235 14 11MB
German Pages 809 Year 2017
VENEDIG UND ARAGON IM SPÄTMITTELALTER
(1280-1410)
MITTELMEER STUDIEN
Herausgegeben von
Martin Baumeister, Mihran Dabag, Nikolas Jaspert und Achim Lichtenberg er
BAND15
Christian Alexander Neumann
VENEDIG .. UND ARAGON IM SPA TMITTELALTER (1280-1410) Eine Verflechtungsgeschichte
Wilhelm Fink I Ferdinand Schöningh
ZMS
~ WfW
Zentrum für Mittelmeerstud,en
1flirBundesministerium Bildung und Forschung
Titelillustration: Espafia, Ministerio de Educaci6n, Cultura y Deporte. Archivo de la Corona de Arag6n (ACA, CANCILLERIA, Pergaminos, Pedro III-IV, Carp. 281, 2252)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2017 Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NY, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland)
Internet: www.fink.de I www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn
ISBN 978-3-7705-6073-8 (Fink) ISBN 978-3-506-78523-7 (Schöningh)
lNHALTSVERZEICHNI S
VORWORT ................................................................................................
1. EINFÜHRUNG
......................................................................................
9
13
1.1 Theorie, Fragestellungen, Methoden ....................................... 15
2.
1.2 Forschungsstand ......................................................................
24
1.3 Quellengrundlage ....................................................................
35
DIPLOMATIE .......................................................................................
49
2.1 Venedig und die aragonesischen Könige: 1282-1336 ............ 61 2.1.1 Die „Erste Sizilianische Wende": Die Sizilianische Vesper ...... 61 2.1.2 Der Krieg um Ferrara und katalanische Söldner ........................ 77 2.1.3 Informationen über Venedig ...................................................... 93 2.1.4 Verschiedene Episoden ............................................................ 108 2.2 Venedig und die Katalanische Kompanie bis 1349 ............... 113 2.3 Venedig und Peter IV.: 1336-1387 ....................................... 127 2.3.1 Vor der Allianz: 1336-1351 .................................................... 127 2.3.2 Die venezianisch-katalanische Allianz von 1351 ..................... 146 2.3.3 Nach der Allianz: 1356-1387 .................................................. 257 2.4 Venedig und Johann 1.: 1387-1396 ....................................... 272 2.5 Venedig und Martin 1............................................................ 287 2.5.1 Die Protektionismuskrise: 1398-1404 ..................................... 287 2.5.2 Rekurrente Abgabenstreitigkeiten: ca. 1404-1442 .................. 305 2.5.3 Die letzten Jahre König Martins und Ausblick ........................ 315 2.6 Analyse des Gesandtschaftsverkehrs: 1283-1442 ................. 3 19
3.
HANDEL ............................................................................................
325
3.1 Venedig und das Königreich Mallorca: 1280-1500 .............. 332 3.1.1 Die venezianischen Flandemgaleeren ...................................... 370 3.1.2 Akteure: Die Kaufleute ............................................................ 397 3.1.3 Institutionen: Die venezianischen Konsulate ........................... 446
6
INHALTSVERZEICHNIS
3 .2 Venedig und Barcelona: 1280-1500 ..................................... 481 3.2.1 Akteure: Die Kaufleute ............................................................ 488 3.2.2 Institutionen: Konsulate ........................................................... 496 3.3 Venedig und das Königreich Valencia: 1300-1480 .............. 508 3.4 Venedig und das Königreich Sardinien: 1280-1480 ............. 518 3.5 Venedig und andere Städte der Krone Aragon und das Königreich Aragon ...........................................................
523
3.6 Überblick über den Sklavenhandel: 1300-1440 ................... 526
4.
PIRATERIE ........................................................................................
533
4.1 Venedig und die aragonesischen Könige: 1280-1343 .......... 546 4.1.1 Angriffe durch Katalanen ........................................................ 546 4.1.2 Angriffe durch Venezianer: Ramon Muntaner ........................ 563 4.2 Venedig und die mallorquinischen Könige: 1298-1343 ....... 571 4.2.1 Angriffe durch Katalanen: Pere Tornamira/Guillem Mons6 und die Vorfälle von Cerigo ........................................................ 571 4.2.2 Angriffe durch Venezianer ...................................................... 587
4.3 Akteure: Das Personal der Verhandlungen: 1280-1343 ....... 601 4.4 Venedig und die aragonesischen Könige: 1344-1434 .......... 602 4.4.1 Das „Concordium Generale" als neues Instrument der Konfliktlösung: ca. l 358-1374 .............................................. 4.4.2 Angriffe durch Katalanen ........................................................ 4.4.3 Angriffe durch Venezianer ...................................................... 4.4.4 Allgemeine Concordia: ca. 1385-1434 ....................................
4.5 Analyse der Seeraubfälle .......................................................
5. ANALYSEN
UND SCHLUSSBETRACHTUNG
........................................
5.1 Mediatoren ............................................................................
602 64 7 662 689 700
705 705
5.2 Bürgerschafts-, Familiaren- und Ritterschaftsprivilegien ..... 709 5.3 Amicitia .................................................................................
711
5.4 Ver- und Entflechtung ...........................................................
719
6. QUELLENVERZEICHNTS
.....................................................................
6.1 Archivalische Quellen ...........................................................
733 733
7
INHALTSVERZEICHNIS
6.2 Edierte Quellen ......................................................................
736
6.3 Datenbanken etc ....................................................................
744
7. LITERATURVERZEICHNIS ..................................................................
747
8. REGISTER ..........................................................................................
783
VORWORT
Die vorliegende Publikation wurde als Dissertation unter dem Titel „Das Mittelmeer beherrschen: Die Seemächte Venedig und Aragon im Spätmittelalter" an der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg eingereicht und am 7. Juli 2015 verteidigt. Die Dissertation wurde im Wesentlichen durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes von April 2011 bis März 2014 ermöglicht. Hervorzuheben ist die zusätzlich gewährte Unterstützung für Auslandsaufenthalte in Barcelona und Palma de Mallorca. Die Forschungen in Venedig wurden durch ein Stipendium des Deutschen Studienzentrums in Venedig (Centro Tedesco di Studi Veneziani) ermöglicht. Für diese mir gewährten Unterstützungen bin ich äußerst dankbar. Wie bereits erwähnt, wurden mehrere Auslandsaufenthalte in Italien und Spanien unternommen, die insgesamt ein Jahr umfassten und sich paritätisch auf die beiden Länder verteilten. Die Aufenthalte dienten vor allem der Archiv-, aber auch der Bibliotheksarbeit. Hauptsächlich wurden das Staatsarchiv Venedig (Archivio di Stato di Venezia [ASV]) und das Archiv der Krone Aragon (Arxiu de la Corona d' Arag6 [ACA]) aufgesucht. Ohne den Austausch mit den folgenden Personen und deren Unterstützung läge diese Arbeit nicht in dieser Form vor, weshalb ich ihnen meinen Dank aussprechen möchte. Zunächst möchte ich meinem Doktorvater und Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Nikolas Jaspert (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) für einen fruchtbaren und anregenden Austausch, viele hilfreiche Ratschläge und nützliche Hinweise, eine kontinuierliche Unterstützung über die vergangenen Jahre hinweg, insbesondere in Bezug auf die Publikation und die Organisation meiner Aufenthalte in Spanien, meinen sehr herzlichen und besonderen Dank aussprechen. Herrn Prof. Dr. Bernd Schneidmüller (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) möchte ich herzlich dafür danken, die Dissertation als Zweitgutachter bewertet und mir überdies viele nützliche Hinweise für die Publikationsfassung gegeben zu haben. Herrn PD Dr. Stefan Burkhart (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) danke ich sehr dafür, dass er den Vorsitz der Prüfungskommission übernommen hat. Neben Herrn Prof. Jaspert danke ich den weiteren Herausgebern sehr für die Aufnahme meiner Dissertation in diese Buchreihe. Darüber hinaus danke ich Frau Eleni Markakidou am Bochumer Zentrum für Mittelmeerstudien für ihre Unterstützung bei der Publikation. An der Universität Heidelberg gebührt ein herzlicher Dank meinem Kollegen Herrn Dr. Sebastian Kolditz für einen ertragreichen Austausch und seine
