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German Pages 542 [544] Year 2016
Urte Weeber Republiken als Blaupause
Ancien Régime Aufklärung und Revolution
Herausgegeben von Rolf Reichardt und Hans-Ulrich Thamer
Band 42
Urte Weeber
Republiken als Blaupause Venedig, die Niederlande und die Eidgenossenschaft im Reformdiskurs der Frühaufklärung
ISBN 978-3-11-043788-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042849-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042855-1 ISSN 2190-295X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Friedrich Brentel, Tipus Reipublicae/Die Republik als Laube. Aus Jacob van der Heyden, Pugillus Facetiarum (1608), Straßburg, Bibliothèque nationale et universitaire. Zit. nach: Gamboni, Dario/Germann, Georg/de Capitani, François (Hrsg.): Zeichen der Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des 16. und 18. Jahrhunderts (Bernisches Historisches Museum 1. Juni bis 15. September 1991). Bern 1991. S. 85 (Abb. 53). Satz: Konrad Triltsch, Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Sind Flüchtlinge ein wichtiger Wirtschaftsfaktor? Kann ein föderales Gemeinwesen politisch effektiv agieren? Wie können Freiheit und Stabilität im europäischen Mächtegeflecht garantiert werden? Dass diese Fragen brandaktuell sind, braucht wohl kaum erläutert werden. Dass sie gleichsam höchst relevant für die Frühaufklärung waren, hat mich die Beschäftigung mit „meinen“ Republiken als Diskussionsgegenstand politischer Reformüberlegungen gelehrt. Gerade weil sie diese spannenden Fragen bündelten, waren die zurückliegenden Jahre für mich nie langweilig, sondern aufschlussreich und anschlussfähig sowie material- und arbeitsreich. Das Ergebnis, die vorliegende Abhandlung, wurde unter dem Titel „Die Zukunft gestalten. Venedig, die Vereinigten Provinzen der Niederlande und die Eidgenossenschaft als Fluchtpunkte des Sagbaren in einem politischen Reformdiskurs der Frühaufklärung“ im Frühjahr 2014 als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen. Begeistert für die Frühe Neuzeit und für das Wagnis der Promotion hat mich mein Doktorvater Thomas Maissen. Ihm bin ich dafür sowie für zahlreiche konstruktiv kritische Gespräche und eine große Unterstützung bei meinem Anliegen, Familie, wissenschaftliche Mitarbeiterstelle und Promotion miteinander zu vereinbaren, sehr dankbar! Herzlich möchte ich auch meiner Zweitgutachterin, Susan Richter, danken, die mit einem ebensolchen konstruktiven, unterstützenden und motivierenden Elan die Endphase der Promotion und meinen Start ins PostDoc-Leben begleitet hat. Dass ich mich für die Forschung zeitweise von meinen Pflichten in Lehre und Verwaltung beurlauben lassen und so ein großes Stück vorankommen konnte, verdanke ich dem Brigitte-Schlieben-Lange-Programm des Landes Baden-Württemberg. Forschungsaufenthalte in Paris und Wolfenbüttel wurden mir finanziell durch das Projekt El Papel de las Repúblicas Europeas en la Conformación del Estado Moderno. ¿Alternativa Modernizadora o Motor del Sistema? (Siglos XVI – XVIII) und durch die Graduiertenakademie der Universität Heidelberg ermöglicht. Die German-Israeli Foundation for Scientific Research and Development finanzierte mir zudem im Rahmen des Projektes Liberalism and Republicanism in Early Modern Europe. Concepts of Citizenship as a Usable Past for Today’s Israeli-European Civic Dialogue den Start meiner Promotionsphase und den Besuch zahlreicher internationaler und nationaler Tagungen. Danken möchte ich vor allem meinen Heidelberger Kollegen und Kolleginnen für die fröhliche, freundschaftliche und diskussionsfreudige Arbeitsatmosphäre. Insbesondere Christine Zabel, Sebastian Meurer, Michael Roth, Lina Weber, Steve
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Vorwort
Bahn, Elisabeth Natour und Angela Siebold danke ich für spannende Fragen, wichtige Diskussionen, das Korrekturlesen der Arbeit sowie moralische und kulinarische Unterstützung über all′ die Jahre. Mein Dank gilt zudem allen wissenschaftlichen Hilfskräften am Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit in Heidelberg, insbesondere Sebastian Schütte, Oliver Plate und Anna Frahm für kompetente Unterstützung bei der Recherche und liebevolle Babysitterdienste, sowie den Teilnehmern des Forschungskolloquiums Frühe Neuzeit und den Studierenden des Hauptseminars „Die Krise der Republiken“ für anregende Diskussionen. Danken möchte ich außerdem Elise Wintz, die meine Arbeit von Verlagsseite kompetent und unkompliziert betreut hat, sowie Rolf Reichardt und Hans-Ulrich Thamer, die sie in die Reihe Ancien Régime, Aufklärung und Revolution aufgenommen haben. Zudem gilt mein Dank zahlreichen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, mit denen ich die Arbeit im Rahmen von Tagungen, Kolloquien oder Workshops diskutieren durfte, insbesondere Iain Mc Daniel, Wyger Velema, Andreas Suter, Béla Kapossy, Richard Whatmore, Simone Zurbuchen und Fania Oz-Salzberger. Ein großes Dankeschön geht zudem an meine Schwiegermutter, Sabine Weeber, die sich an zahlreichen Wochenenden um meine Kinder gekümmert und mir so den Rücken für das Schreiben freigehalten hat. Ohne einen wäre diese Arbeit aber nie fertig geworden: meinen Mann Paul. Mein Dank an ihn ist so groß, dass ich diesen nicht in Worte fassen kann… Gewidmet ist dieses Buch – gewissermaßen generationenübergreifend – meinen Eltern,Wulf und Monika Klüver-Weitenhagen, und meinen Kindern, Bosse und Greta. Meinen Eltern, weil sie mich in zahlreichen Küchentisch-Gesprächen erst für die Geschichte und das Lesen begeistert und mich von Kindesbeinen an in jeglicher Hinsicht bedingungslos unterstützt haben! Meinen Kindern, weil sie das Glück meines Lebens sind und so viele Stunden auf mich verzichten mussten, damit die Arbeit fertig werden konnte. Jetzt könnt ihr Mamas Buch endlich in den Händen halten! Heidelberg, im Frühling 2016
Urte Weeber
Inhalt Einleitung 1 Fragestellung und übergeordnete Hypothesen 3 Republiquen von Europa 10 Quellenkorpus und Untersuchungszeitraum 13 17 Forschungsstand Methodische Vorbemerkungen und historischer Kontext
I
27
Republiken als Konstrukt: Aussagen vor 1650
Venedig 47 . Venedig als Vorbild in der italienischen Renaissance 47 . Der Mythos Venedig als stabilitätssichernder Kollektiventwurf . Venedig im Blick: Der Mythos wird transportiert 70 Die Eidgenossenschaft 97 97 . Grobes Bauernvolk und vorbildliche Krieger . Identität als Erinnerungsgemeinschaft 101 . Die Eidgenossenschaft im Blick: Legitimer Tyrannenkampf und 104 souveräne Republik Die Vereinigten Provinzen der Niederlande 117 118 . Fleißige Seefahrer und verständige Händler . Antike Freiheit und kettensprengende Hollandia 128 . Die Vereinigten Provinzen im Blick: Freiheitskampf und Wirtschaftspotential 133
II
Fazit
149
Republiken auf dem Prüfstand: Modifikation der Aussagen 1650 – 1676
Staatsraison, Interessenlehre und Staatsbeschreibungen
Commonwealthmen
169
157
64
VIII
Inhalt
Jean de Parival und die Gebrüder de la Court
Exkurs: Die Rezeption Parivals bis 1669
William Temple
Jean Gailhard
Amelot de la Houssaye
Fazit
III
187
209
225 239 249
259
Republiken als Blaupause: Normative Zielvorstellungen eines politischen Reformdiskurses 1676 – 1750
265 Wirtschaftlicher Erfolg . Die Vereinigten Provinzen als Vorbild 266 . Erfolgsfaktoren 286 . Venedig und die Eidgenossenschaft als wirtschaftspolitische 303 Reflexionsfolien . Zusammenfassung 315 Stabilität 317 . Korruption 328 . Luxus 332 . Expansion und Krieg . Zusammenfassung
340 355
Schnelligkeit und Effektivität 357 . Föderaler Staatsaufbau und das Prinzip der Einstimmigkeit . Diskussion in den Republiken? 364 . Exkurs: Die Union von Schottland und England 1707 368 . Das „langsame Wesen“ der Republik 375 Freiheit 379 . Freiheit im Freistaat? 380 . Freiheit der Alten vs. Freiheit der Modernen . Divergierende Deutungsmuster 389
385
358
Inhalt
Rechtssicherheit 399 399 . Willkür und Langsamkeit . Freiheit durch Rechtssicherheit
IV
Fazit
409
Republiken als Auslaufmodell: Modifikation der Aussagen um 1750
Montesquieu
David Hume
Fazit
V
406
415 427
435
Schlussbetrachtung Ergebnisse
441
Erklärungsmomente 447 . Politische Rahmenbedingungen 447 . Textgattung und Wissenschaftsverständnis . Zeitverständnis 453
Ausblick
475
Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen 485 Forschungsliteratur 503 Bildnachweise 528 Personenregister
529
485
448
IX
Einleitung Der italienische Historiker Franco Venturi stellte 1971 in seiner Studie Utopia and Reform in the Enlightenment die These auf, dass die Untersuchung der „republican tradition“ im 18. Jahrhundert als Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Staatsbildung und Ideengeschichte in der Epoche der Aufklärung dienen könne.¹ Dabei plädierte er dafür, weniger der Rezeption antiker Denkmuster und Modelle in den Texten des 18. Jahrhunderts nachzugehen, als vielmehr den konkreten historischen Erfahrungshintergrund der betreffenden Autoren in den Blick zu nehmen. Die zeitgenössischen Republiken hätten einen erheblichen Anteil an der Formierung republikanischer Ideen im 18. Jahrhundert gehabt: I shall not enquire into how much republican thought derives from Pericles or Titus Livius, but rather how much the experience undergone by the Italian, Flemish and German cities, by Holland, Switzerland, England and Poland. The republican tradition which the eighteenth century inherited and made fruitful sometimes had a classical colouring. More often it was born from a direct experience, and one not so distant in time.²
Die sogenannte Republikanismusforschung hat diesen Appell lange nicht berücksichtigt. Über die Rezeption antiker und spätmittelalterlicher italienischer Modelle seien spezifische Sprachen und Konzepte entstanden, die zu verschiedenen Zeiten und über räumliche Grenzen hinweg immer wieder aufgegriffen worden seien. John Pococks einflussreiche These eines classic republicanism verwies 1975 dabei vor allem auf die Rezeption griechischer Vorbilder in der Idee eines aktiven, partizipativen Republikanismus.³ Quentin Skinners neo-romantheory hingegen betonte den Einfluss römischer Quellen auf einen Republikanismus, der partizipative Elemente als notwendig erachtete, um individuelle Rechte abzusichern.⁴ An solche wirkmächtigen Thesen anschließend, widmeten sich in der Folge einzelne Arbeiten auch der Rezeption der konkreten historischen Vorbilder Rom und Athen in politischen und kulturellen Diskussionszusammenhängen des 17. und 18. Jahrhunderts.⁵
Vgl. Venturi, Franco: Utopia and Reform in the Enlightenment. Cambridge . S. . Venturi, Utopia and Reform, S. . Grundlegend Pocock, John G.A.: The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tadition. Princeton . Grundlegend Skinner, Quentin: Liberty before Liberalism. Cambridge . Vgl. als Überblick Nelson, Eric: Republican Visions. In: The Oxford Handbook of Political Theory. Hrsg. von John S. Dryzeck, Bonnie Honig u. Anne Philips. Oxford (The Oxford Handbooks of Political Science ). S. – ; Ders.: The Greek Tradition in Republican Thought. Cambridge ; Millar, Fergus: The Roman Republic in Political Thought. Hanover [u. a.] ;
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Einleitung
Erst in den letzten Jahren haben einzelne Historiker – weiterhin im Selbstverständnis einer Republikanismusforschung – die Relevanz Venturis für die Forschung hervorgehoben. Mit dem Anspruch, den unmittelbaren politischen Kontext ihrer Texte unbedingt in die Interpretation mit einzubeziehen, versuchen sie, das Konzept Republikanismus neu zu füllen oder zu erweitern.⁶ Venturi selbst hat den Terminus Republikanismus nicht verwendet.⁷ Er sprach vielmehr von einer „republican tradition“ und einer „idea of republic which the men of Enlightenment had“.⁸ Die vorliegende Arbeit will hingegen weder die Analysekategorie „Republikanismus“ aufnehmen, noch nach einer spezifischen republikanischen Tradition oder Idee suchen. Sie fragt, welche Aussagen über zeitgenössische Republiken in einem bestimmten Zeitraum möglich waren und welche Rückschlüsse diese Aussagen auf die Ideen und Normen ihrer Autoren zulassen. Dabei sollen diese Ideen und Normen nicht unbedingt mit Hilfe geschichtswissenschaftlicher Forschungstermini – etwa im Sinne einer überzeitlichen Ideengeschichte – kategorisiert, sondern vor allem in ihrem historischen Kontext analysiert und interpretiert werden.
zuletzt: Zabel, Christine: Polis und Politesse. Der Diskurs über das antike Athen in England und Frankreich, – . Berlin/Boston (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution ). Und auch die Konferenz: Imagining the Ancients. Republics and the Classical Past. . und . November . Royal Netherlands Institute in Rom. http://imaginingtheancients.blogspot.de (zuletzt am .. ). Auch die Rezeption der Respublica Hebraeorum in der politischen Theorie des 17. und 18. Jahrhunderts fand zuletzt verstärkt Beachtung vgl. Nelson, Eric: The Hebrew Republic: Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought. Cambridge, Mass. [u. a.] 2010; OzSalzberger, Fania: Political Hebraism. Past and Present. In: The Liberal-Republican Quandary in Israel, Europe, and the United States. Early Modern Thought meets current Affairs. Hrsg. von Thomas Maissen und Fania Oz-Salzberger. Boston 2012. S. 30 – 48. Vgl. etwa Albertone, Manuela (Hrsg.): Il Repubblicanesimo Moderno. L’idea di repubblica nella riflessione storica di Franco Venturi. Neapel (Istituto Italiano Per Gli Studi Filosofici XXXI).; Stapelbroek, Koen: The Problem of the Republics. Venturis Republicanism reconsidered. In: History of European Ideas (HEI) (). S. – ; Wootton, David: Republicanism, Liberty, and Commercial Society – . Stanford ; Mijnhardt, Wijnand: The limits of presentday Historiography of Republicanism. In: De achttiende eeuw (). S. – ; Albertone, Manuela: Democratic Republicanism. Historical Reflections on the Idea of Republic in the th century. In: HEI (). S. – . Vgl. dazu auch Albertone, Manuela: Introduction. In: Il Repubblicanesimo Moderno, S. – , S. . Venturi, Utopia and Reform, S. .
1 Fragestellung und übergeordnete Hypothesen
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1 Fragestellung und übergeordnete Hypothesen Im Folgenden soll also nach möglichen, das heißt im Sinne einer historischen Diskursanalyse sagbaren Aussagen mit Blick auf drei zeitgenössische Republiken, nämlich Venedig, die Vereinigten Provinzen der Niederlande und die Eidgenossenschaft zwischen 1650 und 1750 gefragt werden. Die Analyse erfolgt vornehmlich anhand von Reiseberichten und Staatsbeschreibungen, also Textgattungen, die das verfügbare Wissen über Gemeinwesen generierten, zur Verfügung stellten und transportierten. Die Frage nach möglichen Aussagen impliziert notwendigerweise auch die Frage danach, welche Aussagen nicht (mehr) möglich waren und wie sich bestimmte Aussagen gegebenenfalls von früheren und späteren Aussagen unterschieden. Es gilt nach dominanten Aspekten, Unterschieden und Transformationen zu fragen. Welche Themen und Strukturen wurden mit Blick auf die zeitgenössischen Republiken thematisiert? Hatten die Konfession, der Beruf, die regionale Herkunft, der politische Hintergrund oder andere Aspekte einen Einfluss auf die Aussage, die ein Autor mit Blick auf eine der drei Republiken traf? Spielte der Zeitpunkt, an dem Aussagen getroffen wurden, eine Rolle? Und wurden anhand der Eidgenossenschaft andere Themen diskutiert als anhand der Vereinigten Provinzen der Niederlande oder Venedig? Lassen sich Wendepunkte ausmachen, an denen neue Aussagen hinzukamen, bisher mögliche Aussagen verschwanden oder unter anderen Vorzeichen geäußert wurden? Sind diese Diskurscharakteristika bestimmt, gilt es zudem vor allem nach den Erklärungsmomenten zu fragen. Welche Faktoren bedingten genau diese Charakteristika? Auf welchen Ebenen müssen diese Faktoren angesiedelt werden? Auf diese Weise soll gezeigt werden, wie sich politisches Reformdenken und zeitgenössische Republiken im Untersuchungszeitraum zueinander verhielten. Die eingangs zitierte Studie Venturis wirkte dabei in dreifacher Hinsicht anregend, auch wenn die eingenommenen Perspektiven differieren: 1) Außenperspektive: Venturi betonte die Relevanz der Überlebensstrategien zeitgenössischer Republiken in einer Zeit aufstrebender und mächtiger Monarchien für die Diskussionen über Freiheit, Bürgertum und Staatlichkeit im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert. Seine eigenen Detailanalysen widmeten sich dabei aber vor allem den Diskussionen in den einzelnen Republiken selbst.⁹ Die vorliegende Arbeit will hingegen die Diskussion über diese Republiken analysieren, also „den Blick von außen“ untersuchen.
Vgl. Venturi, Utopia and Reform, S. – und Ders.: Settecento riformatore. Bde. Turin – . Hier betrachtet Venturi durchaus auch die Außenperspektive auf das Geschehen in
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Einleitung
2)
Reformdenken vor 1730?: Venturi präsentierte die Vorstellung von Reform als übergeordneten Denkrahmen der europäischen Aufklärung.¹⁰ Er setzte in seinen Untersuchungen, vor allem in seinem mehrbändigen Werk Settecento riformatore, dabei in den 1730er Jahren ein. Die Idee der Reformvorstellung als Denkrahmen und Intentionsmuster wird hier aufgegriffen und zugleich an den Quellen überprüft. Dabei wird ein anderer Zeitraum gewählt, nämlich die Jahre 1650 bis 1750, also ein Zeitraum, der Venturis Analysezeitraum vorausgeht und von seinem Pariser Lehrer, Paul Hazard, als entscheidende Übergangsphase und Moment der „Krise des europäischen Geistes“ charakterisiert wurde.¹¹ Welche Reformmaßnahmen wurden in diesem Zeitraum eingefordert und wie wurden diese Reformforderungen legitimiert? Mit welchen argumentativen Strategien wurden Reformideen vorgebracht und wo wurden diese platziert? Und vor allem: Welche Rolle kam den zeitgenössischen Republiken in diesem „Spiel“ zu? 3) Transnationale Dimension?: Venturi spricht von einem europäischen Diskurs, von einem „Enlightened Europe“, in dem die Zirkulation von Ideen groß und die Erwartungen und Vorstellungen ihrer Träger sehr ähnlich waren.¹² Die vorliegende Arbeit greift diesen Grundgedanken auf, in dem sie Texte von Autoren aus unterschiedlichen europäischen Ländern und Regionen vergleicht, die gleichermaßen mit den zeitgenössischen Republiken in einem gemeinsamen Handlungsraum konfrontiert waren. Der Untersuchungsgegenstand ist breit gewählt. Die europäische Dimension soll aber ergebnisoffen untersucht werden. Grundsätzlich werden bestehende Konstrukte wie Nation oder Europa nicht vorweg angenommen, sondern die Quellen vielmehr nach Verbindungen quer zu nationalen, regionalen, sprachlichen oder auch kon-
den zeitgenössischen Republiken, indem er vornehmlich zeitgenössische italienische Zeitschriften analysiert. Vgl. dazu auch erläuternd Robertson, John: Franco Venturi’s Enlightenment. In: Past and Present (P&P) / (). S. – . Venturi definiert allerdings nirgendwo, was er unter „Reform“ versteht. Vgl. dazu auch die Diskussionen auf den im Mai geführten Villa VigoniGesprächen zu Languages of Reform in the th Century: The Works of Franco Venturi (Villa Vigoni, Loveno di Menaggio, May th to nd, ). Vgl. Hazard, Paul: Die Krise des europäischen Geistes – . Aus dem Französischen übertragen von Harriet Wegener. Hamburg . Auf S. bezeichnet Hazard diese Zeit als „schwieriges Gelände, in dem man noch auf Abenteuer und Entdeckungen hoffen kann“. Hazard selbst verfolgte ein stark lineares Deutungsmuster. Die jüngere Forschung verweist aber vor allem auf seine Anregungen einer starken europäischen Perspektive und der bedeutenden Entwicklungen um . Vgl. dazu auch Meyer, Annette: Die Epoche der Aufklärung. Berlin . S. . Venturi, Utopia and Reform, S. .
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fessionellen Abgrenzungen befragt. Die Analysekategorien werden folglich induktiv aus den Quellen herausgearbeitet.¹³ Venturis Überlegungen dienen also gewissermaßen als Ausgangspunkt. Seine vor allem wohl politisch motivierten Grundprämissen von der Aufklärung als ausschließlich innovatives Zeitalter und der politisch-zivilbürgerlichen Relevanz historischer Aufklärungsforschung wurden dabei allerdings nicht übernommen.¹⁴ Die Analyse erfolgt vielmehr vor dem Hintergrund von drei übergeordneten Hypothesen: 1) Das gemeinsame Merkmal „Republik“ im verfassungstheoretischen Sinn des Freistaats dient hier zunächst als deduktives Unterscheidungskriterium und setzt nicht voraus, dass dieses Merkmal notwendig in den zu untersuchenden Aussagen aufgegriffen und diskutiert wurde. Dies kann, muss aber nicht ein Ergebnis der Analyse sein. Zudem teilten die drei Republiken bestimmte Charakteristika: Alle drei hatten etwa ein kleines Territorium. Die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft waren föderal organisiert. Sowohl die Vereinigten Provinzen als auch Venedig waren vom Handel als wichtigstem Wirtschaftssektor abhängig. Die drei Republiken waren dennoch zu heterogen, als dass von einem spezifischen Diskurs ausgegangen wird. Es wird deshalb nicht die These formuliert, dass die Aussagen und folglich auch die Normen, Themen und Phänomene, die in der folgenden Arbeit aufgezeigt werden, exklusiv nur in Aussagen über die zeitgenössischen Republiken auftauchten. Vielmehr soll gezeigt werden, dass genau diese Aussagen sich eignen, um den politischen Reformdiskurs der Frühaufklärung in seiner Breite zu erfassen. Gerade weil die drei betreffenden Republiken in besonderem Maße durch die aufstrebenden, expansiven Monarchien herausgefordert wurden, trafen in der Diskussion um die Situation und die Strategien der Republiken eine Vielzahl von Themen und Ideen aufeinander. Die Aussagen über die zeitgenössischen Republiken können damit als Indikator und zu-
Vgl. dazu auch die Forderungen von den Vertretern einer Histoire croisée nach einer verstärkt induktiven Herangehensweise und Reflexion von Analysekategorien. So bei Werner, Michael/ Zimmermann, Bénédicte:Vergleich,Transfer,Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen. In: Geschichte und Gesellschaft (GG) (). S. – . S. . Bzgl.Venturis Biographie als Historiker und politisch engagierter Intellektueller, der bereits als Flüchtling in den er Jahren in Paris zahlreiche Artikel in der Zeitung „Giustizia e Libertà“ veröffentlichte, vgl. Albertone, Democratic Republicanism, S. ; Robertson, Franco Venturi’s Enlightenment; und die Beiträge von Giuseppe Giarrizzo, Giuseppe Cambiano und John Robertson in dem Sammelband Il Repubblicanesimo Moderno.
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Einleitung
gleich als Teil eines neuen Denkens über den bestmöglichen Staat angesehen werden. 2) Die Arbeit fragt nicht nach der Rolle der zeitgenössischen Republiken als Modell. Die Konstruktionslogik Modell impliziert oft, zumal im zeitgenössischen Verständnis des Untersuchungszeitraums, uneingeschränkte Vorbildlichkeit und birgt die Gefahr der Reduktion vielfältiger Aussagen auf spezifische Aspekte und die vorschnelle Kategorisierung sowie einseitige Zuordnung von Aussagen.¹⁵ Im Folgenden wird deshalb im Sinne einer analytischen Kategorie von den Republiken als Referenzobjekten, Reflexionsfolien oder Blaupausen gesprochen, um eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Objekten als ein mögliches Ergebnis offen zu lassen. 3) Gemäß der Luhmann’schen These, dass „keine historische Forschung die Zukunft außer acht lassen“ könne,¹⁶ soll grundsätzlich nach einem Zeit- beziehungsweise Zukunftsverständnis gefragt werden, das den zu analysierenden Aussagen zugrunde lag. Da Normvorstellungen und Reformkonzepte immer an eine eigene Vorstellung von der Entwicklung in der Zeit gekoppelt sind, ist dieser Aspekt für die vorliegende Arbeit unerlässlich. Zeit ist grundsätzlich als soziales und kulturelles Produkt zu verstehen.¹⁷ Die Vgl. dazu Müller, Roland: Zur Geschichte des Modelldenkens und des Modellbegriffs. In: Modelle – Konstruktionen der Wirklichkeit. Hrsg.von Herbert Stachowiak. München . S. – . Vor allem S. – . Der Artikel im Zedler hält unter dem Lemma „Modell“ fest: „Modell, Modele, Modello, Modulus, Typus, Exemplar, ein Modell, Vorbild, Abdruck, Forme, Muster, Leisten, Richtschnur, oder Vorschrifft, darnach man etwas machet, […].“ (Zedler, Johann Heinrich: Grosses Vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste […]. Bde. Leipzig/ Halle – . Bd. . (ND Graz ). Sp. f.). Susan Richter hat jüngst darauf hingewiesen, dass mit David Humes Philosophical essays concerning human understanding (London 1748) und daran anschließend Johann Heinrich Gottlieb von Justis Vergleichungen der Europäischen mit den Asiatischen und andern vermeintlich barbarischen Regierungen (Berlin/Stettin/Leipzig 1762) ein Wandel im Verständnis des Modell-Begriffs einsetzte. Ein Modell galt nun nicht mehr uneingeschränkt als Vorbild, sondern als „Steinbruch“ und nachprüfbare Realisierungsoption. (Siehe Richter, Susan: Pflug und Steuerruder. Zur Verflechtung von Herrschaft und Landwirtschaft in der Aufklärung (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 75). Köln/Weimar/Wien 2015. Hier S. 280 – 286.) Da diese Reflexionen allerdings erst intensiv mit Hume einsetzten, der auch in der Analyse der zeitgenössischen Republiken neue Schwerpunkte setzte und daher hier den Schlusspunkt des Untersuchungszeitraumes markiert, soll der Begriff „Modell“ als analytische Kategorie nicht verwendet werden. Luhmann, Niklas: Weltzeit und Systemgeschichte. Über Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme. In: Ders.: Soziologische Aufklärung . Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Opladen . S. – . S. . Vgl. etwa Elias, Norbert: Über die Zeit. Hrsg. von Michael Schröter. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach u. Michael Schröter. Frankfurt (ND ) (Norbert Elias Gesammelte Schriften ). Achim Landwehr spricht entsprechend von einem „diskursiven Produkt“ mit eigener
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Auffassung oder das Verständnis von Zeit ist folglich immer an eine bestimmte Gruppe, eine bestimmte Situation sowie gesellschaftliche und kulturelle Prägungen rückgebunden. Norbert Elias plädierte daher in seiner Abhandlung „Über die Zeit“ für das Verb „zeiten“ als adäquate Entsprechung eines aktiven Vorgangs der Zeitbestimmung auf der Wortebene.¹⁸ In der geschichtswissenschaftlichen Forschung, und hier insbesondere in der Frühneuzeitforschung, wurde dieser Gegebenheit bisher kaum Rechnung getragen.¹⁹ Dabei hat Niklas Luhmann im Rahmen seiner systemtheoretischen Überlegungen bereits 1975 in dem Essay „Weltzeit und Systemgeschichte“ die These vertreten, dass sich, resultierend aus dem Übergang von einer stratifikatorischen zu einer funktionalen Gesellschaftsordnung, gerade in der Frühen Neuzeit ein spezifisch modernes Zeitverhältnis ausgebildet habe. Aufgrund der Ausdifferenzierung verschiedener Teilsysteme sei eine einheitliche, auf einer Orientierung an einer gemeinsamen Vergangenheit beruhende Zeitkonzeption nicht mehr möglich gewesen. Die Zukunft als neuer gemeinsamer Referenzrahmen habe stattdessen an Gewicht gewonnen.²⁰ „historischer Wirkmächtigkeit“. (Siehe Landwehr, Achim: Alte Zeiten, neue Zeiten. In: Frühe Neue Zeiten. Zeitwissen zwischen Reformation und Revolution. Hrsg. von Dems. Bielefeld . S. – . S. – ). Elias, Über die Zeit, S. . Neben Luhmann und Koselleck sind hier zuletzt allein die Monographien von Lucien Hölscher (Hölscher, Lucien: Die Entdeckung der Zukunft. Frankfurt a. M. (Europäische Geschichte). ) und Theo Jung (Jung, Theo: Zeichen des Verfalls. Semantische Studien zur Entstehung der Kulturkritik im . und . Jahrhundert. Göttingen (Historische Semantik ). ) sowie die Sammelbände „Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit“ (Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit. Hrsg.von Arndt Brendecke, Ralf-Peter Fuchs und Edith Koller. Berlin (Pluralisierung & Autorität ).) und „Frühe Neue Zeiten“ (Frühe Neue Zeiten. Zeitwissen zwischen Reformation und Revolution. Hrsg.von Achim Landwehr. Bielefeld .) zu nennen; in Ansätzen auch die drei Aufsätze zum „Zeitbewußtsein in der Frühen Neuzeit“ in: Zeit und Geschichte. Kulturgeschichtliche Perspektiven. Hrsg. von Erhard Chvojka, Andreas Schwarcz u. Klaus Thien. Wien/München (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung ). S. – . Vgl. Luhmann, Weltzeit und Systemgeschichte, S. – , vor allem S. – und Luhmann, Niklas: Selbst-Thematisierung des Gesellschaftssystems. Über die Kategorie der Reflexion aus der Sicht der Systemtheorie. In: Soziologische Aufklärung. Bd. . Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Hrsg. von Niklas Luhmann. . Aufl. Opladen . S. – . S. : „Die entscheidende Alternative […] liegt in der Frage, ob die Gesellschaft primär im Hinblick auf ihre Vergangenheit oder primär im Hinblick auf ihre Zukunft zum Thema wird. Mit dem Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft scheint sich ein „Führungswechsel“ der Zeithorizonte in dem Sinne anzubahnen, daß als Bezugshorizont für Selbst-Thematisierungen nicht mehr die Vergangenheit, sondern die Zukunft dient. Entsprechend verlagert sich der Strukturbedarf für Entscheidungen aus der Erinnerung in die Prognose.“ Vgl. dazu auch Jung, Zeichen des Verfalls, S. . Unter einer stratifikatorischen Differenzierung versteht Luhmann die Differenzierung der Gesellschaft nach
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Einleitung
In begriffsgeschichtlichen Studien zu „Reform“ wird zumeist von einer mit diesem Terminus verbundenen „geschichtsphilosophischen Perspektive“ gesprochen.²¹ Christof Dipper stellt dabei die These auf, dass der französische Begriff „réforme“ zunächst klar auf eine Besserung durch Rückbesinnung auf die Vergangenheit zielte. Bei Montesquieu habe der Reformbegriff dann „keine vorgegebene Richtung“ gehabt. Er habe „nicht den Vollzug einer bereits gedachten Entwicklung, sondern die Anpassung an objektive Gegebenheiten“ gemeint, bevor der Reformbegriff in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts klar Teil einer konsequenten Fortschrittsideologie geworden sei.²² Im Deutschen wurde der Begriff „Reform“ erst im 18. Jahrhundert aus dem Französischen übernommen. Dabei wurde er in der politischen und staatswissenschaftlichen Literatur zunehmend in Abgrenzung zu „Reformation“ verwendet, wenn es galt, den Referenzpunkt der Orientierung nicht in der Vergangenheit, sondern mit dem noch zu erreichenden, idealen Staat in der Zukunft anzusiedeln.²³ Wirkmächtig für die Interpretation eines neuen, modernen Zeitverständnisses ist bis heute vor allem Reinhart Kosellecks These einer neuen Auffassung der Zukunft. Da Erfahrungshorizont und Erwartungsraum immer stärker auseinandergedriftet seien, sei die Kontinuität von Vergangenheit und Zukunft negiert und die Zukunft stattdessen als offen und damit gestaltbar gedacht worden. Koselleck datiert diesen Wandel im Zeitverständnis auf die Mitte des 18. Jahrhunderts und
hierarchisch geordneten Schichten als Teilsystemen. Ein Individuum gehört hier nur jeweils einem Teilsystem an. In einer funktional differenzierten Gesellschaft sind an die Stelle der sozialen Teilsysteme sogenannte autonome Funktionssysteme (Politik, Recht,Wirtschaft etc.) getreten. Ein Individuum gehört in unterschiedlichen sozialen Rollen dann verschiedenen Teilsystemen an. Siehe etwa Dipper, Christof: Réforme. In: Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich – . Hrsg. von Rolf Reichardt und Hans-Jürgen Lüsebrink. Heft /. München . S. – . Dipper, Réforme, S. . Vgl. dazu Wolgast, Eike: Art. Reform, Reformation. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner [u. a.]. Bd. . Stuttgart . S. – . S. f. Zur Korrelation von Normenbewusstsein und der Vorstellung einer offenen, gestaltbaren Zukunft vgl. zudem Luhmann, Niklas: Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie. Frankfurt a. M. 1981. S. 17: „Normen werden hier mithin als enttäuschungsfeste, kontrafaktisch stabilisierte Erwartungen begriffen, die als solche zunächst weder natürlich noch systematisch noch logisch geordnet sind. Solche Normprojektionen entstehen im sozialen Leben aus einem Strukturbedürfnis heraus: Jeder muß sich der eigenen Erwartungen auch über den Enttäuschungsfall hinaus vergewissern und das Erwarten anderer mit den eigenen Erwartungen verbinden können. Dieses Bedürfnis lässt sich mit anderen gesellschaftsstrukturellen Variablen korrelieren. Es steigt vermutlich in dem Maße, als der Zeithorizont der Lebensführung sich ausweitet und eine offene, festzulegende Zukunft bewußt wird.“
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konstatiert im Rahmen seines Untersuchungsfeldes, der historischen Semantik, zwischen 1750 und 1850 eine „Sattelzeit“, in der sich dieses Phänomen der „Verzeitlichung“ begrifflich niedergeschlagen habe.²⁴ Lucian Hölscher folgt in seiner Studie Die Entdeckung der Zukunft Kosellecks Datierung eines neuen Zukunftsverständnisses auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.²⁵ Jüngst ist in der Forschung aber darauf hingewiesen worden, dass eine Aufwertung der Gegenwart und damit auch der Gedanke von der Gestaltbarkeit der Zukunft, anders als in der Forschung bisher angenommen, bereits im 17. Jahrhundert zu verorten sei.²⁶ Ein Nachweis dieser These anhand von Quellen ist aber bisher kaum erfolgt.²⁷ Achim Landwehr hat kürzlich zum ersten Mal anhand von konkreten Quellen, nämlich Kalendern und Zeitungslexika, diese These untermauert.²⁸ Vor allem, so der
Vgl. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M. (ND ). S. – . S. . S. – . S. f.; Koselleck, Reinhart: Einleitung. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck. Bd. . Stuttgart . S. xiiixxvii; Koselleck, Reinhart: Das achtzehnte Jahrhundert als Beginn der Neuzeit. In: Epochenschwelle und Epochenbewusstsein. Hrsg. von Reinhart Koselleck u. Reinhart Herzog. München . S. – . Dort S. : „Neben der Beschleunigung sei als zweites Kriterium genannt die Erschließung einer offenen Zukunft.“ Zur Kritik an Kosellecks These, die vor allem auf die Eingrenzung des Quellenkorpus und des nationalen Kontexts zielt, siehe etwa Seifert, Arno: Verzeitlichung. Zur Kritik einer neueren Frühneuzeitkategorie. In: ZHF (). S. – . Zusammenfassend bei Stockhorst, Stefanie: Zur Einführung: Von der Verzeitlichungsthese zur temporalen Diversität. In: Das Achtzehnte Jahrhundert / (). S. – . S. f. Jüngst haben zudem Andreas Pečar und Damien Tricoire darauf hingewiesen, dass Kosellecks These einer offenen Zukunftsvorstellung für den Fortschrittsoptimismus der philosophes so nicht haltbar sei. Pečar, Andreas/Tricoire, Damien: Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne? Frankfurt a.M./New York . S. – . Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, S. . Mit einem anderen methodischen Zugriff (dem einer „praktischen Geschichtsphilosophie“) kommt Johannes Rohbeck zur selben Datierung („ziemlich genau um das Jahr “). Vgl. Rohbeck, Johannes: Aufklärung und Geschichte. Über eine praktische Geschichtsphilosophie der Zukunft. Berlin . S. . Siehe Landwehr, Alte Zeiten, neue Zeiten, S. f. Bisher dominierte Reinhart Kosellecks These eines Wandels im Zeitverständnis durch die neue Vorstellung einer offenen, gestaltbaren Zukunft um . Vgl. dazu Stockhorst, Zur Einführung, S. ; Kampmann, Christoph [u. a.]: Einleitung. In: Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation. Hrsg. von Dens. Köln [u. a.] (Frühneuzeit-Impulse ). S. – . S. und S. : „Was bislang fehlt, ist eine systematische, gegenstandsbezogene und empirische Überprüfung dieser Aussagen – eine differenzierte Perspektivierung, die indirekt eigentlich schon Koselleck eingefordert hat, die aber noch nicht geleistet worden ist.“ Siehe Landwehr, Achim: Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im . Jahrhundert. Frankfurt am Main . Landwehr hält einen „Wandel frühneuzeitlicher Zeitkonzepte“ fest, „wie er sich um in verdichteter Form beobachten lässt. Einerseits wird der Lauf der Dinge, ob es
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einheitliche Tenor der jüngsten Forschung, müsse immer von einer „Pluritemporalität“ ausgegangen werden, also der Tatsache Rechnung getragen werden, dass verschiedene Zeitauffassungen nebeneinander existiert hätten.²⁹ Die vorliegende Arbeit kann hier also einen wichtigen Beitrag leisten. Es wird die These aufgestellt, dass die hier analysierten Staatsbeschreibungen, in denen sich politisches Reformdenken ab der Mitte des 17. Jahrhunderts bündelte, bereits in ihrer Gattungsanlage eine Aufwertung der Gegenwart und somit auch ein Verständnis einer gestaltbaren Zukunft implizierten.
2 Republiquen von Europa Der in bayrischen Diensten stehende Johann Joseph Pock (1675 – 1735) betonte 1719 in seiner Reisebeschreibung, warum es sich lohne, die zeitgenössischen Republiken zu betrachten: Dieser Theil meines Politischen Passagiers haltet in sich die Durchläuchtigste und Hochmögende freye Staaten/ oder Republiquen von Europa/ welche von denen Politicis allezeit den Ruhm haben/ daß man bey selbigen öffters mehr kluge Staats-absichten finde, als bey mächtigen Kayserthumen/ oder Königreichen. Weilen dann dieser tractat von solchen Re-
sich nun um die Bevölkerung oder andere, dem zeitlichen Wandel unterworfene Gegenstände handelt, nicht mehr zwangsläufig durch die Vorgaben der Vergangenheit bestimmt.Vielmehr ist es möglich, durch das Eingreifen in der eigenen Gegenwart die Zukunft zu gestalten.“ (S. ). Siehe Landwehr, Alte Zeiten, Neue Zeiten, S. f. Kosellecks Theorem der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ greife, da ideologisch intendiert, zu kurz, um diesen Sachverhalt zu fassen. (Siehe Landwehr, Alte Zeiten, Neue Zeiten, S. : „Denn Ungleichzeitiges zu identifizieren, kann nur gelingen, wenn zuvor schon normativ eindeutig festgelegt ist, was denn die eine Gleichzeitigkeit sein soll, von der das Ungleichzeitige als Abweichung identifiziert und im schlimmsten Fall sogar denunziert werden kann. Seinen zutiefst modernisierungstheoretischen, nicht selten auch ideologischen eingesetzten Untergrund kann der Topos von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen daher nicht verbergen.“ Dazu Landwehr, Achim: Von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. In: HZ (). S. – .) Meines Erachtens greift diese Kritik nicht, da Koselleck die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ vielmehr als Empfindung der Aufklärer selbst identifiziert (Vgl. etwa Koselleck, Das achtzehnte Jahrhundert, S. f.). Ein „zutiefst modernisierungstheoretischer, nicht selten auch ideologisch eingesetzter Untergrund“ kann allenfalls also den Zeitgenossen des . Jahrhunderts vorgeworfen werden. Unabhängig von der Begrifflichkeit ist sich die neuere Forschung allerdings einig, dass dem Umstand der parallel existierenden Zeitauffassungen Rechnung getragen werden muss. Vgl. neben Landwehr auch Jung, Zeichen des Verfalls, S. – („Polychronie“); Brendecke/Fuchs/Koller, Die Autorität der Zeit, S. – , S. ; Stockhorst, Zur Einführung, S. – .
2 Republiquen von Europa
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publiquen handlet/ wo zu heutigen zeiten die vollkommene Staats-Wissenschafften den offenbahren Wohnsitz haben.³⁰
Ausgehend von der Frage nach den Aussagen über diese zeitgenössischen Republiken insgesamt, entspricht die Auswahl der drei Beispiele Venedig,Vereinigte Provinzen der Niederlande und Eidgenossenschaft dem zeitgenössischen Verständnis als einflussreichste Freistaaten ihrer Art. So hält etwa der norddeutsche Geograph Heinrich Ludwig Gude (?–1707) in seiner 1708 postum erschienenen Einleitung zu den Europäischen Staaten fest: „Die freyen Europäischen Republiquen können in die 3. Mächtigern/ die vereinigten Niederlande/ Venedig, und Schweitz, und kleinern als da sind Genua, Luca, Ragusa und St. Marin, füglich eingetheilet werden.“³¹ Grundsätzlich werden diese drei Republiken in übergreifenden Darstellungen des Untersuchungszeitraumes zuerst und oft ausschließlich als Freistaaten genannt und beschrieben.³² Exklusive Abhandlungen finden sich zudem allein für diese drei. Der Terminus Republique wird von Gude bewusst im Sinne einer nicht-monarchischen Staatsform angewandt. Ein erster verdichteter, aber längst nicht durchgehend etablierter Gebrauch des Terminus „Republik“ als nicht-monarchische Staatsform lässt sich für politische Denker in Florenz am Ende des 15. Jahrhunderts nachweisen. Einfluss auf diese Entwicklung hatte nicht nur die Phase radikaler Herrschaft unter Girolamo Savonarola (1494 – 1498), sondern vor allem die Verfügbarkeit eines, wenn auch noch unvollständigen, Tacitus-Manuskriptes, welches die Annales 11– 16 und die Historiae enthielt und 1468 in einer ersten Version ediert wurde.³³ Vor dem Hintergrund der durch Jean Bodin (1529/30 – 1596) einflussreich geprägten Souveränitätslehre wurden absolutistische Monarchien, in denen die Souveränität „absolut, unteilbar und ewig“ bei einem einzigen Machthaber lag, der durch keine andere weltliche Macht begrenzt wurde,³⁴ von
Pock, Johann Joseph: Der politische Catholische Passagier/durchreisend alle hohen Höfe/ Republiquen/ Herrschafften und Länder der gantzen Welt […]. Vierter Theil. Augspurg (in Verlag Caspar Brechenmachers) . Vorrede. o.P. Gude, Heinrich: Einleitung zu den Europäischen Staaten und derselben Beschluß. Franckfurth/Leipzig . S. . Auch wenn die Forschung etwa Polen als Adelsrepublik zu den zeitgenössischen Republiken zählt, findet sich diese Zuordnung in den Quellen des Untersuchungszeitraums, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, nicht. Vgl. Wootton, David: The True Origins of Republicanism: the Disciples of Baron and the Counter-Example of Venturi. In: Il repubblicanesimo moderno, S. – . Siehe Bodin, Jean: Les six livres de la République. Paris (Corpus des œuvres de philosophie en langue française – ). Kapitel I,.
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jenen Gemeinwesen unterschieden, bei denen die Souveränität bei mehreren lag.³⁵ Letztere, nämlich die Republiken wie Venedig, die Niederlande oder die Eidgenossenschaft, wurden fortan auch im diplomatischen Zeremoniell klar benannt und den Monarchien nachgeordnet.³⁶ Das alte Ideal der Mischverfassung als gelungener Ausgleich der Herrschaft von einem Einzelnen, den Vielen und den Wenigen, dem der Ausdruck „respublica“ im umfassendsten Sinne ebenfalls lange entsprochen hatte, war spätestens im 17. Jahrhundert zum Auslaufmodell geworden.³⁷ Diejenigen Gemeinwesen, die sich dennoch nicht anders als in dieser Kategorie fassen ließen, wie etwa Polen oder das Reich, wurden deshalb von zeitgenössischen Autoren sowohl als Republik als auch als Monarchie bezeichnet.³⁸ Wie sehr der Begriff noch zwischen verschiedenen Deutungsebenen changierte, lässt sich auch an den Schwierigkeiten ablesen, denen sich europäische Künstler bei dem Versuch ausgesetzt sahen, die „Republik“ emblematisch zu fassen.³⁹ Die auf dem Titelbild dieses Buches abgebildete Radierung Tipus Reipublicae des Straßburger Radierers und Miniaturisten Friedrich Brentel (1580 – 1651) ist eine der frühesten gedruckten emblematischen Darstellungen der Republik überhaupt. Sie findet sich abgedruckt in Jacob van der Heydens Pugillus Facetiarum von 1608.⁴⁰ Vor dem Hintergrund einer fiktiven Stadtansicht wird die Republik hier im Bild einer Laube dargestellt. Als tragende Säulen fungieren ein Gelehrter, ein Richter, ein Bauer und ein Geistlicher. Unter dem schützenden Dach und in einem eigens durch einen Zaun abgegrenzten Bereich können Friede und Überfluss sitzen. Auf dem Dach thront Justitia inmitten der vier Kardinaltugenden.
Vgl. Maissen, Thomas: Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Göttingen (Historische Semantik ). S. – . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Maissen, Geburt der Republic, S. f. Im England des . Jahrhunderts war hingegen die Rede vom weiterhin mehrdeutigen „Commonwealth“ am gebräuchlichsten – auch weil man die meiste Zeit um die Realisierung einer neuen Form der Mischverfassung rang. Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. dazu Warnke, Martin: Die Demokratie zwischen Vorbildern und Zerrbildern. In: Zeichen der Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des . bis . Jahrhunderts. Hrsg. von Dario Gamboni u. Georg Germann. Bern (. Europäische Kunstausstellung unter dem Patronat des Europarates). S. – . S. – ; Warnke, Martin: Demokratie. In: Handbuch der politischen Ikonographie. Hrsg. von Uwe Fleckner, Martin Warnke u. Hendrik Ziegler. München . Bd. . S. – . S. f. Van der Heyden, Jacob: Pugillus Facetiarum, Straßburg . Zu Friedrich Brentel vgl. Art. Friedrich Brentel. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Berlin/Boston . Internationale Künstlerdatenbank – Online. http://www.degruyter.com/view/AKL/_T (. . ); Werner, Wolfgang: Untersuchungen zur Friedrich Brentel. In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg (). S. – .
3 Quellenkorpus und Untersuchungszeitraum
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Die Bildunterschrift verstärkt die hier transportierte Aussage: „Wa die Gottsforcht, und gerechtigkeit, all freÿe künst, sampt der arbeÿt, Die Seulen sind, da grüntt die gmein Gluckseligkeit, auch Frid, wont drein.“ In den Skizzen, die Brentel als Vorstudien zu dieser Radierung anfertigte, findet sich anstelle des Richters noch ein König als tragende Säule der Respublica. ⁴¹ Für die endgültige Version entschied er sich offensichtlich, das monarchische Element zu tilgen und über die Stadtansicht im Hintergrund den freistaatlichen Charakter der Republik als Interpretationsangebot zu stärken. Mitte des 17. Jahrhunderts hatte sich der Begriff „Republik“ in Europa dann als Verfassungskategorie etabliert, die sowohl die Herrschaft der Vielen (Demokratie) und die Herrschaft der Wenigen (Aristokratie) oder eine Mischung aus beiden bezeichnen konnte, sich aber nicht mehr auf die Einzelherrschaft anwenden ließ. Für die europäischen Zeitgenossen, die zwischen 1650 und 1750 einen Blick von außen auf die drei Gemeinwesen – Venedig, die Vereinigten Provinzen der Niederlande und die Eidgenossenschaft – warfen, stellten diese in diesem verfassungstheoretischen Sinne klar Republiken dar und wurden auch als solche bezeichnet. Spätestens seit dem Westfälischen Frieden 1648 waren die drei Republiken völkerrechtlich anerkannte und gleichberechtigte Souveräne. Diese außenpolitische, im Fremdverständnis klar definierte Zuordnung entsprach nicht immer gleichzeitig einem Selbstverständnis als Republik beziehungsweise einer Selbstbezeichnung als solcher. Vor allem in den Vereinigten Provinzen und in der Eidgenossenschaft wurde vielmehr um ein spezifisches republikanisches Selbstverständnis gerungen. Ein solches umfasste dabei mehr als die reine Definition der verfassungspolitischen Ordnung der Gemeinschaft.⁴²
3 Quellenkorpus und Untersuchungszeitraum Die vorliegende Arbeit fragt nach den möglichen Aussagen über die drei betreffenden Republiken in einem Zeitraum von 100 Jahren und unter der Hypothese Die beiden Skizzen sind in einer Mappe mit aufgeklebten Zeichnungen im Besitz der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe erhalten. Vgl. dazu Werner, Untersuchungen zu Friedrich Brentel, S. und S. f. Eine dieser Skizzen findet sich abgebildet bei Fusenig, Thomas: Die Bildausstattung von Schloß Eschwege. In: Ut Pictura Politeia oder Der Gemalte Fürstenstaat. Moritz der Gelehrte und das Bildprogramm in Eschwege. Hrsg. von Heiner Borggrefe, Thomas Fusenig u. Birgit Kümmel. Marburg (Studien zur Kultur der Renaissance ). S. – . S. (Friedrich Brentel, Tipus Respublica, Entwurf für Pugillus Facetarum). Vgl. dazu grundlegend Maissen, Geburt der Republic;Velema,Wyger R.E.: Republicans. Essays on Eighteenth-Century Dutch Political Thought. Leiden [u. a.] (Brill’s Studies in Intellectual History ). S. – .
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von Gemeinsamkeiten und Bezügen, die über nationale, regionale und konfessionelle Grenzen hinausreichten.⁴³ Dieser weite Zugang bringt eine Fülle von Material mit sich. Die Auswahl erfolgte dabei zunächst unter einer heuristischen Prämisse: Es wurden ausschließlich zeitgenössisch gedruckte Quellen herangezogen, da auch nur diese die Voraussetzung erfüllten, dass sie als Referenzquelle einem weiten Kreis von Autoren zugänglich waren. Zudem verweisen diese Texte auf die Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren in einem öffentlichen Raum. Archivalien wurden in dieser Arbeit deshalb nur ergänzend hinzugezogen. Ein ausführlicher Abgleich mit solchen ungedruckten Quellen, die durchaus auch einer größeren Leserschaft zugänglich gewesen sein konnten, wäre sicherlich eine spannende Aufgabe für eine künftige Forschung, vor allem hinsichtlich der Frage, ob die Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren in einem solchen (stärker privaten) Kontext anders gelagert waren. Erfasst wurden zunächst alle Textzeugnisse, die sich im Untersuchungszeitraum exklusiv mit einer oder mehreren der drei Republiken beschäftigt haben oder diese Republiken zumindest im Titel führten. Grundsätzliche Prämisse war bei dieser Auswahl allerdings immer „der Blick von außen“, also die Beschreibung einer oder mehrerer Republiken von einem Autor, dessen (politische) Sozialisation nicht innerhalb desjenigen Freistaats erfolgt war, den er beschrieb. Als Textgattungen kristallisierten sich vor allem Reiseberichte und Staatsbeschreibungen heraus. Aus den Bezügen und Adaptionen in den Texten selbst ergab sich ein Rezeptionsraum, der Textzeugnisse in französischer, englischer, deutscher, italienischer, niederländischer und zum Teil lateinischer Sprache umfasst. Namentliche Verweise auf spanische, polnische, russische oder skandinavische Autoren oder Texte finden sich innerhalb dieses durch die intertextuelle Rezeption bestimmten Korpus nicht.⁴⁴
Vgl. dazu die Überlegungen von Margrit Pernau zu den Ausprägungen transnationaler Geschichtsschreibung. Pernau konstatiert als gemeinsames Anliegen dieser Ausprägungen „zu erforschen, wie sich Regionen begegnen und Verbindungen aufgebaut werden, es dabei zu vermeiden Differenzen festzuschreiben und sie stattdessen zu historisieren. […] Wissenschaftlich werden Gemeinschaften historisiert – sie sind nicht gegeben, sondern durch kommunikative Praktiken hervorgebracht und unterliegen stetem Wandel. Vor allem gehen die Gemeinschaften nicht länger den Transfer- und Austauschprozessen voraus, in dem Sinne, dass zwei bereits identifizierbare und beschreibbare Gemeinschaften in einem zweiten Schritt in Kontakt miteinander treten, sondern der Transfer ist konstitutiv: Erst er bringt die Gemeinschaften hervor.“ (Pernau, Margrit: Transnationale Geschichte. Göttingen (Grundkurs Neue Geschichte). S. f.). Das heißt nicht, dass es nicht auch spanische, polnische, russische oder skandinavische Staatsbeschreibungen und Reiseberichte gab, die sich mit den drei Republiken auseinandergesetzt haben. Eine solche Auseinandersetzung ist sogar wahrscheinlich und auch, dass diese
3 Quellenkorpus und Untersuchungszeitraum
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Um die in diesem Textkorpus auftretenden Aussagen zu kontextualisieren und als historisches Phänomen erklären zu können, wurden zudem historiographische, geographische und ökonomische Schriften ebenso hinzugezogen wie Nachschlagewerke und politiktheoretische Abhandlungen. Auch bildliche Darstellungen der drei Republiken wurden berücksichtigt, allerdings nicht systematisch erfasst und analysiert. Stichproben und vor allem die Frontispize der untersuchten Abhandlungen lassen allerdings die These zu, dass sich hier, im Gegensatz zu den in den Texten vorgebrachten Äußerungen, keine Modifikationen oder gar Brüche in der Darstellung erkennen lassen. Auch der Untersuchungszeitraum definiert sich induktiv aus den Quellen heraus und ist somit zugleich Ergebnis der Analyse. Mit den Aussagen über die drei Republiken bei den Commonwealthmen und Jean de Parivals (1605 – 1669) Les Délices de la Hollande ⁴⁵ von 1651 traten ab 1650 bis dahin dominante Elemente der Rezeption in den Hintergrund, wurden umgedeutet oder differenzierter und ausführlicher diskutiert. Die Eidgenossenschaft wurde überhaupt erstmals breiter als eigenständiges Gemeinwesen diskutiert. Insgesamt setzte eine zunehmend differenzierte Betrachtung der drei Republiken ein. William Temples (1628 – 1690) Observations upon the United Provinces of the Netherlands von 1673 und Amelot de la Houssayes (1634– 1706) Histoire du Gouvernement de Venise von 1676 bildeten gewissermaßen den Kulminationspunkt dieses modifizierten Sprechens über die
Autoren ebenfalls auf diskursprägende Texte wie Amelot de la Houssayes Venedigbeschreibung oder William Temples Abhandlung über die Vereinigten Provinzen rekurriert haben. Ein Abgleich mit solchen Texten wäre in einer weiterführenden Forschung sicherlich spannend. In der vorliegenden Arbeit wird aber nur nach Zuschreibungen, Deutungskonflikten und normativen Zielvorstellungen innerhalb eines spezifischen, sich durch gegenseitige Bezüge konstituierenden Rezeptionsraumes gefragt. Dieser induktiv bestimmte Rezeptionsraum deckt sich durchaus mit einem in der Forschung konstatierten „Aufklärungsraum“. So hält Gerrit Walther in seinem Artikel zur „Aufklärung“ in der Enzyklopädie der Neuzeit fest, dass die „entscheidenden Entwicklungen der Aufklärung sich daher innerhalb derjenigen europäischen Nationen, die führend an den politischen Konflikten der Epoche beteiligt waren, vollzogen: in den Vereinigten Niederlanden und in England, später in Frankreich und im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Von diesen Staaten erhielten die Aufklärer in Italien, Spanien und den osteuropäischen Nationen die prägenden Impulse.“ (Walther, Gerrit [u. a.]: Art. Aufklärung. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Hrsg. im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachwissenschaftlern von Friedrich Jaeger. Bd. 1. Stuttgart 2005. Sp. 791– 830. Sp. 794). Parival, Jean de: Les Delices de la Hollande, composés par le Sieur Jean de Parival. Leiden (chez Pierre Leffen).
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drei Republiken.⁴⁶ In der Folge blieben die Aussagen relativ stabil. Mit Montesquieus (1689 – 1755) De l’Esprit des lois (1748) und Humes (1711– 1776) Idea of a Perfect Commonwealth (1752) änderte sich das Spektrum möglicher Aussagen und deren Gewichtung um 1750 schließlich erneut. Die politische Verfasstheit wurde etwa stärker thematisiert als zuvor, Gewaltenteilung und Repräsentativsystem als Grundlagen von Freiheit und Stabilität ins Feld geführt. Dieser Untersuchungszeitraum wird in der vorliegenden Arbeit als „Frühaufklärung“ gefasst. Bei dem Begriff „Frühaufklärung“ handelt es sich um ein Epochenkonstrukt.⁴⁷ Es wird dabei nicht der Anspruch erhoben, dass dieser Terminus alle Phänomene einer bestimmten Zeitspanne präzise abbildet. Er soll vielmehr einer neuen Tendenz, nämlich einem verstärktem Wandel und einem Austesten neuer Deutungsangebote zwischen 1650 und 1750, Ausdruck verleihen. In der Forschung wurde in den letzten Jahren immer öfter von „Aufklärungen“ gesprochen, um den nationalen Ausprägungen und verschiedenen Strömungen gerecht zu werden.⁴⁸ Die vorliegende Arbeit ist sich dieser Pluralität bewusst.
Temple, William: Observations upon the United Provinces of the Netherlands. London (printed by A. Maxwell). Houssaye, Amelot de la: Histoire du Gouvernement de Venise. Paris (chez Frederic Leonard). In der Forschung hat sich das Phasenmodell (Früh-, Hoch-, Spätaufklärung) nicht unbedingt durchgesetzt. Es findet vor allem in den Studien Anwendung, die sich verstärkt mit Wissenschaftsgeschichte auseinandersetzen. Vgl. zusammenfassend Meyer, Die Epoche der Aufklärung, S. – ; Bödeker, Hans Erich: Strukturen der deutschen Frühaufklärung ( – ). Thesen. In: Strukturen der deutschen Frühaufklärung. Hrsg. von Dems. Göttingen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte ). S. – ). Andere unterteilen hingegen zudem die Frühaufklärung noch einmal, indem sie etwa von einer radikalen Aufklärung als einer Strömung der Frühaufklärung sprechen (am prominentesten Israel, Jonathan: Enlightenment Contested. Philosophy, Modernity, and the Emancipation of Man – . Oxford ). Zur Kritik am Begriff der „Frühaufklärung“ aus systemtheoretischer Sicht vgl. Stichweh, Rudolf: Zur Funktion der Universität für die deutsche Frühaufklärung. In: Bödeker, Strukturen der deutschen Frühaufklärung. S. 31– 43. Hier S. 31– 35: „Meinem Eindruck nach hat es wenig Sinn, von Frühaufklärung zu sprechen, wenn wir in einem Gegenstandsbereich eine Kontinuität von Wandlungsimpulsen und Wandlungsprozessen beobachten, die sich beispielsweise das 17. Jahrhundert hindurch evolutionär vollziehen und denen sich im 18. Jahrhundert weitere Wandlungsprozesse anschließen, die auf Resultaten früherer Transformationen aufruhen und diese erneut umformen. […] Ich denke, ‚Frühaufklärung‘ als Konzept ist nur produktiv einsetzbar, wenn überraschende Diskontinuitäten und vielleicht auch – in einem Kuhnschen Sinn – Anomalien vorkommen. Dabei würde es sich um kulturelle Elemente handeln, die in einem zeitgenössischen Kontext irgendwie deplaciert wirken – und die sich leichter aus erst später hinzukommenden Systembedingungen als auch irgendwelchen Antezedenzbedingungen erklären lassen.“ (S. 33). Dieser Denkanstoß wird mit in den Analyseteil der vorliegenden Arbeit getragen. Vgl. etwa Oz-Salzberger, Fania: New Approaches towards a History of the Enlightenment – Can Disparate Perspectives Made a General Picture?. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte
4 Forschungsstand
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Allerdings rechtfertigt die starke Vernetzung der hier betrachteten Autoren im Untersuchungszeitraum die These eines gemeinsamen Diskurses und damit auch den Begriff „Frühaufklärung“ im Singular.
4 Forschungsstand In der bestehenden Forschung existiert bereits eine geraume Zahl von Studien zu dem Bild Venedigs, der Niederlande oder der Schweiz in europäischen Reiseberichten der Frühen Neuzeit. Diese bleiben jedoch zumeist deskriptiv und auf das Bild einer spezifischen Republik beschränkt.⁴⁹ Die ältere Forschung fokussierte dabei verstärkt die Wahrnehmung nationaler Charaktereigenschaften durch die
(TAJB) (). S. – ; Pocock, John G.A.: Barbarism and Religion. Bde. Cambridge – . Zur Schweiz: Waeber, Hedwig: Die Schweiz des . Jahrhunderts im Urteil ausländischer Reisender. Dissertation. Bern ; Schirmer, Gustav: Die Schweiz im Spiegel englischer und amerikanischer Literatur bis . Zürich ; Vogt,Willi: Die Schweiz im Urteil einer Reihe von ausländischen Publikationen aus der ersten Hälfte des . Jahrhunderts. Zürich ; Feller, Richard: Die Schweiz des . Jahrhunderts in den Berichten des Auslandes. In: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte (). S. – ; Neueren Datums: Burckhardt, Andreas: A League of friendly States: Switzerland and its Confederation in the English Literature of the late th and th Centuries. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte (SZG) / (). S. – ; Morkowska, Marysia: Vom Stiefkind zum Liebling. Die Entwicklung und Funktion des europäischen Schweizbildes bis zur Französischen Revolution. Zürich ; Hentschel, Uwe: Mythos Schweiz. Zum deutschen literarischen Philhelvetismus zwischen und . Tübingen ; zu den Niederlanden: Murris, Roelof: La Hollande et les Hollandais au XVIIe et au XVIIIe siècles vue par les Français. Paris ; Brugmans, G.: Onder de loupe van het buitenland. Baarn ; Vrankrijker, Adrianus C.J. de: In andermans ogen. Utrecht ; Schmidt, Steffi: Die Niederlande und die Niederländer im Urteil deutscher Reisender. Eine Untersuchung deutscher Reisebeschreibungen von der Mitte des . bis zur Mitte des . Jahrhunderts. Siegburg (Quellen und Studien zur Volkskunde); Bientjes, Julia: Holland und die Holländer im Urteil deutscher Reisender – . Groningen ; Petri, Franz: Vom deutschen Niederlandebild und seinen Wandlungen. In: Rheinische Vierteljahresblätter (). S. – ; Dunthorne, Hugh: British Travellers in th-Century Holland: Tourism and the Appreciation of Dutch Culture. In: British Journal for Eighteenth-Century Studies (JECS) (). S. – ; Haley, Kenneth H. D.: The British and the Dutch. London ; Strien, Cornelis D. van: British Travellers in Holland during the Stuart Period. Edward Browne and John Locke as Tourists in the United Provinces. Leiden [u. a.] (Brill’s Studies in Intellectual History ); Chales de Beaulieu, Anja: Deutsche Reisende in den Niederlanden. Das Bild eines Nachbarn zwischen und . Frankfurt a.M. ; zu Venedig: Cladders, Brigitta: Französische Venedig-Reisen im . und . Jahrhundert. Wandlungen des Venedig-Bildes und der Reisebeschreibung. Genf (Kölner Romanistische Arbeiten ); Landwehr, Achim: Die Erschaffung Venedigs. Raum, Bevölkerung, Mythos – . Paderborn [u. a.] .
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jeweiligen europäischen Nachbarn und fragte weniger nach einer Wahrnehmung und Bewertung struktureller Gegebenheiten der frühneuzeitlichen Republiken.⁵⁰ Sie liefert dabei dennoch eine Fülle von Hinweisen auf interessantes Quellenmaterial. Bezüglich des hier betrachteten Untersuchungszeitraums stellten sich vor allem die Abhandlungen von Willi Vogt und Roelof Murris als gewinnbringende Materialsammlungen heraus.⁵¹ Explizit als Quellensammlungen verstehen sich die Bände von Charles Linsmayer und Kees van Strien.⁵² Dabei ediert van Strien zum ersten Mal eine Reihe von Material, das bisher nur in Manuskriptform vorlag. In der vorliegenden Untersuchung, die zeitgenössische publizierte Werke analysiert, wird dieses Quellenmaterial vergleichend hinzugezogen werden. Monographien und Aufsätze neueren Datums wie diejenigen von Delphine Montariol, Marysia Morkowska und Anja Chales des Beaulieu kommen selten über die Ebene der Beschreibung hinaus.⁵³ Morkowska rekonstruiert dabei „Stereotypen“ der frühneuzeitlichen Wahrnehmung mit Blick auf die Schweizer als Bevölkerungsgruppe und versucht, die soziologische Funktion dieser Stereotypen zu ergründen.⁵⁴ Wahrnehmungen und Diskussionen über die wirtschaftliche oder politische Struktur der Eidgenossenschaft diskutiert sie in ihrer Abhandlung kaum. Chales de Beaulieu greift solche Wahrnehmungen der deutschsprachigen Berichte des Untersuchungszeitraums über Reisen in die Vereinigten Provinzen
So ganz stark etwa Schmidt, Die Niederlande und die Niederländer. Vogt, Die Schweiz; Murris, La Hollande. Auch bei Schirmer, Die Schweiz (für den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit vor allem S. – ), Aeberhard, René: Die schweizerische Eidgenossenschaft im Spiegel ausländischer Schriften von bis zur Mitte des . Jahrhunderts. Dissertation. Zürich und Feller, Die Schweiz des . Jahrhunderts in den Berichten des Auslandes, S. – finden sich Hinweise auf Quellentexte. Fellers Analyse ist vor allem von einer Bewertung der einzelnen Darstellungen in Bezug auf ihren Realitätsgehalt einer genauen Abbildung der historischen Situation geprägt. Schirmers Abhandlung ist – wohl dem großen Untersuchungszeitraum geschuldet – vor allem eine Art Aufzählung jeweils kurz charakterisierter Texte, die irgendeinen Verweis auf die Eidgenossenschaft aufwiesen. Linsmayer, Charles: Umgang mit der Schweiz. Nichtschweizer über die Schweiz und ihre Erfahrungen mit ihr. Frankfurt a.M. ; Strien, Kees van: Touring the Low Countries. Accounts of British Travellers, – . Amsterdam . Vgl. auch für die zweite Hälfte des . Jahrhunderts von Dems.: De Ontdekking van de Nederlanden. Britse en Franse reizigers in Holland en Vlaanderen, – . Amsterdam . Montariol, Delphine: „Nous voulons être libres comme nos pères l’étaient“. Les Suisses dans les écrits français des XVIe et XVIIe siècles. In: Genève et la Suisse dans la Pensée Politique. Actes du Colloque de Genève ( – septembre ). Hrsg. von der Association française des historiens des idées politiques. Aix-en-Provence (Collection d’Histoire des Idées Politiques XVIII). S. – ; Morkowska, Vom Stiefkind; Chales de Beaulieu, Deutsche Reisende. Morkowska, Vom Stiefkind. Eine Zusammenfassung ihrer Ergebnisse findet sich auf S. – .
4 Forschungsstand
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der Niederlande sehr wohl auf, ordnet diese Ergebnisse aber nicht in den Kontext einer oder mehrerer übergeordneter Debatten ein, sondern legt ihren Schwerpunkt vielmehr auf die Verbindung von geographischer und konfessioneller Herkunft der Reisenden und den inhaltlichen Gewichtungen ihrer Berichte.⁵⁵ Auch Kees van Striens Studie über britische Reiseberichte mit Blick auf die Niederlande reflektiert die Aussagen der Reisenden über wirtschaftliche und politische Strukturen und birgt vor allem spannende Einsichten in das Genre der Reiseliteratur des 17. Jahrhunderts.⁵⁶ Dabei liegt der Fokus neben der Darstellung der inhaltlichen Kernaussagen der Quellentexte vor allem auf den Reisenden selbst sowie den Bedingungen und Wegen ihrer Reise. Ein „poetologischer Wandel“, der sich im Medium des Reiseberichts gegen Ende des 17. Jahrhunderts vollzieht, ist auch bei Brigitta Cladders das ausschlaggebende Erklärungsmoment für einen Wandel des Venedigbildes in französischen Reiseberichten um 1700.⁵⁷ Überzeugend stellt sie in ihrer Studie die Übernahme tradierter Topoi und Beschreibungsmuster durch französische Venedigreisende im 16. und 17. Jahrhundert dar und verweist auf den Bruch, der sich in der Reiseliteratur über Venedig gegen Ende ihres Untersuchungszeitraums vollzieht. Cladders Abhandlung stellt damit eine wichtige Grundlage für die hier vorliegende Arbeit dar und endet mit dem Verweis auf den Diskursbruch, an dem diese ansetzen wird. Eine Einordnung der Ergebnisse in den Kontext der politischen Ideengeschichte erfolgt allerdings sowohl in Cladders als auch in van Striens und in den übrigen bisher genannten Studien nicht. Darüber hinaus ziehen die meisten Abhandlungen, die sich mit der frühneuzeitlichen Wahrnehmung der drei Republiken beschäftigen, als Grundlage ihrer Analyse keine anderen Textsorten als Reiseberichte heran.⁵⁸ Will man einen breiteren (politischen) Diskurs ausloten, so ist dies aber notwendig.
Chales de Beaulieu, Deutsche Reisende. Van Strien, British Travellers. Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. . Cladders betont, dass die Ende des . Jahrhunderts verstärkt auftretenden kritischen Äußerungen über die Lagunenstadt vor allem in der Form des Reisebriefes getätigt werden. Diese Gattung, die einen stärker erzählenden als deskriptiven Charakter aufweist, habe die „Behandlung neuer und anderer Themen, größere Subjektivität und auch Kritik“ ermöglicht (S. ). Begünstigt worden sei diese Entwicklung zudem durch einen „epistemologischen Umbruch“ und eine „enorme Zunahme der [französischen] Bildungs- und Vergnügungsreisen“ nach Italien (S. ). Eine andere Textsorte untersucht erfreulicherweise Ina Paul. Sie analysiert (allerdings längst nicht umfassend) die Stereotypenbildung mit Blick auf die Schweizer Eidgenossenschaft in einschlägigen Enzyklopädien des späten . und . Jahrhunderts: Paul, Ina: Niemals ohne Gewähr. Über die Quellen nationaler Eigen- und Fremdbilder in europäischen Enzyklopädien und Universallexika. In: Allgemeinwissen und Gesellschaft. Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und Enzyklopädische Ordnungssysteme des . bis . September in
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Andreas Burckhardt, Zera Fink und John Eglin haben dies mit Blick auf politische Debatten in England in ihren Studien getan.⁵⁹ Während Burckhardt in einer Art zusammenfassendem Überblick die Funktion und Art des Schweizrekurses in englischen Diskussionen des späten 17. und 18. Jahrhundert skizziert und dabei vor allem die Themenkreise Demokratie, Republik, Staatenbund, Tugend und Milizwesen als Referenzpunkte relativ selten auftretender Verweise auf die Eidgenossenschaft ausmachen kann, widmen sich Fink und Eglin der Rolle Venedigs im selben Diskussionsrahmen. Zera Fink legt den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf das 17. Jahrhundert und behandelt in ihrem Aufsatz vor allem James Harringtons und John Miltons Sicht auf die Serenissima. Eglin knüpft mit seiner Monographie zeitlich und thematisch an Zera Fink an und zeigt überzeugend verschiedene politische Argumentationsmuster auf, innerhalb derer Venedig in der englischen Debatte des späten 17. und 18. Jahrhunderts auftauchte. Dabei betont er auch die immer wichtiger werdende Rolle Venedigs als Modell und Adaptionsrahmen in einem vielmehr sozio-kulturellen Kontext.⁶⁰ Er deutet also einen Funktionswandel des Modells Venedigs an. Dieser spannenden These gilt es in der vorliegenden Arbeit weiter nachzugehen. Jüngst hat zudem Martin Fröhlich seine Dissertationsschrift zu Venedig als „politisches Argument“ bei Machiavelli,
Prangings. Hrsg. von Paul Michel [u. a.]. Aachen . Die ältere Forschung hat in ihrer deskriptiven Erfassung möglicher Aussagen hingegen noch etwa Staatsbeschreibungen mit berücksichtigt. Siehe z. B. Vogt, Die Schweiz; Schirmer, Die Schweiz; Murris, La Hollande. Burckhardt, A League of Friendly States, S. – ; Fink, Zera: Venice and English Political Thought in the Seventeenth Century. In: Modern Philology / (). S. – ; Eglin, John: Venice Transfigured. The Myth of Venice in British Culture, – . New York . Der Rolle der Niederlande als Vorbild für England in einem wirtschaftlichen Kontext der englischen Debatte des frühen 17. Jahrhunderts nähert sich darüber hinaus in Ansätzen Elsa Pouget-Pomar im letzten Teil ihres Aufsatzes Économie et protestantisme: Qui inspire le commerce en Angleterre? L’influence des Provinces-Unies. In: Protestantisme(s) et autorité. Hrsg. von Françoise Knopper [u. a.]. Toulouse 2005. S. 235 – 241. Mit Blick auf die französische politische Diskussion hat Géraldine Cazals in einem Aufsatz eine erste Analyse der Funktion des Schweizer Modells unternommen. Sie beschränkt ihre Analyse auf das 16. Jahrhundert und behandelt vornehmlich die Texte Jean Bodins. Siehe Cazals, Géraldine: Genève et les Cantons Suisses vus de France au XVIe siècle: des modèles exemplaires de républiques?. In: Genève et la Suisse dans la pensée politique. Actes du Colloque de Genève (14– 15 septembre 2006). Hrsg. von Giovanni M.G. Busiono [u. a.], sous le haut patronage de Christian Poncelet et Rolf Büttiker. Aix-Marseille 2007 (Association Française des Historiens des idées politiques. Collection d’Histoire des Idées Politiques XVIII). S. 71– 87. Siehe vor allem Eglin, Venice Transfigured, S. – .
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Harrington und Montesquieu publiziert. Seine Interpretation bleibt allerdings textimmanent und gestaltet sich nicht als weiterführender Forschungsbeitrag.⁶¹ Dem Ansatz, Reiseberichte als Teil und im Zusammenhang einer umfassenderen politischen Debatte zu begreifen, ist bis jetzt vor allem Madeleine van Strien-Chardonneau in ihrer Monographie zu französischen Reisenden in die Niederlande nachgegangen.⁶² Auch wenn ihr Schwerpunkt klar auf der Analyse der Reiseberichte, den Reisenden und den Umständen der Reise liegt, so untersucht sie die Berichte auch in Verbindung mit weiteren politischen und historischen Traktaten sowie politiktheoretischen Abhandlungen desselben Zeitraums. Sie versucht so die Aussagen der Reisenden im „cadre où ils s’inscrivent“ darzustellen.⁶³ Dabei liegt ihr Fokus klar auf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ihre Ergebnisse liefern auf diese Weise eine interessante Perspektive, um ausloten zu können, wie sich der Diskurs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickeln wird. Alle diese Abhandlungen bieten einen guten ersten Zugang sowie interessante Quellenverweise für die dieser Arbeit zugrundeliegende Fragestellung. Allerdings bleibt deren jeweiliges Untersuchungsfeld auf die englische beziehungsweise französische Debatte und immer jeweils auf eine Republik als Gegenstand der Aussagen beschränkt. Letzteres ist auch bei Achim Landwehr der Fall, der im dritten Teil seiner Habilitationsschrift zu Venedig allerdings der Frage nach der Wahrnehmung Venedigs in englisch-, deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Texten des 16. bis 18. Jahrhunderts nachzugehen sucht und damit das Untersuchungsfeld auf eine transnationale Debatte hin ausweitet.⁶⁴ Die Jahrzehnte um 1700 kristallisieren sich in Landwehrs Studie als Kernzeit diskursiver Brüche mit Blick auf eine gesellschaftliche Wissens- und Wirklichkeitsproduktion heraus – auch hinsichtlich der Wahrnehmung Venedigs im europäischen Diskurs. Es sei nämlich in den europäischen Reiseberichten und Traktaten des 18. Jahrhunderts gerade das Ausbleiben emphatischer Hinweise auf Elemente des seit 1500 in Selbst- und Fremdwahrnehmung verdichteten venezianischen Mythos, das auf einen Bruch verweise. So deutet er hier die „Lücke“ in der historischen
Siehe Fröhlich, Martin: Mysterium Venedig. Die Markusrepublik als politisches Argument in der Neuzeit. Bern (Freiburger Studien zur Frühen Neuzeit ). Strien-Chardonneau, Madeleine van: Récits de voyageurs français dans les Provinces-Unies, – . Oxford (Studies on Voltaire and the Eighteenth Century ). Strien-Chardonneau, Le Voyage de Hollande, S. . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – ; Vgl. auch die Rezension der Autorin zu Landwehrs Studie: Weeber, Urte: Rez. Achim Landwehr. Die Erschaffung Venedigs. Raum, Bevölkerung, Mythos – . Paderborn . http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/rezensionen/ – - (. . ).
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Überlieferung als Indikator für einen diskursiven Bruch um 1700. Allerdings werde dieser Bruch auch anhand klarer kritischer Aussagen ausländischer Reisender deutlich, die ab 1675 immer stärker auftraten.⁶⁵ Warum aber, so fragt Landwehr, werden solche Aussagen erst ab dem Ende des 17. Jahrhunderts möglich, wenn doch etwa die wirtschaftliche Blüte Venedigs bereits seit 100 Jahren stagnierte und auch die militärischen Erfolge seit längerem ausblieben? Sein Erklärungsansatz – und damit wendet er sich auch gegen das in der Forschung immer noch verbreitete Narrativ vom tatsächlichen Niedergang Venedigs⁶⁶ – liegt dabei weniger bei konkreten Ereignissen, als vielmehr in der Veränderung des Mediums des Reiseberichtes am Ende des 17. Jahrhunderts.⁶⁷ Eine „Sättigung des Buchmarktes“⁶⁸ sowie der Einzug „erkenntnistheoretischer Werkzeuge wie dem methodischen Zweifel und der wissenschaftlich inspirierten Kritik“⁶⁹ in diese Form der Wissensproduktion hätten maßgeblich zu einem veränderten Bild von Venedig beigetragen und damit auch erneut eine andere Wirklichkeit geschaffen. Anders als bei der Erschaffung des „Mythos Venedigs“, so wird es in Landwehrs Ausführungen deutlich, verläuft die Entwicklung dieses Prozesses aber in umgekehrter Richtung: weg vom bildenden Staat, der Historiographen bewusst beauftragt, hin zu einem neuen gesellschaftlichen Staatsbildungsprozess. Während Landwehr seine Quellenauswahl durchaus breiter gestaltet, diese Auswahl allerdings nicht hinreichend reflektiert und legitimiert, unterlässt er doch eine Einordnung des Gesamtphänomens in einen breiteren europäischen Kontext. Gibt es diesen Bruch auch in den Aussagen über andere europäische Republiken oder andere europäische Staaten? Sind die kritischen Aussagen der hier behandelten Autoren Teil übergeordneter Debatten über Freiheit, wirtschaftlichen Erfolg und Stabilität des Staates und ist Venedig damit nur eine Diskussionsfolie unter vielen? Eine solche Einordnung in einen übergeordneten Kontext erscheint durchaus sinnvoll. Die vorliegende Arbeit leistet dies und will auf diese Weise mehr interdiskursive Zusammenhänge und damit auch mehr Gründe für den diskursiven Bruch um 1700 aufzeigen. Sie fragt zudem, ob dieser Bruch auch hinsichtlich der Aussagen über die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft zu konstatieren ist. Hier soll auf diese Weise ein Weg fortgesetzt und vertieft werden, den jüngst einige Studien begonnen haben. So wurden bisher einige wenige Autoren und ihre
Siehe Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – . Vgl. z. B. Rösch, Gerhard: Venedig. Geschichte einer Seerepublik. Stuttgart . Dasselbe Argument findet sich, wie oben bereits erwähnt, bei Brigitta Cladders. Siehe vor allem Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. – . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. .
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Darstellungen der Republiken genauer untersucht und deren Aussagen mit Blick auf übergeordnete europäische Debatten hin interpretiert. Istvan Hont wertet etwa William Temples Traktat Observations upon the United Provinces of the Netherlands von 1673 als klaren Ausdruck und gleichzeitig selbst auf den Diskurs wirkenden Text einer am Ende des 17. Jahrhunderts veränderten Debatte über wirtschaftliche Erfolgsstrategien einzelner Staaten und politische Abhängigkeiten von einem internationalen Markt.⁷⁰ David W. Carrithers untersucht hingegen in seinem Aufsatz Montesquieus Venedig-Darstellung als Teil eines politischen Diskurses über Verfassungsformen und -stabilität und begründet dessen kritische Aussagen über die Serenissima mit der Verfügbarkeit des nun entstandenen, positiven englischen Gegenmodells.⁷¹ Montesquieus wichtigste französischsprachige Quelle für die venezianischen Strukturen und Verhältnisse, Amelot de la Houssaies Histoire du gouvernement de Venise (1676), ist sicher der am stärksten erforschte Text.⁷² Aufschlussreich ist dabei vor allem die Analyse von David Wootton, der in seinem Aufsatz Ulysses Bound? Venice and the Idea of Liberty from Howell to Hume (1994) als erster Amelots Text im Vergleich mit anderen europäischen Texten und ihren Aussagen über Venedig zwischen 1650 und 1750 vergleicht.⁷³ Gemäß Wootton war Amelots Traktat exemplarisch und diskursprägend für diese Zeitspanne, in welcher der „Mythos Venedigs“ in einen „Anti-Mythos“ verkehrt worden sei.⁷⁴ Diese Umkehrung resultierte, so Woottons These, aus einer durch den Jansenismus hervorgerufenen „intellektuellen Revolution“, die fortan die langfristige Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten sowie den Einbezug der Kenntnisse über menschliche Leidenschaften im politischen Entscheidungsprozess forderte.⁷⁵ Venedig war im Sinne einer solchen „sociological conception of
Hont, Istvan: Jealousy of Trade. International Competition and the Nation-State in Historical Perspective. Cambridge (Mass.) [u. a.] . S. – . Carrithers, David W.: Not so Virtuous Republics: Montesquieu, Venice, and the Theory of Aristocratic Republicanism. In: Journal of the History of Ideas (JHI) / (). S. – . Siehe Fink, Zera: The Classical Republicans. An Essay in the Recovery of a Pattern of Thought in Seventeenth-Century England. . Aufl. Evanston . S. – ; Stapelbroek, Koen/ Trampus, Antonio: Commercial reform against the Tide: Reapproaching the Eighteenth-Century Decline of the Republics of Venice and the United Provinces. In: HEI (). S. – . Hier S. f. Wootton, David: Ulysses Bound? Venice and the Idea of Liberty from Howell to Hume. In: Republicanism, Liberty, and Commercial Society – . Hrsg. von Dems. Stanford . S. – . Wootton selbst verwendet den Terminus „anti-myth“, bezeichnet ihn aber auch zugleich als nicht hinreichend, um diese Diskursveränderung zu erfassen. Siehe Wootton, Ulysses Bound?, S. . Wootton, Ulysses Bound?, S. f.
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power“ kein erfolgreiches Modell mehr und die Destruktion des Mythos folglich „an index of how Europe’s intellectual life had been silently and indeed quite suddenly transformed in the century between Howell and Hume“.⁷⁶ David Wootton analysiert also die Rezeption Venedigs in dem für die vorliegende Arbeit interessanten Zeitraum als Teil einer übergreifenden politischen und soziologischen Debatte. Hier gilt es anzuknüpfen und den Blick auf einen breiteren Kreis von Autoren sowie auf die Darstellungen der anderen beiden zeitgenössisch bekanntesten Republiken, die Vereinigten Provinzen der Niederlande und die Schweizer Eidgenossenschaft, zu richten. Thomas Maissen hat in einem 2010 erschienenen Aufsatz die Wahrnehmung der Schweizer Eidgenossenschaft im frühneuzeitlichen Europa unter dem Gesichtspunkt der Tugend systematisch erfasst.⁷⁷ Auch Maissen weitet dabei das Untersuchungsfeld auf einen breiteren, europäischen Autorenkreis aus und auch er konstatiert die Jahre um 1700 als entscheidenden Zeitpunkt, an dem stereotype Darstellungen von effeminierten „Kuhschweizern“ und tugendhaften Kriegern durch die Einbindung in internationale Gelehrtendebatten einem differenzierten Bild von der Eidgenossenschaft weichen. Die Rolle der Schweiz in der europäischen Diskussion habe damit einem „Laboratorium“ geglichen, „das von in- und ausländischen verwendet [wurde], um den angemessenen Umgang mit den zivilisatorischen Veränderungen zu diskutieren“.⁷⁸ Der Fokus von Maissens Analyse liegt dabei auf dem internationalen und innerschweizer Tugenddiskurs, auf der Einordnung der Bilder von der Schweiz oder besser hier den Schweizern in eine übergeordnete moralphilosophische Debatte. Die Wahrnehmung struktureller, politischer und wirtschaftlicher Gegebenheiten des eidgenössischen Gemeinwesens in der europäischen Debatte spielt in dieser Abhandlung keine Rolle und auch hier erfolgt kein Vergleich mit Diskussionen über Venedig oder die Niederlande. Der ebenfalls 2010 erschienene Band der Zeitschrift History of European Ideas zu dem Themenschwerpunkt Dutch Decline in Eighteenth Century Europe widmet sich den Niederlanden und macht das zeitgenössisch wie auch in der heutigen Forschung verbreitete Narrativ vom „Niedergang“ der Vereinigten Provinzen im
Wootton, Ulysses Bound?, S. und S. . Maissen, Thomas: Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden. Ausländische und schweizerische Voraussetzungen des internationalen Tugenddiskurses um . In: Reichtum und Armut in den schweizerischen Republiken des . Jahrhunderts. Akten des Kolloquiums vom . – . November in Lausanne. Hrsg. von André Holenstein [u. a.]. Genf (Travaux sur la Suisse des Lumières XII). S. – . Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. .
