfnis besteht, beim teilnehmenden Extraneus das Fehlen des besonderen persönlichen Merkmals zu berücksichtigen. 41 b) In welcher Weise wirkt sich nun das besondere persönliche Merkmal des Täters auf den Teilnehmer aus? Bildet die Tatbestands- oder die Strafzumessungslösung das sachgerechte Konzept? Von einem extensiven Täterbegriff aus, der die Teilnahme als Strafeinschränkungsgrund begreift, wäre es folgerichtig, dass das für die Täterschaft verlangte besondere Unrechtsmerkmal auch beim Teilnehmer vorliegt. Wenn nämlich die Teilnahme nur ein privilegierter Unterfall aus dem grundsätzlich als Täterschaft anzusehenden Kreis der Erfolgsverursachungen darstellt, dann ist es konsequent, dass nur Teilnehmer sein kann, wer auch Täter sein könnte. Infolgedessen ergäbe sich die Tatbestandslösung. Heute besteht jedoch Klarheit darüber, dass in einem zwischen Täterschaft und Teilnehmer differenzierenden Strafrecht die Teilnahme 38

Näher Hake (Fn. 2), S. 117 ff. Näher dazu Welzel (Fn. 10), S. 79. Entgegen Jakobs (Fn. 7), 23/26, gehört die Eigenhändigkeit nicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen; vgl. dazu im einzelnen Hake (Fn. 2), S. 115 ff. m.w. N. 40 Vgl. Stratenwerth, FS v. Weber, 1963, S. 171, 188; Welzel (Fn. 10), S. 79; Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 472 f. m.w. N. 41 Ob es möglich ist, die besonderen persönlichen Unrechtsmerkmale auf einen einheitlichen präzisen Nenner zu bringen, kann hier dahingestellt bleiben. Siehe zu der Frage stattdessen die Erörterungen (und unterschiedlichen Ergebnisse) in den Abhandlungen von Bloy (Fn. 7); Hake (Fn. 2); Herzberg, ZStW 88 (1976), S. 68 ff.; Stein (Fn. 7); Schwerdtfeger, Besondere persönliche Merkmale, 1992. Bisher ist keiner der Vorschläge auf breite Zustimmung gestoßen. 39

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keine Strafeinschränkung, sondern eine Straferweiterung darstellt. 42 Auf den extensiven Täterbegriff, der möglicherweise auf die Tatbestandslösung nicht ohne Einfluss gewesen ist, kann sich diese Theorie daher nicht berufen. Die Klärung ist beim Strafgrund der Teilnahme zu suchen: Wird das Teilnahmeunrecht als im Verhältnis zur Haupttat völlig selbständig angesehen, weshalb der Teilnehmer nicht für das von ihm ausgelöste oder sonst geförderte Verhalten des Täters, sondern nur für sein eigenes Tun bestraft wird, gelangt man ebenfalls zur Tatbestandslösung. So nimmt Lüderssen selbständige, vom Unrecht der Haupttat gelöste Teilnahmetatbestände an, 43 und auch Schmidhäuser geht mit seiner „reinen Verursachungstheorie“ von einem selbständigen „Teilnehmerdelikt“ aus, das nur aus Gründen der Strafwürdigkeit prinzipiell von einer begangenen Haupttat abhängig gemacht werde. 44 Diese Auffassungen sind jedoch vereinzelt geblieben. Eine solche Sicht des Strafgrundes verkürzt das Unrecht der Teilnahme. Denn der Umstand, dass der tatbestandliche Erfolg durch eine die Tatherrschaft innehabende andere Person unmittelbar herbeigeführt wird, lässt sich bei der Bestimmung des Unrechts nicht ausblenden, und auch nicht, dass dieser Verlauf Inhalt des Täterwillens war. Erst recht wäre es verfehlt, das Teilnahmeunrecht überhaupt nur in der Anstiftungs- oder Beihilfehandlung zu sehen, da die vom anderen begangene Haupttat gerade den vom Vorsatz des Teilnehmers umfassten Bezugspunkt der Teilnahmehandlung bildet. Auch auf diese Auffassungen kann sich die Tatbestandslösung daher nicht stützen. Anzusetzen ist deshalb bei der „akzessorietätsorientierten Förderungstheorie“, die sich unter der ungenauen Bezeichnung „akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie“ seit langem durchgesetzt hat und mit der Bezeichnung „Unrechtsteilnahmetheorie“ das Gemeinte weiter verdeutlicht. 45 Danach liegt der Strafgrund der Teilnahme darin, dass der Teilnehmer eine vorsätzliche tatbestandsmäßigrechtswidrige Tat eines anderen durch Hervorrufen des Tatentschlusses herbeiführt oder sie unterstützt. 46 Es geht also um die verbotene Förderung des von einem anderen täterschaftlich begangenen Unrechts. Das Unrecht des Teilnehmers ist daher zwar ein anderes als das des Haupttäters, ist aber nicht von diesem 42

Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 648 f., 684 m.w. N. Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, 1967, S. 119 ff. 44 Schmidhäuser (Fn. 20), 14/57; ders., Strafrecht Allg. Teil (Studienbuch), 2. Aufl. 1984, 10/9 f. 45 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 685 f.; Cramer / Heine (Fn. 8), Vor § 25 Rdn. 17; Stratenwerth (Fn. 7), § 12 Rdn. 121; jeweils m.w. N. Unterschiede zwischen den Auffassungen betreffen Nuancen und sind im zur Erörterung stehenden Zusammenhang unerheblich. – Zu der am Aktunwert orientierten abw. Auffassung von Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, 1986, S. 47 ff., siehe die Kritik bei Roxin, in LK (Fn. 10), Vor § 26 Rdn. 19 ff. 46 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 685. 43

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unabhängig. Allerdings verhält es sich nicht so, dass das Unrecht des Haupttäters dem Teilnehmer einfach „zugerechnet“ wird – das würde auf Täterschaft des Teilnehmers hinauslaufen –, 47 und schon gar nicht kann von „Haftung“ für die Haupttat gesprochen werden, da es sich dabei um einen nicht ins Schuldstrafrecht gehörenden Begriff handelt. Vielmehr ergibt sich das Teilnahmeunrecht aus der verbotswidrigen (vorsätzlichen) Förderungshandlung und dem, was sie vorsätzlich gefördert hat, nämlich ihrer in einer von einem anderen tatherrschaftlich begangenen Tat bestehenden Wirkung. Die fremde Tat spielt die Rolle, dass sie Inhalt und Umfang des Teilnahmeunrechts bestimmt. 48 Dieses ist in der Regel niedriger einzustufen als das einer täterschaftlichen Begehung, da der Handlungsunwert nur in der Verwirklichung der Förderungshandlung (Hervorrufen des Tatentschlusses oder Erbringen der Tathilfe) liegt und deren Wirkung durch einen die Tatherrschaft aufweisenden anderen herbeigeführt wird. 49 Auf dieser Grundlage ist die Strafzumessungslösung folgerichtig. Da für die Rechtsordnung ausschlaggebend ist, dass der Teilnehmer das von dem anderen verwirklichte Unrecht durch Anstiftung oder Beihilfe gefördert hat, ist nicht notwendig, dass er selbst das besondere persönliche Merkmal aufweist. Vielmehr sind für die Frage, wozu er angestiftet oder Hilfe geleistet hat, alle vom Täter zu erfüllenden Merkmale des Unrechtstatbestandes gleichwertig. Keines von ihnen muss auch beim Teilnehmer vorliegen. Was unter Teilnahmeaspekten im Bereich der Sonderdelikte geschieht – um dieses wichtige Anwendungsgebiet als Beispiel zu nennen –, ist also eine Teilnahme am Unrecht des jeweiligen Sonderdelikts. Der Teilnehmer hat zu dessen Begehung angestiftet oder Hilfe geleistet. So stellen sich die Dinge auch unter dem Blickwinkel des tatsächlichen Geschehens dar. Das Vorliegen einer Teilnahme des Extraneus an dem ein besonderes persönliches Merkmal erfordernden Delikt ist daher bei Tatbeständen, in denen es strafbegründend ist, nur selten in Frage gestellt worden; 50 bis zum Jahre 1968 galt in solchen Fällen sogar der normale Strafrahmen. Um was es deshalb nur gehen kann, ist eine die volle Unrechtsakzessorietät bestehen lassende Strafmilderung, die berücksichtigt, dass der Teilnehmer das besondere persönliche Unrechtsmerkmal nicht aufweist: also die Strafzumessungs47

So aber unscharf Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 3. Dazu Hake (Fn. 2), S. 101 ff. Hake (Fn. 2), S. 110. 49 Bezüglich der in der Regel niedrigeren Einstufung wurde oben schon auf die eng begrenzte Strafbarkeit des Teilnahmeversuchs, die obligatorische Strafmilderung bei der Beilhilfe und die in der Strafzumessungspraxis gewöhnlich niedriger als beim Täter erfolgende Bestrafung des Anstifters hingewiesen. – Was den Begriff der Tatherrschaft betrifft, wird er hier in einem umfassenden – auch die „Pflichtdelikte“ einbeziehenden – Sinne verstanden (bei denen ohnehin die Pflichtenstellung die Herrschaft über die Tatbegehung verleiht). 50 Siehe oben Fn. 21. Zur Strafbedürftigkeit dieser Fälle näher Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 2 ff. 48

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lösung. Hierin liegt übrigens kein Widerspruch zum vorhergehenden. Denn auch wenn der Inhalt des Teilnahmeverhältnisses unberührt bleibt, bedeutet es für die Bemessung der zu verhängenden Strafe einen mildernden Gesichtspunkt, dass der Teilnehmer ein Extraneus ist. Es verbleibt die Frage, wie es sich mit den umgekehrten Fällen verhält, d. h. denjenigen, bei denen der unmittelbar Handelnde ein Extraneus, der Mitwirkende dagegen ein Intraneus ist. Sie lässt sich hinsichtlich der Sonderdelikte einfach beantworten: Es geht um das Vorliegen von mittelbarer Täterschaft. Das ist bei strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen allgemein anerkannt, 51 und bei strafschärfenden Merkmalen hat nichts anderes zu gelten. 52 Dass nach der Tatbestandslösung in Fällen der Strafschärfung wegen Teilnahme am unechten Sonderdelikt bestraft wird, 53 obwohl gar kein Sonderdelikt des unmittelbar Handelnden vorliegt, ist offensichtlich abwegig. Eine (vollendete) Teilnahme an einem gar nicht gegebenen Tatunrecht ist ein Unding. Um was es in Wahrheit bei dem mitwirkenden Sonderpflichtigen geht, ist wegen der bei ihm vorliegenden besonderen Pflichtenstellung eine eigene Täterschaft, und zwar eine mittelbare. Handelt es sich nicht um eine Sonderpflicht, vielmehr um ein anderes besonderes persönliches Merkmal, und kommt deshalb mittelbare Täterschaft nicht in Betracht, so gelten sachentsprechend die allgemeinen Grundsätze der Teilnahmelehre: Auch wenn der Teilnehmer ein Intraneus ist, hängt das Unrecht der Teilnahme vom Umfang des Unrechts der Haupttat ab. Hat der Täter einen Totschlag begangen, wird daraus, dass der Teilnehmer ein besonderes persönliches Merkmal erfüllt, keine Teilnahme am Mord, da eine solche Haupttat gar nicht vorliegt. In seiner grundlegenden Entscheidung zu dieser Frage hat der Bundesgerichtshof bereits die Bejahung einer Teilnahme am Mord als „sonderbares Ergebnis“ bezeichnet. 54 Berücksichtigung kann hier der Umstand, dass der Teilnehmer ein Intraneus ist, nur im Rahmen der Strafzumessung finden. 55 Entsprechendes hat für Fälle mildernder besonderer persönlicher Unrechtsmerkmale zu gelten. Auch hier bestimmt sich das Teilnahmeunrecht nach dem verwirklichten Unrecht der Haupttat. Nach alledem lässt sich festhalten, dass sachlich-systematisch die Strafzumessungslösung das für besondere persönliche Unrechtsmerkmale gebotene Konzept darstellt. 56 51

Siehe oben in Fn. 10. Siehe die Nachw. oben in Fn. 18. 53 Vgl die Nachw. oben in Fn. 8. 54 BGHSt. 1, 168, 171. 55 Vgl. auch Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 87. 56 So auch die oben in Fn. 7 genannten Autoren. Ergibt die Strafzumessungslösung, dass beim beteiligten Extraneus Mittäterschaft am Grundtatbestand und Teilnahme am unechten 52

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3. Auch die herkömmlich als spezielle Schuldmerkmale eingeordneten Merkmale werden von der h.M. als besondere persönliche Merkmale i.S. des § 28 StGB angesehen. 57 Schon bevor 1943 die allgemeine Akzessorietätslimitierung bezüglich der Schuld eingeführt worden ist, wurde so verfahren und bereits der im Sinne der Tatbestandslösung interpretierte Vorläufer des heutigen § 28 Abs. 2 StGB angewendet. 58 Daran hat die h.M. festgehalten, so dass die allgemeine Regelung der limitierten (schuldunabhängigen) Akzessorietät (§ 29 StGB) nach ihr nur auf Schuldausschließungs-, Entschuldigungs- und Schuldminderungsgründe beschränkt sein soll. 59 Eine Mindermeinung will dagegen alle Schuldmomente dem § 29 StGB zuordnen. 60 Und nach einer dritten Auffassung soll in der Weise zu differenzieren sein, dass strafändernde spezielle Schuldmerkmale unter § 28 Abs. 2 StGB fallen, strafbegründende dagegen dem § 29 StGB zugewiesen werden. 61 Hinsichtlich strafbegründender Merkmale wird dabei von den auf § 29 StGB abstellenden Auffassungen teilweise angenommen, dass ein Teilnehmer, bei dem das Merkmal vorliegt, während es beim Täter fehlt, gleichwohl nicht zu bestrafen sei, weil die Vorschrift ein den „Garantietatbestand“ erfüllendes Verhalten voraussetze. 62 Hinter der Kontroverse steht vor allem die Sorge, dass bei strafbegründenden Schuldmerkmalen die Anwendung der allgemeinen Regelung der schuldunabhängigen Akzessorietät im Verhältnis zu der bei strafbegründenden persönlichen Unrechtsmerkmalen einschlägigen Strafzumessungslösung die Strafbarkeit teils zu stark verkürzen, teils zu stark erweitern könnte. Wie sich innerhalb der als dritte genannten Auffassung zeigt, spielt neuerdings außerdem eine Rolle, dass einige Autoren meinen, bei strafändernden Schuldmerkmalen sei eine Strafzumessungslösung sachgerecht. Richtet man auch hier den Blick zunächst auf die Sachfragen und löst sich von den Zufällen der Gesetzgebungsgeschichte, so sollte eigentlich in einem Strafrecht, das dem Schuldprinzip folgend bei der Schuld von der limitierten Akzessorietät ausgeht, die zwingende Konsequenz sein, dass dies ohne Ausnahme gilt. Ist die Sonderdelikt vorliegt, löst sich dies nach allgemeinen Grundsätzen der Konkurrenzlehre; vgl. hierzu Hake (Fn. 2), S. 181 ff. 57 Vgl. die Schrifttumsnachweise Fn. 19. Zur Entwicklung der Judikatur siehe die eingehende Darstellung bei Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 21 ff. 58 Darüber Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 10, 21. 59 Siehe die Nachw. Fn. 57. 60 Siehe die Nachw. oben in Fn. 20. 61 Siehe die Nachw. Fn. 20. Auf der Grundlage der Strafzumessungslösung insbesondere Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 14 ff. 62 Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 15; ebenso Herzberg, ZStW 88 (1976), S. 68, 72; Hoyer (Fn. 7), § 28 Rdn. 11; Jakobs (Fn. 7), 23/7; Jescheck / Weigend (Fn. 7), S. 660; Küper, ZStW 104 (1992), S. 559, 584 ff.; Langer, FS Lange, 1976, S. 241, 252 ff.; Wessels / Beulke (Fn. 8), Rdn. 559.

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Schuld individuell zu bestimmen, so folgt daraus, dass dem Teilnehmer eben nicht die des Täters angelastet werden kann. Das Teilnahmeverhältnis ist bezüglich der Schuld grundverschieden von dem bei besonderen persönlichen Unrechtsmerkmalen, da letztere das Unrecht der Teilnahme mitbestimmen. Dagegen hat die Schuld des Täters weder Einfluss auf das Unrecht noch auf die Schuld des Teilnehmers. Bilden wir, um Zweifeln an dem reinen Schuldcharakter existenter gesetzlicher Merkmale beiseite zu lassen, dazu das folgende theoretische Beispiel: Es wäre strafbegründend eine unrechtmäßige Handlung vertypt und gleichzeitig abweichend von der allgemeinen Verbotsirrtumsregelung speziell gefordert, dass ein mit rechtsfeindlicher Gesinnung verbundenes aktuelles Unrechtsbewusstsein vorliegen muss. In solchem Fall zeigt sich eindeutig, dass der Teilnehmer, dem dieses spezielle Schuldelement fehlt, straflos zu bleiben hat, da die Strafbarkeit des begangenen Unrechts den erhöhten Schuldgrad voraussetzt. Dass der Teilnehmer vom Vorliegen des Merkmals beim Teilnehmer weiß, lässt die Frage der eigenen individuellen Schuld unberührt. Und liegt das spezielle Schulderfordernis beim Teilnehmer vor, so ist er wegen Teilnahme an dem betreffenden Delikt unabhängig davon zu bestrafen, ob das Merkmal beim Täter gegeben ist; denn auf das Unrecht des Teilnehmers ist dies ohne Einfluss. Die Garantiefunktion der Strafbestimmung steht der Strafbarkeit des Teilnehmers dabei kaum entgegen, 63 da Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Haupttat gegeben sind und die Strafvorschrift das spezifische Schulderfordernis für alle im Zusammenhang der Vorschrift mit Strafe bedrohten Personen, also auch die Teilnehmer, individuell aufstellt. Es wäre zudem schwerlich einsichtig, wenn gemäß den allgemeinen Regeln der limitierten Akzessorietät der Teilnehmer ohne Rücksicht auf die Schuld des Täters bestraft wird, er dagegen bei strafbegründenden speziellen Schuldmerkmalen sogar ganz straflos bliebe, obgleich die Schuld des Täters in grundsätzlich ausreichendem Umfang vorläge, im Beispiel also bezüglich der Unrechtseinsicht dem § 17 StGB genügte, und nur nicht den erhöhten speziellen Umfang erreicht hätte. Hat man gleichwohl von der Garantiefunktion der Strafbestimmung her Bedenken, lässt sich diesen mit der Begründung, dass der Satz Nullum crimen sine lege Vorrang vor der dogmatischen Lösung beansprucht, Rechnung tragen. Es klang schon an, dass die Kategorie der speziellen Schuldmerkmale ihrerseits mit mehreren Problemen belastet ist, weshalb diese Unklarheiten leicht auf die Teilnahmefragen durchschlagen. So wurde im vorhergehenden darauf hingewiesen, dass Merkmale, die bereits den besonderen persönlichen Unrechtsmerkmalen zuzuweisen sind (z. B. die betreffenden Merkmale beim Mord), von Teilen des Schrifttums erst bei der Schuld eingeordnet werden. Auch sind Merkmale wie „rücksichtslos“ und „roh“ bei einer am Tatstrafrecht ausgerichteten Auslegung überhaupt schon als tatbezogene Merkmale anzusehen, welche die Art der ob63

Siehe dazu auch Stratenwerth (Fn. 7), § 12 Rdn. 186; Hake (Fn. 2), S. 161. Für Strafbarkeit des Teilnehmers BayObLG NJW 1985, 1566.

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jektiven Begehungsweise angeben. 64 Wenn man dagegen solche Merkmale als spezielle Schuldmerkmale einstuft, werden aus Gründen, die sich in Wahrheit aus dem Unrechtscharakter ergeben, unzutreffende Folgerungen für eine angebliche Notwendigkeit der ganz oder teilweisen Gleichstellung von speziellen Schuldmerkmalen und besonderen persönlichen Unrechtsmerkmalen gezogen. 65 Problematisch ist ein Merkmal wie „böswillig“. Solange man das deutsche StGB nicht von solchen Resten des Gesinnungsstrafrechts der NS-Zeit säubert, hat man im jeweiligen Fall zu differenzieren zwischen der Unrechts- und der Schuldseite eines solchen Merkmals übergreifender Wertung. 66 Für die Akzessorietätsfragen wirkt sich die Doppelnatur dahin aus, dass beim Täter die Unrechtsseite gegeben sein muss (z. B. die objektive Manifestation der Böswilligkeit, ein negativ zu bewertender Zweck), während die spezielle Schuldseite sich nach Gesichtspunkten der limitierten Akzessorietät richtet. Dass für echte spezielle Schuldregelungen ausschließlich die allgemeinen Regeln der limitierten Akzessorietät einschlägig sind, wird auch durch die Fälle echter spezieller Schuldminderung bestätigt. Als bekanntester Fall kann der frühere § 217 StGB gelten. Stiftet der Kindesvater die Mutter dazu an, ihr nichteheliches Kind in der Geburt zu töten, so führte die limitierte Akzessorietät zu dem sachentsprechenden Ergebnis: Die spezielle Schuldminderung des § 217 StGB kam dem Vater nicht zustatten, da sie seine Schuld nicht betraf, so dass es deshalb für ihn bei einer Anstiftung zum Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung blieb. 67 Hinsichtlich der speziellen Schuldmerkmale ist daher festzustellen, dass sie von den besonderen persönlichen Unrechtsmerkmalen sachlich scharf zu trennen sind und in die allgemeine Regelung der limitierten, also schuldunabhängigen Akzessorietät gehören. 68 4. Die sachlich-systematische Prüfung führt mithin zu dem Gesamtergebnis: Bei den Akzessorietätsfragen besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen besonderen persönlichen Unrechtsmerkmalen einerseits und speziellen Schuldmerkmalen sowie auch persönlichen Strafausschließungsgründen andererseits. Bei ersteren geht es ausschließlich um die Strafzumessung, wobei es auf die Teilnahme an demjenigen Tatbestand, den der Täter verwirklicht hat, und die Milderung des für dieses Teilnahmeverhältnis geltenden Strafrahmens – oder 64

Vgl. Hirsch, FS Lüderssen, 2002, S. 253, 258. Darüber hinaus erscheint es widersprüchlich, wenn die oben erwähnte Mindermeinung differenzieren will zwischen voller Akzessorietät (Strafzumessungslösung) bei strafschärfenden und limitierter Akzessorietät bei strafbegründenden speziellen Schuldmerkmalen; denn die Frage der Schuldakzessorietät lässt sich sachlich nur einheitlich beantworten. Vgl. dazu überzeugend Hoyer (Fn. 7), § 28 Rdn. 9. 66 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 40. 67 Vgl. Eser, in Schönke / Schröder, StGB, 25 Aufl. 1997, § 217 Rdn. 13 m.w. N. 68 So auch die in Fn. 60 genannten Autoren. 65

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ggf. im umgekehrten Fall eine Strafzumessungsschärfung – ankommt. Bei den speziellen Schuldmerkmalen sind demgegenüber die für die Schuld bestehenden allgemeinen Regeln über die limitierte Akzessorietät einschlägig. Und für die persönlichen Strafausschließungsgründe gilt selbstverständlich ebenfalls, dass sie das tatbestandliche Beteiligungsverhältnis unberührt lassen und nur auf denjenigen zur Anwendung kommen, bei dem sie vorliegen. IV. Da demnach diese Teilnahmeprobleme systematisch klar zu lösen sind, ist zu fragen, was die h.M. dazu veranlasst, gleichwohl an der bisherigen Gesetzesauslegung festzuhalten, und ob die im vorhergehenden aufgezeigten sachentsprechenden Lösungen mit den bestehenden Gesetzesvorschriften in Einklang zu bringen sind. 1. Hinsichtlich der speziellen Schuldmerkmale spielen, wie sich gezeigt hat, bei der den § 28 StGB anstatt des § 29 StGB heranziehenden h.M. zwei Punkte eine Rolle: Die Herkömmlichkeit der Einordnung als besondere persönliche Merkmale, die auf die Zeit vor der allgemeinen Einführung der Schuldunabhängigkeit der Akzessorietät zurückgeht, und der Umstand, dass man Fälle vor Augen hat, die in Wahrheit bereits den Unrechtsbereich betreffen und deshalb auf die besonderen persönlichen Merkmale verweisen. Bei klarer Differenzierung zwischen Unrecht und Schuld sind jedoch echte spezielle Schuldmerkmale der in § 29 StGB getroffenen allgemeinen Schuldregelung zu subsumieren. Sie lassen sich in diese ohne Wortlautprobleme einordnen. Kein Anlass besteht auch, die Fälle teils dem § 28 Abs. 2 StGB, teils dem § 29 StGB zuzuweisen. 69 Ganz abgesehen davon, dass eine solche Lösung einen gedanklichen Bruch enthält, weil sie bei einem Kreis von Fällen auf Unrechtsmaßstäbe, beim anderen auf Schuldmaßstäbe abstellt, würde eine derart unsystematische Konstruktion auch schwerlich mit dem Gesetzestext in Einklang zu bringen sein. 2. Was die im Vordergrund des Interesses stehenden besonderen persönlichen Unrechtsmerkmale betrifft, stützt sich die bei § 28 Abs. 2 StGB der Tatbestandslösung folgende h.M. auf zwei Meinungsgruppen: die traditionelle, die von der sachlichen Richtigkeit der herkömmlichen Auffassung weiterhin überzeugt ist, und diejenige, die zwar die für die Strafzumessungslösung vorgebrachten Argumente als berechtigt anerkennt, aber meint, dass der Gesetzeswortlaut ihre Berücksichtigung de lege lata nicht zulasse. 70 So heißt es bei Jakobs: Hier „verbieten Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB Korrekturen, obgleich diese angebracht wären.“ 71 69 70 71

So aber Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 14 ff. Siehe die Nachw. oben in Fn. 7. Jakobs (Fn. 7), 23/24.

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Da die Strafzumessungslösung, weil der Schuldspruch auf Teilnahme am strafschärfenden Delikt lautet, den teilnehmenden Extraneus bei strafschärfenden persönlichen Merkmalen schlechter als nach der Tatbestandslösung stellt, bedarf die Frage der Gesetzeskonformität genauer Prüfung. Es handelt sich um mehrere erörterungsbedürftige Punkte: a) Zunächst geht es um das Wort „Strafe“ in § 28 Abs. 2 StGB. Betrachtet man die zwischen Strafbarkeit und Strafe unterscheidende Wortfassung von § 28 Abs. 1, so verdeutlicht dies, dass in Absatz 2 von Strafe in einem übergreifenden Sinne gesprochen wird und somit hinsichtlich der Auswirkungen keine Einschränkung auf Schuldspruchvoraussetzungen erfolgt ist. Dementsprechend lässt sich die Formulierung „so gilt das nur für den Beteiligten ..., bei dem sie vorliegen“ je nach Funktion der Merkmale als Verweisung auf die Strafzumessungsebene bei strafschärfenden und strafmildernden Merkmalen und als Verweisung auf die Strafausschlussebene bei strafausschließenden Merkmalen interpretieren. Das um so mehr, als der Inhalt des Absatzes 2 mit dem Blick auf den an der Spitze der Vorschrift stehenden Absatz 1 auszulegen ist. Denn in beiden Absätzen geht es um die gleiche Frage: Welche Auswirkungen hat es auf das Teilnahmeverhältnis, wenn beim Teilnehmer der Stand in bezug auf das Nichtvorliegen oder Vorliegen besonderer persönlicher Merkmale günstiger als beim Haupttäter ist, sei es, dass beim Teilnehmer anders als beim Haupttäter das strafbegründende Merkmal fehlt, sei es, dass nur bei ihm ein strafmilderndes oder strafausschließendes persönliches Merkmal gegeben ist? b) Soweit die Wortfassung des Absatzes 2, auch wenn das Wort „nur“ immerhin die Zielrichtung auf die „Rabatt“-Fälle unterstreicht, über diesen Bereich hinaus die Einbeziehung der umgekehrten Fallkonstellation (der Mitwirkende ist im Unterschied zum Haupttäter ein Intraneus) zulässt, spricht Absatz 1 gegen eine solche weite Auslegung. Denn diese an die Spitze des § 28 StGB gestellte neuere Vorschrift äußert sich nicht zu derartigen Fällen, obwohl sie auch dort vorkommen (z. B. der zuständige Amtsträger lässt den falschen Registereintrag durch einen bösgläubigen Laien vornehmen). Das Gesetz überlässt die Frage, was zu gelten hat, wenn der unmittelbar Handelnde ein Extraneus, der Mitwirkende dagegen ein Intraneus ist, den dafür einschlägigen strafrechtlichen Regelungen. Bei Sonderdelikten ist das die Vorschrift über die mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB). Da die mittelbare Täterschaft nicht nur in Fällen strafbegründender, sondern ebenso strafschärfender besonderer persönlicher Merkmale die zuständige Rechtsfigur ist, kann für Absatz 2 nichts Abweichendes von Absatz 1 gelten. 72 Und wo mittelbare Täterschaft ausscheidet, handelt es sich um den allgemeinen Akzessorietätsgrundsatz, dass Teilnahme das Vorliegen einer entsprechenden 72

Zur mittelbaren Täterschaft in umgekehrten Fallkonstellationen des § 28 Abs. 2 siehe die Nachw. oben in Fn. 18.

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unrechtstatbestandsmäßigen Haupttat voraussetzt und deshalb ihr tatbestandsmäßiges Unrecht nicht über das der Haupttat hinausgehen kann. In solchen Fällen findet das „strafschärfende“ besondere persönliche Merkmal im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung (während bei einem strafbegründenden Merkmal schon eine Teilnahme des Intraneus fehlt). Die weite Wortfassung des Absatzes 2 ist deshalb aus dem Gesamtzusammenhang des § 28 StGB restriktiv dahin zu interpretieren, dass es ebenso wie in Absatz 1 nur um Fälle geht, bei denen der Teilnehmer ein Extraneus ist. Will man demgegenüber – und zwar auch trotz des dann eigentlich überflüssigen Wortes „nur“ – der Vorschrift einen weitergehenden Inhalt zubilligen, würde aber auch dies in grundsätzlicher Hinsicht nichts ändern. Denn es ginge dann eben lediglich darum, dass in ihr insoweit ein Hinweis auf die Möglichkeit des Eingreifens anderer strafrechtlicher Regelungen sowie – ebenfalls selbstverständlich – auf die erforderliche Berücksichtigung des beim Teilnehmer gegebenen besonderen persönlichen Merkmals bei der – die Teilnahme an dem vom Haupttäter verwirklichten Grundtatbestand betreffenden – Strafzumessung zu sehen wäre. 73 Was speziell die strafmildernden besonderen persönlichen Merkmale betrifft, sind für solche umgekehrten Fälle – also dann, wenn das mildernde persönliche Merkmal beim Haupttäter gegeben ist, nicht aber beim Teilnehmer – die für die Teilnahme an privilegierten Tatbeständen geltenden allgemeinen Regeln zuständig. Denn wie sich bei der Erörterung der Sachprobleme gezeigt hat, orientiert sich der Schuldspruch an dem vom Täter verwirklichten tatbestandlichen Unrecht. Und was den Strafausschluss angeht, folgt schon aus der Definition der persönlichen Strafausschließungsgründe, dass sie nur für diejenigen wirken, bei denen sie vorliegen. Infolgedessen ergibt sich unabhängig von § 28 Abs. 2 StGB, dass ein persönlicher Strafausschließungsgrund des Haupttäters ohne Einfluss auf das Beteiligungsverhältnis bleibt. 74 Im übrigen wird bei den persönlichen Strafausschließungsgründen deutlich, dass bereits die Tatbestandslösung gehalten ist, bei der Auslegung des Absatzes 2 zu differenzieren, da das Eingreifen eines solchen Ausschlussgrundes das tatbestandliche Beziehungsverhältnis unberührt lässt: Tritt z. B. der Teilnehmer im Gegensatz 73 Zur Notwendigkeit und Möglichkeit jener restriktiven Auslegung des § 28 StGB siehe Stein (Fn. 7), S. 42, 48, 55. Er weist u. a. darauf hin, dass es hier um eine ausschließlich strafbarkeitseinschränkende Wirkung geht (S. 48). – Wenn man dem Absatz 2 einen über die „Rabatt“-Fälle hinausgehenden Inhalt zusprechen will, darf die aus dem qualifzierten Tatbestand zu entnehmende Rechtsfolge aber keinesfalls die Strafrahmenobergrenze des vom extranen Haupttäter verwirklichten Grundtatbestands überschreiten; denn sonst würde eine Bestrafung jenseits des Unrechts der vorliegenden Haupttat erfolgen. Abw. wohl Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 7 (zu Fehlen von strafmilderndem Merkmal bei Teilnehmer). 74 Gegen Jakobs (Fn. 7), 23/24, der seine Bedenken gegen die Möglichkeit einer Auslegungsänderung auf die Erwähnung der Strafausschließungsgründe stützt, bereits Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 8, und Stein (Fn. 7), S. 42 f.

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zum Haupttäter bezüglich der Vollendung der Haupttat strafbefreiend zurück (§ 24 Abs. 2 StGB), bleibt es tatbestandlich bei einer Teilnahme an der vom Täter versuchten Tat. Auch die Erwähnung der persönlichen Strafausschließungsgründe im Absatz 2 spricht deshalb dafür, dass die Vorschrift funktionsentsprechend auszulegen ist, sie daher das tatbestandliche Akzessorietätsverhältnis nicht zu relativieren braucht und mithin einer Strafzumessungslösung bei strafändernden besonderen persönlichen Merkmalen zugänglich ist. c) Dass in Absatz 2 im Unterschied zu Absatz 1 vom Beteiligten und nicht nur vom Teilnehmer die Rede ist, lässt sich auf der Grundlage der Strafzumessungslösung damit erklären, dass der teilnehmende Extraneus bei Delikten mit qualifizierendem besonderen persönlichen Merkmal (unechten Sonderdelikten u. dgl.) gleichzeitig Mittäter hinsichtlich des Grundtatbestands sein kann. d) Keine Hindernisse ergeben sich auch daraus, dass Absatz 2 nicht wie Absatz 1 auf den allgemeinen Milderungsschlüssel des § 49 Abs. 1 StGB verweist. Vielmehr handelt es sich um eine durch die Gesetzesgeschichte der beiden Absätze bedingte Verschiedenheit. Die in diesem Punkte mehr als 130 Jahre alte Wortfassung des Absatzes 2 enthält durch ihre Verweisung auf die Strafrahmen der Teilnahme an Grundtatbeständen lediglich eine vergröbernde Frühform der Regelung des Maßstabs der Strafzumessung. e) Einwände lassen sich ebenfalls nicht aus § 14 OWiG ableiten, da diese Vorschrift vom Einheitstäterbegriff ausgeht und sich deshalb die verbleibenden Akzessorietätsprobleme verschieben. 75 f) Die nach alledem vom Wortlaut her mögliche sachgerechte Auslegung des § 28 Abs. 2 StGB im Sinne der Strafzumessungslösung wird flankierend durch das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung des Gesetzes gestützt. Dieses gebietet die Harmonisierung der Interpretation der Vorschriften. 76 In seiner Kommentierung des § 1 StGB hat Hans-Ludwig Schreiber mit Recht betont, dass in den Grenzen des möglichen Wortsinns einer Vorschrift auch der Systemzusammenhang zu berücksichtigen ist und dass maßgeblich stets der gegenwärtige Zweck des seit der Verkündung dem historischen Gesetzgeber und seinen Motiven entwachsenen Strafgesetzes ist. 77 Hinzu kommt, dass es dem Gleichheitssatz widerspricht, 75 Siehe auch Fn. 23. Dass sich entgegen der Befürchtung von Gössel ([Fn. 8], § 53 Rdn. 130) ebenfalls aus prozessualer Sicht keine Bedenken erheben, zeigt Hake ([Fn. 2], S. 188 f.) auf, der dabei u. a. darauf hinweist, dass auch bei Absatz 1 keine strafprozessualen Probleme der Strafzumessungslösung bekannt geworden sind. 76 Dazu auch im einzelnen Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 413 ff.; Roxin, in LK (Fn. 16), § 28 Rdn. 3 ff.; Stein (Fn. 7), S. 46, 48; Hake (Fn. 2), S. 151 f., 192. Dass es weder sachliche noch gesetzestechnische Harmonie darstellt, wenn Mitsch (ZStW 110 [1998], S. 187, 202) in § 28 Abs. 1 StGB „wirklich nur eine Notlösung zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken“ sehen will, dürfte im vorhergehenden hinreichend deutlich geworden sein. 77 Schreiber, in SK, 2. Aufl. 1977, § 1 Rdn. 23.

Teilnahmeregelung bei „besonderen persönlichen Merkmalen“

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wenn man gemäß dem sachentsprechenden zwingenden Text des Absatzes 1 den teilnehmenden Extraneus bei strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen wegen Teilnahme am (echten) Sonderdelikt bestraft, dagegen infolge Zugrundelegens der Tatbestandslösung dem Extraneus, der sogar an einem einen Qualifikationstatbestand darstellenden Sonderdelikt (unechtes Sonderdelikt) teilnimmt, nur eine Teilnahme am Grunddelikt zuschreibt. 78 Darüber hinaus zeigen absonderliche Konsequenzen, wie sie sich etwa bei § 225 StGB ergeben, 79 dass die herkömmliche Auslegung des § 28 Abs. 2 StGB nicht gesetzeskonform ist. V. Auch wenn demnach de lege lata eine sachentsprechende Auslegung seines Absatzes 2 möglich ist, wird man de lege ferenda eine Verbesserung der Wortfassung des § 28 StGB für geboten ansehen. Dabei geht es neben der klaren Eingrenzung auf die zu regelnden Fälle um die Anpassung der bisher auf den Strafrahmen des Grundtatbestands verweisenden Strafzumessungsregelung des Absatzes 2 an die auf den allgemeinen Milderungsschlüssel des § 49 Abs. 1 StGB verweisende Regelung des Absatzes 1. Einen Vorschlag für die Neufassung hat schon Hake unterbreitet. 80 Er könnte noch etwas vereinfacht lauten: „Fehlen das Unrecht betreffende persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen oder erhöhen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. Das gleiche gilt, wenn beim Teilnehmer ein die Strafbarkeit des Täters milderndes besonderes persönliches Merkmal vorliegt.“

VI. Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass das Thema dieses Aufsatzes mit dem Blick auf die zu erwartende Reform der §§ 211, 212 StGB gewählt worden ist. Aus den hier angestellten Überlegungen ergibt sich, dass die Resultate, zu denen der Bundesgerichtshof bisher durch die Heranziehung des § 28 Abs. 1 StGB gelangt, im grundsätzlichen denen entsprechen, die sich bei sachgemäßer Auslegung des Absatzes 2 der Vorschrift ergeben würden. 81 Wenn der Gesetzgeber im Rahmen 78

Stein (Fn. 7), S. 41. Siehe oben Abschnitt II. 80 Hake (Fn. 2), S. 193. 81 Nämlich bei einem vom Täter begangenen Mord Bestrafung des teilnehmenden Extraneus wegen Teilnahme an § 211 StGB mit Strafmilderung (de lege lata unter Heranziehung des Strafrahmens des § 212 StGB anstatt der Milderungsregelung des § 49 Abs. 1 StGB). Bei einem vom Täter verwirklichten Totschlag Bestrafung eines teilnehmenden Intraneus 79

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einer Reform der Tötungstatbestände verdeutlichen will, dass der Totschlag den Grundtatbestand und der Mord einen qualifizierten Tatbestand bilden und somit § 28 Abs. 2 StGB einschlägig ist, hätte das daher aus guten Gründen in der Praxis keine weitreichenden Auswirkungen. 82 Völlig sachwidrig würde es demgegenüber sein, wenn man die Klarstellung des Konkurrenzverhältnisses damit begründen wollte, dass die Tatbestandslösung, wie sie herkömmlich dem Absatz 2 zugrunde gelegt wird, ermöglicht werden solle. Hans-Ludwig Schreiber hat sich in seinem wissenschaftlichen Werk wiederholt mit Fragen der Tötungsstrafbarkeit befasst. Er wird eine Reform der Tötungstatbestände daher mit bewährtem Engagement verfolgen. Zu begrüßen wäre es, wenn er dabei auch der Problematik des § 28 Abs. 2 StGB besondere Aufmerksamkeit zukommen ließe.

wegen Teilnahme an § 212 StGB (unter Berücksichtigung des besonderen persönlichen Merkmals im Rahmen der Strafzumessung), und hinsichtlich der mittelbaren Täterschaft des im Gegensatz zum unmittelbar Handelnden einer strafschärfenden Sonderpflicht unterliegenden Beteiligten siehe bereits die umfassenden gesetzlichen Täterschaftsregelungen in §§ 340 und 344 StGB. 82 Auf den Zusammenhang der nicht haltbaren bisherigen höchstrichterlichen Auffassung, § 211 und § 212 StGB seien artverschiedene Delikte, mit der herrschenden Auslegung des § 28 Abs. 2 StGB habe ich schon in der FS Tröndle, 1989, S. 19, 34 f. hingewiesen.

Systematik und Grenzen der Gefahrdelikte 2008 I. Klaus Tiedemann, dem dieser Beitrag zum 70. Geburtstag mit den besten Wünschen gewidmet ist, hat sich große Verdienste um die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts und des Umweltstrafrechts erworben. Von ihm ist auf diesen Gebieten Pionierarbeit geleistet worden. Seine bedeutenden Veröffentlichungen zu einschlägigen Fragen waren von starkem Einfluss. In diesen Rechtsgebieten spielen Gefahrdelikte, d. h. Delikte, die herkömmlich ungenau unter dem Oberbegriff „Gefährdungsdelikte“ zusammengefaßt werden, eine große Rolle. Der Verfasser hofft daher, daß die nachfolgenden Überlegungen auf das Interesse des Jubilars stoßen werden. II. Strafbestimmungen, die „Gefahrdelikte“ zum Gegenstand haben, tauchen außer im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht auch in anderen Bereichen vermehrt auf. Und das Straßenverkehrsstrafrecht ist vollends durch sie geprägt. Lackner sprach schon im Jahre 1967 davon, daß sie sich wie ein „Ölfleck“ ausgebreitet haben. 1 Blickt man heute ins deutsche StGB, springt die starke Zunahme solcher Strafbestimmungen in die Augen. Ähnliche Entwicklungen sind im Ausland zu beobachten. Nicht von ungefähr steht am Anfang (Art. 1) des zum strafrechtlichen Schutz der Vermögensinteressen der EU von Strafrechtlern aus den Mitgliedsstaaten – darunter auch der Jubilar – verfaßten sog. corpus iuris ein Gefahrtatbestand: der als solcher ausgestaltete „Subventionsbetrug“. Der Beginn der Ausbreitung ist allerdings nicht erst neueren Datums, sondern sie setzte bereits im Ersten Weltkrieg ein. In einer Vielzahl von Gesetzen außerhalb des StGB finden sich am Schluß Strafbestimmungen, die zumeist den Gefahrdelikten zuzuordnen sind. Nur zum Teil sind sie bei der Einführung der Kategorie der Ordnungswidrigkeiten aus dem Kriminalstrafrecht herausgenommen worden. Da die Strafrechtswissenschaft dem sog. Nebenstrafrecht wenig Beachtung schenk1

Vgl. Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt im Verkehrsstrafrecht, 1967, S.1.

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te, spielten die als Gefahrtatbestände eingestuften Delikte herkömmlich für sie nur eine periphere Rolle. Auch heute noch ist die Strafrechtsdogmatik auf das Verletzungsdelikt fixiert und widmet den Gefahrdelikten trotz deren Häufigkeit nicht viel Interesse. Dieses konzentriert sich zudem wissenschaftlich auf allgemeine Fragen des Gefahrbegriffs – worauf hier im wesentlichen verwiesen werden kann 2 – und die Frage der Vereinbarkeit solcher Delikte mit den Anforderungen des Kriminalstrafrechts. Die Systematik und damit verbundene Differenzierung der herkömmlich unter der Bezeichnung „Gefährdungsdelikte“ zusammengefaßten Delikte liegt demgegenüber im Argen. Zwar ist neuerdings von Eignungs-, Gefährlichkeits-, oder potentiellen Gefährdungsdelikten die Rede, 3 aber in den Kommentaren und Lehrbüchern eher am Rande, ohne eine nähere Einordnung in den Gesamtzusammenhang vorzunehmen. Das ist um so bedauerlicher, weil deshalb auch die Frage nach der Grenze des Kriminalstrafrechts auf wenig präzisierter Grundlage erörtert wird. 4 III. Indem die h.M. bis heute unbeirrt den Oberbegriff „Gefährdungsdelikte“ verwendet und diesen in das Begriffspaar „konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte“ unterteilt, arbeitet sie mit ungenauen, wesentliche Sachverschiedenheiten 2 Siehe die Nachw. bei Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 11 vor Rn. 146 und Zieschang, GA 2006, 1. Nach st. Rspr. ist eine Gefahr ein ungewöhnlicher, regelwidriger Zustand, bei dem für ein sachkundiges Urteil nach den obwaltenden Umständen der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich gelten kann, die Möglichkeit eines solchen naheliegt; vgl. RGSt. 30, 178, 179; BGHSt. 8, 28, 32 f.; 18, 271, 272 f. 3 Vgl. zu diesen Hoyer, Die Eignungsdelikte, 1987; Hirsch, FS Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 557 ff.; ders., FS Buchała, Kraków 1994, S. 151 (= Hirsch, Strafrechtliche Probleme, 1999, S. 623 ff.); Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998. 4 Zur Darstellung und Erörterung in Neuauflagen von Kommentaren und Lehrbüchern siehe etwa: Baumann / Weber / Mitsch, AT, 11. Aufl. 2003, § 8 Rn. 43; Jescheck / Weigend, AT, 5. Aufl. 1996, S. 264; Lackner / Kühl, 26. Aufl. 2007, Vor § 13 Rn. 32; Roxin (Fn. 2), § 11 Rn. 153 mit Fn. 338 u. Rn. 162 f.; Sch / Sch-Lenckner / Eisele, 27. Aufl. 2006, Vor §§ 13 ff. Rn. 129; Tröndle / Fischer, 54. Aufl. 2007, Vor § 13 Rn. 13a; Wessels / Beulke, AT, 36. Aufl. 2006, Rn. 27 ff. Auch Sch / Sch-Heine, 27. Aufl. 2006, Vor. §§ 306 ff. Rn. 3 ff. schenkt in seinem umfangreichen Ausführungen zum „abstrakten Gefährdungsdelikt“ der dogmatischen Analyse dieser Delikte nur wenig Beachtung. Die Notwendigkeit der Klärung der systematischen Grundlagen wird freilich anders gesehen von Zaczyk, ZStW 113 (2001), 192. Er rügt in seiner Rezension der Monographie von Zieschang (Fn. 3) ernsthaft, daß der Autor zunächst einmal die Strukturen der vorkommenden verschiedenen Gefahrsachverhalte herausarbeitet und ihrem Vorhandensein in der Strafgesetzgebung nachgeht, erst dann in einem anschließenden Kapitel die Frage der Vereinbarkeit der betreffenden Straftatbestände mit den Grunderfordernissen des Kriminalstrafrechts näher erörtert (S. 192). Offenbar ist eine solche exakte wissenschaftliche Vorgehensweise, die vor der Bewertung Klarheit über deren Gegenstand schafft und nichts mit Positivismus zu tun hat, nicht mehr gesicherter fachlicher Standard.

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verdeckenden Begriffen und erschwert sich dadurch die Lösung der anstehenden Fragen. 1. Über lange Zeit hat man gemeint, dass es um Folgendes gehe: Während bei „abstrakten Gefährdungsdelikten“ vom Gesetzgeber selbst bestimmte Verhaltensformen verboten würden, die nach allgemeiner Erfahrung gefährdend seien, handele es sich bei den „konkreten Gefährdungsdelikten“ darum, daß das Bewirken der Gefahr Tatbestandsmerkmal sei und im Einzelfall vom Richter festgestellt werden müsse. 5 Diese an der Aufgabenverteilung von Gesetzgeber und Richter orientierte Sicht ist hinsichtlich der konkreten Gefährdung im Anschluß an Ausführungen von Welzel und Gallas durch die Erkenntnis überwunden worden, daß es dabei um den Eintritt einer konkreten Gefahrlage für ein bestimmtes Objekt geht und dementsprechend das konkrete Gefährdungsdelikt in der Verwirklichung einer solchen Situation besteht. 6 Es kommt darauf an, daß ein konkretes Objekt in eine Situation gebracht worden ist, bei der die Möglichkeit seiner Verletzung naheliegt. Das betreffende Gut muß also in den Wirkungsbereich einer Gefahr geraten sein, beispielsweise das Leben einer bestimmten Person konkret bedroht sein. Ein Beispiel, in dem das Gesetz hierauf abstellt, sind die §§ 315 ff. StGB, in denen verlangt wird, daß der Täter durch eine verkehrswidrige Handlung Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Man weist darauf hin, daß der Eintritt der Gefahrlage ebenso wie die Verletzung beim Verletzungsdelikt einen Erfolg darstellt, so daß es sich beim konkreten Gefährdungsdelikt um ein Erfolgsdelikt handelt. Es geht auch nicht anders als bei diesem um kausale Erfolgsverursachung. Zwar ist Gefahr ein Prognoseurteil, aber dieses bezieht sich auf eine tatsächliche Situation, und die ist verursacht. Jeder, der einmal in eine Gefahrlage geriet, ist sich deren Realität bewußt. 7 Das in Gefahr geratene Objekt muß ein Rechtsgutsobjekt sein. Die Gefährdung eines Handlungsobjekts genügt nicht. 8 Denn das konkrete Gefährdungsdelikt bezieht sich auf dasselbe Schutzgut wie das Verletzungsdelikt, d. h. auf ein bestimmtes Rechtsgutsobjekt.

5

So noch Horst Schröder, ZStW 81 (1969), 7, 10, 14. Welzel, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961, S. 22 f.; ders., Strafrecht, 11. Auflage 1969, S. 47 u. 137; Gallas, FS Heinitz, 1972, S. 171, 173 ff. Heute: Jakobs, AT, 2. Aufl. 1991, 6. Abschn. Rn. 78 f. u. 86; Jescheck / Weigend (Fn. 4), S. 264; Lackner / Kühl (Fn. 4), Vor § 13 Rn. 32; Roxin (Fn. 2), § 11 Rn. 147 ff.; Sch / Sch-Lenckner / Eisele (Fn. 4), Vor § 13 Rn. 129; Sch / Sch-Heine (Fn. 4), Vor §§ 306 ff. Rn. 3; SK-Wolters / Horn, 65. Lfg. 2006, Vor § 306 Rn. 4; Tröndle / Fischer (Fn. 4), Vor § 13 Rn. 13a; etwas unscharf Wessels / Beulke (Fn. 4), Rn. 28. 7 Die zum Vorhergehenden geäußerten Zweifel von Zaczyk (Fn. 4), S. 194 entsprechen daher kaum der Wirklichkeit. 8 Das betonen mit Recht Stratenwerth / Kuhlen, AT, 5. Aufl. 2004, § 8 Rn. 14. 6

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Indem das konkrete Gefährdungsdelikt gekennzeichnet ist durch das Erfordernis eines Gefahrerfolgs in Form einer konkreten Gefahr, in die ein Rechtsgutsobjekt gebracht wird, reicht also das bloße riskante Tun für diese nicht aus, solange nicht dadurch ein bestimmtes Gut auch tatsächlich in eine Gefahrlage gerät. Damit wird zugleich deutlich, daß die Gefahrlage aus dem Blickwinkel des bedrohten Objekts zu bestimmen ist und nicht vom Standort des Handelnden. Sie liegt demnach dann vor, wenn nach einem objektiven, sachkundigen Urteil zu dem Zeitpunkt, als das Objekt in den Wirkungsbereich des betreffenden Kausalgeschehens gelangt, die Möglichkeit einer Schädigung dieses bestimmten Objekts als naheliegend einzuschätzen ist. Nicht ausschlaggebend ist dagegen die Risikoeinschätzung, die sich bereits aus der Handlungsperspektive des Täters ergibt. Auch geht es bei der Gefährdung nicht anders als bei der Verletzung immer um etwas Konkretes. Eine abstrakte Gefahrlage und dementsprechend eine abstrakte Gefährdung interessiert ebensowenig wie eine abstrakte Verletzung, etwa eine abstrakte Tötung. Mit den herkömmlich als abstrakte Gefährdungsdelikte bezeichneten Fällen sind derartige Sachverhalte auch nicht gemeint. 2. Die bisherige Bezeichnung „abstrakte Gefährdungsdelikte“ hat die große Fallgruppe im Auge, bei der ein Gut nicht in Gefahr gebracht zu sein braucht, sondern eine Handlung das Risiko enthält oder bewirkt, daß möglicherweise irgendein Gut der bezeichneten Art in eine Gefahrensituation geraten könnte. Ein Beispiel ist das Schneiden einer unübersichtlichen Kurve durch einen Autofahrer. Hier geht es schon um das mit einer solchen Handlung verbundene Risiko. Auch wenn, weil glücklicherweise kein Fahrzeug entgegenkommt, also niemand in eine Gefahrlage gerät, ist das Risiko, d. h. die Gefährlichkeit, der Handlung gegeben. Diese Handlungsgefahr beurteilt sich vom Standort des Handelnden her. Denkbar ist auch eine Handlung, die einen statischen gefährlichen Zustand herbeiführt (etwa eine gefährliche Luftverschmutzung). 9 Die grundlegende Differenzierung ist also nicht die zwischen konkreter und abstrakter Gefährdung – etwas Transitivem –, sondern zwischen Gefährdung eines bestimmten Gutes und (bloßer) Gefährlichkeit einer Handlung (die auch in dem Hervorrufen eines Risikozustandes bestehen kann). Dementsprechend ist bei den Gefahrdelikten sachlich zwischen Gefährdungs- und Gefährlichkeitsdelikten zu unterscheiden. Jene sind Erfolgsdelikte, diese bloße Handlungsdelikte (die ggf. mit dem Hervorrufen eines anhaltenden Risikozustands verknüpft sein können). Hinsichtlich des Maßstabs für die Gefährlichkeit der Handlung hat zu gelten: Auch hier geht es darum, daß aus der ex ante-Sicht einer gedachten sachkundigen Maßstabperson die Möglichkeit einer Schädigung naheliegt, aber eben eine Möglichkeit, die von der betreffenden Handlung ausgeht und bei der offen ist, ob 9 Vgl. etwa § 325 StGB. Näher zu diesen Fällen noch im folgenden unter III. 5. – Was die Unterscheidung von Gefahr für ein bestimmtes Rechtsgut und bloßer Gefährlichkeit einer Handlung betrifft, wird sie mißverstanden von Koriath, GA 2001, 51, 60.

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tatsächlich jemand in eine Gefahrlage gerät. Ebenso wie im Falle der Fahrlässigkeit ist bei der gedachten sachkundigen Maßstabperson der jeweilige Verkehrskreis (Autofahrer, Betriebsleiter eines bestimmten Industriezweigs, Facharzt etc.) zu berücksichtigen. Soweit ein hervorgerufener, anhaltender gefährlicher Zustand in Rede steht, ist dieser von dem Standort zu entscheiden, an dem es um sein Vorliegen geht. Was die weitere Differenzierung zwischen abstrakt und konkret betrifft, kann im Unterschied zum oben behandelten Gefährdungsdelikt, das immer ein konkretes ist, das Gefährlichkeitsdelikt der Sache nach ein konkretes oder abstraktes sein. Wenn der Gesetzgeber bisher der Ausgestaltung als abstraktes Delikt den Vorzug gibt, so läßt das unberührt, daß das Delikt auch als konkretes möglich ist. So verhält es sich sogar in der Mehrzahl der vorkommenden Fälle. Nimmt man das vorgenannte Beispiel des Kurveschneidens, so wird im Regelfall ein konkretes Risiko (aus der ex ante-Sicht des Beginns des Kurveschneidens) zu bejahen sein. Bei näherem Hinsehen sind Fälle, in denen nur ein abstraktes Risiko gegeben ist und folglich nur ein Verstoß gegen den Normbefehl vorliegt, in der Minderzahl. Ein Beispiel wäre die Mißachtung einer roten Ampel an einer Stelle, an der am frühen Morgen weit und breit kein anderer Verkehrsteilnehmer zu sehen ist. Daß der Gesetzgeber dieser Abstufung bei den bisher als „abstrakte Gefährdungsdelikte“ etikettierten Tatbeständen keine Relevanz beimißt, mag praktische Gründe haben. Es bedeutet jedoch nicht, dass die Verschiedenheit nicht besteht. Abstrakt kann nur vertypt werden, was auch konkret möglich ist. Umgekehrt läßt sich nicht behaupten, daß es rein abstrakte Gefährlichkeitsdelikte gar nicht gebe oder jedenfalls eine Unterscheidung zwischen konkreten und abstrakten Gefährlichkeitsdelikten sachlich ohne Relevanz sei. 10 Daß in einer Straf- oder Ordnungswidrigkeitsvorschrift eine typischerweise gefährliche Handlung beschrieben ist, geht zwar von der in solchen Fällen häufig bestehenden tatsächlichen Möglichkeit eines Risikos aus, heißt angesichts der Starrheit jeder abstrakten Handlungsvertypung aber nicht, es liege immer eine konkrete Möglichkeit vor. Auch kann keine Rede davon sein, daß der Unterschied jedenfalls unerheblich wäre. Es ist evident, daß es einen Unterschied bedeutet, ob jemand eine hic et nunc riskante Handlung vornimmt oder ob seine Handlung die abstrakten Merkmale zwar erfüllt (z. B. falsch Überholen, Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeitsgrenze), aber unter den gegebenen tatsächlichen Umständen kein Risiko birgt. Der bei der Bewertung zu registrierende Unterschied besteht darin, daß im ersten Fall wegen des für Rechtsgüter anderer bestehenden konkreten Risikos ein materielles Unrecht gegeben ist, im zweiten Fall dagegen nur ein formeller Normungehorsam vorliegt. 10 So aber wohl Zaczyk (Fn. 4), S. 194. Unerheblichkeit der Unterscheidung nimmt auch Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 290 ff. von seinem überwiegend abgelehnten „Sicherheits“-Modell aus an (zu diesem noch unten V.).

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Diese Verschiedenheit ist dogmatisch unter mehreren Aspekten von Bedeutung. Zum einen kann es schon de lege lata Strafbestimmungen geben, die genau besehen konkrete Gefährlichkeit verlangen. Zweitens könnte für die Frage der Vereinbarkeit des zur Erörterung stehenden Deliktsbereichs mit dem Kriminalstrafrecht der einschränkende Gesichtspunkt der konkreten Gefährlichkeit von Wichtigkeit sein. Drittens ist zu beachten, daß die konkrete Gefährlichkeit auch an mehreren anderen Stellen der Dogmatik des Allgemeinen Teils Bedeutung erlangt, worauf noch zurückzukommen ist. Auf die Existenz von Delikten, für deren Verwirklichung nicht bereits die abstrakte Gefährlichkeit genügt, aber eine konkrete Gefährdung eines Guts nicht schon vorzuliegen braucht, ist auch von Hoyer hingewiesen worden. 11 Anknüpfend an einzelne Gesetzesvorschriften, in denen der Begriff „geeignet“ verwendet wird, spricht er von „Eignungsdelikten“. Das geht in eine ähnliche Richtung, wie ich sie von den Gefahrphänomenen her in der Arthur Kaufmann-Festschrift entwickelt habe. 12 Er will jedoch hinsichtlich des Vorliegens der Eignung weniger auf die Sicht ex ante einer am Standort des Handelnden gedachten objektiven Maßstabperson, wie es beim Begriff der Gefährlichkeit der Fall ist, abstellen, sondern mehr auf objektive „Eigenschaften“ der betreffenden Handlung zurückgreifen. 13 Auch sieht er die vorliegende grundsätzliche dogmatische Frage zu sehr unter gesetzespositivistischem Aspekt. Zieschang hat bereits im einzelnen aufgezeigt, daß das Wort „geeignet“ im Gesetz in unterschiedlicher sachlicher Bedeutung verwandt wird. 14 Was nun noch die terminologische Seite angeht, wird von Autoren, die an sich der Ansicht beipflichten, daß das bisherige Begriffspaar „konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte“ nicht stimmig ist, gleichwohl an ihm festgehalten, weil es dem Herkommen entspreche. 15 Ein Festhalten an der Tradition trägt hier jedoch zur Begriffsverwirrung und Fehldeutung bei. Die Gefährlichkeitsdelikte erfordern 11

Hoyer (Fn. 3), S. 197 ff., 201; ders., JA 1990, 183, 188. Hirsch (Fn. 3), S 557 ff. 13 Vgl. Hoyer (Fn. 3), S. 107 f., 201; ders., JA 1990, 183, 188. 14 Zieschang (Fn. 3), S. 164 ff., 175 f. Auf die unterschiedliche Bedeutung im Gesetz, die teilweise auch konkrete Gefährdungsdelikte umfaßt, weisen ebenfalls Roxin (Fn. 2), § 11 Rn. 163 und SK-Wolters / Horn (Fn. 6), Vor § 306 Rn. 18 hin. 15 Sch / Sch-Lenckner / Eisele (Fn. 4), Vor §§ 13 ff. Rn. 129; Lackner / Kühl (Fn. 4), Vor § 13 Rn. 32; MüK-Radtke, 2006, Vor § 306 ff. Rn. 4 f.; siehe auch Jescheck / Weigend (Fn. 4), S. 264 mit Fn. 42. Bei einigen Autoren scheint auch eine Rolle zu spielen, daß sie davon ausgehen, bei den herkömmlich als „abstrakte Gefährdungsdelikte“ bezeichneten Tatbeständen handele es sich um Fälle einer gesetzlich vermuteten Gefährdung des Schutzobjekts; siehe etwa Baumann / Weber / Mitsch (Fn. 4), § 8 Rn. 43 und Wessels / Beulke (Fn. 4), Rn. 29. Aber abgesehen von den allgemeinen Bedenken, die sich gegenüber zu Lasten des Täters gehenden Präsumtionen im Strafrecht erheben, geht es bei den einschlägigen Delikten nach Gesetzeswortlaut und dogmatischer Struktur nicht um die Vermutung der Gefährdung eines konkreten Guts, 12

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nun einmal keine Gefährdung. Wenn man – aus welchen Gründen auch immer – der Bezeichnung „Gefährlichkeitsdelikte“ ablehnend gegenübersteht, könnte man auf den ersten Blick auch an die Bezeichnung „Eignungsdelikte“ denken. Es war jedoch bereits darauf hinzuweisen, daß dieser Begriff schon in abweichender Bedeutung verwandt wird. Vor allem aber ist zu bedenken, daß es vorliegend um Delikte geht, die mit „Gefahr“ zu tun haben, so daß dies auch in der Bezeichnung zum Ausdruck kommen sollte. Außerdem kann sich jedermann ohne weiteres unter einer gefährlichen Handlung etwas vorstellen, nicht aber unter einer geeigneten Handlung, weil das Adjektiv „geeignet“ im Unterschied zu „gefährlich“ nicht schon für sich allein einen hinreichenden Inhalt hat. „Risikodelikte“ würde schon eher passen. Aber auch diese Bezeichnung ist bereits anderweitig verbraucht. Sie würde sich zudem nicht deutlich genug von den Fahrlässigkeitsdelikten abheben. 16 Hinzu kommt, daß der Begriff „gefährlich“ an anderen Stellen der Dogmatik ebenfalls zur Unterscheidung vom Vorliegen einer Gefahrlage für ein Gut und der schlichten Gefahr, die von einem Handeln ausgeht, auftaucht, namentlich bei der Gefährlichkeitstheorie zum Versuch und bei der Lehre von der objektiven Zurechnung. 17 Es bietet sich daher an, ihn auch für die Deliktsgruppe, die durch ihn geprägt wird, als Unterscheidungskriterium zu verwenden. Zu Begriffsverwirrung führt es außerdem, „Gefährdungsdelikte“ als Oberbegriff beizubehalten; denn die Untergruppe „Gefährlichkeitsdelikte“ erfordert ja keine Gefährdung. Vorschriften, bei denen das Gesetz die Gefährdung eines Gutes erlangt, sind auch nicht etwa dominierend, sondern die Gefährlichkeitstatbestände stehen bei weitem im Vordergrund. Als beide Begriffe umfassender Oberbegriff kommt „Gefahrdelikte“ in Betracht. Ein solcher Oberbegriff ist nicht nur genauer, sondern auch ehrlicher, weil er den Eindruck vermeidet, es gehe durchweg um Fälle, in denen schon etwas gefährdet worden ist. 3. In systematischer Hinsicht läßt sich nach alledem feststellen: Es ist sachlich zwischen Gefährdung eines Gutes und Gefährlichkeit einer Handlung (diese ggf. verknüpft mit einem durch sie verursachten gefährlichen Zustand) zu untersondern um riskantes Handeln. Näher dazu Graul Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 355 ff. 16 Zur anderweitigen Verwendung der Bezeichnung siehe die Nachw. bei Zieschang (Fn. 3), S. 385. In früheren Stellungnahmen hatte ich die Bezeichnungen „Risikodelikte“ und „Gefährlichkeitsdelikte“ noch gleichbedeutend benutzt, was jedoch zu Unklarheiten führt. Hinsichtlich der Unterschiede von Gefährlichkeit und Fahrlässigkeit siehe im einzelnen Zieschang (Fn. 3), S. 62 ff. und Hirsch (Fn. 3), FS Buchała, S. 161. 17 Zur Gefährlichkeitstheorie beim Versuch vgl. Hirsch, FS Roxin, 2001, S. 711, 719 ff.; ders., JZ 2007, 494, 500 f. Auch für die Lehre von der objektiven Zurechnung – der ich allerdings beim Vorsatzdelikt kritisch gegenüberstehe – spielt die Unterscheidung von Gefahr und Gefährlichkeit eine Rolle. Ihre Anhänger sprechen von der Verwirklichung einer vom Täter geschaffenen, nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckten Gefahr, innerhalb der Reichweite des Tatbestands. Mit Gefahr ist dabei genauer betrachtet die Gefährlichkeit des Verhaltens gemeint.

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scheiden. Dementsprechend ist das bisherige Begriffspaar „konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte“ durch zwei Begriffspaare zu ersetzen: „Gefährdungsdelikte und Gefährlichkeitsdelikte“ und „konkrete und abstrakte Gefährlichkeitsdelikte“. 4. Diese Klarstellung ermöglicht auch, daß sich eine Gruppe von Strafbestimmungen, deren systematische Einordnung Probleme bereitet, sachentsprechend einordnen läßt. Als Beispiel einer solchen Kombination wurde etwa § 308 Abs. 1, 1. Alt. a.F. StGB (einfache Brandstiftung) genannt. In der Strafbestimmung war das Inbrandsetzen bestimmter Objekte abstrakt vertypt, dagegen die Feststellung, ob diese Objekte ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind, das Feuer auf andere geschützte Objekte übergreifen zu lassen, dem Richter für den jeweiligen Fall übertragen. Man meinte, es handele sich um eine Mischform zwischen abstraktem Gefährlichkeitsdelikt und konkretem Gefährdungsdelikt. Während es bei dem vertypten Teil um abstrakte Gefährlichkeit gehe, sei hinsichtlich der vom Richter zu treffenden Feststellung der Eignung ein konkretes Gefährdungsdelikt anzunehmen. 18 Diese Sichtweise knüpfte noch an die eingangs erwähnte frühere Auffassung an, daß man es bei der konkreten Gefährdung mit der Bewertung durch den Richter im Unterschied zu der beim abstrakten Gefährlichkeitsdelikt durch den Gesetzgeber erfolgten Vertypung zu tun habe. Inzwischen hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, daß es hier nicht um konkrete Gefährdung gehen kann, weil diese erfordert, daß das jeweils betroffene Gut in eine wirkliche Gefahrlage geraten ist. Im Anschluß an Gallas 19 heißt es heute: Wenn kein (konkreter) Gefahrerfolg zur Verwirklichung des Tatbestands erforderlich ist, ändere auch die Verlagerung der Aufgabe auf den Richter, die Gefährlichkeit festzustellen, nicht den typisierten Charakter einer Gefährlichkeitsnorm. Vielmehr seien derartige Strafbestimmungen so zu deuten, daß die richterliche Tätigkeit in einer Fortsetzung der Generalisierung anhand der gesetzlichen Grundlage bestehe. Deshalb schlägt die heutige h.L. solche nur äußerlichen Mischformen den „abstrakten Gefährdungsdelikten“ herkömmlicher Terminologie, also den abstrakten Gefährlichkeitsdelikten zu. 20 Diese Auffassung verwirft zwar mit Recht die Ansicht, daß es um die Vermischung mit einer konkreten Gefährdung gehe. Sie leidet aber darunter, daß sie noch mit einem dogmatischen Repertoire arbeitet, das nur die Alternative zwischen abstraktem Gefährlichkeitsdelikt und konkretem Gefährdungsdelikt kennt. Daß es um die konkrete Gefährlichkeit gehen könnte, ist nicht in den Blick gekommen. 18 Vgl. Horst Schröder, JZ 1967, 522 ff.; ders., ZStW 81 (1969), 7, 18 ff.; Maurach / Zipf, AT I, 8. Aufl. 1992, § 20 Rn. 32; Jakobs (Fn. 6), 6. Abschn. Rn. 87; Schünemann, JA 1975, 787, 793, 798. 19 Gallas, FS Heinitz, S. 183 f. 20 Sch / Sch-Heine (Fn. 4), Vor §§ 306 ff. Rn. 3; Jescheck / Weigend (Fn. 4), S. 268, SKWolters / Horn (Fn. 6), Vor § 306 Rn. 18; Roxin (Fn. 4), § 11 Rn. 162.

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Sobald man jedoch beachtet, daß zwischen den echten Gefährdungs- und den abstrakten Gefährlichkeitsdelikten eine Kategorie der konkreten Gefährlichkeit existiert, besteht die Möglichkeit, daß sich bei näherer Prüfung der ratio legis einzelner Vorschriften die Einstufung als konkretes Gefährlichkeitsdelikt ergibt. 5. Auch hat Zieschang 21 den Blick auf eine weitere Tatbestandsgruppe gelenkt, nämlich Strafbestimmungen, die ein konkret gefährliches Verhalten voraussetzen, aus dem ein konkret gefährlicher Zustand als spezifischer Erfolg resultieren muß. Er spricht von „potentiellem Gefährdungsdelikt“, da die in Frage stehenden Rechtsgutsobjekte potentiell einer konkreten Gefahr oder Verletzung ausgesetzt sind. Als Beispiel nennt er u. a. den Tatbestand der Luftverunreinigung (§ 325 Abs. 1 StGB), wo es es heißt: „Wer beim Betrieb einer Anlage, insbesondere einer Betriebsstätte oder Maschine, unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten Veränderungen der Luft verursacht, die geeignet sind, außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereichs die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen, wird ...“ In der Tat heben sich solche Tatbestände von den gewöhnlichen Gefährlichkeitsdelikten ab, bei denen nur von einer bestimmten gefährlichen Handlung die Rede ist. Auch handelt es sich nicht etwa um konkrete Gefährdungsdelikte, da kein Rechtsgutsobjekt in Gefahr geraten zu sein braucht. Zieschang will sie deshalb als selbständige Deliktsgruppe neben die Gefährlichkeitsdelikte und die (konkreten) Gefährdungsdelikte stellen. Es erheben sich jedoch Zweifel, ob es sich wirklich um eine selbständige Deliktsgruppe handelt oder ob wir es nicht vielmehr nur mit einem Unterfall der Gefährlichkeitsdelikte zu tun haben. Denn auch wenn ein gefährlicher Zustand, z. B. eine gefährliche Luftverunreinigung, entstanden sein muß, geht es bei dem Delikt doch um die Herbeiführung eines solchen Zustands und damit insgesamt um eine gefährliche Handlung. Vergleicht man etwa ein klassisches Gefährlichkeitsdelikt wie z. B. die Trunkenheit im Verkehr, so zeigt sich, daß ebenfalls hier die Gefahr von dem Bewirken eines gefährlichen Zustands ausgeht. Bei dem einen besteht er darin, daß dadurch, daß das Fahrzeug von einem fahruntüchtigen Fahrer geführt wird, ein vom Fahrzeug ausgehender gefährlicher Zustand entsteht. Im anderen Fall wird er dadurch hervorgerufen, daß man verunreinigende Abgase durch einen Schornstein oder ein Rohr entweichen läßt. Noch besonders deutlich wird die Parallelität, wenn man sich in dem Fall der Trunkenheit im Verkehr vorstellt, daß der gefährliche Zustand nicht dynamisch durch fortlaufendes Betätigen des Gaspedals geschaffen und aufrechterhalten wird, sondern sich aufgrund einer Schaltereinstellung statisch erhält, wie das bei einem Elektromotor (z. B. bei einer Straßenbahn) der Fall ist. Letztlich geht es daher wohl nur um eine Formulierungsfrage. Der Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr könnte auch in der Weise gefaßt sein, daß er lautet: „Wer nach dem Genuß alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel ein Kraftfahrzeug führt 21

Zieschang (Fn. 3), S. 64 ff., 158 ff., 162 ff., 203 f.

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und dadurch einen Zustand bewirkt, der geeignet ist, die Sicherheit von Leben, Gesundheit oder Eigentum zu beeinträchtigen ...“ Und setzt man an die Stelle von „fahruntüchtig“ einen Promille-Wert und an die Stelle geeigneter Luftverschmutzung bestimmte chemische Grenzwerte, so springt noch zusätzlich in die Augen, daß es in beiden Fällen um Gefährlichkeitsdelikte geht. Man wird daher bei den vom Zieschang als „potentielle Gefährdungsdelikte“ verselbständigten Delikten sachlich doch nur einen Unterfall der Gefährlichkeitsdelikte anzunehmen haben, bei dem die Gesetzesformulierung auf das Herbeiführen eines bestimmten Zustandes abhebt. 22 Wenig glücklich erscheint im übrigen die Bezeichnung „potentielle Gefährdungsdelikte“ für solche Tatbestände. Von einer potentiellen Gefährdung läßt sich bei jeder konkret gefährlichen Handlung sprechen, und es wird durch eine solche Terminologie der fälschliche Eindruck erweckt, es gehe um eine Zwischenform zwischen Gefährlichkeitsdelikten und echten Gefährdungsdelikten. Um der terminologischen Klarheit willen empfiehlt sich für alles, bei dem es der Sache nach um bloße Gefährlichkeit geht, die Verwendung dieses Begriffes, damit der Unterschied zum wirklichen Gefährdungsdelikt deutlich wird. Die entscheidende Verschiedenheit ist die zwischen Gefährdung eines bestimmten Gutes und noch bloßer Gefährlichkeit. Am treffendsten wäre deshalb die Bezeichnung „zustandsgebundene Gefährlichkeitsdelikte“. IV. 1. Die Analyse dessen, was sich hinter den herkömmlich als „abstrakte Gefährdungsdelikte“ bezeichneten Delikten verbirgt, ermöglicht es, der Frage der Vereinbarkeit mit dem Kriminalstrafrecht von einem festeren Boden aus nachzugehen, als das bisher der Fall ist. Die schon erwähnte Meinung von Zaczyk 23, daß es für sie auf eine solche Analyse letztlich nicht ankomme, läßt die wissenschaftliche Notwendigkeit außer acht, daß man sich vor wertenden Schlußfolgerungen zunächst einmal den Gegenstand der Bewertung genauer anzusehen hat. Betrachtet man die konkreten Gefährlichkeitsdelikte, so stellt man fest, daß sie nicht lediglich einen formellen, sondern einen materiellen Unrechtsgehalt 22 Kritisch auch Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, S. 163 f. Soweit dieser jedoch kritisiert, daß Zieschang „nur kriminalpolitisch“ und nicht verfassungsrechtlich argumentiere, geht das allerdings ins Leere. Abgesehen davon, daß das GG für die Lösung keine zwingende Antwort bereithält, handelt es sich um eine primär unter strafrechtlichen Aspekten zu klärende Frage. Sie wäre von der Strafrechtswissenschaft nicht anders zu beurteilen, wenn die Verfassung keinen Grundrechtsteil enthielte oder es gar keine geschriebene Verfassung gäbe. Die Antwort muß notwendig vom Strafrecht her gesucht werden. 23 Zaczyk (Fn. 4), S. 192 ff.

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haben. Denn damit, daß das konkrete Risiko der Verletzung von Gütern anderer geschaffen wird, liegt deutlich auch materiell Unrecht vor. Bei der Kritik an der Vereinbarkeit der herkömmlich undifferenziert als „abstrakte Gefährdungsdelikte“ bezeichneten Deliktsgruppe mit dem Kriminalstrafrecht schwingt offensichtlich deren durch das Etikett „abstrakt“ geprägtes Image mit. Man muß jedoch die von den Tatbeständen umfaßten – und praktisch sogar dominierenden – Fälle konkret gefährlicher Handlungen ebenfalls in den Blick nehmen, um zu sachentsprechenden Folgerungen zu gelangen. Erst wenn man die Fälle konkreter Gefährlichkeit beiseite läßt, geht es um die rein abstrakte Gefährlichkeit und damit im Regelfall um bloßen Normungehorsam. Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist es angezeigt, tatbestandlich schon die abstrakte Gefährlichkeit bestimmter Verhaltensweisen genügen zu lassen. Denn es handelt sich dort um die Untersagung und Sanktionierung von generell zu unterbleibenden Verhaltensweisen, die lediglich das ordnungsgemäße Funktionieren des Soziallebens stören. Die Zuwiderhandlung bewirkt noch keinen Makel, und die Erledigung durch eine Verwaltungsbehörde in einem summarischen Verfahren ist angemessen. Andere Maßstäbe gelten jedoch für das Kriminalstrafrecht. 2. Der Gedanke, daß sich das Kriminalstrafrecht prinzipiell auf Verletzungsdelikte oder jedenfalls Erfolgsdelikte zu beschränken habe, klingt angesichts des ungebrochenen Pönalisierungsdrangs der Gesetzgeber bestechend. Aber sie ist in solcher Grundsätzlichkeit unhaltbar. Schon immer hat es Gefährlichkeitsdelikte im Kriminalstrafrecht gegeben. Klassische Beispiele sind etwa die Schwere Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB), die Aussagedelikte (§ 153 ff. StGB) und die Gemeingefährliche Vergiftung (§ 314 StGB). Eigentlich niemand wird die Berechtigung der Pönalisierung solcher Fälle in Abrede stellen. So heißt es auch bei Hassemer, einem Vertreter der die restriktivste Linie des Kriminalstrafrechts vertretenden „Frankfurter Schule“, 24 daß die Einbeziehung von „abstrakten Gefährdungsdelikten“, sprich Gefährlichkeitsdelikten, ins Strafrecht zwar im klassischen Bereich, namentlich bei den Brandstiftungsdelikten, strafrechtlich legitim sei, nicht aber in den neuen Bereichen. Es geht dieser Richtung also mehr um die Verhinderung einer Akzentverlagerung des Strafrechts auf Vorfeldhandlungen als um die Behauptung einer Unvereinbarkeit schlechthin. Jedoch kann dies nicht ein Einfrieren auf den historischen Bestand bedeuten. Angesichts des Faktums, daß das Sozialleben ständig in Bewegung und damit Veränderungen unterworfen ist, müssen auch bei Wahrung der Grundstruktur des Strafrechts einzelne Veränderungen der Inhalte möglich sein. 25 24 Hassemer, ZRP 1992, 378, 383. Weiterhin sind zu nennen: Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 109 ff. und Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 362 ff. Dagegen Kuhlen, GA 1994, 347, 362 ff. Zur „Frankfurter Schule“ näher Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, 2000, S. 51 ff.

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Von einigen Autoren wird umgekehrt die expandierende Entwicklung positiv gesehen. So meint Schünemann, daß multiple Kausalzusammenhänge und deren prinzipielle Undurchschaubarkeit kennzeichnend für die moderne Gesellschaft seien. 26 Dabei ergebe sich der Wandel vom klassischen Erfolgsdelikt zum modernen abstrakten Gefährlichkeitsdelikt geradezu aus der Natur der Sache. Wer sich gegen diese Entwicklung wende, verweigere eine Modernisierung des Strafrechts. Er verfehle durch die Ignorierung der Handlungsbedingungen der modernen Gesellschaft die Rechtsschutzaufgabe des Strafrechts. 27 Auch Kratzsch deutet die Entwicklung positiv. 28 Er argumentiert, daß aufgrund der für den einzelnen nicht mehr durchschaubaren Zufallsbedingtheit der Geschehensabläufe der Gesetzgeber an dessen Stelle bereits im Vorfeld die Aufgabe der Gefahrenabwehr übernehme, die der einzelne nicht mehr zu leisten vermöge. Zur Gewährleistung eines optimalen Rechtsgüterschutzes und zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken sei es zu befürworten, wenn der Gesetzgeber Vorschriften als „Großregler“ einsetze und somit die Aufgabe der Gefahrenabwehr selbst erledige. Indem der Gesetzgeber die wesentlichen und anspruchsvollen Aufgaben der Gefahrenabwehr durchführe, brauche der einzelne nur noch dessen Handlungsanweisungen zu gehorchen. Grundsätzlich spricht gegen diese Richtung, daß auf solche Weise das Kriminalstrafrecht einen polizeirechtlichen Charakter erlangt. Die verbreitete Annahme, das Strafrecht lasse sich von der Generalprävention her hinreichend erklären, hat dem stark Vorschub geleistet. Die Folge ist eine inflationäre Ausweitung des Kriminalstrafrechts und ein daraus sich ergebender, allenthalben zu beobachtender Abbau seiner Eindruckskraft im Vergehensbereich. Der Gedanke, daß die Gewichtsverlagerung auf Gefährlichkeitsdelikte wegen sich sonst ergebender Beweisschwierigkeiten notwendig sei, ergibt keine Legitimation. Ganz abgesehen davon, daß vorgebrachte Schwierigkeiten und deren Gründe häufig nicht genauer belegt werden, berechtigen prozessuale Vereinfachungen nicht zur Begründung der Vorverlagerung von Strafbarkeit. 29 Es handelt sich im materiellen Kriminalstrafrecht um die Bewertung von Täterverhalten und nicht um die verfahrensöko25 Dazu Hirsch, in: Kühne / Miyazawa, Neue Strafrechtsentwicklungen im deutschjapanischen Vergleich, 1995, S. 11, 15, 20 f. 26 Schünemann, GA 1995, 201, 211 ff. 27 Schünemann, GA 1995, 201, 213. Auch Tiedemann ist der Ansicht, daß „das sogenannte Gefährdungsdelikt die angemessene Reaktionsform des Strafrechts beim Schutz überindividueller (kollektiver) Rechtsgüter ist.“, Wirtschaftsstrafrecht AT, 2004, Rn. 60; und Koriath, sieht „keine rechtsstaatlichen Probleme“, GA 2001, 51, 74. 28 Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 116, 277 f., 283 ff., 292; ders., FS Oehler, 1985, S. 65, 67. 29 Eingehend dazu Weigend, FS Triffterer, 1996, S. 695 ff. Kritisch auch Lin, Abstrakte Gefährdungstatbestände im Wirtschaftsstrafrecht, 1992, S. 101, Hirsch (Fn. 25), S. 20; Zieschang (Fn. 3), S. 367 f. Anders Tiedemann / Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 340.

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nomischsten Vorgehensmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden. Auch darf nicht übersehen werden, daß der sanktionsbewehrte Schutz vor Gefahren, die im heutigen Alltag drohen, durch die Vorschriften des Verwaltungs- und Übertretungsunrechts erfolgt, d. h. in Deutschland durch das Ordnungswidrigkeitenrecht. Deren sachwidriges Eindringen ins Kriminalstrafrecht gilt es einzudämmen. 30 Man hat versucht, Teilbereiche zu benennen, in denen die Aufnahme von Gefährlichkeitsdelikten ins Kriminalstrafrecht berechtigt sein soll. Es geht dabei insbesondere um zwei Fallgruppen: Delikte mit sog. „geistigem Zwischenrechtsgut“, z. B. die Beamtenbestechungs- und die Falschaussagedelikte, und zweitens Massenhandlungen vor allem im Straßenverkehr, die der Gesetzgeber durch starre Regeln gewissermaßen automatisieren wolle, z. B. in § 316 StGB. 31 Was die als Tatbestände mit „geistigem Zwischenrechtsgut“ bezeichneten Fälle betrifft, zeigen die Beispiele, daß dabei vor allem Tatbestände aus dem anerkannten Altbestand in Rede stehen. Der Gesichtspunkt „vergeistigtes Zwischenrechtsgut“ ist allerdings unscharf, da das geschützte Rechtsgut in den gemeinten Vorschriften jeweils ungeteilt ein und dasselbe ist. Zu den Massenhandlungen heißt es, daß die ausnahmslose Normbefolgung hier aus lerntheoretischen Gründen geboten sei, weil die erforderliche Automatisierung gerade wegen der bloß formalen Ordnungsfunktion dieser Normen sonst nicht gelingen könne; eine Strafbarkeitseinschränkung komme hier überhaupt nicht in Betracht. So sei bei den Regeln der StVO das Ordnungselement die primäre Funktion dieser Bestimmungen. Es werde abgestellt auf die Folgen, die sich ergäben, wenn eine bestimmte Handlung allgemeine Praxis würde. 32 Demgegenüber ist jedoch anzumerken, daß diese Erklärung nichts für die zur Erörterung stehende Begrenzung des Kriminalstrafrechts hergibt. Sie nennt nur eine Begründung dafür, daß solche Handlungen überhaupt mit Sanktionen bedroht sind, und ist dementsprechend primär auf das Ordnungswidrigkeitenrecht zugeschnitten. Die vorgenannten Begrenzungsvorschläge gehen auch noch von der herkömmlichen Alternative zwischen konkreten Gefährdungsdelikten und „abstrakten Gefährdungsdelikten“ aus; der Existenz einer Kategorie der konkreten Gefährlichkeit und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten ist man sich offenbar noch nicht bewußt gewesen.

30 So neben der „Frankfurter-Schule“ bereits vor zwei Jahrzehnten nachdrücklich Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751 ff. Daß es bei der Verlagerung der Wirtschaftsdelinquenz vom Ordnungswidrigkeiten- und Nebenstrafrecht ins Kriminalstrafrecht des StGB demgegenüber um ein „Hauptziel der Reformbestrebungen“ ging, hat Tiedemann, frühzeitig aufgezeigt; vgl. Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität AT, 1975, S. 17. 31 So Roxin (Fn. 4), § 11 Rn. 160 f. im Anschluß an Schünemann, JA 1975, 787, 798. 32 Jakobs (Fn. 6), 6. Abschn., Rn. 86 ff.; Brehm, Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1976, S. 139 ff.

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Den Ausgangspunkt der Eingrenzung des Kriminalstrafrechts hat die Abschichtung des Ordnungswidrigkeitenrechts zu bilden. 33 Dessen Abtrennung vom Strafrecht ist bekanntlich erfolgt, um der Aufweichung des Strafrechts und seiner Eindruckskraft entgegenzuwirken. Das Ordnungswidrigkeitenrecht soll der grundsätzlich für das sog. Verwaltungsunrecht und Übertretungsunrecht, wie es sich im Nebenstrafrecht zunehmend angesammelt hatte, zuständige Ort sein. Da Ordnungswidrigkeiten regelmäßig die Deliktsstruktur von Gefährlichkeitsdelikten aufweisen, handelt es sich um den Gesetzesbereich, dem sie grundsätzlich zuzuordnen sind. Dementsprechend geht es bei der Frage, ob sie ausnahmsweise ins Strafrecht aufgenommen werden können, um Wertungsgesichtspunkte, mit denen zu begründen ist, daß das betreffende Handeln sich dem Gewicht seines Unrechts nach ausnahmsweise über das der grundsätzlich einschlägigen Ordnungswidrigkeiten heraushebt. Das bedeutet, daß der Gesetzgeber besondere Gründe vorweisen muß, wenn er sie gleichwohl dem Kriminalstrafrecht zuordnen will. Diese können namentlich bestehen in dem hohen Grad der Gefährlichkeit, der von einer derartigen Handlung ausgeht, und dem Ausmaß des drohenden Schadens. Daß dagegen Beweisvereinfachungen kein Alibi für die Einstufung als Kriminalstraftat bilden, wurde im vorhergehenden bereits aufgezeigt. 34 Auch bedarf es stets einer Abstimmung mit den übrigen kriminalstrafrechtlichen Vorschriften, die das betreffende Rechtsgut schützen. Wenn beispielsweise das Vermögen bisher grundsätzlich nur gegen Verletzungshandlungen, und zwar vorsätzliche, im Strafgesetzbuch geschützt ist, dann bedarf genauer Beachtung, daß die Ausbalancierung des Strafschutzes nicht durch das Einschieben eines Gefährlichkeitsdelikts gestört wird. Die Herausarbeitung der Unterscheidung von abstrakten und konkreten Gefährlichkeitsdelikten führt zu der Frage, ob dann, wenn ein Gefährlichkeitsdelikt seinem Gewicht nach ins Kriminalstrafrecht paßt, es dabei nicht jedenfalls um konkrete Gefährlichkeit gehen muß. In der Tat hat sich hier sogar schon im klassischen Bereich das Problem ergeben, wie Fälle ausgegrenzt werden können, in denen es an der konkreten Gefährlichkeit fehlt. Eine vom Gesetzgeber als abstraktes Gefährlichkeitsdelikt eingestufte Handlung kann im konkreten Fall völlig ungefährlich sein; gleichwohl ist der Tatbestand erfüllt und damit Strafbarkeit gegeben. Darin wird ein Verstoß gegen das Schuldprinzip gesehen. 35 Ein Beispiel ist die bereits oben erwähnte Schwere Brandstiftung (§ 306a Abs 1. Nr. 1 StGB), deren hohe Strafdrohung nicht schon mit der durch die Inbrandsetzung 33

Dazu Hirsch (Fn. 25), S. 40 f. Siehe bei Fn. 29. 35 Vgl. Binding, Normen Bd. I, 4. Aufl. 1922, S. 368 ff.; Arthur Kaufmann, JZ 1963, 432; Schünemann, JA 1975, 797 f.; Baumann / Weber, AT, 9. Aufl. 1985, S. 135; Roxin (Fn. 4), § 11 Rn. 153; Sch / Sch-Heine (Fn. 4), Vor §§ 306 ff. Rn. 3 m.w. N. In der Rspr. ist das Problem bei der Schweren Brandstiftung praktisch geworden. Eine Entscheidung hat man jedoch bisher vermieden; vgl. BGHSt. 26, 121; 34, 115. 34

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bewirkte Sachbeschädigung erklärbar ist, sondern erst mit der im Anzünden von Wohnraum verbundenen Lebensgefährlichkeit für die Bewohner. 36 Gleichwohl wird in der Vorschrift die Tathandlung abstrakt generalisierend beschrieben, so daß tatbestandlich keine konkreten Umstände in bezug auf Lebensgefährlichkeit Berücksichtigung finden können. Wer eine kleine Hütte anzündet, in der sich niemand aufhält, erfüllt nach dem Wortlaut mithin bereits den Verbrechenstatbestand der Schweren Brandstiftung. Zur Vermeidung derartiger Ergebnisse wird von einer auf Horst Schröder zurückgehenden Aufassung vorgeschlagen, den Gegenbeweis der Ungefährlichkeit im Einzelfall zuzulassen. 37 Aber das ist eine strafrechtsfremde Konstruktion. Praktisch läuft sie darauf hinaus, dem Beschuldigten die Beweislast für das Fehlen einer konkreten Gefährlichkeit aufzubürden, so daß der Satz in dubio pro reo verletzt wäre. 38 In § 326 Abs. 6 StGB hat der Gesetzgeber in neuerer Zeit beim Tatbestand des „Unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen“ für den Fall, daß schädliche Einwirkungen (und zwar wegen geringer Menge der Abfälle) offensichtlich ausgeschlossen sind, einen besonderen Strafausschließungsgrund eingeführt. Aber eine solche Konstruktion rollt die Problematik strafrechtswidrig ebenfalls von hinten auf. Die sachentsprechende Lösung besteht darin, von vornherein nur konkret gefährliche Handlungen zu erfassen. 39 Und das sollte wenigstens im Prinzip 36

Der in § 306a Abs. 3 StGB geregelte niedrigere Strafrahmen für minder schwere Fälle bietet keine Lösung der Problematik, da er die Einordnung als Verbrechen unberührt lässt und die Bejahung unbestimmt ist. 37 Horst Schröder, ZStW 81 (1969), 7, 16 f.; ders., Sch / Sch, 17. Aufl. 1974, Vor § 306 Rn. 3a. 38 Kritisch bereits Brehm (Fn. 32), S. 38 ff.; Sch / Sch-Cramer, 24. Aufl. 1991, Vor §§ 306 ff. Rn. 4; Hirsch (Fn. 3), FS Buchała, S. 161; SK-Wolters / Horn (Fn. 6), Vor § 306 Rn. 17; Roxin (Fn. 2), § 11 Rn. 154; Wohlers (Fn. 24), S. 287; jeweils m.w. N. 39 Einschränkungsversuche in Form eines Erfordernisses der Sorgfaltswidrigkeit der Tathandlung (sog. „folgenlose Fahrlässigkeit“) zielen dagegen in eine nicht überzeugende Richtung. Sie gehen auf Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 22 ff., 218 f. und Brehm (Fn. 32), S. 126 ff. zurück und finden sich auch – unbeschadet von dessen grundsätzlichem Standpunkt – bei Schünemann, JA 1975, 798 und jetzt bei Roxin (Fn. 2), § 11 Rn. 155. Abgesehen davon, daß die in der Struktur recht diffizilen Konstruktionen der verschiedenen Autoren im einzelnen wieder von einander abweichen, fragt es sich, ob die komplexen subjektiven Abstufungen letztlich überhaupt handhabbar wären. Darüber hinaus unterscheidet sich die Struktur der Fahrlässigkeitsdelikte von derjenigen der Gefährlichkeitsdelikte. Denn die Sorgfaltswidrigkeit ist von einer – wenn auch generalisierten – Sollensanforderung her definiert. Sie ist anders als das Kriterium der Gefährlichkeit kein rein faktisches Phänomen. Dieser Unterschied bleibt auch bestehen, wenn man berücksichtigt, daß in beiden Fällen die Betrachtungsperspektive die einer am Täterstandort gedachten Maßstabperson ist. Außerdem entstehen Ungereimtheiten im subjektiven Bereich. Wären konkret gefährliche Handlungen und Sorgfaltswidrigkeit identisch, müßte der auf erstere gereichtete Vorsatz sich auf Teile der Unrechtswertung beziehen, mithin partiell das Unrechtsbewußtsein ein-

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bei allen Gefährlichkeitstatbeständen des Kriminalstrafrechts so sein; denn das bloße Zuwiderhandeln gegen den Normbefehl ist jedenfalls im Grundsatz etwas, was mit einem Tatstrafrecht noch nichts zu tun hat, sondern nur polizeirechtlich (ordnungsrechtlich) von Interesse ist. Behoben sind dann auch die Friktionen mit dem Schuldprinzip, das dem Kriminalstrafrecht zugrunde liegt. Während bei einer Regelung als abstraktes Gefährlichkeitsdelikt der Täter nur die Merkmale der vertypten abstrakt gefährlichen Handlung zu kennen braucht – oder bei Fahrlässigkeitsstrafbarkeit für ihn erkennbar sein müssen –, gehört zum konkreten Gefährlichkeitsdelikt, daß er sich in der konkreten Situation der Gefährlichkeit seines Handelns bewußt ist bzw. bewußt werden konnte. Kriminalstrafrecht und Täterverhalten stehen bei Vorliegen dieser subjektiven Erfordernisse in Relation zueinander. Lediglich wenn die Dinge so liegen, daß das Verhalten nicht nur in seinem Unrechtsgehalt über das Niveau von Ordnungswidrigkeiten herausragt, sondern darüber hinaus aufgrund von Art und Gewicht des absoluten Normbefehls bereits unabhängig vom Vorliegen konkreter Gefährlichkeit als kriminelles Verhalten einzuschätzen ist, kann ein abstrakter Gefährlichkeitstatbestand im Kriminalstrafrecht sachgerecht sein, insbesondere auch mit dem Schuldprinzip in Einklang stehen. Die oben erwähnte Auffassung vom „geistigen Zwischenrechtsgut“ weist im Ansatz in die Richtung solcher Vorschriften, beispielsweise den Meineidtatbestand. 40 Sieht man von diesen seltenen Fällen ab, in denen bereits die abstrakte Gefährlichkeit die Einordnung ins Kriminalstrafrecht legitimiert, kann es nur um konkrete Gefährlichkeitsdelikte gehen; und auch bei ihnen müssen materielle Gründe deutlich sein, die sie über das Unrechtsniveau von Ordnungswidrigkeiten hinausheben. Da dem Gesetzgeber bislang die Kategorie der konkreten Gefährlichkeitsdelikte nicht bewußt war, sind im StGB auffallende Widersprüche entstanden: Bei den Verkehrsdelikten hat er konkrete Gefährdungstatbestände (§§ 315 ff. StGB) geschaffen, bei den Umweltdelikten dagegen trotz gleichgelagerter Problematik Vorschriften (§§ 324 ff. StGB), die bisher als abstrakte Gefährlichkeitsdelikte interpretiert werden. Die Herausarbeitung der Kategorie der konkreten Gefährlichkeitsdelikte eröffnet der Gesetzgebung daher Möglichkeiten der Harmonisierung. Die im vorhergehenden angestellten Überlegungen beanspruchen aber nicht nur de lege ferenda Geltung. Vielmehr ist schon jetzt näher zu prüfen, ob es sich bei einer Vorschrift der Sache nach um ein konkretes Gefährlichkeitsdelikt handelt. Zieschang hat in verdienstvoller Einzeluntersuchung aufgezeigt, daß das in schließen. Diese Sichtweise ist jedoch mit dem zwischen Vorsatz und Unrechtsbewußtsein differenzierenden und beide verschiedenen Deliktsebenen zuordnenden Strafrechtssystem nicht in Einklang zu bringen. 40 Zieschang hält es demgegenüber für möglich, daß Fälle nur abstrakter Gefährlichkeit sich ganz aus dem Kriminalstrafrecht ausgrenzen lassen, vgl. (Fn. 3), S. 382 ff.

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mehreren Vorschriften der Fall ist. 41 Darauf kann hier verwiesen werden. Die Obergerichte werden sich wohl angesichts des entfesselten Pönalisierungsdrangs des Strafgesetzgebers überlegen müssen, ob es nicht ihre Aufgabe ist, durch restriktive Interpretation hier die Konturen des Kriminalstrafrechts noch einigermaßen zu wahren. Das Kriminalstrafrecht darf nicht zu einem sanktionsbewehrten Recht der Gefahrenabwehr denaturiert werden. Die Folgen wurden oben bereits aufgezeigt. Es ergibt sich also, daß konkrete Gefährlichkeitsdelikte dann ins Kriminalstrafrecht passen, wenn sie sich ihrem Unrechtsgehalt nach deutlich über Ordnungswidrigkeiten herausheben. Da es sich dabei nur um besonders gelagerte Fälle handeln kann, würde keine Gewichtsverlagerung des Strafrechts von Erfolgsdelikten auf Gefährlichkeitsdelikte eintreten. Und was abstrakte Gefährlichkeitsdelikte betrifft, gehören diese schon prinzipiell nicht ins Kriminalstrafrecht; nur in ganz seltenen Ausnahmefällen lassen sie sich dort legitimieren. Selbstverständlich hat dies allgemein zu gelten. Für Vorschriften mit EU-Hintergund gilt daher nichts anderes. Das dem Schutz der EU-Finanzen gewidmete sog. „corpus juris“ verdient zwar besondere Anerkennung, weil es ein von Strafrechtlern verschiedener Mitgliedsstaaten gemeinsam entworfener Strafgesetzentwurf (einschl. wichtiger Regelungen des Allgemeinen Teils) ist. Aber im Mittelpunkt steht ein Gefährlichkeitsdelikt („Subventionsbetrug“), das zudem noch in herkömmlicher Weise die abstrakte Gefährlichkeit mit einbezieht. Das „corpus juris“ läßt sich deshalb inhaltlich nicht als „Strafrechtsmodell für Europa“ einstufen, wie vielleicht manche gemeint haben. Tiedemann hat in anderem Zusammenhang auch selbst bereits auf die Gefahr hingewiesen, daß das Kriminalstrafrecht durch die Schaffung immer neuer Gefährlichkeitstatbestände überdehnt wird. 42 41

Zieschang (Fn. 3), S. 206 ff. Auch Wohlers (Fn. 24), S. 311 ff., 338 ff., 343 hält Untersuchungen der einzelnen Tatbestände für angezeigt. Dabei soll seiner Ansicht nach nicht von dogmatischen Lösungskonzepten der Begrenzung der „Pönalisierung von generell gefährlichen Handlungen“ ausgegangen werden, sondern die „Legitimität konkreter Einzelnormen an den für den jeweiligen Deliktstypus spezifischen Kriterien zu messen“ sein. 42 Tiedemann, FS Hirsch, 1999, S. 765, 767. Mit der Aufgabenzuweiseung „Sicherung angstfreier Daseinsgewißheit“ (Tiedemann / Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 340) wäre allerdings der Forderung nach vermehrter Einführung von abstrakten Gefährlichkeitsdelikten der Weg bereitet. Sie übergeht, daß dem Staat, soweit er solche Gewißheit überhaupt gewährleisten kann, mehrere Instrumente zur Verfügung stehen, erst an äußerster Stelle das Kriminalstrafrecht. Tiedemann erachtet jetzt eine so „uferlose Legitimation der abstrakten Gefährdungsdelikte“ als „zu weitgehend“, vgl. Wirtschaftsstrafrecht AT (oben in Fn. 27), Rn. 60 mit Fn. 65. Im übrigen ist zu beachten, daß die oben aufgezeigten Grenzen des Kriminalstrafrechts dem Gesetzgeber nicht auf der anderen Seite für den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts völlig freie Hand geben. Hier sind zwar abstrakte Gefährlichkeitsdelikte aus den bei IV. 1. genannten Gründen normal und unbedenklich. Aber weil es um repressive staatliche

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V. Ein weiteres allgemeines Problem der Gefährlichkeitsdelikte ist ihre Abgrenzung von den Verletzungsdelikten. Die Zunahme von Gefährlichkeitsdelikten ist begleitet von einer Aufweichung der Rechtsgüter, indem man im Vorfeld der konturierten klassischen Rechtsgüter Leben, Leib, Bewegungsfreiheit, Eigentum, Vermögen immaterielle Rechtsgüter etabliert hat. Es begann schon mit der Auslegung des alten Tatbestands des Versicherungsbetrugs (§ 265 a.F. StGB), bei dem – wie auch jetzt beim Tatbestand des Versicherungsmißbrauchs – mindestens gleichrangig neben dem Vermögen die soziale Leistungsfähigkeit des Versicherungswesens geschützt sein sollte. 43 Es folgte der Subventionsbetrug, bei dem hinsichtlich der Rechtsgutsfrage von der staatlichen Planungs- und Dispositionsfreiheit oder von der Institution der Subvention als Instrument staatlicher Wirtschaftslenkung oder den mit ihr verfolgten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen die Rede ist. 44 Der Höhepunkt der Aufweichung wurde damit erreicht, daß Kindhäuser für die Gefährlichkeitsdelikte das imaginäre Allgemeinrechtsgut „Sicherheit“ als einen Zustand normativ garantierter Sicherheit vertreten hat. 45 Gefährlichkeitsdelikte seien vom „Angriffsparadigma“ des Bezugs auf einzelne Rechtsgüter zu lösen und in Delikte umzudeuten, die „Sicherheit“ gewährleisten sollen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten: Bei der Bestimmung des Begriffs „Sicherheit“, also: Sicherheit wovor, für wen oder was ? – muß doch wieder auf die Frage der Gefährlichkeit für „gesicherte“ Rechtsgüter zurückgegriffen werden. Nur so läßt sich abgrenzen, wann und inwiefern Sicherheit beeinträchtigt ist. Damit steht man aber wieder am Anfang der Überlegungen, nämlich bei der Gefährlichkeit des Handelns. Hinzu kommt der Einwand, daß die notwendige Sicherheit sich doch als Folgeerscheinung aus dem Schutz der konkreten Rechtsgüter ergibt. Mit dem Gesichtspunkt der Sicherheit wird eine Funktion des Strafrechts als solche erfaßt, die nicht nochmals zur Legitimation einzelner Strafbestimmungen heranziehbar ist. Darüber hinaus erscheint die Vorgehensweise von Kindhäuser sogar schädlich, weil sie die Abstufungen von Gefahrlagen konkreter Güter und – konkreter ebenso wie abstrakter – Gefährlichkeit von Handlungen zu verwischen droht. Im nebulösen „Sicherheits“Begriff verlieren diese auch aus rechtsstaatlichen Gründen zu beachtenden Unter-

Sanktionen geht, unterliegt die Einführung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem ultima ratio-Grundsatz. Schon jetzt haben wir in manchen Bereichen eine einschlägige Überregulierung. 43 Zu § 265 a.F. StGB: RGSt. 67, 109; BGHSt. 11, 398, 400; 25, 261, 262.; LK-Tiedemann, 11. Aufl., 1996, § 265 Rn. 6 ff. Zu § 265 n.F. StGB: Tröndle / Fischer (Fn. 4), § 265 Rn. 2. 44 LK-Tiedemann (Fn. 43), § 264 Rn. 11 ff. m.w. N. Auch im Umweltstrafrecht hat der Rechtsgutsbegriff stark an Konturen verloren und ist sogar ganz in Zweifel gezogen worden. Zu den dadurch entstandenen Streitfragen näher Hirsch (Fn. 25), S. 13 ff. m.w. N. 45 Kindhäuser (Fn. 10), S. 280 ff., 287, 290.

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scheidungen alle Konturen. Kindhäusers Sicherheitsmodell könnte nur trügerische „Sicherheit“ durch das Strafrecht bieten. 46 Die Aufweichung des Rechtsgutsbegriff begünstigte es, sich im Vorfeld des traditionellen Aufgabenbereichs des Kriminalstrafrechts ungebremst einzurichten, ohne daß es auffiel, daß man sich im Vorfeld bewegte. Allerdings zog man zumeist nicht die Konsequenz, die betreffenden Delikte folgerichtig als Verletzungsdelikte bezüglich der so gebildeten immateriellen „Alibi“-Rechtsgüter einzustufen, sondern die h.M. ging und geht gleichwohl in der Regel von „abstrakten Gefährlichkeitsdelikten“ aus. 47 Zwar ist der Rechtsgutsbegriff kein der Rechtsordnung vorgegebener Begriff, will man nicht in naturrechtliche Vorstellungen zurückfallen. 48 Er ist es um so weniger, weil er ein allgemeiner und nicht auf das Strafrecht beschränkter Begriff ist. Ein Gut erhält die Rechtsgutsqualität dadurch, daß die positive Rechtsordnung es unter ihren Schutz nimmt. Soweit dabei der Schutz auch durch Strafrecht in Rede steht, richten sich die rechtlich möglichen Schutzgüter nach den Maßstäben, die sich aus der Funktion und Legitimation der staatlichen Strafbefugnis ergeben. Die Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs für das Strafrecht ist deshalb keine vorrechtliche, sondern eine ausschließlich strafrechtsimmanente, d. h. an den Inhalt des positiven Rechts anknüpfende. 49 Sie besteht darin, daß rational begründet werden muß, worin das geschützte Interesse genau besteht, und das geschützte Gut genau zu verorten ist, damit deutlich wird, ob ein Tatbestand eine Rechtsgutsverletzung zum Gegenstand hat oder ob er eine Vorfeldhandlung betrifft. Auch deshalb ist es beispielsweise verfehlt, das geschützte Rechtsgut der Straßenverkehrsdelikte im „Vertrauen in die Sicherheit des Straßenverkehrs“ zu sehen. Es geht bei dessen Sicherheit doch darum, daß die Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer, nämlich Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum, durch die verkehrsrechtlichen Vorschriften geschützt werden sollen. 50 Daß dies auch von der h.M. nicht in aller Klarheit gesagt wird, sondern stattdessen vom Schutz eines Rechtsguts der „Allgemeinheit“ gesprochen wird, hängt damit zusammen, daß man meint, aus der Annahme der genannten Individualrechtsgüter ergäben sich unhaltbare Konsequenzen für die Einwilligungsfrage. Das ist jedoch irrig. 46 Zur Kritik an der Auffassung Kindhäusers vgl. Seelmann, NJW 1990, 1257, 1259; Hirsch (Fn. 3), FS Arthur Kaufmann, S. 556 mit Fn. 49; ders. (Fn. 25), S. 16; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, 9. Aufl. 2005, § 50 Rn. 36 f.; Roxin (Fn. 4), § 11 Rn. 156 ff. und eingehend Zieschang (Fn. 3), S. 351 ff. sowie M. Krüger, Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, 2000, S. 94 ff. m.w. N. 47 Dazu näher die Kritik bei M. Krüger (Fn. 46), S. 109 ff., 158 f. Konsequent aber für Verletzungshandlungen („Geltungsschaden“) Tiedemann (Fn. 27), Rn. 59. 48 Näher dazu Hirsch, FS Spinellis, 2001, S. 425, 429 ff. m.w. N. 49 Vgl. die Nachw. zur h.L. bei Sch / Sch-Lenckner / Eisele (Fn. 4), Vor. §§ 13 ff. Rn. 9 f. Dort auch Angaben zu abw. Meinungen. 50 Näher dazu M. Krüger (Fn. 46), S. 159 ff., 161 ff.; Hirsch (Fn. 48), S. 440 f.

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Daß hier die Einwilligung unbeachtlich ist, ergibt sich nicht aus dem Vorliegen eines Rechtsguts der Allgemeinheit, sondern daraus, daß die betreffenden Tatbestände eine unbestimmte Anzahl einzelner Individualrechtsgüter im Blick haben und deshalb die Einwilligung nur eines oder einiger betroffener Rechtsgutsträger nicht genügt. Es handelt sich also nicht um ein Rechtsgutsproblem, sondern um Auswirkungen der Deliktsstruktur der Gefährlichkeitsdelikte. Die Beantwortung der Frage, welche Rechtsgüter jeweils durch Strafvorschriften geschützt werden, bedarf also einer genaueren Analyse. Geht es bei einer Vorschrift um einen vorverlagerten Schutzbereich zur Vermeidung von Verletzungen klassischer Individualrechtsgüter, oder haben wir es mit einem originären Universalrechtsgut zu tun? Der Kreis der letzteren ist erheblich kleiner, als heute behauptet wird. Und es ist bemerkenswert, daß zumeist auch dort, wo man vom Vorliegen eines Universalrechtsguts ausgeht, der Tatbestand als Gefährlichkeitsdelikt eingestuft wird. Ein derartiges Gut wäre aber doch bereits dann verletzt, wenn man es beeinträchtigt. Als Beispiel lassen sich die Tatbestände der „Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichem Verkehr“ (§ 299 StGB) nennen. Hier nimmt die h.M. 51 als in erster Linie geschütztes Rechtsgut den „lauteren Wettbewerb“ an. Handelt jemand wettbewerbswidrig und erfüllt die Tatbestandsmerkmale, ergäbe sich konsequenterweise doch eigentlich, daß ein Verletzungsdelikt vorliegt. Indem man diese Konsequenz nicht zieht, kommt zum Vorschein, daß man sich genauer betrachtet im Vorfeld des Vermögensschutzes befindet; das um so mehr, wenn man bedenkt, daß es nicht um jeden Wettbewerb geht, sondern nur den im geschäftlichen Verkehr, also den Vermögensverkehr. Es zeigt sich also, daß Gefährlichkeitsdelikte eng mit der Frage des eigentlich geschützten Rechtsguts verknüpft sind. Dessen klare Herausarbeitung verdeutlicht jeweils, wie weit man sich im strafrechtlichen Vorfeld bewegt und ob die Höhe der Strafdrohung diesem Abstand adäquat ist oder weitergehend, ob nicht überhaupt nur eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit angemessen ist. VI. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Das herkömmliche Begriffspaar „konkrete Gefährdungsdelikte – abstrakte Gefährdungsdelikte“ ist unzutreffend. Zu unterscheiden ist vielmehr zwischen „Gefährdungsdelikten und Gefährlichkeitsdelikten“ und dann „konkreten und abstrakten Gefährlichkeitsdelikten“. Der genauere Oberbegriff ist nicht „Gefährdungsdelikte“, sondern „Gefahrdelikte“. Ins Kriminalstrafrecht passen grundsätzlich nur (konkrete) Gefährdungsdelikte und bei entsprechendem Gewicht konkrete Ge51

Tröndle / Fischer (Fn. 4), § 299 Rn. 2 m.w. N.

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fährlichkeitsdelikte. Abstrakte Gefährlichkeitsdelikte haben im Kriminalstrafrecht dagegen seltene Ausnahmen zu bleiben. Die Vernachlässigung der genaueren systematischen Analysierung der Gefahrdelikte hat sich nicht nur nachteilig für die Klärung von deren Kriminalstrafrechtskonformität ausgewirkt, sondern auch auf die Rechtsgutsproblematik. Darüber hinaus mahnt die Herausarbeitung der Verschiedenheit von Gefährdung und Gefährlichkeit eine ihr Rechnung tragende Begrifflichkeit und Terminologie auch in anderen dogmatischen Bereichen an, in denen es um Gefahr geht. 52 Hauptgebiete des Besonderen Teils, in denen die Unterscheidung bedeutsam werden kann, sind das Wirtschafts- und das Umweltstrafrecht. Zu den Verdiensten von Tiedemann, des verehrten Jubilars, gehört, daß er mit diesen Gebieten das von der Dogmatik lange vernachlässigte Feld der Gefahrdelikte ins Blickfeld gerückt hat.

52

Vgl. oben in Fn. 17.

Die verfehlte deutsche Gesetzesfigur der „besonders schweren Fälle“ 2002 I. Karl Heinz Gössel, dem dieser Aufsatz zum 70. Geburtstag in alter freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet ist, hat in dem Strafrechtlerkreis, der sich in Marburg zur Abgabe von Stellungnahmen zu aktuellen gesetzgeberischen Reformvorhaben zusammenfindet, stets aktiv mitgewirkt. Ihn leitete dabei sein Pflichtbewußtsein gegenüber der Allgemeinheit. Zu den bisher wichtigsten Stellungnahmen des Marburger Arbeitskreises gehört die zum Referentenentwurf des 6. StrRG. 1 Die in ihr erhobenen Bedenken richteten sich u. a. dagegen, daß nach dem Entwurf die unterhalb der Schwelle von Todeserfolgsqualifikationen bleibenden bisherigen Qualifizierungen künftig weithin durch besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen ersetzt werden sollten und darüber hinaus zahlreiche neue Strafschärfungen dieser Art vorgesehen waren. 2 Der Jubilar hat seine überwiegend kritische Auffassung anschließend in einem in der Festschrift zu meinem 70. Geburtstag veröffentlichten Aufsatz „Über die sogenannte Regelbeispieltechnik und die Abgrenzung zwischen Straftat und Strafzumessung“ noch näher dargelegt. 3 Er bemerkt am Schluß seiner Ausführungen, daß weitere Klärungen erforderlich seien. Um sie soll es im folgenden gehen. II. 1. Die Regelbeispieltechnik schien zunächst den Weg manch anderer bedenklicher Lösung der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung zu nehmen: Nach einigen anfänglichen kritischen Stellungnahmen richtet man sich damit ein, und im Laufe 1 Vgl. Freund, ZStW 109 (1997), S. 455 ff. Siehe außerdem den Bericht über das Marburger Strafrechtsgespräch 1997 von Dietmeier, ZStW 110 (1998), S. 393, 408 ff. 2 Vgl. Freund, ZStW 109 (1997), S. 455, 470 f. 3 Gössel, FS Hirsch, 1999. S. 183 ff. Seine vorhergehenden mündlichen Darlegungen beim Marburger Strafrechtsgespräch 1997 sind im Tagungsbericht (Fn. 1), S. 408, 411, 413, mitgeteilt.

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der Zeit schwindet das Problembewußtsein und kritische Äußerungen werden nur noch als überholt oder als Außenseitermeinung zitiert. 4 Hier erfolgte jedoch eine Reaktualisierung des Problembewußtseins, als der Gesetzgeber im Entwurf zum 6. StrRG daran ging, aus dem Ansatz breite Konsequenzen zu ziehen. Nun wurde man unruhig, 5 und der Gesetzgeber schreckte wenigstens vor dem erwähnten Vorhaben, die Regelbeispieltechnik geradezu explosionsartig zu vermehren, dann zurück. 6 Interessant ist, daß sich die Diskussion insbesondere an der Regelbeispieltechnik entzündet, obwohl diese gegenüber den gänzlich unbenannten besonders schweren Fällen, wie sie schon in den 20er Jahren auftauchten und dann vermehrt während der NS-Zeit ins StGB gelangt sind, 7 ein Plus an Rechtsstaatlichkeit darstellen. 8 Denn die Beispiele bieten wenigstens umschriebene und damit teilweise subsumierbare Anhaltspunkte, während der Richter bei den gänzlich unbenannten besonders schweren Fällen auf sein persönliches Empfinden verwiesen wird. Offenbar liegt die Fixierung auf die Regelbeispieltechnik daran, daß hier wegen des vom Gesetzgeber vorgenommenen Austauschs von qualifizierten Tatbeständen und besonders schweren Fällen sowie des Fehlens systematischer Kriterien dieser Austauschbarkeit die Problematik direkt ins Auge springt. 2. Betrachtet werden soll deshalb auch hier zunächst die vom Gesetzgeber als „moderne Strafgesetzgebung“ gepriesene 9 Regelbeispieltechnik. Ihre Unbedenk4 Siehe etwa Tröndle, StGB, 48. Aufl. 1997, § 12 Rn. 11, und Schönke / Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl. 1997, § I Rn. 29, bezüglich der Regelbeispieltechnik. 5 Siehe außer der Stellungnahme des Marburger Arbeitskreises (Fn. 2) auch die kritischen Äußerungen von Gössel, Hettinger und Hirsch bei dem Marburger Strafrechtsgespräch 1997 (Bericht [Fn. 1]. S. 408 ff.) sowie die ebenfalls kritischen Stellungnahmen von Hettinger, Entwicklungen im Strafrecht, 1997. S. 35; Calliess, NJW 1998, S. 929 ff.; Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, 1999, S. 3 ff., 324 f.; Tröndle / Fischer, StGB, 50. Aufl. 2001, § 46 Rn. 90; Zieschang, Jura 1999, S. 561, 563 ff.; Esko Horn, Die besonders schweren Fälle und Regelbeispiele im Strafgesetzbuch, Kölner Diss. 2001, Kap. 1I1 ff. 6 Dazu Wilkitzki, in Marburger Bericht (Fn. 1), S. 409, und Kreß, NJW 1998, S. 633, 636. 7 Zur historischen Entwicklung der Rechtsfigur der besonders schweren Fälle näher Esko Horn (Fn. 5), Kap. 11; Wahle, Die Rechtsnatur der „besonders schweren Fälle“ im Strafrecht, 1966. In der NS-Zeit gelangten neben zahlreichen unbenannten besonders schweren Fällen auch zwei mit Beispielen verbundene Regelungen ins StGB (§ 263 Abs. 4 und § 266 Abs. 2 damaliger Fassung). Im Unterschied zur heutigen Regelbeispieltechnik sollte ihr Vorliegen zwingend zur Bejahung eines besonders schweren Falles führen. Die „zwingenden Beispielsfälle“ jener Vorschriften wurden nach 1945 wieder abgeschafft, jedoch tauchten zwingende Beispiele später in den noch bestehenden §§ 129 Abs. 4 und 241a Abs. 4 StGB auf. Nach dem Kriege verringerte sich die Gesamtzahl aller besonders schweren Fälle im StGB anfänglich auf 35. 8 Von einem Plus an Rechtssicherheit gegenüber gänzlich unbenannten besonders schweren Fällen haben mit dem Blick auf die Einführung von Regelbeispielen auch Dreher, ZStW 77 (1965), S. 220, 231 ff. und Wessels, FS Maurach, 1972, S. 295, 296, gesprochen.

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lichkeit wird damit begründet, daß das Gesetz die Regelbeispiele als Strafzumessungsgesichtspunkte einordnet und daher für sie andere Maßstäbe, auch im Hinblick auf den Satz Nullum crimen sine lege, zu gelten hätten als für qualifizierende Tatbestandsmerkmale. 10 Daß das Gesetz eine Strafzumessungslösung intendiert, ergibt sich aus § 12 Abs. 3 StGB, wonach besonders schwere und minder schwere Fälle für die Einteilung in Vergehen und Verbrechen außer Betracht bleiben, und auch daraus, daß der Oberbegriff „besonders schwere Fälle“ ebenfalls die gänzlich unbenannten besonders schweren Fälle umfaßt. a) Die Diskussion wendet sich zumeist direkt dem Satz Nullum crimen sine lege zu. 11 Der in der Gesetzgebung erfolgte oben erwähnte Austausch von qualifizierenden Tatbestandsmerkmalen und durch Regelbeispiele teilbenannten besonders schweren Fällen – und zwar ein Austausch schließlich sogar in beiden Richtungen 12 – gibt dazu Anlaß. Man muß aber bei der Erörterung wohl schon früher ansetzen, nämlich bei der Frage, ob oder inwieweit eine Artverschiedenheit von Tatbestandsmerkmalen und Strafzumessungsgesichtspunkten ihrer Natur nach besteht und eine solche Unterschiedlichkeit dementsprechend vom Gesetzgeber zu beachten wäre. Das betont bereits Gössel. 13 Gössel schreibt, daß Merkmale, die Unrecht und Schuld einer Tat betreffen, den Rechtsfolgevoraussetzungen, also der Ebene der Deliktsmerkmale, vorbehalten seien, es bei der Strafzumessung dagegen um einen Maßstab der Tatschwere gehe. 14 Es handele sich um den Unterschied zwischen Bewertungsgegenstand und Bewertungsmaßstab. Betrachtet man positivrechtlich den Katalog des § 46 Abs. 2 StGB, so findet man dort als Strafzumessungsgesichtspunkte aber auch die Art der Ausführung, die verschuldeten unrechtmäßigen Auswirkungen der Tat, das Maß der Pflichtwidrigkeit und den bei der Tat aufgewendeten Willen. Das spricht 9 In der Begründung zum Entwurf eines 6. StrRG wird die Regelbeispieltechnik als die „in der modernen Strafgesetzgebung bevorzugte Technik“ bezeichnet, vgl. BT-Drucks. 13/ 7164, S. 1, 36. Eine Aufzählung der heute im StGB vorhandenen Vorschriften besonders schwerer Fälle mit Regelbeispielen findet sich bei Tröndle / Fischer, 49. Aufl., 1999, § 12 Rn. 11. 10 Für die Einordnung aller besonders schweren Fälle als Strafzumessungsregelungen die h.M.; vgl. BGHSt 2, 181; 3, 47; 4, 226, 227 f.; 23, 254, 256 f.; 26, 104, 105 f.; 33, 370, 374; Jescheck / Weigend, Strafrecht Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 270 f.; Lackner / Kühl, StGB, 24. Aufl. 2001, § 46 Rn. 11; Schönke / Schröder-Stree, StGB, 26. Aufl. 2001, Vor § 38 Rn. 44. 11 Siehe viele der in Fn. 5 und 25 zitierten Äußerungen. 12 So wurden Einbruchs-, Einsteige- und Nachschlüsseldiebstahl durch das 1. StrRG zunächst aus qualifizierenden Tatbestandsmerkmalen in besonders schwere Fälle umgewandelt (§ 243 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 StGB damaliger Fassung), dann durch das 6. StrRG in bezug auf betroffene Wohnungen als Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) wieder in einen qualifizierten Tatbestand zurückverwandelt. 13 Gössel, FS Hirsch, 1999, S. 194 ff. 14 Gössel, a. a. O., S. 195 ff., 200.

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dafür, daß das Gesetz auch Unrecht und Schuld einer Tat bei der Strafzumessung einbezieht. Zwar heißt es in Absatz 3, daß Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sind, nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen. Aber dabei geht es nur um das Erfülltsein eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals, nicht um das Ausmaß seiner Verwirklichung. Unrecht und Tatschuld sind quantifizierbar. Wenn sich jemand beispielsweise eine fremde bewegliche Sache zueignet, ist damit das tatbestandliche Unrecht eines Diebstahls erfüllt, ganz gleichgültig, welchen Wert die Sache hat. Die Unrechtshöhe ist jedoch quantitativ verschieden je nachdem, ob der Wert gering, von mittlerer Höhe oder hoch ist. Ebenso kann das tatbestandsmäßige Unrecht einer einfachen Körperverletzung ein leichtes, im Falle einer Knochenfraktur ein gravierenderes sein. Auch kann die Tatschuld in aktuellem Unrechtsbewußtsein, in schlichter Unrechtseinsicht oder in einer wegen vermeidbaren Verbotsirrtums nur geminderten Schuld bestehen. Eine artspezifische Differenzierung von Sachverhaltsmomenten nach Unrecht und Schuld einerseits und Strafzumessung andererseits ist daher nicht allgemein möglich, und das gilt ganz unabhängig von Existenz und Wortlaut des § 46 Abs. 2 StGB schon von der Sache her. Zwar ist richtig, daß es sich bei der Strafzumessung um eine unter dem Blickwinkel der konkret zu verhängenden Strafe erfolgende Bewertung der Straftat handelt. Aber der Gegenstand der Bewertung ist die konkrete Tat, und diese wird sowohl durch die Bejahung der deliktischen Vorsaussetzungen der Strafbestimmung, nämlich der Zuordnung zu der jeweiligen Strafbestimmung und dem zugehörigen Strafrahmen, als auch durch die sodann auf der Strafzumessungsebene erfolgende Berücksichtigung gradueller Unterschiede, die für die Einstufung innerhalb des Strafrahmens bedeutsam sind, bewertet. Solche graduellen Kriterien sind daher, wenngleich sie Unrecht und Schuld betreffen, erst Strafzumessungsgesichtspunkte. Dementsprechend verhält es sich auch so, daß Umstände, für die bis dahin keine Strafschärfung vorgesehen war, dann aber vom Gesetzgeber zu Regelbeispielen eines besonders schweren Falles aufgewertet werden, vorher Strafzumessungsgesichtspunkte innerhalb des Normalstrafrahmens bildeten. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß bei qualifizierten Tatbeständen die Tatschwere deutlich schon für die Deliktsmerkmale eine Rolle spielt. Das Problem liegt daher offenbar an anderer Stelle, 15 nämlich bei der Frage, was es bedeutet, wenn vom Gesetzgeber eine strafschärfende (auf minder schwere Fälle ist später einzugehen) Deliktsgruppe gebildet wird. Dafür, daß er dies mit Hilfe der Regelbeispieltechnik tun kann, ließe sich vielleicht vorbringen, daß er die Höhe des Strafrahmens festsetzen könne und es deshalb gegenüber einer bloßen 15 So auch die Mehrzahl der Kritiker der Regelbeispieltechnik; vgl. die Nachweise in den Fn. 5 und 25. Im einzelnen Krahl (Fn. 5), S. 315: Daß die Tatbestandseigenschaft sich aus ihrem zwingenden und abschließenden Gehalt ergebe, könne strafrechtsdogmatisch und rechtstheoretisch nicht aufrechterhalten werden.

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Strafrahmenserweiterung noch ein Vorzug sei, wenn er den Bereich, den er bei der Anhebung im Auge habe, durch strafschärfende Regelbeispiele markiere. Indes hat man hier zu beachten: Strafrahmen lassen sich nicht nach Belieben ausdehnen. Sie müssen in Relation zum jeweiligen Tattypus stehen. 16 Daran würde es beispielsweise fehlen, wenn man § 243 StGB streichen und stattdessen § 242 StGB mit dem Strafrahmen jener Vorschrift versehen wollte. Denn der gewöhnliche Diebstahl wäre auf solche Weise unangemessen angehoben, und die Konsequenz würde sein, daß man alle bisherigen gesetzlichen Strafschärfungen von vornherein durch weite Grundstrafrahmen mit erfassen könnte – jedenfalls insoweit, wie es sich um innerhalb der Deliktskategorie der Vergehen oder innerhalb der Verbrechen bestehende Schärfungen handelt. Angesichts der Sachwidrigkeit einer solchen Lösung wird die Erforderlichkeit von am Deliktstyp orientierten gesetzlichen Strafrahmenabstufungen auch in allen wesentlichen Strafgesetzbüchern der Welt beachtet. Daß sich im vorhergehenden gezeigt hat, daß bei vielen Strafbestimmungen schon alle Begehungsweisen durch den jeweiligen Normalstrafrahmen ausreichend erfaßt werden, besagt nichts Gegenteiliges. Vielmehr zeigt sich, daß hier je nach Delikt Unterschiede bestehen. Neben solchen, bei denen ein Strafrahmen genügt, gibt es andere, bei denen sich der Gesetzgeber veranlaßt sieht, für einen Bereich von Fällen einen schärferen Strafrahmen vorzusehen, so bei § 244 StGB oder eben auch bei § 243 StGB. Wenn der Gesetzgeber sich für eine gesetzliche Strafschärfung entscheidet, dann heißt das also, daß er einen erschwerten Tattyp mit verschärfter Strafdrohung bildet. So verhält es sich, wenn er einen qualifizierten Tatbestand schafft, und insoweit auch nicht anders, wenn er einen besonders schweren Fall mit Regelbeispielen vorsieht. Hier wie dort geht es um einen Kreis von Begehungsweisen, die sich im Unrechtsgehalt von den nur unter den Normalstrafrahmen fallenden Sachverhalten unterscheiden. Daß es um einen vom Grunddelikt abgestuften besonderen Tattyp handelt, wird auch dadurch bestätigt, daß durchweg eine Überlappung mit dem Normalstrafrahmen erfolgt. 17 So setzt der Strafrahmen des § 243 StGB nicht erst oberhalb des Strafrahmens von § 242 StGB an, d. h. bei mehr als fünf Jahren Frei16

BVerfGE 25, 269, 289 L; 45, 187, 259 f.; 86, 288, 313; st. Rspr. Hirsch in: Marburger Bericht (Fn. 1), S. 410. Auch in der Begründung zum E 1962 (S. 184 zu § 62) heißt es: Aus dem „Erfordernis einer Erhöhung von Unrecht und Schuld und aus der Tatsache, daß sich die Regelstrafrahmen und die Strafrahmen für besonders schwere Fälle stets in einem nicht unerheblichen Bereich überschneiden, wird sich in der Praxis wahrscheinlich ergeben, daß ein besonders schwerer Fall im allgemeinen nur dann vorliegt, wenn die Tat gegenüber dem Regelfall einen herausgehobenen Typus bildet, für den der Gesetzgeber einen erschwerten Tatbestand schaffen könnte ... „(Hervorhebung vom Verf.). Und in § 62 E 1962 (überschrieben „Besonders schwere Fälle“) ist davon die Rede, daß ein besonders schwerer Fall bei Umständen vorliegt, die „das Unrecht und die Schuld wesentlich erhöhen“. Ebenfalls wird in BGHSt 33, 370, 374 davon gesprochen, daß die Regelbeispiele einen gegenüber dem Grundtatbestand „erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt typisieren“. 17

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heitsstrafe, sondern bereits bei einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Aber auch dann, wenn der Strafrahmen eines besonders schweren Falles erst an der Obergrenze des Normalstrafrahmens beginnen würde, änderte dies nichts daran, dass eine von der Normaltat abgehobene Tat in Rede stünde. Sie begänne dann in ihrem besonderen Unrechtsgehalt erst dort, wo stets eine über dem Normalstrafrahmen liegende Strafe angezeigt ist. Im übrigen läßt sich allgemein feststellen, daß allein schon die Bildung einer selbständigen Rechtsfigur „besonders schwerer Fall“ die Schaffung einer besonderen Deliktsgruppe bedeutet. Dies läßt sich nicht damit in Abrede stellen, daß die gesetzliche Vertypung eines Delikts hier im Unterschied zu den qualifizierten Tatbeständen doch gerade nur teilweise stattfindet. Zwar verzichtet der Gesetzgeber bei der Regelbeispieltechnik auf die vollständige Beschreibung eines der verschärften Strafdrohung unterliegenden Delikts. Aber das ändert nichts daran, daß es aus den genannten Gründen um ein solches geht. Nur ist die Präzisierung auf den Richter abgewälzt. Motiv des Gesetzgebers ist hier gerade, eine Individualisierung der gesetzlichen Einstufung durch Flexibilität der richterlichen Gesetzesanwendung zu erreichen: Strafschärfung im Regelfall, Analogiemöglichkeit bei Nichtvorliegen eines Regelbeispiels, Möglichkeit der Verneinung der Strafschärfung in concreto trotz Erfülltseins eines Regelbeispiels. Der Sache nach geht es daher nicht um eine bloße Strafzumessungsproblematik, sondern um die Ebene qualifizierten Tatbestandsunrechts. Diese theoretischen Überlegungen werden bestätigt durch die bereits erwähnte Austauschbarkeit von Regelbeispielen und qualifizierten Tatbestandsmerkmalen, wie sie in der Gesetzgebung nach beiden Richtungen zu beobachten ist. 18 Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber kein Kriterium benennen kann, wann das eine und wann das andere Regelungskonzept Geltung beansprucht, und überdies etwas der Eindruck entsteht, die Bildung von Regelbeispielen sei gesetzgeberisch so beliebt, weil sie einfacher ist als die vollständige Vertypung durch Tatbestandsmerkmale. 19 Auch fällt auf, daß die Auslegung der einzelnen Regelbeispiele nicht konsequent nach Strafzumessungsgesichtspunkten gehandhabt werden soll, sondern wie die von qualifizierten Tatbestandsmerkmalen. So läßt das Gesetz bei den Regelbeispielen ersichtlich nicht die subjektiven Anforderungen der Strafzumessung genügen, sondern verlangt die gleichen Erfordernisse wie bei einer Ausgestaltung als qualifizierter Tatbestand. 20 Betrachtet man § 243 StGB, um nur die wichtigste Regelung zu nennen, so erfordert er hinsichtlich der Regelbeispiele erkennbar 18

Vgl. Fn. 12. Zum Fehlen von Sachgesichtspunkten für eine unterschiedliche Einordnung bereits kritisch Hirsch, GS Hilde Kaufmann, 1986, S. 133, 144; ders., in: Hirsch (Hrsg.), DeutschSpanisches Strafrechtskolloquium 1986, 1987, S. 47, 68 f. 20 Vgl. BGHSt 33, 370, 374 zu § 243 StGB. 19

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Vorsatz, wie das auch bei den entsprechenden qualifizierenden Merkmalen der früheren Gesetzesfassung der Fall gewesen ist. Ebenfalls bedürfen alle anderen dogmatischen Gesichtspunkte der Berücksichtigung, bis hin zur Teilnahmelehre und den Konkurrenzen. Der BGH hat deshalb darauf hingewiesen, daß die Regelbeispiele im Ergebnis wie Tatbestandsmerkmale zu behandeln seien. 21 Auch hat man davon gesprochen, daß neben der für dic Deliktsmerkmale geltenden Dogmatik hier noch eine komplette analoge „Subdogmatik“ zur Anwendung gelangt. 22 Außerdem hat der BGH es für unbedenklich erklärt, die Bejahung eines besonders schweren Falles ausdrücklich im Urteilstenor zu erwähnen. 23 Auch wenn das kaum geschieht, wird er jedenfalls in den Gründen und bei den zur Anwendung gelangten Vorschriften genannt. Letztere finden dementsprechend Eingang ins Strafrcgister. 24 Es läßt sich somit insgesamt feststellen, daß es bei den mit Regelbeispielen verbundenen besonders schweren Fällen um Bereiche geht, die sachlich nicht erst die Strafzumessung betreffen, sondern auf die Ebene qualifizierter Tatbestände gehören. 25 b) Damit kommt der Satz Nullum crimen sine lege in den Blick. Bei ihm ließe sich daran denken, daß er überhaupt nur für den Grundtatbestand gilt. Daß ein Verhalten unter Strafe gestellt ist, steht mit dessen gesetzlicher Festlegung bereits fest. Rechtssicherheit hinsichtlich des Ob der Strafbarkeit ist daher gegeben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, daß es dabei nicht sein Bewenden hat, sondern jener Satz auch für qualifizierte Tatbestände gilt. 26 Für den Einzelnen und die strafrechtliche Rechtssicherheit ist es nicht gleichgültig, ob nur wegen Verwirkli21 BGHSt 33, 370, 374. Auch wird dort davon gesprochen, daß die Regelbeispiele jedenfalls „tatbestandsähnlich“ seien. 22 Hirsch, ZStW 84 (1972), S. 380, 387. 23 BGH, NJW 1970, S. 2120. 24 Siehe § 5 Abs. I Nr. 6 BZRG. 25 So schon AE AT, 2. Aufl., 1969, Begr. S. 119: Arzt, JuS 1972, S. 515 ff., 576, 580 f.; Hirsch, ZStW 84 (1972), S. 380, 387 f.; Calliess, JZ 1975, S. 112 ff.; Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, 1982, S. 216; Montenbruck, NStZ 1987, S. 311, 314; wohl auch Maiwald, NStZ 1984, S. 433, 439 f.; außerdem das oben in Fn. 5 zitierte jüngere Schrifttum. Zu beachten sind jedoch die daraus gezogenen unterschiedlichen Folgerungen. Jene sachliche Feststellung legitimiert noch nicht dazu, die Regelbeispiele und die aus der Generalklausel abgeleiteten Sachverhalte bereits de lege lata als Tatbestandsmerkmale einzustufen. Denn das Gcsetz regelt sie als Strafzumessungsgesichtspunkte (vgl. oben bei Fn. 10). Zur Frage, ob sich daran etwas unter übergeordneten Aspekten ändert, siehe die weiteren Ausführungen. 26 Vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 10), S. 134, 136; Maurach / Zipf, Strafrecht Allg. Teil, Teilbd. 1, 8. Aufl. 1992, § 10 Rn. 20 f.; Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. I, 3. Aufl., 1997, § 5 Rn. 7, 29, 40; Schönke / Schröder-Eser, § I Rn. 6, 26 f., 30.

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chung des Grundtatbestands oder wegen einer schärfer eingestuften Tat bestraft wird. Es würde deshalb unstreitig gegen den Nullum crimen-Satz verstoßen, wenn ein Gericht einen gesetzlich qualifizierten Tatbestand, z. B. den der Gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB), im Wege der Analogie auf andere Fälle, wie etwa gefährliche Eigenschaften des Täters (Boxer, Karateschläger), ausdehnen würde. Das Gesetz selbst verfährt im übrigen bei von ihm als qualifizierte Tatbestände geregelten Vorschriften mit größter Exaktheit, wie sich bei den Versuchsregelungen zeigt. Es begnügt sich hinsichtlich der Versuchsstrafbarkeit von im Vergehensbereich bleibenden Qualifikationen nicht etwa damit, daß eine Versuchsvorschrift bereits beim Grundtatbestand existiert, sondern hält eine ausdrückliche Regelung auch beim qualifizierten Tatbestand für notwendig. 27 Die grundsätzliche Geltung des Satzes Nullum crimen sine lege für qualifizierte Tatbestände kann mithin nicht in Frage gestellt werden. Da es bei den mit Regelbeispielen verknüpften besonders schweren Fällen der Sache nach um qualifizierte Taten geht, könnte bei ihnen deshalb dieses strafrechtliche Grundprinzip virulent werden. Verbreitet ist jedoch die Neigung, bei Durchbrechungen strafrechtlicher Grundprinzipien relativistisch zu erklären, daß es aus praktischen Gründen nicht möglich sei, sie uneingeschränkt durchzuhalten. In bezug auf die Regelbeispieltechnik heißt es in der Begründung zu dem diese heutige Gesetzesfigur vorschlagenden E 1962, daß die Bildung qualifizierender Tatbestände bei Strafschärfungen einzelner Delikte zu einer unbefriedigenden Kasuistik führen könne und es deshalb dort „unausweichlich“ sei, die gebotene Unterteilung des Strafrahmens in einer „beweglicheren Weise“ vorzunehmen. 28 Entsprechendes liest man im Schrifttum: So schreibt Gribbohm im Leipziger Kommentar 29 zur Gesetzesfigur der besonders schweren Fälle, dem Richter werde „mit der Auswahl eines unter mehreren in Betracht kommenden Strafrahmens eine zusätzliche Aufgabe übertragen, die nach dem Grundgedanken des § 1 StGB und des Art. 103 Abs. 2 GG an sich in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers gehört“. Sie sei gleichwohl rechtlich haltbar, weil sich „das Prinzip der Gesetzesbestimmtheit in der Strafrechtspraxis nicht in begrifflicher Schärfe verwirklichen“ lasse. Auch Wessels, der sich schon im Jahre 1972 näher mit der Regelbeispieltechnik auseinandersetzte, meinte: Möge „der 27 Vgl. beispielsweise § 224 Abs. 2, § 244 Abs. 2, § 260 Abs. 3 StGB. Diese schon immer im StGB praktizierte Gesetzestechnik wird in BGHSt 33, 370 übergangen, wenn es dort einerseits heißt, daß die Regelbeispiele der besonders schweren Diebstahlsfälle (§ 243 StGB) „bei der Bestimmung des für den strafbaren Deliktsversuch geltenden Strafrahmens im Ergebnis wie ein Tatbetandsmerkmal zu behandeln“ seien (S. 374), andererseits davon die Rede ist, daß in § 243 StGB die Strafbarkeit des Versuchs eines Regelbeispiels trotz Nichterwähnung „mit den allgemeinen Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs ... im Einklang steht“ (S. 377). 28 E 1962, Begr. zu § 62, S. 184. Der Entwurf sah bei rund 60 Vorschriften besonders schwere Fälle vor; vgl. näher W. Milletat, Die besonders schweren Fälle im Entwurf eines Strafgesetzbuches E 1962, Berliner Diss. 1965. 29 LK-Gribbohm, StGB, 11. Aufl. 1992, § 1 Rn. 63 u. 64.

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Verlust an Rechtssicherheit, der mit der Ablösung von Qualifikationstatbeständen durch Regelbeispiele verbunden ist, auch Sorgen bereiten“, so handele es sich gegenüber einer „allzu starren Tatbestandskasuistik“ dennoch um einen „sinnvollen“ Weg zu „schöpferischer Mitgestaltung“ durch den Richter. 30 Der Hinweis auf praktische Notwendigkeiten ist indes bereits gegenstandslos, wenn solche Bedürfnisse gar nicht bestehen. Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung der heutigen Regelbeispieltechnik durch das 1. StrRG von 1969 vornehmlich die bei der Auslegung des § 243 a.F. StGB entstandenen Probleme vor Augen und daraus gefolgert, daß Qualifikationskataloge zu starr seien. Es ging darum, daß die Schöpfer des StGB beim Tatbestandsmerkmal „umschlossener Raum“ von einer festen Verbundenheit mit der Erdoberfläche ausgegangen waren, 31 und daran hatte auch das RG in ständiger Rechtsprechung festgehalten. 32 Erst durch die – sachlich wünschenswerte – Ausweitung der Vorschrift durch den BGH 33 auf Räumlichkeiten, die keine solche feste Verbindung aufweisen, namentlich Kraftfahrzeuge, entstand der Widerspruch, daß nun der Einbruch in ein Kraftfahrzeug mit schärferer Strafe bedroht war als die Entwendung des gesamten Fahrzeugs. Es soll hier nicht der Frage nachgegangen werden, ob vor einer straferweiternden Gesetzesauslegung mehr bedacht werden kann, daß sie vielleicht zu unerträglichen Widersprüchen führt. Jedenfalls hätte der Gesetzgeber, der mit Gesetzesnovellen sonst durchaus nicht sparsam umgeht, den Widerspruch leicht korrigieren können. Betrachtet man zudem alle qualifizierten Tatbestände des StGB, fällt auf, daß die Notwendigkeit von Korrekturen oder Ergänzungen sich in aller Regel nur in erheblichen zeitlichen Abständen stellt. Sie ist daher weder ein ernstes noch ein die Praxis störendes Problem, solange der Gesetzgeber insoweit seinen Aufgaben nachkommt. 34 Aufschlußreich ist die Entwicklung seit der Ausbreitung der Regelbeispieltechnik: Es zeigt sich, daß die Generalklausel „besonders schwerer Fall“ neben den 30 Wessels, FS Maurach, 1972, S. 295, 309 f. Siehe auch die Stellungnahmen von Jescheck und Jakobs beim Marburger Strafrechtsgespräch 1997 (vgl. den Bericht [Fn. 1], S. 408 ff.). Nach Jeseheck sollte man sich „nicht prinzipiell gegen Regelbeispiele aussprechen“, sondern sich die „Flexibilität“ offenhalten; wohl aber sei die „übermäßige Verwendung“ abzulehnen (S. 412 f.). Weitergehend meinte Jakobs, man dürfe den Satz Nullum crimen sine lege „nicht als starren Grundsatz, sondern als ... Ideal begreifen, das immer mit dem Blick für das rechte Maß verwirklicht werden müsse“; insofern sei dem Gesetzgeber „das Experiment mit der offenen Regelung des § 243 StGB nachzusehen“ (S. 412). Siehe auch noch Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl. 1991, 6/99 f. Schönke / Schröder-Eser, § 1 Rn. 29, spricht von einem „durch das Gesetz legitimiert(en) ... Weg einer Analogie“, wobei allerdings die Frage der Legitimation unbeantwortet bleibt. 31 Näher dazu RGSt 4, 164. 32 RGSt 4, 164; 8, 364; 70, 360. 33 BGHSt 1, 158. 34 Näher dazu Zieschang, Jura 1999, S. 561, 567 f., der auch umgekehrt die durch die Regelbeispieltechnik entstandenen zahlreichen neuen Probleme der Rechtsanwendung im einzelnen aufzeigt und kritisch erörtert (S. 563, 564 ff.).

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für sie im Gesetz genannten Regelbeispielen kaum praktische Bedeutung hat. Ist keines der Regelbeispiele verwirklicht, so erfolgt nur sehr selten ein Rückgriff auf die Generalklausel der Vorschrift; es heißt, daß die Richter allein schon die Unbestimmtheit davon abhalte. 35 Das Argument, es bestehe ein praktisches Bedürfnis, trifft also gar nicht zu. Vielmehr kann der Gesetzgeber die wenigen Fälle, in denen sich im Laufe der Jahrzehnte Änderungsnotwendigkeiten bei qualifizierten Tatbeständen ergeben, ohne weiteres durch gelegentliche Gesetzesnovellen erledigen. Vor allem aber sollte man gegenüber dem Argument der praktischen Unverzichtbarkeit bedenken, daß die Frage ebenso – und noch gravierender, weil es dann um die Strafbarkeit überhaupt und nicht erst um Strafschärfung ginge – bei den Grundtatbeständen auftaucht. 36 Auch sie sind nicht allumfassend. Es gilt als Wesenszug eines rechtsstaatlichen Strafrechts, daß es fragmentisch ist. Wieso sollte aber bei der Strafbegründung etwas anderes gelten als bei der Strafschärfung? Es gibt eine ganze Reihe von Grundtatbeständen, bei denen man sich analoge Fälle denken kann, z. B. nächtliche Telefonbelästigungen zu § 123 StGB, Ausspähen sonstiger gegen Zugang besonders gesicherter Geheimnisse zu § 202a StGB, seelische Beeinträchtigungen zu § 223 StGB, Herbeiführung sonstiger Zwangslagen zu § 240 StGB, Herkunftszeichen zu § 267 StGB, reine Sachentziehungen zu § 303 StGB usw. Aber naheliegenderweise ist der deutsche Gesetzgeber ebensowenig wie die ausländischen deshalb auf den Gedanken gekommen, die Grundtatbestände im Stile der Regelbeispieltechnik zu gestalten. Denn daß dies der Abschied vom Satz Nullum crimen sine lege wäre, ist evident. Was jedoch bei den Grundtatbeständen selbstverständlich ist, sollte ebenso bei den Strafschärfungen gelten. Das um so mehr, als bei den Strafschärfungen nicht das Ob, sondern die Höhe der Strafbarkeit in Rede steht und deshalb Lücken weniger weitreichende Folgen haben als im Bereich der Strafbegründung. c) Das Flexibilitätsargument hat bei den mit Regelbeispielen verknüpften besonders schweren Fällen noch eine gegenüber der regelmäßigen Strafschärfung privile35 Meyer-Goßner, in Marburger Bericht (Fn. 1), S. 409. Vgl. auch die zum Teil mit massiver Kritik verbundenen Stellungnahmen seitens der Rechtspraxis in der zum Entwurf des 6. StrRG erfolgten Anhörung durch den Rechtsausschuß des Bundestages (Prot. Rechtsausschuß BT Nr. 88 vom 4. 6. 97 mit Anlagen). Dort wurde darauf hingewiesen, daß der unverhältnismäßig hohe Begründungs- und Abwägungsaufwand und die sich daraus ergebende Erwartung intensiver revisionsgerichtlicher Nachprüfung zu einer äußerst zurückhaltenden Anwendung geführt hat (Prot. a. a. O., S. 16, 120). Die erforderliche Fülle von Abwägungen und Abwägungsschritten („Abwägungskaskaden“) habe zur Folge, daß es häufig nur eine Frage des Zufalls sei, ob das Ergebnis auch dem Revisionsgericht „gefällt“ (Prot. a. a. O., S. 4, 16, 21, 22, 48; Anl. S. 55, 90, 120). Zugespitzt führe das ganze Dilemma dazu, daß diese „moderne“ Gesetzestechnik „nur die Spielernaturen unter den Richtern begeistern, nicht aber zu einer sicheren Rechtsprechung führen kann“ (Prot. a. a. O., S, 22). Siehe zu der Anhörung auch Kreß, NJW 1998, S. 633, 636. 36 Darauf weist auch Esko Horn (Fn. 5), Kap. IV. a.E., hin.

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gierende Seite. Während das Vorliegen qualifizierender Tatbestandsmerkmale das Gegebensein eines qualifizierten Tatbestands bedeutet, soll die Regelbeispieltechnik auch ermöglichen, daß trotz Erfülltseins der Merkmale eines Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall verneint werden kann. Diese zugunsten des Täters gehende Seite gehört in den Themenkreis „minder schwere Fälle“, da es sich darum handelt, ob ausnahmsweise die regelmäßig anzunehmende Strafschärfung nicht eingreifen soll. Die Besonderheit besteht gegenüber der Rechtsfigur „minder schwerer Fall“ darin, daß die tattypischen Voraussetzungen der strafschärfenden Sanktion schon nicht erfüllt sein sollen. Während nach der gesetzlichen Regelung qualifizierter Tatbestände, z. B. der Schweren Körperverletzung (§ 226 StGB), das Vorliegen des qualifizierten Tatbestands bei der Bejahung eines minder schweren Falles unberührt bleibt (siehe Absatz 3), soll bei den an Regelbeispiele geknüpften besonders schweren Fällen die ausnahmsweise Milderung zur Verneinung der strafschärfenden Vorschrift überhaupt führen. Hier erhebt sich daher erneut das Bedenken, daß es keine ersichtlichen Gründe dafür gibt, die gesetzliche Regelung teils so, teils anders zu treffen. Vielmehr handelt es sich beidemal um dieselbe Problematik, und sie läßt sich deshalb nur einheitlich beantworten. Sie ist zudem schon von den Grundtatbeständen her geläufig. Bei diesen geht es um die Frage der Ausgrenzung der Bagatellkriminalität, was praktisch viel bedeutsamer ist als die Untergrenze strafschärfender Merkmale. Das deutsche Recht vertritt hinsichtlich der Bagatellkriminalität bekanntlich eine prozessuale Lösung (§§ 153 ff. StPO), geht also vom Vorliegen der jeweiligen materiellrechtlichen Vorschrift aus. Nun kommt eine prozessuale Lösung zwar bei strafschärfenden Regelungen der Sache nach nicht in Betracht. Wohl wird heute in Deutschland bei der sog. konsensualen Erledigung von Strafverfahren nicht selten hinsichtlich qualifizierter Tatbestände in der Weise verfahren, daß man sich darauf verständigt, die Tat nur nach dem Grundtatbestand und dessen Normalstrafrahmen zu verfolgen. Jedoch handelt es sich dabei um Praktiken, die sich am Rande und jenseits der Legalität bewegen, und die für ihre Handhabung herangezogen Gesichtspunkte bieten keine hier verwertbare Lösung. Aber auch wenn es deshalb bei den gesetzlichen Strafschärfungen rechtlich von vornherein nur um eine materiellrechtliche Frage gehen kann, ist die Regelbeispieltechnik auch bezüglich der Markierung der Untergrenze der besonders schweren Fälle verfehlt. Wie sich im vorhergehenden gezeigt hat, handelt es sich bei den besonders schweren Fällen um die Bildung eines neuen Tattyps. Deshalb hat bei ihnen insofern sachlich nichts anderes zu gelten als bei gesetzlich qualifizierten Tatbeständen. Ebensowenig wie bei diesen dem Ermessen des Richters freigestellt wird, das Vorliegen der in ihren Merkmalen erfüllten Qualifizierung wertend zu verneinen, verhält es sich hier. Wann ein der Strafschärfung unterliegender Tattyp vorliegt, kann nach dem Nullum crimen-Satz nicht gesetzlich offenbleiben. Aufschlußreich ist auch insoweit, daß die Verneinung eines besonders schweren Falles bei Erfülltsein eines Regelbeispiels praktisch keine wesentliche Bedeutung

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hat, wobei die hier zumeist weit nach unten gehenden Strafrahmen, z. B. in § 243 StGB bis zu drei Monaten Freiheitsstrafe, eine Rolle spielen. 37 III. Was folgt aus diesen Überlegungen für den Rechtszustand de lege lata? 1. In den Blick tritt Verfassungswidrigkeit der Gesetzeskonstruktion wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht 38 hat dies jedoch verneint und dabei zur Begründung angeführt, das Gebot der Bestimmtheit des Gesetzes dürfe nicht übersteigert werden; die Gesetze würden sonst zu starr und könnten der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden. Es werde kein neuer, vom Grunddelikt wesensverschiedener Unwerttypus gebildet, und durch die Regelbeispiele werde das materiale Kriterium der „besonderen Schwere“ des Falles hinreichend deutlich gemacht, um eine sichere Rechtsanwendung zu garantieren. Man wird aber bedenken müssen, daß es in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ebenso wie sonst in der höchstrichterlichen Rechtsprechung neben sachlich richtigen auch unrichtige oder überholte Entscheidungen gibt. Das ist hier um so leichter möglich, weil dem mit weiten Begriffen und unscharfen Wertabwägungen arbeitenden Verfassungsrecht die auf strenge Begrifflichkeit und Bestimmtheit ausgerichtete strafrechtliche Sichtweise etwas fernliegt. Vor allem aber ist das Bundesverfassungsgericht bei seiner damaligen Entscheidung von der inzwischen durch die Praxis widerlegten Vorstellung ausgegangen, es bestehe ein zwingendes praktisches Bedürfnis für jene Rechtsfigur. Auch war die rechtliche Problematik einer solchen Strafschärfungskategorie noch nicht im heutigen Umfang aufgeklärt. Ob das Bundesverfassungsgericht beim gegenwärtigen Erkenntnisstand ebenso wie damals entscheiden würde, erscheint deshalb zweifelhaft. Sollte es nunmehr zur Bejahung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG gelangen, könnte die Entscheidung so aussehen, daß es die Generalklausel für verfassungswidrig erklärt und die bisherigen Regelbeispiele als qualifizierende Tatbestandsmerkmale einstuft (und diese, soweit sich die Regelbeispieltechnik zugunsten des Täters auswirkt, bis zur Änderung des Gesetzeswortlauts als nur im Regelfall eingreifende Qualifikationen interpretiert) – eine Lösung, wie sie von der im folgenden genannten Literaturrichtung schon de lege lata favorisiert wird. Ohne rechtliches Vakuum könnte der Gesetzgeber dann für eine ordnungsgemäß formulierte Neufassung Sorge tragen, in die er auch eine Anpassung des § 12 Abs. 3 StGB einzubeziehen hätte (d. h. für die Einordnung dieser Strafschärfungen als Vergehen oder Verbrechen sollten die Absätze 1 und 2 der Vorschrift gelten). 37 Auf die mangelnde praktische Bedeutung weist Meyer-Goßner hin (in Marburger Bericht [Fn. 1], S. 409). 38 BVerfGE 45, 363, 370 ff.

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2. Aber auch dann, wenn das Bundesverfassungsgericht das schwere Geschütz der Verfassungswidrigkeit nicht auffahren möchte und die verfassungsrechtlichen Maßstäbe hier weiterhin großzügig handhabt oder wenn es gar nicht erneut mit der Problematik befaßt wird, besteht jedenfalls das Faktum, daß die Konstruktion aus strafrechtlicher Sicht nicht stimmig ist – und dabei kann es nicht bleiben. Calliess, der die Regelbeispieltechnik seit langem kritisiert, 39 schlägt vor, die besonders schweren Fälle auch ohne Spruch des Bundesverfassungsgerichts als qualifizierte Tatbestandsmerkmale zu behandeln. Er meint allerdings, daß sich dies im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ermöglichen lasse. Danach sei die jeweilige Generalklausel „besonders schwerer Fall“ wegen ihrer völligen Unbestimmtheit als verfassungswidrig anzusehen, die Regelbeispiele dagegen in der Weise als qualifizierende Tatbestandsmerkmale einzuordnen, daß der Richter nur, aber nicht immer bei ihrem Vorliegen einen besonders schweren Fall anzunehmen habe. Callies spricht dementsprechend in bezug auf den Wortlaut „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn ...“ von einer „nur, aber nicht immer-Formel“. 40 Zwar hat sich in der vorliegenden Untersuchung bestätigt, daß es der Sache nach bei den besonders schweren Fällen um die Ebene qualifizierter Tatbestandsmerkmale geht. Aber vom Gesetzgeber sind die besonders schweren Fälle, wenn auch fälschlich, bisher als Strafzumessungsfrage geregelt (s. o.), und darüber ist nicht im Wege bloßer Gesetzesauslegung hinwegzukommen. 41 Verfassungskonforme Auslegung durch den Normanwender setzt Interpretationsmöglichkeiten des Gesetzestextes voraus, gestattet aber kein Hinwegsetzen über den dem verfassungsgerichtlichen Entscheidungsmonopol unterliegenden Gesetzestext. 42 Außer der Befassung des Bundesverfassungsgerichts verbleibt als nächstliegender Weg nur die Aufforderung an die für die Gesetzgebung Verantwortlichen, das StGB wieder sachlich ins Lot zu bringen. Wir haben in Deutschland bisher gemeint, in der Kunst der Strafgesetzgebung besonders weit fortgeschritten zu sein und in deren Ergebnissen als Modell für ausländische Gesetzgeber dienen zu können. So ist in der Begründung zum Regierungsentwurf eines 6. StrRG noch davon die Rede, daß die vom deutschen Gesetzgeber erfundene Regelbeispieltechnik eine in der „modernen Strafgesetzgebung bevorzugte Technik“ sei. 43 Leider hat man zuvor keinen Blick über die Staatsgrenzen geworfen. Dann wäre nämlich aufgefallen, daß diese sich seit der Strafrechtsreform im deutschen Strafrecht ausbreitende Form „moderner Strafgesetzgebung“ in den seither geschaffenen neuen ausländi39

Calliess, JZ, 1975, S. 112 ff.; ders., NJW 1998, S. 929 ff. Calliess, NJW 1998, S. 929, 935. 41 Hirsch, ZStW 84 (1972), S. 380, 386; Gössel, FS Hirsch, 1999, S. 183, 204. 42 Nicht haltbar sind auch die sog. vermittelnden Lösungen. Sie setzen sich ebenfalls über den Gesetzestext hinweg. Außerdem führen sie leicht zu widersprüchlichen Ergebnissen. 43 Vgl. oben in Fn. 9. 40

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schen Gesetzbüchern keine Nachahmung gefunden hat. 44 Der Satz Nullum crimen sine lege ist dort offenbar nachhaltiger im Rechtsbewußtsein verankert als bei uns, und es fehlt jener strafrechtsfremde Lückenlosigkeitsdrang, wie er teilweise in die deutsche Strafgesetzgebung Eingang gefunden hat. Auch hat Calliess 45 bereits darauf hingewiesen, daß noch etwas hinzukommt: die ebenfalls an anderen Stellen unserer Rechtsordnung – vom Zivil- und Arbeitsrecht bis zur Asylrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – festzustellende Tendenz zu Entscheidungen nach Einzelfallgesichtspunkten. Diese Tendenz hat jedoch im Strafrecht vor den Deliktstypen und der durch den Satz Nullum crimen sine lege gewährleisteten Rechtssicherheit haltzumachen. Eine Rückbesinnung auf strafrechtliche Grundprinzipien ist deshalb bei der zur Erörterung stehenden Problematik dringend geboten. IV. Es wurde schon vermerkt, daß die Diskussion sich auf die Regelbeispieltechnik konzentriert. Die Gruppe der gänzlich unbenannten besonders schweren Fälle, z. B. § 212 Abs. 2 StGB, hat dagegen weniger Beachtung gefunden. 46 Manche Kritiker der heutigen Regelbeispieltechnik halten sie überhaupt für bedenkenfrei. 47 Diese unterschiedliche Einschätzung hängt, wie schon angedeutet, damit zusammen, daß die Betreffenden zwar angesichts des in die Augen springenden Unrechtscharakters der Regelbeispiele mit Recht meinen, bei der Regelbeispieltechnik handele es sich in Wahrheit um qualifizierende Tatbestandsmerkmale, aber bei einer ausschließlichen Generalklausel „besonders schwerer Fall“ mangels solcher Substantiierung von bloßer Strafzumessung ausgehen. Der Unterschied zwischen beiden Regelungen besteht jedoch allein darin, daß im ersten Fall der Gesetzgeber die strafschärfenden Merkmale bereits teilweise selbst formuliert hat, im anderen 44

Vgl. insbesondere die neuen Strafgesetzbücher von Spanien, Polen und Frankreich. Calliess, NJW 1998, S. 929, 931 ff. 46 Es wurde oben (Abschnitt II. 1.) schon darauf hingewiesen, daß erst die Einführung der heutigen Regelbeispieltechnik durch die mit dem 1. StrRG von 1969 eingeleitete Strafrechtsreform eine lebhaftere Diskussion ausgelöst hat, und diese hat sich zumeist ganz auf jene Technik konzentriert, wie schon die Titel der meisten Veröffentlichungen zeigen. Kritisch auch den gänzlich unbenannten besonders schweren Fällen gegenüber aber namentlich Calliess, JZ, 1975, S. U2 ff.; ders., NJW 1998, S. 929, 930 f., 934 f.; Hettinger (Fn. 25), S. 217 ff.; ders., in: Marburger Bericht (Fn. l), S. 410; Hirsch, in Marburger Bericht (Fn. l), S. 410; Zieschang, Jura 1999, S. 561, 567; Krahl (Fn. 5), S. 137 ff., 318 m.w. N. Gegen jegliche „besonders schweren Fälle“ auch AE AT, Begr. S. 119. Eine Aufzählung der heute im StGB enthaltenen gänzlich unbenannten besonders schweren Fälle findet sich bei Tröndle / Fischer, 49. Aufl., § 12 Rn. 11. 47 So offenbar Gössel auf der Grundlage seiner Auffassung, daß sich eine qualitative Unterscheidung von Unrecht und Schuld einerseits und Strafzumessungsgesichtspunkten andererseits vornehmen lasse; vgl. dens., in Marburger Bericht (Fn. l), S. 408, und in FS Hirsch,1999, S. 183 ff. 45

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dagegen dies ganz dem Richter überläßt. Es geht bei der Differenzierung zwischen Tatmerkmalen und Strafzumessungsgesichtspunkten, wie sich gezeigt hat, nicht allgemein um artspezifisch unterschiedliche Sachverhaltsmomente und auch nicht darum, daß Tatmerkmale ausdrücklich im Gesetzestext ganz oder teilweise benannt werden, sondern um die durch die jeweilige Strafdrohung erfolgte gesetzliche Zuordnung. Besonders schwere Fälle mit ihrer erhöhten Strafdrohung bilden einen von dem betreffenden Grunddelikt abgehobenen Bereich und damit eine abgestufte Tatgruppe, und so verhält es sich nicht nur bei denen mit Regelbeispielen, sondern auch bei denen ohne solche. Hier wie dort hat man es mit der Abhebung und Strafschärfung von Taten, nämlich erhöhtem Unrecht und Schuld, zu tun, deren Gewicht nicht durch den Grundtatbestand mit seinem Normalstrafrahmen genügend zum Ausdruck gelangt und abgedeckt ist. Daß es sich um einen strafschärfenden Tattyp handelt, wird zusätzlich dadurch unterstrichen, daß die Strafrahmen auch bei gänzlich unbenannten besonders schweren Fällen sich mit denen der jeweiligen Grunddelikte überlappen. Der Unterschied der gänzlich unbenannten besonders schweren Fälle gegenüber den an Regelbeispiele geknüpften besteht daher allein darin, daß bei ersteren die strafschärfende Tatbestandsbildung völlig dem Ermessen der Richter überlassen worden ist. Geht es bei den Generalklauseln in der Regelbeispieltechnik um eine gesetzliche Analogieermächtigung, so hier um die Ermächtigung zur freien Rechtsfindung. 48 Die Frage, ob die Generalklauseln nicht auch noch eine von erhöhtem Unrecht und zugehöriger Tatschuld unabhängige, nämlich ausschließliche Strafzumessungsgesichtspunkte (z. B. Vorleben, Verhalten nach der Tat usw.) betreffende Funktion haben, ist dahin zu beantworten: Eine verschärfte Strafdrohung setzt stets schwereres Unrecht (und Schuld) als der Grundtatbestand voraus, so daß derartige Gesichtspunkte nur akzessorische Bedeutung haben, also für sich allein eine solche Strafdrohung nicht zu stützen vermögen. 49 Der Sündenfall der deutschen Strafgesetzgebung ist deshalb bereits damit erfolgt, daß man nach dem Ersten Weltkrieg vereinzelt Generalklauseln besonders schwerer Fälle eingeführt hat. Es konnte deshalb, als es später um die Einführung strafschärfender Regelbeispiele ging, nachvollziehbar vorgebracht werden, daß diese gegenüber den ausschließlichen Generalklauseln doch ein Plus an Gesetzesbestimmtheit darstellten. Man fragt sich, wie solche Generalklauseln ohne bemerkbaren Widerspruch der Wissenschaft ins deutsche Strafrecht gelangt sind. Offenbar wurde es dadurch begünstigt, daß sie zunächst (von 1919 an) nur im damals von der Theorie wenig beachteten Nebenstrafrecht auftauchten. Auch bezog sich das erstmalige Erscheinen im StGB, das 1926 mit der Einführung des damaligen § 210a StGB erfolgte, lediglich darauf, daß bei den Zweikampftatbeständen die Nebenfolge des Verlusts öffentlicher Ämter in besonders schweren Fällen nicht 48 49

Darauf weist auch Esko Horn (Fn. 5), Kap. III D 3, IV, hin. Anders Gössel (siehe die vorhergehende Fn. 47).

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lediglich fakultativ, sondern obligatorisch sein sollte. Die Ausbreitung erhöhter Strafdrohungen für besonders schwere Fälle setzte im StGB erst mit dem Anbruch der NS-Zeit ein, nämlich mit einer Gesetzesnovelle von 1933, und in dieser Zeit und den nächsten Jahren paßte sie in das von rechtsstaatlichen Fesseln befreite Bild, das die damals tonangebenden Autoren vom Strafrecht hatten. Indem bei den gänzlich unbenannten besonders schweren Fällen auf freie, nicht einmal von Analogiekriterien geleitete Rechtsfindung verwiesen wird, sind sie noch fataler als die Generalklauseln bei der Regelbeispieltechnik. Während bei letzteren noch die für die Regelbeispiele geltenden (sub-)dogmatischen Voraussetzungen Beachtung finden, z. B. die Vorsätzlichkeit der Verwirklichung, ist bei den völlig unbenannten besonders schweren Fällen vom Gesetzgeber der Weg ins Dunkelfeld der Strafzumessung eröffnet. So wird nach dem StGB bei dem mit der gleichen absoluten Strafdrohung (!) wie dem Mordtatbestand ausgestatteten besonders schweren Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) das Vorliegen schlicht nach Strafzumessungsgesichtspunkten, wie sie im § 49 Abs. 2 StGB aufgeführt sind, entschieden. Hinzuweisen ist auch auf die erfolgsqualifizierten Delikte. Während bei ihrer tatbestandlichen Vertypung die detaillierten Voraussetzungen der Folgeherbeiführung eine wichtige Rolle spielen, gehen sie bei einer Strafschärfung durch einen gänzlich unbenannten besonders schweren Fall in unscharfen Erwägungen unter. Bemerkenswert ist, daß diese ältere Form der besonders schweren Fälle ebenso wie die Generalklausel bei der Regelbeispieltechnik von der Praxis gemieden wird. Sie kommt wegen ihrer völligen Unbestimmtheit wenig vor. 50 Betrachtet man die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht in der erwähnten Entscheidung zur Regelbeispieltechnik angelegt hat, so sind nicht einmal diese hier erfüllt. Denn in jenem Urteil hieß es, daß die Regelbeispiele das materiale Kriterium der „besonderen Schwere“ des Falles hinreichend deutlich machten. Das Gericht hat indes in einem den § 212 Abs. 2 StGB betreffenden späteren Beschluß 51 für ausreichend erklärt, daß § 211 StGB mit seiner ebenfalls absoluten Strafdrohung Hinweise dafür gebe, welchen Unrechts- und Schuldgehalt der Gesetzgeber für diese Strafdrohung voraussetzen wollte. Daraus folgten „hinreichend sichere Kriterien“ für die Auslegung des § 212 Abs. 2 StGB. Daß das Gericht überhaupt auf solche „Hinweise“ abstellt, deutet aber jedenfalls darauf hin, daß dort, wo zum Vergleich dienende Merkmale fehlen, wohl auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gesetzesbestimmtheit zu verneinen wäre. Was den Hinweis auf § 211 StGB angeht, erhebt sich das Bedenken, daß die Mordmerkmale sich wegen ihres restriktiv zu interpretierenden Inhalts gar nicht für Analogie eignen. Der § 212 Abs. 2 StGB ist allein schon deshalb 50 51

Vgl. die Angaben oben in Fn. 35; auch schon Bruns, JR 1979, S. 28, 29. BVerfG, JR 1979, 28.

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fragwürdig, weil die im Hinblick auf die absolute Strafdrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe verfassungsrechtlich gebotene enge Auslegung des § 211 StGB unterlaufen wird. 52 Der Gesetzgeber sollte daher auch die gänzlich unbenannten besonders schweren Fälle bald streichen. Wenn man meint, daß es Fälle gibt, bei denen ein Bedürfnis für eine gesetzliche Strafschärfung besteht, muß man sie aus der veröffentlichten Judikatur und dem Schrifttum sowie durch Erhebungen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften genau ermitteln. Sollte sich dabei die Erforderlichkeit bestätigen, ließen sich die Fälle dann als qualifizierte Tatbestände ordnungsgemäß im Gesetz vertypen. V. 1. Es verbleibt die Frage, wie diese Ergebnisse mit den minder schweren Fällen in Einklang stehen. Hat für sie, bei denen es um die umgekehrte Richtung geht, prinzipiell etwas anderes zu gelten als für die besonders schweren? „Mildernde Umstände“ sind eine alte Kategorie (vgl. § 213 StGB). 53 Auch bei ihnen stellt sich indes die Frage, ob sie rechtlich stimmig sind. Blickt man auf den Satz Nullum crimen sine lege, so wird klar, weshalb hier weniger Bedenken erhoben werden. Es handelt sich um Vorschriften zugunsten der Täter, so daß das Prinzip nicht zur Anwendung gelangt. 54 Zwar ist angeführt worden, daß durch sie Unbestimmtheit im unteren Bereich der betreffenden Strafbestimmungen eintritt. 55 Aber Orientierungspunkt für den Beginn der jeweiligen Strafbarkeit ist der einschlägige Tatbestand mit seinem Strafrahmen. Andernfalls würde man, weil alle allgemeinen Strafmilderungen und Strafauschlußgründe zwangsläufig hinter den Anforderungen zurückbleiben, welche an die Gesetzesbestimmtheit bei Tatbestandsmerkmalen zu stellen sind, 56 die beim Satz Nullum crimen sine lege geltende Unterscheidung von zu Lasten und zu Gunsten des Täters gehenden strafrechtlichen Konsequenzen einebnen: Es ginge verfehlterweise dann alles zu Lasten. „Mildernde Umstände“, heute „minder schwere Fälle“, haben „Rabattcharakter“. Das läßt aber die strafrechtliche Frage der Vereinbarkeit von privilegierten Tatbeständen und minder schweren Fällen unberührt. Allerdings spielt das Problem innerhalb der Vergehen keine Rolle, da deren Strafrahmen weit herunterreichen 52

Mit Recht hat Bruns, JR 1979, S. 28, die Entscheidung scharf kritisiert (S. 30 f.). Siehe schon § 213 StGB i. d. F. von 1871. Näher zu den gesetzlichen Regelungen Goydke, FS Odersky, 1996, S. 371 ff.; zur historischen Entwicklung Hettinger, FS GA, 1993, S. 77 ff. 54 Schröder, FS Mezger, 1954, S. 415, 420; AE AT, Begr. zu § 60; u. a. 55 Maiwald, FS Gallas, 1973, S. 137, 150 f. 56 Vgl. dazu LK-Hirsch, StGB, 11. Aufl., 1994, Vor § 32 Rn. 40 m.w. N. 53

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und auch noch die schon erwähnten §§ 153 ff. StPO zur Verfügung stehen. Und im Bereich der Verbrechen ist klar, daß dort, wo eine Privilegierung zu Vergehen angezeigt ist, man dazu einen privilegierenden Tatbestand benötigt (vgl. § 216 StGB). Soweit es dagegen bei der Einordnung als Verbrechen bleibt, ist zu differenzieren: Handelt es sich um mehr als Korrekturen im Einzelfall, nämlich um deutliche Abstufungen des Tatunrechts und der Schuld, geht es ebenfalls um die Ebene privilegierter Tatbestände. Man denke an den früheren § 217 StGB oder daran, daß eine Rechtsordnung das Verhältnis von Mord und Totschlag in der Weise bestimmt, daß der Mordtatbestand die vorsätzliche Tötung als Grundtatbestand regelt und der Totschlag gemilderte Fälle, insbesondere die Tötung im Affekt, erfaßt. Die Probleme liegen daher in den konkreten Randbereichen. Diese entziehen sich bei der Strafmilderung wegen der Vielfalt der Möglichkeiten einer tatbestandlichen Vertypung. Während es bei Strafschärfungen keinen Schaden für Rechtsordnung und Täter bedeutet, wenn letzterer wegen des fragmentarischen Charakters des Strafrechts nicht unter eine erhöhte Strafdrohung fällt, würde sich die Starrheit des Gesetzes sehr nachteilig auswirken, wenn die Gerechtigkeit im einzelnen Fall eine niedrigere Strafe gebietet. Es bedarf daher eines korrigierenden „Notventils“, und dieses kann hier nicht verfahrensrechtlicher Natur sein. „Minder schwere Fälle“, besser wie früher: „mildernde Umstände“, haben daher ihre Berechtigung. 57 Allerdings erhebt sich die Frage, ob die einzelnen Strafbestimmungen der richtige Regelungsort für solche Ausnahmefälle sind. Abgesehen davon, daß durch eine solche gesetzliche Einordnung die jeweilige Strafbestimmung leicht mißverständlich relativiert wird, handelt es sich sachlich um eine Korrekturproblematik allgemeiner Natur: Eine einschlägige Vorschrift im Allgemeinen Teil, die generelle Kriterien benennt und einen abgestimmten Milderungsschlüssel der Strafrahmenminderung enthält, wäre deshalb eine angemessene Lösung. Es zeigt sich somit, daß aus den „minder schweren Fällen“ keine Rückschlüsse auf die Richtigkeit der Strafschärfungskategorie der „besonders schweren Fälle“ gezogen werden können. 58 VI. Als Ergebnis läßt sich demnach festhalten: Das deutsche Gesetzgebungskonzept der besonders schweren Fälle bildet eine juristische Fehlkonstruktion. Mit 57

Schröder, FS Mezger, 1954, S. 415, 420; AE AT, Begr. zu § 60; Esko Horn (Fn. 5), Kap. VB 2, VI: auch die Stellungnahme des Marburger Arbeitskreises bei Freund, ZStW 109 (1997), S. 455, 471. Anders Calliess, NJW 1998, S. 929, 935, der de lege ferenda entsprechend zur notwendigen Rückkehr zu Qualifikationsnormen die Ersetzung minder schwerer Fälle durch Privilegierungsnormen fordert. 58 Vgl. auch die Begründung zu § 60 AE AT, in der angeführt wird, daß die rechtspolitische Situation hier „eine andere“ ist, weil die Minderungsregelung zugunsten des Täters wirkt, und daß „ein weit größeres praktisches Interesse“ besteht.

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und ohne Regelbeispiele widerspricht sie strafrechtlichen Grundprinzipien. Sie bringt die deutsche Gesetzgebung in den Ruf, durch eine Umetikettierung von Tatbestands- in Strafzumessungsfragen den Satz Nullum crimen sine lege unterlaufen zu wollen. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht sich zurückhält, sollte der Gesetzgeber mit dem ihm verfügbaren Fachwissen dafür Sorge tragen, daß das deutsche StGB durch sachlich gebotene Änderung der betreffenden Vorschriften hier wieder Anschluß an die rechtsstaatlichen Standards ausländischer Strafgesetzgebung gewinnt.

Strafrecht und Überzeugungstäter 1996 I. Praktische Fälle und begriffliche Differenzierungen Pluralistische und multikulturelle Entwicklungen in der Gesellschaft verschaffen der Überzeugungstäterproblematik in Deutschland zunehmende Aktualität. Blickt man zurück auf die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik, so standen im Mittelpunkt des juristischen Interesses die auf Gewissensgründe gestützte Wehrdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG) und dann auch die Ersatzdienstverweigerung 1. Daneben ging es namentlich um Fälle wie die Ablehnung der Pflichtimpfung und die Versagung der elterlichen Zustimmung zur lebensrettenden Bluttransfusion 2. Bei denen mit religiösem Hintergrund spielten vor allem die Zeugen Jehovas eine Rolle 3. Seither hat sich der Bereich des Themas erheblich erweitert. Neben Fällen wie dem durch die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu Aktualität gelangten und deshalb Mitte der siebziger Jahre gesetzlich geregelten Fall der ärztlichen Verweigerung des Eingriffs 4 und dem ebenfalls zu jener Zeit das Tätigwerden des Gesetzgebers veranlassenden prozeßrechtlichen Fall der gewissensbedingten Eidesverweigerung 5 sind weitere Sachverhalte aktuell geworden. Es geht dabei um sehr unterschiedlich zu bewertende Erscheinungen: von der direkten aktiven Euthanasie, dem von Eltern aus religiösen Gründen veranlaßten 1 Siehe die Rspr. zur Wehrdienstverweigerung: BVerfGE 12, 45; 28, 243; 32, 40; 48, 127; BVerwGE 7, 242; 23, 98; und weiterhin BVerfGE 69, 1; 80, 354; BVerwGE 65, 57; 74, 327. Zur Ersatzdienstverweigerung: BVerfGE 19, 135; 23, 127; und aus jüngerer Zeit BVerfG NJW 1983, 1600; 1984, 1675. Übersicht über die strafrechtliche Judikatur und Literatur bei Hirsch, in: Leipziger Kommentar zum StGB (LK), 11. Aufl. 1994, Vor § 32 Rnr. 221 ff.; Nachweise zum öffentlichrechtlichen Schrifttum bei Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, 27. Lfg. 1988, Art. 4 vor Rnr.1. 2 Zur Pflichtimpfung: Welzel, DJT-Festschr. I, 1960, S. 383, 396, 398; zur Bluttransfusion: OLG Hamm NJW 1968, 212 und dazu Ulsenheimer, FamRZ 1968, 212. 3 Hierzu Arndt, NJW 1965, 432; K. Peters, Engisch-Festschr., 1969, S. 468 ff.; v. Burski, Die Zeugen Jehovas, die Gewissensfreiheit und das Strafrecht, Diss. Freiburg 1970. 4 Art. 2 des 5. StrRG (BGBl. I, 1297). Nach BVerwGE 89, 260, 262 ist die Weigerung des Arztes verfassungsrechtlich durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt, während BVerfGE 88, 203, 294 den verfassungsrechtlichen Schutz aus dem durch das ärztliche Berufsbild geprägten Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 12 Abs. 1 GG) herleitet. 5 Vgl. BVerfGE 33, 23 und die daraufhin erfolgte Einführung der eidesgleichen Bekräftigung (§ 66d StPO).

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Verstoß gegen die Schulpflicht und dem inzwischen bundesgesetzlich geregelten Fall des religiös bedingten Schächtens von Tieren 6 bis hin zum Verstecken von Fahnenflüchtigen, zu Sitzblockaden durch Anhänger der Friedensbewegung, dem Beschädigen von Eisenbahnanlagen aus Protest gegen Atommülltransporte und politisch-weltanschaulich motivierten Hausbesetzungen. Und wirft man einen Blick über die deutschen Grenzen, so beanspruchen auch Fälle wie die von Sekten begangenen Tötungen, die sich in jüngster Zeit in Japan und der Schweiz ereignet haben, und die Ermordung des israelischen Premierministers Rabin durch einen religiösen Fanatiker unser Interesse. Allen genannten Sachverhalten ist gemeinsam, daß die Täter durch eine Überzeugung, sei es religiöser oder quasi-religiöser, sei es allgemein sittlicher oder weltanschaulich-politischer Natur, motiviert worden sind. Seit Radbruch spricht man von Überzeugungstätern 7. Im Radbruch’schen StGB-Entwurf von 1922 definierte man sie als Täter, deren ausschlaggebender Beweggrund darin besteht, daß sie sich zu der Tat aufgrund ihrer sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet halten 8. Ging man in der Diskussion der 20er Jahre noch davon aus, daß für den Gesamtbereich eine einheitliche strafrechtliche Lösung denkbar sei – wobei man an die Sonderstrafe der nicht entehrenden Einschließung dachte 9 – , hat sich seit den 50er Jahren, vor allem im Hinblick auf das in Art. 4 GG enthaltene Grundrecht der Gewissensfreiheit, die Debatte auf den Gewissenstäter konzentriert. Es setzte sich die Auffassung durch, daß der Gewissenstäter eine von 6

Vgl. den vom AG Balingen NJW 1982, 1006 entschiedenen Fall und die zwischenzeitlich erfolgte Regelung in § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierschutzG hinsichtlich der Ordnungswidrigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 6 TierschutzG. 7 Vgl. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. / 4. Aufl. 1919, S. 93 f.; ders., ZStW 44 (1924), 34 ff. („Überzeugungsverbrecher“). Die Diskussion über die Behandlung solcher Täter ist allerdings schon alt; dazu Heinitz, ZStW 78 (1966), 615 f. 8 § 71 E 1922 lautete: „An Stelle von strengem Gefängnis tritt Einschließung von gleicher Dauer, wenn der ausschlaggebende Beweggrund des Täters darin bestand, daß er sich zu der Tat auf Grund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet hielt.“ Zur näheren Begründung siehe Radbruch, ZStW 44 (1924), 34, 35 ff. Im wesentlichen unverändert war § 71 E 1925; und § 72 des E 1927 und des E 1930 hatte den Wortlaut: „An Stelle der angedrohten Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe tritt Einschließung von gleicher Dauer, wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat und die Tat nicht schon wegen der Art und Weise ihrer Ausführung oder wegen der vom Täter verschuldeten Folgen besonders verwerflich ist.“ 9 Vgl. die in Fn. 8 genannten Vorschriften der damaligen Entwürfe. Schon von Anbeginn gab es im RStGB einen § 20, der bestimmte: „Wo das Gesetz die Wahl zwischen Zuchthaus und Festungshaft gestattet, darf auf Zuchthaus nur dann erkannt werden, wenn festgestellt wird, daß die strafbar befundene Handlung einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist.“ Ging es dabei nur um wenige politische Straftaten, die fahrlässige unzulässige Vollstreckung einer Strafe, Wehrstraftaten und den später abgeschafften Tatbestand des Zweikampfs, so sind im E 1922 und in den folgenden Entwürfen sämtliche Tatbestände einbezogen. Eine Übersicht über die während der 20er Jahre geführte wissenschaftliche Diskussion gibt Lang-Hinrichsen, JZ 1966, 153, 154 ff.

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den anderen Fällen deutlich zu trennende Problematik bildet 10. Dies führte dazu, daß der Begriff „Überzeugungstäter“ in den letzten Jahrzehnten oft von vornherein nur im Sinne von „Gewissenstäter“ verstanden worden ist 11. Inzwischen zeigt sich wieder eine umfassendere, gleichzeitig aber differenzierende Betrachtung: nämlich zwischen Gewissenstätern, Überzeugungstätern im engeren Sinne und neuerdings drittens: Tätern zivilen Ungehorsams 12. Während die Gewissenstaten durch den inneren ethischen Konflikt zwischen „gut“ und „böse“ geprägt sind, handelt es sich bei den Überzeugungstaten im engeren Verständnis nur um die subjektive Alternative „richtig“ oder „falsch“ 13. Diese grundsätzliche Unterscheidung läßt sich nicht unter Hinweis auf im Einzelfall mögliche Abgrenzungsprobleme in Frage stellen. Ihre Notwendigkeit ergibt sich vielmehr aus der in Art. 4 GG grundrechtlich hervorgehobenen Gewissensfreiheit und schon unabhängig davon aus der sachlichen Besonderheit des durch eine jahrhundertelange Entwicklung geprägten Gewissensbegriffs. Bei der heute sehr auffälligen dritten Gruppe, den Fällen zivilen Ungehorsams, besteht die Eigenheit darin, daß der durch eine politisch-ethische Überzeugung motivierte Täter sich keiner derartigen Alternative gegenübersieht, sondern daß es ihm – regelmäßig zusammen mit anderen Personen – darum geht, durch provokante leichtere Rechtsverletzungen öffentliche Aufmerksamkeit für einen

10 Die Verschiedenheit ist insbesondere von Welzel, K. Peters und Greffenius herausgearbeitet worden. Siehe Welzel, in: Niederschr. Große Strafrechtskomm., Bd. III, S. 61 f.; ders., DJT-Festschr. Bd. I, S. 399; K. Peters, H. Mayer-Festschr., 1966, S. 257, 263 f.; Greffenius, Täter aus Überzeugung, 1969, S. 58 ff.; ablehnend aber Heinitz, ZStW 78 (1966), 615, Bockelmann, GA 1976, 314, 317 f.; zweifelnd Lang-Hinrichsen, JZ 1966, 153, 157. 11 Siehe BGHSt. 8, 162, 165; OLG Frankfurt StV 1989, 107, 108; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht, Allg. Teil, 10. Aufl. 1995, S. 391 f.; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 414 f.; Maurach / Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd, 1, 8. Aufl. 1992, S. 470; Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, StudB, 2. Aufl. 1984, S. 46; so ebenfalls noch Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rnr. 221. Auch heißt es bei Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 591, und Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, 3. Aufl. 1981, S. 338: „Überzeugungstäter siehe Gewissenstäter“. 12 Siehe im Anschluß an die grundsätzlichen Erwägungen von Welzel, K. Peters, und Greffenius (Fn. 10): Bopp, Der Gewissenstäter und das Grundrecht der Gewissensfreiheit, 1974, S. 22 ff.; Ebert, Der Überzeugungstäter in der neueren Rechtsentwicklung, 1975, S. 59 f., 74 ff.; Lenckner, in: Schönke / Schröder, StGB, 24. Aufl. 1991, Vor § 32 Rnr. 118 f.; Roxin, Maihofer-Festschr., 1988, S. 389 ff.; ders., Strafrecht, Allg. Teil, Bd. I, 2. Aufl. 1994, § 22 Rnr. 103; Bei Jakobs, Strafrecht, Allg. Teil, 2. Aufl. 1991, 20/21 ff., findet sich eine Differenzierung zwischen „harten“ (d. h. Gewissenstätern) und „weichen“ Überzeugungstätern. Zur dritten Gruppe, dem zivilen Ungehorsam, siehe BVerfGE 73, 206, 250 ff. sowie die Literaturübersicht Fn. 90. 13 Vgl. zur Definition des Gewissensentscheids BVerfGE 12, 45, 55 und die weiteren Nachw. unten Fn. 37 und 38. Zur Unterscheidung von den Fällen bloßer subjektiver Alternative von „richtig“ und „falsch“ näher K. Peters, H. Mayer-Festschr., S. 272 f.; Greffenius (Fn. 10), S. 63 ff., 60 Fn. 102; Ebert (Fn. 12), S. 75.