10
VORWORT
nützlichen Ratschläge. Meiner Kollegin Frau Kathrin Kelzenberg möchte ich für ihre Hilfe und Hinweise in Bezug auf den Satz und die Gestaltung des Textes sowie des Registers sehr danken. Darüber hinaus danke ich Herrn Sebastian Roebert (Universität Leipzig) für einen anregenden Dialog und vor allem für die Zurverfügungstellung der hier ausgewerteten Dokumente aus dem Vatikanischen Archiv. In Barcelona gebührt mein Dank zahlreichen Personen. Zuerst möchte ich Frau Prof. Dr. Roser Saliern i Lluch sehr dafür danken, dass ich durch ihre Mithilfe am Consejo Superior de Investigaciones Cientfficas (CSIC), an dem sie wirkt, ein temporäres Büro für meine Arbeiten erhielt und so unter den sehr guten Bedingungen des Hauses meinen Studien nachgehen konnte. Darüber hinaus danke ich Frau Saliern für weitere organisatorische Unterstützung und einen fruchtbaren Austausch. Außerdem danke ich ihrem Mitarbeiter Herrn Ivan Armenteros Martfnez für seine Hilfe bei der Organisation meines Aufenthalts in Barcelona sowie für seine nützlichen Hinweise. Für zahlreiche Anmerkungen und Ratschläge danke ich Frau Prof. Dr. Maria Teresa Ferrer i Mallol (Institut d'Estudis Catalans) herzlich. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Manuel Sanchez Martinez und Herrn Dr. Jordi Morell6 i Baget (beide am CSIC) für viele Hinweise zu Dokumenten der Überlieferung der Finanzadministration der Krone Aragon. An der Universität Barcelona (Universitat de Barcelona) gebührt mein Dank vor allem Frau Prof. Dr. Blanca Garf für den Austausch und die Ermöglichung des Zugangs zu den Bibliotheken. Darüber hinaus spreche ich Herrn Prof. Dr. Antoni Riera i Melis und Frau Prof. Dr. Marfa Dolores L6pez Perez (beide an der Universitat de Barcelona) meinen Dank für ihre nützlichen Hinweise aus. Herrn Dr. Daniel Duran i Duelt möchte ich herzlich für sehr anregende Gespräche danken, vor allem über das Königreich Mallorca sowie für fruchtbare Referenzen zu Dokumenten des Archivs des Königreiches Mallorca (Arxiu de! Regne de Mallorca [ARM]), auf deren Basis mein dortiger Archivaufenthalt sehr ertragreich wurde. Ein weiterer großer Dank gebührt Herrn Dr. Stefano Cingolani für fruchtbringende Referenzen und Transkriptionen. In Bezug auf meine Arbeit im Kronarchiv danke ich Herrn Dr. Ramon Pujades (ACA) für seine Unterstützung. Außerdem möchte ich Herrn Prof. Dr. Antoni Furi6 i Diego von der Universität Valencia (Universitat de Valencia) für dessen nutzbringende Hinweise danken. Was Italien betrifft, danke ich zunächst Frau Prof. Dr. Sabine Meine, während meiner Förderzeit Direktorin des Centro Tedesco di Studi Veneziani, für die Unterstützung meines Projektes und die angenehme Arbeitsatmosphäre im Institut. Im Rahmen meiner Stipendienaufenthalte konnte ich Herrn Prof. Dr. Michael Matheus (Johannes Gutenberg-Universität Mainz), den Vorsitzenden des Deutschen Studienzentrums, kennenlernen und möchte ihm für dessen fruchtbare Hinweise danken. An der Universität Padua (Universita degli Studi di Padova) danke ich Herrn Prof. Dr. Dario Canzian und Herrn Prof. Dr. Donato Gallo für anregende Gespräche und ihre Unterstützung bei der dortigen Bibliotheksarbeit.
VORWORT
11
Abschließend möchte ich meinen Eltern, Dieter und Christa Neumann, für ihre jahrelange und kontinuierliche Unterstützung und Hilfe sehr herzlich danken. Ihnen und meinen Großeltern, Ludwig und Luise Volle sowie Otto und Elisabeth Neumann, möchte ich dieses Buch in großer Dankbarkeit widmen. Christian Neumann Heidelberg, im September 2016
1. ErNFÜHRUNG „Sans doute, Je Moyen Äge avait connu des puissances poJitiques dont J'assise etait maritime: !es royaumes d' Alfred et de Cnut, la monarchie Plantagen et, la Hanse teutonique, sans omettre d'autres experiences en Mediterranee, a Venise, a Genes, puis au XVe siecle avec Ja domination aragonaise sur tout Je bassin occidentaJ de Ja Mer lnterieure.'.i
Die Krone Aragon und die Republik Venedig zählen zu den wichtigsten Seemächten des Spätmittelalters. Zusammen mit der Republik Genua bestimmten sie die Geschicke großer Teile des Mediterraneums. 2 Damit stellt die vorliegende Dissertation auch einen Beitrag zur mediterranen Geschichte dar. 3 Außerdem soll an die Tradition der deutschsprachigen mediävistischen Forschung zur Krone Aragon der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts angeknüpft werden. 4 Bislang standen die Kirchen-, Kultur- und Verfassungsgeschichte im Zentrum des Interesses. Mit der Analyse der Außenbeziehungen der Krone, im vorliegenden Fall zu Venedig, wird ein bislang vernachlässigter Aspekt untersucht. Da die Krone Aragon sich aus verschiedenen Teilkönigreichen zusammensetzte und Venedig über zahlreiche Besitzungen in Oltremar verfügte, gilt es zu präzisieren, dass in dieser Arbeit primär die Beziehungen zwischen der Stadt Venedig und den „Kernländern" der Krone Aragon, Katalonien, Aragon, Valencia und Mallorca, untersucht werden sollen. 5 Obgleich die Katalanische Kompanie faktisch autonom agierte, erscheint eine Analyse der Beziehungen zwischen dieser und Venedig lohnenswert, weil die Herzogtümer Athen und Neopatria in unmittelbarer Nachbarschaft zur venezianischen lnsel Negroponte lagen, die Venedigs wichtigste Basis zwischen Kreta und Konstantinopel darstellte. 6 Zudem standen die Herzogtümer in den letzten Jahren ihrer Existenz unter aragonesischem Banner. 7 Aufgrund der Zahl der Überseegebiete der
1
2
3
4
6
7
Mollat 1986. p. 17. Einige grundlegende Darstellungen zur genuesischen Geschichte: Airaldi 1986, Basso 1994, De Negri 2003, Epstein 1996, Petti Balbi 1991, Pistarino 1992. Wichtige Studien zur Geschichte des Mittelmeerraumes: Abulafia 2014, Abulafia 2005, pp.64-93, Balard 2006, Braudel 1998, Carpentier 2001, Coulon [etal.] 2007-2010, Heyd 1879, Horden/Kinoshita 2014, Horden/Purcell 2000, Morris 2003, pp. 30-55, Schaube 1908, Tabak 2008. Jaspert 2004, pp. 155-226. .,Doch ebenso wird deutlich geworden sein, daß neue Historikergenerationen in Deutschland ein bedeutendes Erbe ausbauen, indem sie ihren Teil zur Erschließung der katalano-aragonesischen Geschichte beitragen'· (Ibd., p. 182). Zur Problematik der Bezeichnung ,,Krone Aragon": Parellada i Cardellach 2008. Hrochova 1967, p. 19, Lane 1980, pp. 82,119,210. Zur Aufteilung Negropontes nach 1204: Loenertz 1965, pp. 235-276. Diese Thematik wäre eine eigene monographische Darstellung wert, die auch das Byzantinische Reich, die Anfänge der osmanischen Expansion, die politischen Entwicklungen auf dem
14
EINFÜHRUNG
Serenissima ist es nicht möglich, die Beziehungen der Krone Aragon zu jedem Territorium systematisch zu untersuchen. 8 Darüber hinaus können auch nicht die Beziehungen zwischen Venezianern und Katalanen außerhalb der jeweiligen Herrschaftsbereiche systematisch analysiert werden. 9 Das Königreich Mallorca besaß bis 1343 eine gewisse Sonderposition, weil es zuvor fast 70 Jahre lang von einer Nebenlinie des Hauses Barcelona regiert wurde. 10 Sizilien
8
10
Balkan und der lateinischen Romania mitberücksichtigt, was aber über diese Arbeit hinausführte. Zum venezianischen Überseereich: Orlando [et al.] 2015. Nach dem Vierten Kreuzzug herrschte die Serenissima über ein ausgedehntes maritimes Imperium, eine Kette strategisch wichtiger Basen, Inseln und Küstengebiete, die von der Lagune bis nach Konstantinopel reichten (Chambers 1970, pp. 33-54, Dotson 2003, p. 135, Doumerc 2003, p. 152, Lane 1980, pp. 79-82, Marcos Hierro 2005, pp. 48-51 ). Ein Viertel des Gebietes unterstand dem lateinischen Kaiser in Konstantinopel. Das übrige Territorium wurde jeweils zur Hälfte zwischen Venedig und den Baronen aufgeteilt. Zum Vierten Kreuzzug liegen zahlreiche Studien vor, z.B.: Madden 2012 pp. 311-344, McNeal/Wolf 1969, pp. 153-187, Queller 1978. Zu Venedigs Herrschaft über die Ionischen Inseln: Maltezou/Ortalli 2005. Diesbezügliche Untersuchungen bilden ein Desiderat. In diesem Kontext seien Alexandria, Zypern, Tunis, London, Southampton und Brügge genannt. Zu Zypern: Balard 2003 (Les Catalans), p. 110, Bensch 1995, p. 149, Combe 1952, p. 33, Coureas 2000, pp. 211-224, Coureas 2001, pp. 195-212, Ferrer i Mallol 2008 (Els mallorquins), p. 54, Heyd 1879, pp. 3-24, OttenFroux 2003 (Centre commerce), pp. 129-153, Otten-Froux 2003 (Un notaire), pp. 15-159. Die Dokumente mit Bezug zu Katalanen: Doc. 6, pp. 44-47, Doc. 9, p. 51, Doc. 10, p. 52, Doc. 20, p. 63, Doc. 44, p. 68, Doc. 84, p. 77, Doc. 89, p. 78, Doc. 90, pp. 78-79, Doc. 100, p. 81, Doc. 101, p. 81, Doc. 109, p. 83, Doc. 192, p. 114. Der