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18. Jahrhundert zum Gegenstand.⁷⁹ In seinem einleitenden Artikel plädiert der Herausgeber des Bandes, Koen Stapelbroek, für eine verstärkte Analyse der Diskussion über die Niederlande in europäischen Debatten des 18. Jahrhunderts. Er verweist auf die Chance, die eine solche Analyse für die Erkenntnis europäischer Reformprozesse in den Feldern politischer Kultur und wirtschaftlicher Institutionen, ja generell bezüglich der „history of state-building within Europe“ bieten kann.⁸⁰ Seine eigene These, dass die zeitgenössischen Kommentatoren den „niederländischen Niedergang“ generell als Manifestation der durch Handelskonkurrenzen ausgelösten Transformationsprozesse in Europa bewertet haben, beruht allerdings zunächst nur auf der Analyse einiger weniger Autoren, vornehmlich Bernard Mandevilles (1670 – 1733) and George Blewitts.⁸¹ Auch die übrigen Artikel betrachten dieses Phänomen punktuell bei einem oder wenigen Autoren⁸² oder fokussieren jeweils eine konkrete politische (Reform‐)Debatte in Venedig und England.⁸³ Mit Ausnahme des Artikels von Koen Stapelbroek und Antonio Trampus in diesem Band, der gegenüberstellend versucht, Aussagen über den Niedergang Venedigs und über den Niedergang der Niederlande aus der konkreten diplomatischen Praxis und rechtlichen Diskussionen heraus zu erklären,⁸⁴ ist auch hier kein Aufsatz vergleichend angelegt. Auch diese Veröffentlichung betont das aktuelle Interesse der Forschung an der hier verfolgten Fragestellung, leistet aber noch keinen umfassenden und vor allem komparativen Beitrag. Ein solcher fehlt bisher völlig.
Stapelbroek, Koen (Hrsg.): Dutch Decline in Eighteenth Century Europe = HEI / (). S. – . Hinsichtlich des Erzählmusters „Dutch Decline“ siehe auch Velema, Republicans, S. – . Stapelbroek, Koen: Dutch Decline as an European Phenomenon. In: Dutch Decline, S. – , S. . Stapelbroek, Dutch Decline, S. . Blom, Hans: Decay and the Political Gestalt of Decline in Bernard Mandeville and his Dutch Contemporaries. In: Stapelbroek, Dutch Decline, S. – ; Levillain, Charles-Edouard: Glory without Power? Montesquieu’s Trip to Holland in and his Visions of the Dutch Fiscal Military State. In: Stapelbroek, Dutch Decline, S. – ; Stapelbroek, Koen/Stamhuis, Ida H./Klep, Paul M.M.: Adriaan Kluit’s Statistics and the Future of the Dutch State from an European perspective. In: Stapelbroek, Dutch Decline, S. – ; McDaniel, Iain: Enlightened History and the Decline of Nations: Ferguson, Raynal, and the Contested Legacies of the Dutch Republic. In: Stapelbroek, Dutch Decline, S. – . Ahn, Doohwan: The Anglo-French Treaty of Commerce of : Tory Trade Politics and the Question of Dutch Decline. In: Stapelbroek, Dutch Decline, S. – ; Stapelbroek, Commercial reform, S. – . Stapelbroek, Commercial reform.
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Diesem Anliegen am nächsten kommt bisher in seiner Anlage ein 2009 erschienener Aufsatz von Richard Whatmore.⁸⁵ Auch wenn das Ziel seiner Abhandlung vornehmlich die Untersuchung der Wahrnehmung Großbritanniens als Schutzmacht der kleinen Republiken im Europa des 18. Jahrhunderts ist,⁸⁶ deckt Whatmore doch vor allem in der ersten Hälfte seines Artikels zunächst einmal Argumente und Wahrnehmungsmuster der europäischen Diskussion hinsichtlich dieser kleinen Republiken auf und ordnet diese überzeugend in eine übergeordnete Debatte um nationalen Erfolg in einem internationalen Handelswettbewerb ein. Whatmores Aufsatz liefert so wichtige Impulse für die vorliegende Arbeit, vor allem mit seiner These, dass der Faktor Größe (des Territoriums und des wirtschaftlichen Handlungsraumes der Gemeinwesen) in den politischen Debatten des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle gespielt habe. Der Schwerpunkt des Aufsatzes liegt allerdings auf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im zweiten Teil auf einer Rekonstruktion der Überlebensstrategien, die in den Republiken – hier exemplarisch in der Schweiz und in Genf – angesichts der veränderten politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Europa entwickelt wurden.⁸⁷ Die vorliegende Untersuchung stellt die These auf, dass eine deutlich veränderte, differenzierte Diskussion über die Republiken als Ausdruck und Index für die Auseinandersetzung mit diesen veränderten politischen und wirtschaftlichen Strukturen gewertet werden kann. Diese Auseinandersetzung war von einem starken Gestaltungsoptimismus geprägt und setzte bereits deutlich früher, nämlich Mitte des 17. Jahrhunderts, ein. In der Forschung fehlt bisher eine Analyse, die Aussagen über zeitgenössische Republiken miteinander vergleicht. Es gibt zudem keine Studie, die den intertextuellen Rezeptionsraum, in dem diese Auseinandersetzung mit den Republiken stattfand, hinreichend bestimmt. Die Einordnung und Interpretation der Aussagen über zeitgenössische Republiken vor dem Hintergrund parallel verlaufender Debatten bleibt zudem meistens aus. Die vorliegende Abhandlung füllt diese Lücken.
Whatmore, Richard: „Neither Masters nor Slaves“: Small States and Empires in the Long Eighteenth Century. In: Proceedings of the British Academy (PBA) (). S. – . Whatmore, „Neither Masters Nor Slaves“, S. . Hinsichtlich dieser Überlebensstrategien der Republiken selbst und auch als Ausblick darauf, welche Rolle die jeweils anderen Republiken als Folien in diesen Strategie- oder Reformdebatten spielen können, ist der folgende Sammelbandbeitrag von Béla Kapossy sehr erhellend: Kapossy, Béla: Republican Futures: The Image of Holland in th-Century Swiss Reform Discourse. In: The Republican Alternative. The Netherlands and Switzerland compared. Hrsg. von André Holenstein [u. a.]. Amsterdam . S. – .
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5 Methodische Vorbemerkungen und historischer Kontext Dabei versteht sich diese Untersuchung als historische Diskursanalyse in einem weit gefassten Sinn und ohne alle Kriterien und Ansätze einer bestimmten Tradition zu übernehmen.⁸⁸ Ein Diskurs wird dabei in Anlehnung an Michel Foucault als ein durch Machtstrukturen geprägtes Regelgeflecht verstanden, welches die Grenzen des Sagbaren vorgibt.⁸⁹ Der Diskurs wird folglich als erfahrungsstrukturierende und handlungsorientierende Instanz betrachtet.⁹⁰ Gleichförmige und sich wiederholende Aussagen, die sich systematisch einem Thema zuordnen
Vgl. grundsätzlich dazu Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse. Frankfurt a.M. [u. a.] (Historische Einführungen ). Zumeist werden drei verschiedene Stränge der Diskursgeschichte/Historischen Semantik unterschieden: ) Die französische Tradition der Diskursgeschichte, die sprachliche Sinnkonstituierungen und Wissensnormierungen vor allem über Bedeutungsfelder und Sinnverknüpfungen zu ermitteln suchte (etwa Pêcheux, Michel: L’inquiétude du discours. Hrsg. von Denise Maldidier. Paris ). ) Die anglo-amerikanische Cambridge School (grundlegend: Skinner, Quentin: Meaning and Understanding in the History of Ideas. In: History and Theory (). S. – und Pocock, John G.A: Languages and Their Implications: the Transformation of the Study of Political Thought. In: Ders.: Politics, Language and Time: Essays on Political Thought and History. London . S. – ) und ) die deutsche Version von Diskursgeschichte, die die Tradition der Begriffsgeschichte mit Fragen der symbolischen Kommunikation und einer metaphorologischen Analyse nach Hans Blumenberg zusammenbringt.Vgl. hierzu insgesamt den guten Überblick bei Bödeker, Hans Erich: Ausprägungen der historischen Semantik in den historischen Kulturwissenschaften. In: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Hrsg. von Dems. Göttingen (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft ). S. – . Philipp Sarasin unterstreicht in seiner Studie, dass eine Diskursanalyse grundsätzlich nicht als Methode, sondern vielmehr als „theoretische Haltung“ zu verstehen sei: „Diskursanalyse beziehungsweise Diskurstheorie ist keine Methode, die man „lernen“ könnte, sondern sie erscheint mir eher als eine theoretische, vielleicht sogar philosophische Haltung.“ (Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt a.M. . S. ). Die Arbeit versteht sich auf diese Weise grundsätzlich auch als Teil einer politischen Kulturgeschichte, deren Ziel die „Rekonstruktion von Diskursen, Praktiken und Objektivationen, in denen sich die zeitgenössischen Bedeutungsstrukturen greifen lassen“, ist. (Stollberg-Rilinger, Barbara: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?. In: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen. Hrsg. von Ders. Berlin 2005 (Zeitschrift für Historische Forschung 35). S. 9 – 21. S. 13.) Vgl. dazu Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France. . Dezember . Aus dem Französischen von Walter Seitter, mit einem Essay von Ralf Konersmann. . Auflage. Frankfurt a.M. . Vgl. dazu auch Jung, Zeichen des Verfalls, S. , der die Diskursanalyse als „Hermeneutik mit einem bestimmten Erkenntnisinteresse“ fasst.
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lassen, formieren einen solchen Diskurs.⁹¹ Ein Diskurs ist dabei immer historisch bedingt. Es lassen sich Veränderungen erkennen, datieren und erklären. Das analytische Vokabular, das im Folgenden angewandt wird, um diese Veränderungen zu beschreiben, orientiert sich an Foucault. Eine Modifikation des Aussagenspektrums meint hier eine Veränderung: neue Aussagen können etwa auftreten, andere wiederum, die bis dato möglich waren, tauchen nicht mehr auf. Wird von den Rändern des Diskurses gesprochen, so meint dies, dass neue Aussagen erst vereinzelt auftauchen, die Formationsregeln sich also langsam modifizieren, diese Aussagen aber in den meisten Texten noch nicht zu finden sind.Von einem diskursiven Bruch wird dann gesprochen, wenn das Spektrum möglicher Aussagen sich auffällig stark ändert. Wird ein Autor oder Text als diskursbestimmend oder -prägend klassifiziert, so meint dies hier, dass seine Aussagen in der Folge immer wieder und oft auch unter explizitem Verweis auf ihn aufgegriffen werden. Aussagen werden dabei von individuellen Äußerungen unterschieden. Während diskursive Regeln eine endliche Menge von Aussagen bedingen, können diese Aussagen in einer unendlichen Menge von individuellen Äußerungen erscheinen.⁹² Eine historische Diskursanalyse kann, wenn sie Transformationsprozesse umfassend beschreiben und analysieren will, nur mit einer weiten Perspektive arbeiten. Im Folgenden findet sich ein Untersuchungszeitraum von 100 Jahren. Zudem wird die „Vorgeschichte“ berücksichtigt, um Veränderungen adäquat benennen und einordnen zu können. Dabei werden jeweils in einem ersten Schritt mögliche Aussagen zunächst beschrieben, bevor in einem zweiten Schritt nach den diskursiven Formationsregeln dieser Aussagen gefragt wird.⁹³ Um benennen zu können, auf welche Traditionen sich die Aussagen über Venedig, die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft zwischen 1650 und 1750 beziehen, inwiefern sie von vorher möglichen Aussagen abweichen oder nicht und welche Elemente neu hinzukommen, gilt es im ersten Teil der Arbeit die Rezeption der drei Republiken vor 1650 darzulegen. Zwischen 1650 und 1676 werden die möglichen Aussagen über Venedig und die Vereinigten Provinzen der Niederlande modifiziert, um neue Aspekte erweitert und vereinzelt erstmals unter
Vgl. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Übersetzt von Ulrich Köppen. Frankfurt a.M. . S. f.; Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. f. Vgl. Foucault, Archäologie des Wissens, S. . Vgl. dazu Foucault, Archäologie des Wissens, S. – : „So erscheint das Vorhaben einer reinen Beschreibung der diskursiven Ereignisse als Horizont für die Untersuchung der sich darin bildenden Einheiten. […] Die Beschreibung der diskursiven Ereignisse stellt eine völlig andere Frage [als die Sprachanalyse]: wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?“
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umgekehrten Vorzeichen getätigt. Die Eidgenossenschaft wird zum ersten Mal breiter als eigenständiges Gemeinwesen diskutiert. Der zweite Teil der Arbeit analysiert diese Phänomene und stellt die wirkmächtigsten Texte vor. Ausgehend von der Hypothese, dass die möglichen Aussagen zwischen 1676 und 1750 stabil blieben, also keine entscheidenden Veränderungen aufwiesen, analysiert und interpretiert der dritte Teil der Arbeit die möglichen Aussagen hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden normativen Zielvorstellungen. Mit Montesquieus De l’Esprit des Lois (1748) und Humes Idea of a Perfect Commonwealth (1752) ändert sich das Spektrum und die Gewichtung der möglichen Aussagen erneut. Die Analyse dieser beiden Abhandlungen bildet daher den vierten Teil der vorliegenden Arbeit, bevor in der Schlussbetrachtung die Ergebnisse zusammengefasst und vor allem Erklärungsmomente für den dargelegten Transformationsprozess benannt werden sollen. Ein Ausblick auf sagbare Aussagen und deren textliche Referenzpunkte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildet sodann den Schlusspunkt. In der Analyse gilt es sowohl die Individuen, die sich äußern, als auch den Kontext unbedingt zu berücksichtigen.⁹⁴ Dieser gibt gerade die Grenzen des Sagbaren vor und konstituiert dessen Möglichkeitsbedingungen. Wesentlichen Einfluss auf die Prämisse der Kontextualisierung politischer Ideen hatte in der Folge des linguistic turn die sogenannte Cambridge School, die gewissermaßen als „anglo-amerikanische Version der Diskursgeschichte“ verstanden werden kann.⁹⁵ Jeder Sprechakt wird hier als Handlung verstanden. So wird politisches Schreiben und Sprechen zugleich als politisches Handeln verstanden.⁹⁶ Allerdings wird hier dem sprachlichen Kontext als Bezugsrahmen, der den Einzelnen bei ihren Äußerungen zur Verfügung steht, deutlich mehr Gewicht beigemessen als etwa dem sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Kontext. Dies ist sowohl bei Quentin
Vgl. dazu auch Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. – . Auch wenn die Diskursanalyse die Autonomie des Individuums im Sinne einer Unabhängigkeit von Diskursen negiert, so ergeben sich doch „durch das Nebeneinander verschiedener diskursiver Formationen, durch die Konkurrenz und die Verknüpfungsmöglichkeiten, die zwischen ihnen bestehen, zahlreiche individuelle Positionierungsmöglichkeiten, die je eigene Formen der Aussage und der Wahrnehmung zulassen.“ (Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. ). Bödeker, Ausprägungen der Historischen Semantik, S. . Die Entstehung dieser eigenen Tradition der Cambridge School wird auf die er datiert. Neben Quentin Skinner und John Pocock gilt es dabei zahlreiche weitere Historiker wie John Dunn, Anthony Pagden, Richard Tuck, Stefan Collini, John Wallace, Donald Winch, Gordon Schochet und einige mehr zu nennen. Vgl. hier einführend Mulsow, Martin [u. a.]: Einleitung. In: Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte. Hrsg. von Dens. Berlin . S. – ; und Hellmuth, Eckhart [u. a.]: Intellectual History made in Britain: Die Cambridge School und ihre Kritiker. In: GG / (). S. – . Hier S. – .
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Skinner der Fall, der im Anschluss an Austin und Searle eine Aussage als Sprechakt versteht und stärker auf die Analyse der Intention einzelner Autoren zielt, als auch bei John Pocock, der vornehmlich die Entwicklung politischer Sprachen über längere Zeiträume hinweg zu analysieren sucht. Eine solche politische Sprache zeichne sich durch eine eigene Semantik, bestimmte Autoritäten, eigene Beispiele und rhetorische Muster aus.⁹⁷ Eine vorab vorgenommene hierarchische Gewichtung einzelner Kontexte soll im vorliegenden Buch vermieden werden.Vielmehr gilt es Erklärungsmomente aus jeweils relevanten Kontexten mitzudenken. Achim Landwehr nennt in seiner Einführung in die Historische Diskursanalyse vier Ebenen der Kontextanalyse: 1) Situativer Kontext: Welche Personen schreiben aus welchem gesellschaftlichen und biographischen Hintergrund heraus? An welchem Ort äußern sie sich? 2) Medialer Kontext: In welcher Medienform wird eine Aussage präsentiert? Beinflusst diese Form die Aussage? 3) Institutioneller Kontext: Im Rahmen welcher politischen oder sozialen Institutionen sind die Aussagen entstanden? Welche Regeln geben diese Institutionen vor? 4) Historischer Kontext: In welcher politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Situation sind die Aussagen enstanden?⁹⁸ Alle diese Ebenen sowie auch der sprachliche Kontext im Sinne der Cambridge School werden in der Analyse der einzelnen Aussagen berücksichtigt werden. Vorab sollen die politischen Rahmenbedingungen sowie der mediale und der situative Kontext zunächst skizziert werden, um die Möglichkeitsbedingungen sagbarer Zuschreibungen vorab auszuloten.
Die Republiken als Teil einer Staatenwelt: Rahmenbedingungen 1650 – 1750 Zu Beginn des Untersuchungszeitraums befanden sich nahezu alle Staaten in Europa in einer Phase der Erschütterung.⁹⁹ Mit dem Westfälischen Frieden 1648
Vgl. Mulsow [u. a.], Einleitung, S. – . Zur Kritik an der Cambridge School vgl. Mulsow [u. a.], Einleitung, S. – und Hellmuth [u. a.], Intellectual History, S. – . Vgl. Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. . Vgl. hier und im Folgenden als grundlegende Einführungen Duchhardt, Heinz: Das Zeitalter des Absolutismus. . Aufl. München (Oldenbourg Grundriss der Geschichte ). Ders.: Europa am Vorabend der Moderne – . Stuttgart (Handbuch der Geschichte Europas ). Bély, Lucien: Les relations internationales en Europe (XVIIe-XVIII siècles). Paris .
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war der Dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen. Die neu entstandenen Strukturen mussten legitimiert, etabliert und praktiziert werden. Im Reich führte dies zu einem Kräftemessen zwischen den erstarkten Fürstentümern und dem schwächer gewordenen Kaiser. Auch in Frankreich waren die 1650er Jahre mit der Fronde von innerer Unruhe geprägt. Ökonomische Rezession, Steuerdruck, Zentralismus und das als ungelöst empfundene „Hugenottenproblem“ riefen Vertreter von Adel und Bürgertum auf den Plan. In England mündete der Versuch der Republik 1660 schließlich in der Restauration der Stuarts. Die bis dato dominierende Macht Europas, Spanien, hatte mit dem Ausbrechen Portugals aus der Personalunion, der endgültigen Abspaltung der nördlichen Gebiete der Niederlande und dem Verlust der Monopolstellung im Überseehandel erhebliche Machteinbußen hinnehmen müssen. Die Vereinigten Provinzen der Niederlande hingegen waren zu einer neuen Handelsmacht aufgestiegen. Ehemalige Zentren rückten folglich an den Rand, neue Mächte stiegen auf. Grundsätzlich waren zu Beginn des Untersuchungszeitraums also viele europäische Gemeinwesen in ihrer politischen Ordnung unselbstverständlich, religiös verunsichert und von Marginalisierung bedroht. Diese Strukturverhältnisse generierten die Notwendigkeit einer Identitätsbildung. Der Blick auf die Nachbarstaaten bot sich dabei als hilfreiches Instrument und gebotene Beobachtung der Konkurrenz unbedingt an. Die 1660er und 1670er Jahre waren geprägt von einer expansiven Außenpolitik Frankreichs. Ludwig XIV. (1638 – 1715), der im Innern eine Politik der konsequenten Staatsverdichtung verfolgte, propagierte nach der Ehe mit der spanischen Infantin Maria Theresia (1638 – 1683) seinen künftigen Anspruch auf das spanische Erbe des kinderlosen Karl II. (1661– 1700), der 1665 den spanischen Thron bestiegen hatte. Auf dieser Grundlage annektierte er im Devolutionskrieg (1667– 1668) die spanischen Niederlande. Eine Tripleallianz aus England, den Niederlanden und Schweden bewirkte den Friedensschluss von Aachen, der vor allem die flandrischen Grenzfestungen in französischer Hand ließ. 1670 annektierte Ludwig XIV. Lothringen und 1672 griff er – diesmal verbündet mit England und Schweden – schließlich die Vereinigten Provinzen der Niederlande an. Dieser Krieg hatte vor allem auch eine wirtschaftliche Dimension. Der Handelserfolg der Niederländer hatte zunehmend negative Auswirkungen auf den französischen Binnenmarkt gezeigt. In der Logik der merkantilistischen Doktrin galt es, den Handelskonkurrenten zu schwächen, um eigene Stärke zu gewinnen. Die Vereinigten Provinzen mussten erhebliche Verluste hinnehmen, mobilisierten aber mit dem Verweis auf die Gefahr einer französischen Universalmonarchie eine Koalition mit Spanien und dem Reich. Am Ende dieses Konfliktes standen schließlich der Friedenskongress in Nijmegen und eine Vielzahl bilateraler Friedensverträge, die unter der Vermittlung der Kurie und englischer Diplomaten, unter anderem William Temple (1628 – 1699), erreicht wurden.
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Ludwig XIV. setzte seine Expansionspolitik fort. 1681 besetzte er Straßburg und brachte das Elsass so langfristig unter französische Kontrolle. Im Zuge seiner Reunionspolitik nahm er weitere Gebiete (vor allem aus dem burgundischen Reichskreis) ein und zerstörte unter anderem 1684 die Republik Genua. Die offiziellen Vertreter Genuas demütigte der französische König zudem im diplomatischen Zeremoniell – eine klare Botschaft an die übrigen Freistaaten Europas. Dennoch verschob sich das Kräfteverhältnis in den 1680er Jahren erneut und tendenziell zu Ungunsten Frankreichs. Das habsburgische Österreich konnte mit dem Erfolg gegen die Osmanen und der erblichen Krone in Ungarn einen Machtzuwachs verzeichnen. In England hatte sich die Situation angesichts der unverhüllten Rekatholisierungspolitik Jakobs II. (1633 – 1701), der 1685 den Thron bestiegen hatte, zugespitzt. In der Glorious Revolution etablierte die Opposition den niederländischen Schwiegersohn Jakobs, Wilhelm von Oranien (1650 – 1702), als neuen König. Mit der declaration of rights wurde das Parlament als wichtiges Moment im englischen Verfassungsgefüge verankert und eine verbindliche Thronfolgeregelung getroffen. Aufgrund der parallel verlaufenden commercial revolution überwand die englische Wirtschaft endgültig die Abhängigkeit von einheimischen Rohstoffen und positionierte sich als aufsteigende Handelsmacht im Gefüge der europäischen Staaten. Mit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688 – 1697) und dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701– 1713/14) prägten zwei relativ langwierige und vor allem kostspielige internationale Konflikte die Staatenwelt um die Jahrhundertwende. Der hohe Finanzbedarf wurde zum Anlass zahlreicher innenpolitischer Maßnahmenbündel, Diskussionen und Reformforderungen durch Oppositionsbewegungen in den meisten europäischen Staaten. Die Friedensschlüsse von Utrecht und Rastatt, die 1713 und 1714 am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges standen, bewirkten erneut veränderte Machtverhältnisse. Der Herzog von Anjou wurde unter Aufgabe eigener Erbansprüche auf die französische Krone als neuer spanischer König installiert, die südlichen Niederlande sowie Mailand, Neapel und Sardinien fielen an Österreich, Savoyen erhielt die spanischen Gebiete in Sizilien. England erhielt französische Kolonialgebiete und die Zusage, dass Frankreich die englische Thronfolgeregelung künftig anerkennen würde. Nach dem Tod Ludwigs XIV. 1715 dominierte in Frankreich die Position einer friedens- und status quo-sichernden Außenpolitik, die auch zu einer Annäherung mit England führte. Grundsätzlich waren die 1720er und 1730er Jahre von ständig wechselnden Bündnissen und einer in alle Richtung offenen Entwicklung des europäischen Mächteverhältnisses gekennzeichnet. Die Unsicherheit darüber, wer sich als neue Großmacht etablieren und wie die eigene Position sich verändern könnte, führte zu einer ständigen gegenseitigen Beobachtung. Es gab keine „in-
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teressenfreie Zonen“ mehr.¹⁰⁰ Nahezu jeder Konflikt nahm europäische Dimensionen an. Die wechselnden Loyalitätsverhältnisse und das Involviertsein in zahlreiche Auseinandersetzungen generierten die Notwendigkeit einer schnellen und flexiblen (Außen- und Innen‐) Politik. Der Österreichische Erbfolgekrieg (1740 – 1748) war wiederum Ausdruck veränderter Bündniskonstellationen und Mächteverhältnisse. Frankreich und Spanien waren nun in einer Koalition gegen England und den Kaiser verbunden. Der Aachener Friede (1748) markierte den Aufstieg Preußens in den Kreis der Großmächte und einen Wendepunkt im wirtschaftspolitischen Verständnis bestmöglicher Strategien der Versorgung und Finanzbedarfsdeckung. In politischen Reformkonzepten wurde zunehmend nicht mehr der Handel, sondern die Landwirtschaft als Schlüssel zum Erfolg präsentiert. Die Republiken mussten innerhalb dieses europäischen Gefüges ihren Platz finden, sich ständig neu definieren und behaupten. Als Konkurrenten und in ihrer Besonderheit als kleinräumige Freistaaten wurden sie notwendig von den Nachbarn beobachtet und zunehmend systematisch analysiert.
Medialer Kontext Diese Beobachtung und Analyse erfolgte vornehmlich in zwei Textgattungen: Reisebericht und Staatsbeschreibung. Reiseberichte waren eine der beliebtesten und am weitesten verbreiteten Textgattungen im Untersuchungszeitraum.¹⁰¹ Will man die Gattung definieren, so fällt die Abgrenzung gegenüber anderen Textsorten oft schwer. Eine zumindest hinreichende Beschreibung liefert Winfried Siebers, der den Reisebericht überzeugend als ausgewogenes Verhältnis von Deskription und Narration charakterisiert, wobei Reflexionen durchaus eingebaut
Duchhardt, Zeitalter des Absolutismus, S. . Vgl. dazu Bödeker, Hans Erich: Reisebeschreibungen im historischen Diskurs der Aufklärung. In: Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im . Jahrhundert. Hrsg. von Dems. [u. a.]. Göttingen . S. – . S. . Grundsätzlich zur Gattung des Reiseberichts vgl. außerdem Brenner, Peter J.: Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichts. In: Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Hrsg. von Dems. Frankfurt a.M. . S. – ; Brenner, Peter J. (Hrsg.): Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Tübingen ; Landwehr, Achim: Die Stadt auf dem Papier durchwandern. Das Medium des Reiseberichts im . Jahrhundert. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte (). S. – ; Maurer, Michael: Reisen interdisziplinär – Ein Forschungsbericht in kulturgeschichtlicher Perspektive. In: Neue Impulse der Reiseforschung. Hrsg. von Dems. Berlin . S. – .
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werden konnten. Die deskriptiven Teile dienten der Wissensvermittlung, die erzählten Erlebnisse aus der Ich-Perspektive der Anreicherung und Unterhaltung. Zumeist wurden Reiseberichte in der Form von Tagebüchern, Journalen oder Briefen publiziert, allen gemein war aber eine chronologische Gliederung.¹⁰² Die literarische Qualität wurde dabei der Vermittlung authentischer, persönlich erfahrener Informationen untergeordnet. Reisen, die ausschließlich dem Müßiggang dienten, waren durchweg negativ konnotiert. Der Reisebericht stand deshalb immer in einem Verhältnis zu einem Nutzen. Er hatte dabei durchaus den Anspruch, mehrere Funktionen zu erfüllen. Der Reisebericht sollte vor allem informieren und Wissen bereitstellen. Er sollte auch das Bildungserlebnis des Reisenden widerspiegeln, der die auf der Reise erworbenen Kenntnisse nach seiner Rückkehr dem Gemeinwohl zu Gute kommen lassen sollte.¹⁰³ In der Frühaufklärung dominierte dabei nicht ein bestimmter Typ des Reisens und der entsprechenden Berichterstattung. Vielmehr überlagerten sich Kavalierstour, Gelehrtenreise und bürgerliche Gebildetenreise.¹⁰⁴ Die Inhalte der Reiseberichte standen folglich in einer funktionalen Beziehung zu den Ansprüchen an die Gattung. Sie waren außerdem abhängig von gattungsspezifischen normativen Vorgaben. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich die sogenannte Apodemik als eigenständiger Bereich etabliert. Sie verstand sich als Anleitung für den Reisenden und gab die Gegenstände der Betrachtung zumeist mit Hilfe von Fragekatalogen bereits vor. Die Wahrnehmung des Anderen wurde dadurch vorab strukturiert. Auch wenn nur wenige Reiseberichte diesen Vorgaben im Detail folgten, so ist der Einfluss auf die grundsätzliche Themenwahl doch unverkennbar.¹⁰⁵ Für den Untersuchungszeitraum hat die Forschung drei grundlegende Neuerungen konstatiert, die unbedingt als gattungsspezifische Erklärungsmo-
Siebers, Winfried: Johann Georg Keyßler und die Reisebeschreibung der Frühaufklärung. Würzburg (Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ). S. – . Vgl. Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – . Vgl. Siebers, Keyßler, S. – . Der hier bewusst von „Gebildetenreise“ und nicht von „Bildungsreise“ spricht, da auch Kavalierstour und Gelehrtenreise durchaus der Intention der Bildung unterlagen und die Systematik sonst divergierenden Kriterien unterläge. Der in der älteren Forschung verbreiteten Ansicht einer linearen Entwicklung und sukzessiven jeweiligen Ablösung der drei Typen widerspricht Siebert hier ausdrücklich. Vgl. Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. f.; Stagl, Justin: Apodemiken. Eine räsonnierte Bibliographie der reisetheoretischen Literatur des ., . und . Jahrhunderts. Paderborn [u. a.] ; Ders.: Die Methodisierung des Reisens im . Jahrhundert. In: Brenner, Der Reisebericht, S. – .
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mente für bestimmte Diskurscharakteristika in der Analyse der vorliegenden Arbeit mitgedacht werden müssen: 1) Die Apodemik verzeichnete ab 1650 kaum noch Neuerungen, etwa in Form neuer Fragen aus unterschiedlichen Themenbereichen. Zudem setzte eine gewisse Sättigung des Buchmarktes hinsichtlich der Reiseberichte in immer gleiche Länder ein. Beides führte zu einem neuen Rechtfertigungsdruck.Viele Autoren sahen sich gezwungen, den eigenen Bericht zu rechtfertigen, zumeist, indem sie in der Einleitung neue Aspekte oder eine bessere, bisher nie dagewesene Darstellung eines vermeintlich bekannten Gegenstandes versprachen. 2) Skepsis und Kritik hielten Einzug in das Medium des Reiseberichts. Negativzuschreibungen und Infragestellungen von historisch Tradiertem wurden möglich. 3) Zunehmend lösten polyhistorisch-enzyklopädisch ausgerichtete Reiseberichte Einzelstudien ab. Alle Länder Europas oder gar der Welt wurden nun vergleichend oder zumindest nebeneinander erfasst. Dabei stand zunehmend weniger das persönlich Erfahrene im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Systematisierung und Prüfung vorhandenen Wissens.¹⁰⁶ Die Textgattung der Staatsbeschreibungen war vor allem ein Resultat der im 17. Jahrhundert einflussreichen politischen Interessenlehre, die entsprechend ihrer Grundannahme einer spezifischen, dem historischen Wandel unterliegenden Individualität eines jeden Gemeinwesens, die Analyse gegenwärtiger Staaten einforderte. Diese Analyse wurde als einzig wirklich nützliche und der Erkenntnis dienliche Tätigkeit der Auseinandersetzung mit Staaten der Vergangenheit gegenüberstellt. Die systematische und rationale Analyse der europäischen Nachbarstaaten sollte Zustand und Strategien der Konkurrenz ausloten und zugleich nachahmungswürdige Faktoren der Staatsorganisation erkennen und benennen. Genese, Schematismus und Intention dieser Textgattung haben sich als wichtiges Erklärungsmoment für die Entwicklung der untersuchten Aussagen herausgestellt.¹⁰⁷
Vgl. Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – ; Siebers, Keyßler, S. und S. f. Vgl. Kapitel II. der vorliegenden Arbeit.
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Diskursgemeinschaft Will man eine Typologie der Autoren aufstellen, die zwischen 1650 und 1750 die drei betreffenden Republiken in zeitgenössisch gedruckten Texten beschrieben haben, so kristallisieren sich etwa jene Berufsgruppen heraus, die im Kern als Trägerschaft der europäischen Frühaufklärung gelten und in der Forschung verbreitet mit dem Konzept der Gelehrtenrepublik gefasst werden.¹⁰⁸ Es handelte sich vornehmlich um Publizisten, Lehrer, Mediziner, Juristen sowie Geistliche.¹⁰⁹ Deutsche und lateinische Beschreibungen aus dem Reich stammten zudem zunehmend von Universitätsprofessoren.¹¹⁰ Anders als in Frankreich, England oder auch der Eidgenossenschaft waren hier nicht die Akademien und Gesellschaften der Ort der gelehrten Auseinandersetzung, sondern die Universitäten, die am Ende des 17. Jahrhunderts, in ihrem Anspruch reformiert, künftig die Studierenden verstärkt auf die Praxis im Staatsdienst vorbereiten sollten. Als lokale Zentren der Frühaufklärung im Reich bildeten sich so vor allem die 1694 gegründete Reformuniversität Halle, die Universitäts- und Buchhandelsstadt Leipzig, der norddeutsch-protestantische Raum zwischen Hamburg und Königsberg, Franken und schließlich auch Berlin heraus.¹¹¹ Auch in den Vereinigten Provinzen spielte die gelehrte Auseinandersetzung an den Universitäten eine gewichtige Rolle. So
Vgl. dazu als Überblick und von der deutschen Frühaufklärung ausgehend: Bödeker, Strukturen, S. – . Das Konzept der république des lettres geht dabei auf einen Quellenbegriff zurück. In ihrem Selbstverständnis agierte die Gelehrtenrepublik kosmopolitisch, überkonfessionell und ohne Betonung nationaler oder soziopolitischer Identitäten ihrer Mitglieder. Vgl. Daston, Lorraine: The Ideal and Reality of the Republic of Letters in the Enlightenment. In: Science in Context / (). S. – ; Goodman, Dena: The Republic of Letters. A Cultural History of the French Enlightenment. Ithaca [u. a.] . Vgl. etwa Journalisten/Verleger/Historiker: John Breval (/ – ), Joseph Addison ( – ), Eustache Le Noble ( – ), Jean Rousset de Missy ( – ), Scipione Maffei ( – ), Claude Jordan (–nach ); Lehrer: Jean de Parival ( – ), Christian Weise ( – ), Pierre-Daniel Huet ( – ) (Geistlicher und Assistenzlehrer des Dauphin); Mediziner: François Savinien d’Alquié (?–nach ), Samuel de Sorbiere ( – ), Charles Patin ( – ); Juristen: Joseph Shaw ( – ); Abraham Stanyan ( – ); Geistliche: Adam Boussingault (?), Richard Lassel (ca. – ), Gilbert Burnet ( – ), Samuel Clarke ( – ), calvinistisch: Jacque Basnage de Beauval ( – ), Paul Reboulet ( – ). Vgl. etwa Samuel Pufendorf ( – ), Nicolaus Hieronymus Gundling ( – ), Martin Schmeizel ( – ), Jakob August Franckenstein ( – ), Johann David Köhler ( – ). Vgl. Bödeker, Strukturen, S. – .
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bildete die Universitätsstadt Leiden ein wichtiges Zentrum neben Amsterdam.¹¹² In Paris und London erfolgte der Austausch hingegen in den Akademien und Gesellschaften und spielte sich, zunehmend auch stärker von einer breiten Schicht des Bürgertums getragen, in den Salons und Kaffeehäusern ab.¹¹³ In diesem Umfeld entstanden die Texte, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dann auch in den neu entstehenden gelehrten Journalen und Periodika rezensiert und diskutiert wurden.¹¹⁴ Der expandierende Buchmarkt wurde als Chance wahrgenommen und genutzt, um den regen Austausch zu institutionalisieren, der bis dahin vor allem durch Briefkontakte gepflegt wurde. Eine wesentliche Mittler- und Multiplikatorfunktion in diesem Austausch übernahmen – spätestens nach dem Edikt von Fontainebleau 1685 – hugenottische Autoren. Sie emigrierten vor allem nach London, Berlin und Amsterdam und stellten fortan nicht nur ein enormes Potential an wirtschaftlicher Produktivkraft dar, sondern wirkten auch aktiv als Publizisten, Buchhändler oder Lehrer an
Vgl. dazu Israel, Jonathan: The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall – . Oxford . S. – . Vgl. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a.M. . S. – und S. – ; Baker, Keith M.: Defining the Public Sphere in Eighteenth-Century France. Variations on a Theme by Habermas. In: Habermas and the Public Sphere. Hrsg. von Craig J. Calhoun. Cambridge (Mass.) . S. – ; Goodman, The Republic of Letters. Auch die Staatsbeschreibungen finden hier bereits vereinzelt Eingang. Die Beschreibung der Vereinigten Provinzen durch den hugenottischen Autoren François Michel Janiçon wird beispielsweise in den Zeitschriften Lettres serieuses et badines, Bibliothèque raisonnée (Bd. XIX), la Bibliothèque française (Bd. XVIII, XIX, XXVI, XXVIII) und La Gazette des Savants (Suppl. Du T. XVIII) diskutiert. Siehe dazu Couperus, Marianne: Art. François Michel Janiçon. In: Dictionnaire des journalistes ( – ). http://dictionnaire-journalistes.gazettese.fr/journaliste/francois-janicon (. . . o.P.). Im Vorwort zum zweiten Band seiner Abhandlung nimmt Janiçon ebenfalls Bezug auf diese Debatte (siehe Janiçon, État présent, Bd. , Avertissement, S. IX– XIII (Er geht dabei auf die Auseinandersetzung ein, nicht aber auf konkrete Vorwürfe). Im Lettre Cinquieme der Lettres Serieues et Badines sur les Ouvrages des Savans, et sur d’autres Matieres. Bd. / (Den Haag (chez Jean van Duren) ) verweist der anonyme Autor auf einzelne Fehler, die Janiçon in der Beschreibung politischer und theologischer Strukturen und Amtseinsetzungprozesse in der Provinz Seeland gemacht habe (S. – ). Insgesamt sei die Kenntnis der Vereinigten Provinzen für einen Ausländer aber durchaus beachtlich (S. ). Zur Entstehung der Journale und den Auswirkungen auf die Wissensorganisation vgl. Gierl, Martin: Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730. In: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hrsg. von Richard van Dülmen [u. a.]. Köln [u. a.] 2004. S. 417– 438.
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Gymnasien.¹¹⁵ Sie waren stark international vernetzt und diskutierten in ihren Schriften eine Vielfalt an Themen. Zumindest die Angehörigen der Generation, die 1685 emigrierte, verstanden sich dabei, so legen es Selbstzeugnisse nahe, weiterhin als Franzosen.¹¹⁶ Auch die hier untersuchte Diskursgemeinschaft weist einen gewichtigen Anteil an hugenottischen Autoren auf, deren Texte oft zentral und breit diskutiert wurden.¹¹⁷ Einige dieser hugenottischen Autoren wirkten als politische Publizisten und standen durchaus klar zuzuordnenden Parteien beziehungsweise Strömungen nahe.¹¹⁸ Andere, wie etwa François Michel Janiçon (1674– 1730), der zunächst, in die Vereinigten Provinzen immigriert, die französische Zeitung in Utrecht betreut hatte, übernahmen auch Aufgaben im Staatsdienst. So agierte Janiçon als Gesandter des Landgrafen von Hessen-Kassel in Den Haag, in dessen Auftrag er 1729 auch seine Abhandlung État présent de la République des Provinces-Unies verfasste und publizierte.¹¹⁹ Gesandte und deren Umfeld stellen eine weitere wichtige Gruppe der hier betrachteten Diskursgemeinschaft dar.¹²⁰ Ihre Abhandlungen wirkten oft dis-
Vgl. einführend die noch immer grundlegenden Abhandlungen von Haase, Erich: Einführung in die Literatur des Refuge. Der Beitrag der französischen Protestanten zur Entwicklung analytischer Denkformen am Ende des . Jahrhunderts. Berlin ; Dodge, Guy Howard:The Political Theory of the Huguenots of the Dispersion – With Special Reference to the Thought of Pierre Jurieu. New York ; und zuletzt als Überblick: Niggemann, Ulrich: Hugenotten. Stuttgart . Vgl. Haase, Einführung, S. . So zum Beispiel: Jean Gailhard (vor –nach ), Casimir Freschot (? –), Jacques Basnage de Beauval ( – ), François Michel Janiçon ( – ), Jean Rousset de Missy ( – ), Paul Reboulet ( – ), John Breval (/ – ) (in zweiter Generation). So etwa John Breval (/ – ) dessen Schriften in Zusammenhang mit Whig-Propaganda gebracht werden (Vgl. dazu Rumbold,Valerie: Art. Breval, John Durant (/ – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ); Oder die Schriften des späteren royal commissioner of trade Joseph Addison ( – ). Er war Herausgeber und Autor mehrerer Journale, u. a. von „The Spectator“ ( – ) und „The Freeholder“ ( – ). Zu Leben und Werk Joseph Addisons vgl. Rogers, Pat: Art. Addison, Joseph ( – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Siehe Janiçon, État présent, Bd. , Widmung (o.P.). Vgl. etwa William Aglionby (?–, Sekretär des englischen Gesandten in Den Haag), William Temple ( – , von – englischer Botschafter in Den Haag, / Vermittler im Frieden von Nijmegen), Amelot de la Houssaye ( – , – Sekretär des französischen Botschafters in Venedig), Alexandre Toussaint Limojon de Saint-Didier ( – , direkter Nachfolger als Sekretär des französischen Botschafters in Venedig), Jean Baptiste d’Audiffret ( – , französischer Gesandter an mehreren europäischen Höfen), Vendramino Bianchi ( – , – venezianischer Gesandter in der Eidgenossenschaft),
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kursmodifizierend und -prägend. Die Akteure dieser Gruppe kannten sich meist auch persönlich. Dass diese Berufsgruppe hier neben den üblichen Trägern einer frühaufgeklärten Diskussion so prominent in Erscheinung trat, hing vor allem mit der Intentionsstruktur der Gattung der Staatsbeschreibungen zusammen, die als solche erst im Untersuchungszeitraum erstmals in gedruckter Form Verbreitung fand. Die Verbreitung der Beschreibungen über die drei Republiken war ebenso wie das Interesse an ihnen groß. Das zeigen die verschiedenen Ausgaben und Auflagen einzelner Texte, die sich allein für den Untersuchungszeitraum finden lassen, ebenso Übersetzungen und vereinzelt mit abgedruckte Subskribentenlisten.¹²¹ Amelot de la Houssayes Histoire du Gouvernement de Venise von 1676 erfuhr Abraham Stanyan ( – , – und englischer Gesandter in der Eidgenossenschaft, in Mailand, – in Wien, – in Konstantinopel), William Carr (Mitarbeiter im diplomatischen Umfeld in Amsterdam), Petrus Valkenier ( – , – niederländischer Gesandter in Zürich). Die Praxis der Subskription ist in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts erst ein aufkommendes und noch kein verbreitetes Phänomen (vgl. dazu: Estermann, Monika: Memoria und Diskurs. Der Buchhandel in der Frühaufklärung. In: Bödeker, Strukturen der deutschen Frühaufklärung, S. – , S. ). Innerhalb des untersuchten Quellenkorpus fanden sich zwei Subskribentenlisten, die neben einer Vielzahl von Gelehrten (Bibliothekare, Geistliche, Mediziner etc.) und auffallend vielen Diplomaten und Gesandten auch hochrangige europäische Regierungsmitglieder aufweisen. Die Liste zu Aubry de la Motraye’s ( – ) Reisebeschreibung weist dabei gleich eine Vielzahl europäischer Fürsten auf. Vgl. Motraye, Aubry de la: Voyages en Europe, Asie & Afrique […] avec des remarques instructives sur les moeurs, coutumes, opinions &c. des Peuples & Païs […] comme aussi des relations fidelles des Evenemens considerable […] Tome premier. A la Haye (chez T. Johnson & J.van Duren). Liste des Souscripteurs pour cet ouvrage. o.P.: „S. M. le Roi de la Grande Bretagne. S.M. le Roi de Suede. S.M. la Reine de Suede. S.M. le Roi de Prusse. S.M. la reine de Prusse. S.A.R. le Prince de Galles. [….] S.A.S. le Prince d’Orange & de Nassau. S.A.S. le Prince Eugene de Savoye. S.A.S. le Prince Guillaume de Hesse-Cassel. […] M. Bassewitz. Env. Extr. En Suede […] M. Dayrolles, Resident de S.M. Britannique à la Haye. […] M. Kalkow. Ambassadeur de L.H.P. à la Porte Ottomane. […] M. le Bar. Sparre, Env. Extr. De Suede à la Cour Brit. M. le Baron Solenthal, Env. Extr. De Danemarc a la meme Cour. […] M. Stade, Env. De Suede à Ratisbone.“ Weniger europäisch, aber auch hochrangig liest sich die Liste von John Brevals Abhandlung der europäischen Staaten von 1726, die unter anderem den „Rt. Hon. Sir Robert Walpole, First Commissioner of the Treasury. Two Copies“ nennt. Breval, John: Remarks on Several Parts of Europe: Relating chiefly to the History, Antiquities and Geography, of those Countries through which the Author has travel’d; As France, the Low Countries, Lorrain, Alsatia, Germany, Savoy, Tyrol, Switzerland, Italy and Spain.Vol. I. London 1726 (printed for Bernard Lintot). The Names of the Subcribers. o.P. Zu Praxis und Bedeutung von Übersetzungen im Untersuchungszeitraum vgl. Burke, Peter [u. a.]: Cultural Translation in Early Modern Europe. Cambridge 2007; Oz-Salzberger, Fania: The
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allein in den ersten drei Jahren 22 Ausgaben und Übersetzungen.¹²² Auch Jean de Parivals (1605 – 1669) Abhandlung Les Délices de la Hollande von 1651, die erste (gedruckte) französische Analyse im Sinne der Interessenlehre mit Blick auf eine der drei Republiken, konnte allein zu Lebzeiten des Autors vier Ausgaben aufweisen.¹²³ Bis 1750 erschienen zahlreiche weitere Ausgaben und Übersetzungen. Allerdings verschwand Parivals Name relativ rasch aus dem Titel.¹²⁴ Auch Reisebeschreibungen erlebten mehrere Auflagen und Übersetzungen. So folgte etwa auf Claude Jordans (ca. 1660 – 1718) sechsbändige Erstausgabe Voiages historiques de l’Europe (publiziert 1693 – 1695), in der auch die drei Republiken ausführlich beschrieben worden waren, sogleich eine zweite Auflage (1694– 1696) und schon 1699 – wiederum anonym und ohne Angabe von Jordans Namen – eine deutsche Übersetzung.¹²⁵ Zahlreiche Texte des hier untersuchten Quellenkorpus wurden anonym publiziert. Vermutlich geschah dies in manchen Fällen, um ein Plagiat zu verschweigen. Andere Autoren wollten eventuell der Zensur entgehen.Während diese in Frankreich nach Reformen am Ende des 17. Jahrhunderts in der staatlichen Einrichtung der Librairie in Paris zentralisiert wurde, Autoren hier also auf Verlagsorte etwa in den Niederlanden oder der Eidgenossenschaft ausweichen mussten, um sie vorab zu umgehen, schafften England und die Vereinigten Provinzen die präventive Zensur am Ende des 17. Jahrhunderts ganz ab. Dennoch blieb die Kontrolle ex post bestehen. Autoren, Verleger und Drucker konnten nach der
enlightenment in translation. Regional and European Aspects. In: European Review of History 13/3 (2006). S. 385 – 409. Houssaye, Histoire du Gouvernement de Venise. Für ein Verzeichnis dieser Ausgaben siehe Fink, The Classical Republicans, S. . Siehe Parival, Les Delices de la Hollande. Auch die zweite (Leiden ) und dritte (Amsterdam ) Edition wurden in den Niederlanden gedruckt. Der Druck der vierten Ausgabe erfolgte dann erstmals in Paris. Vgl. hier und für biographische Informationen: Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique. Biographie nationale. Bd. . Brüssel . S. . http://db.saur.de/WBIS/biographic MicroficheDocument.jsf (. . ). Vgl. etwa Parival, Jean de: Les Delices de la Hollande, composés par le Sieur Jean de Parival, revues, corrigés, & augmentés de nouvau (sic) par François Savinien d’Alquié, Lequel y a adjousté tout ce qui s’est passé de plus considerable dépuis l’an , jusquès à l’an , avec un traité particulier des delices du païs, le tout accompagné de plusieurs belles tailles douces. Derniere Edition a Amsterdam (chez Jean de Ravestein). Siehe Jordan, Claude: Voiages historiques de l’Europe. Bde. Paris – ; Séconde edition. Paris – ; Anonymus: Curieuse und historische Reisen durch Europa […] aus der frantzösischen Sprache in unsere Hochteutsche übersetzet und mit einigen Anmerckungen auch vollständigen Registern versehen von Talandern. Leipzig .
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Publikation zur Rechenschaft gezogen werden.¹²⁶ Gerade die Beschreibung anderer Gemeinwesen, so ist zu vermuten, bot angesichts dieser Umstände die willkommene Möglichkeit, Kritik an bestimmten Strukturen zu üben und so die Reformbedürftigkeit des eigenen Staates zu konstatieren, ohne dies direkt zu benennen. Auch die Republiken konnten folglich als Reflexionsfolie dienen, um eigene Strukturen zu überdenken und zu hinterfragen. Gemäß dem zunehmenden Anspruch der Systematisierung und Prüfung bereits vorhandenen Wissens erfolgte in der Beschreibung anderer Gemeinwesen auch der Verweis auf bereits vorhandene Texte und die Diskussion von deren Thesen. In den Reiseberichten geschah dies weniger explizit als in den Staatsbeschreibungen. Dennoch – das wird die Analyse in der vorliegenden Arbeit immer wieder zeigen – lässt der Wortlaut der Aussagen erkennen, dass einzelne Passagen etwa aus anderen Texten wörtlich übernommen wurden. Vereinzelt wurden Staatsbeschreibungen auch in den Reiseberichten namentlich erwähnt. So hielt der schottische Geistliche und Historiker Gilbert Burnet (1643 – 1715) in seinem Bericht über seine Reisen durch Italien, die Schweiz, dem Reich und die Niederlande in den Jahren 1685 und 1686 hinsichtlich der Vereinigten Provinzen fest: I will not say one word of the country into which I am now come; for as I know that is needless to you on many accounts, so a picture that I see here in the stadt-house puts me in mind of the perfectest book of its kind that is perhaps in being; for Sir William Temple, whose picture hangeth here at the upper end […] hath indeed set a pattern to the world, which is done with such life, that it may justly make others blush to copy after I; since it must be acknowledged, that if we had as perfect an account of other places, as he hath given us of one of the least, but yet one of the noblest parcels of the universe, travelling would become a needless thing, unless it were for diversion.¹²⁷
Vgl. hier den Überblick bei Tortarolo, Edoardo: Zensur als Institution und Praxis im Europa der Frühen Neuzeit. Ein Überblick. In: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Hrsg.von Helmut Zedelmaier und Martin Mulsow.Tübingen (Frühe Neuzeit ). S. – . Burnet, Gilbert: Burnet’s Travels: Or, a Collection of Letters to the Hon. Robert Boyel, Esq.; Containing, An Account of what seem’d most remarkable in travelling through Switzerland, Italy, some Parts of Germany, &c. In the Years and . Wrote by Gilbert Burnet, D.D. afterwards Bishop of Salisbury. To which is added, an Appendix, containing Some remarks on Switzerland and Italy. Communicated to the Author by a Person of Quality […]. A new edition. London (printed for and sold by Ward and Chandler and George Anderson). S. . Eine anderer Weg der Rezeption findet sich bei dem deutschen Staatswissenschaftler Johann David Köhler (1684– 1755), der 1765 den französischen Reisebericht eines Monsieur de Blainville in deutscher Übersetzung herausgibt: Blainville, Monsieur de: Reisebeschreibung besonders durch Italien. Enthaltend eine Beschreibung von Venedig, dem Wege nach Rom und von Rom selbst mit der umliegenden Gegend, aus des Verfassers eigener Handschrift in englischer Sprache herausgegeben von Georg Turnbull der Rechte Doktor und Wilhelm Guthrie Ritter, nun-
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Die 1673 vorgelegten Observations upon the United Provinces of the Netherlands des englischen Diplomaten William Temple wurden nicht von allen Diskursteilnehmern als „perfectest book of its kind“ tituliert, sondern durchaus auch kritisch diskutiert.¹²⁸ In jedem Fall aber wurden sie diskursprägend und fanden so etwa auch Eingang in zahlreiche Nachschlagewerke.¹²⁹ In den Staatsbeschreibungen fand die Auseinandersetzung mit anderen Beschreibungen der Republiken im Unterschied zu den Reiseberichten expliziter, intensiver und zum Teil geradezu systematisch statt. Als ein eindrückliches Beispiel kann hier die 1709 publizierte Abhandlung Nouvelle Relation de la Ville & Republique de Venise angeführt werden.¹³⁰ Der Autor, Casimir Freschot (1640?– 1720), emigrierte in den 1670er Jahren aus der Franche-Comté nach Italien, als seine Heimatregion im Zuge des Frieden von Nijmegen (1678) Frankreich zugesprochen wurde. Später lehrte Freschot Literatur und Geschichte in Utrecht und publizierte in verschiedenen Periodika.¹³¹ In seiner Beschreibung Venedigs diskutiert er ausführlich die rund 30 Jahre zuvor publizierte Abhandlung Histoire du Gouvernement de Venise des französischen Gesandtschaftssekretärs Amelot de la
mehr in das Deutsche übersetzet und hin und wieder mit Anmerkungen versehen von Johann Tobias Köhler, Professor zu Göttingen und Mitglied der Maynzischen Academie der nützlichen Wissenschaften. Zweyten Bandes erste Abtheilung. Lemgo 1765. Temple, Observations upon the United Provinces of the Netherlands. In der vorliegenden Arbeit wird immer wieder auf den Umgang mit Temples Abhandlung verwiesen werden. Die zweite englische Ausgabe des Le grand dictionnaire historique: ou le mélange curieux de l’histoire sacrée et profane par Mr Louis Moreri von verweist beispielsweise auf Temples Abhandlung in dem Artikel zu Holland (The Great Historical, Geographical, Genealogical and Poetical dictionary […], the second edition revised, corrected and enlarged to the year . London . o.P.).Vgl. außerdem die Verweise in Dictionnaire Universel de Commerce, contenant tout ce qui concerne le commerce qui se fait dans les quatre parties du monde […] Ouvrage posthume du Sieur Jacques Savary des Bruslons […] continué sur les memoires de l’Auteur et donné au Public par M. Philemon Louis Savary, Chanoine de l’Eglise Royale de S. Maut des Fossez, son Frere. Tome Premier. A Paris (chez Jacques Estienne). Sp. .; Zedler, Grosses Vollständiges Universal-Lexikon, Bd. Sp. – (Hier werden unter anderem die in der nachfolgenden Analyse auftauchenden Beschreibungen der Vereinigten Provinzen von Petrus Valckenier, Jean de Parival, Jacques Basnage, Jean Le Clerc sowie die anonyme Schrift „Batavia Illustrata“ angeführt). Freschot, Casimir: Nouvelle Relation de la Ville & Republique de Venise, divisée en trois parties, dont la premiere contient son Histoire Generale, la seconde traite du Gouvernement & des mœurs de la Nation, et la troisieme donne connoissance de toutes les familles patrices, employées dans le Gouvernement. A Utrecht (chez Guillaume van Poolsum). Zu Leben und Werk Freschots, bei dem nicht klar ist, ob er zum Protestantismus konvertierte und aus welchen Gründen er emigrierte, vgl. Moureau, François: Art. Casimir Freschot. In: http:// dictionnaire-journalistes.gazettese.fr/journaliste/-casimir-freschot (//).
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Houssaye (1634– 1706). Freschot betont, dass er nicht in eine Reihe mit Amelot de la Houssaye gestellt werden möchte.¹³² Dieser habe, so betont er vielfach, kaum Beweise für seine Behauptungen, verdrehe Tatsachen und sei schlecht informiert. Freschot zitiert dabei Absätze lang wörtlich aus de la Houssayes Text, um dann in direktem Bezug darauf die Sachverhalte und Wertungen aus seiner Sicht zu korrigieren.¹³³ In den Passagen, in denen seine Zustandsbeschreibungen mit jenen der Histoire du Gouvernement de Venise übereinstimmen, kommt Freschot hingegen nicht auf Amelots Darstellung zu sprechen.¹³⁴ Er beurteilt diese vielmehr abschließend als sanglante satire. ¹³⁵ Amelot sehe alles durch die Brille der absoluten Monarchie.¹³⁶ Die Verhältnisse in Republiken aber würden zum Teil andere Maßnahmen erfordern als jene in Monarchien. Die Niedergangserscheinungen, die Amelot der Republik Venedig attestiere, seien zudem nicht das Resultat spezifischer Fehler der Lagunenrepublik, sondern vielmehr aus den Umständen der gegenwärtigen Zeit und deren Konjunkturen heraus zu erklären. Und diese beträfen alle Gemeinwesen gleichermaßen. Perfektion sei nirgendwo anzutreffen:
Freschot, Nouvelle Relation, S. : „Quand j’ait dit que je parlerois du Gouvernement de Venise, je n’ai point prétendue marcher sur les brisées de Monsieur Amelot de la Houssaye, qui en a fait un livre, où il a dit beaucoup de choses qu’il se seroit bien passé de publier, par la considération qu’elles étoient aussi peu seures qu’honorables à une si puissante Rép..“ Siehe Freschot, Nouvelle Relation, Préface (o.P.), S. f., S. – , S. – . (Vgl. etwa S. : „[…] que M. Amelot attribue aux Nobles Venitiens en Général, les traitant de Trompeurs, de Defieants, de Vindicatifs, d’Ingrats, de Cruels, de Fourbes, d’Avares, de Voluptueux, de Superstitieux, & que ne sçai je pas? Il est tres seur que si on avoit demandé à cet Ecrivain les preuves qu’il voit pour attribuer tous ces vices à cette Noblesse, n’ayant pû avoir tres peu de commerce & peut etre aucine occasion particuliere de s’en éclairir par soi meme, il auroit été constraint de citer en sa saveur, la prevention de quelques étrangers, la relation peu fidelle de quelques petites Gens de la Ville, don’t le temoinage merite tres eu de croyance, & tout au plus, quelques cas particuliers qui semblent authorizer ce jugement desavantageux.“; oder S. : „Dire comme fait Mr. Amelot, qu’on y punit de mort jusqu’à l’ombre & la soupçon de Crime, & que meme pour ne pas perdre le tems à instruire le process d’une personne inutile à l’état, on la depêche sur la premiere délation, c’est outrer la chose, & ôter la reputation de la probité indispensable à tout Souverain, & à un Senat qui sçait trop ce qu’il fait pour en agir si tyranniquement.“). So etwa in der übereinstimmenden Feststellung, dass der Handel Venedigs erheblich abgenommen habe (Freschot, Nouvelle Relation, S. f.). Freschot, Nouvelle Relation, S. f. Freschot, Nouvelle Relation, S. : „Il est étonnant qu’un Ecrivain entreprenne de decrier tout dans une Nation & dans un Gouvernement, sans y trouver quasi rien de loüable, & on ne peut guerre attribuer qu’à un chagrin personel une semblable disposition, ou à la hayne que peuvent avir les Sujets d’un Prince absolu contre ceux d’une Rép. par une antipathie, que eu de gens desinteressés trouveront raisonable.“
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Einleitung
[…] c’est que les maximes de conduite dans une Répub. sont autres que celles du Gouvernement d’un Etat soumis à un Souverain absolu. Les Républiques sont filles, me disoit autrefois un Noble de sort bon sens dans Venise, & les Royaumes sons mâles. Or comme pour garder l’honneur d’une fille il faut employer des soins beaucoup plus exacts, que pour garder un jeune homme, de même pour maintenir l’honneur & la liberté d’une Rép. il faut d’autres & de plus sévères maximes que pour maintenir l’autorité du Prince, à qui les sujets doivent obeïr, quelques commandement qu’il leur fasse, les y ayant déja disposés: Cela étant, la plus part des injustices que M. Amelot reproche aux Venetiens, devienent des soins nécessaires au salut de l’Etat, & les autres, des précautions contre la corruption & la desordre, qui en entraineroit infailliblement la ruine. Il est étonnant qu’un Ecrivain entreprenne de decrier tout dans une Nation & dans un Gouvernement, sans y trouver quasi rien de loüable, & on ne peut guerre attribuer qu’à un chagrin personel une semblable disposition, ou à la hayne que peuvent avir les Sujets d’un Prince absolu contre ceux d’une Rép. par une antipathie, que eu de gens desinteressés trouveront raisonable. […] Que cecit soit dit par forme de digression & pour une reponce Générale aux reproches que fait M. Amelot à la Noblesse de Venise, qui peut être plus au’aucune autre d’Europe sait se contenir & s’accomoder aux règles de l’équité, si on la considére ou dans les personnes particulieres, ou assemblées dans l’exercise du Gouvernement. Le desordres que cet Ecrivain marque avec tant d’exaggeration sont des inconvenients attachés aux temps & aux conjonctures, qui forcent bien souvent ceux qui commandent à s’éloigner de cette uniformité & de cette douceur de conduite, dont on se fait une si belle idée dans la theorie & dont l’exactitude & la perfection ne se trouve nulle part.¹³⁷
Sind diese Aussagen Casimirs Freschots als exemplarisch für die möglichen Aussagen über Republiken am Beginn des 18. Jahrhunderts zu werten? Auf welche „inconvenients attachés aux temps & aux conjunctures“ verweisen die Autoren im Einzelnen und welche Vorstellungen von einem perfekt eingerichteten Gemeinwesen stehen dahinter? Welche Rückschlüsse lässt der Fakt, dass 1745 sowohl Amelots Text also auch Freschots Abhandlung als Referenzwerke im Eintrag zu Venedig im Zedler genannt werden,¹³⁸ hinsichtlich der Möglichkeitsbedingungen von den hier analysierten Aussagen zu? Das soll die vorliegende Arbeit aufzeigen.
Freschot, Nouvelle Relation, S. – . Zedler, Grosses Vollständiges Universal-Lexikon, Bd. , Sp. . Auch Martin Schmeizel ( – ), Professor in Halle und Mitglied des preußischen Hofrates, nennt in seiner Einleitung zur Staats-Wissenschafft sowohl Amelot de la Houssaye als auch Casimir Freschot als weiterführende bzw. grundlegende Literatur (S. ). Mit Blick auf die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft nennt er zudem mit William Temple und Abraham Stanyan ebenfalls diskursprägende Autoren. (Schmeizel, Martin: Einleitung zur Staats-Wissenschafft überhaupt und dann zur Kenntniß Derer Europäischen Staaten insonderheit, zum Gebrauch eines Collegii entworffen von Martin Schmeizel. Halle . S. und S. ).
I Republiken als Konstrukt: Aussagen vor 1650
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I Republiken als Konstrukt: Aussagen vor 1650
In diesem ersten Teil der vorliegenden Arbeit werden anhand exemplarischer Texte Aussagen über Venedig, die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft vor 1650 vorgestellt und damit das Feld sagbarer Zuschreibungen skizziert, das sich nach 1650 in seiner Zusammensetzung und Struktur veränderte. Da die Beschreibungen über die betreffenden Gemeinwesen in einem Verhältnis der gegenseitigen Beeinflussung mit den parallel (und zumeist durch die Historiographie) entwickelten Selbstbildern standen, werden beide Aussagenkomplexe berücksichtigt werden.
1 Venedig Aussagen, die seit dem hohen Mittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts mit Blick auf die Republik Venedig getroffen wurden, umfassten ein stabiles Bündel von topoi, das in der Forschung mit dem Konzept des „Mythos Venedig“ gefasst wird. Dieser wurde zunächst durch ein politisches Bildprogramm und einzelne Chroniken als venezianisches Selbstbild entwickelt. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verdichtete sich diese Eigendarstellung zu einer konsistenten Erzählung, die identitätsstiftend wirkte. Aber auch die Außenperspektive auf die Lagunenstadt war für die Entwicklung des mito nicht unerheblich. Aussagen, die von Nicht-Venezianern getroffen wurden, stabilisierten und formten das Narrativ der erfolgreichen und stabilen Republik. Ausgehend von der Frage, warum Venedig als Referenzobjekt so attraktiv war und primär Positivzuschreibungen erhielt, werden im Folgenden zunächst jene Florentiner Beiträge betrachtet, die im 15. und 16. Jahrhundert entscheidend zur Verbreitung und Priorisierung bestimmter Aspekte des Venedigbildes beitrugen. Daran anschließend wird die Konstruktion des venezianischen Selbstbildes beleuchtet. Schließlich wird anhand exemplarischer Textbeispiele dargelegt, wie dieses Selbstbild im Schreiben über die Lagunenrepublik bis 1650 in verschiedenen Kontexten aufgegriffen und transportiert wurde.
1.1 Venedig als Vorbild in der italienischen Renaissance Will man die Rezeption Venedigs, vor allem mit Blick auf seine politisch strukturellen Gegebenheiten, im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts verstehen, so gilt es zunächst den Anfängen des in dieser Zeit dominanten Bildes der Serenissima in der Renaissance nachzugehen. Bei den Humanisten der italienischen und bald auch der französischen Renaissance liefen mehrere Entwicklungsstränge zusammen, die eine neue Auffassung einer historischen Entwicklung und daraus resultierend die Suche nach neuen Modellen der Orientierung bedingten. Angesichts eines neuen Selbstbewusstseins einer eigenen kulturellen Blüte sowie einer fortschrittlichen Entwicklung in den Bereichen der Naturwissenschaften und der wirtschaftlichen Produktionskraft war für viele Mitglieder des aufstrebenden Bürgertums im 15. und 16. Jahrhundert, vor allem in den Stadtstaaten Italiens, die dominierende, pessimistische Geschichtsauffassung des Spätmittelalters nicht mehr mit dem
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eigenen Standpunkt kompatibel.¹ Gemäß der beiden in den vorangegangenen Jahrhunderten vorherrschenden und vom Christentum massiv beförderten Geschichtsschemata – der Theorie der sechs Weltalter und der Theorie der vier Weltmonarchien – befand die Menschheit sich am Ende des 15. Jahrhunderts im letzten Stadium vor dem Ende der Welt.² Das sechste Weltalter war jenes des Greisen, der keine Entwicklung mehr erhoffte und dem nun Apokalypse und Jüngstes Gericht bevorstanden. Es galt lediglich die zunehmend beobachtbare Korruption der Menschheit zu bekämpfen, um den größten Schaden beim anvisierten Weltende zu vermeiden. Auch gemäß der Theorie der vier Weltmonarchien stand der Untergang dem letzten der vier Reiche, dem Römischen, das durch die translatio imperii mit dem eigenen identifiziert werden konnte, bevor.Wann dieser Untergang endgültig eintreten sollte, war allerdings ungewiss, und so konnte zumindest beständig an der Verbesserung der eigenen Situation gearbeitet werden. Dennoch war ein Fortschrittsoptimismus immer nur in einem eschatologischen Sinn möglich. Der Gottesstaat blieb die einzig gültige Norm, der man sich im Diesseits annähern konnte. Für jene Denker der Renaissance, die weniger den theologischen als vielmehr den kulturellen Fortschritt im Blick hatten und sich auf dem Weg zu dessen (erneutem) Höhepunkt sahen, war dies zu wenig. Sie suchten nach einem Geschichtsmodell, das ihnen ermöglichte, das eigene kulturelle Überlegenheitsgefühl gegenüber den vorangegangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten und die durch den Humanismus vorangetriebene Wiederentdeckung und Bewunderung der Antike zu vereinen.³ Und gerade die von ihnen wiederentdeckten antiken Texte hielten ein solches Modell für sie bereit: Sowohl bei Platon (428/427 v.Chr–348/347 v.Chr.) als auch bei Aristoteles (384 v.Chr. –322 v.Chr.) sowie bei zahlreichen römischen Dichtern fand sich die Vorstellung einer zyklisch verlaufenden historischen Entwicklung. Kreislaufbewegungen der Natur wurden analog auf die Staats- und Kulturentwicklung übertragen.⁴ Dabei konstatierte man nicht unbedingt die Rückkehr zum
Vgl. hier und im Folgenden vor allem Schlobach, Jochen: Zyklentheorie und Epochenmetaphorik. Studien zur bildlichen Sprache der Geschichtsreflexion in Frankreich von der Renaissance bis zur Frühaufklärung. München (Humanistische Bibliothek, Abhandlungen ). Hier S. . Zur Renaissance im Allgemeinen und einem neuen Selbstbewusstsein siehe einführend: Burke, Peter: The Renaissance. . Aufl. Basingstoke/New York ; Zintzen, Clemens: Vom Menschenbild der Renaissance. . Aufl. Zürich . S. – . Schlobach, Zyklentheorie, S. – ; Gerwing, Manfred: Art. Weltende, Weltzeitalter. In: Lexikon des Mittelalters. Bde. Stuttgart – . Bd. . Sp. – . Schlobach, Zyklentheorie, S. . Schlobach, Zyklentheorie, S. – ; Grundlegend für die Naturzyklentheorie der Antike und deren Rezeption auch weiterhin Duhem, Pierre Maurice Marie: Le système du monde. Histoire des doctrines cosmologiques de Platon à Copernic. Bde. Paris – .
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selben Ausgangspunkt am Ende eines Kreislaufes, sondern vielmehr die Wiederkehr eines qualitativ gleichartigen Zustands.⁵ Jochen Schlobach verweist vor allem auf das Spezifikum einer „geschichtslosen Zwischenzeit“, die Platon zwischen der von Naturkatastrophen zerstörten „Ur-Polis“ und der nächsten Polis ansiedelt.⁶ Bei Aristoteles hingegen sei dieser „Zwischenzeitgedanke“ nicht so stark ausgeprägt. Sein Schwerpunkt habe vielmehr auf dem Prinzip der zyklischen Entwicklung, dem ständigen Wechsel von generatio und corruptio gelegen.⁷ Beide Überlegungen werden in der Folge für ihre Wiederentdecker in der Renaissance wichtig. Mit der Annahme einer Zwischenzeit, dem (finsteren, verschlafenen) Mittelalter,⁸ konnte die eigene Zeit als neu angefangener Zyklus mit der bewunderten Antike in einer Geschichtstheorie verbunden werden.⁹ Beginnend mit
Nippel, Wilfried: Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und Früher Neuzeit (Geschichte und Gesellschaft ). Stuttgart . S. f. Schlobach, Zyklentheorie, S. . Zu den Kreislauftheorien der Antike, vor allem bei Platon und Aristoteles, siehe auch die ältere Forschung wie Ryffel, Heinrich: Metabole politeion. Der Wandel der Staatsverfassungen. Untersuchungen zu einem Problem der griechischen Staatstheorie. Dissertation. Bern . Schlobach, Zyklentheorie, S. f. Der Terminus „Mittelalter“ war keineswegs übergreifend geläufig. Er tauchte als medium tempus zuerst bei Petrarca auf. Später auch als media aetas bei Vadian ( – ) im Jahr, als medium aevum bei Giovanni Andrea Bussi ( – ) im Jahr und als mittel alter bei Aegidius Tschudi ( – ) im Jahr . Siehe dazu Goetz, Hans-Werner: Das Problem der Epochengrenzen und die Epoche des Mittelalters. In: Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt. Kongreßakten des . Symposiums des Mediävistenverbandes in Bayreuth . Hrsg. von Peter Segl. Sigmaringen . S. – . S. ; Edelman, Nathan:The early Uses of Medium Aevum, moyen âge, Middle Ages. In: Romanic Review (RR) (). S. – ; Neddermeyer, Uwe: Das Mittelalter in der deutschen Historiographie vom . bis zum . Jahrhundert. Geschichtsgliederung und Epochenverständnis in der frühen Neuzeit. Köln [u. a.] . Um das Mittelalter zu umschreiben, wurden oft vielmehr Metaphern des Schlafes oder der Finsternis verwendet (siehe Schlobach, Zyklentheorie, S. ). Zum Epochenbewusstsein im Spätmittelalter siehe vor allem Graus, František: Epochenbewußtsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung. In: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein. Hrsg. von Reinhart Herzog. München (Poetik und Hermenutik ). S. – und Schreiner, Klaus: „Diversitas temporum“. Zeiterfahrung und Epochengliederung im späten Mittelalter. In: Herzog, Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, S. – . HansWerner Goetz weist zu Recht darauf hin, dass es vor allem um die mögliche Verbindung über diese Zwischenzeit hinaus zur Antike ging. Denn eine bloße Abgrenzung der eigenen Zeit von der jüngeren Vergangenheit habe es auch schon immer wieder vorher im Mittelalter gegeben. Siehe Goetz, Das Problem der Epochengrenzen, S. ; vgl. auch Gössmann, Elisabeth: Antiqui und Moderni im Mittelalter. Eine geschichtliche Standortbestimmung (Münchner Universitätsschriften ). München [u. a.] .
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Petrarca (1304 – 1374) wurde so auf der Grundlage der antiken Kreislauftheorie das humanistische Dreiteilungsschema der Universalgeschichte entwickelt.¹⁰ Aber die Annahme eines zyklischen Verlaufs der Geschichte enthielt auch die Idee des Faktors Zeit als destabilisierendes Moment. Die Korruption der bestehenden Ordnung war gemäß der aristotelischen Theorie eine ständig präsente Möglichkeit.¹¹ Besonders das aufstrebende Bürgertum der italienischen Stadtstaaten des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts, das angesichts zunehmender politischer Veränderungen und einer immer präsenten Fragilität der eigenen Strukturen im Regnum Italicum vor allem die Stabilität des eigenen Gemeinwesens interessierte,¹² machte sich diese Möglichkeit bewusst und suchte Lösungsstrategien. Ein antiker Text stellte sich bei dieser Suche als tragendes Referenzmedium dar, weil er die notwendig zyklische Entwicklung der Geschichte mit politischen und hier vor allem konstitutionellen Abläufen in Verbindung brachte: Polybios (um 200 v.Chr–um 120 v.Chr.) sechstes Buch seiner Geschichte Roms. ¹³ In diesem Text, der fragmentarisch überliefert und bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur in griechischer Sprache verfügbar war, versucht Polybios den außenpolitischen Erfolg Roms mit dessen innerer Stabilität zu erklären. Dabei entwirft er die Vorstellung eines naturgesetzlichen Kreislaufes der Verfassungen (anakuklōsis politeiōn).¹⁴ Jedes Gemeinwesen sei einem Zyklus unterworfen, der – Vgl. Schlobach, Zyklentheorie, S. . Vgl. Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Zum Faktor Zeit als (in großen Teilen „menacing and destructive“) „argument“ in der Renaissance aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vgl. Quinones, Ricardo J.: The Renaissance Discovery of Time (Harvard Studies in Comparative Literature ). Harvard . Vor allem S. . Vgl. als Überblick Najeny, Johan M.: Italy in the Age of Renaissance – . Oxford/New York . John Pocock betont den immensen Einfluss dieses Kontextes als Hintergrund für die politiktheoretischen Abhandlungen der italienischen Renaissance-Denker. Er bezeichnet die Region um die Lombardei und Toskana als „world of its own, in which no form of government had finally been established, and it could be said of any regime that it had come into being as the result of historical circumstances and might or might not persist.“ Pocock, John G.A.: Machiavelli and Rome: the Republic as Ideal and as History. In: The Cambridge Companion to Machiavelli. Hrsg. von John M. Najemy. Cambridge . S. – . S. . Vgl. hier und im Folgenden Pocock, Machiavellian Moment, S. – ; Schlobach, Zyklentheorie, S. f. Pocock wertet Polybios Text sogar als „indicative of that age’s fundamental problems“. (Pocock, Machiavellian Moment, S. ). Vgl. hier und im Folgenden Nippel, Mischverfassung, S. – ; Nippel, Wilfried: Art. Mischverfassung. In: Der Neue Pauly. Hrsg. von Hubert Cancik, Helmuth Schneider u. Manfred Landfester. Brill Online-edition . http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neuepauly/mischverfassung-e?s.num=&s.f.s_parent=s.f.book.der-neue-pauly&s.q=Misch verfassung]% %. . % (. . ); Podes, Stephan: Polybios’ AnakyklosisLehre, diskrete Zustandssysteme und das Problem der Mischverfassung. In: Klio. Beiträge zur Alten Geschichte (). S. – .
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in Anlehnung an die aristotelischen Verfassungskategorien – ausgehend von der „Urmonarchie“ sechs Stadien durchlaufe: vom Königtum (Basileia) zur Tyrannis, auf diese folgt die Aristokratie, deren Pervertierung in die Oligarchie, die Einrichtung der Demokratie und deren Wandlung zur Ochlokratie beziehungsweise Cheirokratie. Die Basis der politischen Ordnung sei dabei immer die Menge, die zunächst Einem, später Wenigen und am Ende Vielen die Herrschaft überträgt. Der Grund für den jeweiligen Wandel einer guten Ordnungsform in ihre pervertierte Form ist, gemäß Polybios, immer der Missbrauch der Regierung durch die Machthabenden, die der korrumpierenden Wirkung ihrer Macht unterliegen.¹⁵ Ein solcher Missbrauch kann für Polybios nur durch ein politisches System der Mischverfassung verhindert werden, welche in einer Pluralität von Institutionen die dominanten Eigenschaften der drei guten Einzelverfassungen (Basileia, Aristokratie, Demokratie) in sich vereint.¹⁶ Eine solche Mischverfassung garantiere die größtmögliche Stabilität, nicht aber etwa ewige Dauer. Denn Fortuna drehe ihr Rad weiter und mache ihren Einfluss vor allem auch immer wieder durch von außen auf das Gemeinwesen einwirkende Ereignisse geltend.¹⁷ Die politischen Denker der italienischen Renaissance schlossen sich – wenn auch mit voneinander abweichenden Interpretationen – Polybios Auffassung des Verfassungskreislaufs und der Mischverfassung als Lösungsversuch an. Sie suchten dabei nach historischen und gegenwärtigen Modellen, die eine solche Mischverfassung exemplifizieren und ihre Stabilität bestätigen konnten. Wie Polybios selbst griffen sie dabei verstärkt auf Rom und Sparta zurück. Zunehmend aber wurde vor allem auch die Republik Venedig als Modell einer perfekt ausbalancierten Verfassung interessant. Seit dem Untergang Roms war es dieses gemischt organisierte Gemeinwesen, das am längsten, nahezu unverändert und bis in die Gegenwart hinein erfolgreich Bestand hatte. Seit je her, so die Wahrnehmung, hatte Venedig durch die institutionelle Verknüpfung von Doge, Senat und Großem Rat sowohl den Einen, die Wenigen und die Vielen an der Herrschaft beteiligt und so Stabilität generiert.¹⁸ Vgl. Nippel, Mischverfassung, S. . Der Wortgebrauch „gemischte Verfassung“ oder „Mischung“ kommt bei Polybios so allerdings noch nicht vor. Siehe Nippel, Mischverfassung, S. . Vgl. zu Polybios Interpretation der Fortuna Schlobach, Zyklentheorie, S. ; Pocock, Machiavellian Moment, S. ff. Nach Pococks Deutung wurde Fortuna sowohl zum Inbegriff von Wiederholung als auch von Unvorsehbarkeit, weil sie jederzeit ihre Karten ausspielen konnte, aber immer nur ein bestimmtes „Set an Karten“ zur Verfügung hatte. (Siehe vor allem Pocock, Machiavellian Moment, S. ). Zur Entwicklung des venetianischen Mythos im Florenz der Renaissance vgl. hier und im Folgenden Gilbert, Felix: The Venetian Constitution in Florentine Political Thought. In: Florentine Studies. Politics and Society in Renaissance Florence. Hrsg. von Nicolai Rubinstein. London .
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Für die Florentiner Bürgerschaft wurde dieses Stabilitätsmoment am Ende des 15. Jahrhunderts besonders relevant. Fortuna, so könnte man im zeitgenössischen Sinne sagen, griff in Form äußerer Bedrohung ein. Karl VIII. stand mit der französischen Armee 1494 vor Florenz, um seinen Ansprüchen auf das Königreich Neapel Nachdruck zu verleihen. Die innere Ordnung von Florenz hielt diesem Druck nicht stand, das Regime des Piero de’ Medici zerbrach und im Ringen um eine neue politische Struktur orientierten sich der alteingesessene Adel (ottimati) und Vertreter des Bürgertums nun ganz klar an dem Vorbild Venedig. Parallel zu den venezianischen Institutionen errichtete man einen Consiglio Grande (1494), eine Signoria (1512) und die Position des Gonfaloniere (1502).¹⁹ Innerhalb der Diskussionen um diese neue Verfassung wurde nun die Rezeption Venedigs als Mischverfassung, als tatsächliche Verbindung der Herrschaft des Einen, der Wenigen und der Vielen, als starke Position entwickelt, die ein bis dahin in Florenz dominierendes Bild Venedigs als Aristokratie abzulösen begann.²⁰ Das Argument einer möglichst weiten Beteiligung der Florentiner Bürgerschaft am Consiglio Grande, auch unter Einbezug nicht elitärer Gruppen, wurde mit Verweis auf die Verfassung Venedigs vorgebracht. Das Vorbild Venedig diente nun also nicht mehr ausschließlich den Ottimati, die eine Adelsrepublik mit einem geschlossenen Kreis an politisch Aktiven favorisierten, sondern bot Anschlussmöglichkeiten für unterschiedliche Positionen.²¹ Selbst Girolamo Savonarola (1452– 1498), der in politischen Umbrüchen 1494 eine entscheidende Rolle spielte und der Florenz als ausgewählten Ort einer göttlichen, apokalyptischen Veränderung der Welt pries, empfahl in seinen Predigten eine Reform der Verfassung nach venezianischem Vorbild. Er betonte dabei die tragende Rolle des Consiglio Grande und verwarf das Amt eines erblichen Dogen.²² S. – ; Gilbert, Felix: Machiavelli und Giucciardini. Politics and History in Sixteenth Century Florence. Princeton . Vgl. Gilbert,Venetian Constitution, S. – ; Pocock, Machiavellian Moment, S. – , S. . Vgl. Gilbert, Venetian Constitution, S. – . Gilbert stellt hier auch klar, dass die Rezeption der venezianischen Verfassung vor auf eine kleine, klar abgrenzbare Gruppe von florentinischen Adligen beschränkt blieb. Bzgl. dieser Verfassungsdiskussionen und der Rolle Venedigs innerhalb dieser Diskussionen siehe Gilbert, Machiavelli und Guicciardini, S. – , S. ; Pocock, Machiavellian Moment, S. – ; Skinner, Quentin: The Foundations of Early Modern Political Thought. Bd. : The Renaissance. Cambridge . S. f. Vgl. Savonarola, Girolamo: Prediche italiane ai fiorentini: , Novembre-Dicembre del , a cura di Francesco Cognasso/Roberto Palmarocchi. Bde. Perugia Venezia [u. a.] – . Bd. . S. (. December ). Und die Predigt vom . Dezember (Bd. . S. ). Vgl. auch Gilbert, Venetian Constitution, S. – ; Pocock, Machiavellian Moment, S. und
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Felix Gilbert und John G. A. Pocock haben die Verfassungsdiskussionen am Ende des 15. Jahrhunderts als entscheidenden Ausgangspunkt für den einflussreichen Florentiner Beitrag zur Entwicklung des sogenannten „Mythos Venedigs“ herausgearbeitet.²³ Pocock wertet darüber hinaus in seiner Abhandlung The Machiavellian Moment die Referenzen auf Venedig der Autoren, die auf diesen politischen Umbruch folgten, gewissermaßen als Index für verschiedene Lösungsstrategien, die sich dem Problem der Stabilität der Republik im Glücksrad der Zeit stellten.²⁴ Die wohl prominenteste Strategie entwickelte der Florentiner Niccolò Machiavelli (1469 – 1527). In seinen Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, die er nach dem erzwungenen Ende seiner aktiven politischen Karriere (1498 – 1512) und der Wiedererrichtung der Medici-Herrschaft in Florenz 1512 abfasste,²⁵ präsentierte auch er die Mischverfassung als Ideal einer gut geordneten und stabilen Republik.²⁶ S. – . Der Fokus der Predigten Savonarolas lag allerdings insgesamt mehr auf den Tugenden der Bürgerschaft als auf der institutionellen Einrichtung der Verfassung. Siehe Gilbert, Venetian Constitution; Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Zur Entstehungszeit der Discorsi vgl. Bausi, Francesco: Introduzione. In: Machiavelli, Niccolò: Discorsi Sopra La Prima Deca Di Tito Livio, a cura di Francesco Bausi (Edizione Nazionale Delle Opere Di Niccolò Machiavelli, Sezione I Opere Politiche). Bde. Rom . Bd.. S. ix–xxxiii. Zur Biographie Machiavellis siehe u. a. Atkinson, James B.: Niccolò Machiavelli: A Portrait. In: The Cambridge Companion to Machiavelli. Hrsg. von John M. Najemy. Cambridge . S. – und Viroli, Maurizio: Niccolò’s Smile: A Biography of Machiavelli. Translated by Anthony Shugaar. New York . Machiavelli, Discorsi, Bd. , S. (I.): „Dico adunque che tutti i detti modi sono pestiferi, per la brevitá della vita che è ne’ tre buoni e per la malignitá che è ne’ tre rei. Talché, avendo quegli che prudentemente ordinano leggi conosciuto questo difetto, fuggendo ciascuno di questi modi per se stesso, ne elessero uno che participasse di tutti, giudicandolo piú fermo e piú stabile, perché l’uno guarda l’altro sendo in una medesima cittá il principato, gli ottimati e il governo popolare.“ In der Folge erläutert Machiavelli diese Mischverfassung anhand von Sparta und Rom, wo durch die Einführung der Volkstribunen und damit der Mischung aller drei guten Regierungsformen schließlich die repubblica perfetta entstanden sei. Vgl. dazu Viroli, Maurizio: Machiavelli. Oxford . S. und Pocock, Machiavellian Moment, S. . Machiavelli orientiert sich hier mit seinen Kategorien offensichtlich an Polybios, siehe Discorsi I.2 (S. 11). Über die grundlegenden Quellen Machiavellis und des italienischen Republikanismus der Renaissance wurde aber in der Forschung kontrovers diskutiert. Grundlegend dazu Baron, Hans: The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny. 2 Bde. Princeton 1955; Pocock, Machiavellian Moment (der Aristoteles als Vorläufer stark macht) und Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, Bd. 1; Skinner, Quentin: Machiavelli’s Discorsi and the Pre-Humanist Origins of Republican Ideas. In: Machiavelli and Republicanism. Hrsg. von Gisela Bock, Quentin Skinner u. Maurizio Viroli.