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Problembereich zu wecken, also Signalhandlungen zur geistigen Beeinflussung der Mehrheit vorzunehmen 14. Außerhalb unseres Themas stehen dagegen diejenigen Fälle, in denen der Täter eine rechtswidrige Überzeugungstat fälschlich als dem geltenden Recht entsprechend ansieht. Dann nämlich haben wir es mit einem Verbotsirrtum zu tun, und es kommt die dafür einschlägige Schuldregelung zur Anwendung. Die gelegentlich in der Literatur vertretene Auffassung, daß sich der Überzeugungstäter stets im Verbotsirrtum befinde 15, ist offensichtlich unzutreffend; denn das Eigentümliche der Überzeugungstäter besteht gerade darin, daß sie sich aufgrund ihrer Überzeugung innerlich dazu veranlaßt sehen, sich bewußt in Widerspruch zu einer geltenden Rechtsnorm zu setzen 16. Im folgenden hat sich unser Augenmerk an erster Stelle auf den Gewissenstäter zu richten. Aber auch die Behandlung des zivilen Ungehorsams ist kontrovers und näher zu erörtern. II. Gewissenstäter 1. Meinungsstand im Strafrecht

Nach der heute im Strafrecht herrschenden Meinung verhält sich der einen Straftatbestand verwirklichende Gewissenstäter rechtswidrig und schuldhaft. Der Gewissenskonflikt soll nur mildernd im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden können 17. Für die Rechtswidrigkeit wird angeführt, daß der einzelne Bürger sich nicht selbst von den durch die Mehrheit festgelegten Normen der Rechtsordnung dispensieren dürfe. Andernfalls gäbe sich die Rechtsordnung als allgemein verbindliche Ordnung auf 18. Auch Entschuldigung scheide aus; denn die Schuld bestehe hier darin, daß der Täter bewußt an die Stelle der in der Gesellschaft geltenden rechtlichen Ordnung seine eigenen Wertmaßstäbe setze 19. Es sei nur möglich, den Gewissenskonflikt des einzelnen dadurch zu berücksichtigen, daß man bei der Bemessung der zu verhängenden Strafe Rabatt gewähre. 14

BVerfGE 73, 206, 250 ff. und die Nachw. Fn. 90. Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), 34, 40 f. 16 Gallas, Mezger-Festschr., 1954, S. 311, 319 Fn. 3; Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rnr. 223; siehe auch BGHSt. 4, 1, 3. 17 BGHSt. 8, 162, 165; OLG Frankfurt StV 1989, 107, 108; Gallas, Mezger-Festschr., S. 319; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht, Allg. Teil, S. 36 f., Maurach / Zipf, Teilbd. 1, S. 470; Schmidhäuser, Allg. Teil, StudB,, S. 190 f., 255 (jedenfalls bei Tun); grundsätzlich auch Jescheck / Weigend, S. 415 („weder gerechtfertigt noch im Regelfall entschuldigt“). Weitere Nachw. zu Rspr. und Schrifttum bei Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rnr. 221 und 224. 18 Welzel, DJT-Festschr. Bd. I, S. 397 f.; Ebert (Fn. 12), S. 46 f. 19 BGHSt. 2, 194, 208; 4, 1, 8. 15

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Die herrschende Meinung ist häufig kritisiert worden. Eine Gegenauffassung sagt: Da die Gewissensfreiheit in Art. 4 GG grundrechtlich garantiert wird, beanspruche der Gewissensentscheid Vorrang vor staatlichen Normbefehlen, weshalb schon keine Rechtswidrigkeit vorliege 20. Eine andere Ansicht hält zwar das Unrecht für erfüllt, betrachtet aber wegen der seelischen Konfliktlage die Schuld als nicht gegeben 21. Und noch die Debatte der Nachkriegszeit kreiste im Anschluß an das schon erwähnte Lösungskonzept der 20er Jahre um die Frage einer nicht ehrenrührigen strafrechtlichen Sanktion – ein Lösungsweg, der mit der Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe und des damit verbundenen Wandels des Strafbegriffs aber aufgegeben worden ist 22. 2. Rechtfertigungsfrage und verfassungsrechtlich gebotene Abstufung

a) Es erhebt sich also als erstes die Frage, ob Art. 4 GG nicht bereits einen Bereich absteckt, in dem Verhaltensweisen zwar einen Straftatbestand erfüllen, aber gleichwohl wegen der Gewissensfreiheit gerechtfertigt, also zulässig sind. Es ist von großer rechtlich-sozialer Tragweite, ob ein Verhalten durch die Rechtsordnung gestattet ist und damit auch verwaltungs- oder zivilrechtlich nicht dagegen vorgegangen werden kann oder ob lediglich die Strafbarkeit betroffen ist. Betrachtet man die bisherige Gewissenstäterdiskussion, gewinnt man den Eindruck, daß die Strafrechtler oft zu einseitig auf rein strafrechtliche Aspekte fixiert sind, während die Verfassungsrechtler umgekehrt dazu neigen, isoliert auf die Frage der Verfassungskonformität zu blicken und die näheren Auswirkungen für die nachgeordneten Bereiche der Rechtsordnung zu vernachlässigen. b) Hinsichtlich der Auswirkungen des Art. 4 GG auf das Strafrecht hat man zunächst grundsätzlich zu unterscheiden zwischen dem Fall eines Strafgesetzes, 20

K. Peters, H. Mayer-Festschr., S. 276 (siehe aber auch ders., Stree / Wessels-Festschr., 1993, S. 3, 9: (nur „Strafbefreiungsgrund“); Ranft, Schwinge-Festschr., 1973, S. 111, 115 ff.; Gödau, Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters, 1975, S. 290; Engelhard, FamRZ 1985, 266, 269. 21 Müller-Dietz, K. Peters-Festschr., 1974, S. 91, 107 f.; Rudolphi, Welzel-Festschr., 1974, S. 605, 630, 633 (in engen Grenzen des Art. 4 GG); Bopp (Fn. 12), S. 249 (innerhalb enger Voraussetzungen); Ebert (Fn. 12), S. 66 f., 71 (soweit Art. 4 GG seine Wirkung entfaltet); Jakobs, Allg. Teil, 20/22 ff. (bei Erklärbarkeit des Konflikts „am Täter vorbei“); Kühl, Strafrecht, Allg. Teil, § 12 Rnr. 116. Siehe auch Roxin, Maihofer-Festschr., S. 409 f.; ders., Allg. Teil, § 22 Rnr. 122 ff., der einen auf fehlendes Präventionsbedürfnis gestützten Fall ausgeschlossener strafrechtlicher „Verantwortlichkeit“ annimmt, der einem „Entscheidungsgrund im Sinne der herkömmlichen Terminologie“ entsprechen soll. Ferner siehe Welzel, Strafrecht, S. 177, der schrieb, dem Gewissenstäter könne seine Entscheidung „nicht als schuldhaftes Versagen gegenüber dem Recht vorgeworfen werden“, aber daraus nur die Forderung nach Schaffung einer nicht diskriminierenden strafrechtlichen Unrechtsfolge ableitete. 22 Über den Verlauf der Entwicklung näher Ebert (Fn. 12), S. 11 ff.; J. Sproß, Unrechtsund Strafbegründung bei den Überzeugungs- und Gewissenstätern, 1992, S. 11 ff.

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das auf eine Einschränkung der Gewissensfreiheit, etwa ihres Unterfalls der religiösen Gewissensfreiheit 23, gerichtet ist, einerseits und allgemeinen Strafgesetzen, bei denen sich nur in concreto ein Gewissenskonflikt einzelner ergeben kann, andererseits. Für den ersten Fall wäre ein theoretisches Beispiel eine Vorschrift, die den Zeugen Jehovas bei Strafe untersagt, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen. Hier ginge es bereits um die Verfassungswidrigkeit des ganzen Gesetzes, so daß schon gar kein rechtsgültiger Straftatbestand existiert, der von einem Täter verwirklicht werden könnte. Ebenso verhielte es sich, wenn eine verfassungskonforme Auslegung von vornherein zur Einschränkung einer Rechtsnorm führt. Für die Gewissenstäterproblematik interessieren mithin nur die Fälle, bei denen ein einzelner in einen konkreten Gewissenskonflikt mit einem geltenden allgemeinen Strafgesetz kommt. Hier wäre allerdings der Schutzbereich des Art. 4 GG gar nicht berührt, wenn dieser überhaupt nur das forum internum, also das innere Gewissen, nicht aber das forum externum, nämlich die Gewissensbetätigung, zum Gegenstand hätte. Es hat sich jedoch inzwischen die weitere Auffassung durchgesetzt 24, weil – wie der Verfassungsrechtler Böckenförde es ausgedrückt hat – andernfalls Art. 4 GG auf ein Maß reduziert würde, „das auch jeder Diktator gewähren kann, sofern er sich nur Orwell’scher Methoden enthält“ 25. Ebenso hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß Art. 4 GG seine Grenze nicht an den allgemeinen Gesetzen findet, denn dies würde darauf hinauslaufen, daß man das Grundrecht entgegen dem eindeutigen Wortlaut mit einem Gesetzesvorbehalt ausstatten würde. Es handelt sich eben um eines derjenigen Grundrechte, die ausschließlich verfassungsimmanenten Schranken unterliegen 26. Dementsprechend ist heute herrschende Meinung, daß Art. 4 GG auch für ein straftatbestandsmäßiges und ebenso für ein den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichendes Verhalten bedeutsam werden kann. Alle unter den Gewissensbegriff des Art. 4 23

Die in der Glaubensfreiheit enthaltene religiöse Gewissensfreiheit bildet zugleich einen Unterfall der allgemeinen Gewissensfreiheit. Siehe zum Verhältnis von Glaubensund Gewissensfreiheit: Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), S. 3, 15; Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 66, 68 f.; Herzog, in: Maunz / Dürig, 7. Aufl. 1994, Art. 4 Rnr. 122 ff.: Rudolphi, Welzel-Festschr., S. 606; K. Peters, Stree / Wessels-Festschr., 1993, S. 3, 5 f. 24 BVerfGE 12, 44, 54 f.; 24, 236, 245; 32, 98, 106; 41, 29, 49; 48, 127, 163; 78, 391, 395; Bethge, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 137 Rnr. 14; Herzog, in: Maunz / Dürig, Rnr. 129 ff., 135: Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rnr. 383; Jarass / Pieroth, GG, 3. Aufl. 1995, Art. 4 Rnr. 42; v. Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 4. Aufl. 1992, Art. 4 Rnr. 27; jeweils m.w. N.; zurückhaltend aber Zippelius, in: Bonner Kommentar (BK), 75. Lfg. 1995, Art. 4 Rnr. 44 f., 47. 25 Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33, 51. 26 So die h.M.; vgl. BVerfGE 32, 98, 108; 33, 23, 29; 41, 29, 50 f.; 44, 50, 67; 52, 223, 246 f.; BVerfG NJW 1989, 3269 f.; Bethge, in: Isensee / Kirchhof, Bd. VI, § 137 Rnr. 23 ff.; Jarass / Pieroth, Art. 4 Rnr. 19, 46; v. Münch / Kunig, Art. 4 Rnr. 53 f.; anders Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 4 Rnr. 114, 148 (für Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG als Schranke des Art. 4 Abs. 1 GG).

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GG fallenden Gewissensbetätigungen, die den Tatbestand einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit erfüllen, sind vom Grundrecht umfaßt, sofern nicht durch die betreffende Straf- oder Ordnungswidrigkeitenvorschrift ein anderes Verfassungsgut geschützt ist und nicht die Abwägung einen Vorrang dieses gegenüberstehenden Verfassungsgutes ergibt 27. Von Art. 4 GG können deshalb beispielsweise gedeckt sein: aus Gewissensgründen erfolgende Verstöße gegen die Impfpflicht 28 oder die Schulpflicht (etwa bezüglich der Teilnahme islamischer Mädchen am Sportunterricht 29), aber auch die gewissensbedingte Verweigerung eines militärischen Befehls 30 oder die aus Gewissensnot begangene Verletzung des Dienstgeheimnisses – gleichgültig, ob die Vorschriften als Straftatbestände oder als Ordnungswidrigkeiten ausgestaltet sind. Das verfassungsrechtliche Schrifttum geht ganz überwiegend davon aus, daß durch das Grundrecht als subjektives Recht die Rechtmäßigkeit der von ihm gedeckten Gewissensbetätigung ausgesprochen wird 31. Im strafrechtlichen Schrifttum wird dagegen, wie schon aufgezeigt, allenfalls von einer Entschuldigung, zumeist aber erst von einem Einfluß auf die Rechtsfolgen der Straftat ausgegangen. Daß ein Grundrecht als subjektives Recht, das zudem noch in der Weise formuliert ist, daß die Freiheit des Gewissens unverletzlich ist, nicht zumindest grundsätzlich die Zulässigkeit des sich innerhalb des garantierten Freiraums be27 BVerfGE 32, 98, 108; Bopp (Fn. 12), S. 156 f.: Ebert (Fn. 12), S. 47; Roxin, MaihoferFestschr., S. 395 f. Zur Abwägung bei verfassungsimmanenten Schranken vgl. auch Stern, bei: Isensee / Kirchhof, Hdb. des Staaatsrechts, Bd. V, 1992, § 109 Rnr. 82. 28 Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 4 Rnr. 157 (Gewissensentscheidung durch Art. 4 GG gedeckt, solange keine ernstliche Gefährdung der Bevölkerung zu befürchten ist). Das Problem hat allerdings dadurch an Bedeutung verloren, daß es in Deutschland seit der 1984 erfolgten Aufhebung des Gesetzes über die Pockenschutzimpfung keine Pflichtimpfungen mehr gibt. Es kann aber wieder aktuell werden, wenn von der in § 14 BSeuG enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, unter den dort genannten Voraussetzungen durch RechtsVO Schutzimpfungen für gesundheitlich bedrohte Teile der Bevölkerung anzuordnen. 29 BVerwG DVBl. 1994, 163; OVG Lüneburg NVwZ 1992, 79; OVG Münster NVwZ 1992, 77; speziell zum Schwimmunterricht: VGH München NVwZ 1987, 706; VGH Kassel NVwZ 1988, 951. 30 BVerwGE 83, 358, 360 f. 31 Vgl. insbesondere Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), 37, 64 („niemand soll – innerhalb der dargelegten Grenzen [des Art. 4] – von der öffentlichen hoheitlich handelnden Gewalt zu einem Verhalten ... gezwungen werden, das dem Gebot des eigenen Gewissens widerspricht“); Hesse, Verfassungsrecht, Rnr. 381 („Anspruch auf Schutz vor Störungen“ durch den Staat); Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, 8. Aufl. 1995, Art. 4 Rnr. 8a („von staatlicher Einflußnahme freier Rechtsraum“); Bopp (Fn. 12), S. 175 (Wo der einzelne bei der Betätigung seines Gewissens „die Grenzen der Freiheitsgarantie nicht überschreitet, handelt er ‘im Recht‘. Weder darf er polizeilich daran gehindert werden noch darf die vom Gewissen gebotene Haltung bzw. Handlung ... als Unrecht qualifiziert werden ...“).

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wegenden Verhaltens bedeuten soll, ist jedoch ein Widerspruch in sich. Soweit das Grundrecht nicht an seine verfassungsimmanenten Schranken stößt, schließt es jeglichen Eingriff in seinen Schutzbereich durch den Staat aus, nicht nur durch das Strafrecht, sondern auch durch das Verwaltungsrecht (hier namentlich das Polizeirecht) und durch das Zivilrecht. Art. 4 GG schützt einen Teil der bürgerlichen Freiheitssphäre, wobei der Schutz gesellschaftlicher Minderheiten eine große Rolle spielt. Ein jüdischer Bürger, der glaubensbedingt ein Tier schächtet, hat gemäß Art. 4 GG nicht nur unbehelligt von den Sanktionen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts zu bleiben 32, sondern auch die Polizei hat nicht gegen ihn einzuschreiten – was jetzt das Tierschutzgesetz im wesentlichen berücksichtigt 33. Erst eine zweite Ebene des Grundrechtsschutzes stellt es dar, daß das Grundrecht ferner noch verfassungsrechtlichen Schutz gegen ein trotz Überschreitung der verfassungsimmanenten Schranken und deshalb vorliegender Rechtswidrigkeit der Gewissenstat unverhältnismäßiges Eingreifen des Strafrechts bieten kann 34.

32 AG Balingen NJW 1983, 1006, 1007 (das aber nicht auf Art. 4 abstellt); v. Campenhausen, Hdb. des Staatsrechts, 2. Aufl. 1983, § 136 Rnr. 71; v. Münch, Gewissen und Freiheit Nr. 21 (1983), 23 ff. 33 Siehe oben in Fn. 6. Allerdings meint BVerwG NVwZ 1996, 61, 62 f., daß die in der zweiten Alternative von § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierschutzG getroffene Ausnahmeregelung kein notwendiger Ausschluß der grundgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit sei, weshalb die Beschränkung auf Fälle, in denen zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten, nicht den Schutzbereich des Art. 4 GG berührten. Es heißt, die betroffenen Personen „können sowohl auf Nahrungsmittel pflanzlichen Ursprungs und auf Fisch ausweichen als auch auf Fleischimporte zurückgreifen, die aus Ländern ohne Schächtungsverbot stammen. Zwar mag (?) Fleisch heute ein in unserer Gesellschaft allgemein übliches Nahrungsmittel sein. Der Verzicht auf dieses Nahrungsmittel stellt jedoch keine unzumutbare Beschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten dar.“ Demgegenüber ist jedoch zu betonen, daß einer religiösen Minderheit, so der jüdischen, verfassungsrechtlich, gewährleistet ist, sich unter Einhaltung ihrer religiösen Vorschriften der menschlichen Spezies gemäß ernähren zu können. Bei seinen vegetarischen Empfehlungen verkennt das Gericht das Gewicht des in Art. 4 GG verankerten Minderheitenschutzes und steigert den Rang des Tierschutzes ins rechtlich Befremdliche. 34 BVerFGE 32, 98, 108 ff. spricht von „Ausstrahlungswirkung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG ... in der Weise ..., daß sie Art und Maß der zulässigen staatlichen Sanktionen beeinflussen kann“ (darauf nimmt auch BVerfGE 63, 1, 34 Bezug), und in BVerfGE 23, 127 wird geprüft, ob und inwieweit bei der Bestrafung eines gewissensbedingten Verhaltens, das nicht aufgrund von Art. 4 GG berechtigt war (S. 127, 132), aufgrund des Rechtsstaatsprinzips ein „Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots“ vorliegt (S. 133 f. m. N.). Näher zu dieser sekundären Ebene des Grundrechtsschutzes: Dürig, Art. 103 III GG und die Zeugen Jehovas, JZ 1967, 426, 430; Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 60; Stern (Fn. 27), § 109 Rnr. 84; Bopp (Fn. 12), S. 182 ff. Ob sie sich nur daraus ableitet, daß Art. 4 GG objektivrechtlich „zugleich eine wertentscheidende Grundsatznorm“ darstellt (BVerfGE 21, 362, 371 f.; 23, 127, 134) oder ob auch insoweit ein subjektives Recht anzunehmen ist (so etwa Bopp, S. 186), dürfte wohl im letzteren Sinne zu beantworten sein.

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Das Bedenken der herrschenden Meinung im Strafrecht, daß eine Rechtfertigung von Gewissenstaten das Mehrheitsprinzip der Demokratie unterminiere und die Rechtsordnung zur Disposition des einzelnen stelle 35, zieht demgegenüber nicht. Es beruht darauf, daß man innerhalb der Gewissenstaten zu wenig differenziert, also die Verschiedenheiten der Fallgruppen vernachlässigt und nach einer einheitlichen Lösung für alle Bereiche strebt. Auch ließe sich nicht einwenden, es sei widersprüchlich, einerseits in bezug auf den Gewissenstäter von bewußtem Hinwegsetzen über eine geltende Rechtsnorm zu sprechen, andererseits gleichwohl Rechtfertigung anzunehmen. Es handelt sich vielmehr um einen verfassungsrechtlich gewährleisteten Bereich, in dem die Rechtsordnung den von einer allgemeinen Norm abweichenden individuellen Gewissensentscheid respektiert. Hier tritt die allgemeine Norm in der konkreten Situation ausnahmsweise hinter den Gewissensbefehl zurück – was übrigens gleichzeitig besagt, daß dieser Bereich nur ein begrenzter sein kann. Während die im Strafrecht vorherrschende Auffassung in der Ablehnung jeglicher Rechtfertigung zu pauschal verfährt, zeigt sich umgekehrt im verfassungsrechtlichen Schrifttum die Gefahr, daß der Bereich rechtmäßigen Verhaltens zu weit erstreckt wird, indem man – möglicherweise durch die inflatorische Entwicklung bei der Wehrdienstverweigerung beeinflußt – den Gewissensbegriff überdehnt und ihn zudem bei der Feststellung der verfassungsimmanenten Schranken überbewertet 36. c) Will man sich ein Bild von dem gemäß Art. 4 GG als gerechtfertigt und damit schlechthin als rechtmäßig einzustufenden Bereich tatbestandlich straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verhaltens machen, so ist folgendes zu beachten: Zunächst einmal ist erforderlich, daß man sich überhaupt über die Definition des Gewissensbegriffs klar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gewissensentscheid definiert als jede ernste sittliche, an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung, die der einzelne als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte 37. Bei dieser anerkannten Definition 38 ist zu beachten, daß sie sich nicht auf Inhalte beschränkt, die sich im Rahmen von Wertvorstellungen 35 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 17, 18 und 21. Ebert (Fn. 12), S. 49 führt außerdem zu weitgehend an, Rechtfertigung würde bedeuten, daß damit von der Rechtsordnung zugleich der Inhalt des jeweiligen Gewissensgebots als richtig akzeptiert wäre. 36 Hierbei scheint auch eine durch unterschiedliche rechtliche Fragestellungen bedingte Einseitigkeit der Betrachtung eine Rolle zu spielen. Im Verfassungsrecht ist zu entscheiden, ob jemand in seinen Grundrechten verletzt ist, also ob ein Normbefehl einem Grundrechtsträger gegenüber grundrechtswidrig ist. Dagegen geht es im Deliktsrecht um die Entscheidung, ob ein gegen die Interessen Dritter gerichtetes Verhalten ausnahmsweise aufgrund eines Grundrechts gerechtfertigt, also nicht rechtswidrig ist. Beide Fragen lassen sich in einer einheitlichen Rechtsordnung aber nicht gedanklich isoliert voneinander sehen. 37 BVerfGE 12, 45, 54 f.; 48, 127, 173. Zu eng früher BVerwGE 7, 242, 247, das zusätzlich die Gefahr der Beeinträchtigung, Zerbrechung oder Zerstörung der sittlichen Persönlichkeit des Betroffenen forderte.

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des abendländischen Kulturkreises bewegen 39. Auch das Gewissen eines Moslems, Hindu, Bahai oder Angehörigen einer nichtchristlichen Sekte gehört zum Schutzbereich. Andernfalls würde man entgegen dem Wortlaut des Art. 4 GG Gewissensentscheidungen solcher Personen schon den Gewissensbezug versagen, damit den diesem Grundrecht weithin eigentümlichen Minderheitenschutz ignorieren 40 und die Rechtspflege mit inhaltlichen Bewertungen überfordern. Dies bedeutet nicht, daß Mädchenbeschneidungen oder Witwenverbrennungen dann durch Art. 4 GG gedeckt sein könnten. Vielmehr werden derartige Fälle dadurch ausgeschieden, daß das Betroffensein anderer Verfassungsgüter, hier der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens, bei den verfassungsimmanenten Schranken des Grundrechts zu berücksichtigen ist. Indem bei den verfassungsimmanenten Schranken die Wertordnung der Verfassung in ihrer Gesamtheit zur Geltung gelangt 41, wird auf solche Weise der Bereich der Rechtmäßigkeit gewissensbedingter straftatbestandsmäßiger Verhaltensweisen eingegrenzt. Auf was es hierbei ankommt, ist in einem zentralen Punkt schon bei den vorerwähnten Beispielen deutlich geworden. Gewissensbedingte tatbestandsmäßige Verhaltensweisen, die sich gegen andere Verfassungsgüter richten, denen bei einer Abwägung ein vorrangiger Schutz zuzusprechen ist, sind nicht durch Art. 4 GG gerechtfertigt. Das wird vor allem bei strafrechtlich geschützten Individualrechtsgütern bedeutsam, da sie so gut wie durchweg auch grundrechtlich geschützt sind – bis hin zum Eigentum. Besteht das Verhalten des Gewissenstäters in einem Tun, so ist eigentlich unmittelbar deutlich, daß kein Bürger es sich gefallen zu lassen braucht, daß jemand den eigenen Gewissenskonflikt durch einen Angriff auf das Rechtsgut eines anderen, also zu fremden Lasten austrägt. Die aus der Rechtfertigung eines Verhaltens resultierende Duldungspflicht des Betroffenen ließe sich weder bei Eingriffen in Leib oder Leben noch bei Eingriffen in das Eigentum legitimieren. Wer durch sein Gewissen dazu veranlaßt wird, ein atheistisches Buch zu verbrennen, um die Seele des Eigentümers zu retten, ist zu einer solchen Handlung nicht durch Art. 4 GG befugt. Und auch derjenige, der sich durch sein Gewissen gedrängt fühlt, auf jede Weise rechtzeitig im Gottesdienst zu sein, ist durch die Vorschrift nicht legitimiert, ein fremdes Auto zu requirieren 42. Die grundsätzliche Ausgrenzung des gegen Individualrechtsgüter gerichteten Handelns wird nicht widerlegt durch den Fall des Tyrannenmords, der ein beliebtes 38

Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 4 Rnr. 127; Jarass / Pieroth, Art. 4 Rnr. 41; v. Münch / Kunig, Art. 4 Rnr. 25; Starck, in: v. Mangoldt / Klein, Art. 4 Rnr. 36: Zippelius, in: BK, Art. 34 Rnr. 34. 39 BVerfGE 41, 29, 50 (bzgl. Glaubensfreiheit); Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 4 Rnr. 123: Zippelius, in: BK, Art. 4 Rnr. 30, 35. Anders früher BVerfGE 12, 1, 4; BVerwGE 7, 242, 246. 40 Zum Schutz von Minderheiten durch Art. 4 GG: Starck, in: Mangoldt / Klein, Art. 4 Rnr. 36; Preuß, DÖV 1984, 757; Eckertz, Der Staat, Bd. 25, 1986, S. 251. 41 BVerfGE 28, 248, 260 f. (zu Art. 4 Abs. 3 GG); 30, 173, 191 ff. (zu Art. 5 Abs. 3 GG); 32, 98, 107 (zu Art. 4 Abs. 1 und 2 GG).

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Beispiel aus der Gewissensthematik bildet 43. Genauer betrachtet gibt nämlich dabei gar nicht der Gewissensentscheid als solcher die Befugnis, sondern entscheidend sind objektive Umstände, aus denen sich die Tyranneneigenschaft und die nicht anders mögliche Abwendbarkeit ergeben, sowie der auf Widerstand zielende Zweck. Der Fall gehört daher in den Problemkreis des Widerstandsrechts und nicht des Gewissensschutzes 44. Ebenfalls steht der Beispielsfall der gewissensbedingten direkten aktiven Euthanasie nicht entgegen. Denn der Schutz fremden Lebens ist verfassungsrechtlich höher bewertet, so daß es sich nicht um eine nach Art. 4 GG rechtmäßige Gewissensbetätigung handelt, sondern erst um ein Schuldproblem 45. Kritischer werden die Dinge, sobald es um gewissensbedingte Unterlassungen geht. Zu nennen ist beispielsweise der Fall, daß ein Ehemann sich aufgrund seines religiösen Gewissens gegenüber seiner Frau weigert, ärztliche Hilfe zur Vornahme eines medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs zu veranlassen, so daß sie stirbt. Es bedeutet gegenüber dem Gewissenstäter regelmäßig ein größeres Ansinnen der Rechtsordnung, wenn diese ihm gebietet, eine seinem Gewissen widersprechende Handlung vorzunehmen, ihn also für ein Tun in die Pflicht nimmt, als wenn sie ihm die Begehung einer Handlung verbietet, d. h. ein Untätigbleiben von ihm verlangt. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß das Gros der praktischen Gewissenstäterfälle in Unterlassungen besteht. Im Schrifttum hat man deshalb sogar gelegentlich gemeint, es gehe überhaupt nur um Unterlassungstaten 46, was jedoch – wie sich im vorhergehenden schon zeigte – nicht zutrifft. Bei der Einordnung gewissensbedingter Unterlassungen wird leicht übersehen, ob überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Unterlassungsdelikts 42 Das Beispiel des Verbrennens eines atheistischen Buches nennt Roxin, Allg. Teil I, § 22 Rnr. 117. Dagegen meint er zum Fall des requirierten Autos, daß bei einer Gebrauchsanmaßung (§ 248b StGB) dem Gewissenstäter der Art. 4 GG zur Seite stehe (a. a. O. Rnr. 119). Zu letzterem ist zu bemerken, daß es hier allenfalls um die Ebene der Verhältnismäßigkeit eines Strafausspruchs und nicht mehr um die der Rechtfertigung des Verhaltens ginge (siehe hierzu noch im folgenden Ziff. 3 a und c, insbesondere zum Absehen von Strafe in Fällen von strafrechtlichen Minima). Bei Roxin tritt die Abstufung allerdings nicht ins Blickfeld, weil er nicht hinsichtlich der Rechtswirkungen des Art. 4 GG differenziert, sondern generell von der Rechtswidrigkeit ausgeht und alle Fragen bei einer Kategorie der „strafrechtlichen Verantwortlichkeit“ ansiedelt. Er vernachlässigt auf diese Weise, daß die Gewissenstäterproblemtik nicht nur die Auswirkungen auf das Strafrecht betrifft, und meint, eine Differenzierung sei „überraschend“ und Ausdruck von „Schwanken“ (MaihoferFestschr., S. 390 f.). 43 Angeführt etwa bei K. Peters, H. Mayer-Festschr., S. 275. 44 Darauf hat schon Geier, Gewissen, Ideologie, Widerstand, Nonkonformismus, 1963, S. 73, hingewiesen. Im übrigen vgl. auch Art. 20 Abs. 4 GG sowie näher dazu Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rnr. 83 ff. 45 Hierzu Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rnr. 216. 46 So Arndt, NJW 1966, 2204, 2205; Ranft, Schwinge-Festschr., 1973, S. 111, 114 Fn. 13, 123 f.; K. Peters, JZ 1972, 85, 86 (aber auch ders., H. Mayer-Festschr., S. 274 f.); siehe ferner Lenckner, in Schönke / Schröder, Vor § 32 Rnr. 118 ff.

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erfüllt sind. Der vom Bundesverfassungsgericht entschiedene, bekannte Fall, daß ein Ehemann in Übereinstimmung mit seiner Frau aus Gewissensgründen nicht deren medizinisch erforderliche Überführung in eine Krankenhausbehandlung veranlaßte, sondern dem Gebet den Vorzug gab 47, erfüllte schon gar nicht einen Straftatbestand, weil die Frau im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte die Hilfe ablehnte und daher eine Handlungspflicht des Mannes entfiel. Entgegen der Auffassung des Gerichts stellte sich folglich die Frage des Eingreifens von Art. 4 GG noch gar nicht 48. Auch in dem ebenfalls bekannten Fall, daß Eltern aufgrund ihres religiösen Gewissens die Zustimmung zur Vornahme einer erforderlichen Bluttransfusion an ihrem in der Klinik befindlichen Kind verweigerten, diese aber noch rechtzeitig infolge der Einsetzung eines Pflegers möglich war 49, lag schon kein Tatbestand eines Unterlassungsdelikts vor. Wenn nämlich die Eltern davon ausgingen, daß trotz ihrer Weigerung die Rettungshandlung rechtzeitig vorgenommen würde, so fehlte es an einem Tötungsvorsatz, wie auch die mit dem Fall befaßten Gerichte angenommen haben. Damit schied ein Tötungsversuch aus. Im Gegensatz zur richterlichen Beurteilung war ebenfalls der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) unabhängig von Art. 4 GG nicht erfüllt; denn die Zustimmung ist wegen der bestehenden Rettungsalternative objektiv nicht erforderlich gewesen; zumindest mangelte es an dem auf die Erforderlichkeit der eigenen Hilfe gerichteten Vorsatz 50. Wandelt man die Sachverhalte dagegen ab, so ist man beim Problem: sei es, daß die infolge Erkrankung ganz auf eine Initiative ihres Mannes angewiesene Ehefrau die Krankenhausbehandlung nicht ablehnt, sei es, daß infolge der Passivität der Eltern die Bluttransfusion nicht mehr rechtzeitig vorgenommen werden kann. Von der Dogmatik der Unterlassungsdelikte her erhebt sich die Frage, ob wegen des Gewissenskonflikts etwa die Zumutbarkeit als tatbestandseinschränkendes Merkmal entfällt und deshalb auch bei dieser Fallgestaltung schon die 47

BVerfGE 32, 98. K. Peters, JZ 1972, 85 f.; Hirsch, in LK, Vor § 32 Rnr. 222; Lenckner, in: Schönke / Schröder, Vor § 32 Rnr. 120. Dagegen erst unter Berufung auf Art. 4 GG entschieden von BVerfGE 32, 98, 108 f. (Art. 4 GG stehe hier der Sinn staatlichen Strafens entgegen). Roxin, Maihofer-Festschr., S. 402 f. will dagegen zwischen Tötung durch Unterlassen (insoweit mangels Rechts zur Rettung keine Handlungspflicht) und unterlassener Hilfeleistung (insoweit tatbestandsmäßiges Unrecht, aber aufgrund von Art. 4 GG Fehlen strafrechtlicher Verantwortlichkeit) unterscheiden. 49 OLG Hamm NJW 1968, 212. 50 Zu diesen Fragen Ulsenheimer, FamRZ 1968, 568 ff. Wäre den Eltern von der objektiv gegebenen (bereiten) Rettungsalternative nichts bekannt gewesen, so hätte ein Tötungsversuch durch Unterlassen vorgelegen, und es würden die im folgenden unter Ziff. 3 b und c dargestellten Grundsätze einschlägig sein. Vertraut jemand fälschlich auf das Bestehen der Rettungsalternative, und kommt es zum Todeserfolg, dann geht es um eine Fahrlässigkeitsfrage. 48

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Unrechtstatbestandsmäßigkeit zu verneinen wäre 51. Aber selbst wenn man über den Tatbestand des § 323c StGB hinaus ein derartiges Tatbestandserfordernis für alle Unterlassungsdelikte anerkennen wollte, würde einer solchen Lozierung des Gewissensentscheids entgegenstehen, daß die Zumutbarkeit als Merkmal des Unrechtstatbestandes jedenfalls an einem generellen, für alle geltenden Maßstab zu orientieren ist und deshalb für Gewissenskonflikte mit ihrem individuellen inneren Bezug nicht einschlägig sein kann. Auch ein Unrechtsausschluß auf der Ebene der Rechtfertigung scheidet aus, weil in diesen Fällen ein hochrangiges anderes Verfassungsgut, nämlich fremdes Leben, von der Gewissensentscheidung betroffen wird. Die Verfassungsgüter sind nicht nur gegenüber Handlungen, sondern auch gegenüber pflichtwidrigen Unterlassungen verfassungsrechtlich geschützt 52. Was in diesem Bereich nur möglich wäre, ist ein Vorrang der Gewissensentscheidung, wenn das gegenüberstehende Verfassungsgut kein höchstpersönliches Gut ist – man denke an das Eigentum – und daher unter Berücksichtigung des Umstands, daß ein Unterlassen und kein Tun in Rede steht, die konkrete Abwägung zugunsten von Art. 4 GG ausfällt. Die Rechtfertigungsproblematik des Art. 4 GG hat ihren Schwerpunkt demgemäß bei Delikten, die Rechtsgüter der Allgemeinheit schützen. Beispiele sind Fälle wie die gewissensbedingte Verweigerung eines militärischen Befehls oder die aus Gewissensnot erfolgende Unterbrechung der Predigt durch einen Gottesdienstbesucher, auch die schon erwähnten Ordnungswidrigkeitenfälle. Man hat in der Literatur bereits darauf hingewiesen, daß der Gewissensschutz bei Delikten gegen die Allgemeinheit aber nicht stets den Vorrang beansprucht, sondern daß hier ebenfalls verfassungsimmanente Schranken bestehen können 53. Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß es beim Schutz der Allgemeinheit nicht selten um einen vorverlegten Schutz von im Hintergrund stehenden Individualrechtsgütern geht. Man denke an das Delikt der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323c StGB 54 oder an Straftatbestände des Straßenverkehrsrechts, wenn eine konkrete Gefährdung von Leben, Leib oder Eigentum vorliegt. Im übrigen ist zu 51 Zur Zumutbarkeit als Erfordernis des Unrechtstatbestands von Unterlassungsdelikten siehe den Überblick über den Meinungsstand bei Hirsch, in LK, Vor § 32 Rnr. 205. 52 Das wird auch allgemein in den Entscheidungen und Stellungnahmen zu den verfassungsimmanenten Schranken des Art. 4 GG vorausgesetzt, da sie zumeist gewissensbedingte Unterlassungen betreffen. Die verfassungsrechtliche Lage findet auch in Art. 2 Abs. 2 des 5. StRG von 1974 Ausdruck, wo das – in der Regel aus Gewissensgründen bedeutsam werdende – Recht, die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern und damit zu unterlassen (Abs. 1), für den Fall eingeschränkt wird, daß die Mitwirkung notwendig ist, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung abzuwenden. 53 Vgl. Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), S. 18; Rudolphi, Welzel-Festschr., S. 614 ff.; Roxin, Maihofer-Festschr., S. 398 ff.; siehe auch BVerfGE 32, 98, 107 ff. 54 Beispiel: Der einzige verfügbare Arzt verweigert bei einem Unglücksfall die ärztliche Versorgung eines lebensbedrohlich Verletzten, weil ihm sein religiöses Gewissen die

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beachten, daß zu den Verfassungsgütern nicht nur die grundrechtlich garantierten Güter gehören, sondern natürlich auch der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates selbst 55. Beispielsweise wird gewissensbedingter Hochverrat nicht von Art. 4 GG gedeckt, sondern insoweit bedarf es zur Rechtfertigung des Vorliegens der objektiven Merkmale des Widerstandsrechts, für das sich in Art. 20 Abs. 4 GG eine ausdrückliche Regelung findet. d) Aus alledem folgt, daß Art. 4 GG in Verbindung mit seinen verfassungsimmanenten Schranken den Bereich zulässigen gewissensbedingten Verhaltens markiert, in den auch Tatbestände des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts verwirklichende Gewissensbetätigungen fallen, soweit sie sich innerhalb der Schranken halten. Abweichend von der im Strafrecht vorherrschenden Auffassung hat sich gezeigt, daß es gerechtfertigte Gewissenstaten gibt. Diese bilden aber nur einen Teilbereich der strafrechtlichen Gewissenstäterproblematik 56. Infolge der zu beachtenden verfassungsimmanenten Schranken ist der Kreis der nach Art. 4 GG zulässigen Fälle straf tatbestandsmäßiger Gewissensbetätigungen nicht sonderlich groß. Dies steht im übrigen nicht im Widerspruch zu den Zielen, die von den Vätern des Grundgesetzes mit der Schaffung eines ohne Gesetzesvorbehalt geregelten Grundrechts verfolgt worden sind. Man wollte damals aus dem während der NS-Zeit zu vermissenden Aufschrei des Gewissens gegenüber Unrechtsgesetzen und sonstigen staatlichen Rechtsbrüchen die Lehre ziehen 57. Sollte sich in Deutschland wieder ein Unrechtsregime zu entwickeln beginnen, was angesichts des kaum stark gefestigten und leicht manipulierbaren inneren Zustands der Gesellschaft wohl nicht mit völliger Gewißheit auszuschließen ist, so sind tatbestandsmäßige Widerstandshandlungen, weil gegen Staatsunrecht gerichtet, selbstverständlich durch das Grundgesetz gerechtfertigt, wobei aber inzwischen ausdrücklich Art. 20 Abs. 4 GG die einschlägige Regelung enthält.

Einhaltung der Feiertagsruhe gebietet. Abw. von der h.M. will allerdings Bopp (Fn. 12), S. 216 ff. in Fällen des § 323c StGB stets einen Vorrang der Gewissensentscheidung annehmen. Hiergegen aber bereits näher Roxin, Maihofer-Festschr., S. 401. Die Auffassung von Bopp wäre auch nicht mit dem oben (Fn. 52) erwähnten Art. 2 Abs. 2 des 5. StRG in Einklang zu bringen, der nicht zwischen Garantenpflichtigen und nur nach § 323c StGB Hiilfspflichtigen unterscheidet. 55 Vgl. BVerfGE 20, 162, 168 (wo unter dem Bestand des Staates dessen organisatorisches Gefüge und freiheitliche demokratische Grundordnung verstanden wird). Präziser Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 686 f. 56 Nachw. zu dieser Auffassung oben in Fn. 20. Von den dort zitierten Anhängern einer Rechtfertigungslösung wird die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen den nach Art. 4 GG gerechtfertigten und den nur von der „Ausstrahlungswirkung“ des Grundrechts erfaßten Fällen vernachlässigt. Bopp (Fn. 12), S. 212, 239 f. geht allerdings bereits in diese Richtung, mißt dem Rechtfertigungsbereich dabei aber zu wenig Bedeutung bei, weshalb er gemeinhin als Vertreter einer reinen Entschuldigungslösung eingeordnet wird. 57 Zur Entstehungsgeschichte: Matz, in v. Doemming / Füsslein / Matz, JÖR (N.J.) 1 (1951), 73 ff.

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3. Nicht durch Art. 4 GG gerechtfertigte Gewissenstäter-Fälle

a) Diejenigen Gewissenstäter-Fälle, bei denen nicht nach Art. 4 GG Rechtfertigung eintritt, sondern eine Überschreitung der verfassungsimmanenten Schranken vorliegt, sind es, mit denen das Strafrecht vor allem konfrontiert wird. Zuvor wurde schon darauf hingewiesen, daß auch bei ihnen das Grundrecht noch Bedeutung haben kann: insofern nämlich, als es aufgrund seiner Ausstrahlungswirkung oder in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die Verhältnismäßigkeit des staatlichen Grundrechtseingriffs, hier des Eingriffs durch das ein vorrangiges Verfassungsgut schützende Strafgesetz, verlangt 58. Es ist möglich, daß der Gewissenstäter, wenngleich sein Verhalten rechtswidrig gewesen ist, noch ein durch die Verfassung verbürgtes Recht darauf hat, nicht oder nicht in voller Höhe mit Strafe belegt zu werden, sei es, daß eine ordnungswidrigkeiten-, verwaltungs- oder zivilrechtliche Erledigung oder auch eine andere strafrechtliche Rechtsfolge als die Strafe ausreichend sein würde, sei es, daß jedenfalls eine Strafmilderung angemessen wäre. So hat auch das Bundesverfassungsgericht im Falle, daß sich aus Art. 4 Abs. 1 GG nicht die Rechtmäßigkeit des gewissensbedingten Verhaltens ergab, die Auffassung vertreten, eine Bestrafung des Täters könne gleichwohl eine nach Art und Maß unangemessene staatliche Sanktion sein 59. Man würde es sich nun allerdings zu einfach machen, wollte man es beim bloßen Hinweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip bewenden lassen. Denn das, woran der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier erinnern soll, sind die generellen Erfordernisse für eine Bestrafung, hier also noch das Vorliegen der Schuld und – in bezug auf den Rechtsfolgenbereich – der Strafzwecke, auch wenn das Bundesverfassungsgericht der genauen Zuordnung keine Beachtung geschenkt hat 60. b) Es stellt sich also für das Strafrecht als nächstes die Frage, ob beim Gewissenstäter einer rechtswidrigen Tat die strafrechtlich erforderliche Schuld fehlt und auf diese Weise die Strafbarkeit entfällt. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß nach einer strafrechtlichen Schrifttumsrichtung das Gewissenstäterproblem insgesamt auf der Ebene der Entschuldigung angesiedelt sein soll 61. Auch wenn diese Generalisierung den nach Art. 4 GG schon rechtmäßigen Bereich übersieht, 58

Vgl. die Nachw. oben in Fn. 34. BVerfGE 32, 98, 108 ff. 60 In BVerfGE 32, 98, 108 ff., wo an sich überhaupt schon aus allgemeinen Gründen die Unrechtstatbestandsmäßigkeit zu verneinen war (siehe oben in Fn. 48), ist vom hier fehlenden „Sinn staatlichen Strafens“ und davon die Rede, daß die Tat nicht mehr in dem Maße „vorwerfbar“ sei, um mit dem Strafrecht gegen den Täter vorzugehen. Sodann heißt es, in der vorliegenden Grenzsituation sei „Kriminalstrafe ... unter keinem Aspekt (Vergeltung, Prävention, Resozialisierung des Täters) eine adäquate Sanktion“. 61 Siehe die Nachw. oben in Fn. 12. Wenn es in BVerfGE 32, 98, 108 ff. heißt, daß eine Gewissenstat nicht mehr in dem Maße „vorwerfbar“ sein könne, daß sie den Strafzwecken 59

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könnte für die Verneinung der Schuld bei den auch nach der Verfassung rechtswidrigen Fällen sprechen, daß durch den Gewissenskonflikt die Fähigkeit des Täters, sich rechtmäßig zu motivieren, beeinträchtigt ist. Hier hat man nun aber zu beachten, daß ein Gewissenskonflikt das Steuerungsvermögen des Täters nicht auf Null reduziert. Andernfalls hieße auch das Ergebnis, daß die Gewissenstäter, und zwar überhaupt, in eine Rubrik mit den wegen Unzurechnungsfähigkeit Schuldunfähigen einzuordnen wären, was sicherlich nicht ihrer Verankerung in einem Grundrecht entspräche. Um was es nur gehen könnte, ist eine Schuldreduzierung. Eine solche kann nach dem Strafgesetzbuch in gewissen Fällen zur Entschuldigung führen, wenn der Motivationsdruck typischerweise so groß ist, daß er in Verbindung mit einer objektiven Unrechtsminderung die Schuld auf ein für einen strafrechtlich relevanten Schuldvorwurf nicht mehr ausreichendes Maß herabsetzt. Hinzuweisen ist auf die Vorschriften über den entschuldigenden Notstand und die Notwehrüberschreitung. Hierbei wird schon deutlich, daß die Kategorie der Entschuldigungsgründe, auch als entschuldigende Unzumutbarkeitsfälle bezeichnet 62, mehr verlangt als nur einen Gewissenskonflikt. Es müssen bei ihr objektive Merkmale hinzukommen, in denen sich die Unrechtsminderung ausdrückt 63 – was sich beispielsweise beim entschuldigenden Notstand am Erfordernis der objektiven Notstandssituation zeigt, in der es um die Rettung von Leib, Leben oder Freiheit eines Menschen geht. Dies bedeutet gleichzeitig, daß auch eine inhaltliche Bewertung der den Konflikt auslösenden Sachlage und der zur Abwendung vorgenommenen Handlung stattfindet. Der Gesetzgeber hat dabei für die vorsätzlichen Begehungsdelikte die Maßstäbe in den genannten positivrechtlichen Regelungen vorgegeben, weshalb dort eine außergesetzliche Erweiterung des Katalogs der Entschuldigungsfälle auch nur hinsichtlich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands stattgefunden hat 64. In diesen lassen sich Extremfälle der direkten aktiven Euthanasie einordnen, wobei aber eben zu der seelischen Konfliktlage des Täters und dem von ihm verfolgten Zweck der Leidensverkürzung noch zugespitzte objektive Notstandsmerkmale hinzukommen müssen 65. Bei den Unterlassungsdelikten kennt das Strafrecht im Unterschied zu den Begehungsdelikten zwar die entschuldigende Unzumutbarkeit als allgemeinen entschuldigenden Gesichtspunkt 66. Das bedeutet jedoch auch hier nicht, daß schon genüge (siehe oben in Fn. 60), so ist hiermit dagegen die sytematische Zuordnung offengelassen worden. Zudem hat man den zu entscheidenden „Gesundbeter-Fall“ vor Augen gehabt, bei dem genauer betrachtet eben schon gar kein Unrechtstatbestand erfüllt war und bereits deshalb eine Strafbarkeit ausschied (siehe oben in Fn. 48 und den dortigen Text). 62 Näher Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rnr. 193 m.w. N. 63 Näher Hirsch, in: LK, Vor § 32 Rnr. 193 ff. m.w. N. 64 Näher dazu Hirsch, in LK, Vor § 32 Rnr. 196 m.w. N. 65 Vgl. die Nachw. in Fn. 45. 66 So die h.M.; vgl. BGHSt. 2, 194, 204; (GrS) 6, 46, 57; Rudolphi, System. Kommentar zum StGB (SK), 6. Aufl. 1992, Vor § 13 Rnr. 31 ff.; Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, 25. Aufl,

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allein der Gewissensentscheid zur Entschuldigung der rechtswidrigen Tat führt. Vielmehr bedarf es ebenfalls der Verknüpfung von seelischer Konfliktlage und objektiven Gesichtspunkten, die nach den Maßstäben des geltenden Rechts eine Unrechtsminderung zulassen. Infolgedessen können über die Rechtsfigur der entschuldigenden Unzumutbarkeit nur die wenigen Fälle erfaßt werden, die solche Voraussetzungen erfüllen. Daß der Gewissensentscheid nicht schon für sich allein zur Entschuldigung einer rechtswidrigen, nämlich nicht durch Art. 4 GG gerechtfertigten, Tat führt, ist keineswegs unbefriedigend. Andernfalls würde der rechtswidrig handelnde Täter sich nämlich unter Hinweis allein auf das Gewissen individuell vom Strafrecht freistellen können. Um es ganz konkret zu sagen: In Deutschland erfolgende gewissensbedingte Mädchenbeschneidungen und Witwenverbrennungen wären sonst entschuldigt und damit überhaupt dem Strafrecht entzogen. Das wird wohl kaum jemand befürworten wollen. Und auch das sich ausbreitende Sektenwesen und seine Exzesse sind hier anzuführen. In den sich ereignenden Fällen lassen sich nicht immer schon die Voraussetzungen eines Gewissensentscheids verneinen. Denn weder sind „gut“ und „böse“ absolute Kategorien, noch ist das in der Gewissensdefinition des Bundesverfassungsgerichts genannte Erfordernis, daß eine sittliche Entscheidung vorliegen muß, an die ethischen Maßstäbe der christlichen Welt oder auch nur etablierter religiöser Gemeinschaften gebunden 67. Hinsichtlich der Schuldebene ergibt sich somit: Liegen die für die Entschuldigungsgründe neben der seelischen Konfliktlage erforderlichen weiteren, insbesondere objektiven Erfordernisse nicht vor – und so verhält es sich in den meisten Fällen –, dann kommt für den Gewissenstäter bei der Schuldfrage nur eine Schuldminderung in Betracht. c) Es verbleibt nun noch die Rechtsfolgenebene. Hingewiesen wurde schon darauf, daß man an dieser Stelle herkömmlich und auch heute zumeist die Lösung sucht 68, allerdings ohne die im vorhergehenden zu Art. 4 GG aufgezeigte Differenzierung. Als erstes scheidet der Gedanke aus, daß, obgleich in den jetzt zur Erörterung stehenden Fällen alle Voraussetzungen einer Straftat vorliegen, gleichwohl eine strafrechtliche Reaktion unangemessen sei. Er läßt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 69 in dem schon erwähnten Fall des religiösgewissensbedingten Unterlassens der Veranlassung einer stationären ärztlichen 1995, S. 224 m.w. N. Schon nicht über den für Begehungsdelikte anerkannten Bereich hinausgehend: Jakobs, Allg. Teil, 29/99; Jescheck / Weigend, Allg. Teil, S. 635. 67 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 39. 68 Vgl. dazu die Nachw. oben in Fn. 17. 69 BVerfGE 32, 98. Zu dieser Entscheidung siehe oben den Text vor Fn. 48 und die dortigen Nachw. kritischer Stellungnahmen.

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Versorgung der Ehefrau herauslesen, da dort schon gar kein straftatbestandsmäßiges Unrecht vorlag. Eine solche Auffassung wäre vielmehr bei Taten, die wegen Überschreitens des grundrechtlich gewährten Bereichs rechtswidrig und zudem schuldhaft sind, ihrerseits unangemessen. Wer etwa durch sein religiöses Gewissen getrieben in Deutschland den Mordbeschluß iranischer Ayatollas gegen Salman Rushdie vollstrecken würde, darf nicht damit rechnen, daß hier strafrechtliche Reaktionen gegen ihn als unverhältnismäßig ausgeschlossen wären. Die rechtliche Reaktion auf eine solche – sich hoffentlich nicht ereignende – Tat könnte doch nicht nur in einer Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit des Schießens an öffentlichen Orten bestehen. Hier greifen also parallele Argumente Platz, wie sie schon bei der Frage der Entschuldigung aufgetaucht sind. Und angesichts der ständigen Zunahme von Berufungen auf Gewissensentscheide, auf die kürzlich auch Karl Peters hingewiesen hat 70, läßt sich nicht behaupten, daß es sich bei den Fällen doch nur um Raritäten handele. Es kann mithin nicht bereits darum gehen, die Möglichkeit einer strafrechtlichen Rechtsfolge ganz zu verneinen, sondern allein darum, ob die Strafe bei Gewissenstaten die wesensmäßig adäquate Rechtsfolge darstellt oder ob hier mit einer anderen strafrechtlichen Rechtsfolge zu reagieren ist. Es wurde schon erwähnt, daß sich während der 20er Jahre und nach dem Zweiten Weltkrieg die Diskussion auf diese Frage konzentriert hat. An die Stelle der Freiheitsstrafe sollte Einschließung treten, und anstelle der heute dominierenden Geldstrafe wäre an Geldbuße zu denken. Es war aber richtig, daß man Ende der 60er Jahre hiervon abgekommen ist. Die gegen einen Täter verhängte Strafe hat nach heutigem Strafverständnis nicht die Funktion der Entehrung 71. Sie soll vielmehr dokumentieren, daß die Gesellschaft die Beeinträchtigung der durch Strafdrohung geschützten Güter nicht hinzunehmen bereit ist. Deshalb hat man auch 1968 die Rechtsfolge „Einschließung“, die für vereinzelte Straftatbestände wahlweise neben der an eine ehrlose Gesinnung geknüpften Zuchthausstrafe angedroht war, allgemein im Strafgesetzbuch beseitigt 72. Es läßt sich nicht gegen eine Bestrafung anführen, daß die Strafe bei Gewissenstätern wirkungslos sei. Abgesehen davon, daß das nicht generell anzunehmen ist, wie schon Heinitz auf der Strafrechtslehrertagung 1966 dargelegt hat 73, würde Unempfänglichkeit für Strafe nicht vor ihr schützen, weshalb auch der resistente Rückfalltäter nicht von ihr verschont wird. Der Grund dafür liegt in der durch den richterlichen Strafausspruch zum Ausdruck gelangenden Bewährung der Rechts70

K. Peters, Stree / Wessels-Festschr., S. 3, 6 f. Näher Heinitz, ZStW 78 (1966), 635. 72 § 20 a.F. StGB und die Erwähnung der Einschließung in Strafbestimmungen des Besonderen Teils (siehe oben in Fn. 9) wurden durch das 8. StÄG vom 25. 6. 1968, BGBl. I 901, beseitigt. Näher zum Verlauf der damaligen Diskussion Ebert (Fn. 12), S. 13 ff. 73 Heinitz, ZStW 78 (1966) 615, 627. 71

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ordnung; man spricht heute auch von positiver Generalprävention 74. Wenn gesagt wird, das Gewissen dürfe aber nicht zu brechen versucht werden 75, so ist dabei zunächst wieder nicht unterschieden zwischen den Fällen, in denen es sich um den durch Art. 4 GG für unverletzlich erklärten Bereich handelt, und den Fällen derjenigen Gewissensbetätigungen, bei denen die verfassungsimmanenten Schranken überschritten sind. Nur um die zweite Fallgruppe geht es im jetzt zur Erörterung stehenden Zusammenhang. Es ist also zwar grundsätzlich verbürgt, daß jeder seinem Gewissen folgen kann. Sobald er jedoch in vorrangige andere Verfassungsgüter eingreift und das Gewissen daher rechtswidrig betätigt, kann an ihn durch Strafe appelliert werden, sein Verhalten zu überprüfen: Mit der Strafe läßt sich durchaus und legitim an seine Einsicht appellieren, den eigenen Gewissenskonflikt nicht auf Kosten des ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten Schutzes anderer zu lösen und auch dafür Sorge zu tragen, daß das tatsächliche Entstehen einer konkreten subjektiven Konfliktsituation tunlichst vermieden wird. Deshalb geht es bei den durch Art. 4 GG nicht für rechtmäßig erklärten Gewissensbetätigungen allein darum, bei der Bestrafung die schon erwähnte Schuldminderung zu berücksichtigen. Sie bedeutet, daß der Gewissensentscheid im Unterschied zur bisherigen herrschenden Meinung im Strafrecht, die ihn überhaupt nur im Rahmen des Normalstrafrahmens bei der Strafzumessung verbuchen will 76, analog zu den gesetzlichen Schuldminderungsregelungen der §§ 17 Satz 2 und 21 StGB zu berücksichtigen ist – mit der Wirkung, daß ein niedrigerer Strafrahmen zur Anwendung kommt. Um zu verhindern, daß auch völlig unerträgliche Taten auf solche Weise eine Milderung erfahren, ist ebenso wie in den vorgenannten Vorschriften eine nur fakultative Privilegierung angezeigt. Soweit es um Vergehen und nicht um Verbrechen geht, ist im übrigen daran zu denken, daß in Fällen, in denen das Ausmaß des Unrechts und die verminderte Schuld dies zulassen, ausnahmsweise auch die Rechtsfolge des Absehens von Strafe bei ergehendem Schuldspruch in Betracht kommt 77. Es handelt sich bei alledem bereits um eine Lösung de lege lata, da das Verfassungsrecht die Verhältnismäßigkeit zwischen Gewissenstat und rechtlicher Reaktion verlangt.

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Zur Bewährung der Rechtsordnung vgl. Jescheck / Weigend, Allg. Teil, S. 76 f.; zur positiven Generalprävention vgl. Stree, in: Schönke / Schröder, Vor § 38 Rnr. 2 f.; jeweils m.w. N. 75 BVerfGE 23, 127, 134. 76 Nachw. zur h.M. oben in Fn. 17. Zur weitergehenden Auffassung von BVerfGE 32, 98, 108 ff. oben in Fn. 60 und 61. 77 So § 58 AE-AT 1966, der einen fakultativen Strafverzicht bei Bestehenbleiben des Schuldvorwurfs für Taten vorsieht, die „einer außergewöhnlichen schweren Konfliktlage entsprungen“ sind, wobei nach der Entwurfsbegründung (S. 109) u. a. an die Fälle eines außerordentlich schweren Gewissenskonflikts gedacht war.

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Allgemeiner Teil 4. Allgemeines Wohlwollensgebot und Gefahr der Aufweichung des Gewissensbegriffs

Zu bemerken verbleibt noch, daß es bei der Einstufung der verschiedenen Gewissenstäterfälle um nüchterne juristische Kriterien geht. Das vom Bundesverfassungsgericht in bezug auf Gewissenstäter ausgesprochene allgemeine Wohlwollensgebot 78 erscheint demgegenüber zu undifferenziert. Auch ist noch einmal zu betonen, daß immer genau darauf zu achten ist, ob überhaupt die Voraussetzungen eines Gewissensentscheids in Betracht kommen. Im Zusammenhang mit dem massenhaften Auftreten von Fällen, in denen von dem audrücklich verfassungsrechtlich eingeräumten Recht auf gewissenbedingte Wehrdienstverweigerung Gebrauch gemacht wird, ist der Gewissensbegriff stark aufgeweicht worden. Einem Gewissensentscheid ist eine individuelle Konfliktsituation eigen. Bei dem Massenphänomen der Wehrdienstverweigerung und seiner rechtlichen Tolerierung handelt es sich dagegen um etwas anderes: einen Ausdruck des Wertewandels in der Gesellschaft. Eine allgemeine Verwässerung des Gewissensbegriffs würde die Grundlage der ganzen Gewissenstäterthematik einschließlich der aus dem Grundrecht des Art. 4 GG zu ziehenden Folgerung verändern 79. III. Überzeugungstäter i. e. S. Es wurde eingangs schon darauf hingewiesen, daß es neben dem Gewissenstäter auch noch den Überzeugungstäter i. e. S. gibt. Dieser Täter steht nicht in einem Gewissenskonflikt, sondern er ist lediglich motiviert von der Annahme der sachlichen Richtigkeit seiner Entscheidung. Er begeht die Tat aus bloßer Überzeugung, d. h. zwar ebenfalls aus einem Sollensbewußtsein heraus, aber ohne das aus dem Gegensatz von „gut“ und „böse“ resultierende innere Erlebnis unbedingter Verpflichtung 80. Hier handelt es sich vor allem um subjektiv als gesollt empfundene politisch-weltanschauliche Motive 81. Der StGB-Entwurf Radbruch und nachfolgende StGB-Entwürfe der 20er Jahre unterschieden solche Fälle nicht von denen 78

BVerfGE 23, 127, 134. Gegen Tendenzen zur Aufweichung und Bagatellisierung des Gewissensbegriffs auch K. Peters, Stree / Wessels-Festschrift., S. 3, 4 ff., 10. 80 80 Ebert (Fn. 12), S. 74 ff.; Greffenius (Fn. 10), S. 61 ff.; K. Peters, H. Mayer-Festschr., S. 273; Roxin, Maihofer-Festschr., S. 392. 81 Zur Notwendigkeit und Durchführbarkeit der Unterscheidung von Gewissenstätern und Überzeugungstätern i. e. S. siehe oben Teil I. Sie verlangt die genaue Beachtung der strengen Voraussetzungen des Vorliegens eines echten Gewissenskonflikts, wie schon K. Peters, H. Mayer-Festschr., S. 277 angemahnt hat. Speziell zur Abgrenzung von Ideologietätern und Gewissenstätern: Häußling, JZ 1966, 413 ff.; Sax, Der Ideologie-Täter und das Problem des irrenden Gewissens, in: Veröff. der kathol. Akademie Freiburg, Nr. 5, 1967, S. 24 ff. 79

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der Gewissenstäterschaft 82. Dahinter stand die Vorstellung, daß alle politischweltanschaulichen Konzepte auf ein vertretbares Ziel hin ausgerichtet seien und es nur eine Frage der Machtverhältnisse sei, welche von ihnen jeweils den Inhalt der geltenden Rechtsordnung bestimmten 83. Dabei hatte man hier ebenso wie damals auch beim Gewissenstäter zwar kein völliges Zurücktreten des Strafrechts, aber eine nicht diskriminierende strafrechtliche Rechtsfolge, nämlich die schon erwähnte Einschließung, vor Augen 84. Spätestens seit den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus ist bei der Beurteilung dieser Fallgruppe jedoch die gebotene Zurückhaltung eingetreten. Eine Tat verdient nicht schon allein deshalb Nachsicht oder sogar Respekt, weil sie aus politisch-weltanschaulichen Motiven erfolgt ist. Im Gegenteil! Die großen Menschheitsverbrechen dieses Jahrhunderts sind aus politisch-ideologischer Überzeugung begangen worden: die der Bolschewisten und Stalinisten, der Nationalsozialisten und der Fundamentalsozialisten eines Pol Pot. Die Vorstellung, im Besitze der absoluten Wahrheit zu sein, hat diese Verbrechen ermöglicht. Von einem dem Täter vorrangig erscheinenden Motiv ist im übrigen praktisch jede Straftat begleitet. Solche Motive können isoliert betrachtet durchaus Respekt erheischend sein, z. B. die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Familie als Motiv eines Diebes (oder die Liebe zu einer Frau als Motiv zur Tötung des Nebenbuhlers). Ausschlaggebend sind jedoch nicht sie, sondern die Tat, die sie ausgelöst haben. Außerdem zeigt sich, dass es auch Ideologien gibt, die schon als solche verbrecherisch sind. Daß eine Straftat durch eine politisch-ideologische Überzeugung motiviert ist, kann also für sich allein keine Privilegierung bewirken. Was nur möglich ist, sind Situationen, in denen derartige Täter gleichzeitig Opfer eines politischen Systems sind. Zu denken ist dabei an die politisch verführten oder gar fanatisierten Ausführungsorgane totalitärer Regime. Aber auch in solchen Fällen geht es um allgemeine strafrechtliche Maßstäbe, also namentlich um das Vorliegen eines bei diesen Personen hervorgerufenen Verbotsirrtums 85. Diesbezüglich spielt bei der Vermeidbarkeitsfrage die politische Verführung, insbesondere junger Leute, bekanntlich eine wichtige Rolle. Sonst jedoch können politische und ideologische Motive, ihre Art und ihre Wirkung auf den Täter nur im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung von Bedeutung sein.

82

Siehe oben in Fn. 8. Vgl. Radbruch, ZStW 44 (1924), 34, 37 („Gegner der derzeitigen sittlichen, religiösen, politischen Macht“) sowie S. 38 („Wo Pflichtüberzeugungen kämpfen, kommt der Gerechtigkeit die relativistische Haltung der Skepsis zu.“). 84 Siehe oben in Fn. 9 und dort den vorhergehenden Text. 85 Aktuelle Beispiele sind die Mauerschützen-Fälle; vgl. BGHSt. 39, 1, 32 f., 35; 39, 168, 189; 40, 241; BGH NJW 1995, 1437, 1438; BGH NStZ 1995, 286, 287; u. a. 83

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IV. Ziviler Ungehorsam Von großer Aktualität ist die im Rahmen des Themas zu behandelnde dritte und letzte Tätergruppe: die des sogenannten zivilen Ungehorsams. Sitzblockaden, Hausbesetzungen und Attentate auf Eisenbahnstrecken sind in Deutschland dabei vor allem im Blickfeld. Hinsichtlich der im Vordergrund des juristischen Interesses stehenden Sitzblockaden, Stichwort „Mutlangen“, ist gleich zu Beginn klarzustellen, daß in der Diskussion unglücklicherweise zwei Fragen miteinander verquickt worden sind: die des tatbestandlichen Vorliegens einer durch Gewalt begangenen Nötigung nach § 240 StGB und die der Beurteilung eines in einer Sitzblockade bestehenden zivilen Ungehorsams 86. Es sprechen gute Gründe für die in der Strafrechtstheorie immer wieder vorgebrachte Auffassung, daß im versperrenden Hinsetzen bestehende Blockaden nicht unter den Gewaltbegriff des Strafgesetzbuches fallen, will man diesen nicht contra legem zum Oberbegriff der Nötigungsmittel werden lassen, ihn damit aufweichen und als Folge davon gezwungen sein, ihn innerhalb des StGB unterschiedlich zu interpretieren 87. Es geht bei dieser Kritik an der extensiven Auslegung durch Senate des Bundesgerichtshofs um eine rein hermeneutische Frage. Um so bedauerlicher ist es, daß sie in der Öffentlichkeit politisiert worden ist. Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten Nötigungsentscheidung die zulässigen Auslegungsgrenzen in Erinnerung gebracht 88. Das schließt indes nicht aus, daß die Frage der rechtlichen Behandlung eines in Sitzblockaden bestehenden zivilen Ungehorsams sich lege ferenda bei einer gesetzlichen Erweiterung des Nötigungstatbestandes und de lege lata in bezug auf das Ordnungswidrigkeitenrecht stellen kann. Im übrigen bleibt das allgemeine Problem des zivilen Ungehorsams von den speziellen Rechtsfragen der Sitzblockaden unberührt. Um was handelt es sich beim „zivilen Ungehorsam“? Das Bundesverfassungsgericht beschreibt ihn als „ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen ..., um einer für verhängnisvoll und 86 Der BGH hatte bekanntlich im Anschluß an die frühere Entscheidung BGHSt. 23, 46, 53 f. (Laepple-Fall) angenommen, daß Sitzblockaden Gewalt i. S. d. § 240 StGB seien. Die in der Strafrechtswissenschaft daran geäußerte Kritik richtete sich gegen die Ausweitung des Gewaltbegriffs und wies darauf hin, daß eine Strafbarkeit mit Rücksicht auf den Satz Nullum crimen sine lege die Schaffung einer strafgesetzlichen Regelung erfoderlich mache. Diese rein juristische Kritik ist – zumal in der Öffentlichkeit – nicht deutlich von der Frage der Strafbedürftigkeit solcher Sitzblockaden getrennt worden. 87 Näher dazu Geilen, H. Mayer-Festschr., S. 445 ff.; Callies, Der Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbestände, 1974; Wolter, NStZ 1985, 193; Hirsch, Tröndle-Festschr., 1989, S. 19 ff. m.w. N. 88 BVerfGE 92, 1.

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ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen“ 89. Im Schrifttum ist entsprechend die Rede von einer bewußten Regelverletzung als Mittel zum Zweck eines öffentlich bekundeten und ethisch-normativ begründeten symbolischen Protestes, der friedlich bleibt 90. Die Besonderheit gegenüber den im vorhergehenden erörterten Überzeugungstäterfällen besteht darin, daß aus politisch-ethischen Gründen durch einen bewußten Rechtsverstoß ein demonstrativer öffentlicher Protest erfolgen soll. Die Auffassung, nach der in solchen Fällen die Rechtswidrigkeit zu verneinen, also ein Rechtfertigungsgrund anzunehmen sei, findet sich nur bei wenigen Autoren 91. Sie geht aus von der von John Rawls in seinen einflußreichen Arbeiten vertretenen Ansicht, daß ziviler Ungehorsam „innerhalb der Grenzen der Rechtstreue“ bleibe, auch wenn er sich an deren „Rand“ bewege 92. Er sei moralisch legitimiert, sei – wie Habermas schreibt 93 – notwendiger Bestandteil „einer reifen politischen Kultur“. Auch wird von einer evolutionären Stoßrichtung gesprochen, die als Form symbolischer Expressivität der öffentlich geäußerten Meinung, der Versammlung und der Demonstration verwandt sei 94. Für Rechtfertigung ist deshalb angeführt worden, daß Akte zivilen Ungehorsams durch die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt wären 95. Auch wenn man berücksichtigt, daß es bei den Regelverstößen nur um Delikte leichter Natur gehen soll 96, weshalb beispielsweise gefährliche Eingriffe in den Eisenbahnverkehr von vornherein außer Betracht bleiben, ist demgegenüber jedoch darauf hinzuweisen, daß die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Beschränkung durch einfache Gesetze, also nicht zuletzt durch Strafgesetze, unterliegen und daß auch nach der „Wechselwirkungstheorie“ des Lüth-Urteils 97 die Abwägung hier gegen den Vorrang des Grundrechts ausfallen 89

BVerfGE 73, 206, 250. So mit Formulierungsnuancen: Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975 (dt. Übersetzung von: A theory of justice, 1971), S. 401 ff.; Schüler-Springorum, bei Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 1983, S. 76, 79; Dreier, bei Glotz (wie zuvor), S. 54, 66; Frankenberg, JZ 1984, 266, 269; Laker, Ziviler Ungehorsam, 1986, S. 186. 91 Dreier (Fn. 90), S. 64 (Art. 5, 8 GG); Schüler-Springorum (Fn. 90), S. 87 ff. (§ 34 StGB); in engen Grenzen auch Laker (Fn. 90), S. 237 ff., 313 f. (kraft Verfassungsrechts einzelfallbezogene Güterabwägung). 92 Rawls, Die Rechtfertigung bürgerlichen Ungehorsams, in O. Höffe (Hrsg.), John Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 1977, S. 165, 177; ders. (Fn. 90), S. 403. 93 Habermas, bei Glotz (Fn. 90), S. 29, 32. 94 Frankenberg, JZ 1984, 266, 270. 95 Dreier (Fn. 90), S. 64 ff.; ders., Wassermann-Festschr., 1985, S. 299, 308. 96 Es heißt, daß es sich um eine bewußt straftatbestandliche „Regelverletzung“ als Mittel eines „gewaltlos“ bleibenden Protestes (Schüler-Springorum [Fn. 90], S. 79) oder als „friedlicher Akt“ des Protestes (Laker [Fn. 90], S. 186) handele. 90

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müßte. Der Staat würde sich selber angreifen, wenn er das Protestinteresse einer Gruppe höher einstufen wollte als die Befolgung der auf verfassungsmäßigen Mehrheitsbeschlüssen beruhenden Strafgesetze 98. Darüber hinaus wird bei der Annahme von Rechtfertigung verkannt, daß ziviler Ungehorsam seinem Wesen nach Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen einschließt. Den Tätern geht es doch gerade darum, durch einen „Regelverstoß“, nämlich eine rechtswidrige Tat, zu provozieren. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Recht angemerkt, es sei deshalb „widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen 99 “. Übrigens ergäbe sich sonst auch eine fatale Konsequenz: Da die Provokation und Aufmerksamkeit gerade dadurch erreicht werden soll, daß man eine Straftat begeht, müßte diese dann so schwerwiegend sein, daß sie nicht mehr durch gerechtfertigten zivilen Ungehorsam gedeckt wäre. Es ginge also um eine Einladung zur Eskalation. Die herrschende Meinung lehnt daher eine Rechtfertigung ab und betrachtet den zivilen Ungehorsam erst als Strafzumessungsfrage 100. Gegen eine derartige Einordnung wendet sich neuerdings Roxin. Er ist der Auffassung, daß für die seiner Ansicht nach nicht strafbedürftigen Fälle eines allerdings eng einzugrenzenden zivilen Ungehorsams der Ausschluß der strafrechtlichen Verantwortlichkeit angebracht sei 101. Als strafrechtliche Verantwortlichkeit bezeichnet er das dritte Deliktsmerkmal, das nach seinem dogmatischen System abweichend von der herrschenden Strafrechtsdogmatik und dem Gesetzeswortlaut nicht nur aus der Schuld, sondern auch aus präventiven Gesichtspunkten bestehen soll 102. Er meint deshalb, daß bei zivilem Ungehorsam zwar die Schuld der Täter gegeben sei, es gleichwohl aber an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit fehle. Denn eine Bestrafungsnotwendigkeit sei in den seriös motivierten Fällen symbolischen Widerstandes nicht gegeben. Die Täter seien keine Kriminellen, und sozialpolitisch genüge die Mißbilligung des Regelverstoßes durch Beharren auf der Rechtswidrigkeit des Täterverhaltens. Auch sei es besser, „das grundsätzlich systemkonforme Protestpotential unserer Gesellschaft durch einen Strafverzicht zu integrieren, anstatt durch eine Bestrafung zu diskriminieren und auszugrenzen“ 103. 97

BVerfGE 7, 198. So schon Prittwitz, JA 1987, 17; Roxin, Schüler-Springorum-Festschr., S. 16; siehe auch Jakobs, Allg. Teil, 15/5b. Daß entgegen Schüler-Springorum [Fn. 90], S. 87 ff.) hier auch § 34 StGB nicht eingreift, ist evident. Es fehlen offensichtlich mehrere Erfordernisse des rechtfertigenden Notstands; vgl. die Auflistung bei Roxin, Schüler-SpringorumFestschr., S. 445 f. und Kühl, Allg. Teil, § 9 Rnr. 110. 99 BVerfGE 73, 206, 252. 100 Dreher / Tröndle, StGB, 47. Aufl. 1995, Vor § 32 Rnr. 10a; Hassemer, Ziviler Ungehorsam – ein Rechtfertigungsgrund?, Wassermann-Festschr., S. 325, 336 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 15/5b; Lenckner, in: Schönke / Schröder, § 34 Rnr. 41a; ders., JuS 1988, 349, 355. 101 Roxin, Schüler-Springorum-Festschr., 1993, S. 441, 453. 102 Roxin, Allg. Teil I, § 19 Rnr. 1 ff. 98

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Letzteres macht bereits deutlich, weshalb die herrschende Strafrechtsdoktrin ein derartiges Deliktsmerkmal „strafrechtliche Verantwortlichkeit“ schon grundsätzlich ablehnt: Durch die Einbeziehung von Präventionsaspekten in die Schuldebene wird der Unterschied zwischen Straftatvoraussetzungen und Rechtsfolgenbereicht verwischt 104. Die Frage, ob es angezeigt ist, unter Präventionsgesichtspunkten auf die Strafe zu verzichten, stellt sich erst im Anschluß an die Bejahung des Gegebenseins einer Straftat. Bei der vorliegenden Problematik tritt als Einwand hinzu, daß es den Tätern doch gerade darauf ankommt, durch die Begehung einer strafbaren Tat die erhoffte Signalwirkung zu erzielen. Insoweit erheben sich gegenüber der dem Lösungsvorschlag Roxins die gleichen Einwände wie gegenüber der schon abgelehnten Rechtfertigungsauffassung. Sie werden zudem noch insoweit verschärft, als hier einem im Vollbesitz seiner psychischen Steuerungsfähigkeit befindlichen Personenkreis bescheinigt würde, er lasse sich subjektiv nicht für sein Verhalten strafrechtlich verantwortlich machen. Das wäre eine fragwürdige Einstufung. Es zeigt sich also, daß es auch beim „zivilen Ungehorsam“ erst um den Rechtsfolgenbereich geht. Hier könnte der Gedanke des Strafverzichts, und zwar de lege ferenda, in der Form des Schuldspruchs mit Absehen von Strafe bedeutsam sein. Jedoch ist demgegenüber anzuführen, daß auch dies auf ein Mißverständnis über den zivilen Ungehorsam hinauslaufen würde. Es stünde dann nämlich von vornherein fest, daß die Bestrafung und im Hinblick auf § 153b Abs. 1 StPO regelmäßig sogar bereits die Anklage unterblieben. Zum Wesen des zivilen Ungehorsams gehört es aber gerade, daß der Täter sich der Rechtsfolge des Regelverstoßes, hier der Bestrafung, aussetzt 105. Deshalb würde auch das Absehen von Strafe die Konsequenz haben, daß es zu der erstrebten Provokation des Schritts zu schwereren Straftaten bedürfte. Bei dem in der deutschen Diskussion teilweise hinsichtlich der Bestrafung aufgetauchten Unbehagen ging es vor allem um die Fälle von Sitzblockaden der Friedensbewegung 106. Hier lag der kritische Punkt jedoch eben schon darin, daß richtiger Ansicht nach der Tatbestand des § 240 StGB gar nicht erfüllt war, weil das passive Blockieren noch keine Gewalt im Sinne des im Strafgesetzbuch verwendeten Gewaltbegriffs darstellt. Deshalb eignet sich das juristische Trauerspiel 107 der Sitzblockaden wenig zur grundsätzlichen strafrechtlichen Beurteilung der Fälle zivilen Ungehorsams. 103

Roxin, Schüler-Springorum-Festschr., S. 455 f. Näher dazu Hirsch, in LK, Vor § 32 Rnr. 182a m.w. N. 105 Vgl. Rawls (Fn. 90), S. 403 (“Bereitschaft, die gesetzlichen Folgen der Handlungsweise auf sich zu nehmen“); Habermas (Fn. 93), S. 29, 35, 42 f. 106 Siehe Dreier (Fn. 90), S. 68, 71; Schüler-Springorum (Fn. 90), S. 83 f.; Roxin, Schüler-Springorum-Festschr., S. 449 ff.; auch Lenckner, JuS 1988, 355. 107 Begonnen mit einem Überspielen des parlamentarischen Gesetzgebers durch die Anwendung eines überdehnten strafgesetzlichen Gewaltbegriffs, sich auswirkend in einer Verlagerung des Problems in die Verwerflichkeitsklausel des ohnedies rechtsstaatlich fragwürdigen § 240 Abs. 2 StGB und damit auf die Instanzrichter, so daß zahlreiche konträre 104

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Darüber hinaus ist es fragwürdig, von einer an sich positiven Einschätzung des zivilen Ungehorsams auszugehen. In einem demokratischen Rechtsstaat, insbesondere so fortentwickelten Zuschnitts wie der Bundesrepublik Deutschland, haben die Bürger aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs-, Versammlungs-, Bekenntnis- und Koalitionsfreiheit und des allgemeinen Wahlrechts eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihre Meinung zu artikulieren und auf die Mehrheitsbildung einzuwirken 108. Das Wesen der Demokratie besteht in einer geistigen Auseinandersetzung über Politik und Gesetzgebung 109. Sogenannter ziviler Ungehorsam entspricht nicht diesem Verfassungskonzept. Er ist entgegen Habermas das Gegenteil von reifer politischer Kultur. Wenn man für eine positive Einschätzung auf den gewaltlosen Widerstand Mahatma Ghandis verweist 110, so wird übergangen, daß es sich dabei um den Widerstand gegen die Diktatur einer Kolonialmacht handelte. Der zur Erörterung stehende zivile Ungehorsam hat jedoch mit einem so hehren Recht wie dem Widerstandsrecht wenig zu tun. Man kann die Bescheidenheit des Widerstands gegen die beiden deutschen Diktaturen nicht dadurch kompensieren, daß man ihn heute gegen den Rechtsstaat probt. Auch wird leicht übersehen, daß politisch-ethische Gründe relativ sind. Jede politische Ideologie nimmt für sich eine spezifische Ethik in Anspruch, weshalb auch eine spezifisch kommunistische oder faschistische Moral behauptet wird. Außerdem können sich hinter an sich schätzenswerten Zieletikettierungen, z. B. dem Frieden, ganz unterschiedlich zu wertende Motive verbergen: Pazifismus oder Kriegsfurcht, aber auch einfach politische Antipathie gegenüber der von der Mehrheit getragenen Regierungspolitik. Im übrigen ist am zivilen Ungehorsam auffällig die Verabsolutierung der eigenen Meinung, das Sendungsbewußtsein und oft die epidemische Manipulierbarkeit der Beteiligten durch Meinungsmacher und hinter ihnen stehende Personenkreise. Stratenwerth hat in seiner Analyse der dem zivilen Ungehorsam zugeordneten Fälle, gerade auch denen der Gegenwart, bereits deutlich gemacht, daß die Täter amtsrichterliche Urteile die Folge waren; sich fortsetzend in einer Patt-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und erst spät – verbunden mit einer fatalen Politisierung des Problems – von diesem für verfassungswidrig erklärt, als bereits Hunderte strafrichterliche Verurteilungen erfolgt waren, die sich nun vom Standpunkt der jetzigen Rspr. aus als verfassungswidrig darstellen. 108 Auf die Vielzahl bestehender anderer Einwirkungsmöglichkeiten und deren größere meinungsbildende Effizienz weisen auch Lenckner, JuS 1988, 354 und Roxin, SchülerSpringorum-Festschr., S. 446, hin. Zudem gelangen im heutigen Rundfunk und Fernsehen die Meinungen von Minderheitsgruppen ohnehin schon überproportional zur Geltung. 109 Vgl. auch die bekannte Stelle bei Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 2. Aufl. 1962, S. 253. 110 Vgl. die Darstellung der Geschichte des zivilen Ungehorsams bei Laker (Fn. 90), S. 29 ff.

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zivilen Ungehorsams sich nicht grundsätzlich als systemtreu einstufen lassen, wie dies etwa Roxin meint. Vielmehr geht es ihnen auch um ein weiterreichendes Ziel als die durch Änderung der Mehrheitsverhältnisse erstrebte prinzipiell systemkonforme Verbesserung der bestehenden Ordnung, nämlich um eine Systemveränderung 111. Alles das macht deutlich, daß es sich beim zivilen Ungehorsam nur um eine Strafzumessungsfrage handelt. Soweit die Motive der Täter mindernd ins Gewicht fallen, findet dies ebenso wie sonst im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung. Dabei ist es im einzelnen Fall möglich, daß das Gericht bis an die untere Grenze des Strafrahmens geht und nur eine symbolische Strafe verhängt. Es besteht in geeigneten Fällen zudem die allgemeine verfahrensrechtliche Möglichkeit einer Opportunitätseinstellung nach §§ 153, 153a StPO. V. Schlußfolgerungen Abschließend stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber tätig werden sollte. Nach den Ergebnissen der vorhergehenden Erörterungen bietet sich dazu hinsichtlich des Überzeugungstäters i. e. S. und des Täters zivilen Ungehorsams kein Anlaß. Denn für beide Gruppen bestehen keine strafrechtlichen Besonderheiten. Die Beweggründe und Ziele des Täters sind wie bei anderen Straftaten im Rahmen der gewöhnlichen Strafzumessung gemäß § 46 StGB zu berücksichtigen. Bezüglich des Gewissenstäters könnte dagegen angesichts der bis in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausstrahlenden Unklarheit eine besondere Vorschrift im Strafgesetzbuch, etwa ein § 35a StGB, von Nutzen sein. Sie würde nach dem Ergebnis der angestellten Überlegungen etwa zu lauten haben: „Handelt der Täter aus einem echten Gewissenskonflikt, ohne daß sein Gewissensentscheid bereits die Rechtswidrigkeit der Tat entfallen läßt, so kann die Strafe gemildert werden (§ 49 Abs. 1). Ausnahmsweise kann bei einem Vergehen von Strafe abgesehen werden, wenn der Umfang des Unrechts und eine erhebliche Minderung der Schuld dies zulassen.“ Wie schon betont, ergibt sich diese Lösung bereits de lege lata aus Art. 4 GG. Es liegt daher beim Gesetzgeber, darüber zu befinden, ob es zum gegenwärtigen Zeitpunkt weise wäre, die Gewissentäterproblematik und damit zwangsläufig den ganzen Themenkreis in die Gesetzgebungsdiskussion einzuführen.

111 Stratenwerth, Popitz-Festschr. 1990, S. 260, 263 ff. Er verweist im Zusammenhang mit den Zielen auf den Wandel der „legitimierenden Grundlagen unserer Staatlichkeit“ (S. 265). Seiner Ansicht nach kann und soll es aber Aufgabe der Rechtstheorie sein, unter Verzicht auf das theoretische Erfordernis der Systemimmanenz „neue, jenseits der etablierten Verfassungsprinzipien liegende Maßstäbe für die Legitimität zivilen Ungehorsams zu entwickeln“ (S. 264 f.).

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Im übrigen ging es mir bei meinen Ausführungen um zweierlei: Erstens aufzuzeigen, daß der Themenkreis einer differenzierenden Betrachtung bedarf, auch hinsichtlich des Gewissenstäters und des Inhalts des Art. 4 GG. Zweitens sollte deutlich gemacht werden, daß es in diesem Problemkreis nicht nur um eine positive Tendenz zum mündigen Bürger geht. Auffällig ist vielmehr ebenso die Überschätzung und Verabsolutierung der eigenen Meinung, eine Abwertung der Autorität des Rechts und ein manchmal erschreckendes Ausmaß an geistiger Manipulierbarkeit.

Hauptprobleme einer Reform hinsichtlich der allgemeinen Straftatvoraussetzungen 1996 I. Betrachtet man die in mehreren Staaten in neuerer Zeit erfolgte Strafrechtsreform (so in Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Frankreich und Spanien) sowie neuere Reformentwürfe (wie den polnischen), dann zeigt sich, daß es hinsichtlich der Straftatvoraussetzungen zum erheblichen Teil um die gleichen Probleme geht. Im folgenden möchte ich mich auf die deutsche Reform konzentrieren. Sie liegt 20 Jahre zurück und ermöglicht es deshalb, schon etwas über ihre Auswirkungen zu sagen. In grundsätzlicher Hinsicht handelt es sich bei einer Reform der einschlägigen Vorschriften des Allgemeinen Teils um die Frage, wie weit der Gesetzgeber überhaupt bei seinen Festlegungen im dogmatischen Bereich gehen soll. Sicherlich ist es nicht Aufgabe eines Strafgesetzbuchs, dogmatische Systeme zu vertypen, will man den Unterschied zwischen Gesetz und Lehrbuch nicht verwischen. Was der Gesetzgeber nur kann, ist die Übernahme einzelner aus den theoretischen Systemüberlegungen gewonnener, für die Praxis bedeutsamer Lösungen. Und auch dabei muß er darauf achten, daß er wissenschaftliche Diskussionen, die noch nicht abgeschlossen sind, nicht voreilig abschneidet. Zweitens sollte er bei der Vertypung dogmatischer Punkte nicht zu sehr ins Detail gehen und dadurch Fehlerquellen und Erstarrungen hervorrufen. Der Gesetzgeber hat sich also im dogmatischen Teil auf das zu beschränken, was nach dem jeweiligen Stande von Wissenschaft und Rechtsprechung wirklich kodifizierungsreif ist und unbedingt notwendig erscheint. Andererseits muß er dafür Sorge tragen, daß die anerkannten Grundprinzipien des Strafrechts durchweg im Gesetz Berücksichtigung finden. Hierbei geht es primär um das Schuldprinzip als Bollwerk gegen präventive Erweiterungen des Strafrechts sowie den Satz Nullum crimen nulla poena sine lege und den ultima ratio Gedanken. Der deutsche Reformgesetzgeber von 1975 war sich bewußt, daß die gesetzliche Festschreibung von dogmatischen Lösungen voreilig sein und die weitere wissenschaftliche Entwicklung blockieren könnte. Aus diesem Grunde sind ins-

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besondere eine Definition von Vorsatz und Fahrlässigkeit, eine Aufzählung der Garantenstellungen beim unechten Unterlassungsdelikt, eine allgemeine Vertypung der Einwilligung und eine Regelung des Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt unterblieben. Zudem fällt auf, daß die Neufassung unserer dogmatischen Regelungen sich, von einigen Ausnahmen abgesehen, auf solche Punkte beschränkt, in denen nicht nur die wissenschaftliche Entwicklung zu einem gewissen Abschluß gelangt war, sondern sich deren Ergebnisse auch bereits in der Rechtsprechung durchgesetzt hatten. Was die gesetzliche Festschreibung von dogmatischen Positionen betrifft, fällt mir demgegenüber an den §§ 3 und 9 des estnischen Entwurfs (von Prof. Rebane) auf, daß sie Schuld mit der älteren Auffassung ausdrücklich als Vorsatz und Fahrlässigkeit definieren, obwohl sehr umstritten ist, ob Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht bereits mit das Unrecht konstituieren, es aber jedenfalls auch noch andere Schuldmerkmale gibt.

II. Werfen wir den Blick nach diesen grundsätzlichen Feststellungen nunmehr auf die bei der bundesdeutschen Reform hervorgetretenen Hauptproblembereiche, ihre Lösung oder auch Nichtlösung durch den Gesetzgeber, sowie die seither neu hinzugekommenen Fragen. 1. Den ersten Punkt bildet die Durchführung des Schuldprinzips, d. h. die Beseitigung von Relikten der Erfolgshaftung und der Schuldvermutungen. a) Hier ging es bei uns primär um die gesetzliche Verankerung der Beachtlichkeit des Verbotsirrtums und dessen sachentsprechende Behandlung. Einigkeit bestand darüber, daß entgegen der vom ehemaligen Reichsgericht vertretenen Auffassung das Schuldprinzip Beachtung dieses Irrtums fordert. Der Streit betraf damals nur noch die Frage, wie er behandelt werden soll. Nachdem der Bundesgerichtshof sich für die Lösung im Sinne der sogenannten Schuldtheorie entschieden hatte, setzte sich diese Lehre durch. Die Gründe dafür, daß sie und nicht die zunächst im Schrifttum vorherrschende Vorsatztheorie den Sieg davontrug, sind bekannt. Es handelt sich dogmatisch um die Erkenntnis, daß Vorsatz und Unrechtsbewußtsein rechtlich verschieden einzuordnende Phänomene sind und daß auch Fahrlässigkeit einerseits und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums andererseits auf rechtlich verschiedenen Ebenen liegen. Hinzu kommt die praktische Überlegung, daß der notwendigerweise fragmentarische Charakter der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zu Strafbarkeitslücken in Fällen vermeidbaren Verbotsirrtums führen würde. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Fahrlässigkeitsdelikte Erfolgsdelikte sind und deshalb der im vermeidbaren Verbotsirrtum begangene Versuch nicht erfaßt werden könnte.

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Im Gegensatz zu manchen anderen Rechtsordnungen ist jene Irrtumslösung deshalb bei uns im Grundsätzlichen kein Problem mehr. Der bundesdeutsche Gesetzgeber konnte sie daher im neuen § 17 dtsch. StGB ausdrücklich verankern. Allerdings ist an der deutschen Regelung bedenklich, daß für den vermeidbaren Verbotsirrtum nur eine fakultative Strafmilderung eröffnet wird. Denn damit, daß einem Täter das Unrechtsbewußtsein fehlt, ist doch jedenfalls die Schuld vermindert. Bewußt offen gelassen hat der deutsche Gesetzgeber die Frage, wie die Fälle der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts, also zum Beispiel die Putativnotwehr, zu lösen sind. Der Streit zwischen Vorsatztheorie und Schuldtheorie hat sich bei uns auf diesem Teilkriegsschauplatz fortgesetzt. Man wird es als positiv zu bewerten haben, daß der Gesetzgeber vor einer voreiligen Festschreibung zurückgeschreckt ist. Das gilt nicht nur für die innerhalb der einschlägigen Irrtumsfälle differenzierende Lösung des Strafgesetzentwurfs von 1962, sondern auch für Vorschläge, die vom Ausschluß des Tatbestandsvorsatzes ausgehen. Denn der weitere Verlauf der Diskussion hat gezeigt, daß der Zentralpunkt des Streits bei der Frage liegt, ob in solchen Fällen bereits der Tatbestandsvorsatz und damit nach heutigem Erkenntnisstand das Vorsatzunrecht entfällt oder ob es sich erst um ein Schuldproblem handelt. Inzwischen haben sich die überwiegende Ansicht innerhalb der herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie und die strenge Schuldtheorie so weit einander angenähert, daß sie übereinstimmend nicht von einem Problem des Tatbestandsvorsatzes, sondern von einer Schuldfrage ausgehen. Die Gründe dafür sind, daß andernfalls die Putativnotwehr ebenso wie die Notwehr selbst bereits das Vorsatzunrecht entfallen ließe und auch sachwidrige Konsequenzen für den Versuch und die Teilnahme die Folge waren. Nach der heute innerhalb der eingeschränkten Schuldtheorie vorherrschenden Richtung wird demgemäß bei Putativnotwehr und dergleichen das Vorsatzunrecht als gegeben angesehen und erst das Vorliegen einer spezifischen Vorsatzschuld verneint. Die Diskussion ist bisher nicht abgeschlossen. Es ist deshalb, wie gesagt, wohl das beste, sich gegenwärtig noch nicht gesetzgeberisch festzulegen. Das um so weniger, als die praktische Bedeutung geringer als die theoretische zu sein scheint. Wenn man sich aber doch für eine gesetzliche Regelung entscheidet und dabei die eingeschränkte Schuldtheorie zugrunde legt, so wäre im Gesetz zum Ausdruck zu bringen, daß nicht schon das Unrecht, sondern erst die Schuld der Vorsatztat entfallen soll. b) Ein zweites Hauptproblem im Bereich der Schuld bildet die rauschbedingte Schuldunfähigkeit. In den Strafgesetzbüchern der ehemaligen sozialistischen Staaten wird zumeist bestimmt (z. B. in Art. 12 russ. StGB), daß bei verschuldeter Herbeiführung der Schuldunfähigkeit eine Bestrafung wegen schuldhafter Begehung der im Zustand der Schuldunfähigkeit verwirklichten Tat zu erfolgen hat. Im Unterschied dazu nimmt das deutsche Strafrecht in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Strafgesetzbüchern weiterhin diese Fälle nicht aus dem An-

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wendungsbereich der Schuldunfähigkeit heraus. Die Lösung erfolgt statt dessen über die Rechtsfigur der vorsätzlichen oder fahrlässigen actio libera in causa sowie einem Vergehenstatbestand des Vollrauschs (§ 323a dt. StGB). Dieser ist allerdings de lege lata voller konstruktiver Schwächen und ermuntert die Rechtsprechung durch seine Wortfassung zu einer extensiven Handhabung. Ein Reformgesetzgeber, der sich mit der Regelung der Schuldunfähigkeit befaßt, wird deshalb nicht nur auf die Einhaltung des Tatschuldprinzips zu achten haben, sondern auch der sachentsprechenden Ausgestaltung dieser flankierenden Tatbestandsproblematik besondere Aufmerksamkeit schenken müssen. Auch noch eine andere Frage zum Thema Schuldunfähigkeit wird er zu prüfen haben: Ob nämlich deren Bereich über die bisherigen Fälle hinaus auf alle seelischen Störungen ausgedehnt werden soll, wie es bei der deutschen Reform geschehen ist. c) Um das Schuldprinzip, und zwar im umfassenden Sinne, geht es auch bei der Problematik der erfolgsqualifizierten Delikte. Die alte Form solcher Vorschriften besteht in einer Erfolgshaftung. Das deutsche Strafrecht verlangt deshalb seit einer Gesetzesnovelle von 1953, daß bezüglich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit gegeben ist. Aber auch danach erhebt sich die Frage, ob echte erfolgsqualifizierte Delikte – also die Kombination einer Vorsatztat mit einer durch sie fahrlässig herbeigeführten schweren Folge – weiterhin beibehalten werden dürfen. Dagegen sprach sich unter Hinweis auf das Schuldprinzip etwa der deutsche Alternativentwurf von 1966 aus. Der Reformgesetzgeber hat sich jedoch darauf beschränkt, bei Novellierungen des Besonderen Teils in einigen Strafbestimmungen an Stelle jeder Fahrlässigkeit jetzt Leichtfertigkeit, also grobe Fahrlässigkeit, hinsichtlich der schweren Folge zu verlangen; und die Judikatur des Bundesgerichtshofs geht seit Jahren dahin, daß der Anwendungsbereich erfolgsqualifizierter Delikte immer mehr über die vom Reichsgericht noch eingehaltenen Grenzen hinaus ausgedehnt wird. Ich halte die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip unter drei Voraussetzungen für gewahrt: Erstens ist jedenfalls Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folge notwendig. Ohne dieses Erfordernis würde es wirklich von vornherein um ein Relikt überholter Erfolgshaftung, nämlich um versari in re illicita, gehen. Zweitens muß es sich um einen Unrechtsgehalt handeln, der über den gewöhnlicher Idealkonkurrenz hinausgeht. Dies erfordert, daß der vom Vorsatz umfaßte Erfolg des Grundtatbestands, an den die Qualifizierung anknüpft, typischerweise die Gefahr in sich birgt, sich in der schweren Folge der betreffenden Art niederzuschlagen, und daß deshalb die eingetretene Folge gerade die Realisierung dieser spezifischen Gefahr darstellt. Man spricht heute insoweit etwas unscharf vom Unmittelbarkeitszusammenhang. Dieses noch in der reichsgerichtlichen Judikatur strikt gehandhabte Wesensmerkmal des erfolgsqualifizierten Delikts ist inzwischen von unserer höchstrichterlichen Judikatur und einer ihr folgenden Richtung des Schrifttums stark aufgeweicht worden. Will man erfolgsqualifizierte Delikte

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beibehalten, wird man sich deshalb heute fragen müssen, ob der Gesetzgeber ihre Erfordernisse nicht in dieser Hinsicht stabilisieren sollte. Die dritte Voraussetzung für die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip bildet die bereits im deutschen Strafgesetzentwurf von 1962 erkannte Begrenzung auf Qualifizierungen innerhalb derselben Deliktskategorie. Das bedeutet, daß in Strafgesetzen, die wie das deutsche zwischen Vergehen und Verbrechen abstufen, die fahrlässige Herbeiführung der schweren Folge niemals ausreichen kann, um ein Delikt, das im vorsätzlichen Grundtatbestand ein Vergehen ist, zu einem Verbrechen zu steigern. Für einen Reformgesetzgeber geht es deshalb darum, daß er die im vorhergehenden genannten drei Grunderfordernisse beachtet und darüber hinaus sorgfältig prüft, ob der Strafrahmen des jeweiligen Grundtatbestands und dessen in der Praxis zu beobachtende Handhabung eine Vertypung als erfolgsqualifizierter Tatbestand erforderlich macht. Außerdem kann die Beschränkung auf Leichtfertigkeit eine zusätzliche Barriere gegen sachwidrige Ausuferungen bilden, wenngleich grobe Fahrlässigkeit für strafrechtliche Maßstäbe ein wenig präziser Gesichtspunkt ist. 2. Die Strafgesetzbücher tragen vielfach auch nicht hinreichend dem Prinzip Nullum crimen nulla poena sine lege Rechnung. a) Im uns interessierenden Zusammenhang geht es dabei einmal um die unechten Unterlassungsdelikte. Da die Strafbestimmungen des Besonderen Teils regelmäßig nur ein positives Tun beschreiben, muß das Strafgesetzbuch die Strafbarkeit der Begehung durch Unterlassen ausdrücklich verankern, wenn das Gesetz rechtsstaatlichen Anforderungen genügen soll. Bei uns fehlte bis zum Jahre 1975 eine solche Vorschrift. Die deshalb neu eingeführte Regelung (§ 13 StGB) geht über die bloße Erwähnung der Unterlassung hinaus, wie sie sich beispielsweise im polnischen Strafgesetzbuch und in § 7 Abs. 1 des estn. Entwurfs findet. Sie sagt nämlich ausdrücklich, daß eine Garantenpflicht gegeben und das Unterlassen dem Unrechtsgehalt einer Begehung durch Tun entsprechen muß. Die neue Vorschrift beseitigt die Bedenken in bezug auf einen Verstoß gegen das Analogieverbot. Dagegen ist es trotz der vorgenannten inhaltlichen Angaben nicht gelungen, dem Bestimmtheitsgebot stärker Rechnung zu tragen. Es erwies sich beim bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als unmöglich, eine gesetzliche Typisierung der Garantenstellungen vorzunehmen. Insbesondere zeigte sich, daß eine generelle Vertypung im Allgemeinen Teil zu Friktionen im Besonderen Teil führen würde. Es paßt nämlich nicht jede Garantenstellung für jeden Tatbestand. So kann sich aus naher Verwandtschaft zwar eine Garantenpflicht hinsichtlich des Lebens ergeben, nicht aber ohne weiteres auch hinsichtlich des Vermögens. Möglicherweise wird deshalb die künftige Entwicklung dahin führen, daß differenzierend nach Deliktsgruppen des Besonderen Teils im Gesetz angeben wird,

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welche Garantenstellung jeweils für ein strafbares Unterlassen in Betracht kommt. Im gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch bleibt dem Reformgesetzgeber nichts anderes übrig, als sich auf die genannten allgemeinen Angaben zu beschränken. Was er zusätzlich hier nur tun kann, ist die Einführung einer fakultativen Strafmilderung. Die neue deutsche Regelung trägt dem bereits Rechnung. b) Blickt man auf die Strafgesetzbücher des ehemaligen Ostblocks, so bildet die in ihnen aufgestellte Generalklausel der gesellschaftlichen Gefährlichkeit ein weiteres Problem bezüglich des Bestimmtheitsgebots. Das gilt für die strafschärfende Funktion, aber auch für die tatbestandslimitierende Funktion. Denn dieser Begriff ist völlig unbestimmt und öffnet, wie die historische Erfahrung bestätigt, der politischen Manipulation Tür und Tor. Auf ihn sollte man daher völlig verzichten, wie das auch in den Strafgesetzbüchern der übrigen Welt der Fall ist. Die Ausgrenzung strafrechtlich irrelevanter Fälle aus den Tatbeständen hat durch präzise Gesetzesfassungen und durch die diffizileren Instrumente der juristischen Hermeneutik zu erfolgen. Außerdem verbleibt prozessual die Möglichkeit einer Opportunitätseinstellung bei Geringfügigkeit. Ob das in § 7 Abs. 2 estn. Entwurf genannte Kriterium der „minderen Wichtigkeit“ ausreichend bestimmt ist, erscheint mir zweifelhaft. c) Auch das heutige deutsche Strafrecht zeigt hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes eine bedenkliche Entwicklung. Ich meine die Ausbreitung der Kategorie der besonders schweren Fälle, und zwar gerade auch in ihrer Kombination mit Regelbeispielen. In seiner ursprünglichen Fassung von 1871 kannte das deutsche Strafgesetzbuch nur qualifizierte Tatbestände. In den dreißiger Jahren haben sich dann die dem Strafzumessungsbereich zugeordneten besonders schweren Fälle mehr und mehr ausgebreitet, und seit 1969 ist man durch die Verbindung mit Regelbeispielen dabei, sie zunehmend an die Stelle qualifizierter Tatbestände zu setzen, also eine Verlagerung aus dem Bereich der Straftatvoraussetzungen in den der Strafzumessung vorzunehmen. Man muß sich jedoch fragen, welche Sachgesichtspunkte eigentlich den jetzt in § 12 Abs. 3 dt. StGB ausdrücklich verankerten Unterschied zwischen besonders schweren Fällen und qualifizierenden Tatbestandsmerkmalen tragen. Die Bedenken werden deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß die meisten Regelbeispiele bereits den Unrechtsgehalt der tatbestandsmäßigen Handlung betreffen und deshalb sachlich nicht erst auf die Rechtsfolgenebene gehören. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die hier kritisierte Gesetzgebungstechnik von einem Drang zur Lückenlosigkeit motiviert ist, der auf Kosten der systematischen Stimmigkeit des Gesetzes und des bei qualifizierenden Tatbeständen zu beachtenden Bestimmtheitsgrundsatzes geht. Wie schnell durch die Umetikettierung in Strafzumessungsregelungen hier der Satz Nullum crimen sine lege aus dem Blick gerät, ist insbesondere in der Rechtsprechung zum Versuch von Regelbeispielen des schweren Diebstahls (§ 243 dt. StGB) zutage getreten. Während es bei qualifizierten Vergehenstatbeständen selbstverständlich ist, daß der Versuch ausdrücklich unter Strafe gestellt sein muß,

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ist der Bundesgerichtshof der Meinung, daß es bei Regelbeispielen besonders schwerer Fälle anders sei. Die Garantien des Strafrechts können aber doch nicht davon abhängig sein, ob der Gesetzgeber die von ihm vertypten Merkmale als qualifizierende Tatbestandsmerkmale oder als besonders schwere Fälle deklariert. Ausländische Gesetzgeber werden gut daran tun, der Kategorie der besonders schweren Fälle mit Skepsis zu begegnen und eine Lösung der Fälle auf der Ebene der Straftatvoraussetzungen der qualifizierten Tatbestände zu suchen. Soviel zu den Problemen, die den Satz Nullum crimen sine lege betreffen. 3. Einen nächsten Problemkreis bildet die Frage, ob die Straffähigkeit auch auf juristische Personen erstreckt werden soll. Man hat in jüngster Zeit wiederholt darauf hingewiesen, daß in den neuen Kriminalitätsfeldern juristische Personen oft eine zentrale Rolle spielen. Ich habe mich zu dieser Problematik schon verschiedentlich im einzelnen geäußert, so daß ich mich hier kurz fassen kann: Ich sehe kein grundsätzliches Hindernis, eine Straffähigkeit juristischer Personen anzuerkennen. Die bekannten Einwände, die dagegen erhoben werden, lassen sich sowohl hinsichtlich der Handlungsfähigkeit als auch bezüglich der Verantwortlichkeit und der Vereinbarkeit mit dem Strafbegriff ausräumen. Heute befindet sich die Bejahung der Straffähigkeit im Vormarsch, wie die Entwicklung der Gesetzgebung in mehreren Staaten, darunter jüngst Frankreich und Finnland, zeigt. Die eigentliche Frage ist heute nicht mehr die, ob die Straffähigkeit juristischer Personen möglich ist. Sie lautet vielmehr: Wie haben die Voraussetzungen der Strafbarkeit auszusehen? Es geht einmal um den Personenkreis, dessen unmittelbare Handlungen als eigene Handlungen der juristischen Person zu erachten sind. Hier besteht die Gefahr, daß unter dem Einfluß der anglo-amerikanischen Doktrin, die nicht klar zwischen strafrechtlicher Verantwortlichkeit und nur zivilrechtlicher Haftung unterscheidet, die Strafbarkeit auf Handlungen aller für die juristische Person tätigen Personen ausgedehnt wird. Als deren eigene Handlungen sind jedoch nur die ihrer vertretungsberechtigten Organe oder vergleichbarer leitender Personen, also der Repräsentanten, vorstellbar. Ein zweiter zentraler Punkt liegt bei der Schuldfrage. Begnügt man sich nur mit der Schuld dieser unmittelbar handelnden Personen, so verwechselt man ebenfalls zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Verantwortlichkeit. Diese erfordert, daß das schuldhafte Handeln des Repräsentanten vermeidbar für die juristische Person als Gesamtheit gewesen ist. Und ein dritter Punkt betrifft den körperschaftlichen Charakter. Heute ist ständig vom Problem der Straffähigkeit von Unternehmen die Rede. Unternehmen bilden jedoch nur eine soziale Betätigungsform, sind aber keine Normadressaten. Das sind vielmehr natürliche oder juristische Personen, von denen ein Unternehmen betrieben wird. Infolgedessen geht es bei dem Problem der Straffähigkeit genauer um die Frage, ob auch juristische Personen straffähig sind – eine Frage, die aus den genannten Gründen prinzipiell zu bejahen ist.

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Im Augenblick sollte sich der Gesetzgeber aber wohl noch mit einer Regelung zurückhalten, da alles dies bisher nicht vollständig geklärt ist. 4. Ein weiteres Hauptproblem bildet die Regelung des Versuchs. Bei der deutschen Reform ist man unter dem Einfluß subjektivistischer Strömungen leider nicht zur obligatorischen Strafmilderung zurückgekehrt, sondern hat es bei der während der 30er Jahre eingeführten nur fakultativen Milderung belassen. Den aus heutiger Sicht aber interessantesten Punkt bildet der neue § 23 Abs. 3 dt. StGB, der für Fälle eines auf grobem Unverstand des Täters beruhenden untauglichen Versuchs die Möglichkeit des Absehens von Strafe oder der Strafmilderung schafft. Den Gesetzgeber leitete hier das an sich begrüßenswerte Bestreben, extremen Konsequenzen der subjektiven Versuchstheorie entgegenzuwirken. Bedauerlicherweise hat er dabei diese Versuchstheorie – die mehrere ausländische Strafgesetze, so das japanische, nicht zugrunde legen –, mittelbar festgeschrieben; denn die Regelung geht davon aus, daß in solchen Fällen ein tatbestandsmäßiger Versuch gegeben ist. Inzwischen mehren sich aber die Zweifel, ob es sachlich richtig ist, auch den absolut untauglichen Versuch für strafbar zu erklären. Die Grenze zwischen einem auf den Schutz bestehender Rechtsgüter ausgerichteten Strafrecht und einem bloßen Gesinnungsstrafrecht scheint hier nicht hinreichend beachtet zu werden. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang wieder daran, daß das Schrifttum noch bis Anfang der dreißiger Jahre der subjektiven Versuchstheorie einhellig ablehnend gegenüberstand, während heute allenfalls eine Abschwächung in Form der Eindruckstheorie vorgenommen wird. Bei der Fassung des § 23 Abs. 3 dt. StGB haben wir es daher mit einem der Fälle zu tun, in dem sich eine Festschreibung hinderlich für die weitere Rechtsentwicklung, die m.E. in Richtung auf die neuere objektive Theorie zu erfolgen hat, auswirken kann. 5. Zu weiteren wichtigen Problemen der Strafrechtsreform gehört die Teilnahmelehre. Für den Gesetzgeber stellt sich hier als erstes die Frage, ob er bei den Vorsatzdelikten zwischen Täterschaft und Teilnahme differenzieren oder den Einheitstäterbegriff zugrunde legen soll. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Unterschied zum österreichischen dafür entschieden, im Strafrecht an der Differenzierung festzuhalten, während er im Ordnungswidrigkeitenrecht der Einheitstäterlösung den Vorzug gegeben hat. Die Beibehaltung der Unterscheidung ist zu begrüßen. Dadurch werden die Nivellierungen und Friktionen vermieden, die bei Vorsatzdelikten mit dem Einheitstäterbegriff verbunden sind. Dieser Begriff ist hier ein Produkt der einseitig auf die Kausalität, und zwar auf die äquivalente Kausalität, fixierten kausalen Handlungslehre. Auf der Grundlage der Abstufung von Täterschaft und Teilnahme ist es konsequent, daß der deutsche Gesetzgeber jetzt eine obligatorische Strafmilderung bei der Beihilfe vorgeschrieben hat. Dies zwingt aber auch dazu, sich um prä-

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zise Kriterien für die Abgrenzung zur Täterschaft zu bemühen. Die deutsche Rechtsprechung tendierte über lange Zeit dahin, sich mit Hilfe der subjektiven Teilnahmetheorie einen Dispositionsraum zu wahren. Es bedeutet daher einen großen Fortschritt, daß die Möglichkeiten der subjektiven Theorie nunmehr durch den Gesetzgeber wenigstens nach einer Seite hin blockiert worden sind. Indem das Gesetz jetzt unmißverständlich erklärt, daß derjenige, der selbst alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht, Täter ist, schiebt es der subjektiven Theorie insoweit einen Riegel vor. Mehr ist, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, gesetzgeberisch kaum möglich. Erfreulicherweise verläuft die Entwicklung auch in die Richtung, daß die subjektive Theorie bei dem heute nur noch verbliebenen Anwendungsbereich auf Kriterien zurückgreift, die kaum zu anderen Ergebnissen führen, als sie sich aus der im deutschen Schrifttum herrschenden Tatherrschaftslehre ergeben. So heißt es jetzt in der Rechtsprechung, daß wesentliche Anhaltspunkte für den Täterwillen im Umfang der objektiven Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft zu finden seien. Die deutsche Teilnahmeregelung geht mit der der meisten Rechtsordnungen, aber im Unterschied etwa zur polnischen davon aus, daß Anstiftung und Beihilfe in einer Akzessorietätsbeziehung zum Vorliegen der Haupttat stehen müssen. Für das Akzessorietätserfordernis wird angeführt, daß es sich auch bei der Strafbarkeit der Teilnahme um die Herbeiführung der Rechtsgutsverletzung handelt. Kommt es nicht einmal zu einem Versuch der Haupttat, so liegt nach unserer Auffassung lediglich eine versuchte Teilnahme vor, die auch nur im Falle versuchter Anstiftung zu einem Verbrechen für strafbar erklärt ist. Außerdem treten bei Abstellen auf die Akzessorietät die Abgrenzungskriterien von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung deutlicher zutage. Stellt man auf die Akzessorietät ab, so hat sie sich nur auf das tatbeständliche Unrecht zu beziehen, denn die Schuld des Haupttäters betrifft diesen allein individuell. Bei uns war umstritten, ob im Rahmen dieser sogenannten limitierten Akzessorietät der Vorsatz akzessorisch zu behandeln ist. Mit Hilfe der personalen Unrechtslehre brach sich die Einsicht bahn, daß Teilnahme an einem Vorsatztatbestand notwendig voraussetzt, daß die Haupttat vorsätzlich begangen worden ist. Auf diese Weise wurde eine Aufweichung der Teilnahmelehre und eine Ausuferung der Strafbarkeit verhindert. Nachdem bereits der Bundesgerichtshof in diesem Sinne entschieden hatte, verankerte der Gesetzgeber 1975 die Vorsatzakzessorietät auch ausdrücklich im Gesetz. Ein weiteres Teilnahmeproblem bildet die Regelung der Teilnahme an Delikten mit besonderen persönlichen Merkmalen, z. B. den Amtsdelikten. In der neueren wissenschaftlichen Diskussion ist deutlich geworden, daß es entgegen den meisten strafgesetzlichen Regelungen und auch der herrschenden Auslegung des heutigen deutschen § 28 Abs. 2 StGB in den Fällen strafschärfender persönlicher Merkmale nicht anders als bei strafbegründenden derartigen Merkmalen nur um eine Strafzumessungsfrage gehen kann.

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6. Werfen wir nun noch einen Blick auf die Rechtfertigungsgründe. Hier ging es für den deutschen Reformgesetzgeber vor allem darum, den bis dahin nur gewohnheitsrechtlich anerkannten allgemeinen rechtfertigenden Notstand im Strafgesetzbuch zu vertypen. Indem das Gesetz nun ausdrücklich zwischen rechtfertigendem (§ 34) und nur entschuldigendem Notstand (§ 35) unterscheidet, folgt es der Differenzierungstheorie, die sich bei uns schon seit mehreren Jahrzehnten aus überzeugenden Gründen durchgesetzt hatte. Damit ist den früheren Versuchen der Einheitstheorie, den Unterschied von Unrecht und Schuld zu verwischen, und den gelegentlich wiederkehrenden Bemühungen der Neutralitätstheorie, die Rechtsordnung einer Stellungnahme zu entheben, nun auch kraft Gesetzes ein Riegel vorgeschoben. Durch die klare gesetzliche Abstufung von rechtfertigendem und nur entschuldigendem Notstand unterscheidet sich das jetzige deutsche Recht übrigens von zahlreichen veralteten Regelungen anderer Strafgesetzbücher, beispielsweise des italienischen, polnischen und japanischen. Fragwürdig ist dagegen die bei der deutschen Strafrechtsreform erfolgte Ausdehnung des entschuldigenden Notstands über die Fälle der Lebens- und Leibesgefahr hinaus auf den Fall der Gefahr für die Freiheit. Die Entschuldigung wird damit weiter als in anderen Strafgesetzbüchern erstreckt. Allerdings scheint mir § 26 Abs. 3 estn. Entwurf noch weiter zu gehen, da er gar keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsgüter vornimmt. Jedoch will er statt dessen den Motivationsdruck konkret entscheiden, was für die Praxis aber wohl nicht ganz einfach sein würde. Im Gegensatz zum Notstand hat der deutsche Gesetzgeber bei der Einwilligung auf eine Regelung im Allgemeinen Teil verzichtet und wie fast alle Strafgesetzbücher – zu den Ausnahmen gehört das koreanische StGB – es bei der gewohnheitsrechtlichen Herleitung dieses Rechtsinstituts belassen. Die gesetzgeberische Abstinenz ist weniger durch das Problem der systematischen Einordnung als vielmehr dadurch bedingt, daß hinsichtlich der Voraussetzungen und des Anwendungsbereichs noch so viele Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten bestehen, daß der Gesetzgeber wohl noch überfordert wäre. Hinzu kommt die Frage, ob es nicht überhaupt besser sein würde, die Einwilligung jeweils im Besonderen Teil bei den in Betracht kommenden Strafbestimmungen zu regeln. Dort existiert bekanntlich im deutschen Strafgesetzbuch bereits eine einschlägige Vorschrift für die Körperverletzungsdelikte. Sie ist allerdings ihrerseits teilweise reformbedürftig, weil der dort genannte einschränkende Gesichtspunkt der „Sittenwidrigkeit der Tat“ völlig unscharf ist und außerdem die herrschende Meinung dazu verführt, die Grenzen der Einwilligung hier losgelöst vom Rechtsgutsbezug zu bestimmen. Ein besonders sensibles Gebiet innerhalb der Rechtfertigungsgründe bildet die Notwehr. Der deutsche Reformgesetzgeber hat die klassische Notwehrdefinition unverändert in den neuen Allgemeinen Teil übernommen. Sie ist weiter als der wahre Umfang des Notwehrrechts, wobei ich nur das Stichwort Notwehrprovokation zu nennen brauche. Andererseits ist zu bezweifeln, ob hinreichend scharfe

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Kriterien für eine gesetzliche Einschränkung bereits verfügbar sind. Auch die Notwehrregelung in § 25 estn. Entwurf läßt die Notwehrprovokation unerwähnt. Vor allem aber ist zu befürchten, daß eine über die Notwehr geführte Reformdiskussion heute von einer stark emotional geprägten Debatte begleitet sein würde. Deshalb wird man bei uns zweckmäßig nicht am Gesetzestext rühren und Rechtsprechung und Lehre weiterhin die sachentsprechende restriktive Auslegung überlassen. Angesichts der Formulierung des vom „Gebotensein“ der jeweiligen Notwehr sprechenden Absatzes 1 der deutschen Notwehrregelung ist dieser Weg bei uns ohne Gesetzesverstoß begehbar. III. Insgesamt läßt sich sagen, daß die Neuregelung der Straftatvoraussetzungen durch die deutsche Reformgesetzgebung sich durch auffallende inhaltliche und systematische Genauigkeit auszeichnet und die bis Anfang der 70er Jahre ausgereift vorliegenden Ergebnisse der Wissenschaft berücksichtigt. Es handelt sich bei ihr um eine sehr sorgfältig vorbereitete und überwiegend gelungene Reform – im Unterschied zu mehreren deutschen Teilreformen des Besonderen Teils. Das schließt allerdings nicht aus, daß sich einige Lösungen in der Zwischenzeit als unzulänglich oder sogar unrichtig herausgestellt haben. Ich habe versucht, Ihnen auch diese Schwachpunkte aufzuzeigen.

Anmerkung zu BGH JR 1979, 429 betreffend fahrlässige Täterschaft bei bewußter Selbstgefährdung des Opfers 1979 In der bekannten Entscheidung BGHSt. 24, 342 hat der 5. Strafsenat ausgesprochen, daß die fahrlässige Mitverursachung des Todes eines aus freiem Entschluß aus dem Leben geschiedenen Selbstmörders nicht unter Strafe gestellt sei. Im Leitsatz ist das zwar insoweit etwas mißverständlich formuliert worden, als es in ihm ohne einschränkenden Hinweis auf das Erfordernis des freien Entschlusses allgemein heißt: „Wer fahrlässig den Tod eines Selbstmörders mitverursacht, ist nicht strafbar.“ Wie sich aus den Gründen ergibt, ist aber selbstredend nur die fahrlässige Mitverursachung des Todes eines „freiverantwortlich“ (S. 343) handelnden Selbstmörders gemeint. Der 1. Strafsenat des BGH ist in der vorliegenden Entscheidung bemüht, diejenigen Fälle aus dem Bereich strafloser Mitverursachung an der Selbstverletzung oder -gefährdung herauszuhalten, in denen der Mitverursacher eine „Garantenstellung“ innehat. Er bestätigt die Auffassung des Tatrichters, daß der angeklagte Arzt, der den beiden drogenabhängigen Patienten das morphinhaltige Medikament Jetrium für fünf intramuskuläre Selbstinjektionen verschrieben hat, so daß sich diese eine tödliche Überdosis intravenös injizieren konnten, wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen sei (und zwar wegen der unterschiedlichen Voraussehbarkeit im Falle des erstverstorbenen Patienten nach § 230 StGB, im Falle des anderen nach § 222 StGB). Daß beide Patienten sich die tödlichen Injektionen im vollen Bewußtsein des Abweichens von den Einnahmevorschriften des Angeklagten und damit zugleich im Bewußtsein des sich daraus ergebenden lebensbedrohenden Risikos selbst beigebracht haben, stehe dieser Beurteilung nicht entgegen. Die Rechtsausführungen, auf die der 1. Strafsenat seine Entscheidung stützt, machen anschaulich, auf wie unsicherem Boden sich die Rspr. in diesem Bereich bisher bewegen muß. Der Senat meint, es komme im vorliegenden Fall nicht auf die in BGHSt. 24, 342 vertretene Rechtsauffassung an. Die Lösung ergebe sich unabhängig von der Frage der freien Verantwortlichkeit des Opfers. Denn hier habe die sich aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag ergebende besondere Sorgfaltspflicht des Arztes bestanden, Schaden von seinen Patienten abzuwenden; von der Beobachtung dieser ärztlichen Sorgfaltspflicht sei der Arzt bei der Ausübung seiner Berufstätigkeit

Anmerkung zu BGH JR 1979, 429 – Selbstgefährdung des Opfers

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niemals befreit. Die „Garantenstellung“ des Arztes, der die Behandlung eines Patienten übernommen habe, unterscheide deshalb den Fall grundlegend von dem Sachverhalt in BGHSt. 24, 342. Demgemäß liege in dem Verhalten des Arztes – einem im Verschreiben der betreffenden Menge Jetrium bestehenden positiven Tun – keine bloße (straflose) Beihilfe, sondern (strafbare) Täterschaft. Diese Auffassung steht im Gegensatz zur bisherigen h. M., nach der es ausschließlich auf den Gesichtspunkt der freien Entscheidung des vorsätzlich sich selbst Verletzenden oder Gefährdenden ankommen soll. Die Grundthesen der h. M. sind bekanntlich: Wenn ein solcher freier Wille des Opfers vorliegt, ist die vorsätzliche Anstiftung oder Beihilfe zur Selbstverletzung oder -gefährdung mangels tatbestandsmäßiger Haupttat kein strafbares Delikt gegen Leben oder Leib (vgl. RGSt. 70, 313; BGHSt. 2, 150; 6, 147, 154; 13, 162, 167; 19, 135, 137 f.; 24, 342, 343). Und da nach h. M. schon die vorsätzliche Teilnahme kein tatbestandsmäßiges Unrecht ist, so erst recht auch nicht die unvorsätzliche Mitverursachung (BGHSt. 24, 342; BayObLG NJW 1973, 565; Dreher / Tröndle, StGB, 38. Aufl., Vor § 211 Rdn. 4; Schönke / Schröder / Eser, StGB, 19. Aufl., Vor § 211 Rdn. 35); d. h. es soll wegen des freien Entschlusses des Opfers die tatbestandliche Sorgfaltswidrigkeit des Mitverursachers entfallen (Dreher / Tröndle, Vor § 211 Rdn. 4; Hirsch-LK, StGB, 9. Aufl., Vor § 51 Rdn. 101). Fehlt dagegen ein freier Entschluß des Opfers, bejaht die h. M. eine Täterschaft des Mitwirkenden bei vorsätzlicher Mitwirkung gemäß § 212 oder § 223 StGB in mittelbarer Täterschaft (BGHSt. 2, 150, 151 f.; 13, 162, 166 [bzgl. § 216]; Lange-LK, StGB, 9. Aufl., Vor § 211 Rdn. 5; Roxin-LK, StGB, 10. Aufl., § 25 Rdn. 87; Schönke / Schröder / Eser, Vor § 211 Rdn. 37, § 223 Rdn. 10), in Fällen fahrlässiger Mitwirkung gemäß § 222 oder § 230 StGB (BGHSt. 24, 342, 343; Maurach / Schroeder, Strafrecht Bes. Teil I, 6. Aufl., S. 19 f.; Rudolphi-SK, StGB, 2. Aufl., Vor § 1 Rdn. 79; Schönke / Schröder / Eser, Vor § 211 Rdn. 37; Welp, JR 1972, 428). An dieser Differenzierung ändert sich nach der h. M. im Gegensatz zu der vom 1. Strafsenat jetzt vertretenen Ansicht nichts dadurch, daß der Täter eine Fürsorgestellung hinsichtlich der Vermeidung von Schäden für den Betroffenen hat. Am deutlichsten wird das in den Fällen eines vorsätzlichen positiven Tuns des Beteiligten. Denn auch bei einer solchen Fürsorgestellung würden Anstiftung und Beihilfe zu einer auf freiem Entschluß beruhenden Selbstverletzung nur (tatbestandslose) Teilnahmehandlungen sein (vgl. BGHSt. 13, 162, 167). Und was für die vorsätzliche Beteiligung zu gelten hat, muß erst recht für unvorsätzliche Beiträge zu fremder Selbstverletzung(-gefährdung) Geltung beanspruchen (so folgerichtig BGHSt. 24, 342, 344; Rudolphi-SK, Vor § 1 Rdn. 79; Schönke / Schröder / Eser, Vor § 211 Rdn. 35, 41; anders noch BGH JR 1955, 104 m.abl. Anm. Heinitz; BGH JR 1956, 347; BGH NJW 1960, 1821 f.). Konsequent läßt die h. M. auch in einschlägigen Unterlassungsfällen nicht schon die Garantenstellung für die Täterschaft eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts genügen (vgl. BGHSt. [GS] 6, 147), sondern sie unterscheidet danach, ob ein freier Entschluß des sich selbst

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Verletzenden (oder Gefährdenden) vorliegt oder nicht (vgl. BGHSt. 13, 162, 167; Dreher / Tröndle, Vor § 211 Rdn. 6; Roxin, Dreher-Festschrift, 1977, S. 348 f.; Schönke / Schröder / Eser, Vor § 211 Rdn. 41). Der vom 1. Strafsenat in Bezug genommenen Entscheidung des 3. Strafsenats vom 10. 1. 1955 (bei Dallinger MDR 1955, 270) läßt sich für den Fall, daß es um einen behandelnden Arzt geht, nichts Gegenteiliges entnehmen. Sie betrifft einen Sachverhalt, in dem das Opfer sich der Lebensgefahr nicht bewußt war. Wenn es in diesem Zusammenhang dort heißt, daß der Arzt von der Beobachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht (es ging um die Aufklärungspflicht) nicht befreit sei, wenn der Patient das Bestehen von Risiken von sich aus hätte erkennen müssen, so ist damit das jetzt zur Erörterung stehende Sonderproblem der Mitverursachung einer bewußten Selbstgefährdung des Patienten gar nicht angesprochen. Nun sind allerdings gerade in jüngster Zeit im Schrifttum Bedenken gegenüber dem grundsätzlichen Standpunkt der h. M. erhoben worden – auf die der 1. Strafsenat allerdings nicht zu sprechen kommt. So vertritt Schmidhäuser (Welzel-Festschrift, 1974, S. 801 ff.) die Auffassung, daß die Selbstmordbeteiligung generell strafbar sei, ohne daß es auf das Fehlen der freien Entscheidung des Suizidenten ankomme. Er geht davon aus, daß die Selbsttötung ebenso unter den Unrechtstatbestand der Tötungsdelikte falle wie die Fremdtötung; die Straflosigkeit der Selbsttötung beruhe lediglich auf der gesetzlichen Anerkennung eines speziellen Entschuldigungsgrundes (S. 815). Infolgedessen sei die Teilnahme – gemäß den Grundsätzen der limitierten Akzessorietät (jetzt § 29 StGB) – strafbar. Deshalb komme – da das Teilnahmeargument entfiele – auch bei fahrlässiger Unterstützung eines Selbstmords stets Strafbarkeit, wegen fahrlässiger Tötung, in Betracht (S. 821 f.). Daß diese Konstruktion aber nicht mit dem geltenden Recht zu vereinbaren ist, drängt sich auf. Sie widerspricht bereits dem Wortlaut der §§ 211 ff. StGB, die dem historischen Verständnis von Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen und fahrlässiger Tötung entsprechend so formuliert sind, daß eindeutig unter den Unrechtstatbestand dieser Delikte nur die Tötung eines anderen fällt. Darüber hinaus ist die bei der Konstruktion vorausgesetzte Annahme, es bestehe ein rechtliches Verbot der Selbsttötung, offensichtlich unzutreffend; es kann neben dem Verbot der Fremdtötung nur um ein Verbot der Teilnahme an der (für den Suizidenten unverbotenen) Selbsttötung gehen. Auch ergäbe sich für die strafrechtliche Bewertung eine in die Augen springende Friktion: Fremdtötung und Teilnahme an der (freien) Selbsttötung würden hinsichtlich der tatbestandlichen Zuordnung und der Strafdrohung über einen Leisten geschlagen. Daß das sachlich verfehlt wäre, bestätigen nicht zuletzt diejenigen ausländischen Rechtsordnungen, die eine Strafbarkeit der Teilnahme am Selbstmord ganz oder in Ausschnitten vorsehen; denn sie treffen die Regelung in einem gesonderten Tatbestand. Aus diesen Gründen ist die Ansicht Schmidhäusers sowohl für das geltende als auch für das künftige Recht abzulehnen (näher dazu Roxin, Dreher-Festschrift, S. 331, 337 ff., der sich dort auch mit der Auffassung von Bringewat, ZStW 87, 623 überzeugend auseinandersetzt). Worum es vielmehr geht, ist die de lege ferenda in

Anmerkung zu BGH JR 1979, 429 – Selbstgefährdung des Opfers

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einem Sondertatbestand auszusprechende teilweise Pönalisierung der Teilnahme an der Selbsttötung. Wenig überzeugend ist ebenfalls der kürzlich von Schilling (JZ 1979, 159) unter dem anspruchsvollen Titel „Abschied vom Teilnahmeargument bei der Mitwirkung zur Selbsttötung“ unterbreitete Lösungsvorschlag. Danach soll die Mitwirkung an einer Selbsttötung außer tatbestandsloser Teilnahme an der Selbsttötung zugleich auch täterschaftliche Begehung einer Fremdtötung sein. Er schreibt: „Ungeachtet einer strafrechtlich unerheblichen Einordnung als Teilnahme an tatbestandsloser Haupttat ist die Mitwirkung zur Selbsttötung in strafrechtlicher Hinsicht eine in mittelbarer Täterschaft begangene Verursachung fremden Todes“ (S. 166). Das tatbestandslose, unvorsätzliche Handeln des Opfers sei die Grundlage für die Tatherrrschaft des Mitwirkenden. Dementsprechend entfalle das bisherige Teilnahmeargument, und die Entscheidung über die Strafbarkeit des Mitwirkenden werde in den Bereich der Einwilligung verlagert; eine solche Lozierung habe beachtliche Vorzüge. Schilling verkennt, daß von einer in mittelbarer Täterschaft – durch das Opfer als Werkzeug – begangenen Fremdtötung erst dort gesprochen werden kann, wo ein freier Selbsttötungsentschluß des Suizidenten fehlt. Solange er vorliegt, stellt sich das Verhalten des Mitwirkenden ausschließlich als (tatbestandslose) Teilnahme an einer Selbsttötung dar. Schilling ebnet diese sachliche Verschiedenheit ein, indem er der Tatherrschaft den Realitätsbezug nimmt. Entgegen seiner die tatsächlichen Phänomene vernachlässigenden Konstruktion hat der Mitwirkende keine Tatherrschaft der Fremdtötung und der Suizident keine Werkzeugeigenschaft, wenn eine auf freiem Entschluß beruhende Tötungshandlung des Suizidenten gegeben ist und dieser somit allein die Tatherrschaft bezüglich des konkreten Todeserfolgs in Händen hat. Welzel hat bereits vor fünfundzwanzig Jahren hervorgehoben, daß es nicht angängig ist, den Umstand, daß ein auf freiem Entschluß eines Selbstmörders beruhendes Handeln vorliegt, als einen für die strafrechtliche Beurteilung des Beteiligten irrelevanten Vorgang zu betrachten (Strafrecht, 4. Aufl., S. 206; zuletzt 11. Aufl., S. 281). Auch weist der 1. Strafsenat des BGH in der vorliegenden Entscheidung mit Recht darauf hin, daß es nicht um eine Frage der Einwilligung geht. Die gegenteilige Ansicht Schillings würde de lege lata darauf hinauslaufen, daß die vorsätzliche Mitwirkung, weil Fremdtötung, stets nach § 216 StGB zu bestrafen wäre. Und fehlte es an einem ausdrücklichen ernstlichen Verlangen, so müßte mangels einer solchen qualifizierten Einwilligung sogar wegen Totschlags bestraft werden! Das wären abwegige Konsequenzen. Aber auch de lege ferenda läßt sich der Gedankengang Schillings nicht aufgreifen. Zwar ist einsichtig, daß aufgrund der Erkenntnisse der neueren Selbstmordforschung (vgl. die Nachweise bei Geilen, JZ 1974, 145) der Bereich strafloser Mitwirkung am Selbstmord eingeschränkt werden muß. Jedoch läßt sich auch

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de lege ferenda nur solches Verhalten als tatbestandsmäßige Fremdtötung einstufen, das wirklich eine ist. Was vielmehr notwendig wäre, ist die Schaffung selbständiger Tatbestände für strafbedürftige Fälle der Teilnahme am Selbstmord und der Beteiligung an tödlicher, frei beschlossener Selbstgefährdung. Darüber hinaus ist Schillings Konstruktion einer Fremdtötung deshalb de lege ferenda ungeeignet, weil seine Forderung, die Entscheidung über die Strafbarkeit dann in den Bereich der Einwilligung zu verlagern, die allgemeine Freigabe der mit Einwilligung des Opfers begangenen Fremdtötung zur Voraussetzung haben würde. Schilling erklärt auch ausdrücklich eine rechtliche „Harmonisierung“ der bisher von § 216 StGB erfaßten Fälle mit denjenigen der Mitwirkung am Selbstmord für unverzichtbar (a. a. O., S. 167). Gerade an dieser Stelle zeigt sich, daß die von ihm zur Schließung von Strafbarkeitslücken empfohlene Konstruktion als Kehrseite das Aufreißen neuer Strafbarkeitslücken bringen würde – Lücken, die sehr viel schwerwiegender sein würden, als es diejenigen sind, die im Bereich der Beteiligung am Selbstmord gegenwärtig bestehen (vgl. zu den Konsequenzen einer Freigabe der Fälle des § 216 StGB: Engisch, H. Mayer-Festschrift, 1966, S. 398, 411 f.; ders., Dreher-Festschrift, 1977, 5.309; Hirsch, Welzel-Festschrift, 1974, S. 775; Geilen, Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975; Eser, Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher Sicht, bei Eid, Euthanasie oder Soll man auf Verlangen töten? 1975, S. 45; H.-L. Schreiber, Euthanasie, in: Beiträge zur gerichtlichen Medizin, Bd. 33, 1975, S. 37; und viele andere). Nahe gelegen hätte es vielleicht, daß der 1. Strafsenat auf die eingehenden Überlegungen von Geilen (JZ 1974, 145) zu sprechen gekommen wäre. Dieser zeigt im einzelnen auf, daß der strafrechtlichen h. M. ein Bild des Selbstmords zugrunde liegt, das der Wirklichkeit sehr oft nicht entspricht, und dass sie von der Respektierung von Freiheitsräumen redet, wo es in Wahrheit vielfach um Hilfsbedürftigkeit geht. Er ist deshalb der Meinung, daß überall, wo positivrechtlich Abhilfe geschaffen werden kann, das um den Selbstmord errichtete Strafbarkeitstabu abgebaut werden sollte. Von ihm wird dabei nicht verkannt, daß „de lege lata einem solchen Vorhaben Grenzen gesetzt (sind)“, und er betont deshalb, daß an der geltenden Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme nicht vorbeizukommen ist (a. a. O., S. 153). Jedoch sollten, meint Geilen (ebendort), die schon de lege lata vorhandenen Möglichkeiten eines wenigstens teilweisen Strafschutzes nicht vorzeitig verschüttet werden. Insbesondere sei – und das liegt auf der Linie der vom 1. Strafsenat gegebenen Begründung – der von der anfänglichen Rechtsprechung (vgl. die obengenannten Nachweise) verfolgte Kurs einer Nutzbarmachung der „Garantenhaftung“ für dieses Problem richtig gewesen. Das habe auch „bei der entsprechenden Frage der bei der Fahrlässigkeit zu prüfenden Sorgfaltspflicht“ zu gelten; der Lebensmüde dürfe hier nicht aus dem sog. „Schutzzweck der Norm“ herausgenommen werden. Aber so einleuchtend es auch ist, wenn Geilen durch Gegenüberstellung mit der Wirklichkeit das teils sittliche, teils liberalistische Pathos zurückweist, das die

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h. M. beim Vertreten ihrer Position häufig anschlägt, so gewiß ist andererseits, daß Strafbarkeitslücken nicht contra legem ausgefüllt werden können. Wenn positives Tun zwar nicht pönalisiert ist, so ist es das entgegen Geilen und ebenso dem 1. Strafsenat des BGH auch dann nicht, wenn die formalen Voraussetzungen einer „Garantenstellung“ vorliegen. Die strafrechtliche Relevanz einer Garantenstellung hat zur Voraussetzung, daß das positive Tun für jedermann pönalisiert ist. Eine Ausnahme besteht nach dem Gesetz nur dann, wenn in einer Strafbestimmung ausdrücklich angeordnet wird, daß ein positives Tun zwar nicht für jedermann, aber für bestimmte Pflichtenträger pönalisiert sein soll (z. B. in § 203 StGB). Das gilt nicht allein für das vorsätzliche, sondern auch für das fahrlässige Delikt: Ein positives Tun, das trotz „Garantenstellung“ bei vorsätzlicher Begehung nicht mit Strafe bedroht wird, ist erst recht nicht bei fahrlässiger Begehung strafbar. Jede gegenteilige Auffassung ist inkonsequent und steht im Widerspruch zum geltenden Recht (vgl. auch die Kritik an den Thesen Geilens bei Roxin, Dreher-Festschrift, S. 331, 347 ff., 351 ff.). De lege lata ist deshalb notwendigerweise von der h. M. auszugehen, wie sie oben dargestellt worden ist. Die bestehenden Strafbarkeitslücken lassen sich allein durch den Gesetzgeber schließen. Die Frage, um die es mithin in der vorliegenden Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH ging, war nicht die der „Garantenstellung“ des behandelnden Arztes, sondern die der freien Entschlußfähigkeit der Opfer. Der Sachverhalt wäre nicht anders zu beurteilen gewesen, wenn kein Arzt-Patienten-Verhältnis vorgelegen, sondern ein Arzt, zu dem kein Behandlungsverhältnis bestand, oder ein Laie den Opfern das tödliche Jetrium zugänglich gemacht hätte. Zu prüfen war, ob es sich um einen Fall handelt, in dem ein freier Entschluß des sich selbst verletzenden Opfers fehlt und daher eine durch den Mitverursacher begangene mittelbare Fremdverletzung gegeben ist. Nur unter dieser Voraussetzung kam eine Strafbarkeit nach § 222 resp. § 230 StGB in Betracht. Hierzu bedurfte der Erörterung, welcher Maßstab bei der Abgrenzung von strafloser Beteiligung an freier Selbstverletzung (-gefährdung) einerseits und strafbarer, mittels des Opfers als eines unfrei handelnden Werkzeugs begangener Fremdverletzung andererseits anzulegen ist. Das Schrifttum ist bemüht, das Kriterium der freien Entscheidung des sich selbst Verletzenden (resp. Gefährdenden) zu präzisieren. So heißt es bei Schönke / Schröder / Eser (Vor § 211 Rdn. 36), freie Verantwortlichkeit liege in Suizidfällen vor, wenn keinerlei Anzeichen für psychische Störungen oder Zwangsvorstellungen erkennbar sind, aufgrund derer die natürliche Einsichts- oder Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Tragweite und Unwiderruflichkeit dieses Schrittes ausgeschlossen oder wesentlich beeinträchtigt sein könnte. Als Anhaltspunkte dafür kämen die in § 20 genannten Symptome in Betracht. Der Suizidwunsch müsse einem ernstlichen Tötungsverlangen im Sinne des § 216 StGB gleichkommen. Hier ist indes zu beachten, daß der Ausgangspunkt nicht aus den Augen verloren werden darf. Dieser besteht darin, daß das Gesetz zur Differenzierung zwischen

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strafloser Teilnahme (und entsprechender unvorsätzlicher Beteiligung) an der Selbstverletzung einerseits und strafbarer mittelbarer Fremdverletzung andererseits zwingt, weshalb für die Täterschaft die allgemeingültigen Voraussetzungen mittelbarer Begehung gegeben sein müssen. De lege lata genügt deshalb weder schon das Fehlen der qualifizierten Einwilligung im Sinne des § 216 StGB noch eine bloße Minderung der „Schuldfähigkeit“ im Sinne von § 21 StGB (insbesondere zu weitgehend in dieser Richtung Geilen, JZ 1974, 145 und Horn-SK, StGB, § 212 Rdn. 16). Vielmehr muß es sich beim Opfer wirklich um ein unfrei handelndes Werkzeug, über das der andere die Tatherrschaft ausübt, gemäß den allgemeinen Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft handeln. Da die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme, wie sie beim vorsätzlichen Delikt besteht, hier trotz des bei der Fahrlässigkeit geltenden Einheitstäterbegriffs auf die Tatbestandsgrenzen des fahrlässigen Delikts durchschlägt – weil nicht bei fahrlässiger Begehung strafbar sein kann, was bei vorsätzlicher straflos ist –, kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen einer mittelbaren Fremdverletzung gegeben sind. Nach anerkannten Regeln der Teilnahmelehre erfordert Tatherrschaft durch Benutzung eines unfrei handelnden Werkzeugs und damit diese Figur der mittelbaren Täterschaft die Schuldunfähigkeit des Werkzeugs oder dessen Versetzen in eine Notstandslage im Sinne von § 35 StGB (vgl. RGSt. 61, 265, 267; Dreher / Tröndle, § 25 Rdn. 3; Gallas, JZ 1960, 686, 692; Jescheck, Strafrecht Allg. Teil, 3. Aufl., S. 544 f.; Lackner, StGB, 12. Aufl., § 25 Fn. 1 b; Lange-LK, StGB, 9. Aufl., Vor § 211 Rdn. 5; Maurach / Gössel / Zipf, Strafrecht Allg. Teil II, 5. Aufl.; S. 208 f.; Roxin-LK, StGB, 10. Aufl.; § 25 Rdn. 84 ff. [allerdings Rdn. 86 weitergehend noch eine hier nicht einschlägige Fallkonstellation auch aus dem Schuldminderungsbereich einbeziehend]; Samson-SK, StGB, 2. Aufl., § 25 Rdn. 33; Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 102 f.). Im konkreten Fall kam es demgemäß darauf an, ob bei den Opfern infolge ihrer Drogenabhängigkeit eine krankhafte seelische Störung (in Form einer Intoxikationspsychose) vorlag, die ihre „Schuldfähigkeit“ bei Vornahme der Selbstinjektion ausschloß. Da Schuldfähigkeit genau genommen auf ein für den Handelnden unrechtmäßiges Verhalten bezogen ist, dies aber beim sich selbst Gefährdenden oder Verletzenden nicht vorliegt, war entscheidend, ob die Opfer die Tragweite des möglichen Todeserfolgs einsehen oder sich nach dieser Einsicht motivieren konnten. Nach den Sachverhaltsangaben ist deutlich, dass die 21 und 22 Jahre alten Opfer, als sie sich im Bewußtsein der Lebensgefährdung das Jetrium intravenös und in einer Überdosis injizierten, in der Fähigkeit, sich der Einsicht in die Tragweite ihres Tuns gemäß zu motivieren, beeinträchtigt waren. Es kommt nicht auf die allgemeine Verantwortlichkeit an, sondern auf die speziell die Selbstgefährdungshandlung betreffende. Fraglich kann nur sein, ob der Grad der krankheitsbedingten Beeinträchtigung so weit ging, daß er dem der Schuldunfähigkeit entsprach. Für den Senat war diese Frage infolge seiner im vorhergehenden abgelehnten Auffasung,

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daß eine „Garantenstellung“ des Arztes dessen Täterschaft unabhängig vom Fehlen eines freien Entschlusses der Opfer möglich mache, nicht prüfungsbedürftig. Sieht man sich jedoch die Angaben zum Sachverhalt an, so spricht viel dafür, daß die beiden Opfer die tödlichen Injektionen in einer krankheitsbedingten Verfassung, die einer Schuldunfähigkeit gleichkommt, vorgenommen haben. Es ist von Patienten, die wegen einer Rauschgiftabhängigkeit „besonders unberechenbar“ sind, die Rede. Auch heißt es, daß „Drogenabhängige im Zustand des Entzugs jede Kontrolle über sich verlieren und unberechenbar werden, daß sie insbesondere ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ausdrücklicher Anordnung intravenös injizieren und dabei eine Überdosis anwenden würden“. Außerdem ist davon die Rede, daß der angeklagte Arzt „geradezu einen Anreiz zur Selbstgefährdung geschaffen (hat), der sein Verhalten nicht mehr als – straflose – Teilnahme an fremder Selbstgefährdung erscheinen läßt, sondern ... als täterschaftliche Schaffung einer gefahrenträchtigen Lage gewertet werden konnte“. Das alles deutet darauf hin, dass die Opfer infolge ihres entzugsbedingten Zustands einem inneren Zwang zur bewußt lebensgefährdenden Injektion ausgesetzt waren, der ihnen die Fähigkeit nahm, sich der Einsicht in die Tragweite ihres Tuns entsprechend zu verhalten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß es hier nicht um die Schuldfähigkeit bezüglich einer Beschaffungstat geht, sondern daß sich das Suchtmittel bereits in der Hand der Süchtigen befand und sich deshalb jener innere Zwang unmittelbar entfalten konnte. Es verhält sich ähnlich wie mit einem Verdurstenden, den das Wissen um die lebensgefährliche Unsauberkeit des von ihm entdeckten Wassers nicht vom Trinken zurückhalten kann. Für einen Automatismus des Ablaufs spricht außerdem, daß sich abhängig voneinander und in kurzem Abstand zwei derartige Fälle in der Praxis des Angeklagten ereignet haben (im übrigen siehe zur Schuldunfähigkeit von jüngeren Drogenabhängigen mit Drogenkarriere OLG Köln NJW 1976, 1801 m. Nachw.). Gleichwohl wäre in diesem Punkte noch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts notwendig gewesen. Doch weist aufgrund der genannten Anhaltspunkte immerhin viel in die Richtung, daß das Urteil in seinem Ergebnis, fahrlässige Täterschaft anzunehmen, vom Tatsächlichen her zutreffend ist, auch wenn der vom 1. Strafsenat gegebenen rechtlichen Begründung de lege lata nicht zugestimmt werden kann. Eine Bejahung der Strafbarkeit bedeutet nicht, daß derartige Entziehungsbehandlungen künftig nicht mehr möglich sein würden. Es geht vielmehr darum, daß der Arzt dem Süchtigen jeweils nur solche medizinisch indizierten Arten und Mengen von Drogen zugänglich machen darf, die den Patienten nicht in die akute Gefahr bringen, sich durch Falschinjektion und Überdosis bewußt, aber unfrei handelnd einer Lebens- oder Gesundheitsgefährdung auszusetzen. Läßt sich das nicht durchführen, so müssen die betreffenden Injektionen vom Arzt in ambulanter Behandlung selbst vorgenommen werden. Auch weist der 1. Strafsenat mit Recht darauf hin, daß es kein Einwand gegen die im entschiedenen Sachverhalt bejahte Strafbarkeit sein würde, daß sich auch sonst „in vielen Fällen die Möglichkeit einer Selbstgefährdung eines Patienten durch ein vom Arzt ... verschriebenes

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Medikament nicht völlig ausschließen“ läßt. Denn im vorliegenden Fall handelt es sich um erheblich mehr als jene gewöhnliche Möglichkeit. Es geht um die Sachlage, daß ein Patient nach seinem Krankheitsbild durch Art und Menge eines ihm zugänglich gemachten Medikaments in die aktuelle Gefahr der krankheitsbedingt unfreien Selbstgefährdung kommt. Ist ein freier Entschluß der beiden Opfer zu verneinen – was nach den Sachverhaltsangaben des Urteils naheliegt, aber noch weiterer Aufklärung bedürftig gewesen wäre –, so ist der Fall nach alledem systematisch dahin zu analysieren, daß es um täterschaftliche Fremdverletzungen, begangen mittels der Opfer als bewußt, aber unfrei handelnde Werkzeuge geht. Für die Frage der Fahrlässigkeit kommt es demgemäß darauf an, ob der Arzt die Möglichkeit voraussehen konnte, daß die beiden Patienten unfrei handelnd selbst ihren Tod resp. eine Schädigung ihrer Gesundheit verursachten. Auch wenn man die Voraussehbarkeitsfrage in dieser Weise präzisiert, wäre es nach dem Sachverhalt unbedenklich, sie wie im Urteil zu bejahen. Daß dabei trotz des Todes beider Patienten erst im zweiten Fall § 222 StGB, im ersten dagegen nur § 230 StGB in Betracht zu ziehen ist, erklärt sich damit, daß für den angeklagten Arzt nach den tatsächlichen Feststellungen im ersten Fall lediglich die Möglichkeit des Eintritts einer Körperverletzung voraussehbar gewesen ist. Rechtlich ist die Anwendung des § 230 StGB insoweit von Interesse, als damit die für das Verhältnis von Tötung und Körperverletzung anerkannte Einheitstheorie (vgl. BGHSt. 16, 122; 21, 265; 22, 248) treffend auch beim fahrlässigen Delikt praktiziert wird. Würde jedoch ein freier Entschluß der Patienten gegeben sein, bliebe noch an eine Strafbarkeit nach § 11 Abs. 1 Nr. 9 b, Abs. 4 Nr. 2 BtMG i. Verb. m. § 16 Abs. 1 Nr. 2a BtMVV zu denken (vgl. zur Anwendung des BtMG auf Entziehungskuren mit Suchtmitteln auch die kürzlich ergangene Entscheidung BGH NJW 1979, 1943, die sogar Nr. 9a des § 11 Abs. 1 heranziehen will). Es bleibt zu wünschen, daß der BGH bald Gelegenheit findet, sich von der im vorliegenden Urteil vertretenen Konstruktion einer vom Mangel der freien Verantwortlichkeit des sich selbst verletzenden oder gefährdenden Patienten unabhängigen ärztlichen Garantenhaftung wieder zu lösen, weil sie mit dem geltenden Recht unvereinbar ist. Statt dessen sollte der Frage, welche rechtlichen Anforderungen an den freien Entschluß im Rahmen der Beteiligungsproblematik zu stellen sind, größere Aufmerksamkeit als bisher geschenkt werden.

Anmerkung zu BGH JR 1980, 113 („Spanner-Fall“) betreffend rechtfertigenden Notstand 1980 1. Mit Recht hat der 1. Strafsenat des BGH die erstinstanzliche Verurteilung aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Denn zwar scheidet ein noch fortbestehender gegenwärtiger Angriff und deshalb Notwehr aus, weil der „Spanner“ bereits flüchtete, als der Angeklagte auf ihn schoß. Aber entgegen der Auffassung der Strafkammer ergibt sich Straflosigkeit unter einem anderen Gesichtspunkt. Der BGH begründet die Straflosigkeit mit entschuldigendem Notstand (§ 35 StGB). Es ist anerkannt, daß beim Notstand – gleichgültig, ob rechtfertigendem oder entschuldigendem – für das Erfordernis der gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr auch eine Dauergefahr genügt, die Dauergefahr also nicht in einen gegenwärtigen und einen zukünftigen Teil zu zerlegen, sondern einheitlich zu sehen ist (BGHSt. 5, 371, 373; BGH NJW 1951, 769; Dreher / Tröndle, StGB, 39. Aufl., § 34 Rdn. 4, § 35 Rdn. 2; Hirsch-LK, StGB, 9. Aufl., Vor § 51 a. F. Rdn. 57; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB, 19. Aufl., § 34 Rdn. 17, § 35 Rdn. 15). Jedoch setzt § 35 StGB eine rechtswidrige Tat des Notstandstäters voraus. Deren Vorliegen ist nach dem Sachverhalt sehr fraglich. Außerdem ist der Anwendungsbereich der Vorschrift anders als bei § 34 StGB auf Gefahren für Leben, Leib oder Freiheit beschränkt. Der Senat will eine Gefahr für die Freiheit i. S. des § 35 StGB darin sehen, daß „der als ‚Spanner‘ bezeichnete Eindringling ... durch siebenmaliges nächtliches Erscheinen in der Wohnung und im Garten des Angeklagten, insbesondere durch seine auffallende Hartnäckigkeit und Unverfrorenheit, eine fortdauernde Gefährdung der Freiheit der Eheleute geschaffen (hatte), die bereits in drastischen Maßnahmen (nächtliche Alarmbereitschaft, Verzicht auf abendlichen Ausgang, Einschränkung ärztlicher Hausbesuche) ihren Ausdruck fand“. Der Senat meint deshalb, die Gefährdung habe zum vollständigen Verlust der „häuslichen Bewegungsfreiheit“ führen können, wenn es nicht gelang, des Eindringlings habhaft zu werden. In der Tat müßte eine Gefahr für die Fortbewegungsfreiheit, d. h. den durch § 239 StGB geschützten Freiheitsbereich, gegeben sein; nur darum ging es, als durch das 2. StrRG nehen Leben und Leib auch die Freiheit in den Katalog des entschuldigenden Notstands aufgenommen worden ist (vgl. Prot. SondA V/1851; Jescheck, Strafrecht Allg. Teil, 3. Aufl., S. 389; Rudolphi-SK, StGB, 2. Aufl., § 35 Rdn. 5; Schönke / Schröder / Lenckner, § 35 Rdn. 11). Daß diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt sein könnte, ist jedoch nicht

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ersichtlich. Eine Freiheitsberaubung i. S. des § 239 StGB verlangt etwas anderes als das, was von dem „Spanner“ nach dem festgestellten Sachverhalt an Beeinträchtigungen drohte. Die Gefahr einer Einsperrung, d. h. die Verhinderung des Verlassens eines Raumes durch äußere Vorrichtungen, scheidet von vornherein aus. Aber auch ein drohendes Berauben der persönlichen Bewegungsfreiheit auf andere Weise entfällt. Denn dazu wäre erforderlich, daß es dem Betroffenen, wenn auch nur vorübergehend, auf andere Weise als durch Einsperren unmöglich gemacht werden könnte, nach freiem Willen seinen Aufenthaltsort zu verändern. Wie die tatrichterlichen Feststellungen ergeben, befürchteten die Eheleute, daß der Eindringling es auf die Ehefrau oder die Kinder abgesehen hatte; deshalb gingen sie aus Angst abends fast nie mehr gemeinsam aus, und die als Ärztin tätige Ehefrau schränkte nächtliche Hausbesuche ein. In der vorliegenden Entscheidung des BGH heißt es dazu, daß die darin zum Ausdruck kommende „fortdauernde Gefährdung der Freiheit“ zum vollständigen Verlust der „häuslichen Bewegungsfreiheit“ führen konnte. Sieht man einmal von der Frage ab, ob das überhaupt eine Tatsachenfeststellung oder nur eine richterliche Hypothese ist, und geht davon aus, daß sich die Situation der Eheleute tatsächlich dahin entwickeln würde, daß sie abends beide gar nicht mehr die Wohnung verließen, so ergäbe auch das keine drohende Freiheitsberaubung. Denn der Angstzustand, daß der schon mehrfach aufgetauchte „Spanner“ erneut in der Wohnung oder im Garten erscheinen könnte, bewirkt noch keine Freiheitsberaubung. Diese läge vielmehr nur dann vor, wenn der Täter das Verlassen der Wohnung wirklich unmöglich machen würde, er die Wohnung also objektiv blockierte (etwa durch gewaltsame Hinderung des Herausgehens). Das aus Angst gespeiste Motiv, wegen eines etwa auftauchenden Straftäters besser zu Hause zu bleiben, reicht dagegen nicht aus. Es ist deshalb auch noch niemals behauptet worden, daß derjenige, der abends in der Wohnung bleibt, weil bei ihm immer wieder einzubrechen versucht wird oder weil man in dem betreffenden Stadtviertel leicht ein Opfer nächtlicher Straßenkriminalität wird, seiner Fortbewegungsfreiheit i. S. des § 239 StGB beraubt sei. Was das Revisionsgericht hier als Gefahr des Verlustes der „häuslichen Bewegungsfreiheit“ bezeichnet, ist wohl eher die Gefahr der Beeinträchtigung der sonstigen Willensbetätigungsfreiheit und allgemeinen Handlungsfreiheit. Dies aber genügt für § 35 StGB nicht. Jede erweiternde Interpretation des auf das Rechtsgut des § 239 StGB beschränkten Merkmals „Freiheit“ des § 35 StGB – die übrigens von Baumann (Strafrecht Allg. Teil, 8. Aufl., S. 474 Fn. 15) und Stratenwerth (Strafrecht Allg. Teil I, 2. Aufl., Rdn. 601) befürwortet wird – vernachlässigt den durch Lebens- und Leibesgefahr geprägten Extremfall-Charakter des entschuldigenden Notstands und den darauf beruhenden numerus clausus der einbezogenen Rechtsgüter. Schon aus diesem Grunde bedarf die vom BGH dahingestellt gelassene Frage, ob im vorliegenden Fall nicht ein Rechtfertigungsgrund eingreift, der Aufmerksamkeit. Hinzu kommt, daß dieser Punkt ausstrahlt auf die Bewertung aller an

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einem solchen Tatgeschehen beteiligten Personen und deshalb für die allgemeine Klassifizierung von „Spanner“-Fällen erhebliche Bedeutung hat: Hätte nämlich der Ehemann rechtswidrig und nur entschuldigt gehandelt, würde dem „Spanner“ gegen die Schüsse ein Notwehrrecht zugestanden haben. Und wäre ersterer durch den Zuruf eines Nichtangehörigen, etwa eines hinzueilenden Hausangestellten, zum Schießen veranlaßt worden, müßte diese dritte Person bestraft werden, wenn es erst auf § 35 StGB ankäme. Bei der Rechtfertigungsfrage scheidet allerdings von vornherein der im Urteil unter den Vorschriften, deren Vorliegen dahingestellt geblieben ist, erwähnte § 127 Abs. 1 StPO aus. Das in ihm geregelte Festnahmerecht deckt nur die in der Festnahme liegende Nötigung und Freiheitsberaubung sowie eine durch Zupacken verursachte geringe Körperverletzung, gibt aber keine Befugnis zum Zufügen von Schußverletzungen (vgl. RGSt. 65, 394; 69, 312; 71, 52; 72, 306; Kleinknecht, StPO, 34. Aufl., § 127 Rdn. 16; Peters, Strafprozeß, 2. Aufl., S. 372). Schon eher wäre die Frage aufzuwerfen, ob Rechtfertigung auf eine „notwehrähnliche Lage“ („Präventivnotwehr“) gestützt werden könnte. Es wird nämlich die Ansicht vertreten, daß die Notwehrvorschrift analog anwendbar sei, wenn ein Angriff erst später droht, ein Abwarten aber die Verteidigungschancen erheblich verschlechtern würde (so Larenz, Verhandlungen des 42. DJT, 1957, Bd. II, D 28; Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 87; Samson-SK, StGB, 2. Aufl., § 32 Rdn. 10; Suppert, Studien zur Notwehr und notwehrähnlichen Lage, 1973, S. 381 ff.; beiläufig auch BGHZ 27, 284, 290). Im Auge hat man vor allem den Fall, daß jemand heimlich Tonbandaufnahmen macht, um eine drohende spätere Erpressung zu verhindern. Es läge für die Anhänger eines solchen Rechtfertigungsgrundes wohl nahe, ihn auch auf einen Sachverhalt wie den vorliegenden anzuwenden. Indes ist mit der h. L. ein neuer Rechtfertigungsgrund „notwehrähnliche Lage“ schon grundsätzlich abzulehnen (vgl. insbesondere Jescheck, Allg. Teil, S. 274 ff.; Schönke / Schröder / Lenckner, § 32 Rdn. 17; und die allg. Ausführungen bei Baldus-LK, StGB, 9. Aufl., § 53 a. F. Rdn. 5; Dreher / Tröndle, § 32 Rdn. 8 ff.; Maurach / Zipf, Strafrecht. Allg. Teil I, 5. Aufl., S. 380 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 9/94). Vom 1. Strafsenat wird er hier offenbar daher auch gar nicht erst erwähnt. Eine Analogie zur Notwehrvorschrift, wie sie die Anhänger der „notwehrähnlichen Lage“ bejahen wollen, versagt schon deshalb, weil die Gegenwärtigkeit des Angriffs eine ganz entscheidende Voraussetzung des § 32 StGB ist, die der Notwehr ihr spezifisches sozialrechtliches Gepräge als „Kampf um das Recht“ gibt (Schönke / Schröder / Lenckner, § 32 Rdn. 17). Außerdem läßt sich eine so gravierende Eingriffsbefugnis, wie sie das Notwehrrecht darstellt, ohnehin nicht noch ausdehnen. In Wahrheit handelt es sich bei der „notwehrähnlichen Lage“ um ein Notstandsproblem, so daß es auf die in § 34 StGB aufgestellten Voraussetzungen ankommt (Jescheck, Allg. Teil, S. 275; Schönke / Schröder / Lenckner, a. a. O.). Die Vorschrift, um deren Vorliegen es im konkreten Fall geht, ist also § 34 StGB. In den Urteilsgründen heißt es bereits, daß dafür „nach Lage der Dinge einiges

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spricht“. Prüft man die Voraussetzungen, so ergibt sich: Eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für ein Rechtsgut liegt vor. Notstandsfähig nach § 34 StGB ist jedes Rechtsgut; es genügt jedes rechtlich geschützte Interesse, unabhängig davon, von welchem Teil der Rechtsordnung es diesen Schutz erfährt (vgl. für die allg. Ansicht Dreher / Tröndle, § 34 Rdn. 2 m.w. Nachw.). Im vorliegenden Fall kommt zwar aus den obengenannten Gründen – entgegen der die Akzente des Sachverhalts verschiebenden Auffassung des Revisionsgerichts – keine Gefahr für das durch § 239 StGB geschützte Rechtsgut, dafür aber eine für mehrere andere Rechtsgüter in Betracht. Diese sind die Freiheit der Willensbetätigung (bedroht durch Beeinträchtigung der Möglichkeit der Eheleute, abends zusammen wegzugehen, und der Ehefrau, abends Patientenbesuche zu machen), das Hausrecht (gefährdet durch zu befürchtendes Eindringen in Wohnung oder Garten), die Gesundheit (ständige Angst mit der Folge von Schlafstörungen), insbesondere aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Letzteres ist speziell bezüglich des persönlichen Lebens und Geheimbereichs, der „Privatsphäre“ (Palandt / Thomas, BGB, 39. Aufl., § 823 Anm. 15 B), gefährdet. Daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht vom Schutz der Notrechte mit umfaßt wird, ist anerkannt (vgl. Baldus-LK, 9. Aufl., § 53 a. F. Rdn. 11; Maurach / Zipf, S. 376 f.; Schönke / Schröder / Lenckner, § 32 Rdn. 5). Die Gefahr war als Dauergefahr aus den vom BGH angeführten Gründen auch gegenwärtig. Insoweit gilt für § 34 StGB nichts anderes als bei § 35 StGB (vgl. die oben angeführten Nachweise). Wie der Senat zutreffend ausführt, war sie auch nicht anders abwendbar, weil alle anderen Maßnahmen, insbesondere die Inanspruchnahme der Polizei und sogar die Abgabe eines Schreckschusses, keinen Erfolg gehabt hatten. Das eigentliche Problem des Falles besteht darin, ob bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt, wie dies § 34 StGB verlangt. Als Rechtsgüter standen sich hier die durch die beiden Schüsse verletzte körperliche Unversehrtheit des „Spanners“ einerseits und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Hausrecht, die Freiheit der Willensbetätigung sowie – bezüglich angstbedingter Schlafstörungen – die Gesundheit des Angeklagten und seiner Ehefrau andererseits gegenüber. Wollte man allein auf das Ausmaß der dem „Spanner“ zugefügten und der den Eheleuten drohenden Beeinträchtigungen abstellen, würde deshalb von einem wesentlichen Überwiegen der Interessen, die durch den mit Gefahrabwendungswillen handelnden Angeklagten geschützt worden sind, nicht gesprochen werden können. Darüber hinaus könnten sich schon vom Grundsätzlichen her Bedenken ergeben, weil es beim beeinträchtigten Interesse um die körperliche Unversehrtheit geht. Im Regelfall vermag § 34 StGB nämlich wegen des Autonomieprinzips überhaupt nur geringfügige körperliche Eingriffe zu rechtfertigen (vgl. im einzelnen Gallas, ZStW 80 [1968], 23 f., 26 f.; Hirsch-LK, 9. Aufl., Vor § 51 a. F. Rdn. 75 m.w.

Anmerkung zu BGH JR 1980, 113 – Rechtfertigender Notstand

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Nachw.). Dabei handelt es sich um den beim Notstand im Vordergrund stehenden Sachverhalt, daß der Notstandstäter zwecks Rettung in Rechtsgüter Unbeteiligter eingreift, d. h. den aggressiven Notstand. Der Anspruch auf Selbstbestimmung und Respektierung der Person schließt es grundsätzlich aus, unbeteiligte Dritte zur Duldung mehr als geringfügiger körperlicher Beeinträchtigungen zu zwingen. Im vorliegenden Fall rührte jedoch die Gefahr von demjenigen her, in dessen Rechtsgut eingegriffen wird. Es geht hier also im Unterschied zum vorhergehenden um defensiven rechtfertigenden Notstand. Bei ihm ist in die Abwägung der widerstreitenden Interessen einzubeziehen, daß es sich um die Verteidigung gegen das Rechtsgut handelt, von dem die gegenwärtige Gefahr droht. Das Autonomieprinzip erlangt hier daher keine Bedeutung. Auch sind nicht lediglich abgewendeter und durch die Abwendungshandlung hervorgerufener Schaden zu vergleichen. § 228 BGB bringt das positivrechtlich zum Ausdruck, indem er den Verteidigungscharakter bei der Interessenabwägung dahingehend mit in Ansatz bringt, daß es nach der Vorschrift genügt, wenn der durch die Verteidigungshandlung angerichtete Schaden nicht außer Verhältnis zu der abgewendeten Gefahr steht. Der § 228 BGB bildet eine die Interessenabwägung des rechtfertigenden Notstands konkretisierende Spezialregelung gegenüber der allgemeinen Notstandsbestimmung des § 34 StGB (SondA Prot. V/1797; Hirsch-LK, 9. Aufl., Vor § 51 a. F. Rdn. 82; Lackner, StGB, 12. Aufl., § 34 Fn. 3; Schönke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdn. 6). Der Wortlaut der Vorschrift betrifft zwar nur die Bedrohung durch eine Sache (sog. Sachwehr). Im strafrechtlichen Schrifttum wird jedoch wegen des prinzipiellen Unterschieds von aggressivem und defensivem Notstand eine analoge Heranziehung des Rechtsgedankens von § 228 BGB bei Vornahme der nach § 34 StGB notwendigen Interessenabwägung befürwortet, wenn sich die Notstandshandlung gegen eine Person richtet, die Verursacher der Gefahr ist (vgl. Lenckner, Notstand, 1965, S. 102 f.; in Schönke / Schröder, § 34 Rdn. 30; O. Lampe, NJW 1968, 91; Hirsch-LK, 9. Aufl., Vor § 51 a. F. Rdn. 76; DreherFestschrift, 1977, S. 225 f.; Blei, Strafrecht Allg. Teil, 17. Aufl., S. 152; Jescheck, Allg. Teil, S. 291 m. Fn. 33; Samson-SK, § 32 Rdn. 15, § 34 Rdn. 16; R. Felber, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, 1979, S. 174; im Ergebnis auch Stratenwerth, Allg. Teil I, Rdn. 454; siehe außerdem BGHSt. 13, 197; anders Maurach / Zipf, Allg. Teil I, S. 400). Für Fälle, in denen die Gefahr von einem menschlichen Verhalten droht, das aber – wie im vorliegenden Sachverhalt – noch keinen gegenwärtigen Angriff (i. S. des § 32 StGB) darstellt, wird dies bei der analogen Anwendung des § 228 BGB dahin modifiziert, daß Eingriffe in die Körperintegrität des Verursachers nur „in maßvollen Grenzen“ zulässig sind (Lenckner, Notstand, S. 102; in Schönke / Schröder, § 34 Rdn. 30; Jescheck, Allg. Teil, S. 291; Samson-SK, § 34 Rdn. 16; ähnlich Schmidhäuser, Allg. Teil, 9/83). Aus diesen rechtlichen Überlegungen folgt für den zu beurteilenden „Spanner“-Fall: In die konkrete Interessenabwägung nach § 34 StGB ist zugunsten der

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bedrohten Rechtsgüter einzubeziehen, daß die Notstandshandlung eine Verteidigungsmaßnahme gegen denjenigen war, von dem die nicht anders abwendbare Bedrohung ausging. Hinzu kommt, daß es sich um eine lange währende Dauergefahr handelte, die sich darstellte als „Terror, dem das gesamte Familienleben unterlag“. Zudem waren eben auch auf seiten der terrorisierten Eheleute ganz überwiegend Rechtsgüter der Person bedroht. Selbst die Dauergefahr des Hausfriedensbruchs betraf den Bereich der Person, da das Hausrecht jedenfalls zum Teil ein persönliches Rechtsgut ist (vgl. Maurach / Schroeder, Strafrecht Bes. Teil I, 6. Aufl., S. 252). Die durch die beiden Schüsse begangene gefährliche Körperverletzung hielt sich daher wegen Art und Intensität der vom „Spanner“ ausgehenden Gefahr noch im Rahmen „maßvoller Grenzen“. Daß der unbekannte Eindringling nicht in die Beine, sondern in die linke Gesäßhälfte und in die linke Flanke getroffen wurde, führt zu keiner abweichenden Bewertung. Es bestehen schon keine Anhaltspunkte, daß die Verletzungen schwerer als Beinverletzungen gewesen sind. Darüber hinaus geht es bei der Abwägung um den Zeitpunkt des Notstandshandelns, d. h. hier um das Schießen auf die Beine und das dabei bestehende Risiko. Auch insoweit sind die „maßvollen Grenzen“ nicht überschritten. Nach alledem ergibt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ein wesentliches Überwiegen auf der Seite, zu deren Schutz der Angeklagte gehandelt hat. Auch die Angemessenheitsklausel wirft keine besonderen Probleme auf. Die „Notwehrprobe“ bestätigt vielmehr, daß die Interessenabwägung in der geschilderten Weise vorzunehmen ist. Somit ergibt sich, und zwar in Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht des Schrifttums, daß § 34 StGB i.Verb. m. § 228 (analog) BGB erfüllt wird. Infolgedessen hat der Angeklagte schon nicht rechtswidrig gehandelt, weshalb sich die Frage des entschuldigenden Notstands entgegen der Auffassung des BGH gar nicht mehr stellt. Dieses Ergebnis bedeutet nicht, daß „Spanner“ von der Rechtsordnung als „Freiwild“ betrachtet werden. Wenn in der Tagespresse über den Freispruch des Angeklagten gelegentlich unter der Überschrift „Für ‚Spanner‘ gibt es kein Pardon“ berichtet worden ist, so verkürzte das die Besonderheiten des entschiedenen Falles. Diese liegen in der im fortgesetzten Einschleichen in den häuslich-privaten Bereich bestehenden, nur durch die Schüsse abwendbaren Dauerbedrohung rechtlich geschützter Interessen durch einen Unbekannten. Es ist auch zu beachten, daß hier sogar Notwehr zulässig gewesen wäre, wenn der „Spanner“ sich nicht zur Flucht gewandt und damit seinen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff (auf Hausrecht und Persönlichkeitsrecht der Eheleute) beendet hätte. Dagegen würde das Verhalten eines „Spanners“, der durch ein Loch im Gartenzaun heimlich unbekleideten Damen beim Sonnen zuschaut, für sich allein noch kein Notrecht begründen. Erst recht ergeben sich keine Auswirkungen auf diejenigen Fälle, in denen der Beobachtete selbst die Diskretion aufgehoben hat. Wer beispielsweise in der Öffentlichkeit nackt badet oder Zärtlichkeiten austauscht, ist nicht berech-

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tigt, sich Zuschauern durch Notwehr- oder Notstandshandlungen zu erwehren (vgl. BayObLG NJW 1962 1782; Rötelmann, MDR 1964, 207 f.; letzterer mit durchschlagenden Argumenten gegen die den Persönlichkeitsschutz des Beobachteten überdehnende Auffassung von Erdsiek, NJW 1962, 2242). 2. Weiterhin erhebt sich die Frage, ob es verfahrensmäßig überhaupt zulässig war, daß der BGH die Rechtfertigung hat dahingestellt sein lassen und statt dessen auf den seiner Ansicht nach gegebenen § 35 StGB abgestellt hat. Bekanntlich wird in st. Rspr. angenommen, daß grundsätzlich in einem freisprechenden Urteil der „innere Tatbestand“ (womit vor allem die Schuld gemeint ist) verneint werden kann, ohne daß vorher das Vorliegen des „äußeren Tatbestands“ festgestellt worden ist (vgl. RGSt. 4, 355; 43, 397; 47, 417, 419; RG JW 1917, 555 Nr. 12; BGHSt. 16, 374; BGH GA 1974, 61). Im Schrifttum wird das mit gewichtigen Gründen vielfach kritisiert (vgl. insbesondere Eb. Schmidt, StPO, § 267 Rdn. 37, § 244 Rdn. 48, Nachtragsband I § 244 Rdn. 17; Müller-Sax [KMR], StPO, 6. Aufl., § 260 Fn. 5 A; Peters, Strafprozeß, S. 539 ff.). Der Sachverhalt des „Spanner“-Urteils unterscheidet sich von den der Kontroverse zugrunde liegenden Fällen jedoch dadurch, daß die Tatsachen feststehen und es deshalb allein noch um die rechtliche Würdigung geht. Wenn jene Rspr. sich darauf stützt, daß es für die Beschwer des Angeklagten grundsätzlich auf den Urteilssatz, nicht aber auf die Urteilsgründe ankomme und daß daher ein freisprechendes Urteil durch ihn regelmäßig nicht damit angefochten werden könne, es habe anders begründet werden müssen, so läßt das doch eines unberührt: Jedes Gericht (einschl. der letztinstanzlichen) hat die Amtspflicht, auch beim Freispruch den für den festgestellten Sachverhalt geltenden richtigen Rechtssatz anzuwenden. Außerdem ist es jener Judikatur darum zu tun, weitere Beweisaufnahmen – soweit von ihnen nicht auch die Entscheidung des „inneren Tatbestands“ abhängt (BGH GA 1974, 61) – überflüssig zu machen, wenn ohnehin ein Freispruch zu erfolgen hat. Dagegen geht es ihr nicht darum, den Gerichten die Möglichkeit zu eröffnen, sich bei freisprechenden Urteilen auf nicht einschlägige Rechtssätze zu stützen, nur um die Rechtsausführungen zu vereinfachen. Abkürzungen bei der rechtlichen Begründung eines Freispruchs sind nur in der Weise möglich, daß bei mehreren gleichgeordneten Rechtssätzen, die den Freispruch decken, z. B. zwei eingreifenden Rechtfertigungsgründen, es genügt, wenn sich das Gericht auf einen von ihnen stützt. Nachrangige Rechtssätze, die das Nichtvorliegen eines vorrangigen zur Voraussetzung haben, kommen nur zusätzlich als Hilfsbegründung in Betracht. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß selbst dann, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 35 StGB vorgelegen hätten, das Eingreifen des § 34 StGB nicht dahingestellt bleiben durfte. Denn § 35 StGB setzt – ausdrücklich – rechtswidriges Handeln auf seiten des Notstandstäters voraus. Daran aber fehlt es nach dem Sachverhalt. Die ganz unabhängig von der Rechtsmittelfähigkeit einer Entscheidung bestehende richterliche Amtspflicht, das für den festgestellten Sachverhalt geltende

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Recht auch bei freisprechenden Urteilen zur Anwendung zu bringen, betrifft in besonderem Maße die Revisionsgerichte. Hauptzweck des Revisionsverfahrens ist neben der Herbeiführung einer gerechten Einzelfallentscheidung die Wahrung der Rechtseinheit. Hierfür aber ist besonders wichtig, daß eine korrekte Gesetzesanwendung und -auslegung stattfindet. Die vorliegende Entscheidung verleitet zu dem Mißverständnis, man könne in Fällen, in denen es um eine Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit des Notstandstäters geht, wegen der einfacheren Handhabung immer direkt auf § 35 StGB zurückgreifen und damit insoweit den § 34 StGB leer laufen lassen. Eine solche Praxis würde indes die in der Präzisierung der Verhaltensanweisungen des Gesetzes liegende Aufgabe der Rechtsauslegung verfehlen. Wäre wirklich § 35 StGB einschlägig, würde damit wegen Rechtswidrigkeit der Gefahrabwendung ein Notwehrrecht des „Spanners“ gegeben sein. Indem in dem Urteil des 1. Strafsenats die Anwendbarkeit des § 34 StGB unentschieden bleibt, beläßt es eine mißliche Rechtsunsicherheit in diesem Bereich.

Anmerkung zu BGHSt. 42, 235 betreffend actio libera in causa 1997 Die Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH ist angesichts der Diskussion, die gegenwärtig über die actio libera in causa (a.l.i.c.) geführt wird, von besonderem Interesse. Der Senat hält allerdings eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Problematik für entbehrlich, weil die Rechtsfigur bei § 222 StGB und anderen fahrlässigen Erfolgsdelikten überflüssig, bei § 315c StGB und § 21 StVG jedenfalls nicht anwendbar sei. Das ist jedoch hinsichtlich ersterem ungenau und bezüglich letzterem auch in den Ergebnissen nicht überzeugend. Für die Überflüssigkeit der Rechtsfigur bei fahrlässigen Erfolgsdelikten beruft sich der Senat im Anschluß an BGHSt. 40, 341, 343 und einige Literaturstimmen (Horn, GA 1969, 289; Otto, Jura 1986, 426, 433; u. a.) darauf, daß Gegenstand des Vorwurfs dort jedes in bezug auf den tatbestandsmäßigen Erfolg sorgfaltswidrige Verhalten des Täters sein kann, das diesen Erfolg ursächlich herbeiführt. Daher bestehe, wenn mehrere Tätigkeitsakte als sorgfaltswidrige in Betracht kommen (wie hier das Sich-Betrinken trotz Voraussehbarkeit des durch eine anschließende Trunkenheitsfahrt drohenden Erfolgs einerseits und diese Fahrt selbst andererseits), schon nach den für das fahrlässige Delikt geltenden allgemeinen Grundsätzen kein Bedenken, den Fahrlässigkeitsvorwurf an das zeitlich frühere Verhalten anzuknüpfen, das im Unterschied zum späteren auch als schuldhaft vorgeworfen werden könne. Aber mit solchen Überlegungen wird für die Fahrlässigkeitsfälle eigentlich nur die dem zur a.l.i.c. vertretenen herkömmlichen sog. Tatbestandsmodell zugrunde liegende Annahme bestätigt, daß diese Rechtsfigur keine eigene konstituierende Rolle spielt, sondern sich allgemeinen anderen Rechtsfiguren – hier dem fahrlässigen Delikt mit seinen Kriterien – subsumieren läßt; und das ist auch der Grund dafür, daß weder der Gesetzgeber von 1871 noch der von 1974 Anlaß dazu gesehen hat, sie ausdrücklich zu regeln. Jedoch ändert das nichts daran, daß es sich um eine spezielle Fallkonstellation handelt, deren Einordbarkeit besonderer Erklärung bedarf. Die Notwendigkeit dazu wird zwar weniger deutlich, wenn – wie im vorliegenden Fall – die in rauschbedingter Schuldunfähigkeit begangene spätere Handlung in bezug auf den Erfolg (hier der Tod der Grenzbeamten) ebenfalls unvorsätzlich gewesen ist. Sie springt aber in die Augen, sobald diese Handlung vorsätzlich war und damit zwischen der schuldhaften Sorgfaltswidrigkeit, die in dem trotz Voraussehbarkeit des späteren

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Erfolgs liegenden Berauschen besteht, und dem Eintritt dieses Erfolges ein auf ihn gerichtetes vorsätzliches Handeln des Täters liegt. Auch wenn mit der h.M. die Lehre vom Regreßverbot abzulehnen ist (und ebenfalls die von Roxin, TröndleFestschr. S. 177, 187 ff., stattdessen geforderten einschränkenden Kriterien hier einem Fahrlässigkeitsdelikt nicht entgegenstünden), bedarf es doch der Erklärung, wie ein vom Täter selbst vorsätzlich herbeigeführter Erfolg sich wegen der zum Zeitpunkt seiner Verwirklichung fehlenden Schuldfähigkeit als eine vom Täter durch das vorhergehende Berauschen begangene fahrlässige Tat darstellen kann. Es geht dann um Fragen, die denen bei der vorsätzlichen a.l.i.c. parallel sind. Praktisch folgenreicher ist die im amtlichen Leitsatz der Entscheidung herausgestellte These, daß bei den Delikten der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis die Grundsätze der a.l.i.c. aus tatbestandlichen Gründen nicht anwendbar seien und deshalb im vorliegenden Fall § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) i.V. m. Abs. 3 Nr. 1 StGB und § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG entgegen der Auffassung der Strafkammer nicht zur Anwendung kämen. Kürzlich war schon in der Entscheidung LG Münster NStZ-RR 1996, 266 eine entsprechende Rechtsauffassung zu § 316 StGB vertreten worden, und sie findet sich auch bereits im Schrifttum (so bei Roxin, Lackner-Festschr. S. 307, 317 f.; Hettinger, GA 1989, 1, 13; LKJähnke, 11. Aufl., § 20 Rn. 76 m.w. N.). Die Auffassung ist nicht überzeugend. Allerdings darf, wie in der Entscheidung einleuchtend aufgezeigt wird, zur Begründung der Anwendbarkeit nicht auf die teilweise im Schrifttum vertretenen sog. Ausnahme- und Ausdehnungsmodelle zurückgegriffen werden. Indem diese in den Fällen rauschbedingter Schuldunfähigkeit darauf verzichten, daß die Schuld bei Begehung der Tat vorliegt, also die in § 20 StGB verlangte Koinzidenz von Tatunrecht und Schuld hier als entbehrlich ansehen, würden sie von den bei den vorgenannten Strafbestimmungen auftretenden Tatbestandsproblemen zwar nicht von vornherein berührt sein. Ein solcher Lösungsweg wird vom Senat aber zu Recht abgelehnt; denn der Verzicht auf die Koinzidenz verstößt gegen das Tatschuldprinzip und angesichts dessen ausdrücklicher gesetzlicher Verankerung (§ 20 StGB) in eklatanter Weise gegen den Satz nullum crimen sine lege und damit gegen § 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG. Es verbleibt daher nur das herrschende sog. Tatbestandsmodell. Auf den ersten Blick scheint es in der Tat einen Rückgriff auf die a.l.i.c. bei den fraglichen Strafbestimmungen auszuschließen, da diese vom „Führen“ eines Fahrzeugs sprechen und deshalb vor dem Beginn des Fahrens noch kein tatbestandsmäßiges Handeln möglich zu sein scheint. Daß andererseits ein solches Ergebnis als zufällig und sachlich wenig befriedigend anzusehen wäre, ist evident. Denn nicht anders als sonst bei der a.l.i.c. versetzt sich hier der Täter in einen die Schuldunfähigkeit ausschließenden Rausch und begeht seinem vorherigen Vorsatz gemäß die unmittelbare Tat in diesem Zustand. Nicht nur in der deutschen Diskussion, sondern in allen vergleichbaren Rechtsordnungen besteht im wesentlichen insoweit Konsens,

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daß man jedenfalls in den Fällen, in denen der Täter sich beim Berauschen vorsätzlich oder – im Falle gegebener Fahrlässigkeitsstrafbestimmung – fahrlässig in bezug auf die Begehung der im Zustand rauschbedingter Schuldunfähigkeit begangenen unmittelbaren Tat verhalten hat, es als unangemessen erachtet, wenn er nicht wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tatbegehung bestraft werden könnte. Entgegen der Auffassung des Senats bietet auch § 323a StGB keine befriedigende Auffanglösung, da er der subjektiven Verknüpfung, der Herbeiführung der Schuldunfähigkeit mit der in diesem Defektzustand begangenen Tat, die bei vorsätzlicher, aber auch bei fahrlässiger a.l.i.c. (bei dieser in Form der Voraussehbarkeit der jeweiligen Tat) eine Rolle spielt, nicht gerecht wird. Es empfiehlt sich daher, die Dinge etwas genauer zu betrachten. Nach dem Tatbestandsmodell handelt es sich bei der a.l.i.c. um einen Fall mittelbarer Begehung, d. h. der Täter macht sich selbst zum Werkzeug seiner Tat (vgl. RGSt. 22, 413, 415; Hirsch, ZStW-Beiheft 1981, 2, 9; Roxin, LacknerFestschr. S. 314 ff.; Jakobs, AT 2. Aufl. 17/57, 64 m.w. N.). Der von daher auftauchende Gedanke, daß die Rechtsfigur dann hier doch schon deshalb außer Betracht bleibe, weil es sich bei § 315c StGB und § 21 StVG – wie mit der h.M. (BGHSt. 18, 6; Dreher / Tröndle, 47. Aufl., § 315c Rn. 2; S / S- Cramer, § 315 Rn. 36b m.w. N.) anzunehmen – um eigenhändige Delikte handelt, wäre nicht schlüssig. Daß bei eigenhändigen Delikten mittelbare Täterschaft nicht möglich ist, besagt nur, daß eine Täterschaft Dritter ausscheidet. Hier aber handelt es sich um eine mittelbare Begehung durch den Täter selbst. Infolgedessen geht es in Anbetracht der Identität des Täters von unmittelbarem und mittelbarem Tätigkeitsakt ausschließlich um die Frage, welche zeitliche Auswirkung es für den Tatbeginn hat, daß in § 315c StGB und § 21 StVG vom „Führen“ eines Fahrzeugs die Rede ist. Würde dies erfordern, daß die Tat erst mit dem Fahren beginnen kann, so müßte allerdings gemäß dem in § 20 StGB verankerten Koinzidenzprinzip mangels der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Schuldfähigkeit die Bestrafung wegen der Begehung dieser Taten absolut ausscheiden. Für die Beantwortung der Frage erweist sich aber ein genauerer Blick auf die Täter- und Versuchslehre als nützlich: Dem Wesen nach liegt bei mittelbarer Begehung der Tätigkeitsakt des mittelbar Handelnden zeitlich vor der unmittelbaren Ausführungshandlung. Wer als mittelbarer Täter einen Diebstahl durch einen Tatmittler begeht, verwirklicht deshalb regelmäßig nicht schon den Anfang der unmittelbaren Wegnahmehandlung. Gleichwohl wird er wegen Wegnahme – und zwar vollendeter bei durch den Tatmittler realisierter Vollendung, sonst wegen Versuchs – bestraft. Der Grund hierfür ist: Der mittelbar Handelnde beherrscht dadurch, daß er das Werkzeug in Marsch setzt, bereits das Geschehen, weil er den weiteren Verlauf in solchem Fall der Automatik des Handelns des Tatmittlers überläßt. Indem der Beginn einer mittelbaren Wegnahmehandlung also früher liegt als derjenige der unmittelbaren, wir es daher insoweit mit einer Relativität des Tatbeginns zu tun haben, spitzt sich die zur Erörterung stehende Frage darauf zu, ob bei § 315c StGB und § 21 StVG – ebenso bei § 316 StGB – die Handlungsbeschreibung etwa ausnahmsweise

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einer solchen Relativierung des Handlungsbeginns entgegensteht. Dafür könnte das Wort „führt“ sprechen. Aber dieses Wortlautargument gibt wenig her. Es finden sich viele andere Handlungsmerkmale, z. B. „droht“ und „vorspiegeln“, bei denen solche Bedenken nicht erhoben werden. Das ist auch erklärlich, weil derjenige, der mittelbar eine Drohung oder ein Vorspiegeln durch einen schuldunfähigen Tatmittler vornimmt, die betreffende Tathandlung durch das Ansetzen zum Aus-der-Hand-geben des Geschehens in Gang gebracht hat, so daß sie von ihm begonnen worden ist. Dies ist auch der Zeitpunkt, in dem der mittelbare Täter bereits mit dem Normbefehl in Konflikt kommt. Auch die §§ 153 ff. StGB, auf die Roxin (a. a. O. S. 317) für die angebliche Unanwendbarkeit der a.l.i.c. auf eigenhändige Delikte hinweist, stützen nur scheinbar die These des Senats. Beim Meineid ist zwar grundsätzlich anerkannt, daß der Anfang der Ausführung erst beim Ansetzen zur Eidesleistung liegt. Roxin meint dementsprechend, daß in dem Fall, jemand würde ein schuldausschließendes Psychopharmakon einnehmen, um auf solche Weise bei der anschließenden Vernehmung eine eidliche Aussage im Zustand der Schuldunfähigkeit zu machen, a.l.i.c. nicht möglich sei. Aber auch hier ist – unbeschadet der sich aus § 60 Nr. 1 StPO ergebenden Fragen – zu beachten, daß der grundsätzlich geltende Tatbeginn sich ausnahmsweise relativiert, sobald es um eine mittelbare Tatausführung – hier durch den Täter selbst – geht. Der Normverstoß liegt dann bereits damit vor, daß der Täter dazu ansetzt, die Steuerungsfähigkeit hinsichtlich der Tatverwirklichung aus der Hand zu geben. Das wird auch durch § 160 StGB bestätigt. Wenn nämlich bei dieser Vorschrift gegen den strafbewehrten Normbefehl, keinen Falscheid herbeizuführen, schon damit verstoßen wird, daß ein Dritter zur mittelbaren Begehung ansetzt, dann muß das erst recht möglich sein, wenn sich der zu vereidigende Zeuge selbst zum Werkzeug der Tat (§ 154 StGB) macht. Ob ein mit dem Vorsatz der Herbeiführung eines Falscheids handelnder Dritter dem Zeugen, um ihn zu enthemmen, das Psychopharmakon heimlich vor der Vernehmung in den Kaffee tut oder ob der Zeuge dies mit gleicher Intention bewußt selbst tut, ergibt nur unter dem Gesichtspunkt, daß es sich im letzteren Fall um das gewichtigere Unrecht einer eigenhändigen Tat geht, einen tatbestandlichen Unterschied. Daß ein derartiger früherer Handlungsbeginn ebenfalls bei § 315c StGB und § 21 StVG möglich ist, wird zusätzlich dadurch bestätigt, daß das im Zustand der Fahruntüchtigkeit oder das ohne Fahrerlaubnis erfolgende Fahren eines Kfz. auch auf Fahrlässigkeit beruhen kann. Die Sorgfaltswidrigkeit, die zu einem solchen Geschehen führt, kann hier – wie auch sonst – schon vor dem Fahren selbst liegen. Diese Überlegungen zeigen, daß das herkömmliche Tatbestandsmodell der a.l.i.c. durchaus bei den vorgenannten Delikten greift: Indem die Tathandlung bereits mit dem Ansetzen zum Aus-der-Hand-geben des Geschehensablaufs beginnt, genügt es, daß zu diesem Zeitpunkt Schuld gegeben ist. Was danach geschieht, ist ein in Lauf gesetzter Automatismus. Auch in den klassischen Fällen der mittelbaren Täterschaft kommt es auf diesen Zeitpunkt an: Wenn jemand einen Dritten als

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Tatmittler einer Tötungshandlung in Marsch gesetzt hat, dann entlastet es ihn nicht mehr, daß er sich im Zeitpunkt der Ausführung durch den Dritten im Zustand der Schuldunfähigkeit befindet. Und entsprechend sieht es auch das Tatbestandsmodell bei der a.l.i.c. Die Besonderheit der zur Erörterung stehenden Problematik besteht lediglich darin, daß wegen der Eigenhändigkeit des Delikts eine mittelbare Begehung der Tat überhaupt nur durch denjenigen möglich ist, der schuldunfähig auch die unmittelbare Ausführungshandlung vornimmt – also im Fall der a.l.i.c. Die aufgezeigte Lösung bedeutet nicht, daß das deliktische Unrecht anstatt im fahruntüchtigen oder ohne Fahrerlaubnis erfolgenden Führen eines Fahrzeugs nur in einem Vorverhalten gesehen wird. Ebenso wie sonst bei mittelbarer Begehung umfaßt das tatbestandliche Unrecht das gesamte Handlungsgeschehen bis zur Tatbestandsvollendung, also auch die durch den Täter ausgelöste und in der vorliegenden Fallkonstellation von ihm selbst zu verwirklichende unmittelbare Tatbestandshandlung. Es geht nur um einen früheren Tatbeginn: den Zeitpunkt des Ansetzens zum Aus-der-Hand-geben, und auf ihn kommt es bei der mittelbaren Begehung für die Schuldfrage an. Das Koinzidenzprinzip ist folglich gewahrt. Auch für diejenigen Autoren, die bei mittelbarer Täterschaft anders als die h.M. (zu ihr vgl. BGHSt, 30, 363, 365; Jescheck / Weigend AT, 5. Aufl., S. 672 f. m.w. N.) den Versuchsbeginn erst beim Beginn der unmittelbaren Handlung des Werkzeugs annehmen wollen (so LK-Vogler § 22 Rn. 101 m.w. N.), gerät der mittelbar Handelnde bereits dadurch, daß er dazu ansetzt, den Tatablauf aus der Hand zu geben, mit dem Normbefehl in Konflikt, so daß sich ebenfalls schon zu diesem Zeitpunkt die Schuldfrage stellt. Bei dem angeblich erst späteren Beginn der Versuchsstrafbarkeit ginge es nur um eine aufschiebende Bedingung der Strafbarkeit. Es zeigt sich nach alledem, daß abweichend von der Auffassung des Senats aus dem der a.l.i.c. zugrunde liegenden Tatbestandsmodell sehr wohl die Anwendbarkeit dieser Rechtsfigur auf § 315c StGB und § 21 StVG folgt. Das hat auch für § 316 StGB zu gelten. Da nach den tatsächlichen Feststellungen der Strafkammer der Angekl. beim Berauschen den Vorsatz (Eventualvorsatz) hinsichtlich der im Zustand rauschbedingter Schuldunfähigkeit erfolgenden Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale von § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB und § 21 StVG hatte, ging es deshalb um vorsätzliche a.l.i.c.; ebenso wäre bei fahrlässiger a.l.i.c. eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach diesen Strafbestimmungen (§ 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB und § 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG) möglich. Entgegen der in der Entscheidung geäußerten Ansicht kam es daher doch auf eine grundsätzliche Stellungnahme zur a.l.i.c. an. Eine solche Stellungnahme aber hätte in einer Bekräftigung der Rechtsfigur zu bestehen gehabt. Das Tatbestandsmodell bildet für die a.l.i.c. eine tragfähige Grundlage. Wenn ein Dritter einen Menschen dadurch, daß er ihn in einen die Schuldunfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt, zum Tatmittler einer mittelbaren Täterschaft machen kann, dann vermag das auch ein Mensch mit sich selbst

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zu tun. Daß in § 25 Abs. 1 StGB der Fall nicht ausdrücklich erwähnt ist, bildet kein Hindernis. Es handelt sich um einen Unterfall der ersten Alternative. Wie Roxin (a. a. O., S. 311 ff.) bereits aufgezeigt hat, sind auch die zu Einzelfragen geäußerten Bedenken nicht durchschlagend. Der Vorzug der Tatbestandslösung besteht gerade darin, daß sie sich als sachentsprechende Konsequenz aus im Gesetz verankerten allgemeinen strafrechtstheoretischen Grundsätzen ableitet. Wer sie verwirft und statt dessen nach einer durch den Gesetzgeber zu regelnden Ausnahme vom Koinzidenzerfordernis ruft (so Hettinger, Die „actio libera in causa“, 1988, S. 444 ff.; Hruschka, JZ 1996, 64, 67 ff.; Salger / Mutzbacher, NStZ 1993, 561, 565), stellt das dem Tatstrafrecht gemäße Tatschuldprinzip in Frage und löst das Beziehungsverhältnis zwischen Schuld und Normbefehlsverstoß auf. Weniger gewichtig, aber von klarstellender Bedeutung ist die in einem zweiten Leitsatz – in etwas verunglückter Formulierung hervorgehobene – Rechtsauffassung, daß die in § 323a StGB als objektive Strafbarkeitsbedingung geregelte Rauschtat einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 StGB darstellt. Das Wort „Tatbestand“ in § 9 StGB meint nicht den engeren dogmatischen Begriff des Tatbestands, sondern den der Strafbestimmung. Auch kann ein Erfolg in einem Geschehen liegen, da es bei dem Begriff um das in einer Strafbestimmung verlangte Resultat der Tatbestandshandlung geht.