erstgenannte Aufsatz OttenFrouxs enthält einen ausführlichen Literaturüberblick über die katalanisch-zypriotischen Beziehungen. Darüber hinaus ist für Zypern noch die folgende Edition von Notarsakten anzuführen: Polonio 1982, Doc. 203, pp. 238-239, Doc. 209, pp. 245-246, Doc. 354, pp. 423-425, Doc. 355, pp. 425-426, Doc. 410, pp. 489-490. Über venezianisch-katalanische Kontakte in Konstantinopel und Lajazzo geben die folgenden Publikationen Auskunft: für Konstantinopel: Bratianu 1927, Doc. 48, pp. 102-104, Predelli 1876, Doc. 436, p. 265, Doc. 437, p. 265, Doc. 438, pp. 265-266, Rubi6 i Lluch 2001, Doc. 126, pp. 157-158, Doc. 127, pp. 158-159; für Lajazzo: Bondi Sebellico 1973, Doc. 88, p. 59, Bondi Sebellico 1978, Doc. 1317, pp. 286287, Doc. 1318, p. 287. Für Konstantinopel ist folgende Literatur anzuführen: Balard 2003 (Les Catalans), pp. 104-105, Bensch 1995, p. 138, Hinojosa Montalvo 2006, p. 327, Luttrell 1968, pp. 2, 265. Venezianisch-katalanische Kontakte lassen sich auch in London, Southampton und Sandwich feststellen (Carrere 1967, p. 574, Desportes Bielsa 1999, pp. 379-380, Sottas 1938, p. 130). Abulafia 1997 (Comercio), pp. 116-117, Abulafia 1999, pp. 649, 655-656, Bisson 2003, p. 86, Forey 2000, p. 595, Marcos Hierro 2005, pp. 42-43, 60-61, Santamaria Arandez 1979, pp. 125-144. Vom aragonesischen König empfing der mallorquinische das Reich zwar als Lehen, führte aber dennoch eine autonome Politik, woraus sich ein Dauerkonflikt entwickelte. Häufig agierten die mallorquinischen Monarchen als politische Antagonisten der Aragonesischen (Abulafia 1997 (Comercio), pp. 116-117, Bisson 2003, pp. 86, 105-106, Dufourcq 1974, pp. 6-7, Mitja 1959, p. 453). Zur Entwicklung des Konfliktes: Abulafia 1994, pp. 5253, Abulafia 1997 (Comercio ), pp. 115, 134-136, Abulafia 1999, pp. 661, 665-666, Bisson 2003, pp. 86, 104, Dufourcq 1974, p. 7, Forey 2000, pp. 595-596. Insbesondere zur Zoll- und Abgabenproblematik: Riera i Melis 1986). 1343 wurde das Königreich Mallorca durch König Peter IV. unter Einsatz militärischer Mittel in die Gesamtheit der Krone reintegriert (Abulafia 1997 (Comercio), pp. 116, 118, Abulafia 1999, p. 667, Bisson 2003, pp. 106-107, BlasonBerton 1966-1967, pp. 390-391, Cateura Bennasser 2005, pp. 47-49, 57, Ensenyat Pujol 1985, pp. 121, 125, Ensenyat Pujol 1997, Forey 2000, pp. 597-598, Santamaria Arandez
EINFÜHRUNG
15
war zwischen etwa 1302 bis 1377 ein unabhängiges Königreich, und auf Sardinien und Korsika gelang es den aragonesischen Königen im 14. Jahrhundert nicht, ihre Herrschaft vollständig durchzusetzen. I1 Obwohl sich bereits das späte 13. Jahrhundert durch punktuell intensive Kontakte zwischen Venezianern und Katalanen auszeichnet, kann erst das 14. Jahrhundert als der eigentliche Zeitraum der Genese der gegenseitigen Beziehungen angesehen werden, weshalb es den wesentlichen Untersuchungszeitraum bildet. Auf das 15. Jahrhunde1i könnte eine künftige Studie ausgedehnt werden.
1.1 Theorie, Fragestellungen, Methoden Die Untersuchung der Beziehungen zwischen der Iberischen Halbinsel und Italien 12, zwischen der Krone Aragon und anderen Mittelmeermächten 13 sowie zwischen Venedig und anderen Mittelmeermächten 14 besitzt eine lange Tradition. Die meisten dieser Studien widmen sich bilateralen Kontakten. Politikund Diplomatiegeschichte sowie Wirtschafts- und Handelsgeschichte stellen die klassischen und bevorzugten Themen dar, wogegen Piraterie ein rezentes Untersuchungsthema ist. Selten sind diese drei Bereiche zusammengeführt worden; die ersten beiden sind ungefähr gleich häufig sowohl zusammen als auch getrennt voneinander untersucht worden. Daher erweist es sich als innovativ, dass in dieser Arbeit alle drei Aspekte - Diplomatie, Handel und Piraterie - etwa gleichwertig analysiert werden sollen. Dieser Ansatz resultiert jedoch nicht nur aus der aufgezeigten Forschungstradition, sondern auch aus den zahlreichen, gar abundanten Funden in den Quellenbeständen der Archive Venedigs und Aragons. Diese Feststellung macht deutlich, dass eben die drei Faktoren die Lebenswelt der Akteure der Beziehungen prägten und deshalb hohe gesellschaftshistorische Relevanz besitzen.
11
12 13
14
2005, p. 105, Vones 1993, p. 165, Willemsen 1935, pp. 240-296, Willemsen 1940, pp. 81198). Znr Eroberung des Ronssillon nnd der Cerdagne zwischen 1341 nnd 1345: Claverie 2014. Die Edition der Prozessakten gegen König Jakob 111.: Bofarull 1866. Alvaro Santamaria Arandez beklagt die nur kursorische Behandlung Mallorcas unter der Herrschaft Peters IV. (Santamaria Arandez 2005, pp. 105-106). Betrachtet man die Gesamtheit der politischen Situation, existierten von 1300 bis 1343 drei unabhängige, von katalanischen Dynastien regierte mediterrane Reiche, deren Beziehungen sich durch eine Mischung von Kooperation und Konflikt kem12eichneten (Marcos Hierro 2005, p. 42). Nach dem Tode König Friedrichs IV. von Sizilien 1377 wurde Sizilien wieder enger an das Haus Barcelona gebunden. infolge des frül12eitigen Todes Martins des Jüngeren 1409 war Sizilien in Personalunion dnrch Martin 1. mit der Krone Aragon vereint, was allerdings nnr ein knappes Jahr andauern sollte, weil der Monarch 1410 verstarb. Eine systematische Analyse der venezianisch-sizilianischen Beziehungen vor allem zwischen 1302 und 1377 wäre ein vielversprechendes Projekt. Dei Treppo 1968, Mainoni 1982, Melis 1976, Soldani 2010. Dufonrcq 1966, Meloni 1971-1982. Doumerc 1999, Nicol 1990, L6pez Perez 1995, Surdich 1970.
16
EINFÜHRUNG
Neuere Beziehungsgeschichten und kulturwissenschaftlich orientierte Studien zu Transfer, Inter- und Transkulturalität, Perzeption von Alterität sowie Hybridität haben eine Theoriebildung hervorgebracht, die hier auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden soll. 1' Für die erwähnten Prozesse und Phänomene bildet Verflechtung die Grundlage und Voraussetzung, was häufig thematisiert wird, aber aufgrund anderer primärer Erkenntnisinteressen nicht im Fokus der theoretischen Auseinandersetzung steht. Bewegung, Kontakt, Begegnung, Verbindung, Vernetzung und Austausch wären als weitere, nicht vollständig synonyme Begriffe zu nennen. Der Terminus „Verflechtung" erscheint jedoch als der gängigste und vor allem ist er derjenige, der in der transnationalen Geschichte, der Geschichte der Globalisierung, der Histoire croisee, der Connected history und der Entangled history verwendet wird. In diesen Zusammenhängen wird diesem eine intensivere Beschäftigung zuteil, weil er dort von größerer Bedeutung ist. 16 So wie Verflechtung bei den eingangs erläuterten Ansätzen eine Rolle spielt, so sind vor allem Transfer sowie Inter- und Transkulturalität Teil der letztgenannten Zugänge, was scharfe Abgrenzungen unmöglich macht. Dennoch können, wie dargelegt, Schwerpunktsetzungen festgestellt werden. Die Geschichte der Globalisierung als,,[ ... ] Geschichte zunehmender Vernetzung und Verflechtung im Weltmaßstab'm war lange Zeit wirtschaftshistorisch geprägt; im letzten Jahrzehnt aber gerieten auch andere Aspekte in das Blickfeld. 18 Obgleich der zeitliche Schwerpunkt der Globalisierungsstudien auf der Frühen Neuzeit und der Modeme liegt, wurde aufgezeigt, dass Verflechtung in einem geographisch weiteren Maßstab auch in Bezug auf das Mittelalter konstatiert werden kann. 19 Auch die Histoire croisee, die als eine transnationale Komparatistik eng mit Kulturtransfer verknüpft ist, ist bisher nur wenig theoretisch ausgearbeitet und in der Praxis angewendet worden. 20 Obgleich ,,[ ... ] die Histoire croisee das Prinzip der Verflechtung in ihre eigene Funktionsweise eingeschrieben hat, [ ... ]"21,fehlt es bislang an Konkretisierung, die wiederum der Theoriebildung dienen könnte. Bei der Connected history wird untersucht, ,,[ ... ] wie sich Regionen begegnen und Verbindungen 1 '
16
17 18
19 2
°
21
Abdellatif [et al.] 2012, Borgolte [et al.] 2008, Borgolte [et al.] 2011, Borgolte/Schneidmüller 2009, Brentjes [et al.] 2014, pp. 9-50, Dharampal-Frick [et al.] 2012, Drews 2010, pp. 31-59, Drews/Flüchter 2015, Drews/Oesterle 2008, Epstein 2014, pp. 345-358, Flüchter/Schöttli 2015, Herren [et al.] 2012. Conrad 2013. lbd.,p. 18. lbd., p. 18. Abu-Lughod 1989, Drews 2010, p. 59, Drews/Oesterle 2008, pp. 8-14, Ertl 2008. Conrad 2013, pp. 70, 113, Jordan 2009, p. 207, Werner/Zimmermann 2002, pp. 607-636. Zur Komparatistik und zum Transfer insbesondere: Werner/Zimmermann 2002, pp. 609-614. Laut Stefan Jordan sei die Histoire croisee vielmehr eine Programmatik als ein umsetzbares Konzept. .,Die Beispiele lassen erkennen, warum Kulturtransfer und Histoire croisee eher ideale Forderungen als praktikable Konzepte sind" (Jordan 2009, p. 209). Werner/Zimmermann 2002, p. 632.