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Machiavelli diskutiert in seiner Abhandlung dabei durchgehend drei Positivbeispiele, die eine solche Mischverfassung aufweisen würden: Rom, Sparta und Venedig. Deren Unterschiedlichkeit habe allerdings bereits mit der Art der Staatsgründung begonnen, so Machiavelli. Während Sparta mit Lykurg durch einen weisen Gesetzgeber erschaffen worden sei und Rom mit Romulus zumindest in weiten Strecken der Einrichtung des Gemeinwesens einen solchen aufgewiesen habe, sei die gesetzliche Ordnung Venedigs Produkt des Erhaltungstriebes zufällig an diesem Ort zusammengekommener Flüchtlinge. Die Lage am Meer und die Schwäche der umliegenden Nachbarn hätten darüber hinaus eine positive Entwicklung begünstigt.²⁷ Ferner hätten innere Unruhen in Venedig immer vermieden werden können, anfangs durch die Übereinstimmung von Regierenden und Regierten, später durch die klare machtpolitische Trennung und das weiterhin ausgewogene Verhältnis zwischen diesen.²⁸ Auf diese Weise habe Venedig schließlich zu einem erfolgreichen Staat von „langer Dauer“ werden und sich als Vorreiter unter den „neueren Republiken“ etablieren können.²⁹ Eine konsequente und vor allem maßvolle Befestigungspolitik hätten Venedig darüber hinaus in ein über weite Strecken gutes Verhältnis zu den umliegenden Nachbarn gestellt, welches wiederum die Stabilität des Gemeinwesens beförderte.³⁰ Im Laufe der Discorsi kommt Machiavelli immer wieder und unter verschiedenen Gesichtspunkten auf das venezianische Beispiel zurück und legt Vor- und Nachteile der Serenissima offen.³¹ So lobt er die Einrichtung des Rats der Zehn und dessen Recht „in dringenden Fällen ohne anderweitige Beratung unter der Voraussetzung der Einstimmigkeit Entscheidungen jeder Art zu fällen“. Denn Venedig hätte so dem genuinen Problem der Freistaaten, nur sehr langsam Entscheidungen fällen zu können, abgeholfen.³² In Notfällen, das heißt in unaufschiebbaren Entscheidungssituationen, seien die Venezianer zudem auf diese Weise nicht gezwungen, das Gesetz zu brechen und sich so der Gefahr des Untergangs aus-
Cambridge 1990. S. 121– 141 (der vor allem Cicero und andere lateinische Quellen ausmacht). Vgl. außerdem dazu Hankins, James: Renaissance Civic Humanism: Reappraisals and Reflections. Cambridge 2000. Machiavelli, Discorsi, I., S. f. Vgl. auch Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Vgl. Machiavelli, Discorsi, I.. Machiavelli, Discorsi, I. (S. ); Machiavelli, Discorsi, I.: „e la republica viniziana, la quale intra le moderne republiche è eccellente […].“ Machiavelli, Discorsi, I., S. . Vgl. dazu auch Gilbert, Venetian Constitution, S. f. Machiavelli, Discorsi, I., S. : „[…] ha riservato autoritá a pochi cittadini che ne’ bisogni urgenti, sanza maggiore consulta, tutti d’acordo possino deliberare.“
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zusetzen.³³ Ebenso positiv beurteilt Machiavelli die institutionell eingerichtete Kontrolle des venezianischen Dogen durch ein Beratergremium³⁴ sowie die grundsätzliche Überlegung, durch institutionelle Vorkehrungen die Möglichkeiten zu schaffen, die „Mächtigen im Zaun zu halten“.³⁵ Insgesamt sei der alltägliche Geschäftsgang des Staates in Venedig sehr gut organisiert, vor allem auch durch die gesetzliche Bestimmung, dass kein Amt niedergelegt werden dürfe, bevor nicht ein Nachfolger ernannt sei. Hier habe Venedig aus früheren Fehlern gelernt.³⁶ In anderen Bereichen des Gemeinwesens sei ein solcher Lerneffekt allerdings ausgeblieben. So sei man in Venedig etwa immer noch der „irrtümlichen Ansicht“, dass die einzelnen Bürger nie wieder einen niedrigeren Posten bekleiden dürften als die bisher höchste eigene Position. Auf diese Weise bringe sich die Republik um die wertvolle Chance, dass Erfahrene ihr Wissen an Jüngere im gleichen fachlichen Umfeld weitergeben könnten.³⁷ Vor allem aber würden die Venezianer Mängel im Kriegswesen aufweisen, woraus eine große Feigheit resultiere, die die Venezianer schon mehrmals an den Rand des Untergangs gebracht hätten.³⁸ Machiavelli stellt hier den Venezianern das positive Beispiel Roms entgegen: Se adunque una cittá sará armata e ordinata come Roma, e che ogni dí ai suoi cittadini, e in particulare e in publico, tocchi a fare isperienza e della virtú loro e della potenza della fortuna, interverrá sempre che in ogni condizione di tempo ei fiano del medesimo animo, e manterrano la medesima loro degnità. Ma quando e‘ fiano disarmati, e che si appoggeranno solo agli impeti della fortuna e non alla propria vitù, varieranno col variare di quella, e daranno sempre di loro esemplo taleche hanno dato i Viniziani.³⁹
Machiavelli, Discorsi, I., S. . Machiavelli, Discorsi, I.. Machiavelli, Discorsi, I., S. f. Machiavelli, Discorsi, I.. Machiavelli, Discorsi, I., S. . Machiavelli, Discorsi, II.; III.; III., Bd., S. : „[…] se a Vinegria e negli ordini loro fosse stata alcuna qualità di virtú, facilmente si potevano rifare, e rimostrare du nuovo il viso alla fortuna, e essere a tempo o a vincere o a perdere piú gloriosamente o ad avere accordo piú onorevole. Ma la viltà dello animo loro, causata dalla qualità de’ loro ordini non buoni nelle cose della Guerra, gli fece ad un tratto perdere lo stato e l’animo. E sempre interverrà cosí a qualunque si governa come loro.“ Das Kriegswesen und die Bewaffnung der Bürgerschaft spielen bei Machiavelli eine zentrale Rolle. Sein Werk „Sieben Bücher über die Kriegskunst“ (um 1520 vollendet und 1521 gedruckt) entsteht nahezu zeitgleich zu den Discorsi. Siehe dazu u. a. Hörnqvist, Mikael: Machiavelli’s Military Project and the Art of War. In:The Cambridge Companion to Machiavelli. Hrsg.von John M. Najemy. Oxford 2010. S. 112– 127. Machiavelli, Discorsi, III., Bd., S. .
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Diese Unterscheidung trifft den Kern der Begründung, warum Machiavelli letztlich doch Rom als nachahmungswertes Modell der Republik Venedig vorzieht.⁴⁰ Venedig habe seine Stabilität der Mischverfassung, der institutionellen Absicherung der inneren Ruhe, der klaren Abgrenzung der Regierenden von den Regierten, dem ausgewogenen Verhältnis zwischen diesen beiden Gruppen und einer guten Befestigungspolitik zu verdanken. Der Schutz der Freiheit habe dabei immer in den Händen des Adels und nicht wie in Rom beim Volk gelegen.⁴¹ Die Konsequenz dieser Art Einrichtung des Gemeinwesens sei aber auch immer eine defensive Außenpolitik gewesen. Die Bewaffnung einer nur kleinen Gruppe der Bevölkerung und das notwendig gute Verhältnis zu den Nachbarn, die nicht den Verdacht einer Eroberungspolitik erlangen durften, hätten Venedig unfähig und unwillig zur Expansion gemacht.⁴² Machiavelli kommt mit Blick auf Venedig deshalb zu dem vorläufigen Schluss: „E sanza dubbio credo che potendosi tenere la cosa bilanciata in questo modo, che e‘ sarebbe il vero vivere politico e la vera quiete d’una città.“⁴³Aber er schränkt diese bereits im Konjunktiv gehaltene Aussage sogleich ein: Ma sendo tutte le cose degli uomini in moto, e non potendo stare salde, conviene che le salghino o che le scendino, e a molte cose che la ragione non t’induce, t’induce la necessitá; talmente che, avendo ordinata una republica atta a mantenersi non ampliando, e la necessità la conducesse ad ampliare, si verrebbe a tôr via i fondamenti suoi, e a farla rovinare piú tosto.[…] Pertanto, non si potendo (come io credo) bilanciare questa cosa, né mantenere questa via del mezzo appunto, bisogna nello ordinare la republica pensare alle parte piú onorevole, e ordinarle in modo che, quando pure la necessitá le inducesse ad ampliare, elle potessono quello che l’avessono occupato conservare.⁴⁴
Ein solcher Staat mit einer „Verfassung, die ihn in den Stand setzt, sich zu vergrößern, wenn es die Notwendigkeit fordert, und zu erhalten, was er erobert hat“,
Zur Unterscheidung von expansiven und nicht-expansiven Gemeinwesen bei Machiavelli und der daraus resultierenden Überlegenheit Roms als Modell siehe auch Pocock, Machiavellian Moment, S. f.; Pocock, Rome, S. – ; Viroli, Machiavelli, S. . Machiavelli, Discorsi, I. , S. – : „E perché in ogni republica sono uomini grandi e popolari, si è dubitato nelle mani di quali sia meglio collocata detta guardia. E appresso a‘ Lacedemoni, e ne‘ nostri tempi appresso de‘ Viniziani, la è stata messa nelle mani de’ nobili; ma appresso de‘ Romani fu messa nelle mani della plebe. […] E infine, chi sottilmente esaminerà tutto ne farà questa conclusione: o tu ragioni d’una republica che voglia fare uno imperio, come Roma, o d’una che le basti mantenersi. Nel primo caso gli è necessario fare ogni cosa come Roma; nel secondo può imitare Vinegia e Sparta […]“.Vgl. auch dazu Pocock, Machiavellian Moment, S. f. Machiavelli, Discorsi, I.. Machiavelli, Discorsi, I., S. f. Machiavelli, Discorsi, I., S. f.
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war für Machiavelli das antike Rom.⁴⁵ Die Geschichtsauffassung der Renaissance kommt hier entscheidend zur Geltung. Fortunas unvorhersehbaren und notwendigen Eingriffen, meist in Form von äußeren Ereignissen, gelte es offensiv zu begegnen und die notwendigen Voraussetzungen für eine solche Offensive zu schaffen.⁴⁶ Dafür könne ein Gemeinwesen auch innere Unruhen sowie eine politische Beteiligung eines großen Teils der Bevölkerung in Kauf nehmen. Aus dem „notwendigen Übel“⁴⁷ innerer Auseinandersetzungen könnten gar neue Vorteile für das Gemeinwesen erwachsen.⁴⁸ Machiavellis Beispiel einer idealen Republik, das es nachzuahmen galt, blieb also Rom, nicht Venedig.⁴⁹ Anders bewertete dies der Florentiner Francesco Guicciardini (1483 – 1540), der in den Orti Oricellari des Cosimo Rucellai mit Machiavelli über die politischen Zustände in Florenz diskutierte.⁵⁰ Er lobt in seinem 1521 und (wahrscheinlich) 1524⁵¹ entstandenem Dialogo del Reggimento di Firenze Venedig gerade für die institutionelle Vermeidung bürgerlicher Unruhen und das Vermögen, die tu-
Machiavelli, Discorsi, I., S. . Neben der Art der römischen Expansion in Form von kriegerischen Eroberungen nennt Machiavelli auch die Möglichkeit der Expansion durch Bündnisschluss. Hier spielt der Schweizer Bund als Modell neben dem antiken Beispiel der Etrusker eine wichtige Rolle. Vgl. Machiavelli, Discorsi, II.. Machiavelli benennt explizit Vor- und Nachteile eines solchen Bündnisschlusses, sieht diese Form der Expansion aber klar nur als zweitbeste Möglichkeit an: „Il modo preallegato delle leghe, come viverono i Toscani, gli Achei e gli Etoli, e come oggi vivono i Svizzeri, è dopo a quello de’ Romani il migliore modo […].“ (S.). Machiavelli, Discorsi, I., S. . Vgl. etwa Machiavelli, Discorsi, I., S. – . Dabei gilt es sicherlich zwischen der „normativen Erzählung“ Rom und der „historischen Erzählung“ Rom mit Blick auf seine Schriften zu unterscheiden. Vgl. Pocock, Rome, S. . Im Vorwort der Discorsi ruft Machiavelli bereits explizit zur Nachahmung der Alten auf. Vgl. Machiavelli, Discorsi, I. Proemio. Vgl. Skinner, Foundations, S. . Giucciardinis Dialogo spiegelt in seinem Aufbau genau diese Gesprächssituation. Ein Vertreter der Ottimati (Piero Capponi), zwei Bürger (Pagolantonio Soderini und Piero Giucciardini) und ein Amtsträger der Medici (Bernardo del Nero) diskutieren die Situation Florenz miteinander. Für Biographie und Werk Giucciardinis siehe Brown, Alison: Introduction. In: Giucciardini, Piero: Dialogue on the Government of Florence. Hrsg. und übersetzt von Ders. (Cambridge Texts in the History of Political Thought). Cambridge . S. vii-xxxvi; Ridolfi, Roberto: The Life of Francesco Guicciardini. London . Im Unterschied zu Machiavelli konnte Giucciardini seine politische Karriere, die er als politisch tätiger Rechtsanwalt und Botschafter in Spanien begonnen hatte, auch nach Wiedererrichtung des Medici-Regimes nahtlos fortführen. kehrt er nach Florenz zurück, wird dort Mitglied der Signoria und macht bald Karriere an der Kurie unter dem neuen Medici-Papst. Zum genauen Entstehungszeitpunkt des Dialogo finden sich in der Forschungsliteratur verschiedene Angaben. Brown, Introduction, S. x, nennt neben den April als Datum. Skinner, Foundations, S. f. verweist auf und .
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gendhaftesten Bürger mit der größten Regierungsverantwortung zu betrauen.⁵² Venedig ist aufgrund seiner perfekt eingerichteten Mischverfassung das Modell, das Giucciardinis Alter Ego Bernardo Nero⁵³ Florenz zur Orientierung empfiehlt: […] ha [die von Bernardo zuvor entworfene Idealverfassung] grandissima similitudine col governo viniziano, el quale, se io non mi inganno, è il più bello e el migliore governo non solo de’ tempi nostri, ma ancora che forse avessi mai a’ tempi antichi alcuna città, perché participa di tutte le spezie de’ governi, di uno, di pochi e di molti, e è temperato di tutti in modo che ha raccolta la maggiore parte de’ beni che ha in sé qualunche governo e fuggiti la più parte de’ mali.⁵⁴
Folgt man der Interpretation Quentin Skinners und John Pococks, so ist Guicciardinis Abhandlung um diesen Kerngedanken der Mischverfassung als Garant für Freiheit und Stabilität herum konstruiert.⁵⁵ Während das erste Buch des Dialogo verschiedene Formen und Richtungen aufzeigt, in die Florenz bisher von dieser Norm abgewichen sei und so seine Freiheit verspielt hätte, präsentiert das zweite Buch genau diese Norm der Mischverfassung als Lösungsansatz. Dabei lässt Guicciardini seine Figuren auch immer wieder über die konkrete Anwendbarkeit auf die Florentiner Situation räsonieren. Im Zuge dieser Überlegungen wird Venedig in Abgrenzung zu Sparta und Rom klar als das für Florenz am besten zu adaptierende Modell herausgearbeitet, da die beiden Gemeinwesen in ihrer Struktur und ihren Voraussetzungen die größten Übereinstimmungen aufweisen würden. Bernardo, der seine langen Ausführungen über einzelne Reformvorschläge für florentinische Institutionen genau mit der Absichtserklärung, eine solche Anwendbarkeit der drei verschiedenen Beispiele für Florenz zu prüfen,
Vgl. u. a. Giucciardini, Piero: Dialogo del Reggimento di Firenze. In: Opere di Francesco Guicciardini,Volume primo. A cura di Emanuella Lugnani Scarano.Turin . S. – . Libro II, S. . Auch hier gibt es in der Forschungsliteratur unterschiedliche Auffassungen, inwiefern Bernardo die Auffassung Giucciardinis wiedergibt. Alison Brown wertet keine der im Dialog auftretenden Personen als Sprachrohr Giucciardinis und lässt deshalb auch die Diskrepanz zwischen dem ersten und dem zweiten Buch unaufgelöst stehen. Quentin Skinner und John Pocock hingegen sehen Bernardo klar als die Figur an, die Giucciardinis Meinung präsentiert und sie werten deshalb auch das zweite Buch als deutlichen Ansatz einer Lösungsstrategie Giucciardinis für Florenz. Vgl. Brown, Introduction; Skinner, Foundations, S. ; Pocock, Machiavellian Moment, S. . Giucciardini, Dialogo, II, S. . Giucciardini führt den Aufbau der Mischverfassung im Anschluss an diesen Satz noch weiter aus. Vgl. Skinner, Foundations, S. ; Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Giucciardini plädiert auch in anderen Schriften für die Mischverfassung als Garant der Freiheit. Siehe dazu: Skinner, Foundations, S. .
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beginnt,⁵⁶ konstatiert schnell: „El governo nostro populare è adunche della spezie medesima che quello di Vinegia.“⁵⁷ Der Unterschied bezüglich der geographischen Lage sei vorhanden, aber einer Adaption der venezianischen Lösung für die ebenfalls unbewaffnete Stadt Florenz nicht hinderlich.⁵⁸ In der Folge diskutiert Bernardo dann institutionelle Stabilitätsmechanismen und einzelne Ämter immer mit Verweis auf das venezianische Vorbild. Das Ideal, das hier vermittelt werden soll, ist das eines governo stretto. Es geht nicht unbedingt um die Beteiligung möglichst vieler an den Regierungsgeschäften, sondern die Vielen sollen vielmehr die Wenigen an ihre Hingabe für das Gemeinwohl als Merkmal größter Tugendhaftigkeit und Ehre erinnern. Die Wenigen könnten ihre Weisheit auch nur dann in Nutzen für das Gemeinwohl umwandeln,wenn sie nicht in Abgeschiedenheit arbeiten, sondern wenn ihre Arbeit von den Vielen als ehrenhaft anerkannt wird. Das gut eingerichtete Gemeinwesen bedürfe folglich einer präsenten Öffentlichkeit.⁵⁹ Aus dieser Überlegung heraus erwächst dann auch Bernardos einziger Kritikpunkt am venezianischen System: Die Wahl zum Dogen und zu allen übrigen Ämtern, vor allem auch dem Senat, dürfe nicht per Los und dann durch eine relativ geringe Anzahl von Personen erfolgen. Private Abhängigkeitsverhältnisse und Korruption hätten so weiterhin einen zu großen Einfluss.⁶⁰ Der richtige Weg hingegen, um die besten Männer auszuwählen, sei die öffentliche Abstimmung einer möglichst großen Zahl von Bürgern.⁶¹ Guicciardini knüpft mit seiner Darstellung Venedigs im Dialogo und den Vorschlägen zur Anwendung des venezianischen Modells in Florenz an die Position der Ottimati von 1496 an. Vor allem aber präsentiert er die strukturelle Organisation der Republik Venedig als Mischverfassung als Garant für eine institutionell abgesicherte Stabilität und damit für eine lange Dauer in dem von Fortuna bestimmten Lauf der Geschichte.⁶² Diese Elemente werden im Laufe des
Giucciardini, Dialogo, II, S. f. Guicciardini, Dialogo, II, S. . Guicciardini, Dialogo, II, S. . Siehe u. a. Giucciardini, Dialogo, II. Zu Giucciardinis Verständnis von virtù und onore und der Forderung nach einer präsenten Öffentlichkeit vgl. Pocock, Machiavellian Moment, S. f. und S. – . Guicciardini, Dialogo, II, S. f. Bernardo präsentiert hier auch ein historisches Beispiel aus Venedig, bei dem diese Mängel direkt sichtbar geworden seien. Vgl. dazu auch Pocock, Machiavellian Moment, S. f. Guicciardini, Dialogo, II, S. . In der Folge empfiehlt Bernardo dieses Prozedere genauso für die Wahl der Senatoren. Dialogo, II, S. : (Bernardo:) „A me pare che el governo viniziano per una cittá disarmata sia così bello come forse mai avessi alcuna republica libera; e oltre che lo mostra la esperienza, perché
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16. und 17. Jahrhunderts präsente und dominante Merkmale einer Sicht von außen auf die Republik von Venedig bleiben. Allein die Ablehnung der mechanischen, technischen Komponente des Losverfahrens als große Unterstützung einer korruptionsfreien, weisen Wahl der politisch Verantwortlichen ist bei Guicciardini außergewöhnlich und wird in der Folge in ihrer Umkehrung als positives Argument ins Feld geführt werden.⁶³ Schon bei Donato Giannotti (1492– 1573), den Quentin Skinner als „last important theorist“ der Florentiner Renaissance-Humanisten bezeichnet,⁶⁴ wird diese mechanisch-technische Variante der Ämtervergabe als zentrales Element der venezianischen Ruhe und Stabilität gewertet. In seiner Abhandlung Repubblica de’Vineziani, die er in den 1520er Jahren abfasste,⁶⁵ präsentiert er gerade die Prinzipien der Ämterverteilung und –gestaltung als stützende Pfeiler der vorbildhaften venezianischen Ordnung. Ausführlich bespricht er etwa die Prozedur der Dogenwahl.⁶⁶ Die differenziert ausgearbeitete und ausgewogene Mischung von Wahl- und Losverfahren, die die Venezianer im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hätten, ermögliche eine stete Überordnung des Gemeinwohls über die
essendo durato già centinaia di anni florido e unito come ognuno sa, non si può attribuire alla fortuna o al caso […].“ Und ebd., S. . Zu den Anfängen der Wahrnehmung Venedigs als Mischverfassung in einem Blick von außen siehe grundsätzlich Bouwsma, William J.: Venice and the Defense of Republican Liberty. Renaissance Values in the Age of the Counter Reformation. Berkley/Los Angeles 1968. S. 63 f., der den Griechen Trapezuntius (1395 – 1472/1484) als ersten nennt, der Venedig 1452 in einem Brief als solche bezeichnet habe. Vgl. auch Pocock, Machiavellian Moment, S. . Skinner, Foundations, S. . Zur Entstehungszeit und dem Aufbau der Repubblica de’Vinezia siehe Gilbert, Venetian Constitution, S. f. und Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Gedruckt wurde diese Abhandlung erst , sie zirkulierte aber bereits in Florenz ab . Der Text ist in Dialogform verfasst. Einer der Hauptakteure ist Giovanni Borgherini, den Giannotti auf seinen Reisen nach Padua und Venedig begleitete. Ursprünglich hatte Giannotti das Buch wohl als dreiteilige Abhandlung geplant: nach einer generellen Einführung der Regierungsstrukturen in Buch 1 (l’amministrazione universale), sollte eine detaillierte Vorstellung der einzelnen Ämter (particolarmente) und schließlich ein drittes Buch über die Form und den Aufbau der Republik folgen (la forma e composizione di essa Repubblica). Giannotti stellte allerdings nur das erste Buch fertig und nur dieses wurde später auch publiziert. Giannotti, Donato: Della Repubblica De‘Veneziani. In: Opere Di Donato Giannotti. Bd.. Pisa (Collezione Di Ottimi Scrittori Italiani In Supplemento AI Classici Milanesi ). S. – . Die Prozedur der Dogenwahl findet sich hier auf S. – .
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Interessen einzelner Parteien und Privatleute.⁶⁷ Gemäß Pocock präsentiert Giannotti das venezianische System auf diese Weise als gelungene „Mechanisierung der virtù“.⁶⁸ Die Betonung dieser technischen Komponente des Erfolgs Venedigs lässt Giannottis Abhandlung in der Folge zu einem wichtigen Referenzwerk derer werden, die sich mit der Serenissima beschäftigen.⁶⁹ Eine solche Aufmerksamkeit erlangte es zudem, weil Giannotti hier mit einer detaillierten Kenntnis und Beschreibung der venezianischen Institutionen aufwarten konnte. Dieses Wissen rührte nicht zuletzt von seinen eigenen Aufenthalten in der Lagunenstadt als Begleiter Giovanni Borgherinis (1526) und als Kanzler des florentinischen Botschafters in Venedig (1527) während der Abfassung des Textes.⁷⁰ Weitere Schwerpunkte dieser Abhandlung finden sich dann auch in zahlreichen Reiseberichten des 16. und 17. Jahrhunderts: die Beschreibung der Stadtansicht in den höchsten Tönen, die Betonung der günstigen Lage, die Reflexion über das Kanalsystem und mögliche Transportmittel oder die Darlegung von Sitten und Bräuchen.⁷¹ Vor allem aber widmet sich Giannotti in seiner Darstellung ausführlich dem venezianischen Justizwesen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf zwei Aspekten: der Möglichkeit, auch einfacher Bürger, sich an die Gerichte wenden zu können, und den venezianischen Vorkehrungen, um Parteilichkeit und Bestechlichkeit zu vermeiden. Das gut durchdachte Justizsystem Venedigs trage unabdingbar zur
Giannotti vertritt nicht die Ansicht, dass Venedig schon seit seiner Gründung perfekt eingerichtet gewesen sei. Er zeichnet vielmehr in seinem Werk eine historische Entwicklung nach. Vgl. dazu auch Gilbert, Venetian Constitution, S. . Vgl. auch Skinner, Foundations, S. . Pocock, Machiavellian Moment, S. . Pocock, Machiavellian Moment, S. : „ Giannotti’s nonmythical account became one of the standard in the literature of the mito.“ Vgl. auch Crouzet-Pavan, Elisabeth: „Sopra le acque salse“. Espaces, Pouvoir et Société à Venise à la fin du Moyen Âge. Bd. II. Rom (Nuovo Studi Storici ). S. .Vgl. dazu etwa auch zahlreiche deutsche Übersetzungen aus dem . Jahrhundert und . Jahrhundert: Giannotti, Donato: Respublica Venetum: Der grossen Commun, der Statt Venedig, ursprung, erbaung und aufnemung […] Aus ital. Sprach verteutscht. Neubrug an der Thunaw (gedruckt inn Hansen Kilians Churfürstlichen Secreatrij Druckerey) ; Giannotti, Donato: Respublica das ist: warhaffte eigentliche und kurtze Beschreibung der herrlichen und weitberümpten Statt Venedig […] Durch Herrn Donatum Giannotti von Florentz Italienisch beschrieben, und jetzt in Teutsche Sprach gebracht. Franckfurt am Mayn [gedruckt durch Peter Schmidt, in Verlegung Sigismund Feyerabendts] ; Giannotti, Donato: Respublica Venetiae, das ist: Der Welt-beruffenen Stadt Venedig, und selbiger Signoriae Ursprung, Anfang, Aufnahm, Erbauung, ihrer Herrschafft Erweiterung, Regimenter, Ordnung, Rüstung, Einkommen und Ausgaben […]. o.O. . Siehe hier und zu den möglichen Quellen Giannottis Gilbert, Venetian Constitution, S. – . Siehe Giannotti, Repubblica De‘Veneziani, S. – .
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inneren Ruhe des Gemeinwesens und damit zur Stabilität bei, denn der Großteil der Bürger, der nicht aktiv an der Regierung beteiligt sei, fühle sich rechtlich abgesichert und bliebe deswegen zufrieden und loyal.⁷² Der Begriff der Mischverfassung oder die Idee einer Mischung verschiedener Verfassungsformen findet sich hingegen in Giannottis Repubblica de’Vineziani nicht.⁷³ Er beschreibt die venezianische Regierung vielmehr traditionell als Aristokratie in Form einer Pyramide mit dem Consiglio Maggiore als Fundament, dem Senat und dem Collegium als verengte Mittelteile und dem Dogen an der Spitze.⁷⁴ Das Konzept der Mischverfassung wurde bei Giannotti erst relevant, als es um die konkrete Anwendbarkeit des venezianischen Vorbilds auf die Florentiner Situation ging. War die Repubblica de’Vineziani noch vorwiegend als literarischer und politisch informativer Text gedacht,⁷⁵ so erhielten Giannottis Reflexionen über die Lagunenstadt in der erneuten Diskussion um und nach der Absetzung der Medici-Herrschaft 1527 neue politische Relevanz. Angesichts des Vormarsches spanischer Truppen unter Karl V. (1500 – 1558) und der damit einhergehenden Schwächung des Papsttums, dem wichtigsten Verbündeten der Florentiner Medici, gelang 1527 einer Gruppe von Oppositionellen der Regimeumsturz in Florenz. Schon im Jahr zuvor hatten sich einige dieser Oppositionellen mit Blick auf die sich abzeichnende Entwicklung versammelt, um eine Absetzung der Medici zu planen.⁷⁶ Giannotti verkehrte in diesem Kreis, wurde nach dem Umsturz Erster Sekretär der Zehn und von dem neuen Gonfaloniere Niccolò Capponi (1472– 1529) beauftragt, ein Traktat zu verfassen, in dem er darlegen sollte, welche Veränderungen und Neuerungen er für die politischen Institutionen in Florenz als wünschenswert ansehen würde. In diesem Discorso sopra il fermare il governo di Firenze favorisierte Giannotti klar eine Mischverfassung für Florenz und rekurrierte dabei immer wieder auf das Beispiel Venedigs. Die Vielen sollten durch den Consiglio Grande repräsentiert werden, die Wenigen durch den Senat, der Eine
Siehe Giannotti, Repubblica De‘Veneziani, S. – . Vgl. dazu auch Gilbert, Venetian Constitution, S. f. Siehe auch Pocock, Machiavellian Moment, S. und Gilbert,Venetian Constitution, S. . Pocock reflektiert über eine mögliche Absicht Giannottis, das Mischverfassungskonzept in dem nie vollendeten, geplanten dritten Teil der Abhandlung darzulegen. (Pocock, Machiavellian Moment, S. ). Quentin Skinner scheint die Idee der Mischverfassung in diesem Text Giannottis hingegen klar auszumachen. Sein Verweis auf die entsprechende Quellenstelle ist aber nicht unbedingt überzeugend. Vgl. Skinner, Foundations, S. . Siehe Giannotti, Repubblica De‘Veneziani, S. – .Vgl. auch Gilbert,Venetian Constitution, S. f. Bzgl. der Intentionen Giannottis bei Verfassen der Schrift siehe Gilbert,Venetian Constitution, S. f. Vgl. Gilbert, Venetian Constitution, S. .
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durch den Gonfalionere auf Lebenszeit.⁷⁷ Giannotti weist dem Senat dabei eine tragende Rolle zu und betont zudem die Wichtigkeit eines Beratergremiums für den Gonfalionere.⁷⁸ Diese Position wurde auch in zahlreichen anderen Memoranden vertreten, die in der Diskussion nach dem Regimeumbruch entstanden. Fast immer war auch hier der Bezug auf das Vorbild Venedig präsent.⁷⁹ Normatives Ziel blieb dabei für Giannotti wie auch für die vorangegangen Denker der italienischen Renaissance die Stabilität des Gemeinwesens.⁸⁰ Venedig diente diesen Denkern dabei aufgrund seiner Langlebigkeit als naheliegendes Referenzobjekt, anhand dessen man die eigene Situation diskutieren konnte. Die Einrichtung als Mischverfassung, die Förderung institutioneller Stabilitätsmechanismen, die günstige geographische Lage und das ausgeklügelte technische Unterstützungsverfahren zur Vermeidung von Korruption kristallisierten sich im Zuge dieser Überlegungen als Garanten der venezianischen Stabilität heraus. Ein spezifisch zyklisches Zeitverständnis bedingte den Aufstieg Venedigs zum nachahmungswürdigen Vorbild. Dennoch wurde dieses Vorbild Venedig nicht uneingeschränkt idealisiert, Kritik war möglich und wurde geübt – etwa mit Blick auf die militärische Organisation und Fähigkeit der Venezianer.⁸¹ Die politischen Denker der italienischen Renaissance und allen voran die Florentiner nutzten Venedig vielmehr kritisch als Referenzobjekt, das Lösungsansätze bereit hielt, deren Anwendbarkeit für die eigene Situation und das eigene Gemeinwesen aber immer geprüft werden mussten. Dabei griffen sie auf Elemente eines Venedigbildes zurück, das in den vorangegangen Jahrhunderten als venezianisches
Vgl. Pocock, Machiavellian Moment, S. . Siehe dazu auch Gilbert, Venetian Constitution, S. . Siehe Gilbert, Venetian Constitution, S. . Giannotti selbst behielt diesen Bezug auch in seinem späteren Werk, der Repubblica Fiorentina, die er nach dem Wiederaufstieg der Medici im Exil verfasste, bei. Am Ende des dritten Buches dieser Abhandlung entwirft er das Ideal einer Verfassung für Florenz, welches starke venezianische Züge trägt. (Giannotti, Donato: Die Republik Florenz. Hrsg. und eingeleitet von Alois Riklin. Übersetzt und kommentiert von Daniel Höchli (Humanistische Bibliothek, Reihe II, ). München .Vorbildlichkeit Venedigs unter anderem S. . S. f. S. . S. – . S. – ). Wieder favorisiert Giannotti eine Mischverfassung, dessen Schwergewicht er dieses Mal auf den Großen Rat legt. Wie in seiner Venedigbeschreibung bemüht Giannotti hier das Bild der Pyramide (Giannoti, Republik Florenz, S. ). Machiavellis Gedanke einer notwendig großen Zahl bewaffneter Bürger mit politischer Teilhabe hatte für Giannotti, auch aufgrund seiner Erfahrungen bei der Einrichtung einer Miliz in Florenz in seiner vorangegangen Funktion als Sekretär der Zehn und der Belagerung der Stadt – , zunehmend an Gewicht gewonnen. Vgl. dazu Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Vor allem S. – . Siehe auch Pocock, Machiavellian Moment, S. und S. f. So nicht nur bei Machiavelli (s.o.), sondern bspw. auch bei Giannotti. Siehe dazu Pocock, Machiavellian Moment, S. ; Gilbert, Venetian Constitution, S. f.
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Selbstbild entwickelt worden war und viel stärker idealisierende und mystifizierende Elemente enthielt.
1.2 Der Mythos Venedig als stabilitätssichernder Kollektiventwurf Seit dem Hohen Mittelalter entwickelten Politik und Historiographie in Venedig eine spezifische Darstellung des eigenen Gemeinwesens, die in der Forschung als „venezianischer Mythos“ bezeichnet⁸² und als entscheidender Beitrag zu einem kollektiven Selbstverständnis mit stabilitätssichernder Funktion im sozialen und politischen Bereich bewertet wird.⁸³ Die Elemente dieses Mythos fanden zunächst und durchgehend im umfangreichen (malerischen und architektonischen) Bildprogramm der Lagunenstadt ihren Ausdruck,⁸⁴ bevor sie, mit einer zunehmenden historischen Sensibilität einhergehend, ab dem Ende des 13. Jahrhunderts in
Zur gerechtfertigten Verwendung des Begriffs „Mythos“ in diesem Fall siehe Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. f. Landwehr bezieht sich dabei auf die Mythos-Definition Mircea Eliades und betont die verbreitete Akzeptanz als Wahrheit einiger Elemente der Darstellung, die Evozierung göttlichen Wirkens bei der Entstehungsgeschichte der Stadt und die propagierte lange Dauer des Gemeinwesens. Zum „mito di Venezia“ siehe Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 327– 407; Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. 955 – 994; Rosand, David: Myths of Venice, The Figuration of a State. Chapel Hill/London 2001; Gilmore, Myron: Myth and Reality in Political Theory. In: Renaissance Venice. Hrsg.von John R. Hale. London 1973. S. 431– 444; Muir, Edward: Civic Ritual in Renaissance Venice. Princeton 1981. S. 13 – 23; Silvano, Giovanni: La „Republica de’Viniziani“. Ricerche sul repubblicanesimo veneziano in età moderna. Florenz 1993 (Il Pensiero Politico. Biblioteca 18); Crouzet-Pavan, Elisabeth: Immagini di un mito. In: Il Rinascimento. Politica e cultura. Hrsg. von Ugo Tucci. Rom 1996 (Storia di Venezia dalle origini alla caduta della Serenissima 4). S. 579 – 602; Fenlon, Iain: The Ceremonial City. History, Memory and Myth in Renaissance Venice. New Haven/ London 2007. Zur Historiographie bzgl. des Mythos siehe Grubb, James S.: When Myths Lose Power: Four Decades of Venetian Historiography. In: The Journal of Modern History (JmodH) 58/1 (1986). S. 43 – 94; Martin, John/Romano, Dennis: Reconsidering Venice. In:Venice Reconsidered.The History and Civilization of an Italian City-State, 1297– 1797. Hrsg. von Dens. Baltimore/London 2000. S. 1– 35. Siehe beispielsweise Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. ; Fritsch, Corinna: Der Markuskult in Venedig. Symbolische Formen politischen Handelns in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin . S. . Für dieses Bildprogramm siehe Rosand, Myths of Venice. Speziell für das Bildprogramm des Dogenpalastes siehe Wolters, Wolfgang: Der Bilderschmuck des Dogenpalastes. Untersuchungen zur Selbstdarstellung der Republik Venedig im . Jahrhundert. Wiesbaden .
1.2 Der Mythos Venedig als stabilitätssichernder Kollektiventwurf
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zahlreichen Chroniken festgehalten wurden.⁸⁵ Entscheidenden Einfluss gewann im Zuge dieser Entwicklung die zwischen 1343 und 1352 kompilierte Chronik des Andrea Dandolo (1306 – 1354), die zu einer Art historischem Handbuch avancierte.⁸⁶ In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verdichtete sich die Eigendarstellung zu einer konsistenten Erzählung, die unter dem Eindruck des verstärkten Einflusses humanistischer Ideen nun auch in einer (zunehmend offiziell veranlassten) Historiographie verbreitet wurde.⁸⁷ Das vielleicht stärkste Element dieser Erzählung war die Konstruktion des doppelten Gründungsmythos. Als Gründung der Trojaner habe Venedig zunächst ein Gebiet auf dem Festland mit Aquileia als Zentrum umfasst. Im 5. Jahrhundert dann seien die Venezianer auf der Flucht vor den Langobarden auf die Inseln umgesiedelt.⁸⁸ Aus diesem Umstand ließen sich mehrere Faktoren ableiten: die Gründungsväter im 5. Jahrhundert seien vollkommen frei von anderen Mächten gewesen und ihr größtes Interesse sei die Einrichtung einer Ordnung gewesen, die dieser Freiheit ewige Dauer bescheren würde.⁸⁹ Der Erhalt dieser Freiheit sei zudem seit jeher durch die außergewöhnliche Lage auf den Inseln begünstigt gewesen. Venedig sei für andere Mächte uneinnehmbar. Dies wurde symbolisch durch die Darstellung Venedigs als Jungfrau propagiert. Die Venetia Vergine wurde zum Topos der venezianischen Selbstdarstellung, der je nach Kontext zusätzlich religiös oder politisch aufgeladen werden konnte.⁹⁰ So lassen sich viele Darstellungen der Venetia finden, in denen Attribute der Jungfrau Maria adaptiert werden,⁹¹ die zugleich Schutzpatronin der Stadt war. Diese Assoziation verwies auf ein weiteres wichtiges Element des venezianischen Mythos: die göttliche Auserwähltheit der Stadt. Nur der Allmächtige habe den Venezianern die Gründung der Stadt in solch einem außergewöhnlichen Gebiet ermöglichen können und die
Vgl. dazu Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. f. Im Jahr lässt der Große Rat mit dem Liber Albus und dem Liber Blancus die ersten offiziellen historischen Materialsammlungen anlegen. Siehe Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. . Zur Chronik vgl. auch Approvitola, Valentina Dell’: Art. Andrea Dandolo. In: Encyclopedia of the Medieval Chronicle. Online Edition. http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopedia-of-the-medieval-chronicle/dandoloandrea-SIM_ (. . ). Vgl. Bouwsma, Venice, S. – ; Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Siehe Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. – ; Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Laut Bouwsma, Venice, S. findet sich dieser Gedanke erstmals schon im frühen . Jahrhundert bei Giovanni Diacono (um – – ). Vgl. Rosand, Myths of Venice, S. – . Rosand datiert die ersten dieser Jungfrau-Darstellungen auf das . Jahrhundert. Rosand, Myths of Venice, S. – .
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Dauerhaftigkeit des Gemeinwesens sei Geschenk und zugleich Anerkennung der außerordentlichen Frömmigkeit der Bürger Venedigs. Dementsprechend wurde auch einheitlich das Gründungsdatum auf den 25. März, den Tag von Maria Verkündigung, des Jahres 421 datiert.⁹² Die Chroniken der Stadt zählten zudem ausführlich die zahlreichen Reliquien auf, die den Venezianern zum Schutz anvertraut worden seien,⁹³ und verwiesen seit dem 14. Jahrhundert auf die für die eigene Identität ebenfalls sehr wichtige Legende um Papst Alexander III. (um 1100/1105 – 1181). Venedig habe 1177 den Frieden zwischen dem Papst und Friedrich Barbarossa (um 1122 – 1190) vermittelt. Aus Dankbarkeit habe Alexander den Venezianern anschließend eine Reihe von wichtigen Symbolen geschenkt,wie das Siegelrecht für den Dogen, dessen Schwert und den Ring zur Vermählung Venedigs mit dem Meer. Darüber hinaus hätte der Papst bei den Verhandlungen auf einen dritten Sonnenschirm für den Dogen gedrängt, ihn also als dritten, gleichwertigen und souveränen Vertreter der Christenheit erscheinen lassen.⁹⁴ Dieses Thema wurde auch bei der architektonischen Gestaltung des Dogenpalastes aufgenommen.⁹⁵ Die Venezianer stilisierten sich dabei immer stärker als Verteidiger der Christenheit, vor allem auch gegen die heidnischen Türken. Diesen Anspruch untermauerten sie durch das Zelebrieren des Markuskults. In vielfältiger Weise stellte die Lagunenstadt den Bezug zu dem Evangelisten her, dessen Reliquien seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts in Venedig aufbewahrt worden seien. Die Symbolik des geflügelten Löwen war nahezu omnipräsent und verwies vor allem auch auf Venedig als Friedensstifterin in Europa.⁹⁶ Ein weiterer wichtiger Wert, der als Anliegen und Grundpfeiler des venezianischen Gemeinwesens vermittelt werden sollte, war jener der Gerechtigkeit. In zahlreichen Darstellungen wurde die Jungfrau Venetia deshalb mit Attributen der Justitia ausgestattet und der Dogenpalast in seiner Form als neuer Palast des
Laut Rosand, Myths of Venice, S. findet sich diese Festlegung auf den . März seit dem . Jahrhundert. Gegen Ende des . Jahrhunderts finden sich weitere Assoziationen: der . März wird etwa als Tag der Schöpfung Adams oder der Empfängnis sowie der Kreuzigung Jesu propagiert. Vgl. etwa Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. ; Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. . Auf diese Weise versuchte man in Venedig auch Parallelen zu Jersualem aufzubauen und so ein Stück von dessen Heiligkeit zu erlangen. Siehe dazu etwa Bouwsma, Venice, S. f.; Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. verweist auf eine erste Version dieser Legende bei Bonincontro de’Bovi . Prägend für die Verbreitung habe hier wieder Andrea Dandolo ( – ) gewirkt. So etwa bei der Gestaltung des Saals des Großen Rates ( geplant, ausgeführt). Siehe Bouwsma, Venice, S. . Vgl. Rosand, Myths of Venice, S. – ; Fritsch, Markuskult.
1.2 Der Mythos Venedig als stabilitätssichernder Kollektiventwurf
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Salomon gestaltet.⁹⁷ Diese Gerechtigkeit wurde ab dem 15. Jahrhundert zunehmend nicht mehr nur als Folge göttlicher Auserwähltheit und der Harmonie einer dementsprechenden Ordnung gesehen, sondern als Resultat der klug eingerichteten institutionellen Strukturen des Gemeinwesen.⁹⁸ Parallel zu der Erzählung, die vor allem auf die göttliche Schöpferkraft verwies, entwickelte sich ein weniger sakraler Strang des Mythos, der vor allem die Verfassung Venedigs in den Vordergrund stellte. Als perfekte Mischung der Herrschaft der Wenigen, der Vielen und des Einen habe die venezianische Verfassung seit Jahrhunderten Stabilität, innere Eintracht, Freiheit und Gerechtigkeit garantiert. Als entscheidender Vertreter dieser neuen Art der Historiographie kristallisiert sich Marco Antonio Sabellico (1436 – 1506) heraus. Die Geschichte seiner Wahlheimat Venedig, die 1487 unter dem Titel Historiae rerum venetarum publiziert und vom venezianischen Senat offiziell wertgeschätzt wurde,⁹⁹ beinhaltet viele der genannten Elemente des venezianischen Mythos: die ersten Venezianer seien freie Männer gewesen und hätten sich eine institutionelle Ordnung und Gesetze gegeben, die eine ewige Dauer genau dieser Freiheit garantieren sollte. Alle nachfolgenden Generationen hätten diese Verfassung bewahrt und so die Stabilität Venedigs, den inneren Frieden, die Freiheit und Gerechtigkeit sichergestellt.¹⁰⁰ Für einen geschulten Beobachter sei Venedig deshalb auch besser zu beurteilen als Rom aufgrund der „der Heiligkeit der Gesetze, der Gerechtigkeit der Justiz und der vorherrschenden Güte.“¹⁰¹ Sabellico greift hier einen weiteren Topos des Mythos Venedig im 15. Jahrhundert auf: Venedig sei keinesfalls eine Gründung Roms gewesen, sondern
Siehe dazu Rosand, Myths of Venice, S. – , S. – . Siehe Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. – ; Bouwsma,Venice, S. und S. – . Entsprechend dieses Selbstverständnisses trägt am . April bei der Grundsteinlegung zum neuen Rathaus im venezianischen Crema eine als Justitia/Venetia verkleidete Frau den Grundstein. Vgl. Helas, Philine: Lebende Bilder in der italienischen Festkultur des . Jahrhunderts. Berlin . S. – . Hier mit Verweis auf folgende Chronik: Terno, Pietro da: Historia di Crema – (Quaderni di storia e d’arte cremasca ). Hrsg. von Maria Verga u. Corrado Verga. Crema . S. f. (Diesen Hinweis verdanke ich Michael Roth). Vgl. dazu auch Bouwsma, Venice, S. f. Siehe Bouwsma,Venice, S. . Ganz frei vom Anspruch göttlicher Auserwähltheit macht auch Sabellico sich nicht. Er verweist ebenfalls auf den . März als Gründungsdatum und glaubt an die Parallele des Datums mit der Erschaffung Adams und Christi Zeugung. Siehe Bouwsma, Venice, S. . Sabellico veröffentlicht u. a. auch eine Stadtbeschreibung, in dessen Mittelpunkt er die Lage Venedigs als Voraussetzung für die Macht und Majestät der Stadt stellt. Siehe Sabellico, Marc Antonio: Del sito di Venezia città (). Hrsg. von G. Meneghetti. Venedig (ND Venedig ). Dazu Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Sabellico, Marco Antonio: Historiae rerum venetarum, Sigs. AIv-Ar. Zitiert nach: Bouwsma, Venice, S. .
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vielmehr ein eigenständiges Gemeinwesen, das sich zum anderen oder gar besseren Rom entwickelt habe. Die Konstruktion der doppelten Gründung erlaubte zudem, Venedigs Ursprünge auf dem Festland sogar vor die Gründung Roms zu datieren.¹⁰² Nicht ein mögliches römisches, sondern vielmehr das byzantinische Erbe rückte für die venezianischen Historiographen im 15. Jahrhundert in den Vordergrund.¹⁰³ Unter dem Eindruck der Kriege und Krisen in Italien und der Bedrohung durch die Liga von Cambrai (1508 – 1510) stieg die Zahl der Schriften, die sich vor allem mit der politischen Struktur Venedigs beschäftigten, zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch einmal stark an. Der Mythos wurde „dynamisiert“, baute aber weiterhin auf traditionellen Elementen auf.¹⁰⁴ Eine Art Höhepunkt der Konstruktion des venezianischen Selbstbildes bildete, auch aufgrund seiner starken Rezeption im europäischen Ausland, Gasparo Contarinis (1483 – 1542) De Magistratibus et Republica Venetorum. ¹⁰⁵ Contarini verfasste diese Abhandlung, die erst 1543 publiziert wurde, in den 1520er Jahren unter dem Eindruck zunehmenden Drucks auf Venedig durch die Türken und die Liga der christlichen Potentaten rund fünfzehn Jahre zuvor.¹⁰⁶ Auch bei ihm steht die Stabilität des Gemeinwesens im Vordergrund. Diese Stabilität könne nur durch Vgl. Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. ; Rosand, Myths of Venice, S. ; Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. f. Landwehr datiert den Beginn dieser Darstellung auf . Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. f. Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. ; Diese finden sich etwa auch in den Lobreden auf Venedig, die anlässlich des Amtsantritts eines Dogen traditionell von den Botschaftern der Terra Ferma-Städte gehalten wurden. August Buck hat eine durch Francesco Sansovino ( – ) veröffentlichte Sammlung solcher Reden analysiert und dabei genau jene traditionellen Mythoselemente als zentrale Bausteine herausgefiltert (Buck, August: „Laus Venetiae“ und Politik im . Jahrhundert. In: Archiv für Kulturgeschichte (AKG) (). S. – . Die Sammlung findet sich unter folgendem Titel: Delle Orationi recitate a Principi di Venetia nella loro Creatione da gli Ambasciadori di diverse città Libro Primo nelle quali con grandissimo utile de’Lettori si vede la forza dell’Eloquenza di molti huomini illustri in uma materia sola. Raccolte per Francesco Sansovino, in Venetia ). Neben den traditionellen Topoi des Städtelobs wie der Gunst der geographischen Lage, den außergewöhnlichen Bauten und den guten Sitten der Einwohner greifen nahezu alle Redner auf den Gründungsmythos Venedig zurück und erwähnen zum Teil auch das Datum des . März . Alle betonen die göttliche Auserwähltheit und Einmischung bei der Errichtung Venedigs sowie die Freiheit der ersten Gründungsflüchtlinge. Das Bild der Jungfrau, die von keiner äußeren Macht erobert werden kann, wird dabei genauso angeführt wie die perfekt ausgewogene Verfassung, die Freiheit und Gerechtigkeit garantiert.Venedig wetteifere und übertreffe Rom. Es sei sogar so stabil eingerichtet, dass es den polybischen Verfassungskreislauf außer Kraft setze. (Siehe Buck, „Laus Venetiae“, S. f.). Contarini, Gasparo: De Magistratibus et Republica Venetorum. Venedig . Contarini verweist in seiner Abhandlung selbst auf diese zunehmenden Gefahren von außen. Siehe dazu Bouwsma, Venice, S. .
1.2 Der Mythos Venedig als stabilitätssichernder Kollektiventwurf
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eine perfekt ausbalancierte Mischverfassung garantiert werden, die keinem Teil des Gemeinwesens ein gefährliches Übergewicht erlaube.¹⁰⁷ In Venedig sei eine solche Mischverfassung, die die Wenigen, die Vielen und den Einen an der Herrschaft beteilige, realisiert worden.¹⁰⁸ Für Contarini waren damit die Herrschaft der Gesetze und so die Institutionalisierung von Rationalität gewährleistet, die die bürgerliche Freiheit bewahren und dem Gemeinwesen eine unbeschränkte Lebensdauer bescheren würden.¹⁰⁹ Innere Unruhen und äußere Eroberungen hätten so über Jahrhunderte vermieden werden können. Immer wieder präsentiert Contarini Venedig deshalb im Vergleich mit Rom als das bessere Gemeinwesen.¹¹⁰ Zu verdanken habe Venedig diese beste aller Einrichtungen ihren tugendhaften Gründungsvätern: Hac ergo incredibili uirtute animi maiores nostri hanc Remp. instituere, qualē post hominū memoriam nullam extitisse, si quis hāc nostram cum celeberrimis antiquorum cōferar, meridiana luce clarius intuebitur. Quin adfirmare ausim, neq: monumentis insignium philosophorum, qui pro animi uoto Reip. formas effinxere, tam recete formatam atq: effictam ullam contineri.¹¹¹
Myron Gilmore weist hier auf eine „Inkonsistenz“ in Contarinis Werk hin, da er am Anfang auf eben jene tugendhaften Gründungsväter als Ausgangspunkt der venezianischen Verfassung verweist, am Ende aber das göttliche Wunder erwähnt, das die venezianische Ordnung erschaffen habe.¹¹² Betrachtet man die Entwicklung des venezianischen Mythos in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, so ist Contarinis scheinbare Widersprüchlichkeit aber vielleicht nur ein Versuch, beide Stränge des venezianischen Selbstbildes in einer Konzeption zusammenzuführen. Contarinis De Magistratibus et Republica Venetorum wurde in der Folge im Ausland stark rezipiert. Dabei lag das Interesse auf den von ihm im Detail beschriebenen Institutionen, vor allem aber auf seiner (im venezianischen Selbstbild als Tradition entwickelten) Deutung Venedigs als exemplarischer Ausnahmefall
Contarini, De Magistratibus, S. . Vgl. auch Pocock, Machiavellian Moment, S. f. Contarini, De Magistratibus, S. . Siehe dazu Pocock, Machiavellian Moment, S. – . Pocock konstatiert dabei, dass Contarini sich weniger an Polybios als vielmehr an Platon und Aristoteles orientiert habe.Vgl. auch Bouwsma, Venice, S. – . Siehe dazu Bouwsma, Venice, S. . Contarini, De Magistratibus, S. . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. , verweist darauf, dass Contarini diese Tugend in der Folge nur beim venezianischen Patriziat in seiner Gesamtheit verkörpert sieht. Diese Patrizier würden als wirtschaftlich unabhängige Bürger die Vielen, also das demokratische Element in Contarinis Mischverfassung bilden. Gilmore, Myth and Reality, S. .
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eines republikanischen Freistaates, der sich seit Jahrhunderten in der Staatenwelt behaupten konnte.¹¹³
1.3 Venedig im Blick: Der Mythos wird transportiert Auch wenn der „Mythos Venedig“ vornehmlich als Selbstbild entwickelt wurde, war die Außenperspektive auf die Lagunenstadt für die Entwicklung des mito nicht unerheblich. Aussagen, die von Nicht-Venezianern getroffen wurden, stabilisierten, formten, priorisierten die Erzählung und forderten sie schließlich am Ende des 17. Jahrhunderts in ihren Grundfesten heraus. Diese Außenperspektive gestaltete sich seit dem späten Mittelalter mehrheitlich als ein sehr positives Bild von Venedig, das aus einem festen Set überlieferter Topoi zusammengesetzt wurde. Bereits in mittelalterlichen Chroniken wurde Venedig aufgrund seiner Außergewöhnlichkeit und der göttlichen Auserwähltheit klar unter die mirabilia subsumiert.¹¹⁴ Dem Wunderwerck wurden in der Folge immer wieder dieselben Attribute zugeschrieben, so dass Maurice de la Porte (1531– 1571) diese bereits 1571 als stereotyp zugewiesene Epitheta aufzeigen konnte. In seiner Abhandlung Les épithèthes führt er bei dem Schlagwort Venise auf: „Reine de la mer, marchande, populeuse, aquatique, forte, imprenable, libre, fameuse, belle, riche.“¹¹⁵ Das Bild Venedigs als schöne, reiche Handelsstadt, deren besondere topographische Lage Uneinnehmbarkeit, Freiheit und eine stabile, gerechte Verfassung generiert und deren Einwohner durch Frömmigkeit glänzen, wurde dabei vor allem durch Berichte verschiedenster europäischer Pilger, Bildungs- und Handelsreisender sowie Diplomatieangehöriger transportiert. Achim Landwehr weist in seinen Ausführungen zum venezianischen Mythos auf die tragende Rolle dieser Reiseberichte als „zentrale Katalysatoren für die Distribution von Wissen“ über die Lagunenstadt hin.¹¹⁶ Mit einer breiten Leserschaft und dem Anspruch, Informationen zu übermitteln, können sie als Ausdruck und Träger des dominanten Bildes von Venedig gewertet werden. Die Entwicklung der politischen Theorie in Venedig blieb selbstverständlich nicht mit Contarini stehen (vgl. u. a. Bouwsma,Venice). Sein Werk war aber entscheidend für die Rezeption des venezianischen Mythos im Ausland. Vgl. Crouzet-Pavan, Elisabeth: Retour aux images: le consensus et le mythe. In: Venise . La puissance, la novation et la concorde: le triomphe de mythe. Hrsg. von Philippe Braunstein. Paris . S. – . S. ; Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Porte, Maurice de La: Les épithèthes. Paris (ND Genf ). S. ; Vgl. Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . An anderer Stelle wird er noch deutlicher und konstatiert: „Sie [die Reiseberichte] formten wesentlich den venezianischen Mythos.“ (S. ).
1.3 Venedig im Blick: Der Mythos wird transportiert
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In französischen und deutschsprachigen Pilgerberichten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lassen sich bereits zahlreiche Aspekte finden, die in den Reiseberichten des 16. und 17. Jahrhunderts feste Bestandteile der Beschreibung Venedigs bleiben werden.¹¹⁷ Die gute wirtschaftliche Organisation, die Uneinnehmbarkeit und Macht der Stadt, die ihren Ausdruck in den reichhaltigen Beständen des Arsenals findet, die gute Policey und die Justiz, die alle gleich behandelt, sind Themenfelder dieser Pilgerberichte. Gelobt wird zudem die Frömmigkeit der Venezianer und der Status Venedigs als Rückhalt gegen die Türken.¹¹⁸ Die politische Organisation der Lagunenstadt wird ebenfalls behandelt und reflektiert, jedoch wird die Stabilität und lange Lebensdauer der Markusrepublik nicht auf diese institutionelle Ordnung, sondern vielmehr auf die Gnade Gottes zurückgeführt. Im Vergleich mit den anderen großen historischen Gemeinwesen wie Babylon, Alexandria, Jerusalem und Rom habe allein Venedig Bestand haben können.¹¹⁹ Im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert nahm die Zahl der Reiseberichte über Venedig deutlich zu. Die Lagunenstadt war unter anderem ein fester Bestandteil der englischen Tour, so dass vor allem die englische Berichterstattung enorm anstieg. Durch die sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundertes zunehmend Zu diesem Absatz siehe Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. – ; Vgl. grundsätzlich dazu auch: Denke, Andrea: Venedig als Station und Erlebnis auf den Reisen der Jerusalempilger im späten Mittelalter. Remshalden . Der aus dem Mainzer Domkapitel stammende Bernhard von Breydenbach (um – ) etwa beschreibt Venedig in seiner gedruckten Peregrinatio in terram sanctam ausführlich und beginnt diese Beschreibung mit den Worten: „O die alt berůmpt und mechtig statt und herschafft venedig […] yr wyt und breyt groß lob eer und bryß besunder fůr un uber ander stett ubertrefflikeit yn groesse irer mechtikeyt yn richtū yn gůter pollicy un regiment in tůgend un eynikeyt der bůrger un sollichem allem daz an eyner statt wol zů loben ist.“ (S. r) Er verweist in seiner Beschreibung auf die doppelte Gründung Venedigs (vor derjenigen Roms durch die Trojaner vor Christi Geburt und n.Chr. durch Flüchtlinge vor Attila) (S. v), das Herrschaftsgebiet (S. r), das Arsenal und die militärische Macht (S. r und v), Kaufmannshandel und Handwerk (S. v), den Aufbau und die Weisheit der Regierung (S. v und v) und die Frömmigkeit der Venezianer sowie ihren Einsatz gegen die Türken (S. r und v). Gleich zu Beginn macht er zudem deutlich, dass das Lob und die Strahlkraft Venedigs sowieso „aller welt kunt und offenbar ist“ (S. v). Breydenbach, Bernhard von: Peregrinatio in terram sanctam. Eine Pilgerrreise (sic!) ins Heilige Land. Frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung. Hrsg.von Isolde Mozer. Berlin/New York . Vgl. Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“, S. . Der Schwerpunkt der Venedigdarstellungen in den Pilgerberichten lag bis zur Mitte des . Jahrhunderts allerdings noch auf der Darstellung der zahlreichen Kirchen, der in ihnen aufbewahrten Reliquien und der Frömmigkeit der Venezianer. Siehe beispielhaft etwa Le Sage, Jacques: Voyage de Jacques Le Sage de Douai à Rome, Notre-Dame-De-Lorette,Venise, Jérusalem et autres Saints Lieux. . Neu hrsg. von H.-R. Duthilloeuls. Douai . S. – .
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durchsetzende Auffassung von Reisen als Kunst und Bildung und die Entwicklung einer eigenen wissenschaftlichen Textgattung, die sich mit dem Aufbau und der Anlage eines Reiseberichts befasste, der Apodemik, glichen sich diese Reiseberichte zudem immer stärker in ihrer Themenwahl und Anordnung dieser Themen.¹²⁰ Ein Reisebericht sollte nun nicht mehr dem Anspruch genügen, Neues zu berichten, sondern vielmehr bestehendes Wissen über die Welt festhalten und ordnen. Diese „wissensakkumulierende und -stabilisierende Erwartung“¹²¹ an den Reisebericht forcierte die Übernahme des venezianischen Selbstbildes und die nahezu stereotype Tradierung des venezianischen Mythos. Exemplarisch in seiner Themenwahl und Bewertung und zugleich die wohl umfassendste Darstellung des 17. Jahrhunderts war die Beschreibung Venedigs durch den Engländer Thomas Coryate (1577– 1617).¹²² Coryate, der in Oxford studiert hatte und am Hof des Prinzen von Wales angestellt war, reiste zwischen Mai und Oktober 1608 durch Frankreich, Venedig, die Schweiz und die Niederlande und veröffentlichte seinen Bericht 1611 unter dem Titel Coryats crudities hastily gobled vp in five moneths trauells in France, Sauoy, Italy, Rhetia co[m]monly called the Grisons country, Heluetia aliàs Switzerland, some parts of high Germany, and the Netherlands; newly digested in the hungry aire of Odcombe in the county of Somerset, & now dispersed to the nourishment of the trauelling members of this kingdome. ¹²³ Gleich in der Widmung an den Prinzen von Wales nimmt er Bezug auf die Bilder Venedigs als uneinnehmbare Jungfrau, als Vorreiterin der Christenheit, als Vorzeigeexemplar Europas: „[…] that most glorious, renowned, and Virgin Citie of
Zur Apodemik und ihren Ansprüchen vgl. Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Zur Person Thomas Coryates vgl. Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. ; Schutte, William M.: Introduction. In: Thomas Coryate, Coryates crudities . Hrsg. von Dems. London . S. V–XVI. Eine Analyse der europäischen Venedig-Reiseberichte des 16. und 17. Jahrhunderts (bis 1670) kann hier aufgrund des umfangreichen Textkorpus und der zudem bereits in der Forschung in großen Teilen bereits geleisteten Erarbeitung nur exemplarisch erfolgen. Die folgenden Ausführungen und Verweise stützen sich auf die beiden ausführlichsten, jüngsten und scharfsinnigsten Analysen der Forschungsliteratur: Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 329 – 407 (mit einem Schwerpunkt auf deutsch- und englischsprachigen Reiseberichten) und Cladders, Französische Venedig-Reisen. Coryate, Thomas: Coryats crudities hastily gobled vp in five moneths trauells in France, Sauoy, Italy, Rhetia co[m]monly called the Grisons country, Heluetia aliàs Switzerland, some parts of high Germany, and the Netherlands; newly digested in the hungry aire of Odcombe in the county of Somerset, & now dispersed to the nourishment of the trauelling members of this kingdome. London . Die Beschreibung Venedigs nimmt – entsprechend der längsten Verweildauer der Reise von Wochen Coryates in Venedig – am meisten Raum ein und findet sich auf den Seiten – .
1.3 Venedig im Blick: Der Mythos wird transportiert
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Venice, the Queene of the Christian world, that Diamond set in the ring of the Adriatique gulfe, and the most resplendent mirrour of Europe […].“¹²⁴ Aufgrund ihrer jungfräulichen Uneinnehmbarkeit vergleicht Coryate Venedig in der Folge mit Jerusalem und stellt die Lagunenstadt über Rom und alle anderen Städte.¹²⁵ Gleichzeitig datiert Coryate hier die Gründung Venedigs auf das Ende des 4. Jahrhunderts und verweist auf die Annahme göttlichen Ursprungs und Mitgestaltung bei der Entwicklung der Lagunenstadt. Ausgangspunkt der Beschreibung Venedigs, ihrer Schönheit und Macht ist auch bei dem Engländer die außergewöhnliche Lage des Gemeinwesens.¹²⁶ Ausdruck dieser Macht sind für ihn das Arsenal, das er zwar nicht selbst besichtigen kann, dessen unbeschreiblicher Größe er sich aber sicher ist,¹²⁷ und die Stellung Venedigs als wirtschaftliche Großmacht. Letztere drückt Coryate allerdings nur implizit durch die Beschreibung der venezianischen Besitzungen und Einflussgebiete oder durch die Darlegung der (nationalen) Vielfalt der Händler auf dem Markusplatz aus.¹²⁸ Diese fehlende explizite und wenig detailreiche Beschreibung der venezianischen Wirtschaftsmacht, die auch in den meisten anderen Reiseberichten ins Auge fällt, führt Achim Landwehr auf die Selbstverständlichkeit des
Coryate, Crudities, o.P.; siehe auch Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Vgl. auch Coryate, Crudities, S. : „My observation of the most glorious, peereless, and mayden citie of Venice: I call it mayden because it was never conquered.“ Coryate, Crudities, S. f.: „It is a matter very worthy the consideration, to thinke how this noble citie hath like a pure Virgin and incontaminated mayde (in which sense I called her a mayden citie in the front of my description of her, as also we reade in the scripture, . King. .. Ierusalem was called a Virgin, because from the first foundation thereof to the time that God honoured her with that title, when she was like to be assaulted by Sanecherib King of the Assyrians; she was never taken by the force of any foreign enemy) kept her virginity untouched these thousand two hundred and twelve yeares (for so long it is since the foundation thereof) though Emperors, Kings, Princes and mighty Potentates, being allured with her glorious beauty, have attempted to deflower her, every one receining the repulse: a thing most wonderfull and strange. In which respect she has beene ever priviledged above all other cities. For there is no principall citie of all Christendome but hath beene both oppugned and expunged since her foundation: as Rome the Empresse and Queene of all the west partes of the world, hath bin often sacked […] and so every other notable citie both of Italy, Germany, France, Spain, England, Poland, &c. hath beene at some time or other conquered by the hostile force: onely Venice, thrise -fortunate and thrife-blessed Venice, as if she had beene founded by the very Gods themselves, and daily received some divine and sacred influence from the heaven for her saver protection, hath ever preserved her selfe intactam, illibatam, sartam tectam, free from all forraine invasions to this day.“ Vgl. auch Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. und S. – .
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Themas und die fehlenden Kategorien der Umschreibung zurück.¹²⁹ Im 18. Jahrhundert, so wird die vorliegende Arbeit zeigen, werden diese Kategorien dann vorhanden sein und ihren Niederschlag auch in den Reiseberichten zu Venedig finden. Neben (bis dahin schon üblichen, touristischen) Beobachtungen der Schönheit der Paläste,¹³⁰ der Feste (wie die Vermählung des Dogen mit dem Meer)¹³¹ und der aufwendigen Kleidung der Amtsträger und der Patrizierinnen,¹³² erläutert Coryate auch die politischen Institutionen Venedigs. Dabei entschuldigt er sich zunächst für die „Oberflächlichkeit“ dieser Erläuterungen, die dem kurzen Aufenthalt und den dem Ausländer wenig erlaubten Einblicken geschuldet sei.¹³³ Es sei sicherlich lohnenswert, so Coryate, noch einmal genauer Venedigs Regierungsform und die Mittel ihrer langjährigen Stabilität und Großartigkeit zu untersuchen, gelte diese Stadt doch bis zum heutigen Tag als die am Besten regierteste der Welt.¹³⁴ Coryate beschreibt Venedig schließlich in seiner Zusammenfassung als „zusammengesetzte Form eines Gemeinwesens“, die die Idee der drei hauptsächlichen antiken Regierungsarten (er nennt Monarchie, Oligarchie und Demokratie) enthalte.¹³⁵ Der Doge repräsentiere dabei die Idee der Monarchie. Er scheine aber eben nur ein König zu sein. In Wirklichkeit, so Coryate, ist der Doge „kein souveräner Prinz“. Ohne die Zustimmung des Senats habe der Doge keine Möglichkeit, irgendein souveränes Recht auszuüben.¹³⁶ Die Mitglieder des Rats der Zehn seien hingegen die „Manager“ und „principall Lords of the state“. Sie repräsentieren für Coryate „a singular forme of an Oligarchy or Aristocratie“.¹³⁷ Der Große Rat schließlich bilde das demokratische Element, dessen Angehörige „likewise other subordinate members of the State“ seien. Bei dieser Einteilung ist der Engländer sich allerdings durchaus bewusst, dass lediglich die Patrizier an all diesen politischen Ämtern teilhatten. Die „Plebeians“, wie er sie nennt, seien von jeglicher politischer Teilhabe ausgeschlossen.¹³⁸ Begeistert vom technischen Losverfahren, „which is disposed after such an admirable fine
Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. – und S. f. Siehe dazu auch Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – . Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. f.: „[…] in such a city as hath the fame of being as well governed as any City upon the face of the whole earth ever was, or at this day is […].“ Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. f. Coryate, Crudities, S. . Vgl. dazu auch Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. .
1.3 Venedig im Blick: Der Mythos wird transportiert
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manner, as the like kinde of election was never heard before in any governement or commonweale of the whole world“¹³⁹, schließt Coryate schließlich seine Ausführungen zur venezianischen Regierungsform und widmet sich der Beschreibung der Verwaltung der Terra Ferma-Gebiete. Die Aussagen Thomas Coryates zur Schönheit und jungfräulichen Uneinnehmbarkeit Venedigs, ihrer Rolle als wirtschaftliche Großmacht und Verteidigerin der Christenheit, der Gründungslegende und dem göttlichen Einfluss, ihrer Macht, ausgedrückt im Arsenal, der Schönheit der Paläste, den Festen und dem Luxus der Bewohner, der politischen Organisation als Mischverfassung und ihren herausragenden handwerklichen Techniken sowie schließlich der Vergleich mit Rom und Jerusalem, finden sich auch in anderen englisch-, deutsch-, und französischsprachigen Reiseberichten des 16. und 17. Jahrhunderts, und zwar unabhängig vom persönlichen Hintergrund der Reisenden.¹⁴⁰ Darüber hinaus finden
Coryate, Crudities, S. . Zur außergewöhnlichen Lage und Uneinnehmbarkeit vgl. etwa: Rohan, Henri de: Voyage du Duc de Rohan, faict an l’an , en Italie, Allemaigne, Pays-bas Uni, Angleterre, et Escosse. A Amsterdam (chez Louys Elzevier) . S. ; Dorron, Claude: Discours des choses memorables, faittes à l’entree du Roy de France & de Pologne, en la ville de Venize, remarquees par Claude Dorron Parisien. Envoyé à la Royne mere du Roy, et Regente de France en son absence. A Lyon (par Benoist Rigaud) . S. ; Schickhardt, Heinrich: Beschreibung Einer Raiß/ Welche der Durchleuchtig Hochgeborne Fürst und Herr/ Herr Friedrich Hertzog zu Württemberg und Teckh […] im Jahr […] in Italien gethan.[…]. Tübingen . Fol. r.; Lithgow, William: A most delectable and true discorse, of an admired and painefull peregrination from Scotland, to the most famous Kingdoms of Europe, Asia and Affricke. […]. London (ND Amsterdam/New York ). Unpaginiert. (Siehe Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. f. (Anm. ) und Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – , S. ). Zu Venedig als wirtschaftlicher Großmacht vgl. etwa: Giraudet, Gabriel: Discours du voyage d’outre-mer au saint sepulchre de Ierusalem & autres lieux de la terre Saincte. Et du mont de Sinaï, qui est és desers d’Arabie, où Dieu donna la loy à Moyse. Par Gabriel Giraudet, de la ville du Puy en Velay, prestre Hierosolymitain. A Paris (chez Thomas Brumen) 1585. Fol. 2v;Villamont, Jacques de: Les voyages du seigneur de Villamont, chevalier de l’ordre de Hierusalem, gentilhomme ordinaire de la chambre du Roy. Divisez en trois livres, comme il se voit en la page suivante. Derniere edition. Reveuë, corigee, & cottee par l’autheur. A Arras (de l’imprimerie de Guillaume de la Riviere) 1602. S. 158; Schickhardt, Beschreibung Einer Raiß, Fol. 77r.; Ernstingers, Hans Georg: Hans Georg Ernstingers Raisbuch. (1579 – 1610). Hrsg. von Ph.A.F. Walther. Tübingen 1877. S.48. (Siehe Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 387– 390). Zur Rolle als Verteidigerin der Christenheit und der Frömmigkeit der Venezianer vgl. etwa: Affagart, Greffin: Relation de Terre Sainte (1533 – 1534) par Greffin Affagart. Publié avec une introduction et des notes par J. Chavanon. Paris 1902. S. 11; Grangier de Liverdis, Baltasar de: Iournal d’un voyage de France, et d’Italie, fait par un gentilhomme francois. Commencé le quatorzième Septembre 1660. Et achevé le trente-unième May 1661 […]. A Paris (chez Michel Vaugnon) 1667. S. 814. (Siehe Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. 19).
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auch Details der venezianischen Geschichtsschreibung, wie die Legende um Papst Alexander III., Eingang in die Außenwahrnehmung der Lagunenstadt.¹⁴¹ Diese Aussagen wurden zu Stereotypen, die zum Teil wörtlich aus vorangegangen Texten übernommen wurden, ohne dass diese Zitate kenntlich gemacht wurden.¹⁴² Eine persönliche Anwesenheit des Reisenden in Venedig wurde dadurch gewissermaßen überflüssig. Der württembergische Beamte Hieronymus Welsch (1624– 1677) etwa, der 1630 zu einer zehnjährigen Reise durch Europa aufbrach, widmet Venedig in seinem Reisebericht sieben Seiten, obwohl er die Stadt aufgrund einer Pestepidemie im Frühjahr 1631 nicht betreten konnte.¹⁴³ Er
Zur Gründungslegende und dem göttlichen Einfluss vgl. etwa: Chesneau, Jean: Le voyage de Monsieur d’Aramon, ambassadeur pour le Roy en Levant, escript par noble homme Jean Chesneau, l’un des secretaires dudict ambassadeur. Publié et annoté par M. Ch. Schefer. Paris 1887. S. 4; Zuallart, Jean: Le tresdevot voyage de Ierusalem. Faict et descript par Jean Zuallart, Chevalier du sainct sepulchre de nostre Seigneur, Mayeur de la Ville d’Ath en Haynaut, etc. En Anvers (chez Arnoulds Conincx) 1608. S. 198; Furttenbach, Joseph: Newes Itinerarium Italiae […]. Ulm 1627. S. 248. (Siehe Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 336). Zum Arsenal vgl. etwa: Payen, Monsieur de: Les voyages de Monsieur de Payen, ou sont contenues les descriptions d’Angleterre, de Flandre, de Brabant, d’Holande, de Dennemarc, de Suede, de Pologne, d’Allemagne, & d’Italie; où l’on voit les mœurs des nations, leurs maximes & leur politique, la monnoye, la religion, le gouvernement, & les interests de chaque païs. A Paris (chez Estienne Loyson) 1663. S. 162 f.; Furttenbach, Newes Itinerarium Italiae, S. 253. (Siehe Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 381 f. und S. 402– 407). Zur politischen Organisation als zusammengesetzte Verfassung aristokratischer Prägung vgl. etwa: Zuallart, Le tresdevot, S. 202 f.; Le Monnier, Pierre: Antiquitez, memoires, & observation remarquables […] ayant voyagé esdoits quartiers en l’an cinquante septiesme de son âge, és années 1609 et 1610. […]. A Lille (de l’imprimerie de Cristofle Beys, imprimeur & libraire) 1614. S. 232. (Siehe Cladders, Französische Venedig-Reisen und Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 340 f.). Zum Vergleich mit Jerusalem und Rom und anderen antiken Städten vgl. etwa: Zuallar, Le tresdevot, S. 207;Villamont, Les voyages, S. 146; Payen, Les voyages de Monsieur de Payen, S. 141 f. (Siehe Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. 237– 341; Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 336 – 339). Zu den weiteren (oben angeführten) Aspekten der Venedigwahrnehmung siehe ebenfalls Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. 329 – 407; und Cladders, Französische Venedig-Reisen. Vgl. etwa Sandys, George: A Relation of a Iourney begun An: Dom: . Four Bookes. […]. London (ND Amsterdam/New York ). S. . (Siehe Cladders, Französische VenedigReisen, S. – und Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – ). Vgl. dazu Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. f. Für biographische Informationen und zum Reisebericht siehe: Bepler, Jill: The TravellerAuthor and his Role in Seventeenth-Century German Travel Accounts. In: Travel Fact and Fiction. Studies on Fiction, Literary Tradition, Scholarly Discovery and Observation in Travel Writing. Leiden/New York/Köln . S. – ; Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. .
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habe aber „fast so vil Nachricht erlangt/ als ob ich würcklich alldorten gewesen wäre“,¹⁴⁴ und deshalb traut er sich eine Beschreibung dennoch zu. Nach einer kurzen allgemeinen Einführung zu Italien, in der Welsch auf das jeder italienischen Stadt zugewiesene Epitheton verweist und Venedig dementsprechend als „die reiche“ ausgewiesen wird,¹⁴⁵ präsentiert auch er die üblichen Topoi.¹⁴⁶ Am Ende seiner Beschreibung Venedigs konstatiert Welsch allerdings, dass auch die „gewaltige Wunder-Stadt Venedig ihre Fehl und Mängel“ habe.¹⁴⁷ Er verweist auf das Tesoro Politico, in dem zu lesen sei, dass die venezianischen Kanäle stinken und die venezianischen Frauen „unkeusch“ und leicht verführbar seien.¹⁴⁸ Diese kritischen Verweise Welschs, dessen Reisebericht 1658 erstmals publiziert wurde, müssen als Ausnahme gewertet werden. Andere Berichte über die übelriechenden Kanäle und die moralisch verkommenen Sitten der Venezianerinnen finden sich erst am Ende des 17. Jahrhunderts.¹⁴⁹ Der Text von Hieronymus Welsch, Hieronymus: Wahrhafftige Reiß-Beschreibung/ Auß eigener Erfahrung/ Von Teutschland/ Croatien/ Italien/ denen Insuln Sicilia, Maltha, Sardinia, Corsica, Majorca, Minorca, Juica und Formentera, deßgleichen von Barbaria, Egypten/ Arabien/ und dem gelobten Lande: wie auch von Hispanien/ Franckreich/ Niderland/ Lothringen/ Burgund/ und andern Orthen. […] Auff der Eilffjährigen Reise/ Hieronymi Welschen/ Fürstl. Würtemberg. Rent-Cammer-Raths. Von ihme selbsten beschrieben und verfertigt. Stuttgart 1658. S. 23 – 30. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen zu Italien erläutert er, dass es ihm nicht möglich war, „nach der weit-berühmten Stadt Venedig überzuschiffen“ (S. 21). Welsch, Reiß-Beschreibung, S. . Welsch, Reiß-Beschreibung, S. . Vgl. auch Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Landwehr bezieht allerdings fälschlicherweise den dieser Aufzählung vorausgehenden Satz von Welsch auf Venedig. Dieser bezeichnet dort aber ganz Italien und nicht allein Venedig als „Königin in Europa“. Er verweist auf die Gründung Venedigs um n.Chr. und die außergewöhnliche Lage der Stadt, die eine Eroberung unwahrscheinlich und einen Erfolg im Handel wahrscheinlich mache (Welsch, Reiß-Beschreibung, S. f.). Er erläutert den Aufbau der Stadt, verweist auf die zahlreichen Kirchen, den Markusschatz und beschreibt sodann die politische Organisation. Welsch erwähnt die Aufteilung in Doge, Senat und Großen Rat, widmet einen verhältnismäßig großen Anteil der Darstellung aber dann dem Prozedere der Dogenwahl und der Vermählung des Dogen mit Meer (S. – ). Die wirtschaftliche Macht Venedigs drückt auch Welsch sodann durch die Beschreibung von Waren- und Nationenvielfalt und dem Umschlag einzelner Handelshäuser aus (S. f.). Er verweist gar selbst darauf, dass die „Macht auff dem Meer […] nicht zu berechnen noch zu beschreiben“ sei (S. ). Es folgen schließlich der obligatorische Verweis auf das Arsenal mit seinem „grossem Vorrath“ an Waffen und Schiffsausrüstung und der Hinweis auf die Terra FermaGebiete (S. f.). Welsch, Reiß-Beschreibung, S. . Welsch, Reiß-Beschreibung, S. . Siehe dazu Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – . Erstaunlicherweise erwähnt Landwehr die Kritik von Hieronymus Welsch nicht, obwohl er sich ansonsten eingehend mit diesem Quellentext beschäftigt.
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Welsch verweist hier mit seinem kritischen Einschub auf einen Diskurswandel, der sich rund zehn Jahre später vollziehen sollte. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht bereits im 16. und 17. Jahrhundert kritische Texte mit Blick auf Venedig gab. Allerdings glichen diese Texte, die deutlich in der Minderheit waren, in ihrem Aufbau nicht der Reisebeschreibung Welschs, der vor allem die positiven Aspekte herausstellte und auf wenige kritische Aspekte verwies, sondern sie verkehrten sämtliche positiven Aspekte der Lagunenstadt in ihr negatives Gegenteil.¹⁵⁰ Achim Landwehr verweist überzeugend darauf, dass sich diese Abhandlungen, die in der Forschung auch unter dem Begriff des „Antimythos Venedig“ zusammengefasst werden,¹⁵¹ „aus diskursanalytischer Sicht praktisch nicht [von den Texten des Mythos Venedigs] unterschieden“, da die Aussagen identisch waren und lediglich in ihrem Negativum abgebildet wurden.¹⁵² Die Texte des „Antimythos“ erschienen sowohl in als auch außerhalb Italiens vor allem anlässlich als Bedrohung empfundener Eroberungen des italienischen Festlandes durch Venedig um 1500.¹⁵³ So gelten etwa die antivenezianischen Gedichte des Ulrich von Hutten (1488 – 1523), die er während des Krieges der Liga von Cambrai verfasste (1508 – 1517), als exemplarisch für die ins Negative verkehrten Aussagen des venezianischen Mythos.¹⁵⁴ Statt Stabilität und Gerechtigkeit wird hier auf die in Venedig herrschende Tyrannei und Ungerechtigkeit verwiesen, nicht durch Frömmigkeit würde sich das Leben der Venezianer zudem auszeichnen, sondern durch kaum vorhandene Religiösität und Verschwendungssucht. Die Forschung sieht die stereotype und vor allem wenig differenzierte Darstellung Venedigs in der Außenwahrnehmung vor allem in der Gattung des Reiseberichts begründet, dessen schematische und kaum individuelle Darstel-
Siehe Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. f.; Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. ; Eglin, Venice Transfigured, S. . Vgl. etwa Zorzi, Alvise: Venezia, mito e antimito. In: Venezia dei grandi viaggiatori. Hrsg. von Franco Palosola [u. a.]. Rom . S. – . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. ; Rubinstein, Nicolai: Italien Reactions to Terraferma Expansions in the Fifteenth Century. In: Renaissance Venice. Hrsg.von John R. Hale. London . S. – ; Finlay, Robert: The immortal Republic: the Myth of Venice during the Italian Wars ( – ). In: The Sixteenth Century Journal (SCJ) (). S. – . Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. ; Jillings, Lewis: The Eagle and the Frog: Hutten’s Polemic against Venice. In: Renaissance Studies (RenS) (). S. – . Auch in Frankreich finden sich zur selben Zeit Autoren, die die anti-venezianische Propaganda voranbringen, wie etwa Jean Lemaire des Belges (1473 – 1515) oder Jean Marot (1450 – 1526). Siehe dazu Haitsma Mulier, Eco O.G.: The Myth of Venice and Dutch Republican Thought in the Seventeenth Century. Assen 1980. S. 36.