Anmerkung zu BGH JR 1997, 351 betreffend actio libera in causa 1997 Der 3. Strafsenat des BGH tritt mit diesem Beschluß dem durch die Entscheidung BGHSt. 42, 235 des 4. Strafsenats hervorgerufenen Eindruck entgegen, der BGH sei im Begriff, die Rechtsfigur der actio libera in causa (a.l.i.c.) aufzugeben. Einige Autoren hatten bereits vom „Anfang vom Ende“ oder vom „Einläuten“ des „Endes der actio libera in causa in der Rechtsprechung“ gesprochen. 1 Zwar ging es in BGHSt. 42, 235 allein um die dort verneinte Frage der Anwendbarkeit auf die Delikte der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (weshalb auch bei dem jetzt vom 3. Strafsenat entschiedenen Fall, der sich auf einen anderen Deliktsbereich bezieht, keine Verpflichtung zur Vorlage an den Großen Strafsenat bestand). Aber auf Vorbehalte hindeutende Ausführungen und Formulierungen des 4. Strafsenats, die schon in BGHSt. 40, 341 (343) zu bemerken waren und dann verstärkt in BGHSt. 42, 235 zum Ausdruck gelangt sind, sowie ein de lege lata die Rechtsfigur verwerfender Aufsatz des vormaligen Vorsitzenden dieses Senats 2 erweckten den Eindruck, daß man zunehmend zur a.l.i.c. auf Distanz geht. Dies um so mehr, als die betreffenden Straßenverkehrsdelikte, bei denen die a.l.i.c. jedenfalls nicht anwendbar sein soll, einen in der bisherigen Praxis besonders wichtigen Anwendungsbereich bilden. Der vorliegende Beschluß des 3. Strafsenats besticht durch seine lapidare Kürze. Ein bloßes Bekenntnis zum grundsätzlichen Festhalten an der Rechtsfigur, wie es in den Gründen abgegeben wird, dürfte andererseits aber kaum genügen, um die Rechtssicherheit wiederherzustellen. In der Literatur ist eine lebhafte Debatte darüber entbrannt, ob die a.l.i.c. de lege lata zu halten ist. Zudem ist offen, ob der 4. Strafsenat seine demontierende Tendenz fortsetzen wird und wie andere Strafsenate die Problematik beurteilen werden. Hinzu kommt, daß sich inzwischen auch Kritik an der in BGHSt. 42, 235 vertretenen Auffassung artikuliert, die Rechtsfigur sei bei den genannten Straßenverkehrsdelikten nicht anwendbar. 3 Der BGH wird daher nicht umhinkönnen, zu der gesamten Rechtsfrage der a.l.i.c. näher und auf deutlich einheitlicher Linie Stellung zu nehmen. 1 2 3

Siehe Horn, StV 1997, 264 ff. und Neumann, StV 1997, 23. Salger, in Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561 ff. Spendel, JR 1997, 133 ff.; Hirsch, NStZ 1997, 230 ff.

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Will man wie der 3. Strafsenat entschieden an der Rechtsfigur festhalten – und dafür votiert auch die h. L. 4 –, so wird man nachzuweisen haben, daß die a.l.i.c. entgegen den heute verstärkt erhobenen Bedenken 5 doch durch das geltende Recht legitimiert ist. Wie der 4. Senat allerdings mit Recht in BGHSt. 42, 235 (240 f.) aufgezeigt hat, läßt sich aus den zur Begründung der Rechtsfigur in der Literatur entwickelten Konstruktionen weder das sog. Ausnahmemodell, nach dem hier eine Ausnahme von dem in § 20 StGB zum Ausdruck gelangten Koinzidenzprinzip möglich sein soll 6, noch das sog. Ausdehnungsmodell, das hier die Tatschuld auf ein vor der unrechtmäßigen Tat liegendes Vorverschulden ausdehnen will 7, mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Beide Lösungsmodelle setzen sich darüber hinweg, daß nach § 20 StGB ohne Schuld handelt, wer „bei Begehung“ der unrechtmäßigen Tat schuldunfähig ist. Die Berufung auf ein dies einschränkendes Gewohnheitsrecht verfängt nicht, da ein zu Lasten des Täters gehendes Gewohnheitsrecht, und zwar auch im Allgemeinen Teil, gegen den Satz Nullum crimen sine lege verstoßen würde. 8 Im übrigen geht es nicht nur um die Gesetzeslage, sondern beide Modelle vermögen auch sachlich nicht zu überzeugen. Stellt man auf ein vor dem Beginn des Tatunrechts liegendes „Vorverschulden“ ab, so orientiert man sich in Richtung auf die in einigen ausländischen Strafgesetzbüchern zu findende Regelung, wonach die Schuldunfähigkeit unbeachtlich ist, wenn sie auf einem „verschuldeten“ Rausch beruht. 9 Konsequent wird deshalb von Hruschka 10 de lege ferenda vorgeschlagen, dem § 20 StGB die Einschränkung hinzuzufügen: „Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Unfähigkeit selbst verantwortlich ist.“ Das würde jedoch bedeuten, daß auch die Fälle, die de lege lata nur unter § 323a StGB subsumierbar sind, mit 4 Jakobs, Allg. Teil, 2. Aufl., 17/64 ff.; Jescheck / Weigend, Allg. Teil, 5. Aufl., S. 445 ff.; Lackner / Kühl, 22. Aufl., § 20 Rdn. 25; Lenckner, in: Schönke / Schröder, 25. Aufl., § 20 Rdn. 33; Roxin, Allg. Teil 1, 2. Aufl., S. 754 ff.; Spendel, in: LK, 11. Aufl., § 323a Rdn. 23; Tröndle, 48. Aufl., § 20 Rdn. 19. 5 Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 524; ders., in: NK, Vor § 323a Rdn. 28; Hettinger, Die „actio libera in causa“, 1988, S. 436 ff., 447 ff.; ders., Geerds- Festschr., 1995, S. 623, 637; Neumann, Arth. Kaufmann-Festschr., 1993, S. 581, 590 f.; ders., StV 1997, 23, 25; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565 und jetzt auch Hruschka, JZ 1996, 64, 68 und JZ 1997, 22, 24 (anders noch JuS 1968, 554, 559). 6 So Hruschka, JuS 1968, 554 ff.; ders., JZ 1989, 310, 312 (jetzt nur de lege ferenda, siehe Fn. 5); Otto, Jura 1986, 426, 429 f.; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., § 20 Rdn. 78; Jescheck / Weigend, S. 445 ff.; Kühl, Allg. Teil, 1994, S. 341; Lenckner, (Fn. 4), § 20 Rdn. 35. 7 Streng, ZStW 101 (1989), 273, 311; ders., JZ 1994, 709, 711. In die gleiche Richtung gehen die Lösungsansätze von Schmidhäuser, Die action libera in causa, 1992, S. 27 ff. und Jerouschek, JuS 1997, 385 ff. 8 Vgl. BGHSt. 42, 235 (241 f.) mit umfangreichen Nachweisen zur Judikatur des BVerfG und dem verfassungs- sowie strafrechtlichen Schrifttum. 9 Siehe die Nachweise bei Hirsch, ZStW-Beiheft 1981, 2, 5 Fn. 16. 10 Hruschka, JZ 1996, 64, 69.

Anmerkung zu BGH JR 1997, 351 – actio libera in causa

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erfaßt wären. Nach dem Stand der deutschen strafrechtlichen Entwicklung läge in der Aufwertung dieser bloßen abstrakten Gefährdungstaten zu Fällen der Taten, die im Rausch begangen worden sind (bis hin zu Mord oder Totschlag), ein evidenter Verstoß gegen das Schuldprinzip. Es fehlt die der a.l.i.c. eigentümliche Verknüpfung zwischen der actio praecedens und der Rauschtat. Darüber hinaus erhebt sich, wie der auch insoweit folgerichtige Vorschlag von Hruschka zeigt, das Bedenken, daß, sobald ein „verschuldeter“ Rausch die Beachtlichkeit der Schuldunfähigkeit eingrenzt, dies ebenso bei jedwedem anderen „Vorverschulden“ in Betracht käme. Fälle bloßer „Lebensführungsschuld“, bei denen eigentlich niemand ernsthaft erwägt, dem Täter die Berücksichtigung der Schuldunfähigkeit zu versagen, wären trotz fehlender Tatschuld zu bestrafen. Auf diese bedenkliche Konsequenz wird auch in BGHSt. 42, 235 (241) hingewiesen. Aber selbst wenn man meint, das „Vorverschulden“ auf den Umfang der herkömmlich von der a.l.i.c. erfaßten Rauschfälle begrenzen zu können, ergäbe sich, weil dabei von einem dem Unrecht vorgelagerten „schuldhaften“ Handeln ausgegangen wird, daß es für die Frage, ob wegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu bestrafen ist, nur noch darauf ankäme, ob die im Rausch begangene Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden ist. Wenn sich also jemand in einen Vollrausch versetzt und darin, ohne daß ihm das beim Berauschen bewußt war, eine Vorsatztat begeht, beispielsweise eine vorsätzliche Tötung, wäre wegen dieser, also etwa wegen Totschlags oder sogar Mordes zu bestrafen. Eine solche Strafschärfung erscheint offensichtlich unangemessen. Es wird nun allerdings angeführt, daß auch beim vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 Satz 2 StGB) und bei der durch ein Vorverhalten des Täters herbeigeführten Situation des Entschuldigenden Notstands (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB) auf ein Vorverschulden abgestellt werde und die Frage, ob eine vorsätzliche oder fahrlässige Tat vorliegt, allein nach dem im Zeitpunkt der Ausführung gegebenen subjektiven Befund bestimmt wird. 11 Diese Vorschriften zeigten daher, daß man sich durchaus systemkonform bewege, wenn man konsequenterweise auch bezüglich § 20 StGB eine Einschränkung durch Berücksichtigung des „Vorverschuldens“ fordere. Bei genauerer Betrachtung erweist sich jedoch auch dies als nicht haltbar. Zwar heißt es in Rspr. und Schrifttum, daß bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum die Tat schuldhaft gewesen sei, weil der Täter sich zuvor nicht ausreichend erkundigt oder eine gegenüber den Rechtspflichten gleichgültige Lebensführung betrieben habe. 12 Um § 17 Satz 2 StGB korrekt einzuordnen, wird man sich jedoch, zumal es bei der Vermeidbarkeit um eine Art von „Rechtsfahrlässigkeit“ geht, die Parallele zum fahrlässigen Delikt vor Augen zu führen haben. Bei diesem 11

Hruschka, JZ 1996, 64, 68; ders., JZ 1997, 22, 24; Lenckner, (Fn. 4), § 20 Rdn. 35. Vgl. zu beidem BGHSt. 2, 194 (201, 208 f.); ferner Schroeder, in: LK, 11. Aufl., § 17 Rdn. 41 ff.; Tröndle, § 17 Rdn. 7 und allgemein zu diesen Fragen Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, 1969, S. 252 ff. 12

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wird der Täter nicht dafür verantwortlich gemacht, daß er ein rechtliches Gebot verletzt hat, bestimmte Informationen einzuholen oder sich sonst sachkundig zu machen. Vielmehr wird ihm beim fahrlässigen Begehungsdelikt angelastet, daß er verbotswidrig eine Handlung vorgenommen hat, obwohl er nicht über einen ausreichenden Informationsstand verfügte. 13 Dies aber deutet darauf hin, daß es auch bei der Vemeidbarkeitsfrage beim Verbotsirrtum um Koinzidenz mit der im Irrtum begangenen Tat geht. Es handelt sich nämlich auch hier darum, daß der Täter die Tat ausführt, obwohl er hätte erkennen können, daß er von der Möglichkeit, sich zuvor über die Rechtslage zu informieren, keinen oder nur unzureichenden Gebrauch gemacht hat. Die Berücksichtigung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bedeutet daher keine Durchbrechung des Koinzidenzprinzips. Auch das Argument, daß im Bereich des Entschuldigenden Notstands das Vorverschulden eine einschränkende Rolle spiele, greift nicht. Der in § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB erwähnte einschränkende Gesichtspunkt, daß der Täter die Notstandslage nicht „verursacht“ haben darf, bedeutet zwar, daß eine Pflichtwidrigkeit, die im Vorfeld liegt und die Notstandslage zur Folge hat, berücksichtigt wird. Dies kann deshalb geschehen, weil beim Entschuldigenden Notstand ein Spielraum hinsichtlich der Belastbarkeitsgrenze besteht, die kraft gesetzlicher Entscheidung zur Entschuldigung führt. Wenn der Täter selbst durch eine (gar nicht notwendig schuldhafte) Pflichtwidrigkeit die Notstandslage provoziert hat, ist es folgerichtig, wenn das Gesetz die Belastbarkeitsgrenze, die im Zeitpunkt der Tat über die Entschuldigung entscheidet, für solche Fälle erhöht. 14 Demnach erweist sich, daß das Ausnahmemodell – und Entsprechendes gilt für das Ausdehnungsmodell – keine sachentsprechende Lösung darstellt. Das auf die Begehung der Tat bezogene Tatschuldprinzip duldet keine Ausnahme. Es verbleibt daher allein das herkömmliche Tatbestandsmodell, das dem Tatschuldprinzip dadurch Rechnung trägt, daß es schon vor der im Zustand der Schuldunfähigkeit vorgenommenen Rauschhandlung den Beginn des Tatunrechts annimmt. Dies läßt sich allerdings nicht einfach darauf stützen, daß der Täter durch das Sichberauschen kausal für den Erfolg wird. 15 Denn mit dem bloßen Hinweis auf die Kausalität könnte man alle möglichen Vorfeldhandlungen in das tatbestandsmäßige Unrecht einbeziehen. Notwendig ist vielmehr eine genauere dogmatische Erklärung und Einordnung. Sie wird in der mittelbaren Begehung der Tat gesehen (der Täter macht sich selbst zum Werkzeug seiner Tat). 16 Eine solche Lösung, die sich bereits in der grundlegenden, die Basis der bisherigen 13 Jescheck / Weigend, S. 581; Schroeder, in: LK, § 16 Rdn. 139. Vgl. ferner Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 857 f. 14 Zum vorhergehenden näher Hirsch, in: LK, 11. Aufl., § 35 Rdn. 47 ff. 15 So aber Baumann / Weber / Mitsch, Allg. Teil, 10. Aufl., S. 408; Maurach / Zipf, Allg. Teil I, 8. Aufl., S. 500; Puppe, JuS 1980, 346, 347; Tröndle, § 20 Rdn. 19. Hiergegen bereits BGHSt. 42, 235 (239).

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einschlägigen Rspr. bildenden Entscheidung RGSt. 22, 413 (415) findet, harmoniert mit dem Koinzidenzprinzip, da das einen gefährlichen Grad erreichende Sichberauschen dann bereits den Anfang des unrechtmäßigen Tatgeschehens darstellt und zu diesem Zeitpunkt noch die Schuld gegeben ist. Die a.l.i.c. wird dabei aus allgemeinen gesetzeskonformen Rechtsfiguren abgeleitet: die vorsätzliche a.l.i.c. aus der mittelbaren Begehung (hier, weil der Täter sich selbst als Werkzeug einsetzt, als Unterfall des § 25 Abs. 1, 1. Alt. StGB), die fahrlässige a.l.i.c. aus den allgemeinen Voraussetzungen des fahrlässigen Delikts. Ist dieser theoretische Ansatz zutreffend, bedarf es deshalb keiner besonderen gesetzlichen Erwähnung, wovon auch der Gesetzgeber von 1975 ausgegangen ist. Die vom 3. Strafsenat in der vorliegenden Entscheidung bestätigte a.l.i.c. steht und fällt daher mit der Stellungnahme zu den gegenüber dem Tatbestandsmodell vorgebrachten sachlichen Einwänden, die sich auf die vorsätzliche a.l.i.c. konzentrieren. 17 Hierbei geht es zum einen um den Beginn der Versuchsstrafbarkeit. Die Gegner des Tatbestandsmodells kritisieren: Sobald man auf die mittelbare Begehung abstelle und infolgedessen den Unrechtsbeginn schon hier annehme, führe das zu einer sachwidrigen Vorverlegung des Versuchs. 18 Wer sich an der Theke Mut für eine anschließende Straftat antrinke, habe diese noch nicht begonnen, sondern sie hänge noch von der weiteren Entscheidung ab, sie vorzunehmen. Dazu ist jedoch anzumerken: Auch die Frage des Versuchsbeginns ist parallel zur mittelbaren Täterschaft zu entscheiden. Daß sich jemand Mut antrinkt, ist ebensowenig ausreichend, wie wenn jemand einem Dritten, der eine Straftat ausführen soll, Alkohol zur Überwindung von Skrupeln verabfolgt. Ausschlaggebend ist vielmehr wie bei der mittelbaren Täterschaft 19, daß angesetzt wird zu einem Aus-der-HandGeben des Geschehens. Die Möglichkeit des Täters, trotz seiner Alkoholisierung noch einen Vorsatz hinsichtlich der unmittelbaren Tatausführung zu bilden, 16 Hirsch, ZStW-Beiheft 1981, 2, 9; Roxin, Lackner-Festschr., 1987, S. 307, 314; ders., Allg. Teil I, S. 757; Jakobs, Allg. Teil, 17/64; Spendel, in: LK, § 323a Rdn. 36; ders., JR 1997, 133, 134 ff.; Herzberg, Spendel-Festschr., 1992, S. 203, 218 ff.; Schild, in: AK, § 20 Rdn. 83 a. E.; ders., Triffterer-Festschr., 1996, S. 203, 206. 17 Hinsichtlich der fahrlässigen a.l.i.c. wird nur der Einwand vorgebracht, daß sich die Ergebnisse direkt aus den Voraussetzungen des fahrlässigen Delikts ergäben und die Rechtsfigur hier deshalb überflüssig sei (so BGHSt. 40, 341 [343] und 42, 235 [236] im Anschluß an Horn, GA 1969, 289). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Subsumierbarkeit unter anerkannte allgemeine Deliktsvoraussetzungen gerade der Auffassung der Vertreter des Tatbestandsmodells entspricht, man dabei aber auf die Fallkonstellation der a.l.i.c. als spezielles Phänomen stößt. Dazu Hirsch, NStZ 1997, 230. 18 Hruschka, JuS 1968, 554, 557; Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, 1985, S. 33 ff., Hettinger, Die „actio libera in causa“, S. 437; Streng, ZStW 101 (1989),273, 309; ders., JZ 1994, 709, 710; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 563. 19 Vgl. zum Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft: BGHSt. 30, 363 (365); 40, 257 (269); Roxin, in: LK, 11. Aufl., § 25 Rdn. 152 m.w. N.

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steht wegen der alkoholbedingten Unfreiheit dieses Willens nicht dem Vorliegen der Tatmittlereigenschaft entgegen (Fall des unfrei vorsätzlich handelnden Werkzeugs). Beim Ansetzen zum Aus-der-Hand-Geben gerät der Täter in Gegensatz zum Normbefehl. 20 Aber auch wenn man den Versuchsbeginn erst beim Ansetzen zur unmittelbaren Tathandlung annehmen will, wäre das kein grundsätzlicher Einwand. Vielmehr wird von einer Mindermeinung eine solche Auffassung bei der mittelbaren Täterschaft vertreten. 21 Sie läßt unberührt, daß der für die Schuldfrage ausschlaggebende Zeitpunkt, zu dem der mittelbar Handelnde in Widerspruch zum Normbefehl gerät, bereits beim Ansetzen zur mittelbaren Begehung liegt. Der Eintritt des Anfangs der unmittelbaren Tathandlung wäre dann dogmatisch eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. Ferner wird gegenüber dem Tatbestandsmodell der Einwand erhoben, daß sich bei ihm stets verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) ergeben würde, da der Täter im Zeitpunkt des Beginns der mittelbaren Begehung schon vermindert schuldfähig sei. 22 Man wird jedoch beachten müssen, daß bereits von dem Augenblick an, in dem das Überschreiten der Schwelle zur verminderten Schuldfähigkeit unmittelbar bevorsteht, ein manifestiertes Risiko gegeben ist. Es handelt sich von da an um ein unmittelbares Ansetzen zur mittelbaren Begehung, und das noch im Zustand voller Schuldfähigkeit. 23 Ein weiterer Einwand lautet, daß das auf die mittelbare Begehung abstellende Tatbestandsmodell bei Delikten, die eine bestimmte Tätigkeitsbeschreibung enthalten, insbesondere den eigenhändigen Delikten, versage. 24 Der Einwand scheint durch die in BGHSt. 42, 235 vertretene Auffassung des 4. Strafsenats bestätigt zu werden. Ich habe demgegenüber aber schon in einer Anmerkung zu diesem Urteil im einzelnen aufgezeigt, daß auch bei solchen Delikten die a.l.i.c. anwendbar ist. 25 Insoweit man darauf hinweist, daß dort, wo es sich um eigenhändige Delikte 20 Der Beginn der Versuchsstrafbarkeit nach dem Tatbestandsmodell führt entgegen Neumann (Fn. 18), S. 39 f. nicht zu Friktionen hinsichtlich des Rücktritts. Roxin, LacknerFestschr., S. 307, 318 f. hat bereits dargelegt, daß Schuldunfähigkeit nicht der Freiwilligkeit entgegensteht und daß diese Frage zeitlich verschoben auch bei den anderen Modellen auftritt. Der Fall, daß der Täter im Rausch einschläft und daher nicht mehr zur unmittelbaren Ausführung kommt, berührt eine spezielle Problematik der Abgrenzung von Versuchsbeginn (Gefährlichkeit?), fehlgeschlagenem Versuch und Rücktritt vom unbeendeten Versuch. 21 Vgl. Vogler, in: LK, 10. Aufl., § 22 Rdn. 101; Küper, JZ 1983, 361, 369 (jeweils m.w. N.). 22 So Neumann, (Fn. 18), S. 36. 23 So auch Roxin, Lackner-Festschr., S. 307, 318. 24 Hruschka, JuS 1968, 554, 556; ders., JZ 1997, 22, 23; Hettinger (Fn. 18), S. 439; Streng, ZStW 101 (1989), 273, 310; ders., JZ 1994, 709, 710; Salger / Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565; Jerouschek, JuS 1997, 385, 388. 25 Hirsch, NStZ 1997, 230 ff.

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handelt, mittelbare Täterschaft nach allgemeinen Grundsätzen ausgeschlossen sei, ist übersehen: Bei der a.l.i.c. geht es nicht um eine mittelbare Begehung durch einen Dritten, sondern durch den unmittelbar Handelnden selbst, so daß die Eigenhändigkeit gewahrt ist. Aber auch das Bedenken, daß bei Strafbestimmungen mit bestimmten Tätigkeitsbeschreibungen der Zeitpunkt des Handlungsbeginns auf den Anfang der unmittelbaren Tatbestandshandlung beschränkt sei, ist nicht schlüssig. Bei Handlungsbeschreibungen wie Wegnehmen oder Vorspiegeln sieht man sich bekanntlich nicht vom Wortlaut gehindert, eine mittelbare Verwirklichung durch ein die unmittelbare Handlung ausführendes Werkzeug anzunehmen. Es besteht daher kein Grund, bei anderen Handlungsmerkmalen anders zu verfahren. 26 Lediglich kann hier das Erfordernis der Eigenhändigkeit bedingen, daß eine mittelbare Begehung nur durch den auch die unmittelbare Handlung ausführenden Täter möglich ist – also im Fall der a.l.i.c. Bei Strafbestimmungen, die wie die den Gegenstand der Entscheidung BGHSt. 42, 235 bildenden Straßenverkehrsdelikte das Führen eines Kfz verlangen, ist es deshalb sachentsprechend und gesetzeskonform, den Täter, der sich in einen die Schuldfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und dabei den Vorsatz hat, in diesem, wie es dann geschieht, ein Kfz zu führen, aus den einschlägigen Strafbestimmungen zu bestrafen. Die gegenüber der Tatbestandslösung erhobenen Bedenken sind daher nicht überzeugend, so daß der 3. Strafsenat sich bei seiner Bekräftigung der a.l.i.c. auf juristisch sicherem Boden bewegt. Das Festhalten an der Rechtsfigur bestätigt zugleich, daß auch der Senat keinen Ersatz in § 323a StGB zu sehen vermag. Es geht in den von der a.l.i.c. erfaßten Fällen eben um mehr als das in dieser Vorschrift geregelte abstrakte Gefährdungsdelikt. Deshalb gibt es auch kaum jemand, der die a.l.i.c. auf solchem Wege ersetzen möchte. 27 Es ist zu hoffen, daß es dem BGH bald gelingt, die Rechtssicherheit in diesem Bereich wiederherzustellen und dabei ein sachentsprechendes Konzept zugrunde zu legen. Der vorliegende Beschluß des 3. Strafsenats bildet hierzu einen wichtigen Schritt.

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Näher Spendel, JR 1997, 133, 135 f. Eine Gesetzesinitiative des Landes Berlin vom 19. 2. 1997 (BR-Drs. 123/97), in besonders schweren Fällen den Strafrahmen des § 323a StGB bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe anzuheben, wäre nicht wegweisend. Abgesehen von ernsten Bedenken, die sich unter dem Blickwinkel des Schuldprinzips gegenüber einer solchen Strafschärfung bei diesem Tatbestand erheben, würde es dabei bleiben, daß § 323a StGB nur ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist und daher den Unrechtsgehalt der a.l.i.c.-Fälle nicht ausschöpft. 27

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Grundfragen von Ehre und Beleidigung 1998 I. Ernst Amadeus Wolff hat sich im Jahre 1969 in einem Aufsatz mit dem Thema „Ehre und Beleidigung“ befaßt. 1 Er setzte sich in dem Beitrag näher mit meiner zwei Jahre zuvor erschienenen Monographie über das gleichlautende Thema 2 auseinander, wobei er teils abweichende, teils zustimmende Standpunkte vertreten hat. Das fast zeitgleiche Interesse an der Klärung dieser diffizilen Probleme läßt es reizvoll erscheinen, die Entwicklung, die das Gebiet in den seither vergangenen drei Jahrzehnten genommen hat, einer näheren Betrachtung zu unterziehen. In der Nachkriegszeit bestand bis Ende der sechziger Jahre in Wissenschaft und höchstrichterlicher Rechtsprechung eine starke Tendenz, im Rahmen des Ausbaus des Persönlichkeitsschutzes den Ehrenschutz zu verstärken. 3 Das war auch der Anlaß, sich damals wissenschaftlich näher mit der Materie zu befassen. Alsbald begann jedoch das Pendel immer mehr in die entgegengesetzte Richtung auszuschlagen. Die gewöhnlichen Beleidigungsfälle, die als Privatklagedelikte schon vorher in besonderem Maße das Schicksal dieser Deliktsgruppe teilten, nicht selten wegen Geringfügigkeit (nach § 383 Abs. 2 StPO) eingestellt zu werden, hatten nunmehr nur noch sehr geringe Chancen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Seit der Einführung des § 153a StPO, der das öffentliche Interesse zum allgemeinen Kriterium der Praxis für die Durchführung eines Strafverfahrens werden ließ, fiel das Privatklageverfahren schon per definitionem aus dem instanzrichterlichen Verständnis des Strafrechts heraus. 4 Das dadurch entstandene Rechtsschutzvakuum hat der in jener Zeit entwickelte zivilrechtliche Ehrenschutz nicht zu schließen 1

Wolff, ZStW 81 (1969), 886 ff. Hirsch, Ehre und Beleidigung, 1967. 3 Vgl. BGHZ 13, 334; 26, 349; 30, 7; Entw. eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes v. 18. 8. 1959; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1953; Jescheck, GA 1957, 365 ff.; Henkel, Gutachten, 42. DJT 1958, Bd. II / D 1, 59 ff.; Helle, NJW 1961, 1896 ff.; Gallas, ZStW 75 (1963), 16 ff.; Weitnauer, GA 1963, 31 f.; u. a. 4 Näher dazu Hirsch, Lange-Festschrift, 1976, 815 ff.; Rössner, Altern. Kommentar StPO, 1996, Vor § 374 Rdn. 6 ff. Daß in der Polizeilichen Kriminalstatistik die Beleidigungsdelikte immerhin den zehnten Platz in der zahlenmäßigen Rangfolge der Straftaten einnehmen (worauf Wessels, Bes. Teil 1, 21. Aufl. 1997, Rdn. 457 hinweist), spiegelt das 2

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vermocht. Er bietet, wie man schon damals prophezeien konnte, in der Praxis wegen des höheren Kostenrisikos und der vergleichsweisen Schwerfälligkeit keinen Schutz der „kleinen Leute“. 5 Das Rechtsschutzdefizit ist zusätzlich dadurch begünstigt worden, daß der Begriff „Ehre“ seit Ende der sechziger Jahre ebenso wie Schuld, Pflichtbewußtsein, Treue, Sittlichkeit udgl. in den Ruf des Verstaubten geriet. Der enge Bezug zur Moral und die schillernde Verwendung des Wortes „Ehre“ in früheren Zeiten lassen ihn in der heutigen Welt leicht als Relikt vergangener Epochen und Ausdruck subjektiver Überempfindsamkeit erscheinen. Diese Abwertung des Ehrbegriffs ist dann auch noch vom Bundesverfassungsgericht gefördert worden, indem es der Meinungsfreiheit zumeist den Vorrang eingeräumt hat. 6 Interessant ist an der Entwicklung, daß der Rückzug des strafrechtlichen Schutzes – trotz nur unzureichender zivilrechtlicher Alternative – als mehr oder weniger schicksalhaft hingenommen worden ist. Dagegen hat die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, bei der es allerdings nicht um „Allerwelts“-Fälle ging, heftige Kritik in Öffentlichkeit und Wissenschaft ausgelöst. 7 Die geschilderte Entwicklung bedeutet nun allerdings nicht, daß man den strafrechtlichen Ehrenschutz als abgestorbenes Gebiet zu betrachten hätte, für das jedes wissenschaftliche Bemühen vertane Zeit wäre. Die Straftatbestände existieren weiter, und ihre Abschaffung ist nicht Thema ernsthafter Reformerwägungen. 8 Zudem haben die Tatbestände nach wie vor erhebliche praktische Bedeutung bei der Beleidigung von Amtsträgern und im Zusammenhang mit rassistischen Bemerkungen, die regelmäßig im Offizialverfahren verfolgt werden. Außerdem gibt es nach wie vor Entscheidungen, in denen auch in Normalfällen eine Verurteilung aus den §§ 185 ff. StGB erfolgt. Im übrigen wandelt sich der Zeitgeist schnell, wie man gegenwärtig am Sexualstrafrecht und Strafverfahrensrecht beobachten kann. Sich mit den strafrechtlichen Beleidigungstatbeständen zu befassen, ist daher von mehr als nostalgischem Interesse.

Bedürfnis der Bevölkerung an strafrechtlichem Schutz in diesem Bereich wider, läßt aber unberührt, daß die Verfolgungsintensität der Strafrechtspflege nur gering und die Verurteiltenziffer sehr niedrig ist. 5 Dazu Hirsch, Lange-Festschrift, 815, 820. Zu weiteren Problemen einer zivilrechtlichen Ersatzlösung siehe ders., Engisch-Festschrift, 1969, 304 ff. 6 Vgl. die Rspr.-Übersicht bei Lenckner, in: Schönke / Schröder (Sch / Sch), 25. Aufl., 1997, § 193 Rdn. 15 ff., 19, und die Darstellung bei Ignor, Der Straftatbestand der Beleidigung, 1995, 96 ff. 7 Vgl. Schwinge, Ehrenschutz heute, 1988; Kiesel, NVwZ 1992, 1129; Sendler, NJW 1993, 2157; Isensee, AfP 1993, 619, 626 f.; ders., Kriele-Festschrift, 1997, 1; Krey, JR 1995, 221; Kriele, NJW 1994, 1897; u. a. 8 Auch bei der Zuordnung zum Ordnungswidrigkeitenrecht, wie sie ein nicht weiter verfolgter Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 11/1040, 7, vorgeschlagen hat, würde sich an den tatbestandlichen Grundfragen nichts ändern.

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II. 1. Bei der Ehre als dem durch die Beleidigungstatbestände geschützten Rechtsgut ging es in den sechziger Jahren um die Frage, ob ein faktischer Ehrbegriff, der sich aus dem tatsächlichen Ehrgefühl und dem tatsächlichen guten Ruf des einzelnen zusammensetzt, oder ein normativer Ehrbegriff, bei dem es um die Respektierung des auf die Personwürde gegründeten ehrspezifischen Werts der Person geht, oder eine dualistische Ehrauffassung (normativ in bezug auf Äußerungen gegenüber dem Betroffenen selbst, tatsächlicher guter Ruf hinsichtlich Äußerungen gegenüber Dritten) zugrunde zu legen ist. 9 In meiner Monographie hatte ich die Gründe, die für den normativen Ehrbegriff und gegen die anderen Deutungen sprechen, im einzelnen auseinandergesetzt und die Ehre definiert als denjenigen Aspekt der Personwürde, der besteht im „Wert, den der Mensch unter den für sie (sc. die Ehre) maßgebenden Wertgesichtspunkten ... aufweist: dem Geltungswert-Status“, aus dem der entsprechende Achtungsanspruch fließt. 10 E.A. Wolff hat demgegenüber unter Berufung auf geschichtliche Entwicklungen und auf Ausführungen Hegels ein abweichendes Ehrkonzept entworfen. 11 Im einzelnen führte er aus: Die Ehre wurzele einerseits in der Freiheit und Selbständigkeit der Person, was man in der Gegenwart als das „Sich-Konstituieren“ des Menschen zu begreifen habe, sie wurzele andererseits in den Beziehungen zu den anderen und der „Gemeinschaft“, was aber wieder – vor allem in Gestalt von Erziehungsakten – zur Selbständigkeit verhelfe: „Die Konstitution (Erkenntnis) der Selbständigkeit ist keine Trennung vom anderen. Der eine bleibt vielmehr mit anderen verbunden, nun aber anerkannt als einer, der wie er seine Richtigkeit sucht. Außerdem bleibt seine Richtigkeit beschränkt. Man weiß nur sehr begrenzt, wieweit man konkretes Für-richtig-Halten eigener vernünftiger Setzung und Einsicht verdankt oder wieweit man sie von einem übernommenen allgemeinen Willen abgeleitet hat. Das hängt schon damit zusammen, daß man seine Selbständigkeit an wirklichen und damit an beschränkten Akten erfahren hat ... Die Selbständigkeit bleibt labil ... Gerade die Unsicherheit und Schwäche in der Konstitution der Selbständigkeit macht es, daß der einzelne vom anderen auch weiterhin abhängig bleibt ... Die eigene Selbständigkeit zu vergrößern und sie vor Verminderung durch eigene fremdbestimmte Festgelegtheiten zu bewahren, macht es notwendig, das Verhältnis zum anderen als Status gegenseitiger Begründung aufrecht zu erhalten ... In einem solchen Verhältnis bleibt dem anderen die Möglichkeit, als gleichberechtigtes Ich den einen anzugreifen ... Einen solchen Angriff heißt man eine Ehrverletzung. Man wird dann die Ehre definieren können als das die Selbständigkeit ermöglichende Anerkennungsverhältnis.“ 12 9

Vgl. Hirsch (Fn. 2), 1 ff. Hirsch (Fn. 2), 30. 11 Wolff (Fn. 1), 896 ff.

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Auf dieser Sicht beruht nach Wolff 13 auch die rechtliche Regelung der Beleidigung: „Auch für das Recht ist ‚Ehre‘ das die Selbständigkeit ermöglichende Anerkennungsverhältnis“, wenn auch „in einer besonderen Formung“, die sich durch besondere rechtliche Institute und Normen (z. B. Vertragsautonomie, Eigentum, Schutz von körperlicher Integrität) kundtut. Die Beleidigungsvorschriften bringen einen „zusätzlichen Schutz“ des Anerkennungsverhältnisses, und zwar gegen Verletzungen des personalen Verhältnisses „wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins“ als solchem (während andere personale Rechtsgutsverletzungen bei handgreiflichen Gegebenheiten wie Körper, Bewegungsfreiheit ansetzen). „Ehre“ soll danach also „das die Selbständigkeit ermöglichende Anerkennungsverhältnis“ sein. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob eine solche Definition nicht durch ihre Weite den Ehrbegriff um seinen spezifischen Sinngehalt bringt. Vertragsautonomie, Eigentum, Schutz von körperlicher Integrität haben zwar etwas mit der Freiheit der Person zu tun, aber doch wohl kaum etwas mit der Ehre. Selbst das umfassende allgemeine Persönlichkeitsrecht und das frühere weitgreifende Persönlichkeitsdelikt der iniuria beziehen sich nicht auf die Vertragsautonomie und das Eigentum. Wie die vorstehende Darstellung der Auffassung Wolffs zeigt, beabsichtigt er natürlich nicht, alle Aspekte seines weiten Ehrbegriffs als Gegenstand der Beleidigung anzusehen. Er will den Beleidigungsvorschriften vielmehr im Zusammenhang der Ehre einen engeren Schutzbereich zuweisen. Sie sollen einen „zusätzlichen Schutz“ jenes Anerkennungsverhältnisses bieten, nämlich gegen Verletzungen des personalen Verhältnisses „wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins“ als solchem. Der durch die Beleidigungsbestimmungen geschützte Schutzbereich wäre danach das „personale Verhältnis ‚wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins‘ als solches“. Diese Konstruktion hat zwar insoweit Ähnlichkeit mit der beim normativen und anderen Ehrbegriffen vertretenen Auffassung, als sie im Gegenstand der Beleidigung nur einen Ausschnitt aus den Schutzbereichen der Person sieht. Sie unterscheidet sich davon aber dadurch, daß sie nicht von vornherein den Ehrbegriff auf den Gegenstand der Beleidigung beschränkt. Auch beruft sie sich auf den Inhalt rechtlicher Vorschriften, während sonst eine solche Eingrenzung entsprechend dem allgemeinen Begriffsverständnis bereits aus dem Ehrbegriff als einem von Rechtsregelungen unabhängigen Befund entnommen wird. Man wird darüber hinaus Zweifel haben, ob die Definition, nach welcher der durch die Beleidigungsvorschriften geschützte Schutzbereich das personale Verhältnis wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins als solches bedeuten soll, 12 Die zitierten Stellen finden sich bei Wolff (Fn. 1), 898 –901. Sie sind schon von Engisch, Lange-Festschrift, 1976, 401, 416 f. in dieser Weise zur Wiedergabe der Gedankenfolge und Auffassung zusammengestellt worden, „damit nicht persönliche Mißverständnisse eine Entstellung bewirken.“ 13 Fn. 1, 901.

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Gewinn an Klarheit bringt. Sie vermag nur auszudrücken, daß es bei der Beleidigung um einen Angriff auf die Personbeziehung als solche geht. Aber daß man es mit einem Delikt zu tun hat, das die Außenbeziehung der Person betrifft, ist unstreitig. Gesucht wird danach, um welchen Aspekt der Personalität es sich genau handelt. Im Unterschied zu den Vertretern des normativen Ehrbegriffs, die vom (ehrspezifischen) Geltungswert und dem daraus fließenden Achtungsanspruch sprechen, ist bei Wolff von einem personalen „Anerkennungsverhältnis“ die Rede. 14 Daß es dabei nicht um tatsächliche Anerkennungsbekundungen gehen kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung; denn niemand ist durch die personale Ehre gehalten, entsprechende tätige Achtungserweise zu erbringen. Auch ein ständiges inneres Gesonnensein, die Ehre anderer zu respektieren, wird nicht verlangt. Es geht nur darum, daß ein Mensch qua Person ein Unterlassen der Mißachtung seiner Ehre beanspruchen kann. Ebenfalls läßt sich nicht von einem tatsächlichen Beziehungsverhältnis zwischen bestimmten Personen sprechen. Ehre besteht auch gegenüber der Anonymität der Allgemeinheit. Das alles bedeutet, daß die Personeigenschaft zwar auf andere bezogen ist, aber nicht aufgrund eines faktischen Anerkennungsverhältnisses, sondern weil die Entwicklung der menschlichen Kultur jedermann die Personeigenschaft zuspricht und damit jedem die entsprechenden Ansprüche, ihn als Person nicht zu mißachten, zubilligt. Wenn man das als „Anerkennungsverhältnis“ bezeichnen will – was sprachlich an sich eine zuvor bestehende Beziehung zwischen den Beteiligten voraussetzen würde und daher hier zumeist auf eine Fiktion hinausläuft –, so handelt es sich dabei aber jedenfalls um einen normativen Begriff, der von der Auffassung der Vertreter des normativen Ehrbegriffs insoweit nur sprachlich-terminologisch abweicht. Daß sich in den Ausführungen Wolffs viele Anklänge an den normativen Ehrbegriff finden, hat schon Engisch hervorgehoben, indem er meinte, es deute viel darauf hin, in dem Ehrbegriff Wolffs einen „‚In der Wolle gefärbten‘ normativen Begriff“ zu sehen. 15 2. Wolff hat gleichwohl betont, daß der „richtige“ Begriff der Ehre „weder ein bloß faktischer noch ein bloß normativer“ sei 16, und auch Engisch, der dem Thema „Normativität und Faktizität im Ehrbegriff“ einen ganzen Aufsatz gewidmet hat, gelangt zu der Ansicht, daß sich Normativität und Faktizität in jedem der zur Diskussion stehenden Ehrbegriffe „verschlingen“. 17 Engischs Darlegungen bestätigen, daß Wolff hier einen noch nicht ausreichend erläuterten Punkt angesprochen hatte. Wolff 18 meint, daß man nur „Teilmomente erfasst“, wenn man versuche, die Person und ihre Ehre „ganz dem Normativen und ganz dem Seienden zuzuordnen“. 14 15 16 17 18

Fn. 1, 898 ff., 901 ff. Engisch, Lange-Festschrift, 401, 417. Wolff (Fn. 1), 887. Engisch, Lange-Festschrift, 401, 417. Fn. 1, 887, 903.

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So klingt bei ihm als Faktisches im Ehrbegriff an, daß die „Selbständigkeit“ durch „Akte der Erziehung“ erworben wird und daß sie „an wirklichen ... Akten erfahren wird“. Auch ist davon die Rede, daß das „Anerkennungsverhältnis“ als menschliches Verhältnis eine daseinsmäßige Dimension und eine Wertdimension hat. Aber auch wenn man faktische „Teilmomente“ des normativen und ebenso normative Elemente des faktischen Ehrbegriffs nicht bestreitet, erhebt sich doch die Frage, ob es sich bei diesem Diskussionspunkt nicht vielleicht nur um ein Scheinproblem handelt. Küpper 19 hat mit Recht in Erinnerung gebracht, daß die Bezeichnungen „faktischer“ und „normativer“ Ehrbegriff lediglich den Kern des Unterschieds betonen. Sie sollen die Verschiedenheit zum Ausdruck bringen, die zwischen einem Ehrbegriff, der tatsächliche psychische Befunde (tatsächliches Ehrgefühl des einzelnen, tatsächlich vorhandener guter Ruf) betrifft, und einem Ehrbegriff besteht, bei dem es um den jedem Menschen als Person zustehenden Geltungswert, aus dem ein verdienter Achtungsanspruch fließt, geht. Selbstverständlich hat kein Ehrtheoretiker je bestritten, daß beim faktischen Ehrbegriff auch normative und beim normativen auch faktische Elemente auftauchen. So ist beim faktischen Ehrbegriff der Maßstab, der den Inhalt von Ehrgefühl und Ruf bestimmt, ein normativer. Und beim normativen Ehrbegriff ist das Verhalten des Ehrinhabers, das Einfluß auf den Umfang seines Geltungswerts hat, tatsächlicher Natur. Nicht von ungefähr hat Engisch 20 deshalb bei den Vertretern der verschiedenen Ehrbegriffe Hinweise auf einzelne Gesichtspunkte gefunden, die anderer Natur als die jeweiligen Begriffsbezeichnungen sind. Nur hat man zu beachten – und das bleibt insbesondere in den eingehenden Ausführungen von Engisch unberücksichtigt –, daß sie nicht das für den Begriff Charakteristische ausmachen, sondern in ihm keine für die Differenzierung ausschlaggebende Rolle spielen. Aus der Strafrechtsdogmatik ist uns übrigens die gleiche Problematik von der Unterscheidung normativer und deskriptiver Merkmale her vertraut. Niemand behauptet, daß normative Tatbestandsmerkmale rein normativer Natur sind, und umgekehrt sind auch deskriptiven Merkmalen normative Elemente nicht völlig fremd. 21 Gleichwohl sind die Bezeichnungen, weil den wesentlichen Unterschied treffend, sachgemäß. Bei der Kritik an der Gegenüberstellung von „faktischem“ und „normativem“ Ehrbegriff handelt es sich daher um Einwände, die lediglich auf – auch als solche 19

JA 1985, 453, 454. Engisch, Lange-Festschrift, 401, 406 ff., 417. 21 Zu faktischen Elementen in normativen Tatbestandsmerkmalen vgl. Jescheck / Weigend, Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, 270; Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., 1969, 75 f. Zu normativen Elementen bei deskriptiven Tatumständen vgl. das Kriterium des Todeszeitpunkts, den Umfang des Sachbegriffs nach §§ 90 ff. BGB, die normative Gewahrsamskomponente im Wegnahmebegriff etc. 20

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unbedenkliche – Bezeichnungen fixiert sind, die sachlichen Unterschiede selbst aber nicht berühren. Mit Recht hat sich daher das Gegensatzpaar in der hier aufgezeigten Bedeutung in der Diskussion eingebürgert. 22 3. a) Während der von Wolff vorgeschlagene Ehrbegriff aus den genannten Gründen auf Kritik gestoßen ist 23, läßt sich andererseits feststellen, daß sich in Rechtsprechung und Schrifttum der normative Ehrbegriff durchgesetzt hat. 24 Der frühere faktische Ehrbegriff wird kaum noch vertreten. 25 Es ist geklärt, daß das tatsächliche Ehrgefühl und der tatsächliche gute Ruf sich nicht als Formen der in den §§ 185 ff. StGB geschützten Ehre verstehen lassen. 26 In der Rspr. deutete 22 Vgl. Arzt, JuS 1982, 717 f.; Gössel, Bes. Teil I, 1987, 348 f.; Herdegen, in: Leipziger Kommentar (LK), 10. Aufl., 1989, Vor § 185 Rdn. 5, 8 ff.; Küpper, JA 1985, 453 f.; Lenckner, Sch / Sch, Vor § 185 Rdn. 1; Maiwald, in: Maurach / Schroeder / Maiwald, Bes. Teil I, 8. Aufl., 1995, 230; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar (SK), 5. Aufl., 1996, Vor § 185 Rdn. 2 ff.; Schmidhäuser, Bes. Teil, 2. Aufl., 1983, 60; Tenckhoff, Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1974, 71; Wessels, Bes. Teil 1, Rdn. 455. Von „normativem“ Ehrbegriff sprachen auch schon Arthur Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 430; Gallas, ZStW 75 (1963), 16, 26, und Welzel, Strafrecht, 304 f. 23 Vgl. insbesondere Tenckhoff (Fn. 22), 127, 162, 174; Herdegen, LK, Vor § 185 Rdn. 9, 11; Jakobs, Jescheck-Festschrift, 1985, 627, 632 ff. Dagegen beruft sich Wolffs Schüler Zaczyk für den von ihm vertretenen „interpersonalen Ehrbegriff“ auf Wolffs Ehrauffassung: vgl. Zaczyk, in: Nomos Kommentar (NK), 1995, Vor § 185 Rdn. 1 (was in Rdn. 2 mit der grundsätzlichen Ansicht verbunden wird, daß „anders als bei anderen Rechtsgütern ... die Rechtsanwendung bei der Feststellung von Ehrverletzungen in erhöhtem Maß auf die Einbeziehung der Umstände des Einzelfalls verwiesen“ sei.). Auch Ignor knüpft an Wolffs Ehrbegriff an, verwandelt diesen aber, indem er ihn mit Art. 1 Abs. 1 GG verbindet, der Sache nach in einen personalen Ansatz ([Fn. 6], 176 f., 199 f.).- Die Kritik an der Weite und Unbestimmtheit der Auffassung Wolffs läßt unberührt, daß diese „wie keine Theorie vor ihr ... in feinsinnigen Überlegungen die funktionelle Bedeutung des rechtlichen Schutzes der Ehre für Existenz und Entfaltung der Persönlichkeit im Bezogensein auf andere und für das Zusammenleben, für das humane Milieu einer Gesellschaft“ zum Ausdruck gelangen läßt; so treffend Herdegen, LK, Vor § 185 Rdn. 11. Einige Autoren sprechen im Zusammenhang mit der Ehre auch von einem „Anerkennungsverhältnis“, ohne deshalb jedoch den weiten Ehrbegriff Wolffs zu übernehmen: vgl. Lenckner, Sch / Sch, Vor § 185 Rdn. 1 m.w. N. Hierbei geht es etwa bei Lenckner a. a. O. nur darum, daß der Ehrenschutz über den auch nach seiner Auffassung bei natürlichen Personen in den Blick zu nehmenden (aus der Personwürde abgeleiteten) personalen Geltungswert hinaus ebenfalls auf „Institutionen“ erstreckt werden kann. Aber ganz abgesehen davon, daß Wolff gerade eine Ehre von Kollektivpersonen abgelehnt hat ([Fn. 1], 905), werden die Sachverschiedenheiten, die sich aus der Unterschiedlichkeit beider Subjektbereiche ergeben, damit von vornherein untergepflügt. 24 Zum Schrifttum vgl. die Nachw. oben in Fn. 22, zur Rspr. den folgenden Text sowie auch die weiteren Nachw. in Fn. 65. 25 Anklänge noch bei Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 185 Rdn. 2. In einem neueren Gewand findet er sich bei Knittel, Ansehen und Geltungsbewußtsein, 1985, 15 f. (guter Ruf und das in diesem fundierte Geltungsbewußtsein). 26 Näher zu den dabei ausschlaggebenden Einwänden Hirsch (Fn. 2), 14 ff.; sie haben in entsprechender Weise auch für die in Fn. 25 zitierte neuere Auffassung Gültigkeit.

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sich bereits in BGHSt (GrS) 11, 67 (70 f.) der normative Ehrbegriff an. Es heißt dort: „Angriffsobjekt der Beleidigung ist die dem Menschen ... zukommende innere Ehre, außerdem seine darauf beruhende Geltung, sein guter Ruf innerhalb der mitmenschlichen Gesellschaft.“ Weiterhin ist dort die Rede davon, jeder habe einen Rechtsanspruch darauf, „daß weder seine innere Ehre noch sein guter äußerer Ruf geringschätzig beurteilt“ wird. Das weist zwar zunächst auf die in Teilen der früheren Literatur vertretene dualistische Ehrauffassung hin („zukommende innere Ehre“ als Angriffsobjekt von Äußerungen gegenüber dem Betroffenen und „guter äußerer Ruf“ als Gegenstand von Äußerungen gegenüber Dritten). 27 Diese in einer Richtung einen normativen, in der anderen einen faktischen Ehrbegriff vertretende Auffassung ist evidentermaßen widersprüchlich; denn entweder geht es bei der Ehre um die verdiente Geltung – und damit um einen einheitlichen normativen Ehrbegriff –, oder man stellt bei beiden Angriffsobjekten auf psychische Befunde ab und vertritt damit eine einheitlich faktische Sichtweise. Betrachtet man die Ausführungen in dem Plenarbeschluß aber genauer, so fällt auf, daß der BGH – im Unterschied zu der dualistischen Literaturmeinung – auch in bezug auf den „guten äußeren Ruf“ davon spricht, daß aus der mit der „Personenwürde“ verknüpften, dem Menschen „zukommmenden inneren Ehre“ der Anspruch des Ehrträgers fließt, „entsprechend seiner inneren Ehre behandelt (zu) werden“. Dies deutet darauf hin, daß der gute Ruf jedenfalls nur insoweit, wie er jemandem zukommt, vom Ehrbegriff umfaßt sein soll. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, wie es überhaupt noch auf das Vorhandensein eines äußeren (guten) Rufs ankommen kann, wenn sich aus dem inneren Wert, der dem Ehrträger zukommt, auch hinsichtlich Äußerungen gegenüber Dritten ein verdienter Achtungsanspruch ableitet. Dieser Anspruch besteht dann doch ganz unabhängig von dem, was sich bei jemandem als tatsächlicher Ruf gebildet hat. Wenn der BGH hier von „gutem Ruf“ spricht, wäre damit deshalb allgemein diejenige Außenbeziehung des Ehrträgers gemeint, die durch herabsetzende Äußerungen gegenüber Dritten verletzt werden kann. Der Sache nach tendiert daher schon dieser Plenarbeschluß nicht nur in einer Richtung, sondern im Ergebnis in beiden zum normativen Ehrbegriff. Inzwischen findet sich in der 1989 ergangenen Entscheidung BGHSt 36, 145 (148) unter dem Einfluß der wissenschaftlichen Diskussion eine klarere Stellungnahme. Nunmehr heißt es: „Ein Angriff auf die Ehre wird geführt, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen mindern würden. Nur durch eine solche ‚Nachrede‘ ... wird der aus der Ehre fließende verdiente Achtungsanspruch verletzt.“ Indem der BGH klar von einem „zu Unrecht“ Nachsagen, vom „Geltungswert“ und vom „verdienten Achtungsanspruch“ spricht, liegt er damit voll und ganz auf der Linie des in den sechziger Jahren präzisierten normativen Ehrbegriffs. 27

Siehe Frank, StGB, 18. Aufl., 1931, I vor § 185, I zu § 185; v. Liszt / Schmidt, Strafrecht, 25. Aufl., 1927, 506; Kohlrausch / Lange, StGB, 43. Aufl., 1961, II vor § 185; u. a.

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b) Was nun den normativen Ehrbegriff im einzelnen angeht, hat sich noch kein Konsens hinsichtlich der exakten Definition gebildet. Einige Autoren sprechen schlicht vom verdienten Achtungsanspruch. 28 Zumeist wird von der Ehre als dem wahren inneren Wert oder dem Geltungswert gesprochen und davon, daß aus der Ehre ein entsprechender Achtungsanspruch fließt. 29 Wenn man die Ehre allein im verdienten Achtungsanspruch sieht, so läßt sich juristisch zwar schnell erklären, daß die Ehrverletzung im Zuwiderhandeln gegen diesen Anspruch besteht. Jedoch erhebt sich das Bedenken, daß man damit dem Ehrbegriff die Basis entzieht. Zu respektieren ist doch der ehrrelevante „innere“ Wert oder genauer der Geltungswert der Person. Der Achtungsanspruch ist erst dessen Ausfluß. Stellt man nur auf ihn ab, setzt man daher zu spät an. Das wird sofort deutlich, wenn man zum Vergleich auf einen anderen normativen Begriff blickt: den des Eigentums. Dieser ist nicht hinreichend damit erfaßt, daß man ihn als Eigentumsachtungsanspruch definiert. Betrachtet man die vorherrschende Ansicht, die bei der Bestimmung des Ehrbegriffs auf den wirklichen (ehrrelevanten) Wert der Person abstellt, so findet sich dagegen das, was respektiert werden soll, innerhalb des Ehrbegriffs. Liest man die üblichen Formulierungen, so scheint die Ehre dabei allein in diesem Wert gesehen zu werden. Zwar ist von einem aus ihr fließenden verdienten Achtungsanspruch die Rede, aber der Anspruch wird nicht als Teil der Ehre, sondern diese wird als Voraussetzung und ihre Respektierung als Gegenstand des Achtungsanspruchs betrachtet. Hier aber taucht nun das Problem auf, wie dann die Ehre durch einen Außenstehenden verletzbar sein soll. Der ehrrelevante wahre Wert der Person kann nur durch den Ehrträger selbst gemindert werden. Der Einwirkung anderer Personen ist er entzogen. Man könnte daher bei einem so verstandenen normativen Ehrbegriff nicht von einer Ehrverletzung durch Äußerungen anderer sprechen, sondern nur noch von einer begangenen Anspruchsverletzung. Mit Recht hat Wolff deshalb bei dieser Frage Klärungsbedarf angemahnt und nach dem logischen Zusammenhang von normativem Ehrbegriff und Ehrverletzung gefragt. 30 In meiner Monographie hatte ich mich zwar mit diesem Problem befaßt und dabei schon darauf hingewiesen, daß man von Verletzung der Personwürde, des Eigentums, eines Vertrags etc. bei der Verletzung von Ansprüchen spricht, die auf Respektierung dieser Positionen gerichtet sind, ohne daß sich an

28 So Arthur Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 430 f.; Gallas, in: Niederschr. Große Strafr. Komm. Bd. IX., 1959, 24, 25, 50; ders., ZStW 75 (1962), 16, 25 f.; auch Begr. zu § 173 E 1962. 29 BGHSt. 11, 67, 70 f.; 36, 145, 148; Herdegen, LK, Vor § 185 Rdn. 1, 3, § 185 Rdn. 1; Hirsch (Fn. 2), 30; Küpper, JA 1985, 453; Tenckhoff (Fn. 22), 94, 181; Welzel, Strafrecht, 303 f.; u. a. 30 Fn. 1, 889 f.

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deren Bestand etwas ändert. 31 Aber die damalige Erklärung war noch unzureichend. Zur Aufhellung der Problematik ist auch hier wieder ein Blick auf den Eigentumsbegriff von Nutzen, dessen Strukturen stärker geklärt und auch geläufiger sind. Bei ihm lautet die zur vorliegenden Problematik parallele Frage: Woran liegt es, daß wir in den Fällen der Zueignung einer fremden Sache von einer Eigentumsverletzung sprechen, obwohl die Zueignung an der Eigentumslage – der bisherige Eigentümer bleibt dies weiter – nichts ändert? Die Antwort lautet: Weil das Eigentum sich nicht allein in dem Titel, Eigentümer der Sache zu sein, erschöpft. Vielmehr gehört zu ihm die sich aus dem Eigentumstitel ergebende Herrschaftsmacht. Sie ist es ja gerade, was die Eigentumsinhaberschaft interessant werden läßt. Deshalb wird vom Eigentum als Herrschaftsverhältnis der Menschen über Dinge gesprochen, und zwar eines solcherart, daß andere davon ausgeschlossen werden. 32 Juristisch ist daher auch vom umfassendsten Herrschaftsrecht die Rede 33, und in § 903 BGB wird der Inhalt dieser Herrschaftsbeziehung im Grundsätzlichen dahingehend bestimmt, daß der Eigentümer mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Derjenige, der sich eine fremde Sache zueignet, greift somit in die Eigentumssphäre ein und begeht mithin eine Eigentumsverletzung. Betrachtet man zum Vergleich den normativen Ehrbegriff, so ist bezüglich der Begriffsstruktur der Eigentumstitel (die Eigentumslage) dem wirklichen (ehrrelevanten) Wert der Person (ihrem Geltungswert) vergleichbar, und der Herrschaftsmacht entspricht der sich daraus ergebende Status der Person, ihrem Geltungswert gemäß respektiert, nämlich nicht unverdient hinsichtlich dieses Werts herabgesetzt zu werden. 34 Ebenso wie der Eigentumsbegriff – und mehrere andere normati31

Hirsch (Fn. 2), 29 ff. Vgl. Kimminich / Kerber / Watrin, in: Staatslexikon, Bd. 2, 7. Aufl., 1995, 166. Beim Eigentum paßt dabei der Begriff „Verhältnis“, weil es um die Herrschaft über eine konkrete Sache geht. 33 Vgl. Baur / Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl., 1992, 233 m.w. N. 34 Zu diesem Ergebnis ist in eingehender Erörterung auch Tenckhoff gelangt ([Fn. 22], 82 ff., 96). Er unterscheidet dabei zwischen der Ehre (dem Geltungswert) als dem geschützten Rechtsgut der §§ 185 ff. StGB und dem aus ihr fließenden Achtungsanspruch als Handlungs-(Angriffs-)Objekt. Dem hat sich ausdrücklich Herdegen angeschlossen (LK, Vor § 185 Rdn. 1 u. 3, § 185 Rdn. 1). Tenckhoff zeigt die mit dem – aus dem Geltungswert sich ergebenden schon vorrechtlichen – Achtungsanspruch eröffneten Chancen und Nutzungsmöglichkeiten für den Ehrinhaber auf (95 f.). Jene Unterscheidung ist weiterführend, solange man dabei nicht ein Nebeneinander von Rechtsgut und Handlungsobjekt annimmt (was insbesondere bei Herdegen a. a. O. anzuklingen scheint), sondern das Handlungsobjekt als Teil des geschützten Rechtsguts, also der Ehre, begreift. Nur dann kann bei einem Zuwiderhandeln gegen den Achtungsanspruch von einer Ehrverletzung gesprochen werden. – Soweit im Schrifttum bei der Erläuterung des Ehrbegriffs trotz grundsätzlichen Gegensatzes zu der weiten Ehrauffassung Wolffs von einem „Anerkennungsverhältnis“ die 32

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ve Begriffe – hat der Ehrbegriff also zwei Ebenen: eine Basisebene und eine Wirkungsebene. Infolgedessen läßt sich vom normativen Ehrbegriff her die Ehrverletzung durchaus sachentsprechend erklären. Es ließe sich daran denken, es handele sich bei den zwei Ebenen um die bekannte Gegenüberstellung von „innerer“ und „äußerer“ Ehre. Demgegenüber ist aber zu beachten, daß man darunter herkömmlich etwas anderes versteht. Zwar geht es hier wie dort um den Unterschied von „innen“ und „außen“. Aber mit „äußerer Ehre“ meint man herkömmlich den tatsächlichen guten Ruf. 35 Das Begriffspaar ist daher auf den normativen Ehrbegriff schon deshalb nicht übertragbar, weil bei diesem Begriff der tatsächliche gute Ruf keine konstitutive Bedeutung hat. Vor allem aber geht es hier nicht um ein Gegensatzpaar, sondern um zwei Ebenen des Ehrbegriffs: die Basis (der wahre Wert) und die sich aus ihr ableitende Respektierungssphäre. Parallel zum Eigentumsbegriff wäre eher von Ehre i. e. S. und Ehre im umfassenden Sinne zu sprechen. Der normative Ehrbegriff läßt sich nach alledem definieren als der (nach den ehrrelevanten Maßstäben zu bestimmende) wahre Geltungswert der Person und der sich daraus ergebende personale Status, entsprechend respektiert, nämlich hinsichtlich dieses Geltungswerts nicht unverdient herabgesetzt zu werden. 4. Einen weiteren Diskussionspunkt bilden die Ehrmaßstäbe. Mitte der sechziger Jahre war h.M., es gehe um den sittlichen und sozialen Wert. 36 In meiner Monographie hatte ich die Weite und Unschärfe dieser Maßstäbe kritisiert und von der personalen Grundlage des Ehrbegriffs her auf den – von mir näher umrissenen – personalen Geltungswert abgestellt. 37 Insbesondere ging es dabei um zwei Punkte. Erstens: die Folgerungen daraus zu ziehen, daß die Personwürde nicht in ihrer Gesamtheit zum Ehrbegriff gehört, sondern dieser nur einen ihrer Aspekte betrifft; zweitens: aufzuzeigen, daß der Gesichtspunkt „sozialer Wert“ keine eigenständige Rolle neben dem personalen Geltungswert spielt – für den es nach Rede ist, hängt dies offenbar auch mit der Verletzungsfrage zusammen. Daß eine solche Deutung der Ehre jedoch keine alternative Erklärung der Ehrprobleme eröffnet, wurde oben bereits aufgezeigt. – Wolff hat kritisiert, hinsichtlich der Ehre (i.S. der normativen Auffassung) von einem Geltungsstatus zu sprechen, da ein Status nur etwas Tatsächliches betreffen könne ([Fn. 1], 888). Hierzu ist zu bemerken, daß aus dem Geltungswert jene Position der Person entspringt, die es ihr ermöglicht, von anderen respektiert zu werden. Hierbei geht es in der Wirkung – wie beim Eigentumsbegriff – auch um Tatsächliches: den tatsächlichen Zustand, ungestört von ehrabsprechenden Kundgaben anderer existieren zu können. Außerdem ist der Umfang des Geltungswerts negativ variabel, so daß es auch insoweit berechtigt ist, von einem Ehrstatus zu sprechen. 35 Vgl. zur Verwendung der Bezeichnung „äußere Ehre“ die Nachweise bei Hirsch (Fn. 2), 1 f.,3 f., 8. 36 Hirsch (Fn. 2), 72 ff. 37 Vgl. die Nachw. bei Hirsch (Fn. 2), 77. Einen auf die sittliche Seite begrenzten Ehrbegriff hatte dagegen früher insbesondere Binding, Die Ehre im Rechtssinne und ihre Verletzbarkeit, 1890, 8 ff. vertreten.

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der von mir vertretenen Auffassung auf das Fehlen von (nicht nur geringfügigen) sozialethischen Pflichtverstößen und das Nichtvorliegen von elementarer menschlicher Unzulänglichkeit ankommt –, und die sich daraus ergebenden Grenzen der Ehre und der Beleidigung zu markieren. Die Überlegungen zum ersten Punkt haben sich weitestgehend durchgesetzt. Der BGH hat in der erwähnten Entscheidung BGHSt 36, 145 (148) bezüglich der Ehre nicht nur ausdrücklich vom personalen Geltungswert gesprochen, sondern auch gleichzeitig betont, daß die Ehre lediglich einen Aspekt der Personwürde betrifft, nicht identisch mit dieser und dem Bereich ist, auf den sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht erstreckt. 38 Auch die großen Kommentierungen von Herdegen, Lenckner und Rudolphi vertreten diese Linie. 39 Tenckhoff hat sich jedoch in seiner umfassenden Monographie über „Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände“ entschieden dafür ausgesprochen, „die Menschenwürde“ als „konstanten Ehrfaktor“, und zwar neben dem Gesichtspunkt der Pflichterfüllung, einzuordnen 40: Sie soll seiner Ansicht nach in dreifacher Hinsicht Gegenstand der Beleidigung sein können. Zum einen geht es um „elementare menschliche Unzulänglichkeiten“. Dieser Bereich wird indes ebenso von der begrifflich engeren, auf den personalen Geltungswert abstellenden Auffassung erfaßt, so daß es insoweit nicht der von Tenckhoff vorgeschlagenen Erweiterung bedarf. Ein zweiter Bereich soll die „zoologischen Schimpfwörter“ betreffen. Sie würdigten den vernunftbegabten Menschen auf die Stufe eines Tieres herab. Bei der Verwendung von Tiernamen ist jedoch genauer zu differenzieren. In der Regel dienen sie dazu, bestimmte Wesenseigenschaften, die üblicherweise der betreffenden Tierspezies beigelegt werden, zum Ausdruck zu bringen, beispielsweise „Schwein“ für perverse sexuelle Triebhaftigkeit oder für Unsauberkeit, Niedertracht udgl., dagegen Löwe für Mut und Tapferkeit, Täubchen für Zartheit etc. Deshalb bedeutet die Benutzung von Tiernamen nicht schon allein deshalb, weil ein Vergleich mit einem Tier gewählt wird, eine Negierung der Ehre, sondern es kommt auf den Bedeutungsgehalt an, und wenn dieser ehrenrührig ist, dann geht es regelmäßig um die Symbolisierung von sozialethisch normwidrigen 38 BGHSt 36, 145, 148. Daher wird dort bei der Frage der Anwendbarkeit des § 185 StGB auf sexuelle Angriffe nicht lediglich eine Konkurrenzlösung (wie sie Gallas, ZAkDR 1941, 15 f. forderte) vertreten, sondern bereits ein Angriff auf die Ehre verneint, solange nicht in dem Verhalten des Täters eine das Opfer bezüglich seines Geltungswerts herabsetzende Bewertung zum Ausdruck gelangt (a. a. O., 149 f.). Der Senat schließt sich dabei ausdrücklich der schon von Welzel, MDR 1951, 501 f. vertretenen und vom Verf. näher ausgeführten ([Fn. 2], 61 ff.) Auffassung an. Siehe zu der Entscheidung auch die zust. Anmerkungen von Hillenkamp, NStZ 1989, 529 f. und Otto, JZ 1989, 803 f. Von Wolffs weitem Ansatz aus wäre eine solche sachentsprechende Eingrenzung bei konsequenter Anwendung nicht möglich. 39 Herdegen, LK, Vor § 185 Rdn. 2; Lenckner, Sch / Sch, § 185 Rdn. 2; Rudolphi, SK, Vor § 185 Rdn. 17. Dort auch w. Nachw. 40 Tenckhoff (Fn. 22), 178 f., 181.

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Verhaltensweisen. Ist der Erklärungswert aber einmal umfassender so geartet, daß mit der Bezeichnung als Tier das Fehlen jeglicher Personqualität ausgedrückt wird, so handelt es sich hier ebenfalls um die auch von der personalen Ehrauffassung anerkannte Kategorie „elementare menschliche Unzulänglichkeiten“. Als dritte Gruppe nennt Tenckhoff schließlich „die Behandlung eines Menschen als nicht den allgemein-menschlichen Regeln und Konventionen unterstehend“. Diese Gruppe ist noch deutlicher zu weitgehend formuliert; denn unter sie fielen wörtlich genommen alle möglichen Angriffe gegen die Person, z. B. das Verprügeln. Gemeint ist etwas Engeres. Tenckhoff nennt als Beispiel, daß jemand gezwungen wird, seinen eigenen Urin zu trinken. Betrachtet man diesen Fall, so handelt es sich über die Nötigung hinausgehend darum, daß jemand dadurch als minderwertig dargestellt wird, daß man ihn zwingt, etwas zu tun, was gegen sozialethische Normen verstößt oder auf elementare menschliche Unzulänglichkeiten schließen ließe. Man ist also auch hier wieder bei den obengenannten Kriterien des personalen Ehrbegriffs. Abgesehen davon, daß es zur Lösung der von Tenckhoff angeführten Fallgruppen eines Rückgriffs auf den allgemeinen Begriff der Menschenwürde nicht bedarf, wäre dieser das Einfallstor zur Auflösung des Ehrbegriffs. Bedenkt man nur die Weite, die Art. 1 GG aufweist, so würde die Ansicht Tenckhoffs – entgegen dessen grundsätzlicher Intention 41 – der Hebel zur Umfunktionierung der Beleidigung in ein allgemeines Persönlichkeitsdelikt sein. Dies und die sich daraus ergebenden unerquicklichen Folgen für die strafrechtliche Tatbestandsbestimmtheit zu verhindern, war aber eine der Aufgaben der Strafrechtsdogmatik. 42 Wie die Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, sind die entsprechenden Bemühungen auch erfolgreich gewesen. 43 Bei den zwei Gesichtspunkten des personalen Geltungswerts geht es also um die Einhaltung sozialethischer Pflichten – wobei strafbewehrte Rechtspflichten von besonderem Gewicht sind – und um das Freisein von elementaren menschlichen Unzulänglichkeiten. Der erste Gesichtspunkt wird als „sittlicher“ Wert von jeher als primärer Ehrgesichtspunkt angesehen. Während der „sittliche“ Wert von dem personalen – als Aspekt der Personwürde verstandenen – Ehrbegriff her einen der beiden Bereiche des personalen Geltungswerts darstellt, will Lenckner 44 die Bezeichnung „personaler Wert“ nur der zweiten Gruppe vorbehalten und auf solche Weise „sittlichen“ und „personalen“ Wert nebeneinander stellen. Leitet man den Ehrbegriff jedoch vom Personbegriff ab – und 41

Tenckhoff (Fn. 22), 43 ff., 174 f. Schon Gallas hatte in ZStW 75 (1963), 16, 38 darauf aufmerksam gemacht, daß die völlige Einbeziehung der Personwürde in den Ehrbegriff darauf hinauslaufen würde, daß die Beleidigung sich ... in ein allgemeines Persönlichkeitsrecht auflöst. 43 Vgl. oben bei Fn. 38. 44 Lenckner, Sch / Sch, § 185 Rdn. 2. 42

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gerade das erklärt die Außenwirkung der Ehre, wie sich gezeigt hat –, dann spielt der „sittliche“ (sozialethische) Geltungswert innerhalb des personalen eine zentrale Rolle. Der Sache nach dürfte es sich hierbei aber nur um eine terminologische Divergenz handeln. Umstritten ist dagegen weiterhin die Rolle des Gesichtspunkts „sozialer“ Wert. 45 Von mir war ihm keine selbständige Bedeutung neben dem personalen Wert zugesprochen worden, weil die Fälle, die man dabei üblicherweise im Auge hat, Verhaltensweisen des Ehrträgers betreffen, die gegen sozialethische Pflichten verstoßen und deshalb schon in den Bereich des personalen Geltungswerts gehören. So werden bei Lenckner und anderen Autoren Fälle genannt, in denen jemandem ganz oder teilweise die Fähigkeit aberkannt wird, seinen Beruf oder sonstige Aufgaben wahrzunehmen. 46 In der Tat ist dabei ein Ausschnitt aus der sozialen Stellung des Menschen betrofffen. Aber betrachtet man das noch etwas genauer, so wird deutlich, daß es auch bei diesen Fällen um Verstöße gegen sozialethische Pflichten geht, d. h. um sozialethisch pflichtwidrige Verhaltensweisen der Ehrinhaber. In den Fällen wird dem jeweiligen Ehrinhaber vorgeworfen, eine soziale Funktion übernommen zu haben oder weiterzuführen, obwohl ihm dazu ganz oder teilweise die Fähigkeit fehlt. Die Ursache dafür, daß in der Literatur die Lösung vielfach über eine separate Kategorie „sozialer Wert“ gesucht wird, hängt offenbar damit zusammen, daß der Begriff „Sittlichkeit“ in der Jurisprudenz oft in einem engeren Sinne verstanden wird als in der Ethik, die den Gesamtbereich der sozialethischen Pflichten in ihn einbezieht. Auch hier handelt es sich deshalb eher um eine terminologische Divergenz als um einen Gegensatz in der Sache. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn man den Begriff „sozialer Wert“ wörtlich nimmt und deshalb aus ihm mehr als den vorgenannten Bereich ableiten will. Otto etwa schreibt, daß der Ehrbegriff auch der unterschiedlichen personalen Entfaltung des Menschen in Leistungen und „auf die Gemeinschaft hin entworfenen Werken“ umfassend Rechnung tragen müsse. 47 Und auch schon Wolff hatte sich von seinem Ausgangspunkt des Anerkennungsverhältnisses her dafür ausgesprochen, auch die „die Selbständigkeit ... bewahrende Unterschiedenheit“ dem uns interessierenden Ehrbegriff zuzuordnen. 48 Für diese Auffassung scheint auf 45 Neben dem sittlichen resp. personalen Wert wird er weiterhin als selbständiger Maßstab angeführt von BGH NStZ 1986, 453, 454; 1988, 69; Geppert, Jura 1983, 532; Lackner / Kühl, StGB, 22. Aufl., 1997, Vor § 185 Rdn. 1; Lenckner, Sch / Sch, § 185 Rdn. 2; Otto, Schwinge-Festschrift, 1973, 71, 81 f.; Maiwald (Fn. 22), 231 f.; Tröndle, § 185 Rdn. 7. In BGHSt 36, 145, 148 wird die Frage der selbständigen Relevanz offengelassen. – Zum sozialen Begriff der Ehre bei Jakobs, Jescheck-Festschrift, 627 ff. siehe die Kritik von Zaczyk, NK, Vor § 185 Rdn. 6 sowie Rudolphi, SK, Vor § 185 Rdn. 5a; Gössel, Bes. Teil I, 348; Maiwald a. a. O. Zu früheren sozialen Ehrauffassungen näher Hirsch (Fn. 2), 45 ff. 46 Vgl. Lenckner, Sch / Sch, § 185 Rdn. 2. 47 Otto, Schwinge-Festschrift, 80. So auch Jakobs, Jescheck-Festschrift, 640; Maiwald (Fn. 22), 232. 48 Wolff (Fn. 1), 897 sowie 898 ff.

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den ersten Blick zu sprechen, daß man im Sozialleben in bezug auf besondere Leistungen „Ehrungen“ der Betreffenden vornimmt und davon spricht, sie gereichten jenen zur „Ehre“. Andererseits ist zu bedenken, daß das Wort sich im Bereich der Konvention in vielfältiger Form erhalten hat (so auch in „Es ist mir eine Ehre“ etc.). Was die Rechtsordnung interessiert, ist jedoch etwas Präziseres: die Ehre, die Gegenstand einer Beleidigung sein kann. Hierbei ist als erstes zu beachten, daß diese Ehre jedenfalls niemals das Erbringen positiver Achtungserweise gebietet. Wer es unterläßt, jemandem besonderer Leistungen wegen besonderen Respekt zu bekunden, begeht keine Beleidigung. Eine solche besteht vielmehr immer im Negieren ehrrelevanter Faktoren. 49 Es geht also um ein (regelmäßig partielles) Absprechen der Ehre. Die Frage lautet mithin, ob das Absprechen von besonderen Leistungen als Beleidigung anzusehen ist. Begeht etwa derjenige, der von einem großen Schriftsteller sagt, der Betreffende sei keine literarische Größe, damit eine Beleidigung? Oder derjenige, der eine von einem Politiker erbrachte besondere Leistung als ein nur zufälliges Ergebnis objektiver Geschehnisse darstellt? Schon im vorigen Jahrhundert hat man herausgearbeitet, daß all dies mit der Ehre, um die es bei der Beleidigung geht, nichts zu tun hat. 50 Man sprach bezüglich der besonderen Leistungen und Verdienste vom Gebiet der „freien Tat“, das außerhalb des zur Erörterung stehenden Ehrbegriffs liegt. Der Bereich der Ehre ist erst dann berührt, wenn ein sozialethischer Pflichtverstoß in Rede steht, z. B. wenn es sich darum handelt, daß eine fremde Leistung als eigene vorgetäuscht wird – also im Falle eines ehrenrührigen Verhaltens. Positivrechtlich bestätigen dies auch die in den §§ 186, 187 StGB benutzten Formulierungen „verächtlich zu machen“ und „herabzuwürdigen“. Sie drücken klar aus, daß es um Fundamentaleres geht als um eine zu niedrige Einstufung sozial bedeutsamer Leistungen, nämlich um das Rügen eines Defizits an personalem Geltungswert. Es bestätigt sich daher, daß es sich bei dem Ehrbegriff, auf den sich der Beleidigungsbegriff bezieht, eben um den personalen Ehrbegriff handelt, für den die obengenannten beiden Maßstäbe – in ihrem engeren sozialen Bezug – bedeutsam sind, nicht aber eine eigenständige, zudem uferlose und der sozialen Nützlichkeit das Tor zur Ehrrelevanz öffnende allgemeine Rubrik „sozialer Wert“. 51 Verständlicherweise ist auch schon seit lan49 So auch BGHSt 36, 145, 148 (Nachsagen von „Mängeln“ an Geltungswert); Herdegen, LK, Vor § 185 Rdn. 15 ff.; Lenckner, Sch / Sch, Vor § 185 Rdn. 1, § 185 Rdn. 3; Tenckhoff (Fn. 22),40, 181; Welzel, Strafrecht, 306. Zum ganzen Hirsch (Fn. 2), 54 ff. 50 Zunächst Köstlin, Abhandlungen, 1858, 2. Weitere Nachw. bei Hirsch (Fn. 2), 55 Fn. 29. 51 Näher dazu Herdegen, LK, Vor § 185 Rdn. 12 ff.; Hirsch (Fn. 2), 77 ff., auch 45 ff., 52 f., 74; so ebenfalls Rudolphi, SK, Vor § 185 Rdn. 3 f.; Welzel, Strafrecht, 303; der Sache nach auch Tenckhoff (Fn. 22), 49 f. (bei „sozialem Wert“ gehe es nur um vorwerfbare Pflichtverstöße). Da Wolff das von ihm angenommene gegenseitige Anerkennungsverhältnis nur insoweit als Schutzbereich der Beleidigung ansieht, wie das „personale Verhältnis wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins“ betroffen ist ([Fn. 1], 901), würde sich eigentlich auch für ihn die hier bezeichnete, von ihm jedoch kritisierte Umgrenzung ergeben.

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ger Zeit keine Gerichtsentscheidung bekanntgeworden, die den Ehrenschutz der Rechtsgenossen über die vorbezeichneten Grenzen hinaus ausgedehnt hätte. 5. Der allgemeine Gesichtspunkt „sozialer Wert“ hat es der herkömmlichen Auffassung jedoch erleichtert, auch eine Ehre von Kollektivpersonen anzunehmen und sie als durch die §§ 185 ff. StGB geschützt zu erklären (so namentlich BGHSt 6, 186). Daran war in meiner Monographie sowohl hinsichtlich der Begründung als auch bezüglich der Bejahung der Strafbarkeit Kritik geübt worden. 52 Zwar gelangte ich zu der Feststellung, daß es bei korporativen Gesamtheiten ein der menschlichen Ehre paralleles Phänomen gibt, dieses sich jedoch nicht einfach aus dem „sozialen Wert“ ableiten läßt, sondern sich auf einen mit einer QuasiPersonalität verbundenen Geltungswert stützt. Die auf diese Korporationsehre anzuwendenden Maßstäbe sind, soweit sie inhaltlich auf Korporationen passen, die gleichen wie bei der menschlichen Person. So läßt sich insbesondere beobachten, daß der „personale“ Geltungswert von Korporationen sich danach bestimmt, inwieweit ihre Organe sich bei ihrem Verhalten in Einklang mit sozialethischen Pflichten halten. Zu unterscheiden von der Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine Korporationsehre gibt, ist aber die zweite Frage, ob eine solche Ehre auch durch die §§ 185 ff. StGB geschützt wird. Dies habe ich wegen der unterschiedlichen Schutzwürdigkeit grundsätzlich verneint und die sich aus der Antragsregelung des § 194 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 StGB ergebende gesetzliche Einbeziehung von Behörden und Gesetzgebungsorganen (herausgehobenen Teilobjekten des korporativen Ehrinhabers Staat) als positivrechtliche Ausnahmefälle eingestuft. Wolff meinte weitergehend, daß Kollektivpersonen schon begrifflich keine Ehre haben könnten. 53 Betrachtet man die seitherige Entwicklung, so ist jedenfalls zu verzeichnen, daß die in BGHSt 6, 186 vertretene Auffassung in der Praxis keine größere Bedeutung erlangt hat, und auch in der Literatur geht man zunehmend zu ihr auf Distanz. 54 52

Hirsch (Fn. 2), 91 ff., 113 ff. Wolff (Fn. 1),905. Unklar ist allerdings, wenn er gleichzeitig (905 Fn. 33) moniert, daß der unterschiedliche Subjektcharakter von natürlichen Personen und Korporationen noch nicht deren Achtungsanspruch zu einem aliud mache. 54 In einigen Entscheidungen wird zwar auf BGHSt 6, 186 verwiesen, so in: BGHSt 36, 83, 88; BayObLG StV 1982, 576; JZ 1990, 348; OLG Düsseldorf MDR 1979, 692; Köln NJW 1979, 1723; Frankfurt NJW 1989, 1367. Aber nur in OLG Köln NJW 1979, 1723 und BayObLG StV 1982, 576 handelte es sich um Fälle, in denen es um die Beleidigung einer privatrechtlichen korporativen Personengesamtheit ging (Bank, Wohnungsgenossenschaft), wobei im ersten Fall gemäß § 193 StGB freigesprochen und im zweiten wegen unzureichender Prüfung dieser Vorschrift zurückverwiesen wurde. Auch ist in BVerfG NJW 1995, 3304 allein von der Verfassungskonformität der aus § 194 Abs. 2 Satz 2 StGB zu entnehmenden Einbeziehung von Behörden und sonstigen Stellen, die Aufgaben der 53

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6. Gestritten wird – im Strafrecht – weiterhin über die Möglichkeit einer Ehre von Verstorbenen. Die vorherrschende Ansicht lehnt sie ab, ist aber in sich uneinig, was durch § 189 StGB geschützt sein soll. 55 Die traditionellen Auffassungen reichen vom Pietätsgefühl der Angehörigen über dessen Erweiterung auf das Pietätsgefühl der Allgemeinheit bis zum Schutz des sozialen Friedens. 56 Juristischer Ausgangspunkt der einschlägigen strafrechtlichen Judikatur ist die Begründung des Reichsgerichts, daß mit dem Tod des Menschen dessen Rechte aufhörten und das aus der Ehre fließende Recht nicht auf die Erben übergehe. 57 Ein anderer Ausgangspunkt ist die naturalistische Sichtweise, die Ausdruck fand in der bekannten Bemerkung: „Der Tote kann nun einmal nicht beleidigt werden; er ist nicht mehr, im Grabe liegen Gebeine.“ 58 Demgegenüber habe ich darauf hingewiesen, daß es ein postmortal fortwirkendes Interesse des Lebenden gibt, schutzwürdige Werte seiner Persönlichkeit zu achten: hier, daß seine Ehre, wie sie im Zeitpunkt des Todes bestanden hat, nicht nach seinem physischen Ableben verunglimpft wird. 59 Im Zivil- und Verfassungsrecht hat sich im Gegensatz zum Strafrecht eine solche Sicht auch längst durchgesetzt. In beiden Rechtsgebieten ist ein postmortaler Persönlichkeitsschutz herausgearbeitet worden, der auch die Ehre umfasst. 60 Nachdem das Bundesverfassungsgericht den postmortalen Persönlichkeitsschutz sogar als verfassungsrechtlich garantiert erklärt hat 61, kann das Strafrecht an dessen Existenz nicht mehr vorübergehen. Daher nimmt der Kreis der strafrechtlichen Autoren zu, die § 189 StGB vom postmortalen Persönlichkeitsschutz her erklären wollen. Streitig ist hier dann nur noch, ob es dabei um die Ehre selbst geht. 62 Lenckner will als Gegenstand des postmortalen Schutzes öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, die Rede. In der Literatur wird im Anschluß an BGHSt 6, 186 noch verbreitet „unter gewissen Voraussetzungen“ ein Schutz von Kollektivpersonen durch die §§ 185 ff. StGB angenommen; vgl. Lenckner, Sch / Sch, Vor § 185 Rdn. 3 und die dortigen Nachw. Jedoch haben sich zunehmend wie hier Autoren gegen eine über die Fälle des § 194 StGB hinausgehende Strafbarkeit ausgesprochen, so Gössel, Bes. Teil I, 352; Herdegen, LK, Vor § 185 Rdn. 15; Otto, Grundk. Strafrecht, Bes. Teil, 4. Aufl., 1995, 109; Wagner, JuS 1978, 674, 676; Welzel, Strafrecht, 305 f., Zaczyk, NK, Vor § 185 Rdn. 12. Siehe auch schon Arthur Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418 ff., 445; Krug, Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, 1965, 203 ff. De lege ferenda für Beschränkung auf natürliche Personen Krey, Bes. Teil 1, 10. Aufl., 1996, Rdn. 412. 55 Lenckner, Sch / Sch, Vor § 185 Rdn. 2; Lackner / Kühl, § 189 Rdn. 1; Maiwald (Fn. 22), 233; Rudolphi, SK, § 189 Rdn. 7; Zaczyk, NK, § 189 Rdn. 2; jeweils. m.w. N. Siehe auch OLG Düsseldorf NJW 1967, 1142; Wolff (Fn. 1), 904. 56 Nachw. bei Lenckner, Sch / Sch, § 189 Rdn. 1. 57 Vgl. RGSt 13, 95 f. 58 Eckstein, Die Ehre in Philosophie und Recht, 1889, 113. 59 Hirsch (Fn. 2), 125 ff. 60 Vgl. BGHZ 15, 249, 259; 26, 52, 68; 50, 133, 136 ff.; 107, 384, 391; BVerfGE 30, 173, 194 f. 61 BVerfGE 30, 173, 194 (aufgrund von Art. 1 Abs. 1 GG); auch h.L. im verfassungsrechtlichen Schrifttum; vgl. die Nachw. bei Hunger, Das Rechtsgut des § 189 StGB, 1996, 86 Fn. 18.

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nicht die Ehre ansehen, sondern spricht von einer „Nachwirkung des Schutzes der Persönlichkeit ..., die in der postmortalen Respektierung der menschlichen und sozialen Leistung des Verstorbenen ihren Ausdruck findet“. 63 Aber damit ist das, was gemäß § 189 StGB an Nachwirkendem zu respektieren ist, erheblich zu weit gefaßt. Es ist allgemein anerkannt, daß der Inhalt der Verunglimpfung beleidigender Natur i.S. der §§ 185 ff. StGB sein muß. Geschützt wird nicht der Nachruhm. Vielmehr ergibt sich: Sobald man § 189 StGB sachentsprechend mit einem postmortal nachwirkenden Persönlichkeitsschutz erklärt, dann geht es bei dem Tatbestand um denjenigen Aspekt der Persönlichkeit, den man als Ehre versteht. 64 Es zeigt sich somit, daß auch in diesem Bereich die herkömmliche Auffassung abbröckelt. III. 1. Daß sich der normative Ehrbegriff durchgesetzt hat, heißt nun allerdings nicht, daß daraus übereinstimmende Konsequenzen für die Auslegung der Beleidigungstatbestände gezogen würden. Gewisse Tendenzen sind jedoch erkennbar. Wie schon hervorgehoben, hat der normative Ehrbegriff deutlichen Niederschlag in der Auslegung des § 185 StGB gefunden. Indem die h.M. hier darauf abstellt, daß der verdiente Achtungsanspruch verletzt sein muß, und daher bei denjenigen ehrenrührigen Tatsachenäußerungen, die unter diese Vorschrift fallen (d. h. denen gegenüber dem Betroffenen selbst), das Vorliegen der Unwahrheit verlangt, versteht sie begrifflich konsequent „Beleidigung“ als Ehrverletzung i.S. der normativen Ehrauffassung. 65 Die in den sechziger Jahren lebhaft diskutierte Frage, ob in § 185 StGB nicht, wie vom Reichsgericht angenommen, für Tatsachenäußerungen die gleichen Anforderungen wie bei § 186 StGB genügen sollten 66, betraf nicht den normativen Ehrbegriff. Es ging vielmehr darum, daß nach der Gesetzesterminologie das Wort 62 Für Ehre: Herdegen, LK, § 189 Rdn. 2; Welzel, Strafrecht, 305, 315; Schmidhäuser, Bes. Teil, 60, 67; Otto, Bes. Teil, 121; Hunger (Fn. 61), 115 ff., 137. 63 Lenckner, Sch / Sch, § 189 Rdn. 1. 64 Näher Hunger (Fn. 61), 119 ff. Die selbständige tatbestandliche Regelung neben den §§ 185 bis 187 StGB erklärt sich damit, daß durch die Vorschrift der Strafschutz der Ehre des Verstorbenen klargestellt und dessen sachentsprechende engere Umgrenzung markiert wird. 65 BayObLG NJW 1959, 57; OLG Köln NJW 1964, 2121; Koblenz MDR 1977, 864; Lenckner, Sch / Sch, § 185 Rdn. 6; Krey, Bes. Teil I, Rdn. 391; Lackner / Kühl, § 185 Rdn. 11; Rudolphi, SK, § 185 Rdn. 4; Tröndle, § 186 Rdn. 12, m.w. N. 66 Für Beibehaltung der vom RG in st. Rspr. (seit RGSt 1, 260) vertretenen Auslegung nachdrücklich Hartung, NJW 1959, 640 f.; ders., ZStW 71 (1959), 385, 388 f.; ders., NJW

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„Beleidigung“ damals auch in § 186 StGB verwandt wurde und übrigens auch heute noch an einigen Stellen in einer über den Bereich der Ehrverletzungen hinausgehenden Bedeutung auftaucht. 67 Das verband sich mit von Praktikerseite vorgebrachten Argumenten, die gegen eine Einschränkung der von § 185 StGB erfaßten Tatsachenäußerungen auf Ehrverletzungen und für einen vorverlegten Ehrenschutz angeführt wurden. Diese Erwägungen haben jedoch mit der Streichung des Wortes „Beleidigung“ in § 186 StGB und der allgemeinen, allenfalls auf gravierende Beleidigungsfälle ausgerichteten Verfolgungspraxis ihre Relevanz verloren. 2. Die aus dem normativen Ehrbegriff resultierenden Streitpunkte liegen bei ehrenrührigen Tatsachenäußerungen gegenüber Dritten. Zunächst ist allerdings festzustellen, daß das StGB bei der Verleumdung sogar ausdrücklich den normativen Ehrbegriff zugrunde legt. Indem nämlich § 187 StGB die Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache als Tatbestandsmerkmal angibt, wird von ihm der normative Ehrbegriff vorausgesetzt: denn damit wird auf die verdiente Achtung abgestellt. Im objektiven Tatbestand des § 187 StGB wird also ein Fall der Verletzung der Ehre i.S. des normativen Ehrbegriffs beschrieben. Die Probleme liegen bei der Regelung der Üblen Nachrede in § 186 StGB, die nicht die Unwahrheit verlangt, sondern auf den Wahrheitsbeweis abstellt. Auch hier von einem Tatbestand der Ehrverletzung i.S. des normativen Ehrbegriffs auszugehen, wäre nur unter der Voraussetzung möglich, daß man bei der Vorschrift von einer vermuteten Ehrverletzung ausgehen könnte. Als Anknüpfungs- punkt ließe sich an die praesumptio boni denken. Dies führt aber nicht weiter. Ganz abgesehen davon, daß strafrechtliche Verurteilungen wegen begangener, in Wahrheit jedoch nur vermuteter Rechtgutsverletzungen nicht akzeptabel sind 68, ist auch die subjektive Tatseite zu bedenken. Aus der Vermutung des Bestands der Ehre folgt nicht, daß auch der Vorsatz der Ehrverletzung, d. h. der Unwahrheit, zu vermuten ist. Solange der – die objektive Tatseite betreffende – Wahrheitsbeweis des § 186 StGB nicht geführt werden kann, würde sogar eine unwiderlegliche gesetzliche 1965, 1743 ff.; auch Maurach, Bes. Teil, 4. Aufl., 1964, 147; Hirsch (Fn. 2), 204 ff., und heute Gössel, Bes. Teil I, 362; Herdegen, LK, § 185 Rdn. 36 ff.; Otto, Schwinge-Festschrift, 83 f.; ders., Bes. Teil, 112; Tenckhoff, JuS 1989, 35, 36 f. Für einige Autoren löste sich die Problematik damit, daß sie unter § 186 StGB alle ehrenrührigen Tatsachenäußerungen, also ebenfalls die gegenüber dem Betroffenen selbst, subsumierten (so Nagler / Schaefer, in: LK, 8. Aufl., 1958, V vor § 185; Welzel, Strafrecht, 10. Aufl., 1967, 297). Gegen diese letztgenannte Auffassung im einzelnen Hirsch (Fn. 2), 147 ff.; sie wird seither nicht mehr vertreten. 67 Dazu Hirsch (Fn. 2), 209. In § 186 StGB fand sich bis zur Neufassung im Jahre 1975 die Formulierung „wird ... wegen Beleidigung ... bestraft“, und in § 194 und § 200 StGB ist noch heute in einem den § 186 StGB einbeziehenden Sinne von „Beleidigung“ die Rede. 68 Nachdrücklich betont das mit Recht Herdegen, LK, § 186 Rdn. 3. Anders aber Maiwald (Fn. 22), 249 (§ 186 sei Fall vorsätzlicher Ehrverletzung aufgrund Umkehrung des Satzes in dubio pro reo); Otto, Bes. Teil, 112 f.

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Vorsatzvermutung die Konsequenz sein. Die Konstruktion liefe daher auf eine nur fiktive Straftat hinaus. Das bedeutet allerdings nicht, daß das Gesetz in § 186 StGB von einem anderen Ehrbegriff als sonst ausgeht. Einer solchen Möglichkeit stehen nicht nur die oben – bei den Ausführungen zum Ehrbegriff – angeführten grundsätzlichen Überlegungen und die tatbestandliche Nachbarschaft zu § 187 StGB entgegen, sondern auch die Notwendigkeit eines homogenen Begriffs der Ehre als geschütztem Rechtsgut der §§ 185 ff. StGB und vor allem der in § 186 StGB vorgesehene Wahrheitsbeweis. Würde es um einen anderen – namentlich faktischen – Ehrbegriff gehen, wäre die auf den verdienten Achtungsanspruch bezogene Wahrheitsfrage ein Fremdkörper. Daher ist der Tatbestandsinhalt des § 186 StGB im Vorfeld der Verletzung der Ehre (i.S. ihres normativen Begriffsverständnisses) zu suchen. Ein konkretes Gefährdungsdelikt kommt nicht in Betracht, da die Vorschrift nicht verlangt, daß eine konkrete Gefahrlage für die Ehre entstanden ist, und schon gar nicht einen darauf gerichteten Vorsatz erfordert. Eher ist an ein sog. abstraktes Gefährlichkeitsdelikt zu denken, und das wird auch von der h.M. angenommen. 69 Unter Berufung darauf, daß damit ein abstraktes Gefährdungsdelikt erfüllt sei, läßt sie bekanntlich für die Tatbestandsmäßigkeit genügen, daß die in der Vorschrift genannten Merkmale, ausgenommen die als objektive Strafbarkeitsbedingung eingestufte Nichterweislichkeit der Wahrheit, objektiv und vorsätzlich verwirklicht sind. Dieser den Wortlaut voll ausschöpfenden Auslegung wird jedoch seit langem ein Verstoß gegen das Schuldprinzip vorgehalten. 70 Man kritisiert, daß nach ihr bei einer im Verfahren nicht erweislichen Tatsache der Äußernde, der aus verständlichen Gründen auf die Wahrheit vertraut hat, mit dem Strafrecht in Konflikt gerät. Der Vorschlag, den § 186 StGB deshalb einschränkend dahin auszulegen, daß man die Nichterweislichkeit als Tatbestandsmerkmal einstuft und dadurch mit zum Gegenstand der subjektiven Tatseite macht 71, ist jedoch gescheitert. Denn weder eignet sich die Nichterweislichkeit, die sich ja erst im Verfahrenszeitpunkt eindeutig bestimmen läßt, als Merkmal des objektiven Tatbestands, noch wäre es sachlich angemessen, daß dann beim Irrtum über die Nichterweislichkeit der 69 BGHSt 11, 273, 274, st. Rspr.; Arzt / Weber, Bes. Teil 1, 3. Aufl., 1988, 173 f.; Gössel, Bes. Teil I, 374; Herdegen, LK, § 186 Rdn. 2 ff., 10; Krey, Bes. Teil I, Rdn. 400; Lackner / Kühl, § 186 Rdn. 7a; Lenckner, Sch / Sch, § 186 Rdn. 1, 10; Tenckhoff (Fn. 22), 115 ff.; Tröndle, § 186 Rdn. 12; u. a. 70 Binding, Bes. Teil I, 2. Aufl., 1902, 158 f.; Beling, Üble Nachrede, 1909, 10 ff.; Nagler, in: LK, 6./7., Aufl., 1951, II. 4. zu § 186; Gallas, in: Niederschr. Große Strafr. Komm. Bd. IX, 25; Jescheck, ebd. 33; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), 565, 577; Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., 1969, 313 f. Siehe auch Arthur Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 437. 71 Binding (Fn. 70), 158 f.; Nagler (Fn. 70), II. 3. zu § 185, II. 4. zu § 186; Bemmann, MDR 1956, 387 ff. Kritisch dazu und auch zu der von der „Nichterweislichkeit“ im Tatzeitpunkt ausgehenden Konstruktion Naglers im einzelnen Hirsch (Fn. 2), 158 ff.

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Vorsatz und damit die Strafbarkeit entfiele. Auch Fahrlässigkeit hinsichtlich der verfahrensmäßigen Nichterweislichkeit wäre eine verfehlte Konstruktion. Von mir wurde deshalb eine Lösung vorgeschlagen, die dem Schuldprinzip dadurch Rechnung trägt, daß man einschränkend verlangt, daß der Täter sich in bezug auf die Möglichkeit der Unwahrheit sorgfaltswidrig verhalten hat, d. h. eine fahrlässige Handlungsweise vorliegt, und dann den Wahrheitsbeweis als Strafausschließungsgrund für ein derartiges Verhalten einordnet. 72 Diese Auslegung betrat dogmatisches Neuland, weil sie die Fahrlässigkeit des Verhaltens nicht mit einem Erfolgseintritt verknüpft, wie das damals zumeist noch als dem fahrlässigen Delikt wesensnotwendig angesehen wurde, sondern sich mit Rücksicht auf das in diesem Bereich des Ehrenschutzes bestehende Bedürfnis der Vorverlegung des rechtlichen Schutzes (sich widerspiegelnd in der praesumptio boni u. a.) auf das fahrlässige Verhalten beschränkt. Diesem Lösungsvorschlag stimmte damals sogleich E.A. Wolff in der Tendenz zu. 73 Zunehmend sind weitere Autoren gefolgt. 74 Der Durchbruch ist dieser Tatbestandslösung gleichwohl noch nicht gelungen. Im Vordergrund steht für die h.M. die grundsätzliche These: Da bis zum Beweis der Wahrheit der ehrenrührigen Tatsache die ungeschmälerte Ehre vermutet werde, sei nach § 186 StGB wegen der Möglichkeit, den Ehrinhaber im Ergebnis zu Unrecht in seinem ihm zustehenden Achtungsanspruch zu verletzen, die bloße Äußerung einer ehrenrührigen Tatsache als abstraktes Gefährlichkeitsdelikt verboten. Die Gegenmeinung bedeute das „Ende eines effektiven Ehrenschutzes gegenüber ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen“. 75 Demgegenüber ist bereits darauf hingewiesen worden 76, daß wahre ehrenrührige Tatsachenäußerungen zu den normalen Ausdrucksformen des Soziallebens gehören und daß es auch sehr viel mehr wahre als unwahre gibt. Sie lassen sich deshalb nicht generell zum Gegenstand eines Verbots erklären. Ein solches Verbot existiert nicht: Würde man in der Regel erst nach der Widerlegung der Ehrvermutung negative Tatsachen über die Ehre Dritter äußern dürfen, wären solche Äußerungen – soweit nicht ausnahmsweise eine rechtfertigende Eingriffsbefugnis 72 Hirsch (Fn. 2), 168 ff. Sorgfaltswidrigkeit entspricht der Fahrlässigkeitsdefinition in § 276 BGB: Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Strafrechtlich muß bekanntlich – nach h.M. auf der Schuldebene – die individuelle Voraussehbarkeit hinzukommen. 73 Wolff (Fn. l), 907. 74 Wie hier: Welzel, Strafrecht, 313 f.; Rudolphi, SK, § 186 Rdn. 15; Paeffgen, Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses usw., 1979, 160 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, Abschn. 10/2; Küpper, JA 1985, 453, 459; Streng, GA 1985, 214, 226; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, 305 ff.; Zaczyk, NK, § 186 Rdn. 19. 75 Herdegen, LK, § 186 Rdn. 2. 76 Hirsch (Fn. 2), 153 f.1; siehe auch schon Stratenwerth, ZStW 71 (1959), 565, 577.

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gegeben ist – nur noch statthaft, wenn zuvor eine gerichtliche Feststellung der Wahrheit erfolgt ist. Aber abgesehen davon, daß nach der h.M. der Wahrheitsbeweis gar keinen Einfluß auf die Tatbestandsmäßigkeit haben soll, erhebt sich die Frage, wie es bei Beachtung jenes angeblichen Verbots eigentlich zur Widerlegung der Ehrvermutung kommen soll. Die praesumptio boni kann doch nur widerlegt werden aufgrund vorhergehender Behauptung des Gegenteils, d. h. einer zuvor erfolgten ehrenrührigen Tatsachenäußerung. Die h.M. übersieht, daß die Ehre als Geltungswert und daraus fließendem verdienten Achtungsanspruch darauf angelegt ist, kritisch von außen betrachtet zu werden. Die Variabilität des Umfangs der Ehre, also die Möglichkeit eines verminderten Ehrbestands, würde um seine Bedeutung gebracht, wenn man untersagen wollte, daß jemand nach sorgfältiger Prüfung eine Minderung des Ehrbestands eines anderen behauptet. Zur Funktionsweise der Ehre gehört doch, daß beim Ehrinhaber wegen des jederzeitigen Risikos, daß Außenstehende sich kritisch über seinen geschmälerten Ehrbestand äußern, das Interesse am Unterlassen von Verhaltensweisen geweckt wird, die seinen ehrrelevanten Geltungswert mindern könnten. Die Ehre gegenüber Äußerungen Dritter im Regelfall zu tabuisieren, verkennt daher das Wesen des Ehrbegriffs. Der von Vertretern der h.M. 77 vorgebrachte Hinweis auf § 193 StGB ist trügerisch. Würde man dabei nämlich auf echte Rechtfertigungskriterien – nämlich auf einen wirklichen Kollisionsfall, bei dem wegen eines überwiegenden konkreten Interesses eine ausnahmsweise Eingriffsbefugnis begründet ist – abstellen, so ginge es nur um Ausnahmefälle. Da die h.M. jedoch den § 193 StGB viel weiter interpretiert und darauf hinweist, daß man im Endergebnis deshalb gar nicht so weit voneinander entfernt ist 78, werden von ihr die Rechtfertigungskriterien nicht ernstgenommen. Dies aber läßt die Frage virulent werden, woher die Legitimation einer solchen Rechtfertigung kommen soll. In Wirklichkeit bezieht man sie daraus, daß es bei der Ehre um einen verdienten Achtungsanspruch geht und deshalb über ihren tatsächlichen Umfang gesprochen werden darf, wenn der Kundgebende vorher pflichtgemäß den Wahrheitsgehalt geprüft hat. Fragen, die das geschützte Rechtsgut betreffen, sind jedoch nicht solche der Rechtfertigungsebene. Man räumt daher mit der angeblichen Rechtfertigungskonstruktion ein, daß man von einem nicht unrechtsindizierenden Tatbestand ausgeht. Bei konsequenter – nicht den § 193 StGB als unbestimmtes Notventil denaturierender – Anwendung liefe die h.M. deshalb darauf hinaus, daß jemand, der nach einer die erforderliche Sorgfalt beachtenden Prüfung eine ehrenrührige Tatsache äußert, sich bei Mißlingen des verfahrensmäßigen Wahrheitsbeweises (die auch auf 77

Herdegen, LK, § 186 Rdn. 4; Lenckner, Sch / Sch, § 186 Rdn. 1; u. a. So verweisen Geppert, Jura 1983, 580, 583, und Herdegen, LK, § 186 Rdn. 4, auf die „großzügige“ (Herdegen) Handhabung des § 193 StGB durch die Rechtsprechung. Auf diese Praxis haben auch – als Anhänger einer restriktiven Tatbestandsauslegung des § 186 StGB – schon Wolff (Fn. 1),908, und Rudolphi, SK, § 186 Rdn. 15, hingewiesen. 78

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Zufällen beruhen kann) nach § 186 StGB strafbar gemacht haben kann. Nicht ein rechtspflichtwidriges Verhalten, sondern allein die objektive Nichterweislichkeit konstituierte die Strafbarkeit. Das aber ist eine typische Erfolgshaftung. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß von namhaften Strafrechtstheoretikern, die sich näher mit dem Beleidigungsrecht befaßt haben, in der herrschenden Auslegung des § 186 StGB ein Verstoß gegen das Schuldprinzip gesehen worden ist. 79 Das Beharrungsbestreben der h.M. beruht offenbar auf einer Verquickung von straf- und zivilrechtlichen Maßstäben. Daß sich jemand mangels Fahrlässigkeit nicht wegen Übler Nachrede strafbar gemacht hat, läßt doch ganz unberührt, daß zivilrechtlich eine Ehrvermutung weiterhin greift – wie auch strafrechtliche Freisprüche vom Vorwurf eines Eigentumsdelikts eine etwaige zivilrechtliche Eigentumsvermutung unberührt lassen. So sieht das die h.M. im übrigen bei § 185 StGB auch selbst, indem sie dort die Strafbarkeit ohne Rücksicht auf die Ehrvermutung umgrenzt. Die zu § 186 StGB vertretene h.M. ist eine späte Nachwirkung der früheren Auffassung, die das Strafurteil in Beleidigungssachen als „iudicium duplex“ verstand, nämlich als Urteil, in dem gleichzeitig über den Ehrbestand entschieden wurde. 80 Nach heutiger Entwicklung der Jurisprudenz handelt es sich jedoch um zweierlei. Es geht nicht darum, mit strafrechtlichen Mitteln zivilrechtliche Aufgaben zu bewältigen, sondern die Voraussetzungen einer Straftat sind nach strafrechtlichen Prinzipien zu bestimmen. Das praktische Bedürfnis, beide Aufgaben möglichst in einem Verfahren zu erledigen, betrifft ausschließlich die prozeßrechtliche Seite, nämlich die prozessuale Miterledigung des zivilrechtlichen Anspruchs, was die sachliche Trennung von Straf- und Zivilentscheidung aber unberührt läßt. Vom „Ende des Ehrenschutzes“ kann daher bei einer restriktiven Auslegung des § 186 StGB keine Rede sein. Ein solcher Kassandraruf geht zudem in die falsche Richtung, weil das Ende des strafrechtlichen Ehrenschutzes heute in weiten Teilen der Strafrechtspflege bei strafrechtlich völlig unstreitigen Fällen geprobt wird, während es sich hier nur um die Forderung nach exakter Konturierung des strafrechtlich erfaßbaren Verhaltens handelt. Über die grundsätzliche Ablehnung einer restriktiven Auslegung des § 186 StGB hinaus werden Einwände speziell gegenüber der hier vertretenen Lösung 79 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 70. Daß es keine folgerichtige Lösung darstellt, wenn von der h.M. aus im Hinblick auf das Schuldprinzip auf die Möglichkeit eines Verbotsirrtums insbesondere für die Fälle hingewiesen wird, in denen „der Täter annehmen konnte, er werde seine Äußerung beweisen können“ (so die auf Schwarz / Dreher, 28. Aufl., 1966, 2 D d zu § 186, zurückgehende Ansicht von Tröndle, § 186 Rdn. 12), ist schon vom Verf. (Fn. 2), 157 f., Wolff (Fn. 1), 906 Fn. 35, und Tenckhoff, JuS 1988, 621, 622 aufgezeigt worden. 80 Näher dazu Hirsch (Fn. 2), 178 ff. Zivilrechtlichen Haftungsvorstellungen entspringt auch der Gedanke, daß derjenige, der eine ehrenrührige Tatsache (gegenüber Dritten) äußert, objektiv das Risiko für deren prozessuale Beweisbarkeit zu tragen habe. Mit Maßstäben strafrechtlicher Zurechnung schuldhafter Tatverwirklichung läßt sich das nicht in Einklang bringen.

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erhoben. So wendet Tenckhoff ein, daß die Fahrlässigkeit als einschränkendes Kriterium nicht passe, da fahrlässige Delikte nur Erfolgsdelikte sein könnten, die Unwahrheit hier aber gerade nicht gefordert werde. 81 Dazu ist indes zu bemerken, daß zwar die im StGB geregelten Fahrlässigkeitstatbestände Erfolgsdelikte sind. Dies läßt jedoch unberührt, daß zwischen sorgfaltswidrigem (sprich: fahrlässigem) Verhalten und dem dadurch bewirkten Erfolg zu unterscheiden ist. 82 Infolgedessen setzt Fahrlässigkeit sachlich keinen Erfolgseintritt voraus. In meiner Monographie 83 ist im einzelnen ausgeführt, daß die Gründe, die den Strafgesetzgeber normalerweise dazu veranlassen, auch den Erfolg und dessen Nachweis zur Strafbarkeit zu verlangen, sich bei der Üblen Nachrede mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Ehrenschutzes insoweit umkehren, als hier an den Nachweis des Ausbleibens des Erfolges Straflosigkeit des sorgfaltswidrigen Handelns geknüpft wird. Deshalb steht sachlich nichts entgegen, die Tatbestandsmäßigkeit hier in einem sorgfaltswidrigen (fahrlässigen) Verhalten zu sehen. Ebensowenig überzeugend ist der Einwand Tenckhoffs 84, daß die Aufstellung des Fahrlässigkeitserfordernisses gegen das Gebot der Tatbestandsbestimmtheit verstoße und die Strafbarkeit sachwidrig ausdehne. Es handelt sich hier doch eindeutig um einen restriktiven, also dem Täter zugute kommenden allgemeinen dogmatischen Gesichtspunkt, dessen Grenzen klar sind. Er ähnelt in seiner Funktion dem Konzept der h.L. zum erfolgsqualifizierten Delikt, als sie vor Einführung des Vorläufers des heutigen § 18 StGB zum Zwecke der Wahrung des Schuldprinzips eine Einschränkung durch das Adäquanzerfordernis vornahm, ohne daß deswegen irgendjemand sie eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz bezichtigt hätte. 85 Ferner erscheint es nicht schlüssig, wenn Herdegen 86 es als Schwäche der von mir vorgeschlagenen Lösung bezeichnet, daß sie bei gleichliegendem sorgfaltswidrigen (fahrlässigen) Verhalten nicht hindert, zwar in dem Fall, daß die Beweisaufnahme in der Wahrheitsfrage mit einem non liquet endet, Strafe eintreten zu lassen, dagegen dann, wenn der Wahrheitsbeweis gelingt, Bestrafung auszuschließen. Nach der von ihm für richtig gehaltenen h.M. hängt ja trotz eines als gleichliegend eingestuften Verhaltens (ehrenrührige Tatsachenäußerung) der Ausgang des Verfahrens ebenfalls davon ab, wie es sich mit dem Gelingen des Wahrheitsbeweises verhält. Nur erstreckt sie den Bereich „gleichliegenden Verhaltens“ weiter, indem sie auch die Straflosigkeit des in bezug auf mögliche 81

Tenckhoff (Fn. 22), 115 ff. Jescheck / Weigend, 565 f. m.w. N. 83 Hirsch (Fn. 2), 169 ff. 84 Tenckhoff (Fn. 22), 116. 85 Vgl. zur damaligen Problematik Frank (Fn. 27), III. 2. b) zu § 1 (15 f.); Welzel, Strafrecht, 2. Aufl., 1949, 29. 86 Fn. 22, § 186 Rdn. 4. Siehe auch schon den Hinweis von Wolff (Fn. 1), 907 Fn. 37. 82

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Unwahrheit sorgfaltsgemäßen Verhaltens vom Wahrheitsbeweis abhängig macht. Um die sachliche Angemessenheit, hier zwischen dem non liquet-Fall und dem Fall des gelingenden Wahrheitsbeweises die Grenze der Strafbarkeit zu ziehen, geht es Herdegen daher offenbar nicht. Wenn jedoch nur kritisiert werden soll, daß hier anders als beim fahrlässigen Erfolgsdelikt, bei dem das bezüglich des Erfolgseintritts bestehende non liquet zur Straflosigkeit führt, verfahren wird, also die Konstruktion im Widerspruch zur Fahrlässigkeitssystematik stehen soll, so trifft das nicht den ausschlaggebenden Punkt. Es geht hier gerade nicht um ein fahrlässiges Erfolgsdelikt. Vielmehr besteht das tatbestandliche Unrecht – insoweit übereinstimmend mit der herrschenden Annahme eines abstrakten Gefährlichkeitsdelikts – ausschließlich im Verhalten. Es ist daher folgerichtig und vom Ehrenschutz her sachgemäß, wenn für dieses – nach der hier vertretenen Lösung schon für sich allein selbständig unrechtmäßige und schuldhafte – Verhalten ein (allgemeiner) Strafausschließungsgrund nicht schon bei möglicher Wahrheit, sondern erst bei bewiesener Wahrheit zugebilligt wird. Auch der Gedanke, daß ein einschränkendes Erfordernis „Fahrlässiges Handeln hinsichtlich etwaiger Unwahrheit“ den § 186 StGB unpraktikabel machen würde, verfängt nicht. Die h. M. muß, und zwar auf der Ebene der Rechtfertigung, die gleiche Prüfung vornehmen, da sie für § 193 StGB die pflichtmäßige Prüfung der Sachlage verlangt. 87 Außerdem ist ohnehin die Frage der Erweislichkeit der Wahrheit zu prüfen, und von daher ist ohne großen Beweisaufwand feststellbar, ob die Möglichkeit der Unwahrheit für den Täter voraussehbar gewesen ist. 88 Es findet sich somit bestätigt, daß meine von Wolff und anderen geteilte Auffassung, den Tatbestand des § 186 StGB in der geschilderten Weise restriktiv auszulegen, die sachentsprechende Lösung bildet. Wer bei seiner ehrenrührigen Tatsachenäußerung der in bezug auf die Möglichkeit der Unwahrheit erforderlichen Sorgfalt genügt hat, gerät nicht deshalb mit dem Strafrecht in Konflikt, weil im Verfahren die objektive Wahrheit der geäußerten Tatsache nicht bewiesen werden kann. Die dementsprechende Auslegung markiert die Untergrenze der Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip. Im übrigen ist der erwähnte Hinweis von Vertretern der h.M. bemerkenswert, daß diese in den kritischen Fällen über § 193 StGB ebenfalls zur Straflosigkeit gelange und deshalb der Unterschied in den praktischen Ergebnissen gering sei. 89 Das zeigt, daß die Kritik an der herkömmlichen Auslegung des § 186 StGB als Teilerfolg verbuchen kann, daß wenigstens auf andere Weise – nämlich durch Aufweichung des § 193 StGB – versucht wird, die angemessenen Ergebnisse zu erzielen. Daß aus dieser Entwicklung die systematischen Konsequenzen gezogen werden, ist wohl nur eine Frage der Zeit. 87

Siehe die Nachw. zu Rspr. und Schrifttum bei Lenckner, Sch / Sch, § 193 Rdn. 12 ff. In der Praxis dürfte sich zudem bei Nichterweislichkeit der Wahrheit sehr häufig – wenngleich eben nicht immer – auch ergeben, daß Sorgfaltswidrigkeit des Täters vorliegt. 89 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 78. 88

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IV. Die Präzisierung der Begriffe „Ehre“ und „Beleidigung“ hat auch Bedeutung für Einzelprobleme, die heute in der Praxis von besonderer Aktualität sind: die Umgrenzung des Bereichs der unter einer Kollektivbezeichnung erfolgenden Beleidigung (aktuelle Diskussion zu der Äußerung „Alle Soldaten sind Mörder“) und der Umfang der Erfaßbarkeit von Äußerungen mit antisemitischem Hintergrund. Aus der vorstehenden Erörterung der Grundfragen ergibt sich, daß nur solche Fälle als Ehrverletzung verstanden werden können, bei denen einzelne Personen in ihrer individuellen Ehre betroffen sind und bei denen es um einen Inhalt im Sinne der oben herausgearbeiteten Maßstäbe der Ehrenrührigkeit geht. Was die sich daraus im einzelnen ergebenden Folgerungen betrifft, muß an dieser Stelle jedoch auf die einschlägigen Stellungnahmen in meiner früheren Untersuchung 90, vor allem aber auf die näheren Ausführungen im gegenwärtigen Schrifttum 91 verwiesen werden. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich der normative Ehrbegriff während der vergangenen drei Jahrzehnte in Theorie und Praxis durchgesetzt hat. Auch die Ableitung aus der Personwürde und die gleichzeitige Eingrenzung auf einen von deren mehreren Aspekten haben bis in die höchstrichterliche Judikatur Resonanz gefunden. Überdies spiegelt sich der personale Bezug in den heute überwiegend an die Ehre angelegten inhaltlichen Maßstäben sowie in der festzustellenden Zurückhaltung gegenüber einem strafrechtlichen Ehrenschutz für Kollektivpersonen wider. Ferner hat die normative Ehrauffassung die zunehmende Anerkennung eines postmortalen Ehrenschutzes als Teil des postmortalen Persönlichkeitsschutzes begünstigt. Auch liegt die Entwicklung, die heute bei der Eingrenzung des Unrechts des § 186 StGB – wenn nicht auf der Tatbestands-, so doch wenigstens auf der Rechtfertigungsebene – zu beobachten ist, zumindest in den Ergebnissen weitgehend auf der Linie, die von mir vor drei Jahrzehnten auf der Grundlage des normativen Ehrbegriffs aufgezeigt worden ist. E.A. Wolff ist dafür zu danken, daß er auf damals noch bestehende Begründungsschwächen, insbesondere hinsichtlich der Frage, wie von der normativen Ehrauffassung her die Ehrverletzung zu erklären ist, hingewiesen hat. Auch hat er in feinsinnigen Überlegungen die vielfältige Bedeutung des Schutzes der Ehre für Existenz und Entfaltung der Persönlichkeit im gesellschaftlichen Zusammenleben veranschaulicht. 92 Die weitere Vertiefung und Präzisierung des Ehrbegriffs ist dadurch erheblich angeregt worden.

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Hirsch (Fn. 2), 87 Fn. 97, 112 Fn. 49, 118 Fn. 62. Siehe die Angaben bei Lenckner, Sch / Sch, Vor § 185 Rdn. 5 ff. m.w. N. Vgl. dazu auch das Zitat von Herdegen oben in Fn. 23.

Die Grenze zwischen Schwangerschaftsabbruch und allgemeinen Tötungsdelikten nach der Streichung des Privilegierungstatbestands der Kindestötung (§ 217 StGB a. F.) 2005 Zu den Problembereichen, mit denen sich Albin Eser immer wieder befasst hat, gehören die Straftaten gegen das Leben. Dieser Beitrag, der ihm in alter Verbundenheit zum 70. Geburtstag gewidmet ist, setzt sich daher mit einer aktuellen Frage aus diesem Gebiet auseinander. I. In dem durch das 6. StrRG von 1998 gestrichenen § 217 StGB fand sich bekanntlich die Formulierung „in der Geburt tötet“. Diese Gesetzesstelle wurde von der h. M. regelmäßig in Bezug genommen, um zu belegen, dass der Anfang des durch die allgemeinen Tötungsdelikte (§§ 211 ff. und § 222 StGB) geschützten Rechtsguts und Schutzobjekts „Leben eines Menschen“ – und dementsprechend auch der Beginn des Menschseins bei den Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit (§§ 223 ff. StGB) – nicht erst bei der Vollendung der Geburt, d. h. dem völligen Austritt aus dem Mutterleib, anzusetzen war, sondern bereits bei deren Beginn. 1 In den Beratungen des 6. StrRG ist diese Rolle des bisherigen § 217 StGB unbeachtet geblieben. 2 Jetzt stellt sich die Frage, ob die Abschaffung der Vorschrift zu einer Änderung der Rechtslage hinsichtlich der zeitlichen Zäsur zwischen dem Rechtsgut beim Schwangerschaftsabbruch und dem der einen Menschen schützenden allgemeinen Tötungsdelikte (entsprechend auch des Anfangs der Körperverletzungsdelikte) geführt hat. Im heutigen Schrifttum vertritt Herzberg die Auffassung, dass es nun wie in § 1 BGB erst auf die Vollendung der Geburt ankomme. 3 Die h. L. hält demge1 Siehe RGSt. 1, 446, 447 f.; 9, 131 f.; 26, 178, 179; BGHSt. 31, 348, 350 f.; 32, 194 f.; Horn, in: SK-StGB, 5. Aufl. 1996, § 212 Rn. 3;Jähnke, in: LK-StGB, 10. Aufl. 1989, Vor § 211 Rn. 3; Lackner, StGB, 21. Aufl. 1995, Vor § 211 Rn. 3; Tröndle, StGB, 48. Aufl. 1997, Vor § 211 Rn. 2; Wessels, Strafrecht BT 1, 21. Aufl. 1997, Rn. 10. Zu dieser positivgesetzlichen Begründung siehe auch Küper, GA 2001, 515, 525. 2 Näher dazu Küper, GA 2001, 515, 529 ff. („schlicht übersehen“).

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genüber an der herkömmlichen Auffassung fest. Dabei wird zumeist auf die im bisherigen § 217 StGB enthaltene Regelung verwiesen und vermerkt, dass der Gesetzgeber bei der aus anderen Gründen erfolgten Streichung nicht den für den Beginn des Menschseins ausschlaggebenden Zeitpunkt habe ändern wollen. 4 Eine dritte, von Gropp vertretene Ansicht geht dahin, dass der Fortfall der bisherigen Vorschrift die Möglichkeit eröffne, das Anwendungsgebiet der allgemeinen Tötungsdelikte (und ebenso der Körperverletzungsdelikte) auf den Zeitpunkt der möglichen Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibs auszudehnen, allerdings aus gesetzessystematischen Gründen erst de lege ferenda. 5 Dass der bloße Hinweis auf den alten § 217 StGB und den fehlenden Änderungswillen des Gesetzgebers keine tragfähige Begründung für die h. L. bietet, folgt aus allgemeinen juristischen Grundsätzen. Küper bemerkt zu Recht, dass „aus einem aufgehobenen Gesetz, das nicht mehr gilt, sich nun einmal nichts für das nach dessen Aufhebung geltende Recht“ ergibt. 6 Der fehlende Wille des Gesetzgebers, durch die Streichung der Vorschrift an der bisherigen Rechtslage hinsichtlich des zur Erörterung stehenden Punktes etwas zu ändern, ist ohne Bedeutung, solange er nicht im Gesetz Ausdruck findet. Auch der Hinweis auf Gewohnheitsrecht 7 führt nicht weiter: Wenn ein über längere Zeit in Geltung befindliches Gesetz aufgehoben wird, kann ein solcher Gesetzgebungsakt nicht dadurch konterkariert werden, dass man den alten Rechtszustand dann unter Berufung auf Gewohnheitsrecht weiterbestehen lässt. Außerdem ginge es um strafschärfendes und damit straf- und verfassungsrechtlich unzulässiges Gewohnheitsrecht, da die Tötungsund Körperverletzungstatbestände offensichtlich strenger sind als die des Schwangerschaftsabbruchs. 8 3 Herzberg, in: Bernsmann / Ulsenheimer (Hrsg.), Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen, 2003, S. 39, 49 f., 55, 60. So auch schon Herzberg / Herzberg, JZ 2001, 1106, 1112. 4 Eser, in: Schönke / Schröder, StGB, 26. Aufl., Vor § 211 Rn. 13; Horn, in: SK-StGB, 6. Aufl. 2000, § 212 Rn. 3; Jäger, JuS 2000, 31; Kröger, in: LK-StGB, 11. Aufl. 2002, Vor § 218 Rn. 38; Küpper, Strafrecht DT I, 2. Aufl. 2001, § 1 Rn. 4; Lackner / Kühl, StGB, 24. Aufl. 2001, Vor § 211 Rn. 3; Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, 9. Aufl. 2003, § 1 Rn. 8; R. Merkel, Früheuthanasie, 2001, S. 102 f.; Otto, Strafrecht BT, 5. Aufl. 1998, § 2 Rn. 4; Ulsenheimer, in: Laufs / Uhlenbruck, Hdb. des Arztrechts, 2. Aufl. 1999, S. 1108 f.; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, 27. Aufl. 2003, Rn. 9. Auf unveränderten Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB berufen sich Gössel, Festschr. für Androulakis, 2003, S. 183, 185; Jähnke, in: LK-StGB, 11. Aufl. 2001, Vor § 211 Rn. 3; Küper, GA 2001, 515, 534 ff., und Schneider, in: MüKo-StGB, 2003, Vor §§ 211 ff. Rn. 10. Zweifelnd Struensee, in: Dencker / Struensee u. a. (Hrsg.), Einführung in das 6. StrRG, 1998, S. 29; Paeffgen, in: NK-StGB, 2000, § 223 Rn. 3; Nemann, in: NK-StGB, 2002, Vor § 211 Rn. 8; Tröndle / Fischer, StGB, 51 Aufl. 2003, Vor § 211 Rn. 3. 5 Gropp, GA 2000, 1, 7 ff., 17 f. 6 Küper, GA 2001, 515, 529. 7 Krey, Strafrecht BT 1, 12. Aufl. 2002, Rn. 3; Küper, Strafrecht BT, 4. Aufl. 2000, S. 140 (gestrichen aber 5. Aufl. 2002, S. 142); ders., GA 2001, 515, 536.

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Der Blick richtet sich deshalb auf § 1 BGB. Diese bereits auf das Römische Recht zurückgehende Vorschrift 9 wird häufig als grundsätzliche Regelung angesehen und dementsprechend das Abstellen auf den Beginn der Geburt, wie es in § 217 StGB a. F. ausdrücklich bestimmt war, als ausnahmsweise Vorverlegung erachtet. Man muss jedoch die Verschiedenheit, die zwischen den Fragen der Rechtsfähigkeit und des Rechtsgüterschutzes schon im Grundsätzlichen besteht, im Auge behalten. Bei der Rechtsfähigkeit und Pflichtadressatenfähigkeit geht es um den Rechtsverkehr, und für diesen ist eine äußerlich sichtbare Grenze – nämlich der völlige Austritt aus dem Mutterleib – und damit eben eine völlige körperliche Trennung von der Mutter sinnvoll. Das gilt übrigens ebenso für den Personbegriff der Ethik, da auch bei diesem die Zurechnung von Handlungen eine zentrale Rolle spielt. Bei der Rechtsgutsfrage kommen dagegen andere Gesichtspunkte ins Spiel. Rechtsgut kann grundsätzlich jedes schutzwürdige und -bedürftige Interesse sein, das die Rechtsordnung unter ihre Obhut nimmt. 10 Die Abgrenzungen erfolgen dabei von der Art des Objekts her. Hier interessiert deshalb weniger, von wann an jemand sinnvollerweise Träger von Rechten und Pflichten sein soll – eine rein normativ zu beurteilende Frage –, als vielmehr die Feststellung, bei welchem Zeitpunkt sachlich die Zäsur zwischen „werdendem“ und „fertigem“ Menschen anzusetzen ist. Für eine Zäsur bereits beim Beginn der Geburt spricht, dass von diesem Zeitpunkt an regelmäßig der Reifeprozess des bisherigen Embryos abgeschlossen ist und es jetzt um den Eintritt in das Leben außerhalb des Körpers der Mutter geht. Im Normalfall ist der Betreffende von nun an eigenständig lebensfähig. Dass es besonders gelagerte Fälle gibt, auf die noch zurückzukommen ist, 11 ändert nichts daran, dass hier bei regulärem Ablauf eine natürliche Grenze verläuft, und diese markiert den Unterschied zwischen „werdendem“ und biologisch „fertigem“ Menschen. Die Differenzierung zwischen Rechtsfähigkeits- und Rechtsgutssicht bedeutet nicht, dass damit der Beginn des Menschseins verschieden bestimmt wird. In § 1 BGB ist nicht von diesem Zeitpunkt die Rede, sondern gesprochen wird vom Beginn der „Rechtsfähigkeit des Menschen“. Die Vorschrift äußert sich daher nicht dazu, von wann an jemand als Mensch anzusehen ist. Im Übrigen ist zu beachten, dass die Frage des Beginns des Menschseins zumeist in umgekehrter Richtung gestellt wird. Es ist vom Zeitpunkt der Ver8 Gegen die Berufung auf Gewohnheitsrecht schon Herzberg (Fn. 3), S. 61 f.; auch Gössel (Fn. 4), S. 185. 9 Dazu im Einzelnen Eisenmann, Die Erlangung der Mensch-Eigenschaft, ihre rechtliche Bedeutung und Behandlung, 1915, S. 10 f., 33 ff. 10 Zumeist ist die Rede von strafrechtlich geschütztem Interesse (so etwa Maurach / Zipf;, Strafrecht AT I, 8. Aufl. 1992, § 19 Rn. 4 m.w. N.) oder Wert (vgl. Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2003, § 3 Rn. 18 m.w. N.). Siehe auch die Übersicht bei Hirsch, Festschr. für Spinellis, 2001, S. 425, 436 ff. m.w. N. 11 Siehe den Text bei und in Fn. 51.

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schmelzung von Samen und Eizelle, jedenfalls aber von der Nidation an die Rede von „menschlichem Leben“ und „werdendem Menschen“. Auch hat im Laufe der Rechtsgeschichte die Beseelung der Leibesfrucht als wichtiger Gesichtspunkt gegolten. Gegenwärtig wird beim Streit um die Forschung mit embryonalen menschlichen Stammzellen die Würde des Menschen (Art. 1 GG) ins Feld geführt. Hingewiesen wurde im Vorhergehenden außerdem auf den de lege ferenda unterbreiteten Vorschlag, den Schutz der allgemeinen Tötungstatbestände auf den Bereich seit Beginn möglicher Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibs auszudehnen. Dies alles zeigt, dass die Schutzobjekte der allgemeinen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte unabhängig von der in § 1 BGB getroffenen Entscheidung zu bestimmen sind. II. Betrachtet man die hier interessierenden Begriffe des geltenden Strafgesetzbuchs, so könnte die Vollendung der Geburt jetzt gleichwohl deshalb ausschlaggebend sein, weil durch das VerbrechensbekämpfungsG von 1994 in § 223 StGB und anderswo das Wort „anderen“ durch „andere Person“ ersetzt worden ist. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der ethische Begriff „Person“ einen Adressaten ethischer Normen meint. 12 Jedoch handelt es sich bei der Gesetzesänderung nicht um die Aufnahme des ethischen Begriffs ins Strafgesetzbuch, sondern um ein banaleres Anliegen: Die veränderte Wortwahl soll der Gleichstellung von Mann und Frau sprachlich dadurch Genüge tun, dass ein eindeutig beide Geschlechter umfassender Ausdruck verwendet wird. In den allgemeinen Tötungstatbeständen der §§ 211 ff. und § 222 StGB blieb es zudem weiterhin bei dem Wort „Mensch“. „Andere Person“ ist daher nicht mit einer Begriffveränderung gegenüber dem bisherigen Merkmal „Mensch“ verbunden und ändert somit nichts am bisherigen Rechtsgutsumfang. 13 Auch ist auf die Auslegung ohne Einfluss, dass in § 219 Abs. 1 StGB von „ungeborenem Leben“ und „Ungeborene(n)“ die Rede ist. Diese Formulierung stammt ebenfalls schon aus der Zeit, als § 217 StGB noch galt, so dass sie den Bereich „in der Geburt“ nicht einbezog. 14 Sie hatte daher schon von vornherein eine durch den 12 Bei Kant heißt es zur moralischen Person: „Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anderes als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen“; Metaphysik der Sitten, Einl. IV. 13 Dazu, dass es lediglich um die Einführung einer geschlechtsneutralen Formulierung ging, vgl. BT- Drs. 12/6853, S. 26; Lilie, in: LK-StGB, 11. Aufl. 2001, § 223 Rn. 2. 14 Nämlich aus der Fassung durch das SFHÄndG von 1995.

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Anwendungsbereich der Tötungsgstatbestände begrenzte Wortbedeutung. Darüber hinaus weiß man, dass die terminologische und gedankliche Präzision der deutschen Novellengesetzgebung zum Besonderen Teil seit Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts leider zurückgegangen ist, weshalb die Grenzen der Tatbestandsmerkmale sich immer häufiger erst aus dem Gesamtzusammenhang erschließen. 15 Gemeint ist mit „ungeborenem Leben“ und „Ungeborener“ nur derjenige Bereich, der nicht bereits unter die allgemeinen Tötungsdelikte der §§ 211 ff. und 222 StGB fällt. Und daran hat sich durch den Fortfall des § 217 StGB a. F. nichts geändert, solange sich dies nicht aus anderen Gesichtspunkten ergibt. Hinsichtlich der Bezeichnung „Mensch“ wurde im Vorhergehenden schon darauf hingewiesen, dass sie auch bei Lebensabschnitten verwandt wird, die schon vor dem Beginn der Geburt liegen. Man spricht etwa gleichbedeutend mit menschlichem Embryo von „ungeborenem Menschen“ und „werdendem Menschen“. Ähnliches finden wir bei dem Wort „Kind“. Erleidet eine Frau während der Schwangerschaft eine Fehlgeburt, heißt es oft, sie habe ihr „Kind verloren“. Ebenfalls ist bei einer Abtreibung der Leibesfrucht davon die Rede, dass die Schwangere ihr „Kind abgetrieben“ habe. Andererseits war in § 217 StGB a. F. mit „Kind“ das „in oder gleich nach der Geburt getötet“ wird, nicht das Schutzobjekt des § 218 StGB, sondern das der §§ 211 ff. und 222 StGB gemeint. Sprachlich kann das Wort „Kind“ also für beide Schutzobjekte verwandt werden. Da das Gesetz es nur für das Entwicklungsstadium verwendet, das Gegenstand der allgemeinen Tötungstatbestände ist, geht es um die sachliche Bestimmung der Abstufung zwischen beiden Bereichen. Und nicht anders verhält es sich beim Begriff „Mensch“ (resp. „Person“). Er wird ebenfalls von der Gesetzgebung erst für den Bereich benutzt, der Schutzobjekt der allgemeinen Tötungstatbestände ist. Das Merkmal „Leibesfrucht“ – zumeist in der Wortverbindung „Leibesfrucht tötet“ (oder „Abtötung der Leibesfrucht“) – ist seit dem 5. StrRG von 1974 aus dem Text des Strafgesetzbuchs eliminiert und durch den dem Abbau des Strafschutzes entgegenkommenderen Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ ersetzt worden. Aber auch wenn man die alte Terminologie betrachtet, endet das Rechtsgut „Leben der Leibesfrucht“ dort, wo das des Lebens des Menschen im Sinne der allgemeinen Tötungsdelikte beginnt. Zudem könnte es schon sprachlich als Bagatellisierung empfunden werden, die in der Geburtsphase erfolgende Tötung noch als Abtreibung oder Tötung der Leibesfrucht zu bezeichnen. Allerdings wird in §§ 1912 Abs. 1, 1918 Abs. 2 BGB und in § 555a RVO das Wort „Leibesfrucht“ 15 Dazu, dass es sich nicht erst seit dem 6. StrRG so verhält, siehe Hirsch, Festschr. für Hilde Kaufmann, 1986, S. 133, 157 ff. Allerdings haben die Schwächen deutlich zugenommen. Was § 219 StGB angeht, war der Gesetzgeber in der Fassung von 1992 noch sprachlich umsichtiger vorgegangen, indem er dort die Formulierung „vorgeburtliches Leben“ verwendet hat.

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für den Gesamtzeitraum bis zur Vollendung der Geburt verwandt. 16 Es handelt sich bei den betreffenden Regelungen jedoch um andere Schutzaspekte, für die ein umfassenderer Wortsinn vertretbar ist. Bei den Vorschriften des BGB geht es darum, Fötus und Kind zur Wahrung künftiger Rechte schon vor Erlangung der Rechtsfähigkeit einen Pfleger zu bestellen, und in der RVO soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Fötus oder Kind, solange sie sich noch im Mutterleib befinden, durch einen Arbeitsunfall der Mutter mit geschädigt sein können. Die Regelungen berühren daher nicht die Frage der Zäsur gegenüber dem Beginn des Menschseins im Sinne der allgemeinen Tötungstatbestände, vielmehr wird das Wort „Leibesfrucht“ in ihnen funktionsorientiert in einem sprachlich weiten Sinn benutzt, um den Zeitraum bis zur Vollendung der Geburt und damit dem Beginn der Rechtsfähigkeit zu erfassen. Die uns interessierende Abstufung tritt noch deutlicher zu Tage, wenn man den Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ in den Blick nimmt. Denn abbrechen lässt sich nur eine Wachstumsphase. Ist diese abgeschlossen, geht es nicht mehr um Abbrechen der Entwicklung, sondern um Zerstörung des fertigen „Produkts“. Das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ weist daher sogar besonders anschaulich in die Richtung der herkömmlichen Zäsur der zur Erörterung stehenden Rechtsgüter. Es zeigt sich somit, dass im Strafgesetzbuch verwandte Begriffe nicht dafür sprechen, dass nach der Streichung des alten § 217 StGB jetzt die Vollendung der Geburt den Ausschlag gibt. Vielmehr weisen sie vorwiegend eher in die Richtung des herkömmlichen Rechtszustands. 17 Dagegen scheidet eine Neuinterpretation der §§ 211 ff., 222 StGB (und der §§ 223 ff. StGB) dahin, dass eine Vorverlegung auf den Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Embryos außerhalb des Mutterleibs erfolgt, 18 von vornherein aus. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die gegenwärtigen §§ 218 ff. StGB für den ungefähr nach der 20. Schwangerschaftswoche beginnenden Zeitabschnitt einen zu schwachen Schutz bieten. 19 Aber die Rechtsgutsfrage lässt dies unberührt. In solchen Fällen geht es entwicklungsmäßig noch um einen „werdenden Menschen“. Es handelt sich deutlich um Schwangerschaftsabbruch und nicht um Mord oder Totschlag. Das wird auch dadurch bestätigt, dass die Strafdrohung für Mord, der Umfang der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit und die in Betracht kommenden Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht passen. Infolgedessen kann es bei jenem fortgeschrittenen

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Zur Auslegung von § 555a RVO siehe BSG NJW 1986, 1571. Die Berufung Herzbergs ([Fn. 3], S. 46 ff., 50) auf die Wortwahl des Gesetzgebers ist daher nicht überzeugend. 18 So Gropp, GA 2000, 1, 15 ff., der de lege ferenda die Grenze zwischen Schwangerschaftsabbruch und allgemeinen Tötungsdelikten beim Ende der 20. Schwangerschaftswoche ziehen will. 19 Vgl. schon Hirsch, JR 1985, 336, 340. 17

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Schwangerschaftsbereich allein darum gehen, dass ein qualifizierter Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs geschaffen wird. 20 Die für unsere Erörterung entscheidende Frage lautet nach alledem, ob § 217 StGB a. F., um den privilegierten zeitlichen Bereich der Kindestötung zu markieren, nur hinsichtlich des Beginns des Rechtsguts der allgemeinen Tötungsdelikte etwas aussprach, was sich ohnehin aus der Abstufung von Schwangerschaftsabbruch und allgemeinen Tötungsdelikten – nämlich dem Schutz des Lebens des werdenden Menschen und dem des Lebens des Menschen im Sinne der letztgenannten Delikte ergibt. III. 1. Zu ihrer Beantwortung hat man sich zunächst die historische Entwicklung anzusehen. 21 Hier ist als Erstes zu registrieren, dass sich die Formulierung „in der Geburt“ ebenfalls in den unmittelbaren Vorläufern des § 217 RStGB findet, nämlich in § 217 nordd. StGB und in § 180 preuß. StGB von 1851. Auch in den übrigen Partikularrechten des 19. Jahrhunderts wird das Stadium der Geburt in den Tatbestand des Kindestötung einbezogen und damit von diesem Zeitpunkt des Beginns des Menschseins im Sinne der allgemeinen Tötungsdelikte ausgegangen. Zumeist ist von der Tötung „während der Geburt“ die Rede, so in Art. 171 bay. StGB von 1813, Art. 250 württ. StGB von 1839, § 149 braunschw. StGB von 1840, Art.126 sachs.-altenb. StGB von 1841, Art.126 thür. StGB von 1850 und Art. 159 sächs. StGB von 1855. In Art. 233 Abs. 2 hann. StGB von1840, Art. 258 hess. StGB von 1841 und Art. 251 nassauisch. StGB von 1849 heißt es: „in und während der Geburt“. Es entsprach somit bereits dem in den im 19.Jahrhundert geschaffenen deutschen Partikulargesetzbüchern zum Ausdruck gelangten allgemeinen Rechtsverständnis, dass das Rechtsgut „Leben des Menschen“ nicht die Vollendung der Geburt voraussetzt. So verhielt es sich auch schon im preußischen ALR von 1794. Der die Kindestötung betreffende § 265 lautete: „Eine Mutter, die ihr neugeborenes Kind bei oder nach der Geburt vorsätzlich tötet ..., soll mit der Todesstrafe des Schwertes belegt werden.“ Geht man historisch weiter zurück, findet man die Einbeziehung der Geburtsphase ebenfalls in der Carolina. Der Art. 131 CCC von 1532 enthält eine ausdrückliche Bestimmung über die Kindestötung. In Absatz 2 dieser Vorschrift 20 Näher dazu die vom Verf. betreute Kölner Diss. von Tanja Drescher, Beginn des Menschseins im Sinne der §§ 211 ff. StGB nach Fortfall des § 217 StGB a. F:, Europ. Hochschulschr. 2004, S. 137 ff. und 153 f. 21 Zu ihr im Einzelnen Eisenmann (Fn. 9) und Drescher (Fn. 20), S. 57 ff. (mit Zusammenstellung der Gesetzestexte im Anhang, S. 163 ff.).

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findet sich die Formulierung „vor, in oder nach der Geburt“. Das Delikt wird unterschieden von der in Art. 133 CCC geregelten Abtreibung. Die Carolina stellte also hinsichtlich des Schutzgutes der allgemeinen Tötungsdelikte nicht erst auf die Vollendung der Geburt ab. 22 Mithin zeigt sich, dass sich über die Jahrhunderte ein Rechtsverständnis gebildet hat, wonach das Rechtsgut der allgemeinen Tötungsdelikte bereits während der Geburt gegeben ist und damit also das Merkmal „Mensch“ im Sinne dieser Delikte schon zu jenem Zeitpunkt vorliegt. Nicht einheitlich beantwortet wurde in Literatur und Praxis nur die Frage, wie „in“ oder „während“ der Geburt näher zu interpretieren ist. 23 Es findet sich die Auffassung, dass wenigstens ein Teil des Kindes schon aus dem Mutterleib herausgetreten sein müsse. Im Hintergrund standen dabei Beweisprobleme und der Umstand, dass für die Mutter, um deren Privilegierung es beim Tatbestand der Kindestötung geht, in der Regel der Zugriff auf das Tatobjekt erst nach dem teilweisen Austritt in Betracht kam. Auch noch zu § 217 StGB a. F. wurde anfänglich verbreitet ein solches Erfordernis aufgestellt. 24 Aber weder entsprach das damals und zuvor allgemeiner Ansicht, noch sahen die Gesetze trotz ihrer Tendenz zu eingehender Tatbeschreibung eine solche Eingrenzung vor. Allerdings bildet eine Nachwirkung dieser Auffassung bis in die Gegenwart die häufige Behauptung, die ratio legis für die Einbeziehung des Geburtsstadiums in den Schutzbereich der allgemeinen Tötungstatbestände bestehe darin, dass das Tatobjekt jetzt besonders gefährdet sei, angegriffen zu werden. 25 Aber weder vermag eine Gefährdung hier auf die Rechtsgutszuordnung Einfluss zu nehmen, noch ist das Tatobjekt während der Geburt stärker gefährdet, als es das gegenüber einer Abtreibung gewesen ist. Für die vorliegenden Untersuchungen sind darüber hinaus primär nicht die Auslegungsunterschiede der einschlägigen Merkmale („in“, „während“, 22

Zu der in der älteren Literatur über die Auslegung des Art. 131 CCC geführten Diskussion siehe die Würdigung bei Drescher (Fn. 20), S. 82 ff. 23 Darüber im Einzelnen Drescher (Fn. 20), S. 82 ff. 24 RGSt. 1, 448; Binding, Strafrecht BT I, 2. Aufl. 1902, S. 33; Olshausen, StGB, 2. Aufl. 1886, § 211 Fn. I. Siehe auch v. Liszt, Strafrecht, 16. / 17. Aufl. 1908, § 80 I, der auf das Aufhören der Plazentaatmung und die Möglichkeit der Atmung durch die Lungen abstellen wollte. Später hat sich noch Lange auf Binding bezogen, ließ jedoch im Unterschied zu diesem genügen, dass eine Einwirkung zwar von außen geschehen kann, aber noch kein teilweiser Austritt aus dem Mutterleib erfolgt ist; vgl. Lange, in: LK-StGB, 9. Aufl. 1970 Vor § 211 Rn. 3. 25 So Eser (Fn. 4), Vor § 211 Rn. 13; Gössel (Fn. 4), S. 185; Jähnke (Fn. 4), Vor § 211 Rn. 3; Küper, GA 2001, 515, 536; Lüttger, NStZ 1983, 481, 482; Maurach / Schroeder / Maiwald (Fn. 4), § 1 Rn. 8; Schneider (Fn. 4), Vor § 211Rn. 8; Wessels / Hettinger (Fn. 4), Rn. 9; u. a. Von einigen Autoren wird auch angeführt, dass das Nichtvorhandensein einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bei § 218 StGB es erforderlich mache, die §§ 222 und 230 StGB anzuwenden. Aber auf ein solches Argument lässt sich doch nicht die Abgrenzung der Rechtsgüter stützen.

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„bei“ der Geburt) entscheidend, sondern das Faktum, dass durch jene Merkmale eine Jahrhunderte alte Rechtstradition bestätigt wird, wonach es für den Beginn des Menschseins im Sinne der Tötungsdelikte nicht erst auf die Vollendung der Geburt ankommt, vielmehr bereits das Stadium der Geburt ausreichend ist. Indem man schon bei der Geburtsphase ansetzte, auch wenn der genauere Zeitpunkt dabei uneinheitlich bestimmt wurde, trug man entgegen der vorstehenden kritisierten Ansicht der Erkenntnis Rechnung, dass man es nicht mehr mit einem werdenden, sondern einem „fertigen“ Menschen zu tun hat. Ob das Kind, das in der Geburtsphase getötet wird, mit einem Fuß bereits nach außen gelangt ist (etwa bei einer Steißlage) oder ob es sich noch insgesamt im Mutterleib befindet, macht unter dem Blickwinkel des Schutzobjekts keinen materiellen Unterschied. In beiden Fällen gibt vielmehr den Ausschlag, dass es sich um etwas handelt, was das Stadium des „fertigen“ Menschen erreicht hat. Es zeigt sich also, dass der § 217 StGB a. F. gar nichts Neues brachte, sondern sich innerhalb der Rechtstradition hielt. Das durch die Tötungstatbestände geschützte Rechtsgut umfasste seit eh und je die Geburtsphase. 26 Dabei geht es nicht um Gewohnheitsrecht (das strafrechtlich unbeachtlich wäre), sondern um ein historisch gewachsenes, an den biologischen Phänomenen orientiertes Begriffsverständnis. 27 2. Auch die Betrachtung ausländischer Rechtsordnungen könnte hilfreich sein. Informativ sind dabei insbesondere die Materialien, die Eser zusammen mit Koch in einem dreiteiligen Sammelwerk über „Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich“ herausgegeben hat. 28 Die meisten Staaten kennen oder kannten bislang einen besonderen (privilegierten) Tatbestand der Kindestötung, in welchem entsprechend zum ehemaligen § 217 des deutschen StGB von der Tötung „während der Geburt“ die Rede ist. Zu nennen sind etwa: § 79 österr. StGB, Art. 396 belg. StGB, Art. 120 bulg. StGB („bei“ der Geburt), Art. 303 griech. StGB, Art. 37 StGB ehem. Jugosl., Art. 396 lux. StGB, Art. 137 port. StGB, Art. 81 Nr. 2 arg. StGB und Art. 211 tun. StGB. Auch Schweden und die Türkei sind anzuführen. Zumeist wird dabei wie in 26

Zu diesem Ergebnis gelangt auch die Untersuchung von Drescher (Fn. 20), S. 102. Möglicherweise ist dies auch von Küper, GA 2001, 515, 536 f., so gemeint und lediglich als „Gewohnheitsrecht“ missverständlich eingeordnet. In einer vorhergehenden Stellungnahme von ihm (Strafrecht BT, 4. Aufl. 2000, S. 140) ging es allerdings – unhaltbar – noch eindeutig um eine Begründung mit Gewohnheitsrecht. Dagegen ist in der 5. Aufl. 2002, S. 142, davon nicht mehr die Rede. 28 Eser / Koch, Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Teil 1: Europa, 1988,Teil 2: Außereuropa, 1989,Teil 3: Rechtsvergleichender Querschnitt – Rechtspolitische Schlussbetrachtungen – Dokumentation zur neueren Rechtsenwicklung, 1999. Siehe zum Folgenden außerdem die rechtsvergleichenden Angaben bei Drescher (Fn. 20), S. 106 ff. zum speziellen Thema der Abgrenzung von allgemeinen Tötungsdelikten und Schwangerschaftsabbruch. 27

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Deutschland auf den Beginn der Eröffnungswehen abgestellt, in einigen Länder auf die Presswehen. 29 In Frankreich definierte der alte Art. 300 CP die Kindestötung als Totschlag oder Mord eines Neugeborenen. Die Tötung während des Geburtsvorganges wurde von der h. M. dabei als ausreichend angesehen, wobei der Beginn der Geburtswehen genügen sollte. Nach dem Fortfall der Vorschrift im neuen Code penal von 1994 und der nunmehrigen Einschlägigkeit von Art. 221 –4 Nr. l CP (erschwerter Fall des Totschlags) wird vorherrschend an der bisherigen Abgrenzung festgehalten. 30 Einige Rechtsordnungen erachten den Beginn des Austritts aus dem Mutterleib als ausschlaggebend, so Italien, Costa Rica und Mexico. In Japan wird ein Teilaustritt verlangt. 31 Die Vollendung der Geburt als maßgebliches Abgrenzungskriterium findet man demgegenüber in angelsächsischen Rechtsordnungen und einigen von diesen beeinflussten anderen Strafrechten. Hinzuweisen ist insbesondere auf England, Irland, Kanada, Israel, Chile, Ecuador und Uruguay. 32

29 Auf die Eröffnungswehen wird abgestellt in: Österreich (vgl. Moos, in: WK-StGB, 1984, Vor §§ 75 ff. Rn. 11, § 79 Rn. 12, 26), Schweiz (vgl. Trechsel, StGB 1989, Vor Art. 111 Rn. 3, Vor Art.118 Rn. 3), Belgien (vgl. Rigaux / Trotlsse, C. P., Bd. V, 1968, S. 167), Griechenland (vgl. Eser / Koch-Evangelou [Fn. 28], Teil 1, S. 592), Luxemburg (vgl. Eser / Koch-Linn [Fn. 28], Teil 1, S. 968. Zu Argentinien vgl. Eser / Koch-Madlener [Fn. 28], Teil 2, S. 1236 f. Die Presswehen werden als ausschlaggebend angesehen in: Schweden (vgl. Eser / Koch-Cornils / Wiskemann [Fn. 281, Teil 1, S. 1415) und Ungarn (vgl. Eser / Koch-Lammich / Nagy [Fn. 28], Teil 1, S. 1683). 30 Vgl. Commaret, Droit penal, 2002, Chron. S. 4 ff.; Demont, Droit penal, 2001, Chron. S. 4 ff.; Veron, Droit penal 2002, Comm. S. 12 f. Die in jüngster Zeit ergangene Grundsatzentscheidung des Cour de cassation vom 29. 6. 2001, in: Sargos, JCP 2001, 1432, 1452, und zwei weitere Entscheidungen des Gerichtshofs, in denen die Anwendbarkeit des Tatbestands der fahrlässigen Tötung auf den Fall des „zu gebärenden Kindes“ bzw. des „nicht lebend geborenen Kindes“ als dem Bestimmtheitsgebot widersprechend erklärt worden ist, haben heftige Kritik ausgelöst (vgl. die vorgenannten Stellungnahmen). Betrachtet man die entschiedenen Sachverhalte, so spielt eine Rolle, dass in Frankreich herkömmlich schon vorgeburtliche Einwirkungen von etwa der 24. Schwangerschaftswoche an, die zu einer Totgeburt führten, als fahrlässige Tötungen eingestuft waren. Näher zum Ganzen siehe Drescher (Fn. 20), S. 117 ff. mit umfangreichen Nachw. 31 Vgl. zu Italien: Eser / Koch-Bosch / Menges (Fn. 28), Teil 1, S. 841; zu Costa Rica: Eser / Koch-Martin (Fn. 28), Teil 2, S. 301; zu Mexico: Eser / Koch-Knorr (Fn. 28), Teil 2, S. 693; zu Japan: Eser / Koch-Shibahara, Fn. 28), Teil 2, S. 558 Fn. 28. 32 Vgl. hierzu ebenfalls die Landesberichte bei Eser / Koch (Fn. 28) und die dortigen Nachweise. Zu beachten ist, dass dem Abstellen auf die Vollendung der Geburt häufig ein gegenüber dem bloßen Schwangerschaftsabbruch verschärfter Tatbestand für das Spätstadium der Schwangerschaft, in dem die Leibesfrucht lebensfähig ist, einschließlich der Geburtsphase einhergeht, so „child destruction“ im englischen Recht; vgl. näher Eser / KochHuber (Fn. 28), Teil 1, S. 723.

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Es lässt sich daher feststellen, dass die deutsche h. M. eingebettet ist in ein kontinentaleuropäisches überwiegendes Rechtsverständnis. Bei dem in § 217 StGB a. F. enthaltenen Passus „in der Geburt“ handelte es sich nicht um eine separate Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, vielmehr um das Ausgehen von einem in nahestehenden Rechtsordnungen ebenso verankerten historisch gewachsenen Begriff des Menschbeginns im Sinne der allgemeinen Tötungsdelikte. Es gibt ein über die nationale Rechtsordnung hinausgehendes gefestigtes Verständnis von der Abgrenzung zwischen der Tötung eines Menschen und einem Schwangerschaftsabbruch, dass die Zäsur nicht erst bei Vollendung, sondern bereits bei der Geburtsphase ansetzt. IV. 1. Sachlich werden die historischen und rechtsvergleichenden Feststellungen untermauert durch die hinter ihnen stehende Einsicht, dass der Schutz durch die allgemeinen Tötungstatbestände (und ebenso Körperverletzungstatbestände) unangemessen verkürzt wäre, wenn man ihn erst von der Vollendung der Geburt an gewähren würde. Die ausschlaggebende Zäsur bildet vielmehr das Stadium der Geburt. Dass man es von nun an nicht mehr mit einem erst werdenden, sondern einem „fertigen“ Menschen zu tun hat, lässt sich nicht ignorieren. Der Begriff „Mensch“ bei den allgemeinen Tötungstatbeständen hat daher eine tradierte Wortbedeutung im vorgenannten Sinne. Und dieser überkommenen Wortbedeutung stehen die Begriffe „Abtreibung der Leibesfrucht“ oder jetzt „Schwangerschaftsabbruch“ gegenüber, die beide für die Geburtsphase weder sprachlich passen, noch den Unrechtsgehalt angemessen zum Ausdruck bringen würden, von der erheblich geringeren Strafdrohung gar nicht zu reden. Das alles entspricht auch der Auffassung der Mediziner, wonach die Schwangerschaft mit dem Eintritt der Geburt endet. 33 Es bestehen also vom Gesetzestext her auch nach dem Fortfall des bisherigen § 217 StGB keine Schwierigkeiten und Bedenken, im Ergebnis an der herkömmlichen Rechtslage festzuhalten. 2. Bevor man daraus abschließende Folgerungen zieht, sind noch zwei Probleme anzusprechen, die überwiegend schon zur Zeit der Geltung jener Vorschrift aufgetaucht sind. a) Es geht einmal um die Frage, wie man, wenn die Zäsur beim Beginn der Geburt erfolgt, den Fall der Perforation einordnen will, also den Sachverhalt, dass 33 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl. 1998, S. 1437, und die ausführlichen Nachw. bei Küper, GA 2001, 515, 537 Fn. 95. Entgegen Herzberg ([Fn. 3], S. 47) heißt „Eintritt“ dabei nicht Vollendung, sondern Einsetzen der Geburt. Küper weist daher mit Recht bereits auf diese medizinische Terminologie hin (a. a. O. S. 537).

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das in der Geburt befindliche Kind vorsätzlich getötet wird, um die Mutter aus einer nicht anders abwendbaren Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung zu retten. 34 Ein solcher Sachverhalt kommt beim heutigen Stand der Gynäkologie in Deutschland praktisch zwar kaum noch vor. Aber er ist doch jedenfalls nicht undenkbar. Anerkannt ist, dass er gerechtfertigt wird. 35 Würde bis zum Ende der Geburt tatbestandlich noch ein Schwangerschaftsabbruch vorliegen, wäre Rechtfertigung aufgrund medizinischer Indikation gemäß § 218a Abs. 2 StGB einschlägig. Die h. M. ist demgegenüber mit der Frage konfrontiert, wie sich eine Rechtfertigung damit verträgt, dass es bereits um die Tötung eines unter den Schutz der allgemeinen Tötungstatbestände fallenden Menschen geht. Wollte man eine Parallele zum medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch ziehen und § 218a Abs. 2 StGB analog anwenden, so setzte man sich in Widerspruch zum Ausgangspunkt, dass man es bereits mit dem Schutzobjekt der §§ 211 ff. StGB zu tun hat. 36 Die vorherrschend vertretene Lösung ist daher die, dass man rechtfertigenden defensiven Notstand zu Gunsten der Mutter annimmt. 37 Ausschlaggebend ist dabei der Gedanke, dass vom Kind eine nur durch dessen Tötung ausgehende Gefahr für die Mutter ausgeht. Dazu hat Reinhard Merkel in, wie er schreibt, bewusst „naiv naturalistischer Veranschaulichung“ jedoch kritisch ausgeführt: „Die verbreitete, aber nirgends begründete Behauptung, die Gefahr gehe von dem Kind aus, ist nicht einzusehen (...). Das Kind gefährdet die Mutter, weil es aus ihrem Körper nicht herausgeht; sie gefährdet das Kind, weil sie es aus ihrem Körper nicht herauslässt. Im Übrigen ist ... für den wirklichen Ursprung der Gefahr, nämlich die Entstehung der Schwangerschaft durch den Sexualverkehr, ganz offensichtlich die Mutter und nicht das Kind zuständig.“ 38 Merkel weist auf mögliche Fälle hin, bei denen „das physische Hindernis eindeutig bei der Mutter liegt“, etwa wegen „Verkrümmungen und Verwachsungen im Geburtskanal und organisch bedingter Kaiserschnitt-Intoleranz“. 39 Demgegenüber ist zu bemerken: Soweit darauf ver34

Zur Perforation vgl. Hirsch, in: LK-StGB, 11. Aufl. 1994, § 34 Rn. 74 m.w. N. BT-Drs. 7/1981, S. 13; Arzt / Weber, Strafrecht BT, 2000, § 5 Rn. 91; Eser (Fn. 4), Vor § 218 Rn. 41; Hirsch (Fn. 34), § 34 Rn. 74; Jähnke (Fn. 4), § 212 Rn. 10; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 33 IV 5; Lackner / Kühl (Fn. 4), § 34 Rn. 9; Neumann (Fn. 4), § 34 Rn. 91; Roxin, Festschr. für Jescheck, 1985, S. 457, 477; ders., Strafrecht AT I, 3. Aufl. 1997, § 16 Rn. 70; u. a. Siehe auch § 157 Abs. 2 E 1962. Anders – allerdings wenig realistisch – erst für Entschuldigung: Horn (Fn. 4), § 212 Rn. 24, und Rudolphi, in: SKStGB, 6. Aufl. 2000, Vor § 218 Rn. 15.Wie die herrsch. Auffassung aber Günther, in: SKStGB, 7. Aufl. 2001, § 34 Rn. 43. 36 Siehe aber die starke Anlehnung bei Arzt / Weber (Fn. 35), § 5 Rn. 91. 37 Vgl. Eser (Fn. 4), Vor § 218 Rn. 41; Hirsch (Fn. 34), § 34 Rn. 74; Roxin (Fn. 35), AT I, § 16 Rn. 70; Renzikowski, Notstand und Notwehr, 1994, S. 267 f. u. a. dazu, dass bei Defensivnotstand auch die Rechtfertigung einer vorsätzlichen Tötung möglich sein kann, näher Hirsch, Festschr. f. Dreher, 1977, S. 211, 228 f. 38 R. Merkel (Fn. 4), S. 612, 613. Im gleichen Sinne Herzberg / Herzberg, JZ 2001, 1106, 1111. 39 R. Merkel (Fn. 4), S. 612, 613. 35

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wiesen wird, dass die Gefahrsituation überhaupt ihren Ursprung darin habe, dass die Mutter sich habe schwängern lassen, handelt es sich offensichtlich um ein abwegiges Argument; denn die Empfängnis ist Voraussetzung dafür, dass jetzt ein Subjekt existiert, dessen Lebensinteresse dem der Mutter gegenübersteht. Sie lässt sich daher hier nicht zu deren Lasten und zu Gunsten des ihr erst zu verdankenden Lebens des Kindes in die Abwägung einbeziehen. Aber wie verhält es sich mit der aktuellen Gefahrensituation? In der Tat besteht zum Zeitpunkt der Geburt eine Gefahrlage sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Aber heißt das, dass Defensivnotstand nicht einschlägig ist? Es ließe sich an eine nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision zu entscheidende Patt-Situation denken, bei der, Gleichwertigkeit der gegenüberstehenden Interessen vorausgesetzt, nur das eine oder das andere Gut zu retten ist und deshalb insoweit eine Wahlmöglichkeit besteht. Eine solche Lösung passt hier jedoch schon deshalb nicht, weil es nicht um die Kollision von zwei Handlungspflichten (Geboten) geht, sondern um ein Tun, nämlich die Tötung des Kindes. 40 Diese Tötungshandlung erfolgt zum Zwecke der Abwehr einer Gefahr, so dass die Problematik im Rahmen des (rechtfertigenden) Defensivnotstandes zu lösen ist. Kein denkbarer Weg wäre, dabei von einem beiderseitigen rechtfertigenden Notstand auszugehen. Denn Aufgabe der Rechtfertigungsgründe ist es gerade, dass sie Kollisionslagen entscheiden. 41 Das sich andernfalls ergebende Resultat, dass derjenige im Vorteil sein würde, der zuerst reagiert – hier etwa ein zu Gunsten des Kindes tätig werdender Notstandshelfer –, wäre eine willkürliche Lösung. Die Notstandslage der Mutter bedarf daher einer genaueren Betrachtung: Das Kind befindet sich noch im Mutterleib, also in der körperlichen Sphäre eines anderen Menschen. Da es geburtsreif ist, entwickelt es sich durch seinen Verbleib zu einem bedrohlichen „Fremdkörper“, und zwar gleichgültig, ob die Ursache dazu in einem körperlichen Defekt der Mutter oder des Kindes liegt. Infolgedessen schlägt die Waage der Interessenabwägung hier zu Gunsten der Mutter aus – ein Ergebnis, über das, wie gesagt, weitestgehend Einigkeit besteht, das jedoch juristisch zu schwach und angreifbar begründet ist, wenn man sich wie Merkel 42 mit der These begnügt, dass das Lebensinteresse des Kindes dem der Mutter nicht annähernd vergleichbar sei. Es handelt sich vielmehr, wie auch Roxin schreibt, um „einen klassischen Fall des Defensivnotstandes“. 43 Wenn eine Mindermeinung 44 der Auffassung ist, die Rechtfertigung lasse sich nur dann erklären, wenn man das in der Geburt befindliche Kind als Fötus einstufe, 40 Zu den Voraussetzungen der rechtfertigenden Pflichtenkollision siehe Hirsch, in: LKStGB, 11. Aufl. 1994, Vor § 32 Rn. 71 ff. m.w. N. 41 Dazu näher Hirsch (Fn. 40), Rn. 64 f. 42 R. Merkel (Fn. 4), S. 614, 618 unter Berufung auf eine „Interessentheorie der Rechtszuschreibung“ (S. 439 – 520). 43 Roxin (Fn. 35), AT I, § 16 Rn. 70. Anders jedoch Pawlik, Der rechtfertigende Notstand, 2002, S. 203 f. (von der von ihm abgelehnten h. M. werde „Personstatus“ verneint). 44 Herzberg (Fn. 3), S. 50 ff.

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so verkürzt sie zu Gunsten einer juristisch zwar einfacheren, aber den rechtlichen Schutz eines solchen Kindes schwerwiegend herabstufenden Konstruktion die Dinge. Es geht bei der zur Erörterung stehenden Frage nicht um die Alternative, die Tötung des Kindes entweder als gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch einzustufen, oder aber sie als rechtswidrig anzusehen. Vielmehr handelt es sich darum, dem Kind vom Beginn der Geburt an den grundsätzlichen Schutz der allgemeinen Tötungstatbestände zuzubilligen, es also besser zu schützen, als es durch den in diesem Stadium nicht mehr passenden Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs der Fall wäre, dabei aber die von der Sache her – nämlich dem noch nicht erfolgten Austritt aus dem Mutterleib – sich ergebende Rechtfertigungssituation, in der das Kind zur Rettung der Mutter getötet werden muss, in Kauf zu nehmen. Im Übrigen ist die hier vertretene Einordnung sachentsprechend nicht ohne Einfluss auf die erforderlichen Rechtfertigungsvoraussetzungen. Während die Rechtfertigung des medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs immer weiter vom Gesetzgeber ausgedehnt worden ist, gelten für die auf die Voraussetzungen des allgemeinen rechtfertigenden Defensivnotstands gestützte Perforation erheblich strengere Anforderungen. Hier steht die körperlich bedingte Kollision der beiden Leben ganz im Zentrum. b) Eine ebenfalls schon zu Zeiten des § 217 StGB a. F. aufgetauchte Frage ist die der gesetzlichen Bestimmtheit. Während der Geltung dieser Vorschrift ging es darum, von wann an das Merkmal „in ... der Geburt“ gegeben ist. Der anfangs verschiedentlich vertretenen Auffassung, dass dazu ein Teil des Kindeskörpers bereits nach außen gelangt sein müsse, 45 die – wie schon gezeigt – weder im Gesetzeswortlaut noch historisch und sachlich eine Basis hatte, trat schon frühzeitig in der Judikatur 46 und dann nahezu allgemein in der Lehre 47 die Erkenntnis gegenüber, dass das Kind vom Beginn der Geburt an erfasst wird. Klärungsbedürftig blieb jedoch über lange Zeit, auf welches Stadium der Wehen es für den Beginn ankommt. Stellte man zunächst auf den Anfang der Presswehen ab, setzte sich mit BGHSt. 32, 194 aufgrund neuerer Erkenntnisse der Medizin die Ansicht durch, dass das Einsetzen der Eröffnungswehen entscheidend ist. 48 Diese Auffassung wird übrigens auch in den ausländischen Rechtsordnungen, die wie wir vom 45

Vgl. die Nachw. oben in Fn. 24. RGSt. 9, 131, 132; 26, 178. 47 Vgl. Ebermayer, LK-StGB, 3. Aufl. 1925, § 211 Fn. 2; Olshausen, StGB, 11. Aufl. 1927, § 211 Fn. l; Frank, StGB, 18. Aufl. 1931,Vor § 211 Fn. I; jeweils m.w. N. Zur abw. Ansicht von Lange siehe Fn. 24. 48 So bereits Geilen, FamRZ 1968, 121 ff.; Lüttger, JR 1971, 133 ff.; ders., NStZ 1983, 182 ff. Heute siehe etwa: Eser (Fn. 4), Vor § 211 Rn. 13; Horn (Fn. 4), § 212 Rn. 3; Jähnke (Fn. 4), Vor § 211 Rn. 3; Lackner / Kühl (Fn. 4), Vor § 211 Rn. 3; Maurach / Schroeder / Maiwald (Fn. 4), § 1 Rn. 8; Tröndle / Fischer (Fn. 4), Vor § 211 Rn. 2. Abw. Saerbeck, Beginn und Ende des Lebens als Rechtsbegriffe, 1974, S. 95 ff., und Neumann (Fn. 4), § 211 Rn. 9. 46

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Beginn der Geburt ausgehen, überwiegend geteilt. 49 Man ist sich dabei dessen bewusst, dass hinsichtlich dieser Zeitpunkte – und zwar beider – im einzelnen Fall Unsicherheiten bestehen können. Der BGH hat jedoch mit Recht darauf hingewiesen, dass „diese Erkenntnisschwierigkeiten nicht zu Lasten des Täters“ gehen, sondern ein Tatbestandsirrtum vorliegen kann 50 – und dann die Erfordernisse der Fahrlässigkeit erfüllt sein müssen. Zudem lässt sich auch bei atypischen Verläufen der Beginn der Geburt zumeist deutlich lozieren: Bei operativer Entbindung (Kaiserschnitt) kommt es auf das Öffnen des Uterus an, und bei künstlicher Einleitung der Geburt ist ebenso wie bei deren natürlichem Beginn das Einsetzen der Eröffnungswehen entscheidend. 51 Es geht bei alledem lediglich um Fragen der sachentsprechenden Auslegung des Merkmals „in ... der Geburt“ und Fragen der tatsächlichen Feststellungen. Nicht aus Gründen des Art. 103 Abs. 2 GG, sondern nur zusätzlicher Klarheit halber wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber de lege ferenda die für den Beginn der Geburt und damit des Menschseins im Sinne der allgemeinen Tötungstatbestände ausschlaggebenden Umständen ausdrücklich benennen würde. Als Folge des Fortfalls des bisherigen § 217 StGB taucht die Frage der Gesetzesbestimmtheit in neuer Form auf. Ging es bisher darum, den Beginn der Geburt zu präzisieren, erhebt sich heute die Frage, ob überhaupt die bei diesem Zeitpunkt anzusetzende Zäsur in einem dem Art. 103 Abs. 2 GG genügenden Maße im Gesetz zum Ausdruck gelangt. Zu ihrer Beantwortung kann weitestgehend auf die obigen Ausführungen zu den Tatbestandsmerkmalen („Mensch / Person“) und Schwangerschaftsabbruch Bezug genommen werden. Indem das Gesetz zwischen allgemeinen Tötungsdelikten und Schwangerschaftsabbruch differenziert und dies durch unterschiedliche Höhe der Strafrahmen und des tatbestandlichen Umfangs der Pönalisierung unterstreicht, macht es deutlich, dass es an der herkömmlichen und sachlich gebotenen Abgrenzung beider Bereiche festhält. Vom Beginn der Geburt an lässt sich von Schwangerschaftsabbruch nicht mehr sprechen. Vielmehr handelt es sich nun um einen „fertigen“ Menschen, der dem Schutz der allgemeinen Tötungstatbestände unterfällt. Auch für einen juristischen Laien ist evident, dass eine Tötung nach Beginn der Geburt mehr ist als ein Abbruch der Schwangerschaft. 49

Vgl. oben die Angaben bei und in Fn. 29. BGHSt. 32, 194, 197. 51 Dazu, dass bei operativer Entbindung der die Eröffnungsperiode ersetzende ärztliche Eingriff entscheidend ist, vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1985, 315; Lüttger, Festschr. für Heinitz, 1972, S. 359 ff. Zum Öffnen des Uterus als genauem Zeitpunkt siehe Eser, a. a. O.; Isemer / Lilie, MedR 1988, 68; Tröndle / Fischer (Fn. 4), Vor § 211 Rn. 2 m.w. N. (auch zur bereits auf den Eingriffsbeginn abstellenden Gegenmeinung). Im Übrigen ist allgemein ausreichend, dass das Kind im ausschlaggebenden Zeitpunkt des Geburtsbeginns noch gelebt hat; seine weitere Lebensfähigkeit ist nicht erheblich; vgl. BGHSt. 10, 291, 293; Eser Fn. 4), Vor § 211 Rn. 14 m.w. N. 50

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Besonderer Teil

Paralleles hat für die Körperverletzung zu gelten. Wird auf die körperliche Unversehrtheit des Kindes nach Geburtsbeginn eingewirkt, handelt es sich um eine an einem anderen Menschen begangene Körperverletzung und nicht um eine – de lege lata straflose – Verletzung des Fötus. 52 Der Arzt, der das Kind während der Geburt fahrlässig verletzt, ist daher weiterhin nach § 229 StGB strafbar. V. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Fortfall des alten § 217 StGB nichts an der zwischen Schwangerschaftsabbruch und allgemeinen Tötungsdelikten verlaufenden Grenze geändert hat. 53 Das unter Berufung auf jene Vorschrift erfolgte Abstellen auf den Zeitpunkt des Beginns der Geburt stützt sich vielmehr neben seiner sachlichen Notwendigkeit bereits auf ein tradiertes und durch zahlreiche andere Rechtsordnungen bestätigtes Begriffsverständnis des Beginns des Menschseins im Sinne des Schutzobjekts der allgemeinen Tötungstatbestände. Außerdem folgt es aus dem Begriff des Schwangerschaftsabbruchs sowie einem Vergleich der Strafdrohungen und des tatbestandlichen Pönalisierungsumfangs. Ebensowenig wie eine Abschaffung des Tatbestands des Schwangerschaftsabbruchs die Grenze der allgemeinen Tötungstatbestände nach vorn verschieben würde, vermag die Streichung des bisherigen § 217 StGB mit seiner Formulierung „in der Geburt“ an der zwischen beiden Bereichen bestehenden Grenze etwas zu ändern. Wer die Tötung eines Menschen in der Geburt nur noch als einen Fall des Schwangerschaftsabbruchs ansehen will, demontiert einen Teil unserer Rechtskultur. 54

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Geschieht die Einwirkung auf das Tatobjekt während der Schwangerschaft, also in der Phase bis zum Geburtsbeginn, so wird der Tatbestand einer Körperverletzung nach §§ 223 ff. StGB nicht dadurch erfüllt, dass das Kind mit einem Körperschaden zur Welt kommt, ebensowenig wie eine als Folge einer innerhalb jenes Zeitraums erfolgten Einwirkung eintretende Frühgeburt eines lebenden, aber lebensunfähigen Kindes Tötung eines Menschen (§§ 211 ff. StGB) anstatt Abtötung der Leibesfrucht wäre. So auch die h. M.; vgl. die umfangreichen Nachw. bei Lilie (Fn. 13), Vor § 223 Rn. 7. Im Übrigen handelt es sich um eine allgemeine Problematik, die nicht nur auf die Körperverletzungsund Tötungsdelikte beschränkt ist, wenn sie hier auch ihre eigentliche praktische Bedeutung hat und Reformfragen aufwirft. 53 Im Ergebnis findet sich daher die h. L. (vgl. die Nachw. Fn. 4) bestätigt. Zu diesem Resultat gelangt auch die erwähnte Arbeit von Drescher (Fn. 20), S. 162. 54 Daran würde sich nichts ändern, wenn man, wie Herzberg / Herzberg, JZ 2001, 1106, 1113 vorschlagen, besondere Vergehenstatbestände für die Tötung oder Gesundheitsschädigung „der Leibesfrucht einer Schwangeren in der Geburt“ schafft und die gemeinten Fälle mit Freiheitsstrafe bis zu fünf bzw. drei Jahren oder Geldstrafe bedroht.

Zur Frage eines Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung 1999 I. Heinz Zipf hat sich in einem im Jahre 1979 erschienenen Festschriftbeitrag mit „Problemen eines Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung (dargestellt an Hand von § 110 öStGB)“ befaßt. 1 Er war der Meinung, daß „der Ertrag aller wissenschaftlichen Bemühungen um eine sachgerechte Erfassung der strafrechtlichen Haftung des Arztes ... nur voll zum Tragen kommen (kann), wenn der Gesetzgeber dafür die Voraussetzungen durch die Schaffung eines selbständigen Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung schafft“. Ein solcher Straftatbestand sei die „unerläßliche Bedingung dafür, die strafrechtliche Haftung des Arztes unter Rechtsgutsgesichtspunkten sachgerecht erfassen zu können“. 2 Dementsprechend wurde vom ihm begrüßt, daß im österreichischen Strafgesetzbuch (öStGB) von 1975 ausdrücklich eine solche Strafbestimmung (§ 110 öStGB) enthalten ist. 3 In Deutschland sind die bis zum Anfang des Jahrhunderts zurückreichenden Bestrebungen, einen Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung einzuführen, zunächst daran gescheitert, daß sie in vorgesehene Gesamtreformen des Strafgesetzbuchs eingebettet waren und daher wie diese nicht realisiert wurden. 4 Ein neuer Anlauf erfolgte unlängst in § 229 des Vorentwurfs von 1996 zu dem eine Teilreform des Besonderen Teils enthaltenden Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (VE 6. StrRG). 5 Gegen ihn wandten sich Vertreter der Ärzteschaft und der medizinischen Wissenschaft; auch aus der Strafrechtswissenschaft wurden Bedenken laut. 6 Deshalb hat man die Vorschrift dann nicht mit ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht. 7 1

Zipf, Bockelmann-Festschr., 1979, S. 577 ff. Fn. 1, S. 577. 3 Fn. 1, S. 577 ff., 589. 4 Vgl. bereits § 279 GegenE 1911 und dann § 281 E 1927, § 281 E 1930 und § 431 E 1936. 5 Referentenentwurf vom 15. 7. 1996, BMJ Referat II A 2. In Maschinenschrift vervielfältigt. 2

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Die unterschiedliche Entwicklung in Deutschland und Österreich legt es nahe, der Problematik erneut nachzugehen und zu prüfen, wie sich sachlich die Frage einer gesetzlichen Regelung aus heutiger Sicht darstellt. II. 1. Die Gründe dafür, weshalb die Einführung eines Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung gefordert wird, 8 sind bekannt: Der von der Rechtsprechung beschrittene Lösungsweg, im ärztlichen Heileingriff stets eine tatbestandsmäßige und erst durch eine Einwilligung 9 gerechtfertigte Körperverletzung zu sehen, so daß die eigenmächtige Heilbehandlung als Körperverletzung zu bestrafen ist, 10 wird von der im Schrifttum überwiegenden Meinung als sachwidrig erachtet. 11 Man führt an, daß eine nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigte und nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführte Heilbehandlung schon tatbestandlich keine Körperverletzung darstelle. Eine derartige Einstufung diskriminiere zudem die ärztliche Tätigkeit. Bei fehlender Einwilligung handele es sich um ein Delikt gegen die Selbstbestimmung des Patienten und damit um ein Freiheitsdelikt. Da die Tatbestände der Nötigung und der Freiheitsberaubung nur einige solcher Fälle erfassen, sei de lege ferenda ein den Freiheitsdelikten zuzuordnender Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung erforderlich. 12

6 Zum Widerstand von ärztlicher Seite siehe die Angaben bei F.-C. Schroeder, Besondere Strafvorschriften gegen Eigenmächtige und Fehlerhafte Heilbehandlung?, 1998, S. 9 (Presseerklärung des Hartmannbundes), 12 f. (Seminar der Bundesärztekammer im Februar 1997); zu den Bedenken des Marburger Arbeitskreises von Strafrechtslehrern siehe Freund, ZStW 109 (1997), 455, 475 ff. 7 Vgl. BT-Drucks.13/8587, in welcher der § 229 VE 6. StrRG nicht mehr enthalten ist. 8 Blei, Bes. Teil, 12. Aufl., 1983, S. 57 ff.; Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968, S. 66 ff.; Gössel, Bes. Teil I, 1987, § 13 Rdn. 53 f.; Grünwald, ZStW 73 (1961), 5, 9; Hirsch, in: Leipziger Kommentar (LK), 10. Aufl., 1989, Vor § 223 Rdn. 3 ff.; Arth. Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 373; Lackner / Kühl, 22. Aufl., § 223 Rdn. 8; Maurach / Schroeder / Maiwald, Bes. Teil 1, 8. Aufl., 1995, § 8 Rdn. 30; Otto, Grundk. Bes. Teil, 4. Aufl., 1995, § 15 I. 2. e); Rudolphi, JR 1975, 512; Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 223 Rdn. 9b. Grundlegend Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, 1939, S. 69 ff.; ders., Der Arzt im Strafrecht, in: Ponsold Lehrb., 2.Aufl., 1957, 1, 35; Engisch, ZStW 59 (1939), 1 ff.; ders., Berl. Ärztebl. l967, 590 ff. Siehe auch die Nachw. Fn. 14 sowie Eser, ZStW 97 (1985), 1, 19 (zu den von ihm angenommenen Einschränkungen aber noch unten bei Fn. 24.). 9 Ggf. auch mutmaßliche Einwilligung, rechtfertigender Notstand oder eine sonstige Befugnis. 10 RGSt. 25, 375, 378; BGHSt. 11, 111; 12, 379; 16, 309; BGH NStZ 1996, 34; st. Rspr. 11 Vgl. die Nachw. Fn. 8.