EINFÜHRUNG
17
aufgebaut werden [ ... .]". 22 Eine Grundidee besteht darin, dass die Geschichte eines Landes nicht länger losgelöst, sondern in Interaktion mit anderen Ländern gesehen wird. 23 Das Gemeinsame bislang getrennt untersuchter Geschichte gilt es aufzuzeigen. Die Entangled history befasst sich vor allem mit Austauschbewegungen, was bislang fast ausschließlich am Beispiel des Britischen Empire und dessen Kolonien untersucht worden ist.24 Obwohl Verflechtung für die genannten Ansätze essentiell ist, fehlen bislang aber noch eine Definition, eine Theoretisierung und eine Analyse an einem konkreten und möglichst vielschichtigen Fall. Gerade in Bezug auf das mittelalterliche Mittelmeer sind transnationale Vertlechtungsansätze besonders relevant, weil sich dieser Raum durch politische Fragmentierung kennzeichnet. 2' Zwar sind die Begriffe „Nation" und „Staat" in ihrer heutigen Bedeutung für die Vormoderne anachronistisch, doch können sie durchaus auch auf diese angewendet werden, wenn die ihnen innewohnende Prozesshaftigkeit und Historizität berücksichtigt wird. 26 In diesem Sinne handelt es sich bei „Staatlichkeit" um einen graduierbaren Terminus.27Transnationale Beziehungen mittelalterlicher Prägung sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden, worauf bereits anhand einiger Beispiele eingegangen worden ist. ,,Transregional" und „translokal" könnten als Alternativen dienen, doch ist eine Substituierung nicht notwendig, wenn der oben beschriebene Umstand bedacht wird. 28 Außerdem sind die beiden Begriffe nicht vollständig synonym zu „transnational", weil sie primär auf Räume und nicht auf staatliche Gebilde Bezug nehmen. Eine weitere Alternative für transnationale Beziehungen kann in „Außenbeziehungen" gesehen werden. 29 Bei diesem Begriff rückt die Dichotomie „außen-innen" in den Mittelpunkt und Staatlichkeit wird eher impliziert. Dennoch erscheint dieser Begriff als geeignetste Alternative zu „transnationalen Beziehungen". In dieser Arbeit soll Verflechtung als ein nichtkriegerisches, nicht unbedingt konfliktfreies, räumlich dynamisches Inkontakttreten von Akteuren unterschiedlicher Herkunft zu bestimmten Zwecken über einen längeren Zeitraum hinweg definiert werden. Ist Verflechtung in diesem Sinne zu 22
23 24 25
26
27
28 29
Pernau 2011, p. 42. Werner/Zimmermann 2002, p. 608. Z.B. Subrahmanyam 2005. Pernau 2011, p. 42. Valerian 2014, pp. 77-78. Krieger 2004, pp. 125-136, Von Thiessen/Windler 2010, p. 3. In Bezug auf Kaufmannsgemeinden in fremden Gebieten bezeiclmet „Natio" die gemeinsame Herkunft (Soldani 2010, p. 24). Jostkleigrewe 2013, p. 66. Conrad2013,pp.17-18. Auch von ,,Außenkontakten" kann die Rede sein (Berg 1997, p. 3, Frigo 2000, p. 8, Von Thiessen/Windler 2010, p. 5) .. ,Mit »Außenbeziehungen« haben wir einen Begriff zur Verfügung, der für verschiedene Fonnen grenzüberschreitender Beziehungen auch in vornationalstaatlicher Zeit verwendet werden kann" (Von Thiessen/Windler 2010, p. 5). Martin Kintzinger bezeichnet mit „Kontakt" nonnale, d. h. nicht konfliktträchtige Beziehungen (Kintzinger 2008, p. 278).
18
EINFÜHRUNG
konstatieren, kann von Beziehungen die Rede sein und es liegt Konnektivität vor; sonst würde es sich lediglich um punktuelle Kontakte handeln. Ein Inkontakttreten setzt Bewegung und Mobilität der Akteure voraus. Zu längerfristigen Kontaktsituationen sind auch Migrationsbewegungen wie die Bildung von Kaufmannsgemeinden in der Fremde zu rechnen. Daher ist es möglich, Verflechtung als Struktur in der Bedeutung eines übergreifenden, längerfristigen Phänomens aufzufassen. 3° Konnektivität soll hier nicht primär Mikroregionen fokussieren, sondern den Raum generell miteinbeziehen. 31 Ist von Zwecken die Rede, werden Intentionalität und Motivation unterstellt, was gegenüber zufällig entstandenen Begegnungen als Regel anzunehmen ist. Auf die Akteure wird noch genauer einzugehen sein. Von besonderem Interesse sind diejenigen, die unter gewissen Gesichtspunkten als „Mediatoren" bezeichnet werden können. Wird die Verflechtung zweier mittelalterlicher Staaten und ihrer Akteure untersucht, besteht die Gefahr, künstlich homogene Einheiten zu konstruieren. 32 In Anbetracht dieses Umstandes wird ein besonderes Augenmerk auf die Heterogenität im Inneren der Staaten gelegt, was gerade in Bezug auf die Krone Aragon geboten erscheint. Obgleich Ver- und Entflechtungsprozesse auch im Inneren von Staaten ablaufen können, handelt es sich im Fall bilateraler Verbindungen, vom Standpunkt einer Macht aus gedacht, allerdings um nach außen wirkende Prozesse. Diese können aus Entwicklungen im Inneren hervorgehen und wiederum auf diese einwirken, aber auch von außen angeregt werden, so dass sich Verflechtung aus internen und externen Faktoren heraus erklären lässt. 33 Inwiefern von der Prägung einer Gesellschaft durch Außenkontakte die Rede sein kann, wäre eine in diesem Kontext stehende Problematik, die aber mit den hier verwendeten Quellen nur bedingt untersucht werden kann. 34 Verflechtung bringt ambivalente Effekte mit sich, indem sie Vorteile schafft, aber auch Nachteile, u. a. Dependenzen, wodurch ein symmetrisches bzw. asymmetrisches Verhältnis resultiert. Obwohl Akte des Krieges bzw. der Gewalt im Allgemeinen disruptive Effekte besitzen, wird dennoch zu untersuchen sein, ob Gewalt nicht auch Verflechtung generieren kann. 35 Einen Anlass für Kontakte können vorausgegangene Konflikte darstellen. Außerdem kann das Inkontakttreten selbst zum Konflikt führen. Solche Situationen, in welchen sich eine quantitative und/oder qualitative Reduzierung von Beziehungen vollzieht oder gar ein Bruch geschieht, sollen als „Entflechtung" bezeichnet werden. Dieses Konzept wird häufig impliziert, soll hier aber nun expliziert werden. Für Entflechtung bildet Verflechtung die Voraussetzung, so dass beide interdependent sind. 30 31 32 33 34 3
'
Zu diesem Verständnis von Struktur: Pernau 2011, p. 101. Horden/Purcell 2000, pp. 90, 123, 225-227, 343,392. Kaelble 2012, pp. 8, 10. Pernau 2011, p. 23. Conrad 2013, p. 16, Pernau 2011, p. 22. Dücker/Müllerburg 2011, p. 565.