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lungsweise erst am Ende des 17. Jahrhunderts aufgebrochen wird.¹⁵⁵ Der Mythos (und Antimythos) Venedigs wurde aber durchaus auch in anderen Textarten transportiert. Der französische Humanist Guillaume Postel (1510 – 1581) beispielsweise wies Venedig in seinen visionären Texten über eine bevorstehende Wiederkehr des göttlichen Reichs auf Erden eine entscheidende Rolle zu.¹⁵⁶ Er griff dabei Elemente des venezianischen Mythos auf und wertete diese immer als Ausdruck einer besonderen göttlichen Auserwähltheit.¹⁵⁷ Venedig war für Postel „perfectior magistratus“, „sacrosancta regalitas“ und „vera Ierusalem“.¹⁵⁸ Die Lagunenstadt habe Rom in seiner Vorreiterrolle für die Christenheit abgelöst.¹⁵⁹ Obwohl Postel 1555 von der venezianischen Inquisition aufgrund seiner theologischen Ansichten verurteilt wurde, hielt er an seiner Bewunderung für und an der Einschätzung Venedigs fest. Er konkretisierte und personalisierte seine Ideen darüber hinaus, indem er in mehreren Texten die Legende einer venezianischen Jungfrau namens Zuana aufgriff, die in seiner Darstellung alle Prinzipien und Werte des kommenden Gottesreichs verkörperte. Ausschließlich Venedig, so der
Vgl. dazu Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – und S. – ; Cladders, Französische Venedig-Reisen, S. – . Für Leben und Werk Guillaume Postels siehe Bouwsma, William J..: Concordia Mundi. The Career and Thought of Guillaume Postel ( – ). Cambridge/Mass. ; Kuntz, Marion L.: Guillaume Postel. Prophet of the Restitution of All Things. His Life and Thought. Den Haag [u. a.] (Archives internationals d’Histoire des idees ). Seine Vorstellungen über ein kommendes Universalreich sowie Venedigs Rolle darin finden sich vor allem in den folgenden Abhandlungen: Postel, Guillaume: Il libro della divina ordinatione. Padua ; Postel, Guillaume: Le prime nove del altro mondo. Padua . Zudem zieht die Forschung zahlreiche, nicht publizierte Handschriften heran. Zur Rolle Venedigs in Postels Theorie siehe Leather Kuntz, Marion: The Myth of Venice in the Thought of Guillaume Postel. In: Venice, Myth and Utopian Thought in the Sixteenth Century. Bodin, Postel and the Virgin of Venice. Hrsg. von Dies. Aldershot [u. a.] . S. – ; Leather Kuntz, Marion:Guillaume Postel e l’idea di Venezia come la magistratura più perfetta. In: Venice, Myth and Utopian Thought, S. – ; Ellero, Giuseppe: Postel e Venezia. In: Guillaume Postel – . Hrsg. vom Centre National de la Recherche scientifique (Actes du Colloque International d’Avranches – septembre ). Paris . S. – . Postel, der sich selber mehrmals in Venedig aufhielt und wahrscheinlich stark von Contarini beeinflusst war, sah bereits die geographische Lage im Wasser als Ausdruck göttlicher Auserwähltheit an. Auch die Armenund Krankenfürsorge der Venezianer als Umsetzung der wahren göttlichen Liebe und vor allem die Stabilität des Gemeinwesens, die er mit derjenigen des biblischen Reichs Kittim verglich, waren für Postel deutliche Hinweise auf die Rolle Venedigs als neues Jerusalem.Venedig würde das Zentrum eines neuen sakralen Reiches sein,welches Postel als Universalmonarchie bezeichnete, und schon vorher müsse es als von Gott perfekt eingerichtetes Gemeinwesen Vorbild für alle anderen Gemeinwesen in der Welt sein. London, BL, MS Sloane , f.v. Zitiert nach: Leather Kuntz, The Myth of Venice, S. . Leather Luntz, The Myth of Venice, S. .
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erneute Rückschluss, habe den Rahmen für die Entwicklung einer solchen heiligen Jungfrau ermöglichen können.¹⁶⁰ Weniger mit einer heilsgeschichtlichen Intention als vielmehr vor einem realpolitischen Hintergrund bedienten sich weitere Textgattungen des „Mythos Venedig“. So veröffentlichte der französische Hofgeistliche Thomas de Fougasses 1608 etwa eine Sammlung lateinischer, französischer und italienischer Texte zur Geschichte Venedigs.¹⁶¹ Der Abhandlung sind zwei Widmungen vorangestellt: eine an den französischen König Henri IV. (1553 – 1610) und eine an den venezianischen Dogen Leonardo Donà (1536 – 1612). In der ersten hebt Fougasses die Frömmigkeit der Venezianer, die gute Ordnung und die Langlebigkeit Venedigs hervor. Allein Frankreich könne auf der Welt in diesen Punkten gleichziehen. Fougasses verweist außerdem auf die Gründungsväter Venedigs, die seit der Flucht vor Attila um ihre Freiheit und in Frömmigkeit gekämpft hätten.¹⁶² In der zweiten Widmung spricht Fougasses dem venezianischen Dogen seine Bewunderung für die Stadt und deren „bon ordre & police tant accreuë & amplifiee“ aus.¹⁶³ Er vergleicht dabei die politischen Versammlungen der venezianischen Adligen mit dem aus seiner Sicht so gut funktionierenden römischen Senat.¹⁶⁴ Es sei seine Absicht, den Franzosen die Entwicklung und den Aufbau dieser „Republique, comme pour la plus parfaicte & mieux policee qui ait iamais esté“ darzulegen, auch in ihrer Eigenschaft als Verteidigern der Christenheit gegen die islamische Welt.¹⁶⁵ Gegenüber Heinrich IV. rechtfertigt Fougasses diese Bewunderung mit der Unterscheidung zwischen Frankreich als perfekt eingerichteter Monarchie und Venedig als perfekt eingerichteter Republik und betont – sicher vor dem Hintergrund des päpstlichen Interdikts gegen Venedig (1606) und Frankreichs Vermittlerrolle in diesem Konflikt – die Freundschaft zwischen beiden Gemeinwesen.¹⁶⁶
Siehe Postel, Les tres merveilleuses victoires des femmes. Postel, Il libro della divina ordinatione. Postel, Le prime nove del altro mondo. Leather Kuntz, The Myth of Venice, S. – ; Leather-Kuntz, Venezia, S. – . Fougasses,Thomas de: Histoire Generale de Venise. Depuis la Fondation de la Ville, iusques à présent. Extraicte de plusieurs Memoires & divers Autheurs, tant Latins que François, & Italiens. Avec les Sommaires des matieres principales, contenues en chasque livre. A Paris (chez Abel l’Angelier) . Fougasses, Histoire Generale, o.P. Fougasses, Histoire Generale, o.P. Fougasses, Histoire Generale, o.P. Fougasses, Histoire Generale, o.P. Fougasses, Histoire Generale, o.P.: „De sorte qu’on ne vist iamais Estats mieux policez que le vostre, en forme de Monarchie la plus excellente & legitime de toutes autres: & le leur de la plus parfaicte & accomplie Republique de toutes celles qui furent onques […].“ Diese Unterscheidung und vor allem die neutrale und nicht pejorative Verwendung des Begriffs „Republik“ im Sinne
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Die Unterscheidung Fougasses findet sich ähnlich angelegt schon bei dem wohl einflussreichsten Politiktheoretiker Frankreichs des 16. Jahrhunderts: Jean Bodin (1529 – 1596). Bodin, der vor dem Hintergrund der französischen Religionskriege die Kontinuität, die Sicherheit und die Effektivität einer politischen Ordnung als regulative Zielideen seiner Überlegungen ausgibt, verteidigt in seinen Schriften die rechtmäßige Monarchie als normatives Ideal.¹⁶⁷ Jede nicht-monarchische Staatsform ist für ihn defizitär, da mehrere Träger von Souveränität immer wieder mit Blick auf Heerführung und Entscheidungsfindung ineffizient agieren und Anlass und Möglichkeit zu inneren Unruhen bis hin zu Bürgerkriegen geben könnten. Venedig erscheint dabei allerdings, vor allem in Bodins 1576 erschienen Six Livres de la République,¹⁶⁸ als diejenige defizitäre Aristokratie, die die aufgezeigten Gefahren aufgrund einer weisen, harmonischen Regierungsweise bisher am besten und längsten vermieden habe. Sie wird somit als beste nicht-monarchische Staatsform dem klar favorisierten Ideal der französischen Monarchie gegenübergestellt.¹⁶⁹ eines nicht-monarchischen Freistaats sind zu diesem Zeitpunkt durchaus bemerkenswert. Vgl. dazu Maissen, Geburt der Republic, S. , der die ersten Verwendungen dieser Art im französischen Sprachgebrauch auf das Ende des . Jahrhunderts datiert. Siehe beispielsweise Bodin, Jean: Methodus ad facilem historiarum cognitionem. Paris . S. f.; Vgl. dazu Maissen, Geburt der Republic, S. – , hier vor allem S. . In der , also noch vor dem Schrecken der Bartholomäusnacht () und der daraus folgenden Dynamisierung und Brutalisierung der Religionskriege, publizierten Methodus ad facilem historiarum cognitionem vertritt Bodin durchaus noch die Auffassung, dass diese Monarchie durch ständische Mitsprache gemäßigt werden soll. Das Konzept einer Mischverfassung lehnt er aber bereits hier konsequent als nicht-funktionierende und vor allem nicht mögliche Ordnung ab. Venedig ist für Bodin klar eine Aristokratie, die sich aus einer Demokratie entwickelt habe und in der der Doge von jeher ohne reale Machtkompetenz gewesen sei. Folglich wehrt er sich bereits in der Methodus gegen Contarinis These der venezianischen Stabilität aufgrund von deren Organisation als Mischverfassung. Die einzige Möglichkeit, die Venedig, geplagt von Bürgerkriegen und Verschwörungen, zum Überleben genutzt habe, sei die Verdammung und Bestrafung von mindestens Dogen gewesen. Vgl. dazu Gilmore, Myth and Reality, S. f. Bodin, Les six livres de la République. Die begriffliche Unterscheidung zwischen Monarchie und république als Freistaat findet sich so bei Bodin hingegen noch nicht. République bezeichnet bei ihm noch unabhängig von der Staatsform das politische Gemeinwesen. In den Six Livres de la République entwickelte Bodin schließlich seinen Souveränitätsbegriff in einer konsistenten und konsequenten Theorie. Die Folge seiner Definition der Souveränität als ungeteilte, zeitlich unbegrenzte und durch keine Gewalt begrenzte Macht ist die absolute, über ständische Mitsprache erhabene Kompetenz des Monarchen und die klare Verneinung einer Möglichkeit der Mischverfassung. Die Souveränität kann ausschließlich bei dem Einen oder ausschließlich bei den Wenigen oder ausschließlich bei den Vielen liegen. Eine Aufteilung in Teilrechte ist für Bodin nicht möglich. Folglich gibt es für den Franzosen auch nur drei Herr-
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Eine Mischverfassung war für Bodin nicht denkbar. Auch das Deutungsmuster, das die venezianische Stabilität und die lange Dauer des Gemeinwesens auf dessen Organisation als Mischverfassung zurückführte, war folglich für den Franzosen nicht mehr haltbar. Dennoch gesteht auch er ein, dass es keine andere Aristokratie auf der Welt gebe, die bisher so lange Bestand gehabt hätte.¹⁷⁰ Die Erklärung ist für Bodin dabei in seiner Unterscheidung zwischen der Staats- und Regierungsform eines Gemeinwesens („estat d’une république vs. gouvernement d’une république“) zu suchen.¹⁷¹ In der Regierungsform könnten im Unterschied zur Staatsform durchaus verschiedene Verfassungsprinzipien kombiniert werden. Ein Souverän könne eine monarchische, eine aristokratische, eine demokratische oder auch eine aristokratische und zugleich demokratische Regierung einsetzen, unabhängig von der klaren Definition dieses souveränen Gemeinwesens als Monarchie, Aristokratie oder Demokratie.¹⁷² Um dem göttlichen Gesetz zu entsprechen, sollte die Regierung harmonisch aufgebaut sein, das heißt für Bodin, in der Verteilung der Ämter und Prinzipien eine Mischung aus dem aristokratischem und demokratischem Verfassungsprinzip aufweisen. Venedig habe genau so eine harmonische Regierungsform.¹⁷³ Durch diese harmonische Ordnung habe es Venedig geschafft, die Bevölkerung über lange Strecken zufrieden zu stellen und das eigene Gemeinwesen zum Erfolg zu führen. Unterstützt worden sei dies zudem, so wird anhand unterschiedlicher Verweise in den Six Livres deutlich, durch eine gute Befestigungs-
schaftsformen: die Monarchie, die Aristokratie und die Demokratie. Venedig ist für ihn ganz klar eine Aristokratie, die sich – und hier differenziert er noch ein Mal seine Auffassung der Methodus – aus einer Monarchie heraus über den Zustand der Demokratie hinaus zu einer solchen entwickelt habe (Bodin, Six Livres, Bd. IV, 1, S. 52 f.). Contarinis Darstellung einer Mischverfassung sei deshalb in jedem Fall als Illusion zu entlarven (Bodin, Six Livres, Bd. II, 1, S. 18 f.). Zu Bodins Souveränitätsbegriff, der sich durch bestimmte marques de la souveraineté auszeichnet, vgl. die Zusammenfassung bei Maissen, Geburt der Republic, S. 49 – 52. Bodin, Six Livres, Bd. VI, , S. . Bodin, Six Livres, Bd. II, , S. und Bd. II, , S. – . Vgl. dazu auch Maissen, Geburt der Republic, S. f. Bodin, Six Livres, Bd. II, , S. . Bodin, Six Livres, Bd.VI, , S. f. Siehe auch Bodin, Six Livres, Bd. VI, , S. .Vgl. dazu auch Gilmore, Myth and Reality, S. f. Als weitere Gemeinwesen, die eine solche harmonische Ordnung aufweisen, nennt Bodin Bern, Basel und Zürich. Siehe Bodin, Six Livres, Bd. VI, 6, S. 298. Vgl. dazu Kapitel I.2.1 der vorliegenden Arbeit. Das normative Ideal bleibt für Bodin dennoch die harmonisch regierte Monarchie: „L’estat Royal gouverné Harmoniquement est le plus beau et le plus parfaict“. (Bodin, Six Livres, Bd. VI, 6, S. 299).
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politik kombiniert mit einer kaum expansiven Außenpolitik,¹⁷⁴ die Garantie der größtmöglichen Freiheit für alle Einwohner (auch für die Nicht-Bürger),¹⁷⁵ die in regelmäßigen Abständen gewährte Verleihung oder Veräußerung des Bürgerrechts¹⁷⁶ und die erstaunliche Eintracht zwischen den venezianischen Adligen.¹⁷⁷ Zwar hätte es in Venedig mehr Verschwörungen und Rebellionen gegeben, als es die venezianische Historiographie bisher zugegeben hätte, doch insgesamt hätte es Venedig bisher immer geschafft, einen blutigen Umschlag in eine Tyrannis oder eine Demokratie zu vermeiden.¹⁷⁸ Nicht eine Mischverfassung, sondern die weise Regierungsart der Venezianer habe bisher die Kontinuität und Stabilität der politischen Ordnung gewährleisten können.¹⁷⁹ Attraktivität besaß das Modell Venedig allerdings insgesamt weniger für die Vertreter der absoluten Monarchie als vielmehr für jene, die im 17. Jahrhundert versuchten, ihren neu erlangten freistaatlichen Status zu legitimieren und in der europäischen Staatenwelt zu etablieren: die Niederlande und das England des Bürgerkriegs und Interregnums. Im 16. Jahrhundert waren viele Niederländer durch einen Studienaufenthalt in Italien der italienischen Sprache mächtig und hatten zudem Venedig persönlich bereist. Dennoch fiel die Berichterstattung über die Lagunenstadt zunächst sehr gering aus.Wenn Venedig erwähnt wurde, so war es vor allem die Figur des Dogen, die das Interesse der Schreibenden weckte.¹⁸⁰ In der Legitimation des niederländischen Unabhängigkeitskampfes, die seit dem Ausbruch der Revolte in den 1560er Jahren vor allem mit der Verteidigung tradi-
Bodin, Six Livres, Bd. V, , S. f. Bodin, Six Livres, Bd. IV, , S. ; Bd. VI, , S. und Bd. VI, , S. . Bodin, Six Livres, Bd. I, , S. . Bodin, Six Livres, Bd. IV, , S. . Bodin, Six Livres, Bd. VI, , S. . Bodin nennt hingegen durchaus Beispiele von Gemeinwesen, bei denen so ein blutiger Umschlag stattgefunden habe. Siehe: Bodin, Six Livres, Bd. VI, , S. und Bd. IV,, S. . Die Gefahren, denen Venedig ausgesetzt sei, seien vor allem das Missverhältnis zwischen Bürger und Nicht-Bürgern, das durch eine extreme Zuwanderung verstärkt werde, und der Gegensatz zwischen Stadtbevölkerung und Seeleuten. (Siehe Bodin, Six Livres, Bd. IV,, S. f. und Bd. IV,, S. ). Trotz Bodins enormen Einfluss auf die französische politische Theorie gab es dennoch auch hier weiterhin Autoren, die Venedig als die perfekt eingerichtete Mischverfassung ansahen und den Mythos Venedig weiter trugen. So bezieht sich Louis Le Roy in seiner kommentierten Aristoteles-Übersetzung von (Le Roy, Louis: Les politiques d’Aristote, esquelles est monstrée la science de gouverner le genre humain en toutes espéces d’estats publicques traduictes de Grec en Francois par …dict Regius. Paris ), die nahezu zeitgleich zu Bodins Text entstand, noch klar auf den gerade ins Französisch übersetzten Contarini und trägt dessen Venedigbild weiter. Etwas später folgt ihm in dieser Auffassung etwa Germain Audebert ( – ) (Audeberti, Germani Aurelii: Venetiae. Venedig ). Siehe dazu Mulier, Myth of Venice, S. f. und S. . Vgl. hier und grundsätzlich Mulier, Myth of Venice (hier S. – ).
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tioneller (ständischer) Freiheits-, Mitsprache- und Widerstandsrechte argumentierte und bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts zum größten Teil nicht auf eine explizit republikanische, das heißt nicht-monarchische Staatsform abzielte,¹⁸¹ spielte Venedig als mögliches Modell der Orientierung oder Diskussion kaum eine Rolle.¹⁸² Als Vergleichspunkt wird Venedig lediglich im anonym publizierten Dialog Emanuel-Erneste (1581) herangezogen, der auf die Ähnlichkeit des Souveränitätssitzes in Brabant und Venedig verweist,¹⁸³ und durch den Pensionär von Gouda, François Vranck (ca. 1555 – 1617), der 1587 in seiner Verteidigung der Autorität der Generalstände die seit 800 Jahren bestehende, nicht-monarchische Regierung Hollands durch die Stände und deren Vertreter hervorhebt, die in ihrer Langlebigkeit, Freiheit und Blüte nur mit derjenigen Venedigs zu vergleichen sei.¹⁸⁴ Fand Venedig darüber hinaus überhaupt Erwähnung, so zumeist in Traktaten, die weiterhin eine Verfassung mit einem starken monarchischen Element befürworteten und die Anwendbarkeit des venezianischen Modells auf die niederländische Situation verwarfen.¹⁸⁵
Siehe dazu Gelderen, Martin van: The Political Thought of the Dutch Revolt – . Cambridge (Ideas in Context). Zusammenfassend auch Maissen, Geburt der Republic, S. – . Martin van Gelderen kommt zu diesem Befund, weist aber auch daraufhin, dass dies auch an der Überlieferungslage der Quellen liegen könnte. Van Gelderen, Political Thought, S. . Das Beispiel der Schweiz wurde während des Aufstands breiter diskutiert als dasjenige Venedigs, allerdings wurde auch das Schweizer Modell überwiegend als nicht annehmbar für die Niederlande verworfen. Siehe dazu Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit sowie Maissen, Geburt der Republic, S. – und Mout, Nicolette: Ideales Muster oder erfundene Eigenart. Republikanische Theorien während des niederländischen Aufstands. In: Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Helmut G. Koenigsberger. München (Schriften des Historischen Kollegs ). S. – . S. – . Gerard Prounick van Deventer, Emanuel-Erneste: Dialogue de deux personages sur l’Estat du Pais Bas. Antwerpen . Zur Datierung und dem Inhalt vgl. van Gelderen, Political Thought, S. f. Siehe auch die englische Übersetzung: Short exposition of the right exercised from old times by the knighthood, nobles and towns of Holland and Westvriesland for the maintenance of the liberties, rights, privileges and laudable customs of the country. In: Texts concerning the Revolts of the Netherlands. Hrsg. von E.H. Kossmann u. A.F. Mellink. Cambridge . S. – ; Vgl. van Gelderen, Political Thought, S. – . So etwa die publizierte Waerschouwinghe aen alle goede inghesetenen vanden Nederlanden […], die eine Übernahme des Schweizer oder venezianischen Modells diskutiert, diese Übernahme aber aufgrund der anderen geographischen Gegebenheiten und den Gefahren von Partikularismus und langsamer, ineffizienter Entscheidungsfindung verwirft. Vgl. van Gelderen, Political Thought, S. ; Das ebenfalls publizierte Traktat Vriendelick Vertooch. Daerby ghediscoureert werdt wat middelen dese bedruckte Landen te wercke moghen legghen tot haerlieder conservatie en onderhout van de Religie, Liberteyt ende Privilegien beschreibt Venedig im Sinne des
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Nach der Aufkündigung des Herrschaftsvertrages mit dem König von Spanien (1581) und der erfolglosen Suche nach einem ausländischen „Ersatzmonarchen“ kristallisierten sich am Ende des 16. Jahrhunderts (zumindest in der Vertretung nach außen) die Generalstände als Souverän der Niederlande heraus, die sich selbst weiterhin kaum als „Republik“ bezeichneten, sondern als „Geunieerde Provincien“ oder „Vrije Vereenigde Nederlanden“,¹⁸⁶ und mit dem Statthalter weiterhin ein starkes monarchisches Element behielten. Die eigene Vergangenheitskonstruktion als unabhängiger, aristokratisch geprägter Freistaat, die über den Bataver-Mythos erfolgte,¹⁸⁷ und gemeinsame außenpolitische Interessen, vor allem in der venezianischen Interdiktkrise 1606/1607, brachten die Niederlande und Venedig zu Beginn des 17. Jahrhunderts näher zusammen und ließen die Lagunenstadt zunehmend auch als Gegenstand der politischen Diskussion interessant werden.¹⁸⁸ Hugo Grotius (1583 – 1645), der in De Antiquitate Reipublicae Batavicae (1610) den Bataver-Mythos prominent vertrat, pries Venedig bereits 1599 in einer Übersetzung des Mathematikers Simon Stevin (1548 – 1620) in der Widmung an den venezianischen Dogen als „mirabilemque utriusque, vestratis nostratisque videlicet Reipublicae similitudinem et quandam quasi ΣUΜΠΑΤΗΕΙΑΝ. Considerabam summam in rebus gerendis aequalitatem et libertatem Tyrannidosque fugam […].“¹⁸⁹ Der niederländische Diplomat und Jurist Pieter Cornelisz Brederode (1558?– 1637) verfasste anlässlich der von ihm abgelehnten Friedensverhandlungen der Vereinigten Provinzen mit Spanien 1607 eine Denkschrift, in der er explizit eine Reform bzw. Weiterentwicklung der Niederlande nach dem Vorbild Roms und Venedigs vorschlug.¹⁹⁰ Brederode plädierte für eine Mischverfassung, bei der die
Anti-Mythos gar als korrupte Oligarchie einiger weniger Familien, die ihre Macht missbrauchen und den Rest der Einwohner unterdrücken würden. Vgl. van Gelderen, Political Thought, S. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. ; Kossmann, Ernst Heinrich: Freedom in Seventeenth-Century Dutch Thought and Practice. In: The Anglo-Dutch Moment. Essays on the Glorious Revolution and its World Impact. Hrsg. von Israel, Jonathan I. Cambridge . S. – . S. ; Kossmann, Ernst Heinrich: Political Thought in the Dutch Republic. Three Studies. Amsterdam . S. f. Zum Mythos der Batavier vgl. Mout, Ideales Muster, S. – ; Israel, The Dutch Republic, S. f. und S. . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. und S. . Grotius, Hugo: ΛΙΜΕΝΕΥΡΕΤΙΚΗ sive portuum investigandorum ratio. Leiden . Zitiert nach: Mulier, Myth of Venice, S. . Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Brederode, Pieter C.: Considérations d’estat sur le traicté de la paix avec les sérénissimes archiducz d’Austriche. Manuscrit de . Hrsg. von Charles Rahlenbeck. Brüssel [u. a.] . Zu Brederode und dessen Venedigbild vgl. Mulier, Myth of Venice, S. f.; Mouet, Ideales Muster, S. f.
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Entscheidungskompetenz bei den Provinzialständen liegen sollte so wie in Venedig beim Großen Rat. Als zentrales Verwaltungsorgan schlug er eine dem venezianischen Senat ähnliche Institution vor. Ämterrotation, Losverfahren und gegenseitige Überwachung sollten darüber hinaus wie in Rom und Venedig den Missbrauch von Macht verhindern.¹⁹¹ Die Mischverfassung als beste Organisationsform des Gemeinwesens und Venedig als ideale Verkörperung dieser Mischverfassung wurden auch von dem Juristen und Professor Paulus Busius gepriesen. Busius, der 1613 mit De republica libri tres und Illustrium disquisitionum politicarum liber gleich zwei Abhandlungen publizierte, in denen er eine Theorie des Staates auszuloten versuchte,¹⁹² orientierte sich stark an Contarini und vor allem an Bodin.¹⁹³ Im Unterschied zu dem Franzosen sah er aber Souveränitätskonzept und Mischverfassung als miteinander vereinbar an. Die Souveränität sei zwar prinzipiell unteilbar, könne aber gleichzeitig bei mehreren Personen bzw. Institutionen liegen, von der eine dominieren könne.¹⁹⁴ Sein Ideal war dabei die aristokratisch dominierte Mischverfassung als bestes Mittel gegen Korruption und für ein stabiles Gemeinwesen. Venedig verkörperte für Busius dieses Ideal. Sie galt ihm deshalb als „unübertrefflich“¹⁹⁵ und mit keinem anderen Gemeinwesen vergleichbar.¹⁹⁶ Allerdings lässt sich auch noch bei Busius keine systematische Darstellung der venezianischen Verfassung finden und der Vergleich mit den niederländischen Institutionen und Strukturen findet allenfalls implizit statt.¹⁹⁷ Eine erste ausführliche Beschreibung und durch Schaubilder unterstützte schematische Darstellung der venezianischen Verfassung durch einen Niederländer lieferte schließlich ein Reisebericht. Johannes van Cootwijck (?–1629), der 1598 über Venedig ins Heilige Land gereist war, veröffentlichte 1619 sein Itinerarium Hierosolymitanum et Syriacum. Accedit synopsis reipublicae Venetae. ¹⁹⁸
Brederode, Considérations, S. – ; vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . Busius, Paulus: De republica libri tres. Quibus tota politica ratio nova et succinta methodo ingenuae ejusdem praxi applicatur. Leiden ; Busius, Paulus: Illustrium disquisitionum politicarum liber. Leiden . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. – ; Mouet, Ideales Muster, S. f. Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. ; Mouet, Ideales Muster, S. . Busius, Disquisitiones, Bd. XVI, S. . Siehe Mulier, Myth of Venice, S. . Busius, De republica, Bd. III, Ch. . Siehe Mulier, Myth of Venice, S. . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . Cotovico, Ioanne: Itinerarium Hierosolymitanum et Syriacum. In quo variarum gentium mores et instituta: Insularum, Regionum, Urbium situs, una ex priscirecemiorisa saeculi usu; una cum Eventis, quae Auctori terra marigus acciderunt, dilucidè recensentur. Accessit synopsis reipublicae Venetae. Antwerpen . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. und S. .
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Cootwijck sieht Venedig klar als Mischverfassung an.¹⁹⁹ Seine Beschreibung Venedigs enthält darüber hinaus stereotype Elemente des venezianischen Mythos, in dem er etwa die außergewöhnliche geographische Lage der Lagunenstadt hervorhebt und die seit Langem bestehende Freiheit der Stadt.²⁰⁰ Cootwijcks Darstellung wurde derart geschätzt, dass sie 1628 sogar an die Leidener Elzevier Ausgabe von Contarini angehängt wurde.²⁰¹ Das verstärkte Interesse an Venedig ging auch mit immer intensiveren diplomatischen Kontakten zwischen den beiden Republiken einher. 1618 wurde der niederländische Botschafter in Venedig, Van Aerssen (1572– 1641), ganz offiziell damit beauftragt, die „forme van hare regieringhe“ zu analysieren, um herauszufinden „wat proffyt uyt deselve ten dienste deser landen sal cunnen getrocken worden“.²⁰² 1620 kam es dann zum offiziellen Bündnis zwischen den Vereinigten Provinzen und Venedig, welches rhetorisch mit vielerlei Bezügen auf die freistaatlichen Gemeinsamkeiten der Republiken begleitet wurde.²⁰³ Entscheidenden Einfluss auf das Bild Venedigs in den Niederlanden hatte aber schließlich Dirk Graswinckels (1600?–1666) im Jahr 1634 publizierte Abhandlung Libertas Veneta. ²⁰⁴ Der Jurist und Schüler von Grotius verfasste die mehr als 500 Seiten starke Schrift in den 1620er Jahren als Antwort auf die 1612 anonym und mit fiktiven Publikationsort veröffentlichte Abhandlung Squitinio della libertà veneta. ²⁰⁵ Letztere stammte wahrscheinlich aus der Feder des spanischen Herzogs Alfonso de la Cueva (1572– 1655), der mit Hilfe einer historischen Beweisführung zentrale
Diese Einschätzung findet sich in der Ausgabe Cootwijcks, die an die Elzevierausgabe von Contarini angehängt wurde: Contarini, Gasparo: De republica Venetorum. Opus de magistratibus et Republica Venetorum. Item synopsis reip. Venetiae […] auctore Ioanne Cotovico. Leiden . S. . Siehe etwa Cotovicus, Itinerarium, S. f.; Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . Aerssen, F. van: Rapport gedaen by den Heere van Sommelsdyck aen de Hooge en Mogende Heeren Staten Generaal. In: Berigten van het Historisch Genootschap. Bd. / (). S. – . S. ; hier zitiert nach: Mulier, Myth of Venice, S. . Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. und Conti,Vittorio: Il modello politico olandese in Italia durante la prima metà del Seicento. In: Modelli nella storia del pensiero politico. Hrsg. von Vittor Ivo Comparato. Florenz (Il Pensiero Politico Biblioteca ). S. – . S. – für weitere diplomatische Quellen. Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Graswinckel, Theodorus: Libertas Veneta sive Venetorum in se ac suos imperandi ius, assertum contra anonymum Scrutinii scriptorem. Leiden . Vgl. dazu Mulier, Myth of Venice, S. – . Anonymus: Squitinio della libertà veneta, nel quale si adducono anche le raggioni dell’Impero Romano sopra la Città e Signoria di Venetia. Mirandola . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. .
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Elemente des venezianischen Mythos dekonstruiert hatte.²⁰⁶ Graswinckel versuchte, im Sinne seiner wahrscheinlich venezianischen Auftraggeber,²⁰⁷ das stärkste Argument der Squitinio, dass Venedig von Anfang an im Abhängigkeitsverhältnis zu anderen Mächten gestanden hätte, mit einer naturrechtlichen Argumentation zu entkräften: die Venezianer hätten sich im Jahr 421 als Erste auf vollkommen freien Inseln im Meer niedergelassen und diese so rechtlich erworben.²⁰⁸ Sie seien deshalb von Beginn an frei und – so ergänzt er in der Folge – vornehmlich aristokratisch organisiert gewesen.²⁰⁹ Graswinckel macht dabei keine klare Aussage, ob er Venedigs Regierungsform als Mischverfassung ansieht, wohl aber verweist er auf die tragende Rolle und Besonderheit der venezianischen Verfassung, die Harmonie, Zusammenarbeit und soziale Ruhe über Jahrhunderte hinweg garantiert habe.²¹⁰ Diese sowie weitere Elemente des „Mythos Venedig“ wurden in den Vereinigten Provinzen in der Folge auch von anderen Autoren weitergetragen.²¹¹ Noch 1673 schließlich findet sich eine Art Zusammenfassung des venezianischen Mythos bei dem Publizisten Lambert van Bos (1610 – 1698): Een van des werelts wonderen, een Staet gebouwt op een vergdaringh van Eylanden selfs in de Kaecken van de Zee, synde daer geplant in de selfde Godsdienst diese belyd, hetgeen van weinigh andre te segghen valt, een oude Maeght, en daerom niet te verachtelycker noyt verandert in ghedaente, noyt in waerdy, weynigh in machten, noyt in bestieringh, soodanigh
Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. f. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass der venezianische Senator Aloisius Molinus Graswinckel mit Material versorgte. Molinus bewegte sich im Umkreis Paolo Sarpis ( – ), dessen historische Argumentation Graswinckel sich ebenfalls bediente. Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. – . Graswinckel, Libertas Veneta, S. und S. ; Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . Vgl. Graswinckel, Libertas Veneta, S. ; Mulier, Myth of Venice, S. . Verweise auf die außergewöhnliche Lage und Freiheit Venedigs sowie die lange Beständigkeit und Unveränderlichkeit der venezianischen Verfassung fanden sich etwa bei dem Theologen und Gymnasiallehrer Anthonius Thysius ( – ). Thysius, Anthonius: Memorabilia celebriorum veterum rerum publicarum. Leiden . Die Aussagen zu Venedig finden sich im Kap. XIV mit dem Titel Encomium reipublicae Venetorum. Der Bibliothekar und Philologe Daniel Heinsius ( – ) betonte wie Thysius die unglaubliche Gründung Venedigs in der Lagune, die Anlage zur Unsterblichkeit aufgrund der von Anfang an so angelegten Verfassung und die Friedfertigkeit Venedigs,welche die Lagunenstadt überlegen selbst gegenüber Rom gemacht habe. Heinsius, Daniel: Gratulatio de foedere inter Sereniss. Venetorum Rempubl. Et Illustres ac Praepontentes Ordines Foederatos contracto. Oratio IV. In: Danielis Heinsii orationum edition nova. Hrsg. von N. Heinsius. Amsterdam . Siehe Mulier, Myth of Venice, S. – .
1.3 Venedig im Blick: Der Mythos wird transportiert
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oudt ghelyck sy een kint gheweest is; sonder eenig rimpel of kreuck van Bejaerheydt te toonen.²¹²
Insgesamt lässt sich festhalten, dass auch in den neu als Freistaat etablierten Niederlanden der Mythos Venedig weitergetragen und als Referenzpunkt der Diskussion genutzt wurde – weniger während der Revolte und einer ersten Phase der Orientierung im 16. Jahrhundert als vielmehr nach einer gewissen Stabilisierung der neuen Ordnung und in einer Phase der Diskussion um die tatsächliche Gewichtsverteilung innerhalb der neu etablierten Verfassung im 17. Jahrhundert. Dabei fungierten sowohl Reisebeschreibungen als auch juristisch-politische Abhandlungen als Träger des Mythos. Auch in England fand die Popularität des Mythos Venedig am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht allein in den zahlreichen Reiseberichten ihren Ausdruck. Theaterstücke etwa wie Shakespeares Othello (gedruckt 1622) und The Merchant of Venice (1596) oder Ben Jonsons Volpone (1606) wurden teilweise oder ganz in Venedig als Schauplatz angesiedelt und griffen einzelne Elemente des Mythos auf.²¹³ Den Dramatikern standen dafür neben den Reiseberichten zahlreiche italienische sowie französische und deutsche Abhandlungen über Venedig im Original und in Übersetzung zur Verfügung.²¹⁴ Machiavelli und Bodin werden in Volpone gar namentlich erwähnt.²¹⁵ Jonson besaß zudem die zweite Ausgabe von Geoffrey Fentons Übersetzung von Francesco Giucciardinis Geschichte Italiens.²¹⁶ Einflussreich hinsichtlich der englischen Wahrnehmung Venedigs war aber vor allem Gasparo Contarinis De Magistratibus et Republica Venetorum, die 1599 in der englischen Übersetzung des Lewis Lewkenor (ca. 1560 – 1627) erschien.²¹⁷ Der Bos, Lambert van: De reysende Mercurius, verhandelende de hedendaeghsche en onlanghs tegenwoordige staat en verrichtingen van Europa. Bde. Amsterdam . Bd. II, S. . Hier zitiert nach: Mulier, Myth of Venice, S. . Siehe dazu McPherson, David C.: Shakespeare, Jonson, and the Myth of Venice. London [u. a.] ; Eglin, Venice transfigured, S. . Vgl. dazu etwa Bouwsma, William J.: Venice and the Political Education of Europe. In: Renaissance Venice. Hrsg. von John R. Hale. London . S. – , S. f.; Fink, Venice and English Political Thought, S. . McPherson, Shakespeare, S. . Jonson verwendete die zweite Ausgabe von : The historie of Guicciardin containing the vvarres of Italie and other partes, continued for manie yeares vnder sundrie kings and princes, together with the variations and accidents of the same: and also the arguments, with a table at large expressing the principall matters through the whole historie. Reduced into English by Geffray Fenton, imprinted at London (by Richard Field, dwelling in the Blackfriers by Ludgate) ; siehe McPherson, Shakespeare, S. . Lewkenor, Lewis: The Commonwealth and Government of Venice, written by the Cardinall Gasper Contareno, and translated out of Italian into English, by Lewes Lewkenor Esquire. Nel piu
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Übersetzer greift dabei in seinem Vorwort an den Leser alle für ihn wichtigen Elemente des Mythos auf, die – auch hier – ganz die traditionellen Aussagen des mito di Venezia spiegeln. Venedig, als bisher uneroberte Jungfrau, besteche durch ihre erstaunliche Lage.²¹⁸ Die lange Dauer des Gemeinwesens lege eine göttliche Einflussnahme nahe, die Justiz sei „pure and uncorrupted“.²¹⁹ Lewkenor sieht Venedig in seiner Struktur klar als Mischverfassung an, in der vor allem die herausragende Organisation der Ämter- und Würdenvergabe eine tugendhafte und auf das Gemeinwohl orientierte Regierung garantiere.²²⁰ Die von ihm zusätzlich vorangestellten Gedichte und Textauszüge untermauern noch einmal die Bilder der Jungfräulichkeit, der Macht, der Tugend und der Gerechtigkeit und verweisen auf die Vergleichbarkeit Venedigs mit Rom.²²¹ Um das Bild des Lesers zu vervollständigen und zu vertiefen, so Lewkenor, hängt er an Contarinis Text zusätzlich Zusammenfassungen und Textauszüge verschiedener weiterer Autoren an, unter anderem von Giannotti, Giustiniani (1492– 1573) und Sansovino (1486 – 1570), aber auch von Sebastian Münster (1488 – 1552) und Jean Bodin.²²² Darüber hinaus fanden in England auch weniger bekannte Autoren, die sich mit Venedig beschäftigt hatten, zu Beginn des 17. Jahrhunderts Gehör und ihren Übersetzer. So wurde etwa auch Thomas de Fougasses Geschichte Venedigs 1612 ins Englische übersetzt. Auch hier greift der Übersetzer W. Shute in einem Vorwort noch einmal selbst Elemente des venezianischen Mythos auf und betont Venedigs Rolle als nun stärkster Staat Italiens, in dem die „Weisheit, die Stärke, die Gerechtigkeit und der Großmut des alten Rom“ weiterleben würden.²²³
bel vedere cieco.With fundry other Collections, annexed by the Translator for the more cleere and exact satisfaction of the Reader. With a short chronicle in the end, of the lives and raignes of the Venetian Dukes, from the very beginning of their Citie. London (imprinted by John Windet) . Lewkenors Biographie ist nur in wenigen Zügen bekannt. Er reiste selbst nach Venedig (siehe Preface To the Reader) und es findet sich ein Hinweis, dass er zum „master of ceremonies“ ernannt wurde. (Vgl. dazu den Hinweis bei Dutton, Richard: Art. Tilney, Edmund (/ – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Contarini, The Commonwealth, ed. Lewkenor, To the Reader (o.P.). Contarini, The Commonwealth, ed. Lewkenor, To the Reader (o.P.). Contarini, The Commonwealth, ed. Lewkenor, To the Reader (o.P.). Contarini, The Commonwealth, ed. Lewkenor, To the Reader (o.P.). Lewkenor zitiert Edw. Spencer, I. Ashley, Maur. Kiffen, Henry Elmes und Iohn Harington. Contarini, The Commonwealth, ed. Lewkenor, S. – . Fougasse, Thomas de: The Generall Historie of the Magnificent State of Venice. From the First Foundation thereof until this Present. Collected by Thomas de Fougasses, Gentleman of Avignon, out of all Authors, both Ancient and Moderne, that have written of that subject. Englished by W. Shute. Gent. London (printed by G. Eld and W. Stansby) . To the Reader (o.P.).
1.3 Venedig im Blick: Der Mythos wird transportiert
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Die textgattungsübergreifende Bewunderung Venedigs wurde in England zu Beginn des 17. Jahrhunderts vor allem auch durch den Erfolg Venedigs in der Interdiktkrise von 1606/1607 stimuliert. Die Verteidigung der eigenen Souveränität gegen den Universalanspruch der katholischen Kirche rief das Interesse und den Respekt des protestantisch regierten Englands hervor. Die Schriften des venezianischen Mönchs Paolo Sarpi (1552– 1623), der den Souveränitätsanspruch Venedigs theoretisch untermauerte, wurden europaweit und vor allem auch auf der englischen Insel stark rezipiert.²²⁴ Der englische Botschafter in Venedig, Sir Henri Wotton (1568 – 1639), wähnte sogar, dass Venedig der erste protestantische Staat in Italien werden würde.²²⁵ Bis zum Ausbruch des englischen Bürgerkrieges 1642 wurde diese Bewunderung der Lagunenstadt unabhängig von der eigenen politischen Richtung weitergetragen.²²⁶ Während des Bürgerkrieges und dem anschließenden Interregnum wurde Venedig dann von verschiedenen politischen Interessengruppen unterschiedlich genutzt, um die eigene Position mit Blick auf den (möglichen) Status als Freistaat zu legitimieren und zu untermauern.²²⁷ Vor allem der Topos Venedigs als neues, modernes Rom steigerte die Attraktivität der Lagunenstadt als Modell für viele der Beteiligten, die sich stark an der antiken Republik orientierten, um Englands Ordnung neu zu gestalten.²²⁸ In den Parlamentsdebatten der 1640er Jahre wurde auf das positive Beispiel Venedigs in unterschiedlichsten Kontexten verwiesen.²²⁹ 1644 erfragte darüber hinaus eine Gruppe von Parlamentariern beim venezianischen Botschafter eine Beschreibung der venezianischen Verfassung.²³⁰ Insgesamt bot Venedigs Charakter als aristokratische Republik dabei vor allem Anknüpfungspunkte für jene, die eine starke Rolle des Adels auch in England weiterhin favorisierten.
Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f.; Bouwsma, Venice, S. f.; Eglin, Venice transfigured, S. . Siehe Eglin, Venice transfigured, S. . Siehe Fink, Venice and English Political Thought, S. f. Vgl. dazu Fink,Venice and English Political Thought, S. – ; Eglin,Venice transfigured, S. – ; Mulier, Myth of Venice, S. . Nachdem Karl I. in His majesty’s answer to the nineteenth propositions of both Houses of Parliament selbst von England als mixed monarchy gesprochen hatte, lag der Vergleich Englands mit der Mischverfassung Venedigs für viele noch näher. (Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. ). Zur Rolle Roms als Modell in der englischen Diskussion siehe Millar, The Roman Republic, S. – . Zum Einfluss römischer Ideen in dieser Zeit: Skinner, Liberty before Liberalism. Siehe zum Beispiel Calendar of State Papers, Domestic Series, Charles I. – , preserved in her Majesty’s Public Record Office. Hrsg. von William Douglas Hamilton. London , S. (Debatte um Eigentum als Grundlage der Regierung; ohne genaue Datumsangabe). Dazu Fink, Venice and English Political Thought, S. f. Fink, Venice and English Political Thought, S. .
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So war es 1651 auch der in der Forschung als „moderate royalist“ bezeichnete James Howell (1594?–1666),²³¹ der 1651 die erste englische Abhandlung verfasste, die sich exklusiv mit Venedig beschäftigte und die nicht der Gattung des Reiseberichtes zugeordnet werden kann. Der Engländer präsentierte dabei die Lagunenstadt explizit als nachahmungswürdiges Modell für England. Howell, der in den 1620er und 1630er Jahren als Begleiter von Adligen oder im königlichen Auftrag viel in Europa gereist war,²³² wurde während des Bürgerkriegs inhaftiert und immer wieder aufgefordert, sich zugunsten des Parlamentes zu äußern. Nach seiner Freilassung und der Hinrichtung Karl I. im Jahr 1649 versuchte sich Howell in der nun gegründeten englischen Republik neu zu positionieren. Er plädierte zunächst nicht mehr für den Erhalt eines wie auch immer gearteten Königtums in England, sondern versuchte vor allem, eine zu demokratische Verfassung zu verhindern. Seine 1651 publizierte Abhandlung S.P.Q.V: a Survey of the Signorie of Venice, of her Admired Policy and Method of Government kann als Ausdruck dieser den Adel stärkenden Haltung verstanden werden.²³³ Schon der Kupferstich, der der Abhandlung vorangestellt ist, greift wesentliche Elemente des venezianischen Mythos auf. Die Jungfrau Venetia, in der Hand eine mit Münzen gefüllte Kiste, liegt in Neptuns Armen, „free from all Alarmes“. Eine Stadtansicht, die wenig mit dem realen Erscheinungsbild Venedigs im 17. Jahrhundert gemein hat, wohl aber die außergewöhnliche Lage im Meer transportiert, erscheint am unteren Bildrand.²³⁴ Die Widmung an das englische Parlament vertieft und wiederholt diese Elemente noch einmal: die lange Dauer Venedigs verweise auf die Stärke der Verfassung, die sich durch eine starke Symmetrie und weise Gesetze auszeichne.²³⁵ Von Beginn an sei Venedig eine freie, unabhängige und reine Jungfrau geblieben,
Woolf, D.R.: Art. Howell, James (? –). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Unter anderem verfasste er auch die Intructions for Forreine Travel. Vgl. Woolf, Art. James Howell. Howell, James: S.P.Q.V. A survay of the Signorie of Venice, of her admired policy, and method of Government, &c. with A Cohortation to all Christian Princes to resent her dangerous condition at present. London (printed for Richard Lowndes) . Zur politischen Positionierung Howells: Woolf, Art. James Howell; Fink, Venice and English Political Thought, S. f. Frontispiece to James Howell’s S.P.Q.V. Vgl. Abbildung der vorliegenden Arbeit; siehe dazu auch Eglin, Venice transfigured, S. f. Howell, S.P.Q.V., Widmung: To the Supreme Authority of the Nation, the Parlement of England, o.P.: „Length of Age argues strength of Constitution. […] that the Signorie of Venice from Her Infancy was of a strong Symmetry, well nursd, and swadled with wholsom Lawes, which are no other than the ligaments of a State […].“ Vgl. hier und im Folgenden zu Howells Venedig-Darstellung Bouwsma, Venice, S. – .
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Abb. 1: Howell, James: S.P.Q.V. A survay of the Signorie of Venice, of her admired policy, and method of Government, &c. with A Cohortation to all Christian Princes to resent her dangerous condition at present. London (printed for Richard Lowndes) 1651. Frontispiz. The John Adams Library at the Boston Public Library.
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die allen anderen Mächten, vor allem auch dem Osmanischen Reich, immer wieder Paroli geboten hätte.²³⁶ Als „Bulwark of Europe“ habe Venedig jetzt, angesichts einer erneuten und stärkeren Bedrohung durch die Osmanen, Englands Hilfe verdient, zumal der Inselstaat schon immer mit Venedig verbündet und ihm ähnlich gewesen sei.²³⁷ Obwohl Howell dieses Unterstützungsgesuch in der Widmung als eigentlichen Grund für das Verfassen des Traktats angibt, nehmen die Darlegung dieses Sachverhaltes und die Aufforderung zur Hilfe am Ende der Abhandlung nur knapp vier Seiten ein. Howells Fokus liegt vielmehr auf der detaillierten Darstellung der venezianischen Verfassung und ihrer Institutionen, die er als „fittest pattern on Earth both for direction and imitation“ bezeichnet,²³⁸ und bei der er insbesondere für England nachahmungswürdige Anknüpfungspunkte sieht.²³⁹ Die Verfassung sei es, die garantiere, dass die Lagunenstadt noch immer floriere und kein Anzeichen eines Niedergangs zeige.²⁴⁰ Die übrigen Gründe, die dazu geführt hätten, „why Venice hath lasted so long in the same condition of Liberty“, zählt Howell nummerierend in der Einleitung auf.²⁴¹ In
Howell, S.P.Q.V.,To the Supreme Authority of the Nation, the Parlement of England, o.P.: „Free from the beginning, She hath continued a pure Virgin, and an Independent (but only upon Herself) neer upon Ages; […] Though she hath cop’d with the gretest Potentats of the World, and particularly with the huge Ottoman Emperour Her Neighbour.“ Howell, S.P.Q.V., To the Supreme Authority of the Nation, the Parlement of England, o.P. Howell, S.P.Q.V., S. ; vgl. auch Howell, S.P.Q.V.,S. : „[…] whereon her government and whole incolumity depends, is a knowledge far more advantagious and usefull, for therin ther may be things for imitation.“ So lautet die Überschrift des ersten Kapitels auch: „Upon Her Constitutions, and Government, wherin ther [sic] may be divers things usefull for this Meridian“. (Howell, S.P.Q.V., A Short Analysis of the whole Peece). Vgl. dazu auch Fink, Venice and English Political Thought, S. . Howell, S.P.Q.V., S. : „[…] a strong constitution, which is the cause that She is so long liv’d, and hath continued above a thousand hot Sommers an intemerat Virgin under the same face, and form of Government; It is the cause that She looks still fresh and flourishing, without the least furrow of age in her forehead, or any visible symptom of decay.“ Der Engländer sieht die venezianische Verfassung dabei klar als Mischverfassung an, in der der Doge als monarchisches Element nur repräsentative Funktionen ausübe, der Senat als aristokratisches Element die Republik führe und der Große Rat als demokratisches Element immer zur Zustimmung herangerufen werde. (Howell, S.P.Q.V., S. ). Howell, S.P.Q.V., S. – . Es sei die Konstanz Venedigs, die keine Veränderung je zugelassen habe, die Tugend der Senatoren und der Respekt der Jüngeren vor den Älteren. Venedig sei immer mehr dem Frieden als dem Krieg zugeneigt gewesen und zudem sei der Charakter der Bevölkerung hinsichtlich Unterordnung unter das Gemeinwohl und Patriotismus mit dem der Spartaner zu vergleichen. Die außergewöhnliche Lage Venedigs, die eine göttliche Mitwirkung nahe lege, nennt Howell genauso wie Schatz und Arsenal als Ausdruck von abrufbarem Reichtum und Macht. Das erfolgreiche System von Strafen und Belohnungen sowie die Mechanismen, die zur Vermeidung von Verschwörungen greifen würden, hätten genauso zur Stabilität Venedigs beigetragen wie die
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vielen Dingen hätte Venedig Rom imitiert,²⁴² der Geist der Alten Republik sei so gewissermaßen „transmigriert“²⁴³ und Venedig könne im Vergleich mit allen anderen Republiken folglich nur noch als „Superlativ“ bezeichnet werden.²⁴⁴ Die uneinnehmbare Jungfrau Venedig ist für ihn ganz klar die „Königin der Politik“.²⁴⁵ Zwar benennt Howell, der sich wiederum im Text auch auf Bodin, Sansovino und Contarini bezieht, auf einer Seite auch „Defekte“ Venedigs, wie die Abhängigkeit in der Nahrungsversorgung und im Söldnerwesen sowie die Nachbarschaft zum Osmanischen Reich und den freizügigen Umgang mit der Prostitution,²⁴⁶ doch kann dies insgesamt sein Bild vom „powerfull and so well policed Commonwealth“²⁴⁷ nicht trüben. Howells S.P.Q.V. kann deshalb als Kulminationspunkt des venezianischen Mythos in der Außenwahrnehmung gelten, bevor mit Harrington und schließlich vor allem mit der Amelot-Rezeption eine neue, differenzierte Betrachtungsweise und eine veränderte Wahrnehmung einsetzen.
Beschränkung des Dogenamtes und des Reichtums der Adligen. Die Verwendung von Söldnern statt der eigenen Bürger sei genauso vorteilhaft gewesen wie die Geheimhaltung der politischen Funktionäre gegenüber ausländischen Beobachtern. Schließlich seien die Venezianer gut beraten gewesen, weder kirchliche Würdenträger noch Frauen zu politischen Ämtern zuzulassen. Howell widmet dieser Beobachtung sein gesamtes viertes Kapitel: Of Her imitation of old Rome in most things. Vgl. Howell, S.P.Q.V., S. – mit der Überschrift: A Parallel twixt the Government of Old Rome and Venice und S. – . Howell, S.P.Q.V., S. . Howell, S.P.Q.V., S. . Howell, S.P.Q.V., Upon the Citty and Signorie of Venice, o.P. Das Bild des jungfräulichen Mädchens, dessen Röcke immer wieder durch ausländische Machthaber angegriffen wurden, wird von Howell im ersten Teil der Einleitung noch ausführlicher aufgegriffen. Siehe Howell, S.P.Q.V., S. – . Vgl. auch Rosand, Myths of Venice, S. . Howell, S.P.Q.V., S. f.: „The Defects of the Signorie of Venice“. Howell, S.P.Q.V., S. .
2 Die Eidgenossenschaft Bei den Friedensverhandlungen in Münster 1648 wurde die Souveränität Venedigs nicht mehr in Frage gestellt, sondern vielmehr allein darum gerungen, welcher Rang der Serenissima im europäischen Mächtegefüge zukommen solle. Venedig selbst trat dabei, ihrem Selbstverständnis entsprechend, selbstbewusst und fordernd auf.¹ Der rechtliche Status der Eidgenossenschaft musste hingegen erst noch geklärt werden. Auf Bitten der evangelischen Orte erwirkte Frankreich eine Beteiligung einer eigenen eidgenössischen Delegation bei den Friedensverhandlungen. Dort wurde den dreizehn Orten schließlich vom Kaiser die Exemtion zugesprochen, also die Lösung von allen Pflichten gegenüber dem Reich. Gleichwohl blieb dies ein Rechtsakt innerhalb des Reichsrechts, denn der Kaiser blieb die entscheidende übergeordnete Instanz, die diese Exemtion gewährte. In der Eidgenossenschaft selbst wurde dies in der Folge genau so angenommen oder als Anerkennung der eigenen Souveränität interpretiert.² Im Folgenden wird dargelegt, wie die Eidgenossenschaft bis zum Westfälischen Frieden wahrgenommen wurde. Wann und durch wen erfolgte die Zuschreibung als souveränes Gemeinwesen? Wann und wie entwickelte sich ein eidgenössisches Selbstverständnis und welche Elemente wurden in den Beschreibungen über die dreizehn Kantone durch Autoren in den europäischen Nachbarstaaten übernommen oder abgewandelt?
2.1 Grobes Bauernvolk und vorbildliche Krieger Anders als Venedig, das – wie oben dargelegt – schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als politisches Gemeinwesen wahrgenommen und reflektiert wurde, fand die Eidgenossenschaft als ein solches eigenständiges Gemeinwesen oder überhaupt als wie auch immer geartete politische Struktur im selben Zeitraum zunächst keinerlei Erwähnung. Aussagen wurden hingegen mit Blick auf die Schweizer als Bevölkerungsgruppe getätigt.³ Im Gefolge des Alten Zürichkrieges (1436 – 1450), der sich um die Erbschaft des letzten Grafen von Toggenburg Friedrich VII. (1387?–1436) entzündet hatte, etablierte sich dabei vor allem die
Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. – . Vgl. hier vor allem Sieber-Lehmann Claudius/Wilhelmini, Thomas: In Helvetios – Wider die Kuhschweizer. Fremd- und Feindbilder von den Schweizern in antieidgenössischen Texten aus der Zeit von – . Bern ; Morkowska, Vom Stiefkind, S. – .
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Zuschreibung als deutsches Bauernvolk, das sich unrechtmäßig und eigenmächtig gegen den Adel empört habe. Stilbildend wirkte hier der Dialogus de nobilitate et rusticitate, der 1451 von dem Züricher Geistlichen Felix Hemmerlin (1388/1389 – 1458/1460) verfasst und 1500 gedruckt wurde.⁴ Vor allem unter dem Einfluss habsburgischer Propaganda unter Maximilian I. (1459 – 1515) wurden die Verweise zunehmend despektierlicher und zugleich weiter verbreitet. Sodomie, Gewalt, Hinterlist, Gier, Betrug und Grausamkeit wurden gängige Zuschreibungen.⁵ Auch bei dem Elsässer Humanisten Jacob Wimpfeling (1450 – 1528) finden sich solche Charakterisierungen. Allerdings unterscheidet er erstmals zwischen dem alten, ehrlichen und sparsamen Alpenbewohner und den modernen, luxusgierigen und adelsfeindlichen Schweizern.⁶ Diesen modernen Schweizern konnte erstmals Machiavelli etwas Positives abgewinnen. Vor allem in den Discorsi finden sich 1512 zahlreiche Passagen, die auf i Svizzeri verweisen.Während Machiavelli etwa auf die Mängel im Kriegswesen der Venezianer hinweist, lobt er hingegen die militärischen Fähigkeiten der Eidgenossen. Machiavelli stilisiert die eidgenössische Heeresorganisation, Disziplin und Kampfbereitschaft als uneingeschränkt nachahmungswürdiges Vorbild, das jenem des antiken Roms gleichkomme.⁷ Volker Reinhardt geht in seiner These soweit, dass er Machiavellis „helvetische Projektion“ in ihrer Gesamtheit als notwendiges Beweismoment erachtet, mit dem der Florentiner habe zeigen wollen, dass das antike römische Modell auch in der Gegenwart umsetzbar sei.⁸ In
Vgl. Sieber-Lehmann/Wilhelmini, In Helvetios, S. – (Textauszug von Hemmerlin in Übersetzung); Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. f. Vgl. Sieber-Lehmann/Wilhelmini, In Helvetios, S. – ; Montariol, Nous voulons libres, S. . Vgl. Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. . Siehe etwa Machiavelli, Discorsi, II. und II.. Hier bezeichnet Machiavelli die Schweizer unter anderem als „Meister der modernen Kriegskunst“.Volker Reinhardt verweist auf eine Entwicklung im Schweiz-Bild Machiavellis. Während er die militärischen Fähigkeiten der Eidgenossen in den Discorsi noch ausnahmslos lobt, sei diese Darstellung in der später erschienen Abhandlung Arte della Guerra kritischer ausgefallen. Vgl. Reinhardt, Volker: Machiavellis helvetische Projektion. Neue Überlegungen zu einem alten Thema. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte (SZG) / (). S. – . S. . Siehe Reinhardt, Machiavellis helvetische Projektion, S. – . So lautet Reinhardts Fazit: „Die helvetische Projektion aber wird zu einem Stützpfeiler seines Geschichtsbildes, das Historie und vor allem historische Größe nicht als etwas Unwiederbringliches akzeptieren kann, sondern an ihre listenreiche Wiederherstellbarkeit glaubt. Die Schweiz muss zu einem kulturell unangekränkelten Reservat in den Bergen projiziert werden, um die Unzerstörbarkeit von virtù und die Hoffnung auf ihre Rückführung mittels vermeintlich unverbrüchlich gültiger, de facto anachronistischer Regelwerke zu garantieren.“ Dabei verweist Reinhardt vor allem unter Bezug auf Machiavellis Briefwechsel mit Francesco Vettori darauf, dass bereits Zeitgenossen Machiavellis Bild der Eidgenossenschaft als überspitzt und realitätsfern kritisiert hätten.
2.1 Grobes Bauernvolk und vorbildliche Krieger
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diesem Sinn habe Machiavelli auch auf die equalità und die virtù der Eidgenossen verwiesen. Die schweizer Orte seien, so Machiavelli, nicht von klientelen Netzwerken durchsetzt. Das Fehlen des Feudaladels ermögliche Gleichheit in dem Sinne, dass es zwar eine Oberschicht gäbe, diese sich aber nur über das Amt legitimiere.⁹ Die virtù der Eidgenossen zeige sich hingegen an der militärischen Disziplin, dem Umgang mit der Religion „nach den Regeln der Alten“ oder der Bereitschaft, „wie im alten Rom“ Steuern zu zahlen, auch wenn diese gar nicht direkt kontrolliert würden.¹⁰ Machiavelli diskutiert hier also die Eidgenossenschaft als politisches Gemeinwesen. Er betont dabei vor allem die föderativen Strukturen.¹¹ Dabei verweist er nicht auf die Unterschiedlichkeit der Kantone, wohl aber auf ihre Zusammenarbeit. Erneut lässt Machiavelli hier die normativen Vorstellungen von Schnelligkeit und Effektivität erkennen. Die gemeinsame Entscheidungsfindung der Eidgenossen müsse notwendig langsamer und schwieriger sein als in nicht-föderativen Gemeinwesen.¹² Aus diesem Umstand resultiere unter anderem, dass sie kaum zur Expansion fähig seien: „La cagione del non potere ampliare è lo essere una republica disgiunta e posta in varie sedie, il che fa che difficilmente possono consultare e diliberare.“¹³ Während Machiavelli im selben Werk diese Unfähigkeit zur Expansion bei Venedig – wie oben gezeigt – als nachteilig wertet, kann er diesem Umstand mit Blick auf die Eidgenossenschaft durchaus Gutes abgewinnen: Il modo preallegato delle leghe, come viverono i Toscani, gli Achei e gli Etoli, e come oggi vivono i Svizzeri è dopo a quello de’ Romani il migliore modo, perché, non si potendo con quello ampliare assai, ne seguita due beni: l’uno, che facilmente non ti tiri guerra addosso; l’altro, che quel tanto che tu pigli, lo tiene facilmente.¹⁴
Siehe Machiavelli, Discorsi, I.. Siehe Machiavelli, Discorsi, I.; Machiavelli, Discorsi, I.. Vgl. Reinhardt, Machiavellis helvetische Projektion, S. – . Machiavelli, Discorsi, II., S. : „Chi ha osservato le antiche istorie trova come le republiche hanno tenuti tre modi circa lo ampliare. L’uno è stato quello che osservarono i Toscani antichi, di essere una lega di più republiche insieme, dove non sia alcuna che avanzi l’altra né di autorità né di grado; e nello acquistare farsi l’altre cittá compagne in simil modo, come in questo tempo fanno i Svizzeri, e come ne’ tempi antichifecero in Grecia gli Achei e gli Etoli.“ Machiavelli, Discorsi, II., S. : „Governonsi, oltra di questo, per concilio, e conviene che sieno più tardi ad ogni diliberazione che quelli che abitono drento a uno medesimo cerchio.“ Machiavelli, Discorsi, II., S. . Machiavelli, Discorsi, II., S. .
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Reinhardt deutet diese positive Umdeutung hier als notwendiges Zugeständnis, um das „militärische und innenpolitische Exemplum“ zu bewahren.¹⁵ In jedem Fall stellt sich Machiavellis Beschreibung der Eidgenossenschaft nicht als differenzierte Betrachtung, sondern vielmehr als Verklärung dar. Dabei sieht der Florentiner das föderal organisierte Gemeinwesen nicht als souveränen Staat, sondern als autonomen Teil des Reichs an.¹⁶ Vor allem in Frankreich wird im 16. Jahrhundert die Vorstellung von der Eidgenossenschaft als freies und souveränes Gemeinwesen artikuliert. Schon 1555 hielt der Chronist Guillaume de la Perrière (1499?–1565) in seinem Miroir Politique fest: „[…] tellement que jusques à nostre temps, ilz vivent en leur liberté.“¹⁷ Jean Bodin spricht den eidgenössischen Kantonen 1576 in den Six livres de la République schließlich explizit die Souveränität zu – allerdings nicht dem föderalen Gebilde als Ganzem, sondern den einzelnen Mitgliedern. Die Eidgenossenschaft sei ein Verbund dreizehn souveräner Republiken: „Plusieurs sont en mesme erreur, que les Suisses n’ont qu’une Republique, et neantmoins il est bien certain qu’ils ont treize Republiques, qui ne tiennent rien l’une de l’autre, ains chacune a sa souveraineté divisée des autres.“¹⁸ Diese souveränen Kantone würden nicht mehr länger zum Reich gehören, sich selbst allerdings weiterhin als Reichsglieder verstehen, deren Freiheit in vom Kaiser gewährten Privilegien bestehe.¹⁹ Bodin unterscheidet dabei demokratisch und aristokratisch verfasste Kantone. Eine Mischverfassung ist auch hier in logischer Konsequenz seiner Theorie nicht denkbar.²⁰
Reinhardt, Machiavellis helvetische Projektion, S. . Siehe Machiavelli, Discorsi, II., S. : „È aduntque questa provincia compartita in Svizzeri, republiche (che chiamano terre franche), principe et imperadore.“ Perrière, Guillaume de La: Le Miroir Politique. Lyon . S. .Vgl. auch Cazals, Genève et les Cantons Suisses, S. . Bodin, Six Livres, I,, S. . Siehe auch Bodin, Six Livres, I,, S. : „Qui sont tous argumens indubitables, pour monstrer qu’il y a autant de Republiques qu’il y a de Cantons. […] Car les estats communs, le domaine commun, les dietes communes, les amis et ennemis communs, ne font pas un estat commun, or es qu’il y eust eune bourse de certains deniers communs, ains la puissance souveraine, de donner loy chacun à ses subjects.“ Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Siehe Bodin, Six Livres, I,, S. und I,, S. . Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Siehe Bodin, Six Livres, II, , S. und II,, S. . Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. , der zugleich auf die Widersprüchlichkeit Bodins hinweist, der zu keinem eindeutigen Schluss komme, ob „Bern, Basel und Zürich Demokratien mit aristokratischer Regierungsform sind oder umgekehrt Aristokratien mit demokratischer Regierungsform.“ Géraldine Cazals verweist darauf, dass Bodin im Methodus noch allen Kantonen eine demokratische Verfassung zugewiesen habe. Seine Informationen über die Eidgenossenschaft habe Bodin in der Folge aber
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Parallel zu Bodin häuften sich in Frankreich in den 1570er Jahren Verweise auf die Eidgenossenschaft in solchen Traktaten, die vor dem Hintergrund der Bartholomäusnacht (1572) und der daraus folgenden Dynamisierung und Brutalisierung der Religionskriege das Vorgehen der Krone als tyrannisch brandmarkten.²¹ So wie die Eidgenossen sich gegen die Habsburger aufgelehnt hätten, deren Verhalten nicht mehr dem rechtlich vorgegebenen Herrschaftsrahmen (des Lehnswesens) entsprochen hätte, so sollten die Franzosen nun gegen ihren König vorgehen. Die Legende des Wilhelm Tell wurde durch das Liedgut eidgenössischer Söldner da bereits seit einigen Jahren nach Frankreich getragen.²² Neben Machiavelli, so zeigt der Aufsatz von Géraldine Cazals, wurden zudem die Cosmographia universalis von Sebastian Münster und eidgenössische Geschichtsschreiber als Informationsquellen herangezogen.²³
2.2 Identität als Erinnerungsgemeinschaft Diese eidgenössische Historiographie hatte im 16. Jahrhundert ein eidgenössisches Selbstverständnis im Sinne einer überkantonalen und überregionalen Identität erst entwickelt.²⁴ Angelehnt an Cäsars (100 v.Chr.– 44 v.Chr.) Darstellung der tapferen und frommen Helvetier, eines germanischen Stammes, der ursprünglich zwischen Genfer See und Bodensee gesiedelt habe, entwickelten die eidgenössischen Autoren das Narrativ eines seit der Antike freien Volkes mit klar zuzuordnenden geographischen Grenzen. Der Bundesschwur auf dem Rütli, der angeblich 1307 von Vertretern aus Uri, Schwyz und Unterwalden gegen die Habsburger geleistet worden sei, und die Erzählung um Wilhelm Tell wurden als
unter anderem durch Korrespondenz mit dem französischen Botschafter in der Schweiz erweitert. Diese Erkenntnisse seien in die Six Livres eingeflossen.Vgl. Cazals, Genève et les Cantons Suisses, S. – . Vgl. Cazals, Genève et les Cantons Suisses, S. – . Vgl. Cazals, Genève et les Cantons Suisses, S. . Vgl. Cazals, Genève et les Cantons Suisses, S. . Die Cosmographia zirkulierte in zwei französischen Übersetzungen (Basel und Paris ). Vgl. hier und im Folgenden: Maissen, Geburt der Republic, S. – ; Maissen, Thomas: Ein „helvetisch Alpenvolck“. Die Formulierung eines gesamteidgenössischen Selbstverständnisses in der Schweizer Historiographie des . Jahrhunderts. In: Historiographie in Polen und in der Schweiz (Studia Polono-Helvetica II. = Zeszyty naukowe uniwersytetu jagiellonskiego MCXLV, Prace Historyczne ). Krakau . S. – ; Maissen, Thomas: Weshalb die Eidgenossen Helvetier wurden. Die humanistische Definition einer natio. In: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten. Hrsg. von Johannes Helmrath, Ulrich Muhlack u. Gerrit Walther. Göttingen . S. – .
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rechtmäßige Wiederherstellung der ursprünglichen Freiheit präsentiert. Aegidius Tschudi, der Mitte des 16. Jahrhunderts sein Chronikon Helveticum verfasst hatte, konstatierte: „Also ward diese obgemelte püntnus von den genanten drijen tapfern personen in dem land Uri von erst gemacht und gesworn, davon die eidtgenoschafft entsprungen und das land Helvetia (jetzt Switzerland genant) wider in sin uralten stand und frijheit gebracht worden.“²⁵ Auch Johannes Stumpfs (1500 – 1577/1578) im Jahr 1547 in Zürich gedruckte Chronik der Gemeine[n] lobliche[n] Eydtgenoschaft präsentierte das HelvetierNarrativ.²⁶ Die Grenzen, die Stumpf und Tschudi markierten, umfassten dabei sowohl die zugewandten Orten als etwa auch das Waadtland, das Bern erst 1536 von Savoyen erobert hatte.²⁷ Die Historiographie des 16. Jahrhunderts propagierte so territoriale Ansprüche. Sie schuf aber vor allem mit Hilfe einer Geschichtskonstruktion eine gemeinsame Vergangenheit, an die alle Bewohner des postulierten gemeinsamen Territoriums anknüpfen konnten. Eine eidgenössische Identität entwickelte sich in der Folge aus einer Erinnerungsgemeinschaft. Das genaue Verhältnis zum Kaiser und damit auch zum Reich blieb aber weiterhin mehrdeutig. Die erste Abhandlung, die sich staatstheoretisch mit der Eidgenossenschaft befasste, war 1576 De republica Helvetiorum des zwinglianischen Theologen Josias Simler (1530 – 1576).²⁸ In diesem Text, der ursprünglich als Teil eines umfangreichen Geschichtswerks geplant war und der noch im selben Jahr vom Autor auch in einer deutschen Version publiziert wurde, präsentiert Simler die Eidgenossenschaft als autonomes Gemeinwesen innerhalb der universalen Ordnung des Reichs. Auf der Grundlage des Gewohnheitsrechts argumentiert Simler, dass die Freiheiten der Eidgenossenschaft kaiserlich gewährte Privilegien seien. So sei auch das Recht der selbstbestimmten Wahl der Vögte ein von Ludwig dem Bayern 1329 garantiertes Privileg und zugleich Resultat der
Tschudi, Aegidius: Chronicon Helveticum. . Teil. Bearbeitet von Bernhard Stettler (Quellen zur Schweizer Geschichte, Neue Folge, I. Abteilung Chroniken Band VII/). Basel . S. .Vgl. auch Maissen, Ein „helvetisch Alpenvolck“, S. . Tschudis Chronik wird anders als Stumpfs Text nicht zeitgenössisch, sondern erst im . Jahrhundert gedruckt.Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. dazu Maissen, Ein „helvetisch Alpenvolck“, S. . Vgl. Maissen, Ein „helvetisch Alpenvolck“, S. . Siehe Simler, Josias: De republica Helvetiorum libri duo. Zürich . Noch im selben Jahr erscheint die vom Autor erstellte deutsche Fassung (Simler, Josias: Regiment gemeiner loblicher Eydgnoschafft. Zürich ). In der Folge erfährt die Abhandlung eine weite Verbreitung: jeweils zwei neue Auflagen der deutschen und lateinischen Ausgabe, zudem lateinisch , und ; deutsch , , , und ; französisch , , , , , ; niederländisch . Vgl. hier und im Folgenden Maissen, Geburt der Republic, S. – .
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Auseinandersetzung der Eidgenossen mit den Habsburgern. Diese hätten zuvor den rechtlichen Rahmen des Vogteiamtes zugunsten eigener habsburgischer Interessen verlassen. Ihre Regierungspraxis kam damit einer Tyrannis gleich, gegen die sich die Eidgenossen folglich rechtmäßig erhoben hätten.²⁹ Die Eidgenossenschaft sei also weiterhin Teil der Reichsordnung. Sie müsse dabei als eine – und hier urteilt Simler anders als zeitgleich Bodin – einzige Republik verstanden werden. Auch wenn die einzelnen Kantone nicht an die gemeinsamen Beschlüsse gebunden seien, so könne man doch aufgrund etwa der Tagsatzung als gemeinsames Beschlussfassungsorgan oder den gemeinsam verwalteten Untertanengebieten von einem Staat sprechen.³⁰ Dabei kategorisiert Simler diese eine Republik parallel zu Venedig als Mischverfassung. Die Städte würden das aristokratische, die Landkantone das demokratische Element bilden. Ein monarchisches Element fehlt beziehungsweise wird von Simler nicht genannt.³¹ Simlers Werk ist Teil eidgenössischer Bemühungen im 16. Jahrhundert, eine kantons- und konfessionsübergreifende Identität zu schaffen. Dieses Unterfangen richtete sich nicht zuletzt gegen die diffamierenden Zuschreibungen von außen.³²
Siehe Simler, Regiment, S. – („Deßhalb habend ouch die Römischen Keyser die Eydgnössischen Pünt inen lassen gefallen/ die selbigen bestätet und inen darüber herrliche Privilegia un freyheiten gäben.“ (S. f.)). Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Siehe Simler, Regiment, S. : „Aber in der Eydtgnoschafft ob wol vil völcker unnd (sic!) etwan manche Statt ist/ so ist es doch gleych als wens ein Statt wer/ ein Commun/ und ein Regierung. Wiewol etlich diß in ein zwyfel setzend/ und sprächend es syge by uns nit ein Commun oder ein Regierung/ darumb daß kein ort schuldig sye zů gehorsammen/ dem/ so von anderen erkennt wirt/ es thüye es dann gůwilligklich/ aber in einem Commun ist yederman schuldig zů gehorsammen/ dem/ welichses das mehr wirt. Wider dieser meinung wellend wir nicht disputieren/ dann wir selbs bekennend daß im also sye wenn man eigentlich unnd grundtlich als erörteret. Diewyl unnd aber in gemeiner Eydgenoschafft vil durch die Tagleistungen oder den Rath gemeiner Eygnossen von den Orten verhandlet wirdt/ auch sy mit einander in gemein vil Lands regierend/ in sachen die frid unnd einigkeit oder krieg deß Landts abträffend/ samentlich raatend unnd handlend/ auch vil Satzungen mandat/ Rechte und alte gwonheit und Bräch By inen gmein sind/ unnd darzů mit stätem/ vestem/ eewigen oundt sich züsamen verbunden habend/ ob es gleych uffs subteylist zů reden mit ein Commun ist/ mag doch ein gmeine lobliche Eydgnoschafft für ein Commun und ein Regierung gehalten unnd genennt werden […].“ Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Siehe Simler, Regiment, S. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. etwa die Rechtfertigung Simlers in der Widmung an die Oberen der Stadt St. Gallen: „Hoff derhalben es werde verstendigen lüten nit mißfallen min arbeit/ die ich angewent hab zůbeschryben der Eydtgnossen Regiment/ diewyl das selbig ouch mächtig und wytberümpt ist/ und aber den ußlendischen nit wol bekannt/ von deßwegen/ daß etliche uß nyd und hassz faltsche ding darvon ußgeben habend/ unnd sind also vil lüten beredt worden/ unsere Vorderen habing den Adel allen erschlagen oder verjagt/ und ein sölich nüw Regiment gmacht/ da gar kein ordnung
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Schon in den 1580er Jahren brechen aber die konfessionellen Konflikte wieder aus. Ein Selbstverständnis als gesamteidgenössisches Kollektiv, dessen Freiheit und Autonomie bis in die Antike zurückreicht, entwickelte sich daher in der Folge nur langsam und in Phasen. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts wird etwa der Freiheitshut, den Simler in der Republica erwähnt, als Symbol der Unabhängigkeit wieder aufgegriffen.³³ Erst dann findet auch der Rechtstitel der souveränen, vom Reich unabhängigen Republik, welcher der Eidgenossenschaft seit dem Westfälischen Frieden von nahezu allen europäischen Nachbarstaaten zugeschrieben wurde, seinen Ausdruck in der eigenen Repräsentation.
2.3 Die Eidgenossenschaft im Blick: Legitimer Tyrannenkampf und souveräne Republik Das Narrativ der Helvetier, die sich rechtmäßig gegen die Habsburger aufgelehnt hätten, wird hingegen bereitwillig von jenen aufgegriffen, die ihren eigenen Unabhängigkeitskampf rechtfertigen und die neu entstandene Staatsform legitimieren mussten: den Niederländern. Seit dem Ausbruch der Revolte in den 1560er Jahren wurde vor allem mit der Verteidigung traditioneller (ständischer) Freiheits-, Mitsprache- und Widerstandsrechte argumentiert.³⁴ Entsprechend verwies der reformierte Geistliche Jean-François Le Petit (1546 – 1615?) 1615 in seiner Abhandlung Nederlantsche Republycke […] geconfereert ende vergeleken met die van de Swytsersche cantoenen auf die Ähnlichkeiten in der Staatswerdung von Eidgenossenschaft und den Vereinigten Provinzen. Beide hätten ihre Privilegien gegen tyrannische Habsburger verteidigen müssen. Beide hätten mit ausländischen Mächten Bündnisse geschlossen. Beide hätten natürliche Gegebenheiten, die als schützende Festungen und Handelsvorteil dienen könnten. Beide seien nun schließlich „vrÿe Republÿcke“ geworden. Obwohl Le Petit die Abhandlung
und ghorsam me sye/ und ob glych etwas Regiments were/ so werde doch der Adel darvon ußgeschlossen/ unnd sye kein underscheid/ zwüschend einem Edelman und Pauren.“ (Simler, Regiment, S. ). Vgl. dazu Maissen, Geburt der Republic, S. . Siehe Simler, Regiment, S. : „[…] einen Hůt, das bey den alten ein zeichen der fryheit was“. Vgl. dazu und zur Rezeption im . Jahrhundert Maissen, Geburt der Republic, S. und Maissen, Thomas: Der Freiheitshut. Ikonographische Annäherungen an das republikanische Freiheitsverständnis in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. In: Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa ( bis ). Hrsg. von Georg Schmidt. Jena . S. – . Siehe dazu van Gelderen, Political Thought. Zusammenfassend auch Maissen, Geburt der Republic, S. – .
2.3 Legitimer Tyrannenkampf und souveräne Republik
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Simlers seit 1613 auch auf Niederländisch verfügbar hatte, erfolgt bei ihm keine weitere staatstheoretische Betrachtung der Verfassung.³⁵ Mit der Verfasstheit der Eidgenossenschaft beschäftigten sich hingegen jene, die in den 1580er Jahren darüber diskutierten, ob die Vereinigten Provinzen den Grafen von Anjou als Souverän und damit eine Monarchie akzeptieren sollten oder nicht.³⁶ Die Befürworter der monarchischen Lösung verwarfen das von ihnen als demokratisch kategorisierte Verfassungsmodell der Schweiz als chaotisch und von inneren Streitigkeiten blockiert.³⁷ Die anonymen Autoren des 1583 publizierten Warschouwinghe aen alle goede Ingheseten vanden Nederlanden warnen dabei unter anderem vor der Langsamkeit der politischen Entscheidungsprozesse, die aus einer föderalen, freistaatlichen Verfassung resultieren würden.³⁸ Durchaus positiv bewertet der ebenfalls anonym publizierte und für Anjou votierende Dialog Emanuel-Erneste die eidgenössischen Strukturen. Das Pamphlet von 1580 zeigt zunächst Parallelen zwischen den Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft auf. Beide seien als Verbund einzelner, weitgehend eigenständiger Provinzen mit unterschiedlichen Regierungsformen aufgebaut. Eine Zusammenarbeit erfolge auf den Feldern, die von allgemeinem Interesse seien.³⁹
Siehe Petit, Ian-François Le: Nederlantsche Republycke […] geconfereert ende vergeleken met die van de Swytsersche cantoenen. Arnheim . Vgl. dazu Mout, Ideales Muster, S. ; Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. hier und im Folgenden: van Gelderen, Political Thought, S. – ; Gelderen, Martin van:Turning Swiss? Discord in the Dutch Debates. In:The Republican Alternative.The Netherlands and Switzerland compared. Hrsg. von André Holenstein, Thomas Maissen u. Maarten Prak. Amsterdam . S. – . S. f.; Mout, Ideales Muster, S. f. Vgl. van Gelderen, Political Thought, S. – . Siehe Anonymus: Waerschouwinghe aen alle geode Inghesetenen vanden Nederlanden, die tot beschermenisse vande vrijheydt van hunne Religie, persoonen, Previlegien, ende oude hercomen, tghens die tyrannie vande Spaingnaerden ende heuren aenhanck, t’samen verbonden ende vereenicht sijn. o.O. . (Knuttel Nr. . o.P.. http://tempo.idcpublishers.info/protected/ adobepdf/H- – /.pdf (. . ). Auszüge finden sich englisch übersetzt in: Kossmann, Ernst H./Mellink, A.F. (Hrsg.): Texts concerning the Revolt of the Netherlands. Cambridge . S. – .). Siehe van Deventer, Emanuel-Erneste, , o.P.: „Emanuel: […] etimze vous Seigneur Erneste, que le pais bas ne se pourroit bonnement reduire en ferme de Republique, à la façon des Suisses? Car il y a un systenō moins de divers Cantons comme icy de Provinces, & leur gouvernemnt n’est pas d’une sorte. Car la République des Cātons qui n’ont pas des villes, est populaire. Les autres qui ont des villes, se gouvernēt Aristocratiquement: leurs loix, coustumes & droits ne sont pas du tout semblables. Chasque Canton se gouverne à par soy en ce qui cōcerne ses droits, police & iustice particuliere. Mais tous öles ans au moins de Iuing on y tient une iournée de tous les Cantons, ou chacun envoie ces Députez, pour y traicter & conclure ce qui concerne le païs en general, à sçavoir de paix ou guerre, des loix & ordōnāces communes, Ambassades, alliances,
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Dennoch, so hält der Dialogpartner Erneste fest, würde es entscheidende Unterschiede in dem Verhalten und der Mentalität der Einwohner geben. „Erneste: vraiment, Seigneur Emanuel, rien ne seroit tāt desirable: Mais s’il vous plaist cōsiderer les moeurs, courage & discipline de l’une & l’autre natiō, alors iugerez vous aisemēt que l’Estat de l’une seroit la ruine de l’autre.“⁴⁰ Die Eidgenossen seien militärisch diszipliniert, fleißig, noch nicht korrumpiert vom Luxus und bereit, das Private dem Öffentlichen unterzuordnen. Die Niederländer hingen seien unmännlich und korrumpiert vom Reichtum, undiszipliniert und nicht bereit, das Eigene der Freiheit zu opfern. Zudem gebe es hier einen starken Adel, der nicht bereit sei, seine Privilegien zugunsten des Volkes aufzugeben.⁴¹ Die Vereinigten Provinzen seien deshalb unfähig einen Freistaat zu bilden: „Ainsi leur inconstance & grand cas qu’ils font de leurs bourses rend impracticable, ce qui a maintenu les Suisses & autres natiōs iouissants de liberté.“⁴² Dem widerspricht explizit der Autor des drei Jahre später publizierten Discours, Verclaerende wat forme ende maniere van regieringhe, dat die Nederlande voor de alderbeste ende zekerste tot desen tyden aenstellen mochten. Er kategorisiert die Eidgenossenschaft – wohl in Anlehnung an Simler – als Mischverfassung, deren wichtigstes Charakteristikum es sei, dass sie den Bürgern die Freiheit lasse, die gewählte Regierung wieder abzusetzen, wenn diese sich als inkompetent erweist oder ihre Macht missbraucht. Die Niederländer, so die Empfehlung, sollten unbedingt dem eidgenössischen Modell folgen: […] so is doch openbaer/ datter gheē bequamer noch bestendigher forme van regieringhe in desen leesten doosen tyden/ can bedacht noch aenghestele werden/ dan die Aristocratie vermenghelt mit der Democratie […]. Ende sulcke regieringhe hebbē de Zwitsers/ dat ioch der Tyrannen verworpē hebbende/ […] En het is openbaer/ dat ons Vadderlandt […] veel meer cause/ oock vell beter bequaemheyt ende gheleghentheyt heeft/ om sulcke ofte een berghelijcke regieringhe aen te stellen/ dā die in Zwitserlandt opt daerto ghehadt hebben.⁴³
gouvernement des bailliages & provinces & de ce qui peut survenir d’extraordinare. Qu’est-ce qui empeschera noz Provinces de n’é faire autāt?“. Van Deventer, Emanuel-Erneste, o.P.; Vgl. auch van Gelderen, Political Thought, S. f. Siehe Van Deventer, Emanuel-Erneste, o.P.: „C’est une gēt hardie que les Suisses, deliberee, accoustumee aux travaux, non courrompue des delices ne courtoisies estrangeres, aymāt sa liberté, plus que ses biēs: […] gardant quasi seule entre toutes nations Chrestiennes l’ancienne discipline militaire. Conditions vraiement propres pour se maintenir en tel Estat. Où au contraire ce païs pas abode en richesses, delices & negotiations, qui rendent les habitans effeminez, corrompuz, addonez à leur aise, & quasi ne faisans cas que de richesses.“ Van Deventer, Emanuel-Erneste, o.P. Anonymus: Discours, Verclaerende wat forme ende maniere van regieringhe, dat die Nederlande voor de alderbeste ende zekerste tot desen tyden aenstellen mochten, o.O. (Knuttel, Nr. . http://tempo.idcpublishers.info/protected/adobepdf/H- – /.pdf (. .