Zur Frage eines Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung

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Die Entwicklung der Tatbestandsdogmatik, nach der bereits auf der Tatbestandsebene zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsfällen unterschieden wird, hat es ermöglicht, der Schrifttumsauffassung genauere Konturen zu geben: Auf der Ebene des objektiven Tatbestands fehlt es an der Herbeiführung eines Körperverletzungserfolgs, wenn der Eingriff zu einem Heilerfolg (Heilung oder Linderung) führt, also eine Verbesserung des Körperzustands bewirkt. Ist das nicht der Fall, so wird der subjektive Tatbestand bedeutsam. Der Arzt, der heilen, also den Körperzustand verbessern will, hat weder einen auf körperliche Mißhandlung noch einen auf Gesundheitsbeschädigung gerichteten Vorsatz, weshalb der Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzung entfällt. Die verbleibende Frage, ob der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung gegeben ist, entscheidet sich danach, ob der Betreffende die erforderliche Sorgfalt beachtet, insbesondere lege artis gehandelt hat. Ist dies der Fall, so ist auch eine Fahrlässigkeitstat zu verneinen. Wird der Heilerfolg bewirkt, geschieht das jedoch mittels medizinisch unnötiger körperlicher Beeinträchtigungen oder Schmerzen, besteht die Möglichkeit, daß insoweit eine (vorsätzliche oder fahrlässige) Körperverletzung übrigbleibt. 13 2. Der gegenüber der vorherrschenden Literaturmeinung erhobene Einwand, daß sie wegen andernfalls entstehender Strafbarkeitslücken nicht praktikabel sei, solange der Gesetzgeber nicht einen Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung geschaffen hat, 14 ist im Rahmen dieses thematisch mit der künftigen Gesetzgebung befaßten Beitrags nur insoweit von Interesse, wie darin die Bejahung des Strafbarkeitsbedürfnisses zum Ausdruck gelangt. Darauf ist an späterer Stelle noch zurückzukommen. Im zur Erörterung stehenden Zusammenhang interessieren dagegen die Argumente, mit denen die sachliche Richtigkeit jener überwiegenden Lehre ganz oder teilweise in Frage gestellt werden soll. Ein Argument lautet, der Rechtsprechung sei beizupflichten, weil bei jedem Heileingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen werde, das zudem ausdrücklich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlichen Schutz genieße. 15 Dazu ist jedoch zu bemerken, daß der Begriff der „körperlichen Unversehrtheit“ in der Rechtssprache dazu benutzt wird, um das Schutzinteresse zu 12 Für einen solchen Tatbestand, eingereiht unter die Delikte gegen die persönliche Freiheit, außer den in Fn. 4 genannten älteren StGB-Entwürfen auch der AE 1970 (§ 123). Siehe ferner das in Fn. 8 und 14 (z. T. die genauere Einordnung offenlassend) zitierte Schrifttum. Siehe auch § 162 E 1962, bei dem jedoch auf eine klare Einordnung verzichtet worden ist. 13 Vgl. zum vorhergehenden die Darstellung bei Hirsch, LK, Vor § 223 Rdn. 3 ff. m.w. N. 14 So Jescheck / Weigend, Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, S. 379; Krey, Bes. Teil I, 10. Aufl., 1996, Rdn. 219; Küpper, Bes. Teil 1, 1996, 2/43; Roxin, Allg. Teil 1, 3. Aufl., 1997, 13/24; Wessels, Bes. Teil 1, 21. Aufl., 1997, Rdn. 309; Wilts, MDR 1970, 971 ff.; 1971, 4 ff. 15 So Arzt, Bes. Teil, LH 1, 3. Aufl., 1988, Rdn. 320 f.; Baumann, NJW 1958, 2092, 2093; Bottke, Suizid und Strafrecht, 1982, S. 144 ff.; Kohlhaas, Medizin und Recht, 1969, S. 111;

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Besonderer Teil

beschreiben, das durch eine körperliche Mißhandlung oder eine Gesundheitsbeschädigung gemindert wird. So ist auch im StGB-Entwurf von 1962 (E 1962) und im deutschen Alternativentwurf von 1970 (AE) von Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit die Rede, ohne daß man diesen die eigenmächtige Heilbehandlung zuordnet. 16 Daß es nicht allein schon um den Schutz der körperlichen Sphäre gehen kann, wird unmittelbar deutlich, wenn man an den Tatbestand der Vergewaltigung denkt, der unstreitig kein Körperverletzungs-, sondern ein Freiheitsdelikt ist. Auch bei Berücksichtigung des Faktums, daß beim Heileingriff im Unterschied zur Vergewaltigung in die Körpersubstanz eingegriffen wird, ergibt sich nichts anderes. Gerade unter verfassungsrechtlichem Aspekt hätte es wenig Sinn, die körperliche Unversehrtheit in einer weiten Wortbedeutung zu verstehen. Denn unter dem Blickwinkel des Körperschutzes besteht keine Veranlassung, den menschlichen Körper gegen seine Instandhaltung zu schützen. Heilerfolg und auch die nur darauf gerichtete, lege artis ausgeführte Behandlung liegen im Körperinteresse. Was hier dagegen des Schutzes bedarf, ist die Freiheit der Entscheidung, und diese ist ebenfalls grundrechtlich geschützt, nämlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Gewichtiger ist der Einwand, daß der Heilerfolg sich in der Regel nicht sofort einstelle, sondern doch zumeist erst in einem gewissen Zeitraum dem Eingriff in die körperliche Sphäre nachfolge. 17 In der Tat ist derjenige, der sich einem chirurgischen Eingriff unterzieht, isoliert gesehen zunächst durch die Operationswunde stärker körperlich beeinträchtigt, als er es war, bevor das Skalpell angesetzt worden ist. Man hat aber bereits darauf hingewiesen, daß eine Gesamtbetrachtung stattfinden muß. 18 Ausschlaggebend ist, daß der Eingriff den erforderlichen Weg zur Heilung eröffnet und deshalb zusammen mit dem eintretenden Heilerfolg zu sehen ist; das Gesamtgeschehen bildet einen zur Verbesserung des Körperzustands führenden Verlauf. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß bei der Reparatur von Sachen eine Gesamtbetrachtung gemeinhin als angebracht angesehen wird. Hier stuft man den zur Instandsetzung vorgenommenen Eingriff in eine fremde Sache nicht als Sachbeschädigung und damit tatbestandsmäßige und nur durch Einwilligung gerechtfertigte Handlung ein, vielmehr wird schon das Beschädigen verneint. 19 Reparieren und Heilen sind eben andere Phänomene als Beschädigen und Verletzen. H.-G., Koch, in: Eser / Nishihara, Rechtf. u. Entsch. IV, 1995, S. 213, 221 ff.; Schwalm, Bockelmann-Festschr., S. 539, 540; Rengier, Bes. Teil II, 1998, § 13 Rdn. 17. Siehe auch Jakobs, Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, 14/6 Fn. 9. 16 Vgl. die Überschrift des Dritten Titels des Ersten Abschnitts im E 1962 und im AE. Die Eigenmächtige Heilbehandlung ist dagegen im E 1962 im Vierten Titel „Ärztliche Eingriffe und Heilbehandlung“ (§ 162) und im AE im Vierten Titel „Straftaten gegen die Freiheit“ (§ 123) geregelt. Deshalb bildet die diesen Entwürfen entlehnte Neufassung der Überschrift des 17. Abschnitts durch das 6. StrRG ebenfalls kein Argument. 17 Das betont auch Krauß, Bockelmann-Festschr., 1979, 557, 561 ff. 18 Näher Engisch, ZStW 58 (1939), 1, 5 ff.; Bockelmann, JZ 1962, 525, 527 f.; ders. (Fn. 8), S. 66. ff. mit Fn. 87; Hirsch, LK, Vor § 223 Rdn. 1, 3 u. 4.

Zur Frage eines Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung

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Andere Auffassungen suchen indes ebenfalls die Lösung im Bereich der Körperverletzungstatbestände, wollen die Ansicht der Rechtsprechung aber modifizieren: Die Einwilligung soll nicht erst die Rechtfertigungsebene betreffen, sondern schon den Tatbestand beseitigen. Am engsten bleibt dabei Freund 20 der Judikatur verhaftet. Er meint, daß beim Heileingriff zwar der objektive Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt sei, aber die Einhaltung der lex artis auch vom Vorhandensein einer wirksamen Einwilligung abhänge. Ein – vorsätzliches oder fahrlässiges – eigenmächtiges Handeln sei unabhängig von seiner sonstigen Kunstgerechtheit immer ein Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, die gewissermaßen als stillschweigende Voraussetzung das Vorliegen des „informed consent“ beinhalteten. Bei dieser Konstruktion ist jedoch die Frage übersprungen, ob eine Gesundheitsverbesserung überhaupt objektiv eine Körperverletzung sein kann. Sicherlich widerspricht es den Regeln der ärztlichen Berufsausübung, Patienten gegen deren Willen zu behandeln. Das ist aber von den auf die Gesundheitsseite bezogenen ärztlichen Kunstregeln klar zu trennen. Eine medizinisch einwandfrei und erfolgreich durchgeführte Operation ist nicht deshalb, weil eine ausreichende Einwilligung des Patienten fehlte, eine kunstfehlerhafte. Es liegt vielmehr objektiv schon gar keine Körperverletzung vor. Die von Freund herangezogene Regel ärztlicher Berufsausübung ist nur eine Widerspiegelung davon, daß neben dem Körper des Patienten auch dessen Selbstbestimmung Respektierung beansprucht, besagt aber nichts für die Zuordnung zum Körperverletzungstatbestand. Weitergehend wird von Horn 21 eine Modifizierung der Rechtsprechung im Rahmen des objektiven Tatbestands der Körperverletzung vorgeschlagen. Es gehe in den §§ 223 ff. StGB um zwei voneinander zu unterscheidende Rechtsgüter: die Gesundheit und das „körperbezogene Selbstbestimmungsrecht“. Führe eine Heilbehandlung zur Verbesserung des gesundheitlichen Gesamtzustands, so fehle es zwar stets an einer Gesundheitsverschlechterung und damit an einer Gesundheitsbeschädigung. Jedoch verbleibe im Falle der Eigenmacht die Verletzung des als zweites Rechtsgut geschützten Selbstbestimmungsrechts. Demgegenüber ist jedoch einzuwenden, daß derjenige, der nur die Selbstbestimmung verletzt, sachlich keine Körperverletzung begeht. Es handelt sich um ein Freiheitsdelikt und damit etwas anderes, weshalb es nicht in die §§ 223 ff. StGB gehört. 22, 23 19

Vgl. Stree, in: Schönke / Schröder (Sch / Sch), 25.Aufl., 1997, § 303 Rdn. 10; Wessels, Bes. Teil 2, 20. Aufl., 1997, Rdn. 27; Bockelmann (Fn. 8), S. 66 mit Fn. 83, die auch darauf hinweisen, daß sich aus RGSt. 33, 177 nichts Abweichendes herleiten läßt. 20 ZStW 109 (1997), 455, 475. 21 Systematischer Kommentar StGB (SK), 6. Aufl., 1997, § 223 Rdn. 35 ff. 22 Unklar bleibt bei der Konstruktion zudem de lege lata die Vereinbarkeit mit dem Gesetzeswortlaut des § 223 StGB. Läßt sich ein den Körperzustand verbessernder Heileingriff deshalb, weil er ganz oder teilweise ohne Einwilligung erfolgt ist, als „körperliche Misshandlung“ betrachten? – Eine Körper und Willen rechtsgutsmäßig miteinander verknüpfende Auffassung hatte der Verf. in ZStW 74 (1962),78, 102 ff. erstmals zur Diskussion

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Im Unterschied zu den vorgenannten Auffassungen will eine auf Horst Schröder zurückgehende, heute vor allem von Eser vertretene Ansicht 24 den Standpunkt der vorherrschenden Lehre, daß bei erfolgreichem Heileingriff der Tatbestand der Körperverletzung immer ausscheidet, auch wenn keine Einwilligung vorliegt, nicht prinzipiell ablehnen. Er soll aber nur für einen Teil der Fälle gelten: Zwar seien diejenigen gelungenen Heilmaßnahmen, die ohne wesentlichen Substanzverlust erfolgen, schon objektiv keine Körperverletzungen. Hingegen komme es im Falle wesentlicher Substanzveränderungen nicht allein darauf an, daß der Eingriff insgesamt betrachtet zu einer Gesundheitsverbesserung führe, sondern der Tatbestandsausschluß sei hier außerdem vom Einverständnis des Betroffenen abhängig. Gegenüber dieser Auffassung ist aber ebenfalls einzuwenden, daß durch die Einbeziehung der Einwilligung in den Tatbestand das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB verändert wird. Es besteht dann nicht mehr nur im Körperzustand, sondern auch in der Selbstbestimmung. Denn wenn trotz Gesundheitsverbesserung eine Körperverletzung bejaht wird (Beispiel: Der bei einem Unfall irreparabel zerquetschte Unterschenkel wird amputiert), geht es nur noch um ein Freiheitsdelikt, mithin um eine gegen ein anderes Rechtsgut gerichtete Tat. Außerdem erhebt sich das Bedenken, daß ein Widerspruch vorliegt. Wenn nämlich die Selbstbestimmung hier bei der Tatbestandsfrage relevant sein soll, dann muß das für alle Sachverhalte und nicht nur die Substanzeinbußen gelten. Entweder stellt man bei allen Heileingriffen darauf ab, daß das Entfallen des Körperverletzungstatbestands vom Vorliegen der Einwilligung abhängig ist, oder aber man geht vom Wohl des Körpers aus gestellt. Er ist dann aber zu dem Ergebnis gelangt, daß sie nicht zu halten ist; vgl. Hirsch, Welzel-Festschr., 1974, S. 775, 782 ff.; ders., LK, 9. Aufl., 1974, Vor § 51 Rdn. 102. 23 Auch Krauß (Bockelmann-Festschr., S. 574 ff.) will eine Lösung innerhalb des Tatbestands der Körperverletzung vornehmen. Zu seinen drei Differenzierungskriterien näher Hirsch, LK, Vor § 223 Rdn. 4, wo neben der Unschärfe die durch die Verknüpfung von Körperinteresse und Intention des Betroffenen etwas verklausulierte tatbestandliche Verquickung von Körper- und Selbstbestimmungsaspekten kritisiert wird. – Die von M.K. Meyer (Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, 1984, S. 211 ff. und neuestens GA 1998, 415, 419 f.) vorgenommene Unterscheidung zwischen Eingriffen, die der Gefahrverringerung dienen (dann keine Körperverletzung) und solchen, die mit neuen Gefahren verbunden sind, führt nicht weiter. Bekanntlich gibt es zahlreiche Heileingriffe, welche die Behebung eines eingetretenen, aber nicht mehr weiter expandierenden Körperschadens betreffen (z. B. die operative Behebung einer unfallbedingten Gelenkversteifung). Bei ihnen handelt es sich nicht um Gefahrverringerung, sondern ausschließlich um Wiederherstellung. Sie unter Körperverletzungsaspekten anders als Fälle der „Gefahrverringerung“ einzuordnen, ergäbe keinen Sinn. Und was die von M. als Gegensatzkriterium genannte „Gefahrerweiterung“ betrifft, ist zu bedenken, daß die meisten operativen Eingriffe im Zeitpunkt ihrer Vornahme gefahrerhöhend sind, weil in dieser Phase die spezifischen Operationsrisiken hinzukommen. Vor allem aber besagen die Risikofragen nichts darüber, ob objektiv eine Körperverletzung vorliegt oder nicht. Dies hängt vielmehr davon ab, ob sich das Risiko objektiv in einem entsprechenden Erfolg niedergeschlagen hat. In einem solchen Fall interessiert es für die Frage einer etwaigen Sorgfaltswidrigkeit. Auch kann es für Einwilligungsumfang und Aufklärung bedeutsam werden. 24 Vgl. Horst Schröder, NJW 1961, 951, 953; Eser, Sch / Sch,§ 223 Rdn. 31 ff.

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und verneint, wie dies das Schrifttum überwiegend tut, bei jedem gelingenden Heileingriff die Verletzung des Rechtsguts der §§ 223 ff. StGB. Tertium non datur. Bei der kritisierten Ansicht spielt die Überlegung eine Rolle, daß der Körper bei Substanzeinbußen äußerlich verringert ist. Aber es ist nicht isoliert zu betrachten, daß jemand nach der Amputation ein Glied weniger hat, sondern zu vergleichen ist der durch das kranke Glied entstandene geminderte körperliche Gesamtzustand vor dem Eingriff mit der durch die Entfernung bewirkten relativen Besserung dieses Zustands nach dem Eingriff. Die körperliche Verfassung des Menschen – und damit das in den §§ 223 ff. StGB geschützte Rechtsgut – bestimmt sich nicht absolut, sondern relativ-individuell. 25 Daher ist die auf Schröder zurückgehende Lösung nicht überzeugend. 26 Es läßt sich daher feststellen, daß die sachlich mögliche Alternative zur Rechtsprechung allein in dem oben aufgezeigten Lösungskonzept der überwiegenden Lehre besteht. 3. Bemerkenswert ist nun aber, daß gegen einen selbständigen Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung Einwände aus kriminal- und standespolitischer Sicht erhoben werden – Einwände, die in Deutschland jetzt das Aktivwerden des Gesetzgebers verhindert haben. Man ist einerseits unzufrieden mit der Auffassung der Rechtsprechung, möchte aber andererseits auch keinen Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung. 27 Schon bei Krauß heißt es, man frage sich, weshalb „ausgerechnet die Ärzte und nur die Ärzte wegen ihrer ‚Eigenmacht‘ bestraft werden sollen“. Niemand sonst werde „wegen bloßer Eigenmacht strafrechtlich belangt, er mag damit bezwecken, was er will“. 28 In der Tat sind solche Verhaltensweisen in anderen Bereichen nur unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten, namentlich der unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag, von Interesse. Aber die ärztliche Tätigkeit sieht sich wegen ihres Gegenstands – Gesundheit und Leben – zwangsläufig eher den durch das Strafrecht gesetzten Grenzen gegenüber. Allerdings geht es bei der zur Erörterung stehenden Problematik nicht um Behandlungsfehler und daher nicht um diese beiden Rechtsgüter betreffende Verhaltensweisen, sondern um die Selbstbestimmung, also die Entscheidungsfreiheit. Doch handelt es sich nicht um irgendeine Entscheidungsfreiheit, sondern um die, ob oder inwieweit jemand gestattet wird, einen Heileingriff am Körper des Betroffenen vorzunehmen. Daß die Strafbestimmungen der Nötigung und der Freiheitsberaubung nicht genügen, um den Schutz des Patienten ausreichend zu gewährleisten, wird von jeher als ein Grund dafür angegeben, daß die Rechtsprechung so hartnäckig an ihrer Körperverletzungslösung festhält. Der diese Lösung 25

Näher zur Relativität des Umfangs dieses Rechtsguts Hirsch, LK, Vor § 223 Rdn. 1. Vgl. zur Kritik bereits Bockelmann, JZ 1962, 527 f.; ders. (Fn. 8), S. 66 ff.; Hirsch, LK, Vor § 223 Rdn. 4. 27 Siehe die Angaben bei F.-C. Schroeder (Fn. 6), S. 9, 12 f. 28 Krauß, Bockelmann-Festschr., S. 575. 26

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ablehnenden Literatur ist stets als Haupteinwand entgegengehalten worden, daß sie de lege lata zu unerträglichen Strafbarkeitslücken führe. 29 Im übrigen ist gegenüber der Befürchtung, die Ärzteschaft würde unter ein Sonderrecht gestellt, auch darauf hinzuweisen, daß ein Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung zwar hauptsächlich für Ärzte bedeutsam würde, sich aber nicht auf sie zu beschränken hätte. So ist es denkbar, daß ein Heilkundiger, ein Krankenpfleger oder eine Krankenschwester einen Heileingriff zwar technisch korrekt und erfolgreich, jedoch eigenmächtig vornehmen. Daher hat der Tatbestand gar nicht auf Ärzte als Tätergruppe abzustellen, sondern nur darauf, daß eine eigenmächtige Heilbehandlung vorliegt. 30 Betrachet man die Fälle, in denen die Körperverletzungskonstruktion in der Judikatur praktisch wird, so stellt man fest, daß es sich überwiegend um Verstöße gegen die Aufklärungspflicht und dementsprechend um Mängel der Einwilligung handelt. 31 Aber bedeutet dies, daß bei genauerem Hinsehen ein zu weitgehendes Strafbedürfnis bejaht wird? Man hat kritisch darauf hingewiesen, daß es in der Rechtsprechung immer wieder Fälle gibt, bei denen auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht zurückgegriffen wird, weil bezüglich eines Kunstfehlers Beweisschwierigkeiten bestehen. 32 Das ist indes dann unbedenklich, wenn wirklich ein relevanter Aufklärungsverstoß begründet werden kann und die Strafzumessung sich an diesem und nicht am Verdacht des Kunstfehlers ausrichtet. Und betrachtet man die Intensivierung der Rechtsprechung zum Aufklärungsmangel seit Ende der fünfziger Jahre, so wird deutlich, daß gegenüber der bis dahin oft geübten 29 In der Begründung zu §§ 229, 230 VE 6. StrRG, S. 92 heißt es dementsprechend in bezug auf die eigenmächtige Heilbehandlung: „Die Strafwürdigkeit steht außer Frage.“ 30 Siehe dazu auch noch den Text vor Fn. 49. F.-C. Schroeder ([Fn. 6], S. 36) befürchtet nun aber, daß durch die Einbeziehung von Nichtärzten ein „Paradox“ entstehe: Während man durch einen neuen Tatbestand „die Ärzte aus ihrer Gesellschaft mit Messerstechern und Raufbolden herauslösen wollte, so würden sie sich nun in Gemeinschaft finden mit Kurpfuschern, Teufelsaustreibern und Laien, die zwar mit gutem Willen, aber ohne das Erfordernis jeder Sachkenntnis Eingriffe und Behandlung vornehmen“. Zu dieser Befürchtung besteht jedoch kein Anlaß. Ganz abgesehen davon, daß eine mit unnötigen erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen oder Schmerzen verbundene Behandlung trotz des verfolgten Heilzwecks immer objektiv als Körperverletzung einzustufen wäre, ist zu beachten: Von der bisherigen Rspr. wird die ordnungsgemäße ärztliche Berufsausübung als straftatbestandsmäßige Körperverletzung eingestuft, also der Heileingriff als Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts bewertet und insoweit mit dem Verhalten von Messerstechern udgl. in einen Topf geworfen. Das ist sicherlich unbefriedigend. Bei der Einbeziehung von Nichtärzten in den Tatbestand der Eigenmächtigen Heilbehandlung geht es dagegen um eine Übereinstimmung im strafbaren Verhalten: für Arzt und Nichtarzt steht die strafbare Verletzung eines Rechtsguts, hier der Selbstbestimmung des Patienten, in Rede. 31 Vgl. die Rspr.-Übersichten bei Hirsch, LK, § 226a (= § 228 n.F.) Rdn. 20 ff. und Eser, Sch / Sch, § 223 Rdn. 40 ff. Deshalb wird in § 162 Abs. 3 E 1962 und in § 123 Abs. 4 AE die ärztliche Aufklärungspflicht besonders erwähnt. 32 Vgl. die Nachw. bei Hirsch, LK, § 226a (= § 228 n.F.) Rdn. 19.

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Bevormundung der Patienten durch Teile der Ärzteschaft eine strafrechtliche Barriere geboten gewesen ist. Der Abbau der dadurch bewirkten Prävention wäre ein Signal in die falsche Richtung. Unabhängig davon sind Fälle möglich, in denen ein am Honorar interessierter Arzt den Patienten durch Täuschung über Umfang oder besondere Risiken eines Eingriffs oder auch über mangelnde spezielle Erfahrung zum Einverständnis motiviert. Sie werden in dem Maße aktueller, in dem die wirtschaftliche Seite für den Arzt in den Vordergrund tritt und berufsständische Sanktionen an Bedeutung verlieren. Im übrigen nehmen auch diejenigen Autoren, die innerhalb der Körperverletzungstatbestände eine Korrektur der Körperverletzungslösung der Rechtsprechung suchen, Fälle strafbarer Eigenmacht an, jedoch eben in der Weise, daß dann wegen Körperverletzung bestraft werden soll. 33 Offenbar wird auf seiten der Ärzteschaft befürchtet, daß ein Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung sich in der Praxis der Strafrechtspflege als Einladung zu zusätzlicher Aktivität der Strafverfolgungsbehörden auswirkt. 34 Dem widersprechen aber die österreichischen Erfahrungen. Die im Jahre 1975 erfolgte Einführung des § 110 öStGB hat keine Zunahme einschlägiger Strafverfahren zur Folge gehabt, im Gegenteil: Verurteilungen nach dieser Vorschrift sind äußerst selten. 35 Hierbei ist auch zu bedenken, daß nach der Auffassung der Rechtsprechung, wie sie früher in Österreich vertreten wurde und nach wie vor in Deutschland vertreten wird, diejenigen Fälle mit erfaßt werden, in denen der Arzt sich über die mangelnde Einwilligung im Irrtum befindet. Über die herrschende eingeschränkte Schuldtheorie gelangt man bei Vermeidbarkeit des Irrtums zur Bestrafung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung. Sobald man Einwilligungsdefizite beim Heileingriff als Freiheitsdelikt der Eigenmächtigen Heilbehandlung erfaßt, kommen dagegen von vornherein nur noch Fälle vorsätzlicher Eigenmacht in Betracht. Die Strafbarkeit wird – sachentsprechend – also auch umfangmäßig reduziert. Darüber hinaus liegt der angemessene Strafrahmen eines solchen Frei33 Siehe Horn, SK, § 223 Rdn. 35 ff.; Krauß, Bockelmann-Festschr., S. 573 und Freund, ZStW 109 (1997), 475. 34 Vgl. die Angaben bei F.-C. Schroeder (Fn. 6), S. 12 zu dem von der Bundesärztekammer veranstalteten Seminar über die im VE 6. StrRG vorgesehenen Regelungen. 35 Vgl. die Angaben bei Schmoller, in: Triffterer (Hrsg.), StGB-Kommentar, Wien 1997, § 110 Rdn. 15. Danach wurde ausweislich einer Auskunft des österr. Statistischen Zentralamts seit Inkrafttreten des § 110 öStGB im Jahre 1975 bis Mitte 1997 in keinem einzigen Fall wegen dieser Vorschrift als führendes Delikt verurteilt. Für den Zeitraum ab 1993 hat Sch. darüber hinaus ermittelt, daß überhaupt keine Verurteilung nach § 110 öStGB erfolgt ist. Als maßgeblicher Grund hierfür wird die Ausgestaltung der Vorschrift als Privatanklagedelikt angesehen; Schmoller, a. a. O. Aber wenn auch wegen grundsätzlich zu bejahenden öffentlichen Interesses die Zuordnung zu den Privatklagedelikten für den deutschen Gesetzgeber nicht in Betracht kommen sollte, würde dies schon aufgrund des einem Tatbestand der Eigenmächtigen Heilbehandlung angemessenen niedrigen Strafrahmens (dazu noch im folgenden) keine zusätzlichen Aktivitäten erwarten lassen.

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heitsdelikts niedriger als der bei Körperverletzungsdelikten, von deren zahlreichen Strafschärfungen ganz abgesehen. Die Seltenheit von Verurteilungen aus § 110 öStGB ließe sich jedoch nicht dafür anführen, daß eine Strafbarkeit überhaupt entbehrlich wäre. Oben wurde vielmehr schon darauf hingewiesen, daß die Prävention, die von der Strafbarkeit ausgeht, im zur Erörterung stehenden Bereich durchaus wirksam ist. Die Strafbarkeit verstärkt die Motivation von Ärzten und anderen, sich nicht über die Selbstbestimmung der Betroffenen hinwegzusetzen. 36 Ebenfalls ist die in Deutschland von seiten der Ärzteschaft geäußerte Sorge, daß sich aus der Schaffung eines Tatbestands der Eigenmächtigen Heilbehandlung Unsicherheiten der Rechtslage ergeben würden, 37 nicht berechtigt. Die Einführung einer solchen Vorschrift – vorausgesetzt, daß sie sachgemäß konzipiert ist 38 –, dient doch gerade dazu, die Rechtslage gegenüber dem bisherigen Zustand zu stabilisieren und zu präzisieren sowie sachentsprechend einzugrenzen. Nach alledem lautet die Alternative: entweder sich damit abzufinden, daß der ärztliche Heileingriff weiterhin, wie die Rechtsprechung es tut, trotz Heilerfolgs oder trotz lege artis geschehener Vornahme als tatbestandsmäßige Körperverletzung eingestuft und damit bei Einwilligungsdefiziten wegen vorsätzlicher Körperverletzung, ggf. sogar in tatbestandlich qualifizierter Form, und auch fahrlässiger Tat bestraft wird oder aber die Anwendbarkeit der Körperverletzungstatbestände von vornherein auf die unter Verletzung der lex artis bewirkte Verschlechterung des Körperzustandes zu beschränken und Fälle von Einwilligungsdefiziten durch ein Freiheitsdelikt der vorsätzlichen eigenmächtigen Heilbehandlung zu erfassen. Aus den genannten Gründen ist der zweite Weg der sachgemäße, und er ist auch für die Ärzteschaft der in mehrfacher Hinsicht befriedigendere. 39 Es ist daher die Einführung eines Tatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung angezeigt.

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Darauf weist auch Schmoller (Fn. 35), § 110 Rdn. 16 hin. Vgl. die Stellungnahmen bei dem oben in Fn. 6 erwähnten Seminar der Bundesärztekammer. 38 Was in bezug auf § 229 VE 6. StrRG nicht behauptet werden kann (dazu noch näher Abschnitt III). Die Entschiedenheit des Widerspruchs der Ärzteschaft hängt offenbar auch mit der weiten inhaltlichen Fassung und den überhöhten Strafdrohungen dieses Gesetzesvorschlags zusammen. Ebenfalls kann die in dem Seminar der Bundesärztekammer (Fn. 6) geäußerte Sorge, daß sich aus § 229 VE unvorhersehbare Auswirkungen auf die zivilrechtliche Haftung der Ärzte ergeben könnten, vielleicht durch den über das Gebiet der bisherigen Judikatur hinausgehenden Anwendungsbereich dieser Vorschrift, der noch in Fn. 46 zu kritisieren ist, provoziert worden sein. Befürchtungen in bezug auf eine zu weite Kriminalisierung durch einen Tatbestand der Eigenmächtigen Heilbehandlung schon bei Koch (Fn. 15), S. 223 f., dazu bei Fn. 46. 39 In dieser Richtung auch F.-C. Schroeder (Fn. 6), S. 45 f. 37

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III. Wie hätte eine solche Vorschrift auszusehen? 1. Die als § 229 „Eigenmächtige Heilbehandlung“ im 1996 erschienenen VE 6. StrRG enthaltene Regelung hat folgenden Wortlaut: (1) Wer ohne wirksame Einwilligung bei einer anderen Person einen körperlichen Eingriff oder eine andere deren körperliche Integrität oder deren Gesundheitszustand nicht nur unwesentlich beeinflussende Behandlung vornimmt, um bei ihr oder ihrer Leibesfrucht vorhandene oder künftige körperliche oder seelische Krankheiten, Schäden, Leiden, Beschwerden oder Störungen zu erkennen, zu heilen, zu lindern oder ihnen vorzubeugen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 226 gilt sinngemäß. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn die Behandlung 1. der Erprobung einer neuen Behandlungsmethode dient, ohne daß dies im Interesse der behandelten Person oder ihrer Leibesfrucht geboten ist, oder 2. unter Abwägung des mit ihr verfolgten Zwecks und einer mit ihr für die behandelte Person verbundenen Gefährdung nicht verantwortet werden kann. An dieser Entwurfsvorschrift fällt als erstes ihre Einordnung in den 17.Abschnitt (Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit) auf. Die Entwurfsverfasser setzen den Tatbestand an die Stelle, an der sich die bisherige Strafbestimmung der Vergiftung (§ 229 a.F. StGB) befunden hat. Der § 110 öStGB ist dagegen bei den Freiheitsdelikten eingereiht. Auch im deutschen AE ist eine solche Einordnung erfolgt (§ 123 AE). 40 Ebenfalls wird im E 1962 der Tatbestand (§ 162) außerhalb des dortigen 3. Titels „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ geregelt, und zwar in einem zwischen Körperverletzungs- und Freiheitsdelikten eingeschobenen umfassenden 4. Titel „Ärztliche Eingriffe und Heilbehandlung“, wobei in § 161 E 1962 noch ausdrücklich klargestellt wird, daß die in der Vorschrift näher umrissene Heilbehandlung „nicht als Körperverletzung strafbar“ ist. Außerdem heißt es in der Begründung, daß es sich bei der Eigenmächtigen Heilbehandlung um ein gegen das Selbsbestimmungsrecht des Patienten gerichtetes Delikt handele. 41 Die in § 229 VE 6. StrRG vorgenommene Einordnung in den 17. Abschnitt, der die Körperverletzungsdelikte regelt, ist sachwidrig. Die Entwurfsverfasser meinen – entgegen den Ergebnissen der auf eine langjährige und breite wissenschaftliche Diskussion aufbauenden Schrifttumsmeinung –, einerseits gehe es 40 Sie findet sich ebenfalls schon in früheren Reformentwürfen, vgl. die Hinweise oben in Fn.4. 41 E 1962, Begründung zu § 162, S. 298.

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bei der eigenmächtigen Heilbehandlung, was das Schutzinteresse betrifft, um einen Eingriff in die „körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten“. 42 Andererseits sollen jedoch weder der „Grundtatbestand des § 223 StGB ... noch die Qualifikationstatbestände der §§ 224, 225 n.F. StGB geeignet (sein), den spezifischen Unrechtsgehalt zu erfassen, der in solchen Eingriffen liegt“. 43 Dieser Gedankengang widerspricht indes der Logik. Wenn man das Schutzinteresse ausschlaggebend bereits in der körperlichen Integrität sieht, so handelt es sich dabei um das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ und damit bei dem Eingriff um eine Verwirklichung des Tatbestands der Körperverletzung. Ist das aber der Fall, dann könnte es nur darum gehen, ob im Hinblick auf den Heilzweck ein privilegierter Tatbestand der Körperverletzung vorzusehen ist. Die Entwurfsverfasser lehnen jedoch bereits das Erfülltsein des Grundtatbestands der Körperverletzung ab und darüber hinaus auch einen milderen Strafrahmen. 44 Sie verkennen mithin, daß der „spezifische Unrechtsgehalt“, von dem sie sprechen und der die Notwendigkeit eines eigenständigen Tatbestands gebietet, gerade daraus resultiert, daß es sich – und das Wort „eigenmächtig“ drängt dies eigentlich auf – um den Schutz eines anderen Rechtsguts als dem des 17. Abschnitts handelt. Der Gedanke, die Lozierung in diesem Abschnitt könne sinnvoll sein, um der Gefahr vorzubeugen, daß die Judikatur in Fällen, deren Unrechtsgehalt sich in der Eigenmacht erschöpft, auch auf die allgemeinen Körperverletzungstatbestände zurückgreift, scheidet aus. Vielmehr ist insoweit daran zu erinnern, daß das deutsche StGB grundsätzlich nach geschützten Rechtsgütern aufgebaut ist, weshalb ein etwa gebotener Hinweis auf das Verhältnis zu den Körperverletzungsdelikten im Rahmen der bei den Freiheitsdelikten einzuordnenden Regelung zu erfolgen hat. Betrachtet man den Wortlaut von § 229 VE 6. StrRG, so fällt an der Tatbeschreibung als erstes die holperige Aufzählung auf, wie sie sich ansatzweise auch bereits in §§ 161, 162 E 1962 findet. Sie entspricht kaum der Tatbestandsformulierung eines Strafgesetzbuchs. Das hatten in Konfrontation mit dem E 1962 auch schon die Verfasser von § 123 AE gesehen und deshalb zusammenfassend von „Heileingriff“ gesprochen. Ist man der Auffassung, diesen näher im Gesetz definieren zu müssen, so hat das zumindest in einer getrennten Definition zu erfolgen, wie das in § 161 E 1962 geschehen ist und vereinzelt auch an anderen Stellen des Gesetzes geschieht. Weiterhin springt an der Handlungsbeschreibung ins Auge, daß gemäß der schon kritisierten Einordnung in den die Körperverletzungsdelikte regelnden Gesetzesabschnitt von „körperlichem Eingriff“ oder einer anderen deren „körperliche 42 43 44

VE 6. StrRG, Begründung zu §§ 229, 230, S. 92 u. 93. Begründung a. a. O., S. 92. Begründung a. a. O.; sowie der Strafrahmen von § 229 VE 6. StrRG.

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Integrität“ oder deren „Gesundheitszustand“ nicht nur unwesentlich beeinflussenden Behandlung gesprochen wird. Bei sachentsprechender Einordnung als Freiheitsdelikt wäre das terminologisch verfehlt. Der E 1962 und der AE waren in diesem Punkt gedanklich schon erheblich weiter! Auch erhebt sich die Frage, wieso – wenn man sich im Umfeld der Körperverletzung bewegt – die nur „unwesentlich beeinflussende Behandlung“ ausdrücklich für straflos erklärt wird. Es ist anerkannt, daß allgemein die nur unwesentlichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit schon keine Körperverletzungen darstellen. 45 Hier dann daneben noch eine Privilegierung vorzusehen, wäre vom Ansatz her wenig konsequent. Auf der mangelnden Trennung von dem durch die Körperverletzungstatbestände geschützten Rechtsgut beruht weiterhin das subjektive Erfordernis der Heilungsabsicht. Auch § 162 E 1962 war noch als Absichtsdelikt ausgestaltet. Solange man den Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung nicht oder nicht vollständig von jenem Rechtsgutsbezug löst, liegt es nahe, in der Heilungsabsicht die positiv zu veranschlagende Zielrichtung zu sehen, die das Körperverletzungsunrecht modifiziert und die Aufstellung eines eigenen Tatbestands nahelegt. Aber die Notwendigkeit hierzu und der – von den Entwurfsverfassern verkannt – folgerichtig zu gewährende strafrechtliche „Rabatt“ ergeben sich doch gerade daraus, daß objektiv das Körperinteresse des Patienten gar nicht verletzt wird, sondern allein dessen Selbstbestimmung. Beachtet man, daß es sich um ein Freiheitsdelikt handelt, so geht es ausschließlich um diese vorsätzliche Erfolgsverwirklichung: nämlich daß jemand ohne sein Einverständnis in die Lage gebracht wird, einen Heileingriff an sich vornehmen zu lassen. Ebenso wie bei anderen Freiheitsdelikten, namentlich der Freiheitsberaubung und der Nötigung, handelt es sich darum, daß die Willensentschließungsfreiheit dadurch verletzt wird, daß der Täter einen vom Willen des Betroffenen nicht gedeckten Erfolg herbeiführt, d. h. es muß zur Vollendung ein Heileingriff vorliegen, nämlich in die körperliche Sphäre eingegriffen sein. 46

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Vgl. die Nachw. bei Hirsch, LK, § 223 Rdn. 9. D. h. es muß sich um einen Eingriff handeln, der ohne Heilwirkung eine Körperverletzung sein würde. Demgegenüber soll § 229 VE 6. StrRG nach der Intention der Entwurfsverfasser auch zu einer Ausdehnung der Strafbarkeit über diesen Bereich hinaus führen. Das Selbstbestimmungsrecht der von einer Heilbehandlung (kraft subjektiver Zielsetzung des Behandelnden) betroffenen Person soll auch dann vor eigenmächtigem Vorgehen strafrechtlich geschützt werden, wenn es um eine sonstige Verletzung der körperlichen Sphäre geht. In der Entwurfsbegründung wird als Beispiel die eigenmächtige Ultraschalluntersuchung bei Einwilligungsunfähigen genannt (S. 134). Hiergegen hat sich jedoch schon mit Recht der Marburger Arbeitskreis gewandt (vgl. Freund, ZStW 109 [1996], 478). Solange solche Verhaltensweisen nicht allgemein über die Nötigung hinaus pönalisiert sind, bedeutet es einen Wertungswiderspruch, sie in denjenigen Fällen, in denen sie mit Heilungswillen vorgenommen werden, strafrechtlich zu erfassen. Der Unrechtsgehalt einer Eigenmacht ist naturgemäß größer, wenn sie nicht zu Heilzwecken, also nicht altruistisch, sondern ausschließlich im Interesse des Täters oder Dritter, so zu 46

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Hiermit und dem darauf gerichteten Vorsatz liegt das vollendete Delikt vor. Mit Recht enthalten § 123 AE und § 110 öStGB daher kein Absichtserfordernis. 47 Im Ergebnis beizupflichten ist den Entwurfsverfassern dagegen, daß sie – übereinstimmend mit § 162 E 1962 – in § 229 VE 6. StrRG nicht die Beachtung der lex artis als Tatbestandserfordernis aufgenommen haben. Wird der Heilerfolg verwirklicht, dann ist objektiv keine Gesundheitsbeschädigung und damit keine Körperverletzung gegeben, es sei denn, daß infolge der Nichtbeachtung der Kunstregeln unnötige körperliche Beeinträchtigungen oder Schmerzen hervorgerufen werden und daher hierin eine Körperverletzung zu sehen ist. Die lex artis ist daher nur bedeutsam für den letztgenannten Fall und vor allem für die Frage, ob ein mißlungener Heileingriff oder jener Sachverhalt auf Fahrlässigkeit beruhen. Sie betrifft also nicht das tatbestandliche Unrecht der Eigenmacht, sondern das des tatbestandlichen Vorliegens einer Körperverletzung – mithin ein Konkurrenzproblem, auf das noch zurückzukommen ist. Ihre Aufnahme ist auch nicht etwa angezeigt, um den Täterkreis auf Ärzte einzugrenzen. Es geht bei dem Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung, wie schon erwähnt, nicht darum, daß speziell die Ärzteschaft diszipliniert werden soll, sondern um den Schutz vor jedermann, der sich derartige Eigenmacht anmaßt. Der Gedanke, daß derjenige, der kein Arzt ist, nicht den Regeln der ärztlichen Kunst gemäß handelt und daß deshalb in solchem Fall von vornherein vom Vorliegen einer Körperverletzung auszugehen sei, ist nicht schlüssig. Mit Recht wird in der Begründung zu § 229 VE 6. StrRG darauf hingewiesen, daß für diese Vorschrift auch andere Personen als Täter in Betracht kommen. 48 Sachlich ergibt sich das daraus: Wenn ein Laie einen Heileingriff vornimmt, der zum Heilerfolg führt, ohne daß durch die Laieneigenschaft bedingt, zusätzliche körperliche Beeinträchtigungen oder Schmerzen hervorgerufen werden, so ist keine Körperverletzung gegeben. Vielmehr erschöpft sich das Unrecht in der Eigenmacht (also einem Freiheitsdelikt) und im Verstoß gegen die Approbationsordnung. 49 Forschungszwecken, begangen wird. – Auch in bezug auf rein psychische Wirkungen hat zu gelten, daß Handlungen nicht als eigenmächtiger Heileingriff pönalisiert sein können, die bei fehlendem Heilungswillen überhaupt nicht strafbar sind. – Zu Fragen eigenmächtiger Genomanalyse siehe Sternberg-Lieben, GA 1990, 289 ff. 47 Vgl. § 123 Abs. l AE und § 110 Abs. l öStGB. 48 VE 6. StrRG, Begründung zu § 229, S. 94. 49 Aus allen diesen Gründen ist die Kritik durch den Marburger Arbeitskreis bei Freund, ZStW 109 (1997), 477, daß in § 229 VE 6. StrRG der Einhaltung der lex artis keine Bedeutung für den Tatbestand der Eigenmächtigen Heilbehandlung zugesprochen wird, nicht berechtigt. Wenn Freund als Bekräftigung der Auffassung des Arbeitskreises den Satz anführt „Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht“, so steht dahinter eine mangelnde Differenzierung auf der Rechtsgutsseite. Denn bei „gut gemeint“ geht es um das Fehlen des Körperverletzungsvorsatzes (so daß bei Eigenmacht nicht § 223 StGB, sondern ein Freiheitsdelikt in Betracht kommt), bei „nicht gut gemacht“ handelt es sich dagegen um die Frage des Vorliegens einer fahrlässigen Körperverletzung.

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An § 229 VE 6. StrRG ist ferner auffallend, daß er in die Tatbestandsbeschreibung (Abs. 1) die Formulierung „ohne wirksame Einwilligung“ aufnimmt, während die anderen deutschen Entwürfe und der § 110 öStGB auf das Wort „wirksam“ in der Tatbestandsfassung verzichten. Gesetzestechnisch hat es hier auch nichts zu suchen. Seine Einfügung hängt wohl damit zusammen, daß die Entwurfsverfasser die Vorschrift im Rahmen der Körperverletzungsdelikte und damit im Banne der Rechtfertigungsregelung des bisherigen § 226a StGB (jetzt § 228 StGB) – auf die dann sogar noch in Satz 2 verwiesen wird – gesehen und deshalb nicht als Freiheitsdelikt abgefaßt haben, wie es angemessen gewesen wäre. In den Tatbeständen der Freiheitsdelikte wird nirgendwo eigens betont, daß eine Einwilligung (sog. Einverständnis) wirksam sein muß. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß das tatbestandsausschließende Einverständnis nicht in dem Maße an rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft ist wie eine rechtfertigende Einwilligung. Die Frage, ob die Selbstbestimmung als tatbestandliches Schutzobjekt verletzt wird, ist mehr am Faktischen ausgerichtet als diejenige, ob es ausnahmsweise zulässig ist, durch Einwilligung einen Normschutzverzicht zu erklären. 50 Der in der Tatbestandsbeschreibung des § 229 VE 6. StrRG enthaltene Passus birgt daher die Gefahr der sachwidrigen Ausdehnung des Tatbestands. Außerdem provoziert er rechtliche Rubrizierungsprobleme bei Irrtumsfällen. Eine andere Frage ist, ob man, wie es in § 123 Abs. 4 AE und mittelbar auch in § 162 Abs. 3 E 1962 geschieht, in einem gesonderten Absatz zum Ausdruck bringen soll, daß die Wirksamkeit der Einwilligung hier aber jedenfalls abhängig ist von einer ausreichenden vorhergehenden Aufklärung. Es zeigt sich nach alledem, daß der Tatbestandsvorschlag des § 229 VE 6. StrRG weitgehend mißlungen ist. Verfehlt ist auch die Höhe der Strafdrohung: Sie ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ebenso hoch wie die der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) und höher als die der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB)! Das wird dem Unrechtsgehalt nicht gerecht. Die Strafdrohung in § 162 Abs. 1 E 1962 lautet auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, die in § 123 AE auf Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen und die in § 110 öStGB auf Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen. Die in § 229 VE 6. StrRG vorgesehene Strafdrohung basiert auch nicht auf einer Aktenauswertung der in Fällen eigenmächtiger Heilbehandlung nach der bisherigen Rechtsprechung auf vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung gestützten Entscheidungen; dann hätte man wohl ebenfalls zu einer erheblich niedrigeren Strafdrohung gelangen müssen. Nicht weniger zu kritisieren ist die in Absatz 2 der Entwurfsvorschrift vorgesehene Regelung besonders schwerer Fälle und die dortige Strafdrohung von sechs 50

Näher dazu Hirsch, LK, 11. Aufl., 1994, Vor § 32 Rdn. l00 m.w. N.

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Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Ganz abgesehen von der rechtsstaatlich bedenklichen Gesetzestechnik, besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen anstatt qualifizierte Tatbestände zu schaffen, 51 erhebt sich die Frage, ob die aufgeführten beiden Regelbeispiele überhaupt in den Zusammenhang der Vorschrift gehören und es daher hier einer Strafschärfung bedarf: Bei dem in Nr. 1 genannten Regelbeispiel, daß „die Behandlung der Erprobung einer neuen Behandlungsmethode dient, ohne daß dies im Interesse der behandelten Person oder ihrer Leibesfrucht geboten ist“, dürfte das kaum der Fall sein. Wenn nämlich die Behandlung nicht im (Körper-)Interesse der behandelten Person geboten ist, sind die Grenzen der Heilbehandlung überschritten, und man hat es mit einer Körperverletzung zu tun. Daher geht es von vornherein tatbestandlich gar nicht um eigenmächtige Heilbehandlung, sondern um eine Körperverletzung in Form eines Humanexperiments, die hier mangels Einwilligung rechtswidrig ist. Einschlägig sind also die Körperverletzungsvorschriften. Was die Nr. 2 betrifft, so ist zwar der Fall denkbar, daß ein eigenmächtiger und im Ergebnis erfolgreicher Heileingriff – also tatbestandlich (Absatz 1) ein bloßes Freiheitsdelikt – gegeben ist, dieser aber mit einer für die behandelte Person verbundenen nicht zu verantwortenden Körper- oder Lebensgefährdung verknüpft war. Die Vorschrift ist jedoch überflüssig, da in solchen Fällen neben dem eigenmächtigen Heileingriff die Tatbestände des Versuchs des § 223 oder § 224 n.F. StGB und ggf. sogar des Totschlagversuchs in den Blick kommen. Von ihnen werden die Grenzen des insoweit strafwürdigen Verhaltens klar markiert. Insgesamt läßt sich daher feststellen, daß § 229 VE 6. StrRG eine in nahezu jeder Hinsicht inakzeptable Vorschrift darstellt – was vor allem darauf beruht, daß ihm kein klar auf die Verletzung der Selbstbestimmung ausgerichtetes Rechtsgutskonzept zugrundeliegt. Die mangelnde Trennung von den Körperverletzungsdelikten wird auch dadurch bestätigt, daß hinter den § 229 VE noch ein Tatbestand für die fehlerhafte Heilbehandlung (§ 230 VE) gesetzt worden ist. Dieser Sondertatbestand, der weder im E 1962 noch im AE einen Vorläufer hat, lautet: „Wer fahrlässig durch einen Behandlungsfehler eine andere Person im Rahmen einer den in § 229 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Zwecken dienenden Behandlung an ihrer Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Es ist evident, daß es sich hierbei um ein in der Form der Gesundheitsbeschädigung begangenes fahrlässiges Körperverletzungsdelikt handelt. Wie die Entwurfs51 Kritisch gegenüber einer solchen Gesetzestechnik bereits Baumann / Weber / Mitsch, Allg. Teil, 10. Aufl., 1995, § 8 Rdn. 85; Maiwald, Gallas-Festschr., 1973, S. 137, 150; Marburger Arbeitskreis bei Freund, ZStW 109 (1997), 455, 470 f.; Gössel, Heltinger und Hirsch bei Dietmeier, ZStW 110 (1998), 393, 408 ff.; Calliess, NJW 1998, 929 ff. Siehe auch Hettinger, GA- Festschr., 1993, S. 77, 108.

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verfasser diese fahrlässige Gesundheitsbeschädigung gleichwohl deshalb, weil sie durch eine Heilbehandlung erfolgt ist, tatbestandlich von der fahrlässigen Körperverletzung unterscheiden wollen, ist in einem an den betroffenen Rechtsgütern ausgerichteten Strafrecht unerfindlich. Das um so mehr, als sich dahinter nicht etwa lediglich ein Privilegierungsstreben verbirgt, denn die Strafdrohung soll die gleiche sein wie beim Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung. Die Entwurfsverfasser, für die es beim fehlerhaften und auch beim eigenmächtigen Heileingriff offenbar vor allem um ein Etikettierungsproblem geht, übersehen zudem: Es gibt außer den Heilbehandlungen auch andere honorige und sozial nützliche Tätigkeiten, die bei fehlerhafter Ausübung zu Körperverletzungen führen und damit unter den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung fallen können. Man denke nur an die Tätigkeiten von Architekten, Chemikern, Busfahrern u. a. 52 Außerdem gibt es Behandlungsfehler, die tödlich verlaufen. Wenn der Heilungszweck eine fehlerhafte Behandlung zu einem aliud gegenüber einer tatbestandlichen fahrlässigen Körperverletzung machen würde, hätte das konsequenterweise hier ebenso zu gelten – eine Konsequenz, die aber begreiflicherweise im Entwurf nicht gezogen wird. Der § 230 VE 6. StrRG unterstreicht daher die Unzulänglichkeit der ganzen Konzeption, die der Regelung der Heilbehandlung in diesem Entwurf eigen ist. 53 2. Es ist im vorhergehenden schon deutlich geworden, daß der E 1962 bei der Lösung der Heileingriffsprobleme dem VE 6. StrRG voraus war. Andererseits zeigte sich, daß auch die dortige Strafbestimmung der Eigenmächtigen Heilbehandlung mancherlei Schwächen aufweist. Erheblich besser gelungen ist die Regelung im AE. Die in § 123 AE enthaltene Strafbestimmung des „Eigenmächtigen Heileingriffs“ ist, wie erwähnt, folgerichtig dem Titel „Straftaten gegen die Freiheit“ zugeordnet. Die Tatbestandsfassung (Absatz 1) lautet: „Wer ohne Einwilligung an einem anderen einen Heileingriff vornimmt und dabei nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der ärztlichen Heilkunde handelt oder zu handeln glaubt ...“ An ihr ist positiv hervorzuheben, daß sie von Heileingriff anstatt von Heilbehandlung spricht. Das Wort „Behandlung“ ist sehr weit und birgt daher die Gefahr der 52 Eine andere Frage ist, ob es angezeigt erscheint, wie in § 88 Abs. 2 Nr. 2 öStGB beim Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung eine Privilegierung für Ärzte vorzusehen, wenn diese „kein schweres Verschulden“ trifft (d. h. die Fahrlässigkeit nicht den Grad der Leichtfertigkeit aufweist) und „aus der Tat keine Gesundheitsschädigung ... von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt“. Eine allgemeine Einschränkung der Strafbarkeit ärztlicher Fahrlässigkeit auf Leichtfertigkeit, die von der Bundesärztekammer gefordert wird (siehe die Angaben bei F.-C. Schroeder [Fn. 6], S. 42), liefe dagegen jedenfalls auf ein einseitig Ärzte begünstigendes Standesprivileg hinaus. Solange im Kriminalstrafrecht nicht generell die Untergrenze bei der Leichtfertigkeit gezogen wird, bieten aber die Opportunitätseinstellungen nach §§ 153, 153a StPO Möglichkeiten erforderlicher Abhilfe. 53 Gegen eine solche Sondervorschrift auch der Marburger Arbeitskreis bei Freund, ZStW 109 (1997), 475 f., 477. Kritisch gegenüber den §§ 229, 230 VE 6. StrRG ebenfalls F.-C. Schroeder (Fn. 6), S. 29 ff. und M.-K. Meyer, GA 1998, 415, 422 ff.

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Ausuferung. 54 Es war aber nie daran gedacht, den Fallbereich zu überschreiten, der von der Rechtsprechung bisher mit Hilfe der Körperverletzungstatbestände erfaßt wird. Das Wort „Heileingriff“ markiert diesen Bereich. Man sollte es daher auch bei der Gesetzgebung verwenden. Außerdem verdient Zustimmung, daß die Tatbestandsbeschreibung in § 123 Abs. 1 AE nicht zusätzlich durch eine Kasuistik, wie sie sich in § 229 Abs. 1 VE 6. StrRG findet, in ihrer Griffigkeit beeinträchtigt wird. Auch auf die gesetzestechnische Möglichkeit, eine Definition des Heileingriffs in einem gesonderten Absatz zu geben, ist zu Recht verzichtet worden; denn der Inhalt des viel behandelten Begriffs steht im wesentlichen fest und etwaige Abgrenzungsfragen können hier wie auch sonst der Rechtsprechung überlassen bleiben. Ferner ist in § 123 AE beachtet, daß es – wie oben bereits aufgezeigt – mehr Unklarheit als Nutzen bringt, wenn man in der Tatbestandsbeschreibung allgemein von einer „wirksamen“ Einwilligung spricht. Der praktischen Bedeutung, welche die Verletzung der Aufklärungspflicht für die Eigenmacht eines Heileingriffs hat, wird sachentsprechend dadurch Rechnung getragen, daß das Aufklärungserfordernis in Absatz 4 der Vorschrift eine klarstellende Regelung erfährt. Zu kritisieren ist an § 123 AE dagegen, daß er als Tabestandskriterium enthält, der Täter müsse nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der ärztlichen Heilkunde gehandelt (oder dies geglaubt) haben. Hier wird der Rechtsgutsaspekt nicht klar beachtet. Für die Tatbestandlichkeit wegen Eigenmacht geht es naturgemäß allein um die eigenmächtige Vorgehensweise. Ob der Heileingriff den Erkenntnissen und Erfahrungen der ärztlichen Heilkunde entspricht, ist dagegen nur bedeutsam für eine etwa daneben in Betracht kommende vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung. Daß jemand das Unrecht eines eigenmächtigen Heileingriffs verwirklicht, hängt nicht davon ab, daß es sich um einen fachlich ordnungsgemäßen handelt – mit der sich dann ergebenden Konsequenz, daß bei einer vorsätzlich unter Nichtbeachtung der Regeln ärztlicher Kunst vorgenommenen Heilbehandlung oder auch nur einem – wie § 123 AE ausdrücklich sagt – darauf gerichteten Vorsatz der Tatbestand schon nicht erfüllt wäre. Dahinter steht offenbar auch bei § 123 AE noch ein Rest der Vorstellung, es gehe um ein durch den lege artis betätigten Heilungswillen privilegiertes Körperverletzungsdelikt. Es wurde im vorhergehenden schon darauf hingewiesen, daß es trotz Nichteinhaltung der ärztlichen Kunst an einem Körperverletzungserfolg fehlen kann. Ist er aber gegeben und liegt gleichzeitig Eigenmacht vor, dann handelt es sich um eine Konkurrenzproblematik, nämlich um das Zusammentreffen von Freiheits- und Körperverletzungsdelikt. Hierbei geht es vorliegend darum, ob Idealkonkurrenz oder Subsidiarität Platz greift. Da jede rechtswidrige Körperverletzung ebenso wie jede rechtswidrige Tötung ohne wirksame Einwilligung erfolgt, ist Subsidia54

So treffend die Begründung zu § 123 AE, S. 79. Siehe außerdem oben in Fn. 46.

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rität des Freiheitsdelikts einschlägig. 55 Dies im Gesetz zum Ausdruck zu bringen, hat nicht durch Tatbestandsmerkmale der Handlungsbeschreibung zu erfolgen, sondern durch einen speziellen Konkurrenzhinweis. 3. Der § 110 öStGB teilt mit § 123 AE den Vorzug gebotener tatbestandlicher Griffigkeit. Auch ist der vorstehend behandelte Punkt bei ihm etwas dadurch entschärft, daß es dort heißt „wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft“. Damit wird die Einhaltung der lex artis nicht zur tatbestandlichen Voraussetzung gemacht, sondern nur betont, daß die Tatbestandsmäßigkeit unabhängig davon gegeben ist. Die Bedenken reduzieren sich deshalb insoweit darauf, daß man dies gesetzestechnisch besser in Form einer Konkurrenzregelung formuliert hätte. Kritischer ist zu sehen – jedenfalls aus der Sicht der deutschen Begriffsentwicklung –, daß in § 110 öStGB nicht von Heileingriff, sondern wie in § 229 VE 6. StrRG von Heilbehandlung die Rede ist. Zipf hat in seinem erwähnten Beitrag die Frage erörtert, ob es zu eng ist, den Eigenmachttatbestand auf den Heileingriff zu beschränken. 56 § 110 öStGB verwendet das Wort „Heilbehandlung“ nur in der Überschrift; dagegen taucht im Wortlaut der Bestimmung selbst eine solche Eingrenzung nicht auf. Zipf meinte, daß sachlich auch ärztliche Behandlungen, die außerhalb des eigentlichen Heilbereichs (z. B. reine Schönheitsoperationen) liegen, hierher gehörten. Unter § 110 öStGB sei jede ärztliche Behandlung zu subsumieren, auch wenn sie sich nicht als Heilbehandlung darstelle. Notwendig sei nur, daß sie im Rahmen der ärztlichen Berufstätigkeit liege. Demgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß es bei dem Eigenmachttatbestand nicht um eine berufsständische Privilegierung der Ärzte geht, sondern – wie Zipf auch an anderen Stellen zum Ausdruck bringt 57 – um eine Rechtsgutsfrage. Das eigentliche Problem ist hier das der Abgrenzung von Heileingriff und Körperverletzung. Wenn ersterer zu verneinen ist, so sind die Körperverletzungsvorschriften einschlägig, und es stellt sich insoweit nicht die Frage nach dem Tatbestand der Eigenmacht. 58 Eine andere Frage ist, ob § 110 öStGB in der heutigen Literatur überall folgerichtig ausgelegt wird. Der gegenwärtige Stand der deutschen Debatte scheint sich nicht immer hilfreich auszuwirken. 59 55 Idealkonkurrenz liefe dagegen darauf hinaus, daß der gewöhnliche Körperverletzungstäter, weil auf ihn allein der Körperverletzungstatbestand zur Anwendung käme, besser gestellt wäre als der in Rede stehende Täter, der doch immerhin mit Heilungswillen handelt. Subsidiarität betont auch F.-C. Schroeder (Fn. 6), S. 45. Nicht haltbar dagegen E 1962, Begründung zu § 162, S. 298. – Ebenfalls gehen § 240 und auch § 239 StGB vor, wenn die Eigenmacht in einer Nötigung oder Freiheitsberaubung besteht; denn daß es sich um einen Heileingriff handelt, vermag den tatbestandlichen Unrechtsgehalt gerade nicht zu erhöhen. 56 Zipf, Bockelmann-Festschr., S. 579 ff., 589. 57 A. a. O. S. 577, 578, 584, 589. 58 Näher zur Abgrenzung von Heileingriffen und als Körperverletzung einzustufenden Eingriffen: Hirsch, LK, § 226a (= § 228 n.F.) Rdn. 44 m.w. Schrifttumsangaben.

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4. Es zeigt sich demnach, daß zwar keine der bisherigen Tatbestandsfassungen voll befriedigt, sich aber § 110 öStGB und § 123 AE qualitativ erheblich von § 229 VE 6. StrRG abheben. 60 5. Versucht man, im Anschluß an die angestellten Überlegungen einen Vorschlag zu formulieren, so könnte er – eingefügt in den 18. Abschnitt des StGB als „§ 241b Eigenmächtiger Heileingriff“ – hinsichtlich der in Absatz 1 aufzunehmenden Tatbestandsformulierung und der in Absatz 2 vorzusehenden Konkurrenzverweisung lauten: „(1) Wer ohne Einwilligung einen körperlich wirkenden Heileingriff an einer anderen Person vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Vorschriften des Siebzehnten Abschnitts finden keine Anwendung. Abweichendes gilt, wenn der Eingriff nicht zu einem Heilerfolg führt oder mit einer unnötigen erheblichen körperlichen Beeinträchtigung verbunden ist und das auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit beruht. In solchen Fällen wird nicht nach Absatz 1 bestraft, wer aufgrund jener Vorschriften strafbar ist. Ebenfalls entfällt eine Bestrafung nach Absatz 1, wenn die Tat in § 239 oder § 240 mit Strafe bedroht ist.“

Was die in der Strafbestimmung zu regelnden weiteren Fragen betrifft, geht es zum einen darum, in einem Absatz 3 auf die Bedeutung der Wahrung der Aufklärungspflicht für die Wirksamkeit der die Eigenmacht ausschließenden Einwilligung hinzuweisen. In Anlehnung an § 123 Abs. 4 AE ließe sich eine solche Vorschrift wie folgt formulieren: „An der Wirksamkeit der Einwilligung fehlt es, wenn der Einwilligende nicht über Art, Tragweite und solche möglichen Folgen des Eingriffs aufgeklärt worden ist, die für die Entscheidung eines verständigen Menschen ins Gewicht fallen können. Die Aufklärung 59 Siehe die Erläuterungen zur Rechtsgutsfrage bei Schmoller (Fn. 35), § 110 öStGB Rdn. 12. 60 Kürzlich hat F.-C. Schroeder (Fn. 6), S. 44 f. folgenden Vorschlag unterbreitet: „Wer ohne wirksame Einwilligung, insbesondere ohne zureichende Aufklärung, das körperliche Wohlbefinden einer anderen Person nicht unerheblich beeinträchtigt, ihren Körper versehrt oder ihre Gesundheit teilweise oder trotz Beachtung der erforderlichen Sorgfalt schädigt, wird mit ... bestraft.“ Eine solche Tatbestandsfassung läßt jedoch nicht hinreichend deutlich werden, um was es eigentlich geht. Daß derjenige, der ohne wirksame Einwilligung das körperliche Wohlbefinden eines anderen nicht unerheblich beeinträchtigt oder dessen Körper versehrt, zu bestrafen ist, ergibt sich aus § 223 StGB. Sch. meint, daß Unklarheiten „notfalls noch durch eine Subsidiaritätsklausel“ (‚wenn die Tat nicht in § 223 mit Strafe bedroht ist‘) vermieden werden könnten. Aber auch damit wäre die von Sch. zutreffend bejahte Trennung von der Körperverletzung tatbestandlich nicht zum Ausdruck gebracht. Der zusätzliche Vorschlag, den § 223 StGB negativ zu ergänzen („Keine Körperverletzung liegt vor, wenn eine Handlung die Gesundheit insgesamt verbessert“), ersetzt ebenfalls nicht das Defizit der Handlungsbeschreibung beim Eigenmachttatbestand. Außerdem harmonieren die beim Tatbestand verwandten Begriffe nicht mit diesem Satz. Zu kritisieren ist ferner, daß Sch. wie der § 110 öStGB eine Verquickung der Handlungsbeschreibung des Eigenmachttatbestands mit der Sorgfaltsfrage des Tatbestands der fahrlässigen Körperverletzung vornimmt.

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kann unterbleiben, soweit sie die ernste Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder des seelischen Zustands begründen würde.“

Im Hinblick auf das Fehlen einer allgemeinen Regelung der mutmaßlichen Einwilligung im StGB und die Gefahr, daß ohne Hinweis auf diese Rechtsfigur der Tatbestand des Eigenmächtigen Heileingriffs zu Unklarheiten über die in Notfällen geltende Rechtslage führen könnte, hat man in § 162 Abs. 2 E 1962, § 123 Abs. 3 AE und § 110 Abs. 2 öStGB eine einschlägige Spezialregelung für erforderlich angesehen. Das leuchtet ein. Sie wäre als Absatz 4 mit folgender Wortfassung zu übernehmen: „Die Tat ist nicht strafbar, wenn die Einwilligung nur bei einem Aufschub der Behandlung eingeholt werden könnte, der die betroffene Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung brächte, und die Umstände nicht zu der Annahme zwingen, daß sie die Einwilligung versagen würde.“

Schließlich bedarf es noch einer Antragsregelung. Die bisherigen Entwürfe stimmen mit Recht darin überein, daß die Tat ebenso wie die Körperverletzung (§ 223 StGB) als Antragsdelikt einzustufen ist. Ein Absatz 5 hätte daher zu lauten: „Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Stirbt die verletzte Person, so geht das Antragsrecht nach § 77 Abs. 2 auf die Angehörigen über.“

Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß – wie auch Zipf betont hat – die Notwendigkeit besteht, einen Straftatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung zu schaffen. Nur dadurch läßt sich erreichen, daß die von der Rechtsprechung vorgenommene sachwidrige Einordnung des Heileingriffs als tatbestandsmäßige Körperverletzung und die sich daraus ergebenden Friktionen überwunden werden. Die Schaffung einer solchen Vorschrift liegt daher entgegen der heute von ärztlichen Standesorganisationen vertretenen Auffassung auch im Interesse der Ärzteschaft, weil er die Berührung ärztlicher Tätigkeit mit dem Strafrecht zurückschraubt auf vorsätzliches Hinwegsetzen über die Selbstbestimmung des Patienten und auf vorsätzliches oder fahrlässiges (nämlich unter Verstoß gegen die Regeln ärztlicher Kunst erfolgendes) Verschlechtern der Körperinteressen des Betroffenen. Allerdings ist den Interventionen der Ärzteschaft zu danken, daß uns eine sachlich mißlungene und zudem in ihren Strafdrohungen teilweise maßlose Vorschrift, wie sie im VE 6. StrRG vorgesehen war, erspart geblieben ist.

Objektiver tatbestandsspezifischer Zusammenhang („Unmittelbarkeitszusammenhang“) beim erfolgsqualifizierten Delikt * 2000 Die fahrlässig herbeigeführte schwere Folge [4] 1. a) Der Tod des Verletzten (zum Todesbegriff siehe Jähnke LK 10. Aufl. Vor § 211 Rdn. 7 ff) muß durch die vorsätzliche Körperverletzung verursacht sein. Seit Einführung des heute in § 18 enthaltenen Fahrlässigkeitserfordernisses gilt auch für diesen Kausalzusammenhang die Bedingungstheorie (BGHSt. 14 110, 113; BGH GA 1969 90; BGH NJW 1971 152; BGH NStZ-RR 1998 102 [zu Beweisanforderungen]), wobei zu beachten ist, daß als zusätzliche objektive Tatbestandsvoraussetzung ein besonderer tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang (sog. Unmittelbarkeit) vorliegen muß (Rdn. 5). Die heutige Rspr. und ein ihr folgender Teil des Schrifttums verlangen nicht, daß die Kausalität zwischen dem vorsätzlich verwirklichten Körperverletzungserfolg und der Todesfolge besteht, sondern lassen genügen, daß beim Tätigkeitsakt eine zum Tode führende Kausalkette ausgelöst wird, die nicht über den vom Vorsatz umfaßten Körperverletzungserfolg verläuft, z. B. wenn sich aus der zum Schlagen benutzten Pistole ein tödlicher Schuß löst (BGHSt. 14 110, 112 [mit abl. Anm. Deubner NJW 1960 1068]; 31 96, 99; BGH bei Dallinger MDR 1975 196; BGH NStE § 226 Nr. 1; BGH NStZ 1997 341; Sch / Schröder / Stree § 226 a. F. Rdn. 4 f; Tröndle / Fischer Rdn. 2). 9 Zur Begründung wird angegeben, daß das Merkmal „Körperverletzung“ außer der Verletzung selbst (Erfolg) auch das auf diese gerichtete Handeln umfasse (vgl. BGHSt. 14 110, 112). Eine solche Auslegung des § 227 ist jedoch ebenso wie bei § 226 abzulehnen (Geilen Welzel-Festschrift S. 674 ff; Hirsch GA 1972 75; Jakobs 9/35; Lackner / Kühl Rdn. 2; Krey BT I Rdn. 271 ff; Küpper ZStW 111 [1999] 792 ff; Roxin I § 10 Rdn. 115). 10 Sie entspricht auch nicht der früheren * Auszug aus der Kommentierung in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., § 227 Rn. 4 – 7. 9 Auch Geier Anm. LM § 226 a. F. Nr. 7; Stree GA 1960 293 ff; Otto BT § 18 Rdn. 5; Rengier Erfolgsqualilizierte Delikte S. 214 ff; Wessels / Hettinger BT I Rdn. 229 ff; Wolter JuS 1981 168; GA 1984 443. 10 So auch Welzel § 39 IV; Ulsenheimer GA 1966 272; Hirsch Oehler-Festschrift S. 120 ff.

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Judikatur (siehe BGH NJW 1971 152 mit Anm. Schröder JR 1971 206; BGH bei Dallinger MDR 1954 150 und 151; RGSt. 44 137, 139; OGHSt. 2 335, 337). Weder ist sie mit dem Gesetzeswortlaut (§ 227 spricht von der Verursachung des Todes der „verletzten Person“) in Einklang zu bringen, weshalb ihr Krey BT I Rdn. 275 einen Verstoß gegen das Analogieverbot vorhält, noch mit dem überkommenen Verständnis dieses zur Schwerstkriminalität gehörenden Delikts, das damit zu einem Fall bloßer Idealkonkurrenz von einfacher Körperverletzung und fahrlässiger Tötung verwässert würde, zu vereinbaren (näher dazu § 226 Rdn. 5). Es ist auch nicht möglich, ihr in den kritischen Fällen über die Annahme einer unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf wenigstens im Ergebnis zuzustimmen, wie dies eine Schrifttumsmeinung befürwortet (vgl. für diese Schröder JR 1971 207; Blei BT § 13 VII und teilw. auch Maurach / Schroeder / Maiwald I § 9 Rdn. 32; Sch / Schröder / Stree § 226 a. F. Rdn. 4 bis 6). Denn es bedeutet einen Unterschied, ob der Körperverletzungserfolg in einem durch die als Schlagwerkzeug benutzte Pistole hervorgerufenen Hämatom oder in dem Einschuß einer Pistolenkugel besteht. Unter dem Gesichtspunkt der unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf läßt sich nur derjenige abweichende Erfolg einbeziehen, der sich noch als dem Vorsatz des Täters entsprechend begreifen läßt (näher zur Problematik § 226 Rdn. 5 mit Nachw.). Dagegen wird § 227 nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß der Tod sofort eintritt, denn jede Tötung durchläuft das Stadium einer Durchgangskörperverletzung, so daß es darauf ankommt, ob hinsichtlich dieser ein Vorsatz gegeben ist (vgl. Vor § 223 Rdn. 14). [5] b) Über die Ursächlichkeit hinaus muß ein besonderer tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang (sog. Unmittelbarkeit) zwischen der vorsätzlichen Körperverletzung und der durch sie verursachten Todesfolge gegeben sein (darüber im Ausgangspunkt einig die h. M.: BGHSt. 31 96, 98; 33 322, 323; 38 295, 298 f; 41 113, 118; BGH NJW 1971 152; 1995 3194; BGH NStZ 1998 511,512; Lackner / Kühl Rdn. 2; Maurach / Schroeder / Maiwald I § 9 Rdn. 31; Sch / Schröder / Stree § 226 a. F. Rdn. 3; Schroeder LK § 18 Rdn. 18; Tröndle / Fischer Rdn. 2; kritisch indes Rom SK Rdn. 7 ff, [dazu oben Rdn. 2]; Paeffgen NK § 226 a. F. Rdn. 8 ff, 13). 11 In der schweren Folge muß sich gerade eine vom Grundtatbestand ausgehende spezifische Gefahr niedergeschlagen haben. Dieses objektive Erfordernis hebt das echte erfolgsqualifizierte Delikt über die bloße Idealkonkurrenz 11 Vgl. für die h.M. außerdem BGH bei Dallinger MDR 1954 150 und 151; BGH GA 1969 90; BGH bei Dallinger MDR 1976 16; BGH bei Holtz MDR 1982 102; BGH NJW 1992 1708; BGH NStZ 1992 333; 1994 394; 1997 341; BGH NStZ-RR 1998 171; BGH StV 1993 75; OGHSt. 2 335; 3 99: Oehler ZStW 69 (1957) 513; Ulsenheimer GA 1966 268, 271; Hirsch GA 1972 75; Oehler-Festschrift S. 129 ff: Geilen Welzel-Festschrift S. 674 ff; Küpper Der „unmittelbare“ Zusammenhang S. 85 ff: BT I § 2 Rdn. 27 ff: Krey I Rdn. 272; Roxin I § 10 Rdn. 114; Wessels / Hettinger BT I Rdn. 299. Für die dagegen kritische Auffassung siehe auch Schröder JR 1971 206; Sawada Jura 1994 647 f und Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 130, 135, 319; Jura 1986 143 ff. Zu letzterem siehe die grundsätzlichen Einwände bei Paeffgen JZ 1989 227 und NK § 18 Rdn. 43.

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von vorsätzlichem Grundtatbestand und fahrlässiger Folgeverursachung heraus und erklärt die erhebliche Strafschärfung. Bestritten ist jedoch, was es genauer bedeutet. Drei Auffassung werden vertreten: Am weitesten geht diejenige der heutigen Rspr. und der ihr beipflichtenden Autoren (BGHSt. 14 110, 112; 31 96, 99; BGH NStE § 226 a. F. Nr. 1; BGH NStZ 1997 341; Sch / Schröder / Stree § 226 a. F. Rdn. 4 f; Tröndle / Fischer Rdn. 2; Wessels / Hettinger BT I Rdn. 299 ff). 12 Ausgehend davon, daß es genügt, wenn die Folge schon an den Tätigkeitsakt anknüpft, wird von dieser Ansicht („Handlungslösung“) als ausreichend angesehen, daß der tatbestandsspezifische Zusammenhang entweder zwischen dem (vom Vorsatz umfaßten) Körperverletzungserfolg und der Todesfolge oder auch nur zwischen dem Tätigkeitsakt und der Folge besteht. Es wurde oben (Rdn. 4) bereits aufgezeigt, daß die Anknüpfung an den Tätigkeitsakt aber nicht gesetzeskonform und überhaupt sachwidrig ist. Ihre sachliche Unhaltbarkeit wird hier besonders deutlich, weil der Risikozusammenhang zwischen Tätigkeitsakt und Folge nichts weiter als der gewöhnliche derartige Zusammenhang des fahrlässigen Delikts ist, so daß von besonderem tatbestandsspezifischen Zusammenhang des erfolgsqualifizierten Delikts und dessen eingrenzender Funktion keine Rede mehr sein kann. 13 Eine mittlere Auffassung(„Erfolgslösung“) verlangt, daß die Gefahr vom eintretenden (vorsatzumfaßten) einfachen Erfolg ausgeht, läßt dabei aber auch hinzutretende außerhalb der Verletzung selbst liegende Umstände genügen, die zum Eintritt der Folge führen, z. B. jemand stürzt durch das vorsätzliche Auftreffen des Faustschlags unvorhergesehener Weise auf einen scharfen Gegenstand und kommt dadurch zu Tode (vgl. Gössel BT I § 14 Rdn. 57 ff; Krey BT I Rdn. 271; Lackner / Kühl Rdn. 2; Schroeder LK § 18 Rdn. 18 mit Fn. 30). 14 Diese Auffassung überdehnt den § 227, weil die von ihr einbezogenen Fälle nicht notwendig auf der tatbestandsspezifischen Gefahr einer Körperverletzung beruhen, sondern auch durch die Verwirklichung anderer Tatbestände (z. B. Nötigung, Freiheitsberaubung) und sogar durch einen nicht tatbestandlichen Erfolg (z. B. Erschrecken) ermöglicht sein können. Die spezifische Gefahr liegt bei den §§ 223 ff ausschließlich in dem bezüglich der zugefügten Verletzung bestehenden Quantitätsrisiko (näher Jakobs 9/35). Die Überschreitung der dadurch gezogenen Grenzen provoziert eine Vielzahl der Abgrenzungsprobleme bei der Handhabung des Gesichtspunkts der Unmittelbarkeit. Enger stellt deshalb die im Schrifttum verbreitete Letalitätstheorie (allgemeiner: „Verletzungslösung“) darauf ab, daß die Gefahr des tödlichen Ausgangs aus der (vorsätzlich) zugefügten Verletzung selbst, d. h. der konkreten Art der Wunde, resultiert (so Geilen Welzel-Festschrift S. 681; Hirsch JR 1983 80; Oehler-Festschrift S. 123 f, 129 ff; Jakobs 9/35; Küpper Der „unmittelbare“ Zusammenhang S. 85 ff; Hirsch-Festschrift S. 619 f;

12 13 14

Ebenfalls Otto BT § 18 Rdn. 5; Wolter JuS 1981 168; GA 1984 443. Näher Hirsch Oehler-Festschrift S. 129 ff. Ähnlich Altenhain GA 1996 33.

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Mitsch Jura 1993 221; Roxin I § 10 Rdn. 15). 15 Diese Theorie entspricht allein dem herkömmlichen Verständnis des Delikts. Sie läßt zudem den Grund der über die Idealkonkurrenz weit hinausgehenden Strafschärfung deutlich zutage treten. Auch vermeidet sie die Unklarheiten, die für die beiden anderen Auffassungen bei der Bestimmung des tatbestandsspezifischen Zusammenhangs entstehen. 16 Praktische Bedeutung hat das „Unmittelbarkeits“-Erfordernis vor allem, wenn die Todesfolge erst durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers selbst herbeigeführt worden ist. In der heutigen Rspr. (Handlungslösung) wird es jedoch weitgehend dadurch außer Funktion gesetzt, daß das vom Tätigkeitsakt ausgehende Risiko des Folgeeintritts schon als genügend angesehen wird. Für die Letalitätstheorie erfolgen die gebotenen Einschränkungen bereits damit, daß der tatbestandsspezifische Zusammenhang sich aus der Art der zugefügten Verletzung selbst ergeben muß. Dabei ist zu beachten, daß in Fällen wie dem des tödlichen Sturzes des Opfers (s. o.) oder eines anderen hinzutretenden todbringenden Gefahrmoments bei ihr die Möglichkeit verbleibt, auf die dem ungewollten Todeserfolg unmittelbar vorausgehende „Durchgangskörperverletzung“ als letaler Verletzung dann abzustellen, wenn insoweit Eventualvorsatz gegeben ist und sich damit das vorsätzliche Grunddelikt bis zu ihr erstreckt (siehe schon § 226 Rdn. 6). Bei der mittleren Auffassung (Erfolgslösung), die es grundsätzlich genügen läßt, daß der Körperverletzungserfolg in Verbindung mit anderen Gefährdungsmomenten zur Todesfolge führt, treten dagegen außerhalb dieses Erfolges liegende Einzelaspekte stark in den Blick. – Unberührt von der „Unmittelbarkeits“-Problematik bleiben Fälle, in denen der Eintritt der schweren Folge auf anomaler Körperverfassung des Verletzten beruht (siehe § 226 Rdn. 6 a. E.); es geht hier erst um eine Frage der Fahrlässigkeit. [6] In der neueren Rspr. ist ein tatbestandsspezifischer Zusammenhang angenommenworden: Wenn jemand einen anderen von einem 3,5 m hohen Hochsitz herunterstürzt, das Opfer sich dadurch den Knöchel bricht und der Tod nach dem Krankenhausaufenthalt durch eine Lungenembolie eintritt, weil kunstfehlerhaft kein entsprechendes Medikament verschrieben worden war (BGHSt. 31 96 mit abl. Anm. Hirsch JR 1983 81). 17 Auch in dem Fall, daß der Täter das Opfer zwar tödlich verletzt hat, der Tod aber durch einen Verwandten fahrlässig zur Verdeckung der Tat herbeigeführt wird (BGH NStZ 1992 333). 18 Ebenfalls bei 15

Ebenso Bussmann GA 1999 29 ff. Wenn Paeffgen NK § 226 a. F. Rdn. 8 allgemein die „nachgerade ‚klassische‘“ Unbestimmtheit des „Unmittelbarkeits“-Erfordernisses beklagt, so vernachlässigt er, daß es sich dabei nur um eine schlagwortartige Bezeichnung für den tatbestandsspezifischen Zusammenhang geht und daß der Gesichtspunkt nur für diejenigen zum Problem wird, die den diesen Zusammenhang bei § 227 klar umgrenzenden Bereich der Letalitätstheorie überschreiten. 17 Ablehnend ebenfalls Anmerkungen Puppe NStZ 1983 22 und Schlapp StV 1983 62; auch Schmidhäuser BT 2/50; Tröndle / Fischer Rdn. 2. Dem BGH jedoch im Ergebnis zustimmend Stree JZ 1983 75; Maiwald JuS 1984 439; Wessels / Hettinger BT I Rdn. 300. 16

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einem selbstschädigenden Panikverhalten, das auf eine durch Mißhandlungen verursachte Benommenheit zurückgeht (BGH NJW 1992 1708 mit krit. Anm. Graul JR 1992 344). 19 Ferner in dem Fall, daß der Tod infolge eines späteren, durch die Körperverletzungshandlung mitverursachten Herzinfarkts eintritt (BGH NStZ 1997 341; hierzu Fahl JA 1998 8), oder wenn bei einer nächtlichen Konfrontation mit Einbrechern die älteren Tatopfer gefesselt werden und infolge von Schrecken, Angst und Aufregung durch Herzversagen zu Tode kommen (BGH S StR 617/96 bei Tröndle / Fischer Rdn. 2). Außerdem bei einem heftigen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht eines Kindes, wobei dieses unvorhergesehen mit dem Kopf gegen ein Möbelstück fällt und sich dabei tödlich verletzt (BGHSt. 41 113 mit Anm. Hirsch NStZ 1996 37 und Wolfslast / Schmeissner JR 1996 338, 339), oder wenn nach einem gezielten wuchtigen Faustschlag ins Gesicht das Opfer mit dem Hinterkopf auf ein geparktes Fahrzeug geschleudert wird und dadurch zu Tode kommt (LG Gera NStZ-RR 1996 37). 20 Siehe auch schon BGHSt. 14 112 (mit abl. Anm. Deubner NJW 1960 1068), wo es sich darum handelte, daß sich beim Zuschlagen mit einer Pistole versehentlich ein Schuß löste und der Geschlagene dadurch zu Tode kam. 21 Ein tatbestandsspezifischer Zusammenhang ist dagegen in BGH StV 1993 75 verneint worden, wenn der ohne Tötungsvorsatz das Opfer würgende Täter fälschlich meint, dieses sei tot, und es dann, um einen Suizid durch Erhängen vorzutäuschen, erst durch das Aufhängen tötet. Die vorwiegend restriktive frühere Rspr. hat Körperverletzung mit Todesfolge abgelehnt: Wenn das Opfer vor weiteren Schlägen zurückweicht und es dabei infolge seiner Trunkenheit (BGH bei Dallinger MDR 1954 150) oder eiligen Flucht (BGH NJW 1971 152) zu einem tödlichen Sturz kommt. Ebenfalls wenn ein Häftling im KZ auf der Flucht vor weiteren Mißhandlungen des Aufsehers in eine Postenkette rennt, die ihn erschießt (BGH bei Dallinger MDR 1954 151). Auch hat man den tatbestandsspezifischen Zusammenhang in dem Fall verneint, daß das Opfer, nachdem der Täter es niedergeschlagen und auf der Straße liegengelassen hat, von einem Pkw überfahren wird (BGH 5 StR 297/62 bei Tröndle / Fischer Rdn. 2). 22 Kommt das Opfer durch Ohrfeigen tödlich zu Fall, hat OGH DRZ 1950 164 Körperverletzung mit Todesfolge verneint, während sie in BGH bei Dallinger MDR 1954 150 bejaht worden ist. 23 Weitere Rspr.-Nachw. bei Kühl BGH-Festgabe IV S. 237, 250 ff. 18

Ablehnend Anm. Puppe JR 1992 511 und Bespr. Pütz JA 1993 285. Siehe auch Bespr. Dencker NStZ 1992 311; kritisch dazu Maurach / Schroeder / Maiwald I § 9 Rdn. 31; Joerden NStZ 1993 268. 19 Kritisch auch Bespr. Mitsch Jura 1993 18 sowie Sowada Jura 1994 649; 1995 644; Horn SK Rdn.5. 20 Siehe zu dieser Entscheidung auch Rdn. 8. 21 Näher zu dieser Entscheidung oben § 226 Rdn.5. 22 Gegen diese Entscheidung Tröndle / Fischer Rdn.2. Siehe zu dem Fall auch Geilen Welzel-Festschrift S. 670, 681; Maiwald JuS 1984 440. 23 Siehe jetzt aber auch die oben erwähnte Entscheidung BGHSt. 41 113.

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[7] Die in neuerer Zeit zu beobachtende immer stärkere Aufweichung der Voraussetzungen des § 227 ist wohl auf dem Hintergrund der in der Praxis bisher nur niedrigen Straferwartung bei §§ 223, 224 und § 222 zu sehen (zumeist Geldstrafe oder Opportunitätseinstellung). Diese Entwicklung scheint die Tendenz, den Tatbestand für Fälle der mittleren Kriminalität zu öffnen, gefördert zu haben, damit tatangemessene Bestrafungen gewährleistet werden (Ähnliches ließ die extensive Auslegung von § 229 a. F. erkennen). Man sollte bei § 227 jedoch nicht übersehen, daß die echten erfolgsqualifizierten Tatbestände schon bei restriktiver Auslegung Zweifeln ausgesetzt sind, ob sie dem Schuldprinzip entsprechen. So hat man im AE auf die Kategorie ganz verzichtet (AE BT I S. 45). Will man sie erhalten, und dafür lassen sich bei schuldangemessener gesetzlicher Abstufung (siehe Rdn. 14) gute Gründe anführen, wird man ihre Verwässerung beenden müssen, 24 was zudem durch die zwischenzeitlich erfolgte Anhebung der §§ 223 und 224 erleichtert wäre. Die Fortsetzung der extensiven Auslegung des § 227, einer Vorschrift, die zur Anklage vor der Schwurgerichtskammer führt (§ 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG), und der sich in der Judikatur aus der Extension entwickelnden immer neuen Friktionen 25 könnte sonst nur die Beseitigung der ganzen Deliktskategorie zu einer aktuellen Reformforderung werden lassen.

24

Für eine noch weitere Auslegung jedoch Wessels / Hettinger BT I Rdn. 301 f. Siehe etwa BGH NJW 1995 3194 und außerdem einerseits BGHSt. 41 113, 118 und andererseits BGH NStZ 1997 341. 25

Anmerkung zu BGHSt. 31, 96 („Hochsitz-Fall“) betreffend „Unmittelbarkeitszusammenhang“ bei Körperverletzung mit Todesfolge 1983 1. a) Die Entscheidung dieses „Hochsitz-Falles“ folgt im Ausgangspunkt der h. M., nach der bei § 226 StGB neben der Kausalität zwischen vorsätzlicher Körperverletzung und Todesfolge nicht nur Fahrlässigkeit bezüglich dieser Folge (§ 18 StGB) gegeben sein muß, sondern schon in objektiver Hinsicht eine engere Beziehung als die des lediglich ursächlichen Zusammenhangs zu verlangen ist. Sie weist deshalb erneut darauf hin, daß die Vorschrift „der mit der Körperverletzung verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken“ soll und daher nur für solche Körperverletzungen gilt, „denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen“. Daraus, daß „gerade diese Gefahr sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben“ muß, leitet die h. M. bekanntlich ab, daß § 226 StGB als einschränkendes Erfordernis einen unmittelbaren Zusammenhang von Körperverletzung und Todesfolge erfordert. Deshalb wird von ihr trotz Kausalität das Vorliegen des objektiven Tatbestands insbesondere dann verneint, wenn der tödliche Ausgang erst durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers selbst herbeigeführt worden ist. Denn in solchen Fällen schlägt sich im tödlichen Ausgang nicht eine der vorsätzlichen Körperverletzung anhaftende spezifische Gefahr nieder. Vgl. für die h. M.: BGH NJW 1971, 152; BGH bei Dallinger MDR 1954, 150 u. 151; BGH GA 1969, 90; BGH bei Dallinger MDR 1976, 16; BGH bei Holtz MDR 1982, 102; OGHSt. 2, 335; 3, 99; Gehler, ZStW 69 (1957), 513; Ulsenheimer, GA 1966, 268; 271; Hirsch, GA 1972, 75; ders., LK, 10. Aufl. § 226 Rdn. 4; Geilen, Welzel-Festschrift, 1974, S. 674 ff.; Dreher / Tröndle, StGB, 41. Aufl., § 226 Rdn. 1; Lackner, StGB, 14. Aufl., § 226 Fn. 1; Maurach / Schroeder, BT I, 6. Aufl., S. 105; anders Horn, SK, 2. Aufl., § 226 Rdn. 11 (zu seiner Lösung über den Vorsatzinhalt krit. LK, § 226 Rdn. 1). Daß Sinn und Zweck der Vorschrift eine derartige Auslegung notwendig machen, zeigt der Vergleich mit der Idealkonkurrenzregelung. Indem sich das Gesetz bei den von § 226 StGB umfaßten Fällen nicht mit bloßer Idealkonkurrenz von § 222 und § 223 (ggf. § 223 a) StGB begnügt, sondern eine erheblich schärfere Strafdrohung – bisher sogar die Einstufung als Verbrechen – vorsieht, muß ein über die einfache Idealkonkurrenz hinausgehender Gesichtspunkt eine Rolle spielen: eben daß es sich um die (vorsätzliche) Verwirklichung eines Grundtatbe-

Anmerkung zu BGHSt. 31, 96 – Körperverletzung mit Todesfolge

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stands handelt, von der die spezifische Gefahr ausgeht, die sich in der Todesfolge niederschlägt (näher hierzu Oehler, a. a. O.; Hirsch, GA 1972, 67 ff., 75; Geilen, a. a. O.; G. Küpper, Der „unmittelbare“ Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierren Delikt, Schriften zum Strafrecht Band 48, 1982, S. 80 ff., 85 ff.). b) Der 2. Strafsenat des BGH meint nun im vorliegenden Urteil, daß es bei dem in § 226 StGB erforderlichen spezifischen Zusammenhang nicht notwendig auf eine dem (vorsätzlich) verwirklichten Körperverletzungserfolg eigentümliche Gefahr für das Leben des Verletzten ankomme, sondern bereits genüge, daß dem Körperverletzungshandeln das „Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet und sich dann dieses dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko“ im Eintritt des Todes realisiere. Demgemäß betrachtet er es als rechtlich unwesentlich, daß sich der (vorsätzlich) zugefügte Körperverletzungserfolg (hier der Knöchelbruch) „für sich gesehen“ nicht als lebensbedrohliche Verletzung darstellt. Es könne vielmehr ausreichen, daß der Tod erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände herbeigeführt werde, sofern nur der tatsächliche Geschehensablauf, der Körperverletzung und Todesfolge miteinander verknüpfte, „nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liege“ und sich daher im Tod des Opfers jenes Risiko verwirklicht habe, das bereits dem Körperverletzungshandeln anhafte. Zu der außer diesem Zusammenhang noch hinsichtlich der Todesfolge notwendigen Fahrlässigkeit (§ 18 StGB) heißt es dann an späterer Stelle, es komme bei ihr darauf an, daß für den Täter vorhersehbar war, sein Handeln (hier das Umwerfen des Hochsitzes) werde den Tod des Opfers nach sich ziehen. Ein nicht völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung liegender Geschehensablauf aber sei regelmäßig auch vorhersehbar. Gegenüber diesen Rechtsausführungen des 2. Strafsenats erheben sich jedoch Bedenken. Zunächst ist einzuwenden, daß die Argumentation in sich widersprüchlich ist. Sie läuft entgegen dem Ausgangspunkt, daß zwischen Körperverletzung und Todesfolge ein engerer objektiver Zusammenhang als der bloßer Kausalität bestehen muß, darauf hinaus, daß man auf die engere Beziehung gerade verzichtet. Was in der Entscheidung als ausreichend angesehen wird, daß nämlich dem Körperverletzungshandeln das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftete und der Tod aufgrund eines Geschehensablaufs eintrat, der nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit lag, bedeutet nichts anderes als das Begnügen mit bloßer Fahrlässigkeit. Wie der Senat in seinen Ausführungen zur Fahrlässigkeitsseite selbst deutlich macht, wird der Gesichtspunkt, ob es sich um einen Geschehensablauf handelt, der außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit verlief, nach den allgemeinen Fahrlässigkeitsgrundsätzen im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung erfaßt. Fehlt es an dieser Wahrscheinlichkeit, so scheidet Fahrlässigkeit aus. Soll das Unmittelbarkeitserfordernis aber neben der Fahrlässigkeit eine eigene Funktion haben, muß es insoweit an engere Voraussetzungen geknüpft sein. Deshalb geht auch die h. M. davon aus, daß Unmittelbarkeit fehlen kann, während Fahrlässigkeit – die dann für § 222 StGB bedeutsam bleibt – gegeben ist. Bei

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der Unmittelbarkeitsfrage geht es regelmäßig um die Alternative, ob §§ 226, 18 oder §§ 222, 223 (ggf. 223 a), 52 StGB eingreifen (vgl. BGH NJW 1971, 152). Gerade weil die Fahrlässigkeit keine hinreichende Einschränkung der Vorschrift ermöglicht, hat man trotz Einführung des Fahrlässigkeitserfordernisses (§ 56 a. F., § 18 n. F.) an der Unmittelbarkeit als notwendigem vorrangigen Gesichtspunkt des § 226 StGB festgehalten – sonst wäre dieses Erfordernis überflüssig. Verkürzt man es nun wie der 2. Strafsenat auf Maßstäbe, die ohnehin dann bei der Fahrlässigkeit auftauchen, so würden die bisherigen höchstrichterlichen Entscheidungen, in denen unter Hinweis auf das Fehlen der Unmittelbarkeit § 226 StGB verneint und nur §§ 222, 223 (223 a), 52 StGB angenommen wurden, rechtsfehlerhaft sein. Denn in allen diesen Fällen lag das Dazwischentreten eines Dritten oder des Opfers nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit. Es bleibt daher zu registrieren, daß der Senat mit seinen Rechtsausführungen in deutlichen Gegensatz zu der von ihm ausdrücklich zugrunde gelegten h. M. gerät, indem er auf den erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang in Wahrheit verzichtet und Kausalität und Fahrlässigkeit genügen läßt. Da das Revisionsgericht seine Rechtsauffassung aus der Kumulierung von zwei Ansätzen entwickelt – dem Abstellen auf die vom Körperverletzungshandeln ausgehende Gefahr und dem Genügenlassen, daß beim Handeln die Todesfolge nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit lag –, bedürfen diese beiden Ansätze näherer Betrachtung. Die Ansicht, daß die dem Körperverletzungshandeln, also dem Tätigkeitsakt, anhaftende Gefahr ausreichend sei, stützt der Senat darauf, daß eine ausschließliche Orientierung an der vom (vorsätzlichen) Körperverletzungserfolg ausgehenden Lebensgefahr dem Schutzzweck des § 226 StGB nicht gerecht werde und auch im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze finde, dieser vielmehr für das Gegenteil spreche. Was zunächst den Gesetzeswortlaut betrifft, vermögen die Ausführungen des Senats nicht zu überzeugen. Der Hinweis, daß der Begriff „Körperverletzung“ in § 226 StGB nicht nur den Körperverletzungserfolg, sondern auch das Handeln umfaßt, und der daraus gezogene Schluß, daß mithin die Gefährlichkeit des Körperverletzungshandelns bereits ausreichen müsse, finden sich zwar schon in dem umstrittenen Urteil BGHSt. 14, 110 (ihm folgend BGH bei Dallinger MDR 1975, 196; Dreher / Tröndle, § 226 Rdn. 1; Schönke / Schröder / Stree, § 226 Rdn. 5; Wessels, BT I, 6. Aufl., S. 47). Jedoch ist nicht der Begriff „Körperverletzung“ entscheidend, vielmehr die Gesetzesformulierung, daß durch die Körperverletzung der Tod des „Verletzten“ verursacht sein muß. Würde es bereits um die dem Tätigkeitsakt anhaftende Gefährlichkeit gehen, wäre vom Wortlaut her dieses Tatbestandsmerkmal überflüssig. Gewichtiger könnte die Berufung auf den Schutzzweck der Vorschrift sein. Allerdings verzichtet das Urteil insoweit auf eine Begründung. Aber sie wäre

Anmerkung zu BGHSt. 31, 96 – Körperverletzung mit Todesfolge

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wohl auch kaum möglich, denn die ratio legis ergibt bei näherer Prüfung das Gegenteil der in der Entscheidung vertretenen Rechtsansicht. Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte dieser Strafbestimmung (über sie im einzelnen G. Küpper, a. a. O. S. 85 ff.), so zeigt sich, daß es immer nur um die Lebensbedrohlichkeit des Körperverletzungserfolges gegangen ist. Das Delikt war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bei den Tötungsvorschriften eingeordnet, wobei die Tötung als vorsätzliche behandelt wurde, indem man dolus indirectus präsumierte. Die Vermutung knüpfte an die Letalität der Verwundung an. Die später erfolgte Einordnung bei den Körperverletzungstatbeständen sollte hieran nichts ändern, sondern nur die überholte Präsumtion des Tötungsvorsatzes beseitigen. Daß der Letalitätsgesichtspunkt nicht mehr ausdrücklich erwähnt worden ist, wurde deshalb nicht etwa mit der Fehlerhaftigkeit des Gedankens begründet, sondern man ging davon aus, daß er den deutschen Juristen so „in succum et sanguinem übergegangen“ sei, daß es einer audrücklichen Regelung nicht bedürfte (vgl. John Entwurf mit Motiven zu einem StGB für den Nordd. Bund, 1868, S. 454 ff.). Hinzu kommt, daß das Gesetz durch die Höhe der Strafdrohung auch objektiv zu erkennen gibt, daß es das Delikt weiterhin von der Lebensbedrohlichkeit des (vorsätzlichen) Körperverletzungserfolges her begreift. Das in der Lebensbedrohlichkeit liegende Gewicht des vorsätzlich verwirklichten Körperverletzungserfolges ist es, was in Verbindung mit der (voraussehbaren) Todesfolge die Schärfe der Strafdrohung und die Einstufung als Verbrechen erklärt (vgl. RGSt. 44, 137; OGHSt. 2, 335; in dieser Richtung auch BGH NJW 1971, 152). Daß es auf die im Körperverletzungserfolg enthaltene Gefahr ankommt, bestätigt außerdem folgende Überlegung: Wenn schon die vom Handeln ausgehende Gefahr ausreichend wäre, so hätte der vom Vorsatz umfaßte Körperverletzungserfolg in § 226 StGB keine ausschlaggebende Funktion mehr. Den der Tat das Gepräge gebenden Unrechtsgehalt würden dann das gefährliche Körperverletzungshandeln und der auf diesem fahrlässig beruhende Todeserfolg ausmachen. Damit ist man jedoch wieder bei BGHSt. 14, 110 angelangt, wo ausdrücklich dem vorsätzlichen Körperverletzungserfolg die Bedeutung für die Verknüpfung von Körperverletzungshandeln und Todesfolge abgesprochen worden ist. Das Delikt des § 226 StGB wird damit auf einen lebensgefährlichen Körperverletzungsversuch mit Todesfolge reduziert. Daß dies aber weder dem Gesetzeswortlaut noch dem Wesen des erfolgsqualifizierten Delikts entspricht, ist in der Kritik an BGHSt. 14, 110 wiederholt betont worden (vgl. Deubner, NJW 1960, 1068; Hirsch-LK, § 226 Rdn. 3; Krey, BT I, 4. Aufl., S. 89; Lackner, § 226 Anm. 1; Maurach, JR 1970, 71; Ulsenheimer, GA 1966, 272; im übrigen stimmen andere Autoren dem Ergebnis dieser Entscheidung nur mit Hilfe der Konstruktion eines angeblich vom Vorsatz umfaßten Durchgangs-Körperverletzungserfolges, nämlich der durch den Tätigkeitsakt verursachten tödlichen Wunde, zu [so Schröder, JR 1971, 207; Blei, BT, 11. Aufl., S. 50], was indes mit dem Vorsatzbegriff [Gesichtspunkt der unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf] nicht zu vereinbaren ist). Die Anknüpfung an den Tätigkeitsakt kann daher nicht überzeugen. Ausschlaggebend ist vielmehr

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allein die dem (vorsätzlichen) Körperverletzungserfolg anhaftende Gefahr des tödlichen Ausgangs. Aber auch die Deutung, die der 2. Strafsenat dem Erfordernis des unmittelbaren Zusammenhangs gibt, kann nicht überzeugen, wie schon oben zutage trat. Da Unmittelbarkeit besagt, daß sich in der schweren Folge gerade die spezifische Gefahr niedergeschlagen haben muß, um die es bei dem betreffenden erfolgsqualifizierten Delikt geht, verlangt sie mehr als nur, daß der Eintritt der schweren Folge nicht „außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit“ lag (Wolter, JuS 1981, 176 f. spricht von „Zwangsläufigkeit“). Und stellt man aus den im vorhergehenden aufgezeigten Gründen auf die Unmittelbarkeit zwischen (vorsätzlichem) Körperverletzungserfolg und Todesfolge ab, dann geht es darum, daß sich in der Folge gerade die von der Art der Verletzung ausgehende Gefahr realisiert hat. Dabei kann es durchaus so liegen, daß die Lebensgefährlichkeit noch nicht bei Eintritt der Verletzung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt deutlich wird, beispielsweise wenn eine zunächst nicht lebensbedrohlich erscheinende Wunde infolge einer erst etwas später erkennbar werdenden Kreislaufschwäche zwangsläufig zum Tod führt. In solchem Fall ergibt sich dann aus dem späteren Ablauf, daß die betreffende Verletzung selbst schon von vornherein lebensgefährlich für das Opfer gewesen ist. Davon zu unterscheiden sind jedoch Sachverhalte, in denen erst das Verhalten eines anderen oder des Opfers selbst eine Entwicklung auslöst, die eine Lebensgefahr in sich birgt. Diese Gefahr ist dann nicht in der ursprünglichen Verletzung enthalten, sondern entsteht erst durch Umstände, die durch ein hinzutretendes Verhalten (eines Dritten oder des Opfers) gesetzt werden. So liegt es auch im vorliegenden Fall. Der Patient ist nach den Feststellungen des Instanzgerichts nicht an zwangsläufigen Auswirkungen der Knöchelfraktur, sondern an einer fehlerhaften medizinischen Behandlung gestorben. Daß es sich dabei um Umstände handelt, die bei der Heilbehandlung der Körperverletzung hervorgerufen worden sind, bedeutet nicht, daß solche Fälle anders zu behandeln wären als die des sonstigen Dazwischentretens eines Dritten oder des Opfers. Ausschlaggebend ist allein, welche Gefahr sich in der Todesfolge realisiert hat; und das war hier nach den tatrichterlichen Feststellungen die spezifische Gefahr, die von der fehlerhaften Behandlung ausging. Daß die vorliegenden ärztlichen Kunstfehler außer in positivem Tun (der Anordnung, den Patienten im Krankenhaus ständig im Bett zu halten) gerade auch in Unterlassungen bestanden (Unterlassen der Verabfolgung blutverflüssigender Mittel und Unterlassen der Erteilung von Anweisungen für die häusliche Nachbehandlung), ergibt nichts Abweichendes. Denn diese bilden einen Teil des kunstfehlerhaften Behandlungsgeschehens, auf dem erst die zum Tode führenden Komplikationen beruhen. Selbst wenn man aber wie das vorliegende Revisionsurteil als genügend ansieht, daß die Gefahr vom Tätigkeitsakt ausgeht, ergäbe sich bei genauer Betrachtung kein Unterschied. Der Senat meint – und das wird auch im Leitsatz des Urteils betont –, daß sich die vom Körperverletzungshandeln ausgehende Lebensgefahr

Anmerkung zu BGHSt. 31, 96 – Körperverletzung mit Todesfolge

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auch dann in der Todesfolge niedergeschlagen haben könne, wenn das Handeln zunächst nur zu einem (vorsätzlichen) Körperverletzungserfolg geführt hat, der für sich betrachtet einen tödlichen Ausgang noch nicht besorgen ließ, und der Tod des Verletzten erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände verursacht worden ist. Indes, es gibt zwar die im vorhergehenden erwähnten Sachverhalte, bei denen die spätere zwangsläufige Entwicklung eines anfangs noch nicht als lebensbedrohlich erkennbaren Körperverletzungserfolges zu dem Rückschluß veranlaßt, daß es sich wegen der angelegten Zwangsläufigkeit doch von vornherein um einen lebensbedrohlichen Körperverletzungserfolg gehandelt hat. Aber um diese Fallkonstellation geht es dem Senat nicht. Gerade weil nach den tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils vom Nichtvorliegen eines lebensbedrohlichen Körperverletzungserfolges (Knöchelbruch) auszugehen ist, gelangt er zu jener Verknüpfung von Handlungsakt und Todeseintritt. Bei ihr ist jedoch übersehen, daß die dem Handlungsakt anhaftende Gefahr (hier die vom Umwerfen des Hochsitzes ausgehende Lebensgefahr) sich nur auf dem Weg über einen Körperverletzungserfolg (hier die Knöchelfraktur) in der schweren Folge niedergeschlagen haben könnte. Ist die Gefahr auf diesem Weg erloschen, weil der bewirkte Körperverletzungserfolg nicht lebensbedrohlich ist, kann es daher nicht mehr die vom Tätigkeitsakt ausgehende Gefahr sein, die sich in der schweren Folge realisiert hat. Diese Überlegung wird bestätigt, sobald man sich im konkreten Fall die Frage vorlegt, worin inhaltlich präzise die spezifische Gefahr gelegen hat, die vom Umstürzen des Hochsitzes ausging, und dann vergleicht, ob die verursachte Todesfolge eben dieser Gefahr entsprochen hat. Die dem Umstürzen eigentümliche Lebensgefahr bestand nämlich darin, daß das Opfer durch den Sturz entweder sofort oder als Folge einer dabei erlittenen lebensbedrohlichen Verletzung zu Tode kommen konnte. Beides ist hier nicht eingetreten. Infolgedessen hat sich im Tod des Verletzten nicht die vom Tätigkeitsakt ausgehende Gefahr niedergeschlagen, sondern die der kunstfehlerhaften Heilbehandlung innewohnende Gefahr hat sich in ihm verwirklicht. Daher würde selbst dann, wenn man – wie in BGHSt. 14, 110 – den vorsätzlichen Körperverletzungserfolg als unerheblich für den zum Tode führenden Kausalverlauf ansehen wollte, die Unmittelbarkeit zu verneinen sein. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß schon in BGH NJW 1971, 152 betont wird, daß die Frage der Unmittelbarkeit sich beim Tätigkeitsansatz durchaus parallel zum Erfolgsansatz stellt. Der Senat hat die Unmittelbarkeit infolgedessen von jedem Ausgangspunkt her nicht zutreffend definiert und deshalb auch den vorliegenden Fall nicht überzeugend entschieden. Die Anwendbarkeit des § 226 StGB war, gleichgültig ob man rechtlich die Lebensgefährlichkeit des Erfolges verlangt oder die des Handelns genügen läßt, zu verneinen; und zwar aus objektiven Gründen. Die Unabhän-

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gigkeit dieses Ergebnisses von Erfolgs- oder Tätigkeitsansatz zeigt gleichzeitig, daß die Rechtsausführungen des Senats zum Ausreichen der Gefährlichkeit des Handlungsakts überflüssig waren, da es für die Entscheidung des Falles darauf nicht ankam. c) Man fragt sich bei alledem, was das Revisionsgericht zu dem Bemühen, § 226 StGB durch extensive Handhabung gleichwohl zur Anwendung zu bringen, unausgesprochen motiviert haben könnte. Unter den Bedenken, die – mit Hinweis auf die historische Entwicklung – gegen den Tatbestand der Tötung auf Verlangen vorgebracht worden sind, findet sich die Sorge, daß es bei ihr um eine den Tötungsvorsatz betreffende Verdachtstrafe gehe. Im vorliegenden Fall könnte man den Verdacht haben, daß der Angeklagte beim Umwerfen des immerhin 3,50 m hohen Hochsitzes mit Eventualvorsatz der Tötung gehandelt hat. Das erstinstanzliche Urteil stellt jedoch ausdrücklich fest, daß dem Angeklagten ein solcher Eventualvorsatz nicht nachgewiesen werden konnte; und ein bloßer Verdacht hat selbstverständlich unberücksichtigt zu bleiben. Was jedoch vom Instanzgericht nicht geprüft zu sein scheint, ist ein mit Eventualvorsatz einer schweren Körperverletzung begangener Versuch des § 224 StGB (zu dessen rechtlicher Möglichkeit vgl. BGHSt. 21, 194; Dreher / Tröndle, § 224 Rdn. 14; Hirsch-LK, § 224 Rdn. 28; Jescheck, AT, 3. Aufl., S. 425 m.w. N.). Darüber hinaus könnte die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts vielleicht dadurch beeinflußt sein, daß für das Instanzgericht Zweifel geblieben waren, ob der Tod hier nicht doch unabhängig vom Behandlungsfehler die zwangsläufige Folge der Körperverletzung gewesen ist. Es vermochte lediglich nicht auszuschließen (in dubio pro reo), daß erst die fehlerhafte Behandlung für den tödlichen Ausgang entscheidend war. Aber ganz abgesehen davon, daß im Normalfall (das Opfer war kein Greis, sondern ein aktiv tätiger Jagdpächter) eine Knöchelfraktur keine lebensbedrohliche Verletzung darstellt, ist selbstverständlich, daß die als Konsequenz des Satzes in dubio pro reo verbleibenden Zweifel nicht durch Sprengung der Tatbestandserfordernisse des § 226 StGB ausgeglichen werden dürfen. Was aber vor allem an diesem – sogar für die amtliche Sammlung vorgesehenen und auch in die Tagespresse gebrachten „Hochsitz-Urteil“ auffällt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Erweiterung der Auslegung des § 226 StGB vorgenommen wird (denn selbst BGHSt. 14, 110 hatte die Unmittelbarkeit zwischen Tätigkeitsakt und Todesfolge nicht in Frage gestellt). Betrachtet man die Reformdiskussion, würde man eher die gegenteilige Tendenz erwarten. Das um so mehr, als es sich um eine Vorschrift handelt, die zum alten Bestand des Gesetzes gehört und von der man deshalb meinen sollte, daß ihre äußersten Grenzen bereits vom Reichsgericht hinreichend geprüft worden sind. In der Reformdiskussion besteht im wesentlichen Übereinstimmung darüber, daß die Strafbestimmungen erfolgsqualifzierter Delikte reformbedürftig sind. Der E 1962 wollte sie auf Vergehen herunterstufen, wenn das zugrunde liegende vorsätzliche Delikt nur ein Vergehen darstellt (vgl. § 149 Abs. 1 E 1962). Der Alternativentwurf schlug sogar vor, sie

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ganz zu beseitigen (Vorbem. vor § 108 AE); auch im neueren Schrifttum ist verschiedentlich die radikale Abschaffung gefordert worden (so von Schubarth, ZStW 85[1973], 768 ff., 775, und – mit einigen Ausnahmen – auch C. Lorenzen, Zur Rechtsnatur und verfassungsrechtlichen Problematik der erfolgsqualifizierenden Delikte, 1981, S. 87 f., 164 ff.). Wenngleich die auf völlige Beseitigung gerichteten Forderungen über das Ziel hinausschießen – vor allem hinsichtlich des Bereichs der §§ 223 ff. StGB, wo andernfalls eine das ganze Gefüge des 17. Abschnitts durcheinander bringende starke Anhebung der Strafdrohungen von § 223 und § 223a notwendig wäre (näher Hirsch, GA 1972, 67 ff.) –, kann die Deliktsgruppe der erfolgsqualifizierten Delikte nur unter der Voraussetzung verteidigt werden, daß man ihren Wesensgehalt strikt beachtet und die Tatbestände dementsprechend restriktiv handhabt (Jakobs, Teheran-Beiheft zur ZStW, 1974, S. 38; Wolter, JuS 1981, 169; G. Küpper, a. a. O., S. 44, 83 m.w. N.). Es ist überraschend, wie die höchstrichterliche Rspr. stattdessen einer den Anwendungsbereich der Vorschrift erweiternden Auslegung das Wort redet. Eine solche Entwicklung läßt sich allerdings auch bei der Handhabung des dem § 226 StGB benachbarten § 229 StGB beobachten, der – obwohl bereits seit dem Vorentwurf 1909 wegen seiner Härte als reformbedürftig erkannt – vom BGH über die vom Reichsgericht gewahrten Grenzen hinaus ausgedehnt worden ist (siehe BGH NJW 1976 1851; hierzu kritisch Schönke / Schröder / Stree, § 229 Rdn. 6; Hirsch-LK, § 229 Rdn. 4, 13; Horn-SK, § 229 Rdn. 5). d) Nicht in allem überzeugend sind auch die Ausführungen des Urteils zur Fahrlässigkeitsseite (§ 18 StGB) der Vorschrift. Das Instanzgericht war zur im Ergebnis sachentsprechenderen Ablehnung des § 226 StGB erst bei der Fahrlässigkeit gelangt. Es hat diese mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe nicht vorhersehen können, daß der tatsächlich eingetretene Körperverletzungserfolg (der Knöchelbruch) zum Tode führen würde. Der 2. Strafsenat hält dem entgegen, es sei vielmehr zu prüfen gewesen, ob der Angeklagte im Zeitpunkt des Handelns vorhersehen konnte, daß sein Tun den Tod des Opfers nach sich ziehen werde, und das sei bei einem nicht völlig außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegenden Geschehensablauf der Fall. Dem Senat ist hier zunächst insoweit beizupflichten, als er Fahrlässigkeit (hinsichtlich des Todes) bejaht. Es ist anerkannt, daß leichtere und mittlere ärztliche Kunstfehler im Bereich der gewöhnlichen, dem Täter geläufigen Erfahrung liegen (vgl. BGH VRS 20, 278 [bei Lungenentzündung im Krankenhaus]; BGH bei Dallinger MDR 1976, 16 [zu spät erkannte Hirnblutung]; OLG Celle bei Dallinger MDR 1957, 627 [spätere Sepsis im Krankenhaus]; OLG Stuttgart JZ 1980, 618 [verspätete Aufdeckung eines Hirnödems]; Jähnke-LK, § 222 Rdn. 9 m.w. N.). Im vorhergehenden wurde deshalb schon darauf hingewiesen, daß ein aus dem Fehlen der Unmittelbarkeit folgendes Ausscheiden von § 226 StGB regelmäßig die Strafbarkeit aus §§ 222, 223 (ggf. 223 a), 52 StGB unberührt läßt.

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Gleichwohl vermag man den Ausführungen des Revisionsgerichts zur Fahrlässigkeit nicht ohne weiteres zuzustimmen. Das betrifft einmal die Beanstandung, daß das Instanzgericht bei der Vorhersehbarkeitsfrage, anstatt auf den Zeitpunkt der Vornahme der Handlung (das Umwerfen des Hochsitzes) abzustellen, den Körperverletzungserfolg (die Knöchelverletzung) zum Ausgangspunkt gewählt habe. Denn auch das Instanzgericht ist vom Zeitpunkt des Tuns ausgegangen (vgl. S. 14 f. des erstinstanzlichen Urteils). Im Unterschied zum Revisionsgericht war es nur der Meinung, daß sich die Vorhersehbarkeit bei § 226 StGB auf den Kausalverlauf zu beziehen habe, wie er sich tatsächlich realisiert hat, d. h. hier: daß beim Umwerfen des Hochsitzes voraussehbar gewesen sein muß, die dabei (vorsätzlich) verwirklichte konkrete Körperverletzung (der Knöchelbruch) könnte zum Tode des Verletzten führen. Und dieser theoretische Ansatz entspricht dem geltenden Recht. Denn bei § 226 StGB als erfolgsqualifiziertem Delikt ist durch den Grundtatbestand eine Teiltypisierung des Kausalverlaufs erfolgt, und es versteht sich deshalb von selbst, daß die Voraussehbarkeit an den (vorsätzlich) verwirklichten Grundtatbestand anzuknüpfen hat. Nur wird vom Instanzgericht und ebenso vom Senat übersehen, daß auch von diesem Ansatz her – wegen der Voraussehbarkeit leichter und mittlerer ärztlicher Kunstfehler bei der medizinischen Versorgung der zugefügten Verletzung – die Fahrlässigkeit des § 18 StGB zu bejahen gewesen wäre, nachdem beide Urteile zuvor infolge Verkennens der Unmittelbarkeitsfrage vom Vorliegen des objektiven Tatbestands des § 226 StGB ausgegangen waren. Das aber bedeutet gleichzeitig, daß für den Senat, sobald er die Unmittelbarkeit bejaht hatte, gar kein Anlaß bestand, dann auch noch den Fahrlässigkeitsbegriff des § 18 StGB durch Abstrahieren von der konkreten Verwirklichung der objektiven Tatumstände des Grundtatbestands zu erweitern. Es kam darauf vielmehr bei seiner zum objektiven Tatbestand des § 226 StGB vertretenen Rechtsauffassung überhaupt nicht mehr an. Von vornherein aber stellt sich die Fahrlässigkeitsfrage des § 226 StGB gar nicht erst, wenn man erkennt, daß im vorliegenden Fall schon objektiv der Unmittelbarkeitszusammenhang fehlt und deshalb bereits aus diesem Grunde der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge nicht erfüllt ist. e) An den Rechtsausführungen des Senats stört im übrigen, daß der bei § 226 StGB vorsätzlich zu verwirklichende Erfolg des Grundtatbestands, also der Körperverletzungserfolg, ständig als „Körperverletzungsfolge“ bezeichnet wird. Der (vorsätzliche) Körperverletzungserfolg ist selbstredend nicht Folge der Körperverletzung, sondern deren Bestandteil. Auch widerspricht eine solche Wortwahl der Terminologie des Gesetzes. Wie § 224 StGB und allgemein § 11 Abs. 2 und § 18 StGB klar zum Ausdruck bringen, versteht das Gesetz beim erfolgsqualifzierten Delikt unter „Folge“ nur den zum verwirklichten Grundtatbestand hinzukommenden strafschärfenden Erfolg (§ 11 Abs. 2 und § 18 StGB sprechen hierbei von „besonderer“ Folge zur Unterscheidung von nicht tatbestandlich vertypten zusätzlichen Deliktsfolgen).

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Weiterhin fällt auf, daß hinsichtlich der Grundvoraussetzung des § 226 StGB, nämlich dem Vorliegen einer vorsätzlichen Körperverletzung, an keiner Stelle der gerade für die tatbestandliche Fixierung dieser Vorschrift besonders wichtige Vorsatz des Angeklagten ausdrücklich erwähnt wird. So heißt es auch am Anfang der Rechtsausführungen ungenau: „Der Tatbestand dieser Vorschrift setzt voraus, daß durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge Fahrlässigkeit zur Last fallen muß.“ (§ 18 StGB) Das ist deshalb unscharf, weil eine Körperverletzung eine vorsätzliche (§ 223 StGB) und eine fahrlässige (§ 230 StGB) sein kann. Der Tatbestand des § 226 StGB erfordert aber – und das legt das Urteil natürlich auch unausgesprochen zugrunde – eine vorsätzliche Körperverletzung, so daß für ihn nicht nur § 18 StGB hinsichtlich der Folge, sondern auch § 15 StGB hinsichtlich des Grundtatbestands heranzuziehen ist. Doch sind dies nur Beiläufigkeiten. Die entscheidenden Bedenken richten sich aus den oben genannten Gründen gegen die zu § 226 StGB vertretene Rechtsauffassung und die Anwendung der Vorschrift auf den festgestellten Sachverhalt. Die betreffenden Rechtsausführungen und der Leitsatz dieses für die amtliche Sammlung vorgesehenen „Hochsitz-Urteils“ bewirken für die Rechtsfragen des § 226 StGB und darüber hinaus allgemein die der erfolgsqualifizierten Delikte viele neue Unklarheiten, so daß an weiteren einschlägigen Revisionsverfahren kaum Mangel sein wird. 2. Die gegenüber den Strafzumessungserwägungen erhobenen Beanstandungen sind dagegen durchschlagend. Der Senat weist erneut darauf hin, daß es unzulässig ist, das bloße Fehlen eines Strafmilderungsgesichtspunkts straferschwerend zu bewerten. Ebenso bestätigt der BGH die h. L., daß bei leugnenden Angeklagten grundsätzlich fehlende Reue nicht strafschärfend wirken darf, da ein leugnender Angeklagter Reue nicht zeigen kann, ohne damit seine Verteidigungsposition zu gefährden; vgl. BGH NStZ 1981, 25; 1981, 343; st. Rspr.; Mösl NStZ 1981, 131, 133 f. m.w. N.). Daß dies auch gilt, wenn der Angeklagte wie hier zwar tatbestandsmäßiges Handeln einräumt, sich aber auf Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe beruft – im vorliegenden Fall auf Notwehr oder unvermeidbare Putativnotwehr –, ist seit langem anerkannt (vgl. BGHSt. 3, 199 [Leitsatz]; zuletzt BGH Strafverteidiger 1982, 223; st. Rspr.; Dreher / Tröndle, § 46 Rdn. 29 m.w. N.). Angesichts einer im Schrifttum vertretenen dogmatischen Konstruktion, nach der die Putativnotwehr nicht erst die Schuld, sondern bereits das Unrecht betreffen soll (so Stratenwerth, AT I, 3. Aufl., Rdn. 504; Samson-SK, 3. Aufl., § 16 Rdn. 10, vor § 32 Rdn. StGB 5 u. 9), wird man es schließlich begrüßen, daß der Senat mit Selbstverständlichkeit von der Selbstverständlichkeit ausgeht, daß es sich dabei erst um eine Schuldfrage handelt (dazu näher Hirsch, ZStW 94 [1982] 239, 257 ff.).

Anmerkung zu BGHSt. 31, 348 („Buscopan-Fall“) und 32, 194 betreffend Abgrenzung von straflosem fahrlässigen Schwangerschaftsabbruch und fahrlässiger Tötung 1985 1. In den beiden Entscheidungen äußert sich der BGH zu wichtigen Fragen der Abgrenzung von Schwangerschaftsabbruch und Tötung des Menschen. Das erste Urteil („Buscopan-Fall“) gab dem 3. Strafsenat Gelegenheit zur Klarstellung, daß für den Beginn der Geburt, mit dem nach geltendem Recht die Leibesfrucht zum Menschen im Sinne der Tötungsdelikte wird, jedenfalls nicht schon die Vorwehen genügen; und in dem späteren Urteil des 1. Strafsenats wird die in der vorgenannten Entscheidung noch offengelassene Frage, ob es auf das Einsetzen der Eröffnungs- oder erst der Treib- und Preßwehen ankommt, im Sinne des Beginns der ersteren entschieden. Das Urteil des 3. Senats ist außerdem deshalb wichtig, weil es – und hierin liegt seine Hauptbedeutung – zu der seit dem Contergan-Prozeß viel diskutierten Frage höchstrichterlich Stellung nimmt, ob eine fahrlässige Einwirkung auf die Leibesfrucht, die eine Schädigung des sich aus dieser bildenden Menschen hervorruft, zur Annahme der fahrlässigen Verletzung (hier Tötung) eines Menschen genügt. 2. Die Entscheidung des 3. Strafsenats ist in der Öffentlichkeit wegen des Freispruchs der Ärzte und der dafür gegebenen Begründung heftig kritisiert worden. Der BGH sah sich deshalb sogar zu einer Presseverlautbarung gedrängt (vgl. FAZ v. 6. 6. 1983). Auch hat der Zivilrechtler Bosch Passagen der Entscheidung als „ausgesprochen komisch-antiquiert“ kritisiert (FamRZ 1983, 698). Darüber hinaus hat Arzt an ihr in einer Urteilsanmerkung (FamRZ 1983, 1019) aus strafrechtlicher Sicht Kritik geübt. Das gibt Anlaß, auch auf sie noch einmal einzugehen. a) Die tatsächliche Seite des Falles ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen handelt es sich um die sehr ungewöhnliche Situation, daß eine Frau im 9. Schwangerschaftsmonat noch nichts von ihrer Schwangerschaft bemerkt hat (entgegen Zweifeln von Bosch a. a. O. ist so etwas, wie die Lektüre des erstinstanzlichen Urteils verdeutlicht, wirklich für das Jahr 1980 noch denkbar). Nach der „Sirius-Entscheidung“ (BGHSt. 32, 38) ist dies innerhalb kurzer Zeit der zweite Fall, in dem der BGH mit Seltsamkeiten auf der Opferseite konfrontiert worden ist. Nicht weniger bemerkenswert ist der Sachverhalt aber auch wegen der Einblicke, die er in den Qualitätsschwund der häuslichen ärztlichen Versorgung vermittelt. Zu den Zeiten, als es noch selbstverständlich war, daß ein erfahrener

Anmerkung zu BGHSt. 31, 348 und 32, 194 – Fahrlässige Tötung

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Hausarzt oder sein ihn vertretender Kollege auch an Feiertagen zum Patienten in die Wohnung kam, hätte sich dieser unselige Fall kaum ereignet. Darüber hinaus läßt er angesichts der Duplizität des Geschehens Zweifel aufkommen, ob es um die medizinische Ausbildung und Sorgfalt des Ärztenachwuchses bei uns zum besten bestellt ist. b) Was die juristische Seite betrifft, betont der 3. Senat mit Recht, daß die Geburt im strafrechtlichen Sinne bei regulärem Geburtsverlauf nicht schon während der Vorwehen beginnen kann. Er weist darauf hin, daß eine so weite Vorverlegung auch im strafrechtlichen Schrifttum keine Anhänger hat. Denn die Vorwehen können schon längere Zeit vor der Geburt auftreten; erst damit, daß die Eröffnungswehen einsetzen, beginnt frühestens der Geburtsvorgang. Jedoch hatte der 3. Senat keinen Anlaß, zu der eigentlichen Streitfrage, ob das Einsetzen der Eröffnungswehen genügt oder nicht vielmehr die Treib- und Preßwehen den Ausschlag geben, Stellung zu nehmen, so daß insoweit erst die Entscheidung des 1. Senats eine rechtliche Klärung gebracht hat, worauf im folgenden noch zurückzukommen ist. Die juristische Bedeutung der „Buscopan-Entscheidung“ liegt denn auch nicht bei diesem – im ersten amtl. Leitsatz genannten – Problemkreis, sondern in der Übertragung der bereits in st. Rspr. (RGSt. 4, 380; 41, 328; BGHSt. 10, 5; 10, 291, 293; 13, 21, 24) zur Abgrenzung von vorsätzlichem Schwangerschaftsabbruch und allgemeinen Tötungsdelikten vertretenen Auffassung auf die entsprechende Abgrenzungsfrage bei fahrlässiger Abtötung der Leibesfrucht. Jene Judikatur sagt, daß es für die Frage, ob § 218 StGB oder die Tötung eines (in der Geburt befindlichen) Menschen vorliegt, auf die Rechtsqualität im Zeitpunkt der Einwirkung auf das Tatobjekt ankommt. Dementsprechend heißt es auch in der vorliegenden Entscheidung: „Wandelt sich die Rechtsqualität des Opfers nach dem Eingriff von der Leibesfrucht zum Menschen, so ist der Zeitpunkt der Einwirkung auf das Opfer, nicht der des Todeseintritts maßgebend für die Frage, ob eine vorsätzliche Tötung eines Menschen oder ein Schwangerschaftsabbruch anzunehmen ist.“ Der Senat führt das Argument an, daß auf diese Weise vermieden wird, es von dem für den Täter ganz zufälligen Ablauf des physiologischen Vorgangs, nämlich des Todeseintritts vor oder nach dem Beginn der Geburt, abhängen zu lassen, ob er ggf. wegen Mordes oder wegen Abtreibung strafbar ist. Zur theoretischen Begründung läßt sich außerdem darauf hinweisen, daß das Rechtsgut von Zustandsdelikten, wie es Tötung und auch Körperverletzung sind, im Zeitpunkt der Einwirkung auf das Tatobjekt bereits vorhanden sein muß, um Gegenstand der Verletzungshandlung sein zu können. Beachtet man dies nicht, so verwischt man den bedeutsamen Unterschied, der darin liegt, ob man ein bereits existentes Rechtsgut verletzt oder ob man ein noch nicht vorhandenes Rechtsgut an der Entstehung hindert oder es beeinträchtigt entstehen läßt. Mit Recht weist der Senat deshalb darauf hin, daß für fahrlässige Begehung, die im vorliegenden Fall in Betracht kommt, nichts anderes zu gelten hat als für die vorsätzliche (so schon die h. L.; vgl. Jähnke, LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 4;

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Horn, SK, 3. Aufl., § 212 Rdn. 3 f.; Maurach / Schroeder, BT I, 6. Aufl., S. 13; Schönke / Schröder / Eser, 21. Aufl., Vor § 211 Rdn. 15). Denn die Abgrenzung von Schwangerschaftsabbruch und Tötung des Menschen ist bereits eine Frage der objektiven Tatseite. Außerdem leuchtet ein, daß man in Widerspruch zur Entscheidung des Gesetzgebers, die fahrlässige Abtreibung straflos zu lassen, geraten würde, wenn man auf § 222 StGB in den Fällen zurückgriffe, in denen ein für die Leibesfrucht riskantes Verhalten ungewollt, aber voraussehbar zum Tode nicht vor, sondern erst nach Beginn der Geburt führen würde. Deshalb wird die Anwendbarkeit von § 222 StGB übrigens auch von denjenigen Autoren verneint, die im Gegensatz zur h. M. bei vorsätzlicher Begehung anders entscheiden wollen (siehe insbesondere Tepperwien, Pränatale Einwirkungen, 1973, S. 115 ff.). Die vom BGH jetzt zu § 222 StGB vertretene Ansicht bestätigt mittelbar auch den von der h. L. im Gegensatz zu LG Aachen JZ 1971, 507 im Contergan-Fall eingenommenen Standpunkt; denn für § 230 StGB hat bezüglich der Cesundheit des Kindes Entsprechendes zu gelten (vgl. für die h. L. Blei, MMedW 1970, 743; Lüttger, JR 1971, 139; Armin Kaufmann, JZ 1971, 571; Dreher / Tröndle, 42. Aufl., § 218 Rdn. 7; Hirsch, LK, 10. Aufl., Vor § 223 Rdn. 7 m.w. N.). Überzeugend ist es auch, daß die fragliche Abgrenzung beim Unterlassen nicht anders als beim positiven Tun vorzunehmen ist. Ein Erfolg, der sich bei positivem Tun als Verletzung der Leibesfrucht darstellt, bleibt dies auch dann, wenn jemand es nur unterläßt, ihn abzuwenden (ebenso OLG Karlsruhe MDR 1984, 686). Die Bemerkung des Senats, daß die de lege lata sich ergebende Straflosigkeit fahrlässiger pränataler Einwirkungen mit tödlichen Folgen insbesondere bei fahrlässiger Verletzung von Berufspflichten der Ärzte und ihres Hilfspersonals zu „rechtspolitisch bedenklichen Strafbarkeitslücken führen mag“, die aber nur durch den Gesetzgeber geschlossen werden könnten, relativiert nicht die strafrechtstheoretische Allgemeingültigkeit der Einsicht, daß das durch ein Zustandsdelikt verletzte Rechtsgut bereits im Zeitpunkt der Einwirkung auf das Tatobjekt existent sein muß. Auch wenn es sich um einen Arzt handelt, dürfte man de lege ferenda das Ob und Wie der Bestrafung nicht von dem zufälligen Ablauf abhängig machen, ob die pränatale Einwirkung zum Tode des Ungeborenen vor oder nach Beginn der Geburt führt. Eine andere Frage ist, inwieweit eine Vorschrift notwendig wäre, die den von einem Arzt oder dessen Hilfspersonal fahrlässig bei einer Patientin verursachten Fruchtabgang unter Strafe stellt. Dabei ist indes zu beachten, daß eine solche allgemeine Pönalisierung offensichtlich die Strafbarkeit zu weit ausdehnen und mit dem schon bezüglich des vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruchs stark reduzierten Strafschutz des Embryos kaum in Einklang zu bringen wäre. Der Blick auf den von einem Arzt vorgenommenen vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruch zeigt, daß die Strafbarkeitslücke, von der vorliegend die Rede ist, wohl nur Fälle betreffen könnte, in denen im Widerspruch zum Willen der Schwangeren gehandelt wird. Auch kommt allein über das von der Schwangeren begründete und die Leibesfrucht einbeziehende Arzt-Patienten-Ver-

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hältnis die besondere Schutzpflicht des Arztes für den Embryo zustande, so daß dieser nicht – wie bei dem auf Wunsch der Schwangeren erfolgenden ärztlichen Schwangerschaftsabbruch – außerhalb der von der Patientin gewollten Fürsorge geblieben sein darf. Wenn es sich aber so verhält, dann erhebt sich die Frage, ob es bei der vom Senat als möglich angesehenen Strafbarkeitslücke nicht in Wahrheit um den Schutz der Körperintegrität der Schwangeren geht. Insoweit aber steht schon § 230 StGB zur Verfügung, dessen Anwendungsbereich vielleicht bisher nur nicht voll ausgeschöpft worden ist (siehe auch noch Ziff. 2 d). Darüber hinaus scheint der Gedanke, hier könne es sich um eine Strafbarkeitslücke handeln, durch das im vorliegenden Fall schon weit fortgeschrittene Stadium der Schwangerschaft (bereits selbständig lebensfähiger Ungeborener) bedingt zu sein. In dieser Hinsicht handelt es sich indes um das Problem der allgemeinen Verstärkung des Strafschutzes des Embryos in den letzten Schwangerschaftsmonaten (dazu auch unten Ziff. 3). c) Was die Würdigung des konkreten Fall durch den BGH angeht, ist zu beachten, daß der Senat zweimal den Satz in dubio pro reo anzuwenden hatte. Es bestanden zum einen nicht aufklärbare Zweifel darüber, ob die vom Notarzt durch positives Tun vorgenommene Handlung (Injektion, Verordnung von Zäpfchen) kausal für den Tod des Ungeborenen gewesen ist, ebenso umgekehrt, ob das positive Tun der – nicht am Revisionsverfahren beteiligten – Arztvertreterin dies gewesen ist. Infolgedessen kam nur Unterlassen in Betracht, und zwar das Unterlassen der Veranlassung geburtshelferischer Betreuung. Die Situation stellt sich als Konsequenz des Satzes in dubio pro reo so dar, daß der Notarzt anstelle der gebotenen Maßnahme eine nicht zur Erfolgsabwendung geeignete Maßnahme getroffen hat. Das positive Tun besteht also in der Vornahme einer bezüglich des Todeseintritts untauglichen Erfolgsabwendungshandlung durch einen Handlungspflichtigen; mithin bleibt dadurch das Unterlassen der Erfolgsabwendung bestehen. Entgegen Arzt (a. a. O. S. 1019) liegt darin keine Umdeutung eines positiven Tuns in ein Unterlassen, sondern es geht von vornherein um ein wegen falschen Rettungshandelns fortbestehendes Unterlassen der Erfolgsabwendung. Entgegen Arzt (a. a. O.) mangelt es bei dem Notarzt auch nicht an einer Garantenstellung. Diese entsteht in dem Augenblick, in dem die Behandlung übernommen wird, wobei gleichgültig ist, ob es sich um einen Notarzt handelt. Die Garantenstellung ist aufgrund der objektiven Übernahme der Behandlung einer Schwangeren auch für das Ungeborene entstanden. Darüber hinaus kommt Ingerenz wegen der bereits beim ersten Besuch erfolgten Falschbehandlung in Betracht. Der Satz in dubio pro reo kam, wie der Senat betont, auch noch ein zweites Mal zur Anwendung. Es war nämlich ebenfalls nicht nachzuweisen, daß zu dem Zeitpunkt, als der Notarzt die gynäkologische Hilfe hätte veranlassen müssen – das war beim zweiten Besuch – bereits der Beginn der Geburt eingetreten und deshalb das Ungeborene schon als Mensch im Sinne der strafrechtlichen Tötungstatbestände anzusehen war.

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Hier hätten sich allerdings noch einige weitere Überlegungen anschließen sollen. Einmal ist daran zu denken, daß die Erfolgsabwendungspflicht für den Notarzt auch noch über den Zeitpunkt seines zweiten Besuches hinaus fortbestanden hat. Zwar mag zweifelhaft sein, ob nach dem zweiten Besuch des Notarztes noch eine fortwirkende Garantenstellung aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis (bis spätestens zur Übernahme der Behandlung durch den nächsten Arzt) gegeben war. Jedenfalls ist aber an Ingerenz zu denken. Durch seine sorgfaltswidrige Medikamentierung hat der Notarzt pflichtwidrig eine Gefahrenlage für das Ungeborene geschaffen. Jedoch scheitern §§ 222, 13 StGB gleichwohl daran, daß nicht nachweisbar ist, ob der Todeseintritt auf der Pflichtwidrigkeit dieses Arztes beruht. Nach den tatsächlichen Feststellungen, nach denen der Tod zwischen dem 19.6. morgens und dem Morgen des 20.6. eintrat, ist nicht auszuschließen, daß er erst durch die am 19.6. mittags erfolgte Therapie der Arztvertreterin herbeigeführt worden ist und sich deshalb in dem Erfolg nicht die Pflichtwidrigkeit des Notarztes, sondern die der Arztvertreterin niedergeschlagen hat. Weiterhin erhebt sich die Frage, ob man nicht zur Strafbarkeit des Notarztes aus § 222 StGB auf dem Wege hätte gelangen können, daß man auf die von ihm mit dem Vermerk der falschen Diagnose hinterlassene Notfalldienst-Mitteilung abstellte und eine über die Fortsetzung der Falschbehandlung durch die Arztvertreterin verlaufende Kausalreihe in Betracht zog. Zwar greift, wie schon erwähnt wurde, der Satz in dubio pro reo bezüglich der Kausalität auch zugunsten der Arztvertreterin ein. Jedoch ließe sich dieser Punkt durch die Überlegung überbrücken, daß der Notarzt entweder auf direktem Wege selbst (durch die falsche Behandlung) oder mittelbar (durch die an die Arztvertreterin weitergeleitete Notfalldienst-Mitteilung) kausal für den Erfolg geworden wäre. Hinsichtlich der Rechtsgutsqualität im Einwirkungszeitpunkt wäre eine solche alternative Begründung dagegen nicht möglich. Hier war nämlich bereits innerhalb der direkten Einwirkung durch den Notarzt nicht aufklärbar, ob sie eine Leibesfrucht oder bereits einen (in der Geburt befindlichen) Menschen verletzt hatte, so daß auch dann, wenn das Rechtsgut des § 222 StGB nicht durch die von der Arztvertreterin vorgenommenen Weiterbehandlung verletzt worden wäre, das nicht heißen würde, daß in solchem Fall der Notarzt bereits durch seine Behandlung dieses Rechtsgut verletzt haben würde. Darüber hinaus müßte die zur Erörterung stehende Konstruktion daran scheitern, daß für eine mittelbare Begehung (über die Arztvertreterin) auch noch andere Fahrlässigkeitserfordernisse fehlen. Insbesondere wäre die Sorgfaltspflichtverletzung in bezug auf einen solchen mittelbaren Ablauf zu verneinen, da jeder Arzt gemäß der Verteilung der ärztlichen Veranrwortungsbereiche darauf vertrauen darf, daß der nachfolgend behandelnde Arzt sich aufgrund eigener Untersuchung ein Bild davon macht, welcher Befund zum Zeitpunkt seiner Therapie vorliegt und wie deshalb von ihm zu therapieren ist. Die vom Notarzt hinterlassene NotfalldienstMitteilung berichtet nur über Geschehenes und hat für den nachfolgenden Arzt lediglich die Funktion, daß dieser bei seiner Untersuchung und Behandlung weiß, was der Notarzt veranlaßt hat. Aus diesen Gründen entfällt entgegen Arzt (a. a. O.)

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die Möglichkeit, den § 222 StGB durch das Abstellen auf eine mittelbare Begehung zu begründen. Jedoch hätte der Senat wohl auf diese Frage eingehen sollen. d) War es nach alledem richtig, die Anwendbarkeit des § 222 StGB zu verneinen, so verblieb als weiteres Problem, ob nicht § 230 StGB, und zwar gegenüber der Schwangeren selbst, angenommen werden mußte. Der BGH lehnt das im Gegensatz zur Strafkammer mit der Begründung ab, daß eine „bloße zeitliche Verschiebung“ des Geburtsvorgangs noch keine Körperverletzung sei; auch hätten die verordneten wehendämpfenden Maßnahmen die Schmerzen der Schwangeren gelindert, und es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß die spätere Niederkunft, insgesamt gesehen, zu heftigeren Schmerzen oder häufigeren Wehen geführt habe, als die Schwangere sie bei rechtzeitiger gynäkologischer Hilfe erlitten hätte. Die Ablehnung einer fahrlässigen Körperverletzung ist von Arzt (a. a. O. S. 1020) kritisiert worden. Das Argument des BGH, die spätere Geburt des toten Kindes habe die Frau körperlich nicht stärker belastet, als dies bei rechtzeitiger gynäkologischer Hilfe der Fall gewesen wäre, sei unrichtig. Der BGH habe den „Gedanken der sozialen Zweckverfehlung“ nicht berücksichtigt. Durch die Verzögerung entgehe der Frau das „Äquivalent“ für ihre Schmerzen, nämlich das lebende Kind. Eine Körperverletzung sei also in der Geburt eines toten Kindes zu sehen, weil die Geburtsschmerzen ihren Zweck verfehlt hätten. Diese Überlegung, für die Arzt ausdrücklich eine Parallele zu der bei § 263 StGB vertretenen Zweckverfehlungslehre zieht, führt indes nicht weiter. Ob das Kind tot oder lebendig zur Welt kommt, hat für sich gesehen keinen Einfluß auf die Frage, ob bei der Gebärenden eine Körperverletzung vorliegt. Bei der Geburt eines lebensfähigen Kindes entfällt nicht deshalb hinsichtlich der geburtsbedingten Schmerzen, Blutungen und Ablösungen ein Körperverletzungserfolg bei der Mutter, weil ein Äquivalent diese Beeinträchtigungen kompensiert, sondern weil die Abstoßung der Frucht nach Einsetzen des normalen Geburtsvorgangs eine natürliche Körperreaktion darstellt. Ausschlaggebendes Kriterium ist daher, ob die Geburtsschmerzen u. dgl. schon – wie beim unbeeinflußten Geburtsvorgang – vom Körper der Schwangeren selbst ausgelöst oder aber die vorzeitige Folge eines äußeren Eingriffs sind. Eine Körperverletzung kommt bei jenen geburtsbedingten Auswirkungen mithin nur dann in Betracht, wenn eine Frühgeburt verursacht wird, nicht hingegen, wenn lediglich der bei natürlichem Ablauf einsetzende Geburtsvorgang verzögert wird. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß § 230 StGB hier nicht durch das Unterlassen der geburtshilflichen Betreuung verwirklicht worden ist. Insoweit läßt sich dem BGH beipflichten. In Betracht kommt jedoch eine fahrlässige Körperverletzung, die in der durch positives Tun erfolgenden toxischen Beeinträchtigung von körperlichen Funktionen (Dämpfung der Wehentätigkeit) der Schwangeren besteht. Daß die Schmerzen dabei gelindert wurden, ändert nichts am Vorliegen dieser „Nebenwirkung“. Auch

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läßt der Umstand, daß die Therapie zu Heilzwecken erfolgte, hier das Gegebensein einer tatbestandlichen Körperverletzung (§ 230 StGB) unberührt. Dies ergibt sich ebenso nach der den Heileingriff stets als Körperverletzung einstufenden Rspr. (die vorliegend über die [vermeidbar] irrige Annahme einer Einwilligung zu fahrlässiger Körperverletzung gelangen würde) wie nach der herrschenden Schrifttumsauffassung, da letztere bei nicht erfolgreichem Heileingriff, wenn er nicht lege artis vorgenommen wurde, ebenfalls § 230 StGB bejaht (näher zu diesen Fragen Hirsch, LK, Vor § 223 Rdn. 5 m.w. N.). Die genannte Körperverletzung ist auch nicht etwa durch Einwilligung gedeckt. Die Patientin erklärte sich nicht mit einer kunstfehlerhaften Behandlung einverstanden, sondern ihre Einwilligung bezog sich allein auf eine der lex artis entsprechende schmerzlindernde Therapie (so im Ergebnis auch Arzt, a. a. O. S. 1020 Fn. 7). Der auf die toxische Beeinträchtgung der Wehentätigkeit bezogenen Anwendung des § 230 StGB steht auch nicht entgegen, daß die Handlung möglicherweise kausal für die Abtötung der Leibesfrucht gewesen ist. Daß die Vorschrift überhaupt auf die mit einem – fahrlässigen und daher nicht strafbaren – Schwangerschaftsabbruch notwendigerweise verbundenen körperlichen Beeinträchtigungen der Mutter angewandt werden kann, wird offenbar auch vom entscheidenden Senat für möglich gehalten, da er bei seiner Verneinung nur auf Besonderheiten des konkreten Falles abstellt; und auch OLG Karlsruhe MDR 1984, 686, 687 geht von der prinzipiellen Anwendbarkeit aus. Das ist konsequent und sachentsprechend. Denn bei gem. § 218 StGB strafbarem Schwangerschaftsabbruch ist anerkannt, daß die notwendigerweise mit der vorsätzlichen Abtreibung verbundene vorsätzliche körperliche Verletzung der Schwangeren (§ 223 und § 223a StGB) tatbestandlich gegeben ist und nur wegen Konsumtion zurücktritt (RG GA 58 [1911], 453, 454; BGHSt. 10, 312; 15, 345). Deshalb ist bei einem sich schon körperlich auf die Schwangere auswirkenden Abtreibungsversuch Idealkonkurrenz von §§ 218, 22 und 223 StGB angenommen worden, ferner bei einer voraussehbar tödlich ausgehenden vorsätzlichen Abtreibung § 226 StGB (BGHSt. 28, 11). Wenn nun aber bei vorsätzlichem Schwangerschaftsabbruch tatbestandlich auch eine an der Mutter begangene Körperverletzung vorliegt, die lediglich unter Konkurrenzgesichtspunkten verdrängt sein kann, so ist bei (straflosem) fahrlässigen Schwangerschaftsabbruch ebenfalls tatbestandlich eine fahrlässige Körperverletzung bezüglich der notwendig mit der Abtreibung verbundenen körperlichen Verletzung möglich. Nach den Grundsätzen der Konkurrenzlehre erlangt diese fahrlässige Körperverletzung mangels einer sie konsumierenden vorrangigen Straftat selbständige Bedeutung. Dem ließe sich nicht entgegenhalten, daß die Straflosigkeit des fahrlässigen Schwangerschaftsabbruchs eine Sperrwirkung auch bezüglich der fahrlässigen Körperverletzung entfalten müsse. Zwar ist gegen die Strafbarkeit des fahrlässigen Schwangerschaftsabbruchs u. a. angeführt worden – und auch der 3. Senat tut das in anderem Zusammenhang (BGHSt. 31, 348, 353) –, daß

Anmerkung zu BGHSt. 31, 348 und 32, 194 – Fahrlässige Tötung

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andernfalls die Sorgfaltspflichten für die Schwangere und ihr familiäres Umfeld unrealistisch streng sein würden. Diese Fälle würden von einer Strafbarkeit aus § 230 StGB jedoch ohnehin kaum erfaßt werden: die Schwangere nicht, weil Körperverletzung die Verletzung einer anderen Person erfordert; und diejenigen, die gedeckt von einer Einwilligung der Schwangeren handeln, deshalb nicht, weil § 226a StGB eingreift (wobei der Umstand, daß gleichzeitig die Leibesfrucht betroffen ist, die Rechtfertigung der Körperverletzungsfahrlässigkeit nicht berührt; näher hierzu Hirsch, LK, § 226a Rdn. 4, 8 ff.). In allen übrigen Fällen ist dagegen kein Grund erkennbar, der Schwangeren in bezug auf die mit der Ablösung der Leibesfrucht verbundene Verletzung den Schutz des § 230 StGB zu versagen (so bereits RG GA 47 [1900], 286); es könnte nur darum gehen, daß die Sorgfaltsanforderungen je nach Lebenskreis des Täters strenger oder milder sind. Aus den genannten Gründen ist Arzt, wenngleich nur im Ergebnis, darin beizupflichten, daß entgegen der Auffassung des Senats eine Bestrafung des Notarztes aus § 230 StGB angezeigt war. Das hat ebenso für die Arztvertreterin zu gelten. Der in der Entscheidung enthaltene Satz, daß die zeitliche Verschiebung des Geburtsvorgangs noch keine Körperverletzung sei, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. 3. Während in dem vorstehend erörterten Urteil des 3. Strafsenats noch offengelassen wird, ob es für das Vorliegen des Rechtsguts „Mensch“ i. S. der Tötungsdelikte bei regulärem Geburtsverlauf auf den Beginn der Treib- und Preßwehen ankommt oder ob das Einsetzen der Eröffnungswehen genügt, wird in der Entscheidung des 1. Strafsenats jetzt ausdrücklich auf den letztgenannten (früheren) Zeitpunkt abgestellt. Der BGH schließt sich damit der bereits im Schrifttum herrschenden Ansicht an (vgl. Lüttger, JR 1971, 135 ff.; ders., NStZ 1983, 482; Jähnke, LK, Vor § 211 Rdn. 3; Schönke / Schröder / Eser, Vor § 211 Rdn. 13 m.w. N.). Er weist darauf hin, daß biologisch-medizinisch der normale Geburtsvorgang mit den Eröffnungswehen beginnt, da diese zu den „Ausstoßungsversuchen des Mutterleibes“ zählen, indem sie in zeitlicher und lokomotorischer Hinsicht bereits einen erheblichen Teil des Gesamtvorganges der Ausstoßung aus dem Mutterleib realisieren. Die von Saerbeck (Beginn und Ende des Lebens als Rechtsbegriffe, 1974, S. 95) vertretene Gegenmeinung, daß rechtlich nur durch ein Abstellen auf die Treib- und Preßwehen eine eindeutige Abgrenzung zu erreichen sei, erklärt der Senat einleuchtend für nicht überzeugend. Er hält ihr mit Recht entgegen, daß entscheidend jene biologisch-medizinischen Fakten sind und daß Erkenntnisschwierigkeiten nicht zu Lasten des Täters gehen würden, vielmehr bei Unkenntnis kein Vorsatz gegeben wäre. Der BGH läßt offen, wie bei irregulärem Geburtsverlauf (vorzeitigem Blasensprung, künstlich eingeleiteter Geburt durch Kaiserschnitt) abzugrenzen wäre. Die vorherrschende Auffassung im Schrifttum stellt in solchen Fällen auf den Beginn der Öffnung des Uterus ab (Jähnke, LK, Vor § 211 Rdn. 3; Lackner, 15. Aufl., Vor § 211 Fn. l a; Maurach / Schroeder, BT I, S. 13; Schönke / Schröder / Eser, Vor

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§ 211 Rdn. 13). Das leuchtet ein, denn solange diese noch nicht erfolgt ist, wie beim Beginn der Schnittentbindung, handelt es sich um ein medizinisches Vorstadium der Geburt (anders jedoch Lüttger, Heinitz-Festschrift, 1972, S. 362, 365 f.; Schmidhäuser, BT, 2. Aufl., S. 15). Wenngleich der BGH damit, daß er bei regulärem Geburtsverlauf auf den Beginn der Treib- und Preßwehen abstellt, die de lege lata zutreffende Grenzziehung vornimmt, verbleiben Fragen de lege ferenda. Bekanntlich löst der Schwangerschaftsabbruch in der Rechtswirklichkeit kaum noch strafrechtliche Reaktionen aus (im Jahre 1982 sind nur 26 Personen aus §§ 218 ff. StGB verurteilt worden; vgl. Statistisches Jahrbuch 1984, S. 347). Auf die Dauer wird deshalb wohl die Frage zur Diskussion gestellt werden, ob der bundesdeutsche Gesetzgeber nicht parallel zum englischen Recht zwischen dem Tatbestand des § 218 StGB und den Tatbeständen der §§ 211 ff. und § 222 StGB einen Tatbestand der Tötung des lebensfähigen Ungeborenen schaffen sollte. In England gibt es ein solches Delikt (child destruction) bereits seit dem Jahre 1929. Gemäß sect. l Infant Life (Preservation) Act wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht, wer ein lebensfähiges Kind, bevor es eine von der Mutter unabhängige Existenz hat, vorsätzlich tötet. Nach sect. 1 II soll der Umstand, daß eine Frau 28 Wochen und länger schwanger ist, prima facie die Lebensfähigkeit beweisen (näher zur englischen Regelung Beck, Die vorsätzliche Tötung im englischen Strafrecht, 1973, S. 12). Auch wenn ein heutiger Gesetzgeber die Strafdrohung niedriger ansetzen würde (außerdem den Zeitpunkt des Beginns des verschärften Strafschutzes tatbestandlich abstrakt festzulegen und nicht beweisrechtlich zu regeln hätte), zeigt diese Vorschrift, daß die Bagatellisierung des Schwangerschaftsabbruchs durch das geltende Recht (und die von diesem ausgelöste Handhabung) jedenfalls nicht für die letzten Schwangerschaftsmonate paßt. Hier bewegt man sich vielmehr in einem Bereich, der dem der §§ 211 ff. StGB nähersteht als dem des – gegenwärtig faktisch weitestgehend unverfolgt bleibenden – Vergehens des § 218 StGB (in diesem Sinne auch Maurach / Schroeder, BT I, S. 13). Es ist auffallend, daß es häufig nicht leicht ist, einem Nichtstrafrechtler glaubhaft zu machen, daß die Abtötung des schon lebensfähigen Kindes vor Beginn der Geburt straftatbestandlich das Gleiche wie eine Abtreibung sein soll. Der den Rückzug des Strafrechts aus dem bisherigen Schutzbereich des § 218 StGB bewirkende Gesichtspunkt ist die Selbstbestimmung der Mutter (Notlage i. S. des § 218a Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nach heutiger tatsächlicher Handhabung praktisch jede Konfliktlage, welche die Schwangere nicht zu tragen bereit ist; vgl. Bericht der Bundesregierung, BTDrucks. 8/3630, S. 81 ff.). Eser (ZStW 97 [1985], 40) formuliert dementsprechend: „Lebensqualität (der Mutter) geht vor Lebensexistenz (des Kindes).“ In dem hier fraglichen Stadium der Schwangerschaft vermag jener Gesichtspunkt jedoch keine vorrangige Rolle mehr zu spielen. Die vorliegende Entscheidung wird deshalb kaum das Ende, sondern wahrscheinlich eher den Anfang einer neuen – allerdings de lege ferenda zu führen-

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den – Diskussion über die Regelung des strafrechtlichen Schutzes des ungeborenen Kindes bilden. Was den vom 1. Senat entschiedenen Fall konkret betrifft, wären wohl noch einige erläuternde Bemerkungen angezeigt gewesen, weshalb bezüglich des im Stadium der Geburt befindlichen Kindes nicht nur Totschlag, sondern Mord vorliegt. Die Tat geschah in der Weise, daß der Angeklagte seine schwangere Ehefrau einen alpinen Steilhang hinunterstieß. Daß ihr gegenüber das Mordmerkmal „Heimtücke“ vorlag, bedeutet noch nicht ohne weiteres, daß es auch gegenüber dem Kind gegeben war. Heimtücke wird hinsichtlich Kleinkindern – und das hätte erst recht für noch in der Geburt befindliche Kinder zu gelten – grundsätzlich verneint, da ihnen noch die Fähigkeit zum Argwohn fehle (vgl. Schönke / Schröder / Eser, § 211 Rdn. 25 b). Allerdings soll das Ausnutzen der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter genügen (BGHSt. 8, 216; 18, 37; Rengier, MDR 1980, 6). Das lag hier wohl vor. 4. Insgesamt ist festzustellen, daß die beiden Entscheidungen begrüßenswerte Klärungen wichtiger Rechtsfragen bringen, das Urteil im Buscopan-Fall jedoch, soweit es die Verneinung einer gegenüber der Schwangeren begangenen fahrlässigen Körperverletzung betrifft, nicht zu überzeugen vermag. Im übrigen aber sollte sich jede Kritik der Buscopan-Entscheidung bewußt machen, daß der 3. Strafsenat mit einem tatsächlichen Sachverhalt konfrontiert war, der – wie häufig in Kunstfehlerprozessen – eine Vielzahl nicht aufklärbarer Punkte aufwies.

Anmerkung zu BGHSt. 49, 166 betreffend Sittenwidrigkeit der Einwilligung in Körperverletzung 2004 1. Was zunächst an einen Mord denken lässt (Fesselung des Opfers, Würgen bis zu massiver Kompression der Halsgefäße und knöcherner Verletzung des Kehlskeletts sowie Angekleidetbleiben und Fehlen eines eigenen sexuellen Antriebs des Täters), war nach den tatsächlichen Feststellungen der Schwurgerichtskammer ein tödlicher Verlauf einverständlich vorgenommener ungewöhnlicher Sexualpraktiken. Auch Eventualvorsatz hinsichtlich des tödlichen Ausgangs konnte das Instanzgericht verneinen. Zwar erinnert der Geschehensablauf in Bezug auf die Bedenken des Täters und den Wechsel des Tatmittels an den berühmten „Lederriemen-Fall“ BGHSt 7, 363, bei dem damals Eventualvorsatz angenommen und die zu diesem vertretene Einwilligungstheorie der Rechtsprechung sachentsprechend relativiert worden ist. Mit Recht vermag der 2. Strafsenat des BGH aber im vorliegenden Fall keinen Rechtsfehler darin zu sehen, dass die Tatsacheninstanz davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe ernsthaft darauf vertraut, der Tod des Opfers werde nicht eintreten. Jene Ähnlichkeit schließt nämlich nicht aus, dass bei einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände hier gleichwohl ein solches Vertrauen gegeben gewesen ist. Dafür spricht, dass es um die Lebensgefährtin ging und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dem Täter sei wie im „Lederriemen-Fall“ das Schicksal des Opfers letztlich gleichgültig gewesen. Im Zentrum der Entscheidung steht die Präzisierung der Grenze, von der an eine Körperverletzung trotz Einwilligung rechtswidrig ist. Das Urteil überzeugt in seiner viele Aspekte ansprechenden Begründung, durch die eine seit langem umstrittene Problematik unter näherem Eingehen auf den Meinungsstand (mit umfangreichen Literaturangaben) nun im Grundsätzlichen für die Praxis geklärt wird, wenn auch das im vorliegenden Fall nicht ganz befriedigende Schlussergebnis wohl noch weitere rechtliche Überlegungen nahegelegt hätte. Der Senat zeigt auf, dass die Ansicht der Schwurgerichtskammer nicht zu halten ist, nach der die – in der mittels des Rohres vorgenommenen Kompression der Halsgefäße liegende – Körperverletzung durch rechtlich wirksame Einwilligung gedeckt sein und deshalb kein rechtswidriges Körperverletzungsdelikt – hier nach § 227 StGB – vorliegen, sondern nur eine Bestrafung nach § 222 StGB in Betracht kommen soll. Es geht um die Auslegung des Halbsatzes in § 228 StGB: „... handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten

Anmerkung zu BGHSt. 49, 166 – Sittenwidrigkeit bei Einwilligung

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verstößt“. Vom Gesetzgeber, der in der Begründung zum 6. StrRG erklärt hat, durch diese Novelle von 1998 werde die Reform der Körperverletzungsvorschriften zum Abschluss gebracht, sind bekanntlich genau besehen die Hauptprobleme des 17. Abschnitts – mit Ausnahme der geänderten Einordnung der Fälle der Vergiftung und der höheren Einstufung der Gefährlichen Körperverletzung – außer acht gelassen worden (dazu LK-Hirsch, 11. Aufl., § 226 Rdn. 42). Zu diesen gehört die Präzisierung jener völlig unscharfen Formulierung des § 228 StGB. Sie holt jetzt der BGH nach. 2. a) Die auf das Reichsgericht zurückgehende herkömmliche Auffassung, wonach der Zweck sowie die der Tat zugrunde liegenden Ziele und Beweggründe maßgeblich über die Sittenwidrigkeit der Tat entscheiden, insbesondere dann, wenn es sich um „unlautere“, d. h. sittlich-moralisch verwerfliche Zwecke handelt, wird vom Senat zu Recht abgelehnt. Er erklärt stattdessen die auf das besondere Gewicht des Rechtgutsangriffs abstellende Auffassung – im Folgenden als „Rechtsgutslösung“ bezeichnet – für grundsätzlich maßgebend. Sie hatte der Verf. dieser Anmerkung bereits in seinem Referat über „Hauptprobleme einer Reform der Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit“ auf der Tagung der Deutschen Strafrechtslehrer 1970 im Einzelnen dargelegt. Es sind also mehr als 30 Jahre erforderlich gewesen, bis sie sich schließlich durchgesetzt hat. In dem vorliegenden Urteil des 2. Strafsenat des BGH wird jetzt darauf verwiesen, dass es nach neuerer Rechtsprechung (zitiert wird ein noch unveröffentlichtes Urteil des 3. Strafsenats des BGH vom 11. 12. 2003) für das Sittenwidrigkeitsurteil im Sinne des § 228 StGB grundsätzlich entscheidend ist, ob die Körperverletzung wegen des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs trotz der Einwilligung nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheint. Vorrangig ist daher auf Art und Gewicht des Körperverletzungserfolges und den einer Gefahr für Leib und Leben abzustellen. Der mit der Tat verfolgte Zweck hat nach der Rechtsgutslösung, wie auch der 2. Strafsenat ausführt, nur ausnahmsweise dann Bedeutung, wenn die betreffende Körperverletzung für sich allein betrachtet als sittenwidrig anzusehen wäre, eine solche negative Bewertung aber durch einen positiven oder jedenfalls einsehbaren Zweck kompensiert wird. Der 2. Strafsenat nennt die zwingenden Argumente für die Rechtsgutslösung. Wohl an erster Stelle ist anzuführen, dass bei grundsätzlicher Ausrichtung am Zweckgedanken das im Gesetz angegebene Erfordernis der „Tat“ als Bezugspunkt der Sittenwidrigkeit praktisch aufgegeben würde. Es geht bei der die grundsätzliche Dispositionsfreiheit begrenzenden Formel darum, dass exzessive körperliche Beeinträchtigungen außerhalb des Bereichs wirksamer Einwilligungen bleiben, nicht um bloße Motive. Andernfalls wäre die Verwerflichkeit des verfolgten Zwecks und nicht mehr die Verletzung des vom Tatbestand erfassten Rechtsguts der Grund für die Bestrafung (SK-Samson, 6. Aufl., Vor § 32 Rdn. 79). Besonders betont der Senat darüber hinaus, dass Eingriffe des Staates in die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsinhabers nur im Bereich gravierender Verletzungen zu

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legitimieren sind. Auch wird geltend gemacht, dass das Abstellen auf den Zweck der Handlung hier häufig zu unklaren Abgrenzungen führt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Nachdem die Rechtsgutslösung begründet und bereits für ausschlaggebend erklärt worden ist, kehren die Urteilsgründe noch einmal zum Gesichtspunkt des sittenwidrigen Zwecks, wie er der abgelehnten Gegenmeinung zugrunde liegt, zurück. Es wird nun dargelegt, dass im Unterschied zu der vom Reichsgericht für die damalige Zeit vertretenen Auffassung sadomasochistische Praktiken heute kein eindeutiges Sittenwidrigkeitsurteil mehr zulassen und deshalb nicht bereits wegen eines „abnormen“ sexuellen Zwecks als sittenwidrig einstufbar sind. Der Senat meint, dass sich die Verneinung von Sittenwidrigkeit abnormer sexueller Praktiken auch aus den Wertungen des 4. StrRG ergebe, da dieses die Abschnittsüberschrift „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ durch „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ ersetzt habe. Jedoch dürfte dieser zusätzliche Hinweis weniger aussagekräftig sein, da es dort nicht darum ging, die Rechtswidrigkeit einer tatbestandsmäßigen und damit grundsätzlich strafbaren Tat zu bestimmen, sondern zum Ausdruck zu bringen, dass Sittenwidrigkeit für sich allein keinen Grund für Straftatbestandsmäßigkeit darstellt. Dass die Urteilsgründe auf die ethische Bewertung abnormer sexueller Praktiken noch einmal zurückkommen, ist wohl damit zu erklären, dass der 2. Strafsenat bestrebt ist, den Instanzgerichten die Untauglichkeit der herkömmlich verwendeten Abgrenzungskriterien nachdrücklich zu verdeutlichen. Ohnehin steht bei den Erwägungen des Senats der Klarstellungseffekt, worauf es bei der Sittenwidrigkeit in § 228 StGB ankommen soll und welche Folgerungen sich aus dem Einschwenken auf die Rechtsgutslösung ergeben, im Vordergrund. Denn eine Entscheidung des Theorienstreits wäre aus begründungsökonomischer Sicht eigentlich nicht unbedingt erforderlich gewesen, da im Hinblick auf die hochgradige Lebensgefährlichkeit der angewandten Praktiken beide Auffassungen hier zur Bejahung der Sittenwidrigkeit der Tat gelangen. Besondere Beachtung verdient an dem Urteil, dass es mit dem Bekenntnis zur Rechtsgutslösung den Versuchen, der in § 228 StGB vorgeschriebenen Begrenzung einen individualistischen Inhalt zu geben, eine Absage erteilt. Auch wenn der Gesetzgeber den libertinistisch-individualistischen Tendenzen, die eine völlige Freigabe der einverständlichen Körperverletzung und Tötung propagieren, durch § 228 und § 216 StGB einen Riegel vorgeschoben hat, wird versucht, der Sittenwidrigkeit der Tat in § 228 StGB wenigstens eine individualistische Ausrichtung zu geben. Es soll auf die Vernunft des Einwilligenden ankommen (so Frisch, Hirsch-Festschr., 1999, S. 485, 490 ff., 504 f.). Der Senat bemerkt demgegenüber einleuchtend, dass im „Allgemeininteresse“ eine Beeinträchtigung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit durch Dritte „nur innerhalb eines für die Rechtsordnung tolerierbaren Rahmens zur Disposition des einzelnen“ gestellt wird.

Anmerkung zu BGHSt. 49, 166 – Sittenwidrigkeit bei Einwilligung

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b) Weniger vertieft werden in dem Urteil die Fragen, die sich daraus ergeben, dass es hier um die Merkmale des § 227 StGB geht. Der Senat weist daraufhin, dass nach der Rechtsgutslösung die Gefahr des Eintritts einer schweren Körperverletzung oder des Todes ausreichend für Sittenwidrigkeit der Tat sein soll. Auch wenn dem darauf gestützten Ergebnis, dass im vorliegenden Fall der § 227 StGB rechtswidrig erfüllt ist, beigepflichtet werden kann, bedarf es, um es kritikfest zu begründen, der Beantwortung einer Reihe von Vorfragen. Am Anfang steht hinsichtlich der für § 227 i.V. m. § 18 StGB erforderlichen fahrlässigen Todesfolge die Frage, ob sich bei einer fahrlässigen Erfolgsherbeiführung überhaupt vom Tatsächlichen her von Einwilligung sprechen lässt. Eine Einwilligung in den Erfolg hat das Opfer gerade nicht erklären wollen. Die Ansicht, dass derjenige, der in das Risiko einwillige, sich aufgrund dessen damit abfinde, dass er eventuell eintrete, entspricht nicht dem tatsächlichen Befund. Das Opfer vertraut vielmehr ebenso wie der Täter regelmäßig darauf, dass es eben nicht zum Erfolg kommen werde. Aber das bedeutet gleichwohl nicht, dass es beim fahrlässigen Delikt keine Einwilligung geben kann. In diesem Zusammenhang erlangt nämlich praktische Bedeutung, dass innerhalb des fahrlässigen Delikts zwischen der verbotenen riskanten (sorgfaltswidrigen) Handlung und dem durch sie verursachten Erfolg zu trennen ist. Gegenstand der Rechtfertigung (auch der BGH ordnet die Einwilligung nach § 228 StGB als Rechtfertigungsgrund ein) ist die verbotene Handlung, beim fahrlässigen Delikt also die sorgfaltswidrige Risikohandlung. Und in Bezug auf sie liegt eine Einwilligung vor, so dass das Unrecht der tatbestandskonstitutiven Handlung infolge Rechtfertigung entfällt. Deshalb lässt sich von einer durch Einwilligung gerechtfertigten fahrlässigen Tat sprechen. Wenn nun aber eine fahrlässige Tat grundsätzlich durch Einwilligung gerechtfertigt sein kann, so schließt sich als weitere Frage an, wie es sich bei fahrlässiger Tötung verhält. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 222 StGB sind solche Fälle wiederholt aufgetaucht: vom „Memelkahn-Fall“ RGSt. 57, 172 bis zu den Mitfahrerfällen (vgl. die Rspr.-Nachw. bei LK-Hirsch, 11. Aufl., § 229 Rdn. 32), ohne dass für die praktizierte Straflosigkeit immer klare systematische Begründungen gegeben worden sind. Dass aus § 217 StGB keine Rückschlüsse auf eine allgemeine rechtliche Unbeachtlichkeit der Einwilligung bei fahrlässiger Tötung gezogen werden dürfen, ergibt sich aus der Sachverschiedenheit der den Gegenstand der Einwilligung bildenden verbotenen Handlungen: Der § 217 StGB betrifft das Verbot der vorsätzlichen Tötung, bei § 222 StGB haben wir es dagegen lediglich mit dem Verbot einer sorgfaltswidrigen riskanten Handlung zu tun (deren Verwirklichung als ungewollte Wirkung den Erfolgseintritt hat). Auch wenn, wie die vorgenannten Fälle bestätigen, daher nicht notwendig Sittenwidrigkeit der Tat vorliegt, so bedarf es aber doch genauerer Markierung, von wo an sie einsetzt. Das konkrete Risiko des Eintritts des Todeserfolges genügt dazu nicht; denn das Bestehen eines solchen Risikos ist schon Voraussetzung dafür, dass der für das

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fahrlässige Erfolgsdelikt erforderliche Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Erfolg gegeben ist. Die Urteilsbegründung kommt auf diese Fragen erst bei der Erörterung der die Verurteilung aus § 222 StGB betreffenden Revision des Angekl. zu sprechen. Sie stellen sich jedoch bereits bei der auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin geprüften Frage des Eingreifens von § 227 StGB. Dort ist nur apodiktisch festgestellt, die Grenze zur Sittenwidrigkeit sei jedenfalls dann überschritten, „wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird“ (siehe auch den 2. Leitsatz). Bei der späteren Erörterung des § 222 StGB weist der Senat dann darauf hin, dass der 3. Strafsenat in der oben schon erwähnten unveröffentlichten Entscheidung die in weiten Teilen des Schrifttums anzutreffende Ansicht, dass eine wirksame Einwilligung auch bei fahrlässiger Tötung in Betracht kommt, als „beachtenswert“ einstuft. Die Frage könne jedoch im vorliegenden Fall offenbleiben, da der hohe Grad der Lebensgefahr hier jedenfalls zur Unbeachtlichkeit führe. Letzteres leuchtet ein, aber wie verhält es sich mit dem Grad der Gefahr bei § 227 StGB? Liest man in der vorliegenden Entscheidung die Ausführungen zu § 227 StGB, so vermitteln sie – durch die bisherige allgemein gehaltene Fassung der Rechtsgutslösung bedingt – den Eindruck, dass regelmäßig ein konkretes Todesrisiko oder eine konkrete Todesgefahr (von beidem ist die Rede), die mit der jeweiligen vorsätzlichen Körperverletzung verbunden sind, Sittenwidrigkeit der Tat bewirke. Es ließe sich daran denken, schon der Umstand, dass sich bei einer Körperverletzung mit Todesfolge das Tödlichkeitsrisiko aus einer vorsätzlichen Körperverletzung ergibt, bedeute einen solch hohen Grad von Lebensgefahr, dass es keiner weiteren graduellen Abstufung mehr bedürfe. Aber abgesehen davon, dass Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge denkbar sind, in denen das Letalitätsrisiko nicht hoch ist – zumal nach der den Tatbestand stark erweiternden Rspr. des BGH –, wird schon an der Stellung des § 227 StGB im Gesetz deutlich, dass auch hier ein besonderer Grad der konkreten Gefährlichkeit festgestellt werden muss, um Sittenwidrigkeit der Tat annehmen zu können. Indem nämlich das Gesetz den § 228 StGB erst hinter der Körperverletzung mit Todesfolge einordnet, signalisiert es ausdrücklich, dass es auch hier besonders gelagerte Fälle sein müssen, wenn die Grenzen der rechtfertigenden Einwilligung überschritten sein sollen. Da den Anknüpfungspunkt bereits eine vorsätzliche Körperverletzung darstellt, wird diese Voraussetzung allerdings häufiger erfüllt sein als beim bloßen § 222 StGB. Die danach auch bei § 227 StGB erforderliche erhebliche konkrete Lebensgefahr ist im vorliegenden Fall gegeben. Der Senat betont, dass das Risiko des tödlichen Ausgangs hier weder kalkulierbar noch beherrschbar war, vielmehr ein höchst riskantes Verhalten vorlag. 3. Der Senat sieht, dass die Bejahung des Eingreifens von § 227 StGB, dessen Absatz 1 einen Normalstrafrahmen mit einer Untergrenze von drei Jahren

Anmerkung zu BGHSt. 49, 166 – Sittenwidrigkeit bei Einwilligung

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Freiheitsstrafe vorschreibt, doch im konkreten Fall zu einer unangemessen harten Bestrafung führen könnte. Er weist deshalb die den Fall erneut zu verhandelnde Tatsacheninstanz auf die Notwendigkeit einer genaueren Prüfung der subjektiven Tatseite hin. Das gibt ihm zu juristisch allgemein interessierenden Ausführungen zum Irrtum über die Sittenwidrigkeit der Tat bei der Einwilligung Anlass. Es geht dabei um die Frage, ob es sich beim Irrtum über den rechtlichen Begriffsumfang der Sittenwidrigkeit der eingewilligten Tat um einen analog § 16 StGB zu behandelnden Erlaubnistatbestandsirrtum oder einen unter § 17 StGB fallenden Erlaubnisirrtum handelt. Da dieser Irrtum über die Sittenwidrigkeit einen Fall des Irrtums über die rechtlichen Grenzen der Einwilligung darstellt, schließt sich der Senat überzeugend der den § 17 StGB als einschlägig ansehenden Auffassung an. Angesichts der Tatsache, dass sogar das Instanzgericht, wenngleich rechtsirrig, eine nicht sittenwidrige Körperverletzung angenommen hat, könnte im konkreten Fall auf den ersten Blick an einen unvermeidbaren Irrtum des Angekl. gedacht werden. Zu beachten ist jedoch, dass auch das Instanzgericht bezüglich der für die Sittenwidrigkeit ausschlaggebenden Lebensgefährdung von der Rechtswidrigkeit der Tat ausgegangen ist, indem es eine Strafbarkeit nach § 222 StGB bejaht hat. Darüber hinaus verweist der Senat darauf, dass trotz fehlender Wirksamkeit allein schon die tatsächliche Existenz der Einwilligung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist. Mit Recht wird dabei auch auf einen minder schweren Fall nach § 227 Abs. 2 StGB hingewiesen. Dieser wäre m. E. bei solchen Sachverhalten regelmäßig einschlägig. Allerdings würde auch das nichts daran ändern, dass der Angekl. mit dem Stigma behaftet bliebe, ein in die Kategorie der Verbrechen fallendes Delikt begangen zu haben. Es erhebt sich deshalb die vom Senat nicht aufgeworfene Frage, ob eine Bestrafung wegen Körperverletzung mit Todesfolge (in einem minder schweren Fall) mit der Wertentscheidung, die der Gesetzgeber hinsichtlich der vorsätzlichen Tötung auf Verlangen in § 216 StGB getroffen hat, in Einklang zu bringen ist. Da dort eine Herunterstufung zum Vergehen sogar bei vorsätzlicher Tötung erfolgt, müsste das doch eigentlich erst Recht bei einer auf ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen begangenen lebensgefährlichen Körperverletzung mit nur fahrlässigem tödlichen Ausgang zu gelten haben. Der § 216 StGB ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Täter aus Mitleid für ein von schweren Leiden geplagtes Opfer handelt (vgl. LK-Jähnke, 11. Aufl., § 216 Rdn. 4 ff.). Infolgedessen drängt sich die Frage auf, ob § 216 StGB nicht eine Sperrwirkung in bezug auf die Bestrafung aus der Verbrechensvorschrift des § 227 StGB entfaltet. Auch in anderem Zusammenhang ist auf der Konkurrenzebene eine Sperrwirkung des § 216 StGB geläufig (vgl. Küpper, Meurer-Gedächtnisschr., 2002, S. 123, 126 f.). Die Konsequenz würde im vorliegenden Fall sein, dass der Angekl. nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu bestrafen wäre – ein angemessenes Ergebnis. Und dabei hätte man noch zu berücksichtigen, dass das Gefährdungsbewusstsein sowohl in § 224 Abs. 1 StGB als auch bei der bewussten

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Fahrlässigkeit auftaucht und deshalb bei der Strafzumessung nicht doppelt in Ansatz zu bringen ist. 4. Über die aufgezeigten Stellungnahmen zu Grenzen der Einwilligung hinaus enthält die Entscheidung einige wichtige Aussagen zu weiteren grundsätzlichen Fragen. So wird mit Recht darauf hingewiesen, dass es bei dem Sachverhalt nicht etwa lediglich um (straflose) Teilnahme an einer „eigenverantwortlichen Selbstverletzung bzw. Selbsttötung“ geht. Der Angekl. verwirklichte die zum Tode führende Körperverletzung und hatte dabei, wie es auch in den Urteilsgründen ausdrücklich heißt, die „maßgebliche Tatherrschaft“ über dieses Geschehen. Dass das Opfer Anweisungen gab und Bedenken hinsichtlich des Grades der Gefährlichkeit mehrfach zu zerstreuen versuchte, vermochte daran nichts zu ändern. Auch bekräftigt der Senat, indem er wiederholt mit Selbstverständlichkeit von „rechtfertigender“ Einwilligung spricht, die vom Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit her folgerichtige Auffassung, dass es sich bei der Einwilligung in eine Körperverletzung erst um einen Rechtfertigungsgrund und nicht schon um eine Tatbestandsfrage handelt. Außerdem ist bedeutsam, dass die Einwilligung bezüglich der fahrlässigen Tötung sachentsprechend als auf der Rechtfertigungsebene zu lösendes Problem behandelt wird. 5. Insgesamt bedeutet diese Entscheidung einen großen Fortschritt für die Klärung der teilweise diffizilen Fragen der Einwilligungsproblematik.

Strafrechtsvergleichung, ausländisches Strafrecht, europäische Strafrechtsharmonisierung

Zur Versuchsregelung des peruanischen Strafgesetzbuchs 2003 I. Das peruanische StGB von 1991 enthält eine Definition des Versuchs, die der des deutschen StGB sehr ähnlich ist. In Art. 16 Abs. 1 peruan. StGB heißt es: „Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter die Begehung eines Verbrechens, das er vorhatte, beginnt, ohne es zu vollenden.“ Und § 22 dtsch. StGB lautet: „Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.“ Beide Definitionen sagen nichts Näheres über die objektive Seite des Versuchs, sondern begnügen sich insoweit mit den Worten „Begehung ... beginnt“ oder „zur Verwirklichung ... unmittelbar ansetzt“. Unter dem Gesichtspunkt der Strafbarkeit finden sich jedoch objektive Einschränkungen in Art. 17 peruan. StGB und – schwächer – in § 23 Abs. 3 dtsch. StGB. Der Art. 17 peruan. StGB bestimmt, daß ein Versuch nicht strafbar ist, wenn die Vollendung des Verbrechens unmöglich ist, entweder wegen der absoluten Untauglichkeit des benutzten Mittels oder wegen der absoluten Untauglichkeit des Objekts. Der § 23 Abs. 3 dtsch. StGB begnügt sich dagegen mit der Anordnung: „Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern.“ (§ 49 Abs. 2) Im Ergebnis scheint die peruanische Versuchsregelung infolge des Art. 17 auf die ältere objektive Versuchstheorie hinauszulaufen. Ihr Wortlaut läßt darauf schließen, daß nach der Auffassung der Gesetzesverfasser die Strafbarkeit bei rückschauend (also ex post) feststehender absoluter Untauglichkeit von Mittel oder Objekt entfallen soll. Der § 23 Abs. 3 dtsch. StGB wird dagegen als Bestätigung der subjektiven Versuchstheorie gedeutet. Indem nämlich bei ihm auf groben Unverstand abgestellt wird und eine nur fakultative Strafmilderung oder nur ein Absehen von Strafe (das heißt eine Verurteilung mit Schuldspruch ohne Strafausspruch) vorgesehen ist, ändert diese Vorschrift nichts daran, daß die Strafbarkeit schon bei Vorliegen der Merkmale des § 22 dtsch. StGB gegeben ist. Für die Ansicht, daß Art. 16, 17 peruan. StGB die ältere objektive Theorie zugrunde liegt, scheint auf den ersten Blick auch im Titulo Preliminar des peruan. StGB bei den Principios Generales der Art. IV (Principio de Levidad) zu sprechen,

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Ausländisches Strafrecht, Strafrechtsharmonisierung

weil er sagt: „Die Strafe erfordert notwendigerweise entweder die Verletzung oder die Gefährdung der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter.“ Es erhebt sich jedoch die Frage, ob eine solche Lösung sachlich zutreffend ist und, falls das zu verneinen wäre, ob sich eine sachentsprechende Lösung im Wege der Gesetzesauslegung ermöglichen ließe. II. 1. Die ältere objektive Theorie, die – wie gesagt – auf den Standpunkt ex post (des Richters) abstellen will und dabei danach unterscheidet, ob das Tatmittel oder das Tatobjekt als absolut oder relativ untauglich einzuschätzen ist, wird in den meisten Rechtsordnungen als sachlich überholt angesehen. 1 Gegen sie ist vorzubringen, daß bei einer ex post-Betrachtung jeder Versuch absolut untauglich war, weil alle Faktoren, die beim Ausbleiben des Erfolges eine Rolle gespielt haben, nunmehr rückschauend feststellbar sind. Die Unterscheidung zwischen „absolut“ und „relativ“ untauglichem Versuch vermischt genauer betrachtet in Wahrheit ex post- und ex ante-Sicht. Während in den Fällen absoluter Untauglichkeit auf die ex post-Sicht abgestellt wird, versetzt man sich bei den Fällen der „relativen“ in den Tatzeitpunkt und die zu diesem im allgemeinen bestehende Möglichkeit, daß das Tatmittel zur Verletzung des betreffenden Objekts hätte führen können. Man hat schon vor mehr als sieben Jahrzehnten daraufhingewiesen, daß sich hinter der Unterscheidung ein abstraktes Gefährlichkeitsurteil verbirgt, nämlich dahingehend, daß in Fällen absolut untauglicher Mittel oder Objekte nach durchschnittlicher Erfahrung auch im Tatzeitpunkt von der mangelnden Gefährlichkeit der Handlung ausgegangen werden kann, während bei relativer Untauglichkeit in der Regel eine Gefährlichkeit zu bejahen ist. 2 Bei der Gefährlichkeit einer Handlung geht es aber stets um ein konkretes Risiko, es sei denn, daß man sich im hier nicht einschlägigen Bereich der nur abstrakten Gefährlichkeitsdelikte bewegt. Und die Gefährlichkeit, also das Risiko, ist immer aus der Sicht ex ante zu bestimmen. Die ältere objektive Theorie beruht auf einem frühen Entwicklungsstand der Analyse des Gefahrbegriffs. Bei ihr ist noch nicht erkannt, daß es hier immer um ein Prognoseurteil geht, und ebenfalls ist noch nicht berücksichtigt, daß man zwischen der Gefahrlage, in die ein bestimmtes Objekt geraten ist, und der vom Standort des Handelnden aus objektiv zu entscheidenden Gefährlichkeit einer Handlung zu differenzieren hat. 3

1 Hierzu Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, 2. Aufl., 1972, S. 400; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969. S. 192. Vgl. auch die Nachweise Fn. 6, 7 und 8. 2 Vgl. die Kritik bei Robert v. Hippel, Deutsches Strafrecht II, 1930, S. 417 ff. 3 Zu dieser Unterscheidung näher Hirsch, Festschrift für Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 548 ff., 557 ff.; ders. Strafrechtliche Probleme, 1999, S. 623 ff.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 52 ff.

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Diese theoretischen Schwächen spiegeln sich auch in den unbefriedigenden praktischen Ergebnissen wider. Das mögen einige Beispiele verdeutlichen. 4 Wenn jemand eine Brücke sprengen will und dabei eine zu geringe Menge Sprengstoff verwendet, dann soll nach der älteren objektiven Theorie ein strafbarer relativ untauglicher Versuch vorliegen. Nimmt jemand dagegen zum Sprengen eine im Falle der Echtheit ausreichende Menge eines vom Produzenten fälschlich als Sprengstoff verpackten und deklarierten harmlosen Stoffes, dann würde strafloser absolut untauglicher Versuch gegeben sein. Wieso soll aber der Umstand, daß der Handelnde sich im ersten Fall in quantitativer und im zweiten Fall in qualitativer Hinsicht täuscht, einen für die Strafbarkeit ausschlaggebenden Gesichtspunkt darstellen? Für die Gefährlichkeit käme es vielmehr in beiden Fällen darauf an, ob aus der Sicht ex ante eines am Standort des Handelnden befindlichen objektiven Dritten das benutzte Mittel konkret als zur Verwirklichung des Tatbestandes geeignet erscheint. Was für das Tatmittel gilt, hat auch für das Tatobjekt zu gelten. Verabfolgt ein Arzt eine ausreichende Dosis eines Abtreibungsmittels, weil er eine Schwangerschaft der Patientin für möglich hält, so kommt es für die Gefährlichkeit dieses Tuns allein darauf an, daß aus der ex ante-Sicht objektiv die Möglichkeit der Schwangerschaft gegeben erscheint. Sie entfällt also nicht deshalb, weil die Symptome sich anschließend als trügerisch erweisen. Das Unsachgemäße der Ergebnisse zeigt sich nicht nur an den sich mehr zufällig-schicksalhaft als gerecht auswirkenden Differenzierungen, sondern ebenso daran, daß die auf die Gefährlichkeit abstellende ältere objektive Theorie durch die abstrakte Ausrichtung dieses Gesichtspunkts auch Bereiche konkret ungefährlicher Handlungen als gefährlich und Bereiche konkret gefährlicher Handlungen als ungefährlich einstuft. So ist beispielsweise in dem oben erwähnten Beispiel einer nicht ausreichenden Menge Sprengstoff dann, wenn dies für einen objektiven Dritten etwa an den Angaben der Beschriftung deutlich erkennbar gewesen wäre, eine in bezug auf das Objekt konkret gefährliche Handlung nicht gegeben. Umgekehrt liegt sie entgegen der älteren objektiven Theorie vor, falls jemand dazu ansetzt, einen anderen zu erschießen, das Gewehr aber heimlich entladen worden war. Ebenso dann, wenn durchs Fenster auf eine im Bett liegende Person geschossen wird, bei der nicht erkennbar ist, daß sie bereits gestorben war. Die ältere objektive Theorie ist aus allen diesen Gründen weder theoretisch noch praktisch haltbar. 2. In der heutigen wissenschaftlichen Diskussion geht es daher um die Frage, ob der „subjektiven Theorie“ (einschließlich ihrer Unterart „Eindruckstheorie“) 5 oder der „neueren objektiven Theorie“ 6 zu folgen ist. 4 5

Vgl. zu den nachfolgenden Beispielen v. Hippel, (Fn. 2), S. 418 Fn. 2 und 6. Siehe die Nachweise Fn. 7 und 11.

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a) Von der deutschen Rechtsprechung wird seit Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die subjektive Theorie vertreten, das heißt es wird für die Strafbarkeit eines untauglichen Versuchs als genügend angesehen, daß jemand den Tatentschluß (Vorsatz und – falls vom betreffenden Tatbestand verlangt – zuzüglich eine besondere Absicht) in der Weise betätigt, daß auf der Grundlage seiner Vorstellung von der Tat ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung ebenso wie im Falle eines tauglichen Versuchs gegeben erscheint. 7 Bis zum Beginn der nationalsozialistischen Ära hatte sich die überwiegende Auffassung des Schrifttums dem Standpunkt der Judikatur entgegengestellt und eine objektive Versuchstheorie – im Laufe der Zeit überwiegend in Form der neueren objektiven Theorie – vertreten. 8 Dem stark auf die Gesinnung ausgerichteten Strafrechtsdenken des Nationalsozialismus entsprach dann eher die subjektive Orientierung der Rechtsprechung. 9 Nach 1945 ist es auch im Schrifttum bei der subjektiven Theorie geblieben 10, später relativiert durch die „Eindruckstheorie“.

6 Vgl. die Versuchsregelung oder deren Auslegung durch die Praxis in Italien (Art. 56 Abs. 1, 49 Abs. 2, Japan (§ 43), Korea (§ 27), den Niederlanden (Art. 45), Österreich (§ 15 Abs. 3), Schweden (Kap. 23 § I), Spanien (Art. 16, 62), der Türkei (Art. 61) sowie die nordamerikanische Judikatur. Näher dazu Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, 5. Aufl., 1996, mit Rspr.-Nachweisen. Zum japanischen Strafrecht vgl. auch Naka, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 93 ff., zum koreanischen: Tae-Hoon Ha, Die strafrechtliche Behandlung des untauglichen Versuchs, 1991, S. 76 ff., 81 f., zum spanischen: Cerezo Mir, Festschrift für Hirsch, 1999, S. 127. 135 ff. Im heutigen deutschen Schrifttum haben sich für die – den tatbestandsmäßigen untauglichen Versuch auf die Fälle des ex ante konkret gefährlichen Versuchs beschränkende – neuere objektive Theorien ausgesprochen: Spendel, NJW 1965, S. 1881 ff.; ders., Festschrift für Stock, 1966, S. 89 ff.; Weigend, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, S. 113, 126 ff.; Hirsch, Festschrift für Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 560 f.; ders., Festschrift für Lenckner, 1998, S. 119, 135 Fn. 50; Zieschang (Fn. 3), S. 137 ff., 148; K. Malitz, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, 1998, S. 179 ff., 198 f. Ansätze in dieser Richtung auch bei Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, S. 235, 328 (zu dessen Lösungskonzept näher Zieschang [Fn. 3], S. 143 f.). 7 RGSt. 1, 439, 441; 8, 198, 203; 76, 94; BGHSt. 1, 13, 15 ff.; 11, 268, 271; 41, 94 ff.; BGH NJW 1997, 750, 751; ständige Rechtsprechung. Im heutigen Schrifttum wie die Judikatur: Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht, Allg. Teil, 10. Aufl., 1995, § 26 Rnr. 17 ff.; Lackner / Kühl, Strafgesetzbuch, 23. Aufl., 1999, § 22 Rnr. 11; Tröndle / Fischer, Strafgesetzbuch, 49. Aufl. 1999, § 22 Rnr. 24. 8 Vgl. v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 21. / 22. Aufl., 1919, S. 199 f.; v. Hippel, (Fn. 2), S. 424 ff., und – ganz oder teilweise die Lehre vom Mangel am Tatbestand zugrunde legend – Frank, Strafgesetzbuch, 18. Aufl., 1931, § 43 Fn. I; v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts I, 26. Aufl., 1932, S. 311 ff.; Mezger, Strafrecht, 2. Aufl., 1933, S. 396 ff. Zur Lehre vom Mangel am Tatbestand siehe noch Fn. 18. 9 Vgl. zum „Willensstrafrecht“ der NS-Zeit: Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, Allg. Teil, 2. Aufl., 1935, S. 11 ff.; Roeder, ZStW 62 (1944), S. 303 ff.; Schaffstein, ZStW 53 (1934), S. 603 ff.