EINFÜHRUNG
19
Verflechtungsprozesse können linear verlaufen, d. h. auch ohne dass Entflechtungsprozesse auftreten. Darüber hinaus ist aber auch eine Dynamik aus Ver- und Entflechtung denkbar. Zuletzt ist auch zu berücksichtigen, dass manche Phänomene ein Ende finden können, was die Problematik von Kontinuitäten und Diskontinuitäten, von Stabilität und Instabilität aufwirft. Aus der beschriebenen Dynamik kann eine Periodisierung abgeleitet werden; eventuell existieren auch Wendepunkte oder -phasen. Zunächst werden die für jedes der drei untersuchten Themenfelder spezifischen Dynamiken analysiert, um diese zu einer Gesamtdynamik zusammenzufassen. Damit wird von verschiedenen Arten von Konnektivität ausgegangen, die ein komplexes Gefüge aus variierenden Ver- und Entflechtungsdynamiken bilden. Nicht nur nach Ver- und Entflechtung, sondern auch das Verhältnis der Themenfelder untereinander soll untersucht werden. In diesem Zusammenhang sind Verbindungen und gegenseitige Beeinflussung, aber auch Abgrenzung und Autonomie zu ergründen, was akteursbezogen und auch akteursunabhängig geschehen soll. Um die dafür notwendige Detailschärfe zu erzielen, werden manche Episoden verdichteter Interaktion mikrogeschichtlich rekonstruiert. Dieses minutiöse Vorgehen schließt nicht aus, für andere Episoden und Aspekte der Beziehungen eine Meso- oder Makroebene zu wählen, und auch nicht, Mikrogeschichte mit diesen Ebenen zu verknüpfen. Da im Regelfall von motiviertem Handeln ausgegangen wird, werden die Gründe von Verund Entflechtung analysiert. 36 In diesem Kontext ist die Frage wesentlich, ob diplomatische Annäherung Handel fördert oder umgekehrt. Daher wird bei der Analyse sowohl auf die Handlungsmotive als auch auf die Wege der Entscheidungsfindung gesteigerter Wert gelegt. Aufgrund der Verfassungsstrukturen beider Mächte, Republik und nur bedingt zentralisierte Monarchie, waren Konsensbildungsprozesse notwendig. 37 Darüber hinaus wird angenommen, dass Ver- und Entflechtung räumlich situierbar sind und deshalb Orte erhöhter und niedriger Aktivitäten existieren. Je nachdem, in welchen Dimensionen sich die Akteure bewegen, werden unterschiedlich zahlreiche verschiedenartige Grenzen, seien es politische oder kulturelle, überschritten bzw. Grenzräume durchquert. 38 Im Fall bilateraler Beziehungen bildet das Überschreiten der politischen Grenze des anderen einen grundlegenden Umstand der Bewegungen der Akteure, weshalb ein Ziel darin besteht, solche Orte zu identifizieren und die Dynamik ihrer Entwicklung herauszustellen. Verflechtung findet in den Quellen nicht nur ihren praktischen Niederschlag, sondern auch ihren diskursiven. Neben anderen Termini scheint derje-
36
37 38
Da in dieser Arbeit der Fall Venedig-Aragon betrachtet wird, können die herausgestellten Gründe keine Universalität beanspruchen. Zur konsensualen Herrschaft: Schneidmüller 2000, pp. 53-87. Jaspert 2007, pp. 43-70. Für weitere Literaturhinweise sei auf den angeführten Beitrag verwiesen.
20
EINFÜHRUNG
nige der „Amicitia" der am häufigsten verwendete zu sein. 39 Obwohl der Amicitia-Diskurs primär auf der diplomatischen Ebene gepflegt wurde, durchzieht er doch alle drei Themenfelder. Deshalb soll dieser Diskurs als Mittel einer Verflechtung schaffenden Kommunikation einer eingehenden qualitativen Analyse unterzogen werden, womit an die dargelegten kulturgeschichtlichen Perspektiven nach dem zeitgenössischen Verständnis und der zeitgenössischen Perzeption angeknüpft wird. 40 Es werden wichtige Begrifflichkeiten und ihre Verwendung untersucht. Die Analyse wird neben dem Diskurs auch die nichtdiskursive Praxis in den Blick nehmen und beides miteinander vergleichen, so dass Symmetrien und Asymmetrien eine Rolle spielen können. Wie bereits angedeutet, soll auf die Akteure der Diplomatie, des Handels und der Piraterie ein besonderes Augenmerk gerichtet werden, weil sie diejenigen sind, welche die Verflechtung durch ihre Mobilität generieren. 41 Dieses Vorgehen kann als mikrohistorisch angesehen werden und wird auch durch die Quellenlage, auf die noch einzugehen ist, ermöglicht. Dabei sollen nicht nur die „großen Männer" 42 im Fokus stehen; eine Vielzahl staatlicher, halbstaatlicher und privater Akteure soll untersucht werden, weil der mittelalterliche Staat kein einheitlich handelndes Individuum darstellt. 43 Über die Schwierigkeit der Abgrenzung dieser Kategorien in der Praxis wird noch zu reflektieren sein. Im Allgemeinen liegen zu Eliten mehr Quellen vor, so dass diese überrepräsentiert sind. 44 Obgleich das archivalische Quellenmaterial zu den venezianisch-katalanischen Beziehungen umfangreich ist, erweist es sich in Bezug auf einzelne Akteure limitiert, weshalb es geraten ist, alle akteursbezogenen Informationen zu sammeln. 45 Den Akteuren wird eine eigene ,,Agency" zugestanden, die sich allerdings in dem Rahmen der Strukturen bewegt, in die sie eingebunden sind. 46 Zu als Struktur verstandener Verflechtung steht ein akteurszentrierter Blick nicht in Opposition; im Gegenteil sogar kann dieser es im Sinne der Neuen Kulturgeschichte em1öglichen, das Wechselspiel zwischen Akteuren und Strukturen zu erfassen und Strukturen und deren Bildung greifbarer zu machen, was gerade bei prinzipiell fluiden oder noch in der Entstehung befindlichen Institutionen wie dem Konsulat, das hier einer einge-
39
40 41
42 43
44
4 ' 46
Eickels 2002, Eickels 2007, pp. 23-34, Epp 2001, pp. 11-24, Ferente 2008, pp. 103-116, Garni er 2000, Gentile 2012, pp. 169-187, Grillo 2012, pp. 157-167, Lazzarini 2010, Lori/Rigon 2012, Offenstadt 2007, pp. 67-80, Oschema 2006, Reinhard 1979, Reinhard 1996, pp. 308334. Freundschaft ist eine der von Reinhard differenzierten vier Arten von Verflechtung. Pernau 2011, p. 24, Stollberg-Rilinger 2002, p. 235. Bulst 1986, pp. 1-15, Von Thiessen/Windler 2010, Werner/Zimmennann 2002, p. 627. Zur Historiographie des 19. Jahrhunderts in dieser Hinsicht: Pernau 2011, p. 58. Von Thiessen/Windler 2010, pp. 2, 5-6. Burkhardt 2009, pp. 26, 34, Keats-Rohan 2007 (Biography), p. 151. Zum Verhältnis zwischen Biographie und Prosopographie: Keats-Rohan 2007 (Biography ), pp. 139-181. Burkhardt 2009, p. 31, Carlier [etal.] 2007, p. 55, Keats-Rohan 2007 (Biography), pp. 147, 150. Flüchter/Schöttli 2015, p. 14, Pernau 2011, p. 74, Von Thiessen/Windler 2010, p. 4.
EINFÜHRUNG
21
henden Analyse unterzogen wird, fruchtbar erscheint. 47 Mikro- und Makroebene sind durch diverse Zwischenebenen miteinander verbunden. 48 Die Ebene des Individuums betrachtend, sollen allgemeine Entwicklungen, übergreifende Strukturen und rekurrente Muster aufgedeckt und deren Wandel herausgearbeitet werden, die aufgrund der großen Dispersität der Informationen sonst unentdeckt blieben. 49 Umgekehrt wird auch in den Blick zu nehmen sein, wie übergreifende Strukturen auf die Individuen zurückwirken. Ein solcher akteurszentrierter Ansatz kann fließend um einen netzwerktheoretischen Ansatz ergänzt werden, insofern die Quellenlage dies gestattet.' 0 Im Teil zum Handel wird die soziale Netzwerkanalyse genauer thematisiert werden, weil sie dort als Zugang und Methode Anwendung findet. Ein besonderes Interesse soll denjenigen Akteuren gelten, die als „Broker" oder „Mediatoren" fungierten und damit Verflechtung und Kommunikation schufen bzw. aufrechterhielten." Damit befanden sie sich an neuralgischen Punkten, die für sie Vorteile, aber auch Risiken bringen konnten, was ihre Position ambivalent auflud. 52 In der Vormoderne erfüllte der Mediator eine Funktion, übte aber damit keine Profession aus.' 3 Wie Nikolas Jaspert, Jenny Rahel Oesterle und Marc von der Höh urteilen, entziehe sich das Konzept des Mediators einer einzigen Definition. 54 Drei immer enger werdende Definitionen werden gegeben: Der erste Typ eines Mediators ist eine Person, die in einem kulturellen Umfeld lebt, das sich in gewissem Umfang von dem unterscheidet, aus dem sie stammt. Durch Interaktion findet interkulturelle Mediation häufig nicht intentional und damit latent statt. 55 Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise Kaufleute. Als zweiter Typ wird eine Person definiert, die intentional und manifest mit dem kulturell andersartigen Umfeld interagiert. Hierzu gehö-
47
48 49
50
'
'
1
2
53
'
4
55
Jordan 2009, p. 210. ,.Neu an der Neuen Kulturgeschichte ist die Verbindung einer akteursgebundenen Sicht auf die Geschichte mit einer Untersuchung strukturaler Aspekte" (lbd., p. 210). Werner/Zimmermann 2002, p. 622. Bulst 1986, pp. 3-4, 9, Carlier [et al.] 2007, pp. 41, 53, 60, 62, Keats-Rohan 2007 (Biography), p. 141, Von Thiessen/Windler 2010, p. 11. ,.Die akteurszentrierte, mikrohistorische Perspektive auf die Außenbeziehungen liefert zu diesen Fragen Ergebnisse, die teilweise von den allein aus der Makroperspektive gewonnenen Gewissheiten abweichen und neue Perspektiven eröffnen" (Von Thiessen/Windler 2010, p. 11). Vergleichbares leistet eine auf Basis des prosopographischen Materials durchgeführte Netzwerkanalyse, was noch Thema sein wird (Faust/Wasserman 2009, pp. 3, 6-7, Preiser-Kapeller 2010 (Calculating Byzantium), p. 14). Von Thiessen/Windler 2010, p. 6. Bely 2004, p. 316. Hervorzuheben ist das Papsttum als etablierte Instanz der Mediation (Ibd., pp. 314, 316). Der Begriff „Broker" entstammt der ökonomischen Sphäre und bezeichnet eine Person, die im Auftrag eines anderen Waren kauft und verkauft (Keblusek 2011 (lntroduction), p. 4). Abdellatif[et al.] 2012, p. 16. Keblusek 2011 (hltroduction), p. 3. Jaspert [et al.] 2013, p. 9 .. ,The concept evades simple classification or a single definition" (lbd., p. 9). Ibd., p. 9-10.