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Sowohl Frankreich als auch England lehnen es schließlich ab, als Souverän der Vereinigten Provinzen zu fungieren. In der Folge verschwinden sodann auch die Referenzen auf die Eidgenossenschaft als Demokratie oder Mischverfassung in der niederländischen Diskussion. In der Formulierung anschließender Legitimationsstrategien bleibt allein der Verweis auf die ähnlich föderale Struktur. So etwa in Hugo Grotius 1622 publizierten Traktat Verantwoordinghe van de wettelijcke Regieringh van Hollandt. Grotius erklärt anhand der Eidgenossenschaft das Konzept der Confederatio als einen festen Bund souveräner Einzelstaaten. Er verweist dabei auf Bodin und Simler, ohne zu registrieren, dass diese beiden unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der Souveränität der Kantone waren.⁴⁴ Wohl am stärksten verbreitet ist das Interesse an der Eidgenossenschaft zu Beginn des 17. Jahrhundert in Frankreich. Schon 1589 beginnt etwa der französische Historiograph Christoph de Beaujeu (1552?–1635?) nach dreijährigem Exil in der Eidgenossenschaft mit einer Geschichte der Schweiz ähnlich seiner zuvor verfassten Franciade. ⁴⁵ Beaujeu stellt nur den ersten Band fertig. Von Beginn an dominiert in seiner Erzählung – wohl auch vor dem Hintergrund der erlebten Gräuel in Frankreich – das Narrativ des rechtmäßigen Kampfes gegen den Tyrann.⁴⁶ In seinem Vorwort an den Leser macht Beaujeu zudem klar, dass er den verbreiteten Vorurteilen über die Eidgenossen entgegentreten will. Diese seien keine grausamen Barbaren, die ungehobelt und der Trunkenheit verfallen in einem armen und unfruchtbaren Land leben würden.⁴⁷ Vielmehr sei das Gegenteil der Fall: )). Vgl. dazu Mout, Ideales Muster, S. ; van Gelderen, Political Thought, S. ; Maissen, Geburt der Republic, S. . Siehe Grotius, Hugo:Verantwoordinghe van de wettelijcke Regieringh van Hollandt ende WestVrieslandt, Accordeert met het Latijnsch. Paris . S. f.: „Vele hebben ghemeent/ dat alle de Switsers stonden onder eene Souverainiteyt/ de Grisons van ghelijcke. Maar Simlerus, Bodinus ende anderen/ dien den Standt van de voorschreven Natien bekent is gheweest/ leeren ons/ dat elck Canton is Souverain/ maar dat de Cantons aan maleander zijn verbonden door een vaste Ligue ofte Confederatie. Ende dit onderscheydt/ tusschen eene Souveraine Regieringh/ hebbonde verscheyde Provincien onder haar/ ghelijck Vranckrijck heeft Normandie/ Bretaigne/ Champaigne met meer anderen/ ende tusschen verscheyde Souverainiteyten/ aan maleander verbonden/ werdt ons als hoogh-noodigh/ om wel te oozdeelen vanden Standt van yeder Landt/ aangewesen by die allen die stuck vande Regieringh hebben verhandelt.“ Vgl. dazu auch van Gelderen, Turning Swiss?, S. . Beaujeu, Christofle de: Les amours de Christofle de Beaujeau, baron dudit Beau-jeu et seigneur de Jeaulges: Ensemble le Premier livre de la Suisse, composé par le mesme Autheur. A Paris [chez Didier Millot] . Vgl. dazu auch Montariol, „Nous voulons libres“, S. f. Siehe Beaujeu, Amours, S. v: „Argument du Premier Livre de la Suisse“. Siehe Beaujeu, Amours, S. r: „Or d’autant que toute ceste nation de Suisses est estrange en ouyr parler seulement, ie l’ay trouvee douce & gracieuse autant que nulle autre de la Chrestienté:
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Premierement il y a force Gentils-hommes, gens d’honneur & de qualité, & qui ont la plus part le gouvernement de la Chose publique entre les mains. […] i’ay recue de bons offices d’eux, & diray, aucc verité, qu’ils sont tres-charitables & de bonne nature […]. Quant à leur conversation, elle est douce & bonne […]. Il y a des sçavans hommes […]. Ce sont les plus honnorables gens en leurs maisons & en leurs villes qui furent iamais, & don’t les estrangers qui y passent doivent ester extremement contents. […] Et sur tous ils sont doux & gracieux à Fribourg, Berne, & Solleure, autant que bons iusticiers, & gens que les estrangers doivent aimer. […] La pauvreté y a quelque credit, mais non pas entre les citoyens des villes, qui ont assez de moyens & d’entendement pour se conserver contre tous leurs ennemis: Ils ont de bons bleds, bons vins, bonnes chaires, force fruicts, de beaux lacs, abondans, de fort bon poisson, & de belles rivieres, sur lesquelles ils s’entreportent ce qui leurs fait besoin: Mais ce que ie trouve excellent des Suisses & de leurs allies, cela n’est que une mesme chose; c’est leur fidelité & leur iustice, & la grandissime amour qu’ils portent aux estrangers, specialement aux François sur toutes nations.⁴⁸
Auch die französische Krone war durchaus an einer Positivdarstellung der Eidgenossen interessiert. Sie wollte weiterhin Söldner rekrutieren und vor allem geostrategisch eine Pufferzone gegenüber Habsburg wahren. Teil dieser strategischen Überlegungen war deshalb die Anerkennung der Eidgenossenschaft als souveräner Staat. Schon in den 1580er Jahren wurden deshalb deren Vertreter in Frankreich als ambassadeurs betitelt.⁴⁹ Mit dem Tableau de la Suisse des französischen Anwalts Marc Lescarbot (1570 – 1642) erschien 1618 dann die erste exklusive Abhandlung über die Eidgenossenschaft, die sich selbst als Darstellung in einem „style tout nouveau“ verstand.⁵⁰ Auch wenn diese Darstellung weitgehend eine Beschreibung der Städte, der Einwohner, der natürlichen Gegebenheiten und der historischen Entwicklung enthält und sich so von der Themenwahl und dem Blickwinkel kaum von den üblichen Reisebeschreibungen unterscheidet,⁵¹ so ist diese exklusive Abhandlung, die zudem explizit in den Rahmen der französischen Außenpolitik gestellt wird, zu diesem frühen Zeitpunkt durchaus bemerkenswert. Lescarbot, der vier Jahre zuvor wirkmächtig eine Histoire de la Nouvelle-France
avant que i’y eusses esté, i’avois entendu qu’ils avoient tué tous leurs Gentilshommes, que c’estoient gens barbares & cruels, don’t la conversation estoit aussi mai-aisee, que peu profitable, le pays fascheux & pauvre, peu de sçavans homes, & addonnez à l’yurongnerie, bref que c’estoient gens insupportables, & un pays si desert, qu’il n’estoit bon que pour loger telles gens. Ie ne trouvay pas cela quand i’y fus.“ Beaujeu, Amours, S. r–r. Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Lescarbot, Marc: Le Tableau de la Suisse et autres alliez de la France és hautes Allemagnes. Auquel sont descrites les singularités des Alpes & rapportés les diverses Alliances des Suisses: particulierement celles qu’ils ont avec la France. A Paris (chez Adrian Perier) . Sie ist allerdings nicht chronologisch aufgebaut wie nahezu alle anderen Reisebeschreibungen bis dato.
2.3 Legitimer Tyrannenkampf und souveräne Republik
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vorgelegt hatte und seit 1599 als Mitglied des Pariser Parlaments fungierte, stellt seiner Darstellung der Eidgenossenschaft eine dreifache Widmung voran. In seiner Dedikation an den französischen König verweist er auf die Beliebtheit der Eidgenossenschaft als französischer „Alliée“.⁵² Es folgt die Widmung an die Oberen der dreizehn eidgenössischen Kantone und „autres Alliez de la France és hautes Allemagnes“. Lescarbot verweist hier auf seinen eigenen Aufenthalt an der Seite des französischen Botschafters in der Eidgenossenschaft und formuliert seinen Anspruch: „[…] la descriptiō de vostre païs qui ie vous presente ici, & ce d’un style tout nouveau. Pour n’estre veu plagiaire du travail d’autrui, cōme ont toujours esté la pluspart de ceux qui se sont melez d’escrire.“⁵³ In seiner nun folgenden Widmung an eben jenen französischen Botschafter in der Schweiz preist er die Eidgenossenschaft schließlich als wichtigen Partner, deren Freiheit seit der Unabhängigkeit vom Reich durch die Allianz mit den französischen Königen garantiert worden sei.⁵⁴ Lescarbots Beschreibung der Bevölkerung, der Gebäude und der Städte mit ihren Institutionen wie Arsenal oder Universität ist ebenso positiv gehalten wie die Einschätzungen Beaujeus gut dreißig Jahre zuvor. Ausführlich werden zudem die Alpen als Naturphänomen und Lebensraum beschrieben. Die Legende um Wilhelm Tell und die Schlacht am Morgarten werden in die historische Darstellung unkritisch aufgenommen. An zwei Stellen stellt Lescarbot dabei das Verhalten moderner Eidgenossen einer antiken „simplesse“ gegenüber. So im (nahezu einzigen) kritischen Kommentar, der die Bildungen von „Factionen“ in Luzern als potentiellen Niedergangsfaktor markiert: Et connoistre le mal qui peut à peu te mine En danger de causer à sa fin ta ruine, Car, sans parler icy qu’avec les Protestans Toujours sur quelque fait vous estes contestans
Lescarbot, Tableau de la Suisse, Au Roy, o.P.: „Ie descrie, Sire, et vous depeins en un Tableau poëtique le paisage & les villes d’une maison guerriere que vous prise, aymés et cherißés, & qui le merite aussi. Autrement elle ne seroit point vostre Alliée.“ Lescarbot, Marc: Tableau de la Suisse, A Tres Magnifiques Et Tres-Honorez Seigneurs Messieurs les Bourgmaistres, Advoyers, Lantamans, Senateurs, Officiers, & Peuples des treze Cantons de Suisse, & et autres Alliez de la France és hatures Allemagnes, Salut & Prospérité. A Paris (chez Adrian Perier) . o.P. Lescarbot, Marc: Tableau de la Suisse, A Monseigneur Messire Pierre de Castille Conseiller du Roy en ses Conseils d’estat & Privé, Ambassadeur de sa Majesté en Suisse. Et depuis Intendant de ses Finances. A Paris (chez Adrien Perier). o.P.: „C’est un Tableau d’une province guerriere qui a signalé sa valeur par tant de victoires, que sa liberté s’en est ensuivie, laquelle depuis s’est asseurée par l’alliances de noz Roys, en sorte qu’aucun Prince n’a osé y mettre le pied pour la molester, ou qui n’y soit venu chercher sa ruine.“
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Ie vous voy divisés entre vous Catholiques, Et rien que factions dedans voz Republiques […] Bref, s’il faut dire icy la vérité, (Ie la dis après vous) d’un & d’autre coté Vous ne tenez plus rien de l’antique simplesse Qui souloit honorer jadis vostre prouësse, Et à cecy se plait cil qui vous entretient Et pour mauvais sujets iusques icy vous tient.⁵⁵
An anderer Stelle bemüht der Franzose erneut den Vergleich von ehemaliger „simplicité“ und moderner Verhaltensweise. Hier kritisiert er die neue Hingabe an den Luxus: Le Suisse vivoit lors en simplicité grande, L’argent don’t maintenant il a l’ame friande, Les bagues, les ioyaux, les meubles precieux Luy estoient incognues: pour lors ils aymoit mieux Vivre de son labeur libre dans sa province, Que suivre, ambitieux, la Cour de quelque Prince. Mais ore il a change cette simplicité. En sorte qu’avon veu en noz iours exalté.⁵⁶
Lescarbot beschreibt die Eidgenossenschaft als freien und selbständigen Akteur, der Allianzverträge mit den Franzosen eingeht.⁵⁷ Er verweist dabei aber auch ähnlich wie Bodin auf die Tatsache, dass sie sich in ihrem Selbstverständnis immer als vom Kaiser abhängig und damit als Teil des Reiches gesehen hätten.⁵⁸ Lescarbot nennt hier auch den Umstand, dass die Bitte um Privilegienbestätigung durch eine eidgenössische Gesandtschaft seit dem Amtsantritt von Kaiser Matthias im Jahr 1612 noch nicht erfolgt sei. Tatsächlich hatte die Tagsatzung nach langen und kontroversen Diskussionen 1616 den Beschluss verabschiedet, dass man in der Folge nicht mehr um eine solche Privilegienbestätigung ersuchen würde – allerdings nicht, weil die Eidgenossen sich nun als unabhängig vom Reich sahen,
Lescarbot, Tableu de la Suisse, S. . Lescarbot, Tableu de la Suisse, S. f. Vgl. auch Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. . Im Anhang zum Text finden sich etwa die Allianzverträge mit den französischen Königen im Wortlaut abgedruckt. Siehe Lescarbot, Le Tableau de la Suisse, S. – . Lescarbot, Le Tableau de la Suisse, o.P.: „Les Suisses avoient tous jours recogneu l’Empire, & envoyé des Ambassadeurs offrit service & obeissance aux Empereurs. Ce qu’ilz n’ont fait à celui du jourd’hui.“
2.3 Legitimer Tyrannenkampf und souveräne Republik
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sondern mit dem Verständnis, dass frühere Bestätigungen fortan auf ewig Bestand hätten.⁵⁹ Die Deutung der Eidgenossenschaft als souveränes Gemeinwesen, welches sich selbst noch lehnsrechtlich im Reich eingebunden sah und das als treuer Allianzpartner der Franzosen eine wichtige Funktion als Sicherheitsgürtel zwischen Bourbonen und Habsburgern einnahm, fand auch prominent Eingang in die in den 1620er Jahren verfassten sogenannten französischen Friedensutopien. Der ehemalige Finanzminister Heinrichs IV., Maximilien de Béthune duc de Sully (1560 – 1641), entwarf in seinen Mémoires die Vorstellung einer „République universelle tres-Chretienne“.⁶⁰ Wahlmonarchien (zu den Sully hier auch Venedig zählt), Erbmonarchien und drei Republiken würden sich zusammenschließen und mit dem „conseil général de l’Europe“ ein gemeinsames Beschlussfassungsorgan besitzen.⁶¹ Dieser übergeordnete „conseil“ sei für die Sicherung des Friedens nach Innen und für den Kampf gegenüber auswärtigen Mächten zuständig. Die „République des Helvetiens“ erkennt Sully dabei als souverän an, die zusammen mit den Niederlanden (dabei sieht er nördliche und südliche Niederlande wieder vereint in einer Republik) und einer ebenfalls föderalistisch organisierten „République ducale“ in Italien eine wichtige Pufferzone zwischen Bourbon und Habsburg bilden sollen.⁶² Die von Sully projektierte Staatenordnung ist dabei wie die von ihm beschriebenen Republiken föderativ aufgebaut. Die Entscheidungsfindung im gemeinsamen „conseil“ lässt er nach dem Mehrheitsprinzip erfolgen.
Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Siehe Sully, Béthune: Maximilien de: Mémoires des sages et royalles oeconomies d’estat domestiques, politiques et militaires de Henry le grand. Bd. – (Amsterdam ). Bd. – (Paris ). Die Memoiren hat Sully vermutlich in den er Jahren verfasst. Der Plan der République universelle tres-Chretienne findet sich an mehreren Stellen des mehrbändigen Werkes, ausführlich vor allem im Band von (hier vor allem S. – ).Vgl. hier und im Folgenden Maissen, Geburt der Republic, S. – . Sully, Memoires, Bd. , S. f.: „[…] cette generale & magnifique Republique tres-Chretienne tousiours Pacifique en elle mesme […]. Pour parler desquelles quinze Dominations, & en donner plus de lumiere, nous le distinguerons en trois diverses natures, selon qu’elles semblent avoir quelque chose de plus ressemblant en leur forme de gouvernement. La premiere consistant en ceux lesquels ont bien une marque & un titre ressentant leur Souveraineté, mais qui ne parviennent jamais à icelle, que par le moyen d’une election & nomination Aristocratique […] tells que l’ont tousiours esté le Pape, l’Empereur, le Duc de Venise […]. Et la troisiesme consistant en ceux lesquels aians l’apparence en general d’une subsistence populaire, ne laissent pas d’estre composez de plusieurs & diverses sortes de Princes & Seigneuries qui ont leurs particulieres Souverainetez, Dominations, Loix, Privileges, usances & coustumes distinctes, tells que sont la Republique des Helvetiens, & le doivent ester celles des Italiens & des Belges […].“ Siehe Sully, Memoires, Bd. , S. , S. und S. .
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2 Die Eidgenossenschaft
Bedenken über langsame und ineffektive Entscheidungsprozesse artikuliert Sully nicht. Eine wichtige Schiedsrichterfunktion wird den zeitgenössischen Republiken, namentlich Venedig und der Eidgenossenschaft, auch in der 1623 verfassten Friedensutopie des Geistlichen und Mathematikers Emeric Crucé (1590 – 1648) zugewiesen. Crucé entwirft in seiner Abhandlung Le Nouveau Cynée die Vorstellung einer weltumfassenden, nicht auf Europa beschränkten Staatenwelt, deren Streitigkeiten durch eine gemeinsame Versammlung aller souveränen Staatsoberhäupter oder deren Vertreter gelöst werden sollen.⁶³ Als Versammlungsort schlägt Crucé Venedig vor. Die Stimmen der Lagunenrepublik und der Eidgenossenschaft als „Républiques Souveraines“ sollen bei einem Stimmen-Patt den Ausschlag geben.⁶⁴ Während also in Frankreich schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von der Eidgenossenschaft als souveräner Republik gesprochen wurde, wurde dieser in der Reichspublizistik weiterhin jede Form von autonomer Staatlichkeit abgesprochen.⁶⁵ Allein Christoph Besold (1577– 1638) bezeichnet 1637 die eidgenössischen Kantone als „respublicae“. Für ihn ist allerdings – unter Verweis auf Bodin und Simler – der einzelne Kanton und nicht die gesamte Eidgenossenschaft Träger der Souveränität.⁶⁶ Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges wurde die Eidgenossenschaft zudem als Hort der Sicherheit, als „das einzige Land, wo der Frieden noch blühte, als Paradies auf Erden“ glorifiziert.⁶⁷ Gerade auch in der niederländischen
Siehe Crucé, Emeric: Le nouveau Cynée. Ou Discours des Occasions et moyens d’establit une paix generale & la liberté du commerce par tout le monde. A Paris (chez Jacques Villery) . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Besold, Christoph: Synopsis politicae doctrinae. Hrsg. von Laetitia Boehm. Übersetzt von Cajetan Cosmann (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens ). Frankfurt a.M./Leipzig . S. f.: „So bewertet man auch viele durch noch so fest geschlossene Verträge wechselseitig miteinander verbundene Völker oder separate politische Körper, deren einzelne eigene und höchste Macht haben, keineswegs als Republik, weil Konfoederationen offensichtlich fast nie von ewiger Dauer sind; und selbst wenn Vereinigungen dieser Art gefunden werden, so sind sie sich doch nicht gegenseitig unterworfen, vielmehr behält jede Seite ihre unverminderte Freiheit. So macht auch der schweizerische Bund oder auch jener, der zwischen den Hansestädten besteht, in keinem Fall eine Republik aus. (Guillemann. De reb. Helvet. Bodin.d.Rep.Simler.de.Rep.Helvet.).“ Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Der abenteuerliche Simplicissimus. Aus dem Deutschen des . Jahrhunderts und mit einem Nachwort von Reinhard Kaiser. Frankfurt a.M. . Kap. ,. S. und S. : „Dieses Land kam mir so anders als andere deutsche Länder und so fremd vor, als wäre ich in Brasilien oder China. Hier sah ich die Menschen in Frieden handeln und wandeln. Die Ställe standen voller Vieh, die Bauernhöfe wimmelten von Hühnern,
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Suche nach einer politischen, freistaatlichen Lösung, die verschiedene Konfessionen nebeneinander bestehen lässt, fand eine sehr schematische und positive Darstellung der Eidgenossenschaft dabei als nachahmungswürdiges Vorbild Eingang in die zu dieser Frage publizierten Flugschriften.⁶⁸ Auch der Engländer John Evelyn konstatiert in seinem Reisebericht von 1646: „I look upon this country to be the safest spot of all Europe, neither envied, not envying; nor any of them rich, nor poor; they live in great simplicity and tranquility.“⁶⁹ Verweise auf die Eidgenossenschaft waren in englischen Abhandlungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts insgesamt sehr rar gesät. Auch Beschreibungen in Reiseberichten wie diejenige Evelyns finden sich kaum. Die eidgenössischen Kantone waren kein Standardelement englischer Reiserouten. Am ausführlichsten ist wohl auch hier die Darstellung des Thomas Coryate. Coryate reiste zwischen Mai und Oktober 1608 durch Frankreich, Venedig, die Schweiz und die Niederlande und veröffentlichte seinen Bericht 1611 unter dem Titel Coryats crudities. Seiner ausführlichen Beschreibung Venedigs folgt der Bericht über seinen Aufenthalt in weiteren oberitalienischen Städten. Schließlich finden sich seine „observations of Helvetia otherwise called Switzerland“.⁷⁰ Coryate betrachtet dabei die Eidgenossenschaft als abgeschlossene Einheit, die er etwa von Germanie unterscheidet und der er „thirteene principall townes“ zuordnet.⁷¹ Seine Darstellung beschränkt sich auf die Beschreibung der Städte Zürich, Baden und Basel.
Gänsen und Enten. Auf den Straßen waren die Reisenden sicher unterwegs. In den Wirtshäusern saßen die Leute und ließen es sich gutgehen. Nirgendwo war Furcht vor dem Feind, Sorge vor Plünderung oder Angst, sein Hab und Gut oder sein Leben zu verlieren. Ein jeder lebte sicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum, und zwar, verglichen mit anderen deutschen Ländern, in solchem Überfluss und solcher Freude, dass ich dieses Land, obwohl es nach seiner natürlichen Beschaffenheit rau genug zu sein schien, für ein Paradies auf Erden hielt.“ Coryate, Crudities.Vgl. auch Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. . Vgl. den Vortrag von Laura Manzano Baena (Investigadora independiente), El espectro de la paz. Suiza como modelo de coexistencia confesional para los Países Bajos. (Républicas y republicanismo en la Edad Moderna (siglos XVI–XVIII). Sevilla y diciembre de ). Evelyn, John: The Diary and Correspondence. Hrsg. von William Bray. Bd. . London . S. . Vgl. auch Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. . Coryate, Thomas: Coryats crudities hastily gobled vp in five moneths trauells in France, Sauoy, Italy, Rhetia co[m]monly called the Grisons country, Heluetia aliàs Switzerland, some parts of high Germany, and the Netherlands; newly digested in the hungry aire of Odcombe in the county of Somerset, & now dispersed to the nourishment of the trauelling members of this kingdome. London . S. – . Coryate, Crudities, S. .
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2 Die Eidgenossenschaft
Allen dreien schreibt er antike, Zürich gar Wurzeln aus Zeiten Abrahams zu.⁷² Alle drei bezeichnet er als schöne Städte mit fruchtbarem Umland, guter Infrastruktur und imposanten Kirchenbauten.⁷³ Als Quellen gibt Coryate vor allem Sebastian Münsters Kosmographie und von ihm persönlich konsultierte Schweizer Gelehrte an.⁷⁴ In seiner Beschreibung Zürichs spiegelt er dabei das eidgenössische Helvetier-Narrativ. So hält er mit Blick auf die Züricher Waffenkammer fest: Amongst the rest of those things that this Armory doth present, it yeeldeth more notable antiquities then ever I saw in any armorie before. For heere (sic!) I saw those arrows which the ancient Helvetians used in the time of Iulius Caesar, when they fought with the Romanes. […] Likewise the banners & ancients that the Helvetians displaied in the field against the Romans, which are almost eaten out with antiquity: And many of the Romans ensigns, with their armes in them, even the eagle, which the Helvetians wonne from them in fight. […] Also there is shewed another most worthy monument in the same roome, even the sword of William Tell an Helvetian of the towne of Swice, who about some three hundred years since was the first author of the Helveticall confederation which hath bene ever since retained in their popular government, by reason of a certaine notable exploit that he atchieved.⁷⁵
Die „most memorable history of Will Tell“, die in Rütli-Schwur und die „Helvetical confederation“ gemündet sei, legt Coryate sodann über zwei Seiten dar.⁷⁶ Seit 1316, so Coryate, sei diese Eidgenossenschaft nun unabhängig: […] so at the end all the Cities of Helvetia combined themselves together in a league of unity, which though it hath beene often assayed since that time to be dissolved and violated by the forraine forces of mighty men, as by some of the German Emperours […] yet it hath continued firme and inviolable to this day.⁷⁷
Siehe etwa Coryate, Crudities, S. : „Such is the antiquity of this citie, that is thought it was built in the time of Abraham (which was about two thousand yeares before the incarnation of Christ, and thirteene hundred years before the foundation of Rome).“ Siehe etwa hinsichtlich Basel S. : „This noble Citie is situate in that most fertile territorie of Sungovia […]“; S. : „The streets of the Citie are very faire, and neatly kept: the private buildings beautifull […].“; S. : „But to return to this glorious and most elegant Church of Basil the very Queene of all the German Churches that I saw […].“ Siehe Coryate, Crudities, S. , S. , S. . Coryate, Crudities, S. und erneut S. : “I saw most terrible swords made according to the imitation of those that the ancient Helvetians used in their warres against Iulius Caesar, being twoedged, and of agreat length, above two yards long, having many pranges of sharpe hookes at the sides.” Coryate, Crudities, S. f. Coryate, Crudities, S. .
2.3 Legitimer Tyrannenkampf und souveräne Republik
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An anderer Stelle wird Coryate noch deutlicher. Er spricht von der „[…] happie league of union, being subject neither to King nor Kaysar“.⁷⁸ Zur Verfassungsform sagt Coryate allerdings wenig. Einmal spricht er vom „popular government“ der „confederation“.⁷⁹ Zürich bezeichnet er als „Aristocraticall state“.⁸⁰ Er hält aber auch fest, dass ihn die Ausgestaltung der Verfassung nicht primär interessiert habe. Erwartungen der Leserschaft habe er damit womöglich enttäuscht: Heere might I make mention of the forme of their Aroistocraticall state, their severall and distinct Magistrates, the manner of the election of them, and such other memorable particulars touching the administration of their commonweale. But I must needs confesse I did not use such curious inquisition for these matters as I might have done: contenting my selfe rather with these foresaid matters […] then with the exact knowledge of their government, which I could not possibly attaine unto by reason that I made my abode there, but a day and a half. Wherefore I intreat thee (gentle Reader) to pardon me though I cannot informe thee of their aristocratie according to they expectation, promising thee that I will as well as I am able to supply that in my next iourney into this country (for I determine by Gods heavenly assistance to see hereafter all the thirteene principall townes of Switzerland) which I have now omitted in the observation of their government.⁸¹
Coryates Verweis auf die Lesererwartung ist ein Hinweis auf den Informationsbedarf hinsichtlich der Eidgenossenschaft zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Anders als bei den anderen beiden betrachteten Republiken war hier kein Standardwissen vorhanden.
Coryate, Crudities, S. f. Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. .
3 Die Vereinigten Provinzen der Niederlande Die Vereinigten Provinzen der Niederlande wurden erst während und vor allem nach dem sogenannten 80-jährigen Freiheitskampf gegen Spanien als eigenständiges und souveränes Gemeinwesen durch das europäische Ausland wahrgenommen. Zuvor wurden die Niederlande, das heißt sowohl die südlichen als auch die nördlichen Provinzen und Bistümer, ihrem juristischen Status entsprechend immer als Teil des Heiligen Römischen Reiches angesehen. Dieser Teil stand ab 1428 unter burgundischer Herrschaft, ab 1482 unter der Regentschaft der Habsburger.¹ Weder die zahlreichen Aufstände gegen die Habsburger im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert noch die „pragmatische Sanktion“ von 1548, die die Niederlande als eigenständige und ungeteilte Einheit innerhalb des Reiches definierte und, verabschiedet von den niederländischen Generalständen und dem kaiserlichen Parlament im Reich, die Souveränität über diese Einheit dem Kaiser bzw. seinen Erben zusprach,² änderten etwas an der Wahrnehmung als einer den deutschen Fürstentümern entsprechenden Entität des Reichs. Zu stark wurde etwa der niederrheinisch-westfälische Raum im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert weiterhin als eine kulturelle Einheit gesehen. Erst nach dem Waffenstillstand mit Spanien 1609, dessen König Philipp II. (1527–1598) im Jahr 1555 nach der Aufteilung der Herrschaftsbefugnisse durch Karl V. der Souveränitätsanspruch über die Niederlande zugesprochen worden war, wurden die sieben in der Union von Utrecht (1579) vereinigten nördlichen Provinzen der Niederlande als unabhängiges und souveränes Gemeinwesen durch immer mehr europäische Mächte anerkannt. Dies manifestierte sich unter anderem in dem durch Frankreich, England und Venedig anerkannten Titel des ambassadeur für den niederländischen Vertreter im Ausland,³ der spätestens ab dem Westfälischen Frieden 1648 überall in Europa die gängige Zuschrift wurde. Im Folgenden werden zunächst Aussagen vorgestellt, die sich für die Zeit vor dem Waffenstillstand mit Spanien 1609 finden. Dann wird die parallel dazu verlaufende Ausbildung eines freistaatlichen Selbstverständnisses im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert nachgezeichnet. Elemente dieser Selbstdarstellung wie etwa die Konstruktion einer Erinnerungsgemeinschaft, die wie in der Eidgenossenschaft auf die Antike zurückverwies, wurden schon in frühen Beschreibungen der Niederlande gespiegelt. In der Rezeption der sieben Vereinigten
Vgl. zur historischen Entwicklung der Niederlande Israel, The Dutch Republic, hier vor allem S. – . Israel, Dutch Republic, S. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. .
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3 Die Vereinigten Provinzen der Niederlande
Provinzen bis 1650, die schließlich analysiert wird, wurden diese Elemente dann verstärkt aufgegriffen.
3.1 Fleißige Seefahrer und verständige Händler Reiseberichte und Tagebucheinträge, die mit Blick auf die Niederlande vereinzelt (und meist nur in Manuskriptform) für die Zeit vor der Revolte zu finden sind, behandelten diese entsprechend ihrem Status als Teil des Reiches, transportierten aber etwa mit Blick auf die Darstellung der Landschaft und des Charakters der Bevölkerung bereits Bilder, die später stereotyp wiederholt werden sollten: die zahlreichen Kanäle wurden ebenso erwähnt wie die Wertschätzung von Sauberkeit und Wissenschaft, die dichtbevölkerten Städte und die als hässlich klingend empfundene Sprache.⁴ Der erste, der in einer Abhandlung die Niederlande aus dem Blickwinkel eines nicht niederländischen Beobachters exklusiv, ausführlich und umfassend beschrieb, war 1567 der Florentiner Lodovico Guicciardini (1521– 1589). Der Neffe Francesco Guicciardinis kam 1541 nach Antwerpen, um im dort niedergelassenen Familienunternehmen zu arbeiten. Schon ab den 1550er Jahren betätigte er sich aber zunehmend hauptsächlich als Autor.⁵ Seine Descrittione Di Tutti I Paesi Bassi,⁶ die sowohl die nördlichen als auch die südlichen Niederlande beschrieben und die mit königlichem Privileg in Antwerpen gedruckt wurden, werden in der Folge das grundlegende Referenzwerk für nahezu jegliche europäische Abhand-
Vgl. Bientjes, Holland und die Holländer, S. – . Bientjes verweist vor allem auf den Reisebericht des Geistlichen Johannes Butzbach ( – ) von und die in Basel erschienene Abhandlung Navigationis maris arctoi, id es Balthici et sunis Codani descriptio des Nicolaus Wimman, der auf seiner Reise nach Dänemark zufällig in den Niederlanden landete. Zu Leben und Werk Lodovico Guicciardinis siehe die Inleiding (Einleitung) des Bandes von Deys, Henk: Guicciardini Illustratus. De kaarten en prenten in Lodovico Giucciardini’s Beschrijving van de Nederlanden (Utrechtse Historisch-Kartografische Studies ). ‘t Goy-Houten . S. – . veröffentlicht Guicciardini sein erstes Werk Commentarii delle cose più memorabili seguite in Europa, specialmente in questi Paesi Bassi, dalla pace di Cambria a tutto l’anno . Im Vorwort kündigt er eine Ergänzung zu diesem Werk an, in dem er dem Genre der Chronik geschuldet, keine generellen Bemerkungen machen durfte. erschien dann dieses Werk: die Descrittione. Guicciardini, Lodovico: Descrittione Di M. Lodovico Guicciardini Patritio Fiorentino, Di Tutti I Paesi Bassi, Altrimenti Detti Germania Inferiore. Con piu carte di Geographia del paese, & col ritratto naturale di piu terre principali. Al Gran re Cattolico Filippo d’Austria. Con amplissimo Indice di tuttele cose piu memorabili. Anversa (Apresso Guglielmo Silvio, Stampatore Regio. Con Privilegio) . Eine kritische Quellenedition liegt seit vor: Guicciardini, Lodovico: Descrittione di tutti i Paesi Bassi: editione critica. Hrsg. von B. Aristodemo. Amsterdam .
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lung über die Niederlande im späten 16. und 17. Jahrhundert. Sehr schnell wird der Text ins Französische, Deutsche und bald auch ins Lateinische, Englische und Niederländische übersetzt und in zahlreichen Neuauflagen publiziert.⁷ Guicciardini widmet die Erstausgabe dem spanischen König Philipp II., den er klar als Souverän der Niederlande anerkennt, und dem er im Folgenden „suoi bellisimi, & nobilissimi paesi Bassi“ als „un’membro tanto importante di tutto il suo Imperio“ vorstellen möchte.⁸ Nach der Widmung, zahlreichen Lobgedichten auf den Autor und sein Werk und einer Anrede an den Leser, in der er die Niederlande erneut als schönes, mächtiges und wundervolles Land lobt,⁹ folgt zunächst eine generelle Beschreibung, bevor Guicciardini im Anschluss daran die einzelnen Provinzen ausführlich und mit zahlreichen Karten illustriert beschreibt. Die Niederlande würden den größten Teil des antiken Belgiens ausmachen, das als einer von drei Teilen Galliens, so Guicciardini, zu Beginn schon immer der vornehmste und mächtigste gewesen sei.¹⁰ Diesen Status habe es durch das Lob der antiken Autoritäten wie Caesar erhalten, durch die Nobilität und Außergewöhnlichkeit seiner Bewohner und vor allem durch die zahlreichen hier entwickelten Erfindungen erlangt.¹¹ Beispiele für diese Erfindungen führt er im Anschluss an. In zahlreichen Beschreibungen des 17. Jahrhunderts wird dieses Element des Erfindungsreichtums meist im Zusammenhang mit der Unwegsambarkeit des Bodens und der Notwendigkeit für die Niederländer, sich anderer Mittel und Wege zu bedienen, um das Überleben zu sichern und zu wachsen, wieder aufgegriffen werden. Während die ersten Aussagen Guicciardinis dem Leser zunächst das Bild der Niederlande als eine relativ konsistente und in sich geschlossene Einheit nahelegen, verweist der Florentiner doch sehr bald in seiner allgemeinen Beschreibung auf die Tatsache, dass, auch wenn die Macht, die Größe und Bevölkerungsdichte den Status eines Königreichs vorstellbar werden ließen, niemand – auch nicht Karl V. – es bisher geschafft habe, die Niederlande in einem
Die erste französische Übersetzung erschien bereits im gleichen Jahr , die erste deutsche Version . Übersetzungen ins Englische (), Niederländische () und Lateinische () folgten. Eine Übersicht über die zahlreichen Editionen findet sich bei Deys et al., Guicciardini Illustratus, S. f. Guicciardinis Werk wird später auch von jenen herangezogen, die ausschließlich die nördlichen Provinzen beschreiben. Guicciardini, Descrittione, Widmung (o.P.). Die zweite Auflage aus dem Jahr widmet Guicciardini dann Margarete von Parma ( – ), die von Philipp II. als Regentin in den Niederlanden eingesetzt worden war. Vgl. Deys [u. a.], Guicciardini Illustratus, S. . Guicciardini, Descrittione, Anrede an den Leser (o.P.): „Verdrai per questa senza uscir’di casa, in poco spatio & in poche hore il sito, la grandezza, la belleza, la potenza, & nobiltà di questi egregij& mirabili paesi.“ Guicciardini, Descrittione, S. f. Guicciardini, Descrittione, S. .
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Königreich zu vereinen. Die Unterschiede in Bezug auf die Sprache, die Gesetze, die Gebräuche, die Maße und Gewichte zwischen den Regionen und Provinzen seien einfach zu groß. Noch dazu seien die Provinzen an einem solchen Zusammenschluss selbst nicht interessiert.¹² Dennoch versucht sich Guicciardini an einer „descrittione generale“ und erläutert dabei zunächst die geographische Lage und das Klima sowie die strategisch sehr günstige Lage der Niederlande in Europa.¹³ Er verweist auf fruchtbare und weniger fruchtbare Regionen, die Tierzucht und die produzierten Waren. Ausführlich werden die einzelnen Flüsse mit ihrer Funktion für die Wirtschaft und das Meer mit der Gezeitenfolge beschrieben. Einen längeren Abschnitt widmet Guicciardini sodann dem Fisch- und hier vor allem dem Heringsfang,¹⁴ bevor er auf die Eigenschaften der Niederländer eingeht.¹⁵ Diese seien tapfere und gute Krieger, herausragende Seefahrer, brächten zahlreiche Gelehrte hervor und würden oft trotz mangelnder Auslandserfahrung zahlreiche Fremdsprachen beherrschen.¹⁶ Vor allem aber seien sie gute Händler und Handwerker in zahlreichen Bereichen.¹⁷ Erneut verweist Guicciardini hier auf den Fleiß und den Einfallsreichtum der Niederländer: „Sono laboriosi, diligenti, ingegnosi & capaci delle cose […] Am essi medesimi sono stati ancora inventori di molte cose d’importanza.“¹⁸ Zwar seien die Niederländer oft etwas leichtgläubig, manchmal beeinflussbar und oft betrunken.¹⁹ Insgesamt vermittelt der Florentiner aber das Bild einer arbeitssamen, durchaus gelehrten und in allen Bereichen sehr ordentlichen Bevölkerung. Mit Blick auf die allgemeinen politischen Strukturen legt Guicciardini jene burgundisch-habsburgisch geprägten Verhältnisse dar, wie sie in den vorrevolutionären Niederlanden seit den letzten einschneidenden Neuerungen durch Karl V.
Guicciardini, Descrittione, S. . Siehe v. a. Guicciardini, Descrittione, S. f. Guicciardini, Descrittione, S. – . Guicciardini, Descrittione, S. – . Guicciardini, Desrittione, S. : „Nella guerra, & a piede & a cavallo&, non meno in Mare che in terra, sono questo popoli molto bravi, & coraggiosi, massimamente quando egl’hanno capi di valore […] Sono peritissimi delle cose marittime […] Sono ci molte & molte persone litterate, & dotte in ogni facultà & scienza […].“ Guicciardini, Descrittione, S. : „Sono costoro gran mercatanti, & intendentissimi di tutte le mercantie, essendo fondato il paese in gran’parte insu la mercatura, & insu l’arti, inde sonno medesimanete artefici eccellenti in tutte le cose manuali […].“ Guicciardini, Descrittione, S. . Guicciardini, Descrittione, S. f.
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1531 Bestand hatten.²⁰ Der gesamte Abschnitt bleibt dabei ohne Wertung, politischen Vergleich oder Einschätzung der Effektivität. Den größten Teil seiner Abhandlung widmet der Florentiner schließlich der Beschreibung der einzelnen siebzehn Provinzen. Vor allem die Städte werden dabei ausführlich besprochen. Der Schwerpunkt dieses zweiten Teils liegt auf der Darstellung Antwerpens als reicher Handelsstadt, dem Wohnort des Autors bis zu seinem Tod.²¹ Die Beschreibungen der Provinz Holland und Amsterdams als Handelsstadt fallen im Vergleich dazu kurz aus.²² Dennoch beschreibt er beide als nicht weniger reich und mächtig. Hollands Potenzial fasst er gleich zu Beginn seiner Ausführungen über die Provinz zusammen: „Hollanda è un paesetto piccolo, ma pieno di cose grandi & memorabili: ha gran’numero di buone terre, & di bei villagi, ha gli huomini, & le donne grandi, gran’bestiame, gran ricchezza & gran’potenza, ma vegnamo alla particular descrittione.“²³ Holland sei das antike Batavia. Die Einwohner würden also von jenem Germanenvolk abstammen, das sich erfolgreich gegen die Römer behauptet hätte.²⁴ Guicciardini erklärt zunächst die Herkunft des modernen Namens Holland, erläutert die geographische Lage, nennt die Viehzucht und die in großen Mengen erfolgende Produktion auf der Grundlage importierter Rohstoffe. Schließlich widmet er sich den einzelnen Städten und Inseln. Amsterdam beschreibt er als reiche Hafenstadt mit Kontakten und Kaufleuten aus aller Welt. Die Bürger seien so vermögend, dass eine Flotte mit 300 Schiffen und einem großen Sortiment von Waren innerhalb von fünf bis sechs Tagen alles verkaufen und leer zurückfahren könne.²⁵ Aufgrund seiner Lage, der Infrastruktur, Bauweise und Entwicklung sei Amsterdam mit Venedig zu vergleichen, konstatiert Guiccardini: „Di modo che per l’aria, per l’acqua, per la situatione, per la quantità, & foggia di canali, quasi a ogni strada, & per altre cagioni, rende a tanto per tanto gran’similtudine a Vinegia: in somma è terra felice, & amiranda.“²⁶ Dann schließt er die Beschreibung Amsterdams mit einem Lobgedicht.²⁷
Siehe dazu Israel, Dutch Republic, S. – . Guicciardini, Descrittione, S. – . Guicciardini, Descrittione, S. – (Amsterdam S. f.). Guicciardini, Descrittione, S. . Guicciardini, Descrittione, S. : „Giace l’Hollanda in quella Isola, che anticamente si chiamaua Batavia, da Batone figliuolo del Re de Catti, popoli (secondo Cornelio Tacito) venuti di Germania […].“ Guicciardini, Descrittione, S. . Guicciardini, Descrittione, S. . Guicciardini, Descrittione, S. . In dem Gedicht werden die zentralen Aspekte noch einmal aufgegriffen.
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Eine englische Übersetzung der Abhandlung von 1593 greift den Vergleich mit Venedig auf und fügt diesem den sprichwörtlich werdenden Ausspruch Amsterdams als Venedig des Nordens hinzu.²⁸ Ansonsten weist diese Ausgabe, die der Übersetzer Thomas Chard selbst als Zusammenfassung betitelt, allerdings kaum Veränderungen zum Original auf. Es bleibt die gleiche positive und in vielen Bereichen auch neutrale Darstellung der Niederlande kurz vor der Revolte. Auch wenn Chard die Persönlichkeiten der Regenten bis in die 1580er Jahre ergänzt,²⁹ lassen sich in der Darstellung der Institutionen oder übrigen politischen Verhältnisse keine Änderungen erkennen, die dem aktuellen Zustand der Revolte Rechnung getragen hätten. In anderen Ausgaben ist dies durchaus der Fall. Die dritte italienische Edition aus dem März 1581 etwa lässt zu Beginn den Platz für das Porträt und das Wappen Philipps II. frei, weil noch nicht klar ist, ob die Abschwörung vom spanischen König stattfinden wird oder nicht.³⁰ Bei der Ausgabe aus dem folgenden Jahr wurde manchen Exemplaren ein Extra-Blatt mit einer Widmung an den Herzog von Anjou hinzugefügt, über dessen Status als Souverän der Vereinigten Provinzen zu dieser Zeit ambivalent diskutiert wurde.³¹ Die Inhalte wurden den neuen Gegebenheiten aber verstärkt erst nach 1609, also nach dem Waffenstillstand mit Spanien und der Verlagerung des politischen, ökonomischen und kulturellen Schwerpunkts in den Norden, angepasst.³² Auch die Formate veränderten sich häufig. 1634 erfolgte die erste Edition in Duodecimo-Format, die von nun an bequem als eine Art Reiseführer genutzt werden konnte.³³ Ähnlich oft wie auf Guicciardinis Descrittione verwiesen Autoren zu Beginn des 17. Jahrhunderts lediglich noch auf die Cosmographia des Sebastian Münster
Guicciardini, Lodovico: The Description of the Low countreys and of the Provinces thereof, gathered into an Epitome out of the Historie of Lodovico Guichardini. Imprinted at London by Peter Short for Thomas Chard . S. v: „This towne is very strong and helde imprenable by reason that it may be environed at pleasure with water, and is almost in all pointes likes unto Venice, and little inferior to it in any, and may instlie be called the Venice of these parts.“ Guicciardini, The Description of the Low countreys, S. . Vgl. Deys [u. a.]., Guicciardini Illustratus, S. . Vgl. Deys [u. a.], Guicciadini Illustratus, S. . Zur Diskussion um Anjou siehe Israel, Dutch Republic, S. ff. Vgl. Deys [u. a.], Guicciardini Illustratus, S. . Fortan erscheinen die Ausgaben der Descrittione auch nicht mehr in Antwerpen, sondern vornehmlich in Amsterdam. Guicciardini selbst war durchaus vorher von der Revolte persönlich betroffen: 1569 wurde er auf Befehl von Alva in Arrest genommen, weil er den Zehnten kritisiert hatte. 1582 kam er erneut ins Gefängnis, da er verdächtigt wurde, Beziehungen zu einem Spanischen Händler zu haben, dessen Sklave ein Attentat auf Wilhelm von Oranien versucht hatte. Vgl. Deys [u. a.], Guicciardini Illustratus, S. .
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als Quellentext für die eigene Beschreibung der Vereinigten Provinzen.³⁴ Der Professor für Theologie und Hebräische Studien in Heidelberg und später Basel verfolgte zunächst das Anliegen, die geographische Beschreibung des Reichs von Fehlern zu befreien und dem Leser mit Hilfe von neuen, besseren Karten zugänglich zu machen. Dieses Interesse weitete sich schnell auf Europa und die Verbindung von Geographie und Geschichte aus. Münster unternahm Reisen und studierte antike und zeitgenössische Autoren, um schließlich das Projekt einer Kosmographie der gesamten bewohnten Welt zu verwirklichen. Bereits in seiner ersten Annäherung an das Projekt, der 1537 in Frankfurt am Main veröffentlichten Cosmographei: Mappa Europae, Eygentlich fürgebildet, außgelegt und beschribenn,³⁵ die Matthew McLean als eine Art „cosmography in mircocosm“ beschreibt,³⁶ behandelt Münster die niederländischen Provinzen voneinander getrennt als Teile des Abschnitts „Von sonderen einzeligen ländern Germanie“ und verwendet dabei durchweg positive Zuschreibungen. Die Einwohner Hollands etwa seien „manlich/kūn/schön von leib/starck/gůt von sitten/andechtig gegenn Gott/ trew gegen den leuten und fridlich.“³⁷ Und über Flandern weiß er zu berichten: „Diß klein land ist groß von reichthumb/überflüssig von weyd und vihe/ mit einem starckenn wolgestaltenn volck/holdselig/fridlich/freuntlich/getrew/ subtil/und künstlich.“³⁸ In der Cosmographia schließlich, die 1544 in deutscher Sprache und 1550 von Münster selbst erweitert und vervollständigt auch auf Latein erscheint, behält Münster diese Einteilung und positive Beschreibung der niederländischen Provinzen bei.³⁹ Er ergänzt sie zudem um eine detailliertere Beschreibung einiger Aspekte. So führt er anhand einiger Provinzen Tücher, Wollprodukte und Hering als hauptsächliche Exportprodukte, Weizen und Wein als
Zur Biographie Münsters und seiner Cosmogaphia vgl. hier und im Folgenden: McLean, Matthew: The Cosmographia of Sebastian Münster. Describing the World in the Reformation. Ashgate . Münster, Sebastian: Cosmographei: Mappa Europae, Eygentlich fürgebildet, außgelegt unnd beschribenn. Vonn aller land und Stett ankunfft, Gelegenheyt, sitten, ietziger Handtierung und Wesen; Wie weit Stett unnd Länder inn Europa von einander gelegen, leichtlich zufinden. Frankfurt a. M. [VD M ]. McLean, Cosmographia, S. . Münster, Cosmographei, S. . Ähnliche Beschreibungen der Einwohner finden sich in den knappen Absätzen zu Friesland, Seeland und Brabant. Münster erwähnt außerdem den Reichtum an Vieh, die Verteilung des Rohstoffs Holz sowie die fruchtbare, aber gegen die See zu verteidigende Landschaft und die hohe Bevölkerungsdichte. Münster, Cosmographei, S. . Münster, Sebastian: Cosmographei oder beschreibung aller länder/herschafften/fürnemsten stetten/geschichte […]. Basel (Faksimile-Ausgabe: Münster, Sebastian: Cosmographei. Basel . Mit einer Einleitung von R. Oehme. Amsterdam ).
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größte Importgüter der Niederlande an.⁴⁰ Amsterdam gilt bei ihm bereits als „stett […] die andere alle übertrifft der kauffmanshandel halb so do getriben werden“.⁴¹ Und er vergleicht Amsterdam aufgrund der Lage und Bauweise ebenfalls mit Venedig.⁴² Zudem rekurriert er auf Erasmus’ Erzählung des batavischen Ursprungs der Holländer.⁴³ Sowohl Guicciardini als auch Münster, dessen Werk bis 1650 35 Editionen in fünf Sprachen erlebte, wie auch weitere Kosmographien und Topographien des 16. Jahrhunderts, die sich zum Teil wesentlich auf die beiden zentralen Vorläufer bezogen,⁴⁴ wiesen auf die wirtschaftlichen Grundlagen der niederländischen Provinzen, ihre besondere geographische Lage und den Reichtum ihrer Städte hin und zeichneten zudem ein sehr positives Bild eines starken, ideenreichen und friedlichen Volkes. Beide beschrieben, der Logik des Entstehungszeitraums folgend, sowohl die südlichen als auch die nördlichen Provinzen der Niederlande und diese als dem Reich zugehörige Entitäten. In politiktheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts wurden die Niederlande weder exklusiv noch überhaupt ausführlich besprochen. Selbst Jean Bodin, dessen Six Livres zwar noch vor der Union von Utrecht (1579), aber immerhin zehn Jahre nachdem die niederländische Revolte bereits in Gange war, erschienen, diskutierte den Fall der Niederlande keineswegs prominent. Weder im Zusammenhang des Reichs noch in seinen Überlegungen zu den verschiedenen Verfassungs- und Regierungsformen und auch nicht in den Abschnitten, die das Widerstandsrecht und die Tyrannenherrschaft diskutieren, tauchen die Niederlande als ein zeitgenössisches oder historisches Beispiel auf. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts weckten die niederländische Revolte und die rasante Entwicklung des zunehmend erstarkenden und sich zu einem Staat formierenden Gemeinwesens an der Nordsee immer mehr das Interesse des europäischen Auslandes. In England erschienen zahlreiche niederländische und französischsprachige Pamphlete der Revolte mit kurzer Verzögerung bereits in englischer Übersetzung, offenbar für ein Publikum, das am Widerstandskampf der protestantischen Niederländer gegen das katholische Spanien interessiert war.⁴⁵ Vgl. die Beschreibungen Münsters zu Flandern und Holland (Münster, Cosmographei oder beschreibung, S. cxxxviii–clvii). Münster, Cosmographei oder beschreibung, S. clv. Münster, Cosmographei oder beschreibung, S. clvi. Münster, Cosmographei oder beschreibung, S. clvii. Vgl. Bientjes, Holland und die Holländer, S. – . Vgl. Dunthorne, Hugh: Resisting Monarchy: the Netherlands as Britain’s School of Revolution in the late Sixteenth and Seventeenth centuries. In: Royal and Republican Souvereignty in Early Modern Europe. Essays in Memory of Ragnhild Hatton. Hrsg.von Robert Oresko, G.C. Gibbs u. H.M. Scott. Cambridge . S. – . S. .
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Dabei beeindruckte die Engländer vor allem das schnell organisierte und funktionierende Verwaltungssystem der Vereinigten Provinzen, so dass Königin Elizabeth I. (1533 – 1603) im Jahr 1600 dem niederländischen Botschafter zugestand: „Kings should go to school to the States General“, um „the sagacious administration of the States government“ zu erlernen.⁴⁶ Publizierte Abhandlungen über die Niederlande blieben aber vor 1609 sowohl in England als auch in Frankreich und im Reich eine Seltenheit. Mit den in den Niederlanden stationierten Soldaten stieg zwar das touristische Interesse auf deutscher, englischer und französischer Seite, vor allem auch am Festungsbau der Niederländer,⁴⁷ Reiseberichte aber blieben, wenn überhaupt, knapp in ihren Aussagen und ohne Bezug auf die politischen Zustände. Der Kammersekretär Jacob Rathgeb (1578 – 1614) etwa, der die 1592 erfolgte Reise Friedrichs von Württemberg (1557– 1608) begleitet hatte und dessen Bericht 1602 in Tübingen veröffentlicht wurde, erwähnt kurz die wohl erbauten Städte mit ihren vielen Kanälen, Brücken und „schönen sauber gepflästerten Gassen/ in denen die Häuser schnur eben einander nach/ ganz lustig/gleichförmig gebawet sein“.⁴⁸ Er verweist zudem auf die bei Sebastian Münster beschriebene Flutkatastrophe, die die Landschaft geprägt habe,⁴⁹ und auf Den Haag als Sitz des Statthalters und der Generalstände.⁵⁰ Über deren Funktion und Aufgaben aber sagt er nichts. Auch zu Amsterdam schreibt er nur einen kurzen Absatz.⁵¹
N. Caron to the States General, Juni . Zitiert nach: Dunthorne, Resisting Monarchy, S. . Vgl. dazu Strien, Kees van: British Travellers, S. f.; van Strien-Chardonneau, Le voyage de Hollande, S. . Rathgeb, Jacob: Warhaffte Beschreibung Zweyer Raisen/ welcher Ersie (die Badenfahrt genannt) der Durchleuchtig Hochgeborne Fürst und Herr/ Herz Friderich Hertzog zu Württemberg unnd Teckh/ Grave zu Mümppelgart/ Herr zu Heidenheim […] im Jahr von Mümppelgart auß/ in das weitberhümbte Königreich Engellandt: hernach im zuruck ziehen durch die Niderlandt diß widerumb gen Mümppelgart/ wol verrichtet: Die Ander/ so hochgemelter Fürst aufz Ihrer Fürst. Gn. Landts zu Württember hauptstatt Stuttgarten/ in Jahr in Italiam gethan/ und von Rom auß/ durch vil andere Ort/ widerumb gen Stuttgart Anno im Mayen/ glücklich heimgelangt […] auff hochgedachter Ihrer G.G. gnädigen Befehls von dero Mitraisenden/ in Engellandt Jacob Rahtgeben/ KammerSecretarien: in Italien/ Heinrich Schickhart/ Ihrer F.G. Bawmeistern/ […] auffs kürzst und fleissigest von Tag zu Tag verzeichnet und mit vor hochgedachter Ihrer F.G. gnädiger bewilligung sampt […] in truck gefertigt durch M. Erh. Cellium Poet. Et Hist. Professorem. Tübingen . Hier S. r. Rathgeb, Warhaffte Beschreibung Zweyer Raisen, S. v. Rathgeb, Warhaffte Beschreibung Zweyer Raisen, S. r. Rathgeb,Wahrhaffte Beschreibung Zweyer Raisen, S. v: „Solche Statt Ambsterdam (sic) / ist ein sehr vortreffliche Gewerb oder Handelstatt/ von allerhandt Kauffmans Wahren/ dann seit Antorff also verhergt/ ist das fürnembste gewerb dahin transferiert worden/ sie ligt an einem sehr
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Erst im Reisebericht des Duc Henri II de Rohan (1579 – 1635) über dessen Reise im Jahr 1600, der allerdings erst 1646 publiziert wurde, wurden die „Pays-bas Uni“ als die sieben nördlichen Provinzen umfassende, unabhängige und selbständige politische Einheit beschrieben.⁵² Rohan, einer der führenden protestantischen Vertrauten Heinrichs IV. (1553 – 1610), beschrieb auf immerhin 30 Seiten die Vereinigten Provinzen als „[…] estants maintenant libres & unis aux sept autres Provinces, qui se maintiennent contre ce Tyran avec beaucoup d’ordre & de police“.⁵³ Dabei verwendet er den Begriff „estats“ beziehungsweise einmal auch „estats unis“, wenn er von der die Provinzen umfassenden, übergeordneten politischen Einheit spricht.⁵⁴ Eine Analyse oder genauere Beschreibung der politischen Struktur findet sich aber auch bei ihm nicht. Gleich zu Beginn fasst er seine Ausführungen über die Niederlande zusammen, die vor allem auf die Provinz Holland zuträfen: Mais j’ay veu le contraire en ces Pays bas, (particulierement en Hollande, comme je diray en son lieu) qui sont infertiles, n’estans pas suffisans pour nourrir le quart du peuple qui y est, & cependant qui en richesse, en abondance d’habitans & en quantité de belles villes surpassent quelque pays que l’on se puisse imaginer. La seule raison de cela (ce me semble) est le traffic, plus grand en ce pays la qu’en lieu du monde.⁵⁵
In seiner Beschreibung der Provinzen Friesland, Holland und Seeland und deren Städte finden sich nun schon stereotyp gewordene Aussagen. So lobt er immer wieder die schönen Bauwerke, verweist auf die vielen, dem Handel nützlichen Kanäle, die guten Straßen und Befestigungsanlagen und betont die guten Techniken, die die Niederländer entwickelt hätten, um die sich aus der geographischen Lage ergebenen Probleme mit Blick auf Landgewinnung und -erhaltung zu meistern.⁵⁶ Nicht selten verwendet Rohan dabei durchaus Superlative: Amsterdam vesten Ort/ dann zur einen seiten hat sie die See/ zur andern allenthalben ein lautern Sumpff und Morast/ dergestalt/ daß man von Harlem auß/ stetigs auff einem auffgeworffnem Dam oder Teich fahren muß/ ist sonsten ein schöne grosse und Volckreiche Statt.“ Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. f. Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. . Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. , S. , S. . Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. . Über Groningen schreibt er etwa: „Encore que ceste ville ne soit assise dessus aucune riviere de marque, la proximité de la mer & la planeure du païs ou elle est, a ouvert le moyen de faire plusieurs canaux par le païs & dans leur ville, qui la rendent extremement commode & marchande: d’ou provient sa richesse, qui convie les habitants de la bien bastir, comme il se voit qu’à veue d’œil elle s’embellit de belles maisons. La seureté qu’ils prenent de leurs bonnes fortifications ne nuit encor à cela.“ Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. f. Ähnlich bis wortgleich sind die Beschreibungen zu Lewarden (S. ), Amsterdam (S. f.), Den Haag (S. f.),
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etwa sei „une des belles villes du monde“ und Den Haag „le plus beau, le plus grand, & le plus riche village de la Chrestienté“.⁵⁷ Holland ist für den Franzosen dabei klar die „beste“ unter den Provinzen, mit den schönsten Städten, die mit Reichtum, Bevölkerungsanzahl und schönen Gebäuden glänzen könne.⁵⁸ Wie Guicciardini geht er auf die geographische Lage Hollands, den Ursprung als antikes Batavia, die Etymologie des Namens „Holland“ und die Geschichte ein, bis zu dem Zeitpunkt, als sie als eine der ersten Provinzen die Freiheit erlangt hätte.⁵⁹ Auch hier verweist er auf fruchtbar gemachtes Weideland und die effektiven Techniken des Deichbaus. Amsterdam schließlich vergleicht er zunächst explizit über eineinhalb Seiten mit Venedig. In vielen Aspekten wie der Lage am/im Wasser, der Anlage mit Kanälen und Brücken, dem Reichtum, der Schönheit sowie den Hervorbringungen in Architektur und Kunst würden beide Städte, obwohl Venedig alt und Amsterdam relativ neu seien, Parallelen aufweisen.⁶⁰ Allein Venedig sei „chef“ des venezianischen Staates, Amsterdam nur eine „bien petite partie“ des ihren.⁶¹ Zweimal verwendet Rohan hier das Wort „Republique“ für beide Gemeinwesen. Wenn er damit bereits die nicht-monarchische, republikanische Staatsform bezeichnet haben wollte, so führt er es zumindest in diesem Text nicht weiter aus.⁶² Wie Guicciardini verweist Rohan sodann auf die guten Leiden (S. ff.), Rotterdam (S. ), Dordrecht (S. ) und Middelburg (S. f.). Zu den Techniken der Landgewinnung und Erfinderreichtum vgl. S. , S. und S. . Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. und . Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. : „[…] la Hollande, qui est la meilleure Province des Estats unis. […] plus belles villes qui se voyent, tant en richesses, comme en nombre de peuple & beaux edifices.“ Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. : „[…] Hollande est tombée en la maison de Bourgoigne, & la maison de Bourgoigne en celle d’Espaigne; qui l’ayant par leur cruauté perduem elle est des premieres Provinces qui se soient mises en liberté, & la principare de tout le parti des Estats.“ Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. f.: „Apres Venise je ne vois point de ville plus admirable qu’Amsterdam, qui mesme luy ressemble en beaucoup de choses en son assiette. […] elle ne laisse d’en approcher en ressamblance. Elles sont toutes deux basties universellement sur pilotis. Venise est fort ancienne: amsterdam assés nouvelle. Mais pour cela peu de villes en la Chrestienté les esgalent ou approchent en richesses & en beauté. L’une & l’autre comme Republiques sont magnifiques en edifices publics: toutes deuy fertiles à produire de bons ouvriers, particulierement des peintres. Bref je ne trouve rien en l’une qui n’ait beaucoup de conformité en l’autre […].“ Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. : „[…] sinon que Venise est chef de ceste belle Republique, qui est la plus florissante de l’Europe: Amsterdam n’est de la sienne qu’une bien petite partie.“ Thomas Maissen (Die Geburt der Republic, S. ) datiert die ersten neutralen Verwendungen des Begriffs „république“ als Bezeichnung für einen Freistaat im französischen Sprachgebrauch auf das Ende des . Jahrhunderts. Innenpolitisch sei das Wort „spätestens seit den Zeiten von
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Befestigungsanlagen, die Masse an Schiffen mit unterschiedlichen Waren aus aller Welt, die schönen öffentlichen Gebäude, die Waisen- und Armenhäuser und die Kanäle der Stadt. Insgesamt finden sich also bei dem Franzosen dieselben Elemente und positiven Vokabeln der Beschreibung wie bei dem florentinischen Vorläufer. Allerdings betrachtet er die sieben Vereinigten Provinzen nun als unabhängige politische Entität. Zudem lässt die Darstellung des spanischen Vorgehens in den Niederlanden klar Rohans protestantischen und französischen Hintergrund erkennen. Philipp II. wird als „Tyran“ bezeichnet⁶³ und die „infidelité & cruauté des Espaignols“ anhand einer Episode in Harlem beispielhaft ausgeführt.⁶⁴ Nachdem die Niederländer, auch mit Hilfe einiger Franzosen, einer Belagerung einige Zeit Stand gehalten hätten, hätten sie sich freiwillig ergeben, unter dem Versprechen des Herzogs von Alba mit dem Leben davon zu kommen. Alba habe daraufhin sein Versprechen gebrochen, alle entwaffnet und kaltblütig, ohne Respekt vor dem Ort, in einer Kirche ermordet. Dies sei Zeugnis einer „cruauté plus que barbare“.⁶⁵ Rohans Darstellung fügt sich gut ein in die Rhetorik der französischen Außenpolitik, in der die kleinen Freistaaten Europas um 1600 als Verbündete gegen die spanische Hegemonie in Europa betrachtet wurden. 1596 hatte sich Frankreich mit England und den Generalstaaten im Dreibund gegen Spanien verbündet. Im Jülich-Klevischen Erbfolgestreit sollte die französisch-niederländische Kooperation 1608 dann fortgesetzt werden.⁶⁶ Die Darstellung Rohans spiegelte zudem ebenso gut die niederländische Propaganda des eigenen Freiheitskampfes gegen die „tyrannischen“ Spanier.
3.2 Antike Freiheit und kettensprengende Hollandia Die „Schwarze Legende“ der spanischen Gewaltherrschaft war spätestens seit der Übernahme der Führungsrolle in der niederländischen Revolte durch Wilhelm I. Henri IV im innenpolitischen Zusammenhang negativ konnotiert.“ (S. ). Und auch Rohan verwendet den Begriff im Kontext der religiösen Auseinandersetzungen pejorativ. (Vgl. Salmon, John H.M.: Rohan and Interest of State. In: Staatsraison. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs. Hrsg. von Roman Schnur. Berlin . S. – , S. f.). Es ist also durchaus davon auszugehen, dass Rohan sich der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Begriffs bewusst war und er es in seinem Reisebericht bewusst benutzte, um die nicht-monarchische Verfassung der Niederlande und Venedigs zu kennzeichnen. Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. . Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. f. Rohan, Voyage du Duc de Rohan, S. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. .
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von Oranien (1533 – 1584) im Jahr 1568 und dessen sogleich initiierter Propagandaoffensive Teil der anti-habsburgischen Rhetorik.⁶⁷ Wilhelms Sekretär Marnix van St. Aldegonde (1540 – 1598) und weitere Propagandisten nahmen Argumente der anti-spanischen Literatur auf, die in Italien zuvor während Auseinandersetzungen mit den Spaniern (1494– 1527) entstanden war, und fügten ihre eignen Schwerpunkte hinzu.⁶⁸ Dabei machten sie unmissverständlich deutlich, dass der bewaffnete Widerstand der einzig mögliche Weg sei, die Niederlande von der Tyrannenherrschaft zu befreien.⁶⁹ Während zunächst die Inquisition im Mittelpunkt der kritischen Pamphlete stand, richtete sich die Rhetorik ab 1570 immer stärker gegen die tyrannischen Methoden des spanischen Statthalters in den Niederlanden, dem Herzog von Alba. Einen erneuten Schub erfuhr die Propaganda im Anschluss an die Plünderung Antwerpens durch spanische Soldaten im November 1576. Philipp II. konnte den Soldaten ihren Sold nicht mehr zahlen und so plünderten diese mehrere Tage die Handelsstadt. Das in der Folge als Spanish Fury bezeichnete Ereignis wurde in zahlreichen Pamphleten und Kupferstichen als Beweis der Grausamkeit aller Spanier gewertet und gab einen entscheidenden Impuls zur Einigung der bis dahin noch konfessionell unterschiedlich geprägten Provinzen der Niederlande in der Pazifikation von Ghent.⁷⁰ Zielte die Propaganda bis dato noch nicht auf den spanischen König als Person ab, so änderte sich dies mit Wilhelms Apologie, die er als Reaktion auf den Bann durch Philipp II. im Juni 1580 veröffentlichte. Darin diffamierte er den spanischen König unter anderem als
Vgl. dazu Israel, Dutch Republic, S. f.; Pollmann, Judith: Eine natürliche Feindschaft: Ursprung und Funktion der Schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden, – . In: Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der Politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. Hrsg. von Franz Bosbach. Köln . S. – ; Schama, Simon: The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age. London . S. f. und S. – ; Ittersum, Julia Martine van: Profit and Principle. Hugo Grotius, Natural Rights Theories and the Rise of Dutch Power in the East Indies – (Brill’s Studies in Intellectual History ). Leiden/Boston . S. – . Vgl. van Ittersum, Profit, S. . Koenraad Wolter Swart benennt in seinem erschienenen Aufsatz vier neue Themenbereiche, die in den Niederlanden der „Legende“ hinzugefügt und bezogen auf die eigene Situation entwickelt wurden: ) die als teuflisch verurteilten Machenschaften der Spanischen Inquisition, ) das Anprangern der privaten Verfehlungen Philipps II., ) der Verweis auf Spaniens Plan eines universalen Reiches und ) die dem spanischen Volk angeborene Grausamkeit und Brutalität (Swart, Koenraad Wolter: The Black Legend during the Eighty Years War. In: Britain and the Netherlands. Some Political Mythologies. Papers Delivered to the Fifth Anglo-Dutch Historical Conference. Hrsg. von J.S. Bromley u. E. H. Kossmann. Den Haag . S. – . S. ). Vgl. Israel, Dutch Republic, S. . Vgl. Israel, Dutch Republic, S. .
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Inzest und Bigamie praktizierenden Kindsmörder.⁷¹ Die Rhetorik der Niederländer nahm dabei insgesamt starke Anleihen an den Texten und bildlichen Darstellungen rund um die Brevísima Relación (Erstausgabe Frankfurt 1598) des Dominikaners Bartolomé de las Casas (1484/1485–-1566), die die Vorgehensweisen der spanischen Conquista in der Neuen Welt als barbarische Grausamkeit kennzeichneten.⁷² Die Niederländer wollten nicht länger erobert, unterdrückt und versklavt werden wie die Ureinwohner Südamerikas, so die Aussagen der Pamphlete. Diese Vorstellung des freien Gemeinwesens, das sich aus den Ketten der spanischen Sklaverei befreie, fand auch in bildlichen Darstellungen seinen Ausdruck. Auf einer niederländischen Medaille von 1583 wird die holländische Magd, die zusammen mit dem Leo Belgicus – seit 1578 offizielles Wappentier der Niederlande – erscheint, in der Darstellung auf der Vorderseite von einem spanischen Edelmann an Ketten genagelt. Auf der Rückseite hat sich die Magd von diesen Ketten befreit und gibt dem Spanier ihren Ehering zurück. Die Umschrift der Medaille unterstreicht dabei die Aussage: UBI REX IN POPULUM TYRANNUS POPULO JURE D[IVINO] ET H[UMANO] DIVORTIUM.⁷³ Wie in Venedig entwickelte sich in den Niederlanden bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Topos einer weiblichen Personifikation, zunächst der Belgia, dann vor allem der Hollandia, der je nach Kontext mit unterschiedlicher Metaphorik aufgeladen werden konnte. Hier ist es die Metaphorik der Ehe: das Gemeinwesen, zunächst in Ketten gelegt, trennt sich selbständig vom tyrannischen Ehemann und wählt stattdessen – so stellt es eine andere Medaille dar – freiwillig einen neuen Beschützer: Wilhelm I. von Oranien.⁷⁴ Häufig findet sich die Darstellung einer Hollandia in Verbindung mit dem biblischen Motiv des hortus conclusus. Anstelle der keuschen Braut Maria, die ihrem Bräutigam Jesus in einem Garten gegenübersteht, ist es nun die niederländische Jungfrau, die im Garten durch den Löwen vor den tyrannischen, erobernden Spaniern geschützt werden muss.⁷⁵ Nicht selten finden
Siehe Kossmann/Meilink, Texts of the Revolt, S. – ; Vgl. van Ittersum, Profit, S. . Vgl. van Ittersum, Profit, S. – ; Schmidt, Benjamin: Innocence Abroad. The Dutch Imagination and the New World, – . Cambridge . S. – . S. – . S. – . Die Medaille ist abgedruckt in: Explication historique des principales médailles frapées pour servir à l’histoire des Provinces-Unies des Pays-Bas. . Aufl. Amsterdam . S. f. Nr. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Siehe die Medaille in: Explication historique, S. f., Nr. .Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. Gamboni, Dario/Germann, Georg/ de Capitani, François: Zeichen der Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des . und . Jahrhunderts (Bernisches Historisches Museum . Juni bis . September ). Bern . S. . S. – ; Möbius, Helga: Frauenbilder für die Re-
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sich in diesen Darstellungen des Gartens in der niederländischen Publizistik auch das Motiv des Orangenbaums, der die Oranier-Dynastie symbolisierte, und das Motiv der Kuh, die einerseits die Friedfertigkeit der Vereinigten Provinzen, andererseits auch das wirtschaftliche Potential symbolisieren sollte, das andere Mächte versucht hätten zu melken.⁷⁶ Zentrales Element des niederländischen Selbstverständnisses blieb aber die Freiheit. Schon von Beginn der Revolte an wurde Freiheit als politischer Kernwert präsentiert, aus dem Wohlstand und Gerechtigkeit resultieren würden. Dabei war die Freiheit des Gemeinwesens untrennbar mit der Freiheit und dem Wohlstand des Einzelnen verknüpft.⁷⁷ Symbolisch wurde die Freiheit von niederländischen Künstlern im 16. und 17. Jahrhundert durch eine Vielzahl von Varianten ausgedrückt und aufgegriffen – etwa durch den an vielen Stellen präsenten Freiheitshut oder die als vrijhijt betitelte allegorische Darstellung der Republik.⁷⁸ Auch eine sich auf Tacitus und die römische Antike berufende Vergangenheitskonstruktion, der sogenannte „Bataver-Mythos“, sollte die Freiheit des niederländischen Gemeinwesens unterstreichen und beweisen, dass eine solche Freiheit schon seit jeher Bestand gehabt hätte. Im engsten Umfeld von Erasmus von Rotterdam (1466?–1536) und der humanistischen Debatte um eine nationale Identität propagierte der aus Gouda stammende Mönch Cornelius Aurelius (ca. 1460 – 1531) die These, dass die Holländer von den antiken Batavi abstammen würden, jener Volksgruppe, die, gemäß Tacitus, unter Führung des batavischen Adligen und römischen Präfekten Iulius Civilis 69/70 n.Chr. erfolgreich gegen die Römer revoltiert und ihre Unabhängigkeit erlangt hätte.⁷⁹ Bei Cornelius Gerardi Aurelius (ca. 1460 – 1531) sollte der Bataver-Mythos in seiner Defensio Gloriae Batavinae (1510) vor allem dazu dienen, eine Identifikationsgemeinschaft herzustellen. Die Provinzen sollten sich als eine politische, moralische und kulturelle
publik. In: Gamboni, Zeichen der Freiheit, S. – , S. f.; Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. Gamboni, Zeichen der Freiheit, S. f.; Schäfer, Christoph: Löwe, Kuh und Orangenbaum. Politische Symbolik in der Republik. http://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nlwissen/geschichte/vertiefung/ anfaenge/loewe.html (. . ); Schama, The Embarrasment of the Riches, S. . Vgl. van Gelderen, Political Thought, S. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f.; Gambonii/Germann/De Capitani, Zeichen der Freiheit, S. , S. f. und S. – ; Maissen, Der Freiheitshut, S. – . Vgl. Israel, Dutch Republic, S. und ; Schöffer, Ivo: The Batavian Myth during the Sixteenth and Seventeenth Century. In: Veelvorming verleden. Hrsg. von Dems. Amsterdam . S. f. Zum antiken Bataveraufstand siehe Dietz, Karlheinz: Art. Bataveraufstand. In: Der Neue Pauly. Hrsg. von Hubert Cancik, Helmuth Schneider u. Manfred Landfester. Leiden/Boston . http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e (. . ).
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Einheit empfinden. Dies rief durchaus Gegenwind hervor, vor allem in der Schrift Historia Batavica (1530), die die Vorfahrenschaft der Batavier für die Gelderländer und nicht für die Holländer postulierte.⁸⁰ Spätestens seit Beginn der Revolte aber wurden jene freiheitsliebenden und in Freiheit lebenden, heroischen und tugendhaften Batavi als Erblasser für alle Niederländer in Anspruch genommen.Vor allem in den 1580er wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die sich mit der Geschichte des Bataveraufstandes befassten, und Leiden, bekannt für die guten Tacitus-Studien seiner Universität, erhielt den lateinischen Namen Lugdunum Batavorum. ⁸¹ Hugo Grotius 1610 veröffentlichte Studie De Antiquitate Reipublicae Batavicae kann schließlich als Kulminationspunkt dieser (kollektiven) Geschichtskonstruktion gelten.⁸² Die Niederländer, so Grotius, seien wie die Batavi schon immer von den ottimati, den Oberen, repräsentiert durch die Generalstände, regiert worden. Seit der Antike seien sie ein freies, sich selbst-regierendes Volk gewesen. Niemals hätten sie einem König unterstanden und immer die gegen die Römer erlangte Freiheit aufs Äußerste verteidigt.⁸³ Diese Deutung der eigenen Vergangenheit wurde in der Folge immer wieder prominent in Literatur und Kunst aufgegriffen, etwa in Joost van den Vondels (1587– 1679) Drama Batavische gebroeders of Onderdruckte vryheit (1663). Vor allem in der Provinz Holland verwies man immer wieder auf die Batavi, um die eigene, republikanische Vergangenheit hervorzuheben. Bei der Gestaltung des neuen Amsterdamer Rathauses 1650 zum Beispiel wurden verschiedene Künstler beauftragt, den der Öffentlichkeit zugänglichen Bürgersaal mit einer Bilderserie über den Bataveraufstand zu schmücken. Rembrandts (1606 – 1669) Entwurf des ersten Abschnittes der Geschichte hing allerdings 1662 nur kurz, bevor er, vermutlich aufgrund der angedeuteten Krone auf dem Haupt des Iulius Civilis, wieder abgenommen und ersetzt wurde.⁸⁴ Das dominante und nach außen getragene Selbstbild der Vereinigten Provinzen der Niederlande war jene Vorstellung des freien, selbstständigen Gemeinwesens, das auf der Souveränität des Volkes beruhte, sich rechtmäßig der Tyrannenherrschaft widersetzt habe und dessen Erhalt von der Tugendhaftigkeit seiner Bürger abhing. Dieses Bild wurde während der Revolte entwickelt und auch
Vgl. Israel, Dutch Republic, S. f. Vgl. van Gelderen, Political Thought, S. . Der Text erschien im selben Jahr auch in niederländischer Übersetzung (Tractaet vande Oudtheyt vande Batavische nu Hollandsghe Republique. Den Haag ).Vgl.van Gelderen, Political Thought, S. ; Israel, Dutch Republic, S. f. Vgl. van Gelderen, Political Thought, S. f. Vgl. Israel, Dutch Republic, S. .
3.3 Die Vereinigten Provinzen im Blick: Freiheitskampf und Wirtschaftspotential
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im 17. Jahrhundert weiter vertreten.⁸⁵ Es war in seinen Grundzügen stark protestantisch geprägt, allerdings wurde über das genaue Verhältnis von Staat und Kirche konfliktträchtig diskutiert.⁸⁶ Immer wieder spielten dabei vor allem ökonomische Überlegungen eine Rolle. Auch die ideale Verfassungsstruktur blieb ein Punkt von Auseinandersetzungen, etwa mit Blick auf die Funktion und Notwendigkeit des Statthalteramtes oder die Einflussmöglichkeiten der Provinzialstände. Der Grundzug als traditionell freies und auf Volkssouveränität beruhendes Gemeinwesen wurde aber seit der Revolte von nahezu allen Gruppierungen nicht mehr in Frage gestellt.⁸⁷ Ein Herrscher oder Statthalter konnte allenfalls kontraktualistisch eingesetzt werden. Dennoch entwickelte sich eine genuin republikanische politische Theorie erst ab den 1650er Jahren im Umfeld der sogenannten Regentenrepublikaner um Johan De Witt (1625 – 1672).⁸⁸
3.3 Die Vereinigten Provinzen im Blick: Freiheitskampf und Wirtschaftspotential Als eine Art Bindeglied der Vereinigten Provinzen mit der Publizistik im Reich könnte man den Emdener Syndikus Johannes Althusius (1563 – 1638) beschreiben.⁸⁹ Seine in der calvinistischen Tradition begründete Widerstandstheorie wurde von vielen Niederländern rezipiert, gerade wenn es um die Rechtfertigung der Revolte ging. Andersherum nutzte Althusius das Beispiel der Vereinigten Provinzen in seinem Werk Politica (zuerst 1603) und widmete die dritte überarbeitete Auflage von 1614 gar den Ständen von Friesland, lobte sie für ihren tugendhaften Widerstand gegen die Tyrannenherrschaft und rief andere auf, diesem Beispiel zu folgen: „[…] virtutes vestras, quibus Remp. vestram per Dei gratiam à tyrannide & interitu, non solùm vindicastis, & conservastis, sed etiam illustriorem reddidistis, ego aliis imitandas publicè commendarem.“⁹⁰ Die Verfassungsform
Vgl. u. a. van Gelderen, Political Thought, S. f. Vgl. u. a. zur Auseinandersetzung zwischen Arminianern und Gomaristen Israel, Dutch Republic, S. ff. Ein guter Überblick über die theologischen und politischen Auseinandersetzungen findet sich bei Israel, Dutch Republic; van Gelderen, Political Thought; Kossmann, Ernst Heinrich: Political Thought in the Dutch Republic. Three Studies (Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, afd. Letterkunde, Nieuwe Reeks ). Amsterdam . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Zu Johannes Althusius und seiner politischen Theorie vgl. Hueglin, Thomas O.: Early Modern Concepts for a Late Modern World. Althusius on Community and Federalism. Waterloo . Althusii, Johan.: U.J.D., Politica. Methodicè digesta atque exemplis sacris & profanis illustrata; Cui in fine adjuncta est Oratio Panegyrica, De necessitate, utilitate & antiquitate scholarum. Editio
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der Niederlande ist für Althusius allerdings nicht von Belang. Gemäß der Logik der Politica beschreibt er sie als Föderation verschiedener Provinzen und Regionen, von der die souveränen Hoheitsrechte ausgehen, die aber sowohl Einem als auch Vielen übertragen werden könnten.⁹¹ Die Beschreibung des Emdeners konnte folglich vor allem zur Rechtfertigung der niederländischen Revolte als legitimer, von den ständischen Vertretern durchgeführter Widerstand und weniger zur Klassifizierung des neuen Staatengebildes herangezogen werden.⁹² Etwas genauer wagt es rund dreißig Jahre später der Tübinger Professor Christoph Besold (1577– 1638), der Althusius positiver Bewertung eines Herrschaftsvertrages zwischen denen das Volk repräsentierenden Vertretern und einem oder mehreren Ausführenden der Hoheitsrechte in weiten Strecken folgt.⁹³ Er charakterisiert die Vereinigten Provinzen als „status mixtum“, in dem die Freiheit des Einzelnen durch den Rechtsstaat gesichert werde.⁹⁴ In Reisebeschreibungen aus dem Raum des Reichs, die für die Zeit bis 1670 sehr spärlich überliefert sind, wird die Frage der Verfassung und der politischen Organisation kaum thematisiert. Man betont vielmehr das wirtschaftliche Potential der Vereinigten Provinzen sowie die Ordnung und Sauberkeit.⁹⁵ Für dietertia, duabus prioribus multo auctior, Herbornae Nassoviorum . Praefatio o.P. (Faksimiledruck der . Auflage Herborn . Aalen ). Vgl. auch Dunthorne, Resisting Monarchy, S. . Althusius, Politica, S. – (. – ). („Belgicarum confederatarum provinciarum munera & collegia clarissimus vir Ubbo Emmiu, amicus meus […] describit hoc modo. Collegia & munera, inquit, sunt duplicia: quorum alias foris, alia domi geruntur & habentur. Quae foris, sessiones sunt in collegiis amplissimis, quae communia sunt omnibus in federe comprehensis: eaque sunt tria. Primum est id, quod generalium ordinum nomen habt, honore & potestare summum, totius federis & Reipub. Communis caput; […].“ (S. ).) Zur Souveränitätstheorie in der Politica vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. Kossmann, Political Thought, S. . Zu Christoph Besold vgl. Stolleis, Michael: Christoph Besold. In: Juristen. Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum . Jahrhundert. Hrsg. von Dems. München . S. f.; Maissen, Geburt der Republic, S. . Besold, Christoph: Dissertatio Politico-Iuridica, De majestate in genere […] Accedit: Tractatio singularis de reipublicae statu mixto. Straßburg . S. – . Die publizierte Zusammenfassung der Tagebücher der Reise von Christian Ernst, Markgraf von Brandenburg ( – ), durch den protestantischen Dichter Sigmund von Birken ( – ) etwa ähnelt noch immer stark jenen Beschreibungen des ausgehenden . Jahrhunderts. Birken, Sigmund von: HochFürstlicher Brandenburgischer Ulysses: oder Verlauf der LänderReise/ welche Der Durchleuchtigste Fürst und Herr Christian Ernst/ Marggraf zu Brandenburg/ zu Magdeburg/ in Preussen/ zu Stettin/ Pommern/ der Cassuben und Wenden/ auch in Schlesien zu Grossen und Jägerndorf/ Herzog/ Burggraf zu Nürnberg/ Fürst zu Halberstadt/ Minden und Cammin/ durch Teutschland/ Frankreich/ Italien und die Niderlande (auch nach Spanischen Frontieren/ hochlöblichst verrichtet: aus denen mit Fleiß gehaltenen Reis-Diariis
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jenigen, die die Vereinigten Provinzen als Nicht-Niederländer beschreiben wollten, waren es daher auch weniger die Texte der konkreten politischen Auseinandersetzungen, als vielmehr die historischen Werke, die sie als Quellen für die eigene Darstellung interessierten. Dabei waren vor allem ausführliche Beschreibungen einzelner Provinzen gefragt wie die 1588 mit dem Titel Batavia erschienene historische Beschreibung der Provinz Holland des Humanisten und Historikers Hadrianus Junius (1511– 1576) oder das ebenfalls auf Holland beschränkte Theatrum Hollandiae (1632).⁹⁶ Zudem diente neben Guicciardini vor allem das Überblickswerk des niederländischen Geographen Johannes de Laet (1581– 1649), Belgii confoederati respublica (1630), als wichtiger Referenzpunkt. Auch Sammelbände wie Petrus Scriverius‘ (1576 – 1660) Respublica Hollandiae et urbes (1630) oder Sigismund Feyerabends (1528 – 1590) Annales, sive Historiae Rerum Belgicarum, a diversis auctoribus […] (1580), die Auszüge aus Guicciardini und niederländischen Autoren wie Grotius oder Geldenhauer (1482– 1542) zusammen veröffentlichten, erfreuten sich eines regen Zuspruchs.⁹⁷ Franz Petri verweist in seinem 1969 publizierten Vortrag zum „Deutschen Niederlandebild und seinen Wandlungen“ auch auf negative Stimmen mit Blick auf Holland zu Beginn des 17. Jahrhunderts.⁹⁸ Als Beispiel führt er den Bericht eines hessischen Diplomaten an, welcher 1630 Juliane von Nassau-Siegen (1587– 1643) über die niederländische Einstellung zur Lage der Protestanten im Reich informieren sollte. Wann und ob dieser Bericht auch gedruckt wurde, geht aus Petris Ausführungen leider nicht hervor.⁹⁹ Insgesamt, so die Einschätzung des Berichts, würde die holländische Kaufmannsindustrie sich nicht für die Belange der Glaubensgenossen im Reich interessieren und aus eigennützigen, wirtzusammengetragen und beschrieben durch Sigmund von Birken C.Com.Pal. Bayreuth (bey Johann Gebhard) . Von Birken, der sich namentlich auf Guicciardini bezieht (S. ), verweist in seinem Kapitel mit dem Titel Reise durch die Niderlande (sic) vor allem auf die Kirchen, die schönen Frauen, den durch „grosse Handelschaft“ erlangten Reichtum, die Brücken, Kanäle, Windmühlen und die guten Befestigungen der einzelnen Städte. Er erwähnt dabei zwar Den Haag als Sitz des Statthalters und der Generalstände, sagt aber nichts über deren Zusammensetzung oder politischen Aufgaben. Stattdessen führt er die schon stereotyp erwähnte Legende jener Bürgerin Den Haags an, die so viele Kinder wie Tage im Jahr geboren hätte (S. ). Auch bei ihm finden sich der Vergleich Amsterdams mit Venedig und der Hinweis auf den unvergleichlichen Reichtum der Stadt (S. ). Vgl. van Strien, British Travellers, S. f. Vgl. van Strien, British Travellers, S. f. Vgl. Petri, Vom deutschen Niederlandebild, S. f. Vgl. Petri,Vom deutschen Niederlandebild, S. verweist auf Tongerloo, L.Van: Een Hessisch diplomaat over de Staatse politiek ten opzichte van Duitsland (). In: Bijdragen en Mededelingen van het Historisch Genootschap () . S. f. (leider für die vorliegende Arbeit zur Einsicht nicht verfügbar).