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Auch der deutsche Gesetzgeber von 1975 ging vom Vorherrschen der subjektiven Theorie aus. Deshalb schuf er den erwähnten § 23 Abs. 3 dtsch. StGB, um unerträgliche Konsequenzen dieser Theorie abzumildern. b) Daß mit der subjektiven Theorie jedoch etwas nicht stimmt, spiegelt sich im verbreiteten Bestreben des neueren Schrifttums wider, sie zu einer „Eindruckstheorie“ zu modifizieren. 11 Danach soll zwar von der herkömmlichen subjektiven Theorie auszugehen sein, aber als einschränkendes Erfordernis hinzukommen der „Eindruck“, der von dem Verhalten des Täters auf die Allgemeinheit ausgeht. Die tatbestandsnahe Manifestation des verbrecherischen Willens, die nach der subjektiven Theorie den Strafgrund des Versuchs bilden soll, müsse das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung zu erschüttern geeignet sein. Es ist auch die Rede vom Eindruck auf die Allgemeinheit, der zu einer Erschütterung des Rechtsbewußtseins und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann. Bei der „Eindruckstheorie“ handelt es sich nur um eine Unterart der subjektiven Theorie, weil im Unterschied zu den objektiven Theorien nicht auf ein Ansetzen zu einer konkret gefährdenden oder gefährlichen Handlung abgestellt, sondern lediglich eine Begrenzung der subjektiven Theorie unter sozialpsychologischen Aspekten vorgenommen wird. Eine solche Konstruktion stellt einen „Notbehelf“ dar. Im Schrifttum ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Eindruckskriterium einen Gesichtspunkt bildet, der nicht versuchsspezifischer Natur ist. 12 Praktisch überall, wo es im Strafrecht um die Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten geht – also auch in Vollendungsfällen –, ließe es sich als allgemeinster Gesichtspunkt mobilisieren. Das Bemühen von Wissenschaft und Praxis um präzise und problembezogene Begründungen würde sich weithin erübrigen. Was heißt schon Eignung zur Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung? Man fragt sich bereits, wieso ein Versuch einer einzelnen Straftat dazu überhaupt in der Lage sein soll. Das Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung wird doch normalerweise erst dadurch erschüttert, daß sich infolge Nachlässigkeit von Polizei und Strafrechtspflege bestimmte Straftaten ausbreiten. Darum handelt es sich hier offensichtlich nicht. Aber auch wenn 10 Vgl. Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, 1. Aufl., 1960, S. 385 f. 407; Maurach, Deutsches Strafrecht, Allg. Teil, 1958, S. 405 ff.; Schönke, Strafgesetzbuch, 4. Aufl., 1949, Vor § 43 Bem. II, § 43 Fn. II. 1.; Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 8. Aufl., 1957, Vor § 43 Bem. III 1, § 43 Fn. II. 1.; Welzel, (Fn. 1), S. 192 f. 11 Vertreten von Eser, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 25. Aufl., 1997, § 22 Rnr. 63 ff.; Maurach / Gössel, Strafrecht, Allg. Teil II, 7. Aufl., 1989, § 40 Rnr. 40 ff.; Jescheck, in: Jescheck / Weigend (Fn. 6), S. 515 f.; Rudolphi, System. Kommentar zum StGB, 20. Lieferung, 1993, Vor § 22 Rnr. 13, 14; früher auch Roxin, JuS 1979, S. 1 ff. (der sich jetzt aber gegen sie ausspricht und eine „Vereinigungstheorie“ vertritt; siehe Roxin, Festschrift für Nishihara, 1998, S. 157, 158 ff., 170). 12 Vgl. auch die Kritik bei Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil 1, 4. Aufl., 2000, § 11 Rnr. 21; Weigend, (Fn. 6), S. 122; Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 1991, 25/22; und jetzt auch Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 170.

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man davon ausgeht, daß die Begehung der einzelnen Tat das Rechtsbewußtsein erschüttern und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann, so sind das doch gerade hier sehr hoch gegriffene Kriterien. Was zumal den untauglichen Versuch betrifft, kann er das Rechtsbewußtsein verletzen, aber wohl kaum erschüttern, und den Rechtsfrieden wird er, weil untauglich, in der Regel schwerlich gefährden. Zudem erhebt sich bei einer die subjektive Theorie nur hinsichtlich des Eindrucks relativierenden Auffassung die Frage, wovon in Fällen äußerlich wertneutraler Verhaltensweisen der „rechtserschütternde Eindruck“ eigentlich ausgeht. Es handelt sich bei den Kriterien der „Eindruckstheorie“ eben um Leerformeln, aus denen man je nach Gefühl ein gewünschtes Ergebnis herausliest. Auch wenn die „Eindruckstheorie“ daher keine wissenschaftlich-dogmatische Theorie im eigentlichen Sinne ist, signalisiert sie aber doch jedenfalls das Bedürfnis nach objektiver Einschränkung der subjektiven Theorie. c) Die subjektive Theorie sieht den Strafgrund des Versuchs in der Betätigung des verbrecherischen Willens, nämlich in der „für die Rechtsgemeinschaft unerträglichen Auflehnung gegen die Rechtsordnung“. 13 Auch von der Gefahr, die aus der Auflehnung für die rechtlich geschützte Ordnung droht, wird gesprochen. Der betätigte Wille findet sich häufig als „rechtsfeindlicher Wille“ bezeichnet. 14 Für die subjektive Theorie scheint zu sprechen, daß der Handelnde den Tatentschluß gefaßt hat und dieser von ihm in einem Verhalten betätigt worden ist, das im Falle eines tauglichen Versuchs den Beginn der Tat darstellen würde. In subjektiver Hinsicht zeigt er sich damit als Bösewicht, der keine Skrupel hat, seinen „rechtsfeindlichen Willen“ zu realisieren. Aber es drängt sich doch die Frage auf, ob das für eine Straftat ausreichend sein kann. Um Klarheit zu gewinnen, ist zunächst der Normalfall, nämlich der taugliche Versuch, zu betrachten. Bei ihm springt ins Auge, daß die Betätigung des bösen Willens hier in mehr als einem neutralen objektiven Verhalten besteht. Rechtsprechung und Schrifttum in Deutschland sind sich weithin darin einig, daß beim tauglichen Versuch eine unmittelbare (tatbestandsnahe) „Gefahr“ in bezug auf die konkrete Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Delikts vorliegen muß. 15 Es wird häufig vom Erfordernis einer unmittelbaren konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsguts oder Handlungsobjekts oder einer derartigen Gefahr gesprochen. Auch ist von einer (unmittelbar) konkret gefährdenden oder gefährlichen Handlung die Rede. Es geht beim tauglichen Versuch also offensichtlich um Fälle, bei denen die Betätigung des Willens eine konkrete 13

Vgl. die Nachweise Fn. 7. Vgl. Jescheck, (Fn. 11), S. 513; Lackner / Kühl, (Fn. 7), § 22 Rnr. 11 mit weiteren Nachweisen. 15 Vgl. die Übersicht über Rechtsprechung und Schrifttum bei Eser, (Fn. 11), § 22 Rnr. 42 ff. 14

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Gefahr oder Gefährlichkeit hinsichtlich der Vollendung des betreffenden Delikts erkennen läßt. Darauf weist auch schon die Bezeichnung „tauglicher“ Versuch hin, da Tauglichkeit voraussetzt, daß die vorgenommene Handlung für die objektive Verwirklichung des Willens konkret geeignet erscheint. Es verkürzt daher die inhaltliche Bestimmung des Strafgrundes des tauglichen Versuchs, wenn man ihn nur von der Betätigung des verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens her deutet. Andererseits wäre es aber ebenfalls sachwidrig, wenn man den Strafgrund lediglich in der konkreten objektiven Gefährdung oder Gefährlichkeit sehen wollte. 16 Denn dann läge nur ein Unterfall der Gefährdungsoder Gefährlichkeitsdelikte vor. Das aber könnte nicht erklären, weshalb der Versuch nicht lediglich als ein solches Delikt, sondern als Versuch – eben weil Versuch – erheblich schwerer eingestuft wird. Es besteht ein deutlicher Sachunterschied zwischen einem bloßen Gefährdungstatbestand und dem Versuch eines Verletzungsdelikts, weshalb der Täter aus dem – nach deutschem Strafrecht sogar nur fakultativ – gemilderten Strafrahmen des vollendeten Delikts bestraft wird und es bei der Deliktsnatur als Verbrechen oder Vergehen bleibt. Entscheidendes Gewicht kommt bei der Bestimmung des Strafgrundes des tauglichen Versuchs eben dem Zusammentreffen von zwei Erfordernissen zu: dem Tatentschluß und dem Beginn seiner objektiven Verwirklichung. Dieses Zusammentreffen erhält eine eigenständige Bedeutung für die Rechtsordnung, weil der Täter dadurch, daß er mit seinem Vorsatz unmittelbar zur realen Tatbestandshandlung ansetzt, mit dem Normbefehl (Verbot) in Konflikt kommt. Ihm ist verboten, etwa eine Tötungshandlung vorzunehmen. Er gerät daher von dem Augenblick an in Widerspruch zu dem Verbot, in dem er seinen Tatentschluß durch den Beginn einer wirklichen, nämlich die konkrete Möglichkeit der Tötungsverwirklichung beinhaltenden Handlung betätigt. Als Strafgrund des tauglichen Versuchs läßt sich daher angeben, daß der Täter damit, daß er mit der vorsätzlichen Verwirklichung einer objektiv tatbestandsmäßigen Handlung beginnt, gegen die hinter dem betreffenden Tatbestand stehende Norm verstößt. Bei denjenigen Strafrechtsordnungen, in denen anders als in der peruanischen, aber wie in der deutschen (§ 23 Abs. 1 dtsch. StGB) der Versuch nicht bei allen (vorsätzlichen) Delikten unter Strafe gestellt ist, muß ein vom Gesetzgeber zu entscheidendes Strafbedürfnis für ein solches rechtswidriges Verhalten hinzukommen. Indem der Beginn der objektiv tatbestandsmäßigen Handlung die Gefährlichkeit (das Risiko) der Entschlußbetätigung erfordert, kommt es, wie die neuere objektive Versuchstheorie bereits aufzeigt, auf die Sicht ex ante an. Das ex ante16 Wie dies nicht selten mit dem Blick auf die objektiven Theorien gesagt wird; siehe etwa v. Hippel, (Fn. 2), S. 418; Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 158; auch die Übersicht über die vertretenen Strafgründe bei Eser, (Fn. 11), Vor § 22 Rnr. 18.

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Urteil eines verständigen Dritten, der sich im Zeitpunkt des Anfangs der Entschlußbetätigung an der Stelle des Handelnden befindet und von dessen Tatplan ausgeht, ist ausschlaggebend. Entscheidend ist also, ob nach der Einschätzung der an der Stelle des Täters befindlichen objektiven Maßstabperson, die den individuellen Tatplan zugrunde legt, die Verwirklichung (Vollendung) der intendierten tatbestandsmäßigen Handlung konkret möglich ist. Sobald man in der vorbezeichneten Weise das von der in der deutschen Rechtsprechung und Literatur herangezogene „Gefahr“-Erfordernis präzisiert, gewinnt die objektive Seite des tauglichen Versuchs als Handlungsbeginn deutliche Konturen. Eine Handlung, sei es eine Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungshandlung, aber auch jede außerrechtliche Handlung, vermag nicht früher zu beginnen als damit, daß der Handlungswille sich in einem betätigten objektiven Verwirklichungsrisiko umzusetzen beginnt. Solange ein Verhalten objektiv kein Risiko der Realisierung des Willensinhalts, beispielsweise der Herbeiführung eines Todeserfolges, aufweist, liegt noch kein Beginn der betreffenden Handlung vor. Es ist objektiv nichts da, was aus der ex ante Sicht in Richtung auf einen Todeserfolg verläuft. 17 d) Was folgt aus den vorhergehenden Überlegungen zum tauglichen Versuch nun für die Fälle des untauglichen? Als erstes ist festzustellen, daß diese Unterscheidung gar nicht das ausschlaggebende Gegensatzpaar darstellt. Wenn es, wie sich gezeigt hat, beim tauglichen Versuch auf die ex ante-Sicht ankommt, dann ist es ohne Bedeutung, ob Tatobjekt oder Tatmittel aus der Sicht ex post von vornherein untauglich waren. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die Dinge vom Standpunkt ex ante für eine an Stelle des Täters befindliche verständige Maßstabperson darstellen. Würde auch diese zu der Vorstellung gelangen, daß die Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Handlung eine realistische Möglichkeit ist, also die (ex ante zu bestimmende) konkrete Gefährlichkeit des Verhaltens bejahen, dann kommt ein Beginn der betreffenden Handlung und damit ein Versuch in Betracht. Auf die oben bei der kritischen Auseinandersetzung mit der älteren objektiven Theorie genannten Beispiele kann verwiesen werden. Es ist auch vom Ergebnis her angemessen, die Fälle des untauglichen, aber gefährlichen Versuchs nicht von denen des tauglichen Versuchs zu unterscheiden. 17 Zu beachten ist dabei, daß man es bei dem Gefährlichkeits-(Risiko)Kriterium mit einem notwendigen und zentralen Erfordernis der erfolgsbezogenen Willensbetätigung zu tun hat, aber auch noch zusätzliche Gesichtspunkte für den unmittelbaren materiellen Beginn der Handlung eine Rolle spielen. Ein Täterverhalten kann nämlich schon im Vorbereitungsstadium das Risiko zeigen, auf die künftige Tatbestandsverwirklichung hinauszulaufen, ohne daß schon ein unmittelbarer Beginn der eigentlichen Tatbestandshandlung vorliegt. Zu den Erfordernissen des unmittelbaren Ansetzens beim Versuch näher Eser. (Fn. 11), § 22 Rnr. 42 mit weiteren Nachweisen.

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Es bedeutet wertungsmäßig keinen relevanten Unterschied, ob jemand seinen Tötungsvorsatz nicht realisieren kann, weil er ein taugliches Tatmittel schlecht einsetzt oder weil er ein aus der Sicht ex ante auch nach Einschätzung eines verständigen Dritten konkret geeignetes, tatsächlich aber untaugliches Tatmittel verwendet. Die Fälle des gefährlichen untauglichen Versuchs unterscheiden sich also unter dogmatischen Gesichtspunkten nicht von denen des tauglichen Versuchs. Sie leiten sich aus demselben Strafgrund ab, und dieser ist nicht der von der subjektiven Theorie bezeichnete, sondern derjenige, welcher der neueren objektiven Theorie zugrundeliegt. 18 e) Den eigentlichen Problemkreis im Streit um den untauglichen Versuch bilden mithin die Fälle des ungefährlichen „untauglichen Versuchs“, das heißt diejenigen Sachverhalte, bei denen der Vorsatz mit einer Handlung betätigt wird, die aus der Sicht ex post von vornherein nicht zur Tatbestandsverwirklichung führen kann und der auch aus der objektivierten ex ante-Sicht kein derartiges Risiko anhaftet. Für diese Fälle wird bedeutsam, was die in Deutschland herrschende Meinung allgemein – also auch für die im vorhergehenden behandelten Fälle – als Strafgrund des Versuchs angibt: die in der Betätigung eines verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens liegende Gefahr für die Gesamtrechtsordnung (nach der Eindruckstheorie modifiziert durch den rechtserschütternden Eindruck bei der Bevölkerung). Im Schrifttum ist deshalb bereits darauf hingewiesen worden, daß der in Deutschland im Anschluß an die subjektive Versuchstheorie gemeinhin angenommene Umfang des Versuchsbegriffs in Wahrheit an zwei verschiedene Strafgründe anknüpft. 19 Dabei wird allerdings die Unterscheidung noch ungenau auf die herkömmliche Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch bezogen, während es nach dem Ergebnis der obigen Untersuchung um das Gegenüberstehen von gefährlichem und ungefährlichem Versuch geht.

18 Das Begriffspaar konkret „gefährlicher-ungefährlicher Versuch“ ist nicht identisch mit der oben erörterten früheren Unterscheidung von „relativ“ und „absolut“ untauglichem Versuch, wie sie die ältere objektive Theorie aus ex post-Sicht vorgenommen hatte. Auch ein ex post betrachtet „absolut“ untauglicher Versuch, z. B. bei einem bereits toten Opfer, kann sich aus der Sicht ex ante als „gefährlicher Versuch“ darstellen. Gegenüber der Lehre vom Mangel am Tatbestand ergeben sich Unterschiede daraus, daß bei sogenannten Mängeln am Tatbestand (z. B. der Fremdheit der Sache) Gefährlichkeit des Handelns gegeben, dagegen bei angeblich keinem solchen Mangel (namentlich dem Erfolg) fehlen kann. Jene Lehre ist vor allem daran gescheitert, daß sie unbeachtet läßt, daß alle Deliktsmerkmale, Erfolg und andere, tatbestandlich gleich notwendig und inhaltlich gleich wesentlich sind. 19 So schon Kohlrausch / Lange, Strafgesetzbuch, 43. Aufl., 1961, Vor § 43 Bem. III 2 und 3, und Gallas, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 155, 159. Jetzt auch Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 158 ff.

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Die deutsche herrschende Meinung und die vorgenannte dualistische Auffassung gehen – möglicherweise durch die bisherige undifferenzierte Erklärung und Behandlung der Fälle des untauglichen Versuchs bedingt – von einem im Grundsätzlichen feststehenden Strafbarkeitsumfang aus und begnügen sich entweder wie die herrschende Meinung mit der Feststellung des gemeinsamen Minimums aller dieser Sachverhalte oder kombinieren verschiedene Strafgründe zu einer „Vereinigungstheorie“. Es erheben sich jedoch Zweifel, ob sich die Fälle des ungefährlichen untauglichen „Versuchs“ denen des echten, nämlich gefährlichen Versuchs überhaupt an die Seite stellen lassen. Der ungefährliche untaugliche „Versuch“ ist völlig sachverschieden von den anderen, da bei ihm gerade kein Beginn der Tatbestandshandlung vorliegt, sondern der Täter sich das nur einbildet. Es geht beim echten Versuch um ein Verhalten, bei dem für jede am Standort des Täters befindliche verständige Person unter Berücksichtigung des Tatplans ein Ansetzen zur konkreten Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandes deutlich ist, während in den zur Erörterung stehenden Fällen von Anbeginn jedem Vernünftigen klar ist, daß es daran fehlt. Von einem Versuch einer Tötungs-, Körperverletzungs-, Sachbeschädigungshandlung etc. kann daher keine Rede sein. Was vorliegt, ist lediglich ein in bezug auf die konkrete Tat ungefährlich betätigter Wille, so daß sich allenfalls von einem „unechten“ Versuch sprechen ließe. Sach- und Gewichtsverschiedenheit stehen einer Gleichstellung entgegen. Es bedürfte danach zumindest einer selbständigen Strafvorschrift unter anderer Bezeichnung und mit erheblich niedrigerer, auch ausschließlich als Vergehen eingestufter Strafdrohung. Damit aber tritt die Frage ins Blickfeld, ob die Pönalisierung der betreffenden Fälle überhaupt mit strafrechtlichen Grundprinzipien in Einklang zu bringen ist. Gegenüber der subjektiven Theorie ist mehrfach der Einwand erhoben worden, daß von ihr Gesinnungsstrafrecht betrieben werde. 20 Zu den Grundlagen des Strafrechts gehört, daß es ein Tatstrafrecht sein muß und ein Gesinnungsstrafrecht den an ein Delikt zu stellenden Anforderungen nicht genügt. Notwendig ist demgemäß, daß der verbrecherische („rechtsfeindliche“) Wille sich objektiv ganz oder teilweise verwirklicht haben muß. Der entscheidende Punkt bei der zur Erörterung stehenden Problematik ist daher, ob beim ungefährlichen untauglichen „Versuch“ schon eine dem Tatstrafrecht genügende objektive Umsetzung des bösen Willens vorliegt. Betrachtet man hierzu die Fälle, bei denen der Unterschied zwischen Gesinnungs- und Tatstrafrecht bedeutsam wird, so betreffen sie zumeist die Abgrenzung von (straflosen) Vorbereitungshandlungen und (strafbarem) Versuch. Es 20 So von Kohlrausch, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, 1926, S. 3, 27 f.; v. Hippel, (Fn. 2), S. 424; Mezger, (Fn. 8), S. 391. In neuerer Zeit von Spendel, ZStW 65 (1953), S. 518, 522 f.; ders., Festschrift für Stock, 1966, S. 89, 92. Daß es um Gesinnung geht, betonen auch Kohlrausch / Lange, (Fn. 19), Vor § 43 Bem. III 2 und Eser, (Fn. 11), Vor § 22 Rnr. 21. Gleichbedeutend ist auch von „Willensstrafrecht“ die Rede.

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handelt sich also regelmäßig um Sachverhalte, bei denen es nicht allein darum geht, was man an verbrecherischem Willen in seinem Kopf bewegt, sondern durchaus um Betätigungen dieses Willens, aber eben um solche, die für eine Straftat noch nicht ausreichend sind. Die frühere rein subjektive Theorie, ein nur noch historisch interessantes Lösungskonzept, hat kaum Anhänger gefunden, weil sie die Strafbarkeit weit in den Bereich des nur moralisch verwerflichen Verhaltens und damit des bloßen Gesinnungsstrafrechts vorverlagerte. 21 Die Strafbarkeit des echten Versuchs wird deshalb auch von der heutigen subjektiven Versuchstheorie objektiv erst beim Ansetzen zur Ausführungshandlung angenommen. Für die Bestimmung dieses Zeitpunktes spielt aber, wie oben gezeigt worden ist, das objektive Kriterium der Gefährlichkeit eine zentrale Rolle. Den Fällen des „unechten Versuchs“ ist demgegenüber eigentümlich, daß ihnen die konkrete Gefährlichkeit fehlt. Es geht eben bei diesen Sachverhalten lediglich um einen durch eine unrechtsneutrale Handlung betätigten bösen Willen – und das spricht für bloßes Gesinnungsstrafrecht. Man hat zur Begründung der subjektiven Theorie angeführt, daß die in der Betätigung des verbrecherischen Willens liegende Auflehnung eine Gefahr für die rechtlich geschützte Ordnung bedeute 22 Betrachtet man diese Begründung genauer, geht es bei ihr aber nicht um die konkrete Tat, sondern um den Täter. Es handelt sich nicht darum, den Unrechtsgehalt der begangenen konkreten Tat zu ahnden, sondern um den künftigen Schutz vor einer Person, die keine Bedenken gezeigt hat, ihren bösen Willen – wenn auch entgegen ihrer Vorstellung objektiv ungeeignet – zu betätigen. Als Strafgrund allein auf die Gefährlichkeit einer Person abzustellen, läuft aber auf einen Wechsel vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht hinaus. Ein Tatstrafrecht setzt immer eine zu ahndende Tat voraus. In neuerer Zeit taucht als Begründung für eine Strafbarkeit auch der oben schon im Zusammenhang mit der Eindruckstheorie angeklungene „rechtserschütternde Normbruch“ auf, der im Falle, daß die Betätigung des verbrecherischen Willens zu ihm geeignet ist, die Strafbarkeitsgrenze markieren soll. 23 Es wurde bei der Kritik der Eindruckstheorie bereits darauf hingewiesen, daß der Gesichtspunkt der „Rechtserschütterung“ aber wenig für die Lösung strafrechtsdogmatischer Einzelprobleme hergibt. Darüber hinaus geht es bei der Eignung zur Rechtserschütterung nicht um Tatmerkmale, sondern um eine Auswirkung, die das Vorhandensein einer dem Tatstrafrecht genügenden Straftat bereits zur Voraussetzung hat. Das aber ist aus den aufgezeigten Gründen bei einer unrechtsindifferenten Willensbetätigung nicht der Fall. Es liegt hier überhaupt noch kein Bruch einer Norm und schon gar nicht der den Versuch untersagenden Norm vor. Der Bürger gerät mit einem Verbot nicht bereits dadurch in Konflikt, daß er seinen Tatentschluß durch irgend21 22 23

Näher zu dieser Theorie Mezger, (Fn. 8), S. 388. Vgl. die Nachweise Fn. 7. Vgl. etwa Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 158 ff.

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ein Verhalten betätigt, sondern damit, daß er ihn in den (materiellen) Beginn der objektiven Ausführungshandlung umsetzt. f) Aus alledem ergibt sich, daß die subjektive Versuchstheorie keine sachgemäße Versuchstheorie darstellt. Vielmehr hat sich gezeigt, daß allein die neuere objektive Theorie, die auf den aus objektiver ex ante-Sicht zu bestimmenden objektiven Handlungsbeginn abstellt, die sachlich zutreffende Lösung bildet. 24 3. Daß die subjektive Theorie in der deutschen Rechtsprechung seit Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts Fuß fassen konnte, ist auf die fälschliche Ansicht des Reichsgerichts zurückzuführen, „daß jede Handlung, die nicht wirklich kausal geworden ist, also den Erfolg nicht wirklich herbeigeführt hat, denselben unter den gegebenen konkreten Umständen des einzelnen Falles auch nicht herbeiführen konnte“ und mithin „völlig gefahrlos“ gewesen sei. Infolgedessen könne der Versuch nicht in der „objektiven Gefährdung“, sondern nur „in der Kundgebung eines auf die Verletzung gerichteten Willens durch eine äußere Handlung bestehen, welche über die Grenze der bloßen Vorbereitung hinausgegangen ist“. 25 Es wurde also vom Reichsgericht verkannt, daß es sich bei der Gefahr um ein Prognoseurteil handelt und daß zwischen der Gefährdung eines Gutes und der Gefährlichkeit einer Handlung zu unterscheiden ist. Auch mag bis auf den heutigen Tag eine ungenügende Abstufung zwischen strafrechtlichen und nur moralischen Anforderungen eine Rolle spielen. Hinzu kommt in jüngerer Zeit, daß der noch ungebremste Siegeszug der Präventionstheorien in rechtsstaatlich bedenklicher Weise den Blick zunehmend von der Tat auf die Person verlagert und damit einer Pönalisierung des Vorfeldes der Rechtsgutsverletzung den Weg ebnet. Auch haben Mißdeutungen des Begriffs des Handlungsunwertes den Eindruck entstehen lassen, dieser beziehe seinen Unrechtsgehalt einseitig aus dem Subjektiven, im Unterschied zum an der objektiven Tatseite ausgerichteten Erfolgsunwert (Sachverhaltsunwert). 26 Ebenso aber, wie zum Handlungsbegriff eine objektive und eine subjektive Seite gehören, verhält es sich konsequenterweise auch mit dem Handlungsunwert. Und ebenso, wie die objektive Seite der Handlung erst mit dem objektiven Anfang der intendierten Verwirklichung der objektiven Merkmale beginnt, mithin jedenfalls der Tätigkeitsakt das (ex ante) Risiko der Handlungsverwirklichung aufweisen muß, ist folglich auch zum Handlungsunwert ein derartiges Risiko erforderlich. Im Schrifttum hat man bereits darauf hingewiesen, daß die demgegenüber von Teilen der Literatur 24 Zu den dies berücksichtigenden zahlreichen Strafgesetzbüchern und den heutigen Vertretern dieser Theorie im deutschen Schrifttum siehe die Nachweise oben in Fn. 6. 25 RGSt. 8, 198, 212 f. 26 So Armin Kaufmann, Festschrift für Welzel, 1974, S. 393, 403, 411; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973, S. 135 ff., 205 ff.; Struensee, ZStW 102 (1990), S. 21 ff.; Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch, 1995, S. 5 f., 44 ff., 69 ff., passim.

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vertretene Auffassung, darauf komme es nicht an, den Handlungsunwert auf einen bloßen Gesinnungsunwert reduziert. 27 Hinsichtlich der sachlich allein zutreffenden neueren objektiven Theorie ist im übrigen noch einmal zu betonen, daß es bei ihr nur um die Ausgrenzung des ungefährlichen „untauglichen Versuchs“ geht. Es handelt sich um die Fälle, in denen es an der aus der ex ante-Sicht zu bestimmenden konkreten Gefährlichkeit des Tätigkeitsakts fehlt. Der Kreis der gegenüber der subjektiven Versuchstheorie aus der Versuchsstrafbarkeit herausfallenden Sachverhalte hält sich daher durchaus im Rahmen. Denn das ex ante-Urteil des verständigen Dritten wird, wie man auch bei der Voraussehbarkeit beim fahrlässigen Delikt beobachten kann, zumeist mit dem des Handelnden übereinstimmen. In den Fällen aber, in denen es die objektiv konkrete Gefährlichkeit der Handlung ergibt, liegt strafrechtlich kein Versuch und damit kein strafrechtlich zu ahnendes Verhalten vor. III. Es geht nunmehr um die Frage, ob die Art. 16, 17 peruan. StGB so ausgelegt werden können, daß sie der im vorhergehenden dargelegten sachgemäßen Lösung entsprechen. Bei der eingangs zum Vergleich aufgezeigten Regelung der §§ 22, 23 Abs. 3 dtsch. StGB ist eine solche Interpretation möglich: die in § 22 dtsch. StGB enthaltene Definition läßt sich restriktiv dahin auslegen, daß der Versuch begrifflich den Beginn einer aus ex ante-Sicht konkret gefährlichen Handlung voraussetzt. Der als „Sicherheitsventil“ eingeführte § 23 Abs. 3 dtsch. StGB ist ohne praktische Bedeutung, weil in den betreffenden Fällen dann schon begrifflich gar kein Versuch gegeben ist. Die sachentsprechende Auslegung der peruanischen Regelung bereitet hinsichtlich des Art. 16 Abs. 1 peruan. StGB ebenfalls keine Probleme. Wie zu Anfang schon erwähnt, ist die Definition des Versuchs in dieser Vorschrift ähnlich weit gefaßt wie in § 22 dtsch. StGB, so daß sie der von der Sache her notwendigen einschränkenden Auslegung Raum beläßt: Sie kann berücksichtigen, daß begrifflich ein Versuch überhaupt erst vorliegt, wenn die Voraussetzungen der neueren objektiven Theorie erfüllt sind. Das eigentliche Problem bildet deshalb der Art. 17 peruan. StGB. Bei ihm taucht die Frage auf, ob sich etwa aus Titulo Preliminar Art. IV des peruan. StGB die Notwendigkeit ergibt, die Strafbarkeit des Versuchs auf den Umfang der älteren objektiven Theorie zu begrenzen. Was heißt in dieser Vorschrift, daß die Strafe notwendigerweise entweder die Verletzung oder die „Gefährdung“ der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter erfordert? Soll damit gesagt werden, daß wie bei der Verletzung ein bestimmtes konkretes Gut tatsächlich beeinträchtigt 27

Zu diesen Mißdeutungen des Handlungsunwerts als „Intentionsunwert“ näher kritisch, Gallas, Festschrift für Bockelmann, S. 157 ff., und Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 240 ff.

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sein muß? Das hieße, daß neben Verletzungsdelikten nur konkrete Gefährdungsdelikte strafbar sein würden. Es wäre also für die Strafbarkeit erforderlich, daß ein konkretes Gut wenn nicht verletzt, so doch in eine konkrete Gefahrlage geraten sein muß. Es würde beispielsweise für eine Straftat nicht genügen, daß ein alkoholisierter Autofahrer ein Risiko für den Straßenverkehr darstellt, vielmehr wäre erforderlich, daß er ein bestimmtes Objekt, zum Beispiel das Leben eines einzelnen Fußgängers, konkret in eine Gefahrsituation gebracht hat. Eine solche Einschränkung der Strafbarkeit wird vom peruanischen Strafgesetzbuch jedoch mit Recht nicht vorgenommen. Es kennt vielmehr ebenso wie andere Strafgesetzbücher auch abstrakte Gefährlichkeitstatbestände, das heißt Straftatbestände, zu deren Verwirklichung das vom Standpunkt ex ante beurteilte abstrakte oder konkrete objektive Handlungsrisiko, irgendwelche noch unbestimmten Rechtsgüter zu verletzen, ausreichend ist. Hinzuweisen ist auf Titulo XII „Delitos contra la seguridad publica“ und hier insbesondere Cap. I „Delitos de peligro común“. Ein anschauliches Beispiel bildet Art. 274 peruan. StGB, wo das Führen eines Kraftfahrzeugs im alkohol- oder drogenbedingten Rauschzustand pönalisiert ist. Für Titulo Preliminar Art. IV peruan. StGB ergibt sich daher, daß das Wort „Gefährdung“ nicht nur den Erfolg des Eintritts einer konkreten Gefahrsituation für ein konkretes Gut meint, sondern auch aus der ex ante-Sicht riskante (gefährliche) Handlungen in bezug auf die vom Gesetz geschützten Rechtsgüter umfaßt, ohne daß ein konkretes Gut tatsächlich betroffen zu sein braucht. Aber zwingt die Wortfassung des Art. 17 peruan. StGB nicht gleichwohl dazu, mit der älteren objektiven Theorie zu verlangen, daß das Objekt tatsächlich existiert und das Tatmittel absolut tauglich ist? Die Väter des Gesetzes haben sich das zwar offenbar so gedacht. 28 Aber bei der Interpretation eines Gesetzes ist nicht der historische Wille des Gesetzgebers, sondern der objektive Gesetzesinhalt ausschlaggebend. Da der Versuch sich seiner Natur nach begrifflich aus der Sicht ex ante bestimmt – und deshalb Art. 16 peruan. StGB, wie aufgezeigt wurde, im Sinne der neueren objektiven Theorie auszulegen ist –, sind die in Art. 17 peruan. StGB genannten Merkmale mit dem Blick auf diesen Versuchsbegriff hin zu interpretieren. 29 Das bedeutet: Es geht bei der in Art. 17 peruan. StGB genannten absoluten Untauglichkeit von Mittel oder Objekt um ein ex 28

Allerdings unterscheiden sie im Unterschied zu den von vornherein auf die Einschränkung des Versuchsbegriffs ausgerichteten objektiven Theorien zwischen Versuchsbegriff (Art. 16 peruan. StGB) und engerer inhaltlicher Strafbarkeit des Versuchs (Art. 17 peruan. StGB). Eine solche Abstufung, bei der die Erklärung für die inhaltlichen Einschränkungen der Strafbarkeit ohne theoretisch-begriffliche Basis bleibt, fand sich übrigens auch bei Mezger, (Fn. 8), S. 395 ff. (der allerdings damals die Einschränkung nicht nach der älteren, sondern der neueren objektiven Theorie und der Lehre vom Mangel am Tatbestand vornahm). 29 In dieser Richtung wohl auch Javier Villa Stein, Derecho penal. Parte general, Lima, 1998, S. 282 f.

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ante-Urteil. Die Vorschrift stellt klar, daß diejenigen Fälle straflos bleiben, bei denen Mittel oder Objekt im Tatzeitpunkt für einen an der Stelle des Handelnden befindlichen verobjektivierten Dritten als absolut untauglich einzuschätzen sind und das Handeln daher objektiv ungefährlich ist. Wenn also jemand auf einen Toten schießt in der Annahme, es sei ein Lebender, so liegt Straflosigkeit mangels Versuchs vor, wenn für einen am Standort des Handelnden gedachten objektiven Dritten der Tod erkennbar wäre. Umgekehrt ist die Gefährlichkeit und damit Versuch gegeben, wenn auch für den Dritten aus ex ante-Sicht der Tote als lebend einzuschätzen ist, so daß dann Strafbarkeit eingreift. Ebenso verhält es sich mit dem Tatmittel. Meint der Handelnde, die benutzte Flüssigkeit sei ein zur tödlichen Vergiftung geeignetes Mittel, während es sich in Wahrheit um einen harmlosen Tee handelt, so kommt es auch hier darauf an, ob aus der objektiven ex ante-Sicht die Harmlosigkeit erkennbar ist oder nicht. Im einen Fall geht es um ein aus ex ante-Sicht absolut untaugliches und daher ungefährliches Mittel, im anderen um ein gefährliches Mittel. Der Art. 17 peruan. StGB ist bei einer solchen Auslegung nicht überflüssig. Er verhindert vielmehr, indem er das Tatstrafrecht im Auge behaltend ausdrücklich auf die objektive Seite des Versuchs verweist, daß das peruanische Strafrecht durch den Wortlaut des Art. 16 peruan. StGB auf den die Strafbarkeit überdehnenden Irrweg der subjektiven Versuchtheorie – wie er in Deutschland beschritten worden ist – gelangt. IV. Mit der hier vorgeschlagenen Auslegung würde sich das peruanische StGB in völliger Übereinstimmung mit den meisten Strafgesetzbüchern befinden. Es hätte eine Versuchsregelung, die weder mit den Schwächen der wissenschaftlich als überholt geltenden älteren objektiven Theorie behaftet ist, noch die weite und sachlich verfehlte subjektive Theorie als gesetzgeberisches Reformziel erscheinen lassen kann. Im übrigen möchte man dem nunmehr 10 Jahre in Geltung befindlichen peruanischen Strafgesetzbuch zu diesem ersten Jubiläum wünschen, daß es dazu beiträgt, auf rechtsstaatliche Weise der Ausbreitung der Kriminalität Herr zu werden.

Zur Problematik der Regelung des untauglichen Versuchs im polnischen und deutschen Strafgesetzbuch 2006 I. Prof. Dr. hab. Tomasz Kaczmarek steht seit Jahren in regem Meinungsaustausch mit bundesdeutschen Strafrechtlern. Er war nach dem Kriege einer der ersten polnischen Kriminalisten, die mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung nach West-Deutschland kamen. Ich erinnere mich sehr gerne daran, daß ich in Köln wiederholt sein wissenschaftlicher Gastgeber sein durfte. Tomasz Kaczmarek hat schon lange vor der polnischen Wende viel rechtsstaatliches Gedankengut nach Polen vermittelt. Umgekehrt hat er durch zahlreiche Vorträge und deutschsprachige Publikationen die deutsche Seite mit seinen Überlegungen bereichert. Er ist einer der Brückenbauer, denen es zu verdanken ist, daß nach den schweren Belastungen, denen das polnisch-deutsche Verhältnis während der Kriegs- und Nachkriegsjahre ausgesetzt war, die wissenschaftlichen Kontakte im Straf- und Strafprozeßrecht sich nicht nur normalisiert haben, sondern außerordentlich eng geworden sind. Der folgende rechtsvergleichende Beitrag zum 70.Geburtstag ist daher nicht zuletzt mit dem Wunsch verbunden, daß es dem Jubilar noch viele Jahre vergönnt sein möge, zum Wohle der wissenschaftlichen polnisch-deutschen Strafrechtsbeziehungen tätig zu sein.

II. 1. Die allgemeine Versuchsvorschrift des polnischen StGB von 1998 und die des deutschen StGB in der Fassung von 1975 ähneln sich. Art. 13 § 2 poln. StGB lautet: „Wegen Versuchs ist strafbar, wer mit dem Vorsatz der Begehung einer verbotenen Tat sein Verhalten unmittelbar auf deren Vollendung richtet, diese jedoch unterbleibt.“ Und inhaltlich übereinstimmend, nur etwas ausführlicher, heißt es in § 22 dtsch. StGB: „Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt.“ Der Wortlaut beider Vorschriften läßt für die Tatbestandsmäßigkeit eines Versuchs also genügen, daß jemand den Tatentschluß in der Weise betätigt, daß auf der Grundlage seiner Vorstellung von der Tat nach objektivem Maßstab ein unmittelbares Ansetzen zu

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dieser Tat anzunehmen ist. Beispielsweise ist ausreichend, daß der Betreffende einen von ihm irrig als schlafend angesehenen Toten töten will und diesen Tatentschluß so betätigt, daß nach objektivem Maßstab ebenso wie im Falle eines tauglichen Versuchs ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung gegeben erscheint, also etwa der Betreffende das Gewehr zum Schießen anlegt. In Art. 13 § 2 poln. StGB wird die Einbeziehung des untauglichen Versuchs ausdrücklich angesprochen. Die Vorschrift lautet: „Ein Versuch liegt auch dann vor, wenn dem Täter nicht bewußt ist, daß die Vollendung der verbotenen Tat in Ermangelung eines für die Tatausführung tauglichen Objekts oder infolge der Verwendung eines für die Tatausführung untauglichen Mittels unmöglich ist.“ Um die Konsequenzen abzuschwächen, eröffnet Art. 14 § 2 poln. StGB für Fälle des untauglichen Versuchs die Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe. Das deutsche StGB begnügt sich mit einer solchen privilegierenden Vorschrift, wobei es in dem einschlägigen § 23 Abs. 3 dtsch. StGB eine Beschränkung auf Fälle groben Unverstands vorsieht. 1 Die hinter den Versuchsregelungen des polnischen und des deutschen StGB erkennbare subjektive Versuchstheorie steht in Gegensatz zu den objektiven Versuchstheorien. Diese lassen für den Betätigungsakt nicht jede unmittelbare Manifestation des Tatentschlusses genügen, sondern verlangen objektiv eine konkrete Gefahr oder Gefährlichkeit in bezug auf die Vollendung der Tat. Von einigen Autoren wird die heutige Fassung der subjektiven Theorie auch als „gemischt-subjektive Theorie“ bezeichnet. 2 Man will damit den Unterschied zur im 19. Jahrhundert noch teilweise vertretenen rein subjektiven Theorie betonen, nach der auch der Versuchsbeginn nicht nach objektivem Maßstab, sondern ausschließlich subjektiv bestimmt werden sollte. 3 Der Sache nach handelt es sich aber bei der aufgezeigten heutigen Auffassung 4 um eine echte subjektive Theorie, weil sie keine objektive Gefahr oder Gefährlichkeit in bezug auf die konkrete 1 Diese Vorschrift lautet: „Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).“ Hierbei ist zu beachten, daß „Absehen von Strafe“ im deutschen Strafrecht nicht Freispruch, sondern Schuldspruch oder Strafausspruch bedeutet. 2 Siehe etwa Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht Allg. Teil, 11. Aufl. 2003, § 26 Rn. 19; Wessels / Beulke, Strafrecht Allg. Teil, 33. Aufl. 2003, Rn. 594. 3 So namentlich v. Buri, ZStW 1 (1881), S. 185 ff.; ders., GS 32 (1880), S. 321 ff. und GS 40 (1888), S. 503 ff. Dazu näher Mezger, Strafrecht, 2. Aufl. 1933, S. 385. 4 BGHSt. 1, 13, 15 ff.; 2, 74, 76; 11, 324, 326 ff.; 41, 94 ff.; BGH NJW 1997, 750, 751; ständige Rechtsprechung im Anschluß an die Judikatur des Reichsgerichts. Im heutigen Schrifttum vgl. Hillenkamp, in: Leipziger Kommentar zum StGB (LK), 11. Aufl. 2003, Vor § 22 Rn. 60 ff.; Lackner / Kühl, StGB, 24. Aufl. 2001, § 22 Rn. 11; Tröndle / Fischer,

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Deliktsverwirklichung verlangt, sondern es als ausreichend ansieht, daß der subjektive Tatbestand gegeben ist, während die objektive Seite für sich allein rechtlich indifferent sein kann und im Falle des untauglichen Versuchs lediglich eine zeitliche Parallelität zum Beginn des tauglichen Versuchs aufweisen muß. 5 Da die rein subjektive Theorie, die man eigentlich subjektivistische Theorie nennen sollte, nur noch von historischem Interesse ist, wird die hier zur Erörterung stehende Auffassung herkömmlich auch schlicht als die „subjektive Versuchstheorie“ bezeichnet oder doch jedenfalls von der subjektiven Theorie der Judikatur gesprochen. 6 So geschieht es zur Vermeidung von Verwechslungen zwischen den grundsätzlichen Versuchstheorien und den zu den speziellen Erfordernissen der Abgrenzung von Versuch und Vorbereitungshandlung vertretenen Ansichten auch im folgenden. 2. Bis zum Dritten Reich hatte sich das überwiegende deutsche Schrifttum der von der subjektiven Theorie ausgehenden ständigen Rechtsprechung entgegengestellt und eine objektive Versuchstheorie vertreten. 7 Dem stark auf die Gesinnung ausgerichteten Strafrechtsdenken der NS-Zeit entsprach dann eher die subjektive Orientierung der Rechtsprechung. 8 Nach 1945 ist es auch im Schrifttum bei der subjektiven Theorie geblieben, 9 später relativiert durch die im folgenden noch zu erörternde Eindruckstheorie. 10 Historisch wäre es jedoch unrichtig, wenn man StGB, 51. Aufl. 2003, § 22 Rn. 24; Herzberg, GA 2001, S. 257 ff.; die dort vertretenen Thesen finden sich jetzt auch in der kürzlich erschienenen Kommentierung von Herzberg in: Münchener Kommentar StGb (MüKo), 2003, § 22 Rn. 33 ff., 47 ff., 61 ff., § 23 Rn. 37 ff. 5 Mißverständlich ist es daher, wenn Jescheck diese Auffassung als „objektiv-subjektive“ Theorie bezeichnet (siehe in: Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S. 513. 6 Vgl. die Nachweise in Fn. 4. 7 Vgl. v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 21/22. Aufl. 1910, S. 199 f.; Rob. v. Hippel, Deutsches Strafrecht II, 1930, S. 424 ff. und – ganz oder teilweise die Lehre vom Mangel am Tatbestand zugrundelegend – : Frank, StGB, 18. Aufl. 1931, § 43 Anm. I; v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrecht I, 26. Aufl. 1932, S. 301 Fn. 7; Mezger (Fn. 3), S. 396 ff. 8 Vgl. zum „Willensstrafrecht“ der Hitler-Zeit: Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1935, S. 11 ff.; Roeder, ZStW 62 (1944), S. 303 ff.; Schaffstein, ZStW 53 (1934), S. 603 ff. Dabei beriefen sich Freisler (S. 34) und Schaffstein (S. 609) für die sich vom Standpunkt des „Willensstrafrechts“ ergebende Gleichbehandlung von tauglichem und untauglichem Versuch ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Reichsgericht. Auch begründete Mezger seine nunmehrige Hinwendung zur subjektiven Auffassung mit dem Hinweis auf Erfordernisse des Willensstrafrechts (Deutsches Strafrecht 1936, S. 26 ff.). 9 Vgl. Baumann, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1. Aufl. 1960, S. 385 f., 407; Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1958, S. 405 ff.; Schönke, StGB, 4. Aufl. 1949, Vor. § 43 Bem. II, § 43 Fn. II. 1.; Schönke / Schröder, StGB, 8. Aufl. 1957, Vor. § 43 Bem. III. 1., § 43 Fn. II. 1.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 192 f. 10 Schönke / Schröder / Eser, StGB, 26. Aufl. 2001, Vor. § 22 Rn. 22; Maurach / Gössel, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 7. Aufl. 1989, § 40 Rn. 40 ff.; Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1998, 9/48; Jescheck (Fn. 5), S. 515; Rudolphi, in: System. Kommentar zum StGB

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die in der Nachkriegszeit hinsichtlich der subjektiven Versuchstheorie festzustellende Übereinstimmung der herrschenden Lehre mit dem Standpunkt der Praxis auf den Einfluß der „finalen“ Handlungslehre in der Wissenschaft zurückführen würde. 11 Bekanntlich haben bis in die sechziger Jahre in der Dogmatik in Deutschland die Kausalisten den Ton angegeben. Lehrbuch- und Kommentarverfasser wie Baumann, Schönke und Schröder, die alle der subjektiven Versuchstheorie gefolgt sind, 12 lassen sich gewiß nicht als Anhänger der „finalen“ Handlungslehre einordnen. Eher handelte es sich um den Einfluß der bis zur Entstehung der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen zurückreichenden generellen Entwicklung, subjektive Elemente im Unrecht, darunter auch den Tatentschluß des Versuchs, anzuerkennen. Für Welzel diente die allseits eingetretene subjektive Orientierung der Versuchslehre nur als Bekräftigung seiner – heute in der deutschen Strafrechtswissenschaft als selbstverständlich geltenden – Auffassung, daß der Tatbestandsvorsatz bereits auf der Ebene des Unrechtstatbestands Berücksichtigung zu finden hat. Die Väter der Reform des Allgemeinen Teils von 1975 sind von dem Faktum ausgegangen, daß die Rechtsprechung – und ihr folgend die damalige herrschende Lehre – die Tatbestandsmäßigkeit des untauglichen Versuchs nach den Kriterien der subjektiven Theorie bestimmt. Sie meinten deshalb, durch die 1975 in § 23 Abs. 3 StGB eingeführte Privilegierungsmöglichkeit evident sachwidrigen Konsequenzen in Fällen, bei denen der untaugliche Versuch auf grobem Unverstand beruhen würde, vorbeugen zu sollen. Erst auf der Frankfurter Strafrechtslehrertagung 1985 ist die Rückkehr zu einer objektiven Versuchstheorie wieder diskutiert worden. 13 Beim JapanischDeutschen Strafrechtskolloquium 1988 in Köln hat man die Problematik dann erneut behandelt. 14 Inzwischen gewinnt die auf die Sicht ex ante abstellende sogenannte „neuere objektive Versuchstheorie“ zunehmend wieder Anhang. 15 In Polen findet sich die subjektive Theorie ausdrücklich im StGB von 1932, und auch die Strafgesetzbücher von 1950 und 1969 hatten an ihr festgehalten. (SK), 20. Lfg. 1993 Vor. § 22 Rn. 13, 14; Wessels / Beulke (Fn. 2), Rn. 593. Die Eindruckstheorie geht zurück auf A. Horn, ZStW 20 (1900), S. 309 ff. und v. Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht II, 1907, S. 521, 527, 531, 535 ff. Später ist sie zuerst vertreten worden von Mezger, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch, 3. Aufl. 1951, S. 177, und Roxin, JuS 1979, S. 1 ff. (der sich jetzt aber gegen sie ausspricht und eine „Vereinigungstheorie“ vertritt). 11 Dies aber meinte Roxin, Festschrift für Nishihara, 1998, S. 157, 162. Anders jetzt ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil II, 2003, § 29 Rn. 23. 12 Nachweise oben in Fn. 9. 13 Vgl. den Tagungsbericht von Gropp, ZStW 97 (1985), S. 919, 921, 924. 14 Vgl. die sich für eine objektive Theorie aussprechenden Referate von Weigend und Naka, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 113, 126 ff. bzw. S. 93, 96 ff. sowie die Stellungnahmen von Hirano, ebd., S. 83 und Hirsch, ebd., S. 208.

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Makarewicz, der große polnische Strafrechtler und Schöpfer des Strafgesetzbuchs von 1932, war subjektiven Aspekten gegenüber bekanntlich sehr aufgeschlossen, so daß die Wurzeln der polnischen Entwicklung wohl bei seinen theoretischen Ansichten zu suchen sind. In der übrigen Welt ist die Entwicklung zumeist anders verlaufen. So findet sich eine objektive, nämlich auf die Gefahr oder Gefährlichkeit in bezug auf die konkrete Tatbestandsverwirklichung abstellende Versuchsauffassung bei den Versuchsregelungen oder deren Auslegung durch die Praxis etwa in Italien, Korea, Japan, den Niederlanden, Österreich, Schweden, Spanien, der Türkei sowie der nordamerikanischen Judikatur. 16 3. Daß mit der subjektiven Versuchstheorie etwas nicht stimmt, läßt sich nicht nur aufgrund ihrer geringen internationalen Verbreitung vermuten, sondern spiegelt sich auch im Bestreben des neueren Schrifttums wider, sie zu einer Eindruckstheorie zu modifizieren. 17 Die im folgenden zu beantwortende Frage lautet deshalb, ob die subjektive Theorie mit dem Versuchsbegriff und den strafrechtlichen Grundlagen sachlich in Einklang zu bringen ist und welche Folgerungen de lege lata oder de lege ferenda zu ziehen sind. III. Nach der Eindruckstheorie soll zwar von der herkömmlichen subjektiven Theorie auszugehen sein, aber als einschränkendes Erfordernis hinzukommen der „Eindruck“, der von dem Verhalten des Täters auf die Allgemeinheit ausgeht. Die tatbestandsnahe Manifestation des verbrecherischen Willens, die nach der subjektiven Theorie den Strafgrund des Versuchs bilden soll, müsse das Vertrauen der 15

Im heutigen deutschen Schrifttum für Beschränkung des tatbestandsmäßigen untauglichen Versuchs auf die Fälle des (aus ex-ante Sicht) konkret gefährlichen Versuchs: Weigend (Fn. 14), S. 126 ff.; Hirsch, Festschrift 600 Jahre Universität Köln, 1988, S. 399, 422 f. (terminologisch noch etwas ungenau); ders., Festschrift für Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 560 f.; ders., Festschrift für Lenckner 1998, S. 119, 135 Fn. 50; ders., Festschrift für Roxin, S. 711, 716 ff.; Tae-Hoon Ha, Die strafrechtliche Behandlung des untauglichen Versuchs, 1991, S. 50 ff.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 137 ff., 149; K. Malitz, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, 1998, S. 159 Fn. 632. Siehe auch schon Spendel, NJW 1965, S. 1881 ff.; ders., Festschrift für Stock, 1966, S. 89 ff. Für objektive Begrenzung ferner Köhler, Strafrecht Allg. Teil, 1997, S. 456 f.; Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, S. 235 u. 328, und Rath, JuS 1998, S. 1111 f.; zu dem von diesen Autoren angeführten Gesichtspunkten näher Zieschang, a. a. O., S. 143 f., K. Malitz, a. a. O., S. 166 f. Eine stärkere Berücksichtigung der objektiven Seite fordert ebenfalls Bottke, Wissenschaftsfestgabe für BGH, 2000, Band IV, S. 135 ff. 16 Näher dazu Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 527 f., mit Rechtsprechungsnachweisen. Zum japanischen Strafrecht vgl. auch Naka (Fn. 13), S. 93 ff., zum spanischen vgl. Cerezo Mir, Festschrift für Hirsch, 1999, S. 127, 135 ff. 17 Vgl. die Nachweise in Fn. 10.

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Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung zu erschüttern geeignet sein. 18 Es ist auch die Rede vom Eindruck auf die Allgemeinheit, der zu einer Erschütterung des Rechtsbewußtseins und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann. 19 Bei dieser Auffassung handelt es sich nur um eine Modifikation der subjektiven Theorie, weil im Unterschied zu den objektiven Theorien nicht auf ein Ansetzen zu einer konkret gefährdenden oder gefährlichen Handlung abgestellt, sondern nur eine Begrenzung der subjektiven Theorie unter sozialpsychologischen Aspekten vorgenommen wird. Ob dies aber mehr als einen Notbehelf darstellt, ist die Frage. Im Schrifttum ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Eindruckskriterium einen Gesichtspunkt darstellt, der nicht versuchsspezifischer Natur ist. Praktisch überall, wo es im Strafrecht um die Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten geht – also auch in Vollendungsfällen –, ließe es sich als allgemeinster Gesichtspunkt mobilisieren. 20 Das Bemühen von Wissenschaft und Praxis um präzise und problembezogene Begründungen würde sich weithin erübrigen. Der Preis hierfür wäre, daß die Aufgabe der Strafrechtsdogmatik, für klare, sachorientierte Begriffe und Begründungen zu sorgen, nicht mehr erfüllt würde. Denn was heißt schon Eignung zur Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung? Man fragt sich bereits, wieso ein Versuch einer einzelnen Straftat dazu überhaupt in der Lage sein soll. Das Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung wird doch erst dadurch erschüttert, daß sich infolge Nachlässigkeit von Polizei und Strafrechtspflege bestimmte Straftaten ausbreiten. Darum geht es hier offensichtlich nicht. Aber auch wenn nur gemeint ist, daß die Begehung der einzelnen Tat das Rechtsbewußtsein erschüttern und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann, so handelt es sich dabei doch um sehr hoch gegriffene Kriterien. Was zumal den untauglichen Versuch angeht, kann er das Rechtsbewußtsein verletzen, aber wohl kaum erschüttern, und den Rechtsfrieden wird er, weil untauglich, in der Regel schwerlich gefährden. 21 Zudem erhebt sich bei einer die subjektive Theorie nur hinsichtlich des Eindrucks relativierenden Auffassung die Frage, wovon in Fällen äußerlich wertneutraler Verhaltensweisen der „rechtserschütternde Eindruck“ eigentlich ausgehen soll. 22 Es handelt sich bei

18 Vgl. Jescheck (Fn. 5), S. 514; Schönke / Schröder / Eser (Fn. 10), Vor. § 22 Rn. 17 und 22; jeweils mit weiteren Nachweisen. 19 Nachweise Fn. 18. 20 Vgl. auch die Kritik bei Stratenwerth, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2000, § 11 Rn. 21; Weigend (Fn. 14), S. 122; Zaczyk (Fn. 15), S. 25 ff.; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 25/22; Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 170; Hirsch, Festschrift für Roxin, S. 714 f. 21 Kritisch bezüglich der empirischen Basis der Eindruckstheorie Stratenwerth (Fn. 20), § 11 Rn. 21; Weigend (Fn. 14), S. 122 f.; Zaczyk, Nomos Kommentar StGB (NK), 2001, § 22 Rn. 1; Kühl, Strafecht, 4. Aufl. 2002, § 15 Rn. 40 ff.; Herzberg (Fn. 4), MüK, § 22 Rn. 16 ff. 22 Kritisch auch Weigend (Fn. 14), S. 123.

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den Kriterien der Eindruckstheorie eben um Leerformeln, aus denen man je nach Gefühl ein gewünschtes Ergebnis herauslesen kann. 23 Auch wenn die Eindruckstheorie aus den genannten Gründen keine wissenschaftlich-dogmatische Theorie im strengen Sinne ist und – wie es bei Eser im Schönke / Schröder heißt – ihre Existenz „nicht zuletzt (der) Ermangelung eines bislang Besseren“ verdankt, 24 signalisiert sie aber doch jedenfalls das Bedürfnis nach tatbestandlicher Einschränkung des untauglichen Versuchs. 25 IV. 1. Entscheidend für die Klärung der Versuchsproblematik ist, worin allgemein der Strafgrund des Versuchs besteht und welche Schlüsse sich daraus für die Fälle des untauglichen Versuchs ergeben. Die subjektive Theorie sieht den Strafgrund in der Betätigung des verbrecherischen Willens, nämlich in der „für die Rechtsgemeinschaft unerträglichen Auflehnung gegen die Rechtsordnung“. Auch von der Gefahr, die aus der Auflehnung für die rechtlich geschützte Ordnung droht, wird gesprochen. 26 Der betätigte Wille findet sich häufig als „rechtsfeindlicher Wille“ bezeichnet. 27 Wie schon aufgezeigt wurde, geht die Eindruckstheorie davon ebenfalls aus. Die Modifizierung durch die Eindruckskomponente erwies sich im vorhergehenden nur als „Notbehelf“, der die grundsätzliche Problematik des Genügenlassens von jeglichem (zeitlich tatbestandsnahen) Betätigen des verbrecherischen Willens nicht aus der Welt schafft. 23 Zum heutigen Schrifttum gegen die Eindruckstheorie außer den Anhängern der subjektiven Theorie der Rechtsprechung (Fn. 4) auch die Vertreter der neueren objektiven oder Gefährlichkeitstheorie (Fn. 15) und der Vereinigungstheorie (Fn. 44). Die Eindruckstheorie wird auch nicht präziser, wenn Bloy, ZStW 113 (2001), S. 76, 107, sie dahingehend modifizieren will, daß ein „rechtsfriedensstörender Rechtsgutsangriff“ vorliegen müsse. Bloy versteht nämlich den Rechtsgutsangriff nur subjektiv, und davon geht sachwidrig ebenso bereits die herkömmliche Eindruckstheorie aus. 24 Schönke / Schröder / Eser (Fn. 10), Vor § 22 Rn. 22. 25 So folgert Wolter die generelle Straflosigkeit aller Erscheinungsformen des grob unverständigen untauglichen Versuchs daraus, daß in diesen Fällen kein ernsthafter Eindruck der Gefährlichkeit beim objektiven Betrachter hervorgerufen wird (Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, 1981, S. 97 f.). Auch Jescheck will unter Hinweis auf die amtliche Begründung BTDrucks. V/4095, S. 12. das Absehen von Strafe zur Regel erklären (Fn. 5, S. 532), wobei allerdings offenbleibt, weshalb nach der Eindruckstheorie nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit, d. h. der Gegenstand aller Versuchstheorien, in Frage steht. 26 Tröndle / Fischer (Fn. 4) § 22 Rn. 24 und BGHSt 11, 268, 271 sowie die Nachweise oben in Fn. 4. 27 Vgl. Jescheck (Fn. 5), S. 513; Lackner / Kühl (Fn. 4), § 22 Rn. 11 mit weiteren Nachweisen.

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2. Um Klarheit zu gewinnen, ist zunächst der Normalfall, nämlich der taugliche Versuch zu betrachten. Bei ihm springt ins Auge, daß die Betätigung des bösen Willens in mehr als einem neutralen objektiven Verhalten besteht. Rechtsprechung und Schrifttum sind sich weithin darin einig, daß hier eine unmittelbare (tatbestandsnahe) „Gefahr“ in bezug auf die konkrete Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Delikts vorliegen muß. 28 Es wird häufig vom Erfordernis einer unmittelbaren konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsguts oder Handlungsobjekts oder einer derartigen Gefahr gesprochen. 29 Auch ist von einer (unmittelbar) konkret gefährdenden oder gefährlichen Handlung die Rede. 30 Es geht beim tauglichen Versuch also offensichtlich um Fälle, bei denen die Betätigung des Willens eine konkrete Gefahr oder Gefährlichkeit hinsichtlich der Vollendung des betreffenden Delikts erkennen läßt. Darauf weist auch schon die Bezeichnung „tauglicher“ Versuch hin, da Tauglichkeit voraussetzt, daß die vorgenommene Handlung für die objektive Verwirklichung des Willens konkret geeignet erscheint. Es verkürzt daher die inhaltliche Bestimmung des Strafgrundes des tauglichen Versuchs, wenn man ihn nur von der Betätigung des verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens her deutet. Andererseits ist es aber ebenfalls sachwidrig, wenn man den Strafgrund lediglich in der konkreten objektiven Gefährdung oder Gefährlichkeit sieht, wie das nicht selten mit dem Blick auf die objektive Richtung gesagt wird. 31 Dann wäre nämlich der taugliche Versuch nur ein Unterfall der Gefährdungs- oder Gefährlichkeitsdelikte. Das aber könnte nicht erklären, weshalb er nicht lediglich als ein solches Delikt, sondern als Versuch – eben weil Versuch – erheblich schwerer eingestuft wird. Es besteht ein deutlicher Sachunterschied zwischen einem bloßen Gefährdungstatbestand und dem Versuch eines Verletzungsdelikts, weshalb der Täter aus dem – nach Art. 14 § 1 poln. StGB gar nicht und nach § 23 Abs. 2 dtsch. StGB auch nur fakultativ – gemilderten Strafrahmen des vollendeten Delikts bestraft wird und es bei der Deliktsnatur als Verbrechen oder Vergehen bleibt. Entscheidendes Gewicht kommt bei der Bestimmung des Strafgrundes des tauglichen Versuchs eben dem Zusammentreffen von zwei Erfordernissen zu: dem Tatentschluß und dem Beginn seiner objektiven Verwirklichung. Dieses Zusammentreffen erhält eine eigenständige Bedeutung für die Rechtsordnung, weil der 28

Vgl. die Übersicht über Rechtsprechung und Schrifttum bei Schönke / Schröder / Eser (Fn. 10), § 22 Rn. 42 ff.; siehe dazu auch Streng, Gedächtnisschrift für Zipf, 1999, S. 325 ff. 29 Vgl. BGHSt. 30, 363, 364; Schönke / Schröder / Eser (Fn. 10), § 22 Rn. 42; Lackner / Kühl (Fn. 4), § 22 Rn. 4; jeweils mit weiteren Nachweisen. 30 Kohlrausch / Lange, StGB, 43. Aufl. 1961, Vor § 43 Fn. III. 2. und 3; Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 159; Tröndle / Fischer (Fn. 4), § 22 Rn. 11 mit weiteren Nachweisen. 31 Siehe etwa v. Hippel (Fn. 7), S. 418; auch die Übersicht über die Strafgründe bei Schönke / Schröder / Eser (Fn. 9), Vor. § 22 Rn. 18.

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Täter dadurch, daß er mit seinem Vorsatz unmittelbar zur realen Tatbestandshandlung ansetzt, mit dem Normbefehl (Verbot) in Konflikt kommt. Ihm ist verboten, z. B. eine Tötungshandlung vorzunehmen. Er gerät daher von dem Augenblick an in Widerspruch zum Verbot, in dem er seinen Tatentschluß durch den Beginn einer wirklichen, nämlich die konkrete Möglichkeit der Tötungsverwirklichung beinhaltende Handlung betätigt. Als Strafgrund des tauglichen Versuchs läßt sich daher angeben, daß der Täter damit, daß er mit der vorsätzlichen Verwirklichung einer objektiv tatbestandsmäßigen Handlung beginnt, bereits gegen die hinter dem betreffenden Tatbestand stehende Norm verstößt. Bei denjenigen Strafrechtsordnungen, in denen wie in der deutschen der Versuch nicht bei allen (vorsätzlichen) Delikten unter Strafe gestellt ist, muß ein vom Gesetzgeber zu entscheidendes Strafbedürfnis eines solchen rechtswidrigen Verhaltens hinzukommen. Von dieser Klarstellung des Strafgrundes her kann auch das für die objektive Seite des tauglichen Versuchs wesentliche „Gefahr“-Element genauer bestimmt werden. Es wurde schon aufgezeigt, daß von „Gefahr“, „Gefährdung“ und „Gefährlichkeit“ die Rede ist, außerdem von der Verwirklichung des objektiven Tatbestands oder vom geschützten Rechtsgut als deren Bezugspunkten. 32 Da es bei der objektiven Seite des tauglichen Versuchs um den materiellen Beginn der tauglichen Ausführungshandlung geht, lautet die klärungsbedürftige Frage, welche Rolle das „Gefahr“-Element insoweit spielt. Ein allgemeines Defizit der Lehrbuch- und Kommentarliteratur sowie erst recht der Judikatur liegt nach wie vor darin, daß sie begrifflich nicht scharf unterscheiden zwischen der konkreten Gefahr, die für ein bestimmtes Objekt besteht, und der konkreten Gefährlichkeit (dem Risiko), die (das) von einem Handeln ausgeht. 33 Hier kann nur letzteres in Rede stehen; denn beim Versuch haben wir es mit der versuchten Verwirklichung einer Handlung zu tun. Ein tauglicher Versuch setzt dementsprechend nicht voraus, daß das Tatobjekt bereits in eine konkrete Gefahrlage geraten ist. So bildet beim konkreten Gefährdungsdelikt erst der tatbestandliche Erfolg, d. h. die Vollendung, den Eintritt einer solchen Gefahrlage, und beim abstrakten fehlt es daran tatbestandlich überhaupt. Auf die Gefährlichkeit (das Risiko) des Handelns muß es um so mehr ankommen, als der Versuchsbeginn zwar objektiv zu bestimmen ist, aber doch auf der 32

Vgl. die Nachweise Fn. 28 – 30 und den dortigen Text. Die Worte „Gefahr“, „Gefährdung“, „Gefährlichkeit“ und „Risiko“ werden weitgehend austauschbar und bezüglich der Unterschiede unreflektiert verwandt. Deshalb findet sich auch weiterhin die überholte Grundeinteilung in konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte, anstatt in Gefährdungs- und (konkrete und abstrakte) Gefährlichkeits-(Risiko)delikte. Im Schrifttum siehe etwa Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 233 f. (aber auch S. 264 Fn. 42); Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 3. Aufl. 1997, § 11 Rn. 135 f.; Wessels / Beulke (Fn. 2), Rn. 27 ff. 33

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Grundlage des individuellen Tatplanes. Es ist also nicht, wie die Objektivisten meinten, losgelöst vom Täter zu entscheiden, ob das von ihm objektiv Realisierte eine „Gefahr“ der Tatbestandsverwirklichung darstellt. Vielmehr ist bei der Bestimmung des Versuchsbeginns immer zu berücksichtigen, wie die Tat ausgeführt werden soll. So ist beispielsweise für die objektive Bestimmung des Versuchsbeginns erheblich, ob der Täter die Betätigung einer von ihm installierten Brandstiftungsanlage einem gutgläubigen Tatmittler überlassen oder sie später selbst einschalten will. 34 Daß es sich so verhält, liegt – unabhängig von gesetzlichen Vorgaben – daran, daß die Gefährlichkeit (das Risiko) des Handelns aus der Sicht ex ante zu bestimmen ist. 35 Es kommt auf das ex ante-Urteil eines verständigen Dritten an, der sich im Zeitpunkt des Anfangs der Entschlußbetätigung an der Stelle des Handelnden befindet und von dessen Tatplan ausgeht. Ausschlaggebend ist also, ob nach der Einschätzung der an die Stelle des Täters gedachten objektiven Maßstabperson, die den Tatplan kennt, die Verwirklichung (Vollendung) der intendierten tatbestandsmäßigen Handlung konkret möglich ist. Präzisiert man in der vorbezeichneten Weise das von der herrschenden Meinung herangezogene „Gefahr“-Erfordernis, so gewinnt die objektive Seite des tauglichen Versuchs als Handlungsbeginn deutliche Konturen. Eine Handlung, sei es eine Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungshandlung, aber auch jede außerrechtliche Handlung, vermag nicht früher zu beginnen als damit, daß der Handlungswille sich in einem betätigten objektiven Verwirklichungsrisiko umzusetzen beginnt. 36 Solange ein Verhalten objektiv kein Risiko der Realisierung des Willensinhalts, z. B. der Herbeiführung eines Todeserfolges, aufweist, liegt noch kein Beginn der betreffenden Handlung vor. Es ist objektiv nichts da, was aus der ex ante-Sicht in Richtung auf einen Todeserfolg verläuft. Übrigens bestätigt auch die heute verbreitete Lehre von der objektiven Zurechnung die konstitutive Bedeutung des Gefährlichkeitsgesichtspunkts. 37 Zu beachten ist bei alledem, daß wir es bei dem Gefährlichkeits-(Risiko-)Kriterium mit einem notwendigen und zentralen Erfordernis des Vorliegens einer realen Willensbetätigung zu tun haben, aber – wie die Diskussion bestätigt – auch noch zusätzliche Gesichtspunkte für den unmittelbaren materiellen Beginn der intendierten Handlung eine Rolle spielen. Das Täterverhalten kann nämlich schon 34

Beispiel nach Welzel (Fn. 9), S. 191. Näher dazu Hirsch, Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 548 ff., 557 ff., und ders., Ksiega ku czci Kazimierza Buchaly, 1994, S. 151, 154 ff.; Zieschang (Fn. 15), S. 52 ff. 36 Näher Gallas, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 155, 159 f. („reale Chance“); Hirsch, Festschrift für Lenckner, 1998, S. 119, 134 f.; Zieschang (Fn. 15), S. 140 f. 37 Unter den objektiven Zurechnungserfordernissen wird die „Risikoschaffung“ genannt; vgl. Roxin (Fn. 34), Allgemeiner Teil I, § 11 Rn. 47 ff.; dazu auch Hirsch, Festschrift für Lenckner, S. 134, 142 mit Fn. 66. 35

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im Vorbereitungsstadium das Risiko zeigen, auf die künftige Tatbestandsverwirklichung hinauszulaufen. 38 Das ist für das Thema dieser Untersuchung aber kein lösungsrelevanter Punkt. 3. Was folgt aus den vorhergehenden Überlegungen zum tauglichen Versuch nun für die Fälle des untauglichen? Als erstes ist festzustellen, daß diese Unterscheidung gar nicht das ausschlaggebende Gegensatzpaar darstellt. Wenn es, wie sich gezeigt hat, beim tauglichen Versuch auf die ex ante-Sicht ankommt, dann ist es ohne Bedeutung, ob Tatobjekt und Tatmittel aus der Sicht ex post von vornherein untauglich waren. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die Dinge vom Standpunkt ex ante für eine an Stelle des Täters befindliche verständige Maßstabperson darstellen. Würde auch diese zu der Vorstellung gelangen, daß die Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Handlung eine realistische Möglichkeit ist, also die (ex ante zu bestimmende) konkrete Gefährlichkeit des Verhaltens bejahen, dann kommt ein Beginn der betreffenden Handlung und damit ein Versuch in Betracht. Schießt jemand mit Tötungsvorsatz auf das Bett des vorgesehenen Opfers, indem dieses zu dem Zeitpunkt zu erwarten ist, sich aber vom Standort des Täters unerkennbar nicht befindet, liegt beispielsweise in ein bezug auf eine Tötung konkret gefährliches Verhalten vor. Ebenfalls ist dies gegeben, wenn der Täter zu Tötungszwecken einen Sprengsatz an einem parkenden PKW anbringt, ohne ahnen zu können, daß der Fahrer soeben verstorben ist. Gefährlichkeit liegt auch vor, wenn jemand eine möglicherweise geladene Waffe einsetzt, die sich hinterher als ungeladen erweist. Umgekehrt fehlt es an der Gefährlichkeit hinsichtlich des Eintritts eines Todeserfolgs, wenn jemand zu Tötungszwecken eine Dosis Schlaftabletten verabfolgt, die, wie jedem verständigen Beobachter erkennbar, zu gering ist. Ebenso liegt keine Gefährlichkeit vor, wenn jemand einen Schrotschuß auf ein Objekt abgibt, das für einen solchen eindeutig und offensichtlich außerhalb der Reichweite liegt. So verhält es sich auch in dem Fall, daß ein besonders schlecht sehender Täter einen anderen zu erschießen meint, es sich jedoch um eine für jeden Normalsichtigen als solche leicht zu erkennende Pappfigur handelt. 39 Ohnehin ist die bisherige Gegenüberstellung von tauglichem und untauglichem Versuch mit der Hyphothek belastet, das von einer konsequenten ex-post-Betrachtung aus, wie sie beim untauglichen Versuch praktiziert wird, dann eigentlich auch die Fälle des tauglichen Versuchs zu untauglichen werden müßten. Ex-post gesehen liegen alle Fakten zutage, so daß ein das vorgesehene Opfer infolge schlechten Zielens verfehlender Schuß ebenfalls einen untauglichen Versuch ergeben würde. 38 Zu den Erfordernissen des unmittelbaren Ansetzen beim Versuch näher Schönke / Schröder / Eser (Fn. 10), § 22 Rn. 42 mit weiteren Nachweisen. 39 Vgl. zu den Beispielen auch v. Hippel (Fn. 7), S. 429, zum letztgenannten Fall siehe Roxin (Fn. 11), Allgemeiner Teil II, § 29 Rn. 12.

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Auch vom Ergebnis her ist es angemessen, die Fälle des untauglichen, aber gefährlichen Versuchs nicht von denen des tauglichen Versuchs zu unterscheiden. Es bedeutet wertungsmäßig keine relevante Verschiedenheit, ob jemand seinen Tötungsvorsatz nicht realisieren kann, weil er ein taugliches Tatmittel schlecht einsetzt oder weil er ein auch nach Einschätzung eines verständigen Dritten konkret geeignetes, tatsächlich aber untaugliches Tatmittel verwendet. Die Fälle des gefährlichen untauglichen Versuchs unterscheiden sich also unter dogmatischen Gesichtspunkten nicht von denen des tauglichen Versuchs. Sie leiten sich aus demselben Strafgrund ab. 40 V. Den eigentlichen Problemkreis bilden mithin die Fälle des ungefährlichen „untauglichen Versuchs“, d. h. diejenigen Sachverhalte, bei denen der Vorsatz mit einem Verhalten betätigt wird, das aus der Sicht ex post von vornherein nicht zur Tatbestandsverwirklichung führen kann und dem auch aus der objektivierten ex ante-Sicht kein derartiges Risiko anhaftet. Für sie wird bedeutsam, was die herrschende Meinung allgemein – also auch für die im vorhergehenden behandelten Fälle – als Strafgrund des Versuchs angibt: die in der Betätigung eines verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens liegende Gefahr für die Gesamtrechtsordnung (nach der oben abgelehnten Eindruckstheorie modifiziert durch den rechtserschütternden Eindruck bei der Bevölkerung). 41 Schon Lange und Gallas hatten darauf hingewiesen, daß der in Deutschland gemeinhin angenommene Umfang des Versuchsbegriffs an zwei verschiedene Strafgründe anknüpft. 42 Auch Roxin spricht jetzt von zwei unterschiedlichen Strafgründen: der tatbestandsnahen „Gefährdung“ und dem „rechtserschütternden Normbruch“. 43 Dabei wird allerdings die Unterscheidung noch auf die herkömm40 Das Begriffspaar „gefährlicher-ungefährlicher Versuch“ ist nicht identisch mit der frühreren Unterscheidung von „relativ“ und „absolut“ untauglichem Versuch. Auch ein „absolut“ untauglicher Versuch, zum Beispiel bei einem bereits toten Opfer (vgl. das obige Beispiel), kann sich aus der Sicht ex ante als gefährlicher Versuch darstellen. Dazu bereits v. Hippel (Fn. 7), S. 429, – Gegenüber der Lehre vom Mangel am Tatbestand ergeben sich Unterschiede daraus, daß bei sogenannten Mängeln am Tatbestand (beispielsweise der Fremdheit der Sache) Gefährlichkeit des Handels gegeben, dagegen bei angeblich keinem solchen Mangel (namentlich dem Erfolg) fehlen kann. Jene Lehre ist vor allem daran gescheitert, daß sie unbeachtet läßt, daß alle Deliktsmerkmale, ob Erfolg oder andere tatbestandlich gleich notwendig und inhaltlich gleich wesentlich sind. 41 Nachweise zur h.M. oben in Fn. 26, 27 und 4. 42 Kohlrausch / Lange (Fn. 30), Vor. § 43 Bem. III. 2. und 3; Gallas, Festschrift für Bockelmann, S. 159. 43 Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 158 ff.; ders. (Fn. 11), Allgemeiner Teil II, § 29 Rn. 9 ff.

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liche Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch bezogen, während es nach dem Ergebnis der obigen Untersuchung um das Gegenüberstehen von gefährlichem und ungefährlichem Versuch geht. Die Vertreter der herrschenden Meinung und der dualistischen Auffassung gehen – möglicherweise durch die bisherige undifferenzierte Erklärung und Behandlung der Fälle des untauglichen Versuchs bedingt – von einem im Grundsätzlichen feststehenden Strafbarkeitsumfang aus und begnügen sich entweder wie die herrschende Meinung (d. h. subjektive Theorie und Eindruckstheorie) mit der Feststellung des gemeinsamen Minimums aller dieser Fälle oder kombinieren verschiedene Strafgründe zu einer „Vereinigungstheorie“. 44 Es erhebt sich jedoch die Frage, ob sich die Fälle des ungefährlichen untauglichen „Versuchs“ denen des echten, nämlich gefährlichen Versuchs überhaupt an die Seite stellen lassen. Der ungefährliche untaugliche Versuch ist völlig sachverschieden von den anderen, da bei ihm gerade kein Beginn der Tatbestandshandlung vorliegt, sondern der Täter sich das nur einbildet. Es geht beim echten Versuch um ein Verhalten, bei dem für jede am Standort des Täters befindliche verständige Person unter Berücksichtigung des Tatplans ein Ansetzen zur konkreten Verwirklichung des jeweiligen Tatbestands deutlich ist, während in den zur Erörterung stehenden Fällen von Anbeginn jedem Vernünftigen klar ist, daß es daran fehlt. Von einem Versuch einer Tötungs-, Körperverletzungs-, Sachbeschädigungshandlung usw. kann daher keine Rede sein. 45 Was vorliegt, ist lediglich ein in bezug auf eine konkrete Tat ungefährlich betätigter Wille, so daß sich allenfalls von einem „unechten“ Versuch sprechen ließe. Auch für radikale Normativisten, welche die Wirklichkeit zur Disposition strafrechtlicher Wertungen stellen wollen, dürften sich deshalb Bedenken erheben, diese Fälle mit unter die für den echten Versuch geltende Vorschrift zu subsumieren. 46 Sach- und Gewichtsverschiedenheit stehen der Gleichstellung entgegen. 47 Es bedürfte daher zumindest einer selbständigen Strafvorschrift unter anderer Bezeichnung und mit erheblich niedrigerer, auch ausschließlich als Vergehen einstufender Strafdrohung. Damit aber tritt die Frage ins Blickfeld, ob die Pönalisierung der betreffenden Fälle überhaupt mit strafrechtlichen Grundprinzipien in Einklang zu bringen ist. Als die objektiven Theorien im Schrifttum noch herrschend waren, ist gegenüber der subjektiven Theorie bereits der Einwand erhoben worden, daß von ihr Gesinnungsstrafrecht betrieben werde. 48 Zu den Grundlagen des deutschen und des 44 Als „Vereinigungstheorie“ bezeichnen Lange (Fn. 42) und Roxin (Fn. 43) ihre Auffassung. 45 So bereits v. Liszt (Fn. 7), S. 199. 46 So fordert Jakobs, ZStW 97 (1985), S. 751, 763 f. (siehe aber auch ders. (Fn. 20), 25, 21 ff.) auch von seiner normativistischen, an Normstabilisierung und Generalprävention ausgerichteten Strafrechtsdogmatik aus eine objektiv restriktive Auffassung. 47 Darauf weist auch Bottke (Fn. 15), S. 141 und 159, hin.

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polnischen Strafrechts – ebenso dem der meisten anderen Staaten – gehört, daß es sich um ein Tatstrafrecht handelt. 49 Der bloße Handlungsentschluß ist noch nicht strafbar: cogitationis poenam nemo patitur (Ulpian). 50 Der böse Wille muß sich vielmehr objektiv ganz oder teilweise verwirklichen. Dies nicht nur, weil der Wille sonst zumeist noch nicht faßbar ist, sondern auch deshalb, weil Moralität nicht durch den Staat erzwungen werden kann. 51 Der entscheidende Punkt bei der zur Erörterung stehenden Problematik ist daher, ob beim ungefährlichen untauglichen „Versuch“, also dem „unechten Versuch“, schon eine dem Tatstrafrecht genügende objektive Umsetzung des bösen Willens vorliegt. Betrachtet man hierzu die Fälle, bei denen der Unterschied zwischen Gesinnungs- und Tatstrafrecht bedeutsam wird, so betreffen sie zumeist die Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen und Versuch. Es handelt sich also regelmäßig um Sachverhalte, bei denen es nicht allein darum geht, was man an bösem Willen in seinem Kopfe bewegt, sondern durchaus um Betätigungen dieses Willens, aber eben um solche, die für eine Straftat noch nicht ausreichend sind. Es werden punktuell jedoch auch Vorbereitungshandlungen pönalisiert. Ist es dann nicht vielleicht auch tatstrafrechtskonform, wenn man die Fälle des „unechten Versuchs“ unter Strafe stellt? Insoweit ist indes zweierlei zu beachten: Erstens geht es auch bei den pönalisierten Vorbereitungshandlungen um Risikofälle. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Gefährlichkeit nicht immer erst im Zeitpunkt des Versuchsbeginns einsetzt. Für die Fälle des „unechten Versuchs“ ist demgegenüber aber charakteristisch, daß ihnen die konkrete Gefährlichkeit fehlt. Zweitens kommt auch nicht der Gedanke in Betracht, daß zwar keine konkrete, aber doch eine abstrakte Gefährlichkeit vorliege. Das Wesen abstrakter Gefährlichkeitsdelikte besteht darin, daß ihnen typischerweise die konkrete Gefährlichkeit eigen ist. Daran mangelt es hier, da der ganzen Gruppe des „unechten Versuchs“ schon von vornherein aus ex ante- und erst recht ex post-Sicht die Möglichkeit fehlt, zur Verwirklichung des jeweiligen Delikts zu führen. Es geht eben bei diesen Sachverhalten lediglich um einen durch eine unrechtsneutrale Handlung betätigten bösen Willen – und das spricht für Gesinnungs- und gegen Tatstrafrecht. 52 48 So schon Kohlrausch, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, 1926, S. 3, 27 f.; v. Hippel (Fn. 7), S. 424; Mezger (Fn. 3), S. 391. 49 Jescheck / Weigend (Fn. 5), S. 54 f.; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB, 26. Aufl. 1997, Vor § 13 Rn. 3 und 105; Roxin (Fn. 33), § 6 Rn. 13; heute allg. Auffassung. Dies läßt lediglich unberührt, daß bei den Rechtsfolgen auch täterstrafrechtliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. 50 Ulpian I, 18 D, 48, 19. 51 Vgl. Welzel (Fn. 9), S. 187. 52 Daß es sich um ein Gesinnungsstrafrecht handele, ist nicht nur im älteren Schrifttum (vgl. Fn. 48), sondern von einigen Autoren auch in späterer Zeit vorgebracht worden. So von Spendel, ZStW 65 (1953), S. 518, 522 f.; ders. NJW 1965, 1881, 1883; ders. Festschrift für Stock, S. 92. Aber auch Lange hat die subjektive Theorie der Rechtsprechung als

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Man hat die subjektive Theorie damit begründet, daß die in der Betätigung des verbrecherischen („rechtsfeindlichen“) Willens liegende Auflehnung eine Gefahr für die rechtlich geschützte Ordnung bedeute. 53 Betrachtet man diese Begründung genauer, geht es bei ihr aber nicht um die konkrete Tat, sondern um den Täter. Es handelt sich nicht darum, den Unrechtsgehalt der begangenen konkreten Tat zu ahnden, sondern um den künftigen Schutz vor einer Person, die keine Bedenken gezeigt hat, ihren bösen Willen – wenngleich entgegen ihrer Vorstellung objektiv ungeeignet – zu betätigen. Sehr deutlich fand das auch bei Lange Ausdruck, der für die von ihm vertretene dualistische Auffassung („Vereinigungstheorie“) auf die Fälle der Gefährlichkeit der Tat einerseits und die der Gefährlichkeit des Täters andererseits hinweist. 54 Als Strafgrund allein auf die Gefährlichkeit einer Person abzustellen, läuft aber auf einen Wechsel vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht hinaus. Ein Tatstrafrecht setzt immer eine zu ahndende Tat voraus. In neuerer Zeit taucht als Begründung für eine Strafbarkeit auch der oben schon im Zusammenhang mit der Eindruckstheorie angeklungene „rechtserschütternde Normbruch“ auf, der im Falle, daß die Betätigung des verbrecherischen Willens zu ihm geeignet ist, die Strafbarkeitsgrenze markieren soll. 55 Es wurde bei der Kritik der Eindruckstheorie aber bereits darauf hingewiesen, daß der Gesichtspunkt der „Rechtserschütterung“ wenig für die Lösung strafrechtsdogmatischer Einzelprobleme hergibt. Er stellt ein inhaltlich sehr unbestimmtes Kriterium dar: wohl doch nur eine Leerformel. Darüber hinaus geht es bei der Eignung zur Rechtserschütterung nicht um Tatmerkmale, sondern um eine Auswirkung, die das Vorhandensein einer dem Tatstrafrecht genügenden Straftat bereits zu Voraussetzung hat. Das aber ist aus den aufgezeigten Gründen bei einer unrechtsindifferenten Willensbetätigung nicht der Fall. Es liegt hier überhaupt noch kein Bruch einer Norm und schon gar nicht der den Versuch untersagenden Norm vor. Der Bürger gerät mit einem Verbot nicht bereits dadurch in Konflikt, daß er seinen Tatentschluß durch irgendein Verhalten betätigt, sondern damit, daß er ihn in den (materiellen) Beginn der objektiven Ausführungshandlung umsetzt. Die Aufstellung des Kriteriums des „einen Fremdkörper aus dem Bereich des Gesinnungsstrafrechts“ bezeichnet ([Fn. 30] Vor § 43 Bem. III. 2.). Er meinte jedoch, die von ihm vertretene „Vereinigungstheorie“ lasse sich halten, weil sie parallel zu Gefährlichkeit der Tat beim tauglichen Versuch auf die Gefährlichkeit des Täters beim untauglichen Versuch abstellt. Damit kommt er beim untauglichen Versuch aber auf Täterstrafrecht ab (siehe auch oben die weiteren Ausführungen), was ebenfalls nicht mit dem Tatstrafrecht vereinbar wäre. Auch Eser sieht den Strafgrund der subjektiven Theorie in der rechtsfeindlichen „Gesinnung“ ([Fn. 19], Vor § 22 Rn. 21). Roxin will dagegen in der h.M. kein Gesinnungsstrafrecht sehen. ([Fn. 11], Allgemeiner Teil II, § 29 Rn. 18). Gegen eine solche Ansicht näher Hirsch, Festschrift für Roxin, S. 722 f. 53 Siehe Fn. 26. 54 In Kohlrausch / Lange (Fn. 30), Vor. § 43 Fn. III. 2. und 3. 55 Roxin, Festschrift für Nishihara, S. 158 ff.; ders. (Fn. 11), Allgemeiner Teil II § 29 Rn. 10 ff., 23.

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„rechtserschütternden Normbruchs“ weist daher zwar begrüßenswerterweise in eine einschränkende Richtung – und wahrscheinlich sind die damit angestrebten Ergebnisse nicht weit von denen der hier entwickelten systematischen Lösung entfernt –, aber sie löst sich noch zu wenig von der herkömmlichen Betrachtung des untauglichen Versuchs und greift auf zu allgemein gehaltene Kriterien zurück. Strafeinschränkenden Konzepten wird in der strafrechtlichen Diskussion insbesondere von Praktikerseite leicht entgegengehalten, daß ein praktisches Bedürfnis für die Beibehaltung des bisher bejahten Strafbarkeitsumfangs bestehe. Demgegenüber ist jedoch noch einmal darauf hinzuweisen, daß diejenigen Staaten Europas und der Welt, in denen die subjektive Versuchstheorie, wie sie die deutsche Rechtsprechung vertritt, praktiziert wird, eine Minderheit bilden. Auch ist diese Theorie durch den starken Einfluß einer einzelnen Richterpersönlichkeit in die deutsche Judikatur gelangt: nämlich durch v. Buri. 56 Dessen subjektivistische Lösungsansätze haben bekanntlich auch in der Teilnahmelehre negative Spuren in der Rechtsprechung hinterlassen. Außerdem scheint man bei uns noch immer zu wenig zwischen strafrechtlichen und nur moralischen Anforderungen abzustufen. Das beklagte mit dem Blick auf die subjektive Versuchstheorie der Rechtsprechung bereits Robert v. Hippel. 57 Hinzu kommt, daß der noch ungebremste Siegeszug der Präventionstheorien in rechtsstaatlich bedenklicher Weise den Blick zunehmend von der Tat einseitig auf die Person verlagert und damit einer ausufernden Pönalisierung des Vorfeldes der Rechtsgutsverletzung den Weg ebnet. 58 Auch haben Mißdeutungen des Begriffs des Handlungsunwertes den Eindruck entstehen lassen, dieser beziehe seinen Unrechtsgehalt einseitig aus dem Subjektiven, im Unterschied zum an der objektiven Tatseite ausgerichteten Erfolgsunwert (Sachverhaltsunwert). 59 Ebenso aber, wie zum Handlungsbegriff eine objektive und eine subjektive Seite gehören, verhält es sich konsequenterweise auch mit dem Handlungsunwert. Und ebenso, wie die objektive Seite der Handlung erst mit dem objektiven Anfang der intendierten Verwirklichung der objektiven Merkmale beginnt, mithin jedenfalls der Tätigkeitsakt das (ex ante-)Risiko der Handlungsverwirklichung aufweisen muß, 56 Vgl. Nachweise zu dessen Schriften oben in Fn. 3 und näher die Kritik bei v. Hippel. (Fn. 7), S. 420 ff.; v. Buri war durch die Äquivalenztheorie zur subjektiven Versuchstheorie gelangt. Treffend heißt es dazu bei Mezger (Fn. 3), S. 391: „Die vermeindlich scharfsinnige, in Wahrheit irrende Logik von Buris ist ihr (d. h. der Rechtsprechung) nicht zum Heile geworden.“ 57 v. Hippel (Fn. 7), S. 422. Siehe auch schon Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen für Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 4. Aufl., S. 304 Fn. 6. 58 Kritisch dazu vor allem die Frankfurter Richtung. Vgl. für diese namentlich Hassemer, JuS 1987, S. 257 ff.; ders., Neue Kriminalpolitik, 1989, S. 47 ff.; ders., ZRP 1992, S. 378 ff. Siehe zur Problematik auch Hirsch, in: Hirsch / Hofmanski / Plywaczewski / Roxin, Prawo karne i proces karny wobec nowych form i technik przestepczosci, 1997, S. 37, 38 ff. 59 Zu diesen Mißdeutungen des Handlungsunwerts als „Intentionsunwert“ näher kritisch: Gallas, Festschrift für Bockelmann, S. 157 ff.; Hirsch, ZStW 94 (1982), S. 239, 240 ff.; ders., Gedächtnisschrift für Meurer, 2002, S. 3 ff.

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ist folglich auch zum Handlungsunwert ein derartiges Risiko erforderlich. 60 Schon Gallas hat darauf hingewiesen, daß die demgegenüber von Teilen des Schrifttums vertretene Auffassung, darauf komme es nicht an, den Handlungsunwert auf einen bloßen Gesinnungsunwert reduziert. 61 Im übrigen ist noch einmal zu betonen, daß es bei den auszugrenzenden Fällen allein um die des ungefährlichen „untauglichen Versuchs“ geht. 62 Daß die subjektive Theorie sich derart lange halten konnte, hängt auch mit der mangelnden Differenzierung von Gefahr- und Gefährlichkeit, also von Gefahr und Risiko, zusammen, aus der sich der fälschliche Eindruck ergab, daß die einen objektiven Unrechtsgehalt verlangende Meinung eine Gefahrlage für ein durch den Tatbestand geschütztes existentes Objekt fordern müsse. 63 Außerdem scheint bei dem Bild, das man sich von einer objektiven Versuchsauffassung macht, die an sich seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts überwundene ältere objektive Theorie nachzuwirken, die alle Fälle des aus der ex post-Sicht absolut untauglichen Versuchs ausscheiden wollte. 64 Erkennt man demgegenüber, daß es auf die aus der ex ante-Sicht zu bestimmende Gefährlichkeit des Tätigkeitsakts ankommt, dann hält sich der Kreis der aus der Versuchsstrafbarkeit herausfallenden Sachverhalte durchaus im Rahmen. Denn das ex ante-Urteil des verständigen Dritten wird, wie man es auch entsprechend bei der Voraussehbarkeit beim fahrlässigen Delikt beobachten kann, zumeist mit dem des Handelnden übereinstimmen. 65 Ferner ist für das deutsche Recht darauf hinzuweisen, daß Fälle groben Unverstands des Handelnden ohnedies schon bisher infolge § 23 Abs. 3, 2. Alt. dtsch. StGB praktisch zumeist nicht angeklagt werden, weil § 153b dtsch. StPO bei zu erwartendem Absehen von Strafe, also eines Schuldausspruchs ohne Strafausspruch, die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung vorsieht. 60

Vgl. Gallas, a. a. O., S. 159 f.; Hirsch, a. a. O., S. 7 ff. Gallas, a. a. O., S. 160 f. – Herzberg (GA 2001, S. 265) meint allerdings, daß die subjektive Versuchstheorie durchaus einen konkreten Gefahrbezug aufweise. Die Tätervorstellung diene als „Indiz für die wirkliche Gefahr der Tatbestandserfüllung“. Er beruft sich also auf eine unwiderlegliche Gefahrvermutung. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, daß im Strafrecht nur begangene Taten bestraft werden und sich lediglich vermutete nicht als begangen einstufen lassen. Darüber hinaus fragt man sich, wieso auch in den Fällen bestraft werden soll, in denen die „normalerweise“ gegebene konkrete Gefährlichkeit zu verneinen ist. 62 Dies gerät in der Diskussion auch in neuerer Zeit sehr oft aus dem Blick, wenn undifferenziert diskutiert wird, ob der untaugliche Versuch strafbar sein soll. Siehe etwa Herzberg, GA 2001, S. 257, 259, 263, passim. und Bottke, Wissenschaftsfestgabe für BGH, Bd. IV. S. 135, 141 ff., 159. 63 Auf dieses Mißverständnis hatte schon v. Hippel (Fn. 7), S. 418 f., 427 hingewiesen. 64 Zu dieser auf Feuerbach zurückgehenden Theorie siehe die historischen Angaben bei Welzel (Fn. 9), S. 192. 65 Darauf weist bereits Zieschang (Fn. 15), S. 161 f. hin. Zu den von Herzberg (GA 2001, S. 257, 260 f., 265) genannten Beispielen angeblicher Strafbarkeitslücken siehe die Kritik bei Hirsch, Gedächtnisschrift für Vogler, Abschnitt V 1 bei Fn. 29 –31. 61

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Entgegen in der Literatur vereinzelt geäußerter Bedenken 66 ist das Erfordernis der konkreten Gefährlichkeit auch bestimmbar und damit praktikabel. Bekanntlich sind im Strafrecht auch sonst zahlreiche auf ex ante-Sicht abstellende Gefährlichkeitsurteile anerkannt. An erster Stelle ist der „taugliche“ Versuch zu nennen. Es geht bei der Tauglichkeit um die Gefährlichkeit aus der Sicht ex ante, denn ex post gesehen wären solche Handlungen untauglich. Die Gefährlichkeit bildet zudem, wie bereits aufgezeigt, ein Kriterium bei der Bestimmung des unmittelbaren Ansetzens zur Tat. Ebenfalls spielt sie bei der heute verbreiteten Lehre von der objektiven Zurechnung schon per definitionem eine Rolle. Auch ergeben sich keine besonderen Probleme bezüglich des bei der Maßstabperson der Prognose vorauszusetzenden Informationsstandes. Insoweit läßt sich vielmehr auf die Anforderungen verweisen, die in Rechtsprechung und Schrifttum bereits in anderen Zusammenhängen für den verständigen Dritten bei Prognoseurteilen, welche die Gefährlichkeit (das Risiko) eines Verhaltens betreffen, gelten. Ausschlaggebend ist danach ein gedachter verständiger Beobachter aus dem „Verkehrskreis“ des Handelnden. Es geht hier also darum, wie dieser in Kenntnis des Willensinhalts und auch eines etwaigen Sonderwissens des Handelnden die Möglichkeit der Realisierung eingeschätzt hätte. 67 Zusammenfassend läßt sich daher feststellen, daß die im vorhergehenden angestellten Überlegungen zu dem Ergebnis führen: Es ist sachlich nicht zwischen tauglichem und untauglichem Versuch, sondern zwischen gefährlichem und ungefährlichem Versuch zu unterscheiden. Hierfür kann man auch das Begriffspaar echter und unechter Versuch verwenden. Unter den echten gehören neben dem herkömmlichen tauglichen Versuch auch diejenigen Fälle des herkömmlichen untauglichen, bei denen die Betätigung des Tatentschlusses in einem (aus ex anteSicht) in bezug auf die Tatbestandsverwirklichung objektiv gefährlichen Verhalten besteht. Beim unechten „Versuch“, also den auch aus ex ante-Sicht objektiv ungefährlichen Entschlußbetätigungen, handelt es sich dagegen um ein Aliud nach Art und Gewicht, weshalb er vom echten Versuch scharf zu trennen ist und auch nicht als Deliktsversuch etikettiert und eingeordnet werden darf. Für den Versuch gibt es nur einen Strafgrund, nämlich den für den echten Versuch. Die Fälle des unechten „Versuchs“ gehören überhaupt nicht ins Strafrecht, weil ihre Pönalisierung auf ein Gesinnungsstrafrecht hinausläuft, also mit dem geltenden Tatstrafrecht unvereinbar ist. 68 Da sich die Einordnung der Versuchstheorien als subjektive oder objektive üblicherweise danach richtet, ob hinsichtlich der Fälle des „untauglichen Versuchs“ ein objektiv unrechtsneutraler Betätigungsakt genügt oder ob dieser ein konkretes „Gefahr“-Element aufzuweisen hat, 69 läßt die im vorhergehenden dargestellte 66 67 68

Herzberg, GA 2001, S. 261, der an der subjektiven Theorie festhalten will (S. 157 ff.). Dazu näher Hirsch, Gedächtnisschrift für Vogler, Abschnitt V 1 bei Fn. 32 –39. Vgl. die Nachweise oben in Fn. 15.

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Auffassung sich der auf v. Liszt und Robert v. Hippel zurückgehenden „neueren objektiven Theorie“, von letzterem auch als „Gefährlichkeitstheorie“ bezeichnet, zuordnen. 70 Im Hinblick darauf, daß die hier vertretene Versuchsauffassung nicht beim Strafgrund von einer Alternative zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ ausgeht, sondern beide Ebenen, d. h. die subjektive und die objektive Seite des Versuchs, zu einem normbezogenen Strafgrund zusammenzieht, ließe sich bei einer genaueren, sachausgerichteten Terminologie auch von „echter subjektivobjektiver Theorie“ sprechen. 71 VI. Inwieweit läßt sich nun das Resultat der vorhergehenden Erörterung für die bestehenden deutschen und polnischen Versuchsvorschriften fruchtbar machen? Betrachtet man auschließlich den Art. 13 § 1 poln. StGB und den § 22 dtsch. StGB, bereitet es keine Probleme, sie restriktiv dahingehend auszulegen, daß eine vom Standort des Handelnden aus als konkret gefährlich einzuschätzende Handlung vorliegen muß. Denn ohne das Bewirken eines solchen Risikos ist der Beginn einer Tötungs-, Körperverletzungs-, Sachbeschädigungshandlung etc. nicht denkbar und ein Versuch daher nicht gegeben. Auch das den beiden Strafgesetzbüchern zugrunde liegende Prinzip des Tatstrafrechts fordert eine derartige Einschränkung. 72 Die eigentliche Frage ist hier deshalb die, ob Art. 13 § 2 und Art. 14 im polnischen Strafrecht und § 23 Abs. 3 im deutschen Strafrecht de lege lata einer solchen Auslegung entgegenstehen und deshalb nur de lege ferenda eine Änderung möglich ist. Was Art. 13 § 2 poln. StGB betrifft, läßt aber auch er sich einschränkend auslegen. Aus den gleichen Erwägungen wie bei Art. 13 § I kann man ihn so interpretieren, daß eine vom Standort des Handelnden als konkret gefährlich 69 Vgl. v. Liszt (Fn. 7), S. 199 f.; v. Hippel (Fn. 7), S. 417 ff., 425 ff. Zur Unterscheidung zwischen „älterer“ (die Gefahr vom Standpunkt ex post bestimmender) objektiver Theorie und „neuerer“ (von der aus der Sicht ex ante zu bestimmenden Gefährlichkeit ausgehender) objektiver Theorie siehe auch die Darstellung bei Welzel (Fn. 4), S. 192 und Maurach / Gössel (Fn. 10), § 40 Rn. 132 ff. Zur Bezeichnung „Gefährlichkeitstheorie“ für die neuere Auffassung der Rechtsprechung und deren Anhänger siehe v. Hippel (Fn. 7), S. 425. 70 Die sich aber von der heute in Teilen des Schrifttums als „gemischt-subjektiv-objektive“ Theorie bezeichneten Auffassung (vgl. oben in Fn. 2) in objektiver Hinsicht grundsätzlich unterscheidet, weshalb im Text von „echter“ subjektiv-objektiver Theorie gesprochen wird. 71 So bereits Hirsch, Festschrift für Roxin, S. 717 und 726. 72 Zur Auslegbarkeit des § 22 dtsch. StGB (Text siehe oben II 1) im dargelegten Sinne noch näher Hirsch, Gedächtnisschrift für Vogler, Abschnitt IV bei Fn. 15 –18.

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einzuschätzende Handlung vorliegen muß. Es geht bei dieser Auslegung ja nicht darum, daß im Widerspruch zu Art. 13 § 2 die Fälle des sogenannten untauglichen Versuchs ganz ausgegrenzt werden sollen. Es handelt sich vielmehr nur darum, die ex ante ungefährlichen Handlungen auszuscheiden. Ebenfalls steht Art. 14 poln. StGB nicht entgegen. Er setzt das Vorliegen der Versuchsmerkmale voraus, und ihm verbleibt auch bei dem engeren Versuchsbegriff ein Anwendungsbereich, nämlich die Eröffnung einer Milderungsmöglichkeit für Fälle geringen Unrechts. Er betrifft Versuchsfälle, bei denen zwar begriffsnotwendig die ex ante gesehene Gefährlichkeit besteht, die konkrete Tat aber unter Berücksichtigung der absoluten Untauglichkeit von Objekt oder Mittel als nur leichtes Unrecht erscheint. Etwas schwieriger liegen die Dinge bei § 23 Abs. 3 dtsch.StGB, 73 weil hier für Fälle „groben Unverstands“ nur eine Rechtsfolgenprivilegierung vorgesehen ist, obwohl in solchen Fällen schon gar nicht von gefährlichem Handeln, wie es ein Versuch voraussetzt, gesprochen werden kann. Man hat indes zu beachten, daß es dem deutschen Gesetzgeber nicht darauf ankam, die im Zeitpunkt der Schaffung dieser Vorschrift, nämlich 1975, herrschende subjektive Versuchstheorie zu zementieren. Es ging, wie eingangs schon erwähnt, vielmehr darum, durch ein „Notventil“ den ärgsten Konsequenzen dieser Theorie vorzubeugen, also bereits um eine restriktive Tendenz. Sobald die wissenschaftliche Entwicklung zu dem Ergebnis führt, daß in den betreffenden Fällen begrifflich schon gar kein Versuch vorliegt, widerspricht es daher nicht der ratio legis, den § 23 Abs. 3 dtsch. StGB als unnötige und deshalb leer laufende Vorschrift zu behandeln. 74 Eigentlich hätten schon die Vertreter der Eindruckstheorie zu dieser Auffassung gelangen müssen, da bei „grobem Unverstand“ auch von ihnen konsequenterweise bereits der Tatbestand eines Versuchs zu verneinen wäre, denn solche Fälle haben schwerlich einen rechtserschütternden oder rechtsfriedensstörenden Charakter. Das Festhalten an der bloßen Rechtsfolgenprivilegierung nach § 23 Abs. 3 dtsch. StGB paßt mit dem Anspruch der Eindruckstheorie, eine Versuchstheorie zu sein, nicht zusammen. 75 Diejenigen Autoren, die der Gefährlichkeitstheorie zwar sachliche Richtigkeit zubilligen, aber de lege lata durch § 23 Abs. 3 dtsch. StGB deren Anwendung als blockiert ansehen, 76 geraten in einen bedenklichen Konflitkt. Sie lassen es zu, daß Personen weiterhin als Täter eines versuchten Mordes, Totschlages, Raubes etc. bestraft oder zumindest tatbestandlich stigmatisiert werden, obwohl mangels 73

Text der Vorschrift oben in Fn. 1. Zieschang (Fn. 15), S. 149 f.; Hirsch, Festschrift für Roxin, S. 715 f. Anders jedoch insbesondere Roxin (Fn. 11); Hillenkamp (Fn. 4), Vor § 22 Rn. 92, § 23 Fn. 75, der zudem den Unterschied zwischen gefährlichem und ungefährlichem Verhalten verkennt; Tröndle / Fischer (Fn. 4), § 22 Rn. 42, § 23 Rn. 6. 75 Das betont auch Herzberg, GA 2001, S. 266 f. 76 So Köhler (Fn. 15), S. 456 f., 462 ff.; Roxin (Fn. 11), Allgemeiner Teil II, § 29 Rn. 13 ff., 23 f. Siehe auch Hillenkamp (Fn. 4), Vor § 22 Rn. 92. 74

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konkret gefährlicher Handlung gar kein solches Delikt vorliegt. Hält man den § 23 Abs. 3 dtsch. StGB entgegen der im vorhergehenden vertretenen Auffassung für unüberwindlich, hätte man ihn daher wenigstens in der Weise zu handhaben, daß eine Bestrafung jener Fälle unterbleibt: Man könnte in der Vorschrift unter „groben Unverstand“ alle Fälle konkreter Ungefährlichkeit subsumieren und die Rechtsfolge des Absehens von Strafe – in Verbindung mit der für diese vorgesehenen verfahrensrechtlichen Opportunitätseinstellung nach § 153b dtsch. StPO - 77 als normalerweise eingreifende Rechtsfolge fordern. Nicht zuletzt ist an die Frage der Verfassungsmäßigkeit zu denken. Die Sachverschiedenheit und die Gewichtsdifferenz zwischen echtem Versuch und konkret ungefährlichen Fällen ist dermaßen groß, daß es eigentlich dem verfassungsrechtlich-rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit widersprechen dürfte, wenn das Gesetz tatbestandlich keinen Unterschied machen würde. 78 VII. Man wird jedoch kaum damit rechnen können, daß die Rechtsprechung in Polen und Deutschland sich unter dem Eindruck der Argumente in absehbarer Zeit von der subjektiven Versuchstheorie abwendet. Dazu hat sie sich im Laufe der Jahrzehnte zu sehr verfestigt. Die wissenschaftlich seit langem widerlegte subjektive Teilnahmetheorie bildet in der deutschen Judikatur ein Beispiel dafür, wie schwer es den Gerichten fällt, den Dispositionsspielraum, den eine subjektive Theorie nun einmal bietet, prinzipiell aufzugeben. Auch kommen der subjektiven Versuchstheorie präventive und moralische Sichtweisen entgegen. Im gegenwärtigen Zeitpunkt genügt es aber schon, wenn in Forschung und Lehre das von mir behandelte Thema stärker in den Blick gerückt und die Bedenken, die gegenüber der subjektiven Theorie bestehen, sei sie auch modifiziert durch die Eindruckstheorie oder eine Vereinigungstheorie, gesehen werden. 79

77 Zur Rechtsfolge des Absehens von Strafe und zu § 153b dtsch. StPO siehe schon oben den Text hinter Fn. 65. 78 Auf Verfassungswidrigkeit wird bereits hingewiesen von Bottke, Wissenschaftsfestgabe für BGH, Band IV, S. 142 und 161. Er nimmt dabei allerdings noch undifferenziert den gesamten Bereich des bisherigen untauglichen Versuchs in den Blick. 79 Dabei sind auch die sachentsprechenderen Lösungen und Erklärungen, die sich von der Gefährlichkeitstheorie aus hinsichtlich des Versuchs bei Unterlassungsdelikten, der Fälle der Untauglichkeit des Subjekts und des sogenannten „abergläubischen Versuchs“ ergeben, zu beachten. Vgl. zu diesen Hirsch, Festschrift für Roxin, S. 727 f.; ders., Gedächtnisschrift für Vogler, Abschnitt VI.

Der dogmatische Teil der deutschen Reform von 1975 aus heutiger Sicht und der türkische Entwurf von 1997 2001 I. Bei den Vorarbeiten zur deutschen Reform des Allgemeinen Teils ist viel Energie und Zeit auf die dogmatischen Fragen verwandt worden. Das hing einmal damit zusammen, daß die deutsche Strafrechtswissenschaft seit langem in der Dogmatik ihr Hauptbetätigungsfeld sah. Außerdem fielen die Beratungen des Entwurfs 1962, der sich in den dogmatischen Regelungen des neuen Allgemeinen Teils von 1975 vor allem niedergeschlagen hat, in eine Zeit, zu der die dogmatische Diskussion einen alles andere weitgehend verdrängenden Höhepunkt erreichte. Der deutsche Reformgesetzgeber war sich gleichwohl bewußt, daß die gesetzliche Festschreibung von dogmatischen Lösungen voreilig sein und die weitere wissenschaftliche Entwicklung blockieren könnte. Aus diesem Grunde sind insbesondere eine Definition von Vorsatz und Fahrlässigkeit, eine Aufzählung der Garantenstellungen beim unechten Unterlassungsdelikt, eine allgemeine Vertypung der Einwilligung und eine Regelung des Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt unterblieben. Auch hat man darauf verzichtet, Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldformen zu bezeichnen, da diese herkömmliche Einordnung inzwischen ins Wanken geraten war. Der türkische Entwurf von 1997 überschreibt die Regelungen von Vorsatz und Fahrlässigkeit dagegen mit „Schuld“. Die Überschrift „Vorsatz und Fahrlässigkeit“ wäre meines Erachtens vorzugswürdig, um die weitere wissenschaftliche Entwicklung offen zu halten. Der deutsche Gesetzgeber hat die dogmatischen Vorschriften einerseits systematisch geordnet, andererseits Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe ebenso wie Versuch und Beteiligung in selbständigen Gesetzestiteln zusammengefaßt. Im türkischen Entwurf ist demgegenüber auf eine systematische Ordnung der Vorschriften weitgehend verzichtet worden. So steht der Verbotsirrtum, eine Schuldfrage, vor dem Definitionenkatalog bereits in Art. 2, der mit „Schuld“ überschriebene Abschnitt folgt später bei Art. 21, und die Schuldfähigkeit ist erst hinter den Strafminderungsgründen in Art. 35 –37 geregelt.

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II. Betrachten wir nach diesen einführenden Feststellungen die Hauptpunkte des dogmatischen Teils der deutschen Reform nach einen Vierteljahrhundert Geltungsdauer und werfen gleichzeitig einen vergleichenden Blick auf den türkischen Entwurf. 1. a) Die nach dem Zweiten Weltkrieg in der deutschen Strafrechtswissenschaft zunächst am leidenschaftlichsten diskutierte Problematik war der Verbotsirrtum, den ich deshalb hier auch am Anfang behandele. Einigkeit bestand darüber, daß das Schuldprinzip Beachtung dieses Irrtums fordert. Streit bestand nur noch um die Frage, wie er behandelt werden soll. Nachdem der BGH 1 sich für die Lösung im Sinne der von Welzel vorgeschlagenen Schuldtheorie entschieden hatte, setzte sich diese Lehre durch und wurde in § 17 dtsch. StGB gesetzlich verankert. Die Bejahung der Beachtlichkeit des Verbotsirrtums hat in der Praxis nicht als Einladung an die Täter gewirkt, sich auf einen solchen Irrtum zu berufen. Fälle des § 17 dtsch. StGB gehören vielmehr zu den Seltenheiten. Im Unterschied zur Vorsatztheorie führt die Schuldtheorie auch nicht zu Strafbarkeitslücken in Fällen eines vermeidbaren Irrtums. Im türkischen Entwurf findet sich jetzt eine teilweise Neuorientierung des türkischen Strafrechts. Zwar heißt es in Art 2. Abs. 1 weiterhin, daß Unkenntnis der Strafgesetze nicht entschuldige. Aber in Abs. 2 wird nach dem Vorbild des Art. 21/3 franz. Code Penal bestimmt: „Wer wegen eines unvermeidbaren Irrtums in Unkenntnis des Gesetzes eine Straftat begeht und deshalb meint, rechtmäßig zu handeln, wird nicht bestraft, falls er nachweist, daß sein Irrtum zu Recht bestanden hat.“ Damit wird dem Schuldprinzip hinsichtlich des unvermeidbaren Irrtums Rechnung getragen, allerdings um den Preis der Durchbrechung von zwei prozessualen Grundprinzipen: Dem Schweigerecht des Beschuldigten und dem Satz in dubio pro reo. Aus der Sicht der deutschen Erfahrungen mit § 17 dtsch. StGB ergibt sich aber überhaupt kein praktischer Anlaß zu solchen bedenklichen Prinzipienverstößen. Übernimmt man die französische Regelung, hat man zudem zu berücksichtigen, daß Unvermeidbarkeit bei ihr nur in zwei Fällen möglich sein soll: einmal in dem Fall, daß eine staatliche Stelle eine falsche Auskunft über die Rechtslage gegeben hat, zum anderen dann, wenn der Vorschriftstext mangels ordnungsgemäßer Veröffentlichung nicht erreichbar ist. Diese Einschränkungen werden übrigens auch in der Begründung zu Art. 2 Abs. 2 türk. Entwurf angegeben. Interpretiert man die Unvermeidbarkeit aber derart eng, so wird die Mehrzahl der Fälle eines unvermeidbaren Irrtums, insbesondere der einer falschen Auskunft eines Rechtsanwalts 1

In dem bereits im Jahre 1952 ergangenen Plenarbeschluß BGHSt. 2, 194.

Deutsche Reform von 1975 und türkischer Entwurf von 1997

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und der eines auf eine andere Rechtslage vertrauenden Ausländers nicht erfaßt. Man ist also von der Einhaltung des Schuldprinzips weit entfernt. Das Schuldprinzip würde außerdem erfordern, daß auch der vermeidbare Irrtum Berücksichtigung findet. In der deutschen Wissenschaft kritisiert man darüber hinaus mit Recht, daß § 17 dtsch. StGB bei Vermeidbarkeit nur eine fakultative Strafmilderung und nicht in Anbetracht des Umstands, daß sich der Täter überhaupt im Verbotsirrtum befunden hat, eine obligatorische Strafmilderung vorschreibt. Auch wird angeführt, daß der Gesichtspunkt der Vermeidbarkeit noch zu viele Fälle erfasse, bei denen der Irrtum eigentlich eine Entschuldigung verdiene. 2 b) Offengelassen hat der deutsche Gesetzgeber – ebenso wie der türkische Entwurf – die Frage, wie die Fälle der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts, z. B. Putativnotwehr, zu lösen sind. Die damaligen Gesetzesvorschläge zu diesem heute im deutschen Schrifttum als Erlaubsnistatbestandsirrtum bezeichneten Irrtumsfall waren nicht konsensfähig. Inzwischen hat sich bei uns die das Vorsatzdelikt verneinende sogenannte eingeschränkte Schuldtheorie zwar weiter gefestigt, aber der Streit verläuft nun vor allem innerhalb dieser Theorie. Es geht darum, ob in solchen Fällen bereits der Tatbestandsvorsatz und damit nach heutigem wissenschaftlichen Meinungsstand das Vorsatzunrecht entfällt oder ob es sich erst um ein Schuldproblem handelt. Nach der vorherrschenden Richtung, die hierin mit der strengen Schuldtheorie übereinstimmt, handelt es nicht um eine Frage des Tatbestandsvorsatzes, sondern erst der Schuld. 3 Im Unterschied zur strengen Schuldtheorie will sie aber eine Kategorie der spezifischen Vorsatzschuld anerkennen, die bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum fehlt, so daß nicht wegen vorsätzlicher Tat zu bestrafen ist. Andererseits ist interessant, daß das neue polnische StGB und der spanische Oberste Gerichtshof eine Lösung im Sinne der – auch mir am überzeugendsten erscheinenden – strengen Schuldtheorie vertreten. 4 Der türkische Entwurf spricht in § 24 Nr. 3 vom Irrtum über die Bedingungen für das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen. Der Wortlaut differenziert dabei nicht zwischen dem zur Erörterung stehenden Fall des Erlaubnistatbestandsirrtums und dem Fall des Irrtums über die rechtliche Existenz (einschließlich dem über den rechtlichen Umfang) eines Rechtfertigungsgrundes (sogenannter Erlaubnistatbestandsirrtum), der unstreitig ein Unterfall des Verbotsirrtums ist. Dies deutet auf 2

Siehe Roxin, Allg. Teil 1, 3. Aufl. 1997, § 21 Rdn. 37 ff., 70 mit weiteren Nachweisen. Vgl. für die vorherrschende Auffassung: Gallas, Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs, in: Bockelmann-Festschrift, 1979, S. 155, 170; Jescheck / Weigend, Allg. Teil, 5.Aufl. 1996, SA30, 464 f.; Wessels / Beulke, Allg. Teil, 28.Aufl. 1998, Rdn 478 f. mit weiteren Nachweisen. 4 Vgl. Art.29 poln. StGB vom 1. 9. 1998 und zur spanischen Rechtsprechung die Nachweise bei Cerezo Mir, Curso de Derecho Penal Espanol, Parte General 11, 6.Aufl. 1998, S. 92 f. 3

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die strenge Schuldtheorie hin, wobei jedoch die Nichtberücksichtigung des vermeidbaren Irrtums zu Bedenken Anlaß gibt. Aber auch wenn in der Ziffer 3 nur der Erlaubnistatbestandsirrtum gemeint sein sollte und der Erlaubnisirrtum unter die Ziffer 2 fallen soll, wäre der Wortlaut jedenfalls unklar, da die Ziffer 3 den Eindruck einer ausschließlichen Regelung der Irrtümer über Rechtfertigungsgründe erweckt. In der deutschen Rechtspraxis hat das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung der Irrtümer über Rechtfertigungsgründe übrigens nicht zu Schwierigkeiten geführt. Ohnehin scheint die praktische Bedeutung der Problematik geringer als die theoretische zu sein. 2. Ein zweiter Hauptpunkt der deutschen Reform bildet die gesetzliche Verankerung der sogenannten unechten Unterlassungsdelikte. Da die Strafbestimmungen des Besonderen Teils bei uns regelmäßig nur ein positives Tun beschreiben, muß das StGB die Strafbarkeit der Begehung durch Unterlassen ausdrücklich verankern, wenn das Gesetz rechtsstaatlichen Anforderungen genügen soll. Die bei uns deshalb neu eingeführte Vorschrift (§ 13 StGB) mindert die Bedenken in bezug auf einen Verstoß gegen das Analogieverbot. Dagegen ist es nicht gelungen, dem Bestimmtheitsgebot stärker Rechnung zu tragen. Es erwies sich beim damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als unmöglich, eine gesetzliche Typisierung der Garantenstellungen vorzunehmen. Auch zeigt sich, daß eine generelle Vertypung im Allgemeinen Teil zu Friktionen im Besonderen Teil führen würde. Es passt nämlich nicht jede Garantenstellung für jeden Tatbestand. So kann sich aus naher Verwandtschaft zwar eine Garantenstellung hinsichtlich des Lebens ergeben, nicht aber ohne weiteres auch hinsichtlich des Vermögens. Es wäre nach nunmehr 25 Jahren an der Zeit, wenn sich die Gesetzgebung in diesem Bereich um weitere Präzisierungen bemühen würde – auch wenn die wissenschaftlichen Vorarbeiten leider weiterhin schmal sind. Im geltenden türkischen StGB und auch im Entwurf findet sich keine Vorschrift für das unechte Unterlassungsdelikt. In der Vorsatzregelung wird lediglich erwähnt, daß der Vorsatz sich auf ein Tun oder ein Unterlassen beziehen kann. Terminologisch etwas unglücklich wird dabei im Art. 21 des Entwurfs noch von Handlung als Oberbegriff für Begehen und Unterlassen gesprochen. Die eher beiläufige Erwähnung der Unterlassung in der Vorsatzregelung ist jedoch zu verborgen und knapp. Aus den genannten rechtsstaatlichen Gründen erscheint es vielmehr unbedingt geboten, in ein modernes StGB wenigstens eine Vorschrift nach Art des § 13 dtsch. StGB aufzunehmen, die ausdrücklich angibt, daß das unechte Unterlassungsdelikt strafbar ist und vom Bestehen einer Erfolgsabwendungspflicht abhängt. Angesichts des Unterschieds von Tun und Unterlassen empfiehlt sich darüber hinaus die Einführung einer Entsprechungsklausel und einer fakultativen Strafmilderung, wie das in § 13 dtsch. StGB geschehen ist. Einen klaren Hinweis im Allgemeinen Teil auf die Strafbarkeit des unechten Unterlassungsdelikts findet man auch in den neuen Strafgesetzbüchern von Spanien und Polen. 5

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3. a) Eine dritte im Vordergrund stehende Aufgabe bildete für den deutschen Gesetzgeber von 1975 die Stabilisierung der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Die deutsche Rechtsprechung hatte sich hier mit Hilfe der subjektiven Teilnahmetheorie schon seit den Anfängen des Reichsgerichts einen weiten Dispositionsbereich geschaffen. In einer Reihe von Fällen wurden Angeklagte, die alle Merkmale einer Strafbestimmung selbst verwirklicht hatten, gleichwohl nur als Teilnehmer eingestuft. 6 Es war daher ein großer Fortschritt, daß die Möglichkeiten der subjektiven Theorien nunmehr durch den Gesetzgeber wenigstens nach einer Seite hin blockiert worden sind. Indem das Gesetz jetzt in § 25 Abs. 1, 1. Altern. unmißverständlich erklärt, daß derjenige, der selbst alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht, Täter ist, schiebt es der subjektiven Theorie insoweit einen Riegel vor. Positiv zu werten ist ferner, daß im neuen Allgemeinen Teil die mittelbare Täterschaft ausdrücklich gesetzlich erwähnt wird (§ 25 Abs. 1, 2. Altern.) und damit neben der Mittäterschaft auch diese besondere Form täterschaftlicher Begehung im Gesetz zum Ausdruck gelangt. Allerdings war die Zeit damals noch nicht reif, auch deren verschiedene Figuren zu vertypen. Angesichts der durch eine dogmatische Richtung begünstigten ständigen Ausweitung des Katalogs der Fälle mittelbarer Täterschaft zeigt sich heute ein Bedürfnis nach gesetzlicher Stabilisierung. 7 Der türkische Entwurf sieht jetzt ebenfalls eine Vorschrift für die mittelbare Täterschaft vor. Hervorzuheben ist, daß er in seinem Art. 39 dabei im Unterschied zur deutschen Regelung auch bereits zur inhaltlichen Seite Stellung nimmt. Die Vorschrift lautet: „Wer jemanden, der schuldunfähig oder aus persönlichen Gründen nicht strafbar ist, eine Straftat begehen läßt, ist wegen dieser Straftat verantwortlich, und die Strafe wird bis zu einem Drittel verschärft.“ Problematisch ist aus zwei Gründen der Passus „aus persönlichen Gründen nicht strafbar ist“. Betrachtet man den klassischen Fall der mittelbaren Täterschaft, nämlich den der Begehung durch ein unvorsätzlich handelndes Werkzeug, verhält es sich doch oft so, daß das Werkzeug wegen fahrlässiger Tat bestraft wird. Es müßte also genauer heißen: nicht wegen Verwirklichung dieses Tatbestands strafbar ist. Vor allem aber wirft die Formulierung „aus persönlichen Gründen“ viele Fragen auf, wenn man die verschiedenen Fälle denkbarer mittelbarer Täterschaft in Betracht zieht. Im übrigen fällt auf, daß die Strafe des mittelbaren Täters um ein Drittel verschärft 5

Vgl. Art.11 span. StGB und Art.2 poln. StGB. Berühmt geworden sind die Entscheidungen RGSt. 74, 84 (Badewannen-Fall) und BGHSt. 18, 87 (Stachynskij-Fall). 7 Die Ausweitung zeigt sich insbesondere in den Entscheidungen BGHSt. 32, 38 (SiriusFall); 35, 347, 351 ff. (Katzenkönig-Fall); 40, 218, 236 ff.; 42, 65; BGH NJW 1998, 767, 769 (Fälle hierarchischer Machtstrukturen). In der Wissenschaft siehe insbesondere Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 1.Aufl. 1963 (inzwischen 7.Aufl. 2000), S. 213 ff. 6

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werden soll. Der Entwurfsbegründung ist zu entnehmen, daß man bei diesem Vorschlag die Fälle des Einsatzes schuldunfähiger Tatmittler bei der Blutrache im Auge hat. Es erscheint jedoch nicht recht überzeugend, eine Tat, die nicht selbst, sondern durch einen Tatmittler ausgeführt wird, prinzipiell als schwerwiegender einzustufen. b) Während die Präzisierungen, die im deutschen Allgemeinen Teil von 1975 auch hinsichtlich der limitierten Akzessorietät der Teilnahme erfolgt sind, zur Stabilisierung der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beigetragen haben, ist eine aus dem früheren Bestand übernommene Teilnahmevorschrift, nämlich der § 28 Abs. 2 dtsch.StGB, Ursache vieler Probleme. Es handelt sich um die als Tatbestandslösung formulierte Regelung der Teilnahme bei strafschärfenden besonderen persönlichen Merkmalen, und zwar solchen, die bereits das tatbestandliche Unrecht betreffen (z. B. die Amtsträgereigenschaft). Ursprünglich enthielt das deutsche StGB nur eine Regelung für strafschärfende und strafmildernde derartige Merkmale. Sie entsprach unserem jetzigen § 28 Abs. 2 StGB. Man erkannte dann aber, daß auch bei strafbegründenen besonderen persönlichen Merkmalen (also z. B. der Amtsträgereigenschaft in echten Amtsdelikten) das Fehlen beim Teilnehmer zu berücksichtigen ist. Das führte im Jahre 1968 zur Einführung einer dem heutigen § 28 Abs. 1 StGB entsprechenden Vorschrift, nach der die Strafe für den Extraneus zu mildern ist. Leider ist dabei und dann auch bei der Redaktion des Allgemeinten Teils von 1975 nicht gesehen worden, daß die für strafschärfende und strafmildernde Merkmale schon bestehende Regelung, eben der jetzige § 28 Abs. 2, logisch nicht mit dem neuen Absatz 1 zusammenpaßt. Denn wenn im Falle des Absatzes 2 nur Bestrafungen wegen Beteiligung am Grundtatbestand möglich sein soll, dann ergibt sich als logische Konsequenz für strafbegründende besondere persönliche Merkmale, daß der Extraneus dort entgegen der in Absatz 1 geschaffenen Regelung überhaupt nicht bestraft werden dürfte. Will man, wie das Gesetz es in Absatz 1 mit Recht tut, ein derart sachwidriges Ergebnis vermeiden, so muss auch für die Fälle des Absatzes 2 die Regelung lauten, daß der anstiftende oder unterstützende Extraneus wegen Anstiftung bzw. Beihilfe zum qualifizierten oder privilegierten Delikt zu bestrafen ist. Die unlogische und auch im Ergebnis unbefriedigende Regelung hat erhebliche Auslegungsprobleme bei Delikten wie der Mißhandlung Schutzbefohlener und der Körperverletzung im Amt, aber auch das bekannte Problem des Verhältnisses von Mord und Totschlag im deutschen StGB verursacht. Eine im Vordringen befindliche Literaturmeinung ist jetzt darum bemüht, auch den Absatz 2 als eine bloße Strafzumessungsregelung, wenngleich veralteter Form, zu interpretieren. 8

8

Roxin, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1994, § 28 Rdn 4 ff.; Cortes, Rosa, Teilnahme am unechten Sonderverbrechen, ZStW 90 (1978), 413, 433; Hirsch, Zum

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Diese nicht vorbildliche Vorschrift, die übrigens auch in mehreren anderen Rechtsordnungen zu finden ist, sollte keinesfalls rezipiert werden. Im geltenden türkischen StGB und ebenfalls im türkischen Entwurf ist sie glücklicherweise nicht enthalten. 4. Ein weiteres Hauptproblem der Strafrechtsreform bilden die erfolgsqualifizierten Delikte. Die vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge ist für sie bekanntlich das wichtigste Beispiel. Bereits im Jahre 1953 hat der deutsche Gesetzgeber angeordnet, daß bezüglich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit gegeben sein muß. Diese Regelung wurde dann auch – erweitert um eine ausdrückliche Klarstellung der Teilnahmekonsequenzen – in den Allgemeinen Teil von 1975 aufgenommen (§ 18 dtsch.StGB). Die Existenzberechtigung der Deliktsgruppe wurde und wird von der herrschenden Meinung bejaht. 9 Im Falle ihrer Abschaffung würde sich nämlich die Notwendigkeit ergeben, die Strafrahmen der Grundtatbestände erheblich anzuheben. Außerdem hätte die Verlagerung in die Strafzumessung die Konsequenz, daß die Voraussetzungen solcher Strafschärfungen außer Kontrolle gerieten. Bedauerlicherweise hat der Bundesgerichtshof schon auf der Grundlage der geltenden Regelung die Voraussetzungen stark aufgeweicht. Dadurch, daß er allgemein schon hinsichtlich des besonderen Zusammenhangs zwischen vorsätzlichem Grundtatbestand und schwerer Folge an das Risiko des Tätigkeitsakts und nicht erst des Grundtatbestandserfolges anknüpft, entwickeln sich in der Judikatur die echten erfolgsqualifizierten Delikte praktisch zu bloßen Idealkonkurrenzfällen von vorsätzlichem Grundtatbestand und fahrlässigem Folgetatbestand. Dem entsprechen jedoch nicht die hohen Strafdrohungen. Will man vermeiden, daß die erfolgsqualifizierten Delikte daher schließlich doch als unvereinbar mit dem Schuldprinzip abgeschafft werden, wird der Gesetzgeber sich mit dieser Frage befassen müssen. Entweder grenzt er sie allgemein beim Zusammenhang zwischen Grundtatbestand und Folge deutlich objektiv ein, oder er ermäßigt die Strafdrohungen. Auch ist eine Harmonisierung des deutschen StGB dahin erforderlich, daß einheitlich Leichtfertigkeit, daß heißt grobe Fahrlässigkeit, bezüglich der schweren Folge verlangt wird. Abgesehen davon, daß unterschiedliche Regelungen keinen Sinn ergeben, bildet eine solche qualifizierte Fahrlässigkeit ein primäres Hindernis gegenüber Ausuferungen. Der türkische Entwurf hält ebenfalls an erfolgsqualifizierten Delikten fest, siehe z. B. Art. 452 und Art. 456 Abs. 2 und 3, 458. Aber er läßt bei ihnen die reine Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis im Strafrecht, Tröndle-Festschrift, 1989, S. 19, 35; Rudolphi, Systematischer Kommentar zum StGB, 5.Aufl. 1997, Vor § 331 Rdn. 5; und eingehend Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale“, 1994, S. 141 ff. 9 Näher dazu Küpper, Zur Entwicklung der erfolgsqualifizierten Delikte, ZStW 111 (1999), 785 ff. mit weiteren Nachweisen.

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Erfolgshaftung bestehen, indem er kein Fahrlässigkeitserfordernis aufstellt. Mit einem Schuldstrafrecht ist das nicht zu vereinbaren. 5. a) Besondere Aufmerksamkeit wird im deutschen Allgemeinen Teil von 1975 den Versuchsvorschriften gewidmet. Der aus heutiger Sicht interessanteste Punkt ist der § 23 Abs. 3 dtsch.StGB, der für Fälle eines auf grobem Unverstand des Täters beruhenden untauglichen Versuchs die Möglichkeit des Absehens von Strafe oder der Strafmilderung schafft. Den Gesetzgeber leitete hier das an sich begrüßenswerte Bestreben, extremen Konsequenzen der bei uns herrschenden subjektiven Versuchstheorie entgegenzuwirken. 10 Bedauerlicherweise hat er dabei diese Versuchstheorie mittelbar festgeschrieben, denn die Regelung geht davon aus, daß in solchen Fällen ein tatbestandsmäßiger Versuch gegeben ist. Inzwischen mehren sich aber die Zweifel, ob es sachlich richtig ist, den untauglichen Versuch im Umfang der subjektiven Versuchstheorie zu pönalisieren. Die Grenze zwischen einem auf den Schutz bestehender Rechtsgüter ausgerichteten Tatstrafrecht und einem bloßen Gesinnungsstrafrecht ist hier nicht hinreichend beachtet. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang wieder daran, daß die herrschende Lehre noch bis zum Anfang der dreißiger Jahre der von der Rechtsprechung herkömmlich vertretenen subjektiven Theorie ablehnend gegenüberstand. 11 Das türk. StGB folgt dagegen in Art.6l der neueren, das heißt auf die verobjektivierte Sicht ex ante abstellenden objektiven Theorie. Mit Recht haben sich die Verfasser des Entwurfs hier nicht vom deutschen Strafrecht verunsichern lassen. Allerdings könnten die Voraussetzungen des Versuchs noch präziser bestimmt werden, insbesondere hinsichtlich der Vorsatzseite und des Falles der Untauglichkeit des Objekts. b) Was die Regelung des Rücktritts angeht, hat die deutsche Reform am herkömmlichen Lösungskonzept festgehalten und sich darauf beschränkt, bei der 10 Für die herrschende subjektive Versuchstheorie vgl. RGSt. 1, 439, 441; 8, 198, 203; BGHSt. 11, 268, 271; 11, 324;, Lackner / Kühl, StGB, 23.Aufl. 1999, § 22 Rdn. 11; Tröndle / Fischer, StGB, 49.Aufl. 1999, § 22 Rdn. 24. Nur durch einen dogmatisch sachfremden Gesichtspunkt modifizierte Unterform der subjektiven Theorie bildet die von Eser, in: Schönke / Schröder, StGB, 25.Aufl. 1997, § 22 Rdn. 22, und anderen vertretene Eindruckstheorie. 11 Siehe für die damalige herrschende Meinung im Schrifttum: Frank, StGB, 18.Aufl. 1931, § 43 Fn. 1; Rob.v. Hippel, Deutsches Strafrecht II, 1930, S. 424; v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Allg. Teil, 26.Aufl. 1932, S. 301; Mezger, Strafrecht, 1931, S. 395 ff. Heute sprechen sich für die objektive Theorie aus: Jakobs, Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985), 751, 763 f.; Hirsch, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, in: Köln-Festschrift, 1988, S. 399, 422 f.; Weigend, Die Entwicklung der deutschen Versuchslehre, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 113 ff. Vgl. auch die Diskussionen auf der deutschen Strafrechtslehrertagung 1985 (siehe den Tagungsbericht von Gropp, ZStW 97 [1985], 919 ff.) und auf der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung 1985 (siehe den Diskussionsbericht von Maier, ZStW-Beiheft 1987, 141 ff.).

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tätigen Reue und hinsichtlich des Falles mehrerer Tatbeteiligter einige Präzisierungen vorzunehmen. Die Abgrenzungsfrage der auch im türkischen StGB-Entwurf enthaltenen Unterscheidung von unbeendetem und beendetem Versuch haben die Gerichte jedoch immer wieder beschäftigt. Vor einigen Jahren ist der BGH zum Kriterium des Rücktrittshorizonts übergegangen, das heißt, daß grundsätzlich ein beendeter Versuch angenommen wird, wenn der Täter im Rücktrittszeitpunkt für möglich hält, daß sein bisheriges Handeln bereits zum Erfolgseintritt führt. 12 Angesichts fortbestehender Unklarheiten würde man wohl heute vom Gesetzgeber erwarten, daß er zu der Abgrenzung etwas im Gesetz sagt. Der türk. Entwurf bringt gegenüber dem geltenden türkischen StGB einen wichtigen Fortschritt, indem er in Art. 20 den Rücktritt vom beendeten Versuch nun direkt erwähnt. Die Vorschrift ist insoweit besser als § 24 Abs. l dtsch.StGB, als sie der auf die bloße Verursachung der Erfolgsabwendung abstellenden Auffassung 13 keinen Raum beläßt, vielmehr ausdrücklich das Bemühen des Täters betont. 6. Vorsatz und Fahrlässigkeit waren vor 1975 nicht im deutschen StGB definiert, nach der Reform ist es, wie erwähnt, im Allgemeinen Teil bei dieser Zurückhaltung geblieben. Aber es wird in der ebenfalls 1975 eingeführten Neufassung des Tatbestands der Strafvereitelung (§ 258 dtsch.StGB) wenigstens eine Definition des Dolus directus gegeben, nämlich 1. Grades Absicht, 2. Grades Wissentlichkeit. Damals waren bei uns die Voraussetzungen des Eventualvorsatzes sehr umstritten, so daß man mit einer gesetzlichen Vorschrift der wissenschaftlichen Entwicklung vorgegriffen hätte. Heute sieht das anders aus, da sich die Theorien trotz divergierender Bezeichnungen in ihren Ergebnissen jetzt nur noch wenig unterscheiden. 14 Auch wenn deshalb hier kein vordringlicher Regelungsbedarf besteht, würde eine Aufzählung der Vorsatzarten und ihrer Kriterien, gerade auch wegen des Dolus eventualis, sicherlich der Rechtsklarheit dienen. Das gilt ebenso für den türkischen Entwurf, der nur feststellt, daß der Vorsatz im Wissen und Wollen der Handlung und des Erfolges besteht. Das Thema Fahrlässigkeit und Gesetzgebung fällt in den Bereich des ursprünglich vorgesehenen Referats von Prof. Burgstaller. Hinweisen möchte ich nur darauf, daß in Art. 22 türk. Entwurf jetzt eine Definition im Allgemeinen Teil gegeben 12

BGHSt. 31, 170, 175; 33, 295, 299; 35, 90, 93; 36, 224; 39, 221, 227; st. Rspr. Dem hat sich das Schrifttum weitgehend angeschlossen; vgl. Jescheck / Weigend (Fn. 3), S. 541 f. mit weiteren Nachweisen. 13 Wie sie bisher in Deutschland vorherrschend vertreten worden ist; siehe BGH StV 1981, 396; BGHSt. 33, 295, 301; Jescheck / Weigend (Fn. 3), S. 546 mit weiteren Nachweisen. Für strengere Anforderungen dagegen BGHSt. 31, 46, 49; BGH JZ 1989, 650; Lackner / Kühl (Fn. l0), § 24 Rdn. 19b mit weiteren Nachweisen. 14 Vgl. dazu Küpper, Anspruch und wirkliche Bedeutung des Theorienstreits über die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, GA 1986, 437 ff.

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wird. Sie entspricht inhaltlich der in Art. 455 türk. StGB und anderen Vorschriften des Besonderen Teils enthaltenen dogmatisch etwas fragmentarischen bisherigen Regelung. Nur die Voraussehbarkeit des Erfolges ist jetzt als weiteres Merkmal hinzugekommen. Besonders hervorgehoben werden sollte der Art. 33 Abs. 2 des türkischen Entwurfs, der lautet: „Ist die Schuld des Täters bei den fahrlässigen Straftaten sehr gering und hat die Tat nur einen geringfügigen Erfolg, so erfolgt keine Bestrafung.“ Diese nunmehr als allgemeine Regelung gedachte Vorschrift entspricht kriminalpolitischen Forderungen, die auch in Deutschland erhoben werden. 15 Sie ist gegenüber der bei uns bestehenden verfahrensrechtlichen Regelung der Bagatellkriminalität vorzugswürdig, gerade bei der Fahrlässigkeit. 7. Bei den Rechtfertigungs- und den Entschuldigungsgründen ging es für den deutschen Gesetzgeber vor allem darum, den bis dahin nur gewohnheitsrechtlich anerkannten allgemeinen rechtfertigenden Notstand im StGB zu vertypen. Indem das Gesetz nun ausdrücklich zwischen rechtfertigendem (§ 34 dtsch.StGB) und nur entschuldigendem Notstand (§ 35 dtsch.StGB) unterscheidet, folgt es der Differenzierungstheorie, die sich bei uns schon seit mehreren Jahrzehnten aus überzeugenden Gründen durchgesetzt hat. Die gesetzliche Vertypung beschwor zwar anfangs ein unerwartetes neues Problem herauf, als der BGH die Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage für hoheitliche Eingriffe, insbesondere nicht gesetzlich in der Strafprozeßordnung vorgesehene Eingriffe, benutzte. 16 Inzwischen hat sich dieser Streit aber wieder beruhigt, so daß man heute von einer gelungenen und sinnvollen Vorschrift sprechen kann. Blickt man auf das türkische Strafrecht, stellt man fest, daß es dort hinsichtlich des Notstands nur eine fragmentarische Regelung gibt, zudem ohne Differenzierung zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung. Es handelt sich um Art. 49 Nr. 3 türk.StGB, der unverändert als Art. 29 Nr. 2 in den Entwurf übernommen worden ist. Er ist beschränkt auf die Abwehr einer nicht anders abwendbaren Gefahr für eigenes oder fremdes Leben. Angesichts der Tatsache, daß es zahlreiche ausländische Strafgesetzbücher gibt, die über genauere Notstandsregelungen verfügen, dürfte es ohne Schwierigkeit möglich sein, den türk. Entwurf an dieser Stelle zu verbessern. Was die Notwehr betrifft, hat der deutsche Reformgesetzgeber an der herkömmlichen Vorschrift inhaltlich nichts geändert. Er meinte, daß die Formulierung, wonach die Notwehr „geboten sein“ muß, genügend sei, um die notwendigen 15 Vgl. Hirsch, Hauptprobleme einer Reform der Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit, ZStW 83 (1971), 140, 163; Volk, Reformüberlegungen zur Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr, GA 1976, 161 ff.; Zipf, Kriminologische Überlegungen zur Entkriminalisierung der fahrlässigen Körperverletzung, in: KrauseFestschrift, 1990, S. 437 ff. 16 Siehe die Übersicht über die Rechtsprechung bei Hirsch, Leipziger Kommentar zum StGB, 11.Aufl. 1994, § 34 Rdn. 6 ff.

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Einschränkungen zum Ausdruck zu bringen. Hier ist inzwischen jedoch viel Rechtsunsicherheit zu beobachten, so daß man heute bei einem in so hohem Maße auf Rechtsklarheit angewiesenen Recht wie der Notwehrbefugnis detailliertere Angaben in den Gesetzestext aufzunehmen hätte. Im türkischen Strafrecht geht es dagegen primär darum, die bisher auf zwei Vorschriften verteilte Notwehrregelung in einer Vorschrift des Allgemeinen Teils zusammenzufassen. In Art. 49 Nr. 2 türk.StGB, einer Regelung im Allgemeinen Teil, wird nur die Verteidigung des Lebens und der Geschlechtsehre erfaßt; und in Art. 461 türk.StGB, einer Vorschrift des Besonderen Teils, findet sich eine Notwehrregelung für Verteidigungshandlungen zum Schutze des Eigentums, die in einer Tötungs- oder Körperverletzungshandlung bestehen. Der Entwurf hat jetzt sachentsprechend an die Stelle dieser punktuellen Regelungen in Übereinstimmung mit den meisten ausländischen Strafgesetzbüchern eine einheitliche, den Schutz aller Rechtsgüter umfassende Notwehrvorschrift gesetzt (§ 29 Nr. a). Ausuferungen des Notwehrrechts soll offenbar durch das Merkmal der Angemessenheit anstatt des der Erforderlichkeit der Abwehr entgegengewirkt werden. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob nicht im Hinblick auf die bei der Notwehr gebotene Rechtssicherheit die Begrenzungen des Notwehrumfangs, die sich aus dem Gesichtspunkt der Provokation, der Familienzugehörigkeit usw. ergeben, nicht klar angegeben werden sollten. Im Unterschied zu Notwehr und Notstand findet sich im reformierten deutschen Allgemeinen Teil keine Einwilligungsregelung. Der deutsche Gesetzgeber hat darauf verzichtet und es bei der gewohnheits- oder verfassungsrechtlichen Herleitung dieses Rechtsinstituts belassen. Bei der gesetzgeberischen Abstinenz ging es weniger um das Problem der systematischen Einordnung als vielmehr um Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Voraussetzungen und des Anwendungsbereichs. Der Gesetzgeber fühlte sich überfordert. Auch konnte er sich damit beruhigen, daß für den praktisch wichtigsten Anwendungsbereich, die Körperverletzung, eine Spezialregelung im Besonderen Teil existiert. 17 Dort ist allerdings das zur Eingrenzung des Kreises zulässiger Einwilligungen in Körperverletzungen genannte Kriterium der „guten Sitten“ wegen seiner Unbestimmtheit zum Kritikpunkt geworden. Hinsichtlich dieser Kontroverse kann ich auf die näheren Ausführungen in meinem Referat zur Reform der Körperverletzungsregelungen verweisen. 18 Einen anderen Weg geht die türkische Reform. In Art. 30 Abs. 2 des Entwurfs wird allgemein bestimmt: „Bei einer Einwilligung des Opfers wird der Täter nicht bestraft, wenn das Opfer über das jeweilige Recht eine absolute Verfügungsbefug17 Der im Anschluß an frühere StGB-Entwürfe im Jahre 1933 eingeführte § 226a StGB, der seit dem 6.StrRG von 1998 als § 228 StGB beziffert ist. 18 Dort unter Ziffer VI.

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nis hat.“ In der Begründung heißt es dazu: Über welches Recht man ein absolutes Verfügungsrecht habe, sei aus der gesamten Rechtsordnung zu bestimmen. Die vorgeschlagene Vorschrift enthält zwar keine genaueren Angaben zu den Fragen der Einsichtsfähigkeit, der Vertretungsbefugnis und der rechtsgutsbedingten Grenzen. Aber sie hat dem deutschen StGB klar voraus, daß sie im Allgemeinen Teil den Selbstbestimmungsgedanken als Barriere des Strafrechts verankert. Sie ist daher in der Tendenz zu begrüßen. 8. a) Die Schuldunfähigkeit und die verminderte Schuldfähigkeit wegen seelischer Störungen sind in der deutschen Reform von 1975 um Fälle schwerer anderer seelischer Abartigkeit erweitert worden. Schon vorher galt, daß ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Die stark umkämpfte Erweiterung von 1975 hat entgegen den Befürchtungen ihrer Gegner nicht dazu geführt, daß die Anzahl der Fälle, in denen von den Gerichten Schuldunfähigkeit bejaht worden ist, zugenommen hat. Andererseits ist eine Steigerung bei der Bejahung verminderter Schuldfähigkeit zu beachten. 19 Darin wird jedoch kein Problem gesehen. Andererseits sollte man im Ausland die weiteren Erfahrungen mit dieser Neuregelung abwarten. b) Ein aktuelles Thema bildet dagegen die rauschbedingte Schuldunfähigkeit. Auf dem Boden des Tatstrafrechts und konsequenten Schuldprinzips sieht das deutsche StGB hier keine Einschränkung der Schuldunfähigkeit vor. Es unterscheidet sich darin von einer Reihe ausländischer Rechtsordnungen, zu denen auch die türkische gehört (vgl. Art. 48 Abs. 2 türk. StGB und Art. 37 türk. Entwurf). Die Lösung erfolgt nach deutschem Recht bisher vielmehr über die Rechtsfigur der actio libera in causa und den im Besonderen Teil angesiedelten Tatbestand des Vollrauschs (§ 323a dtsch.StGB). Durch neuere wissenschaftliche Publikationen und Entscheidungen eines Senats des BGH ist die actio libera in causa jetzt ins Gerede gekommen. 20 Der Gesetzgeber von 1975 hielt ihre Regelung für entbehrlich, da sie in der Rechtsprechung aus der Täterlehre als Fall einer mittelbaren Begehung, bei dem der Täter sich zu seinem eigenen Werkzeug macht, abgeleitet wurde (sogenannte Tatbestandslösung). Im Zeitpunkt der Reform war sie völlig unangefochten. Heute wird von Teilen des Schrifttums eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetzt gefordert. 21 Soweit es dabei 19 Siehe die Angaben bei Hirsch, Bilanz der Strafrechtsreform, in: Hilde KaufmannFestschrift, 1986, S. 133, 145. 20 Siehe die Entscheidungen des 4.Strafsenats BGHSt. 40, 341 und 42, 235. Im Schrifttum siehe insbesondere Hettinger, Die „actio libera in causa“, 1988; Hruschka, Die actio libera in causa, JZ 1996, 64 ff.; ders., Die actio libera in causa bei Vorsatztaten und bei Fahrlässigkeitstaten, JZ 1997, 22 ff. 21 Siehe die Schrifttumsnachweise in Fn. 20.

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um Klarstellung geht, ist dagegen sachlich wenig zu erinnern. Anders verhält es sich jedoch, wenn damit eine Ausnahme von der Koinzidenz von unrechtmäßiger Handlung und Schuld dekretiert werden soll. Ein solcher Lösungsweg liefe nämlich konsequenterweise darauf hinaus, daß man anders als bei der actio libera in causa die Frage, ob das Unrecht einer Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstat gegeben ist, nicht mehr nach dem subjektiven Befund bei der actio praecedens zu bestimmen hätte, sondern nach dem bei der Tat im Rausch. Das indes wäre eine Lösung, wie sie bisher in der Türkei und einigen anderen Länder gilt. Sie entspricht nicht dem Tatschuldprinzip. Wer in rauschbedingter Schuldunfähigkeit einen anderen vorsätzlich tötet, weil er sich ohne böse Absichten betrunken hat, läßt sich nach herkömmlichem deutschen Rechtsverständnis nicht wegen Mordes oder Totschlags bestrafen. 22 Neben der actio libera in causa, die in ihrer Vorsatzform nur selten praktisch wird, bedarf es noch eines besonderen Tatbestands des Vollrauschs. Wer sich mit der strafrechtlichen Erfassung der Fälle rauschbedingter Schuldunfähigkeit beschäftigt, wird ihm und seiner Ausgestaltung besondere Aufmerksamkeit zu widmen haben. 9. Zu den bedenklichen Entwicklungen der deutschen Reformgesetzgebung gehört die Ausbreitung der Kategorie der besonders schweren Fälle, und zwar jetzt in der Kombination mit Regelbeispielen. In seiner ursprünglichen Fassung kannte das StGB nur qualifizierte Tatbestände. In den dreißiger Jahren haben sich dann die dem Strafzumessungsbereich zugeordneten besonders schweren Fälle mehr und mehr ausgebreitet, und seit 1969 ist man durch die Verbindung mit Regelbeispielen dabei, sie zunehmend an die Stelle qualifizierter Tatbestände zu setzen. Man muß sich jedoch fragen, welche Sachgesichtspunkte eigentlich den jetzt in § 12 Abs. 3 dtsch. StGB auch ausdrüklich verankerten Unterschied zwischen besonders schweren Fällen und qualifzierenden Tatbestandsmerkmalen tragen. Die Bedenken werden deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß die meisten Regelbeispiele bereits den Unrechtsgehalt der tatbestandsmäßigen Handlung betreffen und deshalb sachlich nicht erst auf die Rechtsfolgenebene gehören. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die hier kritisierte Gesetzgebungstechnik von einem Drang zur Lückenlosigkeit motiviert ist, der auf Kosten der systematischen Stimmigkeit des Gesetzes und des bei qualifizierten Tatbeständen zu beachtenden Bestimmtheitsgrundsatzes geht. 23 Wie schnell durch die Umetikettierung in Strafzumessungsregelungen der Satz nullum crimen sine 22 Vgl. zum ganzen Hirsch, Zur actio libera in causa, in: Nishihara-Festschrift, 1998, S. 88, 89 ff. 23 Vgl. Calliess, Der Rechtscharakter der Regelbeispiele im Strafrecht, NJW 1998, 929, 935; Gössel, Über die sog. Regelbeispielstechnik und die Abgrenzung zwischen Straftat und Strafzumessung, in: Hirsch-Festschrift, 1999, S. 183 ff.; Hirsch, bei: Dietmeier, Marburger Strafrechtsgespräch 1997, 393, 410, 413.

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lege aus dem Blick gerät, ist insbesondere in der Rechtsprechung zum Versuch von Regelbeispielen des schweren Diebstahls (§ 243 StGB) zutage getreten. Während es bei qualifizierten Vergehenstatbeständen selbstverständlich ist, daß der Versuch ausdrücklich unter Strafe gestellt sein muß, ist der BGH der Meinung, daß es bei Regelbeispielen besonders schwerer Fälle anders sei. 24 Die Garantien des Strafrechts können aber doch nicht davon abhängig sein, ob der Gesetzgeber die von ihm vertypten Merkmale als qualifizierende Tatbestandsmerkmale oder als besonders schwere Fälle deklariert. Ausländische Gesetzgeber werden gut daran tun, der Kategorie der besonders schweren Fälle mit größter Skepsis zu begegnen. 10. Noch außerhalb des Blickfelds stand bei der deutschen Reform von 1975 der Gedanke, auch juristische Personen für straffähig zu erklären. Der römischrechtliche Satz Societas delinquere non potest galt für das Kriminalstrafrecht des kontinentaleuropäischen Rechts im Unterschied zum angelsächsischen Strafrecht als selbstverständlich. Inzwischen hat sich das bekanntlich geändert. Seit einigen Jahren wird die Forderung nach Einbeziehung der juristischen Personen erhoben, und die Gesetzgeber Finnlands, Frankreichs und der Niederlande haben dem bereits Rechnung getragen. Auch der stark vom französischen Recht beeinflußte türkische Entwurf zögert bei dieser Frage nicht, sich in den Kreis der Avantgarde der Strafgesetzgeber einzureihen. In Deutschland findet sich dagegen vor allem bei Wissenschaftlern erheblicher Widerstand. Ich habe demgegenüber in Veröffentlichungen darzulegen versucht, daß die Argumente, die aus theoretischer Sicht vorgebracht werden, nicht schlüssig sind. Sie erscheinen zudem widersprüchlich, weil man im Ordnungswidrigkeitenrecht keine Bedenken hat, Handlungs-, Schuld- und punitive Sanktionsfähigkeit anzuerkennen. Es ist nach meiner Einschätzung davon auszugehen, daß das deutsche Kriminalstrafrecht sich in einiger Zeit dem internationalen Trend anpaßt, wozu auch eine einschlägige Empfehlung des Europarats zusätzlich Anlaß geben wird. Die Frage, um die es heute geht, ist deshalb die, ob die bisherigen Lösungskonzepte den Ansprüchen genügen, die eine strafrechtliche Ahndung voraussetzt. Das ist zu bezweifeln. Die betreffenden Vorschriften, auch die des türk. Entwurfs, sind nämlich parallel zu den einschlägigen zivilrechtlichen Haftungsregelungen konzipiert worden und begnügen sich deshalb damit, daß der im Rahmen seiner Stellung unmittelbar Handelnde ein Repräsentant der juristischen Person ist. Das bedeutet aber für die juristischen Person eine bloße Erfolgshaftung. Es müssen also einschränkende Erfordernisse, z. B. ein vermeidbarer Organisationsmangel, hinzukommen, aus denen sich ergibt, daß die Korporation konkret für die Tat ihres Repräsentanten verantwortlich zu machen ist. 25 Solange dieser Punkt nicht 24

BGHSt. 33, 370. Näher Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, in: Nordrh.Westf. Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 342, 1993, S. 26 f.; ders., Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, ZStW 107 (1995), 285, 313 ff. 25

Deutsche Reform von 1975 und türkischer Entwurf von 1997

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in einem ausgereiften Lösungskonzept seinen Niederschlag gefunden hat, bildet eine Vorschrift, welche die Straffähigkeit von juristischen Personen bejaht, einen Fremdkörper im Strafgesetz. Ich möchte deshalb die Anregung Jeschecks an den türkischen Gesetzgeber aufgreifen, mit der Einführung einer solchen Vorschrift noch zu warten. 26 III. Zusammenfassend läßt sich zur deutschen Strafrechtsreform feststellen, daß sie die meisten Hauptprobleme des dogmatischen Teils aufgegriffen und sie so geregelt hat, daß die Vorschriften auch noch heute überwiegend dem Stande der Wissenschaft entsprechen. Das schließt nicht aus, daß in den seit dem Inkrafttreten verstrichenen 25 Jahren auch eine Reihe von Fehlern und Lücken deutlich geworden sind, wie ich aufgezeigt habe. Dabei geht es zum Teil um Fragen, die damals noch nicht ins Blickfeld getreten waren. Bei ausländischen Reformvorhaben sollte man die in meinen Ausführungen aufgezeigten Mängel erkennen und sie nicht kopieren. Was den türkischen Entwurf von 1997 betrifft, beeindrucken an ihm zahlreiche weiterführende Reformvorschläge. Andererseits fällt auf, daß diejenigen neueren ausländischen Strafgesetzbücher, die auf der Entwicklungen der wissenschaftlichen Strafrechtsdogmatik der letzten Jahrzehnte aufbauen – außer dem deutschen sind insbesondere das österreichische, spanische und polnische zu nennen – bisher nur teilweise ausgewertet worden sind. Es ist zu hoffen, daß noch Zeit für ein erneutes Überdenken zur Verfügung steht, da andernfalls eine Reform der Reform alsbald auf der Tagesordnung stehen würde.

26 Vgl. Jescheck, Rechtsvergleichende Bemerkungen zum Entwurf des allgemeinen Teils eines neuen türkischen Strafgesetzbuchs, in: Türk Ceza Kanunu Tasarisi icin Müzakereler, 1998, S. ll, 15.

Reform der Körperverletzungsregelungen mit dem Blick auf den türkischen StGB-Entwurf von 1997 2001 I. Der türk. Entwurf von 1997 sieht im Bereich der Körperverletzungsregelungen nur unwesentliche Änderungen vor. Sie bestehen aus wenigen Herabstufungen der Strafdrohungen sowie der Erweiterung des Katalogs der schweren Körperverletzung um den Fall, daß das Opfer nur mit medizinischen Apparaturen künstlich am Leben erhalten wird. Bemerkenswerter ist, daß im Allgemeinen Teil eine Einwilligungsvorschrift vorgesehen wird, denn Körperverletzungen gehören zu den Fällen, bei denen Einwilligungen in der Praxis besonders bedeutsam sind. Die deutsche Reform hat sich des Besonderen Teil anders, als es beim Allgemeinen Teil der Fall gewesen ist, bisher nur in Teilbereichen angenommen. Der Grund dafür besteht darin, daß man Mitte der 70er Jahre erkannte, daß eine gleichzeitige Gesamtreform zeitlich nicht zu bewältigen war. Man entschloß sich deshalb dazu, nach und nach die erforderlichen Reformen im Wege der Novellengesetzgebung vorzunehmen. Dieses Konzept hatte jedoch zur Folge, daß Teilgebiete, namentlich solche mit stark weltanschaulichem Hintergrund, wie die Strafbestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch, den Gesetzgeber über lange Zeit in Anspruch nahmen und darüber der Elan zu einer Gesamtreform zurückging. Auch wirkten sich die zu verschiedenen Zeitpunkten vorgenommenen Teiländerungen dahin aus, daß der Blick des Gesetzgebers jeweils ganz auf den Teilbereich fixiert war und ein Gesamtkonzept der Reform des Besonderen Teils deshalb nicht erkennbar ist. Qualitativ bleibt daher die Reform des Besonderen Teils des deutschen StGB, soweit sie bisher stattgefunden hat, erheblich hinter der des Allgemeinen Teils zurück. 1 Dieser Befund wird noch bestätigt durch einen erneuten Reformanlauf, den der Gesetzgeber hinsichtlich weiterer Teilbereiche, darunter den Körperverletzungstatbeständen, in dem im Frühjahr 1998 in Kraft getretenen 6.Strafrechtsreformgesetzes unternommen hat. In dieser Gesetzesnovelle war der deutsche Gesetzgeber unter anderem bestrebt, eine abschließende Reform der Körperverletzungsvorschriften vorzunehmen. Dies ist jedoch mißlungen. 1

Darüber im einzelnen Hirsch, Bilanz der Strafrechtsreform, in: Hilde KaufmannGedächtnisschrift, 1986, S. 133, 146 ff., 157 ff.

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II. Das türk. StGB beginnt den unter der Überschrift „Körperverletzung“ stehenden Gesetzesabschnitt mit einem umfangreichen Art. 456. Der Grundtatbestand der einfachen Körperverletzung findet sich in dem vom Entwurf 1997 unverändert belassenen Absatz 1. Dieser lautet: „Wer ohne Tötungsvorsatz einen anderen körperlich mißhandelt oder eine Schädigung an dessen Gesundheit ... verursacht, wird mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu einem Jahr bestraft.“ An dieser Vorschrift fällt die Formulierung „ohne Tötungsvorsatz“ auf. Sie führt uns sogleich zum ersten Problemkreis: dem des Verhältnisses von Körperverletzungsund Tötungsdelikten zueinander. Es geht dabei insbesondere um die Frage, ob in der vorsätzlichen Tötung eine tatbestandsmäßige vorsätzliche Körperverletzung als Durchgangsstadium enthalten ist oder ob beide Delikte sich gegenseitig ausschließen. Bedeutsam wird das namentlich bei dem Fall, daß ein wirksam vom Tötungsversuch zurücktretender Täter bereits eine Verwundung des Opfers verwirklicht hat. Da der Tötungsversuch durch den Rücktritt ebenso nach deutschem wie nach türkischem Recht straflos wird, erhebt sich die Frage, ob die bereits herbeigeführte Verwundung nicht als vollendete vorsätzliche Körperverletzung davon unberührt und deshalb strafbar bleibt. Die türkische Rücktrittsregelung im Allgemeinen Teil (Art. 61 Abs. 2 türk. StGB) stellt ausdrücklich klar, daß dann, wenn beim Rücktritt eine bereits ausgeführte Teilhandlung für sich allein eine Straftat bildet, eine Strafbarkeit wegen dieser Tat bestehen bleibt. Aber wie kann hier eine solche verbleibende Straftat vorliegen, wenn die Körperverletzung tatbestandlich eine Begehung ohne Tötungsvorsatz voraussetzt? Das Problem wird auch unabhängig vom Rücktritt bedeutsam, wenn die Tötung im Versuchsstadium steckenbleibt, aber eine Verwundung des Opfers bereits gegeben ist. In solchem Fall geht es darum, ob schon gar keine tatbestandlich vorsätzliche Körperverletzung vorliegt oder ob es sich erst um ein Konkurrenzproblem handelt und wie dieses dann einzuordnen wäre. Ebenfalls kann sich die Problematik auf die Beurteilung der Teilnahme auswirken, etwa wenn der Teilnehmer vom Tötungsvorsatz des Täters keine Kenntnis und nur einen auf die Verwundung gerichteten Vorsatz hat. Die türkische Regelung mit dem Passus „ohne Tötungsvorsatz“ entspricht der zum Verhältnis von Tötung und Körperverletzung früher in Deutschland vertretenen Gegensatztheorie. Diese war zeitweilig herrschende Meinung 2, obwohl das deutsche StGB zu keiner Zeit einen solchen Passus im Körperverletzungstatbestand enthielt. Sie nimmt begrifflich ein gegenseitiges Ausschlußverhältnis zwischen Tötung und Körperverletzung an, nämlich in der Weise, daß letztere objektiv die Aufrechterhaltung des Lebens voraussetzt. Handelt der Täter mit Tö2

Vgl RGSt. 61, 375; 62, 8; OGHSt. 1, 357, 363; 3, 57; Nagler / Schaefer, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 8.Aufl. 1958, § 212 Anm. VII 3.

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tungsvorsatz, kann er daher – von Ausnahmen im Bereich des Eventualvorsatzes abgesehen – keinen Körperverletzungsvorsatz haben. Im Falle eines Rücktritts vom Tötungsversuch scheidet auf solcher Grundlage demgemäß regelmäßig eine verbleibende vorsätzliche Körperverletzung mangels Körperverletzungsvorsatzes aus. Heute ist bei uns die Einheitstheorie ganz herrschend. 3 Sie geht davon aus, daß objektiv jede vollendete Tötung eine Körperverletzung als Durchgangsstadium mit einschließt. Daher soll auch jeder Tötungsvorsatz als notwendigen Bestandteil einen auf die Durchgangskörperverletzung gerichteten Körperverletzungsvorsatz enthalten; denn die Durchgangsverletzung erfolge willentlich, so daß die Kongruenz von objektivem und subjektivem Tatbestand die Anerkennung des Stufenverhältnisses von Durchgangskörperverletzung und Tötung auch in subjektiver Hinsicht verlange. Demgemäß wird angenommen, daß in Gesetzeskonkurrenz mit der vorsätzlichen Tötung stets eine tatbestandsmäßige vorsätzliche Körperverletzung vorliege. Im Falle des strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch bleibe diese, sofern sie bereits verwirklicht sei, als strafbares Verhalten übrig. Daß die Einheitstheorie den Vorzug verdient, zeigt sich vor allem an diesem sachentsprechenden Ergebnis. Es ist evident, daß die bereits eingetretene Verletzung ein, wie dem Täter bekannt ist, notwendiges Durchgangsstadium zu dem von ihm intendierten Todeserfolg darstellt. Ein solches Durchgangsstadium weist objektiv alle Voraussetzungen einer Körperverletzung auf; und da es subjektiv notwendig Gegenstand des auf die Herbeiführung des Todeserfolgs gerichteten Willens ist, enthält der Tötungsvorsatz folglich auch stets den Körperverletzungsvorsatz hinsichtlich der Durchgangsverletzung. Erfüllt der Gegenstand des Willens den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung, so handelt es sich um einen Körperverletzungsvorsatz, da der Vorsatz in dem auf die Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale bezogenen Willen besteht. Daß die deutsche Rechtsprechung und Lehre gleichwohl in den zurückliegenden 100 Jahren mehrfach zwischen der Einheitstheorie und der Gegensatztheorie gewechselt haben 4, hängt mit den privilegierten Tötungsdelikten zusammen. Diese können nämlich eine geringere Strafdrohung enthalten als die hinsichtlich der Durchgangsverletzung in den Blick kommenden Körperverletzungstatbestände. Das zeigt auch das türkische Strafrecht beispielsweise bei Art. 453, dem Tatbestand der Kindestötung, im Verhältnis zu Art. 456 Abs. 3, der besonders schweren 3 BGHSt. 16, 122; 21, 265; 22, 248; BGH NJW 1999, 69, 70; Hirsch, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 10. Aufl. 1989, Vor § 223 Rdn. 15 ff.; Horn, in: Systematischer Kommentar zum StGB, 4.Aufl. 1988, § 212 Rdn. 30 ff. 4 Darüber Welzel, Das Verhältnis der Tötungsdelikte zu den Körperverletzungsdelikten, in: Weber-Festschrift 1963, S. 242. So hatte das Reichsgericht im Unterschied zur vorhergehenden Rechtsprechung des preußischen Obertribunals zunächst die Einheitstheorie vertreten; siehe RGSt. 2, 442; 24, 369; 28, 200, 212; 44, 321, 323; RG DJ 1938, 723.

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Körperverletzung. Praktisch kann das auch werden bei der zu den türkischen Reformvorschlägen gehörenden Privilegierung der Tötung auf Verlangen (Art.28 Abs. 2 des Vorentwurfs), an deren deutschem Pendant (§ 216 dt. StGB) sich bei uns vor allem die Diskussion entzündet hat. Würde man beim Rücktritt von diesen Tötungsdelikten wegen des mit schwerer Strafe bedrohten verbleibenden Körperverletzungsdelikts strafen, hätte das die absonderliche Konsequenz, daß der Rücktritt den Täter schlechter stellen würde, als es bei Vollendung der Fall wäre. Die Lösung dieses Problems bietet ein Gesichtspunkt der Konkurrenzlehre: die Sperrwirkung des milderen Gesetzes. Dieses Kriterium bedeutet hier, daß die Wertentscheidung, die der Gesetzgeber bei der Privilegierung von Tötungsdelikten getroffen hat, durchschlägt auf die in der Tötungshandlung enthaltene Durchgangskörperverletzung. Die Privilegierung sperrt deshalb die Anwendung derjenigen Körperverletzungstatbestände, die eine schärfere Strafdrohung aufweisen. Infolgedessen läßt sich feststellen, daß die Einheitstheorie nicht nur die unbefriedigenden Konsequenzen der Gegensatztheorie vermeidet, sondern daß sie auch nicht ihrerseits zu Widersprüchen führt. Für die türkische Reform folgt hieraus die Anregung, die sachlich unzutreffende Wortfassung des Art. 456 Abs. 1 türk. StGB zu korrigieren, indem man die Worte „ohne Tötungsvorsatz“ ersatzlos streicht. III. Wenden wir uns nun den qualifizierten Körperverletzungstatbeständen zu. 5 Dabei soll es hier nicht darum gehen, den Katalog der qualifizierenden Umstände im einzelnen durchzugehen. Bei ihm handelt es sich um Wertentscheidungen des nationalen Gesetzgebers, die überwiegend außerhalb der wissenschaftlichen Fragen liegen. Vielmehr möchte ich den Blick auf grundsätzliche Probleme lenken, und dabei geht es hier vor allem um die Regelung der erfolgsqualifizierten Delikte. Bei den Strafbestimmungen der schweren Körperverletzung nach Art. 456 Abs. 2 und 3, ebenso bei der Körperverletzung mit Todesfolge nach Art. 452 5 Zu ihnen gehört auch Art. 243 türk. StGB. Dieser spezielle Qualifikationstatbestand für Mißhandlungen durch Staatsbeamte betrifft allerdings auch andere als körperverletzende Handlungen. Zweifelhaft erscheint, ob es angemessen ist, die Folterung und die lediglich ehrverletzende Behandlung in einer Strafbestimmung mit gleicher Strafdrohung zusammenzufassen. Das deutsche Strafrecht enthält demgegenüber einen reinen Tatbestand der Körperverletzung im Amt (§ 340 dt. StGB), der ebenfalls bei den Amtsdelikten eingeordnet ist. Er ist außerdem – meines Erachtens sachentsprechend (hinsichtlich vorsätzlicher Taten) – insoweit umfassender, als er sich auf jegliche von einem Amtsträger bei der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf diesen begangene Körperverletzungen erstreckt.

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türk. StGB handelt es sich um diese Deliktsgruppe. In Art. 45 türk. StGB, einer auch im Entwurf 1997 unverändert gebliebenen Vorschrift des Allgemeinen Teils, heißt es, daß vom vorsatzausschließenden Irrtum Fälle ausgenommen sind, in denen das Gesetz die Tat als Folge einer Handlung oder Unterlassung des Täters mit Strafe bedroht. In meinem Referat zum Allgemeinen Teil habe ich schon darauf hingewiesen, daß es sich dabei um eine dem Schuldprinzip widersprechende Erfolgshaftung handelt und deshalb bezüglich der Folge das Fahrlässigkeitserfordernis – und zwar in Form der Leichtfertigkeit, also der groben Fahrlässigkeit – unerläßlich ist. Darauf kann ich hier Bezug nehmen. Ich habe in meinem gestrigen Referat auch schon darauf hingewiesen, daß die Diskussion darüber, ob nicht überhaupt die ganze Deliktskategorie abgeschafft werden sollte, abgeflaut ist. 6 Man erkennt, daß die Abschaffung durch eine Erhöhung der Strafrahmen der Grundtatbestände ausgeglichen werden müßte, die betreffenden Fälle dann im Dunkelfeld der Strafzumessung auftauchen würden und damit der dogmatischen Kontrolle ihrer Voraussetzungen entzogen wären. Das gesamte Strafrahmensystem der Körperverletzungsvorschriften geriete durcheinander. Wenn man nun aber an erfolgsqualifizierten Tatbeständen festhält, so bedarf es dann auch einer klaren Trennung von Fällen vorsätzlicher Folgeverwirklichung und Fällen eines echten, nämlich keinen Vorsatz bezüglich der schweren Folge verlangenden erfolgsqualifizierten Delikts. Denn der Unterschied zwischen vorsätzlicher und unvorsätzlicher Begehung ist im Unrechts- und Schuldgehalt ja von erheblicher Relevanz. Auch das deutsche 6. Strafrechtsreformgesetz von 1998 ist bei der Neuformulierung des Tatbestands der schweren Körperverletzung nicht zu einer Modernisierung gelangt. Es hebt nämlich nur die Fälle des Dolus directus als weitere Strafschärfung ab, so daß Fälle des Dolus eventualis weiterhin mit denen unvorsätzlicher Verwirklichung auf eine Stufe gestellt werden. Das widerspricht nicht nur der sich durch das ganze StGB hindurchziehenden Abstufung von vorsätzlicher und unvorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung, sondern auch der sachentsprechenden tatbestandlichen Abgrenzung bei den Tötungsdelikten. Im türkischen StGB findet sich in Art. 458 im Anschluß an die als erfolgsqualifiziertes Delikt in Art. 456 Abs. 2 und 3 geregelte schwere Körperverletzung eine Vorschrift folgenden Inhalts: „Hat ... der Erfolg der Tat im Ergebnis den vom Täter geplanten Erfolg überschritten, so wird die Strafe um ein Drittel bis um die Hälfte herabgesetzt.“ An der Vorschrift ist unklar, was „geplant“ bedeutet. Dieser Begriff gehört nämlich nicht zu den im Allgemeinen Teil des türkischen StGB genannten Begriffen. Ist Absicht gemeint oder der Gesamtbereich des Dolus directus oder sogar jeder Vorsatzfall? Die Regelung ist außerdem innerhalb des Gesetzesaufbaus unsystematisch. Denn Art. 456 Abs. 2 und 3 sind in Verbindung mit Art. 45 türk. StGB als echte erfolgsqualifizierte Delikte, das heißt keinen 6

Näher dazu Küpper, Zur Entwicklung der erfolgsqualifizierten Delikte, ZStW 111 (1999), 785 ff.

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Vorsatz bezüglich der schweren Folge erfordernde Tatbestände gefaßt, so daß die hohe Strafdrohung sich zunächst einmal auf sie bezieht. Der spätere Art. 458 türk. StGB gibt der Vorschrift dann nachträglich einen veränderten Inhalt, nämlich den, nur für plangemäße schwere Erfolge zu gelten, während für die – in der Praxis im Vordergrund stehenden – Fälle planwidriger schwerer Erfolge eine um ein Drittel bis zu Hälfte niedrigere Strafdrohung gelten soll. Notwendig ist meines Erachtens eine klare tatbestandliche Differenzierung, wobei auch das Wort „geplant“ durch einen Begriff des strafrechtlichen Begriffsarsenals des Allgemeinen Teils zu ersetzen wäre. IV. Ein viel diskutiertes Problem bildet die Untergrenze der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit. Es tritt gerade bei der fahrlässigen Körperverletzung, und hier noch besonders die im Straßenverkehr begangenen Fälle, in den Blick. Das deutsche Recht sieht bisher nur verfahrensrechtliche Einschränkungen vor, indem es den Tatbestand bei den Antrags- und Privatklagedelikten einordnet, außerdem die Möglichkeit der Opportunitätseinstellung eröffnet. Da jedoch die Tat unter Berufung auf das öffentliche Interesse im Offizialverfahren verfolgt und das Fehlen eines Strafantrags durch die Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses ersetzt werden kann, ist die Verfolgungsintensität groß, vor allem bei Fällen aus dem Straßenverkehr. In der deutschen Literatur wird deshalb häufig eine materiell-rechtliche Eingrenzung der Strafbarkeit fahrlässiger Erfolgsverursachung gefordert. 7 Mir scheint dafür einiges zu sprechen. Die türkische Vorschrift über die fahrlässige Körperverletzung, der Art. 459 türk. StGB, enthält auch einen Absatz 2, der in die richtige Richtung weist. Dort heißt es, daß die Strafe je nach der Schwere der Schuld bis auf ein Achtel herabgesetzt werden kann. Man sollte auf diesem Wege noch einen Schritt weitergehen und bestimmen: „Sind Unrecht und Schuld so gering, daß die Verhängung einer Strafe unverhältnismäßig wäre, entfällt die Strafbarkeit.“ In Art. 33 Abs. 2 türk. Entwurf findet sich jetzt erfreulicherweise eine solche Regelung. V. Ein altes Reformproblem bildet die sachentsprechende rechtliche Einordnung des Heileingriffs. Bei uns besteht bekanntlich hinsichtlich der Einordnung ein 7 Siehe etwa: Hoffmann, Reformüberlegungen zur Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr, NZV 1993, 209 ff.; Zipf, Kriminologische Überlegungen zur Entkriminalisierung der fahrlässigen Körperverletzung, in: Krause-Festschrift, 1990, S. 437 ff.; auch schon Hirsch, Hauptprobleme einer Reform der Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit, ZStW 83 (1971), 140, 163.

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scharfer Gegensatz zwischen Rechtsprechung und vorherrschender Lehre. Die deutsche Judikatur hält starr an der Auffassung fest, daß jeder zu Heilzwecken vorgenommene ärztliche Eingriff, also auch der kunstgerechte, eine tatbestandsmäßige vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 dt. StGB) sei, die lediglich durch Einwilligung (unter Umständen auch mutmaßliche) des Patienten gerechtfertigt sein könne. 8 Fehle es an der Einwilligung – was in der heutigen Praxis vor allem bei Mängeln der ärztlichen Aufklärung bedeutsam wird –, mache sich der Arzt deshalb wegen vorsätzlicher Körperverletzung strafbar. Habe er sich in tatsächlicher Hinsicht über das Vorliegen der Einwilligung geirrt, sei er unter Heranziehung der in der Irrtumslehre herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 dt. StGB = § 230 alter Fassung dt. StGB) zu bestrafen. Die Auffassung der Judikatur wird im deutschen Schrifttum seit Jahrzehnten bekämpft. Es gibt kaum eine Frage des Besonderen Teils, zu der so viel geschrieben worden ist wie gerade zu dieser. Die vorherrschende Lehre lehnt es ab, in einem kunstgerecht vorgenommenen ärztlichen Heileingriff eine tatbestandsmäßige Körperverletzung zu sehen. 9 Es handele sich bei ihm weder um eine körperliche Mißhandlung noch um eine Gesundheitsbeschädigung, so daß die in § 223 dt. StGB enthaltene Definition der Körperverletzung nicht erfüllt sei. Das Fehlen einer Einwilligung betreffe daher hier nicht die Rechtfertigung einer Körperverletzung. Vielmehr handele es sich von vornherein allein um die Selbstbestimmung des Patienten, also um ein Freiheitsdelikt. In der Türkei ist die Problematik offenbar bisher nicht so stark ins Blickfeld getreten. Das mag daran liegen, daß beim Heileingriff die ärztlicher Legitimation weniger auf die Einwilligung des Patienten als vielmehr auf das ärztliche Berufsrecht gestützt wird. Da jedoch selbstverständlich auch in der Türkei kein Kurierzwang besteht, bildet die Selbstbestimmung des Patienten den Ausgangspunkt. Die Eingriffsbefugnis ist erst eine Folge von ihr. Im übrigen stellt sich unabhängig davon die Frage, ob ein erfolgreicher Heileingriff sich als körperliche Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung, den auch in Art. 456 Abs. 1 türk. StGB genannten Kriterien der Körperverletzung, einordnen läßt. Bei dem Streit geht es um die Frage des verletzten Rechtsguts, so daß bei diesem anzusetzen ist. Hier ist zu beachten, daß der Umfang des durch die Kör8

Vgl. RGSt. 25, 375, 378; BGHSt. 11, 111; 12, 379; 16, 309; BGH NStZ 1996, 34; st. Rspr.; ebenso Cramer, Ein Sonderstraftatbestand für die eigenmächtige Heilbehandlung, in: Lenckner-Festschrift, 1998. S. 761, 776 ff. 9 Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968, S. 66 ff.; Hirsch (Fn. 3), Vor. § 223 Rdn. 3 ff.; Lackner / Kühl, StGB 23. Aufl. 1999, Rdn. 8; Maurach / Schroeder / Maiwald, Besonderer Teil I, 8. Aufl. 1995, § 8 Rdn. 30; Tröndle / Fischer, StGB, 49. Aufl. 1999, § 223 Rdn. 9b. Grundlegend Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, 1939, S. 69 ff.; Engisch, ZStW 59 (1939), 1 ff.

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perverletzungsstrafbestimmungen geschützten Rechtsguts relativ ist: Der Mensch kann schon von Geburt an körperliche Defekte haben, er kann sie im Laufe seines Lebens in wechselnder Art, Schwere und Häufigkeit davontragen, aber auch ganz oder teilweise wieder beseitigen, und nicht zuletzt vollzieht sich durch den Prozeß des Alterns eine schrittweise Minderung seines Körperzustands. Daher treffen die gegen den Körper gerichteten Angriffe zu verschiedenen Zeiten auf sehr verschiedene körperliche Verfassungen des Betroffenen und können nicht selten nur noch eine weitere Verschlechterung seines ohnehin schon reduzierten Körperzustands bewirken. Aus der Relativität des Rechtsgutsumfangs folgt nun aber auch, daß Handlungen, die im medizinischen Sinne einen geminderten Körperzustand bessern oder eine Verschlechterung abwenden, also die Gesundheit – ganz oder teilweise – wiederherstellen oder bewahren, das Rechtsgut nicht verletzen. Wer einen körperlichen Defekt beseitigt oder verhütet, beeinträchtigt den Körper nicht, sondern behebt oder verhindert eine Beeinträchtigung, bewirkt also das Gegenteil einer Körperverletzung. 10 Infolgedessen ist bei der Frage, ob ein Heileingriff eine Körperverletzung darstellt, nicht auf die einzelnen Teilakte – Schnitt, Einstich, Entfernen eines kranken Organs usw. – abzustellen, sondern auf den Gesamtakt mit dem sich am Ende ergebenden Resultat. Dieser Inhalt des Rechtsguts wird auch in der bereits erwähnten Legaldefinition der Körperverletzung deutlich, wie sie sich in Art. 456 Abs. 1 türk. StGB und § 223 dt. StGB findet. Mit Recht weist die im deutschen Schrifttum herrschende Auffassung daher darauf hin, daß die Heilung eines Körperdefekts weder eine körperliche Mißhandlung noch eine Gesundheitsbeschädigung darstellt. 11 Beim mißlungenen Heileingriff ist dagegen der objektive Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, da hier die im Eingriff liegende Körpereinwirkung nicht mit einer ganz oder teilweisen Wiederherstellung oder Kräftigung der Gesundheit verbunden ist. Nach der in der deutschen Wissenschaft herrschenden personalen Unrechtslehre scheidet gleichwohl der Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung aus, weil der Wille des Täters auf einen Heilerfolg und damit nicht auf einen Körperverletzungserfolg gerichtet ist. 12 Hinsichtlich des Tatbestands der fahrlässigen Körperverletzung ist zu differenzieren: Ist der Eingriff, wenngleich objektiv mißlungen, gemäß den ärztlichen Kunstregeln (lege artis) vorgenommen, so fehlt es für eine fahrlässige Tat schon tatbestandlich an der Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens. Beruht das Mißlingen dagegen auf einem Verstoß gegen die ärztliche lex artis, dann liegt wegen des Behandlungsfehlers ein Sorgfaltsverstoß vor, weshalb der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung in solchen Fällen erfüllt ist.

10 11 12

Näher zu der ausschlaggebenden Rechtsgutsfrage Hirsch (Fn. 3), Vor § 223 Rn. 3. Vgl. die Nachweise Fn.9. Vgl. Hirsch (Fn. 3), Vor § 223 Rn. 5 und die dortigen Nachweise.

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Bei erfolgreichem Heileingriff spielt es an sich keine Rolle, ob der Eingriff von einem Arzt oder von einem Laien ausgeführt worden ist. Denn da die Tatbestandslosigkeit sich bei dieser Fallgruppe aus dem Fehlen einer Verletzung des durch die Körperverletzungstatbestände geschützten Rechtsguts ergibt, ist allein die Art des Erfolges entscheidend. Das schließt die Möglichkeit nicht aus, daß der durch die Handlung eines Laien verursachte Heilerfolg infolge nicht kunstgerechter Vornahme zu Nebenfolgen – etwa unnötigen Schmerzen – führt, die sich ihrerseits als Körperverletzung darstellen und deshalb insoweit vor allem als fahrlässige Tat übrigbleiben können. Es zeigt sich also, daß die im deutschen Schrifttum vorherrschende Lehre sachentsprechende Erklärungen und Abstufungen ermöglicht. Indem die Rechtsprechung dagegen die Lösung erst bei der rechtfertigenden Einwilligung sucht, wird übersehen, daß es bereits um eine Rechtsgutsfrage geht. Das Fehlen der Einwilligung führt in den Fällen des erfolgreichen und des mißlungenen, aber kunstgerechten Heileingriffs nicht zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung, sondern es kommt nur ein Freiheitsdelikt in Betracht. Diese Auffassung liegt auch dem in § 162 des deutschen Strafgesetzentwurfs von 1962 und in § 110 österr. StGB zu findenden Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung zugrunde, wobei allerdings die herrschende Meinung in Österreich die klare Trennung von der Körperverletzung bisher nicht überall nachzuvollziehen scheint. 13 Daß die deutsche Rechtsprechung hartnäckig an ihrem Standpunkt festhält, der Heileingriff sei eine tatbestandsmäßige vorsätzliche Körperverletzung, hängt vor allem damit zusammen, daß im deutschen StGB bisher keine Strafbestimmung der eigenmächtigen Heilbehandlung existiert. Es ergäben sich deshalb de lege lata Strafbarkeitslücken, wenn sich die Praxis jetzt dem Standpunkt der überwiegenden Theorie anschließen würde. Die vorhandenen Strafbestimmungen zum Schutze der persönlichen Freiheit, nämlich die der Freiheitsberaubung (§ 239 dt. StGB) und der Nötigung (§ 240 dt. StGB), erfassen nur einige extrem gelagerte Fälle dieses Bereichs. Im Referentenentwurf zu dem schon erwähnten deutschen 6.Strafrechtsreformgesetz von 1998 war ein Gesetzesvorschlag enthalten. 14 Dieser Unterschied sich von demjenigen früherer Gesetzentwürfe dadurch, daß er die Problematik im Rahmen der Körperverletzungsvorschriften zu regeln versuchte. Ging es in der bisherigen Entwicklung darum, der Rechtgutsverschiedenheit der eigenmächtigen Heilbehandlung Rechnung zu tragen, meinten die Verfasser des genannten Referentenentwurfs, es handele sich darum, Sonderregelungen für Ärzte innerhalb der Körperverletzungstatbestände zu schaffen. Das Ergebnis war nicht nur eine in 13 Siehe zum österreichischen Strafrecht die Erläuterungen bei Schmoller, in: Triffterer (Hrsg.), StGB-Kommentar, 1997, § 110 Rn. 15. 14 § 229 des Entwurfs.

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sich unstimmige Regelung, sondern daneben auch die Schaffung besonderer Strafschärfungen für Ärzte. Es ist den ärztlichen Standesorganisationen zu verdanken, daß die Vorschrift alsbald aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wurde und glücklicherweise nicht Gesetz geworden ist. Leider hat dieser verfehlte Gesetzgebungsanlauf aber in der Ärzteschaft die Vorstellung aufkommen lassen, am besten sei es, wenn alles bei der bisherigen Rechtsprechungspraxis bliebe. Daß aber eine gesetzliche Regelung auf der Grundlage der vorherrschenden Lehre nicht nur sachlich geboten ist und im Interesse der Ärzteschaft liegt, sondern auch gesetzestechnisch möglich ist, haben Schroeder und ich in kürzlichen Veröffentlichungen im einzelnen aufgezeigt. 15 VI. Besonderes Interesse beansprucht im Bereich der Körperverletzungsdelikte auch die Frage des Umfangs der Einwilligungsbefugnis des Verletzten. Das deutsche StGB enthält keine Einwillungsregelung im Allgemeinen Teil. Die grundsätzliche Anerkennung der von der herrschenden Meinung als Rechtfertigungsgrund eingestuften Einwilligungsfälle stützt sich daher herkömmlich auf Gewohnheitsrecht, jetzt auch auf die verfassungsrechtlich garantierte allgemeine Handlungsfreiheit. In § 228 dt. StGB (= § 226a alter Fassung dt. StGB) findet sich aber eine aus den dreißiger Jahren stammende Spezialregelung für den Bereich der Körperverletzungsdelikte. Mit ihr soll klargestellt werden, daß auch bei diesen Delikten die Rechtswidrigkeit durch Einwilligung ausgeschlossen sein kann, dabei aber Einschränkungen zu beachten sind. 16 Das geltende türkische Strafgesetzbuch enthält überhaupt keine Einwilligungsregelung. Man stützt sich deshalb in allen einschlägigen Fällen auf Gewohnheitsrecht. In Art. 30 des Entwurfs von 1997 findet sich jetzt eine allgemeine Regelung. Hinsichtlich der Umgrenzung heißt es dort, daß das Opfer über das jeweilige Recht ein absolutes Verfügungsrecht haben müsse. Die Frage ist jedoch, nach welchen Kriterien sich dies bestimmt. Der § 228 dt. StGB sagt, daß eine mit Einwilligung des Verletzten vorgenommene Körperverletzung gleichwohl rechtswidrig ist, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Es handelt sich dabei im deutschen Recht um einen die allgemeinen Einwilligungsgrundsätze einschränkenden, zusätzlichen Gesichtspunkt. Er erklärt sich damit, daß sich bei den Körperverletzungsdelikten die 15 Schroeder, Besondere Strafvorschriften gegen eigenmächtige und fehlerhafte Heilbehandlung?, 1998; Hirsch, Zur Frage eines Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung, in: Zipf-Gedächtnisschrift, 1999, S. 353, 359 ff., 369 ff. 16 Eine Sonderregelung für Organentnahmen bei lebenden Organspendern gibt es daneben in § 8 des dt. Transplantionsgesetzes vom 5. 11. 1997 (BGBl. I 2631).