22
EINFÜHRUNG
ren zum Beispiel Diplomaten.' 6 Der dritte Typ bezeichnet ein Individuum, das zwischen zwei oder mehr Sphären vem1ittelt, dabei aber keiner vollkommen angehö1i. Obgleich drei verschiedene Mediatorentypen differenziert werden können, nehmen Mittler in der Praxis häufig diverse Rollen wahr.' 7 Mediationsprozesse können über unterschiedlich lange Zeiträume hinweg ablaufen. 58 In dieser Arbeit sollen Mediatoren im Fokus stehen, die intentional agierten und dies mehrfach, über längere Zeiträume hinweg sowie formell und/oder informell taten. Inwieweit alle Kriterien gleichzeitig zutreffen, wird zu ergründen sein und auch, inwieweit informelles, gar geheimes Agieren in den Dokumenten belegbar ist. Damit bildet die Aufstellung einer Typologie von Mittlern ein Erkenntnisziel. Darüber hinaus sollen die Herkunft, der soziale Status, Bürgerschafts- und Familiarenprivilegien, die auf längerfristige intensivere Kontakte hindeuten, und Belohnungen für erwiesene Dienste herausgestellt werden. Außerdem besteht ein Ziel in der Erörterung der Inhalte der Missionen und der Aktivitäten der Mittler unter dem Gesichtspunkt möglicher Überschneidungen der Themenfelder. Wenn es durchführbar ist, gilt es, ,,Mediatorenkarrieren" zu rekonstruieren. Nicht nur Gesandte, sondern auch Konsuln erscheinen bereits qua Amt als hochrelevant für diese Problematik. Über Individuen als Mediatoren hinaus soll auch untersucht werden, zu welchem Zeitpunkt, für wie lange, wie häufig und ob formell oder informell die Krone Aragon auf Bitte Venedigs zwischen der Republik und einem Dritten vermitteln sollte und umgekehrt. Sowohl in Bezug auf Individuen als auch Regierungen als Mittler sollen Phasen erhöhter Mediationsaktivitäten herausgestellt werden. Darüber hinaus gilt es, bevorzugte Orte für Mediation zu identifizieren, die womöglich spezifische Funktionen erfüllten. Bürgerschafts-, Ritterschafts- und Familiarenprivilegien können als Elemente und Instrumente der Verflechtung angesehen werden, denen meistens schon länger bestehende Verbindungen vorausgingen. In Bezug auf die Privilegien sollen die Herkunft des Empfängers, die Art der Bürgerschaft (Venedigs, Aragons, Mallorcas etc.) und das Verleihungsdatum herausgestellt werden. In manchen Fällen mag eine Akkumulation von Privilegien zu konstatieren sein, durch welche diese Individuen als in höherem Maße verflochten gelten, was zu Interessenkonflikten führen konnte. Da ein Privileg dem Empfänger ein erweitertes Handlungspotential offeriert, wird zu überprüfen sein, ob dieses auch in der Praxis genutzt wurde. Gegenüber der Analyse von Ver- und Entflechtungsprozessen nimmt ein komparatistischer Ansatz eine sekundäre Rolle ein, wird aber in Bezug auf einige Aspekte gewählt, die sich als relevant für die Beziehungsgeschichte erweisen, z. B. der Gesandtschaftsverkehr, die Auswahl der Gesandten und deren Verbindungen zum Handel, Handelsstrategien der Kaufleute sowie die 56 57
58
Zu diesem Thema z. B.: Keblusek 2011 (Embassy of art), pp. 11-25. Jaspert [et al.] 2013, p. 23, Keblusek 2011 (lntroduction), p. 7. lbd., p. 25.
EINFÜHRUNG
23
Akteure der Piraterie. Hartmut Kaelble versteht unter dem historischen Vergleich ,,[ ... ] die systematische Gegenüberstellung von zwei oder mehreren historischen Einheiten (von Orten, Regionen, Nationen, oder Zivilisationen, auch historische Persönlichkeiten), um Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Annäherungen und Auseinanderentwicklungen zu erforschen". 59
Durch eine systematische Analyse sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Strukturen und Spezifika aufgezeigt und ein differenziertes Bild der untersuchten übergeordneten Phänomene geboten werden. In diesem Sinne werden die venezianische und die katalanische Ausprägung eines Aspektes als eine von dessen Varianten verstanden. Von einem transkulturellen Vergleich im Sinne zweier verschiedener Zivilisationen - hierbei waren religiöse Unterschiede im Mittelalter zentral 60 - kann hier nicht die Rede sein; allerdings lässt sich von einem interkulturellen Vergleich sprechen. 61 Der zeitliche Rahmen der verglichenen Aspekte wird dabei unterschiedlich ausfallen und kann von mehreren Jahren bis zum gesamten Untersuchungszeitraum reichen. Ist Letzteres der Fall, wird auch ein diachroner Vergleich gezogen, wenn es möglich ist und fruchtbar erscheint. Obgleich sich die Analyse von Transfer, Transkulturalität und Hybridität mit Ver- und Entflechtungsprozessen verbinden lässt, sollen diese nicht im Fokus stehen, weil das Haupterkenntnisinteresse, wie dargelegt, davon abweicht. Darüber hinaus geben die herangezogenen Quellen nur bedingt Einsicht in diese Problematiken. Was sie aussagen, soll an den geeigneten Stellen erläutert werden, um die Verknüpfbarkeit deutlich zu machen. 62 Kaufleute und Gesandte können als privilegierte Akteure des Transfers gelten, was aber am gewählten Beispiel noch zu prüfen sein wird. 63 Dabei sei bedacht, dass nicht jeder Aufenthalt in der Fremde und jede Handlung per se Transferprozesse
'
9
60 61 62
63
Kaelble 2012, p. 1. Dücker/Müllerburg 2011, p. 568. Drews/Oesterle 2008, pp. 8-14, Flüchter 2015, pp. 1-31, Höfert 2008, p. 17. Neben der Rolle der Balearen als bedeutendes Emporium sei an dieser Stelle auf ihre herausragende Bedeutung als ein Zentrum der mediterranen Kartographie vor allem im 14. Jahrhundert verwiesen (Abulafia 1997 (Comercio), p. 129, Cateura Bennasser 2005, pp. 56, 83-84, Lane 1980, p. 441 ). In diesem Kontext entwickelten sich kulturelle Transferprozesse zwischen Venezianern und Katalanen. Da es sich bei dieser Thematik um eine spezielle handelt, soll hier der Hinweis auf die Studien des Ramon Pujades i Bataller erfolgen (Pujades i Bataller 2006, Pujades i Bataller 2013, pp. 79-167). Außerdem soll in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass von etwa 1450 bis 1700, vor allem aber im 16. Jahrhundert, Wissens- und Kulturtransferprozesse zwischen Venedig und Spanien auf dem Gebiet der Glasmacherei stattfanden (Frothingham 1956, Page 2004 ). Besonders im letztgenannten Jahrhundert war venezianisches Glas in Mode und verbreitete sich durch Import, Migration von Handwerkern und Imitation in zahlreichen Gegenden Europas. Barcelona verfügte ebenfalls über Glashütten, die auf sehr hohem und mit Venedig vergleichbarem Niveau arbeiteten, wodurch sich eine Konkurrenzsituation ergab. Abdellatif[ et al.] 2012, pp. 210-211.