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schaftlichen Interessen ein konfessionelles Gleichgewicht im Reich befürworten. Petri leitet aus dieser Quelle und einigen Beispielen aus der Zeit nach 1670 ein negatives „deutsches Niederlandebild“ bis zum Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. ab.¹⁰⁰ Die in der vorliegenden Arbeit herangezogenen Quellenbeispiele und die insgesamt sehr spärliche Überlieferung von Abhandlungen und Reiseberichten aus dem Reich mit Blick auf die Niederlande, die Julia Bientjes auf den Dreißigjährigen Krieg zurückführt,¹⁰¹ lassen diese These für die Zeit vor 1670 aber nicht haltbar erscheinen.Vielmehr präsentierten die überlieferten, zeitgenössisch publizierten Quellentexte ein nahezu durchweg positives Bild der Vereinigten Provinzen in der Reichspublizistik bis 1670, das sich kaum von den Darstellungen der Niederlande vor 1609 unterschied.¹⁰²
Petri, Vom deutschen Niederlandebild, S. . Vgl. Bientjes, Holland und die Holländer, S. . Vgl. etwa die Darstellung bei dem Dichter Philipp von Zesen ( – ), der in seiner rund Seiten starken Beschreibung Amsterdams von jedes erdenkliche öffentliche Gebäude der Stadt samt Erläuterung der Funktion und meist mit einem dazugehörigen Kupferstich darstellt. (Filips von Zesen Beschreibung der Stadt Amsterdam: darinnen von Derselben ersten ursprunge bis auf gegenwärtigen zustand/ ihr unterschiedlicher anwachs/ herliche Vorrechte/ und in mehr als Kupfer-stükken entworfene führnehmste Gebeue (sic)/ zusamt ihrem Stahts-wesen/ Kaufhandel/ und ansehnlicher macht zur See/ wie auch was sich in und mit Derselben märkwürdiges zugetragen/ vor augen gestellet werden. Mit Röhm. Keiserl. Majestäht Privilegio. Zu Amsterdam (gedruckt und verlegt durch Joachim Moschen) . Neu ediert auch in: Zesen, Philipp von: Sämtliche Werke. Hrsg. von Ferdinand van Ingen (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII Jahrhunderts). Bd. : Beschreibung der Stadt Amsterdam. Berlin/New York . Die hier angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf den Originaldruck von . Die Datierung der Vorrede auf das Jahr war wohl politisch motiviert, weil im selben Jahr die Stadtbeschreibung Olfert Dappers ( – ) erschienen war. Vgl. Nachwort des Herausgebers in von Zesen, Sämtliche Werke, S. f.) Das „innere wesen der Stadt“ habe, so von Zesen, „eine recht gewünschzte volkommene gestalt gewonnen, das dem eussserlichen derselben […] in seiner reinligkeit und zierde“ entspreche (S. ). Er habe die Beschreibung in deutscher Sprache verfasst, um das Wissen über „das weltberufene amsterdam/ die helleuchtende Perle des gantzen Niederlandes“ zu verbreiten und touristische Anreize zu schaffen. (Widmung, o.P.). Die einzige kritische Bemerkung mit Blick auf die Handelsstadt, deren Ursprünge er in Parallelität zu Rom setzt, bezieht sich auf die „faulen ausgedünsteten dämpfe“, die die Kanäle und die niedrige Lage an der See mit sich bringen würden (S. ). Insgesamt kommt seine Beschreibung aber vielmehr einer Glorifizierung Amsterdams gleich, deren Einwohnerinnen, den „mächtigen Amstelinnen“, er die Abhandlung widmet und deren Charakter er mit Hilfe einer Personifikation auf dem Kupferstich des Titelblatts und der dazu verfassten Erläuterung zusammenfasst (Titelblatt): „Hier siehstu Amsterdam mit ihres Wapens Krohne/ die Sie vom Keiser selbst empfing zum ehren-lohne/ vor Ihren treuen dienst. Sie helt die Welt im Schoß/ die selbst ein auszug ist der Welt. Das Schilf und Moß/ zusamt der Muschel/ trit Sie nun mit ihren füßen;
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Ein solches Bild lässt sich auch für die französischen Reiseberichte über die Niederlande in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts konstatieren, die trotz eines regen Stroms französischer Studenten und Intellektueller nach Leiden und Amsterdam sowie touristischer Besucher französischer Soldatenregimenter in den Vereinigten Provinzen in sehr geringer Zahl publiziert wurden.¹⁰³ Der Pariser Pilgerreisende Nicolas Benard, der in seinem 1621 publizierten Bericht über die Fahrt ins Heilige Land die Beschreibung seines Rückweges durch die Niederlande integrierte, berichtete in seiner Darstellung der einzelnen Städte und Landschaften nichts, was über die Beschreibungen Guicciardinis oder Münsters hinausgehen würde.¹⁰⁴ Aussagen zur politischen Struktur und Institutionen, zu Wirtschaft- oder Sozialleben finden sich bei dem Pariser Pilger nicht. Auffällig ist allein sein geäußertes Missfallen hinsichtlich der Nutzung der vielen prächtigen, ehemals katholischen Kirchen, die jetzt „les spelonques des secretaires de la
daraus Sie/ gleich ein Palm-und Zeder-Baum/ sahm schiessen/ und stieg so hoch entpohr. Das treue Hündlein wacht üm dis ihr erstes Bett’und Wiege tag und nacht. Zur rechten stehn die Fisch-Schiffahrts- und Handels-frauen: zur linken laßen sich Glük/Ehr/ und Reichtuhm schauen. Vor Ihr erscheint das Volk der weiten Welt/ und trägt/ was iedes Landes art an teuren Schätzen hägt.“ Vgl. van Strien-Chardonneau, Le Voyage de Hollande, S. – ; Cohen, Gustav: Écrivains français en Hollande dans la première moitié du XVIIe siècle. Paris ; Murris, La Hollande, S. – nennt inklusive des Reiseberichts des Duc de Rohan lediglich drei zeitgenössisch publizierte französische Berichte bis , die sich zumindest teilweise mit den Niederlanden beschäftigen. Benard, Nicolas: Le Voyage de Hierusalem et autre Lieux de la Terre. Faict par le Sr. Benard Parisien Chevalier de l’ordre du Sr. Sepulchre de notre Seigneur Iesus Christ. Ensemble son retour par l’Italie, Suisse, l’Allemagne, Holande (sic) et Flandre, En la tres Fleurissante et Peuplee Ville de Paris. A Paris (chez Denis Moreau) . Die Städte seien schön und dicht bevölkert und gut befestigt, ja zum großen Teil uneinnehmbar (Benard, Le Voyage, S. (Nimeghen), S. (Utrecht: „[…] un lieu un peu eslevé&fortifié de digues avec grands fossez&canaux […] ce qui la rend plus plaisante & nette. Elle est au reste bien fermee de fortes tours & bonnes mures Iles&ornee de beax bastimens&edifices.“ ), S. (Amsterdam: „[…] qui est fort grande&magnifique soit en somptueux bastimens publics&particuliers, soit pour les belles, grandes&larges rues […] Quant à ses murailles bouleverts & autres fortifications elle est à la voir imprenable.“ ), S. (Leiden), S. (Den Haag: „La Haye appellé Haghe en Flamand est le plus grand, le plus riche&beau village à ce que l’on tient qui soit en l’Europe. […] tant de beaux&superbes edifices.“), S. (Delft), S. (Rotterdam), S. (Dordrecht)). Das Land sei durchaus fruchtbar oder zumindest bewirtschaftbar gemacht worden (S. ). Benard ist beeindruckt von den schönen Straßen und Gebäuden, den vielen Kanälen, dem Deichbau und der Waren- und Schiffvielfalt in Amsterdam (S. – und S. f. zu Rotterdam).
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fausse opinion & erreur de Luther & Calvin“ seien, „lesquels avec leurs compagnong & disciples ont presque infecté toute la Hollande & l’Allemagne au grand regret des bons catholiques“.¹⁰⁵ Während dieses „infizierte Holland“ für die Protestanten in Frankreich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durchaus zum politischen Orientierungspunkt wurde und etwa bei protestantischen Versammlungen und Aufständen in Protesthochburgen wie La Rochelle und Grenoble in den 1620er Jahren als präsentes Vorzeigemodell innerhalb der Diskussion fungierte,¹⁰⁶ schlug sich dieses verstärkte Interesse bis 1650 noch nicht in der Zahl und dem Inhalt der publizierten Abhandlungen nieder. Eines der wenigen Traktate, das sich mit der Beispielhaftigkeit der Niederlande im Sinne einer legitimen Verteidigung der ursprünglichen Freiheit gegen den zum Tyrannen degenerierten Herrscher beschäftigte und auch gedruckt wurde, ist der Discours Politique sur l’estat des Provinces Unies des Paysbas des noch jungen Literaten Jean-Louis Guez de Balzac (1594– 1654).¹⁰⁷ Der Text, den der spätere Historiographe de France auf einer Studienreise nach Holland um 1617 verfasste und der wahrscheinlich ohne Balzacs Zustimmung 1638 in Leiden gedruckt wurde,¹⁰⁸ rechtfertigte die niederländische Revolte gegen den spanischen König als legitimen Krieg im Sinne des „droit de nature“ und der Bewahrung der Religion.¹⁰⁹ Die nun schließlich auch von den Spaniern als souverän anerkannte Republik, so schließt Balzac, werde ewig Bestand haben. Sie sei eines der größten und – gemessen an ihren vielen Siegen – ältesten Gemeinwesen der Welt. Die Freiheit der Einwohner, die die Tugend der antiken Bataver geerbt hätten, werde dabei sogar ein Ende der Republik überdauern.¹¹⁰
Benard, Le Voyage, S. , ähnlich S. und S. . Vgl. Dunthorne, Resisting Monarchy, S. . Balzac, Jean-Louis Guez de: Discours Politique sur l’Estat des Provinces-Unies des Pays-bas, par J.L.D.B., Gentilhomme françois. A Leyde (chez Jan Maire) . Hier verwendete Ausgabe: Discours Politique sur l’Estat des Provinces-Unies des Pays-bas. In: Les Œuvres de Monsieur De Balzac. Tome Second. A Paris (chez Louis Billaine) . ND (publiées par Valentin Conrart) Genf . S. – . Vgl. auch Cohen, Écrivain français, S. – . Zu Biographie und Werk Balzacs vgl. Archives Biographiques Françaises, Teil , S. ff. Balzac, Discours Politique, S. – . Balzac, Discours Politique, S. f.: „Si on demande les titres de cette Souveraineté, ils sont escrits en lettre rouge, ils ont esté signez de la propre main de leurs parties. Si on doute de la durée de cette Republique (sic), elle est eternelle, puisqu’elle a Dieu pour fondateur, & la Religion pour fondement. Si on mesure sa grandeur par celle de la mer, où elle commance, elle est des plus grandes: si on compte ses années par ses victoires, elle est des plus anciennes. Son peuple est celuy qui a esté nommé autrefois le frere des Romains, & aujourd’huy heritier de leur vertu, produit des Courages, qui ne font rien qui ne merite d’estre escrit de ces grand personnages […] Concluons hardiment, que cette liberté qui se recontre si souvent en ce discours ne finira point qu’à la fin de la Republique, & que ce peuple ne sera plus, ou sera tousjours libre.“
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Den Anstoß für eine vermehrte Drucklegung von französischen Abhandlungen, die sich – zunehmend auch exklusiv – mit den Vereinigten Provinzen der Niederlande beschäftigten, gab allerdings nicht die für Teile Frankreichs naheliegende gemeinsame Widerstands- und Freiheitsrhetorik, sondern vielmehr die zunehmende Handelskonkurrenz zwischen beiden Gemeinwesen und die wichtige strategische Rolle der Generalstände innerhalb des französischen außenpolitischen Interesses gegen die spanische Vormacht in Europa. In der Folge der in diesem Kontext entstandenen Interessenlehre des Duc de Rohans entwickelte sich schließlich eine Erweiterung des Aussagenspektrums mit Blick auf die Vereinigten Provinzen der Niederlande um die Jahrhundertmitte, die in Teil II der vorliegenden Arbeit dargelegt wird. In England stieg das Interesse an dem sich neu formierenden Staat vor dem Hintergrund einer starken Allianz mit den Niederlanden und der Stationierung englischer Soldaten in den Vereinigten Provinzen im Gegensatz zu Frankreich und dem Reich bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stetig.¹¹¹ Nicht nur die Zahl der ins Englische übersetzten niederländischen Pamphlete und Überblickswerke über den niederländischen Unabhängigkeitskampf wuchs weiter mit einem Höhepunkt in den 1620er Jahren,¹¹² also auch nach Rückgabe der als Sicherheitshypotheken gedachten niederländischen Städte und Festungsstützpunkte an die Vereinigten Provinzen durch England, sondern auch die Zahl der Reiseberichte und Abhandlungen, die sich mit der Nordseerepublik beschäftigten, nahm zu. Auch wenn die Vereinigten Provinzen kein fester Bestandteil der englischen Grand Tour-Reisenden waren, so starteten doch zunehmend junge Reisende ihre Tour mit einem Aufenthalt in einer niederländischen (meist holländischen) Stadt, um zu studieren und unter anderem Französisch zu lernen.¹¹³ Auch Thomas Coryate machte 1608 auf seiner Reise Station in den Niederlanden, allerdings nach seinen Aufenthalten und umfangreichen Studien in Italien und Frankreich. In seinem 1611 veröffentlichten Bericht, Coryats crudities,¹¹⁴ trifft auch er, der die politischen Institutionen und technischen Verfahren der Amtsvergabe in Venedig im selben Bericht erläutert und die politische Verfasstheit der Eidgenossenschaft zumindest in Ansätzen aufgreift, ähnlich wie die Autoren im Reich keine Aussage zur Staatsform oder dem Aufbau der Vereinigten Provinzen. Die Beschreibungen Kölns und Kleves erfolgen bei ihm auch noch unter der Überschrift The beginning of my Observations of the Netherlands, ¹¹⁵ bevor er schließlich
Vgl. van Strien, British Travellers, S. f. Vgl. Dunthorne, Resisting Monarchy, S. f. Vgl. van Strien, British Travellers, S. . Coryate, Crudities. Coryate, Crudities, S. – .
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Gelderland als „one of the seventeene Provinces of the Netherlands, and one of the eight (sic!) united Provinces that belong to the States“ beschreibt.¹¹⁶ Die Darstellung enthält, verglichen mit den Standardwerken des 16. Jahrhunderts wie Guicciardini und Münster, dann auch keine neuen Elemente: die engen, schönen gestalteten Straßen und Gebäude werden genauso beschrieben wie die reichen Händler und die am stärksten vom Handel profitierenden Städte.¹¹⁷ Der Mangel an Wein sowie die Viehzucht und der Waldbestand finden ebenso kurz Erwähnung wie der Ursprung Hollands als antikes Batavia.¹¹⁸ Zum Teil lässt die Darstellung Coryates Anklänge an seine eigene Venedigbeschreibung erkennen, wenn er etwa Dordrecht als „Mayden City of Holland“ betitelt, die von einer „beautifull Virgin“ gegründet, als einzige eine göttliche Auserwähltheit wie Venedig erkennen ließe, da sie wie diese noch nie erobert werden konnte.¹¹⁹ Ausführlicher und reflektierter stellen sich hingegen die 1617 und 1626 veröffentlichten Reiseberichte Fynes Morisons (1565/6 – 1630) und Thomas Overburys (1581– 1613) dar. Moryson, der Jura in Cambridge studiert hatte,¹²⁰ gliederte seine zunächst auf Latein und dann in eigener englischer Übersetzung veröffentlichte Darstellung seiner von 1591 bis mindestens 1595 erfolgten Reise durch Europa und das Osmanische Reich nach verschiedenen thematischen Schwerpunkten.¹²¹ So erfolgt der Bericht über die Vereinigten Provinzen auch in mehreren, verschiedenen Kapiteln der Darstellung.Während sich das vierte Kapitel des ersten Buches etwa vornehmlich mit der Reiseroute von 1592/1593 befasst, die Darstellung der jeweils angefallenen Kosten und die Beschreibung der geographischen Lage und des stadtarchitektonischen Aufbaus leistet,¹²² umfasst das sechste Kapitel des vierten Buches eine allgemeine Darstellung der Geschichte, der Regierungsform,
Coryate, Crudities, S. . Coryate, Crudities, S. f., S. , S. , S. , S. , S. – . Coryate, Crudities, S. und S. . Coryate, Crudities, S. f. Auffällig ist darüber hinaus lediglich der Fokus der Beschreibung auf die Gebäude, die im Auftrag von Robert Dudley, des Earl von Leicester ( – ), gegründet worden seien (S. ). Für biographische Informationen zu Fynes Morison siehe Thompson, Edward H.: Art. Moryson, Fynes (/ – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Moryson, Fynes: An Itinerary written by Fynes Moryson Gent. First in the Latine Tongue, and then translated by him into English. Containing his ten yeeres Travell through the twelve domjnions of Germany, Bohmerland, Sweitzerland, Netherland, Denmarke, Poland, Italy, Turky, France, England, Scotland, and Ireland. Divided into III Parts. At London (printed by Johan Beale) . Moryson, An Itinerary, S. – .
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des Handels, der Gesetze und des Militärwesens der Vereinigten Provinzen.¹²³ Moryson beschreibt die Revolte als Prozess, in dem die niederländischen Provinzen zunächst zu einem Körper zusammengewachsen seien, um nun schließlich sich in zwei Teile gespalten zu haben. Der eine Teil würde als Zusammenschluss verschiedener Provinzen für die Freiheit kämpfen, der andere sei weiterhin dem spanischen König untergeben.¹²⁴ Trotz französischer und vor allem englischer Unterstützung hätten sie es doch vor allem alleine geschafft, sich lange gegen die Spanier zu verteidigen und den Krieg zu einem Frieden zu führen. Insgesamt könne man feststellen, dass „[…] so much in small progresse of time their iust and moderate Counsells have increased their common-wealth, governed with great equity and equality“.¹²⁵ Folglich seien die Vereinigten Provinzen heute eher zu beneiden, als zu bemitleiden.¹²⁶ Die Regierungsautorität liegt für Moryson klar bei den Generalständen.¹²⁷ Der Prinz von Oranien sei als Oberbefehlshaber der Armee eingesetzt, „but with limited power from the States“. Von seinem Vorrecht der Stimmabgabe in öffentlichen Versammlungen, mache er selten oder gar nie Gebrauch.¹²⁸ Die täglichen Regierungsgeschäfte lägen bei der ständigen Vertretung der Generalstände in Den Haag: „But the wheele of the publike State is turned by the Senate of the generall States residing at Hage, yet so, as they do not take upon them to determine difficult matters, without some diffidence, till they have the consent of their particular Cities and Provinces […].“¹²⁹ Manchmal würde dieses Instrument der Zustimmung bis in die kleinste Stadt aber auch bewusst genutzt werden, um Zeit zu erlangen oder Verhandlungspartner zu täuschen. Denn würden die Vereinigten Provinzen in jeder Geschäftssituation auf dieses Zustimmungsverfahren angewiesen sein, „no doubt great difficulty would arise in all particular actions“.¹³⁰ Insgesamt sei dieses Gemeinwesen aristokratisch regiert im
Moryson, An Itinerary, S. – . Moryson ist sich dabei bewusst, dass die Niederlande insgesamt Provinzen umfassen würden, er aber nur über die sieben Vereinigten Provinzen schreiben wird: „Lower Germany, called of old Belgia, and now commonly Netherland (which the French name Pais bas, that is, Low countries) is divided into seventeene Provinces, as I have former shewed in the Geographicall description thereof […] And howsoever it be not my purpose to speak of any other Provinces, then those which they cal (sic) united, and through which onely I passed […].“ Moryson, An Itinerary, S. . Moryson, An Itinerary, S. . Moryson, An Itinerary, S. : „[…] are now no pore to be pittied, but in common iudgment rather to be envied and feared by their neighbours.“ Moryson, An Itinerary, S. . Moryson, An Itinerary, S. f. Moryson, An Itinerary, S. . Moryson, An Itinerary, S. .
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Sinne einer Regierung der „best Men“.¹³¹ Damit meint Moryson aber nicht den Adel als Stand im herkömmlichen Sinne, denn einen solchen kann er in den Vereinigten Provinzen kaum noch finden und wenn, dann habe dieser sich den Sitten des einfachen Volkes angepasst.¹³² Einen durchaus großen Abschnitt widmet Moryson der Darstellung einzelner Gesetze zum Pfandleihrecht, zum Erbrecht aber auch in Bezug auf das Strafrecht.¹³³ Vor allem aber beschäftigt ihn das Paradoxon des großen Reichtums trotz Krieg und unvergleichlich hoher Abgaben, die den Niederländern auferlegt werden: One thing is hardly to be understood how these Provinces thus oppressed with tributes, and making warre against a most powerfull King, yet at this time in the heate of the warre, (which useth to waste most flourishing Kingdomes, and make Provinces desolate), had farre greater riches, then any most peaceable countrey of their neighbours, or then ever themselves formerly attained in their greatest peace and prosperitie.¹³⁴
Die Bereitschaft, die hohen Steuern und Abgaben zu zahlen, die Moryson sowohl für die niederländischen als auch für die Importprodukte anführt, erklärt sich der englische Autor mit der Liebe zur Freiheit, dem Einheitsgefühl gegenüber dem gemeinsamen Gegner und dem Bewusstsein, selber über die Höhe der Abgaben entschieden haben zu können.¹³⁵ Hätten die Engländer den Niederländern solche Steuern auferlegt, hätten sie erneut revoltiert, so wie sie es bei den Spaniern bei geringeren Abgaben getan hätten.¹³⁶ Den Reichtum und die Wirtschaftskraft würden die Niederländer dem erhöhten Bedarf an Waren der Nachbarländer in Kriegszeiten verdanken, den sie gekonnt bedienen würden, und der günstigen geostrategischen Lage. Der Zugang zum Meer sowie zu den zahlreichen Kanälen und Flüssen bedeute eine Fülle von Handelswegen, die zumeist frei von Kriegshandlungen und Feinden blieben. Den erhöhten eigenen Importbedarf hätten die Niederländer durch ihren geschickten Handel und vor allem den Transport auf ausschließlich eigenen Schiffen wettgemacht. Insgesamt hätten sie so bisher wirtschaftlich also nur vom Kriegszustand profitiert.¹³⁷ Moryson lobt zudem die gute Disziplin und Versorgungsstruktur der Armee, die bei der Verteidigung im
Moryson, An Itinerary, S. : „Thus the Commonwealth in generall is Aristocraticall, (that is, of the best Men), save that the people chuseth the great Senate, which rules all.“ Moryson, An Itinerary, S. . Moryson, An Itinerary, S. – ; vgl. auch van Strien, British Travellers, S. . Moryson, An Itinerary, S. . Moryson, An Itinerary, S. f. Moryson weist außerdem darauf hin, dass bestimmte Gruppen – etwa Studenten – von der Abgabenpflicht befreit werden. Moryson, An Itinerary, S. . Moryson, An Itinerary, S. f. Vgl. auch van Strien, British Travellers, S. .
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Inland zwar auf Söldner angewiesen und nicht für die Expansion geeignet sei, dem Charakter und den Fähigkeiten der Bevölkerung entsprechend aber ihre größte Macht auf See entfalten könne und hier nahezu unschlagbar sei.¹³⁸ Die einzig wirkliche Gefahr für die Niederländer ginge deshalb allein von einem möglichen Krieg mit England aus.¹³⁹ Moryson, der schon während der gesamten Darstellung immer wieder die Unterstützung der Engländer für den Kampf und den Erhalt der Niederlande hatte einfließen lassen, schließt seine Beschreibung der Vereinigten Provinzen mit der Aufzählung zahlreicher Gründe, warum so ein Krieg nachteilig wäre, und dem Wunsch, dass noch lange Frieden zwischen beiden Gemeinwesen bestehen möge.¹⁴⁰ Diese Aussage ist wohl als Appell an den englischen König zu lesen. Moryson Darstellung fügt sich zumindest für den rückblickenden Betrachter gut in die Proteste englischer Protestanten gegen die passive Außenpolitik Jakobs I. und vor allem dessen verstärkter Annäherung an Spanien ein, indem diese unter anderem eine klarere Unterstützung und Bindung an die Niederlande forderten.¹⁴¹ Auch Sir Thomas Overbury (getauft 1581– 1631) hielt sich in den patriotischprotestantischen Kreisen auf, die sich gegen eine pro-spanische Haltung aussprachen. Seine enge Freundschaft zu Robert Carr (um 1586 – 1645), der als persönlicher Sekretär Jakobs I. agierte, ermöglichte ihm aber durchaus auch Handlungsspielräume im Umfeld des Königshauses. Overbury fiel dort schließlich aber dennoch in Ungnade, wurde inhaftiert und starb im Tower. Nachträglich wurde er deshalb in der Zeit des Interregnums zum beispielhaften Opfer der verdorbenen Stuart-Monarchie stilisiert.¹⁴² 1609 reiste Overbury auf das europäische Festland und verfasste die Berichte über diese Reise in zwölf Manuskripten, die schließlich 1626 postum unter dem Titel Observations in His Travailes veröffentlicht wurden.¹⁴³ Auf lediglich acht
Moryson, An Itinerary, S. f. Moryson, An Itinerary, S. : „Therefore if perhaps the united Provinces forgetting their old league with England, and our late merit in defending their liberty, shall at any time resolue to have warre with England, (which for the good of both Nations God forbid), then are such bloody fights at Sea like to happen as former Ages never knew.“ Moryson, An Itinerary, S. f. Er nennt unter anderem die langjährige Freundschaft zwischen beiden Staaten, die den Engländern geschuldete Dankbarkeit der Niederländer, die Unfähigkeit derselben, eine eigene Armee an Land aufzustellen, und vor allem die mögliche Blockade der niederländischen Handelswege durch die englische Flotte. Vgl. dazu Dunthorne, Resisting Monarchy, S. . Zur Biographie Overburys siehe Considine, John: Art. Overbury, Sir Thomas (bap. ,d. ). In: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Overbury, Thomas: His Observations in His Travailes upon the State of the XVII. Provinces as they stood Anno Dom. .The Treatise of Peace being then on foote, o.O. ,welches auch die
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Seiten fasst Overbury sein sehr positives Bild der Vereinigten Provinzen zusammen und setzt dabei nahezu die gleichen Schwerpunkte wie Fynes Moryson. Im Unterschied zu diesem sind die sieben Vereinigten Provinzen der Niederlande allerdings für ihn ganz klar als Demokratie verfasst: To all which assemblies, aswell of the generall States, as the rest, the Gentrie is called for order sake, but the State indeed is Democraticall, the Merchant and the Tradesman being predominant, the Gentrie now but few and poore; and even at the beginning the Prince of Orange saw it safer to relie upon the Townes then them; Neither are the Gentrie so much engaged in the cause, the people having more advantages in a free State, then in a Monarchy. Their care in government is very exact and particular, by reason that every one hath an immediate interest in the State; Such is the Equality of Iustice, that it renders every man satisfied; such the publike regularity, as a man may see their Lawes were made to guide, not to entrappe.¹⁴⁴
Overbury, der auch die Struktur von Provinzial-, Generalständen und Staatsrat knapp wiedergibt, betont hier die Rechtsstaatlichkeit und die Verbindung von privatem Interesse und Gemeinwohl. Das Funktionieren dieser Demokratie sieht er wie für die Schweiz, vor allem auch in dem Charakter der Bevölkerung begründet: „[…] and the equality of spirits which is among them and the Swissers, renders them so fit for a Democracie […].“ Zugleich gibt er die bisher immer kurze Dauer solcher demokratischer Gemeinwesen in der Geschichte zu bedenken: „[…] which kinde of Government, Nations of more stable wittes, being once come to a Consistent greatnesse, have seldome long endured.“¹⁴⁵ Der Zustand der Stagnation, der gleichbleibenden Beständigkeit, die das Wachstum ablöse, stellt für Overbury folglich den Moment dar, an dem die Ordnung und der Reichtum der Vereinigten Provinzen beendet sein könnten: „it is a doubt, whether the same care and sinceritie would continue, if they were at their Consistence, as appeares yet whiles they are but in rising.“¹⁴⁶ Dieser Zustand könnte, so argumentiert Overbury ähnlich wie Morryson, schon erreicht sein, wenn der Friede den Kriegszustand ablöse.¹⁴⁷ Bis jetzt aber seien die Vereinigten Provinzen das Beispiel eines „un-
Beschreibung Frankreichs umfasst. Die Autorschaft ist nicht abschließend geklärt, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber Overbury zuzuschreiben, vgl. dazu Considine, Overbury. Overbury, His Observations, S. . Overbury, His Observations, S. . Overbury, His Observations, S. . Overbury, His Observations, S. : „But the question is, whether this, being a free State, will aswell subsist in Peace, as it hath done hitherto in Warre, Peace leaving every one to attend his particular wealth, when feare, while the Warre lasts, makes them concurre for their common safety.“
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corrupted Common-wealth“.¹⁴⁸ Dies sei abzulesen an „Private Povertie and publike weale: for no one private man there is exceeding rich, and few very poore, and no State more sumptuous in all publike things“.¹⁴⁹ In Overburys Beschreibung verkörpern die Struktur und die Bewohner der Vereinigten Provinzen folglich gleichsam das Ideal des florentinischen Republikanismus der Renaissance. Seine weiteren Zuschreibungen, Beschreibungen und Themenschwerpunkte gleichen zum Teil wörtlich den vorausgegangenen Beschreibungen dieses Gemeinwesens.¹⁵⁰ Overbury beschreibt auch die zum Handel günstige geographische Lage und ergänzt diese Beschreibung um den Hinweis auf die strategisch gute Ausgangsposition im europäischen Mächtekonzert mit England und Frankreich in der Nähe, die beide den spanischen Großmachtstatus fürchten würden, und mit dem seit kurzem auch protestantischen Herzog von Kleve als weiteren Nachbarn.¹⁵¹ Die Stärke des Gemeinwesens liege vor allem in der hohen Disziplin und guten Versorgung der Armee¹⁵² sowie der starken Flotte, die mächtiger sei als die spanische, die französische und sogar als die englische. Im Falle einer „Feindschaft“ mit England hätte letzteres schlechte Karten, so Overbury: „For being our Enemies, they are able to give us the Law at Sea, and eate us out of all trade […].“¹⁵³ Der größte Faktor ihrer Macht und Stärke sei aber ihr Handel. Dabei würden sie auch von der Trägheit der anderen profitieren, indem sie deren Rohstoffe billig aufkaufen und als produzierte Ware wieder importieren und zu einem höheren Preis verkaufen würden.¹⁵⁴ Das Bild des florierenden, starken und reichen Gemeinwe-
Overbury, His Observations, S. . Overbury, His Observations, S. . Die Einwohner seien rebellisch, fleißig, sparsam, sauber, erfindunsgreich, von natürlicher Langsamkeit, strebsam und als einziger Sünde zu stark dem Alkohol zugeneigt (Overbury, His Observations, S. und S. . Allerdings setzt Overbury im Unterschied zu anderen Autoren diese Eigenschaften auch wieder in den Bezug zur Staatsform: „[…] hard in bargaining, but Iust, surly and respectlesse, as in all Democracies, thirstie, industrious and cleanly, dishartened upon the least ill successe, and insolent upon good; Inventive in Manufactures, cunning in Traffique, and generally for matter of Action, that naturall slownesse of theirs sutes better, by reason of the advisednesse and perseverance it brings with it […].“) Der Boden sei nicht überall, aber meist fruchtbar, die Städte seien gleichmäßig schön, stark und reich,wobei Amsterdam als Handelsstadt alle anderen sowie alle Handelsstädte Europas übertreffen würde (S. ). Die Einkünfte der Vereinigten Provinzen ergäben sich vornehmlich aus den konfiszierten Kirchengütern, dem Geldgeschäft, dem Fischfang und den immensen Steuern und Zöllen (S. ). Overbury, His Observations, S. f. Overbury, His Observations, S. f. Overbury, His Observations, S. . Overbury, His Observations, S. : „Now that whereupon the most part of their Rewenew and strength depends, is their Traffique, in which mysterie of State they are at this day the wisest; […] And this they doe, having little to export of their owne, by buying of their Neighbour-Countries the
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sens, das Overbury hier zeichnet, wird zusätzlich durch seine Darstellung der südlichen Niederlande gestützt, die er in seinen Observations upon the State of the Arch-Dukes Countrie, 1609 im Anschluss an die Beschreibung der Vereinigten Provinzen als im Niedergang begriffen darstellt. Hier würden sich nur noch eigennützige Bewohner und ruinierte Städte finden lassen und trotz geringerer Steuern eine zunehmende Armut der Bevölkerung.¹⁵⁵ Die Vereinigten Provinzen der Niederlande wurden im England der 1620er Jahre also vor allem in den patriotisch-protestantischen Kreisen, als starkes und reiches, nicht-monarchisch organisiertes Gemeinwesen rezipiert. Über die genaue Charakterisierung der Verfassungsstruktur gab es durchaus unterschiedliche Ansichten, nicht aber bezüglich des niederländischen Handelserfolges, den fleißigen und am Gemeinwohl orientierten Bürgern und der militärischen Stärke, insbesondere auf See. Vor allem das Phänomen des wachsenden Reichtums, trotz oder gerade wegen des Kriegszustandes, faszinierte die englischen Beobachter.¹⁵⁶ Eine zweite Phase des verstärkten englischen Interesses an den Niederlanden setzte Ende der 1630er Jahre mit den Bewegungen ein, die die königliche Zentralgewalt auf der Insel in Frage stellten. In Schottland,wo man 1638 mit dem Bund im National Convent gegen die Kirchenpolitik Karls I. protestierte und auch bewaffneten Widerstand gegen die Armee des englischen Königs leistete, der über Schottland in Personalunion regierte,¹⁵⁷ profitierte stark von Unterstützung aus den Vereinigten Provinzen. Die Schotten bezogen Waffen aus der niederländischen Republik, ließen ihre Soldaten dort ausbilden und ihre Propaganda durch die niederländische Presse drucken. Vor allem bedienten die Schotten sich in der Argumentation gegen Karl I. immer wieder der Argumente des niederländischen Unabhängigkeitskampfes.¹⁵⁸ Diese rhetorische Strategie fand auch im folgenden englischen Bürgerkrieg großen Anklang. Parlamentarier verwiesen von 1642 an immer wieder auf das Beispiel der Rebellion der Niederländer gegen den spanischen König als Akt des legitimen Widerstands gegen einen Herrscher, der zum
former, and selling them againe what they bring backe at their owne prises, and so consequently live upon the idlenesse of others.“ Overbury, His Observations, S. : „[…] the Industry of the Merchant quite decayed; the Husbandman labouring only to live, without desire to be rich to anothers use; the Townes whatsoever concerned not the strength of them ruinous; And to conclude, the people here growing poore with lesse taxes, then they flourish with on the States side.“ So etwa auch Sir Walter Raleigh (/ – ) in seiner History of the World von . Vgl. Dunthorne, Resisting Monarchy, S. . Vgl. Haan, Heiner/ Niedhart, Gottfried: Geschichte Englands vom . bis zum . Jahrhundert (Geschichte Englands in Bänden). Bd. . . Aufl. München . S. . Vgl. Dunthorne, Resisting Monarchy, S. f.
3.3 Die Vereinigten Provinzen im Blick: Freiheitskampf und Wirtschaftspotential
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Tyrannen degeneriert war und folglich den Herrschaftsvertrag gebrochen hätte.¹⁵⁹ Im Auftrag des Parlaments wurden zentrale Texte des niederländischen Unabhängigkeitskampfes neu aufgelegt und in englischer Übersetzung gedruckt, so etwa die Apologie Wilhelms von Oranien und auch die „Abschwörungsurkunde“ der Vereinigten Provinzen von 1581.¹⁶⁰ Die traditionelle Sprache von Gewohnheitsrecht und ancient constitution, die in den Texten der niederländischen Revolte dominierte, kam vor allem jenen Parlamentariern entgegen, die für ein Fortbestehen des Königtums, jetzt aber gebunden an die Souveränität des Parlaments, plädierten. Neben niederländischen Autoren und Pamphleten in Übersetzung griff man auch auf die Texte von Guicciardini, Moryson und Overbury zurück, um sich Informationen über die Vereinigten Provinzen zu beschaffen. Ein weiteres beliebtes Referenzwerk wurde James Howells (1594? – 1666) Instructions for Forreine Travell von 1642.¹⁶¹ Howell, der in dieser Abhandlung dem reisenden Engländer vor allem Informationen und Empfehlungen für Frankreich und Spanien gab, widmete sich auf gut zehn Seiten der Beschreibung der Vereinigten Provinzen.¹⁶² Die Darstellung weist dabei starke, zum Teil wörtliche Anklänge an diejenige Overburys auf.¹⁶³ Wie dieser benennt Howell die geographische und strategische Lage in Europa, beschreibt die Beschaffenheit des Landes, die uneinnehmbare Handelswege bedinge, und geht auf den Charakter der Bevölkerung ein, der zu einem „democraticall Government“ mehr passe als zu einer „Monarchy“.¹⁶⁴ Das Gemeinwesen würde sich zwischen den zwei Polen „Navigation and Mercantile Negotiation“ bewegen und dabei nicht nur die eigenen Fähigkeiten und Gegebenheiten gut nutzen, sondern auch von der Trägheit der anderen profitieren.¹⁶⁵ Die Städte seien gleichmäßig reich und schön, was vor allem an der Praxis des Stapelrechts liege, die eine gleichmäßige Verteilung des wirtschaftlichen Ver-
Vgl. Dunthorne, Resisting Monarchy, S. – . Dunthorne verweist unter anderem auf die Rede des parlamentarischen Sprechers William Prynne ( – ), der das Königtum als Amt „of publicke trust“ bezeichnete und in seiner Argumentation klar auf das Beispiel des niederländischen Unabhängigkeitskampfes hinwies. Vgl. Dunthorne, Resisting Monarchy, S. – . Howell, James: Instructions for Forreine Travell. Shewing by what cours, and in what compasse of time, one may take an exact Survey of the Kingdomes and States of Christendome, and arrive to the practicall knowledge of the Languages, to good purpose. London (printed by T.B. for Humprey Mosley) . Für biographische Informationen zu James Howell vgl. Woolf, Art. Howell, James. Howell, Instructions, S. – . Vgl. dazu auch van Strien, British Travellers, S. . Howell, Instructions, S. . Howell, Instructions, S. und S. .
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mögens garantiere.¹⁶⁶ Howell empfiehlt gleich zu Beginn, den niederländischen Unabhängigkeitskampf zu studieren und verweist auf die Autoren, die seiner Ansicht nach dafür geeignet sind.¹⁶⁷ Darüber hinaus betont er die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Vereinigten Provinzen als „surest Confederates of England, and her fastest Friends, for interest of Religion, for community of danger, and consequently of reciprocall preservation“.¹⁶⁸ Sowohl England und Frankreich seien an einem Erhalt der Vereinigten Provinzen interessiert.¹⁶⁹ Den Fokus seiner Darstellung legt Howell nicht unbedingt auf den Handel, sondern auf die „unparalelled industry“ der Holländer. Durch diese seien sie sogar schneller gewachsen und stärker geworden als Rom.¹⁷⁰ So empfiehlt er dem Engländer konkret, diese „Industry“ der Vereinigten Provinzen nachzuahmen.¹⁷¹
Howell, Instructions, S. f.: „[…] because they appropriate some staple materiall commocitie to every one of the great Towns […] which is a very laudable cours, not to suffer one place to swallow the wealth and traffique of the whole.“ Howell, Instructions, S. f.: „Therefore the History of the Belgique wars are very worth the reading […]. Jean Petit in French, is an approved author, Guicciardini, Don Carles Goloma in Spanish, and Sir Roger Williams in English, with others […].“ Howell, Instructions, S. f. Howell, Instructions, S. . Howell, Instructions, S. : „And it will be a wonderfull thing to see what a mighty subsistence of wealth and a huge Navigable power that State in come too, by a rare unparalelled industry: For I dare avouch that the Roman Common-wealth, (though she had her head as well knit in her infancy as any that ever was) did not come neere her, in so short a progresse of time, to such a growth of strength.“ Vgl. auch S. und S. . Howell, Instructions, S. f.: „No, an ingenious and discerning Traveller will disdaine this, and strive to distinguish ‘twixt good and evill […] ‘twixt what is to be followed, and what’s to be shunned, and bring home the best: […]From the Netherland his Industry […].“ Vgl. auch van Strien, British Travellers, S. .
4 Fazit Die Aussagen, die vor 1650 über die drei betrachteten Republiken getroffen wurden, standen immer, so lässt sich abschließend festhalten, in einem Wechselverhältnis mit den parallel entwickelten Selbstbildern. Der Mythos Venedig wurde zunächst und vor allem als venezianisches Selbstbild entwickelt, das innerhalb der Republik eine stabilitätssichernde Funktion einnahm. Die Hauptelemente dieses Mythos können mit den Stichworten Freiheit, Reichtum, jungfräuliche Uneinnehmbarkeit, lange Dauer, göttliche Auserwähltheit, Frömmigkeit,Verteidigerin der Christenheit, Gerechtigkeit und Stabilität durch die perfekte Einrichtung als Mischverfassung erfasst werden. Diese Elemente wurden nahezu unverändert in ihrer Aussage von Reiseberichten jeglicher europäischer Herkunft und auch mittels anderer Textgattungen in Frankreich, England und dem Reich seit dem späten Mittelalter und vor allem verstärkt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts rezipiert, der venezianische Mythos folglich durch die Außenwahrnehmung weiter stabilisiert und transportiert. Als politisches Modell, dessen Verfassung und institutionelle Mechanismen Stabilität und Effektivität des Gemeinwesens garantierten, war Venedig vor allem für die politischen Denker der italienischen Renaissance, die den zyklischen Verfassungskreislauf möglichst lange zu unterbrechen suchten, und für die Vertreter eines neu zu legitimierenden Freistaates in den Niederlanden und England im 17. Jahrhundert interessant. Aber auch die Verfechter einer absoluten Monarchie kamen nicht umhin, die Stabilität und Effektivität der venezianischen Ordnung anzuerkennen. Dabei führten aber sowohl Jean Bodin als auch Claude de Seyssel (1450 – 1520)¹ oder Robert Filmer
Claude de Seyssels Venedigbild kommt vor allem in seiner Schrift La victoire du roi contre les Vénitiens () und – grundsätzlicher – in seiner bekanntesten Abhandlung La monarchie de France () zum Ausdruck. Seyssel sieht Venedig als bestmöglich vorstellbare Aristokratie an („[…] l’état et gouvernement desdits Vénitiens, ains dis et affirme que c’est le mieux policié et établi que j’aie vu nil à ma fantaisie pour État aristocratique.“ (Seyssel, Claude de: La Monarchie de France et deux autres fragments politiques, textes établis et présentés par Jacques Poujol. Paris (Bibliothèque Elzévirienne, Nouvelle série, études et documents). Bd. I, . S. .), deren Bevölkerung zufrieden sei und durch strikte Regulierungen auf Kurs gehalten werde (vgl. Seyssel, La Monarchie de France, S. f.). Dieses Gemeinwesen, das nie durch eine tyrannische Macht erobert worden sei, sei auch besser als Rom. Allerdings weise Venedig auch klar Schwächen auf: die Ausweitung des Adelstandes auf immer mehr Bürger rufe Unstimmigkeiten zwischen diesen und den übrigen Einwohnern Venedigs sowie zwischen Altem und Neuem Adel hervor. Vor allem aber fehle Venedig das monarchische Element, das den unausweichlichen Niedergang auch dieser Aristokratie in der Zukunft hätte verhindern können (siehe Seyssel, La Monarchie de France, S. f.: „Dont retournant à notre propos de l’état et gouvernement
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(1588 – 1653)² diesen Erfolg nicht auf die venezianische Verfassung zurück, sondern vielmehr auf die weise Art der Regierung oder die außergewöhnliche Lage der Stadt.
aristocratique des Véniciens, il a aucunes choses répugnantes en icelui, qui ont été entretenir à la longue: […]“). Vgl. dazu Mulier, Myth of Venice, S. – und Bouwsma, Venice, S. . Robert Filmer, der sich stark an Bodins Souveränitätskonzept und dessen Beispielen aus der Antike und der Gegenwart orientierte, verwarf in seinen Schriften, wie der Franzose, konsequent das Theorem der Mischverfassung, explizit auch mit Verweis auf Contarinis Venedigdarstellung. (Zu Leben und Werk Robert Filmers siehe Sommerville, Johann P.: Introduction. In: Filmer, Robert: Patriarcha and Other Writings. Hrsg.von Dems. Cambridge (Cambridge Texts in the History of Political Thought). S. ix–xxiv. Zu Filmers Rezeption von Bodin siehe Sommerville, Introduction, S. xiif., S. xv–xix, S. xxiii; Zur Ablehnung der Mischverfassung siehe Filmer, Robert: The Anarchy of a Limited or Mixed Monarchy (). In: Filmer, Patriarcha and Other Writings, Edition Sommerville, S. – , S. ; Filmer, Robert: Observations Upon Aristotles Politiques Touching Formes of Government, Together with Directions for Obedience to Governours in dangerous and doubtfull times (). In: Filmer, Patriarcha and Other Writings, Edition Sommerville, S. – , S. f.). In seinem letzten, publizierten Pamphlet Observations Upon Aristotles Politiques Touching Formes of Government versucht Filmer Aristoteles als Vertreter einer Doktrin der absoluten Monarchie zu interpretieren. Er verwirft dabei, wie in seinen übrigen Schriften, demokratische und aristokratische Verfassungen als defizitär und widersprüchlich. Filmer analysiert in diesem Pamphlet die seiner Ansicht nach einzig bekannten und nicht zu ignorierenden Beispiele nicht-monarchisch organisierter Gemeinwesen: Rom, Venedig und die Niederlande (Filmer, Observations, S. f.: „Though there be neither precept nor practice in Scripture, nor yet any reason alleged by Aristotle for any form of government but only monarchy,yet it is said that it is evident to common sense that of old time Rome, and in this present age Venice and the Low Countries, enjoy a form of government different from monarchy.“ Vgl. auch Filmer, Observations, S. ). Und er fokussiert in dieser Analyse die seiner Ansicht nach wichtigsten aristotelischen Kriterien einer guten Regierung: die Garantie von „religion towards God and peace towards men“ (Filmer, Observations, S. ).Während im ersten Punkt sowohl die Niederlande als auch Venedig versagt hätten, da die einen alle und die anderen keine Religion hätten (Filmer, Observations, S. ), muss Filmer eingestehen, dass Venedig, im Gegensatz zu den beiden anderen, seit langer Zeit Frieden garantiere. Er führt dies auf die außergewöhnliche Lage zurück und explizit nicht auf die venezianische Regierung: „It will be said that Venice is a commonwealth that enjoys peace. She indeed of all other states hath enjoyed of late the greatest peace. But she owes it not to her kind of government but to the natural situation of the city, having such a bank in the sea of near three score miles, and such marshes towards the land, as make her unapproachable by land or sea.“ (Filmer, Observations, S. ). Die ständige Eifersucht und Querelen innerhalb der Bürgerschaft Venedigs würden diesen Frieden allerdings schon lange trüben, übermäßige Steuern und die vielen die Freiheit einschränkenden Gesetze seien ebenfalls negativ zu bewerten (Filmer, Observations, S. – und S. ). Alles Gute, so kommt Filmer am Ende der Analyse nicht umhin festzustellen, hätten diese „popular governments“ nur noch aus einem vorherigen Zustand einer Monarchie gerettet (Filmer, Observations, S. : „[…] since whatsoever is either good or tolerable in either of their governments is borrowed or patched up of a broken and distracted monarchy.“).
4 Fazit
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Anders als bei Venedig (und auch den Vereinigten Provinzen der Niederlande) existierte hinsichtlich der Eidgenossenschaft Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa kein breites und standarditisiertes Repertoire an Informationen und Zuschreibungen. Im Vergleich waren die verfügbaren Beschreibungen und Reflexionen über die Eidgenossenschaft gering. Zunächst als Bevölkerungsgruppe diffamiert, finden sich erste Positivzuschreibungen bei Machiavelli. Die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens insgesamt beurteilt aber auch er als defizitär. Die Vorstellung von einem souveränen, vom Reich unabhängigen Gemeinwesen wird zunächst vor allem in Frankreich artikuliert. Dabei sieht aber etwa Bodin die einzelnen Kantone, nicht die Eidgenossenschaft insgesamt, als souverän an. Parallel zu dieser verstärkten Beachtung konstruiert die eidgenössische Historiographie im 16. Jahrhundert eine gesamteidgenössische Erinnerungsgemeinschaft. Das Narrativ vom rechtmäßigen Kampf eines seit der Antike freien Volkes der Helvetier gegen den habsburgischen Tyrannen wird in der Folge auch im Ausland aufgegriffen. Zunächst von den Niederländern, die Parallelen zum eigenen Unabhängigkeitskampf ziehen und in den 1580er Jahren auf der Suche nach der künftigen Verfassungsform auch auf die Eidgenossenschaft rekurrieren. Aber auch englische Reiseberichte wie derjenige Thomas Coryates greifen beziehungsweise spiegeln die eidgenössische Identitätskonstruktion. Die meisten Referenzen auf die Eidgenossenschaft finden sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dann in Frankreich, das an einer Positivdarstellung eines souveränen Gemeinwesens als wichtigem Allianzpartner großes Interesse hat. Die erste exklusive Beschreibung, die nicht mehr chronologisch wie ein Reisebericht oder historiographisch aufgebaut ist, findet sich 1618 mit Lescarbots Tableau de la Suisse. Doch auch nach Lescarbots Abhandlung und der Publikation der Leidener Elzevier-Ausgabe Helvetiorum Respublica Diversorum autorum von 1627, die neben Simler noch vier weitere Texte (geographische Abhandlungen und Reiseberichte) abdruckt und so Informationsquellen bereitstellt,³ bleibt die Anzahl der Beschreibungen und Referenzen weiterhin gering. Die erste exklusive,
Simler, Josias: Helvetiorum Respublica Diversorum Autorum quorum nonnulli nunc primum in lucem lorodeunt. Ex officina Elzeviriana. Leiden . Das Frontispiz zeigt den Schwur von Uri, Schwyz und Unterwalden. Folgende Texte werden abgedruckt: „I. Brevis Helvetia Geographica Descriptio, ex Francisci Guillimanno, Osvvaldo Molitore, & aliis. II. Helvetia soli natura, ex Henrico Glareano, & aliis. III. De Fluviis aliquot Helvetiae. IV. Iosiae Simleri de Republica Helvetiorum libri duo. V. Danielis Heremitae Belgae de Helvetiorum, Raetorum, Sedunensium situ, republica & moribus epistola ad D. Ferdinandum Gonzagam Mantua Ducis fil.“
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gedruckte Staatsbeschreibung im Sinne dieser Gattung findet sich mit Vendramino Bianchies Relazione del paese de’ Svizzeri, e loro alleati erst 1708.⁴ Auch die Rezeption der Niederlande fand in gedruckten Abhandlungen bis 1609 in nur sehr geringem Maße statt. Das diskursprägende Werk wurden die Descrittione Di Tutti I Paesi Bassi (1567) des Florentiners Lodovico Guicciardinis, in dessen Folge bestimmte Aussagen zu Standardelementen der Beschreibung anvancierten: Die Niederländer seien fleißig, einfallsreich, sauber und herausragende Seefahrer. Zudem würden sie durch zahlreiche Einrichtungen ihre Wohltätigkeit und ihre Wertschätzung der Wissenschaft zum Ausdruck bringen. Die geographische Lage sei günstig für den Handel und strategisch gut innerhalb Europas. Die zahlreichen Flüsse und Kanäle unterstützten nicht nur die ohnehin schon gute Befestigung der schön gebauten und dicht bevölkerten Städte, sondern beförderten auch den Handel als wichtigste Grundlage des niederländischen Reichtums. Während die Heringfischerei die wichtigste Grundlage der niederländischen Wirtschaft darstelle, würden sie vornehmlich verarbeitete Woll- und Tuchprodukte exportieren und müssten im Gegenzug vor allem Weizen und Wein importieren. Die historischen Wurzeln der Niederlande und vor allem der Provinz Holland seien das antike Batavia, das schon immer eigenständig neben Rom und nicht in Abhängigkeit von diesem existiert habe. Diese Elemente der Beschreibung wurden mit dem Duc de Rohan (1600) und breiter ab 1609 auf die Republik der sieben Vereinigten Provinzen übertragen. Dabei wurden zunehmend auch Elemente der niederländischen Selbstdarstellung aufgegriffen. Der Topos der jungfräulichen Hollandia, die sich aus den Ketten der spanischen Sklaverei befreit habe, wurde genauso weitergetragen wie das durch den Bataver-Mythos konstruierte Bild vom freien, eigenständigen und auf der Souveränität des Volkes gründenden Gemeinwesens, das lediglich alte Rechte und Freiheit(en) zurückerlangt habe und in Zukunft bewahren wolle. Die politischen Institutionen und die Verfassungsstrukturen der Vereinigten Provinzen wurden vor allem im Reich und in Frankreich bis 1650 kaum thematisiert. Vielmehr stand weiterhin das herausragende wirtschaftliche Potential, der daraus resultierende Reichtum sowie die Sauberkeit und Ordnung der Städte im Vordergrund der Beschreibungen. Ein konfessionell eingefärbter Tenor lässt sich dabei lediglich für die französischen Abhandlungen feststellen. Ein verstärktes Interesse und einen Anstieg der Publikationen mit Blick auf die Niederlande finden sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem in England. Bereits in den 1620er Jahren diskutierten hier Reiseberichte, vor allem aus patriotisch-protestantischen Krei-
Siehe Bianchi, Vendramino: Relazione del paese de’ Svizzeri, e loro alleati. Venezia (Presso Andrea Poletti) .
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sen, die politischen Institutionen der Vereinigten Provinzen und versuchten – durchaus mit unterschiedlichem Ergebnis – deren Verfassungsstruktur zu klassifizieren. Sie thematisierten außerdem einzelne niederländische Rechtsbereiche und das Paradoxon des immensen Reichtums trotz der offensichtlich hohen Steuern und Abgaben. Der Kriegszustand erschien diesen Beobachtern für die Vereinigten Provinzen mit ihrer starken, disziplinierten Armee zudem profitabler als derjenige eines andauernden Friedens. Die Rhetorik des niederländischen Unabhängigkeitskampfes wurde schließlich vor allem für jene Gruppen auf der Insel attraktiv, die sich unter einer Tyrannenherrschaft wähnten: die Opposition in Schottland in den 1630er Jahren und die gegen den König argumentierende Partei im englischen Bürgerkrieg. Mit der Einrichtung des englischen Freistaats 1649 wurden die Vereinigten Provinzen schließlich als funktionierendes Beispiel einer solchen freistaatlichen Lösung gepriesen.
II Republiken auf dem Prüfstand: Modifikation der Aussagen 1650 – 1676
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II Republiken auf dem Prüfstand: Modifikation der Aussagen 1650 – 1676
Zwischen 1650 und 1676 finden sich neue Aussagen über die drei Republiken. Der auch in den Beschreibungen von außen transportierte „Mythos Venedig“ wurde aufgebrochen und dekonstruiert. Das Aussagenspektrum mit Blick auf die Vereinigten Provinzen wurde um neue Elemente erweitert. Zum ersten Mal finden sich zudem Aussagen über einen Rückgang des Handels und einen potentiellen oder tatsächlich erfolgten Niedergang der Nordseerepublik. Die Eidgenossenschaft wurde erstmals breiter als politisches Gemeinwesen diskutiert und als Beispiel eines stabilen Freistaates hervorgehoben. Die Formation sagbarer Aussagen änderte sich also.
1 Staatsraison, Interessenlehre und Staatsbeschreibungen Die neuen thematischen Schwerpunkte ergaben sich vorwiegend aus dem politischen Kontext und den daraus resultierenden Diskussionszentren der politischen Debatten (unter anderem Anforderungen einer commercial society; Stabilität im europäischen Mächtekonzert). Sie waren aber vor allem bedingt durch den Schematismus der ab 1650 neu auftretenden und sich europaweit schnell etablierenden Textgattung der sogenannten Staatsbeschreibungen, die jetzt vornehmlich nicht mehr an einer historischen, sondern an einer systematischen Darstellung politischer Gemeinwesen interessiert war und grundsätzlich die exklusive und komparative Beschäftigung mit den Republiken in Europa ab der Mitte des 17. Jahrhunderts forcierte und begünstigte. Der Aufbau dieser Abhandlungen ähnelte sich oft stark und orientierte sich an antiken rhetorischen Schemata und Vorläufern wie Herodot, Strabon und vor allem an den Politien des Aristoteles, die seit Ende des 16. Jahrhunderts zumindest fragmentarisch publiziert und zugänglich waren.¹ Erste Staatsbeschreibungen im Sinne umfassender Analysen des Ist-Zustandes einzelner Staaten, die weniger die historische Entwicklung, sondern vor allem die politische, wirtschaftliche, finanzielle und gegebenenfalls auch religiöse Verfassung des Staates betrachteten, entstanden im 16. Jahrhundert in Italien. Die Relationen der venezianischen Botschafter, die systematisch gesammelt und teilweise auch gedruckt vorlagen, wurden ein wichtiger Orientierungspunkt für nachfolgende Analysen.² Als Standardwerke und wichtige Referenzpunkte des 17. Jahrhunderts etablierten sich zudem Francesco Sansovinos (1521– 1586) Del governo de i regni et delle republiche cosi antiche come moderne (Venedig 1561) und Giovanni Boteros (ca. 1544– 1617) Relazioni universali (Rom 1591– 1596), die in zahlreichen Auflagen und Übersetzungen erschienen.³ Eine umfassende
Vgl. dazu Rassem, Mohammed/Stagl, Justin: Exposé. In: Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit, vornehmlich im .–. Jahrhundert. Bericht über ein interdisziplinäres Symposion in Wolfenbüttel, .–. September . Hrsg. von Dens. Paderborn [u. a.] . S. – . S. ; Rassem, Mohammed/Stagl, Justin: Einleitung. In: Geschichte der Staatsbeschreibung. Ausgewählte Quellentexte – . Berlin . S. – . S. . Vgl. Lazzeri, Introduction, S. ; Maissen, Geburt der Republic, S. . Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, verweist etwa explizit auf diese gut ausgearbeiteten „Relazionen“ (S. ). Vgl. Rassem/Stagl, Einleitung, S. . Botero etwa folgte immer dem Schema: ) Name des Staates, Beschreibung allgemeiner landschaftlicher Züge sowie Daten bzgl. der Einwohner, ) wirtschaftliche Reichtümer, ) Regierung und Ämter, ) Militär, ) Verhältnis zu den Nachbarstaaten (Rassem/Stagl, Einleitung, S. f.).
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Grundlage für nachfolgende Staatsbeschreibungen stellten darüber hinaus die sogenannten Elzevierschen Republiken dar, eine Sammlung von Abhandlungen über Geographie, Geschichte und politische Strukturen aller im Zeitverständnis relevanten, antiken wie modernen Staaten Europas und Übersees, die zwischen 1620 und 1640 beim niederländischen Verlag Elzevier in Leiden publiziert wurden und – in lateinischer Sprache und günstigem Duodecimo-Format verfasst – international einen großen Absatz fanden.⁴ Diese sich als lukrativ herausstellende Geschäftsidee, die offensichtlich auf den Bedarf des Buchmarkts reagierte, wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Herausgeber Johannes de Laet (1581– 1649) umgesetzt, der einzelne Abhandlungen selbst verfasste, vor allem aber die Edition und Übersetzung existierender Abhandlungen vorantrieb, wie im Falle Venedigs mit Contarini und Gianotti etwa grundlegende Texte des venezianischen Selbstbildes, die den Mythos der Lagunenstadt aber auch grundlegende Informationen über den Freistaat international zugänglich machten.⁵ In Frankreich wurde die rationale Analyse der europäischen Nachbarstaaten bereits unter Kardinal Richelieu (1585 – 1642) vorangetrieben, der mit Blick auf die Begründung von Rechtsansprüchen der französischen Krone und auf die Strategien der konkurrierenden Staaten die Sammlung und Archivierung von Informationen massiv förderte.⁶ Die rationale, von allen moralischen und theologischen Prämissen losgelöste Analyse der Interessen der international agierenden Staaten Europas, die der Duc de Rohan 1634 mit De l′intérêt des princes et des Etats de la chrétienté vorlegte, kann als Ausdruck dieser neuen Ausrichtung der politischen Informationsbeschaffung gelten, aber auch als wichtiger Impuls für die in Frankreich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts nun zahlreich publizierten Staatsbeschreibungen. Inhaltliche Konjunkturschwerpunkte, welcher Staat wann am häufigsten mit Hilfe dieser neuen Textgattung beschrieben und so zum Gegenstand der anatomies d′Etat wurde, hingen dabei vor allem auch von der jeweiligen außenpolitischen Situation Frankreichs ab. Im Reich hingegen standen die Beschreibungen der einzelnen europäischen Staaten, meist der Reihenfolge des diplomatischen Zeremoniells nach geordnet, in übergreifenden Werken nebeneinander. Exklusive Abhandlungen über einzelne
Vgl. dazu Gruys, J.A.: De reeks „Republieken“ van de Elzeviers en Johannes de Laet. In: Boekverkopers van Europa. Het de-eeuwse Nederlandse uitgevershuis Elzevier. Hrsg. von Berry P.M. Dongelmans [u. a.]. Zutphen . S. – ; Weststeijn, Commercial Republicanism, S. f.; Bezüglich der internationalen Verbreitung siehe unter anderem Korsten, Frans: The Elzeviers and England. In: The Bookshop of the World. The Role of the Low Countries in the BookTrade – . ′t Goy-Houten . S. – . Vgl. Weststeijn, Commercial Republicanism, S. . Vgl. dazu Hildesheimer, Françoise: Richelieu. Paris . S. – .
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Gemeinwesen – egal ob Monarchie oder Freistaat – fanden sich hier kaum. Anders als in den anderen europäischen Ländern wurde die Staatenkunde im Reich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur universitären Disziplin.⁷ Bei den publizierten Texten dieser notitia rerumpublicarum handelte es sich deshalb vorwiegend um veröffentlichte Vorlesungsgrundlagen. Gemäß dem neuen, eklektischen Wissenschaftsverständnis der sich entwickelnden Frühaufklärung, das dem Ideal des fortschreitenden Erkenntnisgewinn verschrieben war und dem bloßen Sammeln und Aufbewahren von Wissen eine nützliche Auswahl gegenüberstellen wollte,⁸ zielte die Staatenkunde auf eine Erkenntnis und Beschreibung der Staaten in ihrem konkreten Ist-Zustand. Durch die Erforschung und Darlegung ausgewählter Aspekte von Ursprung, Entwicklung, Regierungsform, Wirtschaftsgrundlagen, Bevölkerung und Beziehung zu anderen Gemeinwesen sollte der einzelne Staat in seiner Individualität charakterisiert und dennoch größtenteils von zeitlichen und personellen Umständen abstrahiert dargestellt werden, um eine universale Erkenntnis zu ermöglichen.⁹ Johann Andreas Bose (1626 – 1674), der bereits 1656 in Jena mit Vorlesungen über die „notitia orbis hodierni historicogeographico-politica“ hielt und neben Hermann Conring (1606 – 1681), der 1660 in Helmstedt ebenfalls eine Vorlesungsreihe über die „notitia rerum publicarum“ begann, als Begründer der deutschen Staatenkunde gilt,¹⁰ definierte in seiner 1676 postum erschienenen Abhandlung Introductio generalis in Notitiam rerum publicarum orbis universi ¹¹ die Staatenkunde als Wissenschaft, „die wie mit einem Blick und in etwas allgemeinerer Darstellung Gesicht und Zustand eines jeden Staates erfasse und auf diese Weise gleichsam die Mitte zwischen Historie und Politik halte, indem sie zwar die Angelegenheit der Einzelstaaten, aber größtenteils unter allgemeinem Gesichtspunkt aufzeichne“.¹² Um sich als eigenständige
Vgl. dazu Seifert, Arno: Staatenkunde. Eine neue Disziplin und ihr wissenschaftstheoretischer Ort. In: Statistik und Staatsbeschreibung, hrsg. von Rassem/Stagl, S. – ; Valera, Gabrielle: Statistik, Staatengeschichte, Geschichte im . Jahrhundert. In: Aufklärung und Geschichte. Hrsg. von Hans Erich Bödeker [u. a.]. Göttingen . S. – . Vgl. Bödeker, Strukturen, S. f. Vgl. Valera, Statistik, S. – ; Seifert, Staatenkunde, S. f. Vgl. etwa Rassem/Stagl, Einleitung, S. ; Seifert, Staatenkunde, S. ; Valera, Statistik, S. . Bosius, J.A.: Introductio generalis in Notitiam rerum publicarum orbis universi. Accedunt eiusdem dissertationes de Statu Europae quibus omnium imperiorum juxta imperantium numerus, religionis ex ea litterarum bellique ac pacis, qualis nuper erat designatur. Jena . Bosius, Introductio, S. : „Haec [Notitia] vero paullo generaliori tractatione totam faciem et statum cuiusque imperii velut uno intuitu […] proponit […] et quasi medium tenet inter historiam et politicam, dum singulorum quidem imperiorum res, sed magnam partem sub ratione universali,
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Disziplin zu etablieren, musste sich die Staatenkunde vor allem von der bisherigen Geschichtswissenschaft, der Historia, abgrenzen. Dies tat sie zunächst grundsätzlich über die eigene Zielvorgabe: die Erkenntnis des gegenwärtigen, nicht des vergangenen Zustands eines Staates. Dennoch konnte und wollte die Staatenkunde die historischen Grundlagen der Einzelstaaten aber nicht ignorieren, da nach gängigem Wissenschaftsverständnis wirkliche Erkenntnis den Grund beziehungsweise Ursprung des Erkenntnisgegenstandes zur Grundlage hatte. Folglich integrierten die Staatenkundler in ihre Abhandlungen auch immer einen historischen Teil, allerdings wählten sie die dargestellten Ereignisse und Entwicklungen pragmatisch selektiv aus, insofern sie die einzelnen Aspekte als entscheidende Voraussetzungen für den zeitgenössischen, individuellen Charakter des betrachteten Gemeinwesens bewerteten.¹³ Der Raum, den diese historischen Aspekte in einer jeweiligen Staatsbeschreibung einnahmen, konnte dementsprechend bei den einzelnen Autoren auch stark variieren und war nicht unbedingt vorgegeben. In Samuel Pufendorfs Einleitung zur Historie der vornehmsten Reiche und Staaten, so itziger Zeit in Europa sich befinden etwa umfasste der historische Teil der Abhandlungen meist mehr Seiten als die Zustandsbeschreibungen der Staaten.¹⁴ Dennoch galt auch dieser Text den Zeitgenossen als staatenkundliche Abhandlung.¹⁵ Seit Hermann Conring galt es vor allem die Staatenkunde, die die Vergangenheit der Staaten behandelt, von derjenigen, die den gegenwärtigen Zustand betrachtet und sogar von einer möglichen prognostischen Staatenkunde, die zukünftige Angelegenheiten der Staaten voraussagt, zu unterscheiden: „Notitia igitur etiam reipublicae rerum alia praesentium est, alia praeteritarum, alia futurarum.“¹⁶ Am politisch Nützlichsten sei aber bei Weitem die Kunde der gegenwärtigen Staaten: „Praesentis enim temporis notitia longe est utilissima prae reliquorum.“¹⁷
neque huic illive tempori, his illisve personis alligatas, pertractat.“ Vgl. auch Seifert, Staatenkunde, S. . Vgl. Seifert, Staatenkunde, S. – ; Valera, Statistik, S. . Pufendorf, Samuel von: Einleitung zur Historie der vornehmsten Reiche und Staaten, so itziger Zeit in Europa sich befinden. Franckfurt am Main . Vgl. Seifert, Staatenkunde, S. . Conring, Hermann: Exercitatio Historico-Politica de Notitia singularis alicujus Reipublicae. In: Hermanni Conringii Operum. Tomus . Cujus elenchus post praefationem conspicitur, continens varia scripta politica et historica […] curante commentariisque suis haec opera passim augente et illustrante Johanne Wilhelmo Goebelio. Braunschweig . S. . Conring, Exercitatio, S. . Vgl. auch Seifert, Staatenkunde, S. , der auf diese Aussage Conrings verweist, aber – nicht nachvollziehbar – den umgekehrten, folgenden Schluss zieht: „Politisch lehrreich in diesem Sinne war die Vergangenheit nicht weniger als die Gegenwart.“
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Die Relevanz der Analyse politischer Gemeinwesen der Gegenwart erhöhte sich gegenüber dem Studium vergangener Staaten, da die Erkenntnis, die aus dieser Analyse gewonnen werden konnte, funktional angesehen wurde. Sie sollte für die eigene Entwicklung in derselben Gegenwart und Zukunft nutzbar gemacht werden. In den ersten staatenkundlichen Abhandlungen im Reich ab 1660 finden sich dem neuen Disziplinverständnis entsprechend Äußerungen, die die Relevanz der Analyse der gegenwärtigen Gemeinwesen betonten.¹⁸ Die Textgattung der Staatsbeschreibungen war dabei vor allem ein Resultat der im 17. Jahrhundert einflussreichen politischen Interessenlehre, die entsprechend ihrer Grundannahme einer spezifischen, dem historischem Wandel unterliegenden Individualität eines jeden Gemeinwesens, die Analyse gegenwärtiger Staaten einforderte und als einzig wirklich nützliche und der Erkenntnis dienliche Tätigkeit der Auseinandersetzung mit Staaten der Vergangenheit gegenüberstellte. Der Begriff des Staatsinteresses, des intérêt d′état, war Teil eines begrifflichen Clusters, das sich seit dem 16. Jahrhundert im Umfeld der sogenannten Staatsraisonliteratur herausgebildet hatte. Manchmal synonym, oft aber als abweichender Unterbegriff zu raison d′état angewandt, bezog sich der Terminus „Interesse“ im 17. Jahrhundert überwiegend auf den Bereich der Außenpolitik, während etwa andere Begriffe, wie derjenige der Arcana Imperii überwiegend auf innenpolitische Handlungstrategien verwiesen.¹⁹ Diese Zuordnung war nicht in jeder Einzelsprache und für jeden Autoren immer eindeutig. Gebräuchlich waren auch weiterhin die Wortverbindungen intérêt commun oder intérêt public, die seit Beginn des 16. Jahrhunderts als Gegenbegriffe zum intérêt privée des einzelnen Bürgers fungierten und noch viel stärker mit moralischen Kategorien verknüpft Gleichwohl rief dies im Reich nicht gleichzeitig eine erhöhte Aufmerksamkeit für die freistaatlich organisierten Gemeinwesen hervor. Johann Christoph Becmann ( – ) etwa behandelte in seiner, zumindest im zweiten Teil als Staatenkunde angelegten, Historia orbis neben den großen europäischen Monarchien, dem Osmanischen Reich und asiatischen sowie afrikanischen Gemeinwesen im letzten Kapitel lediglich die Republik Venedig, nicht aber die Vereinigten Provinzen oder die Schweizer Eidgenossenschaft. Siehe Becmann, Johann Christoph: Historia Orbis Terrarum Geographica et Civilis, De variis Negociis Nostri potisimum&superioris Seculi, aliisve rebus selectioribus. Frankfurt a.d. Oder . Becmann unterteilt seine Abhandlung in eine Historia geographica und eine Historia civilis, innerhalb derer er die folgende Kapitelaufteilung vornimmt: Historiae Civilis: Cap. I: De Regno Hispaniae; Cap. II. Historia Regni Portugalliae; Cap. III. De Regno Galliae; Cap. IV. De Regno Angliae; Cap. V. De Regno Daniae; Cap. VI. De Regno Svediae; Cap. VII. Historia Imperii Russici; Cap. VIII. De Regno Poloniae; Cap. IX. De regno Bohemiae et Hungariae; Cap. X De Imperio Turcico; Cap. XI De Regibus Asiae et Africae; Cap. XII De Republica Venetorum. Bei Pufendorf hingegen werden dann alle drei Republiken jeweils in einem eigenen Kapitel analysiert. Siehe Pufendorf, Einleitung, Kap. – . Vgl. Münkler, Herfried: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main . S. .
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wurden.²⁰ Doch unabhängig davon, ob eine Wertung nach ethischen Normen erfolgte oder nicht, war im Verständnis der Staatsraisonliteratur allen Begriffen die Zugänglichkeit durch die rationale Analyse gemein. Das Interesse als Handlungsmotiv sei immer da, beschreibbar und der rationalen Erkenntnis zugänglich.²¹ Die Analyse erfolgte jeweils vor dem Hintergrund, die Sicherheit und den Erhalt des eigenen Staates zu gewährleisten. Dabei wurde der frühneuzeitliche Staat zunehmend als abstrakte, eigene und ewige Entität aufgefasst, die unabhängig von ihren Mitgliedern existiere und Souveränität als entscheidendes Charakteristikum besitze. Das Argument der Staatsraison half den Herrschenden sich von traditionellen Bindungen zu lösen und sich einzig auf eine neue Bindung zu verpflichten, nämlich das Interesse des jeweiligen Staates.²² Während Machiavelli der Forschung als gedanklicher Vorreiter dieser Überlegungen gilt, tauchten die Wörter ragione di stato und interesse wohl erstmals bei Guicciardini auf (1520er Jahre) und verbreiteten sich in einzelsprachlichen Abweichungen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts bereits weiträumig.²³ Giovanni Boteros (1533/4– 1617) Definition der Staatsraison als „Kenntnis der Mittel und Methoden, einen Staat zu gründen, zu bewahren und zu vergrößern“ wurde wohl gerade auch aufgrund ihrer Vagheit und dadurch großen Anschlussfähigkeit in der Folge oft rezipiert.²⁴ Eine entscheidende Quelle für die Interessenlehre war die 1638 postum veröffentlichte Schrift De l’intérêt des princes et des Etats de la chrétienté des Duc
Vgl. Lazzeri, Introduction, S. – , S. – ; Hirschmann, Albert O.: The Passions and the Interests. Political Arguments for Capitalism before its Triumph. Princeton ; Orth, Ernst Wolfgang: Art. Interesse. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. III. Sp. – . Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. Münkler, Im Namen des Staates, S. f.; Lazzeri, Christian: Introduction. In: Rohan, Henri de: De l’intérêt des princes et des Etats de la chrétienté. Edition établie, introduite et annoté par Christian Lazzeri (Fondements de la politique). Paris . S. – . S. – ; Haslam, Jonathan: No Virtue like Necessity. Realist Thought in International Relations since Machiavelli. New Haven/London . S. – . Vgl. Münkler, Im Namen des Staates, S. ; Lazzeri, Introduction, S. – ; Tuck, Richard: Philosophy and Government. Cambridge . S. – ; Viroli, Maurizio: From Politics to Reason of State: The Acquisition and Transformation of the Language of Politics – . Cambridge . S. – ; Haslam, No Virtue, S. – . Botero, Giovanni: Della Ragion di Stato Libri Dieci, Con Tre Libri delle Cause della Grandezza, e Magnificenza della Città. In Veneta (apresso I Gioliti) . Libro I. S.: „Regione di Stato si è notitia de′mezi, atti a fondare, conservare ed ampliare un dominio.“ Botero selbst versucht dabei in seinen Schriften durchaus wieder ethische Normen des Christentums mit den modernen politischen Ansprüchen zu vereinen und unterscheidet etwa zwischen guter und schlechter Staatsraison. Vgl. dazu Münkler, Im Namen des Staates, S. f; Haslam, No Virtue, S. – .
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Henri II de Rohan, die in den 1640er Jahren ins Englische übersetzt wurde.²⁵ Die englischen Commonwealthmen deuteten das Interesse als Phänomen, das gleichermaßen auf private Individuen, soziale Gruppen und das Gemeinwesen anwendbar sei und folglich normative Vorgaben für die Gestaltung von Außen- und Innenpolitik generieren würde.²⁶ Rohan ging es hingegen nicht um die Frage der richtigen politischen Ordnung im Inneren im Sinne eines objektivierbaren Gemeinwohls oder einer utilitaristischen Zusammenführung vieler Interessen in einem maximalen Wert garantierenden public interest. Vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen als einer der führenden protestantischen Heerführer der französischen Religionskriege war die Vorstellung eines objektiv definierbaren bonum commune als normatives Kriterium für den Duc de Rohan hinfällig geworden.²⁷ Im Zentrum seiner Analyse stand nun das subjektive Interesse der politisch Agierenden. Nach dem Edikt von Grâce d‘Alès 1629 war zudem das mögliche politische Betätigungsfeld für Protestanten in Frankreich stark eingeschränkt. Viele konzentrierten sich auf das verbliebene Feld der Außenpolitik. Auch der Duc de Rohan nahm seine militärischen Aufgaben im Sinne der protestantischen Alliierten ab 1631 im Veltlin wahr.²⁸ Seine Abhandlung, die in dieser Zeit, spätestens aber 1634 entstand, stellt sich so klar als Analyse, als „Anatomie“ des jeweils außenpolitischen Interesses aller für ihn wichtigen international agierenden staatlichen Akteure dar.²⁹ Unter dem „Interesse“ eines Staates verstand Rohan eine spezifische Position eines Gemeinwesens im Verhältnis zu den anderen Staaten, die eine spezifische Strategie und die Grenzen der Außenpolitik vorgibt.³⁰ Diese Position werde definiert durch eine individuell unterschiedliche Kombination verschiedenster Faktoren wie etwa den demographischen und finanziellen Ressourcen eines Gemeinwesens, dessen historischer Entwicklung, seiner Wirtschaftsaktivitäten und seines militärischen Potentials, seiner Infrastruktur, den im Gemeinwesen vorherrschenden Religionsverhältnissen und nicht zuletzt der politischen Verfassung eines Staates. Rohan übertrug hier das Konzept der Individualität auf die Ebene des Gemeinwesens. Aufgabe der Staatsmänner Rohan, Henri de: De l’intérêt des princes et des Etats de la chrétienté. Edition établie, introduite et annoté par Christian Lazzeri (Fondements de la politique). Paris . Zum Entstehungskontext und den verschiedenen Editionen der Abhandlung vgl. Lazzeri, Introduction, S. – und S. f. Zur Übersetzung ins Englische Lazzeri, Introduction, S. . Vgl. Lazzeri, Introduction, S. f. Vgl. Maissen, Geburt der Republic; Lazzeri, Introduction, S. – . Vgl. Lazzeri, Introduction, S. f. Rohan behandelt nacheinander Spanien, Frankreich, die italienischen Fürsten inklusive Venedig, den Vatikan, das Reich, die Schweiz, die Niederlande und England. Vgl. dazu auch Maissen, Geburt der Republic, S. ; Lazzeri, Introduction, S. . Vgl. Lazzeri, Introduction, S. und S. – .
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und vor allem ihrer außenpolitischen Berater sei es nun, nicht nur das Interesse des eigenen Staates zu erkennen, sondern auch durch die umfassende Analyse der anderen Staaten mit Blick auf die genannten Faktoren deren individuelle Position und damit die daraus resultierende Strategie der Außenpolitik zu erkennen und vorauszusehen.³¹ Denn auch wenn das Handeln von Fürsten und Räten immer wieder undurchschaubar werden könne, das Interesse eines Staates ergebe sich immer notwendigerweise aus der spezifischen, individuellen Kombination aller Faktoren.³² Allerdings unterliege auch diese individuelle Kombination, das macht Rohan gleich zu Beginn seiner Abhandlung klar, wie alles andere dem historischen Wandel. Folglich könne man keine „règle immuable“ aufstellen, sondern müsse immer wieder neu den Zustand der Staaten analysieren und Veränderungen mit einbeziehen. Für den Duc de Rohan ergibt sich daraus auch eine klare Einstellung bezüglich des Vorbildcharakters verschiedener Modelle: Beispiele der Vergangenheit seien als Orientierungsmodelle für das eigene Vorgehen unbrauchbar. Das Handeln vergangener Gemeinwesen habe vollkommen anderen Prämissen unterlegen als das der zeitgenössischen. Rohan plädiert folglich ganz klar für eine Fokussierung auf die Analyse zeitgenössischer Staaten: La raison vient de ce qu’on ne peut établir une règle immuable dans le gouvernement des Etats. Ce qui cause la révolution des affaires de ce monde, cause aussi le changement des maximes fondamentales, pour bien régner. C’est pourquoi, ceux qui en ces matières se guident plus par les exemples du passé que par les raisons présentes, font par nécessité des manquements notables.³³
Eine Prämisse, die Rohan für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts als unumgängliche Grundvoraussetzung ansah, sei der Einfluss der beiden rivalisierenden Großmächte Spanien und Frankreich. Er bezeichnet sie als die zwei Pole, zwischen denen sich das internationale Geschehen bewege und bewegen müsse. Alle anderen Staaten seien in ihren Strategien an die Interessen dieser beiden Monarchien gebunden.³⁴ Vor allem die kleinstaatlichen Republiken müssten die Absichten der großen Mächte in ihrem Vorgehen immer mitbedenken, das macht Rohan sowohl mit Blick auf Venedig als auch hinsichtlich der Vereinigten Pro-
Vgl. Lazzeri, Introduction, S. f.; Maissen, Geburt der Republic, S. . Rohan, De l’intérêt des Princes et des Etats, S. : „Le prince se peut tromper, son conseil peut être corrompu, mais l’intérêt seul ne peut jamais manquer.“ Rohan, De l’intérêt des Princes et des Etats, S. ; Vgl. auch Lazzeri, Introduction, S. . Thomas Maissen (Geburt der Republic, S. ) bezeichnet Rohans Weltbild deshalb als „mechanisch“ und den Franzosen als Vorläufer von Hobbes. Rohan, De l’intérêt des Princes et des Etats, S. f.