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Skala möglicher Verletzungen von sehr leichten (zum Beispiel Haarabschneiden) bis zu sehr schwerwiegenden (beispielsweise Verlust des Sehvermögens) erstreckt und daher limitierende Aspekte aus der Sicht der Allgemeinheit Bedeutung erlangen. Die Vorschrift läßt als Limitierung nicht schon Sittenwidrigkeit allein der Einwilligung genügen, sondern sie verlangt mit Recht, daß die Tat nicht gegen die guten Sitten verstoßen darf. Dies ergibt sich aus der Rechtsgutbezogenheit des Rechtfertigungsgrundes. Denn während bei der Frage, ob eine Einwilligungserklärung als sittenwidrig zu bewerten ist, auch andere Schutzaspekte als die der Körperverletzungsstrafbestimmungen zu berücksichtigen wären, geht es bei der Sittenwidrigkeit der Tat lediglich um die Grenzen der Verfügungsbefugnis in bezug auf das Rechtsgut dieser Strafbestimmungen. Umstritten ist jedoch, wonach sich die Sittenwidrigkeit der Tat bestimmt. Die im deutschen Strafrecht herrschende Meinung stellt primär darauf ab, ob die Körperverletzung einem positiv zu bewertenden Zweck dient. Deshalb sollen Peitschenhiebe, die zu sadomasochistischen Zwecken erfolgen, nicht durch Einwilligung des Verletzten gerechtfertigt sein; ebensowenig zum Zwecke der Vorbereitung oder Verdeckung eines Betrugs oder einer anderen Straftat einverständlich vorgenommene Körperverletzungen. 17 Demgegenüber vertritt eine zunehmende Richtung im Schrifttum die Ansicht, daß es auf das besondere Gewicht des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs ankomme, das heißt auf Erfolgsumfang, Gefahrengrad, Vorsatz oder Fahrlässigkeit. 18 In dieser Diskussion dürften die Gegner der herrschenden Ansicht die überzeugenderen Argumente haben. Mit der grundsätzlichen Orientierung am Zweckgedanken gibt man nämlich das ausschließliche Abstellen auf die Tat der Sache nach auf, weil Gesichtspunkte einbezogen werden, die nur die Sittenwidrigkeit der Einwilligungserklärung selbst betreffen. Stuft man eine mit Einwilligung vorgenommene Körperverletzung allein schon wegen des sittlich negativ zu veranschlagenden Motivs oder Zieles als rechtswidrig ein, so geht es in Wahrheit gar nicht mehr um eine echte Einwilligungsregelung, da das Wesen zulässiger Einwilligung doch gerade in der grundsätzlich freien Disposition über den deliktsrechtlichen Schutz des Rechtsguts besteht. Daß eine Limitierung unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit der Tat erfolgt, erklärt sich vielmehr nur aus dem Gewicht, den der tatbestandliche Rechtsgutsangriff bei den Körperverletzungen im Hinblick auf Erfolgsumfang, Gefahrengrad, Vorsatz oder lediglich Fahrlässigkeit haben kann. Daß dem einverstandenen Betroffenen aus sadomasochistischem Motiv Striemen 17

Siehe die Übersicht über Rechtsprechung und Schrifttum bei Hirsch (Fn. 3), § 226a

Rn.8. 18 Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung, 1970, S. 39; Hirsch (Fn. 7), S. 166 f.; Otto, Eigenverantwortliche Selbstschädigung, in: Tröndle-Festschrift, 1989, S. 157, 168; Weigend, Über die Begründung der Straflosigkeit bei Einwilligung des Betroffenen, ZStW 98 (1986), 44, 64.

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zugefügt werden, läßt in Anbetracht des nicht schwerwiegenden Erfolgsumfangs die Rechtfertigung der Körperverletzung durch die Einwilligung unberührt; denn die Anstößigkeit betrifft nicht das Ausmaß der Körperverletzung, sondern bezieht sich auf den sexuellen Aspekt. Ebenso ist unerheblich, daß die einverständliche Körperverletzung zur Vorbereitung, Vornahme, Verdeckung oder Vortäuschung einer anderen Straftat begangen wird. Dieser Beweggrund hat nämlich nichts mit dem Umfang des notwendigen Schutzes der Körperintegrität zu tun. Vielmehr betrifft er allein das Rechtsgut, das Gegenstand der bezweckten Straftat ist. Die abweichende herrschende Meinung läuft darauf hinaus, daß die Verwerflichkeit des verfolgten Zwecks und nicht mehr die Verletzung des vom Tatbestand erfaßten Rechtsguts der Grund für die Rechtswidrigkeit und Bestrafung der Körperverletzung sein würde. 19 Erst dann, wenn eine Körperverletzung wegen des Gewichts des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs für sich allein betrachtet als sittenwidrig anzusehen wäre, vermag der positive Zweck ausnahmsweise Bedeutung zu erlangen, und zwar in dem Sinne, daß er noch eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung ermöglichen kann. Dabei kommt es darauf an, daß der Zweck so gewichtig ist, daß seine einverständliche Realisierung auch um den Preis einer derartigen Körperverletzung noch angemessen erscheint, wie beispielsweise bei der Organentnahme (Niere, Augennetzhaut) zum Zwecke der Transplantation. In solchen Fällen verbindet sich die Einwilligung allerdings bereits mit anderen Rechtfertigungsgesichtspunkten, weshalb lediglich der Sachzusammenhang es nahelegt, sie mit bei der Einwilligungsfrage einzuordnen. Es kommt also darauf an, daß man bei den Körperverletzungsdelikten den durch die Einwilligungsbefugnis gewährten allgemeinen Freiraum lediglich unter dem Gesichtspunkt des Gewichts des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs einschränkt und den Gesichtspunkt des positiven Zwecks nur zur ausnahmsweisen Erweiterung des Bereichs der Rechtfertigung heranzieht. Indem die herrschende Meinung den umgekehrten Weg beschreitet und die Einwilligungsbefugnis von vornherein durch das Erfordernis eines positiven Zwecks begrenzt, verkennt sie die in der Anerkennung der rechtfertigenden Einwilligung zum Ausdruck gelangende grundsätzliche Freigabe der Einwilligungsmöglichkeit und deren Rechtsgutbezogenheit. Was folgt aus alledem für die Reformgesetzgebung? Im deutschen Schrifttum gibt es neuerdings eine Richtung, die antwortet: Zwar sei es sinnvoll, solange es eine allgemeine Einwilligungsvorschrift nicht gebe, ausdrücklich im Gesetz auf die Möglichkeit zulässiger Einwilligung in Körperverletzungen hinzuweisen. Jedoch bestehe für eine gesetzliche Eingrenzung kein Bedarf, da zur Entscheidung der Beachtlichkeit die allgemeinen Grundsätze der Einwilligungslehre genügten. 20

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Vgl. zum Vorhergehenden Hirsch (Fn. 3), § 226a Rn. 9 f.

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Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Erfahrungen bei den Körperverletzungsstatbeständen zeigen, daß hier der Grenzverlauf zwischen befugtem und unbefugtem Einwilligungsbereich nach gesetzlicher Präzisierung ruft. Erwiesen sich schon die „guten Sitten“ als ein zu schwammiger Gesichtspunkt, um strafrechtlich brauchbar zu sein, so führt auch die als allgemeiner Gesichtspunkt genannte „Vernünftigkeit“ nicht weiter. Denn sie ist ebenfalls nicht eindeutig zu beantworten. Zudem bezieht die grundsätzlich erfolgte Freigabe der Einwilligung auch unvernünftige Einwilligungen ein, solange die Schwere des Rechtsgutsangriffs nicht zu den Wertvorstellungen der Gesellschaft in Widerspruch tritt (beispielsweise bei einer Tätowierung mit dem Namen einer augenblicklichen Freundin). Erst recht sind die allgemeinen Einwilligungserfordernisse „Einsichtsfähigkeit“ und „Fehlen von Willensmängeln“ keine tauglichen Gesichtspunkte für die Markierung der normativen Abgrenzung. Ein Reformgesetzgeber wird daher gut daran tun, wenn er bei den Körperverletzungstatbeständen mit Hilfe der im vorhergehenden aufgezeigten Gesichtspunkte, also insbesondere der Schwere der Verletzung, die Grenzen näher benennt. VII. Meine Ausführungen zu ausgewählten Problemkreisen aus dem Bereich der Körperverletzungsdelikte haben bestätigt, daß trotz Unterschieden in der gesetzlichen Ausgestaltung die zentralen Fragen für beide Rechtsordnungen die gleichen sind und die Bemühungen um ihre sachentsprechende Lösung viele Parallelen aufweisen. Diese Feststellung ließe sich sicherlich auch noch für weitere Fragen aus dem Gebiet treffen, beispielsweise für Probleme der Einstufung der mittäterschaftlichen Körperverletzung oder des Tatbestands der Beteiligung an einer Schlägerei. Auch an den Umfang der Züchtigungsbefugnis ließe sich denken, der jedoch bereits im Vorfeld des Strafrechts, nämlich im Familienrecht, bestimmt wird. Insgesamt zeigt sich, daß für den türkischen und auch den deutschen Reformgesetzgeber im Bereich der Körperverletzungsregelungen noch einiges zu tun ist. Vielleicht kann die eine oder andere meiner Anregungen dabei von Nutzen sein.

20 Vgl. R. Schmitt, § 226a ist überflüssig, in: H. Schröder-Gedächtnisschrift, 1978, S. 263, 272; H. Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung und die Guten Sitten, 1999, S. 57 ff.; siehe auch Frisch, Zum Unrecht der sittenwidrigen Körperverletzung (§ 228 StGB), 1999, S. 485, 498 ff.

Stellungnahme zum Entwurf 2004 eines türkischen Strafgesetzbuchs 2004 Wegen der für die Stellungnahme nur zur Verfügung stehenden sehr kurzen Zeit und auch wegen des Umstands, daß mir nicht der genaue Text, sondern lediglich ein auf die Grundzüge beschränkter Bericht vorliegt, muß ich mich mit wenigen Bemerkungen begnügen. 1. Ich bin sehr beeindruckt von der Leistung der Kommission, innerhalb weniger Monate einen neuen Entwurf zu erarbeiten. Besonders gefreut habe ich mich darüber, daß in ihm der Blick stärker als bisher auf die moderne strafrechtliche Entwicklung in ganz Europa, gerade auch in Deutschland, gerichtet wird. 2. Nach meiner Meinung läßt das unberührt, daß der Entwurf eines StGB immer eine eingehende parlamentarische Beratung erfordert. Vom Parlament sollten wohl doch noch namhafte Persönlichkeiten aus dem Kreis derjenigen Fachvertreter angehört werden, die nicht an der Kommission beteiligt gewesen sind. Gerade ein StGB erfordert beständige Vorschriften, so daß andernfalls drohende baldige erneute Reformdebatten sehr nachteilig wären. Im übrigen meine ich, daß die Angleichung des türkischen Rechts an die Standards der Europäischen Union weniger das Strafgesetzbuch als vielmehr die Strafprozeßordnung – und die Möglichkeiten ihrer Handhabung – betreffen. Hinsichtlich des Strafgesetzbuchs sehe ich aus europäischer Sicht keinen Zwang zu einer überstürzten Gesamtreform. 3. Ob die in § 1 in Anlehnung an das russische StGB erfolgte einleitende Benennung der Zweckbestimmung der Strafvorschriften sinnvoll ist, erscheint mir zweifelhaft. Soll eine solche Vorschrift mehr als eine nur deklaratorische Funktion haben, bewirkt sie erhebliche Unbestimmtheit im Strafrecht, so daß Probleme mit dem Bestimmtheitsgebot des Satzes „Nullum crimen sine lege“ die Folge wären. Meines Erachtens ist die herkömmliche Gesetzestechnik vorzugwürdig, die es genügen läßt, daß die Einzelvorschriften so abgefaßt sind, daß sie den in § 1 des Entwurfs genannten Zielen entsprechen. 4. In einem Schuldstrafrecht unverzichtbar ist eine Regelung des Irrtums über die Rechtswidrigkeit. Einen Grundsatz, daß Unkenntnis des Gesetzes nicht vor Strafe schützt, gibt es in dieser Allgemeinheit in einem modernen Strafrecht nicht mehr. Abgesehen davon, daß der Entwurf ihn bei Unvermeidbarkeit des Irrtums

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auch vernünftigerweise nicht durchhält, kann bei Vermeidbarkeit eine gesetzliche Schuldminderung bedeutsam werden. Wie die deutsche Praxis zeigt, würden bei einer dem § 17 dtsch. StGB nachgebildeten Regelung keineswegs die Schleusen zur Straflosigkeit oder Strafmilderung geöffnet werden. Das Schuldprinzip erfordert nämlich nicht die Beachtung des Irrtums über die Straf barkeit, sondern den über die allgemeine Rechtswidrigkeit, und das danach ausschlaggebende Bewußtsein des Unrechts ist in den meisten Fällen gegeben. Jedenfalls sollte im § 4 verdeutlicht werden, daß es nur um die Unkenntnis des allgemeinen Unrechts des Verhaltens geht. 5. Daß in § 20 Abs. 1 keine Strafbarkeit juristischer Personen vorgesehen ist, halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für richtig. Die Problematik ist theoretisch und auch hinsichtlich der praktischen Notwendigkeit noch zu wenig abgeklärt. Auch der deutsche Gesetzgeber hält sich zurück. Die in mehrern anderen kontinentaleuropäischen Staaten neuerdings eingeführten Regelungen sind nicht nachahmungswürdig, weil sie den Unterschied zwischen den Kriterien strafrechtlicher Verantwortlichkeit und denen zivilrechtlicher Haftung einebnen. Im übrigen wird auch von der EU keine Strafbarkeit verlangt, sondern dem Gesetzgeber als Alternative eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Lösung überlassen. 6. Die in § 21 Abs. 2 enthaltene Definition des Eventualvorsatzes ist entgegen den Angaben des Berichts wohl doch nicht an die des polnischen StGB angelehnt. In Art. 9 § 1 poln. StGB heißt es nämlich: „Wenn der Täter die Möglichkeit ihrer Begehung voraussieht und mit ihr einverstanden ist.“ Das voluntative Vorsatzelement wird dort also durchaus verlangt, und sogar in der am weitesten gehenden Form der strengen Einwilligungstheorie. Eine Beschränkung auf die bloße Voraussehbarkeit würde auch die Grenze zwischen Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit einreißen, was mit einer untragbaren Ausweitung der Strafbarkeit verbunden wäre. Neben die Voraussehbarkeit gehört notwenig ein voluntatives Element. Dieses zwar nicht in der Form des Einverständnisses, aber des Inkaufnehmens. Auch eine negative Formulierung ist denkbar: Möglichkeit der Verwirklichung des Tatbestandes erkennt und nicht auf deren Ausbleiben vertraut. 7. Die Einführung des Erfordernisses der Folgefahrlässigkeit beim erfolgsqualifizierten Delikt durch § 23 ist zwingend durch das Schuldprinzip geboten und deshalb nachdrücklich zu begrüßen. 8. Bei § 25 Abs. 1 ist mir unklar, inwieweit die „unzweifelhafte Wiederholungsgefahr“ für Notwehr genügen soll. Ist ein Angriff noch nicht gegenwärtig, so kommt nur rechtfertigender Notstand in Betracht (Fall der „Dauergefahr“). 9. Bei der Notstandsvorschrift des § 25 Abs. 2 handelt es sich wohl um die Fälle des rechtfertigenden Notstands. Die des entschuldigenden Notstands wären dem § 28 zuzuordnen. Bei dieser Vorschrift habe ich jedoch ernste Zweifel, ob sie ausreichend umgrenzt ist (siehe dazu § 35 dtsch. StGB).

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10. Bei § 30 Abs. 3 ist nach den Angaben in dem mir vorliegenden Bericht nicht ganz deutlich, wie es sich bei vermeidbarem Irrtum verhalten soll. 11. Es ist für mich sehr ehrenvoll, daß im Zusammenhang mit § 35 Abs. 1 auf meine Bedenken gegenüber der in Deutschland vertretenen subjektiven Versuchstheorie zustimmend hingewiesen wird. Schon bisher findet sich im türkischen StGB die neuere objektive Versuchstheorie (Gefährlichkeitstheorie). Das in § 35 Abs. 1 aufgenommene Erfordernis „taugliche Handlungen“ könnte allerdings zu Fehlinterpretationen dahingehend führen, daß es bei der Tauglichkeit auf die ex post-Sicht ankomme. Ausschlaggebend ist selbstverständlich eine Einschätzung der konkreten Eignung ex ante. Vielleicht sollte man das im Text noch deutlicher zum Ausdruck bringen. 12. Beim Rücktritt vom sogenannten beendeten Versuch sollte man durch die Formulierung „ernsthaftes Bemühen“ deutlich machen, daß bloßes Kausalwerden für das zufällige Ausbleiben des Erfolges nicht genügt. 13. Hinsichtlich der Akzessorietätsfragen bei der Teilnahme ist zu begrüßen, daß bei strafschärfenden besonderen persönlichen Merkmalen keine Akzessorietätslockerung für den Teilnehmer vorgesehen ist. Die bei diesen Fällen aus § 28 Abs. 2 dtsch. StGB von der bisherigen deutschen h.M. herausgelesene „Tatbestandslösung“ ist sachwidrig und steht zudem in Widerspruch zu der bei strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen unausweichlichen (sachentsprechenden) Strafzumessungslösung, wie sie sich in § 28 Abs. 1 dtsch. StGB findet. 14. Eine bedenkliche Lücke im Entwurf bildet die fehlende Regelung (und Eingrenzung) des unechten Unterlassungsdelikts im Allgemeinen Teil. 15. Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist die Übernahme des Tagessatzsystems bei der Geldstrafe nachdrücklich zu begrüßen. 16. Zu der Erhöhung der Strafrahmen kann ich als Ausländer nur wenig sagen, da mir dazu der Einblick in die türkische Praxis und die Kenntnis von den einschlägigen Anschauungen der dortigen Bevölkerung fehlen. Bisher ging ich davon aus, daß die türkische Strafpraxis jedenfalls erheblich schärfer als die in Westund Mitteleuropa ist. Im übrigen meine ich, daß Änderungen von Strafrahmen die Auswertung von empirischem Material aus der Praxis erfordern. Ich weiß nicht, ob der Kommission in der Kürze der Zeit solches Material in ausreichendem Maße zur Verfügung gestanden hat. 17. Auch zur tatbestandlichen Fassung der Einzelvorschriften kann ich nur wenig anmerken, da ich keine genauere Kenntnis von den Texten habe. Die Begrenzung des Tatbestandes der Volksverhetzung, der auch im dtsch. StGB bisher eine zu weite Fassung hat, auf ein konkretes Gefährdungsdelikt ist zu begrüßen. Ebenfalls bildet die Modernisierung des Betrugstatbestands einen Fortschritt. Ob Raub und räuberische Erpressung in einen Topf gehören, halte ich dagegen für

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zweifelhaft, vor allem dann, wenn man zum Grundtatbestand der Erpressung richtigerweise eine Vermögensverfügung verlangt. Allgemein positiv einzuschätzen ist aber die Tendenz zur Reduzierung der kriminalstrafrechtlichen Tatbestände. 18. Zu bedauern ist, daß zeitgleich mit dem Entwurf das neue türkische Ehebruchsgesetz mit seiner Strafvorschrift diskutiert wird. 19. Auch wenn der StGB-Entwurf vielleicht nicht in allen Punkten das letzte Wort sein kann, möchte ich meinen großen Respekt vor diesem innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums erarbeiteten Text noch einmal zum Ausdruck bringen.

Fragen einer Harmonisierung des Straf- und Strafprozeßrechts in der Europäischen Union 2005 I. Professor Dr. Julio Maier, dem dieser Beitrag in freundschaftlicher Verbundenheit zu seinem 70. Geburtstag mit vielen guten Wünschen gewidmet ist, hat die Verbindung zu Europa immer intensiv gepflegt. Insbesondere zu Deutschland unterhält er seit Jahrzehnten enge fachliche und persönliche Beziehungen. Mit einem Stipendium des DAAD bereitete er von 1963 bis 1965 seine rechtsvergleichende argentinische Dissertation über das deutsche und das argentinische Strafprozeßrecht vor. Als Humboldt-Stipendiat war er von 1976 bis 1978 in Bonn zu Forschungen für sein ebenfalls in Buenos Aires veröffentlichtes Buch über die „Normative Funktion der Nichtigkeit“, und 1990 ist er erneut in München gewesen, um Studien für sein großes Lehrbuch des Strafprozeßrechts zu betreiben. Wir lernten uns während seines Bonner Aufenthalts kennen. Daraus ist ein enger wissenschaftlicher und persönlicher Kontakt mit Begegnungen in Deutschland und Argentinien geworden. Julio Maiers besonderes Interesse für Entwicklungen des Straf- und Strafprozeßrechts in Europa, gibt dazu Anlaß, für diesen Festschriftbeitrag das obengenannte Thema zu wählen. II. 1. In der ursprünglichen Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ist von Strafrecht keine Rede gewesen. Er sah nur vor, daß die Gemeinschaft in den ihr übertragenen Bereichen ordnungswidrigkeitenrechtliche Vorschriften mit Geldbußesanktionen erlassen darf. 1 Von dieser Zuständigkeit hat man in erheblichem Maße Gebrauch gemacht, insbesondere bei 1 Siehe Art. 87 Abs. 2 EVG i.d. F. von 1957, jetzt Art. 83 Abs. 2a EVG i.d. F. von 1992. Hinsichtlich der Verträge ist zu unterscheiden zwischen dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EVG), bei welchem es sich um den zwischenzeitlich teilweise geänderten (so auch hinsichtlich der Numerierung von Vorschriften) Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft handelt, dann dem Vertrag über

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wettbewerbsrechtlichen Verstößen. Geldbußen gegen Unternehmen in Höhe von mehreren Millionen Euro sind keine Seltenheit. Das Schutzbedürfnis der Vermögensinteressen der inzwischen zur Europäischen Union (EU) erweiterten Europäischen Gemeinschaften hat seit Anfang der 90er Jahre den Blick auch auf das Strafrecht, das heißt das Kriminalstrafrecht, gelenkt. Anlaß waren und sind insbesondere Fälle des Subventionsbetrugs. Im Jahre 1995 haben die Mitgliedsstaaten ein Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EU unterzeichnet. 2 Mit diesem Übereinkommen verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, in ihren jeweiligen nationalen Rechtsordnungen „betrügerische Handlungen“ zum Nachteil „der finanziellen Interessen der Europäischen Union“ als Straftaten zu erfassen. Die dabei im Mittelpunkt stehende Regelung des Subventionsbetrugs veranlaßte den deutschen Gesetzgeber im Jahre 1998 zu Modifikationen des dieses Delikt betreffenden § 264 dtsch. StGB. Das Übereinkommen von 1995 ist durch zwei Zusatzprotokolle ergänzt worden, die ebenfalls in nationales Recht umzusetzende Regelungen enthalten. Das im Jahre 1996 verabschiedete Erste Protokoll 3 betrifft Bestechungshandlungen; das von 1997 stammende Zweite Protokoll 4 enthält insbesondere Regelungen zur Geldwäsche und zur Verantwortlichkeit juristischer Personen. Bisher sind aber durchaus nicht alle Mitgliedsstaaten den Gesetzgebungsverpflichtungen aus dem Übereinkommen und den beiden Zusatzprotokollen nachgekommen. Im Jahre 1997 wurde der Vertrag von Amsterdam unterzeichnet. 5 Er überführte wesentliche Teile der bisherigen sogenannten „Dritten Säule“ der EU – das heißt: die Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Innedie Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von 1951 sowie dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM). Sie sind die Rechtsgrundlage der Europäischen Gemeinschaften (zumeist ist von ihnen heute indes im Singular die Rede). Diese drei Gemeinschaften und die ihnen zugrundeliegenden Verträge bilden die sogenannte Erste Säule der heutigen Europäischen Union. Letztere beruht auf dem Vertrag über die Europäische Union von 1992. 2 Rechtsakt des Rates vom 26. 7. 1995 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Abl. C 316/48 vom 27. 11. 1995. Siehe außerdem die Rahmenverordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. 12. 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Abl. L 312/1 vom 23. 12. 1995. 3 Rechtsakt des Rates vom 27. 9. 1996 über die Ausarbeitung eines Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften Abl. C 313/1 vom 23. 10. 1997. 4 Rechtsakt des Rates vom 19. 6. 1997 über die Ausarbeitung des zweiten Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Abl. C 221/11 vom 19. 7. 1997. 5 In Kraft getreten am 1. 5. 1999.

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res – in die „Erste Säule“, nämlich den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Art. 280 Abs. 4 EGV sieht mit der durch den Vertrag von Amsterdam erfolgten Änderung vor, daß der Rat zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedsstaaten die „erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Risiken der Gemeinschaft richten“, beschließt. Satz 2 dieses vierten Absatzes bestimmt: „Die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedsstaaten und ihre Strafrechtspflege bleiben von diesen Maßnahmen“ unberührt. Es ist umstritten, welche Konsequenzen sich aus der Neufassung ergeben. Einige Autoren sagen, daß der Satz 2 lediglich die Fortgeltung des einschlägigen nationalen Strafrechts neben dem Gemeinschaftsstrafrecht gewährleistet und ersterem als lex specialis einen Vorrang bei der Anwendung einräumt. 6 Andere Autoren wollen dem Satz 2 entnehmen, daß die strafgesetzliche Kompetenz ausschließlich bei den Mitgliedsstaaten verbleiben soll. 7 Für diese Interpretation könnte sprechen, daß ein Vorschlag der Brüsseler Kommission zur Schaffung eines Art. 280a EGV, der neben der Einführung einer europäischen Staatsanwaltschaft ausdrücklich und eindeutig die Setzung von Kriminalstrafrecht durch die EU vorsehen sollte, auf der Regierungskonferenz in Nizza im Dezember 2000 nicht aufgegriffen worden ist. 8 Auch dem in einem sogenannten „Grünbuch“ von 2001 9 im einzelnen dargelegten Vorschlag der EU-Kommission, eine europäische Staatsanwaltschaft zu schaffen, werden derzeit keine großen Erfolgsaussichten eingeräumt. Inzwischen haben sich im Juni 2004 die Regierungen der Mitgliedsstaaten auf einer Konferenz in Brüssel auf den Text eines Vertrags über eine Verfassung für Europa verständigt. 10 Die förmliche Unterzeichnung soll im Herbst 2004 6 K. Tiedemann, Lehren von der Straftat im Allgemeinen Teil der Europäischen Rechtssysteme, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 1998, S. 107, 108; G. Dannecker, Der Allgemeine Teil eines europäischen Strafrechts als Herausforderung für die Strafrechtswissenschaft, in: Festschrift für Hirsch, 1999, S. 141, 144; K. Laubenthal / H. Baier, Durch die Ausländereigenschaft bedingte Verbotsirrtümer und die Perspektiven europäischer Rechtsvereinheitlichung, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 2000, S. 205 mit Fn. 4; F. Zieschang, Chancen und Risiken der Europäisierung des Strafrechts, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 113 (2001), S. 255, 260 f. 7 A. Musil, Umfang und Grenzen europäischer Rechtsetzungsbefugnisse im Bereich des Strafrechts nach dem Vertrag von Amsterdam, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 2000, S. 68; H. Otto, Das Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, in: Jura 2000, S. 98; H. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 143, 699, passim; T. Weigend, Spricht Europa mit zwei Zungen?, in: Strafverteidiger 2001, S. 63, 67; L. Schulz, Europäisches Strafrecht ante portas, in: Strafverteidiger 2001, S. 85; C. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 118 ff., 156. 8 Dazu F. Zieschang (Fn. 6), S. 261 Fn. 30. 9 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, 2001.

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stattfinden. Zugrunde liegt dem Verfassungstext ein von einer Kommission ausgearbeiteter Entwurf aus dem Jahre 2003, an dem bei der Brüsseler Konferenz in den hier interessierenden Bereichen noch einige Änderungen vorgenommen worden sind. Sobald der Vertrag unterzeichnet ist, bedarf er der Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten, wobei zu beachten ist, daß in einigen von ihnen nach innerstaatlichem Recht vorhergehende Volksentscheide über die Annahme notwendig sind. Hinsichtlich des Inkrafttretens der Verfassung ist kein fester Zeitpunkt genannt. Es wird vielmehr bestimmt: Wenn nach Ablauf von zwei Jahren seit der Unterzeichnung vier Fünftel der Mitglieder den Vertrag ratifiziert haben und in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten Schwierigkeiten bei der Ratifikation aufgetreten sind, hat sich der Europäische Rat damit zu befassen. 11 Der Verfassungstext enthält einen Abschnitt über „Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ (Art. III-270 bis III-274). Nach Art. III-270 Abs. 1 beruht die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und umfaßt die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den in Absatz 2 der Vorschrift und Art. III-271 genannten Bereichen. Durch Europäische Gesetze oder Rahmengesetze werden Regeln und Verfahren festgelegt, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der gesamten Union sichergestellt wird. Art. III-270 Abs. 2 bestimmt darüber hinaus: Soweit es zur Erleichterung dieser gegenseitigen Anerkennung und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist, können durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften festgelegt werden. Sie betreffen die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedsstaaten, die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren, die Rechte der Opfer von Straftaten und sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens, die zuvor vom Rat durch einen Europäischen Beschluß bestimmt worden sind. Bei diesen Mindestvorschriften werden die Unterschiede zwischen den Rechtstraditionen und Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten berücksichtigt. Auch hindert der Erlaß von Mindestvorschriften die Mitgliedsstaaten nicht daran, ein höheres Schutzniveau für den einzelnen Bürger beizubehalten oder einzuführen. In dem schon erwähnten Art. III-271 wird bestimmt, daß durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festgelegt werden können, die aufgrund der Art oder Auswirkung der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie von gemeinsamen Grundlagen ausgehend zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Als derartige Kriminalitätsbereiche sind aufgezählt: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen 10 Vorläufige konsolidierte Fassung eines Vertrages über eine Verfassung für Europa, Dokument CiG 86/04 vom 25. 6. 2004. 11 Vgl. die der Schlußakte beigefügte Erklärung über die Ratifizierung des Vertrags über die Verfassung für Europa.

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und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und Organisierte Kriminalität. Weiterhin heißt es, daß je nach den Entwicklungen der Kriminalität der Ministerrat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig einen Beschluß fassen kann, in dem weitere, die genannten allgemeinen Kriterien erfüllende Kriminalitätsbereiche bestimmt werden. Außerdem wird in Absatz 2 des Art. III-271 gesagt, daß dann, wenn sich die Angleichung strafrechtlicher Normen als unerläßlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet erweist, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf dem betreffenden Gebiet festgelegt werden können. Sowohl hinsichtlich Art. III-270 Abs. 2 als auch Art. III-271 wird jedem Mitglied des Rats der EU, das der Auffassung ist, ein Entwurf eines Europäischen Rahmengesetzes berühre grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung, das Recht eingeräumt, zu beantragen, daß der Europäische Rat damit befaßt wird. Als europäische Einrichtungen sind sodann die bereits bestehende Behörde „Eurojust“ (Art. III-273) und die Europäische Staatsanwaltschaft (Art. III-274) aufgeführt. Eurojust hat die Aufgabe der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden der Mitgliedsstaaten bei der Verfolgung von schwerer Kriminalität. Hinsichtlich einer Europäischen Staatsanwaltschaft heißt es in Art. III-274 Abs. 1, daß sie zur Bekämpfung von Straftaten, die zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU begangen worden sind, durch ein Europäisches Gesetz ausgehend von Eurojust eingerichtet werden kann. Es bedarf dazu eines einstimmigen Beschlusses des Rates nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Die Europäische Staatsanwaltschaft wäre bei den betreffenden Straftaten zuständig für die Verfolgung, Untersuchung und Anklageerhebung. Sie würde die Aufgaben der Staatsanwaltschaft vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedsstaaten wahrnehmen (Absatz 2). Gemäß Absatz 4 kann der Europäische Rat gleichzeitig mit der Annahme des in Absatz 1 genannten Europäischen Gesetzes oder im Anschluß daran einen Europäischen Beschluß zur Änderung dieses Absatzes 1 mit dem Ziel einer Ausdehnung der Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft auf die Bekämpfung von schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension erlassen. Der dazu erforderliche einstimmige Beschluß bedarf der vorherigen Anhörung der Europäischen Kommission und der Zustimmung des Europäischen Parlaments. In materiellrechtlicher Hinsicht findet sich schließlich noch ein spezieller Abschnitt über „Betrugsbekämpfung“. Nach dem dortigen Art. III-415 Abs. 4 werden zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrug, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, durch Europäische Gesetze oder Rahmengesetze festgelegt. 2. Mitte der 90er Jahre hat eine aus Strafrechtswissenschaftlern der Mitgliedsländer zusammengesetzte Arbeitsgruppe im Auftrage des Europäischen Parla-

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ments und der Brüsseler Kommission einen umfassenden Entwurf von Vorschriften verfaßt, die als gemeinsames Strafrecht zum Schutz der EU-Vermögensinteressen in Betracht kommen sollen. Er enthält nicht nur einschlägige Strafbestimmungen des Besonderen Teils, sondern auch Vorschriften zum Allgemeinen Teil einschließlich des Sanktionenbereichs sowie zum Strafverfahren. Der Entwurf ist im Jahre 1997 unter dem anspruchsvollen Namen „Corpus Juris“ veröffentlicht worden 12 – ein Name, der sicherlich die Werbewirksamkeit erhöht, aber denjenigen, die vom historischen corpus iuris eine Vorstellung haben, hypertroph erscheinen muß. Eine teilweise überarbeitete Fassung ist 1999 vorgelegt worden. III. Der als Corpus Juris bezeichnete Entwurf enthält 35 Gesetzesartikel, deren Inhalt im folgenden kurz skizziert werden soll: 1. In den Artikeln 1 –8 geht es um Strafbestimmungen des Besonderen Teils, nämlich „Betrug zum Nachteil des Haushalts der Europäischen Gemeinschaft“, „Bestechlichkeit und Bestechung“, „Amtspflichtverletzungen durch europäische Amtsträger“, „Geldwäsche und Hehlerei“ sowie „Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Schaden des Gemeinschaftshaushalts“. Hinsichtlich dieser Strafbestimmungen wird in der seither geführten Fachdebatte insbesondere diskutiert, ob der vorgesehene umfassende Rechtsgüterschutz nicht eine Überkriminalisierung zur Folge hätte. 13 Dabei geht es vor allem um die Ausdehnung des Kriminalstrafrechts in den Vorfeldbereich, also die Problematik sogenannter abstrakter Gefährdungsdelikte, die Strafbarkeit von Fahrlässigkeit bei Vermögensdelikten, die untreueähnliche Subventionsverwendung und die Strafbarkeit einer gegen die Vermögensinteressen der EU gerichteten kriminellen Vereinigung. Angesichts der heutigen Tendenz auch der nationalen Gesetzgeber, die Kriminalisierung immer weiter ins Vorfeld auszudehnen, 14 dürfte es die an sich berechtigte Kritik schwer haben, sich gegenüber derartigen Regelungsvorschlägen Gehör zu 12

M. Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, deutsche Übersetzung von Y. Kleinke / M. Tully, mit einer Einleitung von U. Sieber, 1998. Zu dem Verfasserkreis, der unter dem Vorsitz von M. Delmas-Marty arbeitete, gehörten E. Bacigalupo, G. Grasso, J. Spencer und K. Tiedemann. 13 Vgl. insbesondere W. Hassemer, „Corpus Juris“: Auf dem Wege zu einem europäischen Strafrecht?, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1999, Heft 2,S. 133 ff. 14 Näher dazu H.J. Hirsch, Àcerca del estado actual de la discusión sobre el concepto de bien juridico, in: Congresso international Facultad de Derecho de la UNED Madrid 2000, 2001, S. 371, 381 ff.

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verschaffen. Am ehesten scheint das noch bezüglich der Einführung der speziellen Vorschrift für kriminelle Vereinigungen möglich, da die Kritik insoweit am einhelligsten ist. 15 Jedenfalls sollte sich die Gesetzgebung nicht alle diese Vorschriften ohne weiteres zum Vorbild nehmen. Sie lassen kein hohes gesetzgeberisches Niveau erkennen, wie übrigens auch die unsystematische Aneinanderreihung in dem Entwurf zeigt. Außerdem bereitet es Unbehagen, daß der Art. 1 als „Betrug zum Nachteil des Haushalts der Europäischen Gemeinschaft“ bezeichnet ist, obwohl ein Nachteil nicht entstanden zu sein braucht, also gar kein vollendeter Betrug verlangt wird. Mit solcher Terminologie wird einem Gefährdungsdelikt irreführend der Stempel eines Verletzungsdelikts aufgedrückt. 2. In einem auf die Tatbestände folgenden nächsten Artikel, dem Art. 9, finden sich unter der Überschrift „Strafen“ die Regelungen der Rechtsfolgen. Hier besteht, wie sich bei der in der Europäischen Rechtsakademie in Trier im Jahre 1999 veranstalteten Tagung gezeigt hat, besonders deutlicher Änderungsbedarf. 16 Von fast allen Tagungsteilnehmern wurde mit Recht eine Zweispurigkeit von Strafen und Maßregeln, wie sie die meisten Strafgesetzbücher vorsehen, angemahnt. 17 So geht es entgegen dem Wortlaut der Vorschrift nicht um Strafen, sondern der Sache nach um Maßregeln bei der Einbeziehung von Instrumenten und Produkten der Straftat und dem Verbot der Ausübung eines öffentlichen Amtes. Außerdem hat man bereits die Vernachlässigung des Tagessatzsystems bei der Geldstrafe und die Nichterwähnung der Strafaussetzung zur Bewährung und der Anordnung des Verfalls des aus einer Straftat Erlangten moniert. 18 Nachdrücklich zu kritisieren ist auch die geplante Bekanntmachung der Verurteilung (Art. 9 Abs. 1d Corpus Juris). Sie wäre eine Rückkehr des Prangers; überdies wird in ihr eine verdeckte Vermögensstrafe gesehen, weil sie den Betreffenden geschäftlich diskreditiert. Es ist wirklich erstaunlich, daß eine solche Vorschrift heute als modernes Strafrecht ausgegeben wird. Gegenstand der Kritik ist auch das strenge Multiplikatorsystem der fünffachen Vermögensstrafe in Art. 9 Abs. 1 a. 19 In der Regelung heißt es, daß die Hauptstrafen aller im Corpus Juris genannten Straftaten (Art. 1 bis 8) für natürliche Personen lauten: „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und / oder Geldstrafe bis zu 15 Bei einer Tagung über „Das Corpus Juris als Grundlage eines Europäischen Strafrechts“ 1999 in Trier sprachen sich viele Teilnehmer dafür aus, diesen umstrittenen und unklaren Tatbestand aus dem Katalog der Straftaten des Corpus Juris völlig herauszunehmen; vgl. den zusammenfassenden Tagungsbericht von U. Sieber, in: B. Huber (Hrsg.), Das Corpus Juris als Grundlage eines europäischen Strafrechts, 2000, S. 331, 339. 16 Vgl. den Tagungsbericht von U. Sieber (Fn. 15), S. 340 ff. 17 Vgl. dazu den Tagungsbericht von U. Sieber (Fn. 15), S. 340. 18 Vgl. den Tagungsbericht von U. Sieber (Fn. 15), S. 341. 19 Auf die Kritik an diesem strengen Multiplikatorsystem weist U. Sieber (Fn. 15), S. 342 hin.

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1.000.000 ECU 20, die bis zum Fünffachen der mit der Straftat zusammenhängenden Summe erhöht werden kann.“ Was die Strafzumessung angeht, ist positiv zu vermerken, daß für sie in Art. 15 Kriterien genannt sind. An die Spitze gestellt ist der Satz, daß sie unter Berücksichtigung der Schwere der Tat, des individuellen Verschuldens und der Form der Beteiligung vorgenommen werden müsse. Mit dieser Wortfassung ist jedoch nicht klar garantiert, daß die individuelle Schuld die Höhe der Strafe begrenzt, sondern die Schuld ist nur ein zu berücksichtigender wesentlicher Faktor unter anderen. Zu kritisieren ist auch die in Art. 16 enthaltene Regelung für strafschärfende Umstände. Ein solcher Umstand soll der Eintritt des erstrebten Erfolges der betrügerischen Handlung sein, ebenso der Fall, daß die Betrugssumme oder die Summe des erstrebten Erlöses 200.000 ECU übersteigt. Daß bei Vorliegen solcher Umstände grundsätzlich auf Freiheitsstrafe zu erkennen ist, dürfte aus der Sicht der meisten europäischen Rechtsordnungen, bei denen die Geldstrafe hier einen weiten Anwendungsbereich hat, eine zu starre Regelung darstellen. Hinzu kommt, daß in den meisten Strafgesetzbüchern der Eintritt des Erfolges überhaupt erst den Normalfall eines vollendeten Betruges konstituiert. 21 3. a) In den anschließenden Artikeln 10 bis 14 Corpus Juris werden dann einige punktuelle Regelungen zu Fragen der Straftatvoraussetzungen des Allgemeinen Teils aufgeführt. Es wird bestimmt, daß alle im Corpus Juris enthaltenen Taten des Besonderen Teils eine vorsätzliche Begehung voraussetzen, ausgenommen der schon erwähnte Tatbestand des Betrugs zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts, für den – wie bereits kritisiert – grobe Fahrlässigkeit genügen soll. Bemerkenswert ist, daß sich in Art. 11 Abs. 2 eine Regelung des Verbotsirrtums findet, die dem § 17 dtsch. StGB stark angenähert ist. Sie geht deutlich über die in Art. 122 –1 franz. code pénal hinaus. Eine solche Verankerung des Schuldprinzips wird eben heute mit Recht als Elementarerfordernis angesehen. Als dritter Punkt aus dem Bereich der Straftatvoraussetzungen des Allgemeinen Teils ist unter der Überschrift „Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit“ festgelegt, daß man als Täter, Anstifter oder Gehilfe verantwortlich sein kann. 22 Auffallend ist hier, daß die mittelbare Täterschaft nicht aufgeführt ist: Täter soll nach der Vorschrift nur sein, wer die strafbare Handlung ausführt oder als Mittäter an der Tatbegehung mitwirkt. Ebenso ist erstaunlich, daß die katalogmäßig aufgezählten Anstiftungsfälle die schlichte Aufforderung zur Tatbegehung nicht 20 ECU war vor der Einführung des EURO eine Verrechnungseinheit innerhalb der EU. Der Wert entsprach ungefähr dem des EURO. 21 Kritisch zur Regelung von Art. 1 (Betrug zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts) Corpus Juris im einzelnen H. Otto, Anmerkungen zu den Tatbeständen des Besonderen Teils des Corpus Juris, in: B. Huber (Fn. 15), S. 141 ff. 22 22 Art. 12 Corpus Juris.

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ohne weiteres genügen lassen. Aber immerhin ist zu begrüßen, daß das Corpus Juris jedenfalls zwischen Täterschaft und Teilnahme differenziert, also nicht vom Einheitstäterbegriff ausgeht. Es findet sich dann noch eine Sondervorschrift für die „Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Leiters eines Unternehmens“ in Fällen, in denen eine weisungsabhängige Person zugunsten des Unternehmens eine der im Corpus Juris bezeichneten Straftaten begangen hat. 23 Außerdem ist die „Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen“ vorgesehen. 24 Auf letzteres ist anschließend noch zurückzukommen. An dem in das Corpus Juris aufgenommenen Kreis von Straftatvoraussetzungen des Allgemeinen Teils ist in der Diskussion bereits kritisiert worden, daß das Verbot der Analogie in malam partem, das Rückwirkungsverbot und das Gebot der lex mitior nicht ausdrücklich verankert worden sind. Auch vermißt man zu Recht Regelungen zum Versuch. Ebenfalls wird für den Bereich der Rechtfertigungsund Entschuldigungsgründe eine Normierung zumindest des Notstands gefordert. Auch erscheint im Hinblick auf die strict liability offences des angelsächsischen Strafrechts und die international uneinheitliche Einordnung der dolus eventualisFälle eine Definition von Vorsatz und Fahrlässigkeit unverzichtbar. 25 b) Anlaß zu näherer Betrachtung gibt die schon erwähnte Vorschrift über die „Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen“: Bekanntlich kennt das kontinentaleuropäische Kriminalstrafrecht im Gegensatz zum angelsächsischen herkömmlich nur eine Straffähigkeit des Individuums. Lediglich im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts oder Verwaltungsstrafrechts findet man auch im kontinentaleuropäischen Rechtskreis eine Deliktsfähigkeit von Korporationen. Auf eine Empfehlung des Europarats von 1988 hin, die – in modifizierter Form – später auch Inhalt des Zweiten Zusatzprotokolls von 1997 zum EU-Übereinkommen aus dem Jahre 1995 geworden ist, 26 haben inzwischen einige Staaten das angelsächsische Modell übernommen. Insbesondere in den Niederlanden, Frankreich und Finnland, zum Teil auch in Polen, ist die Strafbarkeit von juristischen Personen und anderen Korporationen eingeführt worden. In anderen Staaten, darunter Deutschland, hat man weiterhin Bedenken. Einwände dahingehend, daß es Korporationen an der Handlungs- und Schuldfähigkeit sowie der Strafempfänglichkeit fehle, sind allerdings nicht überzeugend. 27 Sie handeln durch die für sie tätigen Organe, namentlich 23

Art. 13 Corpus Juris. Art. 14 Corpus Juris. 25 Zum Vorhergehenden siehe auch den Diskussionsbericht von U. Sieber (Fn. 15), S. 338 f. 26 Siehe oben in Fn. 4. 27 Näher dazu und zum Folgenden: H. J. Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, 1993, S. 9 ff.; ders., Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 107 (1995), S. 285, 288 ff. 24

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die sie repräsentierenden Mitglieder des Vorstands. Und die Verantwortlichkeit der Korporation als Gesamtheit für das vorsätzliche oder fahrlässige Handeln ihrer Organe ergibt sich aus Organisations- und Überwachungsmängeln. Kann die Korporation Adressat von Pflichten sein – das bestreitet eigentlich niemand – und durch ihre Organe pflichtwidrig handeln, so folgt weiterhin, daß auch Schuld oder etwas Schuldähnliches möglich ist. Es geht bei der Korporation um die Feststellung, ob sie ihre Pflichtwidrigkeit vermeiden konnte. Nicht von ungefähr ist im täglichen Sprachgebrauch von der Schuld von Korporationen die Rede. Beispielsweise wird von der Schuld eines Unternehmens an einer Umweltverschmutzung gesprochen. Die Korporation ist auch strafempfänglich. Alle Strafzwecke können bei ihr Wirkung entfalten. Eine gegen sie verhängte Geldstrafe trifft sie als Sanktion, und die general- und spezialpräventive Wirkung wird oft größer sein als bei Individualpersonen. Hinzuweisen ist außerdem darauf, daß im Ordnungswidrigkeitenrecht oder Verwaltungsstrafrecht Bedenken bezüglich der Handlungs- und Schuldfähigkeit nicht erhoben werden, obwohl es dort der Sache nach ebenfalls um punitive Sanktionen geht. Die verschiedene Beurteilung ist wohl vorwiegend damit zu erklären, daß man irrig meint, der Bereich der Ordnungswidrigkeiten resp. Verwaltungsstraftaten sei im Unterschied zum Individualstrafrecht ethisch indifferent. Das trifft jedoch weder allgemein für das Ordnungswidrigkeitenrecht resp. Verwaltungsstrafrecht noch speziell für die Ahndung des Verhaltens juristischer Personen und anderer Korporationen zu. Eine Korporation, die beispielsweise ein mit einer Ordnungsgeldbuße oder einer Verwaltungsgeldstrafe bedrohtes Umweltdelikt begeht, handelt durchaus auch ethisch negativ. Es geht nur um quantitative Abstufungen innerhalb der ethischen Skala. Nicht schlüssig ist auch der Einwand, daß die Individualstrafe an Eindruckskraft verlieren könnte, wenn Kriminalstrafen gegen Korporationen verhängt würden. Dagegen sprechen nämlich die Erfahrungen im angelsächsischen Strafrecht, das bereits seit eineinhalb Jahrhunderten die Straffähigkeit juristischer Personen bejaht. Von der Frage der grundsätzlichen theoretischen Möglichkeit, die ich bejahen möchte, sind jedoch die Fragen der praktischen Notwendigkeit und der gesetzlichen Ausgestaltung zu unterscheiden. Blickt man auf die Erfahrungen, die man in den Niederlanden, Frankreich und Finnland mit der Einführung der Kriminalstrafe gegen juristische Personen und andere Korporationen gemacht hat, so zeigt sich, daß die praktische Bedeutung gering geblieben ist. Und beim angelsächsischen Rechtskreis hat man den Eindruck, daß bei der praktischen Handhabung eine unzureichend entwickelte Unterscheidung von zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlicher Schuld eine Rolle spielt. Im angelsächsischen Strafrecht genügen für die Strafbarkeit der Korporation Kriterien, die in Kontinentaleuropa im Schadensersatzrecht für deren zivilrechtliche Haftung gelten, nämlich daß die unmittelbar handelnde Person als Repräsentant oder – wie nach US-amerikanischem Recht – sogar nur als einfacher Vertreter für die Korporation gehandelt hat. Auf die Prüfung eines konkreten Verschuldens der Korporation in ihrer Gesamtheit soll es dagegen nicht ankommen. 28

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Auch die Regelungen, die inzwischen in einigen kontinentaleuropäischen Staaten eingeführt worden sind, lassen in dieser Hinsicht Defizite erkennen. Und die Regelung im Corpus Juris – es ist der Art. 14 – liegt ebenfalls auf dieser Linie. Sie enthält kein Wort darüber, daß die Korporation in ihrer Gesamtheit ein Verschulden trifft, und das Defizit wird noch dadurch vergrößert, daß die Strafbarkeit nicht auf Fälle, daß ein Organ oder sonstiger hoher Repräsentant unmittelbar handelt, begrenzt ist, sondern wie in den USA auch jede sonstige Person, die zugunsten der Korporation in deren Namen tätig wird, genügt. Wenn also beispielsweise der Tankwart einer von dem Weltunternehmen Shell betriebenen Tankstelle Betrug gegenüber Kunden begeht, um den Gewinn der Firma und damit gleichzeitig seine Provision zu erhöhen, wäre dies für die Bestrafung des Unternehmens Shell ausreichend. Es soll nicht einmal darauf ankommen, daß das Unternehmen ein Organisations- oder Aufsichtsverschulden trifft. Eine solche Weite der Strafbarkeit geht sogar über die im kontinentaleuropäischen Zivilrecht geltende Haftung von Korporationen hinaus. 29 Ein derartiges Konzept läßt sich nicht ernsthaft vertreten. Noch nicht festgelegte Gesetzgeber würden vielleicht gut daran tun, sich bei dieser unausgereiften Problematik gesetzgeberisch zunächst zurückzuhalten und erst einmal abzuwarten, wie andere Staaten und die EU sich entscheiden. Abwarten ist um so mehr anzuraten, weil auch noch diskutiert wird, ob man für juristische Personen nicht besser ein strafrechtliches Maßnahmenrecht vorsehen sollte, das im Unterschied zum Individualstrafrecht mit geringeren Voraussetzungen auskommt. 30 Sachlich erhebt sich gegenüber einer solchen Regelung allerdings das Bedenken, daß die Maßnahme hier ebenso wie die Strafe eine punitive Sanktion, nämlich in der Regel eine Geldbuße, sein würde und es angesichts des Faktums, daß auch hinter juristischen Personen Menschen stehen, nicht berechtigt wäre, die Sanktion an geringere Erfordernisse hinsichtlich Tatunrecht und Verantwortlichkeit zu knüpfen. Im übrigen droht die Gefahr, daß ein solches punitives Maßnahmenrecht als besonders modern empfunden und auch als Zukunftsmodell des Individualstrafrechts angepriesen würde. Eine Lösung über das strafrechtliche Maßnahmenrecht wäre daher nicht überzeugend. 28 Zum einschlägigen US-amerikanischen Recht vgl. die umfassende Darstellung bei A. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe. Sanktionen gegen juristische Personen nach deutschem und US-amerikanischem Recht, 1994, S. 90 ff. 29 So lautet beispielsweise § 31 dtsch. BGB: „Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufenener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.“ Vorstand und verfassungsmäßige Vertreter sind solche Vertreter, deren Bestellung mittelbar oder unmittelbar in der Satzung vorgesehen ist, das heißt diejenigen Personen, welche die juristische Person „repräsentieren“ (BGHZ 49, 21). 30 Für ein Maßnahmenrecht: G. Stratenwerth, Strafrechtliche Unternehmenshaftung?, in: Festschrift für R. Schmitt, 1992, S. 295, 304. Siehe auch H. Otto, Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993, S. 28 ff.

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Im übrigen ist zu beachten, daß in dem erwähnten Zweiten Zusatzprotokoll von 1997 31 bestimmt wird, daß die Mitgliedsstaaten Sanktionen gegen juristische Personen und andere Korporationen auch in anderer als kriminalstrafrechtlicher Form vorsehen können, insbesondere durch eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Lösung, wie sie sich beispielsweise in § 30 dtsch. Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) findet. 4. Ein zweiter Teil des Corpus Juris befaßt sich mit dem Strafprozeßrecht. Dort gibt es bereits einen detaillierten Vorschlag zur Europäischen Staatsanwaltschaft, und zwar für die Verfolgung der in Art 1 bis 8 Corpus Juris genannten Straftaten (Art. 18 bis 25). Sie soll aus einem Europäischen Generalstaatsanwalt, dessen Dienststelle in Brüssel wäre und abgeordneten Europäischen Staatsanwälten, deren Dienststellen sich in der Hauptstadt eines jeden Mitgliedsstaates oder einem bestimmten anderen dortigen Gerichtsort befinden würden, bestehen (Art. 18 Abs. 3). Für die Anklage sieht Art. 22 vor, daß sie vor dem nationalen Gericht, in dessen Bezirk die betreffende Dienststelle der Europäischen Staatsanwaltschaft liegt, nach den geltenden prozessualen Vorschriften des Mitgliedsstaates erhoben wird. Die Europäische Staatsanwaltschaft soll neben den zuständigen nationalen Behörden auch für die Anordnung und Überwachung der Vollstreckung des Urteils verantwortlich sein (Art. 23). Ob es einer Europäischen Staatsanwaltschaft wirklich bedarf – wie auch in dem von der EU-Kommission im Jahre 2001 herausgegebenen, die Vorschläge des Corpus Juris weitgehend übernehmenden „Grünbuch“ angenommen wird 32 – oder ob die unter der Bezeichnung „Eurojust“ schon bestehende Koordinationsstelle für justizielle Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der schweren Organisierten Kriminalität 33 genügt, ist umstritten. 34 Wie schon erwähnt, enthält auch die Europäische Verfassung insoweit nur eine Kannvorschrift. Es ist in der Tat sehr zweifelhaft, ob die Notwendigkeit einer solchen unmittelbar in den Staatsapparat der souveränen Mitgliedsstaaten eingreifenden Behörde besteht oder nicht vielmehr nur eine weitere Aufblähung der europäischen Bürokratie die Folge wäre. Als Rechtsmittel sieht Art. 27 die Berufung an das zuständige nationale Gericht vor. In Fällen eines teilweisen oder vollständigen Freispruchs steht sie auch der 31

Siehe Fn. 4. Vgl. oben in Fn. 9. 33 Grundlage bildet der auf der Konferenz von Tampere (1999, Nr. 46) getroffene Beschluß des Europäischen Rates:„Zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren organisierten Kriminalität hat der Europäische Rat vereinbart, daß eine Stelle (Eurujust) eingerichtet werden soll, in der von den einzelnen Mitgliedsstaaten nach Maßgabe ihrer Rechtsordnungen entsandte Staatsanwälte, Richter und Polizeibeamte mit gleichwertigen Befugnissen zusammengeschlossen sind.“ 34 Siehe oben in Fn. 8. 32

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Europäischen Staatsanwaltschaft zu. 35 Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll auf Ersuchen eines Mitgliedsstaates, der Europäischen Kommission oder eines mit einer einschlägigen Rechtssache befassten nationalen Gerichts unter bestimmten Voraussetzungen eine Prüfungskompetenz hinsichtlich der Anwendung der im Corpus Juris vorgesehenen Regelungen haben (Art. 28). Hervorzuheben ist die ausdrückliche Erstreckung des Satzes Ne bis in idem auf alle Mitgliedsstaaten (Art. 23 Abs. 4 b) und die besondere Erwähnung der Unschuldsvermutung (Art. 31 Abs. 1). Problematisch sind der Europäische Haftbefehl und die Regelung der Beweisverwertungsverbote. Auch wenn der Haftbefehl auf dem Bereich der Straftaten der Art. 1 bis 8 Corpus Juris begrenzt ist (Art. 20 Abs. 3) und auf Antrag der Europäischen Staatsanwaltschaft ergehen soll (Art. 24 Abs. 1 b), werden die unterschiedlichen Standards der Voraussetzungen und der Regelung der Untersuchungshaft sowie die bestehenden Anforderungen des Auslieferungsrechts und etwaige verfassungsrechtliche Verbote der Auslieferung eigener Staatsbürger zu einem ernsten Problem. Darauf ist im Folgendem noch aus aktuellem Anlaß zurückzukommen. 36 Auf berechtigte Kritik gestoßen ist auch der die Beweisverwertungsverbote betreffende Artikel 33. 37 Angesichts der nicht überall gleichen rechtsstaatlichen Anforderungen ist der Absatz 2 nicht für alle Mitgliedsstaaten akzeptabel. Diese Vorschrift sieht nämlich vor, daß der Zulässigkeit eines Beweises, der nach dem nationalen Recht eines Mitgliedsstaates rechtmäßig erhoben wurde, nicht entgegengehalten werden darf, daß seine Erhebung in dem Staat der Beweisverwertung unzulässig gewesen wäre. 5. Es verdient in der Tat Anerkennung, daß sich ein Kreis von Strafrechtlern aus verschiedenen Mitgliedsländern an eine solche Aufgabe wie das Corpus Juris herangewagt hat. Im vorhergehenden hat sich auch gezeigt, daß das Projekt eine Reihe von positiven Ergebnissen aufweist. Andererseits war festzustellen, daß es daneben manches Befremdende enthält. Zu nennen sind nur die in die falsche Richtung weisende Expansion der Vorfeldstrafbarkeit, die Unzulänglichkeit der Rechtsfolgenregelungen und die mißratene Regelung der Korporationsstrafbarkeit. Auch wenn die Harmonisierung von Rechtsvorschriften verschiedener Staaten Rücksicht nehmen muß auf den unterschiedlichen Entwicklungsstand der Rechtssysteme der beteiligten Staaten, kann das Corpus Juris fachlich nicht das letzte Wort sein. 38 35 Das Corpus Juris folgt damit, daß es der Staatsanwaltschaft ein Anfechtungsrecht gegenüber dem freisprechenden Urteil einräumt, dem kontinentaleuropäischen Rechtsverständnis. Kritisch dazu und über die abweichende angelsächsische Auffassung J. Maier, Anfechtung der Verurteilung: Garantie für den Angeklagten oder Entscheidungskontrolle?, in: Festschrift für Hirsch, 1999, S. 942 ff. 36 Siehe IV. 37 Vgl. den Tagungsbericht von U. Sieber (Fn. 15), S. 343.

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IV. Von besonderer Aktualität ist gegenwärtig die Frage der Einführung eines Europäischen Haftbefehls. Ein vom Rat der EU getroffener Rahmenbeschluß von 2002 nennt dessen Voraussetzungen. 39 Der Katalog der einschlägigen Straftaten geht weit über den im Corpus Juris genannten Kreis, der auf die gegen die (finanziellen) Interessen der EU gerichteten Straftaten beschränkt sein sollte, hinaus. 40 Auch bedeutet die Einführung vor allem, daß ein in den betreffenden sachlichen Bereich fallender Haftbefehl, der in einem Mitgliedsstaat erlassen worden ist, auch in einem anderen Mitgliedsstaat zu vollziehen ist. Im Ergebnis heißt dies, daß die strengen Voraussetzungen des bilateralen Auslieferungsrechts unterlaufen werden. Überhaupt ergeben sich angesichts der hinsichtlich der Untersuchungshaft bestehenden unterschiedlichen rechtsstaatlichen Anforderungen sehr unbefriedigende Konsequenzen für die Rechtsordnungen mehrerer Staaten. Hinzu kommt, daß die EU-Rahmenrichtlinien bisher durch Beschlüsse des Rates, nicht des Europäischen Parlaments erlassen werden. Zwar erfolgt die Transformation in nationales Recht durch einen Beschluß des Parlaments des einzelnen Mitgliedsstaates. Das nationale Parlament ist aber an die Rahmenrichtlinie gebunden, so daß der Sache nach doch eine Entscheidung des Rates und damit der Administration und nicht der Legislative vorliegt. Bedenkt man nun, daß die Verhaftung einen der stärksten staatlichen Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Einzelnen darstellt, so darf eigentlich nicht ausgerechnet bei ihm die parlamentarische Legitimation relativiert werden. Mit Recht sind in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten ernste Einwände gegen diese Richtlinie der EU erhoben worden. Die deutschen Strafrechtsprofessoren sind im Herbst 2003 sogar zu einer Sondertagung in Dresden zusammengekommen, um ihre Bedenken zu artikulieren. 41 Das hat jedoch nicht verhindert, daß Deutschland als einer der ersten Mitgliedsstaaten die Richtlinie in einem „Europäischen Haftbefehlsgesetz (EuHbG)“ umgesetzt hat, das im Sommer 2004 in Kraft getreten ist.

38 Siehe dazu auch die in Fn. 13, 15 –19, 21 und 25 zitierten kritischen Stellungnahmen sowie den Text vor Fn. 29. 39 Der Rahmenbeschluß „über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten“ wurde am 13. 06. 2002 auf der Tagung des Rates der Justizund Innenminister der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Sevilla verabschiedet. Er ist abgedruckt im Amtsblatt vom 18. 07. 2002 (Abl. I. 190, S. 1 –12). Siehe auch B. v. Heintschel-Heinegg / D. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 2003, S. 44 ff. 40 Siehe Art. 18 ff. Corpus Juris und „Grünbuch“ (Fn. 9), S. 54 f. 41 Vgl. die Referate und den Diskussionsbericht in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 116 (2004), Heft 2.

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V. Die Verfasser des Corpus Juris und andere Theoretiker wollen in der vorgelegten Vorschriftensammlung über das unmittelbare Anliegen des Schutzes der Vermögensinteressen der EU hinausgehend ein Kernmodell für ein umfassendes einheitliches europäisches Strafrecht sehen. 42 Es erheben sich aber Zweifel, ob ein insgesamt einheitliches europäisches Strafrecht überhaupt ein realistisches Vorhaben darstellt und wirklich erstrebenswert ist. Auf deutscher Seite denkt man leicht an die Entstehung des einheitlichen Strafgesetzbuches bei der 1871 erfolgten Reichsgründung. Bis dahin hatte jeder der deutschen Teilstaaten sein eigenes Gesetzbuch. Der große Unterschied gegenüber der europäischen Problematik ist jedoch nicht zu verkennen. Damals handelte es sich schon vorher um sehr eng verwandte Strafgesetzbücher, die sich aus einer identischen Rechtstradition entwickelt hatten. Es gab auch bereits eine einheitliche deutsche Strafrechtswissenschaft. In der EU treffen dagegen vor allem mit dem angelsächsischen und dem kontinentaleuropäischen Strafrecht zwei stark unterschiedliche Strafrechtstraditionen aufeinander. Sie sind nicht nur verschieden hinsichtlich der Grundprinzipien – so ist etwa dem angelsächsischen Strafrecht das Prinzipiendenken weitestgehend fremd –, sondern auch bezüglich des Kodifikationsgedankens und des Umfangs der Strafbarkeit. Aber auch innerhalb der kontinentaleuropäischen Staaten bestehen erhebliche Unterschiede, und zwar in wissenschaftlicher Hinsicht etwa zwischen dem französischen Strafrecht und der Entwicklung in der Mehrzahl der anderen europäischen Staaten, vor allem aber in kultureller Hinsicht, man denke beispielsweise an Teile des Sexualstrafrechts, das Abtreibungsstrafrecht und den strafrechtlichen Schutz von Ehe und Familie. Das Vorhaben, ein insgesamt einheitliches europäisches Strafrecht zu schaffen, erscheint daher noch auf lange Zeit wenig realistisch. Dies wird zusätzlich bestätigt durch die Erfahrungen mit dem US-amerikanischen Model Penal Code von 1962 und dem lateinamerikanischen Modell-Strafgesetzbuch (Codigo penal tipo para latinoamerica) von 1973. 43 Beide Modell-Kodifikationen haben nicht zu einer einheitlichen Strafgesetzgebung geführt, und das, obwohl sie jeweils nahe verwandte Rechtstraditionen betrafen. Auch in Einzelpunkten haben sie kaum als Modell eine Rolle gespielt. Die Frage lautet darüber hinaus, ob eine europäische Strafrechtsvereinheitlichung erstrebenswert ist. Strafrecht gehört als ethisches Minimum und stärkstes staatliches Disziplinierungsmittel zum Kernbestand einer jeden staatlichen Ordnung. Es spiegelt daher nationale Eigenarten, Überlieferungen und Wertungen 42 Vgl. auch das Thema „Das Corpus Juris als Grundlage eines Europäischen Strafrechts“ des in Trier veranstalteten Kolloquiums (Fn. 15) und den gleichlautenden Titel des von B. Huber über die Tagung herausgegebenen Sammelbands (Fn. 15). 43 Codigo penal tipo para latinoamerica. Materialien hrsgg. von F. Grisolia, Santiago de Chile, 1973.

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wider. Zwar läßt sich eine zunehmende Internationalisierung der Strafrechtswissenschaft beobachten. Dabei geht es jedoch vorwiegend um die Gewinnung von wissenschaftlich allgemeingültigen Erkenntnissen hinsichtlich der generellen Voraussetzungen des Delikts, nicht aber um die unterschiedlichen Inhalte der einzelnen Delikte und deren Bewertung durch die Gesetzgeber. 44 Vereinheitlichungen laufen somit auf die Einebnung kultureller nationaler Unterschiede – sogar leicht auf generelle technokratische Gleichmacherei – hinaus. Eine allgemeine Vereinheitlichung des Strafrechts der europäischen Staaten ist deshalb auch nicht zu wünschen, solange es europäische Nationalstaaten gibt. 45 Und deren Fortbestehen steht nicht ernsthaft in Frage – nach der inzwischen erfolgten Erweiterung der Mitgliederzahl auf 25 Staaten noch weniger als zuvor. Anderes kann für diejenigen Teilbereiche des Strafrechts in Betracht kommen, bei denen wegen der eigenen, übernationalen Finanzinteressen der EU und der Einheitlichkeit des Wirtschaftsraumes (mit seinen offenen Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten) auf ein praktisches Vereinheitlichungsbedürfnis verwiesen werden kann. Es wurde im vorhergehenden schon aufgezeigt, daß auch die vorgesehene Europäische Verfassung nicht auf eine generelle Vereinheitlichung zielt. Andererseits geht sie in Teilbereichen über das Wirtschaftsstrafrecht hinaus und schließt Möglichkeiten einer weiteren Expansion nicht aus. 46 Besonders bedenklich ist die Entwicklung im Strafverfahrensrecht, man denke an den Europäischen Haftbefehl –, bei dem die rechtsstaatlich fortgeschritteneren Mitgliedsstaaten eine Reduzierung der in ihnen erreichten Standards befürchten müssen. Im übrigen sollte man sich darüber im Klaren sein, daß sich mit jeder Erweiterung der strafrechtlichen Kompetenz der EU, verbindliche Richtlinien für die nationale Strafgesetzgebung aufzustellen, erst Recht aber bei der Schaffung einer auch strafrechtlichte Bereiche einbeziehenden unmittelbaren Rechtsetzungskompetenz das bisher bestehende Legitimationsproblem, nämlich das der parlamentarischen Legitimation, verschärft. Für das Strafrecht als stärkste Form staatlichen Zwanges ist nun einmal die parlamentarische Legitimation ein elementares rechtsstaatliches Erfordernis. Die vorgesehene Europäische Verfassung sieht zwar eine Mitwirkung des Europäischen Parlaments vor. Aber der Ministerrat spielt doch die gewichtigere Rolle. 47 44 Zu diesen Fragen näher H.J. Hirsch, Gibt es eine national unabhängige Strafrechtswissenschaft?, in: Festschrift für Spendel, 1992, S. 43 ff. Um eine Sonderproblematik des Besonderen Teils handelt es sich bei internationalstrafrechtlichen Delikten wie namentlich Menschenrechtsverletzungen. 45 Zu den Grenzen der allgemeinen Vereinheitlichung des Strafrechts näher T. Weigend, Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Rechtskultur?, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 105 (1993), S. 774 ff. 46 Siehe den schon oben erwähnten Art. III-271 Abs. 2 Europ. Verfassung. Zurückhaltender noch das „Grünbuch“ (Fn. 9), S. 54 f. 47 Vgl. dazu für den hier interessierenden Bereich die Regelungen in Art. III-270 Abs. 3 und 4, Art. III-271 Abs. 1, 3 und 4, Art. III-274 Abs. 4 Europ. Verfassung.

Würdigungen zu Jubiläen, Nachrufe, Autobiographie, Diverses

Hans-Heinrich Jescheck zum 80. Geburtstag 1995 Am 10. Januar 1995 hat Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck, em. Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br., sein 80. Lebensjahr vollendet. Er gehört dem Herausgeberkreis der ZStW seit 1954 an. Von 1969 bis 1987 war er gleichzeitig Schriftleiter der Zeitschrift; die Schriftleitung des Auslandsteils lag bereits seit 1954 und noch bis 1992 in seinen Händen. Heute steht er der Schriftleitung der ZStW mit seinem auf große Erfahrung gestützten Rat zur Seite. Ihm ist vor allem dafür zu danken, daß er die Zeitschrift stark zum Ausland hin geöffnet hat. Dem Jubilar gelang es, zahlreiche ausländische Autoren, darunter die namhaftesten ausländischen Vertreter des Faches, für Veröffentlichungen in der ZStW zu gewinnen. Auch trug er mit eigenen Beiträgen wesentlich zur Information über ausländische Entwicklungen und deren Einschätzung bei. Er erkannte früh die zunehmende Internationalisierung der Strafrechtswissenschaft und des Strafrechts. Darüber hinaus sorgte er ebenso dafür, daß zu allen Entwicklungen und Strömungen der deutschen Strafrechtswissenschaft Beiträge veröffentlicht wurden, wobei jede Richtung angemessen zu Wort kam. Die ZStW, wie sie sich in der Gegenwart darstellt, ist daher wesentlich durch Jeschecks weites fachliches Blickfeld, seine wissenschaftliche Offenheit und die von ihm bewahrten Qualitätsmaßstäbe geprägt. Es ist Jeschecks Verdienst, daß die Zeitschrift heute nicht nur für das Inland, sondern auch für ausländische Strafrechtler die umfassendste Informationsquelle der deutschen und internationalen wissenschaftlichen Entwicklung des Strafrechts darstellt. Für die Mitherausgeber und alle Freunde der Zeitschrift bildet dieser Geburtstag daher Anlaß, dem Jubilar erneut für all das zu danken, was er im Laufe der Jahrzehnte für die ZStW getan hat und bis in die Gegenwart für sie leistet. Der 80. Geburtstag gibt gleichzeitig Gelegenheit, in dieser Zeitschrift die großen Verdienste Jeschecks um die Strafrechtswissenschaft in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Er gehört zu den großen Strafrechtlerpersönlichkeiten, die Deutschland hervorgebracht hat, und genießt weltweit hohes Ansehen. Diese herausragende Wertschätzung beruht fachlich zum einen darauf, daß er heute wohl der umfassendste Sachkenner des Strafrechts überhaupt ist. Er überblickt nicht nur souverän die Themenbereiche der deutschen Strafrechtswissenschaft – mit ihren vielen Verästelungen –, sondern kennt sich auch in allen wichtigen ausländischen Rechtsordnungen hervorragend aus. Sein Interesse be-

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schränkt sich dabei nicht auf die Bereiche der von ihm brillant beherrschten Dogmatik im engeren Sinne, sondern erstreckt sich ebenso auf die anderen Gebiete, namentlich den Rechtsfolgenbereich und die Kriminalpolitik. Zu seinem einzigartigen Fachwissen, bei dem ihm ausgezeichnete Sprachkenntnisse (außer Englisch und Französisch auch Italienisch und Spanisch, und zwar einschließlich der Fachsprache) zu Hilfe kommen, tritt eine abgewogene, nüchterne und die Zusammenhänge überschauende juristische Urteilsfähigkeit hinzu. Diese wird nicht nur in seinem großen Lehrbuch des Allgemeinen Teils, in den Kommentierungen im Leipziger Kommentar und seinen zahlreichen Aufsätzen, sondern auch in den Diskussionsbeiträgen auf Tagungen und Kongressen immer wieder deutlich. Man empfindet bei allen seinen Stellungnahmen die glaubhafte fachliche Kompetenz. Auch beeindrucken die Klarheit der Gedankenführung und die Geschliffenheit der Formulierung. Jescheck ist zudem ein Strafrechtler von starker persönlicher Ausstrahlung und bestechender Weltläufigkeit. Die deutsche Strafrechtswissenschaft hat ihm in erster Linie zu verdanken, daß er durch seine wissenschaftliche Arbeit die Tür nach draußen weit aufgestoßen hat. Sein Interesse für die Strafrechtsvergleichung wurde während der französischen Kriegsgefangenschaft geweckt. Im Jahre 1947 aus dieser – nach zehnjähriger Militärzeit – zurückgekehrt, schlug er Eduard Kern, mit dem er seit der Freiburger Studienzeit (1933 –1935) und der Tübinger Promotion (1937) in Verbindung stand und der ihn zur Universitätslaufbahn ermuntert hatte, eine Habilitationsschrift über das Londoner Statut für den Nürnberger Prozeß von 1945 und das Urteil von 1946 vor. Beides sollte mit dem geltenden Völkerrecht und dem Strafrecht der vier Siegermächte, von denen die Richter gestellt wurden, sowie mit dem deutschen Strafrecht verglichen werden. Das Ergebnis war Jeschecks bekannte Abhandlung über „Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht. Eine Studie zu den Nürnberger Prozessen“, die er neben seiner damaligen beruflichen Tätigkeit als Landgerichtsrat und seit 1949 Oberlandesgerichtsrat in Freiburg (das Assessorexamen hatte er 1943 während eines durch eine Kriegsverwundung bedingten Heimataufenthaltes absolviert) angefertigt hat und mit der er bereits Ende 1949 in Tübingen habilitiert worden ist. Die Habilitation wies ihm die Richtung zu rechtsvergleichenden und internationalstrafrechtlichen Themen. Als Privatdozent hielt er auf der Strafrechtslehrertagung 1953 ein Referat über das Thema „Die Strafgewalt überstaatlicher Gemeinschaften“ – eine Thematik, die heute wieder sehr aktuell ist. Auch in der Praxis wurde er alsbald mit der Rechtsvergleichung befaßt. Ende 1952 berief man ihn als Mitarbeiter für die bevorstehende Strafrechtsreform in das Bundesministerium der Justiz, wobei er zunächst als einer der deutschen Vertreter für den Strafrechtsausschuß der Konferenz über die – später im französischen Parlament gescheiterte – Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) nach Paris abgeordnet wurde. Entscheidend für Jeschecks weiteren wissenschaftlichen Weg war die 1954 erfolgte Berufung auf den Freiburger Lehrstuhl für deutsches und ausländisches

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Strafrecht als Nachfolger des früh verstorbenen Adolf Schönke. Mit der Berufung auf den Lehrstuhl war die Leitung des Universitätsinstituts für ausländisches und internationales Strafrecht verbunden. Dieses Institut wurde 1954 im Hinblick auf die rechtsvergleichenden Vorarbeiten für die Strafrechtsreform, die dort noch unter Schönke übernommen und begonnen worden waren, aus einem Universitätsinstitut in eine Stiftung der Bundesrepublik, des Landes Baden-Württemberg und der Universität Freiburg umgewandelt. Jescheck gelang es, dem Institut eine solche wissenschaftliche Bedeutung zu geben, daß es zwölf Jahre später, 1966, in die Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen wurde. Damit war die Grundlage dafür geschaffen, daß er es zu einem auf der Welt einzigartigen Zentrum der Strafrechtswissenschaft gestalten konnte, wie wir es heute vor uns haben. Sehr viele ausländische Strafrechtler, und zwar nahezu aus allen Staaten, haben von den Freiburger Forschungsmöglichkeiten – zu denen nicht zuletzt die Institutsbibliothek in ihrer einmaligen internationalen Breite und Vollständigkeit gehört – Gebrauch gemacht und den Ruf des Instituts und der deutschen Strafrechtswissenschaft in die Welt hinausgetragen. Durch die von Jescheck im Jahre 1970 erreichte Aufnahme auch der Kriminologie, die Günther Kaiser dann zu einem zweiten Forschungsschwerpunkt neben der Strafrechtswissenschaft ausbaute, wurde eine breite fachliche Basis geschaffen, die zu fruchtbaren gemeinsamen Forschungsprojekten führte. Daß das Institut sich zu einem solchen wissenschaftlichen Anziehungspunkt entwickeln konnte, setzte allerdings zunächst einmal voraus, daß die durch den Zweiten Weltkrieg weithin abgebrochenen wissenschaftlichen Auslandskontakte wiederhergestellt wurden. Jescheck hat in dieser Hinsicht viel Pionierarbeit geleistet, zuerst in bezug auf westeuropäische Wissenschaftler, später auch hinsichtlich der polnischen Kollegenschaft. Als aus Liegnitz gebürtiger Schlesier war ihm der Brückenschlag nach Polen ein besonderes Anliegen. Jescheck hat auch eingeführt, daß zu den vom Max-Planck-Institut veranstalteten Kolloquien deutsche Kollegen anderer Universitäten hinzugezogen werden. Bei der Auswahl war für ihn entscheidend, wer zu dem jeweiligen Thema ausweislich der bisherigen Forschungsarbeiten am meisten beisteuern konnte. Auf diese Weise sind zahlreiche Kontakte zwischen deutschen und ausländischen Strafrechtlern hergestellt worden. Dabei hat Jescheck im Auge gehabt, dem in der deutschen Strafrechtsliteratur herkömmlich weitgehend vernachlässigten internationalen Aspekt stärkere Beachtung zu verschaffen. Auch sind von ihm mehrere Schüler zur Beschäftigung mit der Rechtsvergleichung motiviert worden. Es steht zu hoffen, daß in der Enkelgeneration die Strafrechtsvergleichung bei uns die personelle Breite finden wird, die fachlich wünschenswert ist und in der Privatrechtsvergleichung schon seit längerer Zeit als selbstverständlich gilt. Den rechtsvergleichenden Forschungen des Jubilars ist zu danken, daß viele Informationen über ausländische Entwicklungen nach Deutschland gelangt sind. Von seinen zahlreichen einschlägigen Veröffentlichungen sind nicht wenige in der

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ZStW erschienen. Es seien hier nur die wichtigsten in Erinnerung gebracht: die Aufsätze über „Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre“ (ZStW 73 [1961], S. 179), „Die Behandlung der unechten Unterlassungsdelikte im deutschen und ausländischen Strafrecht“ (ZStW 77 [1965], S. 109), „Moderne Kriminalpolitik in Deutschland und Frankreich“ (ZStW 79 [1967], S. 874), „Der Entwurf eines neuen Sexualstrafrechts im Lichte der Rechtsvergleichung“ (ZStW 83 [1971], S. 299), „Rechtsvergleichung als Grundlage der Strafprozessreform“ (ZStW 86 [1974], S. 761), „Der Einfluß der neueren schwedischen Kriminalpolitik auf die deutsche Strafrechtsreform“ (ZStW 90 [1978], S. 777), „Neue Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht“ (ZStW 98 [1986], S. 1) und „Versuch und Rücktritt bei Beteiligung mehrerer Personen an der Straftat“ (ZStW 99 [1987], S. 111). Auch sein viel beachteter Aufsatz über „Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in Europa“ ist in der ZStW erschienen (Bd. 65 [1953], S. 496). Das Gebiet der Strafrechtsvergleichung, auf dem er weit mehr als jeder andere geleistet hat und auch weiterhin aktiv ist, bildet aber nur eine Seite seiner Interessen und seines Schaffens. Für ihn nicht weniger wichtig ist der Allgemeine Teil des Strafrechts, wie auch bereits einige Themen der rechtsvergleichenden Arbeiten erkennen lassen. Das Ergebnis der Beschäftigung mit dem Allgemeinen Teil hat vor allem in dem bedeutenden, in 4. Aufl. vorliegenden Lehrbuch seinen Niederschlag gefunden. Besonders hervorzuheben sind außerdem die Einleitung zum Leipziger Kommentar (10. und 11. Aufl.) und die dortigen Vorbemerkungen zu § 13 StGB. Aus der Vielzahl thematisch weit gefächerter Einzelarbeiten seien hier nur ausdrücklich die in der ZStW erschienenen Aufsätze über „Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Personenverbände“ (ZStW 65 [1953], S. 210) und „Die Konkurrenz“ (ZStW 67 [1955], S. 529) sowie der außerordentlich bedeutsame Beitrag über „Grundfragen der Dogmatik und Kriminalpolitik“ (ZStW 93 [1981], S. 3) erwähnt. Das Lehrbuch, in das übrigens auch vieles aus seiner Beschäftigung mit dem ausländischen Strafrecht eingeflossen ist, will „durch eine repräsentative Darstellung der Probleme des Allgemeinen Teils des deutschen Strafrechts der Fachwelt des In- und Auslands wie auch den Studenten ein umfassendes, zuverlässiges und verständliches Bild des gegenwärtigen Standes unserer Wissenschaft und ihrer Anwendung bieten“ (Vorwort zur 4. Aufl.). Diese Zielsetzung erfüllt es in unübertroffener Weise. Jescheck hat in dem Buch, das sich neben großer Klarheit und sehr sorgfältiger Dokumentation auch durch bemerkenswerte Ausgewogenheit auszeichnet, wirklich alles Bedeutsame zu einer meisterhaften Darstellung verarbeitet. Es verwundert deshalb nicht, daß es über das Inland hinaus auch in dem am deutschen Strafrecht interessierten Ausland besonders starke Beachtung gefunden hat. Im Augenblick bereitet der Jubilar zusammen mit seinem Schüler Thomas Weigend die 5. Aufl. des Werkes vor.

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Über die meisterhafte Darstellung des Stoffes hinaus besteht die Bedeutung des Lehrbuches einmal darin, daß es der personalen Unrechtslehre mit zum Durchbruch verholfen hat. Jescheck ist dabei der Modifizierung gefolgt, welche die Welzelsche Lehre bei Gallas erfahren hat – ein Konzept, das sich durch Konsensfähigkeit auszeichnet. Ein besonderes Verdienst Jeschecks liegt in seiner Absage an Tendenzen, die personale Unrechtslehre in eine subjektivistische Unrechtsauffassung umzudeuten. So lehnt er in der Irrtumslehre zwar die strenge Schuldtheorie ab, wendet sich aber dagegen, die Alternative darin zu sehen, daß man beim „Erlaubnistatbestandsirrtum“ bereits das Vorsatzunrecht verneint. In Übereinstimmung mit Überlegungen von Gallas und Dreher entwickelte er vielmehr die „rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie“, nach der in diesem Irrtumsfall erst die Vorsatzschuld entfallen soll. Auf solche Weise wird ermöglicht, daß auch auf der Grundlage der personalen Unrechtslehre der Ausschluß des Unrechts des vorsätzlichen Delikts an das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes geknüpft bleibt und sachwidrige Konsequenzen für die Abgrenzung von Recht und Unrecht sowie für die Teilnahmelehre vermieden werden. Die von Jescheck vertretene Irrtumslehre hat begünstigt, daß die Einordnung des sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtums als Schuldfrage nach wie vor herrschende Meinung ist. Hervorzuheben ist auch die entschiedene Stellungnahme gegen die Verquickung von Schuld und Prävention. Jescheck betont, daß Schuld und Prävention auf verschiedenen Ebenen liegen: Schuld ist Voraussetzung dafür, daß anschließend die Frage der Prävention gestellt werden kann. Dementsprechend wendet sich Jescheck auch gegen die Richtung, die der Schuld bei der Strafzumessung zwar die limitierende Funktion der Strafobergrenze, nicht aber der Strafuntergrenze einräumen will. Er weist in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf hin, daß der von der Strafe verfolgte Zweck des Gesellschaftsschutzes nur auf gerechte Weise erreicht werden kann und deshalb eine angemessene Proportion von Schuldgehalt und Strafgröße gegeben sein muß. Schon in der Großen Strafrechtskommission hatte er sich für eine Gesetzesformulierung ausgesprochen, nach der die Strafe der Schuld des Täters entsprechen soll, die aber gleichzeitig zum Ausdruck bringt, daß die Schuldstrafe keine absolute Größe, sondern einen Rahmen darstellt, innerhalb dessen bei der Bemessung der Strafe berücksichtigt werden kann, was nötig ist, um den Verurteilten zu einem gesetzmäßigen und geordneten Leben zu führen. Die Mitarbeit in der Großen Strafrechtskommission, die Jescheck zu den bedeutendsten Erfahrungen seines Lebens zählt, hat in ihm das Interesse nicht nur an der Dogmatik, sondern auch an der Kriminalpolitik geweckt. Ihm liegt die von Radbruch und der IKV herkommende sogenannte moderne Richtung der Strafrechtswissenschaft nahe. Deshalb hat er in der Kommission gegen die Zuchthausstrafe, für die Einschränkung der Freiheitsstrafe, gegen die Ehrenstrafen und für die Ausdehnung der Strafaussetzung zur Bewährung votiert.

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Andererseits wandte sich Jescheck stets gegen Einseitigkeiten und Übertreibungen. Deshalb war er ebenso ein entschiedener Gegner der ganz auf Resozialisierung setzenden Richtung, wie er heute die neoklassizistische Gegenbewegung ablehnt. Sein kühl abwägender Sachverstand und seine langjährige richterliche Erfahrung (neben seiner Professur war er noch bis 1978 Richter am OLG Karlsruhe) bewahrten ihn vor theoretischen Verirrungen und Sackgassen. Für ihn ist das Strafrecht kein Experimentierfeld für kurzlebige theoretische Einfälle, sondern ein sehr empfindliches soziales Terrain, in das nur mit großer Behutsamkeit und viel gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl eingegriffen werden darf. Der Entwicklung der Rechtsfolgendiskussion hat deshalb immer wieder seine kritische Aufmerksamkeit gegolten, und er hat bis in die Gegenwart häufig zu kriminalpolitischen Fragen Stellung genommen. In seinen kriminalpolitischen Veröffentlichungen geht es regelmäßig um grundsätzliche Probleme, so etwa in den Beiträgen über „Die kriminalpolitische Konzeption des Alternativentwurfs eines Strafgesetzbuchs“ (ZStW 80 [1968], S. 54) und „Die Krise der Kriminalpolitik“ (ZStW 91 [1979], S. 1037). Dabei kam und kommt ihm zustatten, daß die Zusammenarbeit mit den Kriminologen des Max- Planck- Instituts ihm eine reiche Quelle kriminologischer Forschungsergebnisse eröffnet. Das Verhältnis von Strafrecht und Kriminologie hat er einmal so formuliert: „Strafrecht ohne Kriminologie ist blind, Kriminologie ohne Strafrecht ist uferlos.“ Allgemein läßt sich feststellen, daß Jescheck wissenschaftlich eine mittlere Linie verfolgt: Er ist weder Objektivist noch Subjektivist, sondern bemüht sich um die Ausgewogenheit von objektiver und subjektiver Seite des Delikts, und er ist weder Funktionalist noch Neoklassiker, sondern weist der Prävention die Rolle im Strafrecht zu, die ihr gemäß ist. Jeschecks großer Wirkung im Inland entspricht die im Ausland. Er ist wohl der international bekannteste Strafrechtler der Gegenwart. Sein internationales Renommee fand sichtbaren Ausdruck in der Wahl zum Präsidenten der AIDP im Jahre 1979 und der Wiederwahl für eine weitere fünfjährige Amtszeit im Jahre 1984. Daß er dieses Amt in einer bis dahin frankophon dominierten Vereinigung als Deutscher erhielt, beruhte allein auf der herausragenden Wissenschaftlerpersönlichkeit Jeschecks. Sein umfassendes Fachwissen, seine geistige und persönliche Ausstrahlung, seine Sprachkenntnisse und sein konziliantes Auftreten prädestinierten ihn geradezu zum Repräsentanten einer internationalen wissenschaftlichen Vereinigung. Auch die Übersetzung des Lehrbuches in fremde Sprachen und zahlreiche im Ausland veröffentlichte Aufsätze trugen zum Umfang seines internationalen Ansehens bei. Die Jescheck entgegengebrachte Wertschätzung machte es möglich, daß er 1986 in Amsterdam die Festrede zum Zentenarium des niederländischen Strafgesetzbuches hielt – in deutscher Sprache und in Anwesenheit der Königin. Daß er im Ausland überall sehr geschätzt ist, liegt zudem – wie oft zu beobachten war – an seinem gewandten, niemals aufdringlichen oder lauten Auftreten. Er

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hätte auch ein erfolgreicher Diplomat werden können, der dem Ausland auf diplomatischem Parkett ein positives Bild des Deutschen vermittelt hätte. Jeschecks Verdienste sind von ausländischen Universitäten durch die Verleihung von acht Ehrendoktortiteln gewürdigt worden (Stockholm, Waseda Tokio, Sung Kyun Kwan Seoul, Coimbra, Lima, Louvain-la-Neuve, Bologna, Budapest). Auch ist er in mehrere ausländische Akademien der Wissenschaften gewählt worden. Darüber hinaus wurde er mit hohen in- und ausländischen Orden ausgezeichnet. Außer der schon erwähnten Präsidentschaft der AIDP hat Jescheck weitere herausragende Ämter wahrgenommen. Zu nennen sind insbesondere die Wahl zum Mitglied der Internationalen Juristenkommission, der Vorsitz der Gesellschaft für Rechtsvergleichung (1973 –1983) und der Geisteswissenschaftlichen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft (1973 –1976) sowie nicht zuletzt im akademischen Bereich das Amt des Rektors der Freiburger Universität (1965/66). Die in- und ausländische Kollegenschaft hat dem Jubilar zum 70. Geburtstag eine zweibändige Festschrift mit gewichtigen Beiträgen gewidmet. Auch ist zum 65. Geburtstag eine Sammlung von Aufsätzen Jeschecks erschienen. Zu ihnen sind seither weitere wichtige Arbeiten hinzugekommen. Dazu gehören insbesondere stark beachtete Stellungnahmen zu ausländischen Reformentwürfen, so zum Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils des schweizerischen StGB (Festschrift für Lackner, 1987, S. 901), zur Reform des Allgemeinen Teils des tschechischen StGB (Festschrift für Baumann, 1992, S. 543), zum Entwurf des Allgemeinen Teils eines polnischen StGB (Festschrift für Spendel, 1992, S. 849) u. a. Es ist beabsichtigt, die seit 1980 erschienenen Arbeiten aus Anlaß des 80. Geburtstags ebenfalls in einer Aufsatzsammlung zusammenzufassen. Über den genannten vielen Aufgaben ist bei Jescheck der Lehrbetrieb niemals zu kurz gekommen. Er ist ein engagierter Universitätslehrer, der auch diese Seite des Professorenberufs mit größter Gewissenhaftigkeit wahrgenommen hat. Das didaktische Talent spiegelt sich nicht nur in der klaren Darstellungsweise des Lehrbuchs, sondern auch in seiner Anleitung „Fälle und Lösungen“ wider. Jeschecks Aktivität und Schaffenskraft sind bewunderungswürdig. Er widmet sich mit Hingabe den übernommenen Aufgaben. Preußische Tugenden wie Pflichtbewußtsein, Arbeitsdisziplin, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit hat er sich bewahrt. Nur dadurch war es möglich, die vielen Aufgaben so vorbildlich zu bewältigen: die wissenschaftliche und organisatorische Leitung des Max-PlanckInstituts, die Verpflichtungen aus dem Lehrstuhl an der Universität, die Betreuung des Lehrbuches, die Arbeit an anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die Schriftleitung der ZStW, die leitenden Funktionen in der AIDP und der Gesellschaft für Rechtsvergleichung sowie vieles andere. Auch wenn manches davon inzwischen abgeworfen worden ist: das verbliebene Pensum ist immer noch gewaltig.

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Aus alledem darf man jedoch nicht folgern, Jescheck belasse sich daneben nicht noch Zeit für andere Interessen und Neigungen. Er ist insbesondere im kulturellen und historischen Bereich außerordentlich interessiert und beschlagen. Ob man mit ihm durch den Prado oder das Kröller-Müller-Museum geht, man ist beeindruckt von seiner Kennerschaft. Seine vielen Auslandsaufenthalte, bei denen nur noch wenige unbereiste Stellen auf dem Globus verblieben sind, hat er stets intensiv dazu verwandt, um die neben dem wissenschaftlichen Programm verfügbaren Stunden für seine kunst- und allgemeingeschichtlichen Neigungen zu nutzen. So manches Mal gestalteten sich diese Unternehmungen ebenso arbeitsintensiv wie das eigentliche Arbeitsprogramm. Jescheck ist ein Strafrechtler zwischen den Generationen, und er empfindet sich auch so: nämlich altersmäßig angesiedelt zwischen der Generation, die in den zwanziger und dreißiger Jahren ihre wissenschaftliche Laufbahn begann und bis Mitte der sechziger Jahre dominierte, auf der einen und der ersten wissenschaftlichen Nachkriegsgeneration, den heute Sechzig- bis Siebzigjährigen, auf der anderen Seite. In der Großen Strafrechtskommission, die von den älteren Kollegen geprägt gewesen ist, war Jescheck mit Abstand das jüngste Mitglied, dagegen hätte er im Alternativkreis bereits zu den „Honoratioren“ gehört. Vielleicht liegt in dieser singulären Position eine weitere Ursache seines Erfolges: Er hatte bei den Älteren während der langen Zusammenarbeit in der Großen Strafrechtskommission den Wert klarer Begriffsbildung, präzisen systematischen Denkens und des behutsamen Umgangs mit dem Strafrecht schätzen gelernt; andererseits war er jung und Neuem gegenüber aufgeschlossen genug, um hinsichtlich der Reform der Strafen und Maßregeln eher der Tendenz des Alternativkreises zuzuneigen. Dem Jubilar ist zu wünschen, daß er sich weiterhin zufriedenstellender Gesundheit erfreuen und uns alle auch im neuen Lebensjahrzehnt durch seine wissenschaftlichen Arbeiten bereichern kann. Er gehört zu denjenigen Gelehrten, die wirklich unersetzbar sind.

Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach aus strafrechtlicher Sicht 2006 I. Die Formulierung „Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach“ war von Hans-Heinrich Jescheck als Thema der Rede gewählt worden, die er aus Anlaß des 65. Geburtstages von Günther Kaiser hier im Institut gehalten hat. 1 Daß das Thema auf Wunsch unseres heutigen Jubilars den Gegenstand des wissenschaftlichen Kolloquiums bildet, spiegelt die besondere Bedeutung wider, die Jescheck zu Recht gerade diesem Teil seines großen Lebenswerks beimißt. Anders als das Nebeneinander strafrechtlicher und kriminologischer Lehrstühle an den Universitäten ist das Freiburger Konzept von vornherein auf wissenschaftliche Zusammenarbeit beider Fächer hin angelegt. Wenn hier von „unter einem Dach“ die Rede ist, meint man damit ein Einfamilienhaus und nicht zwei durch eine Hauswand getrennte Reihenhäuser. Jescheck berichtet in seinem Beitrag zur Festschrift für Kaiser, wie es im Jahre 1969 auf seinen Vorschlag hin zur Gründung der neben die bereits bestehende Arbeitsgruppe „Strafrecht“ getretenen Arbeitsgruppe „Kriminologie“ gekommen ist 2 Ziel war eine strafrechtliche und kriminologische Forschung „Hand in Hand“; es ging um eine integrierte Zusammenarbeit beider Wissenschaften. 3 Betrachtet man das Freiburger Konzept heute rückblickend, so läßt sich feststellen, daß dem Bestreben, Strafrecht und Kriminologie zu einer engen Zusammenarbeit zu bringen, in großem Maße Erfolg beschieden gewesen ist. Auf die wichtigsten Ergebnisse wird im folgenden noch einzugehen sein.

1 Abgedruckt in: H.-J. Albrecht / Kürzinger (Hrsg.), Kriminologie in Europa – Europäische Kriminologie?, 1994, S. 7 ff. (= Jescheck, Beiträge zum Strafrecht 1980 – 1998, 1998, S. 525 ff.). 2 Jescheck, Kriminologie und Strafrecht im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Festschrift für Kaiser, 1999, S. 9, 11 f. 3 Jescheck (Fn. 1), S. 7; ders. (Fn. 2), S. 12.

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II. Die vorzuweisenden Erfolge lassen unberührt, daß die Zusammenarbeit, wie sie hier praktiziert wird, eine Reihe von grundsätzlichen theoretischen und praktischen Fragen aufwirft. Bedenken sind auch von mehreren Seiten erhoben worden. Die Erörterung der Probleme soll Gegenstand dieses Symposiums sein. Wie Jescheck an einer Stelle schreibt, gaben die kritischen Einwände, die von außen erhoben wurden, ihm und Kaiser ständig Anlaß, die eigene Position, nämlich das auf integrierte Zusammenarbeit ausgerichtete Freiburger „Konsensmodell“, nicht als selbstverständlich zu nehmen, sondern kritisch zu überdenken. 4 1. In fundamentalem Gegensatz zum Institutsprogramm standen und stehen die Richtungen des Abolitionismus und des Neomarxismus. 5 Sich mit ihnen auseinanderzusetzen, lag von vornherein außerhalb der Aufgaben des Instituts. Denn dieses ist nicht errichtet worden, um über die Abschaffung des Strafrechts zu spekulieren, wie es die Abolitionisten tun, sondern Gegenstand der Forschungsarbeit sollte das Strafrecht sein, wie man es überall in der Welt findet. Und die neomarxistischen Zielsetzungen widersprechen so deutlich den Standards freiheitlicher Gesellschaften, daß sie ebenfalls nicht Forschungsgegenstand des Instituts zu sein hatten. 2. Wichtiger waren die gegen den Freiburger Verbund direkt gerichteten Einwände, die von seiten der „kritischen“ oder „radikalen“ Kriminologie kamen. Gegenüber dem Freiburger Konsensmodell äußerte sich diese Kritik im Vorwurf der „Staatsforschung“, 6 in der Herabsetzung der mit dem Strafrecht kooperierenden Kriminologie als „Legitimationswissenschaft“, im Vorwurf der „Praxisunterwerfung“ und der „Anbindung an das Strafrecht“, 7 in der Behauptung der „Theorielosigkeit“ und der „politischen Botmäßigkeit“ 8 sowie in der Abwertung der dem Strafrecht und seiner Anwendung gewidmeten Kriminologie als „ServiceForschung“. 9 In der Tat mußte sich wohl bei Kriminologen, vor allem den Nichtjuristen unter ihnen, die Befürchtung einstellen, daß der enge Verbund mit dem Strafrecht darauf 4

Jescheck (Fn. 2), S. 14. Darauf weist auch Jescheck (Fn. 2), S. 15, hin. 6 Brusten, Staatliche Institutionalisierung kriminologischer Forschung, in: Kury (Hrsg.), Perspektiven und Probleme kriminologischer Forschung, 1981, S. 135 ff. 7 Sack, Probleme der Kriminalsoziologie, in: König (Hrsg.), Handbuch empirischer Sozialforschung, Bd. 12, 2. Aufl. 1978, S. 192 ff.; ders., Kritische Kriminologie, in: Kaiser / Kerner / Sack / Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl. 1993, S. 329 ff.; u. a. 8 D. und H. Peters, Theorielosigkeit und politische Botmäßigkeit. Destruktives und Konstruktives zur deutschen Kriminologie, KrimJ 4 (1972), S. 241 ff. 9 Vgl. auch bereits die vorgenannte Aufzählung bei Jescheck (Fn. 2), S. 14. 5

Strafrecht und Kriminologie aus strafrechtlicher Sicht

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hinausläuft, die Kriminologie in wissenschaftliche Abhängigkeit vom positiven Recht zu bringen. Eine Befürchtung, die vielleicht um so naheliegender war, weil es bis heute Strafrechtler gibt, welche die Grenzen der Strafrechtswissenschaft beim Gesetzestext ziehen. Aber selbst dann, wenn sich die Aufgabe der im hiesigen Institut betriebenen Kriminologie darauf beschränkt hätte, empirische Forschungen in den Grenzen geltenden Strafrechts anzustellen, wäre dadurch ihre Wissenschaftlichkeit nicht in Frage gestellt gewesen. Wie z. B. die positivrechtlichen Strafvorschriften zum Schwangerschaftsabbruch oder die gesetzliche Regelung von Opportunitätseinstellungen in der Praxis funktionieren, das festzustellen ist sicherlich eine originär kriminologische Aufgabe. Es handelt sich daher bei jenen Bedenken nicht darum, daß das, was bei solcher Beschränkung betrieben wird, keine kriminologische Wissenschaft wäre. Vielmehr geht es den Kritikern genauer betrachtet um eine befürchtete thematische Verengung und damit die Einengung wissenschaftlicher Freiheit. Hierzu ist aber zunächst darauf hinzuweisen, daß in vielen Wissenschaftsdisziplinen Einrichtungen bestehen, die Teilbereiche betreffen. Spezialisierung ist geradezu ein Elementarbefund heutiger Wissenschaft. Im übrigen verbleibt auch im Freiburger Verbund den Wissenschaftlern beider Fächer neben der Arbeit an den gemeinsamen Projekten ein Bereich für selbst gewählte, eigene Forschungen. Bei dem zur Erörterung stehenden Einwand geht es denn auch um einen besonderen Aspekt, nämlich der Freiburger Verbund schließe grundsätzliche Kritik am bestehenden Strafrecht aus, man stehe diesem als Kriminologe nicht mehr wissenschaftlich frei gegenüber. Dieses Bedenken ist aus wissenschaftlicher Sicht indes schon deshalb unzutreffend, weil auch eine richtig verstandene Strafrechtswissenschaft allen subjektiven Mißverständnissen einzelner Vertreter zum Trotz – bereits Kritik am geltenden Strafrecht zu üben hat, wo diese sachlich angezeigt ist. Ich verweise nur als Beispiele auf die von seiten der Strafrechtswissenschaft geübte Kritik an der ölfleckartigen Ausbreitung der abstrakten Gefährlichkeitsdelikte und der darin liegenden Ausweitung des Kriminalstrafrechts in den Vorfeldbereich 10 sowie auf die wieder verstärkt erhobene Kritik an einem auf die subjektive Theorie gestützten Umfang der Versuchsstrafbarkeit. 11 Schon gar nicht ist daher der mit dem Strafrecht zusammenarbeitende Kriminologe zur Kritiklosigkeit verdammt. Das hat sich in den drei Jahrzehnten hiesiger Zusammenarbeit auch bestätigt. 12 10

Siehe etwa Hassemer, Kennzeichen und Krisen des modemen Strafrechts, ZRP, 1992, S. 378, 383; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 71 ff.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 380 ff. m.w. N. 11 Siehe etwa Weigend, Die Entwicklung der deutschen Versuchslehre, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 113, 126 ff.; Hirsch, Gefahr und Gefährlichkeit, Festschrift für Arth. Kaufmann, 1993, S. 545, 560 f.; ders., Zur Behandlung des ungefährlichen „Versuchs“ de lege lata und de lege ferenda, Gedächtnisschrift für Vogler, 2004, S. 31, 32 ff. m.w. N. ebendort Fn. 9.

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Den eigentlichen Hintergrund der von der „kritischen“ oder „radikalen“ Kriminologie kommenden Einwände bildet auch etwas Weitergehendes: eine gesellschaftsverändernde Stoßrichtung. Für sie war und ist das bestehende Strafrecht ein hinderliches Bollwerk gegen die von ihr intendierte Veränderung. Dabei hatte für diese Richtung, also der an solcher Kritik des Strafrechts orientierten Kriminologie, der „labeling approach“ besondere Bedeutung. Diese aus den USA kommende Auffassung sagt bekanntlich, daß bei den im Rahmen der Strafverfolgung stattfindenden Selektionsprozessen eine schichtenspezifische Ungleichbehandlung zum Nachteil der Unterschicht erfolge. Deren Angehörigen werde die Eigenschaft der Kriminalität gewissermaßen „zugeschrieben“, und zwar eher als den Angehörigen der Mittel- und Oberschicht. 13 Der „labeling approach“ beschäftigte die jüngeren deutschen Kriminologen zur Zeit der Anfangsjahre des Freiburger Verbundes in außergewöhnlichem Maße. Indem die orthodoxen Anhänger unter ihnen Kriminalität nur als einen zu Lasten der Unterschicht erfolgenden Zuschreibungsprozeß begriffen, ergab sich für sie keine Basis für eine Zusammenarbeit mit dem bestehenden Strafrecht. Es war vielmehr für sie eine Bastion der Konservierung angeblicher gesellschaftlicher Mißstände. Was von diesen oft ideologisch verstrickten Kriminologen jedoch zumeist übergangen wurde, war der Unterschied zwischen Strafrecht und seiner praktischen Umsetzung. Um was es der Sache nach eigentlich ging, war nicht das Strafrecht, sondern ausschließlich das Dunkelfeld der Kriminalität der Mittel- und Oberschichten. Später ist von „white-collar crimes“ die Rede gewesen. Diese Defizite stärker ins Blickfeld gerückt zu haben, war ein positiver Aspekt des Labelingansatzes. 14 Grenzt man seine Aussagen darauf ein, bildet er kein Hindernis für die wissenschaftliche Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht, sondern eher umgekehrt einen wichtigen Hinweis auf deren Notwendigkeit: Indem er nämlich bewußt macht, daß das Strafrecht in der Luft hängt, wenn man nicht auch der Rechtsanwendung Beachtung schenkt. Interessanterweise sind ebenfalls von der konventionellen Kriminologie Einwendungen gegen das gemeinsame „Dach“ erhoben worden. Sie richteten sich nicht grundsätzlich gegen den Verbund, sondern gegen das Forschungsprogramm des Instituts. Dabei ging es zum einen um die angloamerikanische Kriminologie. Leferenz 15 kritisierte, es werde versucht, „den Anschluß an die angloamerikanische Kriminologie zu gewinnen“, und er empfahl statt dessen, „daß die deutsche 12 Siehe beispielsweise die kritischen Stellungnahmen gegenüber Tendenzen, die Betriebsjustiz „zu einem Strafverfahren hochzuspielen“, und Teilen des Sanktionssystems; vgl. hierüber Jescheck (Fn. 2), S. 20, 24 ff. Zudem gab es im Institut stets die Möglichkeit kriminologischer Forschung außerhalb gemeinsamer Forschungsvorhaben; siehe dazu Jescheck (Fn. 2), S. 18. In diesem Zusammenhang ist auch auf das von Kaiser, dem bis zur Emeritierung im Jahre 1996 für die Kriminologie zuständigen Direktor des Instituts, verfaßte große Lehrbuch der Kriminologie hinzuweisen (in 3. Aufl. erschienen 1996). 13 Näher Sack, Neue Perspektiven der Kriminologie, in: Sack / König (Hrsg.), Kriminalsoziologie, 1968, S. 468 ff. 14 Vgl. Kaiser (Fn. 12), § 32 Rn. 10 m.w. N.

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Kriminologie sich wesentlich eigenständiger entwickeln und sich stärker an den ihr gestellten Aufgaben orientieren solle“. Diese Aufgabe sei die „täterorientierte Ursachenforschung“. Er meinte, daß demgegenüber heute „der individuelle Täter verschwinde“ zugunsten von Fragen „der Normgenese, der Kriminalisierungsprozesse oder der Justizforschung“ im engeren Sinne. Richard Lange 16 wandte sich ebenfalls gegen „amerikanischen Einfluß“. Eine „Koexistenz“ von Schuldstrafrecht und der inzwischen vorherrschenden Richtung der Kriminologie hielt er für unmöglich. Auch diese Kritik war zu einseitig. Es gibt zwar eine von deutschen Wissenschaftlern betriebene Kriminologie, aber als Wissenschaft der Sache nach keine deutsche Kriminologie, ebensowenig wie eine deutsche Psychologie, Medizin oder Physik. Daher läßt sich nicht behaupten, es gehe in der Kriminologie lediglich um die „täterorientierte Ursachenforschung“, nur weil in Deutschland dieser Teilbereich der Kriminologie in besonderem Maße gepflegt worden ist. Auch ist bei einem solchen Einwand zu beachten, daß derjenige, der ihn vorbringt, leicht durch fachliche Herkunft, etwa als Mediziner oder Psychologe, auf einen solchen Teilaspekt fixiert sein kann. Gerade von einem der Information über wissenschaftliche Entwicklungen des Auslands gewidmeten Forschungsinstitut wird erwartet, daß es die dortigen Methoden und Themen in voller Breite zur Kenntnis nimmt und bei erkennbarer Eignung auch selbst anwendet. Wenn Richard Lange vom Schuldstrafrecht her den Einfluß der aus den USA kommenden kriminologischen Auffassungen rügte, so handelte es sich dabei um eine Auseinandersetzung zwischen Einseitigkeit und Einseitigkeit. Zwar enthalten die in ihrem schnellen Wechsel etwas der Modebranche nacheifernden nordamerikanischen Kriminologietrends – vom labeling approach, der Resozialisierungseuphorie, dem Täter-Opfer-Ausgleich und der Diversion bis zur nothing works-Reaktion – keine absoluten Wahrheiten, aber doch wichtige Teilerkenntnisse. Auf der anderen Seite ist der Schuldgedanke zwar strafrechtlich von zentraler Bedeutung, aber auch er darf im Rechtsfolgensystem nicht durch eine gegen den Täter gerichtete Verabsolutierung ad absurdum geführt werden. War die vorgenannte Kritik am Forschungsprogramm des Instituts auf nordamerikanischen Einfluß bezogen, monierte Hilde Kaufmann 17 eine mangelnde Trennung von der Soziologie. Sie hatte dabei das erste gemeinsame hiesige Forschungsvorhaben vor Augen: die Betriebsjustiz. Auch wenn diese einen legitimen Forschungsgegenstand bilde, gehe es dabei doch um „Soziologie und gar nicht mehr (um) Kriminologie“. Mit diesem Einwand ist die grundsätzliche 15 Leferenz, in: Feest, Tagungsbericht, ZStW 83 (1971), S. 1131, 1133 f.; ders., Rückkehr zur Gesamten Strafrechtswissenschaft, ZStW 93 (1981), S. 199, 218 f. 16 Lange, Zur neuen Situation der Kriminologie, Festschrift für Oehler, 1985, S. 671, 676; ders., in: Jescheck, Richard Lange zum Gedächtnis, ZStW 108 (1996), S. 1, 7. 17 Hilde Kaufmann, in: Feest (Fn. 15), S. 1142.

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Frage der Grenzen der Kriminologie angesprochen. Sie kann im vorliegenden Zusammenhang nicht vertieft werden. Ohnehin dürfte aber klar sein, daß sich die Kriminologie mit mehreren anderen Fachdisziplinen überschneidet, namentlich der Soziologie, der Psychologie und der Medizin. Verbindend ist nur der Bezug zum Strafrecht oder jedenfalls dem sozialschädlichen Verhalten. Es ist aber wohl nicht zu verkennen, daß die Betriebsjustiz an sich strafbares Verhalten betrifft. Die Kriminologie endet auch nicht vor Fragen der Strafprozeßordnung. Kaiser hat von der „Erweiterung [... ] des Gegenstandes der Forschung [...] auf das gesamte System der strafrechtlichen Sozialkontrolle einschließlich der Konzepte und Handlungsmuster sowie des Verbrechensbegriffs“ gesprochen. 18 Konkreter sagte er zur fachlichen Zusammenarbeit im Institut: „Wir beabsichtigen, Stück für Stück das Gesamtsystem der Verbrechenskontrolle, dessen Träger und die von ihm Betroffenen in entscheidungsrelevanten Situationen zu erfassen. Wir haben dabei mit dem sogenannten Betriebsjustiz-Projekt als einem Fall privater Verbrechenskontrolle begonnen [...].“ 19 Das entspricht dem sachgemäßen Fachverständnis. Auch wenn die genannten Bedenken gegen das Konzept „Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach“ nicht zu überzeugen vermögen, bedarf die Grundfrage der Beantwortung: Passen Strafrecht und Kriminologie eigentlich wissenschaftstheoretisch zusammen? Bei ersterem geht es um normativ-hermeneutisch dominierte Wissenschaft, bei letzterer um vorwiegend empirisch ausgerichtete Wissenschaft. In diesem Zusammenhang kommt die von Franz von Liszt geprägte Bezeichnung „Gesamte Strafrechtswissenschaft“ in den Blick. Sie hat sich bei der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft bekanntlich bis in die Gegenwart erhalten. Vom wissenschaftlichen Standpunkt her ist sie aber ungenau und mißverständlich. Ungenau ist sie deshalb, weil sie durch die Bezeichnung Strafrechtswissenschaft die grundsätzliche Verschiedenheit beider Wissenschaftsdisziplinen verschleiert. Das Strafrecht hat eine normative Aufgabe, nämlich in einer Rechtsordnung die Sachverhalte, die von der Gesetzgebung mit Strafe bedroht sein sollen, nach Inhalt und Sanktion anzugeben. Der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit spielt dabei eine erhebliche Rolle. Die Strafrechtswissenschaft – das eigentliche Gegenüber zur Kriminologie – ist, indem sie sich vor allem mit der Auslegung der Strafgesetze befaßt, eine vorwiegend normativ-hermeneutische Wissenschaft. Ich meine zwar, daß sie das nicht aus- schließlich ist, sondern auch Bereiche umfaßt, bei denen es um echte Erkenntnis geht und deshalb ihr Wissenschaftscharakter Parallelen zur Philosophie aufweist. 20 Das kann aber im vorliegenden Zusammenhang außer Betracht bleiben. Was die Kriminologie betrifft, forscht diese dagegen als „Er18 Kaiser, Was ist eigentlich kritisch an der „kritischen Kriminologie“?, Festschrift für Lange, 1976, S. 521, 538. 19 Kaiser, Stand und Entwicklung der kriminologischen Forschung in Deutschland, 1975, S. 42 f.

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fahrungswissenschaft“ im Unterschied zur Strafrechtswissenschaft vornehmlich empirisch nach Ursachen und Entwicklung der Delinquenz, Wirkung von Normen auf Täter und Gesellschaft. 21 Daß Gemeinsamkeit mit der Strafrechtswissenschaft in der Regel darin besteht, daß geltende Strafgesetze den Bezugspunkt bilden, macht die Kriminologie nicht zu einer Unterform der Rechtswissenschaft. Das tritt noch deutlicher in Erscheinung, sobald man wissenschaftlich konsequent die Kriminologie von diesem Fixpunkt löst und ihr die Aufgabe der auf erheblich abweichendes Sozialverhalten bezogenen Devianzforschung zuweist oder von einem vorgegebenen materiellen Bezugspunkt der erheblichen Sozialschädlichkeit ausgeht. Letzterenfalls kann man sich unabhängig von positivrechtlich gezogenen Grenzen, aber innerhalb eines durch einen materiellen Kriminalitätsbegriff gegen Uferlosigkeit wissenschaftlich abgegrenzten Bereichs auch mit Fragen wie beispielsweise derjenigen befassen, ob sozialschädliche Aktivitäten in der Bildungspolitik nicht größere negative Auswirkungen fiir eine Gesellschaft und deren geschädigte einzelne Mitglieder haben als die Aktivitäten von pönalisierten Kleindelinquenten. Und was die Mißverständlichkeit der Bezeichnung „Gesamte Strafrechtswissenschaft“ angeht, besteht sie in dem mit ihr verbundenen unzutreffenden Eindruck, daß die Kriminologie eine bloße Hilfswissenschaft der Strafrechtswissenschaft darstelle. Beide stehen vielmehr als autonome Wissenschaftsdisziplinen gleichrangig nebeneinander. Das schließt nun aber nicht aus, daß eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Disziplinen möglich und notwendig ist. Wie Jescheck nachdrücklich betont hat, bedürfen Strafrechtspflege und Strafgesetzgebung der kriminologischen Grundlegung. 22 Bei der wissenschaftlichen Zusammenarbeit liefert man sich gegenseitig Material, kontrolliert es gegenseitig und regt sich gegenseitig zu weiteren Überlegungen an. Das aber ist am besten möglich im räumlichen Verbund, der auch den ständigen mündlichen Meinungsaustausch gestattet. Der Beitrag des Strafrechtlers sind die Informationen über die Rechtslage, die Gründe für diese Rechtslage und die rechtlichen Fragen, die in der Gerichtspraxis und der wissenschaftlichen Literatur auftauchen. Der Kriminologe liefert dagegen die Informationen über die tatsächlichen Grundlagen, die tatsächliche Situation und Entwicklung, aufbereitet mit Erklärungen für diese. Es geht dabei um eine gleichrangige Kooperation, bei der nicht einseitig das Strafrecht die Fragen stellt und die Kriminologie die Antworten gibt, vielmehr beide Disziplinen wechselseitig die Fragen stellen. Strafrechtswissenschaft und Kriminologie ergänzen sich danach also ideal. Auch wenn sie nach Art des Freiburger Modells „unter einem Dach“ arbeiten, 20 Vgl. Hirsch, Gibt es eine national unabhängige Strafrechtswissenschaft?, Festschrift für Spendel, 1992, S. 43 ff.; ders., Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtswissenschaft, ZStW 116 (2004), S. 835 ff. 21 Näher Kaiser (Fn. 12), § 1 Rn. 12 ff. 22 Jescheck (Fn. 2), S. 10.

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handelt es sich nicht um eine „Hierarchie von Herrin und Magd“. 23 Aber können sich nicht Friktionen aus methodischen Gründen ergeben? Diese Problematik ist bei der Zusammenarbeit im Institut erfolgreich dadurch gelöst worden, daß man eine pragmatische Sicht befolgt hat, das heißt: daß man sich von Vorhaben zu Vorhaben jeweils für die am geeignetesten erscheinende Vorgehensweise entschieden hat. Insoweit beim Forschungskontakt mit ausländischen Wissenschaftlern methodische Schwierigkeiten aufgetreten sind, ließen sich auch diese nach und nach lösen. 24 Das Freiburger Modell zeigt daher, daß bei der Methodenfrage kein grundsätzliches Problem für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu liegen braucht. III. Diese Überlegungen zur Zusammenarbeit von Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach werden bestätigt durch das Vorliegen von zahlreichen Untersuchungen des Instituts, bei denen sie sich bewährt hat. Keine der beiden Wissenschaften hätte die gewonnenen Ergebnisse für sich allein gewinnen können, wie Jescheck 25 zu Recht hervorgehoben hat. Aus der Zeit, als die Leitung des Instituts bei dem Jubilar und Günther Kaiser lag, bringe ich insbesondere in Erinnerung: die Untersuchungen zur Betriebsjustiz, zu Struktur und Funktion der Staatsanwaltschaft, zur Geldstrafe sowie zur Freiheitsstrafe, ihren Surrogaten und der Strafzumessung. Forschungen zum Schwangerschaftsabbruch und zum Umweltschutz, die sich bereits in die Amtszeit von Jeschecks Nachfolger Eser erstreckten, schlossen sich an. Aus dem Zeitabschnitt der Zusammenarbeit von Eser mit Kaiser und dann Albrecht sind außerdem opferorientierte Untersuchungen, insbesondere zur Schadenswiedergutmachung, und Untersuchungen zu verschiedenen Bereichen der Wirtschaftskriminalität besonders hervorzuheben. 26 Alle diese Projekte brachten wichtige Erkenntnisse sowohl zur straf- und strafprozeßrechtlichen als auch der kriminologischen Seite. Der Jubilar hat die bedeu23 Formulierung nach Hassemer, Kriminologie und Strafverfahren, Festschrift für Müller-Dietz, 2001, S. 261, 267; ders., Kriminologie-Strafrecht-Kriminalpolitik. Manuskript des am 13. 3. 2003 auf der Wiener Kriminologen-Tagung gehaltenen Vortrags, S. 5, 11(zitiert nach Kaiser, Strafrecht und Kriminologie ohne Berührungsfurcht, ZStW 116 [2004], S. 855, 859 Fn. 17). Notwendig sei statt dessen eine Erweiterung des Horizonts durch eine „wissenschaftliche Kooperation auf Augenhöhe“. Mit Recht betont er dabei die Strafrechtsnähe einer sich autonom entwickelnden Kriminologie; vgl. Hassemer, Festschrift für Müller-Dietz, S. 269. 24 Jescheck (Fn. 1), S. 9. 25 Jescheck (Fn. 2), S. 28. Zustimmend Kaiser (Fn. 23), S. 869. 26 Näher zu den Projekten: Jescheck (Fn. 1), S. 9 f.; ders. (Fn. 2), S. 17 ff.; Kaiser (Fn. 23), S. 865 ff.

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tendsten Ergebnisse in seinem Beitrag zur Festschrift für Kaiser im einzelnen dargestellt. 27 Ihr besonderer Wert liegt über den Erkenntnisgewinn für die deutsche und auch ausländische wissenschaftliche Entwicklung hinausgehend nicht zuletzt in dem hohen Informationswert für den Gesetzgeber. Das Zusammenwirken kommt damit über den Einfluß auf die Gesetzgebung der gesamten Gesellschaft zugute. Jescheck zitiert in diesem Zusammenhang den Satz Jus criminalis semper est reformandum. 28 IV. 1. Allgemeine Probleme der Zusammenarbeit von Strafrecht und Kriminologie ergeben sich daraus, daß man vielfach mit fachlichen Vorbehalten einander gegenübertritt. Kaiser hat in einem dieser Tage erschienenen ZStW-Beitrag mit dem Blick auf die Zusammenarbeit im Max-Planck-Institut von „Strafrecht und Kriminologie ohne Berührungsfurcht“ geschrieben. 29 Daß eine solche Formulierung noch zum jetzigen Zeitpunkt gewählt wird, deutet daraufhin, daß außerhalb des Freiburger Instituts die beiden Disziplinen noch häufig Berührungsängste haben. Es war daher ein besonderer Glücksfall, daß sich der Jubilar und Günther Kaiser Ende der 60er Jahre zu der hiesigen gemeinsamen Forschung zusammenfanden. Dazu gehörte Aufgeschlossenheit für das Fach des anderen und die Bereitschaft zu gemeinsamer Arbeit. Daß dies im Verhältnis von Strafrecht und Kriminologie nicht selbstverständlich ist, hat verschiedene Gründe. Welcher Art sie auf kriminologischer Seite sind, ist schon zu Beginn meines Vortrags deutlich geworden. Werfen wir jetzt noch einen Blick auf die juristische Seite. Der Jurist ist seinem Fachverständnis nach fixiert auf die Rechtsfragen, die Gesetze und Rechtsprechung aufwerfen, und, wenn er Rechtspraktiker ist, außerdem in tatsächlicher Hinsicht auf Beweisfragen. Empirische Ergebnisse der Kriminologie kommen ihm als Strafrechtstheoretiker oder als Justizjurist dagegen nur ausnahmsweise in den Blick, beispielsweise bei Fragen der Schuldfähigkeit. Mir sind während meines akademischen Lebens nicht wenige Strafrechtler begegnet, von denen man annehmen durfte, daß sie noch nie eine Kriminalstatistik in der Hand hatten. Strafrechtliche Fragen werden demgemäß häufig nur nach ihrem juristischen Problemgehalt gewichtet und erörtert, nicht nach ihrer praktischen Bedeutung.

27

Jescheck (Fn. 2), S. 18 ff. Jescheck (Fn. 2), S. 15, im Anschluß an Schultz, Abschied vom Strafrecht?, ZStW 92 (1980), S. 611, 635. 29 Kaiser, ZStW 116 (2004), S. 855 ff. 28

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Daß aber auch derjenige Strafrechtler, welcher der Kriminologie an sich interessiert und aufgeschlossen gegenübersteht, nicht selten Vorbehalte empfindet, beruht nach meinem Eindruck auf Folgendem; Er vermißt in fachlichen Stellungnahmen von Kriminologen des öfteren eine hinreichende Berücksichtigung der Komplexität der von einer Rechtsordnung zu beachtenden Gesichtspunkte. Das gilt vor allem in bezug auf diejenigen Kriminologen, die ganz aus nicht juristischen Fächern kommen, etwa der Soziologie. Sie sind offenbar unter den einflußreichen angelsächsischen Kriminologen besonders zahlreich. Die Folge davon ist, daß grundsätzliche Strömungen der Kriminologie oft sprunghaft wechselnden Modetrends zu gleichen scheinen, was im vorhergehenden schon angesprochen wurde. Auch schreckt das Angebot der verschiedenen Richtungen der Kriminologie. Der Strafrechtler wittert bei ihnen jeweils Einseitigkeit und ist verunsichert, woran er sich halten soll. Auf diesen Punkt hat bereits Hassemer hingewiesen. 30 Es handelt sich dabei aber letztlich um ein Problem aller wissenschaftlichen Großtheorien. 31 Wendet man sich dem zur Klärung einzelner Problemkreisc verfügbaren wissenschaftlichen Instrumentarium zu, hier der empirisch arbeitenden Richtung der Kriminologie, so sehen die Dinge schon anders aus. Es ist ein besonderes Verdienst der im Freiburger Institut unter einem Dach erfolgenden Zusammenarbeit, daß sie die bestehenden Berührungsängste und Vorurteile zurückgedrängt und den großen wissenschaftlichen Gewinn gemeinsamer Untersuchungen vor Augen geführt hat. Ausschließliche Sachbezogenheit, wissenschaftliche Nüchternheit anstatt ideologischen Sendungsbewußtseins, sorgfältiges Recherchieren und gegenseitige fachliche Wertschätzung waren und sind das Erfolgsrezept. Als Vorteil hat sich dabei erwiesen, daß der Kriminologe juristische Vorbildung hat, daß beide Direktoren über ein gemeinsames wissenschaftliches Grundverständnis verfügen und daß sie sich auf Forschungsvorhaben verständigen können, die sowohl das Interesse breiter juristischer Kreise als auch das praxisbezogener Kriminologen finden. 2. Aber es geht bei der Zusammenarbeit von Strafrecht und Kriminologie auch noch um ein Sachproblem, das bei den Freiburger Projekten deutlich zutage getreten ist. Kriminologische Forschungen sind von der Sache her regelmäßig zeitaufwendiger als juristische. Untersuchungen zu Rechtsfragen lassen sich im Normalfall verhältnismäßig schnell anstellen. Kriminologische Forschungen bedürfen dagegen, zumal wenn sie Feldforschungen oder Aktenauswertungen sind, langwieriger und häufig schwer durchführbarer Erhebungen. Sie müsscn sich 30

Hassemer (Fn. 23), Wiener Vortrag, S. 5, 11. Zur parallelen Problematik im Strafrecht vgl. Ida, Welche neuen praxisrelevanten Ergebnisse bringen die gegenwärtig zum materiellen Strafrecht diskutierten neuen systematischen Konzepte?, in: Hirsch (Hrsg.),Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften?, 2001, S. 137, 147 ff.; Hirsch (Fn. 20), ZStW 116 (2004), S. 849. 31

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daher oft auf Schwerpunkte der Gesamtproblematik konzentrieren oder in Kauf nehmen, daß eine zeitliche Koordinierung der Arbeit schwierig wird. 32 Diese sachbedingte Problematik stellt den Wert der Zusammenarbeit aber nicht in Frage. V. Meine bisherigen Ausführungen betrafen grundsätzliche Fragen der Zusammenarbeit von Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach. Eine speziellere Frage ist die des gemeinsamen Daches „Institut für ausländisches und internationales Strafrecht“. Es geht hier ja nicht um ein allgemeines nationales Forschungsinstitut für „Strafrecht und Kriminologie“, sondern um eines mit einer spezielleren Widmung. Die Frage, die damit auftaucht, ist die: Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem in der Institutsbezeichnung zum Ausdruck gelangenden Widmungszweck für den Inhalt und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit? Zunächst läßt sich feststellen, daß die Information über ausländisches und internationales Strafrecht ebenso wie die über inländisches Strafrecht eine wünschenswerte Komplettierung durch Angaben zur kriminologischen Seite erfährt. Insoweit besteht eine Parallele. Jedoch liegt ein Problem darin, daß an ausländisches kriminologisches Material, von Kriminalstatistiken vielleicht abgesehen, nur schwer oder teilweise auch gar nicht heranzukommen ist. Der erforderliche zeitliche Aufwand für den kriminologischen Teil ist daher zumeist noch größer, als es schon bei rein inländischen Untersuchungen der Fall ist, und der Umfang der kriminologischen Untersuchungsgegenstände droht sich gegenüber dem Gesamtthema zu verkürzen. Betrachtet man die Forschungsprojekte des Instituts, so fällt bei mehreren auf, daß der kriminologische Teil sich im Unterschied zum juristischen stark auf die deutsche Situation konzentriert. Als Beispiel nenne ich nur das Projekt „Struktur und Funktion der Staatsanwaltschaft“. 33 Aber das tut dem Wert der Zusammenarbeit keinen Abbruch, weil der Anknüpfungspunkt jeglichen gemeinsamen Projekts ohnedies die Rechts- und Rechtstatsachenlage in Deutschland ist und der gewonnenen Information jedenfalls exemplarischer und flankierender Aussagewert zukommt. Eine solche Vorgehensweise ist allemal besser als Vorhaben, die sich über mehr als ein Jahrzehnt hinziehen, dringende andere Untersuchungen blockieren und bei ihrem Abschluß dann nur noch wenig aktuell sind. Die Zusammenarbeit paßt und bewährt sich also gerade auch in der Verbindung mit auslandsrechtlichen Untersuchungen. Das wird durch zahlreiche erfolgreich abgeschlossene Projekte belegt. 32 Siehe dazu den Bericht über den Verlauf der gemeinsamen Forschungsprojekte bei Jescheck (Fn. 2), S. 17 ff. 33 Näher Jescheck (Fn. 2), S. 20 ff. Dort auch zu den kriminologischen Teilen des Geldstrafenprojekts, S. 24 und des Freiheitsstrafenprojekts, S. 26 ff.

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VI. Zum Schicksal eines Daches gehört, daß es sich in gewissen Abständen auf neue Bewohner einstellen muß. Der Strafrechtler der ersten Stunde, unser Jubilar, hat nun bereits den zweiten „Nachmieter“, und sein etwas jüngerer kriminologischer Weggefährte hat ebenfalls bereits einen Nachfolger. Man wird davon ausgehen können, daß sich an der bewährten grundsätzlichen Ausrichtung des Instituts nichts ändern wird. Ebensowenig wie Albin Eser an dem Verbund von Strafrecht und Kriminologie etwas geändert hat, werden Ulrich Sieber und Hans-Jörg Albrecht Trennwände errichten wollen. Angesichts der Schaffung der Arbeitsgruppe „Kriminologie“ als zweiter Arbeitsgruppe des Instituts könnte sich die Frage stellen, ob nicht noch weitere sinnvoll wären. Wie ich hervorgehoben habe, sind die Fächer Strafrecht und Kriminologie zwei zweckmäßigerweise zu Forschungszwecken zu verbindende Seiten eines umfassenden Gesamtgebiets. Jeder weitere hervorgehobene Bereich wäre dagegen ein Spezialgebiet von beiden. Ein solcher aus der Vielzahl herausgehobener Einzelbereich würde eine teilweise Veränderung der Institutsaufgaben vom Allgemeinen zum Speziellen bedeuten. Einige Veränderungen der Akzentsetzung bei der Auswahl der einzelnen Forschungsvorhaben sind selbstverständlich eine andere Frage, denn sie sind ohne institutionelle Auswirkungen und ergeben sich aus der Lebendigkeit der Wissenschaft. Auch der Einsatz neuer technischer Erfassungsmethoden läßt sich nachdrücklich begrüßen. Mit dem Konzept „Strafrecht und Kriminologie“ unter einem Dach ist das Institut fachlich gut gerüstet für die weitere Entwicklung. Sie geht hin zu einer zunehmenden Internationalisierung beider Fachgebiete. Dies ist hinsichtlich der Strafrechtswissenschaft besonders bemerkenswert. Auch wenn die Strafgesetze weiterhin aus guten Gründen, die der Jubilar wiederholt betont hat, 34 überwiegend national geprägt sein werden, hat doch der internationale wissenschaftliche Meinungsaustausch dank der heutigen schnellen Kommunikationsmöglichkeiten stark zugenommen. Für die Grundlagen des Strafrechts und damit auch die allgemeinen Deliktsvoraussetzungen ist bereits so etwas wie eine universale Strafrechtswissenschaft im Entstehen begriffen. 35 All dies bedarf Zentren, die den unmittelbaren Meinungsaustausch optimal ermöglichen, die Fachliteratur der gesamten Welt zugänglich machen und aufbereiten. Es ist zu wünschen, daß die Informationsvermittlung über Entwicklungen im Ausland und internationalen Strafrecht in einer dem 21. Jahrhundert angemessenen Weise verstärkt wird und das bereits von Eser ausgebaute Stipendienprogramm weitergeführt werden kann. 36 Kaiser hat in seinem erwähnten jüngsten ZStW-Beitrag 37 von dem in der Befassung mit 34 Jescheck, in: Küpper, Tagungsbericht, ZStW 103 (1991), S. 980, 992 f.; ders., in: Vitt, Tagungsbericht, ZStW 105 (1993), S. 803, 817. 35 Dazu Hirsch (Fn. 20), ZStW 116 (2004), S. 840 ff., 854.

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Informatik zum Ausdruck gelangenden Interesse Siebers an der „Weltgesellschaft“ gesprochen, und die Weltoffenheit Albrechts ist durch dessen Forschungen vielfach belegt. Das Institut erfüllt damit alle Voraussetzungen, seine Chancen in der Welt wahrzunehmen. Der Jubilar hat von Anbeginn die Weichen in diese Richtung gestellt. Die deutsche Wissenschaft im allgemeinen und die Strafrechtswissenschaft im besonderen haben ihm dafür zu danken, daß er durch dieses Institut und die diesem gegebene Ausrichtung ganz wesentlich mit dazu beigetragen hat, daß die Strafrechtswissenschaft bis auf den heutigen Tag zu den nicht mehr zahlreichen Wissenschaftsgebieten gehört, in denen Deutschland noch weltweit als erste Adresse gilt. Durch den von ihm initiierten Verbund von Strafrechtswissenschaft und Kriminologie „unter einem Dach“ ist der Fortschritt in beiden Fächern stark gefördert worden. Mit dem Dank an Hans-Heinrich Jescheck verbindet sich die Hoffnung, daß dieser Teil seines Lebenswerks nicht nur verwaltet, sondern auf dem vorgezeichneten Weg gemehrt wird und dabei die vom Jubilar gesetzten hohen wissenschaftlichen Maßstäbe gewahrt werden. Im übrigen bildet das Dach des Max-Planck-Instituts nur eines unter mehreren Dächern, die notwendig sind, um das gesamte Lebenswerk zu überwölben. Unser Dank betrifft ebenso das imponierende literarische Werk, aus dem das Lehrbuch des Allgemeinen Teils besonders herausragt, wie die großen Verdienste, die er sich als Strafrechtler von Weltruf um das Ansehen der deutschen Strafrechtswissenschaft in aller Welt erworben hat. Ich schließe mit den besten Wünschen für das weitere Wohlergehen des Jubilars.

36 Zur Notwendigkeit der Verbesserung der Informationsvermittlung: Kühl, Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, ZStW 109 (1997), S. 777, 795 ff.; Hirsch (Fn. 20), ZStW 116 (2004), S. 852 f. 37 Kaiser (Fn. 23), ZStW 116 (2004), S. 867.

Person und Werk von Gerd Geilen 2003 Der 70. Geburtstag ist ein Tag der Freude, aber auch der Besinnung. Der Freude, weil der Jubilar das Jubiläum in gewohnter geistiger Frische und gesundheitlicher Rüstigkeit begeht. Und ein Tag der Besinnung, weil der Eintritt ins achte Lebensjahrzehnt unmißverständlich klarmacht, daß man zu den Älteren gehört, und deshalb gestattet, eine erste Bilanz zu ziehen. Ich gehöre zu denjenigen unter den Anwesenden, die Gerd Geilen am längsten kennen und seinen Weg nun schon fast ein halbes Jahrhundert lang in freundschaftlicher Verbundenheit begleitet haben. Der Jubilar ist ebenso wie ich Schüler von Hans Welzel, in dessen Bonner Seminar wir uns kennenlernten. Er schrieb dann eine Dissertation über die Parlamentsnötigung (§ 105 StGB), mit der er 1956 in Bonn promoviert wurde. Nach dem Düsseldorfer Assessorexamen wurde Geilen 1959 bei Welzel Assistent und Habilitand. Er habilitierte sich 1963 an der Bonner Fakultät mit einer Arbeit über „Einwilligung und ärztliche Aufklärungspflicht“. Es folgten 1964 Rufe und Rufangebote aus Bochum, Kiel und Gießen. Herr Geilen entschied sich für die gerade gegründete Universität Bochum, der er bis heute treu geblieben ist. Denn spätere Rufe nach Mainz, München und Tübingen sowie ein Rufangebot aus Göttingen wurden von ihm abgelehnt. Geilen, der beide juristischen Staatsexamina mit der damals äußerst seltenen Note „gut“ bestanden hatte, ließ von Anfang an erkennen, daß er sich als Theoretiker immer den Blick für die Praxis offen halten wollte. Er verfügte zwar schon früh über eine umfassende und tiefgehende Kenntnis der Strafrechtsdogmatik und wußte auch stets mit diesem Instrumentarium scharfsinnig umzugehen. Aber sobald ihm die dogmatische Diskussion blutleer zu werden schien, bewahrte er Zurückhaltung. Das vertrug sich auch durchaus damit, daß er Welzel als akademischen Lehrer gewählt hatte. Er erkannte nämlich, daß Welzel kein Konstrukteur dogmatischer Scheinwelten oder wissenschaftlicher Strohfeuer, sondern im Gegenteil ein sehr realitätsbezogener Jurist war, der ein stark ausgeprägtes Gespür dafür hatte, ob dogmatische Ergebnisse praktisch brauchbar und verwertbar waren. Charakteristisch hierfür ist Welzels Bemerkung zu einem damals erschienenen sehr theoretischen Buch: „Der Autor hat die Rückseite des Mondes entdeckt; ob sie sich besiedeln läßt, halte ich für zweifelhaft.“

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Die Breite der fachlichen Interessen Geilens kündigte sich schon während der Habilitandenzeit an. Welzel hatte angeregt, eine Habilitationsschrift über personales Unrecht und ziviles Deliktsrecht zu schreiben. Alsbald wurde Geilens Aufmerksamkeit aber auf die sich damals entwickelnde straf- und zivilrechtliche Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht gelenkt, und er beschloß, einen Aufsatz darüber zu schreiben. Die Thematik schlug Geilen, Sohn eines Arztes, so in ihren Bann, daß aus dem Aufsatz eine Monographie wurde, und als die fertig war, drängte es sich auf, sich mit dieser zu habilitieren. Ihm gelang es also, gewissermaßen im Wettlauf mit sich selbst, durch eine Arbeit die andere zeitlich zu überholen. Die begonnenen Forschungen zum zivilen Deliktsrecht hat er dann für seine große Bonner Antrittsvorlesung über die Frage „Strafrechtliches Verschulden im Zivilrecht?“ verwandt. Mit der Habilitationsschrift hatte Geilen einen der Forschungsschwerpunkte seiner wissenschaftlichen Laufbahn eröffnet: das Medizinstrafrecht. Man kann sagen, daß er durch seine zahlreichen wichtigen Beiträge zu einschlägigen Themen wesentlich dazu beigetragen hat, daß das Medizinrecht zu jener breiten Forschungsdisziplin geworden ist, die es heute darstellt. Neben den Problemen der Aufklärungspflicht ging es ihm vor allem um die Grenzen des Lebens. Grundlegend waren seine Aufsätze über „Das Leben des Menschen in den Grenzen des Rechts“ aus dem Jahre 1968 und „Medizinischer Fortschritt und juristischer Todesbegriff“ in der Heinitz-Festschrift 1972. Ihnen sind mehrere Veröffentlichungen zur Organtransplantation und der Todeszeitbestimmung sowie zur Euthanasie gefolgt. Große Beachtung hat auch der auf der Bochumer Strafrechtslehrertagung 1991 gehaltene Vortrag „Zum Strafschutz an der Anfangsgrenze des Lebens“ gefunden, in dem Geilen die Wertungswidersprüche der neueren Gesetzgebung vorführte. Überhaupt besteht der bleibende Wert der die strafrechtlichen Fragen der Grenzen des Lebens erörternden Beiträge des Jubilars darin, daß sie sich durch klare Analysen und vorurteilsfreie wissenschaftliche Argumentation auszeichnen. Geilen griff hier und ebenso in anderen Rechtsgebieten zwar regelmäßig aktuelle Probleme auf. Aber er war nie vom Zeitgeist getrieben, der ja so manchem den Blick für die Zusammenhänge und die Folgen trübt. Die zivilrechtlichen Interessen der Anfänge wiesen ebenfalls schon in die Zukunft. Herausragend ist hier die Kommentierung der §§ 399 ff. Aktiengesetz im Kölner Kommentar zum Aktiengesetz. Sie ist bekanntlich auch in einem separaten Band „Aktienstrafrecht“ erschienen. Eine 2. Aufl. ist dem Vernehmen nach in Vorbereitung. Der gewöhnliche Strafrechtler könnte eine solche Kommentierung gar nicht bewältigen, da ihm die notwendigen Kentnisse einer so diffizilen Materie wie dem Aktienrecht fehlen und ihm oft auch der Zugang zur zivilrechtlichen Denkweise verlorengegangen ist. Herr Geilen jedoch beherrscht den Stoff so souverän, daß er es sich leisten kann, mit dem Gesetzgeber hart ins Gericht zu gehen. In den Vorbemerkungen zu § 399 Aktiengesetz schreibt er: „Schon im technischen (nicht nur im kriminalpolitischen) Sinn dürften einige der

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mit der Neufassung verbundenen Konsequenzen nicht ausreichend durchdacht sein.“ Das Aktienstrafrecht liegt „hoffnungslos zurück hinter der ... ausgefeilt detaillierten zivilrechtlichen Regelung“. Weiter heißt es: „Die (sicherlich auch kriminalpolitisch anfechtbare) ... einschneidende Umstellung bislang strafrechtlicher (Tatbestände) auf Bußgeldtatbestände (§ 405) ist nicht einmal in einem technisch praktikablen Sinn geglückt.“ Geilen spricht von einem „vom Reformgesetzgeber zwar ahnungslos geführten, im Ergebnis aber trotzdem folgenschweren Federstrich“. Indem der Gesetzgeber die in § 21 OWiG zugunsten der Straftat getroffene Prioritätsentscheidung übersehen habe, würden angesichts gleichzeitig erfüllter Straftatbestände des StGB „komplizierteste Denkoperationen“ bei § 405 Aktiengesetz notwendig. Dadurch werde „der Vereinfachungseffekt, auf den erklärtermaßen nicht zuletzt aus praktischen Gründen die aktienrechtliche Spezialregelung abziele, bis zur Unbrauchbarkeit entwertet“. Und hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Organuntreue spricht Geilen von einem allgemein veranstalteten „Streichkonzert“, dessen praktisch-effektive Auswirkungen der Gesetzgeber wohl unterschätzt habe. Hätte der Jubilar das 14 Jahre später ergangene 6. Strafrechtsreformgesetz damals schon gekannt, würde er wohl die an moderne Gesetzgebung anzulegenden Maßstäbe von vornherein niedriger angesetzt haben. Eine sehr bedeutende Rolle im Kreis der Publikationen Geilens nimmt auch der 1965 in der Hellmuth Mayer-Festschrift erschienene große Aufsatz über „Neue Entwicklungen beim strafrechtlichen Gewaltbegriff“ ein. In ihm wurde die sich anbahnende Aufweichung des Gewaltbegriffs, wie sie sich dann seit der LaeppleEntscheidung expressis verbis in der BGH-Rechtsprechung und Teilen des Schrifttums vollzog, erstmalig aufgezeigt und ihr entgegengetreten. Leider hat das den BGH in seinem Lückenlosigkeitsstreben nicht gebremst, so daß es später zu der für Justiz und Gesetzgebung wenig schmeichelhaften Entwicklung während der Auseinandersetzungen mit der sogenannten „Friedensbewegung“ kommen konnte. Bei der Einforderung des herkömmlichen engen Gewaltbegriffs, wie sie schließlich in der zweiten Nötigungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfolgte, haben die grundlegenden Analysen Geilens aber eine wesentliche Rolle gespielt. Nicht weniger grundlegend war der 1974 in der Welzel-Festschrift erschienene Aufsatz über „Unmittelbarkeit und Erfolgsqualifizierung“. In dieser Untersuchung zeigte Geilen wiederum anhand der höchstrichterlichen Judikatur, die Eingrenzungsprobleme auf, die man mit dem schlagwortartig als Unmittelbarkeitsprinzip bezeichneten Kriterium des Gefahrzusammenhangs bewältigen will. Er hat dabei verdeutlicht, daß allein eine Lösung, die auf das von der Art des vorsätzlich verwirklichten Erfolgs des Grundtatbestands ausgehende Folgerisiko abstellt, mit dem Wesen des erfolgsqualifizierten Delikts in Einklang steht. Mit dem Blick auf die Körperverletzung mit Todesfolge spricht man auch von Letalitätstheorie. Diese Auffassung gewinnt in jüngster Zeit im Schrifttum wieder zunehmend Anhang, und Geilen wird dabei an hervorragender Stelle zitiert. Der BGH hat sich dagegen leider immer mehr von diesem herkömmlichen Verständnis des er-

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folgsqualifizierten Delikts entfernt und die Deliktsgruppe dadurch praktisch völlig aufgeweicht. Besondere Aufmerksamkeit hat Geilen über die schon erwähnte Euthanasieproblematik hinaus den Tötungsdelikten gewidmet. In nicht weniger als fünf Aufsätzen hat er sich mit diesem zentralen Bereich des Besonderen Teils befaßt. Die Themen lauten: „Heimtücke und kein Ende“, „Bedingter Tötungsvorsatz bei beabsichtigter Ermöglichung und Verdeckung einer Straftat“, „Die Frage des politischen Attentats als Mord“, „Provokation als Privilegierungsgrund der Tötung“ und grundsätzlich „Zur Entwicklung und Reform der Tötungsdelikte“. Auch diese Arbeiten sind stark beachtet worden, was auch hier wieder darauf beruht, daß Geilen in ihnen die höchstrichterliche Judikatur sorgfältig erfaßte, kritisch analysierte und weiterführend würdigte. Daß es zu der auch von ihm als vordringlich angesehenen Reform des § 211 StGB bisher nicht gekommen ist, ist einerseits zu bedauern. Andererseits steht zu befürchten, daß derzeit eine Reform die bisherigen Probleme nur durch eine erhöhte Anzahl neuer Probleme ersetzen würde. Vestigia terrent. Entsprechend der Breite seiner fachlichen Interessen hat der Jubilar noch zu zahlreichen anderen Themen in Einzelbeiträgen Stellung genommen. Die behandelten Fragenkreise erstrecken sich von Notwehr- und Versuchsfragen sowie schuldausschließendem Affekt über Volksverhetzung, Falsche Verdächtigung, Eigentumsdelikte und §§ 323a und 323c StGB bis zur Rechtsbeugung – eine Spannweite, welche die umfassende strafrechtliche Fachkompetenz Geilens anschaulich widerspiegelt. Alle Publikationen lassen unseren Jubilar nicht nur als erstrangigen Juristen, sondern auch als einen glänzenden Stilisten erkennen. Seine Fähigkeit, stilistische Gewandtheit, Klarheit und Spritzigkeit miteinander zu verbinden, sucht heute im strafrechtlichen Schrifttum ihresgleichen. Dem humanistischen Gymnasium seiner Geburtsstadt Mönchengladbach, die sonst mehr durch Fußball bekannt geworden ist, gebührt Anerkennung, daß es die Begabung erkannt und so ergiebig gefördert hat. Man erinnert sich an schöne und geistreiche Formulierungen. So verdeutlichte Geilen die Frage, ob beim Problem des Todeszeitpunkts auch andere Disziplinen als die Medizin mitzureden haben, durch die Abwandlung eines Ausspruchs von Clemenceau über den Krieg, indem er schrieb: „Der Tod ist eine viel zu ernste Sache, als daß man ihn den Medizinern überlassen darf.“ Manchem jüngeren Kollegen möchte man vor Beginn der akademischen Laufbahn Geilens Texte zur Pflichtlektüre geben. Allerdings müßte man dabei zugleich vor einer Gefahr warnen: Der Meister der Formulierung führt auch gelegentlich eine sehr spitze Feder. Eine Kostprobe aus dem Aktienrechtskommentar habe ich bereits gegeben. In jüngeren Jahren ist das bekanntlich nicht immer hilfreich. Mit letzterem ist auch schon das Temperament des Jubilars angesprochen. Bei aller Gelassenheit, ja Ruhe, die Sie, lieber Herr Geilen ausstrahlen, bricht es aus, sobald Sie wissenschaftliche Texte zu schreiben beginnen oder Vorlesungen

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oder Vorträge halten. Möglicherweise hängt das mit Ihrem Geburtstagsdatum 10. August zusammen, das zu solchen Ausbrüchen offenbar prädestiniert. Wie ich festgestellt habe, brach am 10. August 1566 in Flandern als Reaktion der Protestanten auf die Gegenreformation der Bildersturm aus. Natürlich hat Ihr Temperament keinen religiösen Hintergrund. Aber Verwüstungen in gedanklichen Kathedralen wissenschaftlicher Gegner kann man sich vorstellen. Im übrigen hat diese Lebhaftigkeit begünstigt, daß Sie auch auf eine sehr erfolgreiche Lehrtätigkeit zurückblicken können. Sie sind ein ausgezeichneter Lehrer, wie mir dieser Tages erst wieder ein früherer Hörer von Ihnen bestätigte. Didaktisches Talent und hohe fachliche Qualifikation sind eine glückliche Verbindung eingegangen. Die Eigenschaft des hervorragenden und engagierten Hochschullehrers ist auch in den sage und schreibe 172 Urteilsanmerkungen deutlich geworden, die Sie in den Jahren 1979 bis 1984 für die Jura-Kartei verfaßt haben. Diese bestachen stets dadurch, daß Sie als Autor das Wesentliche auf engem Raum herausarbeiteten und mit Ihren klaren Analysen erhellten. Dieses Engagement hat Sie viel Zeit gekostet, und vor allem Studenten haben Ihnen zu danken. Auch im Prüfungswesen hat sich Herr Geilen stark engagiert. Über längere Zeit war er Vorsitzender. Durch eine solche Tätigkeit wird jemand zu einem ausgezeichneten Kenner des tatsächlichen Niveaus des gegenwärtigen nordrheinwestfälischen Schulwesens. Da eine solche Kennerschaft wenig von den Verantwortlichen geschätzt wird, muß der Jubilar sich aber vermutlich damit begnügen, sich Gedanken über die Herrschaft der Ideologie über die Empirie zu machen. Man fragt sich, woran es liegt, daß Sie, Herr Geilen, trotz attraktiver Angebote anderer bedeutender Fakultäten nicht, wie es gewöhnlich der Fall ist, noch einmal den Tätigkeitsort gewechselt haben, sondern immer der Bochumer Fakultät treu geblieben sind. Das mag einmal damit zusammenhängen, daß die Bochumer Universität als wohl erfolgreichste Neugründung zu einem idealen Standort wurde. Nach meinem Eindruck spielt aber wohl auch die Nähe der rheinischen Heimat eine Rolle. Ihr rheinisches Wesen findet vor allem in einer liberalen Weltsicht, in Toleranz und in der Fähigkeit zur Ironie Ausdruck. Der Beitrag der Rheinländer zur deutschen Geistesgeschichte steht bekanntlich nicht in Relation zum zahlenmäßigen Anteil an der deutschen Bevölkerung. Groß war daher die Freude eines rheinischen Mitglieds der Bonner Fakultät nach Ihrer Habilitation. Der Kollege gratulierte Ihnen mit den Worten: „Ach, ich freue mich so, daß wir einmal wieder einen rheinischen Privatdozenten haben.“ Auch wenn Bochum zu Westfalen gehört, liegt es an der Grenze zum Rheinland. Aus unserer gemeinsamen Assistentenzeit erinnere ich mich daran, wie unser Lehrer Welzel, der so etwas wie ein Übervater war, Sie eines Tages für erholungsbedürftig erklärte. Er bestimmte auch gleich mit, wohin die Reise gehen sollte, nämlich zum Richterheim in Fischbachau bei Bayerisch Zell. Sie hatten, wenn ich mich recht erinnere, die Mainlinie bis dahin noch nie nach Süden überschritten. Wenig beglückt kehrten Sie aus diesem Zwangsurlaub nach Bonn zurück. Ähnliches wiederholte sich, als Sie über Ihren

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ersten Ruf zu entscheiden hatten. Es ging um die Alternative Kiel oder Bochum. Als Sie mich nach meiner Meinung fragten, antwortete ich aufgrund des Bildes, das man damals vom Ruhrgebiet als Kohlenpott hatte: Die Entscheidung entspricht der zwischen Miami und Pittsburgh. Von den Verhandlungen aus Kiel zurückgekehrt, berichteten Sie, daß Sie den Ruf noch an Ort und Stelle abgelehnt hätten; Sie gingen also zur neu eröffneten Universität nach Bochum. Ihre Pioniergeist verratende neue Anschrift lautete: Professorensiedlung an der Schattbachstraße. Die eigentliche Prüfung für die Heimatverbundenheit kam dann in den Jahren 1977/78. Sie erhielten damals Rufe nach München und Tübingen. Diese Traumkonstellation führte Sie aber ebenfalls nicht in Versuchung. Wir haben, wie Sie sich vielleicht erinnern, damals das Für und Wider besprochen, und ich meinte, den Ruf nach München könne man nicht ausschlagen. Heute fragen Sie sich vielleicht, ob Ihre damalige Entscheidung, in der vertrauten Umgebung zu bleiben, richtig war. Ich glaube inzwischen, daß sie doch nicht falsch gewesen ist. Die Zeiten, in denen Patina oder wirklicher fachlicher Rang einer Fakultät den dort tätigen Professoren eine zusätzliche Reputation einbrachten, sind vorbei. Heute kann man sich von jedem geographischen Standort aus mit gleicher Autorität zu Wort melden, und auch traditionsreiche Fakultäten sind inzwischen sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Wichtiger ist, daß man sich in dem räumlichen Umfeld, in dem man arbeitet, wohlfühlt und dadurch ideale Arbeitsbedingungen für sich gewährleistet. Wenn Sie so wollen, haben Sie die Entscheidung Kants, zeitlebens in Königsberg zu bleiben, für sich noch einmal nachvollzogen – und die Bochumer Fakultät, die sich dessen sicherlich bewußt ist, kann Ihnen dafür nur zutiefst dankbar sein. Gerd Geilen ist auch ein idealer Kollege. Ich kann das aus meiner persönlichen Erfahrung besonders anschaulich belegen. Wie hatten nämlich im Kreis der Welzel-Schüler die Rollen getauscht. Als älterer von uns beiden war ich vor ihm mit dem Assessorexamen fertig. Für das Angebot von Welzel, mich zu habilitieren, konnte ich mich aber zunächst nicht erwärmen, sondern gab die Assistentenstelle nach Abschluß der Vorbereitung der Drucklegung meiner Dissertation auf, ging als Stipendiat nach England und anschließend als Regierungsassessor in ein Bundesministerium. Als ich mich nach zwei Jahren zur Rückkehr für die Universität entschied, war Herr Geilen dort bereits mit der Habilitationsschrift befaßt und wurde dann auch vor mir damit fertig. Diese Situation bot eigentlich ideale Voraussetzungen für Konflikte. Sie hat es jedoch nie gegeben. Wir verstanden uns vielmehr über all die gemeinsamen Bonner Jahre vorzüglich, und mich verbinden mit der damaligen Zeit schönste Erinnerungen. Zu meiner Freude wird das von beiden Seiten so gesehen. Ich habe es deshalb auch sehr begrüßt, daß die Kölner Fakultät einen Schüler von Gerd Geilen, Herrn Kollegen Bernsmann, als meinen Nachfolger berufen hat. Lieber Herr Geilen, obwohl man als rüstiger Siebzigjähriger noch manches Alterswerk verfassen kann, haben Sie bereits jetzt Außergewöhnliches für die Entwicklung von Recht und Rechtswissenschaft geleistet. Sie haben den Beruf

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des Universitätsprofessors dabei nie als eine Form des Showgeschäfts begriffen. Die demgegenüber gelegentlich gepflegte persönliche Zurückgezogenheit war aber vielleicht hin und wieder doch etwas übertriebene Bescheidenheit. Manches haben Sie sich auch zu sehr zu Herzen genommen, wie z. B. die hölzernen Begrüßungsworte eines Kollegen schwäbischer Provenienz bei Ihrem ersten Erscheinen als junger Privatdozent auf einer Strafrechtslehrertagung, nämlich der in Saarbrücken. In der Schale des mit Florett und gelegentlich auch Säbel fechtenden Jubilars verbirgt sich nämlich eine durchaus feinfühlige Haut – wobei die Feinfühligkeit eine ganz nach Innen reagierende ist und gelegentlich vielleicht etwas die Gefahr der Abkapselung birgt. Aber daß es dazu nicht wirklich kommt, dafür sorgt schon Ihre Frau Gemahlin. Sie, sehr verehrte gnädige Frau, haben zu den großen fachlichen Leistungen Ihres Mannes viel beigetragen, indem Sie ihm den Rücken freigehalten haben von den Geschäften des Alltags und ihm viel Freiraum für seine wissenschaftlichen Arbeiten belassen haben. Auch Sie sind Juristin und waren damals in Bonn Doktorandin des Kollegen Beitzke im Institut für Internationales Privatrecht. Herr Beitzke klagte, als er vom Eheschluß und dem bevorstehenden Umzug nach Bochum erfuhr, daß Ihr Mann ihm die beste Doktorandin weggeheiratet habe. Sie hätten also nicht der Steigbügel einer Frauenbeauftragten bedurft, um beruflich aufzusteigen. Um so mehr verdient es Dank und Respekt, daß Sie auf eigenen beruflichen Erfolg zugunsten von Mann und Familie verzichtet haben. Ich habe Gerd Geilen immer als Weggefährten betrachtet. Unsere Vorstellungen von der Universität, der Wissenschaft und dem Professorenberuf sind noch durch die Zeit vor der Mitte der 60er Jahre geprägt worden. Wir haben uns nie bei unserer wissenschaftlichen Arbeit politisch vereinnahmen lassen, und auch kollektiven strafrechtlichen Meinungsprojekten haben wir uns ferngehalten, weil wir uns durch sie in unserer Individualität als Wissenschaftler eingeengt gefühlt hätten. Verhindern konnten indes auch wir nicht, daß die deutschen Universitäten, die sich erstaunlich schnell von den Verheerungen der NS-Diktatur erholt hatten, seit der 68er Bewegung durch Politiker und andere Funktionäre auf eine abschüssige Bahn geführt worden sind. Künftige Generationen werden vielleicht einmal fragen, warum wir uns nicht kräftiger dem Niedergang entgegengestemmt haben. Die Antwort lautet auch in diesem Falle, daß der Einzelne gegenüber dem Zeitgeist, mag dieser noch so unsinnig und verhängnisvoll sein, wenig ausrichten kann. Als wir als Angehörige der Kriegsgeneration in unserer Studien- und Assistentenzeit optimistisch in die Zukunft schauten, ahnten wir nicht, daß wir im Herbst unseres Lebens in einer Gesellschaft leben würden, die sich als „Lust- und Spaßgesellschaft“ begreift, die Beliebigkeit zur Maxime erhoben hat und deren Fundamente brüchiger denn je zuvor sind. Lieber Herr Geilen, von Herzen ist Ihnen zu wünschen daß Sie sich noch vieler Jahre bei guter Gesundheit und in gewohnter Schaffenskraft erfreuen können. Das läge nicht nur in Ihrem und unserem Interesse, sondern auch in dem der Wissenschaft.

Persönlichkeit und Werk von Günter Kohlmann 2003 Der Jubilar gehört zu denjenigen deutschen Strafrechtsprofessoren, die der breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Durch die Übernahme von Strafverteidigungen in stark beachteten Strafverfahren gegen namhafte Wirtschaftler und Politiker stieß er vielfach in Presse und Fernsehen auf Aufmerksamkeit. Auch erfreut er sich in Fachkreisen über die Grenzen von Wissenschaft und Universität hinaus großer Bekanntheit und Wertschätzung, vor allem durch seinen Kommentar zum Steuerstrafrecht, der bei denen, die sich beruflich mit Steuerrecht befassen, regelmäßig zu finden ist. Günter Kohlmann wurde am 4. Oktober 1933 in Hindenburg in Oberschlesien geboren. Während der Kriegsjahre lebte die Familie in dem zu jener Zeit zum Deutschen Reich gehörenden ostoberschlesischen Myslowitz. Vor dem Einmarsch der Roten Armee floh sie 1945 über Breslau und Dresden nach Gera. Von dort aus gelangte sie 1950 über Berlin nach Köln und weiter nach Jülich. Nach dem Abitur studierte Kohlmann von 1954 bis 1957 Rechtswissenschaft an der Universität zu Köln. Im Anschluß an das erste juristische Staatsexamen (Köln) schrieb er bei dem Öffentlichrechtler Wertenbruch eine Dissertation über das Thema „Das subjektiv-öffentliche Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch“, mit der er 1960 an der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät promoviert worden ist. Die Referendarzeit in Köln schloß Kohlmann im Jahre 1963 mit dem zweiten Staatsexamen (Düsseldorf) ab und übernahm dann eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent von Ulrich Klug am Kölner Kriminalwissenschaftlichen Institut. Als Schüler Klugs habilitierte er sich 1968 an der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät mit der Habilitationsschrift „Der Begriff des Staatsgeheimnisses (§ 93 StGB und § 99 Abs. 1 StGB a.F.) und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften (Art. 103 Abs. 2 GG)“ für die Fächer Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie. Es folgte 1969 die Berufung auf einen Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Frankfurt a. M. Bereits zwei Jahre später erhielt er einen Ruf auf den Kölner Lehrstuhl von Klug, der durch dessen Wechsel in die Politik vakant geworden war. Diesen Lehrstuhl hat der Jubilar bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1998 innegehabt. Kohlmanns Habilitationsschrift erschien zu einem Zeitpunkt, als das Staatsschutzstrafrecht im Blickfeld der Strafrechtsreform stand. Die gesetzliche Fixierung des Begriffs des Staatsgeheimnisses war ein wichtiges Problem. Es gab dazu Anlaß, sich näher mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot zu

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befassen. Die umfangreichen, zudem wertvolles historisches Material enthaltenden Ausführungen Kohlmanns zu diesem Verfassungsgebot bilden in dem Buch geradezu eine Monographie innerhalb der Monographie. Ihr Wert reicht weit über die Folgerungen hinaus, die vom Autor für die Legaldefinition des Staatsgeheimnisses gezogen werden. Er betont die Notwendigkeit, daß ein Eingriff der Staatsgewalt, wie ihn die Bestrafung darstellt, für den einzelnen berechenbar sein muß. Die dabei ausschlaggebenden Gesichtspunkte arbeitet er überzeugend heraus und benennt die Strafbestimmungen, bei denen sie nicht erfüllt sind. In seine Erörterung ist auch die Frage einbezogen, wie zu Lasten der Beschuldigten gehende Änderungen der Rechtsprechung zu handeln sind. Er schlägt für solche Fälle die Anwendung einer „Von-nun-an-Klausel“ in Verbindung mit einem Absehen von Strafe vor. Kohlmanns Buch ist nach wie vor aktuell. Betrachtet man die seitherige Strafgesetzgebung, stellt man nicht nur fest, daß die angreifbaren Stellen des Gesetzes – insbesondere die §§ 228 (226 a.F.), 240 und 266, 2. Alt. StGB – bestehengeblieben sind, sondern auch, daß mit der Ausbreitung der besonders schweren Fälle noch viel Unbestimmtes hinzugekommen ist. Die in der renommierten Reihe „Recht und Staat“ erschienene Schrift von Kohlmann über „Wirksame strafrechtliche Bekämpfung des Kreditwuchers“ (Heft 437/ 438) leitete 1974 dann bereits zu einem seiner künftigen Hauptinteressengebiete über: dem Wirtschaftsstrafrecht. Die Schrift beruht auf einem Gutachten, das der Jubilar für die damals vom Bundesministerium der Justiz eingesetzte Kommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität erstattet hat. Er bejaht in ihm die Heranziehung des Strafrechts und legte die Notwendigkeit dar, Kredit- und Sachwucher nicht mehr getrennt zu regeln, sondern eine einheitliche Wuchervorschrift zu schaffen. Sein Gesetzesvorschlag fand, von einigen Einzelpunkten abgesehen, Zustimmung und findet sich inhaltlich weitgehend in dem heutigen § 291 StGB wieder. Aus dem Bereich der wirtschaftsstrafrechtlichen Veröffentlichungen ist weiterhin die umfangreiche Kommentierung der Strafbestimmungen (§§ 79 bis 85) des GmbH-Gesetzes in der 7. (1983) und 8. (1994) Aufl. des Großkommentars von Hachenburg hervorzuheben. In dieser Kommentierung, die vom Autor subtile Kenntnis des GmbH-Rechts verlangt, zeigt sich ebenso wie in dem schon erwähnten Kommentar zum Steuerstrafrecht die Fähigkeit Kohlmanns zu sorgfältiger, klarer und praxisorientierter Kommentierung. Zu nennen ist ferner das unter Mitarbeit von P. Löffler verfaßte und 1990 publizierte Buch über „Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers“. In ihm wird darauf hingewiesen, daß über 50% aller Wirtschaftsstrafsachen im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer GmbH stehen, aber gleichwohl die Rechtslage damals im gesamten GmbH-Strafrecht durch eine weitgehend unveröffentlichte oder nicht ohne weiteres zugängliche Rechtsprechung geprägt war. Im Vorwort heißt es deshalb: „Mit diesem Arbeitsbuch soll versucht werden, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers übersichtlich anhand von Fällen aus der Praxis darzustellen.“ Das ist eindrucksvoll gelungen.

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Hinzu kommen mehrere wirtschaftsstrafrechtliche Aufsätze. Zu nennen sind insbesondere: Der Beitrag über „Untreue zum Nachteil des Vermögens einer GmbH trotz Zustimmung sämtlicher Gesellschafter?“ (FS W. Werner, 1984). In ihm wird aufgezeigt, daß oberhalb der durch § 30 GmbHG gezogenen Grenzen sich aus dem auch für die GmbH geltenden Autonomieprinzip ergibt, daß bei Einverständnis aller Gesellschafter Verfügungen, die das Gesellschaftsvermögen schmälern, entgegen den zu der Zeit verwandten Formeln der Rechtsprechung auch dann unbedenklich sind, wenn die Grundsätze eines ordentlichen Kaufmanns nicht beachtet wurden. Hervorzuheben ist außerdem der gemeinsam mit M. Ostermann verfaßte wichtige Aufsatz über „Die Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen – Pläne für eine verfassungswidrige Reform“ (wistra 1990). Dort wird das damalige Gesetzesvorhaben, einen derartigen Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen, nachdrücklich kritisiert, so daß es zur Realisierung dann auch nicht gekommen ist. Besonders zu erwähnen sind auch die Ausführungen zum Thema „Das Strafrecht – wirksame Waffe gegen den Insider-Handel?“ (FS Vieregge, 1995). Der Jubilar übt in ihnen an dem 1994 eingeführten einschlägigen § 38 WpHG wegen dessen weiter Fassung Kritik und entwickelt einen überzeugenden Änderungsvorschlag. Anzuführen ist ferner der Aufsatz über „‚Vor-GmbH‘ und Strafrecht“ (FS Geerds, 1995), in dem sich unter Hinweis auf das strafrechtliche Analogieverbot einleuchtend gegen die Auffassung wendet, § 266 StGB und § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG seien hier anwendbar. Besondere Beachtung verdient auch Kohlmanns Beitrag „Unternehmen und Unternehmer zunehmend im Visier von Gesetzgeber und Ermittlungsbehörden“ (in: Gerling / Obermeier, Risiko-StörfallKommunikation 2, 1994). Er macht deutlich, „auf welch schmalem Grat zwischen zulässiger und im Wirtschaftsleben auch unerläßlicher Berufstätigkeit und strafrechtlich bzw. bußgeldrechtlich relevantem Verhalten die Unternehmensverantwortlichen wandeln“ (S. 65). Man möchte allenfalls hinzufügen, daß in diesem Personenkreis Fälle, bei denen das Bild des „ehrbaren Kaufmanns“ als verstaubt angesehen wird, inzwischen nicht mehr ganz selten zu sein scheinen. Wirtschaftsstrafrecht und Steuerstrafrecht sind heute oft eng miteinander verknüpft. Letzteres rückte daher immer mehr in Kohlmanns Blickfeld. Auf seinen großen Kommentar zum Steuerstrafrecht wurde schon hingewiesen. Daneben hat er zahlreiche weitere Beiträge zu diesem Rechtsgebiet verfaßt. Der hier im Mittelpunkt stehende Tatbestand der Steuerhinterziehung hat den Jubilar wiederholt wissenschaftlich beschäftigt. Hervorzuheben ist der zusammen mit A. Sandermann verfaßte große Aufsatz über die „Die strafrechtliche Bekämpfung von Steuerverkürzungen – Mängel der lex lata und Vorschläge de lege ferenda“ (StuW 1974), dem ein für die Kommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Jahre 1974 erstattetes Gutachten zugrunde liegt. Dieser Beitrag lieferte für die 1979 erfolgte Reform der AO reichhaltige Analysen und Anregungen. Besonders zu nennen ist auch der Aufsatz „Der Tatbestand der Steuerhinterziehung – Anspruch und Wirklichkeit“ (in: Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, 1983). In ihm wird aufgezeigt, daß das gegenwärtig geltende

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deutsche Strafrecht keine andere Norm kennt, die an den einzelnen Bürger so hohe Anforderungen wie diese Strafbestimmung (§ 370 AO n.F.) stellt: Da hinter ihr die Verpflichtung stehe, sich gegenüber der Steuerbehörde ohne jede Einschränkung zu offenbaren, fordere das Steuerrecht, was nicht einmal vom Angeklagten im Strafprozeß verlangt werde. Kohlmann fordert deshalb, daß diese hohen Anforderungen durch Einengungen des Strafrahmens kompensiert werden (S. 26). Auch die „Ahndung grenzüberschreitender Steuerhinterziehungen“ (FS Hirsch, 1999) hat der Jubilar erörtert. Er gelangt zu dem überzeugenden Ergebnis, daß § 370 Abs. 7 AO i.d. F. von 1992 keine eigenständige Bedeutung entfaltet, vielmehr sämtliche denkbaren Fallkonstellationen mit Auslandsbezug bereits über die gemäß § 369 Abs. 2 AO anwendbaren allgemeinen Grundsätze des internationalen Strafrechts erfaßt werden. Aus den Publikationen zum materiellen Steuerstrafrecht ist außerdem der Aufsatz „Steuerverwaltungsvorschriften und Steuerstrafrecht“ (in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung im Steuerrecht, 1982) hervorzuheben. Hier kritisiert Kohlmann unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 2 GG die zunehmende Tendenz, sich bei der Auslegung von Normen des Steuerund Ordnungswidrigkeitenrechts stillschweigend an Verwaltungsvorschriften zu orientieren. Der Jubilar ist nach wie vor engagiert an der aktuellen Diskussion beteiligt. Dies bestätigt sein kürzlich erschienener Beitrag „Die Selbstanzeige (§ 371 AO) – und was daraus geworden ist. Gesetzlicher Anspruch und Wirklichkeit“ (Bochumer Beiträge, 2003). Gerade um die Entwicklung des Steuerstrafrechts und auch des anschließend noch anzusprechenden Steuerstrafverfahrensrechts hat sich Kohlmann außerordentlich verdient gemacht, indem er in diesen früher wissenschaftlich vernachlässigten Gebieten rechtsstaatliche Maßstäbe angemahnt und ihnen vielfach zur Geltung verholfen hat. Ein weiterer Schwerpunkt der fachlichen Interessen Kohlmanns liegt beim Strafverfahren. Auch dazu hat er wichtige Beiträge publiziert. Seine forensische Tätigkeit, auf die noch einzugehen sein wird, lieferte ihm dabei oft die Anregung. So befaßte er sich zweimal mit Fragen der Verfahrensdauer. In dem einen Beitrag geht es um den „Anspruch des Beschuldigten auf schnelle Durchführung des Ermittlungsverfahrens“ (FS Maurach, 1974). Kohlmann führt im einzelnen aus, daß ein solcher Anspruch sich aus den allgemeinen Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit ableiten lasse und daß er durch Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 GG und eine ausdehnende Auslegung der §§ 23 ff. EGGVG im Ermittlungsverfahren durchsetzbar sei. Der spätere zweite Beitrag mit dem Titel „Überlange Strafverfahren“ (FS Pfeiffer, 1988) befaßt sich insbesondere mit der Frage, ob der die Strafverfolgungsverjährung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens verlängernde § 78b Abs. 3 StGB sachlich berechtigt ist. Kohlmann verneint dies mit der Begründung, die Strafverfolgungsfristen seien so bemessen, daß sie grundsätzlich ausreichten, und die Vorschrift bedeute einen Bruch im System, weil sie de facto zur Aufhebung der Strafverfolgungsverjährung führe

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(S. 223). Auch zur „Waffengleichheit im Strafprozeß“ hat sich der Jubilar geäußert (FS Peters, 1974). Er gelangte schon damals zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber im Zweifel die Regelung gewollt hat, die den Grundsatz der Waffengleichheit am besten verwirklicht. Um das Strafverfahren in Steuerstrafsachen geht es in dem Beitrag, den Kohlmann in der von ihm für seinen Lehrer Klug herausgegebenen Festschrift (1983) veröffentlicht hat. Er erörtert § 396 AO, nach dem ein Steuerstrafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt werden kann, sofern „die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon abhängt, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind“. Kohlmann zeigt im einzelnen auf, daß aus der Aussetzungsmöglichkeit eine Verpflichtung aufgrund des „Fürsorgepflichtprinzips bzw. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ wird, wenn anderenfalls der Bürger bei höchst unklarer steuerlicher Sach- und Rechtslage mit einem Strafverfahren überzogen würde, das sich möglicherweise im Nachhinein als nicht sachgerecht und damit überflüssig erweist (S. 523 f.). Um eine bis dahin wenig auf ihre Rechtsstaatlichkeit hin ausgeleuchtete Ecke des Strafverfahrens ging es ebenfalls in dem außerdem hervorzuhebenden Aufsatz über „Strafprozessuale Verwertungsverbote als Schranken für steuerliche und steuerstrafrechtliche Ermittlungen der Fahndungsbehörden“ (FS Tipke, 1992). In ihm wird die auch praktisch sehr bedeutsame Problematik behandelt, die sich aus Konflikten zwischen den fortbestehenden steuerlichen Mitwirklungspflichten und den gegenläufigen Rechten des Beschuldigten im Strafverfahren auf Aussageverweigerung und Schutz vor verbotenem Zwang zur Selbstbelastung ergeben. Kohlmann legt dar, daß die „Anerkennung der strafprozessualen Verwertungsverbote im Falle der verspäteten Einleitung des Strafverfahrens bzw. des verfassungsrechtlich bedenklichen Zwangs zur Selbstbelastung“ geeignete Mittel wären, im Einzelfall den Konflikt zu lösen. Auch betont er, daß die Aufklärungs- und Belehrungspflichten der Steuerfahndung wegen der Besonderheit der zeitgleich und parallel verlaufenden Ermittlungen zur Erforschung von Steuerstraftaten und der hierfür relevanten Besteuerungsgrundlagen zeitlich vorverlagert werden sollten, um dem Steuerpflichtigen eine echte Wahlmöglichkeit zwischen Mitwirkung und Schweigerecht zu geben (S. 507 f.). Eine Problematik, bei der alle drei Interessenschwerpunkte zusammentreffen, bilden die Parteispendenverfahren. Seine forensischen Aktivitäten ließen Kohlmann zu einem der besten Sachkenner dieser Materie werden. In mehreren Beiträgen nahm er bereits seit 1983 zu ihr Stellung. Besonders lesenswert ist der 1988 erschienene Aufsatz „Allgemeines Versagen oder individuelle Schuld?“ (FS Köln). Der Jubilar legt in ihm im einzelnen dar, daß die – nach wie vor aktuelle – Parteispendenaffäre entstehen konnte, weil viele Einzelumstände zusammentrafen: „von dem Versagen der Verantwortlichen – Parteien, Politiker und der Finanzverwaltung –, die nicht die Kraft oder den Mut aufbrachten, die zwangsläufig entstandenen Mißstände ‚beim Namen‘ zu nennen und rechtzeitig für Abhilfe zu sorgen, über fehlende oder zumindest unklare Regelungen im

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Steuer- und Steuerstrafrecht bis hin zu den Spendern, die den drängenden Spendenwünschen der Politiker nicht widerstanden...“ (S. 485). Kohlmann bestreitet nicht ohne Grund, „ob das Strafrecht wegen seiner ‚ultima-ratio-Funktion‘ das geeignete Mittel ist, die Affäre zu bereinigen“. Die Parteispendenaffäre liefere „einen weiteren Beleg für die These, daß das Strafrecht sich kaum dazu eignet, grundsätzliche gesellschafts- und / oder verfassungspolitische Konfliktsituationen befriedigend zu bewältigen“. Neben diesen Schwerpunkten haben selbstverständlich auch andere strafrechtliche Bereiche die Aufmerksamkeit des Jubilars gefunden. So hat er sich mit dem Gewaltbegriff im Nötigungstatbestand befaßt (in: Bundesminister des Innern, Demokratie und politisch motivierte Gewalt, 1989). Er gelangte zu dem vielleicht zu pessimistischen Ergebnis, die langjährigen Reformbemühungen zeigten, daß sich eine präzisere Gesetzesfassung nicht finden lasse (S. 106). Auch hat er sich in einem als Buch publizierten Gutachten, das 1979 von ihm gemeinsam mit Brauns für den Bund des Steuerzahler erstattet worden ist, eingehend „Zur strafrechtlichen Erfassung der Fehlleitung öffentlicher Mittel“ geäußert. Es wird dort aufgezeigt, daß es neben den unter § 266 StGB subsumierbaren Sachverhalten andere „gravierende Fälle“ (S. 122) gibt, bei denen eine Strafbarkeit fehlt. Der von den Autoren deshalb unterbreitete Vorschlag, eine spezielle Strafvorschrift zu schaffen, ist jedoch leider nicht realisiert worden. Hervorzuheben ist ferner der Aufsatz zur „Vollstreckung kurzfristiger Freiheitsstrafen“ (FS Triffterer, 1996). In ihm wird ein besonders positiver Wesenszug des Jubilars spürbar: In aller Nüchternheit Dinge konziliant und sachlich beim Namen zu nennen, die von manchen nicht gerne gehört werden. Er weist darauf hin, daß es eine Vielzahl von Straftätern der kleineren und mittleren Kriminalität gibt, bei denen das gegenwärtige Sanktionensystem ersichtlich nicht greift, und daß der dadurch bedingten „Erosion des Vertrauens der Bevölkerung in die Justiz“ Einhalt geboten werden muß. Um Täter, die bereits mehrfach „einschlägig in Erscheinung“ getreten sind und sich trotz verhängter und vollstreckter Geldstrafe nicht von nochmaliger Tatbegehung haben abhalten lassen, sei das Mindestmaß der Freiheitsstrafe auf eine Woche zu senken. Kohlmann kann darauf hinweisen, daß im Ausland, etwa auch in Skandinavien, bereits von einer „Renaissance“ der kurzen Freiheitsstrafe die Rede ist und sie dort „voll im aktuellen kriminalpolitischen Trend“ liegt (S. 614 ff.). Die Vielfalt der fachlichen Interessen zeigt sich auch an dem Aufsatz „Der Mord an Walther Rathenau – Tragische Konsequenz eines irregeleiteten Zeitgeistes“ (in: de Boor / Meurer, Über den Zeitgeist, 1995). In ihm werden unter Auswertung einer im Bundesarchiv befindlichen Urteilsausfertigung die Tat, ihr Hintergrund und das Verfahren vor dem an das Reichsgericht angelehnten Staatsgerichtshof geschildert. Kohlmann hebt aus dem Urteil den Satz hervor: „Der Gerichtshof kann jedoch die Haupttriebfeder, die zum Morde geführt hat, jene blinde Feindseligkeit gegen den ‚Juden Rathenau‘, nicht als Grund dafür gelten lassen, den Mord aus der Klasse der gemeinen Verbrechen herauszuheben und ihm den Schimmer des politischen

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Verbrechens zuzugestehen.“ Er schließt den Aufsatz deshalb mit der Feststellung: „Es verdient Anerkennung, daß der Staatsgerichtshof diese Einschätzung in seinem Urteil für die Nachwelt festgeschrieben hat.“ Die Vorlesungen des Jubilars erfreuen sich bei den Studenten großer Beliebtheit. Seine Fähigkeit, den Stoff fesselnd, praxisnah und pointenreich vorzutragen, sorgt für großen Zulauf. Im Jahre 1995 erhielt er von den Studenten der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät für seine Vorlesung den 1. Preis. Dies ist um so mehr hervorzuheben, als die strafrechtlichen Vorlesungen „Allgemeiner Teil“ und „Besonderer Teil“ in Köln bis zu 600 Hörer haben und dem Dozenten daher eine Art von Dressurakt abverlangen. Seine Freude an der Lehrtätigkeit unterstrich Kohlmann durch mehrere größere Beiträge in dem von ihm seit 1986 mit herausgegebenen, an Studenten adressierten Zeitschrift „Juristischen Arbeitsblätter“. Zu nennen sind: „Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsmittel im Strafprozeß“ (1979), „Wider die Furcht vor § 266 StGB“ (1980), „Die öffentliche Hauptverhandlung“ (1981), „Zur Rechtsstellung der Aussageperson vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen“ (1984) und „Der mißglückte Banküberfall“ (1990). Das Interesse an der Lehre und den Studenten spiegelte sich auch in einer regen Prüfertätigkeit in der ersten Staatsprüfung, zuletzt als Prüfungsvorsitzender, wider. Kohlmann, Vater von fünf Kindern, ist stets aufgeschlossen für Probleme junger Menschen. Vielen hat er mit persönlichem Rat geholfen. In den achtziger Jahren war er an der Kölner Universität auch Vertrauensdozent der Studienstiftung. Ohne darüber seine Lehrverpflichtungen zu vernachlässigen, übernahm Kohlmann wiederholt interessante Strafverteidigungen. Er nutzte die Möglichkeit, die den Rechtslehrern deutscher Hochschulen insoweit durch § 138 Abs. 1 StPO eröffnet wird. Der Jubilar schreibt dazu in einem Beitrag: „In meiner ... Lehrund Forschungstätigkeit bin ich immer davon ausgegangen, daß sie nur dann wirklich fruchtbar sein kann, wenn sie durch praktische Erfahrung unterlegt, ergänzt und bestätigt wird. Diese Erfahrungen habe ich durch die Wahrnehmung zahlreicher Verteidigungsmandate gewonnen“ (in: Gerling / Obermeier, RisikoStörfall-Kommunikation 1, 1994, S. 95, 109). Kohlmann, der über starkes Durchsetzungsvermögen, taktisches Geschick und gewinnendes Auftreten verfügt, trat ins Rampenlicht der Öffentlichkeit als Verteidiger eines Mitangeklagten im Herstatt-Prozeß, einem Großverfahren wegen Untreue (resp. Beihilfe dazu), das sich von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß 15 Jahre hinzog. Große Aufmerksamkeit fand in der Öffentlichkeit auch seine Verteidigung in den Verfahren gegen den Sohn des ins Ausland ausgewichenen bayerischen „Bäderkönigs“ (wegen Abwendung der Beitreibung von steuerlichen Nebenleistungen durch Täuschung) und gegen den vormaligen Schatzmeister der CDU (wegen Steuerhinterziehung bei Annahme von Parteispenden). Für letzteren trat er auch als Rechtsbeistand vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Bundestages, der sich mit der „CDU-Spendenaffäre“ befaßte, auf. Kohlmann

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avancierte zu einem Starverteidiger in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen. Das um so mehr, als in mehreren von der Öffentlichkeit beachteten Prozessen der Bundesgerichtshof die von der Verteidigung vertretene Rechtsauffassung im Revisionsverfahren bestätigt hat. Besonders hervorzuheben sind die Fälle BGH NJW 1990, 1000 (zu § 153 Abs. 2 StPO: Schuldausgleich durch die belastenden Folgen der langen Verfahrensdauer), BGH NStZ 1993, 35 (selbständige Ermittlung der Voraussetzungen des damals noch anerkannten Fortsetzungszusammenhangs für jeden Teilnehmer) und BGHSt. 43, 381 (Abwendung der Beitreibung von steuerlichen Nebenleistungen durch Täuschung weder nach § 370 AO noch nach § 263 StGB strafbar). Auch wurde in der Öffentlichkeit stark beachtet, daß die medienwirksam angekündigte Zeugenvernehmung des vormaligen CDU-Schatzmeisters vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß ein schnelles Ende fand, als Kohlmann auf den offenbar übersehenen Umstand hinwies, daß (jedenfalls) wegen des gegen seinen Mandanten anhängigen Strafverfahrens ein Vereidigungsverbot bestand. Die forensische Tätigkeit hat Kohlmann aber auch die wohl schrecklichsten Stunden seines Lebens beschert. In den achtziger Jahren wurde der Sohn eines seiner Mandanten, eines bekannten Kölner Geschäftsmannes, von Gangstern entführt. Das Warten zusammen mit der Familie und Freunden des Opfers auf ein telefonisches Lebenszeichen ist eine nicht zu verdrängende Erinnerung. Besonders hervorzuheben ist weiterhin Kohlmanns Engagement im Vorfeld der Gesetzgebung. So erstattete er 1974 für die Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität die schon erwähnten Gutachten zum Kreditwucher und zur Frage, welche Gesetzesänderungen sich zur Ausgestaltung, Reichweite und Einstufung der Steuerstraf- und -bußgeldtatbestände empfehlen, um ihnen besser entgegenzuwirken und sie besser bekämpfen zu können. In der öffentlichen Anhörung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vor dem Sonderaussschuß des Bundestages für eine Strafrechtsreform nahm er erneut zum Tatbestand des Kreditwuchers Stellung. Zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus wurde er 1986 vom Rechtsausschuß des Bundestages angehört. In der Selbstverwaltung der Universität ist der Jubilar ebenfalls hervorgetreten. Von 1983 bis 1985 war er Dekan der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Seine Amtsführung zeichnete sich insbesondere durch intensiv und umsichtig vorbereitete und dadurch zügig abgewickelte Fakultätssitzungen aus. In den Jahren 1994 bis 1995 war Kohlmann Prorektor für Planung und Finanzen der Universität zu Köln. Darüber hinaus hat er sich durch die Gründung des Kölner Vereins zur Förderung der Rechtswissenschaft e.V. verdient gemacht, dessen Geschäftsführer er bis in die Gegenwart ist. Die vom Jubilar über den Verein beschafften Finanzmittel haben in der Fakultät viele wissenschaftliche Aktivitäten ermöglicht, die sonst aus finanziellen Gründen gescheitert wären. Kohlmann gebührt daher für seine Aktivitäten im Förderverein besonderer Dank der Kölner Fakultät.

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Seine Kollegialität hat Kohlmann in mehrfacher Hinsicht unter Beweis gestellt. Als ich im Jahre 1975 nach Köln berufen wurde, fand ich in dem aus zwei strafrechtlichen Lehrstühlen bestehenden Zentralteil des Kriminalwissenschaftlichen Instituts eine wenig harmonische Atmosphäre vor. Sie beruhte auf einem weltanschaulich bedingten tiefen Konflikt zwischen unseren Vorgängern Klug und Lange. Dem Jubilar und mir gelang es, eine Ausdehnung des Konflikts auf uns zu vermeiden und stattdessen im Laufe der Jahre eine sehr freundschaftliche Beziehung entstehen zu lassen. Diese zeigte sich besonders deutlich, als Kohlmann zu meinem 70. Geburtstag einen Sammelband mit meinen wichtigsten Aufsätzen herausgab, womit er mir eine große Freude bereitet hat. Seine Kollegialität fand auch darin Ausdruck, daß er nicht wenigen Kollegen, insbesondere der Medizinischen Fakultät, die wegen angeblicher Kunstfehler oder bis dahin als strafrechtlich unbedenklich angesehener Formen der Drittmittelannahme in ein Ermittlungsverfahren verstrickt wurden, mit seinem Rat zur Seite stand. Dies und seine Amtszeit als Prorektor haben ihn über die Fakultätsgrenzen hinweg innerhalb der Universität zu einer vielgefragten Persönlichkeit werden lassen. Sein örtlicher Bekanntheitsgrad ist außergewöhnlich. Der viel zitierte Satz „Tübingen ist eine Universität, Köln hat eine und Hamburg hält sich eine“ soll neben den städtischen Besonderheiten den mit der Größe der Einwohnerzahl zunehmenden Abstand zwischen Stadt und Universität hervorheben. Obgleich als städtische Gründung 1388 in die Welt getreten und als zunächst städtische Einrichtung 1919 wiedereröffnet, spielt die Kölner Universität innerhalb der Stadt eine zweitrangige und eher abgeschiedene Rolle. Vom wissenschaftlichen Rang in ihr tätiger Professoren wird in der Lokalpresse kaum Notiz genommen. Dem Jubilar ist es gelungen, diese Mauer zu durchbrechen. Er findet starke Beachtung. Dies geht wohl auf Kohlmanns mehrjährige Verteidigertätigkeit in dem schon erwähnten Kölner Herstatt-Prozeß zurück. Seither bitten Presse und Fernsehen in Köln den Jubilar auch gerne um Interviews zu aktuellen strafrechtlichen Fragen. Kohlmann hat den Kontakt mit der Stadt noch dadurch vertieft, daß er zeitweilig als „Generalquartiermeister“ der Prinzengarde eine hohe Position in einer der vier großen Traditionsgesellschaften des Kölner Karnevals einnahm. Beim Rosenmontagszug war er in dieser Eigenschaft auf einem der Prunkwagen der Prinzengarde zu sehen, umjubelt von „Günter, Kamelle!“ rufenden studentischen Zuschauern. In einem Ende der 90er Jahre erschienenen Buch „Die 100 bekanntesten Kölner“ sind er und ein Chirurg aus der Medizinischen Fakultät die einzigen Universitätsprofessoren. Obgleich Kohlmann aus Oberschlesien stammt, hat er sich in Köln so eingelebt, daß man den Eindruck hat, er sei ein bodenständiger Kölner. Jemand, der sich wie der Jubilar in vielfältiger Weise in der Öffentlichkeit bewegt und über einen weit gefächerten Bekanntenkreis verfügt, weiß um die Wichtigkeit von Stilfragen. Die mit dem Generationswechsel teilweise verbundene Veränderung des Stils in deutschen Universitäten wird von ihm deshalb stark empfunden.