24
EINFÜHRUNG
auslöst, die intendiert oder auch nicht-intendiert sein können. 64 Von der Vorstellung reiner Kulturen kann nicht ausgegangen werden, weil jede Kultur ein gewisses Maß an Hybridität besitzt, sich aber auch durch gewisse Spezifika auszeichnet, die sie abgrenzbar macht. 6' Damit können grenzübergreifende Kontakte Eigenes hervorbringen, das sich im Fall bilateraler Beziehungen nicht eindeutig einer Seite zuschreiben lässt. 66 Bei einem Hybriden handelt es sich in der Regel aber nicht um die genaue Mitte zwischen zwei Typen. 67 Im Folgenden soll der Forschungsstand zu den venezianisch-katalanischen Beziehungen dargestellt werden. An den gegebenen Stellen wird die Forschung zu den drei Themenfeldern genauer umrissen und es wird auch auf Details eingegangen.
1.2 Forschungsstand Sowohl zu den Beziehungen zwischen Venedig und Genua 68 als auch zu denjenigen zwischen der Krone Aragon und Genua 69 ist einiges bekannt. Im Vergleich damit ist zum venezianisch-katalanischen Verhältnis bislang nur wenig gearbeitet worden und relativ selten wurde es als autonomer Untersuchungsgegenstand gewürdigt, weil es in der Regel als Teil eines anderen Kontextes und in unterschiedlich intensiv erforschten Einzelaspekten behandelt wurde, die häufig zusammenhanglos nebeneinander stehen. Daher fehlt eine systematische Untersuchung der Beziehungen über einen längeren Untersuchungszeitraum hinweg. In der vorliegenden Monographie soll eine solche Analyse erfolgen, obgleich aufgrund der gewählten Chronologie von 130 Jahren (12801410) mit Verweisen auf vorangegangene und spätere Entwicklungen und der inhaltlichen Breite gewisse Einschränkungen vorgenommen werden müssen. Nach diesen generellen Befunden soll im Folgenden der Forschungsstand in 64 6
'
66 67 68
69
lbd., p. 209. Pernau 2011, p. 47, Welsch 2012, p. 152. Werner/Zimmermann 2002, pp. 629-630. Epstein 2014, p. 345. Z.B. Balard 1997, pp. 87-126, Brunetti 1916, pp. 1-160, Dotson 2003, pp. 119-135, Jacoby 2001, pp. 213-256, Karpov 2001, pp. 257-272, Ortalli 2001, pp. 9-27, Puncuh 2001, pp. 129158, Sorbelli 1910, pp. 87-157, 12, Surdich 1970, Volkov 1860, pp. 143-181. In der Forschung wurden stärker die Konflikte als die Kooperationen zwischen Venezianern und Genuesen herausgearbeitet. Daher könnten sich künftige Studien diesen sowie Zeiten des Friedens bzw. relativer Stabilität in höherem Maße widmen und auch den Detailreichtum der Quellen unter aktuellen Fragestellungen nutzbar machen. Z. B. Balard 2003 (Les Catalans), Costa 1974, pp. 220-234, Dei Treppo 1974, pp. 621-667, Ferrer i Mallol 1996, pp. 783-823, Melis 1992, pp. 277-285, Meloni 1971-1982, Meloni 1972, pp. 101-117, Meloni 1973, pp. 115-143, Mutge i Vives 1965, pp. 229-256, Pistarino 1974, pp. 81-122. Auch die Arbeiten zum katalanisch-genuesischen Verhältnis sind von der Beschäftigung mit Konflikten geprägt, so dass vergleichbare Desiderate wie in Bezug auf Venedig und Genua bestehen.
EINFÜHRUNG
25
jedem der drei Themenfelder dargelegt werden. Obgleich manche Beiträge mehreren Feldern gleichzeitig zugeordnet werden können, soll dennoch so verfahren werden, weil die genannten Bereiche bislang mehrheitlich getrennt voneinander bearbeitet wurden und so auch eine gesteige1ie analytische Klarheit erzielt wird. 70 Hinsichtlich der Beschäftigung mit der politischen Geschichte lässt sich feststellen, dass sie sich bislang im Wesentlichen auf die folgenden vier Themen beschränkte: die Sizilianische Vesper 71, die Katalanische Kompanie 72, der Krieg zwischen Venedig und dem Papsttum um Ferrara ( 1308-1313) und die darin involvierten katalanischen Söldner 73 sowie die venezianisch-katalanische Allianz von 1351.74 In Bezug auf die politische Verflechtungsgeschichte stellt 70
71
72
73
74
Ausschlaggebend für die Einordnung eines Beitrages ist dessen thematischer Schwerpunkt. Der einzige Beitrag, der sich dezidiert venezianisch-katalanischen politischen Kontakten widmet, stammt von Ferran Soldevila: Soldevila 1958, pp. 233-238. Zeitlich beschränkt er sich auf die Jahre zwischen 1283 und 1285. Aufschlüsse über venezianisch-katalanische Beziehungen bieten darüber hinaus: Sambin 1944-1945, pp. 971-998, Runciman 2012. Venezianisch-katalanischen Beziehungen widmen sich zwei Beiträge: Am ausführlichsten vollzieht dies David Jacoby in Bezug auf den konfliktreichen Zeitraum von 1305 bis 1332 (Jacoby 1974, pp. 217-261). Knapp geht Robert lgnatius Bums auf venezianisch-katalanische Kontakte zwischen 1305 und 1311 ein (Bums 1954, pp. 751-771). Ausführungen zum Thema finden sich hauptsächlich in den folgenden Studien: Marcos Hierro 2005, Setton 1948, Thiriet 1959, Luttrell 1969, pp. 219-252. Zu den aragonesisch-byzantinischen Beziehungen im 12. und 13. Jahrhundert: Marcos Hierro 1996. Es lässt sich feststellen, dass die ereignisreichen und turbulenten ersten drei Jahrzehnte der Katalanischen Kompanie am häufigsten bearbeitet wurden, was auch auf den Einfluss der Chronik Muntaners zurückgeführt werden kann. Obgleich weniger intensiv behandelt, können die letzten Jahre ihrer Herrschaft dennoch als relativ gut bekannt gelten. Dagegen erweisen sich die vier Jahrzelmte von ca. 1331 bis 1377 als weitgehend unbeachtet. Obgleich der Titel des Beitrages einen anderen Fokus suggeriert, befasst sich Vicente Salavert i Roca intensiv mit den venezianisch-katalanischen Beziehungen zwischen 1309 und 1312. Als Quellenbasis dienen hauptsächlich Dokumente der Register des Kronarchives, die im Anhang ediert sind (Salavert i Roca 1958, pp. 255-298). Zum Krieg zwischen Venedig und dem Papsttum liegt eine Monographie vor, die zumindest am Rande auf venezianischkatalanische Beziehungen eingeht (Soranzo 1906). Den bislang grundlegenden Beitrag zu den katalanischen Söldnern unter dem Adligen Dalmau de Banyuls (ca. 1271-1345) verfasste Maria Teresa Ferrer i Mallol (Ferrer i Mallol 1965, pp. 155-227). Die im Gegensatz zur Katalanischen Kompanie weniger spektakuläre Thematik der nach der Sizilianischen Vesper in ltalien verbliebenen Katalanen war bis dahin nur wenig erforscht worden. In einer Anmerkung stellt Ferrer i Mallol knapp die Korrespondenz zwischen Papst Klemens V. und König Jakob 11.dar. Ebenfalls kurz dazu: Ferrer i Mallol 1980, p. 462. Bereits im 19. Jahrhundert wurde der Krieg beider Mächte gegen Genua sowohl in der spanischen als auch venezianischen Forschung zum Untersuchungsobjekt. Als politisch-militärisch relevante Episode finden sich in nahezu allen Monographien zur Geschichte Venedigs und Aragons unterschiedlich lange Passagen (Z. B. Bisson 2003, pp. 109-110, Cessi 1981, pp. 308-315, Lane 1980, pp. 265-273, Romanin 1855, pp. 165-195). Eine profunde Quellenanalyse erfolgt in der Regel nicht, sondern die Darstellung bleibt auf die Schilderung der wichtigsten Etappen des Krieges beschränkt. Besonderes Interesse fanden schon früh die diversen Schlachten und insbesondere die Schlacht am Bosporus von 1352 (Costa 1972, pp. 197-210, Lazzarini 1894, pp. 5-45, Manfroni 1902, pp. 323-332, Sorbelli 1915, pp. 387-395). Explizit den venezianisch-katalanischen Beziehungen widmen sich die folgenden Beiträge: Blason-Berton 1968, pp. 237-263, Cabezuelo Pliego 2006, pp. 253-294, Martin 1983, pp.