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vinzen und der Eidgenossenschaft deutlich.³⁵ Während der Franzose Venedig innerhalb des Kapitels über die italienischen Fürstentümer analysiert und die Republik hier als (abgesehen von dem in Mailand und Sizilien regierenden Spanien) „première puissance d’Italie“ bezeichnet,³⁶ behandelt er die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft zusammen in einem eigenen Kapitel.³⁷ Schon vor dem Westfälischen Frieden von 1648 gesteht Rohan damit den beiden „républiques formidables“ einen eigenständigen, vom Reich losgelösten Status innerhalb der international agierenden Gemeinschaft der Staaten zu.³⁸ Hinsichtlich der Niederlande sieht er diesen Status,wie er in einem späteren Abschnitt zum spanisch-niederländischen Krieg erläutert, seit dem Waffenstillstand von 1609 erreicht.³⁹ Aufgrund des Charakters ihrer Bevölkerung und ihrer geographischen Lage könne man beide Republiken als „zwei Arme Deutschlands“ bezeichnen, aus dem heraus sie sich entwickelt hätten.⁴⁰ Auch hinsichtlich des Einflusses der Naturgewalten und deren Dominanz – „l’un domine les Alpes et l’autre l’océan“ – sowie der Angepasstheit des Bevölkerungsnaturells an diese geographischen Gegebenheiten und dem föderativen Aufbau, bei dem jeder Kanton beziehungsweise jede Provinz eine eigene „république“ bilde, seien beide Staaten ver-
Rohan, De l’intérêt des Princes et des Etats, S. : „Et bien que pour cet effet, ils [die italienischen Fürstentümer inklusive Venedigs], ils doivent entretenir des pratiques avec d’autres princes, il leur importe pour trois raisons que ce soit principalement avec le roi de France. Premièrement, pour le voisinage et l’opportunité de pouvoir les secourir ou par mer ou par terre. En second lieu, pour les grandes forces que ce grand royaume peut promptement mettre sur pied. Et finalement pour tenir par cette bride l’Espagnol en devoir qui sans cela se comporterait envers eux avec moins de modération.“; S. : „Ces deux républiques ne peuvent, pour leur subsistance, s’allier mieux qu’avec France qui pour contrecarrer l’Espagne, enrichit les Suisses par son argent et soutient les Hollandais par son conseil et par ses armes. Ce deux puissances ne se doivent jamais désunir entre elles, ni par jalousie ni par religion: ce sont les seules maladies que leur peuvent causer la mort.“ Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. . Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. f. Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. ;Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. : „Tellement, que la trêve fut conclue pour douze ans, les etats reconnus libres et souverains et leurs ambassadeurs reçus en cette qualité par les princes.“ Schon in seinem Reisebericht von hatte er sie zudem als geschlossene politische Entität beschrieben. Vgl. Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit. Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. : „Des deux côtés de l’Allemagne, à l’entrée de cette vaste province, se sont formées deux républiques formidables entre les autres puissances des la chrétienté et pour la valeur de leurs peuples et pour la forme de leur situation: de sorte qu’ à bon droit on les pourrait appeler les deux bras d’Allemagne.“
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gleichbar.⁴¹ Beide würden zudem die Freiheit ihres Landes bewahren, die Schweizer allerdings die Freiheit ihrer Körper als Söldner auch nach außen hin verkaufen.⁴² Beide müssten, um zu bestehen, mit Frankreich paktieren – die Schweizer hauptsächlich wegen der finanziellen Unterstützung und die Niederländer vor allem wegen der Ratschläge und Waffenlieferungen – und dürften sich niemals, auch nicht wegen der Religion, entzweien. Dies würde ihren Untergang bedeuten.⁴³ Neben all diesen Gemeinsamkeiten sah der Duc de Rohan den entscheidenden Unterschied zwischen beiden Gemeinwesen in ihrer Kriegs- bzw. Friedenspolitik. Während die Eidgenossenschaft am Frieden interessiert sei, der sie reich gemacht habe, läge das Interesse der Vereinigten Provinzen ganz klar bei einer dauerhaften Fortführung des Krieges, der sie erst zu diesem florierenden Gemeinwesen habe werden lassen: „La longue paix a enrichi ceux-là, ceux-ci fleurissent par la continuation de la guerre. L’intérêt des Suisses est la paix et les Hollandais doivent avoir pour maxime assurée d’être toujours en armes.“⁴⁴ Venedigs Interesse siedelt er grundsätzlich wie für ganz Italien ebenfalls auf der Seite der Friedenserhaltung und dem Allianzwunsch mit Frankreich an. Allerdings, so formuliert er relativierend, würden die Venezianer selbst daran glauben, dass ihr Interesse auch in einer Förderung und Finanzierung eines Krieges außerhalb ihres Territoriums liege.⁴⁵
Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. . Thomas Maissen (Geburt der Republic, S. ) scheint die Verwendung des Terminus république hier als Aussage Rohans über eine vergleichbare freistaatliche Verfassung zu deuten. In seinem Abschnitt zum spanisch-niederländischen Konflikt geht der Duc de Rohan sogar so weit, dass in den Vereinigten Provinzen jede Stadt eine eigene „république“ sei und für eine gemeinsame Entscheidung immer Einstimmigkeit und nicht nur Stimmenmehrheit der Städte vorhanden sein müsse. Er bewertet diese Tatsache weder positiv noch negativ (S. 211). Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. . Später verweist Rohan nochmal auf die Freiheit als höchstes Gut der Niederländer (S. ). Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. . Diese Bemerkungen Rohans entsprachen durchaus der offiziellen französischen Bündnispolitik, die die Allianz mit den protestantischen Freistaaten suchte, um die eigene Position gegen Spanien zu verbessern. Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. f. Im Abschnitt zum niederländisch-spanischen Konflikt führt der Franzose dies für die Niederlande noch einmal deutlich aus: „[…] la guerre avait accru et enrichi cet Etat-là au lieu de l’abattre.“ (S. ); „Si bien que cet Etat se trouvant très bien établi pour subsister à la guerre et très mal pour se maintenir dans la paix, il est évident que son vrai intérêt est de continuer la guerre.“ (S. ); „Parce que dessus et par la suite des affaires, on peut juger que les vrais intérêts de l’Etat des Provinces-Unies sont de maintenir la guerre contre l’Espagne, sans quoi il se ruinerait de soi-même.“ (S. f.). Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. : „L’autre maxime que l’Italie doit observer est de se maintenir en paix. […] Elle [la République de Venise] croit aussi que con intérêt est d’entretenir la guerre au-dehors de la fomenter par argent.“
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Die Religion oder gar die Konfession taucht als Kriterium der individuellen außenpolitischen Strategie der Einzelstaaten oder etwa als verbindendes Element der Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft in Rohans Analyse nicht auf. Seine Abhandlung stellt sich vielmehr als Beschreibung einer säkularen europäischen Staatenordnung dar.⁴⁶ Auch finden sich im L’intérêt des Princes et des Etats keine diffamierenden oder lobenden Bewertungen innerhalb der Darstellung der Niederlande, die auf Rohans protestantischen Hintergrund zurückzuführen wären, die jedoch in der Darstellung seines Reiseberichts von 1600 durchaus noch auftauchten.⁴⁷ In einem weiteren Werk, im dritten Abschnitt seiner 1646 postum publizierten Discours politiques, in dem Rohan die Niederlande „bewundernd“ als starke und flexible Militärmacht beschreibt, die alles für den Erhalt ihrer Freiheit geben würde,⁴⁸ erwähnt er die konfessionelle Ausrichtung als Faktor der außenpolitischen Strategie zumindest mit Blick auf die Eidgenossenschaft.⁴⁹ Angesichts der Beteiligung Rohans bei protestantischen Versammlungen und Aufständen in Frankreich in den 1620er Jahren und dem dort durchaus präsenten Vorzeigemodell der Niederlande, dem es nachzueifern galt,⁵⁰ wäre eine stärker konfessionell geprägte Sicht des Franzosen auch im L’intérêt des Princes et des Etats zu erwarten gewesen. Aber 1634 war der Ansatz Rohans ein anderer: Es ging ihm, losgelöst von moralischen und theologischen Prämissen, allein um die rationale Analyse der Interessen der international agierenden Staaten Europas. Seine Abhandlung ist damit Teil von und Verweis auf eine entscheidende Schwerpunktverschiebung innerhalb der europäischen politischen Theorie. Nicht mehr das moralisch oder christlich definierte Gemeinwohl standen im Mittelpunkt, sondern der Erhalt und das Wohlergehen des Staates wurden als oberste Ziele einer neuen Disziplin, der
Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Zu den konfessionell bedingten Bemerkungen in Rohans Reisebericht vgl. Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit. Rohan, Henri de: Les Discours politiques du duc de Rohan faits en divers temps sur les affaires qui se passoient. Paris . S. und S. : „Les Pays-Bas ne font que sortir de sa tyrannie, la haïssent, la redoutent et plutôt perdront tout, que d’y rentrer. Chacun sait combien est douce la liberté: et que ne ferait un peuple pour conserver celle qu’ils ont acquise.“ Vgl. auch Lazzeri, Anm. . In: Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. und Anm. , S. . Rohan, Les Discours politiques, S. : „Les cantons des Suisses, lesquels se sont soustraits pour la plupart de ladite Maison d’Autriche, n’ont-ils pas intérêt à lui ôter le moyen de les reconquérir? Surtout ceux de notre religion contre lesquels prétexte et secours ne lui manqueront point du côté de Rome.“ Vgl. auch Lazzeri, Anm. . In: Rohan, L’intérêt des Princes et des Etats, S. . Dunthorne, Resisting Monarchy, S. , verweist auf die Orientierung protestantischer Protesthochburgen wie La Rochelle und Grenoble an niederländischen Städten und Provinzen.
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Politik, verfolgt, die zunächst losgelöst von Fragen der Theologie, der Moralphilosophie oder dem Naturrecht überlegen sollte. Das säkulare Staatsinteresse stand fortan im Mittelpunkt der politischen Überlegungen, die nun rein rational erfolgen sollten.⁵¹ Für den Duc de Rohan ergaben sich daraus Konsequenzen, von denen vier als entscheidende Grundlagen für die Diskussion über die Republiken im folgenden Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit gewertet werden müssen. 1) Es ging Rohan um die rationale Analyse des konkreten „Ist-Zustandes“ der international agierenden, souveränen Staaten, zu denen er auch die Freistaaten Venedig, die Niederlande und die Eidgenossenschaft zählte. Diese rationale Analyse wird hier mit dem Konzept der Interessenlehre gefasst. Das Interesse hatte Rohan als spezifische Position eines Staates definiert, die sich aus einer individuellen Kombination von Faktoren ergibt und die Strategien der Außenpolitik vorgibt. 2) Die Annahme des historischen Wandels bedinge eine Fokussierung auf die zeitgenössisch agierenden Staaten. Sowohl die Analyse antiker Gemeinwesen als auch die Betrachtung der Historie von Staaten war für Rohan nicht mehr von Belang. 3) Rohan betonte – zumindest in seiner synoptisch erfolgenden Analyse der Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft– die vergleichbaren Elemente beider Gemeinwesen. Es erfolgte hier also zum ersten Mal eine Art systematischer Zugriff der Analyse in Bezug auf die Freistaaten. 4) Zumindest in Ansätzen verwies der Franzose zudem auf das (in der Folge immer virulenter werdende) Problem der Kleinstaatlichkeit in einer von großen Monarchien dominierten Welt. Gefragt waren in der Folge nun umfassende Analysen des Ist-Zustandes einzelner Staaten, die weniger die historische Entwicklung, sondern vor allem die aktuelle politische, wirtschaftliche, finanzielle und gegebenenfalls auch religiöse Verfassung des Staates betrachteten.
Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f.; Lazzeri, Introduction.
2 Commonwealthmen Die Diskussion um die Staatsraison und den Interessenbegriff wurde zunächst vornehmlich in Italien und Frankreich geführt. In England war der Terminus interest im politischen Kontext vor dem Bürgerkrieg kein Diskussionsgegenstand. Erst für die Zeit nach der englischen Übersetzung von Rohans De l′intérêt 1640 lässt sich auch in der englischen Diskussion ein verstärktes Auftauchen und eine Diskussion um das Interesse feststellen.¹ Auch hier wurde das „Interesse“ zur zentralen und rational zugänglichen Kategorie der Analyse, die Vorhersagbarkeit der Verhaltensweisen generiere. Allerdings wurde der Interessenbegriff in der englischen Diskussion anders als bei Rohan nicht mehr ausschließlich auf staatliche Gebilde als Träger und deren außenpolitische Ambitionen angewandt, sondern auch auf soziale Gruppen und Individuen übertragen.² In seinem einflussreichen politischen Pamphlet Interest will not Lie von 1659 zielte Marchamont Nedham etwa genau auf die rationale Erkenntnis des Interesses und der daraus resultierenden Handlungen.³ In der Rezeption deutscher Staatenkundler wie Christoph Besold und Arnold Clapmar (1574– 1604) argumentierte Nedham einerseits klar im Sinne der Staatsraison.⁴ Er sprach aber andererseits von mehreren „Interessen“ verschiedener Gruppen innerhalb Englands. Durch das Aufzeigen des „wahren Interesses“ einer jeden Gruppe wolle er deutlich machen, dass niemand von einer Wiedereinführung der Stuart-Monarchie profitieren würde.⁵ Mit dem Kopf Karls I. waren auch viele Selbstverständlichkeiten der politischen Diskussion gefallen. Anonyme Pamphletisten und eine Gruppe von Autoren
Rohan, Henry de: A Treatise of the Interest of the Princes and the States of Christendome. Written in French by the most noble and illustrious Prince, the Duke of Rohan. Translated into English by H.[enry] H.[unt]. Paris . Vgl. Lazzeri, Introduction, S. f. Vgl. Lazzeri, Introduction, S. . Nedham, Marchamont: Interest will not Lie. Or, AView of England′s True Interest: In reference to the Papist, Royalist, Presbyterian, Baptised, Neuter, Army, Parliament, City of London. London (printed by Thomas Newcomb) . S. : „It is a Maxim among Politicians, That Interest will not lie: Which prudential saying hath a twofold sense, the improving whereof is very useful to a man, either in the conduct of his own Affairs, or in discerning the conduct and end of the Affairs and enterprises of other men.“ Vgl. auch Weststeijn, Commercial Republicanism, S. . Vgl. dazu Foxley, Rachel: Marchamont Nedham and the Mystery of State. In: European Contexts for English Republicanism. Hrsg. von Gaby Mahlberg u. Dirk Wiemann. Fanham/Burlington . S. – . Nedham, Interest will not lie, S. : „Therefore when I have made it appear, by scanning the Interests and Concernings of all Parties among us, that no one party, no, not the Royalists themselves (except only the Papist) can hope for any good by the restitution of Charls Stuart […] then I suppose the Conclusion will naturally follow: That it is the interest of all to keep him out.“
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loteten die neu gewonnen Optionen aus. Die Forschung betitelt sie rückblickend als Commonwealthmen. ⁶ Diese sahen die freistaatliche Lösung nun als Chance an, den Bedürfnissen einer zunehmend als commercial society zu definierenden Gesellschaft gerecht zu werden, ohne das Gemeinwohl aus dem Blick zu verlieren. Sie teilten dabei auf der Grundlage vorwiegend römischer Autoren dieselbe Vorstellung von individueller Freiheit als „set of natural rights“.⁷ Auch der Staat könne gemäß der Vorstellung des „body politic“ wie der Mensch Freiheiten innehaben und verlieren.⁸ Letztendlich könne nur dann von einem free commonwealth gesprochen werden, wenn dieser nicht davon abgehalten werde, die eigenen Zielvorstellungen mit den eigenen Mitteln zu verfolgen. Ein freier Staat definierte sich gemäß der Commonwealthmen folglich über die Fähigkeit, sich selbst zu regieren. Notwendige Voraussetzung hierfür sei die Zustimmung aller Bürger zu den Gesetzen als die den Staat regierenden und regulierenden Faktoren. Idealerweise werde deshalb einem jeden Bürger das gleiche Recht auf Beteiligung an der Gesetzgebung gewährt. Nur so würden alle einzelnen Interessen im public interest zusammenkommen. Sich der Gefahren einer direkten Demokratie bewusst, plädierten dabei die meisten Theoretiker für ein repräsentatives Verfassungsorgan. Über die Ausgestaltung und Form dieses Organs gab es durchaus unterschiedliche Ansichten. Über die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft und folglich hinsichtlich der Vorstellung eines für die Gemeinschaft am meisten nützlichen Bürgers gingen die Meinungen ebenfalls auseinander. Während etwa James Harrington (1611– 1677) oder John Milton (1608 – 1674) die Landwirtschaft als tragenden Sektor des Gemeinwesens propagierten und den tugendhaften Bürger als Garant für das Funktionieren des Staates in den Vordergrund stellten, sah ein großer Teil der Theoretiker und Pamphletisten der 1650er Jahre zunehmend den Handel als wichtigsten Faktor und Anliegen des Staates an und folglich die (vermögenden) Kaufmänner und Händler als wichtigste und förderungswürdige Mitglieder der Gesellschaft, unabhängig von deren Tugendhaftigkeit.⁹ Die För-
Steven Pincus zählt neben anonymen Pamphletisten vor allem Algernon Sidney ( – ), Henry Robinson ( – ), Samuel Lambe (?), Henry Parker ( – ), Slingsby Bethel ( – ) und John Streater (ca. – ) zu den Commonwealthmen. (Pincus, Steve: Neither Machiavellian Moment nor Possessive Individualism: Commercial Society and the Defenders of the English Commonwealth. In: American Historical Review (AHR) (). S. – .) Skinner zählt unter anderem auch Nedham, Milton und Harrington dazu. Skinner, Liberty before Liberalism. In den meisten Fällen, so Skinner, umfasste dies: „[…] freedom of speech, freedom of movement and freedom of contract, and they often summarise them in the form of the claim that all citizens have an equal right to the lawful enjoyment of their lives, liberties and estates.“ (S. ). Vgl. hier und im Folgenden Skinner, Liberty before Liberalism, S. – . Vgl. Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. , S. – , S. f., S. .
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derung der privaten Interessen und des Reichtums der Kaufleute, die nur in einem Freistaat umgesetzt werden könne, führe dabei notwendigerweise zu einem erhöhten Wohlstand des Gemeinwesens insgesamt.¹⁰ Für diese Gruppe wurden die Vereinigten Provinzen zum positiven Vorzeigemodell, das dem von ihnen konstruierten Ideal bisher am nächsten gekommen sei.¹¹ England hatte sich nach dem Bürgerkrieg bereits um ein Bündnis zwischen beiden Freistaaten bemüht, begleitet von einer Rhetorik, die auf die gemeinsamen rationalen Interessen bezüglich der reformierten Religion, aber vor allem der Freiheit der Bürger und den Grundsatz des Gemeinwohls abzielte.¹² Doch ob der wirtschaftlichen Konkurrenz und dem offensichtlich gegen die Generalstaaten verhängten Navigation Act kam es bereits 1652 zum ersten englisch-niederländischen Seekrieg. Während dieses Konfliktes wurden durchaus auch negative Stimmen über die unersättliche und undankbare Konkurrentin laut.¹³ Rund um den Friedensschluss in Westminster wurden dann allerdings von der offiziellen englischen Seite die Gemeinsamkeiten beider Republiken wieder betont und propagiert.¹⁴ Vielmehr als Abneigung rief die beeindruckende Handelsstärke der Generalstaaten auf der Insel Bewunderung hervor und animierte zur eigenen Verbesserung und Steigerung. Für die 1650er Jahre kann deshalb von einer dritten Phase des gesteigerten englischen Interesses an den Vereinigten Provinzen gesprochen werden. Algernon Sidney (1623 – 1683) hielt in seinen (zeitgenössisch nicht publizierten) Court Maxims fest: Die Holländer hätten bei jeder Entscheidung immer die Auswirkungen auf den Handel im Blick, was sie von der verachtenswertesten Nation Europas zu einer der bewundernswertesten für jeden anderen Machthaber gemacht habe.¹⁵ Dass die Vereinigten Provinzen den Handel zum „interest of state“ gemacht hätten, war für viele der Commonwealthmen der Grund für den
Vgl. Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. – . Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. : „For these men and women, Athens rather than Sparta, contemporary Holland rather than Venice, provided models to be followed. They developed a defense of political economy that was modernizing rather than backward looking, commercial rather than agrarian, and perhaps liberal rather than classical republican.“ Zur positiven Bewertung und dem Vorbildcharakter der Niederlande im England der er Jahre vgl. auch Dunthorne, Resisting Monarchy, S. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. . Vgl. Dunthorne, Resisting Monarchy, S. . Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. , der auf eine Medaille anlässlich des Friedensschlusses verweist. Auf dieser tragen die Allegorien beider Republiken denselben Freiheitshut. Sidney, Algernon: Court Maxims. Hrsg.von Hans W. Blom, Eco Haitsma Mulier u. Ronald Janse. Cambridge . S. f. Die Court Maxims wurden wahrscheinlich / verfasst. Vgl. auch Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. .
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Erfolg, die Stärke und das Wachstum der Nordseerepublik, die aufgrund ihrer kleinen Fläche eigentlich ungünstige Voraussetzung gehabt habe.¹⁶ Diese Beobachtung veranlasste Henry Parker (1604– 1652) bereits 1648 in seinem Traktat Of a Free Trade dazu aufzurufen, das System Platons zu überdenken und stattdessen die „mysteries of commerce“ zu erforschen.¹⁷ Und Henry Robinson (ca. 1604– ca. 1664), selbst Händler und als solcher eine Zeit lang in den Niederlanden tätig sowie schon ab 1649 Beauftragter des Parlaments für die Verbesserung des Handels und Verantwortlicher für verschiedene staatliche Wirtschaftsangelegenheiten,¹⁸ war davon überzeugt, dass, wenn England dem niederländischen Modell nacheifere, es schnell ein noch größeres wirtschaftliches Wachstum als die Vereinigten Provinzen erreichen könne.¹⁹ Robinson und andere Commonwealthmen vertraten außerdem mit Nachdruck die Einführung einer nationalen Bank in England und verwiesen dabei immer wieder auf das Beispiel in Amsterdam.²⁰ Marchamont Nedham, Publizist und Herausgeber des Mercurius Politicus (1650 – 1660), des entscheidenden Publikationsorgans der Commonwealthmen für Reformvorschläge in Innen- und Außenpolitik, sah die Vereinigten Provinzen als bestes zeitgenössisches Beispiel eines funktionierenden und effektiven Freistaats an. Er schlug unter anderem im Kontext des Mercurius Politicus im Januar 1651 eine politische Union mit den Niederlanden vor.²¹ In seinem Traktat The Excellencie of a Vgl. die angeführten Zitate von Robinson, Lambe und Parker bei Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. . Parker, Henry: Of a Free Trade. London . S. . Vgl. Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. . Vgl. Zaller, Robert: Art. Robinson, Henry (bap. , d. ). In: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Robinson, Henry: A short Discourse between Monarchical and Aristocratical Government. London . S. : „[…] and how these Nations which have been under it [Repräsentativsystem] have flourished, I could mention (if it were needful) inmultitudes of testimonies; And not to go so far back unto the Roman State, that little time it enjoyed it; Let us view these little spots of Land in Europe that live under this Government, how do they lift up their heads in strength, and wealth, above all their neighbours, to name no more but the Netherlands, and Venice; The first, even on a suddain, even by it’s Wars against Mo∣, enriching of it self beyond many Kingdoms of ten times a larger continent; and the other defending it self, yea, annoying one of the greatest Empires under the Sun. And there is no reason why England should not flourish under it much more, who hath a more Natural defence of it self, then other places have, and more reason, and advantage of setting it up, then any other people have yet had; and doubtless the Climate, and Air, is not incompetible to it. Had other Nations but the Liberty to speak, and the Freedom to choose as we have, we should soon hear which way the Vote would go.“ Vgl. auch Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. . Vgl. Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. . Vgl. Raymond, Joad: Art. Nedham, Marchamont (bap. , d. ), in: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ).
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Free-State: or, The Right Constitution of a Common-wealth,²² das 1656 klar als kritische Reaktion auf die im Mai erfolgte Erneuerung des Parlaments durch den Lordprotektor Oliver Cromwell (1599 – 1658) angelegt war,²³ verweist Nedham die Leser neben dem antiken Modell Athen auch auf die Vereinigten Provinzen als Gemeinwesen, in dem die Souveränität tatsächlich beim Volk liege: „The same Form [of a Free-State] is imbraced also by our Neighbours the United Provinces; but the best part of their Interest lies deposited in the hands of the people.“²⁴ Nedham grenzt die Niederlande hier von einem anderen „Free-State“, nämlich Venedig ab, „[…] where the Patrician is predominant, and the People a little too much kept under“.²⁵ Nur in den Vereinigten Provinzen seien die Freiheiten der Bevölkerung wirklich sicher: „Besides, we cannot but take notice, as long as the Popular Interest continued regular, and more predominant than the other, so long the People were secure of their Liberties.“²⁶ Einzig wenn dieser Freistaat, der – so interpretiert er den Plakkaat van Verlatinge von 1581 – der Verfassungsform der Monarchie für immer abgeschworen habe,²⁷ dem Statthalteramt zu viel Raum gäbe, würden sie Gefahr laufen, ihre Freiheit zu verlieren.²⁸ Die Möglichkeit, die regierenden Magistraten selbst zu wählen und abzusetzen, präsentiert Nedham als Kern politischer Freiheit. Neben den Vereinigten Provinzen dient ihm diesbezüglich auch die Eidgenossenschaft als Vorzeigemodell: […] knowing that the life of Liberty consists in a strict hand, and zeal against Tyrants and Tyranny, and by keeping persons in power from all the occasions of it: which cannot be
Nedham, Marchamont: The Excellencie of a Free-State: or, The Right Constitution of a Common-wealth. Wherein All Objections are answered, and the best way to secure the Peoples Liberties, discovered: with Some Errors of Government, And Rules of Policie. Published by a Wellwisher to Posterity. London (printed for Thomas Brewster) . Vgl. Skinner, Liberty, S. . Skinner bezeichnet diese Abhandlung Nedhams als „fullscale republican theory of freedom and government“. Nedham, Excellencie, S. . Vgl. auch Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. . Nedham, Excellencie, S. . Auch an anderer Stelle nimmt Nedham diese Abgrenzung zu Venedig deutlich vor und bewertet die Lagunenstadt als das schlechtere Beispiel: „Such another Free-state in these daies is that of Venice, where the people are free from the Dominion of their Prince or Duke; but little better than slaves under the power of their Senate.“ (S. f.) Andere Commonwealthmen wie John Streater folgen ihm in dieser Einschätzung. Vgl. Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. . Nedham, Excellencie, S. . Vgl. Nedham, Excellencie, S. . Nedham, Excellencie, S. : „[…] whereby, premitting the Family of Orange to greaten a little more than beseemed a Member of a Free-State, they were insensibly reduced to the last cast, to run the hazzard of the loss of their Liberty.“ Ähnlich argumentiert Nedham auch auf S. .
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better done, than (according to the custom of all States that are really free by leaving them liable to account: which happiness was never seen yet under the sun, by any Law or Customm established, save onely in those States, where all men are brought to taste of Subjection as well as Rulle, and the Government setled by a due succession of Authority, by consent of the People. In Switzerland the people are free indeed, because all Officers and Governours in the Cantons, are questionable by the People in their Successive Assemblies.²⁹
Die gesetzgebenden, häufig stattfindenden Versammlungen gewählter Vertreter würden sowohl den Vereinigten Provinzen als auch der Eidgenossenschaft nur Vor- und keine Nachteile bringen: „In Holland also, and Switzerland, they have their Supreme Assemblies frequent by Election, with exceeding benefit, but no prejudice to Affairs: for the frequencie of those successive Meeting, preserves their Liberty, and provides Laws.“³⁰ Nedhams Freund und Förderer des Mercurius Politicus, John Milton, teilte dessen Vorstellungen zur Freiheit des Bürgers in einem als Freistaat organisierten Commonwealth. ³¹ Anders als Nedham befürwortete Milton aber stärker die Landwirtschaft als wirtschaftliche und bürgerliche Tugend als politische Grundlage des Gemeinwesens. Er war zudem skeptisch, ob die Kaufleute und Händler ihre Privatinteressen dem Gemeinwohl unterordnen könnten.³² Folglich teilte er auch nicht Nedhams Zurücksetzung Roms und Venedigs als vorbildhafte Beispiele eines funktionierenden Freistaats, kam aber nicht umhin festzustellen, welche enorme Prosperität die Vereinigten Provinzen seit der Revolte gegen Spanien erlebt hätten.³³ Kurz vor der Restauration der Stuarts hielt Milton in seinem Readie&easie way to establish a free commonwealth fest: „[…] trade flourishes no where more, then in the free Commonwealths of Italie, Germanie and the Low Countreys before thir eyes at this day […].“³⁴ Diese Leistung der Generalstaaten
Nedham, Excellencie, S. . Vgl. dazu auch Burghardt, A League of friendly states, S. . Nedham, Excellencie, S. . Die Commonwealthmen verwenden zumeist die Termini Free-State oder Commonwealth. Der Begriff republic wird zwar selten auch schon mit Blick auf Venedig oder Genf gebraucht, aber bis kaum auf England angewandt. Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. f. Vgl. Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. . Milton, John: The Tenure of Kings and Magistrates. In: John Milton. Complete Prose Works. Bd. : – . Hrsg. von Merrit Y. Hughes. New Haven/London . S. – . S. : „From that time, to this, no State or Kingdom in the world hath equally prosperd.“ Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Milton, John: The readie&easie way to establish a free Commonwealth, And the Excellence therof Compar’d with The inconveniences and dangers of readmitting kingship in this nation. . und . Aufl. . In: The Complete Works of John Milton. Bd. : Vernacular Regicide and Republican Writings. Hrsg. von N.H. Keeble/Nicholas McDowell. Oxford . S. – . Hier:
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könne von einem als Freistaat verfassten England aber weit übertroffen werden, da dieses nicht den Nachteil besitze, mehrere Souveränitäten in einem Commonwealth zusammen bringen zu müssen, sondern vielmehr mehrere Gemeinwesen unter einer Souveränität vereine: „In which happy firmness as in the particular mentiond, we shall also far exceed the United Provinces, by having, not as they (to the retarding and distracting oft times of thir counsels on urgentest occasions) many Sovranties united in one Commonwealth, but many Commonwealths under one united and entrusted Sovrantie.“³⁵ Bei John Milton findet sich 1660 also – wie bei Machiavelli hinsichtlich der Eidgenossenschaft – der Verweis auf die Problematik der langsamen Entscheidungsprozesse, die sich aus der Vielzahl der unabhängigen und souveränen Provinzen ergebe. Mit den Generalständen hätten diese zwar ein gemeinsames Organ, das von außen als Souverän anerkannt werde, dessen Entscheidungen aber immer der Rückversicherung bei den einzelnen Provinzialständen bedürften.³⁶ Miltons Ideal hingegen war ein zu jederzeit handlungsfähiger Großer Rat, dessen Mitglieder, als Fähigste ausgewählt, am besten auf ewig ihr Mandat erhalten: And, although it may seem strange at first hearing, by reason that men’s minds are prepossessed with the notion of successive parliaments, I affirm, that the grand or general council, being well chosen, should be perpetual: for so their business is or may be, and ofttimes
S. . Milton führt aber noch im gleichen Satz aus, dass er die alleinige Konzentration auf den Handel, wie es in den Vereinigten Provinzen erfolge, nicht für erstrebenswert hält: „[…] yet if trade be grown so craving and importante through the profuse living of tradesmen, that nothing can support it, but the luxurious expences of a nation upon trifles or superfluities, so as if the people generally should betake themselves to frugalitie, it might prove a dangerous matter, least tradesmen should mutinie for want of trading, and that therefor we must forgoe & set to sale religion, libertie, honor, safetie, all concernments Divine or human to keep up trading, if lastly, after all this light among us, the same reason shall pass for current necks again under kingship, as was made use of by the Jews to returne back to Egypt and to the worship of thir idol queen, because they falsly imagind that then lived in more plentie and prosperitie […].“ Steven Pincus weist darauf hin, dass für Milton der Reichtum eines Gemeinwesens nur als Folge oder „by-product“ der freistaatlichen Verfassung gelobt werden konnte, nicht aber als Ziel oder Grund eines commonwealth. Vgl. Pincus, Neither Machiavellian Moment, S. f. (Fußnote ). Milton, The readie&easie way, S. ; Vgl. auch Maissen, Geburt der Republic, S. . Angeklungen ist dieses Phänomen bereits bei Fynes Moryson (vgl. Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit). Allerdings sieht Moryson das Problem durch die ständige und mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Vertretung der Generalstände in Den Haag als gelöst an und vermutet, sollte so eine Verzögerung in wichtigen Prozessen eintreten, vielmehr eine bewusste Taktik der Generalstände dahinter.
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urgent; the opportunity of affairs gained or lost in a moment. The day or council cannot be set as the day of a festival; but must be ready always to prevent or answer all occasions.³⁷
In Readie&easie way to establish a free commonwealth präsentiert er diesen Großen Rat in Anlehnung an das venezianische Vorbild. Seine Formulierungen erinnern dabei stark an Contarinis und Howells Beschreibungen der venezianischen Institutionen.³⁸ Auch sein Alternativvorschlag orientierte sich am venezianischen System. Sollte die Gefahr der Korruption der Ratsmitglieder doch bestehen, so könne ein Rotationssystem eingeführt werden. Allerdings berge dies erneut das Problem, dass möglicherweise erfahrene Männer durch unerfahrene Neuankömmlinge ersetzt würden.³⁹ Venedig war für Milton insgesamt die positivste Orientierungsfolie. Das registrierten auch oppositionelle Schriften, die versuchten, Miltons Argumente unter anderem dadurch zu entkräften, dass sie seine Referenzbeispiele relativierten oder demontierten. Die 1660 lediglich unter Initialien „G. S.“ veröffentlichte Schrift The Dignity of Kingship asserted: In Answer to Mr. Milton’s Ready and Easie way to establish a Free Common-wealth zielte genau in diese Richtung: „Because I find you good at Comparisons I shall be with you there and let the effect speak the cause.“⁴⁰ Auf die antiken Republiken müsse nicht mehr eingegangen werden. Sie seien so alt und ihre tatsächliche Geschichte kaum zu rekonstruieren.⁴¹ Auf die zeitgenössischen Republiken aber geht der Autor des Traktats ein. Venedig, so müsse auch er anerkennen, habe lange Zeit Bestand, sei reich und eine anerkannte Handelsnation. Allerdings würde Milton verkennen, dass Venedig nur noch weiter so existiere, weil alle Nachbarn an einem starken Bollwerk gegenüber den Türken interessiert seien. Zudem sei zu beachten, dass die Venezianer selbst viel lieber
Milton, The readie&easie way, S. . Vgl. dazu Fink, Classical Republicans, S. . Siehe Milton, The readie&easie way, S. f. Vgl. auch Fink, Classical Republicans, S. . S., G.: The Dignity of Kingship Asserted: In Answer to Mr. Milton’s Ready and Easie way to establish a Free Common-wealth. Proving that Kingship is both in it self, and in reference to these Nations, fare the most Escellent Government, and the returning to our former Loyalty, or Obedience thereto is the only way under God to restore and settle these three once flourishing, now languishing, & almost ruined Nations, by G.S. a Lover of Loyalty. Humbly dedicated, and Presented to his most Excellent Majesty Charles the Second, of England, Scotland, France and Ireland. London (printed by E.C.) . S. . S., The Dignity of Kingship, S. : „As for the Athenian, Lacedemonian, and other Grecian Commonwealths they were so old a date that the History of them is scarce to be had true, and certain, and therefore I shall speak little of them, but as by the by, perhaps I may glance at them, as you have done.“
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eine Monarchie wären. Sie würden immens viel investieren, nur um den Titel des Königs von Candia zu behalten.⁴² Eine Verfassungsänderung habe bisher allein deshalb nicht stattgefunden, weil die geopolitischen Gegebenheiten es nicht zulassen würden. Die Übergangsphase zur besseren Form der Monarchie würde ein Auseinanderbrechen bedeuten.⁴³ Während der Autor hier versuchte, das positive Bild Venedigs zu relativieren, und so neue Aussagen präsentierte, griff er in seiner Beschreibung der Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft auf überlieferte, zum Teil diffamierende Stereotypen zurück. Die Vereinigten Provinzen, „as they are called“, könnten kaum als „Commonwealth“ bezeichnet werden.⁴⁴ Es handle sich um eine lose Ansammlung unzähliger unabhängiger Städte mit eigener Gerichtsbarkeit.⁴⁵ Die Revolte gegen Spanien müsse als „rebellion“ bezeichnet werden, als unrechtmäßiger Aufstand einer Horde von „boorish subjects“.⁴⁶ Die Eidgenossen seien grobe Barbaren, eine wilde bauerngleiche Nation, die allein zum Krieg in fremden Diensten tauge.⁴⁷ Über eine mögliche Vordbildfunktion urteilt der anonyme Autor vernichtend: „And for the Switzers by degrees rent from neighbouring Monarchies, who but he that is a Switzer born and so would not defile his own nest, can commend or speak a word of their Policy, so farre from being desireable, that it is scarce tolerable.“⁴⁸ Auch die Eidgenossenschaft sei zudem von einem Protektor abhängig, der ihre Existenz garantieren und
S., The Dignity of Kingship, S. f. The Dignity of Kingship, S. f.: „And to speak truth, the Venetian Government is suited to their territoryes, they grew up with it, and were no sooner considerable, but has such about them, who watched all opportunityes of swallowing them up, that if they were convinced of a better way of Government, yet it was impossible for them to change, a new Policy, being like a new Garment, though never so much better then the old,yet will be a good while before it will fit so well and be so easy, so that if they should endeavor a change, could they use the Celerity of Angels, in shifting out of one form into another before they could suit themselves to it, or it to themselves, they and their Government would be griped, and wrested out of their hands […].“ S., The Dignity of Kingship, S. . Siehe auch S. : „As for Hollanders, if they be a Commonwealth […].“ S., The Dignity of Kingship, S. . S., The Dignity of Kingship, S. und S. . Siehe auch S. , wo der Autor die Revolte mit „a herd of swine will runne together to oppose a Wolf“ vergleicht. S., The Dignity of Kingship, S. : „Let any man but cast his eye upon, and observe the Switzers, a rude, barbarous Nation, […]. A savage Peasantlike Nation, fit only for the warres, and to be imployed by almost any that will pay them.“ S., The Dignity of Kingship, S. .
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anerkennen müsse. Dies zeige wiederum, dass die Monarchie letztendlich die bessere Staatsform sei.⁴⁹ Sowohl die Befürworter einer Restauration der Stuarts als auch jene, die einen als Freistaat organisierten Commonwealth in England wünschten, diskutierten zwischen 1650 und 1660 die zeitgenössischen Republiken und nutzten sie als Folie für ihre Überlegungen. Die Bewertung und Auswahl der jeweils betrachteten Aspekte differierte je nach eigener Schwerpunktsetzung. Eine wichtige Quelle für Miltons Überlegungen und Beispielwahl – etwa mit Blick auf eine Möglichkeit der Ämterrotation oder mögliche Defekte eines föderativ organisierten Gemeinwesens – war die 1656 in London publizierte Schrift The Commonwealth of Oceana. ⁵⁰ James Harrington veröffentlichte in dieser Abhandlung 1656 seine Konzeption eines idealen Staates. Wie die anderen Commonwealthmen der 1650er Jahre suchte Harrington vor dem Hintergrund des erfahrenen Bürgerkrieges nach der Möglichkeit eines freien, stabilen und erfolgreichen Staates.⁵¹ Eine solche perfekte Republik, die dauerhaft Bestand haben werde, so war Harrington sicher, lasse sich in einem positiven Akt der Gesetzgebung erschaffen, wenn man aus der Geschichte Gesetzmäßigkeiten ableite und sich diese Weisheit zu Nutzen mache. In The Commonwealth of Oceana führt er exemplarisch diesen Prozess der Erschaffung und das mögliche Funktionieren des perfekten Gemeinwesens vor. Dabei diskutiert er antike und zeitgenössische Republiken, ohne eine von diesen zum uneingeschränkt nachzuahmenden Ideal zu stilisieren.⁵² Aus der historischen Analyse der antiken Republiken, vor allem Roms und
S., The Dignity of Kingship, S. f.: „The Switzers also have their Protector, and so the Hamburgers, the Genoeses, and in a word not any without protection, formally granted on one hand and accepted by the other, that bears the face of a Common-wealth. And the Protectour and Patron is still a Monarch, and therefore of the two Monarchy is the more Noble and absolute Government.“ Harrington, James:The Commonwealth of Oceana. In:The Political Works of James Harrington. Hrsg. von John G.A. Pocock. Cambridge [u. a.] (Cambridge Studies in the History and Theory of Politics). S. – . Das Werk wurde zwischen September und November in zwei Editionen veröffentlicht. Zu Harringtons Text als Grundlage für Miltons Überlegungen vgl. Fink, Classical Republicans, S. . Notwendige Voraussetzung für einen solchen Staat war für die Commonwealthmen die Zustimmung aller Bürger zu den Gesetzen als die den Staat regierenden und regulierenden Faktoren. Vgl. Skinner, Liberty, S. . Zu Harrington und den Grundgedanken der Oceana siehe vor allem Pocock, John G.A.: Historical Introduction. In: Pocock, The Political Works of James Harrington, S. 1– 152. Für John Pocock unterscheidet Harrington sich gerade darin von vorangegangenen Autoren, dass er kein normatives, in der Vergangenheit liegendes Goldenes Zeitalter postuliert und folglich für England keine Tradition der „Ancient Constitution“ konstruiert. Siehe Pocock, Historical Introduction, S. .
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der respublica hebraeorum, leitet er die paradigmatisch verstandene Staatsweisheit der Antike, die ancient prudence, ab. Mit dem römischen Kaisertum und vor allem dem Vormarsch der germanischen Völker hätte sich das Gesicht der Welt verändert.⁵³ Diese hätten die Periode der modern prudence eingeläutet und allein Venedig, „[…] escaping the hands of the barbarians by virtue of her impregnable situation, hath had her eye fixed upon ancient prudence and is attained to perfection even beyond her copy“.⁵⁴ Auch Harrington propagiert also wie der bis dahin transportierte „Mythos Venedig“ eine Ausnahmestellung der Lagunenstadt. Im Unterschied zu Nedham und anderen vornehmlich am Handelserfolg orientierten Commonwealthmen ist es bei Harrington nicht die Republik der Vereinigten Provinzen, die nun den Status desjenigen Gemeinwesens aus dem gemeinsamen Erfahrungsraum einnimmt, welches dem anvisierten, perfekten Ideal am nächsten komme, sondern (weiterhin) Venedig.⁵⁵ Dennoch bricht Harrington nur fünf Jahre nach Howells Abhandlung über Venedig mit dem Mythosnarrativ⁵⁶ – nicht im Sinne einer negativen Bewertung oder einer Dekonstruktion des Venedigbildes, sondern vielmehr durch eine veränderte methodische Herangehensweise. Harrington betrachtet Venedig weiterhin als positives und nachahmungswürdiges Vorbild. Dabei abstrahiert er aber von den realen Gegebenheiten. Er nutzt Venedig als eine Art Baukasten, um gezielt die Elemente heraus zu suchen, die für sein Ideal eines in der Gegenwart und Zukunft bestehenden Gemeinwesens tragfähig sind. The Commonwealth of Oce-
Siehe Harrington, Oceana, S. : „Giannotti, the most excellent describer of the commonwealth of Venice, divideth the whole series of government into two times or periods. The one ending with the liberty of Rome, which was the course of empire, as I may call it, of ancient prudence, first discovered unto mankind by God himself in the fabric of the commonwealth of Israel, and afterwards […] followed by the Greeks and Romans. The other beginning with the arms of Caesar which, extinguishing liberty, were the transition of ancient into modern prudence, introduced by those inundations of Huns, Goths [….] deformed the whole face of the world except Venice […].“ Harrington, Oceana, S. . Vgl. etwa Harrington, Oceana, S. : „Now having reasoned the principles of an equal commonwealth, I should come to give an instance of such an one in experience, if I could find it; but if this work be of any value, it lieth in that it is the first example of a commonwealth that is perfectly equal. For Venice, though she come the nearest, […].“ Die grundlegenden Werke, die er für seine Venedigdarstellung heranzieht, sind aber mit Giannotti, Contarini und Machiavelli dieselben, auf die sich die meisten Transporteure des Mythosnarrativs beziehen.Vgl. dazu auch unter anderem Mulier, Myth of Venice, S. – ; Fröhlich, Mysterium Venedig, S. . Zu James Howells Venedigbeschreibung von vgl. Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit.
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ana kann deshalb mit David Wootton als „Schlüsseltext“ der Modifikation des Venedigbildes angesehen werden.⁵⁷ Es sind vornehmlich institutionelle Elemente der venezianischen Ordnung, die Harrington heraushebt und für die von ihm entworfene Republik, die notwendigerweise sowohl die Wenigen als auch die Vielen als an der Politik Beteiligte umfassen sollte, empfiehlt.⁵⁸ Das venezianische Losverfahren bei der Ämterwahl sei etwa das einzig probate Mittel, um Korruption und Vetternwirtschaft zu verhindern.⁵⁹ Das Prinzip der Ämterrotation garantiere zudem den regelmäßig erfolgenden Personalwechsel und damit eine möglichst breite Beteiligung der Bürger an der Politik.⁶⁰ Auch das venezianische Justizsystem sei in seinen Grundlagen und seinem Aufbau, der eine schnelle und effiziente Handlungsfähigkeit garantiere, vorbildlich.⁶¹ Alle diese Elemente übernimmt Harrington – nach eigener Darstellung ohne gravierende Abstriche⁶² – von der venezianischen Verfassung. Venedig kommt für Harrington dem Ideal eines „equal commonwealths“, der sich durch die perfekte Funktionsteilung zwischen den die Wenigen und die Vielen repräsentierenden Regierungsorganen auszeichne, am
Wootton, Ulysses Bound?, S. . Vgl. dazu auch Wootton, Ulysses Bound?, S. ; Pocock, Historical Introduction, S. und S. f.; Mulier, Myth of Venice, S. – . Siehe Harrington, Oceana, S. , S. und S. : „But whatever a man’s fortune be at the box, he neither knoweth whom to thank or whom to challenge. Whereof (that my lord may have a charitable opinion of the choice of affection which I confess to have, above all other beauties, for that of incomparable Venice) there is in this way of suffrage no less than a demonstration that it is the most pure; and the purity of the suffrage in a popular government is the health if not the life of it, seeing the soul is no otherwise breathed into the sovereign power than by the suffrage of the people.“ Der Holzschnitt, der The Commonwealth of Oceana anhing, zeigt eine Darstellung des angedachten Losverfahrens (The Manner and Use of the Ballot. In: Harrington, Oceana, S. ). Die Abbildung ähnelt stark jener, die das venezianische Losverfahren in Contarinis De Magistratibus Venetorum zeigt. Vgl. dazu Eglin, Venice Transfigured, S. . Harrington, Oceana, S. . Harrington, Oceana, S. und S. : „And to conclude this part with a word de judiciis, or of the constitution or course of courts, it is a discourse not otherwise capable of being well managed but by particular examples, both the constitution and course of courts being divers in different governments but best beyond compare in Venice, where they regard not so much the arbitrary power of their courts, as the constitution of them; whereby that arbitrary power, being altogether unable to retard or do hurt unto business, produceth and must produce the quickest dispatch and the most righteous dictates of justice that are perhaps in human nature.“ Harrington, Oceana, S. : „I have not stood upon a more particular description of this ballot, because that of Venice, exemplified in the model, is of all others the most perfect.“ Und S. : „The manner I shall not stand in this place to describe, because it is exemplified at large in the judicature of the people of Oceana.“
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nächsten.⁶³ Senat und großer Rat hätten in Venedig bisher immer so gut zusammengearbeitet, dass keine grundlegende Auseinandersetzung zwischen Volk und Adel den Frieden und die notwendige Ruhe des Gemeinwesens erschüttert hätten.⁶⁴ Dennoch muss Harrington konstatieren: „Nevertheless Venice internally and for her capacity is by far the most equal, though she hath not in my judgment arived at the full perfection of equality.“⁶⁵ Dies liegt für ihn vor allem an zwei Defiziten des venezianischen Gemeinwesens:⁶⁶ 1) Erstens würde der Überbau des Gemeinwesens, die „superstructure“ mit ihren Prinzipien des Losverfahrens und der Ämterrotation, insofern außer Kraft gesetzt, als dass aufgrund der geringen Anzahl der Bürger in Venedig die Ämter letztendlich auch immer nur zwischen den gleichen, wenigen Personen wechseln würden. Dies habe in Venedig nur deshalb so lange funktionieren können, weil das gesamte Gemeinwesen allein auf den eigenen Erhalt ausgelegt gewesen sei. In einer Republik mit vielen Bürgern, die zudem expansiv ausgerichtet sei – so wie es in Harringtons Modell Oceana angelegt ist – würde ein solcher Defekt auf die Dauer Ungleichheit erzeugen.⁶⁷ 2) Zweitens mangele es Venedig in seiner Grundlage, den Gesetzen, an einem für Harrington unabdingbaren „agrarian law“. Ein solches müsse das Gleichgewicht zwischen Landverteilung und Entscheidungsgewalt garantieren. Denn nur
Siehe unter anderem Harrington, Oceana, S. : „An equal commonwealth (by that which hath been said) is a government established upon an equal agrarian, arising into the superstructures or three orders, the senate debating and proposing, the people resolving, and the magistracy executing by an equal rotation through the suffrage of the people given by the ballot.“ Harrington, Oceana, S. . Harrington, Oceana, S. f. Harrington, Oceana, S.: „[…] both because her laws, supplying the defect of an agrarian, are not so clear nor effectual at the foundation, nor her superstructures by the virtue of her ballot or rotation exactly librated, in regard that through the paucity of her citizens, her greater magistracies are continually wheeled through a few hands.“ Harrington, Oceana, S. : „Whereof if this in Venice, or that in Lacedaemon, where the kings were hereditary, and the senators (though elected by the people) for life, cause no inequality (which is hard to be conceived) in a commonwealth for preservation, or such an one as consisteth of a few citizens; yet is it manifest that it would cause a very great one in a commonwealth for increase, or consisting of the many, which by the engrossing the magistracies in a few hands would be obstructed in their rotation.“ Vgl. dazu auch Fröhlich, Mysterium Venedig, S. (auch wenn dessen Bewertung von Harringtons Venedigbild widersprüchlich und nicht nachvollziehbar ist). Konsequent bezeichnet Harrington Venedig lediglich als „near equal“ oder „most equal“. Die Defekte, die er an dieser Stelle aufzeigt, sind also immer schon mitgedacht.
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wenn die Machtverteilung in einem Staat der ökonomischen Grundlage entspreche, könne dieser einen Bürgerkrieg vermeiden und stabil bleiben.⁶⁸ Trotz dieser Defizite bleibt Venedig das einzige zeitgenössische Referenzmodell, das bei Harrington positiv belegt ist und deshalb als Baukasten funktionieren könne. Den Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft spricht Harrington eine solche mögliche Funktion ab. Zwar lasse deren Überbau ebenfalls eine funktionale Teilung der Regierungsorgane erkennen,⁶⁹ der Adel besitze aber insgesamt viel zu starke Privilegien, die den Rest der Bevölkerung in ein Abhängigkeitsverhältnis zwingen könnten,⁷⁰ und zudem sei die Organisation als Bündnis vollkommen defizitär, denn unnütz und für die Gemeinwesen selbst gar gefährlich: The second way of propagation or enlargement used by commonwealths is that of Switz and Holland, equal leagues. This, though it be not otherwise mischievous, is useless to the world and dangerous unto themselves; useless unto the world, for, as the former governments were storks, these are blocks, have no sense of honour, or concernment in the sufferings of others, but, as the Aetolians, a state of the like fabric, were reproached by Philip of Macedon, prostrate [Anm.1 sic, but “prostitute”?] themselves by letting out their arms unto the lusts of others; while they have their own liberty barren, and without legitimate issue. I do not defame the people; the Switz for valour have no superior, the Hollander for industry no equal; but themselves in the meantime shall so much the less excuse their governments, seeing that unto the Switz it is well enough known that the ensigns of his commonwealth have no other motto than in the converte manus, and that of the Hollander, though he sweat more gold than the Spaniards digs, lets him languish in debt, for she herself lives upon charity. These are dangerous unto themselves, precarious governments, such as do not command but beg their bread from province to province; coats that, being patched up of all colours, are of none. That their cantons and provinces are so many arrows is good; but they are so many bows too, which is naught.⁷¹
Vgl. Pocock, Historical Introduction, S. – . Pocock verweist in diesem Zusammenhang auf das genuin Neue bei Harrington, der Machiavellis Hypothese der Bewaffnung als Grundlage des Bürgerrechts um die Hypothese des Landeigentums als Voraussetzung für die Bewaffnung ergänzt habe (S. ). Folgerichtig kritisiert Harrington auch Venedigs Engagement fremder Söldner (Harrington, Oceana, S. (Council of the Legislators)): „[…] but in this part of our government neither Venice, nor any nation that maketh use of mercenary forces, is for our instruction. A mercenary army, with a standing general, is like the fatal sister that spins: but proper forces, with an annual magistrate, are liker her that cuts her thread.“ Vgl. dazu auch Fröhlich, Mysterium Venedig, S. und zu Venedigs fehlendem „agrarian law“ S. f. Harrington, Oceana, S. f. Harrington, Oceana, S. . Harrington, Oceana, S. .
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Da in diesen beiden Gemeinwesen zudem das Erbrecht eine gleiche Aufteilung der Hinterlassenschaft auf alle Erben vorschreibe, sei ein „agrarian law“ nicht notwendig – diese Tatsache lasse vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen zum „Commonwealth of Oceana“ erkennen.⁷² Die Möglichkeit, bewegliche Güter als Eigentumsgrundlage zu verstehen, zieht Harrington hier nicht in Betracht.⁷³ Er kommt vielmehr zu dem Schluss, dass die Vereinigten Provinzen und die Schweizer Eidgenossenschaft aufgrund eines ganz anderen Erfahrungshintergrundes und den daraus erwachsenen Strukturen für den „commonwealth Oceana“ keine Vorbildfunktion einnehmen könnten.⁷⁴ Venedig hingegen wird als Hinweis auf die potentielle Unsterblichkeit eines perfekt eingerichteten Gemeinwesens glorifiziert: To come unto experience, Venice, notwithstanding that we have found some flaws in it, is the only commonwealth in the make whereof no man can find a cause of dissolution; for which reason we behold her (albeit she consist of men that are not without sin) at this day with one thousand years upon her back, for any internal cause as young, as fresh and free from decay or any appearance of it, as she was born. But whatever in nature is not sensible of decay by the course of a thousand years is capable of the whole age of nature; by which calculation, for any check that I am able to give myself, a commonwealth rightly ordered may for internal causes be as immortal, or long-lived, as the world.⁷⁵
Harrington abstrahiert anhand der Referenzfolie Venedig bestimmte Prinzipien, die als Grundlage eines perfekten Commonwealth dienen sollen. Er extrahiert zudem einzelne, vornehmlich institutionelle Elemente, die einer solchen Republik auf unbestimmte Dauer Stabilität garantieren könnten. Die Notwendigkeit zu handeln, sieht er – klar vor dem konkreten englischen Hintergrund schreibend⁷⁶ – längst für die europäischen Staaten gekommen: If France, Italy and Spain were not all sick, all corrupted together, there would be none of them so, for the sick would not be able to withstand the sound, nor the sound to preserve
Harrington, Oceana, S. . Vgl. dazu auch Pocock, Historical Introduction, S. f. Siehe Lord Archons Beitrag im Council of the Legislators (Harrington, Oceana, S. ): „For the commonwealths of Switz and Holland (I mean of those leagues), being situated in countries not alluring the inhabitants unto wantonness but obliging them unto universal industry, have an implicit agrarian in the nature of them and, being not obnoxious unto a growing nobility – which, as long as their former monarchies spread the wing over them, could either not at all be hatched, or was soon broken – are of no example unto us, whose experience in this point hath been unto the contrary.“ Vgl. auch S. . Harrington, Oceana, S. f. Vgl. dazu Pocock, Historical Introduction, S. f., der unter anderem Lord Archon klar als Oliver Cromwell identifiziert.
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her health without curing of the sick. The first of these nations (which, if you stay her leisure, will in my mind be France) that recovers the health of ancient prudence shall assuredly govern the world […].⁷⁷
Auch wenn Harrington sich hier der Metapher des siechenden Körpers bedient und nicht explizit von dem Staat als Maschine spricht, so ist sein Ansatz im Commonwealth of Oceana doch bereits ein „technizistischer“ im Sinne einer Lehre des Herstellens.⁷⁸ Der Staat kann, basierend auf einer Analyse des historischen Materials und bestimmten Regeln folgend, durch einen positiven, nomothetischen Akt hergestellt werden.⁷⁹ Vor dem Hintergrund des erfahrenen Bügerkrieges geht es Harrington wie Nedham und Hobbes (1588 – 1679) um eine staatliche Ordnung, die dauerhaft und unabhängig vom (Fehl‐)Verhalten der politisch Aktiven Bestand haben kann. Der politische Körper wurde hier zunehmend mechanisch gedacht. Auch wenn Harrington weiter den tugendhaften Bürger für notwendig erachtete,⁸⁰
Harrington, Oceana, S. . Vgl. dazu Stollberg-Rilinger, Barbara: Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaates. Dissertation. Köln (Historische Forschungen ). S. f.; Wootton, David: Liberty, Metaphor, and Mechanism: „Checks and Balances“ and the Origins of Modern Constitutionalism. In: Liberty and American Experience in the Eighteenth Century. Hrsg. von David Womersley. Indianapolis . S. – . Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. . Stollberg-Rilinger spricht (allerdings mit Blick auf Hobbes) von der „resolutiv-komposotiven Methode der modernen Naturwissenschaft“, die auch auf den Staat angewendet wird. „Der als Ganzes vorgefundene Gegenstand der Erkenntnis wird in seine Elemente aufgelöst. Von der Betrachtung der Beschaffenheit dieser Elemente gelangt man zu den Prinzipien der Gestaltung, auf deren Grundlage man den Gegenstand aus seinen Elementen neu konstruiert.“ (S. ). Diesen kann Harrington weder in den zeitgenössischen noch in den antiken Republiken finden: „For how else can you have a commonwealth that is not altogether mechanic? Or what comparison is there of such commonwealths as are or come nearest to mechanic; for example Athens, Switz, Holland, unto Lacedaemon, Rome, and Venice, plumed with their aristocracies. Your mechanics, till they have first feathered their nests like the fowls of the air, whose whole employment is to seek for their food – are so busies in their private concernements that they have neither leisure to study the public, nor are safely to be trusted with it […] because a man is not faithfully embarked in this kind of ship if he have no share in the freight. But if his share be such as gives him leisure, by his private advantage, to reflect upon that of the public, what other name is there for this sort of man, being à leur aise, but (as Machiavell you see calls them) nobility?“ Das Adjectiv „mechanic“ meint hier bei Harrington nicht etwa „mechanisch“ im Sinne einer möglichen Maschinenmetapher, sondern vielmehr „nicht-adlig“, „handwerklich“. Die „mechanics“ sind die Bauern, Handwerker und Händler (Vgl. Harrington, Oceana, S. : „Education by the first of the foregoing orders is of six kinds: at the school, in the mechanics, at the universities, at the inns of court or chancery, in travels, and in military discipline; some of which I shall touch, and some I shall handle.[…] Parents (under animadversion of the censors) are to dispose of their children at the fifteenth year of their age unto something; but what, is left, according to their abilities or
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so ging es ihm doch vornehmlich darum, diese Tugend zu mechanisieren, sie zu einer automatischen Konsequenz der hergestellten staatlichen Ordnung zu machen.⁸¹ Diese Ordnung beschreibt er als ein Ineinandergreifen verschiedener Teile, als „System“⁸² – ein Bild, das für die in der Folge aufkommende Metapher der „Maschine“, gemäß David Wootton, grundlegend und in diesem inhärent bleiben wird.⁸³ Mit den Commonwealthmen wird die positive Beschreibung der Vereinigten Provinzen erstmals zu einem wesentlichen Bestandteil politischer Reformforderungen erhoben. Die Aussagen über den benachbarten und mit England konkurrierenden Freistaat trugen einen klar funktionalen Charakter: Die Maßnahmen und Institutionen niederländischer Wirtschaftspolitik sollten imitiert werden. Bei Marchamont Nedham werden die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft darüber hinaus erstmals zur verfassungspolitischen Orientierungsfolie. Mit den häufig stattfindenden Versammlungen gewählter Vertreter, die den popular interest repräsentieren und garantieren würden, seien diese beiden Republiken vorbildlich. Auch oppositionelle Schriften griffen diesen Aspekt auf, indem sie den Vereinigten Provinzen diese politische Vorbildfunktion gänzlich absprachen. Dass sie es aber überhaupt thematisierten, verweist auf eine neue diskursive Notwendigkeit, sich mit den Strukturen dieser Gemeinwesen auseinanderzusetzen. Auch John Milton und James Harrington setzten sich mit den politischen Strukturen der Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft auseinander, bewerteten sie aber vor allem aufgrund ihres föderativen Aufbaus als defizitär. Für sie bleibt Venedig der entscheidende Referenzpunkt. Neu war hier, dass Harrington technisch-institutionelle Elemente aus dem überlieferten Set von Topoi extrahierte und diese als grundlegende Elemente für den perfekten Staat präsentierte. Dieser perfekte Staat bedingt im Idealfall die Tugend seiner Bürger systemimmanent. Das hieß für Harrington, dass die privaten Interessen auto-
inclination, in their own choice. This, with the many, must be unto the mechanics: that is to say, unto agriculture or husbandry, unto manufactures, or unto merchandise.“) Diesen Hinweis verdanke ich Sebastian Meurer. Vgl.Wootton, Ulysses Bound?, S. ; Mulier, Myth of Venice, S. : „Venice’s most significant contribution to Oceana’s constitution consisted then of its system of voting by ballot which had guaranteed an almost mechanical exercise of virtù and great stability since time immemorial. Thus the seventeenth-century English admirer cautiously reworked various components of the myth of Venice into a new political formation.“ Siehe Harrington, Oceana, S. („the system of government“) und das postum veröffentlichte Traktat A System of Politics (Pocock, The Political Works of James Harrington, S. – ). Dazu Wootton, Liberty, S. . Vgl. Wootton, Liberty, S. f.
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matisch dem Interesse der Gemeinschaft untergeordnet werden könnten.⁸⁴ Der Ansatz derjenigen Commonwealthmen, die nicht die Landwirtschaft, sondern den Handel als wichtigstes Instrument und tragenden Sektor eines Gemeinwesens ansahen, war genau umgekehrt: Die Förderung privater Interessen würde den Wohlstand aller als Konsequenz nach sich ziehen. Für Nedham und dessen Umfeld war es daher vornehmlich die Gruppe der Händler, deren Interesse es zu erkennen und zu berücksichtigen galt, wenn es um normative Vorgaben für die Gestaltung der Innen- und Außenpolitik eines Staates gehen sollte. Die Analyse anderer Staaten etwa in Form von Staatsbeschreibungen machte aber dennoch auch für diese englischen Commonwealthmen Sinn. Hier konnten Beispiele staatlichen Umgangs mit wirtschaftlichen Interessen(gruppen) studiert und auf eine mögliche Anwendbarkeit in England geprüft werden. Zudem schloss die Übertragung des Interessensbegriffs auf Individuen und Gruppen die weitere Anwendbarkeit auf Staaten, die im internationalen Wettbewerb wie Individuen handeln, nicht aus. Eine Analyse der Konkurrenten war folglich unabdingbar, um die außen- und wirtschaftspolitischen Strategien Englands erfolgreich zu entwickeln und umzusetzen. In diesem Sinne wurden in England ab 1650 die ersten Staatsbeschreibungen publiziert, die explizit nicht mehr ausschließlich historisch angelegt waren und sich oft exklusiv mit einzelnen Nachbarn auseinandersetzen. Oft markierte die Wendung the present state of bereits im Titel die Absicht der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Zustand des jeweiligen anderen Gemeinwesens.
Vgl. dazu auch Pocock, Historical Introduction, S. f.
3 Jean de Parival und die Gebrüder de la Court Die erste (gedruckte) Analyse im Sinne der Interessenlehre mit Blick auf die Vereinigten Provinzen erschien im Jahr 1651 allerdings nicht in England. Es handelt sich um Jean de Parivals Les Délices de la Hollande. ¹ Die Erstausgabe wird in den Vereinigten Provinzen selbst gedruckt, nämlich in Leiden, wo der aus Verdun stammende Parival seit Mitte 1620er Jahre Französisch unterrichtet hatte und dessen Bürgerrecht er 1640 erhielt.² Parivals Abhandlung stellt sich als ausführliche (266 Seiten) und durchgehend in positivem Ton gehaltene Beschreibung der Provinz Holland dar, in der er bis zu diesem Zeitpunkt übliche Aussagen über Holland und die gesamten Vereinigten Provinzen aufgreift,³ aber auch neue Themenbereiche explizit diskutiert. Dass er das in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur stärksten Provinz entwickelte Holland, das in Folge immer mehr pars pro toto für die gesamten Niederlande gehandelt werden wird, in seiner Beschreibung durchaus im Kontext der gesamten Vereinigten Provinzen denkt, wird spätestens in seinem Kapitel über die Regierungsform und deren Institutionen deutlich.⁴ Hier diskutiert Parival zunächst ausführlich die Generalstände als Repräsentanten der „Majesté & la Souveraineté desdites Provinces“.⁵ Dieser Staat, so macht er deutlich, könne nur durch die Einheit und den Zusammenhalt seiner Mitglieder überhaupt bestehen und sich gegenüber großen Staaten behaupten.⁶ Parival skizziert den föderativen Staatsaufbau und betont dessen not-
Parival, Les Delices. Eine exklusive Beschreibung der gesamten Niederlande lieferte schon der Florentiner Lodovico Guicciardini. Guicciardini kennzeichnet diese Abhandlung aber nicht als Staatsbeschreibung, sondern klar als Ergänzung zu einer Chronik. Vgl. Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit. Auch die zweite (Leiden ) und dritte (Amsterdam ) Edition werden in den Niederlanden gedruckt. Der Druck der vierten Ausgabe erfolgt dann erstmals in Paris.Vgl. hier und für biographische Informationen: Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique. Biographie nationale. Bd. . Brüssel . S. . Parival verweist selber in seinem Vorwort an den Leser darauf, dass er sich bewusst sei, kaum etwas präsentieren zu können, das noch nicht bekannt ist („[…] ny que i’aye la vanité de croire que ie puisse adiouter quelque chose à son lustre; elle se fait assez connoitre par ses propres actions, & la bonté des ses habitants est assez espandue par tout le monde“). Er habe sich vor allem der Schriften Boxhorns, Stradas und anderen bedient und seine eigenen Erfahrungen des Jahre andauernden Aufenthaltes hinzugefügt. (Parival, Les Délices, Au Lecteur, o.P.). Parival, Les Délices, Chapitre XXVI. Des Colleges qui gouvernent la Hollande, & premierement de celui des Estats Generaux. Parival, Les Délices, S. . Parival, Les Délices, S. : „[…] la confederation, qui est essentielle à l’Etat, & sans laquelle il n’y avoit pas apparence de se maintenir contre une puissance si grande.“
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wendige Verbindung in einem zentralen Entscheidungsorgan. Er stellt die Zusammensetzung der Generalstände genau dar, erläutert die Aufgabenbereiche und Kompetenzen dieser Institution, die Rückgebundenheit der Entscheidungen an die Provinzialstände⁷ und den „raad van state“ als Exekutivorgan der Generalstände⁸. Erst dann widmet er sich der Darstellung von Zusammensetzung, Aufgaben und Abstimmungsprinzip der Provinzialstände am Beispiel Hollands sowie anschließend den Aufgaben und der Funktion des Statthalters.⁹ Die Beschreibung Hollands beginnt mit der Darstellung der bis zu diesem Zeitpunkt üblichen und seit Guicciardini zunehmend stereotyp gewordenen Aspekte: Dem Ursprung Holland als antikes Batavia und der etymologischen Ableitung des Provinznamens, die Beschreibung der geographischen Lage und der Beschaffenheit des Bodens, die Darlegung der Sitten und Gebräuche der Holländer sowie der Darstellung des Handels als Hauptwirtschaftszweig, dessen hauptsächlichen Importund Exportprodukten und der Begünstigung dieses Handelserfolges durch die zahlreich vorhandenen Flüsse und Kanäle.¹⁰ Das folgende Kapitel befasst sich exklusiv mit den holländischen Steuern und Abgaben, die Parival für einzelne Posten konkret darlegt. Diese Abgaben seien von den Ständen geschickt Stück für Stück eingeführt worden und würden ohne Widerstand von der Bevölkerung
Parival, Les Délices, S. – .Vgl. unter anderem: „Or les Estats Generaux quoy qu’ils ayent ce grand & ce souverain pouvoir, ne sont pas pourtant les Maistres, mais les compagnons des Estats, par lesquels ils ont esté envoyez pour maintenir la Souveraine Puissance de la confederation, qui est essentielle à l’Etat, & sans laquelle il n’y avoit pas apparence de se maintenir contre une puissance si grande.“ (S. ). Parival, Les Délices, S. : „Le second College s’appelle en Flaman (den Raedt van Staten) c’est à dire Conseil des Estats […] Bref ils ont l’intendance sur les ordres de la guerre. Ils semblent representer les Estats absens, les commendemens desquels ils mettent en execution tres-exactement.“ Parival, Les Délices, S. – (Provinzialstände), S. f. (Statthalter). Die Kompetenzen des Statthalters definiert er hier gemäß dem Beschluss der Union von Utrecht und er verweist zudem auf das ständig präsente Beratergremium in dessen Umfeld. Parival, Les Délices, Chapitre I bis V. Parival nennt gleich zu Beginn dieses Teils Guicciardini namentlich (S. ). Als Importprodukte nennt er vor allem Getreide,Wein und Holz sowie Waren aus aller Welt, als Exportprodukte Milchprodukte, Fisch und verarbeitete Textilien. Bereits hier beschreibt er die Holländer als freiheitsliebendes Volk, das keine Sklaverei dulde, arbeitsam, einfallsreich und exzellent in der Wissenschaft sei. Dabei stellt er gleichsam eine Entwicklung der Sitten fest: „Les vieux Hollandois estoient ia dis meprisez de leurs voisins pour leurs Moeurs grossieres, la simplicité de leurs habits, & de leur nourriture. On les appelloit stupides, mangeurs de lait & fromage. Mais comme ils ont esté reputez simples & niais, on les tient à present pour les plus fins rusez & accorts de l’Europe. Ce qui se remarque suffisemment dans tous les traitez & alliances qu’ils ont faits avec les etrangers dont sera parlé cy dessous.“ Parival, Les Délices, S. .
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bezahlt, da sie für die Verteidigung der Freiheit eingesetzt würden.¹¹ An diese ersten sechs Kapitel schließt Parival eine Beschreibung der einzelnen Städte an, die er – an die bestehenden Stereotype anknüpfend und zum Teil mit Superlativen versehen – als schön, reich und dicht bevölkert beschreibt.¹² Schließlich wendet er sich aber der ausführlichen Diskussion von Aspekten des holländischen Gemeinwesens zu, die bis dato höchstens partiell und mit wenigen Worten erwähnt worden waren: der in dieser Provinz vorherrschenden Religionen, der hier vorhandenen Freiheit und dem Justizwesen. Holland sei – im Unterschied etwa zu Spanien – ein Hort der Gewissensfreiheit.¹³ Auch wenn die reformierte Kirche die Staatskirche bilde, der Zugang zu politischen Ämtern also Angehörigen aller anderen Religionen verwehrt bleibe, so würden doch sowohl Lutheraner als auch Anabaptisten und Juden die Freiheit der Religionsausübung besitzen und eigene Gotteshäuser betreiben.¹⁴ Allein den Katholiken werde lediglich die Gewissensfreiheit, nicht aber die freie Religionsausübung gewährt. Diesen Umstand zu beurteilen sowie überhaupt theologische Fragen zu klären, will Parival sich nicht anmaßen.¹⁵ Und so stellt er auch die Auseinandersetzung zwischen Arminianern und Gomaristen möglichst neutral dar.¹⁶ Keine Provinz der Welt, so Parival im nächsten Kapitel, genieße solch eine Freiheit wie Holland. Diese Freiheit sei noch dazu gepaart mit einer solchen Harmonie, dass keine Bevölkerungsgruppe eine andere dominieren könne: „Il n’y a point aujourd’hui de Province en tout le monde qui joüisse de tant de liberté que la Hollande, avec une si juste harmonie, que les petits ne peuvent estre gourmandés par les grands, ny les pauvres par les riches & les opulens.“¹⁷ Freiheit definiert Parival im Folgenden als negative Freiheit der Einwohner, als Freiheit von
Parival, Les Délices, S. und S. (Einsatz der Steuermittel zur Landesverteidigung und zum Deich- und Infrastrukturbau). Parival, Les Délices, Chapitre VII bis XXI. Die Beschreibung Leidens als Wohnort des Autors fällt dabei am Ausführlichsten aus. Parival, Les Délices, S. : „Les Provinces & villes prenant le contrepoids des maximes du Roy d’Espagne, qui protestoit de ne pouvoir ny vouloir souffrir autre Religion que la Catholique Romaine […] Ils prirent les armes contre ses ordonnances, & pour la liberté des Consciences (sic) […] Ils conclurent donc de souffrir toutes les religions.“ Parival, Les Délices, S. – . Parival, Les Délices, S. f.: „Les Catholiques sont les seuls exclus de la grace universelle, dont tous les autres jouïssent, & n’ont aucune exercice libre, du tout; […] on ne leur accorde que la liberté de conscience. […] Je ne dispute pas si ces doutes ont esté fondez ou non […].“ Vgl. auch S. f. Parival verweist auch auf die geheimen katholischen Gottesdienste in Privathäusern (S. ). Parival, Les Délices, S. – . Parival, Les Délices, S. .
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Zwängen und nicht etwa, wie mit Blick auf den behandelten republikanischen Gegenstand zu erwarten wäre, als positive Freiheit etwa im Sinne einer Freiheit zu politischer Partizipation.¹⁸ In Holland gebe es weder Sklaverei noch Leibeigenschaft.¹⁹ Jeder, der seinen Fuß auf holländischen Boden setze, sei frei von allen vorherigen Besitzansprüchen seines vorausgegangenen Herrn.²⁰ Dorfbewohner seien in Holland genauso frei wie Stadtbürger und würden keinerlei lehnsrechtlicher Willkür unterliegen.²¹ Ein jeder sei „König in seinem Haus“, genieße Reisefreiheit und das Recht, das Land zu verlassen.²² Jeder habe Gewissensfreiheit und niemand würde aufgrund seiner Religion verfolgt oder gezwungen, zum reformierten Glauben zu konvertieren.²³ Jeder habe das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch in politischen Angelegenheiten, und könne nach seiner eigenen Façon leben.²⁴ Diese Freiheit der Bewohner negiere nicht die Standesunterschiede, Respekt werde aber nur denjenigen gezollt, die die Freiheit der anderen respektieren würden.²⁵ Insgesamt, so Parival, sei diese Freiheit ein hohes Gut, dass sie aufgrund der vergleichsweise miserablen Zustände in etwa Litauen, Polen, Böhmen, in Teilen des Reichs, Dänemark und Schweden, viele Menschen aus anderen Teilen Europas anziehe. Das Bevölkerungswachstum Hollands sei so zu erklären. Die Freiheit trage auf diese Weise zum Wohlstand Hollands bei: „Cette liberté donc estant bien prise, est une piere precieuse, qui augment infiniment les
Zur Unterscheidung negative vs. positive Freiheit siehe Kapitel III. der vorliegenden Arbeit. Parival, Les Délices, S. : „La Hollande ne souffre point de serf ny d’esclave […].“ Parival, Les Délices, S. f. Parival, Les Délices, S. : „Les Seigneurs sont les Princes & les Peres de famille, les villageois ayant payé ce qu’ils doivent, sont aussi libres que les citadins. Cette loy tyrannique qui donne aux Seigneurs droit de vie & de mort sur les paisans, n’est ny Chrestienne ny connuë en Hollande […].“ Parival, Les Délices, S. f.: „Un chacun est Roy dans sa maison, & c’est un crime tres dangereux d’avoir violanté un Bourgeois dans la sienne […]. On peut voyager librement par toute la Hollande. […] Personne n’est obligé de demeurer icy plus qu’il ne veut, comme en de certains païs; un châcun peut entrer & sortir quand bon luy semble.“ Parival, Les Délices, S. : „La liberté de conscience est accordée à tout le monde, personne n’est recherché pour sa Religion, ni forcé d’aller à l’Eglise Reformée, ny hay même par les vrais Hollandois […].“ Parvial, Les Délices, S. : „La liberté de parler de tout, même des Magistrats, est si grande, qu’elle passe en licence.“ Weiter S. : „[…] un châcun s’habille à sa mode & comme il luy plait.“ Parival, Les Délices, S. : „Ceux qui soûtiennent que la Noblesse n’est pas honorée ny estimée en Hollande, se trompent beaucoup: Car les Gentil-hommes qui se gouvernent avec moderation […] sont sincerement respectés; mais ceux qui sont orgueilleux, & ne font estat de personne, sont hais & tout à fait mesprisez.“
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délices de la Hollande, qui la doit combler de felicitez, & la rendre enfin la plus peuplée de toutes les Provinces du monde.“²⁶ Die Justiz, so argumentiert Parival im folgenden Kapitel, garantiere diese Freiheit sowie alle Vorzüge und hervorragenden Eigenschaften Hollands. Sie sei die Wächterin des holländischen Gartens, die Garantin des Wachstums: Les Delices ne peuvent subsister effectivement dans une Province, si la Justice n’a les armes à la main pour defendre le droit des bons & chastier la meschanceté des Pervers. A quoy serviroit il d’avoir un beau jardin remply de toutes les beautez imaginables, & des fruits les plus exquis que l’on sçauroit souhaiter, si on n’y osoit aller qu’avec crainte ? […] que si cela n’estoit le pais ne fleuriroit pas comme il fait & le credit des Estats Generaux n’avoit pas esté si grand.²⁷
Parival legt die ausführenden Organe und Zuständigkeiten hinsichtlich der Justizausübung auf Provinz-, Stadt- und Landesebene dar und kommt zu dem Schluss, dass die Justiz exakter als an irgendeinem anderen Ort in Europa ausgeführt werde und sie in manchen Bereichen sichtbare Vorteile gegenüber der Rechtsprechung in anderen Staaten besitze.²⁸ Prozesse etwa würden viel schneller abgehandelt als in Frankreich.²⁹ Im Anschluss an das Kapitel über die holländische Justiz und die Regierungsinstitutionen, die er in Bezug auf die „Maschine Staat“ als „animierende Intelligenzen“ bezeichnet,³⁰ legt Parival die Admiralitätsorganisation in Holland dar sowie Grundlagen und einzelne Expeditionen der holländischen Schifffahrt. Ganz im Sinne der Interessenlehre folgt ein Kapitel über die Bündnisse der gesamten Vereinigten Provinzen mit anderen Staaten.³¹ Schon in seiner Widmung an verschiedene holländische Regenten hatte Parival auf das starke Bündnis mit Frankreich abgehoben, das sich immer für die Vereinigten Provinzen eingesetzt habe. Zudem benennt er dort den Frieden als Staatsmaxime und bezeichnet Hollande als Ehefrau, die ein jeder heiraten wolle.³²
Parival, Les Délices, S. . An diese Aussage schließt er die Bemerkungen zu den genannten anderen Staaten an: „Quand je fais reflexion sur le miserable estat de quelques Chrestiens […].“ Parival, Les Délices, S. und S. f. Parival, Les Délices, S. – . „[…] qu’elle est mieux exercée icy qu’en pas un lieu de l’Europe.“ (S. ). Parival, Les Délices, S. . Parival, Les Délices, S. : „Montons jusques au plus haut degré de cette puissante machine, dont les Colleges suivans sont les intelligences qui animent ce grand ressort.“ Parival, Les Délices, Chapitre XXXII: „Des Alliances que les provinces unies ont faites avec les Etrangers.“ Parival, Les Délices, Preface (o.P.): „La France ne l’a jamais laissé au besoin, & c’est delà que les plus grans secours sont partis, tout d’hommes, de conseil, que d’argent […]. Ils disent un
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In einem zweiten Teil gibt Parival anhand aller Grafen Hollands einen historischen Abriss vom neunten Jahrhundert über die niederländische Revolte und die folgenden Entwicklungen bis 1650, dem er basierend auf Grotius’ Darstellung auch eine Beschreibung des Bataver-Mythos voranstellt. Die Betrachtung der Historie wird hier anders als bei Rohan also nicht vollkommen aus der Analyse ausgelagert. Eingeschoben in diese historische Betrachtung der innen- und außenpolitischen Ereignisse ist am Ende auch ein Kapitel, das sich mit der Frage der Dauerhaftigkeit der niederländischen Republik auseinandersetzt.³³ Parival wägt dabei zu Beginn die Argumente eines nicht namentlich genannten italienischen Autors und die des Leidener Rhetorik- und Geschichtsprofessors Marcus Zverius Boxhorn gegeneinander ab.³⁴ Während ersterer zu dem Schluss gekommen sei, diese Republik würde nicht ewig Bestand haben, hätte Boxhorn auf der Grundlage solider Argumente das Gegenteil behauptet und er, Parival, wolle sich dem Niederländer anschließen.³⁵ Sowohl die geographisch vorteilhafte Situation als auch das Naturell der Holländer, die sich diese Situation zu eigen gemacht und zu ihrem Vorteil genutzt hätten, würden keinen Zweifel an einer perfekten Einrichtung der Republik lassen: „Si bien qu’un chascun m’advoüera que la seigneurie de la mer est asseurée & par consequent la Republique est bien fondée de ce costé là.“³⁶ Zudem seien sie aufgrund der natürlichen Gegebenheiten und ihrer eigenen In-
commun Proverbe que la Hollande est l’Epouse, pour laquelle se donne le bal, qu’un chacun la voudroit avoir, & que personne ne peut souffrir qu’aucun l’emporte. […] Bref, ils n’ont jamais manqué à leurs Alliez, & ils n’ont pas voulu continuer la guerre, c’est que les maximes d’estat les ont portés à faire la paix.“ Parival, Les Délices, Chapitre XIV: De la durée de cette Republique (sic!). Parival meint hier wohl die gesamten Vereinigten Provinzen. Das wird deutlich, wenn er etwa über mögliche Uneinigkeiten zwischen den Provinzen spricht (siehe unten). Allerdings wechselt er immer wieder zwischen den Bezeichnungen „Republique“, „Hollande“ und „Estat“. Zu Marcus Zverius Boxhorn und dessen erstmals gedruckten und durchaus erfolgreichen Beschreibung der Provinz Holland (Theatrum Sive Hollandiae Comitatus Et Urbium Nova Descriptio, Amsterdam ) vgl. Haitsma Mulier, E.O.G./Lem, Anton van der: Repertorium van geschiedsschrijvers in Nederland ( – ). Den Haag . S. – und Rauschenbach, Sina: Art. Marcus Scverius Boxhorn: Theatrum Hollandiae. http://www.theatra.de/repertorium/ ed.pdf?PHPSESSID=eeefc efcbaabc (. . ). Wahrscheinlich ist mit dem italienischen Kardinal Cornelio Bentivoglio und dessen historische Abhandlung über den niederländischen Unabhängigkeitskampf gemeint. Parival, Les Délices, S. f.: „Un grand Cardinal Italien en ses Relations Politiques, propose beaucoup d’Argumens lesquels font pour la durée & la perpetuité de cette Republique, en apres il les refute par d’autres, & conclud qu’elle ne sera pas perpetuelle. Monsieur Boxhorne soûtient le contraire par des raisons fort solides, aux quelles je renvoye le Lecteur, le priant de me pardoner si je prens la hardiesse d’en expliquer icy mon sentiment apres deux si grands personnages.“ Parival, Les Délices, S. .
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dustrieleistung so gut befestigt und wehrhaft, dass sie – so hätten es die Auseinandersetzungen mit Spanien gezeigt – praktisch uneinnehmbar seien.³⁷ Innere Krankheiten könnten den Staat allerdings schwächen und erschüttern, aber aufgrund schon getroffener Vorkehrungen niemals ganz zu Fall bringen: „Véritablement les maladies interieures la peuvent esmouvoir & esbransler, mais non pas jamais faire tomber.“³⁸ Er nennt im Folgenden Beispiele solcher möglichen „maladies interieures“ sowie die niederländischen Vorkehrungsmaßnahmen gegen diese: Uneinigkeiten zwischen den Provinzen etwa könnten Irritationen hervorrufen, aber die Weisheit und Klugheit der Generalstände sei groß genug, um diese Streitigkeiten zu schlichten und Fremden keinen zu großen Einfluss zu gewähren.³⁹ Insgesamt seien die Niederländer wenig auf eine mögliche Überordnung einzelner Städte über andere bedacht. Sollte es doch vorkommen, dass eine Stadt versuche, die anderen zu dominieren, so würden die Generalstände und der Statthalter diesen Bestrebungen Einhalt gebieten.⁴⁰ Folglich fasst Parival zusammen: „Bref elles sont toutes portées à faire valoir la bonne correspondance, à faire fleurir le trafic, & à maintenir leurs Concitoyens en paix, par l’observation des loix & des privileges.“⁴¹ Auch wenn Einzelne der Korruption unterliegen könnten, den Staat als Ganzes könne dies niemals stürzen oder entscheidend schwächen.⁴² Holland würde mehrere Roms in sich vereinen, die von weisen Männern regiert würden, die viel mehr dem Ausgleich als den Extremen zugeneigt seien.⁴³ Parival kommt deshalb zu dem Schluss: „De toutes ces raisons il appert clairement que tant de la situation, que de la repugnance, que ces peuples ont de la domination d’un seul; cette Republique ne pourra iamais manquer.“⁴⁴ Parivals Abhandlung Les Délices de la Hollande thematisierte zum ersten Mal neben den bis dato üblichen Aussagen explizit die Religions- und Gewissensfreiheit als Stütze einer erfolgreichen niederländischen Wirtschaftspolitik und
Parival, Les Délices, S. f. Parival, Les Délices, S. . Parival, Les Délices, S. . Parival, Les Délices, S. . Parival, Les Délices, S. . Parival, Les Délices, S. : „Nous sçavons disoit un grand homme d’estat, que l’argent, qui a un grand ascendant sur l’esprit de beaucoup d’Hollandois, peut faire de la corruption parmy ceux qui gouvernent le païs […]; mais ils ne pourront jamais le perdre, ny l’affoiblir en sorte qu’il ne se puisse incontinent redresser.“ Parival, Les Délices, S. f.: „[…] notre Hollande, laquelle contient plusieurs Romes dans son Circuit & moins d’Ambitieux. Les Villes sont gouvernées par des hommes sages qui ne sont ny legers ny temeraires; leur temperamment est porté à la moderation qui leur fait abhorrer les extremitez.“ Parival, Les Délices, S. .
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eine spezifische, negativ definierte, niederländische Freiheit sowie die exakte, schnelle Justiz als Staatsgrundlagen der niederländischen Politik. Parivals Abhandlung wurde sowohl in den Vereinigten Provinzen selbst, als auch in Frankreich, England und dem Reich in der Folge breit rezipiert.⁴⁵ Der Text erfuhr in der Folge zwölf Ausgaben bis 1728 und wurde 1660/1661 auch ins Niederländische übersetzt. Vor allem in den vier Ausgaben ab 1697 (Amsterdam 1697, Den Haag 1710, Den Haag 1726 und Amsterdam 1728) erfuhr der Text große Veränderungen und Abwandlungen, die zum Teil ausdrücklich mit dem Genre der Staatsbeschreibung begründet wurden.⁴⁶ Parivals Name verschwand schon 1678 und 1685 vom Titelblatt.⁴⁷ Eine deutsche Übersetzung wurde 1674 herausgegeben,⁴⁸ eine englischsprachige Version der Délices fand sich bereits 1669 unter dem Titel The Delights of Holland als Teil der Abhandlung The Present State of the United Provinces des späteren Sekretärs des englischen Gesandten in Den Haags William Aglionby (um 1642– 1705).⁴⁹
Zur Rezeption in England vgl.van Strien, British Travellers, S. .Vgl. außerdem Kapitel II. der vorliegenden Arbeit. Vgl. etwa das Vorwort der Ausgabe von : „Les ouvrages du genre de celui-ci sont plus susceptibles qu’aucun autre de changemens & d’additions considérables; Les Païs changent si non de situation du moins de face, certaines villes augmentes, d’autres tombent dans la vile cathegorie des villages, & où l’on a vû des bois l’on trouve des canaux, & des chateaux où quelques années auparavant, on avoit semé du bled ou planté des legumes. Les mœurs des peuples, leurs coutumes & leurs usages ne sont pas moins sujèts au changement; les loix même & le Gouvernement varient & éprouvent des revolutions considerables. Tous cela se trouve dans le sujèt de cet ouvrage-ci; ainsi chaque Edition qu’on en a fait & qu’on en fera peut toujours passer pour un libre nouveau.“ Les Delices de la Hollande, contenant une déscription éxacte du Païs, des Mœurs & des Coutumes des Habitans: avec Un Abrégé Historique depuis l’établissement de la République jusqu’au de là de la Paix d’Utrecht. Nouvelle Edition. Considérablement corrigé & augmentée. Tome premier. Amsterdam (chez Pierre Mortier) . Avertissement sur cette Nouvelle Edition (o.P.). Zu den verschiedenen bekannten Editionen siehe Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique, S. . Die Lustbarkeit der Niederlanden, Das ist: Kurtze und eigentliche Beschreibung der . Niederländischen Provintzien und der darin gelegenen prächtigen Städten und mächtigen Festungen, wie weit dieselbige von einander entfernet, auch was rares, schönes und herrliches darin zu beobachten, sambt der Art, Beschaffenheit, Sitten und Gebräuchen der Einwohner. Auß dem Frantzösischen in unsere Hochteutsche Sprach übersetzet. Nebenst Einer kurtzen Beschreibung des noch wehrenden Frantzösischen und Holländischen Kriegs. Franckfurt (Zubrodt) . The Present State of the Low Countries; as to the Government, Laws, Forces, Riches, Manners, Customs, Revenue, and Territory of the Dutch. In three Books, collected by W.A. Fellow of the Royal Society. London (printed for John Starkey) . Book III: The Delights of Holland. S. – . Vgl. zu diesem Teil als Übersetzung das Vorwort des Autors und van Strien, British Travellers, S. . Zur Abhandlung Aglionbys selbst siehe Kapitel II. der vorliegenden Arbeit.