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Günter Kohlmann unterscheidet sich von dem Bild, das man sich in der Öffentlichkeit üblicherweise von einem Universitätsprofessor macht. Auf Rechtsprofessoren paßt zwar nur selten die Vorstellung der Eingeschlossenheit in einen Elfenbeinturm, aber der Jubilar gehört auch nicht zu denjenigen Theoretikern, deren Hauptinteresse auf die theoretischen Grundlagen und deren Weiterentwicklung gerichtet ist. Er ist vielmehr akzentuiert auf die unmittelbare Bedeutung für die Praxis hin orientiert. Von daher war es nur folgerichtig, daß er neben seinem an der Universität ausgeübten Beruf auch forensisch tätig wurde. Bemerkenswert ist, daß er ebenfalls in dieser Funktion viel Erfolg gehabt hat. Sein vielseitiges Talent hat ihn zu einem Strafrechtsjuristen werden lassen, von dem eine außerordentliche Faszination ausgeht. Für die Kölner Fakultät ist es betrüblich, daß Persönlichkeiten solchen Formats nicht ohne weiteres zu ersetzen sind. Dem Jubilar ist von Herzen zu wünschen, daß er auch im neuen Lebensjahrzehnt seinen umfangreichen Interessen in gewöhnter Weise nachgehen und weiterhin der Allgemeinheit mit wissenschaftlicher Belehrung dienen und darüber hinaus vielen Menschen mit praktischem fachlichen Rat zur Seite stehen kann.

Zum 100. Geburtstag von Hans Welzel 2004 1. Am 25. März 2004 wäre Hans Welzel 100 Jahre alt geworden. Von 1953 bis zu seinem Tode im Jahre 1977 war er Mitherausgeber dieser Zeitschrift, in der er seit 1931 bedeutende Aufsätze veröffentlicht hat. Sein Name ist in der Strafrechtswissenschaft unvergessen, handele es sich um Anhänger, Gegner oder beides. Welzel hat nach dem Zweiten Weltkrieg ein Vierteljahrhundert lang die strafrechtsdogmatische Diskussion in erheblichem Maße beherrscht. Der von ihm unter der Flagge „finale Handlungslehre“ betriebene Umbau des dogmatischen Systems hielt während dieses Zeitraums die wissenschaftliche Debatte stark in Atem und beeinflußte hinsichtlich der gewonnenen Ergebnisse die höchstrichterliche Judikatur und die neuere Gesetzgebung zum dogmatischen Gebiet des Allgemeinen Teils. Welzel konnte in seinen späten Jahren noch erleben, daß sich in der deutschen Strafrechtswissenschaft die von ihm geforderte Zuordnung des Tatbestandsvorsatzes zum Unrechtstatbestand und damit der dementsprechende Systemumbau schließlich als „personale Unrechtslehre“ durchsetzte. Die auf die Wiederentdeckung der Handlung als Willenshandlung gestützte Neugestaltung des Systems war nur ein Ausschnitt aus einem weitreichenden methodischen Ansatz, bei dem es um die Anknüpfung der dogmatischen Begriffsbildung an die vorgegebenen Strukturen und Strukturzusammenhänge der Regelungsgegenstände und um eine stärkere Wissenschaftlichkeit der Strafrechtstheorie geht. Auch wenn das Welzelsche Konzept sich zu Lebzeiten seines Autors mehr in den Ergebnissen als in den theoretischen Begründungen durchgesetzt hat, sind die grundsätzlichen Ansätze und ihre Weiterentwicklung nach wie vor aktuell. Das wurde Ende 2002 wieder sehr deutlich bei einem mehrtägigen Kongreß über „Finalismus“ in Neapel, an dem nahezu die gesamte italienische Strafrechtslehrerschaft teilnahm. Auch wird im Herbst 2004 eine Welzel gewidmete Tagung in Mexiko stattfinden. 2. Die seit dem Ableben Welzels vergangenen mehr als 25 Jahre haben in der nachfolgenden Generation ein unklares Bild von seiner wissenschaftlichen Bedeutung entstehen lassen. Das um so mehr, als das Interesse an strafrechtlicher Grundlagenforschung und damit auch an dogmengeschichtlichen Kenntnissen stark zurückgegangen ist und wissenschaftliche Gegner gegenwärtig eine tonangebende Rolle spielen. Der 100. Geburtstag bietet Anlaß, die Grundzüge von Welzels

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wissenschaftlichem Konzept und Werk sowie die Punkte, an denen sich seine Auffassungen durchgesetzt haben und fortwirken, in Erinnerung zu bringen. Es geht bei der von ihm in den Jahren 1930/31 begründeten wissenschaftlichen Richtung, 1 die auf einen Teilbereich verengt und unscharf oft als „Finalismus“ bezeichnet wird, um zwei Ziele: ein allgemeines und ein spezielles. Das allgemeine ist ein methodisches. Es richtet sich gegen eine einseitig naturalistisch-physikalische und ebenso gegen eine normativistische Sichtweise in der Strafrechtsdogmatik. Die Gegenstände der strafrechtlichen Wertung sollen nicht auf bloße Kausalvorgänge (z. B. Handlung als bloße Erfolgsverursachung, Beleidigung als Erzeugung von Schallwellen) reduziert oder – bis heute aktuell – rein normativ gebildet, sondern der Wirklichkeit entnommen werden, und dazu soll man innerhalb des normentheoretischen Systems ihre vorrechtlichen Strukturen und die sich daraus ergebende Sachlogik beachten. Welzel erkannte, daß eine mit konstruktivistischnormativ gebildeten Gegenständen der Rechtsregelungen arbeitende Methodik diese Regelungen unerträglich manipulierbar machte und eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Strafrechtsdogmatik behinderte. Ein spezielleres Ziel der von Welzel begründeten Richtung war die Anwendung dieses methodischen Ansatzes auf einen Zentralbegriff des Strafrechts: den Handlungsbegriff. Dieser ist ein Zentralbegriff, weil es bei den Delikten um Verstöße gegen Verbote oder Gebote geht und Gegenstand beider Normarten Handlungen sind. Das Verbot untersagt eine Handlung, und das Gebot fordert sie. Die Verwandlung des Handlungsbegriffs in ein strafrechtliches Kunstprodukt, nämlich eine auf einen bloßen Willensimpuls, gleichgültig welchen Inhalts, beruhende Erfolgsverursachung, gab Welzel dazu Anlaß, den sogenannten Finalismus zu entwickeln. Angeregt durch entsprechende Deutungen im damaligen psychologischen Schrifttum brachte er wieder in Erinnerung, daß zur Handlung der auf die objektive Verwirklichung gerichtete Wille, also der sie überspannende Willensinhalt, gehört: beispielsweise zu einer Tötungshandlung der Tötungswille. So hatte man den Begriff der Handlung auch früher verstanden. Welzel war bereits bei der Beschäftigung mit Pufendorf in seiner Dissertation hierauf gestoßen. Aus dem Begriff der Willenshandlung zog Welzel die Konsequenz, daß der Vorsatz des Begehungsdelikts, weil mit dem Handlungswillen identisch, bereits zum Unrechtstatbestand gehört. Und beim fahrlässigen Delikt zeigte er auf, daß sich hier die Handlung in der den Gegenstand des Sorgfaltswidrigkeitsurteils bildenden willentlichen Handlung erschöpft und der Erfolg eine dem Täter zuzurechnende Wirkung dieser normwidrigen Handlung darstellt. Die Bezeichnung 1 Erstmalig konzipiert in den Aufsätzen über „Strafrecht und Rechtsphilosphie“, Kölner Universitätszeitung 1930, Nr. 9, 5 ff. (später auch abgedruckt in: Erinnerungsgabe für Grünhut, 1965, S. 173, 194 ff.), und „Kausalität und Handlung“, ZStW 51 (1931), 703 ff. Außerdem siehe den Aufsatz „Über Wertungen im Strafrecht“, Der Gerichtssaal 103 (1933), 340 ff.

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„Finalismus“ für die Willensseite der Handlung übernahm Welzel später aus kongenialen Analysen, die er in der Ethik von Nicolai Hartmann fand. Während Welzels Auffassung in der Hitler-Zeit keine Rolle spielte, trat sie nach dem Zweiten Weltkrieg um so stärker ins allgemeine Blickfeld. Er war nun sehr erfolgreich mit Ergebnissen, die er auf der Grundlage seines dogmatischen Ansatzes entwickelt hatte oder in den folgenden Jahren aus ihm ableitete. An erster Stelle ist auf die Übernahme der von ihm aus der Trennung von Tatbestandsvorsatz und Unrechtsbewußtsein – der eine als Element des Unrechtstatbestands, das andere als Schuldelement – entwickelten Schuldtheorie beim Verbotsirrtum durch den Bundesgerichtshof und später den Gesetzgeber hinzuweisen. Weiterhin ist die Teilnahmelehre zu nennen, bei der Welzel aufzeigen konnte, daß die Einführung der limitierten Akzessorietät die des Vorsatzes unberührt läßt, und dies in Rechtsprechung und Gesetzgebung zur Geltung brachte. Außerdem stellte er die Weichen zur Überwindung der subjektiven Teilnahmetheorie, indem er den Tatherschaftsgesichtpunkt („finale Tatherschaft“) deutlich herausarbeitete. Große theoretische und praktische Bedeutung hatte auch die aus Welzels dogmatischem Ansatz sich ergebende systematische Einordnung der objektiv sorgfaltswidrigen Handlung in den Unrechtstatbestand des fahrlässigen Delikts. Hinzu kam die nach jahrzehntelanger Diskussion erfolgte Anerkennung der von Anbeginn erhobene Forderung, den Tatbestandsvorsatz dogmatisch als subjektives Element des Unrechtstatbestand einzuordnen, durch die herschende Lehre. 2 3. Angesichts dieser außerordentlichen wissenschaftlichen Erfolge erhebt sich die Frage, woran es liegt, daß Welzel bis in die Gegenwart hinsichtlich der Grundlagen, auf die er aufbaute, auf Ablehnung stößt. Bei der Beantwortung muß man wohl zwischen Sachgesichtspunkten und Auswirkungen des Diskussionsverlaufs unterscheiden. An erster Stelle ist hier die Fahrlässigkeit zu nennen. Die „finale“ Handlungslehre wurde mit dem Blick auf das Vorsatzdelikt in die Diskussion eingeführt. Ausgehend von der Vorstellung der damaligen h.M., daß der Erfolg beim fahrlässigen Delikt ebenso zur Handlung gehöre wie beim Vorsatzdelikt, erhob man den Einwand, daß sich beim fahrlässigen Delikt die Unrichtigkeit des „finalen“ Handlungsbegriff zeige. Diese Kritik war auch zu Anfang berechtigt, da erst in den 50er Jahren erkannt wurde, daß die Willenshandlung beim fahrlässigen Delikt in der sorgfaltswidrigen Handlung besteht und im Unterschied zum Vorsatzdelikt, bei dem der Handlungswille den Erfolg umfaßt, der Erfolg bei der Fahrlässigkeit nur eine Auswirkung der Handlung ist. Aber auch nach der Klärung wird der Einwand fortgeschrieben, weil man weiterhin das Unrecht des fahrlässigen Delikts nicht klar analysiert. Hinzu kommt, daß sich als Folge des ehemaligen § 1 StGB 2

Näher zu den Ergebnissen, die sich durchgesetzt haben: Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 838 ff.

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die Vorstellung festgesetzt hat, es gehe beim Handlungsbegriff um einen alle Verhaltensformen des Delikts – Tun, Unterlassen, Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit – umfassenden Oberbegriff. Damit spricht man jedoch von etwas anderem als der „Finalismus“, der ausschließlich die Struktur des Tuns als dem Gegenstand von Verboten und Geboten betrifft. Weiterhin nahm man Anstoß an dem Wort „final“. Der dolus directus 2. Grades und der dolus eventualis zeigen, daß Wille nicht gleichbedeutend mit zweckgerichtetem Willen ist. Daß Welzel von „finaler“ anstatt von Willenshandlung sprach, erklärt sich jedoch damit, daß er dieses Wort, wie schon erwähnt, bei Nicolai Hartmann fand und daß das Wort „Wille“ leicht dem schuldhaften Willen gleichgesetzt wird. Welzel hat die Ungenauigkeit der Wortwahl später auch ausdrücklich betont. 3 Der gewichtigste Einwand, der gegenüber Welzel erhoben worden ist, lautet: Er wolle aus der Ontologie rechtliche Entscheidungen ableiten. Hinter seiner Auffassung stehe eine Art von naturrechtlicher Vorstellung. Dieser Einwand ist dadurch provoziert worden, daß Welzel und mehr noch einige seiner Anhänger das Wort „ontologisch“ häufiger verwandt haben, als es berechtigt gewesen ist, und dadurch manchmal auch der Eindruck einer gewissen Blutleere der Argumentation hervorgerufen worden ist. Jedoch ist vor einzelnen Überzeichnungen keine Theorie gefeit. Es geht der Richtung nicht darum, Seinsbefunde in den Rang von rechtlichen Prinzipien zu erheben. Das hat Stratenwerth bereits im Jahre 1957 klargestellt. 4 Wie im vorhergehenden schon betont, handelt es sich vielmehr um die Forderung, daß die Strukturen und die vorgegebenen Inhalte der Gegenstände, an welche die Rechtsordnung in ihren Regelungen anknüpft, beachtet werden. Hierbei hat man es nur zum Teil mit ontischen Befunden zu tun (so beim Handlungsbegriff und der Kausalität). Daneben kommen auch allgemeine soziale Phänomene in Betracht (z. B. die Schuld, die Ehre etc.). Es handelt sich daher genauer betrachtet nicht um einen Gegensatz zwischen ontisch und normativsozial, sondern um das Verhältnis von Strukturen des Regelungsgegenstandes und Recht. Das Recht erfindet nicht die Wirklichkeit, die es regeln will – dann wäre es überflüssig –, sondern es regelt eine ihm vorgegebene Wirklichkeit. Eine solche einfache Wahrheit und die aus ihr gezogenen methodischen Folgerungen haben nichts mit Naturrecht zu tun. 5 Welzel, dem das theoretische Hauptverdienst an der Überwindung der deutschen Naturrechtsrenaissance nach 1945 zukommt, kann zudem kaum verdächtig sein, zu den Naturrechtsanhängern zu gehören. Er hat dementsprechend auch nie, wie das beim Naturrecht der Fall ist, die Behauptung aufgestellt, daß die nach der von ihm geforderten Methodik gefundenen Ergebnisse eine entgegenstehende positivrechtliche Vorschrift außer Kraft setzten. Eine 3 4 5

Siehe Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 37 und 131. Stratenwerth, Das rechtstheoretische Problem der „Natur der Sache“, 1957, S. 27. Siehe dazu Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990, S. 41 f.

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solche kann nur, weil den Regelungsgegenstand verfehlend, sachlich unzutreffend und daher reformbedürftig sein. Ernstere Angriffsflächen boten Welzels mehrdeutige Ausführungen zum Handlungsunwert. Er unterschied ihn nicht scharf vom „Aktunwert“, wie er in der Ethik beheimatet ist. So findet sich in der Einleitung seines Lehrbuchs der bekannte Satz, daß es im Strafrecht um die „Verhinderung der Sachverhalts- oder Erfolgsunwerte durch Pönalisierung der Aktunwerte“ gehe. Dieser Satz hat den Eindruck hervorgerufen, daß es sich beim „Finalismus“ um eine subjektivistische Richtung handele: um eine Verlagerung der Betrachtung von der bis dahin einseitig objektiven Sachverhalts- und Erfolgsorientierung zu einer einseitig auf die Intentionalität abstellenden Sicht. Dadurch, daß der Welzelschüler Armin Kaufmann eine solche Sichtweise zugrunde legte und dabei der Eindruck vermittelt wurde, sie sei die authentische Deutung des „Finalismus“, verstärkte sich die Ablehnung. Nach Auffassung Kaufmanns und seiner Schüler soll sich bekanntlich das Unrecht der Vorsatztat im Tätigkeitsakt erschöpfen und der intendierte Erfolg nur eine Art von objektiver Strafbarkeitsbedingung sein. Das Unrecht soll mit dem beendeten Versuch vollständig vorliegen und der Versuch sich dabei nach der subjektiven Versuchstheorie bestimmen. Handlungsunrecht wird also gleichbedeutend mit Intentionsunrecht gesehen. Wegen ihrer Losgelöstheit vom Tatstrafrecht und des nicht vermittelbaren Ergebnisses, daß Unrecht und Schuld mit dem nach der Vorstellung des Täters beendeten Versuch in vollem Umfang vorlägen und es daher folgerichtig für die volle Vorsatzstrafbarkeit nicht mehr auf den Erfolgseintritt ankommen würde, schlug diese Richtung die Türen für eine Durchsetzung des „Finalismus“ praktisch zu. Sieht man sich den von Welzel wiederentdeckten Begriff der Willenshandlung und die näheren Erläuterungen genauer an, so stimmen sie jedoch inhaltlich wenig mit seinem vorerwähnten berühmten Satz überein. Er fügte nämlich sogleich den Satz hinzu: „Daß die Rechtsordnung das wirklich betätigte Abfallen von den Werten rechtlichen Handelns bestraft und damit deren reale Geltung sichert, bedeutet keineswegs, daß sie schlechte oder gefährliche Vorsätze ohne verletzendes oder gefährdendes Tun verfolge und ahnde ... Denn nur die wirkliche Betätigung jenes Abfallens löst Strafe aus ... Es soll nur die Auffassung zurückgewiesen werden, daß es das Recht nur mit dem äußeren Verhalten zu tun habe ...“ 6 Dem entsprach es, daß Welzel hinsichtlich der vollendeten Handlung von Verwirklichung des Gewollten sprach. In der Tat ergibt sich auch nur letzteres aus dem Begriff der Willenshandlung, so daß bei dessen zutreffendem Verständnis die Vereinbarkeit mit dem Tatprinzip durchaus gegeben ist. Eine Verkürzung des vollen Handlungsunwerts auf den Intentionsunwert ist also mit dem „Finalismus“ nicht verbunden. Wir haben es hier mit einem der Fälle der Dogmengeschichte zu tun, bei dem

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Welzel (Fn. 3), S. 2.

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ein mißverständlicher plakativer Satz das Bild eines wissenschaftlichen Konzepts unzutreffend prägt. Einen angeblich zentralen Einwand gegen den „Finalismus“ hat man aus der Problematik des sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtums, z. B. der Putativnotwehr, hergeleitet. Es ist behauptet worden, die Unrichtigkeit des dogmatischen Ansatzes von Welzel zeige sich daran, daß er die strenge Schuldtheorie vertreten habe. Einen solchen Einwand kann jedoch nur derjenige erheben, der eine konsequente Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vertritt, nämlich dahingehend, daß bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes beispielsweise schon gar keine Tötungs- oder Körperverletzungshandlung gegeben ist und daher beim Erlaubnistatbestandsirrtum das Vorsatzdelikt bereits mangelns Willensseite dieser Handlungen entfallen würde. Eine derartige Sichtweise würde der an den wirklichen Phänomen ausgerichtete „Finalismus“ in der Tat nicht mitmachen können; denn am tatsächlichen Vorhandensein der betreffenden Handlungen ist hier eben nicht vorbei zu kommen. Die Anhänger der den Erlaubnistatbestandsirrtum bereits in den Unrechtsbereich einordnenden Irrtumslehre gehen heute auch überwiegend in der Weise vor, daß sie entweder den Unrechtstatbestand in zwei Teile gliedern, nämlich in „Unrechtsbegründung“ und fehlenden „Unrechtsausschluß“ (zweistufiger Deliktsaufbau), oder zwar nominell einen dreistufigen Deliktsaufbau vertreten, der Unterscheidung von „unrechtsbegründender“ Tatbestandsebene und der die Rechtfertigungsfrage betreffender Rechtswidrigkeitsebene aber keine Wertrelevanz zuschreiben. Da in subjektiver Hinsicht dann für die Rechtfertigungsgründe Paralleles zur „Unrechtsbegründung“ zu gelten hat, schließt der Erlaubnistatbestandsirrtum bereits mangels „Vorsatzes“ oder jedenfalls fehlenden Vorsatzunrechts das Unrecht der Vorsatztat aus. Indem jedoch bei dieser Konstruktion die „unrechtsbegründende“ Tattyphandlung und die Rechtfertigungshandlung gegenübergestellt werden, legt man Willenshandlungen in ihrer Struktur zugrunde, so daß der Handlungsbegriff ganz unberührt bleibt. Man hat es hier eben nicht mit Handlungsproblemen, sondern mit Fragen der Normlogik sowie der Wertungsinhalte von Tatbestands- und Rechtfertigungsebene zu tun. Die vorherrschende Auffassung unter den Anhängern der eingeschränkten Schuldtheorie ist sich deshalb im Grundsätzlichen mit der von Welzel vertretenen strengen Schuldtheorie darin einig, daß es sich erst um ein Schuldproblem handelt. Dieser vertrat eben keine subjektivistische Unrechtsauffassung. An alledem zeigt sich, daß die gegenüber der von Welzel begründeten dogmatischen Richtung erhobenen sachlichen Einwände zwar einige Schwächen und Ungereimtheiten des Entwurfs, den Welzel vorgetragen hat, aufzeigen, aber bei weiterführender Überlegung die Richtigkeit des Ansatzes nicht in Frage stellen können. Dieser bietet meines Erachtens, sobald man ihn von Ungenauigkeiten und Übertreibungen der Anfänge entschlackt, vielmehr das bisher in sich stringenteste systematische Konzept der Straftat.

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Daß Welzel sich zwar hinsichtlich eines großen Teils der von ihm entwickelten Ergebnisse, nicht aber hinsichtlich der Grundlagen, aus denen er sie abgeleitet hatte, durchsetzen konnte, hat wohl vor allem Gründe, die im Diskussionsverlauf zu suchen sind. Sein Entwurf war, als er ihn vorlegte, kein Schritt, der sich in der allgemeinen Debatte schon angekündigt hatte und bei dem daher die Diskussion bereitwillig auf Weiterführung und Vervollkommnung gerichtet gewesen ist. Er wurde vielmehr als eine Art von revolutionärem Akt gegenüber einer sich selbstsicher gebenden h.M. empfunden. Die Kritik, die damals Welzel entgegenschall, ließ sich später zwar nicht mehr hinsichtlich der von Rechtsprechung und dann auch Gesetzgebung übernommenen Ergebnisse aufrechterhalten. Aber in bezug auf die dort nicht zu entscheidenden theoretischen Grundlagen verfestigte sie sich. Hierbei spielt eine Rolle, daß Welzel – und mehr noch sein Schüler Armin Kaufmann – den Eindruck, einseitig dem Ontologismus zu huldigen, nicht zerstreuen konnten. Dem gingen die obengenannten Angriffspunkte einher, die darauf beruhten, daß das Konzept nicht sogleich in allen Punkten widerspruchsfrei gewesen ist. Auch wurden die Vorbehalte gegenüber dem Ansatz Welzels dadurch verschärft, daß die Unfertigkeit des Konzepts des öfteren zu einem Wechsel des Standpunkts bei der Suche nach der sachgemäßen Lösung führte. Auch mag eine Rolle gespielt haben, daß die Heftigkeit der Auseinandersetzung, bei der Welzel sich über lange Zeit als jemand empfinden mußte, auf den alle Pfeile gerichtet waren, nicht unerhebliche persönliche Ressentiments auf beiden Seiten hat entstehen lassen. Im übrigen interessiert sich in einer auf Rechtsanwendung hin orientierten Fachdisziplin die Mehrheit der Fachvertreter ohnehin mehr für die Angemessenheit der gefundenen Lösungen als für deren methodische Grundlagen. Zudem führte die lange Fixierung der dogmatischen Diskussion auf den „Finalismus“ dazu, daß er schließlich mehr und mehr zu einem „Reizthema“ wurde. Das alles läßt aber unberührt, daß die Nachwirkungen Welzels in der Strafrechtswissenschaft groß sind. Das betrifft nicht nur den auf ihn zurückgehenden Systemumbau und die erwähnten Spuren in Rechtsprechung und Gesetzgebung. Vielmehr sind inzwischen auch allgemeine Ziele des „Finalismus“ längst ganz oder zum Teil in die Arbeitsweise vieler Strafrechtler eingegangen, ohne daß sich diese deshalb als „Finalisten“ empfinden. Daß man sich mehr als in den Zeiten des Gesetzespositivismus für die Regelungsgegenstände interessiert und wissenschaftlich selbstbewußter dem Gesetzgeber gegenübertritt, bestätigt dies ebenso wie die Wertschätzung präziser Begriffe und Definitionen. Neuere Bestrebungen, der wissenschaftlichen Vorgehensweise Welzels als Gegenkonzept einen puren Normativismus gegenüber zu stellen, haben keinen großen Anhang gefunden. Wenn von Jakobs im Vorwort seines Lehrbuchs ein am „Strafrecht in einer Gesellschaft der vorhandenen Gestalt“ ausgerichteter Normativismus, dessen „Ziel die optimale ... Systematisierung des geltenden Strafrechts“ darstellt, gefordert wird, 7 so hat 7

Jakobs, Strafrecht, Allg. Teil, 2. Aufl. 1991, S. VII.

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demgegenüber der international bekannte Strafrechtler Moreno Hernandez bereits näher aufgezeigt, daß eine solche „Kehrtwendung zum Normativismus ... nichts anderes als eine Kehrtwendung zum rechtlichen Positivismus bedeutet“. 8 Es handelt sich also nicht um ein zukunfts-, sondern vergangenheitsorientiertes Konzept; das genaue Gegenteil des von Welzel postulierten. Jescheck schreibt in seinem Lehrbuch: „Es ist damit zu rechnen, daß sich die Systemgedanken, die dem Verbrechensbegriff des Finalismus zugrunde liegen, weiter durchsetzen werden, weil sie auch unabhängig von der finalen Handlungslehre überzeugend sind. In diese Richtung weisen (in Deutschland) fast alle neueren Lehrdarstellungen und Kommentare.“ 9 Auch die starke Zunahme der internationalen Diskussion dogmatischer Fragen bestätigt einen Aspekt des methodischen Zieles von Welzel: in der Strafrechtsdogmatik, insbesondere des Allgemeinen Teils, einen ideologisch neutralen Raum zu schaffen und zu Einsichten zu gelangen, die sich wegen ihrer Allgemeingültigkeit ebenso in andere Rechtssysteme transferieren lassen. Welzel war sich darüber im klaren, daß die Entwicklung der Dogmatik weitergehen würde, und er hat dies auch ausdrücklich erklärt. Im vorhergehenden ist schon aufgezeigt worden, daß er mehrere wichtige Punkte noch unbefriedigend gelöst hatte. Besonders hervorzuheben ist außerdem der objektive Unrechtstatbestand des Vorsatzdelikts. Welzel meinte noch, daß bei den Vorsatzdelikten der Unrechtstatbestand im Grundsätzlichen durch die Einbeziehung des Vorsatzes einen die jeweilige „Verbotsmaterie“ ausreichend angebenden Inhalt erhalte; mit dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz bot er nur ein schon die objektive Seite berührendes Korrektiv an. Roxin hat inzwischen aufgezeigt, daß bereits der objektive Unrechtstatbestand neben der objektiven Erfolgsverursachung regelmäßig die Berücksichtigung weiterer allgemeiner Kriterien verlangt. Indem er dabei nicht von der objektiven Seite der Handlung, sondern von der objektiven Zurechnung des Erfolges her die Problematik angeht und den objektiven Unrechtstatbestand von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstatbestand gleichsetzt, bewegt sich seine Lehre allerdings eher in der – nach Art der Relevanztheorie modifizierten – Tradition der Tatbestandslehre vor Welzel. Er stößt daher bei Gegnern der „finalen Handlungslehre“ auf viel Zustimmung. In bezug auf den Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Delikt, bei dem es nicht um Handlungs-, sondern bloße Zurechnungsfragen geht, fügt sich die Lehre Roxins übrigens auch als Zurechnungskonzept in das Welzelsche System ein. Besonders anzusprechen ist noch Welzels Lehre von der Sozialadäquanz. Es gibt heute Autoren, die in ihr seine wissenschaftliche Hauptleistung sehen wollen. Dabei handelt es sich zum einen um strenge Normativisten, die meinen, hier 8 9

Moreno Hernandez, Festschrift für Roxin, 2001, S. 69, 90. Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 214.

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einen Anknüpfungspunkt bei Welzel finden zu können. Zum anderen geht es um einzelne Vertreter der Lehre von der objektiven Zurechnung, die anführen, daß hinter dem noch generalklauselartigen Begriff „Sozialadäquanz“ der Gedanke gestanden hat, den objektiven Tatbestand mit Hilfe weiterer Kriterien einzugrenzen. Es unterstreicht den fachlichen Rang Welzels, daß sein wissenschaftliches Werk, ähnlich wie es bei dem von Binding der Fall gewesen ist, als Steinbruch dient, aus dem sich jede Richtung das für sie Passende herausklopfen kann. Eines sollte bei alledem aber feststehen: Die Sozialadäquanz nahm im Gedankengebäude Welzels nur die Rolle eines Korrektivs ein, und er hat nicht etwa, als er auf sie hinwies, auch nur zeitweilig mit einer rein normativistischen Methodik oder einer bloß additiven Vorgehensweise nach Art der Lehre von der objektiven Zurechnung geliebäugelt. Um was ihm vielmehr zeitlebens entscheidend ging, ist das im vorhergehenden dargestellte methodische Konzept, wie insbesondere seine Aufsätze vom Anfang der 30er Jahre und seine zahlreichen seit Kriegsende erschienenen Arbeiten bis hin zu der Schrift „Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft“ (1964) 10 zeigen. Welzels starke Wirkung ist begünstigt worden durch sein Lehrbuch „Das Deutsche Strafrecht“, das in der Zeit von 1947 bis 1969 nicht weniger als 11 Auflagen erreichte und in dieser Zeit wohl das verbreitetste und beachtetste strafrechtliche Lehrbuch gewesen ist. Der Erfolg erklärt sich nicht nur aus dem hohen Niveau und dem in allen Bereichen stets neuesten Stand des Buches, sondern ebenfalls aus der meisterhaften Darstellungsweise, die Klarheit, Straffheit, Präzision und stilistische Eleganz miteinander verband. Hinzu kam, daß es auch im Besonderen Teil zahlreiche weiterführende Gedanken brachte, so etwa zum Beginn der Wegnahme, zum Vermögensschaden und zum Urkundenbegriff. 4. Welzels Arbeiten zur Rechtsphilosophie bilden einen zweiten Teil seines Lebenswerkes. Sein Buch „Naturrecht und materiale Gerechtigkeit“, das in vier Auflagen erschienen ist, ist nach wie vor die unübertroffene Darstellung der Geschichte des Naturrechts von den Vorsokratikern bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt erregte der Ansatz, die Problemgeschichte durch die Unterscheidung idealistischer und voluntaristischer Naturrechtslehren zu ordnen, besondere Anerkennung. Das Buch fand auch deshalb große Resonanz, weil Welzel mit ihm der Naturrechtsrenaissance, die sich in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebildet hatte, als scharfer Kritiker entgegentrat. Er schrieb: „Auch die moderne naturrechtliche Beweisführung läuft ... auf den alten naturrechtlichen Zirkelschluß hinaus: alle die meist höchst beachtenswerten oder mindestens diskutablen Wertüberzeugungen, die der Verfasser zuvor in den Begriff des Naturgemäßen hineingelegt hat, holt er hinterher aus ihm wieder heraus ...“ 11 Das Buch trug wesentlich dazu bei, daß die Naturrechtsrenaissance eine kurze Episode blieb. 10 11

Auch abgedruckt in: Erinnerungsgabe für Grünhut, 1965, S. 173 ff. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1. Aufl. 1951, S. 182.

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In der 1. Aufl. von 1951 war noch als Untertitel hinzugefügt: „Prolegomena einer Rechtsphilosophie“. Zu deren systematischer Ausarbeitung ist es jedoch nicht gekommen. In seiner Habilitationsschrift über „Naturalimus und Wertphilosophie im Strafrecht“ aus dem Jahre 1935 hatte Welzel gegen die „sinnlose, brutale Wirklichkeitskonstruktion des naturalistischen Positivismus“ eine Rückkehr zum „Sein“, eine „neue Metaphysik“, eine „metaphysische Anthropologie und metaphysische Wertlehre“, durch die „über die schroffe Kluft von Denken und Sein, Wert und Wirklichkeit hinweg zu tieferen Einheiten“ zu gelangen sei, gefordert. 12 Er distanzierte sich zwar deutlich vom Neuhegelianismus, jedoch ist der Vorbildcharakter Hegels für die „gesuchte Wert – Wirklichkeitssynthese“ offenkundig. 13 Demgengenüber argumentierte Welzel in der nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen Naturrechtskritik aus einer auf die Trennung von Sein und Sollen abstellenden Position heraus. 14 Später formulierte er dies positiv dahin, daß die „Natur“ erst durch menschliche „Sinnentwürfe“, die „Deutungsversuche des transzendenten Sollens im Jetzt und Hier der geschichtlichen Situation sind“, Sinn und Wert erhalte. 15 In diesem Zusammenhang finden sich Berührungspunkte mit seinem strafrechtsdogmatischen Ansatz. Im Schlußkapitel „Was bleibt?“ der 4. Aufl. des Naturrechts heißt es: „Aber nicht nur vom Charakter des Sollensrufes her, sondern auch von den zu deutenden Seinsstrukturen aus sind den Sinnentwürfen immanente Grenzen gesetzt. Denn die Seinssachverhalte sind den Sinndeutungen vorgegeben; darum sind diese an jene gebunden.“ Es ging ihm dabei um den Bereich der „sachlogischen Strukturen“. Starke Beachtung haben auch seine Gedanken zur Demokratietheorie gefunden. Den Wert der Demokratie sieht er vor allem darin, daß sie die Staatsform ist, in welcher der geistige Kampf um die richtige Sozialordnung nicht abgeschnitten wird. 16 5. Der zunehmende zeitliche Abstand von den Geschehnissen der NS-Zeit und das Fehlen eigener Erfahrungen der mittleren und jüngeren westdeutschen Generation mit dem Leben in einem totalitären Regime bringt es mit sich, daß die Suche nach braunen Flecken in der Vergangenheit wissenschaftlicher Koriphäen der Nachkriegszeit ein aktuelles Betätigungsfeld bildet. In einem in letzter Zeit erschienenen Buch über die Rechtsphilosophie Welzels hält es der Autor sogar 12

Vgl. Welzel, Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975, S. 29, 118 f., auch S. 104 f., 113, 190. 13 (Fn. 12), S. 87 Fn. 74a sowie S. 86. 14 Loos, in: ders., Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, 1987, S. 486, 505 Fn. 116 weist darauf hin, daß auch schon der frühe Aufsatz über „Wertungen im Strafrecht“ (Fn. 1) von einer solchen Trennung ausging. 15 Welzel, Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, 1964 (abgedruckt auch in: Erinnerungsgabe für Grünhut, S. 182 ff. insbes. 184 f. 16 (Fn. 11), 4. Aufl. 1962, S. 251 f. Naher darüber Loos (Fn. 14), S. 507 f.

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für wissenschaftlich weiterführend, Welzels Personalakten zu untersuchen. 17 Es bestätigte sich dabei, wie jeder Kenner ohnedies wußte, daß Welzel, der seit 1937 Professor in Göttingen war, sich im Dritten Reich nicht exponiert hat. Er verhielt sich wie Millionen andere vielmehr so, daß er seine Familie – er hatte damals drei Kinder –, sich und seinen (wissenschaftlichen) Arbeitsplatz nicht in Gefahr brachte. Politisch trat er nicht hervor. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten hat der damalige Zeitgeist nur wenig Niederschlag gefunden. Nicht von ungefähr war Welzel nach dem Krieg der erste Dekan der Göttinger Juristischen Fakultät. Der Staatsrechtler Rudolf Smend, den die Nationalsozialisten vom Berliner Lehrstuhl entfernt und nach Göttingen zwangsversetzt hatten, bemerkte in einem von ihm 1947 erstatteten Gutachten 18 zur Haltung Welzels, daß er in diesem recht schnell einen Gesinnungsgenossen in der ablehnenden Haltung zum Regime gefunden habe. 6. So kontrovers manche seiner Thesen weiterhin diskutiert werden, gehört Welzel unumstritten zu den Großen unserer Wissenschaft im zurückliegenden Jahrhundert. Bockelmann hat, als es 1950 um die Abwendung eines an Welzel ergangenen Hamburger Rufes ging, an den Göttinger Dekan geschrieben: „Herr Welzel ist der erste und schlechthin führende Vertreter der deutschen Strafrechtswissenschaft der Gegenwart ... meine Überzeugung ist, daß seit den Tagen von Binding und v. Liszt Herr Kollege Welzel der erste ist, dessen Arbeiten auf dogmatischem Gebiet Epoche gemacht haben.“ 19 Den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Aktivität erreichte Welzel in den Göttinger Nachkriegsjahren. Der folgende Bonner Lebensabschnitt wurde dann mehr und mehr zu einer Zeit der Ernte. Die deutsche Strafrechtswissenschaft hat ihm über sein wissenschaftliches Werk hinaus zu verdanken, daß er das infolge der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs zurückgegangene Interesse des Auslands an deutscher Strafrechtstheorie wieder weckte. Die Neuartigkeit seiner Gedanken bewirkte, daß bereits seit der ersten Hälfte der 50er Jahre eine Vielzahl ausländischer Stipendiaten und Besucher zu Welzel kamen. Den weltweiten Kontakten, die dann vor allem von Jescheck und später auch durch Vertreter der nachfolgenden Generation ausgebaut worden sind, ebnete er wissenschaftlich den Weg. Aus heutiger Sicht vermißt man bei Welzel vielleicht etwas das Interesse für Kriminalpolitik. Die akzentuierte Ausrichtung auf die Dogmatik entsprach aber dem damals üblichen. Ohnehin bildet die Strafrechtsdogmatik das Hauptgebiet der Strafrechtswissenschaft, und die Fächerverbindung von Strafrecht und Rechtsphilosophie hat sich für Dogmatiker immer als besonders fruchtbar erwiesen. 17 Siehe Oliver Sticht, Sachlogik als Naturrecht? Zur Rechtsphilosophie Hans Welzels, 2000, S. 25 ff. Besprochen worden ist das Buch durch Jakobs, GA 2001, 492 ff. und Loos, ZStW 114 (2002), 674 ff. 18 Siehe Sticht (Fn. 17), S. 27. 19 Siehe Loos (Fn. 14), S. 491.

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Welzel war zudem bei aller Freude an theoretischer Konstruktion und bei aller Scharfsinnigkeit durchaus der Praxis zugewandt. Seine Erfolge in Rechtsprechung und Gesetzgebung beruhen nicht zuletzt darauf, daß die von ihm präsentierten Ergebnisse ebenfalls in praktischer Hinsicht überzeugten. Im übrigen ist Welzel auch ein überragender wissenschaftlicher Lehrer gewesen. Sieben Schüler hat er zur Habilitation geführt (Stratenwerth, Armin Kaufmann, Geilen, Hirsch, Schreiber, Jakobs und Loos). Assistent bei ihm zu sein, bedeutete, sich auch bei der täglichen Arbeit stets strengen Maßstäben zu unterwerfen. Kritische Äußerungen von ihm konnten sehr scharf sein – ebenso wie gegenüber ihm mißfallenden Veröffentlichungen von Kollegen. Man lernte fachlich außerordentlich viel. Auf der anderen Seite zeigte Welzel immer wieder sehr fürsorgliche, ja väterliche Züge. Zudem war er stets offen für weiterführende Gedanken, auch wenn sie Korrekturen an seiner eigenen Auffassung vornahmen oder außerhalb seiner unmittelbaren Forschungsgegenstände lagen. Eine wissenschaftliche Welzel-Schule im eigentlichen Sinne hat sich daher nicht gebildet. Die Schüler haben sich vielmehr unterschiedlichen Interessengebieten zugewandt. Einig ist man sich aber im Dank an einen großen Lehrer, der unser Verständnis von Wissenschaft und Universität entscheidend geprägt hat. Angesichts der tiefen Spuren, die Hans Welzel in der Wissenschaft hinterlassen hat, kann als sicher gelten, daß auch am 150. Geburtstag noch seiner gedacht wird.

Nachruf für Paul Bockelmann 1988 Am 26. September 1987 ist Paul Bockelmann im 79. Lebensjahr in GarmischPartenkirchen verstorben. Mit ihm hat die Strafrechtswissenschaft eine herausragende Persönlichkeit verloren, die auf die wissenschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte bedeutenden Einfluß genommen hat. Er war seit 1951 Mitherausgeber dieser Zeitschrift und hat sich auch um sie bleibende Verdienste erworben. Paul Bockelmann wurde am 7. Dezember 1908 in Hannover geboren. Er studierte in Freiburg und Berlin. Sein Interesse galt anfänglich der Germanistik; dann wandte er sich der Rechtswissenschaft zu. Die Promotion erfolgte 1935 bei Kohlrausch in Berlin. Als dessen Schüler und Assistent habilitierte er sich 1938 an der Berliner Juristischen Fakultät für die Fächer Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie. Im Jahre 1940 wurde er zum außerordentlichen und 1942 zum ordentlichen Professor in Königsberg ernannt. Nach dem Kriege lehrte er zunächst in Göttingen. Er hielt dort seit 1945 Vorlesungen und übernahm 1949 einen strafrechtlichen Lehrstuhl. Im Jahre 1952 folgte er einem Ruf nach Heidelberg. Vier Jahre später wurde er nach München berufen. Dort hat er – seit 1976 emeritiert – noch bis 1978 gelesen. Der Verstorbene war ein Gelehrter, den Breite der wissenschaftlichen Interessen, Scharfsinnigkeit der Gedankenführung, Nüchternheit und Unabhängigkeit des Urteils und Meisterschaft der Sprache auszeichneten. Sein wissenschaftliches Werk ist weit gefächert. Im Mittelpunkt stehen zahlreiche Arbeiten zu den klassischen Bereichen des Allgemeinen und des Besonderen Teils des Strafrechts sowie zum Arztrecht und zum Straßenverkehrsrecht. Darüber hinaus umfaßt das Verzeichnis seiner Schriften neben strafprozeßrechtlichen und kriminologischen Publikationen auch Abhandlungen zu rechtsphilosophischen, rechtsgeschichtlichen, staatsrechtlichen und hochschulpolitischen Themen. Aus der Vielzahl der Arbeiten sollen an dieser Stelle die wichtigsten und charakteristischsten in Erinnerung gerufen werden. Bereits die Dissertation über Hegels Notstandslehre war eine stark beachtete Abhandlung. Sie wird noch heute bei jeder grundsätzlichen Untersuchung der Notstandsproblematik herangezogen. In ihr hat Bockelmann aufgezeigt, daß das Ergebnis der Hegelschen Notstandslehre in der Begründung des objektiven Rechtfertigungsgedankens, „die – modern gesprochen – in dem Satz von der Wahrung

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überwiegender Interessen gefunden wird“, zu sehen ist, und er zeichnete außerdem nach, wie sich in den anschließenden Erörterungen der Hegelianer daneben der nur entschuldigende Notstand herausgebildet und die Differenzierungstheorie am Ende dieser Diskussion bereits feste Gestalt gewonnen hat. Für den heutigen Leser ist im Hinblick auf die im neu geschaffenen § 34 StGB verankerte Interessentheorie bemerkenswert, daß Bockelmann schon durchgehend vom Interessenabwägungsprinzip sprach. Lag diese Arbeit im Grenzbereich von Rechtsphilosophie und Strafrechtsdogmatik, so hatte die Habilitationsschrift „Studien zum Täterstrafrecht“ einen akzentuiert strafrechtlichen Gegenstand. Das in schwierigen Zeiten geschriebene Werk ist noch heute gut lesbar. Es zeigt keinen vom Zeitgeist getriebenen Autor, sondern einen nüchtern die Argumente abwägenden Wissenschaftler, womit ein auch das spätere Schaffen Bockelmanns auszeichnender Wesenszug hervortritt. Seine eingehende Untersuchung gelangte zu dem Ergebnis, daß die Auffassungen, die das Tatstrafrecht durch ein Täterstrafrecht ablösen wollten, einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Er verdeutlichte dabei die zentrale Rolle der Tatschuld und der Unrechtsbezogenheit der Schuld. Die Arbeit dürfte mit dazu beigetragen haben, daß die von zu jener Zeit einflußreichen Strafrechtlern vertretene Tätertypenlehre schon früh scheiterte. In den Göttinger Nachkriegsjahren, die er an der dortigen Universität neben Welzel verbrachte, griff er in die damalige heftige Debatte um das System der Straftat mit seiner bedeutsamen Schrift über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme (1949) ein. Er untermauerte in ihr die von den Anhängern des personalen Unrechtsbegriffs vertretene Lehrmeinung, daß Teilnahme auch auf der Grundlage der limitierten Akzessorietät eine vorsätzliche Haupttat voraussetzt – eine Auffassung, die sich bekanntlich dann auch in der Rechtsprechung durchgesetzt hat und später ausdrücklich im Gesetz verankert worden ist. Die Wichtigkeit der Abhandlung wurde einem damals schon als Student deutlich. Der Verfasser erinnert sich, im Sommersemester 1950 bei Engisch in Heidelberg und im Wintersemester 1950/51 bei Welzel in Göttingen an einem Seminar, das sie zum Gegenstand hatte, teilgenommen zu haben. Großes Interesse widmete Paul Bockelmann immer wieder dem Strafbegriff und dessen Grundlagen. In der Habilitationsschrift finden sich dazu bereits die Anstöße. Nähere Stellungnahmen enthalten mehrere Festschriftbeiträge, Zeitschriftenaufsätze und auch Vorträge. Hingewiesen sei nur auf seine Veröffentlichungen „Strafe und Erziehung“ (1950), „Vom rechten politischen Handeln. Bemerkungen zu Stifters Witiko“ (1953), „Franz von Liszt und die kriminalpolitische Konzeption des Allgemeinen Teils“ (1969) und „Zur Kritik der Strafrechtskritik“ (1976). Besonders tiefschürfend aber sind die Überlegungen in dem vor der Karlsruher Studiengesellschaft gehaltenen Vortrag über „Das Problem der Kriminalstrafe in der deutschen Dichtung“ (1967), der ebenso wie der erwähnte Festschriftbeitrag über Stifters „Witiko“ gleichzeitig die universelle Bildung des Verstorbenen

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widerspiegelt. Er sah den eigentlichen Sinn der Strafe in der „Sühnung“. Alle Strafrechtspflege könne „selbst die bescheidenen Wirkungen, die ihr nach der Natur der Dinge überhaupt beschieden sein können, nur dann hervorbringen ..., wenn sie sich wenigstens zum Ziel setzt, mit der Strafe noch mehr zu erreichen als die Vergeltung von Schuld, die Abschreckung werdender und die Besserung gewordener Verbrecher, wenn sie sich bemüht, die Sühne, das heißt die Aussöhnung des Rechtsbrechers mit der Rechtsgemeinschaft und mit sich, dadurch zu erreichen, daß sie Urteile fällt, zu denen der Verurteilte, selbst zur Entscheidung aufgerufen und zu aufrichtiger Antwort gewillt, sagen müßte, was der Prinz von Homburg zu seinem Richter sagt: Du tust mir recht!“ Auch grundsätzliche Probleme der Notwehr haben ihn wiederholt beschäftigt. Dabei war er bemüht, die herkömmlichen Positionen gegenüber den auf stärkere Einschränkung gerichteten neueren Auffassungen zu verteidigen. Seine Standpunkte zu den allgemeinen Lehren hat Bockelmann in seinem 1973 in 1. Aufl. erschienenen Grundriß des Allgemeinen Teils zusammengefaßt. Er vertritt dort die personale Unrechtslehre, also das inzwischen zur herrschenden Lehre gewordene Straftatsystem. Im Unterschied zu Welzel, der es von der Handlungslehre her entwickelt hatte, meinte er jedoch, daß der Handlungsbegriff nicht dazu tauge, um aus ihm wichtige Systemfragen der Verbrechenslehre zu deduzieren. Ausschlaggebend sei vielmehr, daß die Normen des Strafrechts sozialethisch begründete Unwerturteile stützen sollen. Deshalb gehe es allein um die Frage, welche Art von Umständen die das rechtliche Unwerturteil stützende spezifische Fehlerhaftigkeit menschlichen Verhaltens ausmachen, und das seien in erster Linie Vorsatz und Fahrlässigkeit. Auch derjenige, den diese Begründung des personalen Unrechtsbegriffs nicht befriedigt, wird die Übereinstimmung in den Ergebnissen aber als das Wesentliche ansehen. Der Grundriß ist inzwischen in vier Auflagen erschienen, die letzte bereits betreut von seinem Schüler Volk. Hinsichtlich des Besonderen Teils galt Bockelmanns Hauptinteresse den mit dem Arztrecht zusammenhängenden Fragen und den Vermögensdelikten. Seine Arbeiten zum Arztrecht, die nicht selten über die strafrechtlichen Aspekte hinausgreifen, fanden stärkste Beachtung. Seit seinem Gutachten für den 44. Deutschen Juristentag, das die Frage behandelte, ob sich eine gesetzliche Regelung der ärztlichen Aufklärungspflicht empfiehlt, hat sich Bockelmann dem Arztrecht schwerpunktmäßig zugewandt. Im Zentrum steht dabei der bedeutende Beitrag „Strafrecht des Arztes“ zum Ponsoldschen Lehrbuch (1967), der ein Jahr später auch als selbständige Schrift erschienen ist. In dieser glänzenden Abhandlung zeigt sich Bockelmann als hervorragender Kenner aller einschlägigen Bereiche. Seine Ausführungen lassen hier ebenso wie in seinen zahlreichen anderen arztrechtlichen Stellungnahmen das Bestreben erkennen, das zwischen Ärzteschaft und Juristen entstandene Spannungsverhältnis zu entschärfen und das zwischen Arzt und Patient notwendige Vertrauensverhältnis nicht durch sachwidrige recht-

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liche Lösungen zu beeinträchtigen. Dementsprechend wandte er sich gegen die Übertreibungen der Judikatur bei der ärztlichen Aufklärungspflicht und gegen die von der Praxis vertretene Auffassung, daß der lege artis vorgenommene ärztliche Heileingriff eine tatbestandsmäßige und nur durch Einwilligung gerechtfertigte Körperverletzung sei. Außerdem befaßte er sich in der genannten Abhandlung eingehend mit den damals ins Blickfeld tretenden strafrechtlichen Aspekten der Organtransplantation. In diesem Zusammenhang begründete er eingehend, daß kein Anlaß und keine Möglichkeit besteht, den rechtlichen Begriff des Todes anders als die heutige Medizin zu bestimmen, nämlich durch den Zeitpunkt, in dem die Hirnfunktion erlischt. Mit Entschiedenheit wandte er sich ferner gegen den Gedanken, die direkte aktive Euthanasie für straflos zu erklären. Mit gleichem Nachdruck sprach er sich aber auch gegen die Zulässigkeit des Unterlassens ärztlicher lebensverlängernder Maßnahmen aus. So sei dem Arzt die Anwendung analeptischer Mittel ebenso unerbittlich geboten, wie ihm die Anwendung der tödlichen Injektion verboten sei. Es gehe nicht an, Unterschiede nach Maßgabe differenzierter Sachgestaltungen zu machen. Das Vertrauen zur Ärzteschaft höre auf, wenn die Rechtsordnung dem einzelnen Arzt auch nur für Ausnahmefälle die Befugnis einräume, derartige Entscheidungen zu treffen. Diese Stellungnahme Bockelmanns beeindruckt durch ihre Absolutheit und durch ihre Sorge um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, auch wenn sie, wie wir heute wissen, den differenzierte Lösungen verlangenden Problemen des Behandlungsabbruchs nicht gerecht zu werden vermag. Bockelmanns Auffassungen wurden von der Ärzteschaft oft mit denen des Strafrechts gleichgesetzt, wie sich häufig in Diskussionen zwischen Strafrechtlern und Ärzten zeigte. Er galt unter Juristen und Ärzten als die Autorität auf dem Gebiet des Arztrechts. Die diffizilen Fragen der Vermögensdelikte zogen Bockelmann ebenfalls an. Seine Aufsätze über den Unrechtsgehalt des Betruges, die Behandlung unvollkommener Verbindlichkeiten im Vermögensstrafrecht, den Betrug verübt durch Schweigen und über kriminelle Gefährdung und strafrechtlichen Schutz des Kreditgewerbes bestechen durch große Scharfsinnigkeit der Erörterungen. Auch seine Ansichten zu Fragen des Besonderen Teils hat Bockelmann in Grundrissen zusammengefaßt, in denen seine Fähigkeit, die Dinge auf die wesentlichen Punkte zurückzuführen und den Stoff knapp und gleichwohl klar darzustellen, besonders hervortritt. Aus seinen weiteren Publikationen sind neben den verkehrsrechtlichen Aufsätzen, die 1967 auch in einem Sammelband erschienen sind, und der grundlegenden Schrift über die Unverfolgbarkeit der Abgeordneten nach deutschem Immunitätsrecht (1951) noch eine Reihe von Abhandlungen mit allgemeiner juristischer Thematik hervorzuheben. Hierher gehört sein bedeutsamer Beitrag zur Festschrift für Smend (1952). In ihm schilderte er die historische Entwicklung des Verhältnisses von

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Richter und Gesetz. Er zeigte auf, daß der Richter seit der Entscheidung des Reichsgerichts zur Hypothekenaufwertung (1924) „die Rolle eines Gesetzesdieners aufgegeben und sich zum Herrn des Gesetzes gemacht“ hat. Bockelmann erachtete diese Entwicklung als verhängnisvoll. Sie sei zwar unvermeidlich gewesen, habe aber sicher den Richtern auf die Dauer die schwersten Nachteile gebracht. Er veranschaulichte dasim einzelnen ander Situation derRichterschaftin der Hitlerzeit. Damit widerlegte er schon früh die noch heute teilweise gepflegte Legende, die Richter seien damals Opfer ihrer gesetzespositivistischen Einstellung geworden. Bockelmanns geistige Souveränität tritt auch eindrucksvoll in seinem Festschriftbeitrag über das Thema „Rechtsreform im Zeichen des ‚mündigen‘ Menschen“ (1972) hervor. In ihm heißt es: „Daß das Heil des einzelnen und das Wohl des Ganzen von einer ... Ausbalancierung der Rechte und Pflichten abhängt, ist eine uralte Weisheit. Das Vermögen, dies einzusehen, ist das eigentliche Kennzeichen der Mündigkeit des Menschen.“ Betrachtet man das literarische Werk Bockelmanns in seiner Gesamtheit, so fällt neben der Vielfalt der Interessen die universelle Bildung – etwa hinsichtlich der schöngeistigen Literatur –, die Geschliffenheit der Darstellung, der große Scharfsinn, die Klarheit der Argumentation und die Konzentration auf das Wesentliche auf. Er war kein Autor, der seine Aufgabe darin sah, den Zeitgeist in juristischen Konstruktionen einzufangen. Ein Schüler von ihm hat ihn in einem Nachruf treffend als einen Menschen charakterisiert. dessen Art es nicht war, unreflektiert dem Modernen zu huldigen, dessen Bestreben bei der Bewältigung der Gegenwartsprobleme vielmehr dahin ging, das Bewährte zukunftsorientiert zu bewahren. Paul Bockelmann war auch ein brillanter akademischer Lehrer. Seine Lehrveranstaltungen erfreuten sich großen Zulaufs. Wer wie der Verfasser als Student bei ihm gehört hat, wird sie zu den nachhaltigsten Eindrücken seines Studiums zählen. Bockelmann vermochte durch seine meisterhafte Formulierungskunst, bei gleichzeitiger Klarheit und gedanklicher Tiefe der Ausführungen, jedes Auditorium ungewöhnlich zu fesseln. Mir ist kein anderer Rechtslehrer begegnet, der sich hierin mit ihm hätte messen können. Die Faszination, die von seinem Vortrag ausging, war einfach unübertrefflich. Es verstand sich von selbst, daß Paul Bockelmann im Jahre 1951, als die Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft nach kriegsbedingter Unterbrechung wieder erscheinen konnte, in den Kreis der Herausgeber einbezogen wurde. Er lieferte auch den ersten Beitrag zu dem den Neubeginn bildenden Band 63. Der interessante Aufsatz enthält eine kritische Erörterung der Schuldlehre, die der Oberste Gerichtshof für die britische Zone bei der Anwendung des berühmten (rückwirkenden) Kontrollratsgesetzes Nr. 10 zugrunde gelegt hat. In den weiteren Jahrgängen der Zeitschrift hat er sich der mühsamen und undankbaren Aufgabe des Literaturberichterstatters gewidmet, und zwar zum Be-

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sonderen Teil. Seine Berichte zeichnen sich ebenso durch Knappheit und Klarheit wie durch unvoreingenommene und überzeugende Stellungnahmen aus. Auch hat er weitere große Aufsätze in der ZStW veröffentlicht. Sie behandeln Fragen aus seinen schon erwähnten Hauptinteressengebieten. Hervorzuheben sind neben den bereits genannten Aufsätzen über „Franz von Liszt und die kriminalpolitische Konzeption des Allgemeinen Teils“ (ZStW 81 [1969], S. 597) und über „Kriminelle Gefährdung und strafrechtlicher Schutz des Kreditgewerbes“ (ZStW 79 [1967], S. 28) die Abhandlung über „Willensfreiheit und Zurechnungsfähigkeit“ (ZStW 75 [1963], S. 372) und seine letzte große Veröffentlichung: der eindrucksvolle Beitrag zum Centenarium der ZStW über das Thema „Der ärztliche Heileingriff in Beiträgen zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft im ersten Jahrhundert ihres Bestehens“ (ZStW 93 [1981], S. 105). Paul Bockelmann hat in der ZStW durch seine Beiträge markante Spuren hinterlassen und zum Fortbestand des wissenschaftlichen Renommees der Zeitschrift wesentlich beigetragen. Auch für andere mit dem Fach in Zusammenhang stehende Aufgaben hat er seine Mitwirkung zur Verfügung gestellt. Besonders hervorzuheben ist hierbei seine Mitarbeit in der Großen Strafrechtskommission, von der seit 1954 der E 1960 vorbereitet worden war. Obgleich das Scheitern des Entwurfs und die dabei gegen die Kommissionsmitglieder gerichteten Angriffe eine persönliche Enttäuschung für die Beteiligten gewesen sind, konnten sie doch später mit Genugtuung feststellen, daß der dogmatische Teil des 2. StrRG weitestgehend auf ihren Vorarbeiten aufbaute und daß durch die in den Kommissionsberatungen geführten Diskussionen ein großer Klärungsprozeß der Fragen des Allgemeinen und auch des Besonderen Teils bewirkt worden ist. Bockelmanns fachlicher Rat war ebenfalls in parlamentarischen Anhörungen geschätzt; das um so mehr, als er ihn als politisch unabhängiger Fachmann erteilen konnte. Auch war er über längere Zeit Vorsitzender des Kuratoriums des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht. Sein Interesse an den Auslandsbeziehungen der deutschen Strafrechtswissenschaft trat bereits 1957 auf dem 7. Internationalen Strafrechtskongreß in Athen hervor, wo er eines der beiden deutschen Gutachten zur modernen Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme erstattete. Zu den von ihm zusätzlich übernommenen Pflichten gehörten in den siebziger Jahren außerdem die traditionell dem dienstältesten Münchener Strafrechtler obliegenden Aufgaben des Vorsitzes der Strafrechtslehrertagungen. Er bewältigte diese Funktionen in den teilweise emotional aufgeladenen Gegensätzen jenes Zeitabschnitts souverän und wahrte den Zusammenhalt der Kollegenschaft. Die wissenschaftlichen Leistungen Bockelmanns fanden ihre verdiente Anerkennung durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde seitens der Medizinischen Fakultät der Münchener Universität im Jahre 1969 und durch die 1971 erfolgte Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissenschaften.

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Die Strafrechtswissenschaft hat mit Paul Bockelmann nicht nur einen bedeutenden Strafrechtstheoretiker, sondern auch eine ihrer eindrucksvollsten Persönlichkeiten verloren. Seine Ausstrahlung, verstärkt durch Ausdruck und Tonfall seiner Sprache, wird jedem unvergeßlich bleiben, der ihn persönlich erleben durfte. Es gibt vielleicht niemanden unter den Strafrechtlern der Nachkriegszeit, der sein Weltbild so offengelegt hat wie Bockelmann. Bei den Teilnehmern an der ihm zum 70. Geburtstag überreichten Festschrift bedankte er sich mit einem Aphorismen-Band, betitelt „Abgesang“. Der Inhalt dieses Büchleins zeigt einen breit interessierten, geistig unabhängigen und nüchtern urteilenden Menschen, der die Entwicklung der Gesellschaft nicht ohne Skepsis betrachtet. Einige charakteristische Aphorismen sollen hier nicht unerwähnt bleiben: „Der Intellektuelle hat nur einen zu fürchten: den Intelligenten. (Darum kann er so sorglos leben).“ „Moral? Meinetwegen – aber Geschmack, Haltung, Contenance, Distanz!“ „Wo nichts als unbedingt gut gilt, da gilt auch nichts als unbedingt böse – daraus folgen die Schwierigkeiten der pluralistischen Gesellschaft.“ „Es gibt nichts Besseres, es gibt nur anderes, – und auch das ist zumeist nichts Neues.“ „Den Idealisten mag man bewundern oder belächeln. Den Utopisten muß man fürchten.“ „Ein Staat, in dem es Rechtsschutz nur noch für Rechtsbrecher gibt, ist kein Rechtsstaat mehr.“ „Jurist kann nur sein, wer der Einsicht standzuhalten vermag, daß die Rechtswissenschaft sowenig wie die Philosophie und die Theologie lehrt, was Gerechtigkeit ist.“ Der „Abgesang“ schließt mit den bewegenden Worten: „Über das Eigentliche spricht man nicht.“ Der Verstorbene hinterläßt nicht nur als Wissenschaftler eine sehr große Lücke. Auch der Mensch Paul Bockelmann wird allen denjenigen fehlen, die das Glück hatten, ihn näher kennenzulernen. Das wissenschaftliche Werk wird im akademischen Rahmen noch im einzelnen gewürdigt werden. Hier ließ sich nur das Wichtigste hervorheben. Mir obliegt es, Paul Bockelmann vor allem für die dreieinhalb Jahrzehnte währende Mitwirkung an der Herausgabe dieser Zeitschrift im Namen des Herausgeberkreises zu danken. Wir alle werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Nachruf für Wilhelm Gallas 1990 Am 5. November 1989 ist Wilhelm Gallas, emeritierter ordentlicher Professor für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Heidelberg und Mitherausgeber dieser Zeitschrift, nach längerer schwerer Krankheit im Alter von 86 Jahren gestorben. Die Strafrechtswissenschaft betrauert den Tod eines großen Gelehrten. Der ZStW war Gallas fast sechs Jahrzehnte aufs engste verbunden. Bereits als „Gerichtsassessor und Assistent des Kriminalistischen Instituts der Universität Berlin“ übernahm er im Jahre 1931 die Schriftleitung. Dieses Amt bekleidete er bis zum 61. Band (1942). Auch wurde er schon im Jahre 1935 Mitherausgeber der Zeitschrift, damals neben seinem Lehrer Kohlrausch und Graf Gleispach. Unter den gegenwärtigen Herausgebern war er derjenige, der am längsten dem Herausgeberkreis angehörte. Die ZStW verdankt ihm außergewöhnlich viel. Hierzu zählt, daß er als Schriftleiter in schwieriger Zeit den wissenschaftlichen Rang und das internationale Ansehen der Zeitschrift gewahrt und dadurch deren Wiederbeginn unter altem Namen im Jahre 1951 ermöglicht hat. Darüber hinaus ist von ihm die Gestaltung der ZStW bis zu seinem Tode mit wertvollen Anregungen und Ratschlägen begleitet worden. Auch hat er eine Reihe bedeutsamer Abhandlungen in dieser Zeitschrift veröffentlicht. Gallas war so etwas wie die „wissenschaftliche Seele“ der ZStW. Die von ihm gesetzten Maßstäbe sind Verpflichtung für alle, die heute und in Zukunft Verantwortung für die Zeitschrift zu tragen haben. Wilhelm Gallas wurde am 22. Juli 1903 im damaligen St. Petersburg geboren. Im Jahre 1931 promovierte er an der Berliner Universität bei Kohlrausch mit einer Dissertation zu dem Thema „Kriminalpolitik und Strafrechtssystematik unter besonderer Berücksichtigung des sowjetrussischen Rechts“. Schon im folgenden Jahr legte er seine Habilitationsschrift über „Das Wesen des strafrechtlichen Unterlassens und seine Stellung im System der Verbrechenslehre“ vor und wurde mit ihr 1933 in Berlin für die Fächer Strafrecht, Prozeßrecht und Rechtsphilosophie habilitiert. Im Jahre 1934 erhielt er einen Lehrstuhl in Gießen, 1935 folgte er einem Ruf an die Universität Königsberg, und 1940 wechselte er nach Tübingen. 1942 wurde er Ordinarius in Leipzig, wo der Krieg zunächst seine wissenschaftliche Laufbahn unterbrach. Im Jahre 1948 übernahm Gallas wieder einen Tübinger Lehrstuhl, und 1954 ging er nach Heidelberg, wo er seitdem lebte und bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1971 – teilweise noch darüber hinaus – gelehrt hat.

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Gallas war einer der führenden Köpfe der deutschen Strafrechtswissenschaft während der Mitte und der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Sein Hauptinteresse galt der Strafrechtsdogmatik, deren Entwicklung er nach dem Zweiten Weltkrieg stark beeinflußt hat. Den Schwerpunkt bildete die im Zeichen der personalen Unrechtslehre erfolgende Neugestaltung des Systems der Straftat. Vor allem durch die bedeutende Abhandlung „Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen“ (ZStW 67 [1955], S. 1), der sein auf der Tübinger Strafrechtslehrertagung 1954 gehaltenes Referat zugrunde liegt, hat Gallas auf diese Diskussion und die weitere Entwicklung erheblichen Einfluß genommen. Er war bestrebt, „eine Synthese zu finden zwischen den neuen Impulsen, die wir dem Finalismus verdanken, und gewissen unverzichtbaren Ergebnissen der vorausgehenden, vom Wert- und Zweckgedanken bestimmten Entwicklungsstufe“ der Strafrechtswissenschaft (a. a. O. S. 47). Von ihm wurde betont, daß der „eigentliche Gegensatz“ zwischen der finalen Handlungslehre und der überkommenen damaligen Systematik die Frage betraf, ob der Vorsatz eine finale Rolle schon im Unrechts- oder erst im Schuldbereich spielt (S. 32). Er schloß sich der Auffassung des „Finalismus“ an, daß der Vorsatz bereits konstitutive Bedeutung für den Unrechtstatbestand hat und sich daher vorsätzliche und fahrlässige Delikte bereits auf dieser Ebene des Delikts unterscheiden. Abweichend von Welzel meinte Gallas damals jedoch, daß eine solche Erkenntnis nicht ohne Rückgriff auf den „Unrechtssinn des Deliktstypus“ zu gewinnen sei. Zwar hatte er Welzel (ZStW 51 [1931], S. 703) bereits in der Habilitationsschrift von 1932 darin zugestimmt, daß man menschliches Tun mit der Psychologie als ein „zielstrebiges, sinnerfülltes“ Handeln zu erfassen hat (vgl. Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, 1989, S. 25). Aber Gallas war der Ansicht, daß die Stellung des Vorsatzes im System nicht, wie von der finalen Handlungslehre angenommen, allein von ontologischen Erwägungen abhänge, sondern sie sei zugleich Wertungsproblem: „Nicht, weil die Einsicht in die Seinsstruktur menschlichen Handelns für den Gesetzgeber keine Geltung hätte; vielmehr, weil eine rechtliche Bewertung der Handlung sich nicht denknotwendig auf deren final-kausale Totalität erstrecken“ müsse (ZStW 67 [1955], S. 32). Außerdem meinte Gallas, daß der Unterschied zwischen Unrecht und Schuld nur der zwischen Handlungsunwert und Gesinnungsunwert sein könne (S. 45). Dies führte ihn zu der abschließenden Frage, ob „nicht danach der Vorsatz systematisch eine doppelte Funktion habe – nämlich die, im Unrechtsbereich Träger des subjektiven Handlungssinns, der Finalität, im Schuldbereich dagegen Ausdruck der mit der bewußten Tatbestandsverwirklichung typisch verbundenen rechtsfeindlichen oder rechtsgleichgültigen Gesinnung zu sein?“ Er wies darauf hin, daß hieraus insbesondere folgen würde: Die irrtümliche Annahme einer rechtfertigenden Situation ließe zwar den Vorsatz als solchen unberührt, schlösse die Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt aber aus, weil der damit vorausgesetzte Schuldtypus in einem derartigen Ausnahmefall nicht gegeben wäre (ZStW 67 [1955], S. 46 Fn. 89).

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Mit diesem dogmatischen Konzept trug Gallas wesentlich dazu bei, daß sich die vom „Finalismus“ entwickelte neue Unrechtslehre nach und nach durchsetzte. Es ermöglichte, daß man sich für das neue Straftatsystem entscheiden konnte, ohne sich unmittelbar Welzel und der von ihm gegebenen theoretischen Grundlegung anschließen zu müssen. Auch hatte die Annahme einer doppelten Funktion des Vorsatzes den Vorzug, daß man sich weniger weit von der herkömmlichen Auffassung entfernte, die ihn ganz bei der Schuld angesiedelt hatte, Außerdem ließ sich auf solche Weise der Fall der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts weiterhin als ein das Vorsatzdelikt ausschließendes Schuldproblem einordnen. Gallas’ Auffassung, daß der neue (personale) Unrechtsbegriff normativ zu begründen sei, und seine Konstruktion des Rechtfertigungsirrtums finden sich heute überwiegend im Schrifttum. Hinsichtlich der Annahme einer Doppelfunktion des Vorsatzes ist dabei bemerkenswert, daß er – im Unterschied zu einigen gegenwärtigen Autoren – klar zwischen dem „Vorsatz als solchem“, den er ganz dem Unrechtstatbestand zuordnete, und einer zur Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt erforderlichen typischen Vorsatzschuld unterschied. Andererseits konnte seine Deutung der Schuld als „Gesinnungsunwert“ nicht auf allgemeine Zustimmung rechnen. In seinem im Jahre 1979 in der Festschrift für Bockelmann erschienenen großen Aufsatz „Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs“ hat Gallas sich später noch einmal grundsätzlichen Problemen der Unrechtslehre zugewandt. Im Unterschied zu damals rückte jetzt auch er die Handlungslehre bei der Bestimmung der Unrechtsvoraussetzungen in den Vordergrund. Er schrieb hier: Wenn „die gesetzlichen Straftatbestände bestimmte Handlungen als negative Verhaltensmodelle für verbotswidriges Tun beschreiben, so gehen sie dabei von der normalen Gestalt der Handlung als einer finalkausalen Sinneinheit aus“ (S. 159). Von daher wandte er sich mit durchschlagenden Argumenten gegen subjektivistische Tendenzen in der heutigen Unrechtslehre, die den Handlungsunwert auf den Intentionsunwert reduzieren und den im Sinne der subjektiven Versuchstheorie verstandenen untauglichen Versuch als „Prototyp strafrechtlichen Unrechts“ begreifen wollen. Gallas stellte im einzelnen klar, daß der Handlungsunwert, weil er die Handlung betrifft, diese auch „als Sinneinheit von subjektiven und objektiven Merkmalen erfassen“ muß, es also nicht lediglich darum geht, daß das „willensgesteuerte äußere Verhalten ... des Täters seinen deliktischen Tatentschluß bekundet, sondern (ihn) auch realisiert“. Von hier aus gelangte er zu der Auffassung, daß der nach geltendem Recht strafbare untaugliche Versuch einen „Sonderfall“ darstelle, bei dem die Intentionsrealisierung schon an der Unrealisierbarkeit des Tatplans scheitert (a. a. 0.). Gallas deutete damit bereits Zweifel an, ob die in § 23 Abs. 3 StGB vorausgesetzte subjektive Versuchstheorie überhaupt in ein tatstrafrechtliches System hineinpaßt – eine Frage, die inzwischen Gegenstand lebhafter Diskussion ist. Betrachtet man diesen späteren Aufsatz, so zeigt er methodisch eine gewisse Annäherung an den „Finalismus“ Welzelscher Prägung. Gallas war kein Nor-

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mativist in dem einseitigen Sinne, wie der Normativismus von den heutigen Neonormativisten verstanden wird. Vielmehr hatte er schon – wie erwähnt – in seiner Abhandlung von 1955 gesagt, daß Seinsstrukturen durchaus Geltung für den Gesetzgeber beanspruchen, nur dürfe nicht allein auf ontologische Erwägungen abgestellt werden. Letztlich beschränkte sich der wahre Gegensatz wohl auf die Frage, bis zu welcher Grenze ontische Strukturen rechtliche Beachtung beanspruchen und von wo an normative Gesichtspunkte deren Geltungsanspruch einschränken dürfen. Nahe stand Gallas dem „Finalismus“ auch in seinen bedeutsamen Untersuchungen zur Teilnahmelehre. In seinem im Rahmen der Vorarbeiten zur Strafrechtsreform erstatteten Gutachten „Täterschaft und Teilnahme“ (1954) und in seinem für den VII. Internationalen Strafrechtskongreß (Athen 1957) verfaßten Gutachten „Die moderne Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht“ schloß er sich der Auffassung an, daß sich die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf das sachliche Kriterium der Tatherrschaft stützt und daß die Teilnahme auch im Rahmen der limitierten Akzessorietät eine vorsätzlich begangene Haupttat voraussetzt. Durch seine klare und tiefschürfende Beweisführung hat er Wesentliches zur Durchsetzung dieser Einsichten beigetragen. Zu den von Gallas behandelten zentralen Themen des Unrechtsbereichs gehörten auch die Probleme des Unterlassungsdelikts. Mit ihnen hat er sich in seiner bereits erwähnten Habilitationsschrift von 1932 über das Wesen des strafrechtlichen Unterlassens und später in seinem 1963 vor der Karlsruher Juristischen Studiengesellschaft gehaltenen Vortrag über „Die Garantenpflicht des Unterlassungstäters“ näher befaßt. Beide Arbeiten sind noch kurz vor seinem Tode veröffentlicht worden (Studien zum Unterlassungsdelikt, 1989, S. 1 ff., 67 ff.). In der Habilitationsschrift wird die sachliche Verschiedenheit von Handeln und Unterlassen klar herausgearbeitet. Gallas widerlegt im einzelnen die Auffassungen, die von einer Kausalität des Unterlassens ausgehen wollen. Auch wendet er sich gegen die Ansicht, man könne in dem Begriff des „Verhaltens“ ein Tun und Unterlassen umfassendes einheitliches Unrechtssubstrat finden (S. 38 ff.). Mit diesem Begriff sei für den Aufbau der Verbrechenslehre sachlich nichts gewonnen: „Das Verhältnis Mensch- Umwelt, das hier als der verbindende Gesichtspunkt erscheint, ist ja in Wahrheit nur das Kriterium, an dem gemessen Tun und Unterlassen sich gerade unterscheiden! Der Dualismus der bei den Verbrechensformen wird also verschwiegen, nicht aber durch ein übergeordnetes sachliches Prinzip überwunden“ (S. 39 f.). Man kann nur wünschen, daß diese bereits vor sechs Jahrzehnten getroffene Feststellung nun nach dem Erscheinen der Abhandlung endlich Allgemeingut wird. Gallas wollte die Brücke zum Handlungsdelikt übrigens in der Weise schlagen, daß er in einer „geisteswissenschaftlich-teleologischen Betrachtung“ den „positiven Gehalt“ des Unterlassens in einer „störenden Wirkung auf die soziale Ordnung“ sah und hier in dann den gemeinsamen Gehalt von Handlungsund Unterlassungsdelikt erachtete (S. 57 f.).

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Im Karlsruher Vortrag setzte sich Gallas für eine Einschränkung des Katalogs der Garantenstellungen ein: Abgesehen von der Verletzung von Sorgepflichten im Eltern-Kind-Verhältnis vermöge nur die Verletzung von Garantenpflichten aus der Übernahme einer Garantenstellung und aus vorangegangenem gefährlichen Tun eine Strafbarkeit wegen Begehung durch Unterlassen zu begründen. Er führte hierzu an, daß nur solche Fälle der Garantenpflichtverletzung eine Bestrafung als unechtes Unterlassungsdelikt wirklich erforderten und daß sich nur mit Hilfe eines sachlich verstandenen Garantenbegriffs eine Entwicklung aufhalten lasse, welche die Grenzen zwischen Recht und Moral immer mehr zu verwischen drohe (Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 94 f.). Auch wenn es zu einer so weitgehenden Einschränkung nicht gekommen ist, hat dieser Vortrag doch jedenfalls restriktive Tendenzen in der Rechtsprechung des BGH im Gefolge gehabt. Ein zweiter Schwerpunkt der dogmatischen Interessen von Gallas lag bei den Straftheorien. Schon in seiner Doktorarbeit über „Kriminalpolitik und Strafrechtssystematik“ wandte er ihnen seine besondere Aufmerksamkeit zu. Max Grünhut hat in einer Rezension (ZStW 52 [1932], S. 353) die organische Verknüpfung von General- und Spezialprävention sowie die klare Erfassung der unterschiedlichen Auswirkungen der Präventionsziele auf das Strafrechtssystem hervorgehoben. Besonders bedeutsam und einflußreich war die Stellungnahme, die Gallas auf der Münsteraner Strafrechtslehrertagung 1967 vorgetragen hat. Sein großes Referat „Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs“ (ZStW 80 [1968], S. 1) enthielt neben wichtigen Ausführungen zu Einzelfragen des Allgemeinen Teils vor allem Überlegungen zur zugrunde zu legenden Straftheorie. Sie kann man heute in den Grundlagen des § 46 StGB und in der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGHSt. 24, 40, 42) wiederfinden. Gallas führte aus: „Der Sinn der Strafe wird nicht durch das mit ihrer Anwendung angestrebte Präventionsziel, sondern durch den Gedanken bestimmt, daß mit ihr der Täter die verdiente mißbilligende Antwort der Rechtsgemeinschaft auf das von ihm begangene schuldhafte Unrecht erfährt und dadurch die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung und die Verantwortlichkeit des Täters für ihre Verletzung demonstriert werden. Innerhalb einer säkularisierten und freiheitlichen Gesellschaft ist jedoch die Androhung und Verhängung der Strafe nicht schon durch diesen ihren Sinn oder immanenten Zweck legitimiert, kann es nicht ihre Aufgabe sein, Schuldausgleich und Gerechtigkeit um ihrer selbst willen zu üben. Ihr Einsatz als staatliche Reaktion auf das Verbrechen wäre vielmehr erst dann gerechtfertigt, wenn sie sich gerade in ihrer Eigenart als schuldangemessene Antwort auf den Rechtsbruch zugleich als ein wirksames und für den Rechtsschutz unentbehrliches Mittel der Prävention erwiese. Daß dies aber der Fall ist, läßt sich schwerlich bestreiten“ (S. 3). Hinsichtlich weiterer Veröffentlichungen zum Allgemeinen Teil ist vor allem an die Heidelberger Rektoratsrede über „Gründe und Grenzen der Strafbarkeit“ (Heidelberger Jahrbücher IX, 1965, S. 1) sowie die Aufsätze über „Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund“ (Festschrift für Mezger, 1953, S. 311) und

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„Abstrakte und konkrete Gefährdung“ (Festschrift für Heinitz, 1972, S. 171) zu erinnern. Auch zur Entwicklung des Besonderen Teils hat Gallas wichtige Untersuchungen beigesteuert. Viel beachtet worden ist sein Aufsatz über „Strafbares Unterlassen im Falle einer Selbsttötung“ (JZ 1960, 649, 686), in dem er sich sehr eingehend mit der Frage befaßte, ob es ein Recht auf Selbsttötung gibt oder ob der Selbstmord ein rechtswidriges oder ein unverbotenes Verhalten darstellt. Er verneinte überzeugend die beiden erstgenannten Möglichkeiten und wandte sich gleichzeitig in eingehenden Erörterungen gegen die – bis in die Gegenwart – unscharfe Rechtsprechung zur Abgrenzung von strafbarem und straflosem Unterlassen eines „Garanten“ bei einer Selbsttötung. Sein starkes Interesse an Problemen der Unterlassungsdelikte trat außerdem in dem für das Bundesministerium der Justiz erstatteten Gutachten zur Revision des Tatbestandes der unterlassenen Hilfeleistung hervor (JZ 1952, 396). Besonderer Erwähnung bedarf auch der Aufsatz „Der Betrug als Vermögensdelikt“ (Festschrift für Eberhard Schmidt, 1961, S. 401). In ihm behandelte Gallas wegweisend zentrale Probleme des Betrugstatbestandes. Seine Auseinandersetzung mit dem rein wirtschaftlichen Vermögensbegriff der Rechtsprechung und seine der – von Nagler begründeten – juristisch-ökonomischen Vermittlungslehre nahestehenden Ergebnisse trugen wesentlich zu deren späterer Durchsetzung im Schrifttum bei. Auch ordnete er erstmalig den Gesichtspunkt der sozialen Zweckverfehlung dem Vermögensschaden zu – ein Gedanke, der alsbald breite Beachtung fand und bis heute Gegenstand von weiter vertiefenden Überlegungen ist. Außerdem ist zu erinnern an den in der Festschrift für Engisch (1969, S. 600) veröffentlichten Beitrag über die „Verleitung zum Falscheid“, in dem Gallas sich mit ebenso scharfsinnigen wie systematisch klaren Argumenten gegen die in BGHSt. 21, 116 vertretene Auffassung gewandt hat, daß vollendete Verleitung zum Falscheid auch dann vorliege, wenn der zum falschen Schwören Veranlaßte entgegen der Annahme des Veranlassers nicht gutgläubig, sondern vorsätzlich falsch schwört. Schon früher hatte Gallas sich mit den Aussagedelikten befaßt, und zwar hinsichtlich des „Begriffs der ‚Falschheit‘ der eidlichen und uneidlchen Aussage“ (Festgabe für Kern, GA 1957, 315). Überzeugend wies er darauf hin, daß die Tatbestandsmäßigkeit der Aussagedelikte einen Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht der Aussageperson voraussetzt. Jedoch meinte er, daß dies bereits eine Frage des objektiven Tatbestandsmerkmals „falsch“ sei und deshalb insoweit gute Gründe für die subjektive Theorie sprächen, während die heute herrschende Lehre zu der wohl stimmigeren Lösung gefunden hat, daß an der objektiven Theorie festzuhalten ist und die Pflichtwidrigkeit sich bei den vorsätzlichen Aussagedelikten aus dem auf die objektive Unwahrheit gerichteten Tatbestandsvorsatz ergibt und beim fahrlässigen Falscheid mit der zum Tatbestand gehörigen Sorgfaltswidrigkeit identisch ist. Gallas griff auch in die Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre lebhaft geführte Persönlichkeitsschutzdebatte ein. In seinem Beitrag „Der Schutz der Per-

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sönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches (1962)“ (ZStW 75 [1963], S. 16) ging es vor allem um die von ihm befürwortete Einführung eines Indiskretionsdelikts. Das damalige Engagement für den Persönlichkeitsschutz ist dann leider durch die bis in die Gegenwart anhaltende weitere Entwicklung, in welcher dieser strafrechtliche Aufgabenbereich sich faktisch noch immer weiter verschlechtert hat, enttäuscht worden. Daß Gallas ein sehr guter Kenner ebenfalls des Strafprozeßrechts gewesen ist, zeigen zwei frühe Arbeiten. In der einen befaßte er sich mit den „Grenzen zulässiger Verteidigung im Strafprozeß“ (ZStW 53 [1934], S. 256). Gegenüber der im autoritären Staat gefährlichen Inanspruchnahme des Verteidigers als „Organ der Rechtspflege“ stellte er sich unbeirrt auf die Seite einer Institution, die ihre Funktion gerade auch dadurch erfüllt, daß sie „Partei nimmt“ (S. 262 f.). Bei der anderen Arbeit handelt es sich um seinen tiefschürfenden Aufsatz „Zur Struktur des kommenden Strafverfahrens“ (ZStW 58 [1939], S. 624). Jescheck hat schon einmal hervorgehoben (ZStW 95 [1983], S. 281, 283), daß Gallas dem Bericht der damaligen amtlichen Strafprozeßkommission dort zugestimmt hat, wo diese an den Grundprinzipien des rechtsstaatlichen Verfahrens festhielt (Verteilung der Strafverfolgung und der Sachentscheidung auf verschiedene Träger, Anklageprinzip, Unabhängigkeit des Richters, mündliche und unmittelbare Hauptverhandlung), und überall dort Kritik geübt hat, wo die Vorschläge sich davon entfernt haben (Beseitigung des Klageerzwingungsverfahrens, Streichung des Eröffnungsbeschlusses, Abschaffung des Katalogs der Ablehnungsgründe für Beweisanträge). Daß Gallas sich später ganz dem materiellen Strafrecht zuwandte, lag im Zuge der allgemeinen Entwicklung, die bis Mitte der siebziger Jahre die Aufmerksamkeit weitestgehend auf die materiellrechtlichen Fragen und die Reform des Strafgesetzbuchs lenkte. Zu Gallas’ Arbeitsgebieten gehörte auch die Rechtsphilosophie. Besonders hervorzuheben ist die in den Sitzungsberichten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften erschienene Untersuchung „P.J.A. Feuerbachs Kritik des natürlichen Rechts“. Der Verstorbene war ein Gelehrter von höchstem fachlichen Ansehen und dementsprechendem wissenschaftlichen Einfluß. Dabei ist bemerkenswert, daß die Resonanz, die er fand, nicht durch ein von ihm verfaßtes Lehrbuch oder einen von ihm betreuten Kommentar und auch nicht durch eine besonders große Anzahl anderweitiger Publikationen begründet worden ist. Bockelmann hat deshalb in seiner Laudatio zum 70. Geburtstag (JZ 1973, 469) treffend bemerkt, daß es „in unserem Zeitalter der wissenschaftlichen Graphomanie keinen kriminalistischen Autor gibt, dessen wissenschaftliche Bedeutung so sehr wie die von Gallas auf dem Gewicht und nicht auf der Zahl seiner Arbeiten beruht“. Diese Zahl ist zwar durchaus nicht klein. Auch handelt es sich bei den oben genannten nur um die wohl wichtigsten. Aber es ist unverkennbar, daß er sich bei seinen Veröffentlichungen von der Maxime „non multa sed multum“ leiten ließ. Alle seine

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Arbeiten zeigen, daß sie das Ergebnis intensivsten Nachdenkens und sorgfältigsten wissenschaftlichen Vorgehens sind. Gallas veröffentlichte nur Manuskripte, in denen er wirklich neue Überlegungen und Ergebnisse vermitteln konnte, und zwar durchweg zu sehr anspruchsvollen Themen. Sich selbst gesetzte strenge fachliche Maßstäbe und das unermüdliche weitere geistige Befassen und Ringen mit der Lösung eines in Angriff genommenen Problems ließen ihm die Dinge leicht als noch unfertig und ihn selbst noch nicht befriedigend erscheinen, so daß er mit mancher literarischen Äußerung gezögert haben mag. Was er publiziert hat, ist deshalb ausnahmslos von erlesener Qualität. Es besticht durch tiefgründiges, scharfes, alle Aspekte abwägendes und stets konsequentes Denken. Die Arbeiten verbinden dabei aufs vorbildlichste eine straffe, disziplinierte Gedankenführung und eine bewunderungswürdige Klarheit. Größer noch als der Einfluß, der von seinen Veröffentlichungen ausging, war der, den er als Mitglied der Großen Strafrechtskommission auf die Strafrechtsreform ausgeübt hat. Jescheck weist schon in der zum 80. Geburtstag in dieser Zeitschrift erschienenen Würdigung (ZStW 95 [1983], S. 281) darauf hin, daß Gallas in der Kommission in Referaten und Diskussionsbemerkungen durch seine Stoffbeherrschung und Darstellungskunst, seine wissenschaftliche Exaktheit und seinen Ideenreichtum seine wohl größte Wirksamkeit entfaltete. Auch Bockelmann, ebenfalls Mitglied der Großen Strafrechtskommission, schrieb: „Diejenigen, die dort seine Mitarbeiter gewesen sind, erinnern sich mit Dankbarkeit und Bewunderung daran, daß in der Kommission eine Frage eigentlich erst immer dann spruchreif war, wenn er seine Meinung dazu gesagt hatte“; und er fügte hinzu: Von „seinen Leistungen für die Gesetzgebungsarbeit (sind) mehr in die bereits vollzogenen Reformen des Strafgesetzbuches eingegangen, als die schnellebige und vergeßliche Gegenwart sich vorzustellen vermag“ (JZ 1973, 469). Liest man in den 14 Bänden der „Niederschriften“, so wird alsbald deutlich, daß er in den Beratungen der einflußreichste unter den beteiligten Theoretikern gewesen ist. Kaum wäre ohne seine Überzeugungskraft so viel an neuen, damals durchaus noch umstrittenen Lösungen in den E 1960 und den hinsichtlich der dogmatischen Fragen durch diesen geprägten neuen Allgemeinen Teil von 1975 gelangt. Hinzuweisen ist etwa auf die Regelungen der Teilnahme, der Irrtumsfälle und des Notstands. Auch zahlreiche der im E 1960 enthaltenen Reformvorschläge zum Besonderen Teil sind stark durch Gallas beeinflußt worden. Insbesondere seine Problemanalysen, die vielfach den Blick auf neue Horizonte öffneten, haben wesentliche Anstöße gegeben. Nur als Beispiel seien seine weiterführenden Stellungnahmen zu den theoretisch diffizilen Fragen des Ehrenschutzes genannt. Gallas war ein Gelehrter, der zu Weiterführendem viel mehr zu sagen hatte, als es in den literarischen Äußerungen zum Ausdruck gelangt ist. Die „Niederschriften“ der Großen Strafrechtskommission mit seinen vortrefflichen mündlichen Stellungnahmen vermitteln der Nachwelt erst die ganze Bedeutung, die er für die Entwicklung des Strafrechts hat. Wie alle seine Ausführungen zeigen, verstand

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er sich dabei nicht als wissenschaftlicher Revolutionär, sondern als behutsamer Evolutionär. Sein engagiertes Interesse galt auch den Strafrechtslehrertagungen. Er hat dort, wie schon hervorgehoben, bedeutende Referate gehalten, und es wurden von ihm zu den Diskussionen wichtige Beiträge beigesteuert. Darüber hinaus sind ihm wertvolle Anregungen für die Auswahl der Tagungsthemen zu verdanken. Wer ihn bei seinen Referaten und Diskussionsbeiträgen oder im kollegialen Gespräch erlebt hat, dem wird die große geistige und persönliche Ausstrahlung unvergeßlich bleiben. Seine Ausführungen waren so wirkungsvoll, weil sie neben umfassendem Fachwissen ein tiefgehendes Nachdenken über die jeweiligen Probleme, wissenschaftliche Redlichkeit, noble Sachlichkeit und das Bemühen um äußerste Klarheit erkennen ließen. Die zu konzentriertem Mitdenken zwingende Vortragsweise schlug den Zuhörer regelmäßig in ihren Bann. Gallas bedurfte zur Wirksamkeit seiner Ausführungen keiner rhetorischen Effekte oder gar Theatralik. Zu seiner sich durch gelassene wissenschaftliche Souveränität auszeichnenden Persönlichkeit hätte das auch kaum gepaßt. Für den juristischen Nachwuchs war er stets aufgeschlossen. Bei den Strafrechtslehrertagungen ging er auf Habilitanden anderer Universitäten zu und führte mit ihnen eingehende und sehr anregende Gespräche über Probleme der jeweiligen Habilitationsschrift, woran sich der Verfasser dankbar erinnert. Er kannte keine Starallüren; man empfand für ihn schnell auch persönliche Sympathie. Seine Kollegs und Seminare hatten ein hohes fachliches Niveau. Aus Heidelberg wird berichtet, daß sie von vielen Studenten besonders deshalb geschätzt wurden, weil man die Fähigkeit zu folgerichtigem Denken am besten bei Gallas erlernen konnte. Bei der Leitung seiner Seminare entwickelte er zudem eine außergewöhnliche Fähigkeit, zu fruchtbarem Gespräch anzuregen. Mehrere Schüler hat er zur Habilitation geführt. Im Jahre 1959 wurde Gallas in die angesehene Heidelberger Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Auch hat ihn die Heidelberger Universität im Amtsjahr 1964/65 zu ihrem Rektor gewählt. Er war noch ein Rektor jener Zeit, in der die deutschen Universitäten herausragende Gelehrte zu ihren Repräsentanten wählten. Aus Anlaß seines 65. Geburtstages wurden aus seiner Feder stammende besonders wichtige Arbeiten in einem Sammelband „Beiträge zur Verbrechenslehre“ (1968) zusammengefaßt. Zu seinem 70. Geburtstag ist ihm 1973 eine inhaltsreiche Festschrift gewidmet worden. Die Strafrechtswissenschaft hat mit Wilhelm Gallas einen ihrer überragenden Vertreter verloren. Für den Herausgeberkreis der ZStW heißt es, Abschied zu nehmen von einem langjährigen Freund, Weggefährten und Ratgeber. Wir werden Wilhelm Gallas ein ehrendes Andenken bewahren.

Nachruf für Karl Engisch 1991 Am 11. September 1990 ist Karl Engisch, emeritierter ordentlicher Professor für Rechtsphilosophie, Strafrecht und Prozeßrecht an der Universität München, im 92. Lebensjahr verstorben. Er starb in Nieder-Wiesen (bei Alzey) und hat dort seine letzte Ruhe gefunden. Karl Engisch war ein Gelehrter sehr hohen Ranges. Er gehörte, wie HansHeinrich Jescheck in der Laudatio zum 80. Geburtstag (ZStW 91 [1979], S. 247) betont hat, zu den „Großen der Rechtswissenschaft unserer Zeit“. Sein „wissenschaftliches Werk übertrifft an Vielseitigkeit, Weite und Tiefgründigkeit das jedes anderen zeitgenössischen Fachkollegen“, schrieb damals Paul Bockelmann (JZ 1979, 206). In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten fiel Engisch innerhalb der deutschen Strafrechtslehrerschaft eine patriarchenähnliche Stellung zu, eine Rolle, die er auch menschlich in vorbildlicher Weise ausfüllte. Dem Herausgeberkreis der ZStW gehörte er seit dem im Jahre 1951 erschienenen ersten Nachkriegsband (Band 63) an. Er hat in der Mitherausgeberschaft stets mehr als eine ehrenvolle Sinekure gesehen und sich mit seinen zahlreichen zur Rechtsphilosophie verfaßten Literaturberichten außerordentliche Verdienste um die Zeitschrift erworben, wofür ihm tiefer Dank gebührt. Zeit seines Lebens fühlte er sich der ZStW aufs engste verbunden. Als Privatdozent veröffentlichte er hier seinen ersten Zeitschriftenaufsatz: die umfangreiche Abhandlung über „Die Verletzung der Erkundigungspflicht. Ein Beitrag zur Eidesreform“ (ZStW 52 [1932], S. 661). Auch seine letzte Veröffentlichung, die Besprechung des Buches von Dreher über die Willensfreiheit, ist in der ZStW erschienen (Band 100 [1988], S. 871). Dazwischen liegen weitere wichtige ZStW-Beiträge, auf die noch einzugehen sein wird. Karl Engisch wurde am 15. März 1899 in Gießen geboren. Von 1917 an nahm er am Ersten Weltkrieg teil. Danach studierte er bis 1921 in Gießen und in München Rechtswissenschaft, Soziologie und Philosophie, namentlich bei Wolfgang Mittermaier, Leo Rosenberg, Ernst Beling, Reinhard Frank, Max Weber und Ernst von Aster. Im Jahre 1924 promovierte er in Gießen mit einer Dissertation über die Imperativentheorie, und 1929 habilitierte er sich dort bei Wolfgang Mittermaier mit der berühmten Abhandlung „Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht“. Nach verschiedenen Lehrstuhlvertretungen erhielt er 1934 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie, Strafrecht und Prozeßrecht an der

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Universität Heidelberg. Gustav Radbruch, den die Nationalsozialisten aus dem Amt entfernt hatten, hat in einem an Engisch gerichteten Brief zur Übernahme des Lehrstuhls bemerkt: „... ich kann mir auf ihm keinen Nachfolger denken, der mir lieber wäre als Sie ...“ (vgl. Brief vom 17.3. 1938; teilw. abgedruckt bei Spendel, Jurist in einer Zeitenwende, 1979, S. 26 Fn. 71). Rufe nach Leipzig (1937),Wien (1939) und Hamburg (1950) lehnte Engisch ab. Einem Ruf nach München als Nachfolger von Edmund Mezger folgte er 1953. Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1967 hat er dort gelehrt. Danach kehrte er nach Heidelberg zurück, wo er bis zu seinem Tode wohnte und der Juristischen Fakultät als Honorarprofessor verbunden war. Die wissenschaftlichen Interessen Engischs galten in gleicher Weise dem Strafrecht und der Rechtsphilosophie, wobei die beiden Gebiete sich in seinen Arbeiten oft gegenseitig befruchteten. Betrachtet man das literarische Lebenswerk, so fällt allgemein auf, daß er sich fast ausnahmslos mit großen Themen beschäftigt hat und daß diese von ihm häufig zum Gegenstand umfassender Monographien gemacht worden sind. In Erinnerung gebracht werden sollen hier zunächst seine bedeutendsten strafrechtlichen Veröffentlichungen und dabei als erste die zum Allgemeinen Teil. Ein großer Wurf war bereits die Habilitationsschrift über Vorsatz und Fahrlässigkeit (erschienen 1930, Neudruck 1964). In ihr zeigten sich schon deutlich die Wesenszüge von Engischs Arbeitsweise: tiefes Eindringen in die Thematik, sorgfältiges Herausarbeiten und Abwägen aller Aspekte, faires und nobles Umgehen mit Gegenmeinungen. Seine damaligen Ausführungen zur Vorsatzlehre sind eine Fundgrube von Material und Gedanken, auch wenn die von ihm favorisierte Kombination von Vorstellungs- und Gefühlstheorie (S. 234) nicht auf Zustimmung gestoßen ist. Die hauptsächliche Wirkung hat das Werk – ein Vierteljahrhundert später – durch die in den Ausführungen zum fahrlässigen Delikt zu findende Feststellung gehabt, daß die Außerachtlassung der „äußeren“ (objektiven) Sorgfalt schon eine Frage des Unrechts und nicht, wie die damalige Doktrin annahm, erst der Schuld darstellt (S. 277 f., 344 ff.). Engisch knüpfte dabei ausdrücklich an Überlegungen von Exner (Das Wesen der Fahrlässigkeit, 1910, S. 193) an, entwickelte sie aber dadurch weiter, daß er die Sorgfaltsfrage bereits dem Tatbestand des fahrlässigen Delikts zuwies (S. 346). Als Welzel zum Beleg für die Notwendigkeit des von ihm vorgenommenen Systemumbaus auf diese Ausführungen Engischs Bezug nahm, traten sie ins allgemeine Blickfeld. Man mag sich vielleicht gefragt haben, weshalb Engisch jene bedeutsame Erkenntnis nicht selbst weiterverfolgt hat und damit selbst zum Erneuerer der Fahrlässigkeitssystematik geworden ist. Die auch durch andere Arbeiten nahegelegte Antwort ist wohl die, daß es ihm mehr lag, Probleme herauszuarbeiten und Problembewußtsein zu wecken als revolutionierend ein neues Strafrechtssystem zu entwerfen. Er hat sich deshalb auch nie dem später von der herrschenden Lehre vollzogenen Übergang zur personalen Unrechtslehre angeschlossen.

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Schon im Jahre 1931 folgte eine zweite bedeutsame strafrechtliche Untersuchung: die bekannte Abhandlung über „Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände“. In ihr gelangte er zu der Auffassung, daß bei den „normalen Erfolgsdelikten“ die „‚Verwirklichung der Gefahr‘ als besonderes Tatbestandsmerkmal neben die Kausalität zu stellen“ ist (S. 68 f.) – ein Gedanke, der gegenwärtig in der Lehre von der objektiven Zurechnung wieder auftaucht. Bei Engisch hat sich daraus in späteren Stellungnahmen eine Hinwendung zur Adäquanztheorie entwickelt (vgl. JZ 1951, 787; Vom Weltbild des Juristen, 2. Aufl. 1965, S. 137). Im Jahre 1935 erschien ebenfalls als separate Schrift die Abhandlung über die „Einheit der Rechtsordnung“. Sie liegt im Grenzbereich von Rechtstheorie und Strafrecht. Durch sie wurde insbesondere die Auffassung gefestigt, daß über die Rechtswidrigkeit eines deliktischen Verhaltens stets einheitlich für die gesamte Rechtsordnung zu entscheiden ist, man also nicht Rechtfertigung nur für das Strafrecht, dagegen Rechtswidrigkeit in bezug auf das Zivilrecht annehmen kann und umgekehrt (S. 57 f.). Die m. E. durchschlagenden Ausführungen Engischs sind heute sehr aufschlußreich im Zusammenhang mit dem aktuellen Streit über die Frage, ob auch ausschließlich strafrechtlich wirkende „Strafunrechtsausschließungsgründe“ anzuerkennen sind. Von erheblichem Einfluß auf den Verlauf der strafrechtlichen Grundlagendiskussion war sein 1944 in der Festschrift für Kohlrausch (S. 141) erschienener tiefschürfender, alle Aspekte beleuchtender Beitrag über den „finalen Handlungsbegriff“. Hier finden sich bereits die wesentlichen Argumente, die seither im Streit um die „finale“ Handlungslehre eine Rolle spielen. Insbesondere wird deutlich, daß zwei bis in die Gegenwart häufig wiederholte Einwände in diesem Aufsatz ihren Ausgangspunkt haben: Erstens der Einwand, daß der „finale“ Handlungsbegriff nicht für die Fahrlässigkeit passe (S. 158 ff.) – ein Argument, das für die damalige, durch den kausalen Handlungsbegriff bedingte Sicht des Verhältnisses von Handlung und Fahrlässigkeit durchaus zutraf, sich später mit der weiteren, scharf zwischen der als sorgfaltswidrig zu bewertenden (finalen) Handlung und dem Erfolg trennenden Entwicklung der Fahrlässigkeitsdogmatik aber erledigte. Zweitens handelt es sich um den durch § 1 a. F. StGB hervorgerufenen Einwand, daß der Handlungsbegriff den Oberbegriff für vorsätzliche und fahrlässige Begehung und auch Unterlassung bilden müsse (S. 160 ff.). Engisch setzte dem „finalen“ Handlungsbegriff deshalb einen „sozialen“ Handlungsbegriff entgegen, nach dem Handeln als „das willkürliche Bewirken objektiv bezweckbarer Folgen seitens eines Menschen“ definiert werden soll (S. 164 f.). Daraus entstand die „soziale Handlungslehre“, die sich als Kompromißlösung zu einer verbreiteten Ansicht entwickelte. Sachlich unterscheidet sie sich vom „finalen“ Handlungsbegriff vor allem dadurch, daß sie versucht, einen allumfassenden Verhaltensbegriff aufzustellen, während die finale Auffassung nur schlicht das Tun definieren will und ihm das Unterlassen artverschieden als Nichthandeln gegenüberstellt.

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Aus der damaligen Zeit sind ferner Engischs Aufsätze „Zur phänomenologischen Methode im Strafrecht“ (ARSP 30 [1936/37], S. 130) und über „Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken im Strafrecht“ (MschrKrim. 29 [1938], S. 133) besonders hervorzuheben. In letzterem wandte er sich mit bemerkenswerten Worten gegen die „Kieler Richtung“. Er schrieb damals: „Indem die Vertreter der ‚Kieler Richtung‘ im Strafrecht ein neues Rechtsdenken fordern und betätigen, besetzen sie bewußt ... einen Teilabschnitt in der ... Front der Kämpfer für eine gänzlich von Politik durchdrungene Wissenschaft. Ihre Arbeiten zeugen von Siegeszuversicht und der unbeirrbaren Überzeugung, nationalsozialistische Gesinnung in die wissenschaftliche Tat umzusetzen. Dieser Front entgegenzutreten, fordert Mut und ein gutes Gewissen: den Mut, sich zu Auffassungen zu bekennen, die als ... ‚liberalistisch‘ gebrandmarkt sind ... Mit Mut und gutem Gewissen haben Schwinge und Zimmerl den Kampf aufgenommen und damit sowohl der Gefahr vorgebeugt, daß die Bewegtheit der im Angriff befindlichen Ideen zur Herrschaft von Schlagworten erstarre wie auch, daß diejenigen, die sich dieser Herrschaft nicht unterwerfen möchten, von der Mitarbeit an der Strafrechtswissenschaft der Zukunft abgehalten werden“ (S. 134). Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte eine Vielzahl weiterer Arbeiten zum Allgemeinen Teil, von denen hier nur die wichtigsten in Erinnerung gebracht werden können. Sie spiegeln die Breite seiner fachlichen Interessen eindrucksvoll wider. So befaßte sich Engisch näher mit der Todesstrafe, deren Abschaffung er beipflichtete (in: Christen und Nichtchristen in der Rechtsordnung, 1950, S. 3), sprach sich in einem auf dem Deutschen Juristentag 1953 gehaltenen Vortrag gegen die Einführung der Strafbarkeit juristischer Personen aus (Verhandlungen des 40. DJT, 1954, Band II, E, S. 7, 41) und setzte sich auf der Tübinger Strafrechtslehrertagung 1954 in einem groß angelegten Referat mit der Frage auseinander, ob die seit 1930 erfolgte Entwicklung der dogmatischen Strafrechtswissenschaft Veranlassung bot, in der Reform des Allgemeinen Teils des Strafrechts neue Wege zu gehen (ZStW 66 [1954], S. 339).Von seiner der personalen Unrechtslehre und dem von ihr geforderten Systemumbau skeptisch gegenüberstehenden Grundauffassung her beantwortete er die letztgenannte Frage sehr zurückhaltend – im Unterschied zu Gallas, der damals ebenfalls referierte (ZStW 67 [1955], S. 1) und dessen Auffassung sich später bei der Reform des Allgemeinen Teils weitgehend durchsetzen sollte. Besonders hervorzuheben sind auch die Aufsätze über „Die normativen Tatbestandselemente im Strafrecht“ (Festschrift für Mezger, 1954, S. 127) und über „Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Rechtfertigungsgründen – Kritische Betrachtungen zu den §§ 19 und 40 des Entwurfs 1958“ (ZStW 70 [1958], S. 566). An den Irrtumsregelungen des Entwurfs kritisierte Engisch mit Recht die dogmatisch unterschiedliche Einordnung des Putativnotstands gegenüber den anderen Fällen der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts. Seiner Ansicht nach sollte eine einheitliche Lösung im Sinne der eingeschränkten Schuldtheorie

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erfolgen, wobei er auf die von ihm bereits in der Habilitationsschrift (S. 10 ff.) vertretene Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen zurückkam und nicht zuletzt aus dieser das Entfallen des Tatbestandsvorsatzes ableitete. Der Reformgesetzgeber griff die Kritik bekanntlich insoweit auf, als er die auch noch im E 1962 enthaltene widersprüchliche Lösung nicht Gesetz werden ließ. Andererseits verzichtete er überhaupt auf eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Fälle irriger Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts. Engisch gehörte zu dem kleinen Kreis namhafter Rechtsgelehrter, die zur Beteiligung an der Festschrift zum hundertjährigen Bestehens des Deutschen Juristentages (1960) eingeladen wurden. In seinem großen Beitrag „Der Unrechtstatbestand im Strafrecht – Eine kritische Betrachtung zum heutigen Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit im Strafrecht“ (S. 401) setzte er sich im einzelnen mit der Entwicklung der Unrechtslehre seit Beginn des Jahrhunderts auseinander und stellte seine Gegenposition zu der den Tatbestandsvorsatz bereits zum Unrechtstatbestand (des Vorsatzdelikts) schlagenden Unrechtslehre näher dar. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei allen Normbefehlen um objektive Sorgfaltsgebote, so daß jeder – nicht nur der fahrlässig verwirklichte – Unrechtstatbestand objektiv durch den Gesichtspunkt der „Außerachtlassung der objektiv erforderlichen Sorgfalt zur Vermeidung des rechtswidrigen Erfolges“ einzugrenzen sein soll (S. 417 f., 421 ff., 436 f.). Dieser Aufsatz gibt einen besonders guten Einblick in seine dogmatische Gesamtkonzeption. Ein wichtiger Beitrag war auch sein späterer Aufsatz über Tun und Unterlassen, in dem er die Unterscheidung dieser Verhaltensweisen nach „Energiegesichtspunkten“ vornahm, nämlich im Aufwenden oder Nichteinsetzen von Energie in einer bestimmten Richtung (Festschrift für Gallas, 1973, S. 163, 170 ff.). Hervorzuheben ist schließlich noch die Schrift über „Die Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsphilosophischen Doktrin der Gegenwart“ (1963, 2. Aufl. 1965), die bereits im Grenzbereich von Strafrecht und Philosophie liegt. Engisch faßte das Ergebnis seiner scharfsinnigen Erörterungen in den Worten zusammen: „Wir erklären unser Nichtwissen in bezug auf die Frage, ob ein konkreter Mensch in einer konkreten Situation anders hätte handeln können, als er tatsächlich gehandelt hat ... Wir müssen daher, ohne in Frage stellen zu wollen, daß bei Zugrundelegung der indeterministischen Ansicht die Begriffe Schuld, Verantwortung, Sühne, Vergeltung eine befriedigende Erklärung finden, bemüht sein, auch unter der Voraussetzung der Richtigkeit des Determinismus zu einer sinnvollen Verwendung jener Begriffe zu gelangen. Hierbei bietet sich insbesondere die von uns vertretene Lehre der Charakterschuld und der Charakterverantwortlichkeit an: Der uns zur Schuld gereichende Mangel an Willenskraft oder Besorgnis wurzelt im Charakter. Dieser hat letztlich den Schuldvorwurf zu tragen und sich zu verantworten“ (S. 65). Insgesamt läßt sich Engischs Rolle in der Diskussion der Dogmatik des Allgemeinen Teils wie folgt beschreiben: Ihm ging es darum, zentrale Themen wie

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Vorsatz, Fahrlässigkeit, Kausalität, Unterlassen etc. durch umfassende, die gesamte einschlägige Literatur sorgfältig aufarbeitende Erörterung aufzuhellen und zu vertiefen. Dagegen war er für umwälzende systematische Veränderungen, wie sie sich dann vollzogen, nicht empfänglich. Seine skeptische Einstellung gegenüber allem, was nach Verabsolutierung klang, hat dabei wohl eine Rolle gespielt. Er wollte deshalb die mit dem Aufkommen der personalen Unrechtslehre in die Diskussion geratenen Fragen im Rahmen des herkömmlichen Systems und der auf dessen Grundlage vertretenen Konstruktionen lösen. Andererseits hat er durch einige seiner Erkenntnisse den systematischen Umbau überhaupt erst ermöglicht (Fahrlässigkeitslehre). Auch hat seine Kritik dazu beigetragen, daß vorschnelle Neuorientierungen (Irrtumslehre) vermieden worden sind. Allerdings darf man seinen in dogmatischen Fragen vielfach bestehenden Meinungsgegensatz zu Welzel nicht einfach auf einen Gegensatz zwischen Normativismus und Ontologismus reduzieren, wozu die heutigen Vertreter des Neonormativismus vielleicht versucht sein könnten. Engisch wandte sich zwar – insbesondere in dem bekannten kritischen Beitrag „Zur ‚Natur der Sache‘ im Strafrecht“ (Festschrift für Eb. Schmidt, 1961, S. 90) – gegen die leicht zu einseitig erscheinende ontologische Sicht- und Argumentationsweise Welzels. Aber als philosophisch geschulter und akzentuiert wissenschaftlich denkender Jurist war er doch weit davon entfernt, einen reinen Normativismus zu vertreten. So heißt es am Schluß seiner erwähnten Abhandlung über „Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände“ (1931): Mag das Ergebnis der Untersuchung „denen eine Enttäuschung sein, die die Fortschritte der juristischen Wissenschaft in einer nach normativen Gesichtspunkten sich vollziehenden rechtswissenschaftlichen Begriffsbildung erblicken, so wird es doch den um die Allgemeingültigkeit gewisser Grundbegriffe besorgten Philosophen aufs höchste befriedigen“ (S. 87). Diesen Standpunkt hat er zeit seines Lebens immer wieder erkennen lassen. Aus späteren Jahren sei vor allem auf die Ausführungen zur Natur der Sache in seinem Buch „Auf der Suche nach der Gerechtigkeit“ (1971) hingewiesen. Dort empfiehlt er, einen Begriff der Natur der Sache „zum Ausgang zu nehmen, der noch nicht irgendwelche Rechtsgedanken als den zu regelnden Lebensverhältnissen immanent antizipiert“ (S. 238 f.). Er bemerkt dazu: „Wir denken bei den Vorgegebenheiten demgemäß an ... Naturtatsachen ..., aber auch an die natürliche Ausstattung des Menschen, ... seine typischen Triebe, die Struktur seines Handelns (insofern durchaus konform mit dem Ansatz bei Welzel ...).“ Auch der schon erwähnte Aufsatz von 1973 über den Unterschied von Tun und Unterlassen, in dem auf das Vorhandensein oder Fehlen eines Energieeinsatzes abgestellt wird, setzt offenkundig im Vorrechtlichen an (Engisch spricht hier von einem „sozial-sinnhaften“ Ansatzpunkt; Festschrift für Gallas, S. 173). Was den Besonderen Teil des Strafrechts angeht, lag der Akzent des wissenschaftlichen Interesses Engischs beim Arztrecht einschließlich der Euthanasieproblematik. Am Anfang stand sein in der ZStW erschienener großer Aufsatz

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„Ärztlicher Eingriff zu Heilzwecken und Einwilligung“ (Band 58 [1939], S. 1). In ihm wurde von Engisch näher begründet, daß der lege artis ausgeführte ärztliche Heileingriff entgegen der erst auf rechtfertigende Einwilligung abstellenden Auffassung der Rechtsprechung keine tatbestandsmäßige Körperverletzung darstellt. Er zeigte im einzelnen auf, daß „eine sachgemäße und somit nicht als Körperverletzung qualifizierbare Behandlung“, die wider Willen des Patienten erfolgt, allein als Freiheitsdelikt rechtswidrig sein kann (S. 35). Diese Abhandlung, an die Eberhard Schmidt in seiner in demselben Jahr erschienenen Schrift „Der Arzt im Strafrecht“ ausdrücklich anknüpfte, hat starke Resonanz gehabt. Die in ihr vertretene Richtung setzte sich im Schrifttum alsbald durch. Begründungsschwierigkeiten, die sich aus dem damaligen Stand der Tatbestandslehre ergaben, konnten in der späteren Entwicklung behoben werden. Engisch bekräftigte seine Auffassung erneut in dem Beitrag über „Die rechtliche Bedeutung der ärztlichen Operation“ (in: Stich / Bauer, Fehler und Gefahren bei chirurgischen Operationen, 3. Aufl. 1954, S. 1324; 4. Aufl. 1958, S. 1521). Hinzu kamen zahlreiche weitere Beiträge zu arztrechtlichen Themen, teilweise auch in medizinischen Zeitschriften, die sich von der ärztlichen Aufklärungspflicht – wobei vor allem die zusammen mit dem Mediziner Wilhelm Hallermann veröffentlichte Schrift von 1970 zu nennen ist – über die Unfruchtbarmachung mit Einwilligung, die Irrtümer und Fehler operierender Chirurgen bis zur Schweigepflicht des Arztes erstrecken. Besondere Aufmerksamkeit schenkte Engisch auch dem Problemkreis der Euthanasie. Zu erinnern ist an die 1948 erschienene Abhandlung über „Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung“, die sich insbesondere mit den strafrechtlichen Problemen der „Euthanasie“-Aktionen der NS-Zeit befaßt, und an seine 1973 veröffentlichte Schrift „Der Arzt an den Grenzen des Lebens“, deren zweiter Teil sich mit dem Lebensschutz an der Grenze zum Tode auseinandersetzt (S. 36 ff.). In dieser äußerte er sich zur aktuellen Diskussion um die aktive, auf Lebensverkürzung abzielende Sterbehilfe auf Wunsch eines dem Tode nahen, schwer leidenden Patienten. Er sprach sich de lege ferenda gegen die Einräumung einer Befugnis aus, empfahl jedoch, „für Fälle, in denen wir dem Täter keinen sittlichen Vorwurf mehr machen möchten, ... dem Gericht die Möglichkeit eines Freispruchs (nicht bloß eines Schuldspruchs unter Strafverzicht)“ einzuräumen, wobei „eine solche Möglichkeit nur in extrem gelagerten Fällen in Betracht kommen“ soll (S. 52). Der Sache nach geht es wohl um Fälle, die dem Bereich der im übergesetzlichen entschuldigenden Notstand erfaßten Gewissenskonflikte entsprechen und daher vielleicht auch schon nach geltendem Recht befriedigend gelöst werden könnten. Die arztrechtlichen Arbeiten haben Engisch starke Beachtung auch bei der Ärzteschaft eingetragen. Das spiegelt sich nicht zuletzt in der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Heidelberger Medizinische Fakultät wider.

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Das rechtstheoretische und rechtsphilosophische Lebenswerk Engischs begann bereits mit seiner Dissertation über die Imperativentheorie. Er hielt an dieser zumeist abgelehnten Theorie zeitlebens fest. Es war von der Imperativentheorie aus folgerichtig, daß er für das Strafrecht die Konsequenz zog, die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen zu vertreten. Sehr bedeutende rechtstheoretische Arbeiten Engischs sind ebenfalls seine „Logischen Studien zur Gesetzesanwendung“ (erschienen 1943; zwei weitere Auflagen sind 1960 und 1963 gefolgt), „Vom Weltbild des Juristen“ (1950; 2. Aufl. 1965) und „Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit“ (1953; 2. Aufl. 1968). Vor allem aber bedarf sein wohl verbreitetstes Werk der Hervorhebung: die großartige „Einführung in das juristische Denken“. Es erschien im Jahre 1956 und hat seither bereits acht Auflagen erlebt. In diesem Werk vermittelt Engisch meisterhaft die Denk- und Vorgehensweise des Juristen. Imponierend ist dabei ebenfalls die große Kenntnis der verschiedenen juristischen Gebiete und der dort auftauchenden Fragen. Das ursprünglich als Einführung konzipierte Buch ist von Auflage zu Auflage zunehmend auch zu einem wichtigen Werk für die wissenschaftliche Fachwelt geworden. Engischs wissenschaftliche Sorgfalt und sein ausgeprägtes Problembewußtsein haben nämlich bewirkt, daß der Apparat des Buches durch eine Fülle anregender Hinweise, Informationen und zusätzlicher eigener Stellungnahmen immer stärker angewachsen ist. Der Fachmann ist für all dies außerordentlich dankbar, obgleich dem Leserkreis, an den sich das Buch primär wendet, vielleicht die Lektüre etwas erschwert sein könnte. Zu den gewichtigen rechtstheoretischen Arbeiten gehört auch der Aufsatz „Der rechtsfreie Raum“ (ZStaatsW 108 [1952], S. 385). In ihm ging es Engisch darum, im einzelnen zu begründen, daß es einen Bereich gibt, aus dem sich das Recht heraushält, also dem einzelnen keine Vorschriften macht. Er schrieb: „Liebe, Ehe, Freundschaft, Erholung, Vergnügen finden ihre ‚konkrete‘ Gestalt im rechtsfreien Raum“; außerdem wies er auf Religion und Kunst hin (S. 409 f.). Dagegen zögerte er, Fälle von Rechtsgutsverletzungen dem rechtsfreien Raum zuzuweisen (S. 397, 415), wie es eine heute im Strafrecht vertretene Lehrmeinung tut, bei der es sich um eine Wiedererweckung der für Teilbereiche des Notstands aufgestellten Neutralitätstheorie unter anderer Bezeichnung handelt. Man hat Engisch kürzlich gerade unter Hinweis auf dessen Eintreten für die Lehre vom rechtsfreien Raum als „liberalen“ Geist bezeichnet. Eine solche Etikettierung birgt aber vielleicht die Gefahr der weltanschaulichen und sogar politischen Einordnung und Vereinnahmung. Engisch vertrat die Lehre vom rechtsfreien Raum – die übrigens von Radbruch entschieden abgelehnt worden war – nicht aus einer weltanschaulichen Motivation heraus, sondern weil ihn eine sorgfältige wissenschaftliche Untersuchung der Phänomene zu ihrer Bejahung führte. Vorzuziehen ist es deshalb wohl, ihn als unabhängigen, nach allen Seiten offenen Geist zu charakterisieren – ein Wesenszug, den man in jeder seiner Publikationen spürt. Liest man seine Stellungnahmen zum Schwangerschaftsabbruch und zur

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Euthanasie (siehe zu beidem insbesondere die schon erwähnte Schrift „Der Arzt an den Grenzen des Lebens“, S. 32 ff., 52), so vermag man ihn den Liberalen heutigen weltanschaulichen Verständnisses ohnehin nicht leicht in die Nähe zu rücken. Sein bedeutendstes Alterswerk ist das schon erwähnte Buch „Auf der Suche nach der Gerechtigkeit – Hauptthemen der Rechtsphilosophie“ (1971). In ihm setzte er sich im einzelnen mit dem Rechtsbegriff und der Rechtsgeltung, dem Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, der Beziehung des Rechts zu Macht und Staat, dem Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Rechtsidee sowie mit der „Natur der Sache“ auseinander. Engisch legte in diesem Buch den von ihm stets vertretenen, seiner skeptischen Sichtweise entsprechenden Wertrelativismus näher dar. Er bezeichnete ihn als „Ergebnis nüchterner Überlegungen“ und konstatierte, daß es „aus dem Teufelskreis des Wertrelativismus ... kein Ausbrechen“ gebe (S. 285). Die Erfahrung des Unrechtsstaates, die Radbruch dazu veranlaßt hatte, sich vom Relativismus abzuwenden, wollte Engisch dadurch berücksichtigen, daß er sich für einen Relativismus „maßvoller Ausprägung“ aussprach. Schranken sollten insoweit bestehen, wie sie „dem Rechtsbegriffe nach die Notwendigkeit einer Ordnung, Sicherheit und Frieden stiftenden Rechtsgemeinschaft errichtet“ (S. 285). Er meinte dazu, daß „der Rechtsphilosoph zumal ... die Funktion des Rechts als ‚menschenwürdige Friedensordnung‘ insofern getrost in seine Rechnung einstellen (darf), als das, was beim besten Willen und selbst großzügiger Betrachtung nicht mehr ‚Recht‘ genannt werden kann, außerhalb dessen liegt, womit er sich befaßt, was Gegenstand seines Nachdenkens ist“ (S. 283). Jedoch gestand er zu, daß aus relativistischer Sicht solche Schranken „gewiß nicht sonderlich fest bestimmt sind“ (S. 283). Das Buch schließt mit dem Satz: „Soweit der Wertrelativismus wissenschaftlich und insbesondere rechtsphilosophisch gesehen ‚Wahrheit‘ ist, womöglich schreckliche Wahrheit, müssen wir den Anblick dieses Gorgonenhauptes ertragen“ (S. 286). Engischs Wirkung reicht weit über sein großartiges literarisches Lebenswerk hinaus. Er hatte Ende der fünfziger Jahre den Vorsitz der Strafrechtslehrertagungen übernommen. Diese Aufgabe erfüllte er mit unübertrefflicher geistiger und persönlicher Souveränität. Die Meisterschaft, mit der er die Tagungen vorbereitete und leitete, trugen ihm eine außerordentliche, von niemand in Zweifel gezogene Wertschätzung bei der Strafrechtslehrerschaft ein. Seine herausragende Rolle wurde dadurch verstärkt, daß er weder der Großen Strafrechtskommission angehört hatte noch sich zum Alternativkreis bekannte. Die an ihn 1954 ergangene Einladung, in der damals konstituierten Großen Strafrechtskommission mitzuarbeiten, schlug er mit der Begründung aus, daß er sich keinen Erfolg von den Reformbemühungen verspreche. Und die „individualistische Einstellung des Alternativentwurfs“ betrachtete er später ebenfalls nicht ohne Skepsis (vgl. Engisch Der Arzt an den Grenzen des Lebens, 1973, S. 51, auch S. 34 i.V. m. S. 27 ff.). In seiner Person stand daher bei dem Konflikt zwischen den Lagern des E 1962 und des AE eine allerseits hoch angesehene, über den Auseinandersetzungen stehende Persönlichkeit zur Verfügung, von der die Teilnehmer der zeitweilig in

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stürmische See geratenen Strafrechtslehrertagungen im gemeinsamen Boot gehalten wurden. Rückschauend betrachtet hat sich die Nichtbeteiligung Engischs an der Großen Strafrechtskommission deshalb insoweit als Glücksfall für die deutsche Strafrechtswissenschaft erwiesen. Unter seinem Vorsitz bemühte sich auch in fachlich und manchmal persönlich spannungsgeladener Atmosphäre jeder um einen kultivierten Ton. Man empfand ihn als Menschen von warmherziger Distanz, der Liebenswürdigkeit und auch Humor mit verständnisvoller Strenge zu verbinden wußte. Es ist vor allem Engischs Verdienst, daß die Strafrechtslehrertagungen und die deutsche Strafrechtslehrerschaft die kritische Phase von der Mitte der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre ohne bleibende Gräben oder sogar organisatorische Spaltung hinter sich gebracht haben. Die deutschen Strafrechtler sind ihm allein schon wegen dieser Leistung zu größter Dankbarkeit verpflichtet. Besonderen Dank schulden ihm ebenfalls die Rechtsphilosophen, denn er hat nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich zum Wiederaufbau der deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie beigetragen. Über längere Zeit war er ihr Vorsitzender; später hatte er den Ehrenvorsitz inne. Karl Engisch war auch ein eindrucksvoller Redner. Er verstand es, schwierige Materien mit großer Klarheit darzulegen. Hinzu kam seine umfassende Kenntnis der schöngeistigen Literatur, die es ihm ermöglichte, jederzeit ein passendes Zitat – von Shakespeare bis zu Thomas Mann – einzuflechten. Auch zitierte er gerne seinen Lieblingsphilosophen Schopenhauer. Und das alles verband sich mit einem sehr gepflegten sprachlichen Stil. Er war ein Gelehrter, der nicht nur, wie es inzwischen den Normalfall darstellt, ein spezielles Fachgebiet beherrschte, sondern auch die gesamten geistesgeschichtlichen Zusammenhänge überblickte. Das spürte man bereits als Student. So ist auch der Verfasser während seiner Semester in Heidelberg durch Engischs geistig sehr anregende Lehrveranstaltungen, insbesondere das anspruchsvolle Seminar, für das Strafrecht interessiert worden. Karl Engisch hinterließ bei ihm damals (1949/50) neben dem Romanisten Wolfgang Kunkel die stärksten wissenschaftlichen Eindrücke. Viele Ehrungen sind Karl Engisch zuteil geworden. Bereits seit 1938 war er Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehörte er seit 1956 als ordentliches und seit 1971 als korrespondierendes Mitglied an. Mehrere Jahre war er dort Sekretar der Philosophisch-historischen Klasse. Auch ist ihm dreimal die Ehrendoktorwürde verliehen worden: wie schon erwähnt, durch die Medizinische Fakultät in Heidelberg (1959), außerdem durch die Rechtswissenschaftlichen Fakultäten in Mannheim (1982) und Zaragoza (1983). Ebenfalls war er Träger des bayerischen Verdienstordens. Zu seinem 70. Geburtstag ist ihm von der Kollegenschaft eine sehr gehaltvolle Festschrift dargebracht worden, deren Themenkreis die große Spannweite der wissenschaftlichen Interessen des Jubilars widerspiegelte. Mit dem Tode von Karl Engisch scheint sich für die deutsche Strafrechtswissenschaft und darüber hinaus für die gesamte deutsche Rechtswissenschaft eine

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Epoche dem Ende zuzuneigen. Er war einer der letzten durch universelle Bildung faszinierenden Köpfe unter den Theoretikern des Rechts. Wir alle empfinden, daß ein großer Gelehrter, der zugleich eine überragende Persönlichkeit war, von uns gegangen ist. Die Herausgeber der ZStW schätzen sich glücklich, daß er zu ihrem Kreis gehört hat, und werden sich seiner stets in Verehrung und Dankbarkeit erinnern.

Rede bei der Gedenkfeier für Dieter Meurer 2002 Sehr verehrte, liebe Frau Dr. Meurer-Meichsner, sehr geehrte Angehörige, Magnifizenz, Spektabilität, meine Damen und Herren, der akademische Brauch, eines verstorbenen Kollegen in einer Gedächtnisfeier in der Universität zu gedenken, betrifft gewöhnlich einen Emeritus, der nach einem erfüllten Leben von uns gegangen ist. Es werden von Vertretern der nächsten Generation die Persönlichkeit und die Leistungen eines Älteren gewürdigt. Am heutigen Tag ist es anders. Ich als Emeritus gedenke mit Ihnen eines Jüngeren. Dieter Meurer war 57 Jahre alt, als am 23. Dezember 2000 der Tod ihn uns jäh entriß. Schon dies wirft in mir die Frage auf: Wieso er vor mir? Aber mehr noch: Dieter Meurer war vor seiner Habilitation drei Jahre lang mein Assistent. Ich habe daher Empfindungen wie ein Vater, der den Tod seines Sohnes beklagt. Die Todesnachricht wirkte auf mich wie ein Schock. Und so wird es vielen ergangen sein. Daß ein uns nahestehender oder auf andere Weise verbundener Mensch, dessen von Herzen kommendes Lachen uns noch in den Ohren klingt, so plötzlich verstummt ist, erfüllt uns mit tiefer Trauer. Wenn wir heute des Verstorbenen gedenken wollen, so geht es dabei um ein „Ins-Gedächtnis-Rufen“ und ein „ImGedächtnis-Behalten“. Dieter Meurer wurde am 11. August 1943 in Heimersheim an der Ahr geboren, wohin die Mutter aus Köln wegen der Luftangriffe evakuiert worden war. Sein Vater fiel als Soldat in Rußland. Er hat seinen Sohn nie gesehen. Dieter Meurer, einziges Kind seiner Eltern, wuchs als Halbwaise bei der Mutter auf, die durch Berufstätigkeit für den Lebensunterhalt sorgte. In Köln verbrachte er Kindheit, Schulzeit und Studium. Er studierte an der Kölner Universität seit 1964 Jura. Die juristischen Staatsexamina legte er 1968 und 1973 ab. Während des Studiums wurde der damalige Kölner Strafrechtler Richard Lange auf ihn aufinerksam, was sich für den weiteren Lebensweg als entscheidend erweisen sollte. Meurer erhielt eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft am Kölner Kriminalwissenschaftlichen Institut, später dann eine als wissenschaftlicher Assistent. Während der Referendarzeit wurde er 1971 mit einer von Lange betreuten Dissertation promoviert. Als ich im Frühjahr 1975 Langes Nachfolge in Köln antrat, fand ich Meurer dort als Habilitanden meines Vorgängers vor. Ich übernahm ihn als Assistenten. Im Jahre 1978 habilitierte er sich als Schüler von Lange für die Fächer Strafrecht,

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Strafprozeßrecht, Rechtstheorie und Kriminologie und wurde bereits 1979 auf den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie der Universität Marburg berufen. Der Philipps-Universität blieb er treu. Einen 1985 an ihn ergangenen ehrenvollen Ruf an die Freie Universität Berlin lehnte er ab. Dieter Meurers Persönlichkeit war stark geprägt durch die rheinische Herkunft. Blickt man zurück, so hat man einen fröhlichen, geselligen und warmherzigen Menschen vor Augen, der sich gleichwohl des Ernstes des Lebens bewußt war. Er war ein dem Leben zugewandter Optimist, ohne die Gefahren, die in der Gegenwart Universitäten und Gesellschaft drohen, zu unterschätzen. Und er war eher ein Pragmatiker, dem das Grübeln über allzu Abstraktem ebenso wie seinen rheinischen Landsleuten nicht übermäßig behagte. Meurers Persönlichkeit zeichnete sich durch beeindruckende Vielfaltigkeit aus. In Wissenschaft und Lehre war er ebenso engagiert wie als Richter und in der Hochschulpolitik. Erinnern wir uns an Meurer als Wissenschaftler, so tritt die Breite seiner fachlichen Interessen in den Blick. Diese erstreckten sich über den Gesamtbereich der Kriminalwissenschaften. Seine Vorliebe galt dabei dem Strafprozeßrecht, zu dem er zahlreiche wichtige Beiträge verfaßt hat. Schon seine Dissertation über „Fiktion und Strafurteil“ und seine Habilitationsschrift über „Systematische Studien zum Prinzip der freien Beweiswürdigung im Strafprozeßrecht“ gingen in diese Richtung. Die akzentuierte Beschäftigung mit dem Strafprozeßrecht kam seinen praxisbezogenen Interessen, auf die noch zurückzukommen sein wird, entgegen. Aber auch bei seinen Beiträgen zu anderen Rechtsgebieten handelt es sich vielfach um sehr wichtige Veröffentlichungen. Ich nenne hier nur die bedeutenden Aufsätze über „Gehalt und Erklärungswert funktionaler Kriminalitätstheorien“ und über „Wahrnehmung berechtigter Interessen und Meinungsfreiheit“. Bemerkenswert und charakteristisch für sein Interesse an empirischen Fragen ist das viel beachtete Buch über „Die Bekämpfung des Ladendiebstahls“. Auch enthält sein der Studienliteratur zuzuordnender vierteiliger „Grundkurs Strafrecht“, der in mehreren Auflagen erschienen ist, wissenschaftlich so manches Weiterführende. Herr Kollege Gerhard Wolff, Schüler des Verstorbenen, wird das umfangreiche wissenschaftliche Werk Meurers nachher noch im Einzelnen würdigen. Auch Frau Kollegin Graul, die sich ebenfalls bei Meurer habilitiert hat, wird dazu noch etwas sagen. Dieter Meurer hatte früh erkannt, daß auch die Rechtswissenschaft im internationalen Gespräch betrieben werden muß. Er hat sich deshalb bei der Herstellung und der Pflege von fachlichen Kontakten mit ausländischen Strafrechtlern sehr engagiert. Insbesondere ging es um den Meinungsaustausch mit französischen, griechischen, polnischen und türkischen Kollegen. Von türkischer Regierungsseite ist er eigens als Berater zu der Vorbereitung der neuen türkischen Strafprozessordnung eingeladen worden.

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Der wissenschaftliche Praxisbezug Meurers verband sich mit einer Neigung zum Richterberuf. Diese Seite seiner Interessen ist in der Marburger Zeit sehr deutlich geworden. Von 1982 bis 1991 war er im Nebenamt Revisionsrichter am Oberlandesgericht Frankfurt. Dann drängte es ihn in die Tatsacheninstanz. Seit 1991 war er Vorsitzender einer Strafkammer für Wirtschaftsstrafsachen am hiesigen Landgericht. Die Anziehungskraft, die das Richteramt auf ihn ausübte, unterstreicht einen Wesenszug Meurers: Er war jemand, der die Nähe zu den Menschen suchte: die unmittelbare Kommunikation. Das zurückgezogene Leben in einer Gelehrtenstube hätte ihm nicht zugesagt. Wenige Wochen vor seinem Tod wurde er offiziell zur Wahl zum Bundesrichter vorgeschlagen. Wahrscheinlich wäre damit für ihn, der sich als Brücke zwischen Theorie und Praxis empfand, ein Traum in Erfüllung gegangen. Zwar hat es schon Fälle gegeben, das BGH-Richter Rufe auf Lehrstühle an Universitäten angenommen haben, aber bisher – jedenfalls im Strafrecht – keinen umgekehrten Fall. Offenbar strebte Meurer keinen völligen Stellenwechsel an – was sonst vielleicht zum Nachdenken über den heutigen Rang des Universitätsprofessors innerhalb der juristischen Berufe Anlaß geben würde –, sondern es ging ihm wie zuvor um eine Verbindung von Hochschullehrer- und Richtertätigkeit. Meurer war sich allerdings des abschüssigen Weges, auf dem die deutschen Universitäten sich seit Ende der 60er Jahre bewegen, nur allzu bewußt. Er hatte bereits die Anfänge als Student miterlebt und war sich aufgrund seines nüchternen Denkens darüber im Klaren, was das alles für die Geltung unserer Universitäten bedeutete. Ihm war klar, daß eine Hochschulpolitik, welche die deutschen Universitäten seit nun schon mehr als 30 Jahre dazu zwingt, ihr Hauptaugenmerk und einen Großteil ihrer Kräfte auf innere Organisationsfragen zu richten und zudem einen Massenbetrieb mit der damit verbundenen Niveausenkung zu betreiben, international zu einem Abstieg führen mußte. Es ging ihm deshalb darum, Fehlentscheidungen der Politik und der Ministerialbürokratie entgegenzuwirken. So erklärt sich sein zeitaufwendiges und oft nervenaufreibendes Engagement in der akademischen Selbstverwaltung und im Hochschulverband. Er war zweimal Dekan der Marburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät, über 10 Jahre lang gehörte er dem Konvent der Universität als Listenführer der Hochschulunion an, und er war hessischer Landesvorsitzender des Hochschulverbandes. Meurers kluger, vorausschauender Rat hat so manches Schlimmere verhindert, und einiges konnte er noch zum Besseren wenden. Dieses hochschulpolitische Engagement war nicht etwa gegen die Studenten gerichtet. Es entsprach vielmehr Meurers Naturell, besonders gut mit Studenten umgehen zu können. Er war ein hervorragender und beliebter Lehrer. Auch in diesem Punkt kamen ihm seine rheinische Herkunft und die Klarheit seines Denkens entgegen. Er gehörte nicht zu den Professoren, die Einfaches so kompliziert vor den Studenten ausbreiten, daß es einen scheinbar hochwissenschaftlichen Anstrich erhält. Auch nicht zu denjenigen, die Fragen besonderes Gewicht verleihen,

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welche für die Rechtsanwendung ohne jegliche Bedeutung sind. Vielmehr vermittelte er den Stundenten das strafrechtliche Fachwissen, ohne der Vereinfachung zu verfallen, mit gebotener Verständlichkeit und Abgewogenheit. Seine Vorlesungen wurden durch die zahlreichen Verknüpfungen, die er mittels seiner umfangreichen Allgemeinbildung herstellte, zusätzlich interessant. Meurers Fähigkeit zu espritreichen Pointen erhöhte die Beliebtheit der Veranstaltungen. Auch über den Vorlesungsbetrieb hinaus war er ein idealer Lehrer. Meurer, Vater von drei Kindern, hatte sich ein offenes Herz für die Belange junger Menschen bewahrt. Er war nicht nur ein treusorgender Vater für seine eigenen Kinder. Eine besonders deutliche Widerspiegelung seiner Freude, mit Studenten zusammen zu sein, sind die zahlreichen Exkursionen, die er mit seinen Seminarteilnehmern ins Ausland und zum Bundesgerichtshof unternommen hat und die sich allergrößter Beliebtheit erfreuten. Exkursionen und auch Tagungen ermöglichen es, den Menschen, der sich hinter einem wissenschaftlichen Namen verbirgt oder den man sonst nur auf dem Katheder erlebt, auch persönlich kennenzulernen. Dieter Meurer bestätigte nicht nur sein großes Organisationstalent, sondern erwies sich auch als glänzender Unterhalter. Sein Humor und seine Fröhlichkeit versetzten binnen kurzer Zeit jede abendliche Runde in eine heitere Atmosphäre. Sein hinreißendes Talent, Anekdoten zu erzählen oder hohles Pathos ironisch zu entlarven, hat so manchem von uns Heiterkeit entlockt, wie man sie sonst kaum erlebte. Das verband sich noch mit seiner Sangesfreude, die ansteckte und zur Verlängerung so mancher Veranstaltung bis in die frühen Morgenstunden beigetragen hat. Bei der Erinnerung an das herzhafte Lachen und den Humor darf die ernste Seite von Meurers Wesen aber nicht aus dem Blick kommen. Wer als Halbwaise aufgewachsen ist und durch die Berufstätigkeit der Mutter in schwieriger Nachkriegszeit den Weg zu Ausbildung und Erfolg geebnet bekommen hat, der weiß, daß alles hart erarbeitet werden muß und der gegenwärtige Lebensstandard nichts Selbstverständliches ist. Für eine „Lust- und Spaßgesellschaft“, wie der heutige Zustand der Gesellschaft oft charakterisiert wird, konnte ein Mensch mit seiner Vita und seinem Wissen allenfalls Mitgefühl empfinden und sie als Anzeichen eines beginnenden kulturellen Niedergangs deuten. Das ausgeprägte Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Allgemeinheit, das im vorhergehenden schon verschiedentlich deutlich wurde, fand auch Ausdruck, als Meurer in den Jahren 1997 und 2000 die Marburger Strafrechtsgespräche veranstaltete, bei denen Strafrechtsprofessoren, Bundesrichter und Bundesanwälte sowie hochrangige Vertreter des Bundesjustizministeriums zur Erörterung anstehender strafrechtlicher Gesetzgebungsverfahren zusammengeführt wurden. Die beiden Marburger Tagungen waren in ihrem fachlichen Niveau und ihrem weiterführenden, der Allgemeinheit dienlichen Ergebnissen Höhepunkte der jüngeren strafrechtlichen Debatte. Schon allein mit ihnen hat sich Meurer ein Denkmal gesetzt.

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Das Bild von Dieter Meurer wäre lückenhaft, würde man nicht auch seiner Zuverlässigkeit und Loyalität gedenken. Es ist eine gewiß nicht einfache Situation, wenn man gleichzeitig Habilitand des emeritierten Vorgängers und Assistent von dessen Nachfolger ist. Das um so mehr, wenn diese beiden sehr verschiedene Charaktere sind und zudem wissenschaftlich unterschiedliche Wege gehen. Meurers nicht nur geschickte, sondern vor allem grundanständige Haltung hat es ermöglicht, daß es weder auf der einen noch auf der anderen Seite zu einem Loyalitätskonflikt gekommen ist. Sie, verehrte gnädige Frau, haben an den großen Verdiensten, die sich Ihr Mann erworben hat, hohen Anteil. Sie sind ebenso wie Dieter Meurer Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kölner Kriminalwissenschaftlichen Institut gewesen. Die zur persönlichen Verbundenheit hinzutretende fachliche Gemeinsamkeit bot Ihrem Mann stets einen besonderen Rückhalt, sei es im Gespräch, sei es hinsichtlich des Verständnisses für seine Arbeit. Dafür ist Ihnen zutiefst zu danken. Wir alle haben mit Dieter Meurer einen ungemein schätzenswerten Menschen verloren. Seine durch Tatkraft, heiteres Gemüt und Esprit ausgezeichnete Persönlichkeit, die in den Einzelheiten in den nachfolgenden Reden noch zu würdigen ist, wird uns unvergeßlich bleiben. Sein herzhaftes Lachen hören wir nun nicht mehr. Es gibt nicht viele, denen man so gerne begegnete wie ihm. Das ist nun nicht mehr möglich. Uns bleibt nur die Erinnerung an einen Menschen, dem wir uns über den Tod hinaus verbunden fühlen.

Rede beim 1. deutsch-japanisch-polnischen Strafrechtskolloquium (1997) in Posen 1998 Herr Generalkonsul, Herr Prorektor, meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß ich diese schöne Abendveranstaltung dazu nutze, um im Namen der deutschen Teilnehmer für die Einladung zu dem polnisch-japanisch-deutschen Strafrechtskolloquium zu danken. Der Dank richtet sich an die polnischen Veranstalter, nämlich an die Societas Humboldtiana Polonorum und die AdamMickiewicz-Universität Poznan, wobei die Verdienste von Herrn Kollegen Szwarc besonderer Hervorhebung bedürfen. Zu danken ist ebenso der Alexander von Humboldt-Stiftung, die dieses Kolloquium durch großzügiges finanzielles Entgegenkommen ermöglicht hat und ihr besonderes Interesse durch die Anwesenheit von Herrn Dr. Holl unterstreicht. Es handelt sich um eine außergewöhnliche Tagung. Polen, Japaner und Deutsche. Wie kommt es zu einer solchen Dreiecksbeziehung? Uns Strafrechtlern sind Dreiecksverhältnisse an sich nicht unbekannt. Ich verweise nur im Besonderen Teil auf den Dreiecksbetrug. Auch sonst sind der Rechtsordnung Dreiecksverhältnisse geläufig: Ich erinnere nicht nur an das Obligationenrecht, sondern auch an das Eherecht. In unserem Fall geht es aber offensichtlich um etwas anderes und besonderes. Es handelt sich darum, daß die japanisch-deutschen und die polnischdeutschen bilateralen Strafrechtsbeziehungen sich durch eine dritte Verbindung, nämlich die polnisch-japanische, zu einem Dreieck verbunden haben. Die engen japanisch-deutschen Strafrechtskontakte haben sich bekanntlich seit Anfang des Jahrhunderts entwickelt als Folge der starken Beeinflussung des japanischen Strafgesetzbuchs durch das deutsche. Erheblich älter sind die polnischdeutschen. Professor Waltos hat dies kürzlich in der ZStW dargestellt. Sie gehen bis zur Carolina zurück. Auch der Einfluß Carpzovs auf das polnische Strafrecht ist besonders hervorzuheben. Deutsche Studenten studierten in jenen Zeiten in Krakow und polnische in Leipzig. Auch später setzte sich der Kontakt fort. So sind noch in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts polnische Strafrechtler zu Forschungen im Kriminalwissenschaftlichen Institut der Berliner Universität gewesen. Nach längerer Unterbrechung durch die furchtbaren Geschehnisse während der Mitte des Jahrhunderts haben sie sich dann seit den späten 70er Jahren sehr stark belebt.

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Deutsche Strafrechtsinstitute sind daher in den beiden letzten Jahrzehnten auch zum Begegnungsort für japanische und polnische Strafrechtler geworden. Sie ermöglichten Begegnungen eines verhältnismäßig großen Wissenschaftlerkreises, weil es sich bei den deutschen Strafrechtsbeziehungen zu Japan und Polen um besonders enge und intensive Kontakte handelt. Der Anreiz für Polen und Japaner, miteinander ins Gespräch zu kommen, war dabei um so größer, als die Strafrechtswissenschaft in beiden Ländern hoch entwickelt ist. Dieses Dreiecksverhältnis bildet ein besonders schönes Beispiel dafür, daß es eine internationale Strafrechtswissenschaft gibt. Bei der Tagung der deutschsprachigen Strafrechtslehrer Ende vergangener Woche in Berlin ging es darum, eine europäische Strafrechtswissenschaft anzustreben. Die hier in Poznan Anwesenden wissen jedoch längst, daß es eine internationale, weltumspannende Strafrechtswissenschaft gibt. Wir beschäftigen uns in Polen, Japan und Deutschland mit den gleichen Sachproblemen. Wir suchen nach den sachlich richtigen, nämlich den auf der Grundlage eines Tatstrafrechts und aus den Strafzwecken sich ergebenden schlüssigen Lösungen. Ob etwa korporative Gebilde straffahig sein können – um nur eines der Themen unseres Kolloquiums als Beispiel zu nennen – ist eine Frage, die man anhand der strafrechtlichen Grundlagen und Grundvoraussetzungen zu prüfen hat. Wir haben uns hier ein großes wissenschaftliches Programm vorgenommen, das für alle Beteiligten von außerordentlichem Reiz ist. Besonders schön ist es auch, daß die Adam-Mickiewicz-Universität unser örtlicher Gastgeber ist. Der ihr angehörende Kollege Szwarc hat sehr früh Kontakte zu ausländischen Strafrechtlern des Westens aufgenommen. Zudem ist er nicht nur ein angesehener Strafrechtsprofessor, sondern auch ein großer Organisator. Ich stehe bereits seit den 70er Jahren mit ihm in Verbindung und habe nie verstanden, daß der polnische Staat dieses außergewöhnliche organisatorische Talent nicht auch für andere Aufgaben eingesetzt hat. Als Wirtschaftsminister hätte Prof. Szwarc nach meiner Einschätzung Polen schneller als andere einer ökonomischen Blüte entgegengeführt. Andererseits können wir Strafrechtler dankbar dafür sein, daß man ihn uns belassen hat; denn ohne seine Initiative wäre weder dieses Kolloquium noch vieles andere in der positiven Entwicklung der polnisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen erreichbar gewesen. Ich fühle mich mit der Adam-Mickiewicz-Universität eng verbunden, weil ich ihr Ehrendoktor bin – und das ist übrigens auch der Grund, weshalb ich derjenige bin, der hier heute abend für die deutsche Seite das Wort ergreift. Welch ein weiter Weg bis zur Normalisierung der wissenschaftlichen Kontakte zu Deutschland zurückzulegen war, ist mir sehr deutlich geworden, als ich mich ins Goldene Buch der hiesigen Universität eintrug und dabei feststellte, daß der erste Eintrag von Marschall Foch stammte. Wir müssen alles tun, damit die Beziehung zwischen Deutschland und Polen sich nun weiterhin zum Guten entwickeln. Daß unsere Tagung in Poznan stattfindet, gibt Anlaß, noch auf eine weitere Gemeinsamkeit in unserer polnisch-japanisch-deutschen Dreierkonstellation

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hinzuweisen. Wie Sie wissen, hat das Wort „preußisch“ eine negative und eine positive Bedeutung. In negativer Hinsicht denkt man an Militarismus, in positiver an bestimmte Tugenden, so an ein strenges Arbeitsethos, Pünktlichkeit, Korrektheit und allgemein an eine strikte, puritanische, besser hugenottische Lebensdisziplin. In Polen nun wird den Einwohnern Poznans mit dem Blick auf die preußischen Tugenden eine preußische Geisteshaltung nachgesagt. Und Paralleles beobachten wir bei den Japanern, die bekanntlich als die Preußen Ostasiens bezeichnet werden. Ebenfalls ist in Deutschland noch von preußischen Tugenden die Rede, mag auch inzwischen viel davon verloren gegangen sein. Nicht weit von der Straße, die von Poznan nach Gniezno – wir sagen Gnesen – führt, liegt ein See mit einer Insel. Nach der Legende sollen von dieser Insel die Brüder Lech, Rus und Czech ausgezogen sein, um die slawischen Reiche Polen, Rußland und Böhmen zu gründen. Auch wir werden nach dieser Tagung in drei Richtungen auseinandergehen. Zwar brauchen wir die Strafrechtswissenschaft glücklicherweise in unseren Ländern nicht erst zu gründen, aber wir werden, wie der bisherige Verlauf des Kolloquiums bereits erkennen läßt, wichtige fachliche Überlegungen und Ergebnisse dieses auf hochrangigem Niveau geführten Meinungsaustausches mit auf den Weg nehmen und von unseren Universitäten aus verbreiten. Die Legende hat auch noch einen zweiten Teil. Danach haben sich die drei Brüder später noch einmal getroffen, und zwar in Poznan. Selbstverständlich soll damit von mir nicht angeregt werden, eine Fortsetzung unseres Kolloquiums ebenfalls in Poznan zu veranstalten. So vortrefflich die Gastfreundschaft hier auch ist und so sehr man sich hier wohlfühlt, haben unsere Gastgeber aber schon Großes damit geleistet, daß sie die Rolle der erwähnten Insel übernommen haben, von der aus die weitere Entwicklung ihren Anfang nimmt. Wir hoffen deshalb auf eine Fortsetzung zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt in einem der beiden anderen Länder. Abschließend möchte ich noch einmal Herrn Professor Szwarc und Herrn Dr. Holl für die Vorbereitung und Ausrichtung dieses hervorragend gelungenen polnisch-japanisch-deutschen Strafrechtskolloquiums und Herrn Generalkonsul Ranner für diesen schönen Abend danken.

Rede beim 3. deutsch-japanisch-polnischen Strafrechtskolloquium (2003) in Posen und Zoppot 2006 Sehr verehrter, lieber Herr Dekan Prof. Szwarc, sehr geehrter Herr Vizepräsident Kayser, meine sehr geehrten Damen und Herren, als ältester der anwesenden deutschen Strafrechtler möchte ich den polnischen Veranstaltern dafür danken, daß sie nun schon zum zweiten Male das polnischjapanisch-deutsche Strafrechtskolloquium ausrichten. Besonderer Dank gilt dabei Ihnen, Herr Kollege Szwarc. Eigentlich wäre bei diesem dritten Treffen die deutsche Seite an der Reihe gewesen, nach Deutschland einzuladen, nachdem wir bereits in Poznan und Osaka zu Gast waren. Andererseits steht die Alexander-von-Humboldt-Stiftung bei allen Veranstaltungen als Schirmherr, Sponsor und organisatorischer Berater im Hintergrund, und die Stiftung hatte die ehemaligen Humboldt-Stipendiaten in jüngerer Zeit bereits nach Bamberg eingeladen. Diese dritte Zusammenkunft wird die wissenschaftlichen Beziehungen weiter vertiefen: Für die polnische Seite handelt es sich um eine Vertiefung der Kontakte mit dem wissenschaftlich führenden Staat Ostasiens. Und für die japanische Seite geht es um den Meinungsaustausch mit einem der auf dem Gebiete des Strafrechts fachlich führenden Staaten Europas. Uns deutsche Strafrechtler und die HumboldtStiftung erfüllt es mit großer Befriedigung, dass wir Wegbereiter dieser Kontakte sind. Wir danken Ihnen, daß Sie uns weiterhin daran beteiligen. Herr Prof. Szwarc und der leider schwer erkrankte Prof. Wasek sowie die Herren Professoren Nishihara und Yamanaka haben ein sehr interessantes Programm entworfen. Es bestätigt die Erfahrung, dass sich die strafrechtlichen Probleme in den meisten Staaten der Welt ähneln. Aufgabe der Wissenschaft ist es daher, nach den sich aus den gemeinsamen Grundlagen ergebenden Lösungen zu suchen. Die internationale Diskussion hat herkömmlich ihren Schwerpunkt im Allgemeinen Teil. In den letzten Jahren erstreckt sie sich aber zunehmend auch auf die Regelung der einzelnen Delikte im Besonderen Teil. Das wird bestätigt durch das Programm unserer Tagung. Es enthält aktuelle Themen aus beiden Gebieten.

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Diese zweite Einladung nach Polen ermöglicht es nicht nur den japanischen, sondern auch den deutschen Teilnehmern, Polen näher kennenzulernen. Unser Blick richtet sich dabei über die schöne Stadt Poznan hinaus, die wir bereits vom ersten Kolloquium her kennen, auf das von unseren Gastgebern diesmal entworfene Reise- und Besichtigungsprogramm. Über Gniezno (Gnesen), Malbork (Marienburg) und Gdansk (Danzig) werden wir nach Sopot (Zoppot) fahren. Diese Orte liegen in einer Region von hohem kulturellen Rang und welthistorischer Bedeutung. Von hier sind Wirkungen für die ganze Welt ausgegangen: Kopernikus wurde in Torun (Thorn) geboren. Der Zweite Weltkrieg ist in Danzig ausgebrochen (mit der Beschießung der Westerplatte). Morungen ist der Geburtsort von Herder, dem Erwecker des Nationalgedankens. Danzig ist die Heimat des Philosophen Schopenhauer. Und von Gdansk ist durch die auf der Lenin-Werft entstandene Solidarnosc-Bewegung der Widerstand gegen die kommunistische Diktatur und schließlich die Überwindung dieses Systems ausgegangen. Polnische und deutsche Einflüsse sind in diesem Gebiet auf vielfältige Weise verschränkt: Gniezno ist der Gründungsort des polnischen Staates. Am Anfang des 11. Jahrhunderts war dort der deutsche Kaiser Otto III, um ein Erzbistum zu gründen. Malbork war Sitz des Deutschen Ordens, der nach dem Scheitern der ins Heilige Land unternommenen Kreuzzüge vom polnischen König mit der Bekämpfung der benachbarten Pruzzen betraut worden ist. Die Burg, in deutscher Sprache die Marienburg, bildet die größte Burganlage nördlich der Alpen. Gdansk ist eine alte Hansestadt mit sehr eindrucksvollen mittelalterlichen Bauten. Nicht weit von ihr entstand nach dem Ersten Weltkrieg die Stadt Gdynia, der bedeutendste polnische Hafen. Wir freuen uns sehr darauf, vieles davon zu sehen. Dank gilt auch noch einmal der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und den polnischen Veranstaltern. Besonderer Dank der deutschen Teilnehmer richtet sich an alle polnischen und japanischen Mitwirkenden dafür, daß die Tagung in deutscher Sprache stattfindet. Ich wünsche dem Kolloquium einen guten Verlauf.

Der Wiederaufbau der Juristischen Fakultäten in den neuen Bundesländern 1995 I. Der vorhergehende Niedergang dieser Fakultäten 1. Bei Kriegsende gab es auf dem Gebiet der späteren DDR einschließlich Ost-Berlins sechs Juristische Fakultäten, nämlich in Berlin, Leipzig, Halle, Jena, Rostock und Greifswald. Die Juristenfakultät der Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität war bis zur NS-Zeit die wissenschaftlich führende in Deutschland, und der Ruf der Leipziger Fakultät stand dem nicht viel nach. Allen sechs erwähnten Fakultäten wurde ebenso wie den anderen deutschen Rechtsfakultäten bereits vom nationalsozialistischen Regime erheblicher Schaden zugefügt, sei es durch die Entlassung der Professoren jüdischer Abstammung aufgrund der NSRassengesetzgebung, sei es in Form der Indoktrinierung der Rechtswissenschaft im Sinne der NS-Ideologie durch regimeergebene Professoren. Besonders groß war der Schaden an der Berliner Juristischen Fakultät. Sie verlor zu Beginn des Dritten Reiches ihre bedeutendsten Köpfe: Die Zivilrechtler Ernst Rabel, Fritz Schultz und Martin Wolff sowie der Prozessualist und Strafrechtler James Goldschmidt wurden wegen ihrer Abstammung von der Universität entfernt und gingen ins Ausland; und der Staatsrechtler Rudolf Smend wurde von Berlin nach Göttingen zwangsversetzt. Die frei gewordenen Lehrstühle besetzte man mit Professoren nationalsozialistischer Ausrichtung. In Leipzig, Halle, Jena und Rostock hinterließ die NS-Diktatur ebenfalls schmerzliche, aber nicht ganz so auffällige Spuren. 2. Die also bereits durch die Hitler-Zeit geschädigten Juristischen Fakultäten wurden von der sowjetischen Besatzungsmacht und ihren kommunistischen deutschen Kollaborateuren dann wissenschaftlich vollends ruiniert. Was an fachlich qualifiziertem Lehrpersonal noch vorhanden war, wurde wegen seiner bürgerlichen Herkunft nach und nach zum Weggang nach Westen motiviert, und zwar auch dann, wenn keine oder keine zu Buche schlagende Belastung durch die NSZeit vorlag. Nur ganz wenige blieben damals im Osten zurück. Die nach dem Westen Verdrängten wurden im Laufe der Zeit von westdeutschen Universitäten und der von den Amerikanern in West-Berlin gegründeten Freien Universität aufgenommen. Die im Osten vakant gewordenen Lehrstühle sind nur zum Teil wiederbesetzt worden. Denn mit dem von der sowjetischen Besatzungsmacht etablierten

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sozialistischen Gesellschaftssystem war ein allgemeiner Bedeutungsverlust des Juristenberufs und damit auch der Juristenausbildung verbunden. Es wurden als erste Gerichtsinstanz Gesellschaftsgerichte mit Laienrichtern gebildet, die Verwaltungen mit Parteikadern besetzt und allgemein durch Abbau rechtsstaatlicher und privatwirtschaftlicher Strukturen das Betätigungsfeld für Juristen stark verringert. Bei den neuen Dozenten handelte es sich um Personen, die mit dem stalinistischen Regime sympathisierten und teils aus dem Mittelbau der Universität stammten oder aus anderen juristischen Berufen kamen. Die früheren sechs Juristischen Fakultäten hatten schließlich folgendes Schicksal: In Rostock und Greifswald wurden sie ganz aufgelöst, wobei die Greifswalder Juristische Seminarbibliothek zum Zwecke der Devisenbeschaffung in den Westen verkauft worden ist. 1 Andere Fakultäten hat man in Sektionen für Staats- und Rechtswissenschaft umgewandelt und jeweils schwerpunktmäßig mit der Aufgabe der Ausbildung für eine spezielle juristische Berufslaufbahn betraut. So wurden an der Berliner Humboldt-Universität, wie die alte Friedrich-Wilhelm-Universität seit der Wiedereröffnung durch die sowjetische Besatzungsmacht hieß, Richter, Rechtsanwälte und Notare ausgebildet. In Jena ging es um künftige Staatsanwälte, und in Leipzig und Halle fand die Ausbildung von Wirtschaftsjuristen statt. Als neue Ausbildungseinrichtung gründete man in Potsdam-Babelsberg eine „Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft Walter Ulbricht“. Sie war als spezielle „Kaderschmiede“ für den Staatsapparat konzipiert. Ihr Lehrkörper war dem SEDRegime in erhöhtem Maße ergeben. Nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker wurde sie in „Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR“ umbenannt und der Lehrbetrieb auf ein Studium sogenannter „Staatswissenschaften“ ausgerichtet, das nur noch wenige juristische Bezüge aufwies. Die Studienplätze für die Studenten waren in der DDR kontingentiert. Es wurden nur soviele Studenten ausgebildet, wie man für die jeweiligen Berufe benötigte. Der Weg zur Universität führte deshalb für diejenigen, die Jura studieren wollten, um später bei der Justiz oder der Verwaltung tätig zu sein, über eine Bewerbung bei einem dieser Ressorts. In den Anfängen der DDR war außerdem Abkömmlingen, bürgerlicher Familien, das Universitätsstudium zumeist ganz verschlossen. Das änderte sich erst, als das Gesellschaftssystem eine eigene Mittelund Oberschicht gebildet hatte. Ohne Chancen waren aber weiterhin diejenigen, an deren Regimetreue Zweifel bestanden, etwa weil sie der Kirche oder später der Friedensbewegung nahestanden. Auf das Auswahlkriterium der „kaderpolitischen Eignung“ wirkte sich aber auch schon negativ aus, daß ein Bewerber Verwandte in der Bundesrepublik hatte. 2

1 Sie befindet sich heute vornehmlich in der Universität Bielefeld. Im übrigen wurden auch aus den juristischen Buchbeständen anderer Universitäten Teile durch das „Zentralantiquariat der DDR“ nach Westen veräußert.

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Im Zeitpunkt der Wende von 1989 gab es im Berufsleben der DDR nur ca. 10.000 Juristen, im Vergleich zu ca. 115.000 in Westdeutschland. II. Die Entwicklung seit dem Zusammenbruch des SED-Regimes 1. Der Zusammenbruch der kommunistischen Gesellschaftsordnung und der Übergang zu einem rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Gesellschaftssystem führte allein schon aufgrund der im vorhergehenden geschilderten Verhältnisse zu einem enormen Bedarf an Juristen. Die Wiederherstellung und auch Neugründung Juristischer Fakultäten wurde schon deshalb zu einer vordringlichen Aufgabe. Da die Universitäten in der Bundesrepublik in die Zuständigkeit der Länder fallen, oblag die Bewältigung dieser Aufgabe den einzelnen neuen Bundesländern und dem um Ost-Berlin erweiterten Bundesland Berlin. Der Ablauf und der bisherige Erfolg des Neuaufbaus sind unterschiedlich, im wesentlichen jedoch positiv zu bewerten. Bevor im folgenden die beim Neuaufbau aufgetretenen und noch bestehenden Probleme aufgezeigt und erläutert werden, ist zunächst einmal als Resultat festzustellen, daß die vor 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR und Ost-Berlins vorhandenen sechs Juristischen Fakultäten sämtlich wieder in Funktion sind. Zu ihnen sind neu hinzugekommen Juristische Fakultäten in Potsdam, Dresden und Frankfurt a.d. Oder. Außerdem wird eine Neugründung in Erfurt vorbereitet. Mit den letztgenannten vier neuen Fakultäten wird in den östlichen Bundesländern die Kapazitätserweiterung nachvollzogen, die in Westdeutschland seit den sechziger Jahren von Bochum bis Osnabrück und nun Düsseldorf erfolgt ist. 3 Fraglich bleibt allerdings, ob bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Vermehrung sachlich notwendig erscheint und ob sie überhaupt der allgemeinen Situation angemessen ist. Das betrifft auch das Ausmaß der Erweiterung: Während man in dem über 17 Millionen Einwohner großen westlichen Bundesland NordrheinWestfalen mit sechs Juristischen Fakultäten auskommt (von denen die sechste sich zudem erst im Aufbaustadium befindet) 4, sind es in dem Gebiet der 16 Millionen 2 Solche Westbeziehung blockierte leicht die Zulassung zum Justiz- und Verwaltungsstudium. Den Bewerbern verblieb nur der Studiengang für Wirtschaftsjuristen (Leipzig und Halle), für den es zwar ebenfalls einen numerus clausus gab, aber die Universität allein über die Zulassung entschied und die „kaderpolitische Eignung“ nicht dermaßen im Vordergrund stand. In der Praxis hatte das übrigens die Folge, daß die fachliche Qualifikation der Studenten hier höher war. 3 Neu gegründet worden sind in diesem Zeitraum in Westdeutschland die Juristischen Fakultäten in: Augsburg, Bayreuth, Bielefeld, Bochum, Düsseldorf, Hannover, Gießen (Wiedereröffnung), Hannover, Konstanz, Mannheim, Osnabrück, Passau, Regensburg und Trier. 4 In Düsseldorf sind erst wenige Lehrstühle besetzt.

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Einwohner zählenden ehemaligen DDR nun schon neun bis zehn. Wie bei der Neugründungswelle in Westdeutschland spielen bei der Erweiterung auch hier andere, insbesondere regionale Erwägungen mit. Das zeigt sich besonders deutlich an den Neugründungen in Brandenburg. Während Brandenburg und Berlin bis 1945 eine Provinz („Mark Brandenburg“) waren und deshalb die alte Berliner Universität gleichzeitig die für das Gebiet des heutigen Brandenburg zuständige gewesen ist, handelt es sich jetzt – wenigstens vorerst – um zwei selbständige Bundesländer. Das Land Brandenburg legte sich daher sogleich zwei eigene Universitäten zu, nämlich in Potsdam und in Frankfurt a.d. Oder. Die Juristische Fakultät in Potsdam konnte auf Gebäude und Bibliotheksbestände der erwähnten, inzwischen aufgelösten Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der ehemaligen DDR zurückgreifen. In Frankfurt a.d. Oder hatte man dagegen bei Null zu beginnen. Für diese Neugründung gab in örtlicher Hinsicht den Ausschlag, daß sich in Frankfurt bis zur Gründung der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität im Jahre 1810 die alte brandenburgische Universität Viadrina befunden hatte, die damals in das dann 1945 an Polen verlorengegangene Breslau verlegt wurde. Außerdem soll die neue Frankfurter Universität, und das gilt gerade auch für die Juristische Fakultät, die Beziehungen zum heute gegenüberliegenden Polen pflegen, wozu mehrsprachige Studiengänge in Zusammenarbeit mit benachbarten polnischen Universitäten eingerichtet worden sind. Bei der Gründung der neuen Juristischen Fakultät in Dresden, die mit der traditionsreichen Technischen Universität Dresden verbunden worden ist, ging es neben der Notwendigkeit, zusätzliche Ausbildungskapazitäten in dem bevölkerungsstärksten neuen Bundesland Sachsen zu schaffen, um Probleme der bis dahin einzigen sächsischen Juristischen Fakultät: der in Leipzig. Und zwar verlief an der Universität Leipzig, die während der kommunistischen Herrschaft in „Karl-MarxUniversität“ umbenannt worden war, der Neubeginn zunächst zähflüssig. Eine völlig neue Fakultät in Dresden konnte demgegenüber schnell aufgebaut werden. 2. Das führt zu den Problemen des Wiederaufbaus juristischer Fakultäten. a) Hier steht im Mittelpunkt das Problem der Verwendbarkeit und des Verbleibs des während der kommunistischen Herrschaft angestellten Lehrpersonals. aa) Gemäß Art. 13 des zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik abgeschlossenen Einigungsvertrags konnten die Landesregierungen der neuen Bundesländer die in ihre Zuständigkeit fallenden staatlichen Einrichtungen in die eigene Trägerschaft überführen oder abwickeln, d. h. auflösen. Daß dies auch für Einrichtungen der Bildung und Wissenschaft gelten sollte, ist im Absatz 3 der Vorschrift noch ausdrücklich hervorgehoben. Die Entscheidung über die Übernahme mußte gemäß einer in einer Anlage zum Einigungsvertrag enthaltenen Regelung 5 spätestens 3 Monate nach der Wiedervereinigung, also bis zum 2. Januar 1991, erfolgt sein. Erfolgte sie bis dahin nicht, sei es, daß ausdrücklich die Abwicklung

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angeordnet wurde, sei es, daß jedenfalls keine Übernahme stattgefunden hatte, so gelangten die Arbeitnehmer der betroffenen Einrichtungen automatisch in die sogenannte „Warteschleife“. Das bedeutete, daß die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer der Einrichtung für 6 Monate oder – bei über 50-jährigen Personen – 9 Monate ruhten und sodann mit Ablauf dieser Fristen beendet waren. Während der 6 bzw. 9 Monate, die der Arbeitnehmer sich in der Warteschleife befand, hatte er Anspruch auf ein monatliches Wartegeld in Höhe von 70% seines bisherigen Gehalts. 6 Im Falle der Überführung der Einrichtung setzte sich das bisherige Beschäftigungsverhältnis fort. In der schon erwähnten Anlage zum Einigungsvertrag waren jedoch für diesen Fall drei Kündigungsmöglichkeiten geschaffen worden. 7 Der Arbeitnehmer einer überführten Einrichtung konnte danach noch innerhalb einer später bis zum 31. 12. 1993 verlängerten Frist gekündigt werden, wenn er wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entsprach. Zweitens, wenn er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar war. Drittens, wenn die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wurde oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Änderung des Aufbaus der Beschäftigungsstelle die bisherige oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr möglich war. Nach dem Einigungsvertrag gab es also zwei Wege der Neuordnung: den der Abwicklung, sprich Auflösung, mit der Folge des – durch die Warteschleife abgefederten – Auslaufens aller Arbeitsverhältnisse der betreffenden Einrichtung und den der Überführung mit der Möglichkeit, einzelnen Arbeitnehmern unter den genannten Voraussetzungen zu kündigen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Warteschleifenregelung in zwei Entscheidungen 8 grundsätzlich für verfassungskonform erklärt und nur in Randbereichen, so hinsichtlich eines zusätzlichen Schutzes für schwangere Arbeitnehmer, spezielle Forderungen für die Auslegung gestellt. Die Landesregierungen entschieden sich im Falle der Universitätssektionen „Staats- und Rechtswissenschaft“ und der Potsdamer Akademie, die sich seit 1990 „Hochschule für Recht und Verwaltung“ nannte, für den Weg der Abwicklung. Ebenso wurde mit den Universitätssektionen für Marxismus-Leninismus, 5

Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. l Abs. 2 i.V. m. Abs. 3 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. 8. 1990. 6 Näher zu diesen Fragen: U. Fink, Die Abwicklung der Hochschuleinrichtungen der ehemaligen DDR und die Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten Arbeitnehmer, in: Wissenschaftsrecht 1993, 18 ff. 7 Siehe Abs. 4 der in Fn. 5 genannten Vorschrift. 8 BVerfGE 84, 133 und 85, 360.

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für Wirtschaft, für Philosophie und Gesellschaft sowie zumeist auch denen für Geschichte und Erziehungswissenschaften verfahren. 9 Dabei gab den Ausschlag, daß diesen Teileinrichtungen entweder durch den Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems ganz die Funktion entzogen war und sie deshalb ersatzlos fortfielen – so die Sektionen für Marxismus-Leninismus – oder daß sie in ihrer bisherigen fachlichen Ausrichtung und personellen Zusammensetzung nicht die Basis für eine Erneuerung boten – so die Sektionen für Staats- und Rechtswissenschaft. Man wählte auch bei der zweiten Gruppe den Weg der Abwicklung, um einen zügigen und den fachlichen Bedürfnissen entsprechenden Aufbau der betreffenden neuen Fakultäten zu ermöglichen. Dies vermied eine Abwanderung der Juraund Wirtschaftsstudenten nach Westen und verhinderte, daß der Neuaufbau unter maßgeblichen Einfluß des alten Lehrpersonals geriet. Das führte zu einer rechtlichen Kontroverse. Denn hier ging es ja nicht um den ersatzlosen Wegfall des Fachgebiets der bisherigen Einrichtung, da die Rechtswissenschaft und ebenso die Wirtschaftswissenschaften weiterhin, nur fortan in Fakultäten, betrieben werden sollten. 10 Das Oberverwaltungsgericht Berlin erklärte deshalb in einem spektakulären Beschluß 11 die Abwicklung der Sektion „Rechtswissenschaft“ der Berliner Humboldt-Universität für rechtswidrig – mit nachteiligen Folgen für den Wiederaufbau der Fakultät, worauf anschließend noch einzugehen sein wird. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, daß es sich hier nicht um den Fortfall der Aufgaben der Einrichtung handele, sondern nur um Änderungen der Aufgabeninhalte und der Struktur ihrer Wahrnehmung. Bei anderen Universitäten erledigte sich das Problem dadurch, daß seitens der Universität keine Klage gegen die Abwicklung erhoben wurde. Insoweit bisherige rechtswissenschaftliche Sektionen Klage erhoben hatten, wurden diese von den Gerichten abgewiesen, weil den Sektionen nach ihrer Rechtsstellung keine eigene Parteifähigkeit zustand. Im übrigen ist das Problem etwas dadurch entschärft worden, daß ältere Professoren vielfach von der Möglichkeit Gebrauch machten, in den Ruhestand zu treten. Eine Ursache der besonderen Berliner Probleme war der damalige Rektor der Humboldt-Universität, ein evangelischer Theologe, der nicht unerheblich in das 9

Vgl. G. Berg, Ein beispielloses Unternehmen. Der Neuaufbau an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 1993, 299. 10 Kritisch W. Däubler, Die sogenannte Warteschleife auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, in: Neue Justiz 1991, 233, 234; A. Dehnhard, Hochschul-„Abwicklung“?, in: Neue Justiz 1991, 295; M. Hartmer, Zwischen Beharrung und Neuanfang, in: Die Verwaltung 1992, 83, 89 f.; H. Konzen, Die „Abwicklung“ und der Rechtsstaat, in: FAZ vom 12. 2. 1991, S. 10. Dazu U. Fink (Fn. 6), S. 32 ff., 35. 11 OVG Berlin, Neue Justiz 1991, 324. Es handelte sich um eine Beschwerdeentscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.

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SED-Regime verstrickt gewesen ist. Er betrachtete unter der Parole „Erneuerung von innen“ es als seine Aufgabe, möglichst viel von dem alten Lehrpersonal zu erhalten und diesem auch maßgeblichen Einfluß auf die Auswahl neu zu berufener Lehrkräfte zu sichern. 12 Deshalb wurde durch eine von der Universität vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage gegen die vom Berliner Wissenschaftssenator verfügte Abwicklung (Auflösung) bestimmter bisheriger Sektionen, darunter die für „Staats- und Rechtswissenschaft“, vorgegangen. Das hatte zur Folge, daß noch bis Anfang 1993 die Leitung des Neuaufbaus der Berliner Juristischen Fakultät in den Händen einer aus dem Personalbestand der SED-Zeit stammenden Dekanin lag, die promoviert hatte mit einer Doktorarbeit über das Thema „Studien zum Kampf der Arbeiterklasse im Kapitalismus unter besonderer Berücksichtigung der BRD“. 13 Für die Erneuerung günstiger verliefen die Dinge, wie gesagt, an anderen Universitäten. So war der Ablauf in Halle folgender: 14 Dort versuchte zunächst das alte Lehrpersonal ebenfalls, die Neugründung der Juristischen Fakultät selbst in die Hand zu nehmen. Diese sollte Ende November 1990 stattfinden, wurde jedoch vom zuständigen Landesministerium untersagt. An dem von den bisherigen Sektionsmitgliedern entworfenen Fakultätskonzept war auffallend, daß man eine Fächerverteilung vorgenommen hatte, die eine Besetzung der Lehrstühle durch den bisherigen Personalbestand einschließlich einiger bisher nicht zu Professoren aufgerückter Mitglieder ermöglichte. So ist in dem Konzept das Zivilrecht im Gegensatz zum öffentlichen Recht stark unterrepräsentiert gewesen. Gegenüber der Berufung oder auch nur gastweisen Hinzuziehung westdeutscher Professoren hatte man größte Vorbehalte. 15 Das Ministerium verfügte dann im Dezember 1990 die Abwicklung, also Auflösung, der alten rechtswissenschaftlichen Sektion und setzte gleichzeitig eine Evaluierungs- und eine Neugründungskommission ein. Die Evaluierungskom12 Näher dazu Mechthild Küpper, Die Humboldt-Universität. Einheitsschmerzen zwischen Abwicklung und Selbstreform 1993, S. 49 ff. 13 Vgl. U. Karpen, Den Dienern des Systems die Freiheit schenken, in: FAZ vom 17. 8. 1991, S. 23. Über Arbeitsweise und hochschulpolitische Auffassungen dieser Dekanin näher Mechthild Küpper (Fn. 12), S. 65 ff. 14 Die Angaben sind einem für die Festschrift für Remmers verfaßten Beitrag von E. Deutsch, Die Abwicklung und die Evaluierung der Juristischen Sektion der Universität Halle, entnommen, den der Autor mir freundlicherweise vorweg zur Verfügung gestellt hat. 15 So äußerte der amtierende Sektionsdirektor in einem an den Rektor gerichteten Schreiben vom 8. 8. 1990 sein „Befremden“ darüber, daß ein bekannter Kölner Versicherungsrechtler für eine versicherungsrechtliche Vorlesung gewonnen werden sollte (vgl. E. Deutsch, Fn. 14).

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mission, die je zur Hälfte aus westdeutschen und unbelasteten einheimischen Mitgliedern bestand, hatte die Aufgabe, die bisherigen Sektionsmitglieder auf ihre wissenschaftliche Qualifikation und die sich in den wissenschaftlichen Arbeiten widerspiegelnde persönliche Eignung hin zu überprüfen. Ziel war dabei, den als qualifiziert eingestuften Wissenschaftlern bei der Neubesetzung der Stellen Chancen zu geben, berücksichtigt zu werden. Bei den Entscheidungen über die persönliche Eignung hat die bloße Parteimitgliedschaft nicht disqualifiziert, auch nicht die Innehabung von Funktionärsstellen. Wie der damalige Vorsitzende der Kommission, der Göttinger Zivilrechtler Deutsch berichtet, 16 war vielmehr Kriterium allein die wissenschaftliche Befähigung, welche die Möglichkeit gibt, Studenten im Recht auszubilden. Das Ergebnis der Kommissionsarbeit ist gewesen, daß von ursprünglich fünfunddreißig Antragstellern, von denen ein Teil die Anträge schon während des Verfahrens zurückzog, ein Professor und zwei Dozenten positiv evaluiert worden sind. Den beiden Dozenten wurden dabei Auflagen für die Erweiterung ihres Fachs gemacht. Von den Antragstellern, die in die Kategorie der wissenschaftlichen Mitarbeiter fielen, wurden fünf zur Fortbildung, auch in ihrem Hauptfach, an westdeutsche Universitäten empfohlen. Die Neugründungskommission, die unter dem Vorsitz des vom Ministerium zum Gründungsdekan ernannten Göttinger Strafrechtlers Schreiber stand und sich ganz überwiegend aus Göttinger Professoren zusammensetzte, nahm damals ebenfalls ihre Tätigkeit auf und sorgte dafür, daß sich in Halle verhältnismäßig schnell ein neuer eigener Lehrkörper bildete. Dieser besteht inzwischen aus dreizehn ordentlichen Professoren. Der positiv evaluierte hallische Professor gehört der neuen Fakultät nach Erreichen der Altersgrenze als Emeritus an. Ein positiv evaluierter Dozent wurde auf eine Professur berufen. bb) Die Entfernung von Hochschullehrern aus dem Amt und die Ersetzung durch neue Professoren erscheint aus akademischer, die Lehrfreiheit vor Augen habender Sicht vielleicht auf den ersten Blick befremdlich. Demgegenüber ist jedoch zu beachten: Es gab in der ehemaligen DDR weder die Freiheit der Lehre noch die Hochschulautonomie. Die Hochschullehrerberufungsverordnung der DDR von 1968 17 bestimmte vielmehr in § 1, daß die Hochschullehrer an die marxistisch-leninistische Doktrin gebunden sind und die Pflicht haben, ihre fachliche Weiterbildung mit der Vertiefung der marxistisch-leninistischen Kenntnisse zu verbinden. Sie waren nach dieser Verordnung außerdem verpflichtet, „eng mit den gesellschaftlichen Organisationen zusammenzuarbei16

Vgl. Fn. 14. Hochschullehrerberufungsverordnung der DDR vom 6. 11. 1968, GBl. der DDR 1968, Teil II, S. 997 ff. 17

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ten“ und „Aufträge des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen zu erfüllen“. Nach § 7 Abs. 2 der Verordnung wurde die Erteilung der Lehrbefähigung davon abhängig gemacht, daß der Bewerber „die Fähigkeit zur Festigung und Entwicklung des sozialistischen Staatsbewußtseins der Studenten“ hat und „Erfahrungen in der Praxis des sozialistischen Aufbaus“ mitbringt. Die Berufung zum Hochschullehrer und die Ausübung dieses Berufs wurden damit an die ideologischen und politischen Vorgaben der Einheitspartei gebunden. 18 Auch eine Hochschulautonomie gab es während des SED-Regimes nicht. Die Universitäten waren vielmehr staatliche Anstalten, und dementsprechend entschied das zuständige Ministerium allein über die Zusammensetzung des Lehrkörpers. Man kann die Verhältnisse, wie sie an den Universitäten der ehemaligen DDR bestanden haben, zwar mit denen der Sowjetunion, nicht aber mit denen in Polen oder Ungarn vergleichen. In diesen beiden Staaten ist das kommunistische Regime bekanntlich weniger tief in das gesellschaftliche Gefüge eingedrungen. Nicht nur, daß das Bürgertum nicht zerschlagen worden ist, auch die Universitäten sind nicht in vergleichbarem Maße umgestaltet worden. Die polnischen Juristischen Fakultäten bestanden, wie sich an allen dortigen Universitäten feststellen ließ, unter der kommunistischen Herrschaft ganz überwiegend aus Hochschullehrern, die ebenfalls unter normalen Verhältnissen die Qualifikation zum Professor erlangt hätten und die ihre juristischen Fachgebiete nicht einseitig durch die Brille des Marxismus-Leninismus betrachteten. Auch die Lehrprogramme der Fakultäten entsprachen in ihrer Breite und Tiefe dem internationalen Standard. Demgegenüber zeigen die Auswahlkriterien, die im kommunistischen Regime der DDR gegolten haben, daß das Lehrpersonal dort nach anderen Kriterien ausgewählt worden war und deshalb von Ausnahmen abgesehen nicht für eine juristische Lehrtätigkeit, die den wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, geeignet ist. Dem läßt sich nicht die Wiedereinstellung der meisten Juraprofessoren der NS-Zeit entgegenhalten. Der Unterschied besteht darin, daß das Dritte Reich nicht vierzig, sondern nur zwölf Jahre bestanden hat. Die Professoren verfügten 18 U. Fink (Fn. 6), S. 34 f., der dazu auch auf Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Aufl. 1982, Art. 17 Rdn. 80 verweist. Darüber hinaus weist J. Weberling, Strukturüberlegungen für eine gesamtdeutsche Wissenschaftslandschaft, in: DtZ 1991, 135, im Anschluß an Feststellungen des Wissenschaftsrats darauf hin, daß die Wissenschaftler in der DDR allgemein wegen der unterschiedlichen Orientierung von Wissenschaft und Forschung und ihrer weitgehenden Abschottung von der wissenschaftlichen Entwicklung in der westlichen Welt in weiten Bereichen der Naturwissenschaften und fast vollständig in den Geisteswissenschaften sowohl den Kontakt zur Weltspitze als auch zu dem in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen wissenschaftlichen Standard verloren hatten.

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deshalb überwiegend noch über eine qualifizierte und breite wissenschaftliche Ausbildung, wie sie in Deutschland Tradition war und die sie sich vor der NSZeit erworben hatten. Ihre fachliche Eignung stand deshalb zumeist außer Frage. Auch hatte sich das NS-Regime noch nicht so etabliert, daß es wirklich den ganzen Lehrbetrieb auf die Vermittlung von NS-Ideologie umgestalten konnte. Soweit sich aber Professoren damals in unverzeihlicher Weise wissenschaftlich kompromittiert hatten, wie etwa die Juristen Carl Schmitt, Larenz und Dahm, konnten die Betreffenden nach 1945 entweder gar nicht – so Carl Schmitt 19 – oder erst nach längerer Zeit, als etwas Gras über die Vergangenheit gewachsen war, an die Universität zurückkehren. 20 Ob dabei zu großzügig verfahren wurde, ist eine andere Frage. Fälle, in denen die wiedereingestellten Hochschullehrer ihre Tätigkeit für NS-Propaganda benutzt haben, sind aber nicht bekanntgeworden. 21 Im übrigen ist zu beachten, daß ehemalige Juraprofessoren der DDR nicht ins Leere gefallen sind. Die Möglichkeit, als Rechtsanwalt oder sonst freiberuflich als Jurist zu arbeiten, steht ihnen offen. Angesichts des Fehlbedarfs an Juristen in den neuen Bundesländern haben deshalb alle eine andere juristische Tätigkeit, insbesondere als Rechtsanwalt, aufnehmen können, wenn sie daran interessiert waren. Auch ist zu betonen, daß die Resultate, die sich bei der Evaluierung des Lehrpersonals der ehemaligen rechtswissenschaftlichen Sektion ergeben haben, nicht zu Schlüssen über die Qualifikation und Eignung aller Wissenschaftler der ehemaligen DDR- Universitäten berechtigen. Wir haben es hier vielmehr mit einer vor allem fachspezifischen Problematik zu tun. In den Bereichen der Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, der Medizin und einiger Philologien war es eher möglich, daß trotz allem während des SED-Regimes die fachliche Qualifikation ganz im Vordergrund stand und man sich von ideologischer Korrumpierung freihalten konnte. Solche Persönlichkeiten fanden sich nicht selten im zweiten Glied, d. h. man ließ sie nicht Professor werden, aber tolerierte sie wegen ihrer fachlichen Qualität als nachgeordnete Wissenschaftler. 22 19 Andere Beispiele sind der ehemalige Berliner Staatsrechtler R. Höhn und der frühere Göttinger Strafrechtler K. Siegert. 20 So K. Larenz: 1960 (München), G. Dahm: 1958 (Kiel), E.R. Huber: 1957 (damalige Hochschule für Sozialwissenschaften Wilhelmshaven). 21 Ein besonders gelagerter Fall ist der eines engagierten NS-Juristen, der später zu einem renommierten bundesdeutschen Verfassungsrechtler wurde und nach seinem Tode in den Verdacht geriet, zahlreiche Artikel anonym für eine rechtsradikale Zeitung geschrieben zu haben. 22 Ein Beispiel bildet der gegenwärtige hallische Rektor G. Berg. Das dienstrechtliche Problem dieser Wissenschaftler besteht heute darin, daß sie nach dem für solche Fälle sehr unbefriedigenden bundesdeutschen Beamtenrecht aus Altersgründen nicht mehr ins Beamtenverhältnis übernommen werden können. In Halle haben wir daher die rechtlich ungewöhnliche Situation, daß der Rektor im Angestelltenverhältnis steht.

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b) Ein zweites Problem des Neuaufbaus der Juristischen Fakultäten bildete und bildet die Rekrutierung neuer Lehrkräfte. Im Osten gab es aus den schon geschilderten Gründen insoweit praktisch keine personellen Ressourcen. Die Professorenstellen mußten daher im wesentlichen mit Wissenschaftlern aus dem Westen besetzt werden. Die Gründungsdekane und Gründungsausschüsse hatten hier eine ihrer Hauptaufgaben. Sie wurde glatt und zügig besonders dort bewältigt, wo eine renommierte westdeutsche Fakultät die Gründungsaufgaben partnerschaftlich in die Hand nahm. Auf die umfangreiche Unterstützung, welche die Juristische Fakultät in Halle durch die Göttinger Fakultät erhalten hat, ist schon hingewiesen worden. 23 Ähnlich verhielt es sich in Potsdam, wo der neuen Juristischen Fakultät intensive, vor allem personell breite Starthilfe von Bochum geleistet worden ist. 24 In Halle und Potsdam erkannte man dabei frühzeitig, daß sich junge habilitierte Wissenschaftler, die in Westdeutschland noch keinen Lehrstuhl hatten, am ehesten für den Aufbau im Osten gewinnen ließen. An diesen Fakultäten konnte deshalb das Lehrangebot schon bald von überwiegend eigenem neuen Lehrpersonal angeboten werden. Im übrigen wurde der Neuaufbau hier und auch an den meisten anderen Rechtsfakultäten von Anbeginn mit einem die Hauptgebiete abdeckenden Lehrprogramm verbunden. Dies war möglich, weil westdeutsche Professoren neben der Tätigkeit an ihren Heimatuniversitäten gastweise Vorlesungen und Übungen im Osten abhielten. Problematischer verlief die personelle Entwicklung jedoch dort, wo Personen, die bereits zu DDR-Zeiten der betreffenden Universität angehörten, Einfluß auf die Fragen der Neuberufungen einschließlich der Zusammensetzung des Berufungsausschusses erlangen konnten. So hat man im Fall der Humboldt-Universität wohl nicht den vom Universitätsstandort her bestehenden erhöhten Zukunftschancen in vollem Umfang Rechnung tragen können. Die innere Gesamtsituation der Universität führte insbesondere hier und in Leipzig zu Schwierigkeiten beim personellen Neuaufbau. Auch glaubte man anfänglich in Leipzig und Jena, die dortigen Möglichkeiten verkennend, in größerer Anzahl Professoren, die in Westdeutschland bereits einen Lehrstuhl hatten, gewinnen zu können – mit der Folge vieler Absagen. Letztere sind damit zu erklären, daß die wissenschaftsgeschichtlich ruhmreichen Adressen von Fakultäten wie Leipzig und Jena die dort gegenwärtig nach 23 In dem Zusammenhang ist auch von einer historischen Dankesschuld die Rede, die Göttingen gegenüber Halle hat, da die 1736 erfolgte Gründung der Georg August Universität geistig stark von Halle beeinflußt gewesen ist und Professoren aus Halle damals nach Göttingen kamen. 24 Hervorzuheben ist auch die Unterstützung, welche die Juristische Fakultät in Jena durch Marburg und Erlangen erhalten hat. Daneben sind von den westdeutschen Professoren, die als Gründungsdekane tätig waren, hier besonders zu erwähnen: Gitter (Bayreuth) in Leipzig, Grawert (Bochum) in Potsdarn, Hillenkamp (Heidelberg) in Dresden, Schreiber (Göttingen) in Halle und Werner (aus Marburg) in Jena.