26
EINFÜHRUNG
dieses Bündnis bis zur Regierungszeit König Alfons' V. ein singuläres Ereignis dar, das gleichzeitig integraler Bestandteil der Auseinandersetzung jeder der beiden Mächte mit Genua ist. Darin können die Gründe ausgemacht werden, weshalb die Allianz ein derart kontinuierliches Interesse erfuhr. Über die Entwicklung des Bündnisses zwischen der Bosporusschlacht und dem genuesisch-venezianischen Separatfrieden liegt bislang keine Darstellung vor, obgleich es in dieser Phase allmählich zerrüttete. 75 Insgesamt gesehen, ergibt sich ein chronologischer Rahmen der bisherigen politik- und diplomatiegeschichtlichen Studien von etwa 1282 bis 1356. Allerdings bestehen teilweise beträchtliche Lücken innerhalb der untersuchten Episoden, die unterschiedlich intensiv bearbeitet wurden. Ein Fokus auf die Inhalte von brieflicher Korrespondenz und Verträgen, Bündniskonstellationen, Kriegsstrategien sowie Kämpfen prägte die bisherigen Darstellungen. Über die politischen Beziehungen zwischen Venedig und Aragon nach dem Ende der Allianz ist bisher nur wenig bekannt. Trotz einer fehlenden systematischen Darstellung finden sich in manchen Werken allgemein gehaltene Aussagen über den Charakter und die Entwicklung des Verhältnisses, die einer Überprüfung auf Basis einer systematischen Analyse bedürfen. So urteilt Ciro Manca, dass das gegenseitige Verhältnis nach dem Ende der Allianz bis zum Frieden von Turin 1381 von Spannung und Misstrauen, gar von Feindseligkeit gekennzeichnet gewesen sei. Danach hätten sich freundschaftlichere Beziehungen eingestellt. 76 In Bezug auf das venezianisch-katalanische Verhältnis im Spätmittelalter schreibt Jose Hinojosa Montalvo, dass es aufgrund der gemeinsamen Feindschaft zu
75
76
274-281. Mirella Blason-Berton schöpft das Erkenntnispotential der in den Appendices zu findenden transkribie1ien Quellen nicht aus. Die Transkriptionen enthalten manchen Fehler, weshalb mit eigenen gearbeitet wurde. Blason-Berton weist auf das Desiderat hin, dass noch zahlreiche Details der Beziehungen der Krone Aragon zu Norditalien unbekaimt seien (Blason-Berton 1968, pp. 238, 253). An dieser Stelle sei auf den kurzen Beitrag Giancarlo Sorgias verwiesen: Sorgia 1964, pp. 393-396. Neben diesen Arbeiten geben die folgenden Aufschluss über venezianisch-katalanische Kontakte während der Allianz: Meloni 19711982, Meloni 1972, pp. 101-117, Meloni 1973, pp. 115-143, Sorbelli 1910, pp. 87-157. Aus genuesischer Perspektive betrachtet Michel Balard die Allianz, indem er detailliert die Expedition des genuesischen Admirals Paganino Doria nach Konstantinopel (1351-1352) untersucht: Balard 1970, pp. 431-469. Nicht nur die katalanische, venezianische und genuesische Sichtweise auf Allianz und Krieg, sondern auch diejenige anderer Akteure wurde analysiert. In diesen Konflikt gesamt-mediterraner und gar europäischer Dimension war eine Vielzahl von Mächten unterschiedlich stark involviert, vor allem das Papsttum als kontinuierlicher Initiator von Friedensverhandlungen und der byzantinische Kaiser als temporärer Allianzpartner der Venezianer und Katalanen von 1351 bis 1352 (Duverge 1933, pp. 221-249, Kyrris 1974, pp. 188-210, Luttrell 1968, pp. 265-277). 1n zahlreichen Beiträgen werden die venezianischen Subsidienzahlungen erwälmt und unterschiedlich ausführlich dargestellt, wobei allerdings eine umfassende Untersuchung über den gesamten Allianzzeitraum fehlt. Ebenso steht eine systematische Analyse der Begleichung der Vertragsstrafe durch die Venezianer aus. Manca 1966, p. 244. ,,Le relazioni tra Venezia e l'Aragona si trascinarono, cosi, in un'atmosfera di tensione e diffidenza, se non proprio di ostilita, per buona parte della seconda meta de! secolo XIV, fino alla pace di Torino de! 1381. Di li s'instaurarono fra Je due potenze mediterranee dei rapporti piu amichevoli [ .. .]" (Ibd., p. 244 ).
EINFÜHRUNG
27
Genua und unterschiedlicher kommerzieller Interessen freundschaftlich gewesen sei. In diesem Zusammenhang redet er von der „tradicional alianza Arag6n-Venecia".77 Die Handelsgeschichte zwischen Venedig und der Krone Aragon wurde bislang vorrangig in Bezug auf bestimmte Städte und Teilkönigreiche betrachtet als in Bezug auf die Krone in ihrer Gesamtheit. 78 Bisweilen lassen sich beide Aspekte allerdings kaum oder gar nicht voneinander trennen. Eine solche Trennung nach Städten bzw. Königreichen erscheint vor dem Hintergrund lokaler und regionaler Ver- und Enttlechtungsprozesse als sinnvoll und wird daher beibehalten. Allgemeine Tendenzen lassen sich aus der Gesamtheit der einzelnen Prozesse ableiten. Bei der Untersuchung der Handelsbeziehungen sind stets zwei Perspektiven zu berücksichtigen: zum einen die Präsenz venezianischer Kaufleute in der Krone Aragon und zum anderen diejenige katalanischer Händler in der Stadt Venedig und im venezianischen Raum. Die Beschäftigung mit den Handelsbeziehungen zwischen Venedig und Mallorca erfuhr seit dem 19. Jahrhundert ein kontinuierliches Interesse, dessen Höhepunkt etwa zwischen 1950 und 1980 liegt, brachte aber nur eine begrenzte Zahl von Beiträgen hervor, welche das Thema der venezianisch-katalanischen Beziehungen autonom behandeln. Bis weit ins 19. Jahrhundert reicht die Beschäftigung mit den Flanderngaleeren zurück, die Beiträge unterschiedlicher Tiefenschärfe hervorbrachte. Trotz der offensichtlich großen Bedeutung der Flandernmuda für das Königreich Mallorca und die Krone Aragon im Allgemeinen wurde die Linie bislang nur bedingt unter venezianisch-katalanischer Perspektive untersucht. 79 Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts setzte die Beschäftigung mit dem venezianischen Konsulat in Palma de Mallorca ein. Seit 1989 ist zu diesem Thema allerdings nichts Neues mehr publiziert worden. In Bezug auf die Beziehungen zwischen Venedig und Barcelona, Valencia, Sardinien und den anderen Städten und Reichen der Krone Aragon sowie den Herzogtümern Athen und Neopatria resultiert, dass sich im Vergleich mit Mallorca deutlich weniger Studien dezidiert dem venezianisch-katalanischen Handel widmen. Generell lässt sich urteilen, dass über den staatlichen Handel mehr bekannt ist als über den privaten. Als Untersuchungszeitraum wurde für Mallorca und Sardinien das 14. Jahrhundert, für die anderen Städte und Reiche dagegen das 15. Jahrhundert bevorzugt, was auch auf die Quellensituation zurückzuführen ist. Von der bisherigen Forschung schwerpunktmäßig behandel77
78
79
Hinojosa Montalvo 2006, p. 148. ,,Ello explica Ja tradicional alianza Arag6n-Venecia, con un enemigo comun, pero con intereses mercantiles diferentes'· (Ibd., p. 148). Dei Treppo 1968. Dei Treppos Werk zur katalanischen Handelsgeschichte bezieht sich auf die Krone Aragon in ihrer Gesamtheit. Allerdings beschäftigt sich Dei Treppo hauptsächlich mit dem 15. Jahrhundert. Die venezianisch-katalanische Handelsgeschichte fruchtbar ergänzende Erkenntnisse könnten eine ins Detail gehende Untersuchung des Flandemhandels der Markusrepublik und auch eine der kommerziellen Beziehungen zwischen Venedig und dem Süden Frankreichs liefern. In diesem Zusammenhang müssten sowohl der Galeerenverkehr als auch die Privatkaufleute Berücksichtigung finden.
28
EINFÜHRUNG
te Themen sind die Entwicklung und der Verlauf von Handelsrouten, die transportierten Waren, wobei auch quantifizierende Analysen durchgeführt werden8°, Institutionen unter primär rechtsgeschichtlicher Perspektive (allerdings nur das venezianische Konsulat auf Mallorca) Kaufmannsniederlassungen, Erlasse, Abkommen und Abgaben. Neben handels- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragen spielten auch politik- und rechtsgeschichtliche eine gewisse Rolle und wurden mit Ersteren kombiniert. Im Folgenden soll der Forschungsstand detaillierter in der Reihenfolge Venedig-Mallorca, VenedigBarcelona, Venedig-Valencia, Venedig-Sardinien, Venedig-Aragon und Venedig-Katalanische Kompanie erläutert werden, weil er sich jeweils spezifisch präsentiert. Zuvor soll aber zunächst auf Thematiken eingegangen werden, welche die Gesamtheit der Krone Aragon betreffen. Die protektionistische Handelspolitik Martins I. zwischen 1398 und 1404 richtete sich gegen italienische Kaufleute und auch die Venezianer. 81 Obwohl diese Episode im Allgemeinen und auch in Bezug auf Venedig und Aragon als relativ gut erforscht gelten kann, ist dennoch anzunehmen, dass neue Erkenntnisse durch weitere Einsichten aus bekannten Dokumenten und zusätzliche Quellen möglich sind. Im Jahr 1403 wurde durch den König eine Abgabe für alle italienischen Kaufleute eingeführt, das „Dret