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westlichen Maßstäben noch schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht aufzuwiegen vermögen. Wohnungen, Schulen und die Städte insgesamt befanden sich nach vierzig Jahren realem Sozialismus in einem traurigen Zustand, von dem sie sich nur schrittweise erholen können. Hinzu kommt als Auswirkung der Trennung ein menschlich nicht einfaches Umfeld. Außerdem schreckt Wissenschaftler, die bereits einen Lehrstuhl in Westdeutschland haben, leicht die zeitaufwendige und nervenaufreibende Arbeit des organisatorischen Aufbaus einschließlich des Bibliotheksaufbaus ab. Bei der Besetzung der juristischen Lehrstühle war deshalb überwiegend auf Professoren, die im Westen noch nicht Lehrstuhlinhaber waren, und Privatdozenten zurückzugreifen. 25 In den Universitäten der neuen Bundesländer wird die Dominanz westdeutscher Lehrkräfte nach meinem Eindruck nicht selten als Überfremdung empfunden. Das hängt neben den als Folge vierzigjähriger Trennung zu beobachtenden Vorbehalten, die West- und Ostdeutsche gegeneinander haben und auf die bei der Darstellung der geistigen Situation noch zurückzukommen sein wird, mit dem in der DDR praktizierten Universitätssystem zusammen, nach dem man innerhalb ein und derselben Universität seine Hochschulkarriere machte. Auf solche Weise hatte man einen bodenständigen Lehrkörper. Ein derartiges System entspricht jedoch nicht der deutschen Hochschultradition. Zu dieser gehört es vielmehr, daß der Hochschullehrer seine Karriere außerhalb derjenigen Universität, an der er aufgewachsen ist, beginnt und in der Regel auch fortsetzt. 26 So findet man beispielsweise im Lehrkörper der Kölner Juristischen Fakultät nur ganz wenige Rheinländer, und auch in der Münchner bilden die Bayern eine Minderheit. Es gibt im deutschen Universitätswesen sachentsprechenderweise keinen Anspruch auf Bodenständigkeit. c) Geringer sind die Probleme der Studentenschaft. Hier handelte es sich zunächst vor allem darum, daß diejenigen, die schon zu DDR-Zeiten das Studium begonnen hatten, die Möglichkeit erhielten, einen Studienabschluß nach den bisherigen Regelungen zu erreichen. Dies wurde durch den Einigungsvertrag garantiert. 27 Die ersten Absolventen der Juristischen Fakultäten nach der Wiederver25 Vor Beginn des Sommersemesters 1994 betrug laut Angaben im JuS-Spezial „Das Studium der Rechtswissenschaft in den neuen Bundesländern“, Beilage zu Heft 7/1994 der JuS, die Anzahl der Professoren (ohne Differenzierung nach C 4- und C 3-Stellen) an den Juristischen Fakultäten der neuen Bundesländer einschließlich Ost-Berlins: Humboldt Universität Berlin: 28, Dresden: 16, Frankfurt / Oder: 9, Greifswald: 8, Halle: 13 (davon 3 Gastprofessoren), Jena: 13, Leipzig: 12, Potsdam: 18, Rostock: 10. Entsprechend den vom Wissenschaftsrat für die neuen Bundesländer gegebenen Empfehlungen ist zumeist die Einrichtung von jeweils 18 Professorenstellen vorgesehen. 26 In den Hochschulgesetzen der deutschen Bundesländer findet sich deshalb zumeist ein ausdrückliches, lediglich durch begründete Ausnahmefälle relativiertes Verbot von „Hausberufungen“; siehe etwa § 50 Abs. 3 nordrh.-westf. WissHG. Es soll wissenschaftlicher „Inzucht“ und protektionistischen Hochschulkarrieren entgegenwirken. 27 Anlage I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 8y hh.

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einigung schlossen das juristische Studium daher mit einem Universitätsexamen als Diplomjurist und noch nicht mit einem Staatsexamen ab, wie das der deutschen Juristenausbildung sonst entspricht. Der Fächerkanon entsprach dabei aber bereits weitgehend dem westdeutschen. Diese Übergangsphase war Ende 1993 abgeschlossen, so daß jetzt wie in Westdeutschland und früher im Deutschen Reich wieder das Erste Staatsexamen am Ende des Jurastudiums steht. Die Studenten haben sich schnell auf die neuen Bedingungen umgestellt. Ihre Probleme liegen hauptsächlich in den nach wie vor schlechten Wohnverhältnissen. Schon seit DDR-Zeiten bilden mangels verfügbarer privater Zimmer überwiegend Universitäts-Studentenheime die Unterkünfte. Diese Heime haben jedoch Zimmer, in denen mehrere Studenten wohnen müssen, so daß sie sich wenig zum wissenschaftlichen Arbeiten eignen. Die Universitäten sind bemüht, dies durch lange Öffnungszeiten der Bibliotheken auszugleichen. Die Studentenzahlen haben erwartungsgemäß rapide zugenommen. So hatten im Sommersemester 1994 Jena und Leipzig 1700, Halle 1600 und Dresden und Potsdam 1300 Jurastudenten. 28 Es handelte sich dabei fast ganz überwiegend um Studenten aus dem Osten. Westdeutsche Studenten werden bisher vor allem durch die Wohnprobleme abgeschreckt; immerhin ist eine stetige Zunahme ihres Anteils zu verzeichnen. Im übrigen war auffallend, daß die Studenten im Osten anfänglich stärker motiviert gewesen sind als ihre Kommilitonen in Westdeutschland. Die Generation, die noch während des Bestehens der DDR mit dem Studium begonnen hatte, empfand einen starken wissenschaftlichen Nachholbedarf und studierte wißbegierig und zügig, um Zeit, die durch den Wechsel der Rechtsordnungen verlorengegangen war, wieder einzuholen. Hinzu kam, daß es sich bei diesen Jurastudenten um einen Personenkreis handelte, der noch nach Zulassungskriterien ausgewählt worden war, bei denen – jedenfalls in der Spätzeit der DDR – auch die fachliche Eignung eine wesentliche Rolle spielte. 29 Bei den jüngeren Semestern ist dagegen festzustellen, daß sie sich in ihrem Verhalten schon stark den westdeutschen Kommilitonen angepaßt haben. Eine interessante Beobachtung läßt sich allerdings bis in die Gegenwart machen: Es ist sehr schwer, in ostdeutschen Hörsälen auf eine an das Auditorium gerichtete Frage eine Antwort zu bekommen. Es bereitet den Studenten offensichtlich generell Probleme, sich zum Sprechen in der Öffentlichkeit, hier in Anwesenheit der Kommilitonen, zu entscheiden, solange sie nicht direkt angesprochen werden.

28 Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität Berlin hatte 2000, in Greifswald und Rostock waren es 700, und Frankfurt a.d. Oder kam auf 500 (von denen 140 Polen waren). 29 Darauf weist auch A. Blaschczok, Aufbau der universitären Juristenausbildung in den neuen Bundesländern, in: DtZ 1994, 97, 99, hin.

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d) Das inzwischen wohl schwierigste Problem bildet für die Universitäten der neuen Bundesländer der Mittelbau, also die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Angestellten. Im realen Sozialismus, in dem ökonomische Gesetze keine Rolle spielten, ist nicht nur der staatliche Verwaltungsapparat, sondern auch der Universitätsbereich personell sehr aufgebläht gewesen. Der Personalbestand war im Verhältnis zwei- bis dreimal so hoch wie im Westen. Dies machte eine erhebliche Reduzierung notwendig. Das um so mehr, als infolge des Überhangs besetzter Stellen Neubesetzungen und Stellenverlagerungen blockiert und darüber hinaus die im Mittelbau notwendige Fluktuation verhindert wurden. Im vorhergehenden wurde schon darauf hingewiesen, daß nach dem Einigungsvertrag neben dem durch Abwicklung bewirkten Ausscheiden auch Kündigungen ermöglicht worden sind. So ist beispielsweise an der Humboldt-Universität die Anzahl der Mitarbeiter von 7000 im Jahre 1989 auf 3500 Anfang 1994 zurückgegangen, ohne daß – teilweise mangels rechtzeitiger Kündigungen – der insgesamt gebotene Abbau damit erreicht war. Diese Personalreduzierung hat jedoch große soziale Probleme zur Folge, weil viele der Betroffenen aus fachspezifischen Gründen oder wegen ihres Lebensalters keine berufliche Alternative außerhalb der Universität haben. Die Juristischen Fakultäten, die im Vergleich zu den meisten anderen Fakultäten mit einem relativ kleinen Mittelbau auskommen und in der Zeit der DDR ohnehin ein Kümmerdasein führten, sind von dieser Überkapazitätsproblematik aber weniger unmittelbar als mittelbar berührt. Vor allem, wenn sie nach vorhergehender Abwicklung neu oder überhaupt ganz neu gegründet worden waren, haben sie keinen solchen personellen Überhang. Da jedoch die Universitäten nach wie vor in anderen Fakultäten zuviele besetzte Mittelbaustellen haben, bereitet es oft Schwierigkeiten, den Juristischen Fakultäten genügend freie Stellen zur Verfügung zu stellen. Für die Juristen kommt hinzu, daß es schwierig ist, geeignete Interessenten für Mitarbeiterstellen zu finden. Das Reservoir bodenständiger Nachwuchskräfte ist noch schmal, und Importe aus dem Westen sind schwer erhältlich. Gute westdeutsche Nachwuchsjuristen ziehen in der Regel den bequemeren Weg im Westen vor. e) Weitere Probleme finden sich außerhalb des personellen Bereichs: Hier sind an erster Stelle der bauliche Zustand und die nicht ausreichenden räumlichen Kapazitäten der ostdeutschen Universitäten zu nennen. Bekanntlich hat das SEDRegime für die Erhaltung der von ihm vorgefundenen Bausubstanz während der vierzig Jahre seines Bestehens kaum etwas getan. Ehrwürdige Universitätsgebäude machten deshalb im Zeitpunkt der Wiedervereinigung einen verwahrlosten Eindruck. Notwendig war daher in den Universitäten erst einmal eine Sanierung der Gebäude. Darüber hinaus fehlen Räumlichkeiten, die Massenfächern wie Rechtsund Wirtschaftswissenschaft ausreichend Platz bieten. Deshalb ist beispielsweise in Halle der Bau eines Juridicums erforderlich, der wegen seiner Dringlichkeit bereits im Jahre 1995 begonnen wird.

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Einen weiteren Problempunkt bilden die Bibliotheken. Glücklicherweise sind in Jena, Halle und Rostock die alten Bestände bis 1945 noch weitgehend erhalten, teilweise wohl auch in Berlin. Für die Beschaffung der aktuellen Literatur sind große Finanzmittel bereitgestellt worden, und sie ist wohl auch überall bereits in Präsenzbibliotheken zugänglich. Die Lücke bildet die westliche Literatur zwischen 1949 und der Gegenwart. Nur in Potsdam, wo sich die schon erwähnte „Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR“ befand, ist sie nahezu vollständig vorhanden. 30 Ein über diese Einzelpunkte hinausgreifendes Problem bildet die allgemeine Lage der Staatsfinanzen. Das Zusammentreffen des Wiederaufbaus der neuen Bundesländer mit einer wirtschaftlichen Rezession hat auch der für die Hochschulen verfügbaren Finanzmasse sehr spürbare Grenzen gesetzt. III. Die geistige Situation Die zur Wiedervereinigung führende Revolution von 1989 ging nicht von den Universitäten der damaligen DDR aus. Der weitestgehend regimeergebene Lehrkörper und die durch ihren Studienplatz privilegierten Studenten verhielten sich entweder passiv oder standen – wie erhebliche Teile der Studentenschaft der Berliner Humboldt-Universität – auf seiten der kommunistischen Staatsmacht. So war es auch möglich, daß der durch die politische Entwicklung nach der Öffnung der Berliner Mauer aufgeschreckte Staatspräsident eines westeuropäischen Landes damals in der Leipziger Universität eine gegen die Wiedervereinigung Deutschlands gerichtete Rede halten konnte. Dementsprechend waren in den ehemaligen DDR-Universitäten nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes auch die Erneuerungskräfte zunächst nur schwach ausgeprägt. Davon war schon die Rede. Immerhin ist dann nach und nach von seiten größerer Teile der Studentenschaft erzwungen worden, daß die exponiertesten Vertreter des alten Regimes ihre Professorentätigkeit selbst aufgaben. Es erhebt sich die Frage, welche geistigen Auswirkungen die Revolution von 1989 und die anschließende Wiedervereinigung auf die ostdeutschen Universitäten gehabt haben. Erinnert man sich an die Fernsehbilder von der Öffnung der Berliner Mauer und dem Tag der Wiedervereinigung, so ging damals eine große emotionale Welle durch Deutschland. Sie klang aber schnell ab. Eine geistige Aufbruchstimmung, wie sie bald nach dem Zweiten Weltkrieg im westlichen Teil Deutschlands zu beobachten war, läßt sich heute weder im Westen noch im Osten feststellen. Zwar ist man in den neuen Bundesländern mit deutlicher Mehrheit auf Rechtsstaat und Marktwirtschaft eingeschwenkt. Aber von einer 30

Außerdem findet sich außerhalb der Universität in Leipzig in der Deutschen Bücherei, wo das gesamte deutschsprachige Schrifttum gesammelt wird, ein vollständiger Bestand.

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Aufbruchstimmung derart, daß man sich auf diesen Grundlagen nun selbst für den Wiederaufbau begeistert und tatkräftig engagiert, ist enttäuschend wenig zu spüren. Dem steht in Westdeutschland eine verbreitete Ernüchterung über die finanziellen Auswirkungen der Wiedervereinigung gegenüber. 31 Diese geistige Situation hat mehrere Ursachen. Eine besteht darin, daß wir – und in anderen Demokratien sieht es heute nicht anders aus – keine Politikerpersönlichkeiten haben, die über eine entsprechende Motivationskraft verfügen. Politiker, die durch ihre Reden und Entscheidungen motivieren, wie es sie in der Nachkriegszeit in Westdeutschland und überhaupt in Westeuropa gab, sind nicht vorhanden. Dem geht einher, daß diejenigen, die sich in Deutschland als die Intellektuellen bezeichnen, nämlich die Literaten, vielfach mit dem kommunistischen System der DDR sympathisiert haben. Das ging teilweise bis zur Kollaboration. Sozialismus hat in den Köpfen dieser Kreise den höchsten, bürgerliche Freiheit dagegen einen nur nachgeordneten Stellenwert – letzteres jedenfalls dann, wenn es um die Realisierung der angeblichen Segnungen des Marxismus geht. Diese laut vernehmbare Personengruppe war deshalb gegen die Wiedervereinigung. Sie sah in einer separaten DDR die historische Chance, einen deutschen Staat mit sozialistischer Gesellschaftsordnung einzurichten und diesen weiter zu entwickeln. Man träumte von einer künftigen DDR als einem reformierten sozialistischen Staat. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Protest, den etwa der Schriftsteller Günter Grass 32 gegen die Wiedervereinigung erhoben hat, eine Stellungnahme, die auch im Ausland stark beachtet wurde und in der die persönliche Enttäuschung hinter historischen Klischees verborgen worden ist. Darüber hinaus hatten große Teile der politischen Schicht Westdeutschlands die in den siebziger Jahren politisch zweckmäßige Anerkennung der DDR im Laufe der Zeit zu etwas Endgültigem verinnerlicht. Man war daher geistig überhaupt nicht auf die Wiedervereinigung vorbereitet und empfand sie als Störung des Weltbildes, auf das man sich langfristig eingerichtet hatte. Die beiden letztgenannten Befunde haben bis heute die Nachwirkung, daß in der Berichterstattung einflußreicher Medien das Negative über die neuen Bundesländer im Vordergrund steht und die schon vollbrachten großen Aufbauleistungen wenig beachtet werden. In der Bevölkerung ist die Begeisterung auch dadurch erheblich gedämpft worden. Hinzu kommt als Folge der vier Jahrzehnte währenden Zugehörigkeit zu gegensätzlichen Gesellschaftssystemen eine deutlich spürbare geistige Verschiedenheit. 31 Die Netto-Transferzahlungen von West- nach Ostdeutschland lagen 1991 bei 107 Milliarden DM, 1992 bei 117, 1993 bei 130, und nach der Vorausschätzung werden sie 1994 bei 136 Milliarden DM liegen; vgl. FAZ vom 22. 8. 1994, S. 6. 32 Besonders hinzuweisen ist auch auf die bis heute nicht abgeschlossene DDR-Diskussion im westdeutschen PEN-Zentrum.

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Dem Menschen in der DDR war anerzogen worden, daß er nicht Eigeninitiative zu entfalten und nicht eigenverantwortlich zu handeln hat. Alles regelte für ihn der Staat. Der allmächtige Staat sorgte zudem für Sicherheit gegenüber der Kriminalität. In Westdeutschland steht dagegen die Eigenverantwortlichkeit, wenngleich nicht so radikal wie in den USA, im Vordergrund. Und man hat sich auch schon daran gewöhnt, die negativen Erscheinungen in heutigen freiheitlichen Staatswesen, so die Ausbreitung der Kriminalität und den Werteverfall, in Kauf zu nehmen. Im Osten macht die mangelhaft entwickelte Fähigkeit zur Eigeninitiative und Selbstverantwortung heute der älteren Generation und ebenfalls Teilen der mittleren Generation den Übergang sehr schwer. Hier liegt auch eine wesentliche Ursache der fehlenden Aufbruchstimmung. Die kommunistische Herrschaft hat die Initiativkräfte der Bevölkerung offenkundig geschädigt. Die wirtschaftliche Rezession während der letzten Jahre tat ein übriges. Sie hat sich vor allem dahingehend ausgewirkt, daß die Notwendigkeit der Umsetzung von Arbeitskräften aus unproduktiven oder – wie die DDR-Universitäten – personell aufgeblähten Einrichtungen auf andere Arbeitsplätze zu einer großen, nunmehr offenen Arbeitslosigkeit geführt hat. Der Verlust der alten und der Mangel an neuen Arbeitsplätzen erfüllt die davon Betroffenen mit Existenzsorgen und daraus resultierender Verbitterung, also dem Gegenteil von Begeisterung. Dies gilt noch in besonderem Maße für vom Stellenmangel betroffene Jugendliche. Unmut findet sich außerdem bei den ehemaligen Privilegierten und deren Familien, die dem Verlust von Vergünstigungen und Einfluß nachtrauern. Dieser ganze Hintergrund strahlt natürlich auch auf die Universitäten aus. Ebenfalls darf man nicht erwarten, daß von dem Neubeginn der Juristischen Fakultäten in den neuen Bundesländern eine Reformbewegung des deutschen Jurastudiums ausgeht. Diese Fakultäten haben die Aufgabe, so schnell wie möglich einen juristischen Lehr- und Forschungsbetrieb zu ermöglichen. Gerade in bezug auf den Lehrbetrieb ist in den wenigen Jahren sehr Eindrucksvolles geleistet worden, wobei auch, wie schon erwähnt, zahlreiche Professoren aus den alten Bundesländern neben der Tätigkeit an ihrer Heimatuniversität zeitweilig ausgeholfen haben. 33 Für das Ersinnen neuer grundsätzlicher Ausbildungskonzepte fehlt dagegen die Zeit. Die für die Gestaltung der Juristenausbildung ausschlaggebenden Prüfungsordnungen liegen bisher ohnehin in den Händen der Justizverwaltungen, und diese haben sich in den neuen Bundesländern regelmäßig an den Vorlagen ihrer westdeutschen Partnerländer (z. B. die Prüfungsordnung von Sachsen-Anhalt an der von Niedersachsen) orientiert.

33 Hinsichtlich aller Universitätsdisziplinen haben etwa 600 westdeutsche Professoren seit 1990 pro Jahr Aufbauhilfe in der Lehre an den Universitäten der neuen Bundesländer geleistet; vgl. H. Schiedermair, Ansprache zum Hochschulverbandstag 1993, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 1993, 73, 75.

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IV. Ausblick Trotz der geschilderten Unzufriedenheit ist die Wiedervereinigung ein Faktum, an dem heute niemand mehr ernsthaft rüttelt. Trotz verbreiteter Larmoyanz geht es den meisten Menschen in den neuen Bundesländern wirtschaftlich besser als zu DDR-Zeiten. Die Städte, die während der kommunistischen Herrschaft einen toten und tristen Eindruck machten, unterscheiden sich in ihrer Betriebsamkeit schon heute nicht mehr von westdeutschen Städten. Wenn man sich die neuen Bundesländer, vor allem das geographisch als Mitteldeutschland bezeichnete Gebiet, näher ansieht, dann wird einem sehr bewußt, daß man sich hier im territorialen Zentrum der nachmittelalterlichen deutschen Geistesgeschichte befindet. Damit aber sind wir wieder beim geistigen Verständnis der deutschen Wiedervereinigung. Was die jüngere und die mittlere westdeutsche Generation, die sich überwiegend mit der Endgültigkeit der deutschen Teilung abgefunden hatte, sich nur wenig bewußt gemacht hat, ist m.E. folgendes: Eine endgültige Trennung hätte auf die Dauer auch eine Teilung des historischen und kulturellen Erbes bedeutet. Westdeutschland betrachtete sich in der Nachfolge des Deutschen Reiches und beanspruchte deshalb in gesamtdeutscher Sicht beispielsweise mit Selbstverständlichkeit Martin Luther, Bach und Händel für sich, obwohl diese eindeutig Mitteldeutschland zuzuordnen sind. Daß das im Falle einer endgültigen Trennung nicht weiter durchzuhalten gewesen wäre, läßt sich am Beispiel historisch früherer territorialer Abspaltungen unschwer aufzeigen. Was allgemein für das nationale Erbe gilt, beansprucht auch Gültigkeit für die Jurisprudenz; denn die bedeutendsten deutschen Juristen stammten fast alle aus Mitteldeutschland: Eike von Repgow, Carpzov, Pufendorf, Thomasius und auch Feuerbach. 34 Man wird davon ausgehen können, daß die Reaktualisierung der gemeinsamen Geschichte, die gemeinsame Sprache und die familiären Bande die geistige Bewältigung der Wiedervereinigung nach einer Übergangsphase zum Abschluß bringen werden. Die wirtschaftliche Erneuerung und die der Städte wird dagegen noch einige Zeit benötigen. Um die Zukunft der Juristischen Fakultäten braucht einem angesichts des im Osten noch weiter zunehmenden Juristenbedarfs dabei nicht bange zu sein. Ob einzelne Fakultäten wieder zu erstrangigen Adressen werden und welche das sein könnten, läßt sich allerdings heute noch nicht abschätzen. Angesichts der erwähnten Schwierigkeiten, fachlich bereits arrivierte Professoren für juristische Lehrstühle im Osten zu gewinnen, und der Notwendigkeit, auf das 34 Die Geburtsorte sind von Eike von Repgow:, Reppichau bei Aken (Anhalt), Carpzov: Wittenberg, Pufendorf : Dorfchemnitz (Sachsen), Thomasius: Leipzig, Feuerbach: Hainichen bei Jena.

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gegenwärtig nicht sehr große Reservoir westdeutscher Nachwuchswissenschaftler zurückzugreifen, wird ein solcher Aufstieg, blickt man zum Vergleich auf die westdeutschen Neugründungen, nicht von heute auf morgen möglich sein. Abschließend läßt sich in Anknüpfung an eine Feststellung, die kürzlich der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes getroffen hat, 35 jedenfalls eines festhalten: Im Bereich der Universitäten ist die innere Wiedervereinigung Deutschlands besonders weit fortgeschritten. Das hängt wohl damit zusammen, daß die überregionale Denk- und Sichtweise in der Professorenschaft am stärksten ausgeprägt ist. Nimmt man hinzu, daß die Juristischen Fakultäten bei der Erneuerung der Universitäten der neuen Bundesländer eine führende Rolle spielen, so hat zusätzlich auch Bedeutung: In der Rechtswissenschaft in Westdeutschland wurde zwar die Gesetzgebung der DDR ignoriert, aber durch die Rechtsgeschichte, die ständige Heranziehung der Judikatur des früher in Leipzig residierenden Reichsgerichts, die Theorien zum Status Gesamtdeutschlands und auch Namen häufig benutzter Bücher wie „Leipziger Kommentar zum StGB“ etc. hatte sich das Gefühl für die Einheit der Nation bei den Juristen in besonderem Maße erhalten.

35

H. Schiedermair, „Alles, was die Wissenschaft bewegt“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 1994, I.

Rezension der Schrift von J. Otto, Bibliothek des Bundesgerichtshofs (1996) 1997 Otto, J., Bibliothek des Bundesgerichtshofs. Buchbestand und Rechtserfahrung: Ein juristischer Reiseführer durch Bücherlandschaften Europas in den Epochen gemeinsamen Rechts. Mit einem Vorwort von Gerd Pfeiffer. Heymann, Köln. 1996, XXII, 147 S., geb. DM 38,-. Der Verfasser schildert sehr lesenswert die Bibliothek des BGH, wie sie sich nach der Zusammenführung mit der des ehemaligen Reichsgerichts darstellt. Die wertvollen historischen Bestände der Reichsgerichtsbibliothek waren bekanntlich bis 1991 nach Forst (Lausitz) ausgelagert. Sie sind als Teil der Bibliothek des Obersten Gerichts der früheren DDR nach Karlsruhe gelangt. Wie J. Otto feststellt, besitzt der BGH mit der Reichsgerichtsbibliothek jetzt einen „gewaltigen und eindrucksvollen“ Bestand (S. 4), dessen „Gesamtcharakter (sich) als eine auf hohem wissenschaftlichen Niveau angesiedelte Gesamtschau der juristischen Literatur der europäischen Rechtsgeschichte vom Beginn des juristischen Unterrichts in Bologna bis hin zu den Entwicklungen der nationalen Rechtswissenschaften im 19. Jahrhundert beschreiben läßt“ (S. 11). Der bisherige, seit 1950 angeschaffte Buchbestand des BGH betrug ca. 275000 Bände. Er ist nun – nach Aussonderung von ca. 40000 Dubletten – auf über 475000 Bände angewachsen. Otto stellt in außerordentlich anregender Form dar, welche Schätze die Reichsgerichtsbibliothek enthält. Er zeigt die Bedeutung der einzelnen Werke und ihrer Autoren im rechtshistorischen Zusammenhang auf. Es ist ihm dabei gelungen, einen auch für nicht rechtshistorisch spezialisierte Juristen gut verständlichen und fesselnden „juristischen Reiseführer durch Bücherlandschaften Europas in den Epochen gemeinsamen Rechts“ zu verfassen, wie es der Untertitel des Buches verspricht. Sehr beeindruckend ist, was Otto im einzelnen in der Reichsgerichtsbibliothek gefunden hat. Hier seien nur erwähnt: Aus der Epoche der Postglossatoren sind nahezu alle großen Kommentatoren mit teilweise verschiedenen Ausgaben vertreten (S. 47), die – wie Otto betont – heutzutage Raritäten und kaum bezahlbar sind. Auch ist der ganze Umfang der rechtsdogmatischen Literatur aus der Zeit der humanistischen Jurisprudenz und dem sich anschließenden Usus modernus pandectarum zu finden (S. 50). „Herausragend und von unvergleichbarem Wert“

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(S. 53) in der Abteilung „Deutsches Recht“ ist die Sammlung der Ausgaben des Sachsenspiegels und des Schwabenspiegels. Das älteste Buch der Bibliothek findet sich in der Abteilung „Zivilprozeßrecht“: eine Handschrift aus dem Jahre 1339 der „Rolandini Aurora“ sive ars notaria mit dem Kommentar von Albertus de Sancto Stephano eine Darlegung und Erläuterung des Notariatswesens (S. 58 f.). Die strafrechtliche Abteilung enthält die CCC in der Edition princeps des Jahres 1533 sowie in zahlreichen späteren Auflagen. Auch bemerkt Otto: „Die Ansammlung verschiedener, ja wertvollster Ausgaben des Hexenhammers in dieser Bibliothek kann man nur mit Staunen registrieren“ (S. 72). Hinzuweisen ist nicht zuletzt auf zwei Kostbarkeiten in der Abteilung „Staatsrecht“: Pufendorfs „De statu imperii“ in der Erstausgabe von 1667 und Montesquieus „De l’esprit des loix“ in einem Erstdruck von 1748. Auch umfaßt der reichhaltige Bestand historisch kanonistischer Werke Literatur, von der man, wie Otto schreibt, „mit Fug und Recht behaupten kann, daß andere Fachbibliotheken seit dem 2. Weltkrieg darauf warten, Vergleichbares zu erwerben“ (S. 82). Dem Leser drängt sich angesichts dieser rechtshistorischen Reichtümer die Frage auf, ob eine Gerichtsbibliothek – selbst wenn die gegenwärtige Unterbringung in einer Turnhalle nicht von Dauer sein sollte – heute noch der richtige Standort für die bis Ende des 18. Jahrhunderts erschienene Literatur ist. Als der Hauptteil des rechtshistorischen Bestands durch den ersten Bibliotheksdirektor des Reichsgerichts, Karl Schulz, zusammengetragen wurde, hatte vieles für die Revisionsrichter berufliches Interesse, weil auf dem Wege zur deutschen Rechtseinheit der Zugang zu den historischen Quellen von erheblicher Bedeutung war, zumal gemeines Recht noch bis zum Jahre 1900 in einigen Gliedstaaten des Reiches galt. Dementsprechend ist auch das historische Verständnis des Rechts bei der damaligen Richtergeneration stärker ausgeprägt gewesen, als es in der Gegenwart der Fall ist. Außerdem war der Buchbestand für die Rechtswissenschaft gut erreichbar, da sich in Leipzig und im unmittelbar benachbarten Halle Zentren der deutschen rechtshistorischen Forschung befanden. Alle diese Voraussetzungen treffen auf Karlsruhe nicht zu. Otto bemerkt zudem, daß sich die am Gericht tätigen Richter des Werts und der Einmaligkeit des Bestands im einzelnen „vermutlich noch gar nicht bewußt sind“ (S. 4). Auch fragt man sich, ob heutige Gerichtsbibliothekare, die von juristischen Loseblattsammlungen und der übrigen aktuellen Publikationenflut in Atem gehalten werden, die angemessenen Betreuer sein können. Das Buch ist aber nicht nur wegen der vorzüglichen Schilderung, Erläuterung und Würdigung, die Otto dem Buchbestand widmet, von erheblichem Interesse. Darüber hinaus bildet es wegen Ausführungen, die sich in dem vom früheren BGH-Präsidenten Gerd Pfeiffer verfaßten Vorwort finden, ein sehr bemerkenswertes Zeitdokument. Pfeiffer sieht es einerseits als selbstverständlich an, daß „die schmerzlich vermißten ausgelagerten historischen Werke der Reichsgerichtsbibliothek in den Besitz des Bundesgerichtshofs“ gelangt sind. Andererseits betont

Rezension der Schrift von J. Otto, Bibliothek des Bundesgerichtshofs

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er, daß „das Reichsgericht an der Aufrechterhaltung der NS-Diktatur mitgewirkt und die Rechtsprechung auch Unrecht gesetzt hat“, und folgert hieraus: „Die sachkundigen Verantwortlichen haben daher zu Recht beschlossen, daß der Bundesgerichtshof nicht an den Tatort ‚Leipzig‘ verlegt werden darf. Er kann seine seit 1950 aufgebaute Rechtsstaat-Tradition in Karlsruhe – in der Residenz des Rechts – fortsetzen“ (S. XII). Man ist zwar nicht mehr verwundert, aber doch beklommen, wie hier bei der Suche nach einem Alibi der Unterschied zwischen staatlichen Einrichtungen und den an ihnen jeweils tätigen Personen mit leichter Hand beiseite geschoben wird. Die Konsequenz einer solchen Argumentation ist ungeheuerlich. Alle Instanzgerichte einschließlich der Oberlandesgerichte von Celle bis Karlsruhe wären, weil sie am „Tatort“ verbleiben mußten, wegen des Mißbrauchs, den die Nazis mit ihnen getrieben haben, heute diskreditiert. Auch dürften Bundestag und Bundesregierung nicht nach Berlin – ihrem Tatort? – umziehen, und die bayerische Staatsregierung hätte sich nach 1945 nicht wieder in München, der Hauptstadt der NS-Bewegung, ansiedeln dürfen. Vollends ungereimt wird Pfeiffers Gedankengang, wenn man berücksichtigt, daß keine Bedenken bestehen, das Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig zu verlegen. Sollte etwa der BGH weniger in Leipzig vorzeigbar sein? Gegenüber einer solchen Diskriminierung des BGH würden wohl alle Juristen, die über einen ungetrübten Blick verfügen, entschieden Verwahrung einzulegen haben. Und wie verhält es sich mit dem 5. Strafsenat? Da er in Berlin ohnehin schon im Gebäude des ehemaligen Reichskriegsgerichts untergebracht war, kann man ihn offenbar wie geplant an den „Tatort“ ziehen lassen. In der auf die angenehmen Seiten des Lebens ausgerichteten heutigen westdeutschen Gesellschaft würde es sicherlich auf mehr Verständnis stoßen, wenn die wahren Gründe, welche die „sachkundigen Verantwortlichen“ zum Verbleiben des BGH in Karlsruhe bewogen haben, genannt werden. Vielleicht würden dann nur noch die Älteren fragen, wie sich der Wiederaufbau Westdeutschlands nach dem Kriege hätte ermöglichen lassen, wäre eine derartige Mentalität hoher Staatsdiener schon damals vorherrschend gewesen. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß die schöne Schrift von J. Otto mit einem Vorwort versehen worden ist, das auf die absurde Konsequenz hinausläuft, die großartige Reichsgerichtsbibliothek deshalb, weil sie während der NS-Zeit am „Tatort Leipzig“ benutzt worden ist, als ein – gleichwohl nicht unwillkommenes – instrumentum sceleris abzustempeln. Aber dieser Mißgriff fällt wohl in die Verantwortlichkeit des Verlags.

Autobiographie Hans Joachim Hirsch 2009 I. Kindheit und Schulzeit Im Nachruf auf einen vor einigen Jahren verstorbenen Strafrechtsprofessor hieß es, daß aus seinem Geburtsort auch Goethes Mutter gestammt habe. Mit solchen ethnischen Vorgaben konnte mir meine Geburtsstadt Wittenberge nicht dienen. Sie ist nur als zwischen Berlin und Hamburg gelegener Eisenbahnknotenpunkt von Bedeutung. Daß ich dort geboren bin, hängt damit zusammen, daß zur Zeit meines Geburtstags, dem 11. April 1929, von Wittenberge aus die mittlere Elbe reguliert wurde und mein Vater damals als Regierungsbauassessor für die Reichswasserstraßenverwaltung dort tätig war. Die Familie stammt väterlicherseits an sich aus Lübeck und Hamburg. Mein Vater war allerdings bereits woanders aufgewachsen, nämlich in Aachen, wo mein Großvater Professor für Wasserbau an der Technischen Hochschule gewesen ist. Die Eltern meiner Mutter, eine geborene Peitzsch, stammten aus Thüringen und Nassau. Aufgewachsen ist meine Mutter indes in Verden a.d. Aller, einer Stadt, die auch in meinem Leben noch eine Rolle spielen sollte. Der Beruf meines Vaters brachte es mit sich, daß wir häufig den Wohnsitz zu wechseln hatten. Im Jahre 1932 wurde mein Vater nach Berlin ins Reichsverkehrsministerium versetzt, vier Jahre später nach Emden und 1938 nach Stettin, wo er Leiter des Wasserstraßenamts gewesen ist. Für meine Mutter und meine Geschwister – ich bin das älteste von vier Kindern – schloß sich 1943 die Evakuierung nach Pasewalk an. Nach dem Kriege lebte die Familie zunächst in Verden a.d. Aller, dann in Hannover und später in Koblenz. Während des Dritten Reiches, das ich jedenfalls von 1935, dem Jahre meines Schulbeginns, an bewußt miterlebt habe, war die Familie ständig mit der Vermutung konfrontiert, jüdisch zu sein, da der Name Hirsch unter Juden verbreitet war. Kamen wir Kinder in eine andere Schule oder Klasse, war eine der ersten Fragen: „Bist Du Jude?“ Mein Vater, der von einem verstorbenen Onkel familiengeschichtliche Unterlagen geerbt hatte, konnte damals anhand einer Inschrift auf einer im Lübecker Dom befindlichen Grabplatte nachweisen, daß wir nicht unter die NS-Rassegesetzgebung fielen. Auf der Inschrift ist als Name zu lesen: „Hanß Hinrichsen, dictus Hirsch“. Man vermutet, daß der Name sich von der Bezeichnung eines damaligen Lübecker Hauses herleitet.

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Den Nationalsozialisten stand die Familie auch sonst mit Distanz gegenüber: mein Vater, der ganz in seinem Ingenieurberuf aufging, wohl vor allem aus Abneigung gegenüber Ideologien und Desinteresse an Politik. Erst als Hitler sich im Jahre 1940 nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug auf dem Höhepunkt der Herrschaft befand, blieb ihm mit Rücksicht auf die Familie nichts anderes übrig, als der Partei beizutreten. Und das kam so: Es erschien eines Tages der Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront – der Funktion nach einem heutigen Betriebsrat vergleichbar – in seinem Dienstzimmer und erklärte, daß es für die Belegschaft nicht länger tragbar sei, einem Behördenleiter zu unterstehen, der nicht der Partei angehöre. Falls er nicht unverzüglich den Beitritt beantrage, werde das Konsequenzen haben, die nicht näher erläutert zu werden brauchten. Meine Mutter interessierte sich stärker für Politik. Ihr Vater ist neben seinem Beruf als Vermessungsdirektor zeitweilig Stadtratsabgeordneter der Deutschen Volkspartei gewesen. Die Nazis verabscheute sie als „Straße“ und deren Führungsschicht als Ansammlung von verkrachten Existenzen. Andererseits räumte auch sie ein, daß Hitler die Arbeitslosigkeit beseitigt und der deutschen Bevölkerung, soweit sie sich nicht offen gegen das Regime wandte oder unter die Rassengesetzgebung fiel, bis 1939 wieder einige als gut empfundene Jahre gebracht hatte. Die Sorgen begannen mit der Sudetenkrise im Herbst 1938. Ich erinnere mich, mit welcher Erleichterung meine Eltern damals den Nichtausbruch eines Krieges empfanden. Der Erste Weltkrieg mit seinen verlustreichen Schlachten und den Hungerjahren in der Heimat von 1916 an hatte sich als furchtbare Erinnerung tief in das Volksbewußtsein eingegraben. Sehr oft war in unserer Familie von den drei gefallenen Brüdern meines Vaters und der schweren Kriegsverletzung meines Großvaters mütterlicherseits die Rede. Mehr noch wurde die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg für uns Kinder aktuell, wenn wir bei Tisch unsere Teller nicht aufessen wollten. Sofort kam meine Mutter auf jene Hungerjahre zu sprechen und ließ uns nicht eher aufstehen, bis alles aufgegessen war, auch wenn wir das betreffende Essen nicht mochten. Im Unterschied zu 1914 sind 1939 nur sehr wenige begeistert in den Krieg gezogen. Ich erinnere mich an den 1. September 1939 in Stettin. Von der Schule wurden wir an dem Tag wieder nach Hause geschickt, weil mehrere Lehrer zum Militärdienst einberufen waren, und als ich mit dem Fahrrad durch die Stadt fuhr, sah man dort keine jubelnden oder gar fähnchenschwingende Menschen, sondern viele ernste Gesichter. Zwar bestand in der Bevölkerung schon seit der Weimarer Zeit weitgehend Einigkeit darüber, daß der 1919 diktierte Friedensvertrag von Versailles revisionsbedürftig war. Das „Unrecht von Versailles“ ist während meiner ganzen Kindheit ein aktuelles Thema in Familie, Schule und Presse gewesen. Es arbeitete der Außenpolitik der Nazis in die Hände. Gleichwohl wünschte eine kriegerische Revision nur eine Minderheit. Der Kriegsausbruch war für mich bis zum Jahre 1942 noch wenig spürbar. Dann aber begannen die nächtlichen Luftangriffe, die dazu zwangen, einen Teil

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der Nacht im Luftschutzkeller zu verbringen, und die Sorge ums Überleben aufkommen ließen. Auch wurden wir Schüler im Herbst 1942, dreizehn Jahre alt, zum „Ernteeinsatz“ (Kartoffelernte) nach Hinterpommern transportiert. Wir mußten auf einem Gut zusammen mit polnischen Zwangsarbeitern bei Wind und Wetter hart arbeiten – und das bei miserabler Verpflegung. Seither habe ich Ressentiments gegenüber ostelbischen Großagrariern, bin mir aber bewußt, daß wir vielleicht nur einer schlechten Adresse zugeteilt waren. Im Sommer 1943 wurden dann Mütter und Kinder wegen der Luftangriffe aus Stettin evakuiert. Meine Mutter kam mit uns Kindern in das 40 km westlich gelegene Pasewalk, wo wir auf engem Raum einquartiert wurden. Trotz Stalingrad konnte sich noch kaum jemand vorstellen, daß die Russen Anfang 1945 hier sein würden, obwohl nach dem Kriegseintritt der USA nur ein Wunder die Kriegslage hätte wenden können. Das sich nähernde Ende trat dann im Spätsommer 1944 ins Blickfeld. Nach den Sommerferien begann der Schulunterricht nicht wieder, sondern alle über vierzehnjährigen Jugendlichen wurden zum Schanzen an den „Ostwall“ verfrachtet. In der Nähe von Schneidemühl, nicht weit entfernt der polnischen Grenze von 1919, bauten wir Stellungen, und zwar bis Mitte Dezember des Jahres. Im Januar 1945 schloß die Schule dann endgültig, weil das Gebäude als Lazarett benötigt wurde. Ich kam zum Volkssturm, konnte aber in Pasewalk bleiben. Bald darauf näherten sich die Russen der Oder. Meine Mutter gelangte noch mit meinen jüngeren Geschwistern nach langer abenteuerlicher Bahnfahrt nach Verden a.d. Aller, wo meine Großmutter mütterlicherseits wohnte. Ich mußte als Fünfzehnjähriger in Pasewalk allein zurückbleiben. Vor ihrer Abreise hatte ich meiner Mutter zu versprechen, alles daran zu setzen, heil davonzukommen. Treffpunkt der Familie sollte Verden sein. Der Rekrutierung zur Waffen-SS entging ich auf die Weise, daß ich bei dem Aufmarsch zur Eintragung in ausliegende „Freiwilligen“-Listen mich zu Beginn der Zeremonie zur Toilette begab und mich erst anschließend wieder in die Einheit einordnete. Die SS galt bei uns zu Hause als Organisation, mit der man nichts zu tun haben wollte. Zwischenzeitlich bekam ich Kontakt mit meinem Vater, der als Wasserbaufachmann seit Mitte des Krieges der Organisation Todt zugewiesen war und sich im Hauptquartier der nördlichen Heeresgruppe aufhielt. Am 25. April 1945 setzten die Russen südlich von Stettin über die Oder und bombardierten Pasewalk mit Spreng- und Brandbomben. Wir Volkssturmleute waren bis tief in die Nacht mit Löscharbeiten befaßt. Am nächsten Morgen wurden wir zur Kreisleitung der NSDAP beordert, um auf deren Hof die Mitgliederkarteien zu verbrennen. Als wir in die Einsatzzentrale zurückgekehrt waren, erschien dort – in einer Pause zwischen ständigen Luftangriffen – plötzlich mein Vater, um mich noch aus Pasewalk herauszuholen. Das Hauptquartier war bereits im 60 km westlich gelegenen Neubrandenburg. Er brauchte mich nicht zum Mitkommen zu überreden. Nach Anbruch der Dunkelheit schlichen wir mit dem Fahrrad aus der Stadt und kamen am nächsten Morgen nach äußerst dramatischer Fahrt in Neubrandenburg an. Diese fürsorgliche Tat meines Vaters, der zurück in Richtung

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des russischen Vormarsches gefahren war, um seinen soeben erst 16 Jahre alt gewordenen Sohn nicht dem Schicksal zu überlassen, habe ich ihm nie vergessen. Wir bekamen dann von der Wehrmacht Entlassungsstempel in unsere Wehrpässe, so daß wir jedenfalls von deutscher Seite nichts mehr zu befürchten hatten und fuhren alsbald mit unseren Fahrrädern weiter Richtung Westen. Hinter Güstrow gerieten wir in den Einzugsbereich amerikanischer und britischer Tiefflieger. Sie schossen auf alles, was sich auf der Straße bewegte; in bleibender Erinnerung geblieben ist mir ein schrecklich zerschossener Flüchtlingstreck. Unser nächstes Ziel war Ludwigslust, wo eine Tante wohnte, und von dort sollte es weiter zur Elbe gehen. Am 1. Mai waren wir soeben in Ludwigslust angekommen, als die Amerikaner dort einmarschierten. Die Erleichterung währte jedoch nur kurze Zeit. Nach wenigen Stunden hieß es, daß die Stadt am Abend den Russen übergeben würde. Um unbehelligt aus ihr herauszukommen, ließen wir unsere Fahrräder zurück und wurden von den in einer endlosen Fahrzeugkolonne in Richtung Hamburg in die Gefangenschaft strömenden Resten der deutschen Wehrmacht mitgenommen. Dieser Rückzug spielte sich in ziemlicher Panik ab, da die Parole ausgegeben war, daß an die Russen ausgeliefert würde, wer nicht bis zum Mittag des nächsten Tages bei Lauenburg den Elbe-Lübeck-Kanal überquert habe, also die Stelle, in deren Nähe die künftige Grenze zwischen dem russischen und dem britischem Besatzungsgebiet verlief. Um nicht mit der Wehrmacht in Gefangenschaft zu geraten, machten wir uns einige Kilometer vor der Kanalbrücke wieder selbständig und erreichten die britischen Kontrollen, von denen wir als Zivilisten durchgelassen wurden. Die Demoralisierung auch dieser Armee überraschte uns allerdings. Allen Passanten wurden die Wertsachen, nämlich Eheringe und Uhren abgenommen. Mein Vater erkannte die Situation glücklicherweise rechtzeitig, so daß wir unsere Uhren und er den Ehering in den Schuhen verstecken konnten. Sonst hatten wir ohnehin nur unsere Rucksäcke mit elementarer „Reiseausrüstung“ bei uns. Von nun an waren wir nur noch zu Fuß unterwegs. In Lüneburg hatten die Engländer in der Hauptstraße in einem Schaufenster große Fotos ausgestellt, auf denen die Leichenberge zu sehen waren, die sie in dem KZ Bergen-Belsen vorgefunden hatten. Mein Vater und ich hielten damals die Bilder zunächst für Greuelpropaganda. Die Zustände in den KZ-Lagern und die Vernichtung der Juden waren vor der Bevölkerung geheim gehalten worden. Und sollte jemand etwas davon erfahren haben, hatte er allen Anlaß, eine solche Information für sich zu behalten, da die dem Reichsführer der SS unterstehende Gestapo ihn sonst selbst in einem KZ hätte verschwinden lassen. Im übrigen wird man hinsichtlich des die damalige menschliche Vorstellungskraft überschreitenden Hyperverbrechens der „Endlösung der Judenfrage“ zu berücksichtigen haben, daß die deutsche Bevölkerung in den letzten Kriegsjahren praktisch nur noch mit dem weiteren Schicksal von sich selbst, der eigenen Familie und der nächsten Umgebung befaßt war. Es blieb daher wenig Raum für Gedanken über den Verbleib anderer. Nach mehrtägigem Fußmarsch durch die Lüneburger Heide kamen wir schließlich am 8. Mai in Verden a.d. Aller an, wo wir die übrige Familie, von der wir seit Wochen nichts gehört hatten, lebend vorfanden.

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Die Besatzungsmächte wurden auch im Westen zunächst nicht als Befreier empfunden. Man war nur froh, daß der Krieg zu Ende war. Das Kriegsziel der Alliierten war die Niederlage Deutschlands und nicht lediglich die Beseitigung der Naziherrschaft. Deshalb war man auf alliierter Seite auch nicht in Kontakt zum deutschen Widerstand getreten und hatte bereits 1943 in Casablanca die bedingungslose Kapitulation Deutschlands zur einzigen Option für einen Friedensschluß erklärt. Eine Befreiung bedeutete aber natürlich der deutsche Zusammenbruch für die Vielzahl von politisch Unterdrückten, rassisch Diskriminierten, alle leidenden politischen Häftlinge und die Verschleppten. Erst nach und nach setzte sich im Volk die Erkenntnis durch, daß mit der Beseitigung der nationalsozialistischen Diktatur der Weg zu einem freiheitlichen und damit besseren Staatswesen eröffnet worden war. Für absurd habe ich es jedoch immer angesehen, wenn ideologisch verrannte oder opportunistische Politiker in die Einschätzung des Zusammenbruchs als nationale Befreiung auch das Geschehen im Osten einbezogen haben. Das Morden, Verschleppen und Vergewaltigen durch die Rote Armee, ebenso wie die Vertreibung von Millionen Menschen und die Etablierung eines neuen Unrechtsregimes waren alles andere. Da in Verden erst Anfang Januar 1946 der Schulunterricht wieder aufgenommen wurde, arbeitete ich zunächst auf einem Bauernhof in der Lüneburger Heide in der Landwirtschaft. Auf diese Weise hatte ich keine Ernährungsprobleme und konnte auch meiner Familie das eine oder andere zukommen lassen. Seither fällt mir frühes Aufstehen nicht schwer; jeden Morgen waren um halb sechs die Pferde zu füttern und zu putzen. Als die Schule dann wieder begann, hatte ich fast eineinhalb Jahre keinen Unterricht gehabt. Die Lücken waren daher riesig. Wir Schüler strengten uns außerordentlich an, Versäumtes nachzuholen. Mit großer Dankbarkeit erinnere ich mich an den Lehrkörper des ehrwürdigen Verdener Domgymnasiums, einer Schule, die übrigens 2002 ihr 1000-jähriges Jubiläum beging. Unsere Lehrer taten alles Erdenkliche, um uns auf das normale Niveau der Oberstufe zu bringen, sei es durch nachmittägliche Kurse, sei es durch Lesekreise in ihren Wohnungen. Von heutiger, durch gewerkschaftliche Vorstellungen angekränkelter Berufseinstellung großer Teile der Lehrerschaft war man gottlob noch weit entfernt. Als ich im Frühjar 1948 das Abitur ablegte, hatte die Oberprima einen Wissensstand, der in etwa den Maßstäben entsprach, die vor dem Kriege galten. Vergleiche ich ihn mit dem, der später meinen Kindern und meinen Studenten im Bundesland NordrheinWestfalen vermittelt worden ist – sogar in dreizehn und nicht wie damals zwölf Schuljahren – ist das Niveaugefälle bestürzend. Der Sozialschaden, der durch die Schulpolitik seit Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts angerichtet worden ist, erscheint mir manchmal größer als der, mit dem sich das Strafrecht befaßt. Die Wahl des Studienfachs ist für mich nicht einfach gewesen. Im letzten Zeugnis vor dem Abitur war meiner Angabe entsprechend vermerkt: „Hirsch will Jura

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studieren“. Nähere Vorstellungen von dem Fach hatte ich allerdings nicht. Wenn man sich in meiner Familie und Verwandtschaft umschaute, handelte es sich um Ingenieure und Architekten. Einen Juristen gab es bis dahin nicht. Mich motivierte wohl die mit dem Fach Jura verbundene Breite späterer beruflicher Möglichkeiten. Ich hatte zudem kein spezielles Schulfach, das eine Präferenz beanspruchte, sondern erzielte über die Breite der Fächer erfreuliche Noten. So interessierte ich mich auch in gleicher Weise für alle Gebiete, die als zuverlässige Voraussetzungen für das Jurastudium genannt werden, nämlich Mathematik, Deutsch, Geschichte und Latein. Aber ich war mir mangels genauerer Information nicht sicher, ob es die richtige Wahl sein würde. Mein Vater hätte es gerne gesehen, wenn ich wie er und mein Großvater Bauingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Wasserbau studiert hätte, und mein Mathematiklehrer beschwor mich, Mathematik oder doch jedenfalls ein naturwissenschaftliches Fach zu wählen. Beide Ratgeber wiesen auf die damals ungewisse Zukunft Deutschlands hin. Es war ja noch vor der Währungsreform. Technische und naturwissenschaftliche Fächer eröffneten im Unterschied zu Jura zumindest die Chance, künftig im Ausland sein Glück zu suchen. Da die Bewerbungsfristen für das damals überall dem Numerus clausus unterliegenden Studium bereits für das Sommersemester verstrichen war, ließ sich die Entscheidung noch bis zum Winter hinausschieben. Ich ging zunächst an die TH Karlsruhe, um dort ein Aufbausemester zu absolvieren, das für die Zulassung zum Bauingenieurstudium im Wintersemester Voraussetzung war. Meine Tätigkeit ist die eines Bauhilfsarbeiters gewesen, der die Steine des bei einem Bombenangriff zerstörten Instituts für Wasserbau wieder so herzurichten hatte, daß sie beim Wiederaufbau verwendet werden konnten. Die damals zunächst katastrophale Ernährungslage besserte sich glücklicherweise nach der Währungsreform. In Karlsruhe war es mir gelegentlich möglich, schon Vorlesungen zu besuchen. Dabei wurde mir bald klar, daß das Studienfach Bauingenieurwesen nicht das richtige für mich sein würde. Mit dem Beginn des Wintersemesters 1948/49 begann ich deshalb das juristische Studium in Göttingen, das mir schnell zusagte. Meine heutigen wissenschaftlichen Gegner werden die damalige Entscheidung vielleicht bedauern, aber ich selbst habe sie nie bereut. Mit ihr begann der im Mittelpunkt dieser Autobiographie stehende Werdegang als Jurist. Den Leser bitte ich um Nachsicht, daß ich ihn bis zu dieser Stelle mit Einzelheiten meiner Vita behelligt habe, die sich noch vor meinem Juristenleben ereignet haben. Im Rückblick möchte ich aber sagen, daß die wohl dramatischste und ereignisreichste Phase meines Lebens bereits die zwischen meinem vierzehnten und siebzehnten Lebensjahr gewesen ist. Alles Außergewöhnliche hat sich in diesem Zeitraum ereignet. Die damaligen Eindrücke haben mich nicht wenig geprägt, meine künftige Lebenseinstellung und Weltsicht sind ohne sie nicht zu erklären.

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II. Vom Studium bis zur Habilitation Göttingen ist nach dem Kriege für einige Jahre so etwas wie das geistige Zentrum Deutschlands gewesen. Stadt und Universität waren unzerstört, so daß die aus Ost- und Mitteldeutschland vertriebenen oder geflohenen Professoren vielfach hier ihre erste Bleibe fanden, und ohnedies verfügte die Universität bereits über einen ausgezeichneten Lehrkörper. Ich hörte bei so namhaften Juristen wie Paul Bockelmann, Günter Beitzke, Werner Flume, Rudolph Smend, Werner Weber, Hans Welzel und Franz Wieacker Vorlesungen. Auch bot die Universität ebenfalls in den anderen Fakultäten viel Interessantes, zu dem es einen hinzog. So habe ich während meiner Göttinger Semester regelmäßig morgens um acht Uhr die wöchentlich vierstündige Vorlesung des Historikers Hermann Heimpel besucht. Auch in der Ethik-Vorlesung von Nicolai Hartmann gehörte ich zu den Zuhörern. In Göttingen herrschte damals ein sehr lebendiges geistiges Leben, wie ich es später nie wieder an Universitäten vorgefunden habe. Die Erklärung dafür war neben dem hervorragenden Lehrkörper die Zusammensetzung der Studentenschaft, die überwiegend aus Kriegsteilnehmern bestand und deshalb einen großen geistigen Nachholbedarf empfand und die dementsprechende Aufnahmebereitschaft mitbrachte. Verbunden war dies mit einer durch das Kriegserlebnis bewirkten fortgeschrittenen Reife. Man war begierig auf den geistigen Neuanfang, aber auch selbstbewußt genug, um als im positiven Sinne kritische Studentengeneration gelten zu können. Die äußeren Studienbedingungen waren allerdings nicht die besten. In meinem ersten (Winter-)Semester hatte ich in Göttingen nur ein unheizbares Zimmer. Bücher gab es im Buchhandel kaum. Wir kauften sie daher nach Möglichkeit älteren Semestern ab. Bei einem Göttinger Lehrbuchverfasser, der im wesentlichen in den Vorlesungen sein Buch vortrug, fanden sich dann am Rande des erworbenen Buchexemplars handschriftliche Vermerke wie der: „Hier pflegt J. v. G. einen Witz zu machen“. Und so war es dann auch. Mir erschien es trotz aller Vorzüge Göttingens etwas zu einseitig, mein gesamtes Studium dort zu verbringen. Das Studium war zu jener Zeit noch eine Chance des Lebens, durch Wechsel des Studienorts andere Städte und Landstriche Deutschlands näher kennenzulernen; denn die spätere allgemeine Mobilität gab es noch nicht. Ich beschloß daher, für zwei Zwischensemester, mein 3. und 4., nach Heidelberg zu gehen. Dazu mußte man damals einen Tauschpartner an der angestrebten Universität finden, der mit einem nicht nur den Studienplatz, sondern auch die Unterkunft tauschte. In Heidelberg, ebenfalls im Kriege unzerstört, fand ich wie in Göttingen hervorragende Professoren vor. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir Karl Engisch, Walter Jellinek, Wolfgang Kunkel, Eugen Ulmer und Eberhard Schmidt. Im 4. Semester belegte ich erstmalig ein Seminar, und zwar bei Engisch, dessen Vorlesung und Übung mir gut gefallen hatten. Ich ahnte nicht, daß ich damit eine entscheidende Weiche für mein weiteres Leben stellte.

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Thema des Seminars war Bockelmanns Schrift über Täterschaft und Teilnahme. Ich war damals – trotz meiner Göttinger Anfänge – noch nicht von der Richtigkeit der personalen Unrechtslehre überzeugt. Die Ablehnung durch Engisch und die damalige herrschende Meinung gaben Anlaß, mich für das Problem näher zu interessieren. Deshalb nahm ich, vom 5. Semester an wieder in Göttingen, dort am Seminar von Welzel teil. Ich hielt ein Referat über die Akzessorietät der Teilnahme, das offenbar Welzels fachliches Interesse an mir geweckt hat. In dem Seminar erlebte ich außerordentlich fesselnde Diskussionen, und mich faszinierte, wie Welzel an dogmatische Probleme heranging und mit welcher Unerbittlichkeit er unklarem Denken und entsprechenden Argumentationen entgegentrat. Meine juristische Arbeitsweise ist auch von dem Zivilrechtler Wolfgang Sieber erheblich beeinflußt worden. Er war gegen Ende meines Studiums wegen seiner NS-Belastung noch nicht wieder im Amt und hielt sich mit einem exzellenten Examensrepetitorium über Wasser. Der Besuch eines Repetitoriums vor dem Examen – aber auch erst dann – ist meines Erachtens von erheblichen Nutzen, um dort durch den Vergleich mit den anderen Teilnehmern den eigenen Leistungsstand zu testen. Im Unterschied zu heute war man damals auf private Einrichtungen angewiesen. Sieber war ein Pädagoge von hohen Graden und ein Wissenschaftler, der durch glasklare Analysen beeindruckte. Ich habe über die Examensvorbereitung hinaus viel von ihm für meine spätere Lehrtätigkeit und meine wissenschaftliche Arbeit gelernt. Vor meinem Staatsexamen bei dem für Göttingen zuständigen OLG Celle wurde Welzel an die Universität Bonn berufen. Da sich sein Umzug noch etwas hinzog, hing eines Tages an der Tür des Göttinger Juristischen Seminars ein kleiner handschriftlich beschriebener Zettel, auf dem er uns Studenten mitteilte, daß am Vortag der Große Strafsenat des BGH die Beachtlichkeit des Verbotsirrtums anerkannt und dabei die von ihm geforderte Schuldtheorie übernommen hatte. Mit diesem Sieg über die herrschende Lehrmeinung, dem ein jahrelang die strafrechtliche Debatte beherrschender Streit vorausging, erreichte Welzel den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Erfolge. Ich hatte bis zum Ende seiner Göttinger Tätigkeit weiter regelmäßig sein Seminar besucht. Er bot mir beim Weggang an, mich in Bonn nach meinem Examen als Doktorand anzunehmen. Von dem Examen ist mir in Erinnerung geblieben, daß ich in einen der beiden Termine geriet, die jährlich nicht in Celle, sondern in Göttingen stattfanden. Zu ihnen konnten alle Examenssemester als Zuschauer erscheinen, weshalb man sie auch „Schauprozeß“ nannte. Ich saß am Anfang der Kandidatenreihe und wurde als erster gefragt. Die von dem BGB prüfenden Professor N., der kurz vor der Emeritierung stand, gestellte Frage lautete: „Herr Hirsch, weshalb werden Sie Vater?“ Ich war völlig überrascht, da ich die Gründung einer Familie noch nicht ins Auge gefaßt hatte, und suchte die Antwort auf die offensichtlich juristisch gemeinte Frage im Familienrecht, erntete aber nur Kopfschütteln. Als auch die übrigen fünf Kandidaten nicht beantworten konnten, weshalb ich Vater würde,

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schlug N. mit der Faust auf den Tisch und sagte: „Um sein Vermögen zu vererben!“ Abgesehen davon, daß mein „Vermögen“ nur aus einer monatlichen Unterstützung durch meine Eltern bestand, mit der ich gerade die Kosten für mein Zimmer und die Mensa decken konnte, wirkte diese Erklärung auf die zahlreichen Zuhörer so erheiternd, daß ein homerisches Gelächter ausbrach. Darauf schlug N. unwirsch ein zweites Mal auf den Tisch und bemerkte: „Na, heute ist es wohl nicht mehr so!“ Wohl dank der anderen Prüfer und der schriftlichen Arbeiten endete das Examen für mich dann aber doch mit einem schönen Ergebnis. Ich teilte Welzel den Ausgang mit, worauf er mir auf einer Postkarte erfreut vorschlug, eine Dissertation über die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen zu schreiben. Ich hatte sofort nach dem Examen den Referendardienst begonnen, und zwar bei einem kleinen Amtsgericht in der Nähe von Hannover. In Hannover wohnten damals meine Eltern und Geschwister. Der noch dreieinhalbjährige Referendardienst beließ einem Zeit für das gleichzeitige Arbeiten an einer Dissertation. Außerhalb einer Universitätsstadt fehlte mir jedoch die erforderliche Literatur, weshalb ich am Ende des ersten Ausbildungsabschnitts im Frühjahr 1953 als Gastreferendar nach Bonn wechselte. Dort war ich gleichzeitig Korrekturassistent bei Welzel und besuchte sein Seminar. Für eine Doktorarbeit war das Thema zum damaligen Zeitpunkt eigentlich etwas zu umfangreich. Es ging darum, den bis dahin nachwirkenden formalen Tatbestandsbegriff Belings mit materiellem Inhalt anzufüllen, dabei aber gleichzeitig ihn als Verbotsmaterie folgerichtig zu umgrenzen und zu verhindern, daß er unter dem Einfluß von Problemen der Irrtumslehre nicht mehr von den Rechtfertigungsgründen getrennt wurde. Von der Irrtumslehre her gesehen verband sich damit die Frage, ob bei der im Gefolge der personalen Unrechtslehre stattfindenden Verlagerung des Vorsatzes in den Unrechtstatbestand nicht auch der Erlaubnissachverhaltsirrtum (z. B. die Putativnotwehr) der Unrechtsebene zuzuordnen ist. Das Buch erforderte mehr Zeit als ich veranschlagt hatte, so daß ich mich von der Referendarausbildung zeitweilig beurlauben ließ, um nicht mit der Vorbereitung auf das Zweite Staatsexamen in Kollision zu geraten. Als ich die Dissertation schrieb, schlugen mich die Probleme in ihren Bann. Das Ziel, Universitätsprofessor zu werden, hatte ich aber noch nicht. Die Arbeit veranlaßte jedoch Welzel dazu, mir nach erfolgreichem Abschluß des Promotionsverfahrens die Habilitation vorzuschlagen. Das war damals für einen jungen Juristen eine außerordentliche Auszeichnung. Dies um so mehr, als der Beruf des Universitätsprofessors noch in der Gesellschaft in höchstem Ansehen stand. Die Entscheidung brauchte ich aber erst nach dem Zweiten Staatsexamen zu treffen. Dieses endete dann (1957) ebenfalls für mich sehr erfreulich, so daß mir nun alle juristischen Berufe offenstanden. Ich entschied mich damals zunächst gegen die Hochschullehrerlaufbahn. Das hatte drei Gründe: Zum einen behagte mir die zu jenem Zeitpunkt in der Bonner Rechtswissenschaftlichen Fakultät herrschende Atmosphäre wenig. Es gab

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auffällige persönliche Gegensätze, die sich bis zu den Assistenten fortsetzten. Auch befanden sich die beiden Strafrechtler in einem Dauerkonflikt miteinander. Zweitens spielte eine Rolle, daß mein Bild des Universitätsprofessors durch die jahrelange Tätigkeit bei Welzel geprägt war und ich deshalb das Gefühl hatte, daß dieser Schuh doch zu groß und zu anspruchsvoll für mich sei. Und drittens wollte ich etwas Neues anfangen, wobei ich an eine Tätigkeit als Wirtschaftsjurist mit Auslandsbezug dachte. Nachdem ich die redaktionellen Vorbereitungen der Veröffentlichung meiner Dissertation abgeschlossen hatte, ging ich 1959 mit einem DAAD-Stipendium zur London School of Economics nach England. Während dieses halbjährigen Aufenthalts entwickelte sich ein enger Kontakt mit Max Grünhut, so daß die Verbindung mit dem Strafrecht doch nicht abriß. Grünhut war als deutscher Emigrant am All Souls College in Oxford tätig. Er kannte mich, weil er regelmäßig im Sommersemester eine Gastprofessur in Bonn wahrnahm. Von mir wird er außerordentlich verehrt. Das Schicksal hat dieser noblen Persönlichkeit hart zugesetzt. Wegen jüdischer Abstammung verlor er 1935 seinen Bonner Strafrechtslehrstuhl. Bis zum Sommer 1939 wohnten er und seine Frau weiterhin in Bonn. Dort kümmerte sich fast niemand mehr um ihn. Nach England emigriert, wurde er wegen des kurz darauf erfolgenden Kriegsausbruchs als feindlicher Ausländer interniert. Als der Krieg vorbei war, erhielt er einen Ruf zur Rückkehr an die Universität Bonn. Er hätte ihn sehr gerne angenommen, lehnte ihn dann aber ab, weil seine Frau sich weigerte, deutschen Boden je wieder zu betreten. Die zu seinem 70. Geburtstag in Deutschland geplante Festschrift kam wegen eines kleinlichen Streits über die Herausgeberschaft nicht rechtzeitig zustande. Da der Jubilar bald darauf starb, erschien dann nur noch eine schmale Gedenkschrift. Ich berichte so eingehend über Max Grünhut, weil er zu den menschlich beeindruckendsten Persönlichkeiten gehört, die mir in meinem akademischen Leben begegnet sind. Während meines Aufenthalts hat er mich in London und Oxford geradezu väterlich betreut, und auch anderen deutschen Stipendiaten ist er in England mit Rat und Tat behilflich gewesen. Zurückgekehrt nach Bonn übernahm ich eine Stelle in der Abteilung Außenwirtschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und wurde Regierungsassessor. Die Tätigkeit war nicht uninteressant, weil ich dem Ostblockreferat zugeteilt wurde, das damals wegen fehlender diplomatischer Beziehungen (Hallstein-Doktrin) gleichzeitig die bundesdeutschen Interessen gegenüber den sowjetischen Satellitenstaaten wahrnahm. Auf die Dauer wurde mir aber klar, daß das Entwerfen von Briefen – die anschließend die Hierarchie des Ministeriums bis zu dem am Ende in der Sache Zeichnungsberechtigten zu durchlaufen hatten –, meinen juristischen Neigungen nicht entsprach. Welzel hatte diesen Eindruck wohl auch; denn beim Freiwerden einer Assistentenstelle fragte er bei mir an, ob ich mich nicht doch habilitieren wolle. Zunächst war die Angelegenheit aber mit meiner Frau zu besprechen. Ende 1960 hatten Rosemarie von Schmiedeberg und ich

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geheiratet. Sie hatte sich nach ihrem juristischen Assessorexamen eigentlich nicht die entsagungsvolle Zeit einer Ehefrau eines Habilitanden vorgestellt, war aber bereit, die schwierigen Jahre bis zur Habilitation und dem ersten Ruf auf sich zu nehmen. Die Rolle der Professorenfrau hat sie später hervorragend ausgefüllt. Sie wurde gewissermaßen zum Außenminister der Familie, deren Mittelpunkt sie bis heute ist. Ich habe ihr nicht zuletzt dafür zu danken, daß sie sich unter Verzicht auf berufliche Tätigkeit ganz der Familie, insbesondere dem Aufwachsen unserer beiden Kinder, gewidmet und mir damit den Rücken freigehalten hat für meine wissenschaftliche Arbeit. Mit einem Professor verheiratet zu sein, ist nicht einfach, weil die besten wissenschaftlichen Einfälle leider häufig zu einem für Frau und Familie ungünstigen Zeitpunkt kommen. Ich kehrte also an die Bonner Universität zurück. Dies auch mit dem Empfinden, daß sich durch Emeritierung und Neuberufungen die Zusammensetzung des Lehrkörpers und die Atmosphäre verändert hatten. Habilitand auf der anderen Assistentenstelle war Gerd Geilen, den ich schon damals persönlich und fachlich sehr schätzte. Bei der Wahl des Themas der Habilitationsschrift ging es darum, sich in einem anderen Bereich des Strafrechts als dem des Allgemeinen Teils, aus dem mein Dissertationsthema stammte, auszuweisen. Damals war seit dem Herrenreiter-Urteil des Großen Zivilsenats des BGH das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine stark ins Blickfeld getretene Problematik, die lebhaft im Zivilrecht debattiert wurde. Die Diskussion wurde extensiv geführt, so daß der strafrechtliche Ehrenschutz in diese Schutzeuphorie hineingezogen zu werden drohte. Das Strafgesetzbuch war hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale der Beleidigungsdelikte – wie noch heute – sehr sparsam. Der Ehrbegriff und der Begriff der Beleidigung waren im Schrifttum und der Rechtsprechung wenig geklärt, sie wurden ohnehin schon überdehnt, und auch das Schuldprinzip wurde wenig beachtet. Ich arbeitete damals den normativen Ehrbegriff heraus, der sich dann auch in der Judikatur und der überwiegenden Literatur durchgesetzt hat, und gab den einzelnen Deliktsformen schärfere Konturen. Nebenbei publizierte ich einige kleinere Arbeiten, von denen insbesondere mein ZStW-Aufsatz über „Soziale Adäquanz und Unrechtslehre“ auf stärkere Beachtung stieß. Meine Assistentenaufgaben bestanden vornehmlich in der Vorkorrektur von zivilrechtlichen Examensarbeiten (mit deren Erstkorrektur wegen nur weniger strafrechtlicher Hausarbeiten auch Strafrechtsprofessoren ständig betraut wurden), der Mitwirkung bei der Vorbereitung und Redaktion von Neuauflagen des Welzel’schen Strafrechtslehrbuchs, der Betreuung von Seminarteilnehmern und dem Abhalten von Arbeitsgemeinschaften zu den Vorlesungen. Die Habilitationsschrift nahm bei alledem wie schon die Dissertation mehr Zeit in Anspruch, als ich anfänglich veranschlagt hatte. Gespräche über Probleme, bei denen man zeitweilig

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festsaß, gab es grundsätzlich nicht. Welzel war ein sehr strenger Lehrer, der zudem äußerst ungeduldig und manchmal auch verletzend sein konnte. Wenn er irgendetwas benötigte, rief er mich an, ob am Wochenende oder früh am Morgen. Meine Frau spricht noch heute davon, daß er in unserer damals jungen Ehe allgegenwärtig gewesen ist. Rückschauend bin ich ihm für die harte Schule aber dankbar. Vor allem seine wissenschaftliche Strenge hat mich gut für den späteren Beruf gerüstet. Daß er gegenüber uns Assistenten die Rolle eines Übervaters einnahm, vermittelte zudem das Gefühl der Geborgenheit. Wenn er sich für jemanden entschieden hatte, setzte er sich auch nachdrücklich für ihn ein. Hinzu kam seine vorbildliche Hingabe an den Beruf. Universitätsprofessor zu sein, bedeutete für ihn rastlose Befassung mit den wissenschaftlichen Fragen des Fachs. Daß er dabei außerordentlich erfolgreich war, verdankte er zweierlei: Erstens klarem systematischen Denken und der Fähigkeit, seine Überlegungen in prägnanter, schnörkelloser Sprache klar verständlich zu Papier zu bringen. Zweitens: Wissenschaftlicher Gestaltungskraft, verbunden mit einem feinen Gespür für die Angemessenheit der Ergebnisse. Wir Assistenten hätten uns keine fachlich bessere Ausbildung wünschen können. Ein anfängliches Problem war für uns, daß das Verhältnis unseres Lehrers zur strafrechtlichen Kollegenschaft nicht immer das beste gewesen ist. Dies hatte mehrere Ursachen. Die primäre ist wohl die gewesen, daß er mit seinen wissenschaftlichen Lehren vom personalen Unrecht, von der Finalität der Handlung und zum Verbotsirrtum vielfach als wissenschaftlicher Störenfried empfunden wurde und daß er in der Diskussion den bisherigen Spitzenvertretern des Faches quasi die Schau stahl. Die Folge war, daß er viele Pfeile auf seine Brust gerichtet sah, was bei ihm nicht nur eine kämpferische Abwehrhaltung hervorrief, sondern auch gereizte Reaktionen. So manches Mal vermischten sich auf beiden Seiten des Meinungsstreits wissenschaftliche Auffassungsverschiedenheit und persönliche Abneigung. Anfänglich mußten wir älteren Schüler uns wie Angehörige einer Sekte vorkommen. Folgenreich ist für Welzel und seine Lehren wohl auch seine Ungeduld gewesen. Erschien in einer Zeitschrift ein wissenschaftlicher Angriff auf ihn, verfaßte er vielfach in wenigen Tagen eine Erwiderung. Sobald die Sekretärin sie getippt hatte, gab er sie mir, als ich bei ihm Habilitand und Assistent war, zu lesen. Da er um 13 Uhr zum Mittagessen nach Hause ging, mußte alles sehr schnell gehen. Vorsichtig geäußerte Änderungsvorschläge hielt er zwar für erwägenswert, aber seine Reaktion war zumeist, daß jetzt der Text fertig getippt sei und nun schnell zur Post müsse. Die Konsequenz ist gewesen, daß es zu einer eingehenden, Schwachstellen des bisherigen Standpunkts beseitigenden umfassenden Erwiderung außerhalb des knappen Raums des Lehrbuchs nicht gekommen ist. Dies wirkt sich bis in die Gegenwart dahingehend aus, daß viele Autoren seine wissenschaftlichen Überlegungen noch heute auf dem Stande des Anfangs betrachten. Meine Habilitation für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie erfolgte im Früjahr 1966. Der am Ende des Wintersemesters 1965/66 gehaltene

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Probevortrag hatte das Thema „Die Abgrenzung von Straf- und Zivilrecht“. Die damals in Bonn zu den Habilitationsleistungen zählende Antrittsvorlesung befaßte sich mit „Richterrecht und Gesetzesrecht“. Damit war der Weg geebnet, daß ich bereits kurze Zeit später einen Ruf an die neu gegründete Universität Regensburg erhielt. III. Regensburger Zeit Als ich im Sommer 1966 zu Berufungsverhandlungen in Regensburg war, fuhr mich der Gründungsrektor an einen von Ackerland umgebenen Bauplatz und erklärte, daß an dieser Stelle die Universität errichtet würde. Am 1. Oktober 1966 wurden dann ein von der Universität München kommender Zivilrechtler und ich als die ersten Professoren der neuen Universität ernannt. Die Überreichung der Ernennungsurkunden fand im Freien beim Richtfest des ersten Universitätsgebäudes – umrahmt von den Klängen einer bayerischen Blaskapelle – durch den bayerischen Ministerpräsidenten statt. Obgleich ich in Deutschland für damalige Zeiten schon viel herumgekommen und auch mit dem westlichen Süddeutschland vertraut war, fühlte ich mich als Preuße etwas in eine andere Welt versetzt. Regensburg war nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 und der Auflösung des Immerwährenden Reichstags eine Provinzstadt geworden, die nur noch Zuzug aus dem nahen bayerischen Umland hatte. Ich empfand mich – ganz anders als im Rheinland – zunächst als Fremder. Auch der Wohnungsmarkt war nicht auf die Universitätsgründung vorbereitet. Ich pendelte daher noch ein Jahr lang zwischen Regensburg und Bonn. Um bis zur Aufnahme des Lehrbetriebs zu Beginn des Wintersemester 1967/68 Lehrtätigkeit auszuüben, hielt ich in Bonn Vorlesungen und Übungen. Die Arbeit in Regensburg bestand in dieser Anfangsphase im Aufbau der Bibliothek – zu Anfang gab es nur die auf dem Büchermarkt erhältlichen Neuerscheinungen und Neuauflagen – und der Mitwirkung bei der Klärung von Personalund Strukturfragen. Ein Glücksfall kam mir zustatten. Ich wurde in Bonn darauf aufmerksam gemacht, daß sich in einem Haus im Siebengebirge eine ca. 15.000 Bände umfassende strafrechtliche Bibliothek befand, um deren Erwerb man sich bemühen sollte. Es handelte sich um die Bibliothek des schon vor mehreren Jahren verstorbenen früheren Kölner Professors Coenders. Dieser war Junggeselle, hatte sich in ein einsam gelegenes Haus in einem Bachtal zurückgezogen und zur Weimarer Zeit in großem Umfang auf dem Antiquariatsmarkt strafrechtliche Literatur des 19. Jahrhunderts gekauft. An praktisch allen Wänden des Hauses befanden sich Bücherregale. Als im Früjahr 1945 die Amerikaner in Remagen den Rhein überqueren konnten, richteten sie dort ihr erstes Hauptquartier ein. Bevor sie weiterzogen und, wie mir erzählt wurde, sie im Buchbestand auch Hitlers „Mein Kampf“ entdeckt hatten, warfen sie die Bücher aus den Regalen und zerschmetterten dazwischen auch noch gefüllte Einmachgläser aus dem Keller.

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Als Coenders, der offenbar bereits unter Altersdemenz litt, zurückkehrte und das Chaos sah, stellte er sich auf den Standpunkt: Die Amerikaner haben das alles verwüstet, sie sind verpflichtet, es wieder aufzuräumen. Er lebte dort noch einige Zeit inmitten der Trümmer seiner Bibliothek, bis er in ein Heim gebracht wurde. Die Erben veranlaßten dann, daß die Bücher, wenn auch ungeordnet, wieder in die Regale gestellt und äußerlich gesäubert wurden. Der Universität Regensburg gelang es nach der Entdeckung, die Bibliothek zu einem sehr günstigen Preis zu erwerben. Mit Bonner Seminarteilnehmern zusammen haben wir sie in einen Lastzug verladen. Jemand, der das Haus zu beaufsichtigen hatte, erzählte uns, daß von ihm noch am Vorabend mit dem Kleinkalibergewehr eine Ratte erlegt worden sei, die sich an einem der Bücher zu schaffen gemacht hatte. Da diese Tierart bekanntlich über einen ausgeprägten Instinkt verfügt, steht zu vermuten, daß es sich um das Lehrbuch von Feuerbach oder einen Band von Bindings Normen gehandelt hat. Der Start der neuen Universität verlief sehr gut, aber kurz darauf brach in der Bundesrepublik die Studentenrevolte aus. Diese führte an der Regensburger Universität zu katastrophalen Verhältnissen. Man beschloß eine Satzung, die dem Lehrkörper 50 Prozent, den Assistenten 25 Prozent und den Studenten ebenfalls 25 Prozent der Stimmen in allen Angelegenheiten einräumte. Da die Assistenten von auswärts kamen, ihren Studienabschluß soeben erst hinter sich hatten und sie außer dem Promotionsvorhaben noch nichts an der Universität hielt, bildeten sie mit dem von linken Extremisten dominierten Studenten einen gegen die Professorenschaft gerichteten Abstimmungsblock. Das eröffnete Opportunisten unter den Professoren die Möglichkeit, mit dieser Gruppierung zusammen die Mehrheit zu gewinnen und die Kollegenschaft zu majorisieren. Im Juristischen Fachbereich konnte sich ein Professor auf solche Weise Gewicht verschaffen, das ihm fachlich eigentlich nicht zukam. Als er eines Tages, ohne Strafrechtler zu sein, eine inhaltslose Doktorarbeit aus dem Umfeld des Strafprozesses präsentierte, diese auch noch mit „magna cum laude“ bewertet hatte und sich ihm ein ebenfalls fachfremder Kollege, der damals ein Pamphlet für eine marxistische Universität Regensburg mit unterschrieben hatte, bereitwillig anschloß, erhob ich Einspruch, was nach der Promotionsordnung möglich war. Dieser scheiterte an den Mehrheitsverhältnissen, so daß der Doktorand gegen die nahezu einhellige wissenschaftliche Auffassung des Lehrkörpers promoviert wurde. In einigen anderen Fachbereichen ging es noch turbulenter zu. Ich selbst geriet außerdem vier Wochen lang in den Mittelpunkt der Angriffe linksextremer Gruppen, als ich mich weigerte, für einen Assistenten, der seine wissenschaftliche Arbeit weitestgehend eingestellt, stattdessen die Tätigkeit auf politische Agitation verlagert und sein Assistentenzimmer in eine politische Zentrale verwandelt hatte, eine Verlängerung des Dienstvertrags zu beantragen. Ich wurde tagein, tagaus auf Plakaten angegriffen, und Regensburger und Münchner Zeitungen befaßten sich mit dem Fall. Anfang der 70er Jahre fand eine Rektorwahl statt, bei der ein nicht habilitierter Physiker gewählt wurde, der Lehrveranstaltungen über Physik und Marxismus

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hielt, Bart und Haupthaar bis zur Gürtellinie trug, dazu ein knallrotes Oberhemd und Sandalen. Nach der Satzung gehörte auf der Professorenseite neben den Dekanen (für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften damals ein Wirtschaftswissenschaftler) je ein Wahlsenator für die Geistes- und die Naturwissenschaften dem Senat an. Ich wurde von der Kollegenschaft zum Wahlsenator für Geisteswissenschaften gewählt. Obwohl mir klar war, daß das Amt mir nur Verdruß bis hin zu Diffamierungen einbringen würde, nahm ich es an, weil ein Jurist noch am ehesten diesem Rektor auf die Finger sehen konnte. Der Senat tagte damals jede Woche. Ich stellte zu Beginn fast jeder Sitzung den Antrag, die Tagesordnung um einen Beratungspunkt „Amtsführung des Rektors“ zu erweitern. Der Antrag ließ sich aber nur selten durchsetzen, nämlich dann, wenn es in langwierigen Unterredungen vor den Sitzungen gelang, einen Studenten aus dem (kleinen) gemäßigten Lager dazu zu bewegen, ihn zu unterstützen. In den Sitzungen ging es chaotisch zu. Magnifizenz und Studenten duzten sich. Und wenn der Rektor doch einmal einen vernünftigen Gedanken äußerte, wurde er von den Studentenvertretern zu linientreuer Disziplin ermahnt. Für mich hatte mein Amt noch den Nebeneffekt, daß ein Ruf, auf den sich die Strafrechtler einer auswärtigen Universität verständigt hatten, daran scheiterte, daß den dortigen Studentenvertretern durch Regensburger Funktionäre dringend von mir abgeraten wurde. Aber vermutlich wäre ich zu jener Zeit vom Regen in die Traufe geraten. Übrigens löste mich als Wahlsenator der heutige Papst ab, der damals noch Professor an der Regensburger Katholisch-Theologischen Fakultät gewesen ist. Bevor er die Nachfolge als Stellvertreter Christi antrat, war er also erst einmal Nachfolger meiner Wenigkeit. Übrigens wird darüber gerätselt, wie aus dem progressiven Berater des 2. Vatikanischen Konzils später ein als besonders konservativ eingeschätzter Kurienkardinal werden konnte. Nach meinem Eindruck bilden die persönlichen Erfahrungen der Studentenrevolte eine naheliegende Erklärung. Positive Erinnerungen verbinde ich mit der Strafrechtslehrertagung 1970, die von den Regensburger Strafrechtlern, d. h. Friedrich-Christian Schroeder und mir, ausgerichtet wurde. Den Vorsitz der Tagungen der deutschsprachigen Strafrechtslehrer hat bekanntlich kraft Tradition der dienstälteste Münchner Strafrechtler. Das war damals Karl Engisch. Als in der deutschen Strafrechtswissenschaft nach dem Erscheinen des Amtl. StGB Entwurfs von 1962 schwere Konflikte zwischen den Kritikern und den Verfassern ausbrachen, die noch bis Mitte der 70er Jahre anhielten und zur Bildung des Alternativkreises (AE-Verfasser) führten, der einen Gegenentwurf zum Allgemeinen Teil und Gegenentwürfe zu Teilgebieten des Besonderen Teils vorlegte, waren die Tagungen außerordentlich spannungsgeladen. Engisch, der an keinem der Entwürfe beteiligt gewesen ist, vermochte jedoch mit seiner beeindruckenden Autorität nicht nur die Zusammenkünfte als gemeinsame Veranstaltungen aller Strafrechtler zu bewahren, sondern auch für Sachlichkeit des Diskussionsablaufs zu sorgen. Bei einem solchen Vorsitzenden wagte es niemand, sich im Ton zu vergreifen. Ich habe die Ausstrahlung, die von dieser Persönlichkeit

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ausging, schon seit meinen Heidelberger Studientagen bewundert. Sie verband sich hinsichtlich der Strafrechtslehrertagungen mit einem sicheren Gespür bei der Auswahl der Themen. Die deutsche Strafrechtslehrerschaft hat Karl Engisch über sein wissenschaftliches Werk hinaus viel zu verdanken. Die damaligen Spannungen konnten sich übrigens auch in Heiterkeit entladen. Während der Strafrechtslehrertagung 1970 fanden offizielle Ansprachen im ehrwürdigen Reichssaal statt, in dem 1532 die Carolina verabschiedet und 1962 dann auch der Amtl. Reformentwurf der Öffentlichkeit übergeben worden war. Bei der Tagung war ein jüngeres Mitglied der Kommission, die den E 1962 vorbereitet hatte, damit beauftragt worden, die Ansprache zur Begrüßung des Justizministers und anderer Ehrengäste zu halten. In dieser unterlief ihm ein in der Wirkung auf die Zuhörer kaum zu übertreffender „Versprecher“: „Als wir hier im Jahre 1532 den Entwurf 1962 ... “ Die Gegner waren begeistert, und auch die anderen bogen sich vor Lachen. Ich habe bei der Tagung ein Referat über die Reform der Körperverletzungsdelikte gehalten. Auf das Thema war ich gut vorbereitet, da ich für die 9. Aufl. des Leipziger Kommentares die Neubearbeitung des Abschnitts über die Körperverletzung übernommen hatte. Der dieses Gebiet betreffende Alternativentwurf war wenig gelungen, so daß er die Möglichkeit zu einem Totalverriß bot. Wohl nicht zuletzt deshalb machte ich mir im Alternativkreis mit meinem damaligen Referat wenig Freunde. Was den Leipziger Kommentar betrifft, übernahm ich dann auch noch den Abschnitt „Vor § 51 StGB“, in dem die Unrechts- und Schuldlehre sowie die nichtkodifizierten Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe zu behandeln waren. Ging es bei der Kommentierung der §§ 223 ff. StGB allein um die Aktualisierung und wissenschaftliche Vertiefung, handelte es sich bei „Vor § 51“ darum, den Kommentar von der Dogmatik der späten 20er Jahre auf die neueren Entwicklungen umzustellen und auch das umfangreiche Material, das die bevorstehende Reform mit sich gebracht hatte, schon in die Kommentierung einzuarbeiten. Was die theoretische Grundlegung betrifft, folgte ich der sogenannten personalen Unrechtslehre und markierte damit gleichzeitig, in welche Richtung meine weiteren wissenschaftlichen Überlegungen zu diesem Bereich in den folgenden Jahren gehen würden. Außerdem nahm ich, damals noch unter dem Etikett des übergesetzlichen rechtfertigenden Notstands, die Kommentierung der dann durch das 2. Strafrechtsreformgesetz eingeführten strafgesetzlichen Regelung (§ 34 n.F. StGB) vorweg. Mein besonderes Interesse an Grundfragen des Allgemeinen Teils wurde ebenfalls in Aufsätzen zu „Einwilligung und Selbstbestimmung“ und zum „Erfolgsqualifizierten Delikt“ deutlich, zwei Themenkreisen, auf die ich wiederholt zurückgekommen bin. In den Anfang der 70er Jahre fällt auch der Beginn des Endes des Welzel’schen Lehrbuchs. Welzel rief mich eines Tages aus Fischbachau an, wo er im Richterheim

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regelmäßig seinen Urlaub verbrachte. Er bat mich, ihn dort zu besuchen. Es ging darum, daß er mir anbot, sein Lehrbuch zu übernehmen. Bewußt habe er meine Mitarbeit schon im Vorwort der letzten Aufl. (11. Aufl. 1969) besonders hervorgehoben. Ich fühlte mich sehr geehrt, hörte aber zunächst nichts mehr davon. Dann erfuhr ich, daß seine Frau Bedenken gegen das Vorhaben geäußert hatte, und zwar mit der Begründung, daß sie es für die örtliche Harmonie als abträglich einschätze, den in Bonn tätigen Schüler zu übergehen. Wie es der Zufall wollte, wurde mir kurz darauf der erwähnte LK-Abschnitt „Vor § 51“ angetragen, der mich fachlich nicht weniger reizte. Die „Tragödie“ des Welzel’schen Buches, das bis dahin alle zwei Jahre in Neuauflage erschienen war und eines der verbreitetsten Lehrbücher gewesen ist, nahm fortan ihren Lauf. Als bis Mitte der 70er Jahre kein Manuskript für die Neuauflage vorlag, kündigte der Verlag den Vertrag mit dem Neubearbeiter. Welzel und der Verlag baten mich, nun einzuspringen. Dazu konnte ich mich aber nicht mehr entschließen, da für mich neben den übernommenen Neubearbeitungen im Leipziger Kommentar keine weitere laufende Verpflichtung in Betracht kam. Der Verlag gewann dann zwei andere Schüler Welzels, von denen der eine den Allgemeinen Teil, der andere den Besonderen Teil übernehmen sollte. Beide gaben das Unternehmen aber nach einiger Zeit auf. Heute stehe ich bei Lehrbüchern, die stark von den wissenschaftlichen Gedanken ihres Autors geprägt sind, solchen „Erbgängen“ auch skeptisch gegenüber. Zumeist mißlingt es, das Typische, was den Reiz des Originals ausmachte, wieder zu erreichen, so daß die „Bindestrichausgabe“ entweder deutlich schwächer ist oder aber ein aliud unter unrichtiger Namensnennung darstellt. IV. Kölner Zeit bis zur Emeritierung und die wissenschaftlichen Ziele 1. Ende 1974 erhielt ich einen Ruf nach Köln. Für mich stand von vornherein fest, daß ich ihn annehmen würde. Zwar hatte sich meine Familie inzwischen in Regensburg gut eingelebt. Wir schätzten die herrliche Umgebung und den besonderen Reiz der Stadt. Außerdem hatten sich zur Kollegenschaft, deren Solidarität auch in schwierigen Zeiten ich zu schätzen wußte, sehr angenehme Kontakte entwickelt. Aber das Rheinland zog meine Frau und mich außerordentlich an, weil wir dort aus früheren Jahren zahlreiche Freunde und Bekannte hatten und meine Eltern in Koblenz – wo mein Vater zuletzt Präsident der Bundesanstalt für Gewässerkunde war – und die Angehörigen meiner Frau in Bonn wohnten. Obgleich evangelisch, beschleicht mich im Kölner Raum nicht das Gefühl, ein Zugewanderter zu sein. Auch war die Kölner Rechtswissenschaftliche Fakultät eine der führenden in Deutschland, und die Studentenrevolte hatte – dank geschickt agierender Rektoren, rheinischer Mentalität und selbstbewußten Auftretens der Professorenschaft gegenüber den Politikern – keinen Schaden genommen. In Köln beschäftigte man sich nicht mit der an ständige Nabelschau erinnernden langjährigen Diskussion über die Universtätsstruktur, wie das andernorts vielfach der Fall

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gewesen ist, sondern man ging in bewährter Weise seinen Aufgaben in Forschung und Lehre nach. Ich kam in eine heile Universitätswelt. Die Berufung hatte ich in erster Linie der Initiative des Kölner Strafrechtlers Richard Lange und der Kriminologin Hilde Kaufmann zu verdanken. Dies war um so bemerkenswerter, weil Lange als einer der Hauptvertreter der kausalen Handlungslehre mit Welzel in Fehde lag und Köln damals noch ein Zentrum dieser älteren Lehre war. Wie wichtig die Meinungsgegensätze genommen wurden, spiegelte sich in den 60er Jahren, als die einschlägigen Debatten besonders lebhaft waren, darin wider, daß das für Köln und Bonn zuständige Justizprüfungsamt mit der Durchsicht der strafrechtlichen Prüfungsarbeiten nur noch Professoren der eigenen Universität der Prüflinge betraute, um zu verhindern, daß der wissenschaftliche Streit auf die Bewertungen durchschlug. Ich rechne es Lange hoch an, daß er mich trotz der unterschiedlichen wissenschaftlichen Positionen, die wir in diesen dogmatischen Fragen einnahmen, und meiner wissenschaftlichen Abstammung als seinen Nachfolger favorisiert hat. Nicht zuletzt aus Dankbarkeit habe ich mich bemüht, ihm als Emeritus optimale Bedingungen im Institut zu erhalten. In den Stand des Emeritus konnte er sich allerdings nicht leicht hineinfinden. Als ich meine Tätigkeit als neuer Direktor des Kölner Kriminalwissenschaftlichen Instituts aufnahm – nachdem ich immerhin schon mehr als acht Jahre Ordinarius war –, begrüßte er mich mit den Worten: „Herr Hirsch, ich freue mich, Sie hier als meinen Juniorpartner begrüßen zu können.“ Köln bot ideale Arbeitsmöglichkeiten. Die im Institut vorhandene große Fachbibliothek, die räumliche Abschirmung durch das bestehende Institutssystem und das geräuschlose Funktionieren der akademischen Selbstverwaltung spielten dabei eine wichtige Rolle. Daß die Kölner Fakultät der Studentenzahl nach die zweitgrößte in Deutschland war, empfand ich nicht als Belastung. Ich habe immer sehr gerne Lehrveranstaltungen gehalten. Die 500 bis 600 Teilnehmer zählenden großen strafrechtlichen Vorlesungen habe ich als Bad in der Menge genossen, auch wenn sie gelegentlich der Bewältigung eines Trapezakts glichen. Zumeist war es vom Thema her möglich, mit einem Fall zu beginnen. Damit erreichte ich, daß schnell Ruhe einkehrte, weil die Zuhörer den Sachverhalt mitbekommen wollten, um anschließend folgen zu können. Im übrigen habe ich die Vorlesungen schon bald nach den Anfängen meiner Lehrtätigkeit in freier Rede gehalten, nur unterstützt von einigen Aufzeichnungen zur Gliederung und zum neuesten Stand von Rechtsprechung und Literatur. Ich habe mir allerdings auch immer Zeit zur ausreichenden Vorbereitung der einzelnen Lehrveranstaltungen genommen. 2. Bei meiner wissenschaftlichen Arbeit ging es zum einen um die 10. Aufl. des Leipziger Kommentars. Die Neubearbeitung war zeitraubend, da inzwischen der neue Allgemeine Teil Gesetz geworden war und die Vorbemerkungen zu § 51 a.F. StGB umgearbeitet werden mußten zu Vorbemerkungen zu § 32 n.F. StGB. Auch die Kommentierung der §§ 223 ff. StGB war erweiterungsbedürftig.

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Im übrigen nahm ich 1981 die Gelegenheit des 100-jährigen Bestehens der ZStW wahr, um einen zweiteiligen Aufsatz über den „Streit um Handlungsund Unrechtslehre“ in der Zeitschrift zu veröffentlichen. Damit wollte ich 20 Jahre nach dem Erscheinen der letzten (11.) Aufl. des Welzel’schen Lehrbuchs eine auf den neuesten Stand gebrachte Darstellung des Inhalts der personalen Unrechtslehre geben und eine Würdigung dieser Auffassung vornehmen. Ich halte deren Systemansatz, der vom Normbefehl und dessen Gegenstand, der Handlung, ausgeht, nach wie vor für den einzigen wissenschaftlich überzeugenden. Durchgesetzt hatten sich damals auch bereits die Mehrzahl der aus dieser modernen Unrechtsauffassung abgeleiteten Ergebnisse, sei es in einzelnen Vorschriften des neuen Allgemeinen Teils (z. B. §§ 26 und 27 StGB), sei es durch die Zuordnung des Tatbestandsvorsatzes und der Fahrlässigkeit zum Unrechtstatbestand. Was sich nicht durchgesetzt hat, ist die von Welzel gegebene Begründung, nämlich die Zugehörigkeit des Willenselements zur Handlung, ohne die aber dem System dogmatisch die Basis fehlt. Überzeugt hat mich vor allem das Hauptanliegen Welzels: Bei der Strafrechtsdogmatik von den Phänomenen und deren Strukturen auszugehen, anstatt normativistisch – oder wie am Ende des 19. Jahrhunderts „naturalistisch“ (z. B. Beleidigung als Erzeugung von Schallwellen) – dogmatische Kunstprodukte zu bilden. Erst wenn man die Phänomene und Strukturen herausgearbeitet hat, kann es um Wertungen gehen. Dabei sind dann aber auch die jeweiligen Bewertungsmaßstäbe offenzulegen. Der Handlungsbegriff ist innerhalb dieser Problematik ein besonders wichtiges Beispiel. Mag er auch in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedlich definiert werden, geht es im Strafrecht um die Frage, worin der strukturelle Inhalt des Gegenstands eines Verbots besteht. Die Antwort lautet: In einer Willenshandlung, denn die bloße Ursächlichkeit läßt sich nicht verbieten. Eine solche gegen den Normativismus gerichtete Sichtweise ermöglicht auch, daß über die nationalen Grenzen hinweg allgemeingültige dogmatische Einsichten gewonnen werden können. Leider wurde dieser Ansatz von einigen seiner Vertreter übertrieben, indem sie die ontologische Seite überbetonten und dadurch den Eindruck einer gewissen „Blutleere“ der Argumente und deren quasi naturrechtlichen Charakters hervorriefen. Auch gerieten sie – worauf noch zurückzukommen sein wird – in einen dem Tatstrafrecht widersprechenden Subjektivismus. Das ließ die herrschende Lehre leider auf Distanz zu dem Handlungsansatz gehen. Es wurden Gegenströmungen auf den Plan gerufen, die sich teilweise bis zu einem radikalen Normativismus steigerten, der ernsthaft behauptet, daß alle Gegenstände des Strafrechts normativer Natur seien. Ich sah mich daher zwischen zwei Lagern: Auf der einen Seite die herrschende Lehre, welche die Linie der teleologischen Unrechtslehre Mezgers der 20er Jahre fortsetzte. Diese Unrechtslehre modifzierte das aus dem Naturalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts stammende Kausaldogma durch ergänzende objektive

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Gesichtspunkte (damals als „Relevanztheorie“, heute als „objektive Zurechnung“ bezeichnet) sowie besondere subjektive Unrechtselemente. Die herrschende Lehre hat von der personalen Unrechtslehre dann Anfang der 70er Jahre die Zuordnung des Tatbestandsvorsatzes und der objektiven Fahrlässigkeit übernommen, ohne dafür eine schlüssige dogmatische Begründung zu geben. Auf der anderen Seite stand die erwähnte subjektivistische Richtung, die zwar moderner vom Normbefehl und damit der verbotenen Handlung ausgeht, sich deshalb als Sachwalter von Welzels Erbe geriert, jedoch im Gegensatz zu diesem den Handlungsbegriff auf betätigte Intentionalität (im Sinne der subjektiven Versuchstheorie) verkürzt und deshalb das volle normwidrige Unrecht des Vorsatzdelikts bereits ohne den gewollten Erfolgseintritt für gegeben ansieht. Als Nebenschauplatz der Diskussion kam seit den 80er Jahren dann noch – namentlich in der internationalen Debatte – eine positivistisch-normativistische Lehre hinzu, die alle Begriffe des Gesetzes durch und durch als Produkte des Gesetzgebers ansehen will und damit die diametrale Gegenposition zu Welzel vertritt. Mir ging es in meinen zu diesen dogmatischen Kontroversen verfaßten Publikationen – einschließlich in noch nach der Emeritierung verfaßten Arbeiten – darum, die verbreiteten Mißdeutungen des Inhalts der personalen Unrechtslehre richtigzustellen, aus den Anfängen stammende Schwächen dieser Lehre auszumerzen, das Konzept in kritischer Auseinandersetzung mit den vorgenannten wissenschaftlichen Lagern fortzuentwickeln und weitere Resultate aus ihm abzuleiten. So war dem durch anfängliche Unklarheiten ausgelösten und seither fortwährend wiederholten Einwand entgegenzutreten, daß die Ableitung aus dem „finalen“ Handlungsbegriff nicht mit der Fahrlässigkeit in Einklang zu bringen sei. Auch bei der Fahrlässigkeit geht es um das Verbot einer Willenshandlung, z. B. das willentliche Schneiden einer Kurve. Gerade durch die Herausarbeitung von sorgfaltswidriger Willenshandlung einerseits und dadurch bewirktem nicht gewollten Erfolg andererseits ist die Dogmatik des fahrlässigen Delikts wesentlich bereichert worden. Auch war, wie schon erwähnt, dem Einwand des „Ontologismus“ und dem als Alternative vertretenen Normativismus entgegenzutreten. Es versteht sich von selbst, daß die Rechtsordnung als Sollensordnung nicht einseitig ontologisch begriffen werden kann. Zu fordern ist jedoch, daß Dogmatik, Gesetzgebung und Justiz die Strukturen und sonstigen vorrechtlichen und vorstrafrechtlichen Wesensmerkmale der jeweiligen Gegenstände der strafrechtlichen Regelungen beachten und nicht Kunstprodukte an die Stelle der wirklichen Phänomene setzen. Dieser Punkt entzündete sich beim Handlungsbegriff, hat jedoch grundsätzliche Bedeutung für jegliches dogmatische Arbeiten. Es geht im übrigen bei bei den Regelungsgegenständen nicht allein um ontische Befunde, sondern auch um sozialnormative Phänomene wie die Ehre oder das Eigentum. Von mir wurde deshalb betont, daß es sich in der Strafrechtsdogmatik nicht um die Alternative von Ontologismus oder Normativismus handelt, sondern um die Unterscheidung zwischen

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den Wesensmerkmalen der Gegenstände der Bewertung und der deliktsrechtlichen Bewertung selbst. Eine solche Wirklichkeitsorientierung, z. B. hinsichtlich der Willenshandlung als Gegenstand rechtlicher Verbote, eröffnet eine mehr auf den Normadressaten gerichtete Sicht der Dogmatik und trägt damit zu einem humaneren Strafrechtsverständnis bei. Fruchtbar machen ließen sich diese Fragen bei der Klärung der Struktur des schon genannten Fahrlässigkeitsunrechts, des Wesens des Handlungsunrechts, der Struktur des Teilnahmeunrechts und des untauglichen Versuchs. Diese Überlegungen verbanden sich mit der Forderung nach einer allgemeingültigen, d. h. vom historisch bedingten Stand der nationalen Gesetzgebung unabhängigen wissenschaftlichen Strafrechtsdogmatik, die aufzeigt, welche Folgerungen sich sachlich aus den zugrunde liegenden Maximen (Tatstrafrecht, Schuldstrafrecht u. a.) ergeben. Ich habe darauf hingewiesen, daß es insoweit darum geht, die allgemeinen Voraussetzungen und Rechtsfiguren allgemeingültig wissenschaftlich herauszuarbeiten und durch eine solche universale, echte Strafrechtswissenschaft einen Austausch der Ergebnisse über die nationalen Grenzen möglich zu machen und damit kritisch oder weiterführend die jeweilige Gesetzgebung zu beurteilen und anzuregen. Es bedarf nach alledem keiner näheren Erläuterung, daß ich die oben erwähnte positivistisch-normativistische Lehre für einen wissenschaftlichen Rückfall halte. Indem sie von ihrem rechtspositivistischen Ausgangspunkt her inzwischen bei der Konsequenz angekommen ist, daß ein Feindstrafrecht, d. h. ein gewisse Straftäter als Unpersonen behandelndes Strafrecht, legitim sei, hat jene Lehrmeinung sich wohl bereits selbst ad absurdum geführt. Die auf die teleologische Dogmatik der 20er Jahre aufbauende herrschende Lehre von der objektiven Zurechnung hat zwar das Verdienst, bewußt gemacht zu haben, daß der durch das Kausaldogma weit geöffnete objektive Unrechtstatbestand schon objektiver Restriktion bedarf. Methodisch habe ich jedoch eingewandt, daß sie von der Verursachung des Erfolges ausgehend nach einschränkenden Kriterien sucht und diese dann normativ zuschreibend aneinanderreiht. Ich habe anhand der aufgereihten Fallkonstellationen im einzelnen ausgeführt, daß sie erhebliche dogmatische Verwerfungen im Gefolge hat und beim Vorsatzdelikt auch die Tatbestandsbestimmtheit bedenklich relativiert. Meiner Ansicht nach erschließt sich demgegenüber der eigentliche Sitz der Problematik, sobald man von den verbotenen Handlungen und deren sachlich-strukturellen Grenzen aus an die Dinge herangeht. Von der Handlungsseite her ergibt sich, daß es der Lehre von der objektiven Zurechnung nicht bedarf, sondern bereits eine genauere Analyse der allgemeinen Kriterien des Handlungsbeginns und sonstiger vorgegebener Handlungsvoraussetzungen (namentlich die Beeinflußbarkeit des Geschehens) die sachlich gebotene Eingrenzung gewährleistet, andere Fallkonstellationen dagegen spezifische Fragen des fahrlässigen Delikts und des erfolgsqualifizierten Delikts betreffen oder von vornherein nicht einschlägig sind.

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Ein im Vordergrund stehendes Anliegen von mir war auch bis in die Gegenwart, die Grenzen des Strafrechts genauer aufzuzeigen und zu erklären. Die Einhaltung des Tatstrafrechts bildet hier einen wichtigen Punkt. Das personale Unrecht wurde in Deutschland von manchen Autoren als Einladung zum Subjektivismus verstanden. Der berühmte Satz, daß es Aufgabe des Strafrechts sei, das „Abfallen von den rechtlichen Gesinnungswerten“ zu ahnden, und unscharfe Ausführungen Welzels dazu haben dies begünstigt. Mir war es deshalb darum zu tun, die zwischen Tatstrafrecht und Gesinnungsstrafrecht verlaufende Grenze in Erinnerung zu bringen, wobei sich das Augenmerk später dann auf den aus ex-ante-Sicht ungefährlichen untauglichen Versuch konzentrierte. Die Frage der Grenzen des Strafrechts stellte sich auch noch in anderer Richtung, nämlich im Verhältnis zum Zivilrecht. Ging es dabei zunächst um die sachwidrige Erweiterung der zivilrechtlichen Schmerzensgeldrechtsprechung durch Übernahme strafrechtlicher Aspekte, so Ende der 80er Jahre um die Verwischung von Zivil- und Strafrecht bei der verfehlten Auffassung, es könne bei der Schadenswiedergutmachung um eine strafrechtliche Rechtsfolge originär und autonom strafrechtlicher Natur gehen. Auch befaßte ich mich mit der Frage der Grenzen des Kriminalstrafrechts angesichts der starken Vermehrung der abstrakten Gefährlichkeitsdelikte. Die Kritik an der damit verbundenen, sich als fortschrittlich ausgebenden Vorfeldkriminalisierung, machte neben der genaueren Systematisierung der Gefahrdelikte eine nähere Betrachtung der Rechtsgutslehre erforderlich. Um die Grenzen des Kriminalstrafrechts ging es auch bei der Frage, ob juristische Personen strafbar sein können. Der herrschenden Meinung in Deutschland, die dies verneint, hielt ich entgegen, daß es einen Widerspruch darstellt, wenn sie gleichwohl bei den Ordnungswidrigkeiten die Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit bejaht. Ich gelangte zu dem Ergebnis, daß bei allen korporativen Gebilden parallele Erfordernisse möglich sind, weshalb meines Erachtens die eigentliche Frage lautet, ob ein praktisches Bedürfnis für eine teilweise Einbeziehung ins Kriminalstrafrecht besteht und ob eine solche mit negativen Auswirkungen für die Entwicklung des Kriminalstrafrechts der natürlichen Personen verbunden wäre. Im übrigen habe ich dargelegt, daß im Gegensatz zur Meinung mancher Strafgesetzgeber sachlich für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen nicht schon das Vorliegen der aus dem Zivilrecht geläufigen Haftungsvoraussetzungen genügen kann. Ein dritter Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeiten liegt bei Rechtfertigungs- und Schuldfragen. Er fand Ausdruck in meinen einschlägigen Ausführungen im Leipziger Kommentar, in einem Beitrag über die Stellung von Rechtfertigung und Entschuldigung im Verbrechenssystem und in mehreren Veröffentlichungen zu Einzelproblemen. Bereits meine Dissertation über negative Tatbestandsmerkmale und den Erlaubnissachverhaltsirrtum betraf dieses Gebiet. Zu meinen ersten Veröffentlichungen gehörte, wie schon erwähnt, auch eine ZStWAbhandlung über „Soziale Adäquanz“, in der ich darlegte, daß es dabei nicht um Fragen der Rechtfertigung, sondern der Auslegung von Tatbestandserfordernissen geht. Es folgten im Laufe der Zeit weitere Aufsätze: Es ging einmal darum,

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den mit dem Gesichtspunkt des rechtsfreien Raums intendierten Aufweichungen der Voraussetzungen des Unrechtsausschlusses entgegenzutreten. Weiterhin war darzulegen, daß das Notwehrerfordernis der „Rechtswidrigkeit“ des Angriffs im Sinne des personalen Unrechts auszulegen ist, wenn die Sachverschiedenheit von Notwehr und rechtfertigendem Defensivnotstand erklärbar sein soll. Später folgten noch eine kritische Gesamtdarstellung der BGH-Rechtsprechung zu den Rechtfertigungsgründen, außerdem eine Schrift über die Frage der Rechtfertigung bei Staatsunrecht sowie jüngst eine kritische Auseinandersetzung mit der Sicht der Notstandsproblematik in der zu § 14 Abs. 3 LuftSiG ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Was die Schuldlehre angeht, richteten sich meine Beiträge gegen die Deutung der strafrechtlichen Schuld als Gesinnungsschuld und vor allem gegen die Vermischung von Schuld und Generalprävention. Es war zu betonen, daß das am Maßstab des individuellen Könnens ausgerichtete Schulderfordernis gerade ein Bollwerk gegenüber einer Entindividualisierung der Straftat darstellt. Auch kann die Generalprävention nicht dazu dienen, den Indeterminismusaspekt zu ersetzen. Ich habe darauf hingewiesen, was vielmehr für das Strafrecht ausschlaggebend ist: Verbote, Gebote und Strafe sind an Menschen adressiert, und der geistig normale Mensch begreift sich als frei in seinen Entscheidungen. Will die Rechtsordnung ihn beeinflussen, muß sie ihn so nehmen, wie er sich selbst versteht. Die Strafrechtswissenschaft ist keine Naturwissenschaft, sondern eine Gesellschaftwissenschaft. Weitere Themen waren die Schuldfrage beim Vollrauschtatbestand sowie bei der actio libera in causa. Die Beiträge zu letzterer richteten sich gegen den von Teilen des Schrifttums geforderten Verzicht auf diese Rechtsfigur, indem sie die Parallelen zur mittelbaren Täterschaft aufzeigten. Mit Fragen der Einwilligung habe ich mich wiederholt im Zusammenhang mit einem vierten Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeiten, den Delikten gegen die Person, befaßt. Dieser Deliktsgruppe hatte ich, wie schon erwähnt, in meiner Habilitationsschrift über „Ehre und Beleidigung“ und in der Kommentierung der Körperverletzungsdelikte im Leipziger Kommentar besonderes Interesse gewidmet. Hinsichtlich der Einwilligung bei der Körperverletzung ging es darum, deren Grenzen nicht bei der Sittenwidrigkeit des verfolgten Zwecks zu ziehen, sondern rechtsgutorientiert die Sittenwidrigkeit nach dem Gewicht und der Gefährlichkeit der betreffenden Verletzung zu bestimmen. Als die „Sterbehilfe“ ins Blickfeld des öffentlichen Interesses trat und dabei extreme Positionen von sich reden machten, habe ich die Gründe für die Unverzichtbarkeit eines Straftatbestands der vorsätzlichen Tötung auf Verlangen im einzelnen dargelegt. Früh lenkte die nähere Beschäftigung mit den Körperverletzungsdelikten meine Aufmerksamkeit auf die Erfolgsqualifizierung. Ich trat der Meinung entgegen, sie sei ganz abzuschaffen; denn dies würde nur auf eine Verlagerung ins „Dunkelfeld“ der Strafzumessung und eine Erhöhung der Strafrahmen der Grundtatbestände hinauslaufen. Dabei wies ich aber darauf hin, daß eine solche Rechtsfigur nur zu legitimieren ist, wenn

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man strikt beachtet, daß die gegenüber der Idealkonkurrenz starke Verschärfung der Strafdrohung das Vorliegen des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs (sog. “Unmittelbarkeitszusammenhang“) zwischen vorsätzlichem Erfolg des Grundtatbestands und schwerer Folge voraussetzt (sog. Letalitätstheorie). Die Rechtsprechung hat diesen Zusammenhang leider bis zur Bedeutungslosigkeit aufgeweicht. Ein anderes Thema, das mich mehrfach beschäftigte, war die dogmatische Einordnung des ärztlichen Heileingriffs. Anknüpfend an die Vorarbeiten namhafter älterer Autoren habe ich ein dem heutigen dogmatischen System entsprechendes Lösungskonzept aufgezeigt. Der zu dessen Durchsetzung in der Praxis erforderliche, als Freiheitsdelikt einzuordnende Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung ist bisher aber am Unvermögen des Gesetzgebers gescheitert. Hinzu treten Themen außerhalb der genannten Schwerpunkte, so Aufsätze über die Reform des Widerstandsparagraphen (§ 113 StGB) und die Falsche Verdächtigung sowie – nach meiner Emeritierung – die Kritik an der vom deutschen Gesetzgeber unter Außerachtlassung des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots eingeführten „Besonders schweren Fälle“. Nähere Angaben zu meinen bis 1998 veröffentlichten Arbeiten finden sich in dem der Festschrift zu meinem 70. Geburtstag beigefügten Schriftenverzeichnis; eine aktualisierte Liste ausgewählter Publikationen findet sich im Anhang zu dieser Autobiographie. Der Nutzen von Strafrechtsdogmatik wird heute nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Das war Ende der 60er Jahre zeitweilig anders. Mit Recht hat sie sich behauptet; denn sie ermöglicht eine sichere und berechenbare Anwendung des Strafrechts und entzieht es der Irrationalität, der Willkürlichkeit und der Improvisation. Die Begriffe müssen dementsprechend klar und subsumtionsfähig sein und dürfen nicht durch ihre Unbestimmtheit Freiräume zu manipulierbarer Handhabung der Strafgesetze schaffen, wie es in der Gegenwart leider teilweise zu beobachten ist. Auch müssen die Ergebnisse der Strafrechtsdogmatik immer die praktische Bedeutung erkennen lassen. Eine „l’art pour l’art“ betriebene Dogmatik begibt sich jeglichen Einflusses auf die Praxis. Ich habe mich selbstkritisch manchmal gefragt, ob der „Finalismus“-Streit der Nachkriegszeit, der die Fachdisziplin weithin in seinen Bann schlug, als Beispiel eines ins Übertriebene abgeglittenen Dogmatikverständnisses anzusehen ist. Hat man 20 Jahre lang das Hauptproblem etwa in einer bloßen systematischen Rubrizierungsfrage des Tatbestandsvorsatzes gesehen? Man könnte sich dann an den Marburger Streit zwischen Luther und Zwingli erinnert fühlen, bei dem es um die „Realpräsenz“ Christi beim Abendmahl ging. Da ich die „Finalismus“-Diskussion, d. h. den Streit um die personale Unrechtslehre und deren Grundlagen, in allen Einzelheiten miterlebt habe, kann ich aber aus eigener Erinnerung unterstreichen, daß die damalige strafrechtliche Debatte Probleme von zentraler theoretischer und praktischer Bedeutung betraf, nämlich den begrifflichen Inhalt von Unrecht und Schuld mit praktischen Auswirkungen für Verbotsirrtum, Teilnahme u. a. sowie die methodischen Grundlagen.

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Eine andere Frage ist, ob nicht sonstige kriminalwissenschaftliche Bereiche, vor allem die Kriminologie, darüber zu sehr vernachlässigt wurden. Die Gefahr des Überdrehens der Strafrechtsdogmatik besteht erst in neuerer Zeit. Es befassen sich zu viele Autoren mit zu wenig Themen, und es gibt zu viele Publikationsorte mit zu geringen fachlichen Ansprüchen. Die damit verbundene Autoritätseinbuße der Wissenschaft spiegelt sich darin wider, daß die Reihenfolge zwischen Theorie und Praxis inzwischen häufig umgedreht ist. Die Theorie ist oft nicht mehr Vordenker der Praxis, sondern beschränkt sich auf die Rolle eines konformistischen „Hinterherdenkers“. Eine gute Praxis bedarf aber einer ihr als Wegbereiter dienenden guten Theorie. Damit habe ich mich näher in einem Festschriftbeitrag mit dem Thema „Das Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis im Strafrecht“ befaßt. In meinen Arbeiten bin ich bestrebt gewesen, die Aufgaben der wissenschaftlichen Strafrechtsdogmatik im Blick zu behalten. Ob mir das gelungen ist, können nur die Leser beurteilen. Als ehemaliger Assistent von Welzel interessiere ich mich naheliegenderweise auch für Rechtsphilosophie. Die strafrechtlichen Themen und die mit ihnen verbundenen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen hielten mich jedoch so in Atem, daß ich rechtsphilosophischen Fragen nur kontemplatives Interesse gewidmet habe. Meine Veröffentlichungen über „Richterrecht und Gesetzesrecht“ sowie „Strafrecht und rechtsfreier Raum“, ebenfalls die Stellungnahmen zu den „sachlogischen Strukturen“ in den Beiträgen zur personalen Unrechtslehre lassen meine Position zu einschlägigen Fragen aber teilweise erkennen. Auch das Strafprozeßrecht hat mich publizistisch nur gelegentlich beschäftigt. Zwar habe ich eine ZStW-Abhandlung über die „Behandlung der Bagatellkriminalität unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Staatsanwaltschaft“ und Aufsätze über die „Zukunft des Privatklageverfahrens“ und „Die Stellung des Verletzten“ geschrieben, natürlich auch regelmäßig Strafprozeß-Vorlesungen gehalten. Da es über längere Zeit so schien, als ob es im Strafprozeßrecht kaum rechtliche Grundprobleme gebe – weshalb es auch in erheblichem Maße Autoren aus der Praxis überlassen war –, ist mir aber erst spät bewußt geworden, daß eine vertiefende wissenschaftliche Durchdringung und Neubesinnung notwendig wäre. Vor der inzwischen eingetretenen Krise des deutschen Strafprozesses hatte ich immerhin frühzeitig gewarnt. In der obengenannten ZStW-Veröffentlichung ließen sich bereits im Jahre 1980 die Mißstände voraussagen, die inzwischen aus der an Geldbuße geknüpften Opportunitätseinstellung und der konsensualen Erledigung entstanden sind. Das wurde damals beiseite geschoben mit dem Bemerken, daß die deutsche Strafjustiz hinreichend Gewähr dafür biete, es dazu nicht kommen zu lassen. Einen Reformer mit der Gestaltungskraft eines v. Liszt oder Welzel hat das deutsche Strafprozeßrecht jetzt dringend nötig. Auf die staatliche Kriminalpolitik habe ich keinen unmittelbaren, direkten Einfluß zu nehmen versucht. Soweit bei derartigen Auseinandersetzungen ideolo-

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gische oder parteipolitische Zielsetzungen eine Rolle spielen, sind mir diese eher zuwider. Ich bin auch der Meinung, daß ein Wissenschaftler, der in einer politischen Partei aktiv ist, damit leicht einen Teil der zu wissenschaftlicher Arbeit notwendigen Unabhängigkeit aufgibt. Die kriminalpolitischen Auseinandersetzungen der 60er/70er-Jahre haben aber glücklicherweise in der Bundesrepublik nicht zu einer einseitigen Strafrechtssicht, sondern zu im wesentlichen ausgewogenen gesetzlichen Lösungen geführt. Gescheitert ist allerdings leider der Abbau übertriebener oder überholter Kriminalisierung, vielmehr erleben wir verfehlterweise eine anhaltende Expansion des Kriminalstrafrechts. Mein Vorschlag, wenigstens die Bagatelldelinquenz durch eine materiellrechtliche Lösung zu entkriminalisieren, ist vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen worden. Auf der anderen Seite scheint er mir mit der Beseitigung der kurzen Freiheitsstrafe zu weit gegangen zu sein. Sicherlich entspricht die freigiebige Verhängung solcher Strafen, wie sie früher praktiziert wurde, nicht mehr heutigen Maßstäben. Aber im Ausland, wo die kurze Freiheitsstrafe entweder beibehalten oder wieder eingeführt worden ist, hat man erkannt, daß sie wegen ihrer Eindruckswirkung („short sharp shock“), gerade auch auf erst in neuerer Zeit ins Blickfeld getretene Tätergruppen, notwendig ist. Mein Aufsatz „Bilanz der Strafrechtsreform“ (1986) hatte schon auf diesen Punkt hingewiesen. Es ist normal, daß die Ziele eines Wissenschaftlers sich außerhalb des Kreises derjenigen, die ihm fachlich nahestehen, nur von Fall zu Fall durchsetzen. Vieles hat den Charakter eines Beitrags zu einer weiter in Fluß befindlichen Debatte. Als besonders wirkungsvoll haben sich Beiträge erwiesen, welche die Unrichtigkeit oder Unausgereiftheit voreilig in die Welt gesetzter Theorien aufzeigen. Ein griechischer Kollege stellte mich einmal dem Auditorium als „Theorienkiller“ vor. Im übrigen muß man sich in der Jurisprudenz immer bewußt sein, daß sich alles nur langsam entwickelt. Beispielsweise hat es fast 35 Jahre gedauert, bis die von mir bei der Strafrechtslehrertagung 1970 dargelegte Auffassung zur Sittenwidrigkeit der Einwilligung Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung gefunden hat. Auch darf die allgemeine fachliche Situation nicht außer acht gelassen werden. Die sich ausbreitende Flut der Grundrisse und Ausbildungszeitschriften ist nicht empfänglich für das wissenschaftliche Streitgespräch und auf eigenes Nachdenken gestützte fachliche Einsichten, sondern sucht den Halt an der Darstellung der vorherrschenden Meinung. Der deutschen Strafrechtswissenschaft sind, wenn ich recht sehe, seit der Reform von 1975 der geistige Schwung und auch die Präzision, die sie in früheren Jahrzehnten hatte, etwas verlorengegangen. Ob das ihrer bisherigen internationalen Stellung als einer ersten wissenschaftlichen Adresse auf die Dauer bekömmlich ist, wird die Zukunft zeigen. 3. Die Kölner Rechtswissenschaftliche Fakultät zeichnete sich durch ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl und gesellschaftliches Leben aus. Unbeschadet hier und da hervortretender weltanschaulicher Gegensätze konnte man jeden mit jedem einladen, und auch jedes Jubiläum wurde aufwendig begangen. Die Älteren sorgten

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dafür, daß der in der Fakultät gepflegte Stil gewahrt wurde. Die wissenschaftlich herausragenden Kollegen waren für mich Gerhard Kegel und Klaus Stern, zu denen ich im Laufe der Zeit auch ein sehr freundschaftliches Verhältnis gewann. Im Jahre 1978 erhielt ich von Hans-Heinrich Jescheck, dem damaligen Direktor des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, überraschend eine Einladung zu einem von der Gesellschaft für Rechtsvergleichung mitveranstalteten deutsch-jugoslawischen Juristenstreffen in Belgrad und Zagreb. Mich überraschte sie um so mehr, als nicht die Bitte um Übernahme eines Referats damit verbunden war. Die Erklärung fand sich, als Jescheck mich in einem geeigneten Augenblick beiseite nahm und fragte, ob ich sein Nachfolger als Direktor des Instituts werden wolle. Für mich kam diese Frage völlig unerwartet. Obgleich ich mich in Köln sehr gut aufgehoben fühlte, erschien mir ein solches Angebot dermaßen ehrenvoll, daß ich meine Bereitschaft erklärte, es für den Fall anzunehmen, daß es von Jescheck bei der Freiburger Fakultät und der MaxPlanck-Gesellschaft durchgesetzt werden könnte. Ganz wohl fühlte ich mich bei dem Projekt allerdings nicht, weil mir klar war, daß ein Institut solcher Größe meine Zeit für gewohnte eigene literarische Arbeit am häuslichen Schreibtisch erheblich einschränken würde. Mir fehlt die Fähigkeit zum Delegieren. Ich habe in meinem wissenschaftlichen Leben möglichst alles selbst gemacht und mich so gut wie nie auf Dritte verlassen. Daß in der Freiburger Fakultät und in der Max-Planck-Gesellschaft dann andere Personalvorstellungen entwickelt wurden, hat mich daher nicht sonderlich berührt. Das um so weniger, als sich seither eine enge freundschaftliche Beziehung zwischen Jescheck und mir entwickelt hat. Er wurde zu meinem väterlichen Freund und besten Ratgeber. Ich habe es immer als Auszeichnung empfunden, das besondere Wohlwollen dieses bedeutenden, weltweit in der Strafrechtsvergleichung führenden Strafrechtlers zu genießen, der sehr viel zur Wiedererlangung des durch die NS-Zeit geschädigten Ansehens der deutschen Strafrechtswissenschaft im Ausland geleistet und Deutschland dort glänzend repräsentiert hat. Die Freiburger Erfahrung hatte noch eine weitere Folge. Sie regte mich dazu an, die bis dahin nur geringfügigen Auslandsbeziehungen des Kölner Kriminalwissenschaftlichen Instituts zu intensivieren. Schon seit meiner Bonner Assistentenzeit hatte ich viele Kontakte mit ausländischen Strafrechtlern, die bei Welzel als Besucher oder Stipendiaten waren. Sie, ihre Schüler und auch andere motivierte ich, sich für Forschungsaufenthalte in Köln zu interessieren. Zeitweilig hatten wir dann im Institut bis zu 15 ausländische Gäste, was wegen der beschränkten Raumverhältnisse gelegentlich dazu führte, daß ich meinen Institutsschreibtisch in einen Kellerraum verlegen mußte. Neben Griechen, Japanern, Koreanern und Spaniern, die zunächst den Hauptanteil ausländischer Gastwissenschaftler stellten, waren es dann vor allem Polen, die nach Köln kamen. Später traten noch Argentinier, Esten und Türken hinzu. Alle diese Kontakte erwiesen sich auch für uns im Institut als sehr fruchtbar, weil wir auf solche Weise nähere Informationen über

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ausländische Rechtsentwicklungen und damit fachliche Anregungen erhielten. Auch begünstigten sie, daß viele meiner Aufsätze in fremde Sprachen übersetzt worden sind. Die sich ständig verbreiternden Auslandsbeziehungen hatten zur Folge, daß ich häufig von ausländischen Universitäten (über 60) zu Gastaufenthalten oder Vorträgen eingeladen wurde. Auf solche Weise bin ich in der Welt weit herumgekommen: Von Tokio, Seoul und Peking bis Mexico City, und von Buenos Aires und Sao Paulo bis Helsinki und Istanbul. Dabei sind zahlreiche dauerhafte Freundschaften entstanden. Besonders erinnerungsreich sind für mich die Reisen nach Polen geblieben, als der Eiserne Vorhang noch bestand. Von 1979 an war ich alle eineinhalb Jahre dort, darunter in den dramatischen Wochen vor der Verhängung des „Kriegsrechts“ 1983. Fast an allen polnischen Universitäten und der Polnischen Akademie der Wissenschaften bin ich zu jener Zeit mehrfach gewesen. Obgleich die politischen Beziehungen zwischen Polen und Westdeutschland damals nach wie vor frostig waren, wurde man von den Kollegen und Studenten mit großer Freundlichkeit empfangen. Ich habe zu vielen Polen, mit denen ich im Laufe der Jahre zusammenkam, schnell einen gemeinsamen „Draht“ der Empfindungen und des Denkens gefunden. Nicht zufällig habe ich gerade viele dauerhafte Freundschaften mit polnischen Kollegen und deren Familien begründen können. Besonders hervorzuheben sind ebenfalls die ausgedehnten Vortragsreisen, die ich zusammen mit Karl-Heinz Gössel durch Spanien (von Universität zu Universität) und nach Mexiko unternommen habe. Diese Reisen, bei denen uns Gössels Spanischkenntnisse sehr zustatten kamen, ermöglichten es, über Themen und Lösungen der deutschen Strafrechtswissenschaft auch an Universitäten zu sprechen, die nicht zu den gewöhnlichen Besuchsadressen gehören. Ich habe an diese Unternehmungen angenehmste Erinnerungen. Höhepunkte der Auslandsbeziehungen des Kölner Instituts waren die von ihm veranstalteten deutsch-spanischen (1986) und deutsch-japanischen (1988) Strafrechtskolloquien, zu denen es gelang, die führenden Strafrechtler der beteiligten Länder für Vorträge zu gewinnen. Die positive Resonanz hatte zur Folge, daß mir auch die Vorbereitung des wissenschaftlichen Programms des anläßlich der Jahrtausendwende von der Alexander v. Humboldt-Stiftung organisierten Bamberger Treffens der 140 ehemaligen Humboldt-Stipendiaten des Strafrechts anvertraut wurde. Ebenfalls war ich bei den beiden deutsch-polnischen und den drei deutschjapanisch-polnischen Strafrechtlertreffen auf deutscher Seite an den wissenschaftlichen Vorbereitungen beteiligt. Mit der von mir außerordentlich geschätzten Humboldt-Stiftung stand ich schon seit Regensburger Tagen in Verbindung. Noch lange über meiner Emeritierung hinaus war ich als Gutachter für ausländische Stipendienanträge tätig. Meine Bemühungen, die strafrechtliche Fachdiskussion verstärkt auf internationaler Ebene zu führen und dabei Ergebnisse in beiden Richtungen auszutauschen, waren Anlaß zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universitäten Thes-

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saloniki (1985), Keio in Tokio (1990), Posen (1990), Sung Kyun Kwan in Seoul (1994) und Athen (1999). Auch wurde ich zum Ehrenmitglied der japanischen Gesellschaft für Strafrecht gewählt (1984). In Krakau erhielt ich 1994 die jährlich von der Jagellonen Universität verliehene Universitätsmedaille „merentibus“, und der polnische Staatspräsident verlieh mir 1995 das Offizierskreuz des polnischen Verdienstordens. Für diese Ehrungen möchte ich hier noch einmal meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Zu danken habe ich ebenfalls den Kollegen Edgardo Alberto Donna (Buenos Aires) und José Cerezo Mir (Madrid), die inzwischen vier Teilbände mit spanischen Übersetzungen meiner Arbeiten publiziert haben. Zum Hochschullehrerberuf gehört, daß man das eine oder andere Amt im akademischen Bereich zu übernehmen hat. Da mein persönlicher Bedarf an administrativer Entfaltung bereits durch meine Tätigkeit im Ministerium befriedigt war, habe ich mich in der Universität in dieser Hinsicht immer zurückgehalten und war froh, wenn andere sich nach den Ämtern drängten. Das Amt des Dekans, das zu meiner Zeit derjenige zu übernehmen hatte, der nach der Anciennität an der Reihe war, habe ich im Amtsjahr 1978/79 an der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät innegehabt. Es war glücklicherweise eine verhältnismäßig ruhige Zeit. Stärker sind mir die 17 Jahre (1987 –2004) in Erinnerung geblieben, die ich Gesamtschriftleiter der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft gewesen bin. Schon seit 1975 war ich Mitherausgeber. Diese von Franz v. Liszt im Jahre 1881 gegründete führende strafrechtliche Zeitschrift bedarf besonders umsichtiger und sorgfältiger Pflege. Das Hauptproblem bestand für mich darin, daß es immer schwieriger geworden war, in ausreichendem Maße Manuskripte zu erhalten, die den traditionell hohen Ansprüchen der Zeitschrift genügten. Denn inzwischen begann die Inflation der Festschriften, die einen Großteil der Aufsätze verschlang. Auch nahm die Anzahl der Professoren, die durch die Neuauflagen von Kommentaren und eigenen Grundrissen in Atem gehalten wurden, stark zu. Es ist dann zwar immer noch gelungen, die Zeitschrift rechtzeitig mit Beiträgen von Niveau zu füllen, aber der Weg dahin war oft mühsam. Hinzu kam, daß umgekehrt der Anteil von Einsendungen anstieg, die sich qualitativ nicht eigneten und daher abzulehnen waren. Es versteht sich von selbst, daß ich mich als Schriftleiter nicht nur beliebt machen konnte. Obwohl ich mich nicht fachspezifisch den Rechtsvergleichern zuordne, sondern nur ein am Meinungsaustausch mit ausländischen Kollegen interessierter Strafrechtler bin, wurde ich 1987 zum Vorsitzenden der Strafrechtlichen Sektion und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Rechtsvergleichung gewählt und nahm beide Ämter bis 1997 wahr. Die alle zwei Jahre stattfindenen Tagungen waren immer sehr ergiebig, weil der relativ kleine Teilnehmerkreis es ermöglichte, daß wirklich diskutiert werden konnte. Andererseits spiegelte die bescheidene Anzahl der Teilnehmer das fachlich noch zu jener Zeit nicht sehr ausgeprägte Interesse der deutschen Strafrechtler an Rechtsvergleichung wider, ganz anders, als es bei den Zivilrechtlern zu beobachten ist. Diese Nachwuchslücke konnte leicht zu Problemen bei der Besetzung einschlägiger Stellen führen.

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V. Nach der Emeritierung Meine aktive Dienstzeit als Universitätsprofessor endete bereits mit dem Sommersemester 1994. Das Land Nordrhein-Westfalen, mein Dienstherr, hatte einige Jahre zuvor die Altersgrenze der Professoren obligatorisch auf 65 Jahre heruntergesetzt. Die meisten anderen Bundesländer beließen sie dagegen entweder bei 68 Jahren oder führten eine nur fakultative Vorverlegung ein. Die den Eigenheiten des Professorenberufs widersprechende zeitliche Vorziehung des Emeritierungsalters, die zudem den Landeshaushalt mit hohen zusätzlichen Kosten belastete, empfand ich als staatliche Zwangsvergreisung. Deshalb hatte ich vorsorglich schon ein Jahr zuvor als Nebentätigkeit einen Lehrauftrag an der im Wiederaufbau befindlichen Juristischen Fakultät in Halle a.d. Saale übernommen, zu dessen Wahrnehmung ich jede zweite Woche einige Tage dorthin fuhr. Nach der Emeritierung wurde daraus eine Gastprofessur mit wöchentlichem Vorlesungsprogramm. Insgesamt war ich viereinhalb Jahre in Halle. Es ist eine außergewöhnlich interessante Zeit gewesen, aus der ein bleibender enger Kontakt mit der dortigen Fakultät und dem Kollegen Hans Lilie entstanden ist. Da meine Vita mannigfache Verbindungen ins mittlere und östliche Deutschland aufweist, berührten mich die Aufenthalte dort auch emotional außerordentlich. Ich hatte während der deutschen Teilung nie Verständnis für westdeutsche Politiker und Pseudointellektuelle, die sich aus Opportunismus oder Ignoranz mit der Teilung abgefunden hatten oder sie sogar für berechtigt hielten. Ihnen war offenbar nicht bewußt, daß seit der Reformation im Dreieck Wittenberg / Leipzig / Weimar der Mittelpunkt der deutschen Geistesgeschichte gelegen hat. Im Falle der endgültigen Bildung von zwei deutschen Staaten wären Luther, Bach, Lessing zu Ausländern, und Goethe und Schiller wären zu zwei ins Ausland gegangenen Westdeutschen geworden. Eine absurde Vorstellung. Hinzu kommen die engen familiären Beziehungen, die in großer Zahl zwischen den beiden Teilen Deutschlands bestehen. Was ich bei meinen Aufenthalten in der ehemaligen DDR nach der Wiedervereinigung vermißte, war allerdings eine allgemeine Aufbruchstimmung, wie ich sie aus der Zeit nach der westdeutschen Währungsreform in Erinnerung hatte. Der die Eigeninitiative zerstörende Ungeist der SED-Diktatur hat – schon wegen seiner 40-jährigen Dauer – stärkere Spuren im Verhalten der Menschen hinterlassen als das kürzere NS-Regime. In meinem anläßlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gesprochenen Dankesworten auf die Ansprache des damaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt erwähnte ich meinen insoweit enttäuschten Eindruck, was mit Verständnislosigkeit aufgenommen wurde. In Köln hat man mir in meinem früheren Institut entgegenkommenderweise ein Arbeitszimmer überlassen, das ich, zumal nach Abschluß meiner Hallenser Tätigkeit, wegen der Nähe zur Institutsbibliothek häufig nutze. Auch veranstalte ich während des Semesters noch regelmäßig ein Seminar, so daß der Kontakt mit den Studenten, den ich für außerordentlich wichtig halte, nicht verlorengegangen

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ist – auch wenn ich jetzt keine Exkursionen zum Bundesgerichtshof oder nach Polen mehr organisieren kann. Im übrigen aber haben sich meine Interessen etwas von der Universität auf die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften (Düsseldorf) verlagert, zu deren ordentlichem Mitglied ich 1991 gewählt worden bin. Die wissenschaftlichen Akademien können heute in Deutschland als verbliebene Oasen der Gelehrsamkeit gelten, nachdem die Universitäten ihren Akzent auf die Lehre und diese in verschulter Form verschoben haben. In der Klasse für Geisteswissenschaften bilden die Juristen zwar nur eine kleine Gruppe. Aber aus den monatlich stattfindenden Sitzungen zieht man doch reichen Gewinn. Man erfährt durch die Vorträge und Diskussionen, was derzeit in anderen Disziplinen geschieht, und man erhält Anregungen aus der methodischen Vorgehensweise anderer Fächer. Von 1995 bis 1997 bin ich stellvertretender Sekretar (stellvertretender Vorsitzender) der Klasse für Geisteswissenschaften, dann 2004 und 2005 deren Sekretar und Vizepräsident der Akademie gewesen. Die Leitung der wissenschaftlichen Sitzungen hat mir immer viel Freude bereitet. Auch hat mich fasziniert, welch geballtes Wissen in dem Kreis der Teilnehmer vereinigt war. Sehr gerne erinnere ich mich an die feierliche Begehung meines 70. Geburtstags, bei dem mir eine anspruchsvolle Festschrift und ein Band mit meinen wichtigsten bis dahin erschienenen Aufsätzen überreicht wurde. Ich empfinde große Dankbarkeit gegenüber den Herausgebern: meinem Schüler Georg Küpper und Thomas Weigend, mit dem ich sehr angenehm in der Schriftleitung der ZStW zusammenarbeitete, für die Festschrift, und Günther Kohlmann, meinem freundschaftlich verbundenen Weggefährten auf dem anderen strafrechtlichen Lehrstuhl des Instituts, für den Aufsatzband. Gleicher Dank gilt allen, die sich an der Festschrift mit Beiträgen beteiligt haben, und denjenigen, die durch ihr Kommen auch ihre persönliche Verbundenheit bekunden konnten. Meine letzte größere Vorlesung war ein zweiwöchiger Intensivkurs über deutsches Strafrecht, den ich 2003 auf Bitten der Erlanger Jurafakultät an der Reformierten Hochschule in Papa / Ungarn für junge ungarische Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Doktoranden gehalten habe. Der Meinungsaustausch mit dem Hörerkreis ist außerordentlich informativ gewesen. Nach diesem endgültigem Abschied vom Vorlesungsbetrieb und auch dem von den akademischen Gremien habe ich meine wissenschaftliche Arbeit – unterbrochen von gelegentlichen Auslandsvorträgen (so in Peking, Shanghai und Xian gegen die Todesstrafe) – auf das Verfassen von Aufsätzen zu mir wichtig erscheinenden aktuellen Themen konzentriert. Hierfür bietet der Status des Emeritus ideale Bedingungen. Das um so mehr, als zu den erheblichen Schäden, die seit Ende der 60er Jahre den Geisteswissenschaften an den deutschen Universitäten zugefügt worden sind, nicht zuletzt gehört, daß den im Amt befindlichen Professoren die Ruhe zu ungestörtem Forschen immer mehr beschnitten worden ist. Das gilt namentlich für große Fächer wie Jura, in denen sich Lehre und Prüfungsaufwand wegen der erheblich angewachsenen Studentenzahlen und auch der

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unzureichenden Schulbildung vieler Studenten stark ausgeweitet haben. Hinzugetreten ist die wie ein Krebsgeschwür wuchernde innere Bürokratisierung der Universitäten mit der darin liegenden Zweckentfremdung des doch eigentlich für Forschung und Lehre finanzierten Lehrkörpers. Daß die letztgenannte Entwicklung jetzt von Bildungsfunktionären weiter geschürt wird, sieht derjenige, der die klassische deutsche Universität noch erlebt hat, mit Befremden. Ich frage mich manchmal, ob ich mich unter den heutigen Verhältnissen für die Universitätslaufbahn entschieden hätte. Das betrifft die Verschlechterung des wissenschaftlichen Arbeitsklimas; auch ist für Juraprofessoren reiner Universitätsfächer (d. h. solche ohne mögliche Nebeneinkünfte aus Gutachtertätigkeit udgl.) die jetzige Besoldungsstruktur unzumutbar und grotesk, wenn man sie mit parallel eingestuften Beamtenrängen und deren Qualifikationsvoraussetzungen vergleicht. In Köln war die Konkurrenz von attraktiven anderen juristischen Berufen schon zu meiner aktiven Zeit spürbar. Nicht weniger als drei sehr qualifizierte Assistenten, denen ich während der 80er/90er-Jahre angeboten hatte, sie zur Habilitation zu führen, entschieden sich für die Praxis. Einer davon mit den Worten: „Herr Professor, wenn ich so sehe, was Sie zu arbeiten haben, daraus aber keinen dazu im Verhältnis stehenden materiellen Gewinn ziehen, dann ...“ Einige Jahre später erschien er als Syndikus eines Großunternehmens und lächelte, als er sah, daß noch alles so wie vorher war. Immerhin gelang es mir, zwei tüchtige Mitarbeiter trotz allem für die Habilitation zu gewinnen: Georg Küpper und Frank Zieschang, die heute erfolgreich an den Universitäten in Potsdam und Würzburg wirken. Zu meiner großen Freude sind auch mehrere meiner ausländischen Doktoranden inzwischen ordentliche Professoren in ihren Heimatländern: Nikolaos Bitzilekis (Thessaloniki), Makoto Ida (Keio Universität Tokio), Tae Hoon Ha (Korea Universität Seoul), Hakan Hakeri (Konya / Türkei), Bo Hack Su (Kyunghee Universität Seoul) und Akihiro Onagi (Hokkaido Universität Sapporo). Die Aufsätze, die ich heute als Emeritus ungestört schreiben kann, sind zumeist für Festschriften bestimmt. Früher charakterisierte man Festschriften als „wissenschaftliche Massengräber“. In der Gegenwart sind sie die Hauptbühne der strafrechtlichen Diskussion. Ein Vorzug dieser Publikationsform besteht jedenfalls darin, daß Abgabetermine nicht wesentlich überschritten werden können und daß man über den Zeitpunkt des Erscheinens von vornherein im Bilde ist. Auch regt die Vielzahl der Jubiläen dazu an, daß man den „Ruhestand“ dazu nutzt, mehr Aufsätze zu schreiben, als das in der aktiven Dienstzeit möglich gewesen ist. Daher sind nach der Emeritierung noch eine ganze Reihe von Beiträgen entstanden, in denen frühere Gedanken zu vertiefen und neue Themen aufzugreifen waren. Besonders zu nennen sind – teilweise schon oben bei den wissenschaftlichen Arbeitsgebieten erwähnt – Aufsätze zu allgemeinen dogmatischen Fragen sowie dem ungefährlichen untauglichen „Versuch“, der Teilnahme bei besonderen persönlichen Merkmalen, dem Defensivnotstand gegenüber ohnehin Verlorenen der Systematik der Gefahrdelikte, der deutschen Gesetzesfigur der besonders schweren Fälle und der Tötung in der Geburt. Gereizt hat es mich auch, nach fast einem

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Würdigungen zu Jubiläen, Nachrufe, Autobiographie, Diverses

halben Jahrhundert noch einmal auf den in meiner Dissertation behandelten Erlaubnissachverhaltsirrtum zurückzukommen. Unter dem Eindruck, daß der Streit zwischen der eingeschränkten und der strengen Schuldtheorie weiterhin anhält, weil beide Theorien Schwächen bei ihren Ergebnissen zeigen, habe ich jetzt versucht, eine vermittelnde Schuldtheorie zu entwerfen, die allseits befriedigende Lösungen eröffnet. Nicht mehr möglich sind mir Neubearbeitungen innerhalb des Leipziger Kommentars. Ein in erheblichen Abständen erscheinender Großkommentar verlangt, daß er dem Vollständigkeitsideal huldigt. Der Bearbeiter, der diesem Anspruch genügen will, benötigt daher zumindest eine Hilfskraft, die ihm beim Sammeln des Materials (ich selbst denke nur an die Flut höchstrichterlicher Entscheidungen zum Arztrecht) zur Hand geht. Als auf sich allein gestellter Emeritus vertut man andernfalls zuviel der noch verbliebenen Zeit mit Tätigkeiten, die im Vorfeld der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit liegen. Die Konsequenz des Ausscheidens aus dem Bearbeiterkreis ist dann allerdings bei der gegenwärtigen Praxis einiger Großkommentare, daß über dem Text, den der bisherige Bearbeiter für die Vorauflagen verfaßt hat, nach Hinzusetzen zwischenzeitlich ergangener Rechtsprechung, der Aktualisierung von Literaturfundstellen und geringfügigen Änderungen der originäre Bearbeitername mit einem neuen ausgetauscht wird und die Herkunft der Gedanken nicht immer deutlich ist. Diese Praxis, die aus einer Zeit stammt, als solche Großkommentare lediglich systematisch geordnete Sammlungen von Rechtsprechung und Schrifttumsmeinungen waren, sollten Verlage und Herausgeber einmal kritisch überdenken. Die eingehende Schilderung meiner juristischen Arbeit darf nun allerdings nicht zu dem Mißverständnis Anlaß geben, es fehlten sonstige Interessen. Neben meiner Familie ist hier das Interesse an anderen Ländern, deren Kultur, Geschichte und Geographie zu nennen. Schon im Jahre 1950, als man dazu noch ein Visum benötigte, bin ich als Heidelberger Student bis nach Neapel getrampt. Das notwendige Geld verdiente ich mir auf dem Wege dorthin als Tellerwäscher in einem Hotel in Lugano. Bei späteren Reisen wurde dann keine Sehenswürdigkeit und kein beachtenswertes Museum ausgespart. Als ich, inzwischen Professor geworden, zu Gastvorträgen ins europäische und außereuropäische Ausland eingeladen wurde, habe ich mich nie auf den wissenschaftlichen Teil des Aufenthalts beschränkt, sondern immer die Gelegenheit wahrgenommen, mich – vielfach auf eigene Faust – näher im Lande umzusehen. Mein Interesse bezog sich dabei nicht nur auf Stätten weit zurückliegender Epochen wie Mykene, Ephesus, Paestum, die Terrakotta-Armee in Xian und den Monte Alban in Mexiko, sondern auch der jüngsten Vergangenheit wie Auschwitz I und II, Majdanek und den russischen Erschießungsort der polnischen Offiziere in Katyn. Bücher mit historischen Themen bilden meine bevorzugte außerjuristische Lektüre. Wie anfangs erwähnt, dominierten in der Familie Hirsch Bauingenieure und Architekten. Daher kommt es wohl, daß ich mich auch sehr für Architektur und Eisenbahnwesen interessiere.

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Bei Erscheinen eines neuen Kursbuchs verbindet sich letzteres mit meiner Reiselust, so daß das Studieren eines neuen Eisenbahnfahrplans meine Phantasie immer auf das Angenehmste anregt. Aber es brauchen nicht notwendig Verkehrsmittel zu sein. Meine Frau und ich unternehmen auch gerne am Wochenende oder während des Urlaubs ausgedehnte Fußwanderungen. VI. Rückschau und Ausblick Wenn ich nun auf die fast acht Jahrzehnte meines bisherigen Lebens in ihrer Gesamtheit zurückblicke, so wird mir bewußt, daß sie aus einer Kette von Glückfällen bestanden haben: ein Elternhaus, das ideale Voraussetzungen für den Lebensweg schuf, das Überleben am Ende des Zweiten Weltkriegs, die richtige Entscheidung bei der Wahl des Studienfachs, Schüler zu sein von Hans Welzel, meine Frau, der Ruf nach Köln und die umfangreichen Auslandsbeziehungen, die es mir ermöglichten, weit in der Welt herumzukommen. Was fehlt, ist ein Lehrbuch des Allgemeinen Teils des Strafrechts, in dem meine wissenschaftlichen Auffassungen insgesamt zum Ausdruck gelangen. Viele Punkte sind zwar bereits in den Vorbemerkungen vor § 32 StGB im Leipziger Kommentar und in Aufsätzen behandelt, aber eine Gesamtdarstellung wäre von Vorteil. Ich hoffe daher, daß es mir vergönnt ist, noch ein solches Alterswerk zu schreiben.

Sachverzeichnis Absichtsprovokation 379 ff. Absprachenpraxis 19 f., 195, 199, 576 Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf 207 ff, 209 f., 236 actio illicita in causa 373 f., 381 actio libera in causa 14 ff., 44, 508 ff, 641 ff., 647 ff., 802 f. – Ausdehnungsmodell 16, 510 ff., 514, 642, 648, 650 – Ausnahmemodell 14 f., 509 ff., 514, 642, 646, 648, 650 – bei eigenhändigen Delikten 519 ff., 642 ff., 652 f. – und Fahrlässigkeit 508 f., 515, 521, 641 – und Handlungsunfähigkeit 16 – mittelbare Tatbegehung 515 ff., 522, 643, 644 f., 652 f. – Tatbestandsmodell 15, 514 ff., 522, 642 ff., 645 f., 650 ff., 653 Adäquanztheorie 207 AIDP 78, 88, 94, 846 Aktunwert 61, 232 f., 883 Alternativentwürfe siehe StGB-Entwürfe Amtsdelikte – echtes 525, 526 – unechtes 526 Analogie 352 ff., 408 f., 573, 575 Angelsächsisches Strafrecht 76, 84, 93, 101, 104, 151, 164, 166, 197 (siehe auch US-amerikanisches Strafrecht) Anstiftung 241 (siehe auch Teilnahme) Äquivalenztheorie 113, 206 f., 214 Argentinischer Oberster Gerichtshof 117 Aristoteles 56 Aufsichtspflicht leitender Vorgesetzter 162, 174 Auschwitz-Lüge 13 f.

Aussagedelikte 521, 555, 560 Autobiographie H. J. Hirsch 950 ff. Autonomiedefizite 396 f. Bagatellkriminalität 50, 199, 576 Behandlungsabbruch 399 Beherrschbarkeit des Kausalverlaufs 114, 219 f. Beihilfe 241 (siehe auch Teilnahme) Beleidigung 404 f., 657 ff., 660, 674 ff., 679 ff. (siehe auch Ehre sowie Üble Nachrede) – unter Kollektivbezeichnung 682 besondere persönliche Merkmale siehe persönliche Merkmale besonders schwere Fälle 41 ff., 87, 303, 566 ff., 583 f., 618 f., 803 f. – de lege lata 577 f. – gänzlich unbenannte 567, 579 ff. – historische Entwicklung 567 f., 578 f., 580 f. – mit Regelbeispielen 566, 567 ff. Bestimmtheitsgebot 5, 340 f, 355 f., 469, 573, 577 ff., 696 f. Bibliothek des Reichsgerichts, Verbleib 947 ff. Böswillig 11, 469, 538 Brandstiftung 552, 555, 558 ff. Brett des Karneades 448 Bundesverfassungsgericht 35, 405, 432, 433, 434, 453 ff., 456 ff., 577 ff., 581, 584, 585, 593, 599, 604, 606 f., 611 – Bindungswirkung von Entscheidungen 457 f. Buscopan-Fall 736 ff. Carolina 86

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Sachverzeichnis

CEPOLCRIM 88 Charakterschuld 462 child destruction 744 China 175, 188 cogitationis poenam nemo patitur 256 corpus juris 74 f., 76, 83, 93, 197, 545, 561, 828 ff., 834 ff., 837 Dahingestelltbleiben in Revisionsurteil 639 f. Dauergefahr 385, 634, 636 DDR-Unrecht 356 f. Defensivnotstand, rechtfertigender 384 ff., 426 ff., 431 ff., 636 ff. – Abgrenzung von Notwehr 384 ff., 426 ff., 435, 436 f., 441 f., 448 – Bergsteiger-Fall 429, 434, 446 – Bundesverfassungsgericht 432, 433, 434 – Interessenabwägung 636 ff. – Opferung ohnehin Verlorener 431 ff., 439, 443 ff., 448 – und Polizeirecht 450 ff. – Prinzip des kleineren Übels 442 f. – Radartechniker-Beispiel 440 f. – Rechtsgrundlage 437 – Sachwehr 427, 637 – Schotten dicht-Fall 429, 433, 444 – Spanner-Fall 633 ff. – Weichensteller-Fall 434 Deliktsaufbau 64, 243, 326 ff., 502 ff. Determinismus 473 f. Diligenzpflichttheorie 308 Dogmatik – Aufgabe 70, 79 ff. – Entwicklung 104 f., 195 – gegenwärtig in Deutschland 104 ff. – Grunderfordernisse des Allg. Teils 197 – Nutzen 104, 120 – Praxisrelevanz 193 f., 195, 196 – Transferierbarkeit 81, 116 dolus eventualis 481 Drogenkriminalität 21

Ehre 404, 657 ff. (siehe auch Beleidigung) – als Anerkennungsverhältnis 659 ff., 663 – Definition 659, 665, 667 – Ehrmaßstäbe 667 ff. – Ehrverletzung 665 ff. – faktischer Ehrbegriff 659 – von Kollektivpersonen 146, 672 – normativer Ehrbegriff 659, 661, 662, 663 ff., 674, 682 – personaler Ehrbegriff 667 ff. – von Verstorbenen 673 eigenhändige Delikte 519 ff., 642 ff., 652 ff. Eignungsdelikte 550 f. Eindruck, rechtserschütternder „Normbruch“ 70, 249, 258, 265, 765 f. Eindruckstheorie siehe Versuchstheorien Einwilligung 134, 413 ff., 424 f., 563 f., 801 f., 815 – Differenzierungstheorie 391 f., 417 ff., 749, 752 – Einheitstheorie 391 f. – Einsichtsfähigkeit 392 ff., 749 – bei Fahrlässigkeit 322 f., 394 f., 414 ff., 419 f., 424 f., 749 f., 752 – Normschutzverzicht 392, 422 ff. – rechtfertigende 391 f., 421 ff., 749, 752 – in Risikohandlung mit Verletzungstendenz 322 f., 394 f., 415 f., 749 ff. – und Selbsttötung 627 f. – subjektives Rechtfertigungselement 396 f. – tatbestandsausschließende (Einverständnis) 391 f., 416 ff. Einwilligung bei sittenwidriger Tat 395 ff., 746 ff., 815 ff., 817 f. – libertinistisch-individualistische Tendenzen 748 – Rechtsgutslösung 747 f., 816 ff. – Zwecklösung 747, 816 f. Entrümpelung, juristische 303 Erbonkel-Fall 113, 207 f., 217, 219

Sachverzeichnis Erdemovic-Fall 84 Erfolg, Stellung des 65, 229, 230, 234 ff., 239 f., 306, 310 ff., 320 Erfolgseignung 218 erfolgsqualifiziertes Delikt 45 f., 241, 616, 720 ff., 726 ff., 797, 809 ff. – de lege ferenda 733, 797 – Entwicklung der Rechtsprechung 720 f., 723 ff. – Fahrlässigkeit bzgl. Schwerer Folge 733 f. – sog. „Unmittelbarkeitszusammenhang“ 45, 114, 213 f., 721 ff., 726 ff., 730 f., 797 Erfolgsunrecht 333 Erfolgsunwert 226 ff., 244 erkenntnistheoretische Probleme 53 f. Erlaubnissachverhaltsirrtum 64 f., 242 f., 323 f., 483 ff., 615, 793 f. – Erlaubnisfahrlässigkeit 490 ff, 497 ff. – Gesetzesvorschlag 501 – Probleme der eingeschränkten Schuldtheorie 486 ff., 505 – Probleme der strengen Schuldtheorie 489 f. – Regelung im E 1962 487, 499 – Unrechts- oder Schuldfrage 492 ff., 505 f., 735 – vermittelnde Lösung 490 ff., 496 ff., 501, 506 Erlaubnistatbestandsirrtum siehe Erlaubnissachverhaltsirrtum erlaubtes Risiko 208, 210, 321, 347 ff. Europarat 175 Europäischer Haftbefehl 75, 836 Europäische MRK, 6. Zusatzprotokoll 175, 187 Europäische Rahmengesetze 74, 826 f. Europäische Union 74, 75, 76, 84, 86, 93, 173, 823 ff. (siehe auch Vereinheitlichung des Strafrechts sowie corpus juris) – Schutz der Vermögensinteressen 75, 824, 828 ff. – und Strafprozessrecht 834 f., 836 Europäische Verfassung 74, 175, 825 ff.

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Euthanasie 434, 600 ex-ante-Sicht 8, 12, 253, 254, 257, 266 f., 270, 299, 548 f. ex-post-Sicht 8, 254, 257 Fahrlässigkeit 56, 63, 68, 106, 107, 305 ff., 325 – Beschränkung der Strafbarkeit 324 f., 800, 811 – bewusste 319 f. – und Einwilligung 322 – Erfolg 239 f., 310 f., 320 – und erlaubtes Risiko 348 f. – Handlungsunwert 236, 239 ff., 309 f. – individuelle Voraussehbarkeit des Erfolges 297, 313 ff., 318 f., 473 – objektive Voraussehbarkeit des Erfolges 312 – Pflichtwidrigkeitszusammenhang 116, 212, 311 f., 320 f. – Willenselement 244, 309 f. Festnahme, vorläufige 399 f. Final, Wort 64, 882 finale Handlungslehre siehe Finalismus Finalismus 53 ff., 69 ff., 225, 232, 879 ff. – Entwicklung der Diskussion 57 ff., 71 f., 108, 290 f., 881 f., 884 f. – und Fahrlässigkeit 61, 881 f. – methodische Ziele 54 ff., 225, 880 f. – subjektivistische Richtung 9, 58 f., 61, 109 f., 111, 230 ff., 297 Flugzeugkatastrophen, unabwendbare 431 f., 456 f. Forschung, wissenschaftliche 129 Frankfurter Allgemeine Zeitung 201 Frankfurter Richtung 11, 20, 22 f., 25 ff., 29, 30 f., 39, 124, 134, 555 Führen eines Kraftfahrzeugs 643 f., 647 Funktionalismus 110, 111, 194 Garantenstellung 739 f. Gedenken (siehe auch Nachrufe) – Meurer 918 ff.

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Sachverzeichnis

– Welzel 879 ff. Gefahrbegriff 298 f., 546, 547 f. Gefahrdelikte 545 ff., 551, 564 – Begriffe 545, 546 ff., 548, 550 ff., 564 Gefährdungsdelikte – abstrakte, sog. 11 ff., 27 f., 546 f., 548 ff., 552 ff. – konkrete 11, 547 f., 551, 552, 565 – potentielle 553 f. Gefährlichkeit – Bestimmbarkeit 273 – Gefährlichkeitstheorie siehe Versuchstheorien – Realität 274 f. – und Versuchsbeginn 253, 270 Gefährlichkeitsdelikte 5, 28, 119, 129, 134, 548 ff., 564 – abstrakte 8, 11, 13, 39, 549, 552, 555, 557, 560 f. – konkrete 11, 549 ff., 553 ff., 560 f. – materialer Unrechtsgehalt 28, 549, 554 f. – zustandsgebundene 554 Generalprävention 110, 112 Gentechnologie 34 Gerechtigkeitserwartungen 192, 200 Gesellschaft für Rechtsvergleichung 264 Gesellschaftliche Gefährlichkeit 618 Gesinnung, rechtsfeindliche 258 Gesinnung und Tatschuld 460 ff., 465 ff., 468 Gesinnungsmerkmale 5, 9 f., 469 f. Gesinnungsstrafrecht 3 ff., 6, 7, 8, 9, 14, 26, 46, 81, 91, 126, 232, 260, 275, 294, 295, 469, 538 Gesinnungsunwert 11, 290 f., 295 f., 460 f., 462, 464, 466 ff., 479 Geständnis 185 f. gesundes Volksempfinden 41, 123 Gewissensbegriff 593 gewissenlos 9, 11, 469 Gewissenstäter 586 f., 588 ff., 599 ff. (siehe auch Überzeugungstäter)

– Lösung de lege lata 603 – Rechtfertigungsfälle 589 ff., 593 ff., 597 – Rechtfertigungsgrenzen 594 f., 597 f. – Rechtsfolgenebene 601 ff. – Schuld 588, 599 ff. – bei Unterlassungen 595 f., 600 f. – „Wohlwollensgebot“ 604 Gewitter-Fall 113, 208 Globalisierung 92 grober Unverstand 8, 250, 262, 276 f., 278, 292 Großtheorien 194, 196 Grünbuch 75, 825, 834 Grundrechte siehe Verfassungsrecht Haftung, Unterschied zur Schuld 145, 215 – und Zurechnung 215 f. Handlungsbegriff 55 f., 62 f., 67, 109, 217 ff., 880 – und Erfolgsverwirklichung 227 f., 230 ff., 233 ff., 237 f. – finaler 55 f., 62 f., 108, 228, 880 – kausaler 63, 108, 228, 247 – als Leistungsbegriff 66, 236 – negativer 227 – sozialer 56, 62, 227, 909 – Systemrelevanz 55 Handlungsunwert 11, 61, 226 ff., 236, 242 ff., 290 f., 296 f., 309 f., 448, 495, 785, 883 – und Erfolg 228 ff., 310 f – bei Fahrlässigkeitsdelikt 236, 239 ff., 309 f. – subjektivistische Missdeutung 228 f., 230 ff. – bei Vorsatzdelikt 230 ff., 233 ff. Hartmann, Nicolai 57, 231 f., 881, 882 Hegelianer 124 Heilbehandlung, eigenmächtige 699 ff., 811, 814 – E 1962 und AE 709 ff., 715 ff., 718 f., 814

Sachverzeichnis – Gesetzesvorschlag 718 f. – österr. StGB 707 f., 712, 713, 715, 717 ff., 814 – Rechtfertigungslösung 700, 701 ff., 708 – standespolitische Bedenken 705 ff., 708, 719 – tatbestandliche Rechtsgutslösung 700 f., 704 f., 708, 812 ff. – VE 6. StrRG 699, 708, 709 ff., 715, 718, 814 f. Hinrichtungen 188, 189 Hochsitz-Fall 723, 726 ff. Imperativentheorie 462 in dubio pro reo 320 f., 559 Inflationäre Strafgesetzgebung 36, 38, 52, 124, 198, 201, 555 ff. Integrationsprävention 22 Intentionsunwert 59, 230 ff., 259 Internationalisierung – des Strafrechts 73 ff., 84, 92, 200 f. – der Strafrechtswissenschaft 73 ff. Intern. Krim. Vereinigung (IKV) 78, 94 Intern. Pakt über bürgerliche und politische Rechte 176, 188 – Fakultativprotokoll von 1989 176 Intern. Strafgerichtshof 75, 200 f. Interventionsrecht 23, 30 f. iudicium duplex 679 Japan 189, 247, 293, 433, 923 ff., 926 f. Japanisch-Deutsches Strafrechtskolloquium 1988 247, 293 Jubiläen – Geilen 862 ff. – Jescheck 841 ff. – Kohlmann 869 ff. – Welzel 879 ff. Jugendkriminalität 44 Juristische Fakultäten, Wiederaufbau zu neuen Bundesländern 928 ff. juristische Personen 22, 32 f., 47 ff., 81 f., 197, 619, 804 f., 831 ff. (siehe auch korporative Gesamtheiten)

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– Maßnahmenrecht 48, 197 Justizmißstände 51 f., 199 Justizmord 182 ff. Kausaldogma 214 kausale Handlungslehre siehe Handlungsbegriff kausaler Unrechtsbegriff 63, 105, 114, 206, 247, 305, 307 Kausalverlauf, objektive Beherrschbarkeit 114 Kernstrafrecht 23, 25, 124, 125 Kieler Richtung 123 Kindestötung siehe Tötung in der Geburt Koinzidenzprinzip 5, 14, 17, 44, 514 ff., 642, 648 Kollegialentscheidungen 119, 195 Kollektivschuld 146, 150 konsensuale Erledigung siehe Absprachenpraxis kontinentaleuropäischer Rechtskreis 101, 693 Körperverletzung 221 f., 698, 702 ff., 806 ff. (siehe auch erfolgsqualifiziertes Delikt sowie Heilbehandlung, eigenmächtige) – im Amt 526 – fahrlässige 741 f. – gefährliche 19, 49 f. – schwere 810 f. – mit Todesfolge 720 ff., 726 ff., 732 ff., 749 ff. – und Tötungsdelikte zueinander 807 ff. Körperverletzungsdelikte, türk. Reformentwurf 1997 806 ff. korporative Gesamtheiten 47 ff., 139 ff., 153 ff., 804 f., 820, 831 ff. – Abgrenzung Haftung und Verschulden 145, 147, 161, 165 – Anknüpfungshandlung 160 ff., 173 – Art der Sanktionen 167 f. – Auswirkungen von Straffähigkeit 149 f. – Diskussionsstand bzgl. Straffähigkeit 140 ff., 197, 833

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Sachverzeichnis

– – – – – –

Doppelbestrafung? 150 Handlungsfähigkeit 142 ff. Schuldfähigkeit 144 ff., 172, 197 Strafempfänglichkeit 147 ff. subjektive Seite 163 ff. theoretische Prinzipien der Verantwortlichkeit 159, 173 – verfahrensrechtliche Fragen 170 f. Krankenhausbrand-Fall 113, 209, 210, 219 Kriminalität, Stand der 21 f., 190 ff. Kriminalpolitik 71 Kriminalstrafrecht – Grenzen des 12, 21, 32 ff., 35, 40, 48, 129, 550, 555 ff., 560 – Unterscheidung vom Ordnungswidrigkeitenrecht 12, 22, 28, 40, 143 f. Kriminologie 190 ff., 849 ff. Krise – der Kriminalwissenschaften? 190 ff., 193 ff. – des Strafrechts? 190 ff. – des Strafprozessrechts? 197 ff. Kulturnormen 137

labeling approach 852 lateinamerikanisches Modell-StGB 837 Lederspray-Fall 140, 195 Legalitätsprinzip 50, 199 Letalitätstheorie 722 f., 730 f. Luftsicherheitsgesetz 431 f., 433, 439, 454, 456 ff. Lykurgos und Solon 36 Makrosysteme 85 Maßstabperson 272 ff., 298 f., 548 f. Mauerschützen 406 ff. Max-Planck-Institut für ausl. und intern. Strafrecht 73, 843, 849 ff., 859 ff. Memelkahn-Fall 749 mens-rea-Delikte 164 Mensch, Rechtsgutsbeginn siehe Tötung in der Geburt Menschenwürde 182, 454 ff., 668 f.

Mignonette-Fall 448 minder schwerer Fall 582 f. Misshandlung von Schutzbefohlenen 526 f. mittelbare Täterschaft 117, 515 ff., 519 ff., 535, 540, 627, 630, 795 f. Moral 4, 5, 32, 148, 232, 468, 607, 610 Mordmerkmale 9, 464, 524, 531 f., 535, 544 mutmaßliche Einwilligung 222, 398 f. Nachruf – Bockelmann 891 ff. – Engisch 907 ff. – Gallas 898 ff. Nationalsozialismus siehe NS-Strafrecht und NS-Unrecht Naturrechtsrenaissance 59, 882 negative Tatbestandsmerkmale 64, 104 f., 326 ff., 328 ff., 377, 492, 502 ff. Neutralitätstheorie 335 ff., 441 Normativismus 55 f., 79, 87, 96, 108, 110, 112, 194, 224, 225, 880, 912 – radikaler 58, 79, 96, 111 f. Normstabilisierung 70, 87 Normungehorsam, bloßer 13, 555 Notarzt 736 f., 739 ff., 743 Notstand 386 ff., 437 f., 622 – aggressiver 437 – defensiver siehe Defensivnotstand, rechtfertigender – entschuldigender 437 f., 478, 480, 512 f., 600, 633 ff, 649 ff. – existentielle Bedrohung der Rechtsgemeinschaft 389, 439, 456 f. – und hoheitliche Eingriffe 386 ff, 800 – pflichtgemäße Prüfung 388 f. Notwehr 379 ff., 426 f., 434, 435, 436 ff., 600, 635, 800 f. – rechtswidriger Angriff 385 f., 435, 436 f. – „sozialethische“ Einschränkungen 379 ff., 384, 800 f. notwehrähnliche Lage („Präventionsnotwehr“) 635 f.

Sachverzeichnis Notwehrprovokation 379 ff., 622 f. NS-Strafrecht 3, 9, 25, 41, 57, 71, 123, 126, 246, 267, 285 ff., 289 f., 294, 297, 303, 461, 469, 532, 538, 567, 581, 881, 888 ff. NS-Unrecht 175, 185, 187, 356 f., 407, 598, 605 nullum crimen sine lege 4, 15, 41 ff., 87, 407, 510, 568 ff., 572, 575, 576, 582, 584, 619, 648 nulla poena sine culpa 165 offene Tatbestände 338 ff – materielle Abstufungstheorie 339 öffentlicher Frieden 13 f. Ontologie 59 f., 194, 882 Ontologismus 59 f., 79, 96, 108, 112, 889, 912 Opfer-Surveys 191 Opportunitätseinstellung 5, 19, 50 ff, 195, 199, 276 f., 611 Opportunitätsprinzip 199 f. Ordnungswidrigkeiten 12, 21, 27, 28 f., 30 f., 39, 47, 133, 139, 141 f., 146, 155 ff., 555, 558 Organisierte Kriminalität 21, 23, 124 organisatorische Machtapparate 81 f., 98, 117 Organtheorie 173 Perforation 428, 693 ff. personales Unrecht 58, 61 f., 105 ff., 112, 114 ff., 206, 227, 290, 295 ff., 308, 309, 310, 460, 473 – subjektivistische Richtung 9, 58 f., 61 f., 110, 111, 230 ff., 297, 883 persönliche Merkmale, besondere 523 ff., 796 f., 821 – Gesetzesvorschlag 543 – und spezielle Schuldmerkmale 531 f., 536 ff., 539 – strafändernde 525 ff., 539 ff., 542 f. – strafbegründende 524, 525 ff, 543

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– Strafzumessungslösung 523, 524, 525 f., 527 ff., 532, 534 ff., 539 ff., 542 f. – Tatbestandslösung 523, 524, 525 f., 528, 539, 541 f. – und tatbezogene Merkmale 528, 529 ff. Persönlichkeitsrecht, allgemeines 636, 638 f. Peru, Versuchsregelung 755 ff., 767 ff. Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei fahrlässigem Delikt 212 ff., 320 f. Philosophiegeschichte 86 f. Polen 485, 621, 770 ff., 820 – Versuchsregelung 770 f., 788 f., 790 political correctness 14 Positivismus 78, 91, 268, 269, 276, 278 potentielle Finalität 63, 306 ff. Prävention 4, 11, 12, 16, 19, 20, 31 f., 70, 110, 112, 147 f., 193, 200, 259, 301 Praxisferne 102 f., 193 f., 196, 225, 453 f. privilegierender Tatbestand 525, 582 f., 683 f. Produzentenhaftung 195 Prognosen 446 f. Pufendorf 56, 880 qualifizierende Tatbestände 42, 566, 567, 568 ff., 571 ff, 582 Rapsöl-Fall 195 Raum, ideologisch neutraler 55, 886 (siehe auch Strafrechtswissenschaft, universale) Rausch 43 f., 511 f., 615 f., 643, 646, 802 f. Rechtfertigungselemente, subjektive 361 ff., 409 ff. – bei Fahrlässigkeit 370 – Rechtswirkung des Fehlens 371 ff., 410 ff. Rechtfertigungsfragen, Judikatur des Bundesgerichtshofs 377 ff. Rechtfertigungsgründe – absichtliche Herbeiführung 373 f., 380 f. – allgemeine Fragen 326 ff., 351 ff.

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Sachverzeichnis

– Einschränkung und Analogieverbot 352 ff., 408 f. – Ermächtigung für hoheitliche Eingriffe? 386 ff., 449 f. – bei Fahrlässigkeit siehe ebendort – generelle Erfordernisse 360 ff. – und Gesamtrechtsordnung 330 f., 351 – Konkurrenz von 358 f. – Rechtswirkung 324 ff. – System der 359 f. – und Tatzeit 357 f. – Ungültigkeit 356 f., 406 f. Rechtsfolgen 100, 301, 601 ff. Rechtsform, freiheitsgesetzliche 128 Rechtsfreier Raum 335 ff., 441 Rechtsgüter – der Allgemeinheit 125 f., 134, 562 ff. – Individualrechtsgüter 125 f., 564, 594 f. – geistige Zwischenrechtsgüter 557, 560 – und Tatobjekt 136 Rechtsgutsbegriff 121 ff. – Aufweichungstendenz 23, 122, 138, 562 f. – Entmaterialisierung 126, 132, 138, 562 – historische Entwicklung 123 f., 126 f., 138 – systemimmanenter 118 f., 123, 130 ff., 135, 137, 563 – vorgegebener (systemtranszendenter) 24 ff., 41, 121, 123, 124 f., 130, 135, 137, 138 – vorrechtlich-personaler 23, 24, 121, 126 Rechtsgutsverletzung, ausschlaggebender Zeitpunkt 737 f. Rechtsmissbrauch 383 Rechtsordnung, Einheit der 330 ff., 333 Rechtsphilosophie 89, 887 f. Rechtsstaatlichkeit 5, 10, 37, 41, 42, 46, 49, 52, 61, 69, 198, 233, 270, 277 f., 301, 304, 388, 402, 406, 567, 584, 610 Rechtsvergleichung 77, 87, 89, 91, 293, 755 ff., 843 f. Rechtswidrigkeit 243, 326 ff.

– materielle 333 ff. – und Unrecht 332 f. Rechtswidrigkeitsmerkmale, spezielle 341 ff. Rechtswidrigkeitsregeln, sog. 338 reduktionistische Richtung siehe Frankfurter Richtung Regelbeispieltechnik 42 f., 566 ff., 574 f. Regelungsgegenstände, Struktur der 59, 79 ff., 97, 112, 225, 882 f. Regressverbot 213 Relevanztheorie 114, 207, 308, 581 Risikodelikte 551 Risikohandlungen, konkrete 13, 28 f. (siehe auch Gefährlichkeitsdelikte, konkrete) Risikoerhöhung 215, 320 f. Risikosyndrom 316 f. Risikoverringerung 210 f. Römisches Statut des Intern. Strafgerichtshofs 74, 75, 76, 92, 93, 197, 201 Rückfall 5, 17 f. rücksichtslos 9 Rücktritt 798 f. Rückwirkungsverbot 356, 406 Sachverhaltsunwert 226 ff., 244 Sadomasochisten-Fall 746 ff. Schadensersatz 22, 32 Schockschäden 213 Scholastizismus 60 Schuld 65, 459 ff. – als Befolgen-Können 69, 467, 474, 479 f. – und Gesinnung 10, 460 ff., 465 ff. – und Gewissenstäter siehe ebendort – und Ideologien 468 f. – von Korporationen 144 ff. – und Prävention 475 ff. – als Sollensurteil 463, 480 – als Wertungsstufe 471 Schuldbegriff – Entleerung des 68 f., 460, 466, 470 – funktionaler 477, 479

Sachverzeichnis – normativer 105, 459 – psychologischer 105, 459 Schuldelement – intellektuelles 479 f. – voluntatives 479 f. Schuldfähigkeit 17, 43, 69, 479 f., 508 ff., 518 f., 522, 641 ff., 648 ff., 802 f. Schuldprinzip 5, 14, 43, 44, 45 f., 76, 81, 98, 116, 166, 558, 616, 677 ff., 681 Schuldstrafrecht siehe Schuldprinzip Schuldtheorie der Irrtumslehre (siehe auch Erlaubnissachverhaltsirrtum) – eingeschränkte 64 f., 484 f., 486 ff., 505, 735, 884 – rechtsfolgenverweisende (vorsatzschuldverneinende) 65, 485, 505, 735, 884 – strenge 64, 65, 483 ff., 505, 884 – vermittelnde 490 ff., 496 ff., 501, 506 Schutzzweck der Norm 212 f. Schwangerschaftsabbruch 683 ff., 688, 736 ff., 742 – in Spätphase 744 Seinsbefunde und -strukturen 59, 80, 97, 112 (siehe auch Regelungsgegenstände, Struktur der) Selbstgefährdung, bewusste 210 f., 624 ff. Selbsttötung 624 ff. – und freie Entschlussfähigkeit 629 ff. – Garantenstellung 625, 628, 629, 630 ff. – Mitwirkung an 624 ff. Sexualstrafrecht 124, 127, 128 Sicherheitsgefühl der Bevölkerung 191 f. Sitzblockaden 609 societas delinquere non potest 139 Sonderdelikt 262 f., 280 ff., 531 (siehe auch persönliche Merkmale, besondere) Sonderwissen 317 f. Sorgfaltswidrigkeit 63, 106, 309, 312, 316, 677 ff. Sozialadäquanz 66 f., 206, 209, 343 ff., 348 Sozialethik 143, 146, 148 f. Sozialschädlichkeit 128

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Sozialvertrag 25, 125, 126 Spanner-Fall 384 f., 633 ff. Spanien, Irrtumsregelung 485 Sperrwirkung 751 f. Staat, Schwäche des 191 f. Stalkinggesetz 303 Sterbehilfe 429 f. StGB-Entwürfe, deutsche – AE 71, 292, 391, 572, 616, 702, 709 ff. – 1922 586 – 1925 586 – 1939 3 – 1962 290 ff., 292, 389, 391, 487, 499, 573, 702, 709 ff., 791 ff. Strafbarkeitsbedingung, objektive 239 f., 310, 506 Strafbegriff 31 ff. Strafe, Legitimation der 129, 838 Strafdrohungen, Verschärfung der 18 f., 49 f. Strafgesetzgebung – und Dogmatik des Allg. Teils 613 f. – moderne 556, 567, 578 – symbolische 40 f. Strafmündigkeit 44 f. Strafrahmen, Obergrenze der 18 f. Strafrechtslehrertagungen 140 f., 304, 484, 906, 915 f. Strafrechtskommission, Große 290 ff., 905 Strafrechtsreform – deutsche im Vergleich 613 ff., 791 ff. – estnische 614 ff., 617, 618, 622, 623 – Hauptprobleme bzgl. allgemeiner Straftatvoraussetzungen 613 ff. – koreanische 622 – türkischer Entwurf 1997 791 ff., 806 ff. – türkischer Entwurf 2004 819 ff. Strafrechtsreformgesetz – erstes 42, 574, 579 – sechstes 42, 303, 566 ff., 578, 683, 699, 747, 806, 810 – zweites 57, 292, 383, 386, 505, 613, 791 ff.

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Sachverzeichnis

Strafrechtssysteme, unterschiedliche 82, 84 ff., 100 f. Strafrechtswidrigkeit 330 ff. Strafrechtswissenschaft – in Deutschland 85, 87 f., 101, 104 ff. – gesamte 854 f. – in Italien 103 – national bezogene 78, 82 ff., 84, 116 – universale 77, 79 ff., 82 ff., 88 f., 90 ff., 94 f., 100 f., 116, 120 Strafvereitelung 141 Strafverfahren, Zielsetzung 198 f. Strafzumessung 200, 241, 568 ff., 571 Strafzumessungsschuld 18, 470 Straßenverkehr 119, 122, 134, 221, 239, 322, 424, 519 f., 521 f., 545, 548, 549, 557, 560, 563, 641 ff., 647, 653 strict liability crimes 166 subjektives Recht 136 Subjektivismus 60, 65, 243, 297 Subsidiaritätsprinzip 34 f., 40, 118, 129, 193, 198 Subtheorien 194 f. Subventionsbetrug 35, 93, 122, 133, 561, 828 f. Systemtheorie 193 Talionsprinzip 177 Tatbestandsbegriff 502 ff. Täter-Opfer-Ausgleich 22, 853 Täterbegriff, extensiver 532 f. Täterschaft, mittelbare siehe mittelbare Täterschaft Täterstrafrecht 3 f., 5, 8, 17, 20, 46, 81, 91 Tätertypenlehre 3 f. Tatherrschaft 214, 219, 523, 752 Tatschuld 10, 16, 44, 49, 514 ff. Tatstrafrecht 3 ff., 8, 9, 13, 14, 17, 18, 20, 26, 46, 81, 82, 91, 98, 116, 232, 245 ff., 278, 301, 481 Teilnahme 529, 620 ff., 795 (siehe auch persönliche Merkmale, besondere)

– Akzessorietät 107, 529, 533 f., 538 f., 621 – bei Selbstgefährdung 210 f., 625 ff – Strafgrund der Teilnahme 533 f. – subjektive Theorie 214 Terrorismus 386, 431, 439, 455 Tierschutz 135 f., 137 f. Todesstrafe – Argumente der Befürworter 177 ff. – Argumente gegen sie 182 ff., 189 – im Kriege 187 f., 189 Totschlag, besonders schwerer Fall 581 f. Tötung, fahrlässige 733 f., 736 ff. Tötung auf Verlangen 751 Tötung in der Geburt 683 ff – ausländische Rechtsordnungen 691 ff. – Eröffnungswehen 737, 743 f. – Gesetzesbestimmtheit 696 f. – historische Entwicklung 689 ff. – Rechtsgut Mensch 685 ff., 743 f., 993 – nach Streichung von § 217 StGB 683 ff., 698 Tötungstatbestände, Reform der 524, 543 f. Türkische StGB Entwürfe – 1997 791 ff., 806 ff. – 2004 819 ff. Tyrannenmord 594 f. Übermaßverbot 34, 130 Überzeugungstäter 585 ff. (siehe auch Gewissenstäter sowie ziviler Ungehorsam) – Fälle und begriffliche Differenzierung 585 f., 611 f. – Gesetzesvorschlag 611 – i.e. Sinne 604 ff. üble Nachrede 402 ff., 675 ff. ultima ratio-Prinzip 40 f., 129, 193 Umkehrschluss aus § 59 a.F. StGB 287 Umweltstrafrecht 21, 23, 118, 124, 128, 135, 137, 545, 560

Sachverzeichnis – ökologisch-anthropozentrische Sicht 23 f., 135 – ökologische Sicht 24, 135 UNAM 86 Universalrechtsgüter, Expansion der 135 f., 137 Universität Halle-Wittenberg 929, 934 f., 938, 940 Unmittelbarkeitszusammenhang, sog. siehe erfolgsqualifiziertes Delikt unmöglicher Zustand des Strafrechts 21 Unrecht, mittelbares 241, 323 Unrechtsauffasung – dualistisch-subjektive 233 ff. – dualistische bei Fahrlässigkeit 240 ff. – monistisch-subjektive 230 ff., 239 ff. Unrechtsbewusstsein 107, 496 f. (siehe auch Verbotsirrtum sowie Erlaubnissachverhaltsirrtum) Unrechtselemente, subjektive 105 Unrechtslehre, personale siehe personales Unrecht Unrechtsteilnahmetheorie 533 f. untauglicher Versuch siehe Versuch, untauglicher sowie Versuchstheorien Unterlassen 68, 162, 262, 282, 283, 617, 794 Unternehmen 139 ff., 151 f., 171 ff. (siehe auch korporative Gesamtheiten) Unternehmensdelikte 262 Urteilstenor 497 ff., 572 US-amerikanisches Strafrecht 44, 148, 173, 176, 181, 183, 188, 198, 248, 837 (siehe auch angelsächsisches Strafrecht) Veranlassungsmoment bei Fahrlässigkeit 319 Verantwortlichkeit 478, 608 f. Verbandsschuld 147, 164 ff., 172 f. Verbandsstrafe siehe korporative Gesamtheiten, Straffähigkeit Verbotsirrtum 489 f., 496 f., 512 f., 649 f., 588, 605, 614 f., 751, 792, 819 f., 830

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Vereinheitlichung des Strafrechts 83, 95, 823 ff., 837 f. – insbesondere in EU 823 ff., 837 f. Verfahrensökonomie 20 Verfahrensvereinfachungen 199 Verfall und Einziehung 141, 157 ff., 169 Verfassungsrecht 5, 33 ff., 127, 130, 169 f., 189, 277, 340 f., 352 ff., 388, 404, 432, 452 ff., 510, 539, 577 f., 586 ff., 589 ff., 593 ff., 596 ff., 599, 601 ff., 604, 607, 612 Vergeltungsgedanke 4 Verhaltensbegriff 62 f. Verhaltensunrecht 333 Verhältnismäßigkeit 12, 33, 40, 118, 126, 128 ff., 136, 442 f., 599 Verletzungsdelikte, Umdeutung in 119, 133 f., 562 ff. Verlorene, ohnehin nicht zu rettende Personen 429, 431 ff. Vermögensstrafe 22, 33, 169 Versicherungsmissbrauch 122, 132 f. Versuch – abergläubischer 279 – bei actio libera in causa 516 ff, 651 f. – beendeter 311 – Beginn 252, 257, 269, 651 f. – im Deliktsaufbau 107 – Gesetzesfassung de lege ferenda 278 – Meinungsstand vor NS-Zeit 286 ff. – und rechtsfeindlicher Wille 258, 267, 271 – Strafbarkeitslücken? 272, 302 – Strafgrund 6, 250 ff., 260, 266, 270 ff., 282 – tauglicher 6, 250 ff. – unechter 256, 257 f., 260, 763 – ungefährlicher 7 f., 47, 254, 255 ff., 260, 264 ff., 279, 763 ff., 781 ff. – untauglicher 5, 6 ff., 46 f., 245 ff., 253 ff. – untauglicher de lege lata 264 f., 268 f., 276 ff., 283

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Sachverzeichnis

– Untauglichkeit des Subjekts 262 f., 280 ff. – durch Unterlassen 283 f. Versuchstheorien – ältere objektive 261, 298, 755 ff., 768 – ältere (rein) subjektive 7, 245, 257 – echte subjektiv-objektive 261 – Eindruckstheorie 6, 248 ff., 265, 297, 759 f., 765 f. – Gefährlichkeitstheorie 6, 47, 261, 266 ff., 284, 298 ff., 551, 763 ff., 767 ff., 788 – neuere objektive 47, 247, 290, 293, 298 ff., 757 ff., 767 ff., 798, 821 – sog. subjektiv-objektive 245, 286 – subjektive 6, 43, 246 ff., 267 ff., 285 ff., 620, 757 ff., 760 ff., 798, 821 – bei Unterlassungsdelikten 262 – Vereinigungstheorie 255, 258, 293 Vertrag von Amsterdam 75, 93, 824 f. Verträge über Europäische Gemeinschaften 823 ff. Verwaltungsakzessorietät 23, 29 f., 195 vicarious liability doctrine 161 Völkerstrafrecht 75, 76, 84, 92 Volksverhetzung 13 Vollendung 111, 243, 294 Vollstreckbarkeitstheorie bei Festnahme 400 Voraussehbarkeit des Erfolges siehe bei Fahrlässigkeit Vorbereitungshandlungen 7 f. Vorfeld 21, 27, 126, 132 f., 192 f., 562, 828 f. vorrechtliche Phänomene 108 Vorsatz 208 f., 481, 799 Vorsatzschuld 65, 460 f., 471, 495 f. Vorverschulden 512 ff., 648 ff.

Wahrnehmung berechtigter Interessen 402 ff., 678 f. Warteschleifenregelung 931 ff. Wiedervereinigung 930 ff., 942 ff., 945 f. Willensfreiheit 473 f. Willenshandlung 56, 64, 71, 106, 114, 244 Willensstrafrecht 246, 295, 297 Wirtschaftsstrafrecht 21, 23, 24, 27, 122, 124, 137, 145 Wissenschaft, echte 84, 99, 116 – Kontrollaufgabe 196 – Vorgehensweise 528, 546, 554 Wissenschaftsimperialismus 85, 87, 101, 102 World Trade Center 431 Zahnextraktions-Fall 393 Zeitpunkte des Beginns von Vorsatz– und Fahrlässigkeitsdelikten 114 f., 222 f., 308, 309 ziviler Ungehorsam 587 f., 606 ff. Züchtigungsrecht, vormaliges 390 f. Zufall und Erfolgsverwirklichung 231, 234, 240 ff. Zurechnung, objektive 66 ff., 70, 88, 106, 109, 112, 113 ff., 205 ff., 216 ff., 224 ff., 242, 306, 313, 551 – erlaubtes Risiko siehe ebendort – und Fahrlässigkeitsdelikt 68, 222 ff., 242 – und Gefahr 218 ff. – und Handlung 216 ff. – praktische Bedeutung 225 – Verbotensein 219 ff. – und Vorsatzdelikt 222, 224, 242 Zuständigkeit als unmittelbarer Rechtsbegriff 70, 87 Zustandsunrecht 242