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Dass Parivals Beschreibung der Vereinigten Provinzen durchaus im Kontext theoretischer Überlegungen zu dem Begriff des (Staats‐) Interesses gelesen werden muss, zeigt unter anderem dessen eigene Auseinandersetzung mit diesem Terminus und dem gleichzeitigen Versuch einer konkreten Anwendung auf die Provinz Holland im Jahr 1662. Unter dem Titel Le Vray L’Interet de la Hollande, Elevé Sur les Ruines de celuy qui voit le jour sous le nom de V.D.H. Et dedié a la fille du Temps Par I.N.D.P. ⁵⁰ publizierte Parival eine Gegenschrift gegen die im selben Jahr erschienene und äußerst erfolgreiche Abhandlung Interest van Holland, ofte gronden van Hollands welvaren der Gebrüder Johan (1622– 1660) und Pieter de la Court (1618 – 1685).⁵¹ Die Texte der Gebrüder de la Court, die wie Parival in Leiden wohnten und nach einem Studium vor Ort sowie einer absolvierten Grand TourReise erfolgreich eine eigene Textilfirma betrieben, wurden von breiten Kreisen der holländischen Bevölkerung als tragende Beiträge einer gegen das Haus Oranien gerichteten Bewegung und als Verteidigungsschriften für das in Holland seit 1650 regierende, oligarchische Regime gelesen. Nach dem versuchten coup d’état des holländischen Statthalters Wilhelm II. von Oranien (1626 – 1650) im Jahr 1650 und dessen anschließend unerwartetem Tod, ohne erwachsene männliche Erben zu hinterlassen,⁵² entschlossen sich die Provinzstände Hollands, keinen neuen Statthalter zu ernennen. Ihren formalen Ausdruck fand dieser Entschluss, der in Holland die erste sogenannte Statthalterlose Periode einleitete, in einem Gesetz, das künftig alle Mitglieder des Hauses Oranien von jeglichen hohen politischen Ämtern ausschloss. Die einflussreichste Figur der neuen Regierung, der Ratspensionär Johan de Witt (1625 – 1672), legitimierte diesen Beschluss in seiner Deductie, ofte declaratie van de Staten van Hollandt ende West-Vrieslandt. ⁵³ Teil seiner Argumentation war der Verweis auf das Schicksal anderer Republiken. All
Parival, Jean de: Le Vray L’Interet De La Hollande, Elevé Sur les Ruines de celuy qui voit le jour sous le nom de V.D.H. Et dedié a la fille du Temps Par I.N.D.P. Moderata consilia tutiora! Leiden (chez Pierre Gardier) . Eine niederländische Ausgabe der Abhandlung wird ebenfalls noch in Leiden bei J. Princen herausgegeben.Vgl. Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique: Biographie nationale. Bd. . Brüssel . S. . Parival, Jean de:V.D.H., Interest van Holland, ofte gronden van Hollands welvaren. Amsterdam (chez Cyprianus vander Gracht) . Die Abhandlung erlebte allein im selben ersten Jahr der Veröffentlichung noch acht weitere Auflagen und wurde zum „bestseller among the urban populace“.Vgl. hier und grundsätzlich zu Werk und politischem Verständnis der Gebrüder Johan und Pieter de la Court: Weststeijn, Commercial Republicanism, hier S. . Außerdem weniger ausführlich: Kossmann, Political Thought, S. – . Die Initialen V.D.H. stehen für „van den Hove“. Wilhelm II. hatte mit militärischer Drohkulisse Kompetenzen an sich gebracht, die die Provinz Holland unter anderem während der Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück für sich beansprucht hatte. Vgl. dazu Israel, Dutch Republic, S. f. Vgl. Israel, Dutch Republic, S. – ; Weststeijn, Commercial Republicanism, S. f.
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diejenigen, die das Amt des Oberbefehlshabers erblich gemacht hätten, seien über kurz oder lang zu einer Monarchie degeneriert. Jene Republiken aber, die dies vermieden hätten wie Venedig oder die Eigenossenschaft, hätten auf Dauer als Freistaat Bestand gehabt.⁵⁴ De Witts Argumentation und das neue Regime waren die gesamten 1650er Jahre nicht unumstritten. In einer intensiv geführten Debatte beanspruchten sowohl die Vertreter der neuen Regierungsform als auch die Verteidiger der Oranier und des Statthalteramtes, die „ware vrijheit“ der Republik zu verteidigen. Zwei der prominentesten Vertreter der freistaatlichen Lösung ohne Statthalter waren die bereits erwähnten Gebrüder Johan und Pieter de la Court. Während sie in ihrem Frühwerk Naeuwkerige consideratie van staet der 1640er Jahre noch keine klare Präferenz für eine bestimmte Verfassungsform erkennen ließen, sprachen sie sich rund zehn Jahre später in den von Pieter de la Court nach dem Tod seines Bruders Johan (1622– 1660) veröffentlichten Texten Politike Weegschaal und Politike Discoursen klar gegen die Monarchie aus.⁵⁵ Die Freiheit und Sicherheit, die bei den De la Courts nicht mehr kollektiv, sondern jetzt individuell gedacht wurde, könne nicht durch den naturgemäß unvollkommenen Monarchen, sondern nur durch eine rationale Ordnung und Gesetze gewährleistet werden, die das Resultat der Entscheidungen eines mehrköpfigen Souveräns seien. Diese Souveränität sei aber nicht zwischen verschiedenen Institutionen teilbar. Konsequenterweise lehnten die de la Court-Brüder eine Mischverfassung ab. Venedig sei deshalb klar als
Siehe Witt, Johan de: Deductie, ofte declarative van den Staten van Hollandt ende WestVrieslandt. Den Haag . S. . Vgl. auch Weststeijn, Commercial Republicanism, S. . Venedig und die Eidgenossenschaft waren auch von Flugschriften aufgegriffen worden, die 1650 direkt nach dem coup d’état des Statthalters Vor- und Nachteile dieser Veränderung diskutierten. Diejenigen, die die Eigenständigkeit der Provinzen verteidigten, verglichen die Vereinigten Provinzen mit der Eidgenossenschaft. Bei beiden handele es sich um ein defensives Bündnis souveräner Einzelstaaten. Diejenigen, die den Statthalter unterstützten, verwiesen auf Venedig als stabile Republik mit einer perfekten Mischverfassung. Der Doge sei hier primus in Republica und als solcher ein wichtiger Bestandteil der republikanischen Ordnung. Vgl. dazu Weststeijn, Commercial Republicanism, S. 44 f. Court, Pieter de la/Court, Johan de la: Consideratien en exempelen van staet. Omtrent de fundamenten van allerley regeringe. Amsterdam . (. erweiterte Edition , ., . und . Edition ); Court, Pieter de la/Court, Johan de la: Politike Discoursen handelende in ses onderscheide boeken van steeden, landen, oorlogen, kerken, regeeringen en zeeden. Leiden . Hier wurde vornehmlich die . Edition der Polityke Weeg-Schaal von verwendet: Court, Pieter de la: Consideratien van Staat, ofte Polityke Weeg-Schaal, Waar in met veele, Reedenen, Omstandigheden, Exempelen en Fabulen wird ooverwoogen; welke forme der Regeeringe, in speculatie geboud op de practijk, onder de menschen de beste zy, beschreven door V.H. in deese derde editie naawkeurig ooversien, merkelik vermeerdert, en in veelen klaarder gestelt. Amsterdam (voor Dirk Dirksz) .
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Aristokratie zu klassifizieren, die sich allerdings erst im Laufe der Jahre zu einer solchen entwickelt habe. Erst seit der serrata, der Schließung des Großen Rates, die von den de la Courts auf 1325 datiert wurde, sei Venedig klar als Aristokratie zu erkennen.⁵⁶ Die De la Courts nahmen also ähnlich wie Giannotti durchaus eine Entwicklung innerhalb der venezianischen Verfassungsstruktur an und wandten sich gegen das venezianische Selbstbild der unveränderten Verfassung von Beginn an.⁵⁷ Während die erste Ausgabe der Politike Weegschaal von 1660, die wie die weiteren Ausgaben ausführlich die italienischen Republiken Venedig, Ragusa und Genua behandelte, noch die demokratische und die aristokratische Regierungsform als gleichwertig betrachtete, lässt sich ab der zweiten Ausgabe, die Pieter de la Court nun eigenverantwortlich gestaltete, eine deutliche Präferenz für die als Aristokratie verfasste, aber zur Demokratie hin offene Republik erkennen.⁵⁸ Folgerichtig wurde auch die Darstellung Venedigs noch ausführlicher und positiver.⁵⁹ Dauerhafter Frieden und Ruhe fungierten dabei als normative Kriterien, die Pieter de la Court bei Venedig auf die Gestaltung der Regierung und die Fähigkeit, durch eine gute Finanz- und Befestigungspolitik Angriffen zu widerstehen, zurückführte.⁶⁰ Die außergewöhnliche Lage habe zudem eine Usurpation durch den für ihn bedauernswerter Weise auf Lebenszeit gewählten Dogen sowie Invasionen von außen verhindert.⁶¹ Als Quellen dienten Pieter de la Court vor allem Thomas de Fougasse und Marcantonio Sabellico (ca. 1436 – 1506), dessen Daten er skeptisch betrachtete. Für die seitenlange Beschreibung und Illustration der venezianischen Verfassungsorgane wurden aber vor allem Contarini und Giannotti herangezogen.⁶² Die außergewöhnliche Harmonie innerhalb des Adels, die De la Court genauso hervorhob wie Dirk Graswinckel, führte er auf die Prinzipien der Ämterrotation und kollektiven Verwaltung sowie die ständige Kontrolle der
De la Court, Polityke Weegschaal (.Ed.), Bd. , III, Kap. , S. f. (S. : „En dienvolgende verviel toen de Populare, tot een Aristokratike Regeeringe“); Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. – . De la Court, Polityke Weegschaal (. Ed.), Bd. , III, Kap. , S. : „Zulks de Republik van Veneetien, ten onregt, oover zoo groote oudheid haarer Aristokratike regeeringe, roemd.“ De la Court, Polityke Weegschaal (.Ed.), Bd. , III, Kap. : „[…] dat een Aristocratie, die allernaast aan de Populaare komt gewisselik de beste regeering is.“ Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . De la Court, Polityke Weegschaal (. Ed.), Bd. , III, Kap. und IV, Kap. – . Als Beispiel für eine demokratische Republik wird hier vor allem Athen angeführt und negativ bewertet. Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . De la Court, Polityke Weegschaal (.Ed.), Bd. , IV, Kap. , S. ;Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . De la Court, Polityke Weegschaal (. Ed.), Bd. , IV, Kap. – ; Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. und S. .
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Adelsaktivitäten zurück.⁶³ Vor allem aber auch das Prinzip der Wahl durch Losverfahren beeindruckte De la Court. Es stellte für ihn die Grundlage der Gleichheit zwischen den Adligen und die Basis für eine bestmögliche Wahrung des Staatsinteresses in allen Bereichen dar.⁶⁴ Dennoch war für Pieter De la Court letztendlich nicht Venedig, sondern Genua das beste Modell zur Orientierung. Dort würden die nicht-adligen Einwohner nicht so stark wie in Venedig unterdrückt, da die Regierungsbeteiligung nicht durch Geburtsrecht bestimmt sei. Zudem werde in Genua der Doge nicht auf Lebenszeit gewählt, was eine Machtkonzentration verhindere. Darüber hinaus gebe es entscheidende Vorteile bei der Gestaltung des Justizwesens.⁶⁵ Die Eidgenossenschaft wurde von den Gebrüdern de la Courts weniger in ihrer Verfasstheit als Bund demokratischer und aristokratischer Kantone diskutiert. Vielmehr verwiesen die Gebrüder de la Court auf deren Vorbildfunktion hinsichtlich militärischer Stärke und innerer Stabilität. In ihrer Aanwysing der heilsame politike Gronden en Maximen van de Republike van Holland en West-Vriesland von 1669 führten sie dieselben historischen Beispiele an wie Machiavelli und priesen die eidgenössische Bürgermiliz: Ende dat volgens de Politike Maxime, ons leerende, dat alle volkrijke Steeden, die uit hunne Inwooners een Heir maaken konnen, onbeleeger-ende onwinbaar zijn. […] Dus heeben sig
So zum Beispiel De la Court, Polityke Weegschaal (.Ed.), Bd. , IV, Kap. , S. ;Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . De la Court beschreibt das Losverfahren an mehreren Stellen, so etwa bei der Darlegung der Dogen- oder Senatswahl. Am Ende seiner Ausführungen zu Venedig fasst er wie folgt zusammen (auch mit Blick auf die Schweizer Kantone und die Republik im Allgemeinen): „Naamentlik, met in te voeren het Ballotteeren, het welk men zelfs heeft zien gebeuren, onder die groove Zwitserse Cantons. Welk ballotteeren in alle Aristokratike Regeeringen, uit een groote vergaadering bestaande, zoo heilsaamen balsem is, dat daar uit alleen van zelfs vloeid, dat in de zelven het gemeen interest der Republike altijds zal werden betracht, als het niet strijd teegen het welvaaren der gemelde groote vergaaderinge zelfs. […] En als men door het ballotteren eenmaal deese gelijkheid der kragten van stemmen heeft in gevoerd, soo wird ook seekerlik het reformeeren der instructien voor alle andere persoonen, en Collegien van Magistratuure, by der hand genoomen. Zulks men, dit haateliksten uitgewrocht hebbende, zonder omzien, alle andere goede ordre en wetten, strekkende tot een goede politie, finantie, militie, fortificatie&c. Voorstellen, en ook uitwerken kann.“ De la Court, Polityke Weegschaal (.Ed.), Bd. , IV, Kap. , S. . Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. . De la Court, Polityke Weegschaal (.Ed.), Bd. , IV, Kap. – (S. : „[…] en in allen gevalle konnen deese Genuése Eedelluiden, de andere ingeseetenen soo niet verdrukken, als wel die van Veneetien, en Ragouza, door hare geboorte de kragt van regeeringe oover de andere bekomende. En dit is onder anderen de voornaamste reeden, waarom de gemeene ingeseetenen, van een Genuees Borger verongelijkt zijnde, hier veel eer Iustitie, als wel die van Veneetien en Ragouza, aldaar teegen die Edel-luiden verkrijgen.“). Vgl. Mulier, Myth of Venice, S. – .
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seer wel eenige honderd jaaren naar een geconserveerd teegen Oostenrijk, Hispanjen, Vrankrijk, Savojen, en Bourgondien, alle die geringe Switserse Republiken en Steeden, naamentlik Surig, Bern, Basel, Schaffhuisen, Friburg, Lucern, Solothurn, S. Gal., &c. ja ook dat andersins swakke Geneven.⁶⁶
Zudem griffen sie im selben Traktat jenes Argument auf, das auch Johan de Witt ins Feld geführt hatte: Das erbliche Amt eines Oberbefehlshabers habe alle Republiken bisher zu Monarchien werden lassen.⁶⁷ Diejenigen aber, die dies vermieden hätten, seien von dauerhaftem Bestand. Vor allem die Eidgenossenschaft, deren Kantone wie die Vereinigten Provinzen in einer Union der gemeinsamen Verteidigungspolitik miteinander verbunden seien, würde ein exzellentes Beispiel der Stabilität abgeben. Innere Streitigkeiten seien hier kaum vorhanden oder könnten schnell und ohne Nachteile für den Freistaat geklärt werden: Ten tweeden considereer ik, dat my niet voorkomt een eenig exempel van eene Republik sonder Hoofd, die ooit tot langduurige, schaadelike binnenlandse twisten is vervallen; maar dat wy in teegendeel wel behoorden op te merken, dat de vrye Rijk-Steeden ofte Republiken in Duitsland teegen malkanderen noit oorlogen: en voornementlik, dat wy behoorden seer wel in agt te neemen, dat de Switserse Cantons onderlig tot gemeene defencie (gelijk wy door de Unie van Utregt) verbonden zijnde, seer selden met malkanderen twisten; ende dat sy teegen malkanderen in de waapenen gekomen zijnde, t’elkens in het korte met seer weinige bloedstortinge en sonder naadeel der Vrye Regeeringe, door het tussenspreeken der andere ongeinteresseerde Cantons, zijn bevreedigt geworden, ende dat haare Republiken nu by na vierhonderd Jaaren hebben gestaan.⁶⁸
Die Aanwysing war Teil einer Reihe von Essays, die Pieter de la Court auf der Grundlage der Manuskripte seines 1654 verstorbenen Bruders Johan seit 1662 herausgegeben hatte und die sich nun verstärkt Fragen städtischer Wirtschaftspolitik, dem Kriegswesen sowie religiös und moralphilosophischen Themen
Court, Pieter de la: Aanwysing der heilsame politike Gronden en Maximen van de Republike van Holland en West-Vriesland. Leiden/Rotterdam (by Hakkens) . S. . Vgl. auch Weststeijn, Commercial Republicanism, S. . De la Court, Aanwysing, S. : „Ten eersten, dat waarelik alle Republiken, gene uitgesonderd, die ad vitam hebben gehad Hoofden, voorsien met eenige merkelike magt omtrent de Politie, ende voornementlik omtrent de Wapenen des Lands; geduurige binnenlandse twisten ofte oorlogen onderworpen zijn geweest; ended at sy meest alle zijn vervalen tot eene Monarchale Regeeringe. Want dus is het gegaan met alle de Italiaanse Republiken, behalven dat verscheidene door die binnenlandse twisten en oproeren het geluk hebben gehad, gemeld Hoofd te verwerpen, ende tot eene beetere Republikse Regeeringe, bestaande sonder soodanig matig geduurig twistverwekkend Hoofd te vervallen.“ Vgl. auch Weststeijn, Commercial Republicanism, S. . De la Court, Aanwysing, S. .
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widmete.⁶⁹ Auch nachdem die Provinzialstände 1660 ihren Beschluss hinsichtlich der Oranier rückgängig machten und einwilligten, die Erziehung des jungen Prinzen von Oranien zu übernehmen, um später einem in ihrem Sinne gebildeten Statthalter Wilhelm III. die Wiederausübung des Amtes zu ermöglichen, hielt die Debatte um die richtige Verfassungsform weiterhin an. In den Schriften der De la Courts lässt sich dennoch eine Schwerpunktverschiebung ausmachen. Die Frage nach der Souveränität und der bestmöglichen Verfasstheit stand zunehmend gleichberechtigt neben jener nach den grundsätzlichen und erfolgsversprechenden Maximen einer Republik. Ihre Essays ließen so eine stärkere Nähe zur Interessenlehre und einen Einfluss der europäischen Staatsräsonliteratur erkennen. Ein Manuskript Johans de la Court, das sich explizit mit der ökonomischen und politischen Situation Leidens auseinandersetzte, blieb zunächst unpubliziert. Als Manuskript zirkulierte es dennoch im Leidener und bald gesamten holländischen political establishment. Johan de Witt und andere Regenten interessierten sich eingehend für die Schrift und übten in der Folge Druck auf Pieter de la Court aus, sowohl die regimekritischen Passagen zu tilgen als auch einen stärkeren Fokus auf die Souveränität der Provinz Holland und dessen erwünschte Unabhängigkeit von den übrigen Provinzen zu legen. In diesem Sinne wurde die Abhandlung unter dem Titel Interest van Holland, ofte gronden van Hollands welvaren dann im Sommer 1662 als ausführliche Betrachtung der ökonomischen Situation in Holland, als Verteidigungsschrift der Unabhängigkeit dieser Provinz, als Argument gegen ein Amt und die Notwendigkeit eines Statthalters und als Verteidigungsschrift des aktuell regierenden holländischen Regimes veröffentlicht.⁷⁰ Der Interessenbegriff der De la Courts folgte dabei nicht der Definition Rohans als spezifische Position eines Staates, die eine individuelle Strategie der Außenpolitik vorgibt, sondern war vielmehr angewandt auf das Individuum. Das „Selbst-Interesse“, verstanden als diszipliniertes (das heißt vor allem auch gebildetes) Streben nach Erfolg und Ehre, mache den weisen Händler aus. Auf diese Weise könne ein Bürger am besten einem Gemeinwesen dienen, welches organisiert als wahre Republik, das heißt ohne monarchisches Element und basierend auf der Herrschaft der Gesetze, alle Einzelinteressen in einem gemeinsamen öffentlichen Interesse harmonisch zusammenbringen könne.⁷¹ Nur in einer solchen wahren Republik könne dann auch die Wirtschaft florieren.
Vgl. Weststeijn, Commercial Republicanism, S. . Vgl. Weststeijn, Commercial Republicanism, S. – . Vgl.V.D.H., Interest van Holland,Voor-Reeden van Hollands Interest (o.P.): „Dewijl aller landen waarachtig interest bestaat in het welvaaren der Regeerders en Onderdaanen gesamentlik, en het zelve kennelik van een goede regeering hangd; soo moet men weeten, dat een goede regeering is, niet daar het wel-ofte qualikvaaren der Onderdaanen hangd van de deugd ofte ondeugd der
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Parivals Antwort auf de la Courts Interest van Holland war 1662 Teil einer intensiv und über Gattungsgrenzen hinweg geführten Diskussion um diese Abhandlung, die rund zwei Jahre lang nicht abbrach.⁷² Den ausführlichen Zusammenfassungen und jeweiligen Antworten auf De la Courts Thesen stellt Parival zu Beginn seiner Abhandlung drei Kapitel voran, die sich mit der Etymologie und einer allgemeinen Definition des Terminus Interet d’Etat befassen, bevor er das seiner Ansicht nach „wahre Interesse“ Hollands zusammenfasst, welches er in seinen folgenden Rekursen auf De la Courts Text immer wieder näher erläutern wird.⁷³ Der Interessenbegriff, so wird aus diesen ersten Ausführungen deutlich, ist für Parival klar auf der Ebene des Staates anzusiedeln. So verwendet er bewusst die Wortverbindung Interet d’Etat gleich in der Überschrift zum ersten Kapitel und lässt bei der Herleitung des Wortes „Interesse“ keinen Zweifel daran: „L’Etimologie de ce mot, interet, vient à mon avis, du latin, interesse qui veut dire toucher l’Etat ou importer à l’Etat. & Interest, veut dire il importe à l’Etat ou il touche l’Etat.“⁷⁴ Die Staatsinteressen seien nicht starr und einmalig zu erklären, sondern
Regeerders; maar (dat zeer aanmerkens-waardig is) daar het welen quaalik-vaaren der Regeerders noodwendiug volgd op, ofte hangd van het wel-ende quaalik-vaaren der Onderdanen. Want vermits men gelooven moet dat eygen altijds voorgaat, zal in het eerste geval eygen voordeel ook tot nadeel der gemeene onderdaanen werden gesogt. Maar vermits in het tweede geval, eygen voordeel niet, dan door het gemeen, kann werden verkreegen, sal het selve door de Regeerders altijds werden betragt. […] dat het welvaren der Regeerders, voor soo veel, noodsaakelik van dat van haare Onderdaanen dependeerd, ende zy andersins uit de regeeringe zouden werden geschopt.“ Vgl. auch Weststeijn, Commercial Republicanism, S. 4 und S. 172– 184. Die De la Courts hatten auch die andere Bedeutungsdimension des Interessenbegriffs als normatives Gesamtinteresse eines Staates,vor allem bezogen auf die Außenpolitik, im Blick, legten ihren Schwerpunkt aber auf die Anwendung des Interessenbegriffs auf das Individuum. (Vgl. Weststeijn, Commercial Republicanism, S. 174 f.). Vgl. etwa folgende Pamphlete und Traktate: A., F. J.: Wederleggingh tegens eenige poincten, de welcke soo lasterlijck verhaelt worden in het boeck genaemt de Hollandtsche Intrest. Amsterdam ; C., D.: Den Herstelden Prins tot Stad-houder ende Capiteyn Generaal…tegens de boekjens onlangs uyt gegeven met den naem van Interest van Hollandt, ende Stadthouderlijcke Regeringe in Hollandt. Amsterdam ; Berg, A. van den: Verdediging, of antwoort op het schandaleuze en monstreuze boek, genaamt Hollandts Intrest. Dordrecht . Siehe dazu Weststeijn, Commercial Republicanism, S. f. Parival, Le vray l’interet, Chap. I. L’Etimologie de ce mot, Interet d’Etat; Chap. II. Qu’il est tres mal aisé de definir l’Interét (sic!) d’Etat; Chap. III. Quel est le vray interét d’Etat en general?; Chap. IV. Quel fut l’interest (sic) d’Hollande depuis le commencement jusques a la fin de la guerre?; Chap.V. Quel est le vray interet de la Hollande auiourd’huy?. Parival, Le vray l’interet, S. .
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würden sich wandeln wie die Jahreszeiten.⁷⁵ Für all diejenigen, die nicht in einem Regierungsumfeld tätig seien, sei es folglich schwer, dieses Interesse eines Staates überhaupt zu definieren: D’ailleurs les causes produisent fort souvent des effets divers, & pour ne les pas bien connoitre on prend ordinairement les pretextes, au lieu d’icelles. Voila pourquoy ie soutiens qu’il est tres difficile d’expliquer & definir l’interet d’Etat pour ceux qui ne sont pas dans le maniement des affaires. […] ceux qui gouvernent pas l’Etat, ne comprennent pas facilement avec quel ressort on fait marcher cette machine.⁷⁶
Grundsätzliches Interesse eines jeden Staates sei der Erhalt des Gemeinwesens in einem konstant guten Zustand.⁷⁷ Da aber alle Staaten verschieden seien, würden sie auch unterschiedliche Interessen haben.⁷⁸ Aufgabe derjenigen, die die Regierung innehätten, sei folglich: „La science de bien menager ce qui touche l’Etat, de le preserver contre les ennemis, & de le faire ioüir de la fin principalle, qui est la prosperite, & de l’agrandir selon les occasions.“⁷⁹ Diese Wissenschaft des guten Haushaltens führt Parival im Folgenden noch genauer aus. Sie umfasse sowohl die Angelegenheiten im Inneren (Verhindern von Unruhen, Monopolen, Meutereien) als auch die Außenpolitik (Abwehr/Umlenkung der Absichten von Feinden; rechtzeitig deren Strategien beleuchten und vorbeugen; Verrat aufklären und aufdecken, bevor er geschieht). Würden diese Aufgaben von den Ministern weise wahrgenommen sowie der Handel und die Wissenschaften gepflegt, gedeihe der Staat unfehlbar. Holland sei das zeitgenössische Beispiel für eine solche Entwicklung.⁸⁰ Jeder Staat dürfe aber nur gemäß seiner Möglichkeiten wachsen. Dies
Parival, Le vray l’interet, S. : „L’Experience nous enseigne iournellement que les interets d’Estat se changent presque comme les saisons de l’année.“ Parival, Le vray l’interet, S. f. Parival verwendet hier die Maschinenmetapher für den Staat. Darauf soll in der Schlussbetrachtung der vorliegenden Arbeit noch einmal genauer eingegangen werden. Parival, Le vray l’interet, S. : „Le vray interét de chaque chose, est de la conduire au point qu’on se propose pour la faire subsuster dans une constante felicité.“ Parival, Le vray l’interet, S. f.: „Mais comme tous les Etats ne sont pas d’une meme nature, & ce qui est bon à l’un nuit à l’autre, ils ont des interets differens, quoy que ceux qui en ont l’administration se proposent tous, ou se doivent proposer une meme fin. Les uns se gouvernent par un seul, comme le royaume de France, lequel ne se peut autrement regir à cause du temperament de ces peuples là: les autres par plusieurs, comme les habitans des païs bas […].“ Parival, Le vray l’interet, S. . Zwei Seiten später formuliert Parival noch einmal ähnlich: „Il s’enfait donc que la cause efficiente du vray interet, est de sçavoir bien menager les avantages, detourner les malheurs qui luy pourroient pendre sur la tête, & la prosperité de tous les habitans en general & en particulier, maintenüe par la vigilance de ceux qui sont au gouvernail.“ (S. ). Parival, Le vray l’interet, S. : „Ie dis la sciance que tous les ministres doivent avoir pour le faire marcher droit: de les preserver; tant au-dedans, en empechant les seditions, monopoles, & mu-
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werde in Monarchien gerne vergessen, wenn Minister die Grenzen ihres Landes und den Ruhm ihres Monarchen zu Lasten der armen Bevölkerung ausweiten würden.⁸¹ Das spezifische Interesse Hollands, welches nach der Revolte auf dem obersten Grad der Glückseligkeit angekommen sei,⁸² sei es nun, die zwei Grundpfeiler ihres Wohlstands und des anziehenden Erfolges, den Frieden und den Handel, zu bewahren.⁸³ Die Lage begünstige durch die Nähe zum Meer und die zahlreichen Flüsse, die den Handel förderten und das Land nahezu uneinnehmbar machten, den Wohlstand und eine hohe Bevölkerungsdichte.⁸⁴ Jede Veränderung des bestehenden Staatswesens und jeder Wunsch danach, wie er derzeit oft unter dem Vorwand der Religion vorgebracht werde, bedinge Unruhe und einen möglichen Ruin des Staates. Deshalb sei es Aufgabe der Regierenden, alle Autoren zu verfolgen, die unter dem vorgeschobenen Argument, den Staat erhalten zu wollen, ihr eigenes Partikularinteresse durchsetzen wollten.⁸⁵ Ob Parival die Gebrüder de la Court zu diesen Autoren zählt,wird nicht explizit gesagt. Zu Beginn seiner Abhandlung, die er der Wahrheit widmet, formuliert er klar sein Anliegen: „il m’a semblé tresapropos, & loisible d’en produire les raisons, & de marquer les dangereuses maximes qu’il [V.D.H.] nous conseille d’embrasser.“⁸⁶ Zu diesen gefährlichen Maximen zählt Parival nicht De la Courts⁸⁷ Ausführungen über die Grundlagen und Förderungsmöglichkeiten der holländischen Wirtschaft und hier vor allem des Handels. Diesbezüglich traut er De la Court aufgrund von dessen Erfahrung mehr Kompetenz zu und gibt geflissentlich dessen Ausführungen zu diesem Themenbereich wieder.⁸⁸ Auch stimmt er etwa mit dessen Prämisse der Religionsfreiheit als notwendige Voraussetzung für einen
tineries, qu’au dehors, en detournant les desseins des enemis, prevenant ou eludant leurs entreprises de bonne heure, en decouvrant les trahisons&en les evantant avant leur operation. Ce qu’etant sagement observé par les bons ministres, avec le soin du trafic & des bonnes lettres, l’Etat fleurira infailliblement. Ce qui s’est veu de notre temps, au grand profit de la Hollande.“ Parival, Le vray l’interet, S. f. Parival, Le vray l’interet, S. f. Parival, Le vray l’interet, S. f.: „[…] se devoir maintenir sur ces deux pilliers, à sçavoir de la paix & du trafic, pour faire fleurir le païs, & y attirer des marchans & des artisans de toutes parts. Elle a assez longtemps meiné la guerre, elle se veut reposer & etres spectatrice de celles qui exercent les ambitions des Potentats. […] Sur quoy les ministres prenent bien leur mesures: car de la conservation de ces deux pilliers, dèpend la principalle felicité de cette petite Province.“ Parival, Le vray l’interet, S. . Parival, Le vray l’interet, S. – . Parival, Le vray l’interet, S. f. Parival spricht hier von einem Autor. In der Wiedergabe seiner Argumentation wird das im Folgenden übernommen. Parival, Le vray l’interet, S. f. „Ie n’entreray pas en contraste avec notre auteur dans la matiere du negoce, en quoy il a mieux reussi […].“
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florierenden Handel überein.⁸⁹ Allerdings, so macht Parival deutlich, denke ihm De la Court zu sehr als Händler und zu wenig als Politiker.⁹⁰ In keinem Fall dürfe diesem uneingeschränkt gefolgt werden und das partikulare Interesse der Händler über alles andere gestellt werden.⁹¹ Auch beruhe der Wohlstand Hollands auf mehr Säulen als nur dem Handel. Folglich beinhalte das Interesse der Provinz mehrere Elemente als nur die Wahrung der günstigen Handelsbedingungen.⁹² Die größte Kontroverse führt Parival mit De la Court aber vor allem hinsichtlich des Statthalteramtes und der Beziehung Hollands zu den übrigen Provinzen. Der inhaltliche und quantitative Schwerpunkt seiner Abhandlung liegt deshalb in der Ausführung der Argumente, die die Notwendigkeit eines Statthalters und der Einheit der Sieben Provinzen für den Wohlstand und die Sicherheit Hollands begründen. Das Vorhandensein eines Statthalters werde sich nicht,wie De la Court behauptet habe, negativ auf die Entwicklung des Handels auswirken, denn historisch betrachtet, sei der Handelserfolg der Holländer erst unter dem Regime der Oranier zu einem solchen herangewachsen.⁹³ Ein Statthalter entspreche zudem dem Naturell der Holländer besser als eine Aristokratie, er sei ein wichtiges Vermittlungsinstrument, um Frieden und Harmonie im Inneren (etwa zwischen den einzelnen Städten) zu bewahren und schnelle Entscheidungen zu gewährleisten.⁹⁴ Seine militärische Erfahrung und Kompetenz sei zudem von unabdingbarer Notwendigkeit, um die Sicherheit Hollands gegenüber außen zu bewahren. Ein einfacher Bürger könne im Zweifelsfall weder die nötige Kenntnis noch die nötige Autorität aufbringen.⁹⁵ Das Amt des Statthalters widerspreche dabei keinesfalls dem Römischen Recht.⁹⁶ Außerdem bestünde aufgrund der
Parival, Le vray l’interet, S. . Vgl. etwa Parival, Le vray l’interet, S. : „La Haine que notre auteur semble porter à nos Gouverneurs, non comme politique mais comme marchant […].“ Parival, Le vray l’interet, S. : „Faut il abandonner l’interet du Prince, de la Noblesse, de beaucoup de villes & des villages, pour rendre les marchans superbes & insolens? non non (sic!) l’interet de la Province en general se doit maintenir & non seulement le particulier desdits marchants.“ In dem Kapitel De la félicité de cette Province betont Parival die gute Policey und Justiz, die herrschende Gleichheit in der Bevölkerung, die effektive Nutzung gegebener Ressourcen sowie die Wissenschaft und einzelne Handels- und Handwerkszweige. Die „bonne police“ der holländischen Regenten habe Meister aller Berufe und Wissenschaftler von überall her angezogen, so dass Parival das Kapitel mit der Bemerkung schließt: „Ce sont des temoignages irreprochables qu’il y a plus à considerer dans une Republique que le trafic, pour trouver son interet entier & sa prosperité.“ Parival, Le vray l’interet, S. f., S. . Parival, Le vray l’interet, S. – , S. , S. , S. – . Parival, Le vray l’interet, S. , S. f., S. f. Parival, Le vray l’interet, S. – .
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guten Justiz und des eindeutigen Sitzes der Souveränität beim holländischen Volk keine Gefahr, dass der Inhaber des Amtes sich in eine absolute und zu dominante Position bringen könne.⁹⁷ Ohne Statthalter könne Holland nicht mehr lange bestehen. Als besten Kandidaten empfiehlt Parival entsprechend der historischen Entwicklung den Prinzen von Oranien.⁹⁸ Den Vorschlag de la Courts, Holland unabhängig von den anderen Provinzen zu machen, die Geldzahlungen für die Union einzubehalten und lieber für eigene Befestigungen auszugeben sowie die Souveränität über den Zugang zum Meer allein für sich zu beanspruchen,weist Parival entschieden als nicht vorteilhaft und zum Ruin der Provinz führend zurück.⁹⁹ Nur der Zusammenhalt und die Verteidigung Hollands durch die anderen Provinzen während der Revolte hätten Hollands wirtschaftliche Entwicklung in abgeschirmter Ruhe ermöglicht.¹⁰⁰ De la Court unterschätze die Verteidigungsfähigkeit Hollands und ignoriere die Notwendigkeit dieser Verteidigung auch auf dem Landweg.¹⁰¹ Ohne die übrigen Provinzen könne Holland nicht überleben,¹⁰² das macht Parival mit seiner an das Ende der Abhandlung gestellten Parabel des Monarchen, der seinen sieben Söhnen sieben verbundene Pfeile hinterlässt, ganz deutlich: […] par ces fleches liées je vous recommande la concorde qui vous rendra invincibles & formidables à tout vos voisins: mais si la dissention se fourre parmy vous, vous ne serez pas long temps possesseurs de ces puissans Etats que je vous laisse. Si les sept fleches viennent à se desunir vous perirez infailliblement; & si quelcun vous soufle aux oreilles de vous cantonner fuyez le comme une vipere qui apporte la poizon à votre amitié. C’est la derniere leçon que je vous donne & vous recommande, Adieu.¹⁰³
Auch de la Courts Vorschlag, den Zugang zu Regierungsämtern künftig auch für Ausländer zu öffnen, beurteilt Parival als gefährlich und unnötig.¹⁰⁴ Zudem setzt er sich ausführlich mit de la Courts Ausführungen zum Allianzsystem der Holländer auseinander. Im Gegensatz zu de la Court befürwortet Parival nicht allein Friedensabkommen mit anderen Mächten, sondern hält auch andere Arten von
Parival, Le vray l’interet, S. f. Parival will die Souveränität keinesfalls dem Statthalter übertragen oder auf diesen ausweiten (vgl. auch Parival, Le vray l’interet, S. ). Parival, Le vray l’interet, S. – . Parival, Le vray l’interet, S. , S. , S. – . Parival, Le vray l’interet, S. . Parival, Le vray l’interet, S. . Parival, Le vray l’interet, S. . Parival, Le vray l’interet, S. . Parival, Le vray l’interet, S. f.
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Bündnissen für notwendig und vorteilhaft.¹⁰⁵ Er diskutiert in der Folge die Allianzoptionen mit Blick auf die verschiedenen europäischen Mächte und kommt zu dem Schluss, dass für Holland vor allem eine Freundschaft mit Frankreich profitabel und notwendig sei. Zudem dürfe die Freundschaft der Engländer (aufgrund des hohen Gefahrenpotentials, das von diesen ausginge) und die guten Handelsbeziehungen zu Spanien und anderen Mächten, wie etwa Polen, nicht vernachlässigt werden.¹⁰⁶ Der Vergleich mit bestimmten historischen und gegenwärtigen Zuständen der französischen Monarchie erfolgt immer wieder partiell im Text. Auch im Kapitel 38, in dem Parival die Lebensumstände von Bewohnern einer Monarchie mit denen einer Republik vergleicht, verweist er auf das Frankreich Heinrichs IV., in dem die Bewohner so glücklich gewesen seien, dass sie nie hätten mit jenen untergeordneter Republiken tauschen wollen. Mit Blick auf die Republik Holland könne man keine eindeutige Aussage bezüglich der Zufriedenheit der Einwohner treffen. So gäbe es im Verhältnis etwa zwanzig Händler, die gut leben würden, aber mehr als 200 Handwerker, die kaum ihren Lebensunterhalten verdienen könnten und aufgrund der hohen Steuern und Abgaben nicht selten gezwungen seien, in ihr ursprüngliches Heimatland zurückzukehren. Ihr Leben würde zudem erschwert durch die Tyrannis einiger Händler, die Löhne beschneiden und Waren überteuert verkaufen würden.¹⁰⁷ Dieser klaren Kritik am gegenwärtigen holländischen Regime fügt Parival aber noch grundsätzlich positive Überlegungen hinzu: Die Justiz sei in jedem Falle besser in einer Republik als in einer Monarchie. Korruption sei zwar hier wie dort zu finden, Beschlüsse würden aber nachvollziehbarer und schneller im republikanischen Gemeinwesen gefällt. All dies, so
Parival, Le vray l’interet, S. f.: „Je ne puis mieux fair reluire le veritable interet de la Hollande, qu’en l’opposant à celuy de notre auteur Anonime, ny mieux le prouver qu’en detruisant ses dangereuses maximes & ses pernicieux Conseils. […] Mais ceux des Alliances qui seront presque touiours trouvées lui etres fort dommageables, obligent de faire quelque chose ou d’obmettre quelque chose, qu’on ne feroit pas sans Alliances.Voila son opinion et voila la mienne fondée dans l’experience & sur des fortes raisons. Je treuve que les Hollandois ont tousiours eté tres-subtils & tres-heureux auf fait des Alliances. […].“ Parival, Le vray l’interet, S. – . Diese Aussage Parivals verweist auf die Diskussion um den tugendhaften Händler, die in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts vor allem in Frankreich einsetzte. Über politisch initiierte Texte sollte die Tugendhaftigkeit der Händler als Teil eines pädagogischen Programms verbreitet werden. Wirkmächtig war vor allem Jacques Savarys ( – ) Parfait Negociant (). Vgl. dazu Schefold, Bertram: Savarys „Parfait Negociant“: Die Ordnung der Märkte durch Händler und Staat. Düsseldorf ; Auf die weitere Entwicklung blickend: Kessler, Amalia D.: A Revolution in Commerce. The Parisian Merchant Court and the Rise of Commercial Society in Eighteenth Century France. New Haven .
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betont er abschließend, spreche selbstverständlich nicht gegen das Amt eines Statthalters in einer solchen Republik.¹⁰⁸ Wenn Venedig als Republik mit nur einer Stadt als Staatsgebiet schon einen „bon chef“ benötige, dann brauche eine Republik mit so vielen unterschiedlichen Teilen einen solchen umso mehr.¹⁰⁹ Am Ende fasst Parival seine Ansichten noch einmal in der abschließenden conlusion zusammen: De tout ce qui est dit cydessus nous formons derechef une conclusion necessaire & veritable, que nous avon gaigné une paix avantageuse qui se doit garder de notre coté autant que faire se pourra: que la peche & le trafic maintenus font fleurir la Hollande & que les marchans par ladite paix trouvent leurs interets sauvez, aussi bien que par le soin qu’on a de maintenir la seureté de la mer. Les politiques y treuvent le leur par la bonne police qui s’y observe, & les gens de metier y gaignent leur vie tout doucement. […] il faut garder la paix au-dedans, & l’alliance au dehors, principalement avec la France, le laquelle nous avons receu tant de bien-faits, & dont l’amitié est tres-avantageuse pour le trafic, & formidable à ceux qui nous voudroient nuire. L’Espagne nous doit etres plus chere à cause du trafic […]. L’Angleterre, pour les biens qu’elle a faits à cet Etat, & le dommage qu’elle luy peut causer, nous obligera tousiours de rechercher les moyens de vivre en bonne intelligence avec elle, & avec les autres Republiques, comme aussi avec les Rois Septentrionaux. […] Sur tout l’union des sept felches se doit garder inviolablement, & le cordon se mettre entre les mains d’un Gouverneur, pour veiller a sa conservation, pendant qu’un chacun travaillera pacifiquement en sa vigne, pour les raisons susalleguées, & pource que plusieurs provinces le veulent, pour tant de victoires que les precedens ont remportées & pour cette incomparable liberté.¹¹⁰
Der Leidener Bürger Jean Parival, der 1624 in die Vereinigten Provinzen gekommen war, schrieb diese Abhandlung klar als Beitrag zu einer innerholländischen Debatte. Dabei ging der Identifikationscharakter mit der Situation des holländischen Bürgers soweit, dass er wie hier im zusammenfassenden Abschnitt das Pronomen „nous“ verwandte und „nos regents“ in der Pflicht sah, die richtigen Entscheidungen für die Provinz zu treffen.¹¹¹ Dennoch ist der Bezug zu seinem Heimatland Frankreich im Text durch die Vergleiche und Freundschaftsbekundungen mit der französischen Monarchie aber implizit auch durch die Nähe zum Rohan’schen Interessenbegriff präsent. Seine Délices de la Hollande als Staatsbeschreibung der Vereinigten Provinzen, in der Parival in der Widmung an die holländischen Re-
Parival, Le vray l’interet, Chap. XXXVIII: Comparaisons des Etats Monarchiques ou bien de ceux qui vivent sous les Rois, avec ceux qui sont dans les Republiques. (S. f.). Parival, Le vray l’interet, S. f. Parival, Le vray l’interet, S. f. Vgl. Parival, Le vray l’interet, S. : „J’ay bien osé ecrire cecy, tant parce que je prejuge que nos sages Regens prendront ce chemin la, comme le plus moderé & le plus seur […].“
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genten noch von „vostre Republique“ gesprochen hatte,¹¹² werden dann auch in Frankreich rege rezipiert und in der Tradition von Parivals Schrift über das „wahre Interesse“ Hollands erweitert und bearbeitet herausgegeben.
Parival, Les Délices, Preface (o.P.).
4 Exkurs: Die Rezeption Parivals bis 1669 1669 erscheint die fünfte französischsprachige Ausgabe der Délices, herausgegeben von dem französischen Mediziner François Savinien d’Alquié, der im Vorwort an den Leser auf den internationalen Ruhm von Parivals Abhandlung verweist¹ und im folgenden Jahr selbst eine Staatsbeschreibung Frankreichs publizieren wird, die schon im Titel starke Anklänge an das Vorbild Parivals erkennen ließ.² Die Ausgabe hält sich nahezu wörtlich an die Erstausgabe und fügt nur an einigen Stellen Änderungen und Kommentare hinzu. Vor allem der zweite Teil wird von d’Alquié um die historische und politische Entwicklung der Niederlande seit 1650 ergänzt und enthält nun vor allem auch allgemeine Betrachtungen zu den Staatsmaximen der Vereinigten Provinzen. Das Frontispiz, das dieser Ausgabe vorangestellt ist, greift dabei traditionelle Elemente der niederländischen Freiheits- und Fruchtbarkeitssymbolik auf. Das Wappen der Vereinigten Provinzen, die Lanze und der Freiheitshut tauchen ebenso auf wie der Löwe, der zusammen mit einer einfach gekleideten niederländischen Magd zu Füßen der Hollandia sitzt. Die Jungfrau schüttet, auf militärischen Zeichen sitzend und gekrönt mit einem Lorbeerkranz, ein Füllhorn in die Schürze der Magd aus und spritzt dieser aus einer ihrer vier (!) Brüste die Milch entgegen.³
Parival, Les Delices, , Au Lecteur (o.P.): „Un bel Esprit t’a donné par le passé un Livre dont le dessein & la matiere ont merité une approbation & un applaudissement general de toutes les nations.“ Alquié, François Savinien d’: Les délices de la France, avec une description des provinces et des villes du royaume. Paris (chez Guillaume de Luyne) . Die Abhandlung ist dem französischen Botschafter in den Vereinigten Provinzen gewidmet und weist in der Kapiteleinteilung Anklänge an Parivals Text auf (vgl. etwa Kapitel : „La France est un pais de liberté pour toutes sortes de personnes“, Kapitel : „L’ordre que l’on tient en France pour rendre la Iustice“, Kapitel : „La Police generale de France & les maximes ordinaires de l’Estat“). Das Werk wird in der Folge noch zweimal neu aufgelegt (Amsterdam und Leiden ). Zur wenig bekannten Biographie Savinien d’Alquiés, der auch als Übersetzer von Pufendorfs Darstellung des Reichs (Pufendorf, Samuel von: L’Etat de l’empire d’Allemagne, traduit du Latin. Amsterdam 1699) und Athansius Kirchners Beschreibung Chinas (Kirchner, Athanasius: La Chine. Illustrée de plusieurs monuments tant sacrés que profanes, et de quantité de recherchés de la nature et de l’art, traduit par F.S. Dalquié (sic). Amsterdam (chez Jean Jansson) 1670) zu finden ist, vgl. den sehr kurzen Abschnitt bei Hoffer, J.C. F.: Nouvelle biographie générale. Paris 1852. Parival, Les Délices, , o.P. Siehe Abbildung der vorliegenden Arbeit. Auch in den folgenden Editionen untermalen die vorangestellten Kupferstiche fortan das positive Bild der fruchtbaren, reichen, freiheitsliebenden und siegreichen Republik. Vgl. etwa das Frontispiz der Ausgabe von : Hollandia gekrönt, sich auf ein Ruder mit sieben Lanzen stützend und auf einem Thron sitzend, der vom niederländischen Löwen bewacht wird. Auf ihrem Schoß befindet sich ein aufgeschlagenes (Gesetz?‐)Buch mit den Siegeln der Sieben Provinzen. Über dem Thron
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Abb. 2: Parival, Jean de: Les Delices de la Hollande, composes par le Sieur Jean de Parival, revues, corrigés, & augmentés de nouveau par François Savinien d’Alquié, Lequel y a adjousté tout ce qui s’est passé de plus considerable dépuis l’an 1661, jusquès à l’an 1669, avec un traité particulier des delices du païs, le tout accompagné de plusieurs belles tailles douces. Derniere Edition a Amsterdam (chez Jean de Ravestein) 1669. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 918072 Belg. 201. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10274389-3.
D’Alquié folgt Parival in dessen Darstellung der Regierungsstrukturen der Vereinigten Provinzen und hat dabei eine klare Vorstellung vom Sitz der Souveränität, die durch verschiedene Institutionen repräsentiert werden kann. Auf eine
befinden sich der Freiheitshut und das Wappen der Vereinigten Provinzen. Im Hintergrund befindet sich links eine Händlerszene und rechts ein Handelsschiff und Neptun, der ein zum Füllhorn geformtes Tuch in Hollandias Schoß ausschüttet. (Anonymus [Parival], Les Delices,, o.P.) Siehe Abbildung der vorliegenden Arbeit.
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Abb. 3: Anonymus: Les Délices de la Hollande, contenant une description éxacte du Païs, des Moeurs & des Coutumes des Habitans […]. Nouvelle édition, considérablement corrigée & augmentée, Tome Premier. A Amsterdam (chez Pierre Mortier) 1728. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 11078247 Belg. 55-1. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10310501-1.
Klassifizierung dieses Staatsaufbaus etwa im Sinne aristotelischer Verfassungskategorien lässt er sich aber nicht ein: „Je diray pour conclusion que chaque Ville est souveraine en suitte de l’union & de l’alliance qu’elles ont faite entre elles, & que les Estats particuliers representent ladite souveraineté, aussi bien que les
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Estats Generaux celle de l’union.“⁴ Ergänzend zu Parival weist d’Alquié wie seit 1617 die englischen Reiseberichte auf das Paradoxon des Reichtums und Wachstums trotz hoher Steuern und Abgaben hin: „En un mot l’escorpion qui avoit donné la morsure envenimée à l’Estat a produit un huyle salutaire, non seulement pour le guerir, mais pour le faire subsister & devenir fleurissant.“⁵ Insgesamt folgt er aber widerspruchslos und die Worte selten verändernd den Überlegungen seines Ausgangstextes gerade in den Kapiteln zur Religion, der Freiheit und der Justiz der Vereinigten Provinzen. Und so schlussfolgert d’Alquié im gleichen positiven Tenor, dass diese Republik, in der die Bevölkerung mehr Frieden und Glück als irgendwo sonst auf der Welt genießen würde,⁶ allenfalls durch einen göttlichen Entschluss zerstört werden könne: On conclue de tout cecy que la Republique ne sçauroit jamais estre destruite que par un coup du ciel; parceque soit qu’on la considere dans la situation de son païs inaccessible & imprenable, ou dans le desir des peuples qui l’habitent de vivre tousjours librement & sans contrainte: on ne sçauroit l’esbranler.⁷
Allerdings ergänzt d’Alquié den zweiten Teil der Abhandlung nach der Darlegung der verschiedenen außenpolitischen Konflikte, an denen Holland seit 1650 beteiligt war, und einem durchaus ausführlichen Kapitel über die Freizeitaktivitäten der Holländer,⁸ um ein abschließendes Kapitel, welches die aus seiner Beschreibung Hollands folgerichtigen und im Sinne der Interessenlehre relevanten maximes der holländischen Politik zusammenfasst.⁹ Zu Beginn dieses Kapitels nennt der Franzose die jeweils übergeordnete Maxime der Innen- und der Außenpolitik, die gleichsam die zwei Pole der niederländischen Regierungspolitik ausmachen würden. Die Innenpolitik stehe im Dienst einer glücklichen, reichen und mäch-
Parival, Les Délices, , S. . Nur einmal verweist er im selben Kapitel auf Verfassungskategorien, wenn er das Amt des Statthalters als eine Art Personifizierung der Mischverfassung ansieht: „En quoy nous remarquons une espece de Royauté en sa personne & une idée parfaite D’aristocractie (sic) meslée d’un peu de Democratie.“ (Parival, Les Délices, , S. f.). Parival, Les Délices, , S. . Siehe auch S. : „[…] si bien que ce ce, qui sembloit donner la mort à l’Estat, a produit un baume salutaire pour le conserver.“ Parival, Les Délices, , S. : „[…] que les peuples qui l’habitent jouïssent tousjours d’une profonde paix & d’un bonheur si grand, qu’il ny en aye pas de semblable sur la terre.“ Parival, Les Délices, , S. . Parival, Les Délices, , Chapitre XXIV: „Les Divertissemens innocents de la Hollande & les coustumes particulieres du païs pour passer doucement le temps.“ Dabei setzt Parival etwa eine Erfindung wie die Schlittschuhe durchaus in Verbindung mit einer guten Infrastruktur für den Handel im Winter (S. ). Parival, Les Délices, , Chapitre XXV: „Les maximes Generalles de la Hollande pour son Gouvernement & la declaration de ses desseins & de son aymable politique.“
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tigen Bevölkerung, die Außenpolitik ziele auf den Erhalt des Friedens mit allen benachbarten Mächten und den Erhalt bereits etablierter Bündnisse ab. Diese Maximen seien abzulesen an der in den Vereinigten Provinzen herrschenden Gewissensfreiheit, den guten Handelsbestimmungen, der schnellen und guten Justiz und den guten Gesetzen, die die Bevölkerung in Frieden und Ruhe leben ließen.¹⁰ Im Folgenden schlüsselt d’Alquié die beiden übergeordneten Maximen noch einmal in sieben maximes generalles auf: 1. Religionsfreiheit für alle mit dem Ziel, Personen unterschiedlichster Nationen anzuziehen und auf diese Weise die Wirtschaft zu steigern und in ihrer Kraft zu erhalten. 2. Eine schnelle und exakte Justiz, um den inneren Frieden zu erhalten und nicht erwünschte Personen fern vom Staat zu halten. 3. Die Förderung der Händler als oberste Maxime, um die Macht des Staates zu erhalten. Dazu gehört eine gleichzeitig Vermeidung eines Krieges mit Frankreich und England, um den Handel nicht zu ruinieren. 4. Den Erhalt des Friedens mit allen Mitteln. 5. Eine Annäherung Frankreichs an das eigene Territorium sowie eine Allianz zwischen Frankreich und England sei möglichst verhindern. 6. Erhalt des Wohlwollens des Reiches, vor allem Österreichs. 7. Keiner Einzelperson sei so viel Macht zuzugestehen, dass sie den Staat als Ganzes gefährden könne.¹¹ Bisher hätten die Holländer diese Maximen sehr exakt befolgt. Folgen sie weiterhin diesem Weg, so werde ihrem dauerhaften Erfolg nichts im Wege stehen: „Voyla à peu pres les maximes Generalles & les principaux points de cet Estat; qui estant observés si parfaitement qu’ils sont, ne scauroient jamais manquer de rendre la Hollande la Republique de l’univers la plus flurissante.“¹² Dieser Staat
Parival, Les Délices, , S. f.: „Je dis qu’il faut remarquer qu’il y a diffirentes (sic) maximes de Gouvernement dans la Hollande. La premiere qui regarde la direction domestique & la regarde les Estats etrangers. Quand à celle la, je remarque que toute sa politique ne butte quà rendre heureux, riches, & puissans ses citoyens, & ses peuples, & quand à celle-cy, c’est de maintenir la paix avec tous les Princes voysins, & de conserver les aliances establies dépuis peu ou depuis long temps. Ce sont les deux poles sur lesquels roulle toute leur politique & l’unique objet de leur Gouvernement: car si nous considerons cette liberté de consceince (sic), ces beaux reglemens pour le commerce, cette exactitude merveilleuse de rendre une prompte & bonne justice, tant de decrets qui favorisent le trafic & de si ebelles (sic) loix qui maintiennent tous les habitans en paix & en repos, ne sont que pour rendre tout le monde content.“ Parival, Les Délices, , S. f. Parival, Les Délices, , S. . In der eine Seite umfassenden Conclusion de tout l’ouvrage fasst d’Alquié die Vorzüge Hollands noch einmal ähnlich wie in dem Kapitel zu den Maximen zusammen: „[…] un païs, où la paix habite, où tout le monde trafique, où la liberté regne, & toutes les nations transportent leurs thresors. […] tout ce que cet Test renferme de charment & de beau par ce petit eschantillon de son bonheur & de sa gloire.“ (S. ).
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sei, so der Franzose, von Gott bevorzugt, vor allem aufgrund der nicht expansiven Ausrichtung und weil die Justiz und die Wohltätigkeit das seelische Zentrum der Republik bilden würden.¹³ Anders als etwa Rohan oder Parival schließt d’Alquié seine Beschreibung dann mit einem konfessionell geprägten Kommentar, der klar auf seinen protestantischen Hintergrund schließen lässt: Er wünsche den Niederländern als Vorkämpfern des Glaubens weiterhin großen Erfolg, der auch die Botschaft des Glaubens eines Tages triumphieren lasse.¹⁴ Die ausführliche Diskussion des niederländischen Abgabensystems, der (föderativen) Regierungsstruktur, der Justiz und der in den Vereinigten Provinzen vorherrschenden Freiheit(en) als Faktoren, um die Jean Parival in seinen Délices de la Hollande die bis dato üblichen Standardbeschreibungen der Vereinigten Provinzen ergänzt hatte, wurden im französischen Blick auf die Nordseerepublik aber in der Folge auch unabhängig vom konfessionellen Hintergrund und zunehmend gattungsübergreifend aufgegriffen. Der Mediziner und Schriftsteller Samuel de Sorbiere (1615 – 1670) schrieb seine 1660 publizierten und verfassten Briefe über die Vereinigten Provinzen etwa ganz im Sinne dieser erweiterten Darstellungstradition.¹⁵ De Sorbiere, der, in einer protestantischen Familie erzogen, 1653 dem Calvinismus abgeschworen hatte und in der Folge als Mitglied der Pariser Académie de Physique sowohl vom französischen König als auch dem Papst gefördert wurde, hatte schon 1646 die postume Veröffentlichungen der Reiseberichte des Duc de Rohan bei Elzevier in Amsterdam initiiert.¹⁶ Seine Darstellung der Vereinigten Provinzen in den Briefen an französische Regierungsbeamte und Akademiemitglieder basierten auf der eigenen Erfahrung zweier Aufenthalte in Holland, in denen de Sorbiere vorwiegend als Mediziner praktiziert und die
Parival, Les Délices, , S. : „J’oubliois de dire, que Dieu benira sans doute cet Estat pour deux raisons; la premiere (sic), c’est qu’il ne songe & ne desire rien moins, qu’a (sic) envahir les terres de ses voysins, & à faire la guerre à personne, & la c’est qu’il est toujours le mediateur de tous les differens, & l’appuy des opprimés, des foibles (sic), & des miserables: ainsy comme la justice & la Charité sont l’ame de cette aymable Republique […].“ Parival, Les Délices, , S. . Eine geringschätzige Bemerkung über Katholiken in Holland, die versuchen würden, sich in eigenem Interesse die Geschäfte des Staates anzueignen und die Weisheit der Magistrate in Frage zu stellen, findet sich bereits im Kapitel über die Freiheit (S. ). Sorbiere, Samuel de: Relations, Lettres, et Discours de Mr. de Sorbiere sur divers Matieres Curieuses. A Paris (chez Robert de Ninville) . Zur Herausgeberschaft bei Rohans Reiseberichten und weiteren biographischen Informationen siehe Archives Biographiques Françaises I, S. – . De Sorbiere veröffentlichte neben medizinischen Abhandlungen und Briefwechseln auch eine französische Übersetzung von Thomas Morus Utopia () und – ergänzt um einen Kommentar – Thomas Hobbes De Cive ().
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Wissenschaftslandschaft studiert hatte (1642– 1645, 1645 – 1650).¹⁷ Insgesamt enthält der 1660 publizierte Band drei Briefe, die sich mit den Vereinigten Provinzen befassen.¹⁸ Der erste Brief, der sich laut Titelzuschreibung als Reisebericht ausgibt, greift wohlbekannte Elemente der Reiseliteratur auf: die Vereinigten Provinzen seien kein Werk der Natur, sondern von Menschenhand geschaffen; die imposanten Deiche sowie die übrigen Wasserwege wüssten die Niederländer sehr vorteilhaft für den Handel zu nutzen; die Städte seien reich, schön, dicht bevölkert und gut befestigt; die Bevölkerung sei schön (wenn auch nicht so elegant wie die Franzosen), wohltätig, freiheits- und vaterlandsliebend; die Provinz Holland nehme eine außergewöhnliche Stellung ein, ihr Reichtum finanziere eine immense Bautätigkeit; Amsterdam sei ein „miracle du monde“, aber nicht nur deren Bürger, sondern etwa auch Bauern aus dem fruchtbaren Norden würden ein hohes Einkommen genießen; insgesamt herrsche eine erstaunliche Gleichheit und Respekt unter den Einwohnern vor, die die Autorität der Amtsträger dennoch nicht untergraben würde. Auch wenn der Standard der Herbergen für ausländische Touristen nicht sehr hoch sei, sei eine Reise „dans un des plus beaux Païs du Monde“ dennoch immer empfehlenswert.¹⁹ Während de Sorbiere die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Allianzen mit anderen Mächten im Hinblick auf die Vereinigten Provinzen bereits in diesem ersten Brief erwähnt,²⁰ diskutiert er die seit Parival ebenfalls in den Vordergrund gerückten Themen nahezu ausnahmslos im zweiten Brief. Nach einer Darstellung des niederländischen Unabhängigkeitskampfes und den Beschlüssen der Union von Utrecht als „loix fondamentales de l’Estat“²¹ benennt er die Provinzialstände und Stadträte als Inhaber der Souveränität und die Generalstände und den Statthalter als Repräsentanten dieser Souveränität nach außen.²² Die Generalstände, zusammengesetzt aus Vertretern der Provinzen, besäße den Staatsrat als Exekutivorgan, um weniger wichtige Entscheidungen schnell und effektiv auf den Weg zu bringen. Insgesamt sei diese Institution in ihren Beschlüssen aber immer an die Zustimmung der Provinzialstände gebunden und diese wiederum an den Vgl. zu diesen Aufenthalten auch Murris, La Hollande, S. f. Lettre II. A Monsieur le Comte de Nogent. Relation d’un voyage fait en Hollande (S. – ), Lettre III. A Monsieur le Marquis de Vaubrun-Nogent. Deuxiesme (sic) Relation. Du Gouvernement des Provinces unies (sic) (S. – ). Lettre IV. A Monsieur de Bautru. Troisiesme Relation. De l’estat des sciences en Hollande (S. – ). De Sorbiere, Relations, S. – . De Sorbiere, Relations, S. f. De Sorbiere, Relations, S. – . De Sorbiere, Relations, S. und S. : „[…] & l’Estat a souffert cette formalité [Amt des Statthalters bis ] pour s’accomoder à la manière des peuples qui vivent sous le gouvernement Despotique, & qui n’ont pas idée de la Republique.“
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Konsens der einzelnen Städte.²³ Entscheidungen würden so langsamer, aber „verdaulicher“ gefällt.²⁴ Auch wenn Einige Kritik an dieser Regierungsform üben würden, so sei sie doch diejenige, die dem Naturell der Niederländer am besten entspreche.²⁵ Das Justizsystem der Vereinigten Provinzen bewertet de Sorbiere nicht. Er nennt aber alle Institutionen und deren Zuständigkeitsbereiche bis hin zum Syndicus als „Advocat General“.²⁶ Anschließend erläutert de Sorbiere die finanzielle Beitragsstruktur der Provinzen innerhalb der Union und die einzelnen Steuern und Abgaben innerhalb einer Provinz am Beispiel Hollands. Er verweist auf reguläre und außergewöhnliche Abgaben, nennt die Steuern für einzelne Produkte wie Salz und Bier und erklärt die Wege der konkreten Steuererhebung.²⁷ Die hohen Abgaben würden von der Bevölkerung toleriert, weil Einsicht in die Notwendigkeit dieser Beiträge für einen florierenden Handel herrsche. Der Genuss der Freiheit, die milde Regierung und die geschickte Einführung dieser Steuern würden die Akzeptanz zudem begünstigen.²⁸ De Sorbiere diskutiert in der Folge ausführlich die beiden größten niederländischen Überseekompanien als wichtige Akteure des Handels der Vereinigten Provinzen. Auf den Aspekt der Religion und Religionsfreiheit kommt er allein hinsichtlich der Situation der Katholiken zu sprechen. Die „Unterdrückung“ der katholischen Religion sei der einzige Fakt, der eine Veränderung der Situation in den Vereinigten Provinzen vorteilhaft erscheinen lassen könne. Dies würde aber so bald nicht erfolgen, da die Katholiken die Freiheit in dieser Republik genauso schätzen würden wie alle anderen.²⁹ Das Verbot der öffentlichen Ausübung ihrer Religionsfreiheit könnten sie zudem in vielen Städten durch die Praxis der geheimen Gottesdienste in Privathäusern
De Sorbiere, Relations, S. – . De Sorbiere, Relations, S. : „[…] ce qui rend la decision des affaires un peu longue; mais elle en est mieux digerée.“ De Sorbiere, Relations, S. : „Il y en a qui estiment que la chose iroit mieux autrement. Mais il ne faut pas tant avoir égard à la perfection du gouvernement, qu’à ce qui est le plus accommodé au genie des peuples; & de ce costé-là il est certain que le plus expedient est de laisser les choses comme elles sont.“ Vgl. auch De Sorbiere, Relations, S. . De Sorbiere, Relations, S. – . De Sorbiere, Relations, S. – . De Sorbiere, Relations, S. f.: „L’impost mesme sur le papier, duquel on fit tant de bruit il y a quelque temps, y est toleré: & il y a une infinité d’autres inventions, que le plaisir de la liberté, la douceur du Gouvernement, & la manière dont les taxes sont exigées, rendent supportables, & presque insensibles à un peuple tout occupé à son negoce, & aux reflexions continuelles qu’il fait sur la felicité dont il ioüit.“ De Sorbiere, Relations, S. .
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abmildern.³⁰ Eine ausführlichere Behandlung der Religionsverhältnisse und der Politik der Vereinigten Provinzen kündigt de Sorbiere in diesem Brief für eine spätere Abhandlung an.³¹ Erstaunlich ist, dass der bereits 1646 als Übersetzer und Kommentator von Thomas Hobbes De Cive in Erscheinung getretene de Sorbiere, den Aspekt der Freiheit für die niederländische Republik in den hier abgedruckten Briefen nicht weiter eingehend thematisiert oder definiert. Bevor er im dritten Brief hingegen in Breite die Kunst- und Wissenschaftslandschaft der Vereinigten Provinzen erörtert, kommt er wie Parival und d’Alquié zu dem Schluss, dass diese Republik noch lange Bestand haben werde. Dabei betont er (allein an dieser Stelle) die Liebe zur Freiheit als entscheidende Grundlage: Mais s’il faut iuger de la durée de cette puissante Republique par l’esprit qui l’a animée en sa naissance, il est à croire que l’amour de la liberté la soûtiendra fort long-temps: car il est encore tout entier dans l’ame de ses citoyens, qui la goustent à long traits, & qui s’en entretiennent incessament.³²
Dieser dauerhafte und unveränderte Bestand der Vereinigten Provinzen liege dabei auch, so hält de Sorbiere fest, im Interesse Frankreichs.³³ Insgesamt sind die 1660 gedruckten Relationen über die Vereinigten Provinzen des international vernetzten Republique des Lettres-Mitglieds Samuel de Sorbiere Ausdruck einer Erweiterung des Aussagenspektrums in Bezug auf die Niederlande. Diese Erweiterung wurde 1650 im Zuge der politischen Interessenlehre bedingt und forciert. De Sorbieres Abhandlungen sind zudem ein Hinweis darauf, dass diese Veränderung nicht nur im Rahmen der von der Interessenlehre geforderten Staatsbeschreibungen stattfand, sondern sich (zumindest in Frankreich) zunehmend gattungsübergreifend vollzog. Das zeigt auch der 1665 publizierte Guide Universelle de Tous Les Pays-Bas des Pariser Geistlichen Adam Boussingault, der in der Folge zu einem der meistgelesenen Reiseführer über die Niederlande in Europa avancierte.³⁴ Boussingault,
De Sorbiere, Relations, S. f. De Sorbiere, Relations, S. . De Sorbiere, Relations, S. . De Sorbiere, Relations, S. : „Il est de nostre interest que la Republique subsiste telle qu’elle est; & elle ne demande, à mon advis, que de conserver; n’estant point ambiteuse, & se trouvant assés florissante pour vouloir arrester sa bonne fortune au poinct où elle est venuë.“ Boussingault, Adam: La Guide Universelle De Tous Les Pays-Bas, ou des Dix-Sept Provinces. Qui fait voir au Voyageur tout ce qu’il y a de plus beau, de plus rare, de plus antique, & de plus curieux. De Plus. Les Fortifications de plusieurs Villes, & leur distance, avec deux guides tresexactes des Chemins. Les Mœurs et Les Coutumes d’apresent des Pays-Bas. Une description trescurieuse & tres-particuliere de la Ville de Paris. Par le Reverend Père Adam Boussingault. Parisien,
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der gemäß Vorwort zum ersten Mal eine universelle Beschreibung der Niederlande vorlegen möchte und alle anderen vorangegangenen Abhandlungen als „defectueux“ beschreibt, weil sie entweder allein historisch oder allein geographisch vorgegangen seien oder immer nur einen Teil des ehemals als „Gaule Belgique“ bezeichneten Territoriums geliefert hätten,³⁵ greift in seinen den konkreten Beschreibungen vorangestellten Betrachtungen genau die neuen Elemente des erweiterten Aussagenfeldes auf. Der Darlegung konkreter Reiseinstruktionen (über die beste Jahreszeit, den Umgang mit der Bevölkerung, nötige Sprachkenntnisse, Kleidung und Trinkgewohnheiten, Kosten und Bequemlichkeit verschiedener Transportmittel) und der knappen Vorstellung aller siebzehn Provinzen, die Boussingault ganz bewusst zusammenhängend beschreiben will, und von denen die „sept Provinces libres“ nur einen Teil ausmachen würden,³⁶ erläutert der Franzose die entscheidenden Grundlagen innerhalb von sechs Abschnitten: 1. De l’Assemblée ou du College des Estats Generaux des Provinces Unies; 2. Les Loix fondamentales de la Republique des Provinces Unies.; 3. De la Religion; 4. La forme d’enterrer les morts dans la Hollande; 5. De la liberté en Hollande; 6. Des Moeurs & des Coutûmes des Flamands; & sur tout des Hollandois. ³⁷ Auffällig ist, dass Boussingault sich in diesen allgemeinen Betrachtungen, entgegen seines universellen Ansatzes der Beschreibung aller siebzehn Provinzen, fast doch ausschließlich auf die sieben Vereinigten Provinzen bezieht, für die auch er Holland als gängiges pars pro toto ansieht.³⁸ Dies liegt nicht zuletzt wohl an der Tatsache, dass er – vor allem in dem Abschnitt zur Freiheit, aber auch in den Ausführungen zur Religion und den Generalständen – zum Teil wortwörtlich den Text aus Parivals Délices übernimmt, ohne diese Übernahme zu kennzeichnen.³⁹ Folglich Religieux de l’Ordre de S. Croix. A Paris (chez François Clousier) . Zur Rezeption des Guide Universelle vgl. van Strien, British Travellers, S. . Boussingault, La Guide Universelle, Au Lecteur (o.P.). Boussingault, La Guide Universelle, Instructions Aux Voyageurs pour les Pays Bas (o.P.) und S. – . Bereits hier hebt Boussingault Holland als „la principale, la plus noble, la plus illustre, la plus renommée, la plus puissante & la plus marchande“ Provinz hervor (S. f.). Boussingault, La Guide Universelle, S. – . Boussingault, La Guide Universelle, S. : „Et sous le nom de la Hollande on entend communément tout ce que les Hollandois & les Provinces Unies possedent à present.“ Vgl. etwa Parival, Les Délices, S. – : „Il n’y a point aujourd’hui de Province en tout le monde qui joüisse de tant de liberté que la Hollande, avec une si juste harmonie, que les petits ne peuvent estre gourmandés par les grands, ny les pauvres par les riches & les opulens. […] La Hollande ne souffre point de serf ny d’esclave […]. Un chacun est Roy dans sa maison, & c’est un crime tres dangereux d’avoir violanté un Bourgeois dans la sienne […]. On peut voyager librement par toute la Hollande. […] Personne n’est obligé de demeurer icy plus qu’il ne veut, comme en de certains païs; un châcun peut entrer & sortir quand bon luy semble. […] La liberté de parler de tout, même des Magistrats, est si grande, qu’elle passe en licence.“ Ebenso Boussingault, La Guide
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beschreibt er die Generalstände als Repräsentanten der niederländischen Souveränität, die das Schiff der Vereinigten Provinzen mit Ruhe und Eintracht regieren würden, bei wichtigen Entscheidungen aber immer auf die Zustimmung der Provinzialstände und auf Einstimmigkeit angewiesen seien.⁴⁰ Keine Provinz der Welt genieße mehr Freiheit in einer solchen Gleichheit und Harmonie wie Holland. Es gebe weder Sklaverei noch Leibeigenschaft. Ein jeder sei „König in seinem Haus“, genieße Reisefreiheit, das Recht, das Land zu verlassen, und das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch in politischen Angelegenheiten.⁴¹ In den Vereinigten Provinzen, so ergänzt Boussingault in diesem weitgehend kopierten Abschnitt zur Freiheit in einem kurzen Absatz, herrsche zudem kein Faustrecht, sondern der Rechtsstaat.⁴² Die reformierte Religion nehme in den Vereinigten Provinzen den ersten Rang ein und sei Staatsreligion. Mit Ausnahme der Katholiken genössen alle anderen Gewissens- und Religionsfreiheit.⁴³ Als „loix fondamentales“ bezeichnet Boussingault die Einheit der sieben Provinzen, die Unveränderlichkeit aller Rechte, Freiheiten und Privilegien jeder einzelnen dieser Provinzen, die gewaltfreie und von der Justiz kontrollierte Vermittlung bei Unstimmigkeiten zwischen den Provinzen, die gemeinsame Finanzierung wichtiger Befestigungsanlagen, die Gewissensfreiheit für alle Einwohner und den unbedingten Friedenswillen nach außen.⁴⁴ Der im Verhältnis längste Abschnitt zu den Sitten und Gebräuchen der Niederländer, jetzt auch wieder explizit inklusive der
Universelle, S. – : „Il n’est point auiourd’huy de Province dans tout le Monde qui iouïsse de tant de liberté que la Hollande, avec une si iuste harmonie, que les petits ne peuvent estre gourmandés par les grands, ny les pauvres par les riches & opulents. Certes la Hollande ne souffre point de serf ny d’esclave. […] Sur tout un chacun est Roy dans sa maison, & c’est un crime tres dangereux d’avoir violenté un Bourgeois dans la sienne […] On peut voyager librement par toute la Hollande. […] La liberté de parler de tout, voire des Magistrats mesme est si grande, qu’elle passe en licence.“ Für ähnliche wörtliche und sinngemäße Übernahmen vgl. etwa Parival, Les Délices, S. 131 und Boussingault, La Guide Universelle, S. 10; Parival, Les Délices, S. 114– 117 und Boussingault, La Guide Universelle, S. 16 – 19. Boussingault erwähnt im Vorwort lediglich, dass er für seinen Reiseführer neben der eigenen Erfahrung und Befragung Einheimischer auch andere Autoren zu Rate gezogen habe. Welche diese sind, sagt er aber nicht. (Boussingault, La Guide Universelle, Au Lecteur (o.P.)). Boussingault, La Guide Universelle, S. – . („Ce haut & puissant College qui represente la Majesté & Souveraineté desdites Provinces […].“). Boussingault, La Guide Universelle, S. – . Boussingault, La Guide Universelle, S. : „Les affronts à l’honneur ne se reparent point par la violence, tout se fait par la Iustice […].“ Boussingault, La Guide Universelle, S. – . Allein der geheime katholische Gottesdienst in Privathäusern werde zumeist toleriert. Boussingault, La Guide Universelle, S. – .
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„Flamands“, greift dann die üblichen Stereotypen der robusten, großen, dem Wein zugeneigten Niederländer auf, die „laborieux & industrieux“ seien, den Frauen die Freiheit der Männer zugestehen würden, und deren Häuser unvergleichlich schön und sauber seien.⁴⁵ Dem Handel widmet Boussingault nur einen einzigen Absatz, in dem er die hauptsächlich exportierten Waren nennt,⁴⁶ bevor er an die konkrete Beschreibung der einzelnen Städte und Wegstrecken geht. Sowohl Boussingault als auch Parivals Abhandlung wurden in England sehr bald rezipiert. William Aglionby (1643 – 1705), Mitglied der Royal Society und späterer Sekretär des englischen Botschafters in Den Haag, veröffentlichte 1669 eine Übersetzung der Délices de la Hollande als drittes Buch seiner Sammlung verschiedener Texte über die Vereinigten Provinzen mit dem Titel: The Present State of the United Provinces of the Low-Countries. ⁴⁷ Dabei hielt sich der Engländer in seiner Übersetzung Parivals, dessen Namen und Werk er nicht nennt, über weite Strecken sehr nah an den Originaltext.Vor allem auch in den Kapiteln zur Religion und zur Freiheit lassen sich kaum Veränderungen oder Einschübe finden.⁴⁸ Aufgrund eigener ausführlicher Abschnitte zu den Regierungsinstitutionen, den Steuern und Abgaben und der Frage nach der Dauerhaftigkeit der Republik im zweiten Buch derselben Abhandlung, lässt Aglionby diese Abschnitte der Délices im dritten Buch weg oder gibt sie, wie im Falle des Abschnittes zu den Steuern und Abgaben, unter Verweis auf das vorausgegangene Kapitel im zweiten Buch, nur sehr verkürzt wieder.⁴⁹ Dabei unterscheiden sich diese Darlegungen des zweiten
Boussingault, La Guide Universelle, S. – . Boussingault, La Guide Universelle, S. f. Aglionby, William: The Present State of the United Provinces of the Low-Countries; As To The Government, Laws, Forces, Riches, Manners, Cuttomes, Revenue, and Territory, of the Dutch. In Three Books: collected by W.A. Fellow of the Royal Society. London (printed for John Starkey) . Aglionby, The Present State, S. – (Chapter XXIV. Of the different Religions in Holland) und S. – (Chapter XXVI. Of Liberty). Im Kapitel zur Freiheit kürzt Aglionby den Originaltext in der Übersetzung um Beispiele und manche Ergänzungen und fügt die Kernaussagen direkt aneinander.Vgl. etwa „There is no Province in the World, where the Inhabitants enjoy more liberty, than in Holland. Nay, as soon as any Slave coming from a foreign Countrey, sets his foot upon the Dutch shore, he is free.“ (S. ) Oder: „No body is forced to stay here any longer than he thinks fit. Here is liberty of Conscience, and no body is forc’d to go to the Protestant Churches. The liberty of speaking freely, even of Magistrates themselves, is too great.“ (S. ). Das Kapitel Parivals über das Justizwesen in Holland fehlt in der Übersetzung Aglionbys und bleibt auch ersatzlos im zweiten Buch von dessen Abhandlung. In dem übersetzten Kapitel zur Freiheit findet sich lediglich die zusammenfassende Aussage: „Here is no partiality; and let every one know, that the Laws are here in their force.“ (S. 350). Aglionby, The Present State, S. – . Er übersetzt dabei die allgemeinen Kernaussagen Parivals zu diesem Thema,vgl. etwa S. : „These Imposts are so layed and gather’d, that they are
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Buches in ihren Aussagen und der Argumentation weiterhin nicht grundsätzlich von Parivals Beschreibung. Aglionby benennt etwa ausführlich einzelne Steuern und Abgaben und unterscheidet dabei ähnlich wie de Sorbiere in seiner DelicesAusgabe reguläre und außergewöhnliche Abgaben.⁵⁰ Der Engländer legt die verschiedenen Allianzen der Vereinigten Provinzen mit anderen europäischen Mächten dar und bezeichnet diese Allianzen als „external forces“ der niederländischen Republik.⁵¹ Nach dem historischen Abriss im ersten Buch, die mit der Darstellung des Batavermythos auf der Grundlage von Tacitus und der Präsentation der Beschlüsse der Union von Utrecht als Grundlage des Staatswesens beginnt,⁵² befasst sich die Darstellung des zweiten Buchs zunächst über dreizehn Kapitel hinweg mit den verschiedenen Regierungsinstitutionen und deren Kompetenz- und Machtverteilung untereinander. Die Souveränität, so die Kernaussage, liege grundsätzlich bei den Provinzialständen, manche souveräne Rechte dürften aber nur einstimmig von der Union, vertreten durch die Generalstände, ausgeübt werden.⁵³ Das Amt des Statthalters, der ohnehin keine Macht besitze, sei nicht hinderlich, aber auch nicht unbedingt notwendig.⁵⁴ Die größte Stärke der Vereinigten Provinzen resultiere aus ihrer Lage am Meer. Diese sowie die zahlreichen verfügbaren Flüsse begünstigten den Handel und damit den Reichtum, aber vor allem die einfache Befestigung der Städte und deren Uneinnehmbarkeit.⁵⁵ Wie Parival kommt Aglionby in einer Erörterung der Überlegungen des italienischen Kardinals Bentivoglio zu dem Schluss, dass die Vereinigten Provinzen noch lange Bestand haben würden.⁵⁶
willingly payed, though there be nothing free from them. […] The States seeing the necessity of having money to defend their liberties, did by little and little, and not all at once, settle these Excises, so that the people bear it chearfully enough.“ Für die konkreten Abgaben verweist er aber auf das vorausgegangene Kapitel: „There are many other Imposts, which may be all seen in the Second Part of this Book, in the Chapter of Imposts.“ (S. ). Aglionby, The Present State, S. – . Aglionby, The Present State, S. – . Aglionby, The Present State, Book I und Book II, Chapter I. Aglionby, The Present State, S. – , S. f., S. f. („Each Province has a soveraign (sic) power within it self, and may exercise all supreme jurisdiction, except such as ought to be common to all by vertue of their union. […] Now here are the particular acts of Soveraignty, of which every Province in particular is barr’d , and which do only belong to them all united. For they cannot . Undertake a New War. . Make Peace or Truce. . Lay Impositions, which concern the comon Union. . Make alliance with Neighbours. . Set the value of Money, or make Laws concerning the publick. All these things cannot be done but by common consent.“). Aglionby, The Present State, S. – . Aglionby, The Present State, S. – . Aglionby, The Present State, S. – .
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Der Engländer führt dafür mehrere Gründe ins Feld: der Grund der Staatsgründung allein, nämlich die Wiederherstellung und Bewahrung alter Freiheiten, mache eine Auflösung dieser Republik bereits unwahrscheinlich.⁵⁷ Auch die Nachbarstaaten in Europa (abgesehen von Spanien) hätten zudem kein Interesse an der Vernichtung dieses Gemeinwesens, das nicht nur die Freiheiten seiner Bürger bewahre, sondern auch kein Interesse an einer Expansion habe.⁵⁸ Der Wandel, der stattgefunden habe, hätte außerdem nur den Übergang der Macht vom spanischen König auf die Generalstände beinhaltet. Alle Gesetze, Gebräuche und Satzungen seien gleich geblieben. Gemäß der Maxime, dass die Staaten, die am wenigsten Veränderungen erfahren, am längsten halten, sei den Vereinigten Provinzen noch eine lange Zukunft beschert.⁵⁹ Die ungleiche Verteilung von Macht und Reichtum sei in dieser Republik zudem genauso wenig ein Problem wie der Religionspluralismus, der vielmehr als Band der Eintracht fungiere.⁶⁰ Ein jeder lebe zufrieden mit der ihm gewährten Gewissensfreiheit und – solange die spanische Macht Eifersucht in Europa hervorrufe – seien die Vereinigten Provinzen zudem unter dem ständigen Schutz Englands und Frankreichs.⁶¹ Auch das Beispiel der Schweizer habe gezeigt, dass eine Republik, die von ihrer natürlichen Situation profitiere, lange Bestand haben könne.⁶² Das Argument Bentivoglios, dass Freiheit Ungleichheit bedinge und dadurch notwendigerweise immer irgendwann eine Monarchie als Staatsform verlange, sei so für die niederländische Republik nicht haltbar. Die Macht des Statthalters sei zwar groß, die Autorität der Generalstände aber immer größer.⁶³ Auch die Dominanz Hollands sei nicht nachteilig, da die Autorität unter allen Provinzen gleich verteilt sei und so keine
Aglionby, The Present State, S. . Aglionby argumentiert hier ganz im Sinne der Rhetorik des niederländischen Unabhängigkeitskampfes und definiert die „Bewahrung alter Freiheiten und Verfassungsstrukturen“ auch im Sinne der englischen Debatte als Besonderheit der „Northern Nations of the world“. (S. ) Aglionby, The Present State, S. . Aglionby, The Present State, S. . Aglionby, The Present State, S. : „The inequality of strength and riches in these Provinces, is one of the tyes of their perpetuity, though ordinarily it be the cause of ruptures and fallings out in these cases.“ Ebenso S. f.: „As for the diversity and plurality of Religions, it is so far from being an apple of discord, that it is a tye of union and concord.“ Aglionby, The Present State, S. : „[…] besides, without doubt as long as the Spaniards power shall give occasion of jealousie to Europe, England and France will never forsake the protection of Holland.“ Und S. : „[…] every one being pleas’d with the liberty he has to enjoy the freedome of his conscience.“ Aglionby, The Present State, S. . Aglionby, The Present State, S. f.
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gravierenden Unstimmigkeiten und Einmischungen unter den Provinzen entstehen könnten.⁶⁴ Insgesamt präsentiert Aglionby sein Portraiture of this flourishing Commonwealth als Unterrichtswerk und Anschauungsmaterial insbesondere für jene Leser, die sich mit dem Aufstieg und der Entwicklung von Staaten beschäftigen werden: The Netherland-Provinces have rendred themselves so conspicuous and considerable amongst the other States of Europe, that the sole mentioning of them might suffice to awaken the attention, and invite the regards of all persons, whose more elevates Genius leads them to the contemplation of the rise, growth, and grandeur of States and Empires; which affording the greatest instances of humane wisdome and industry, as well as they are the most remarkable Theatres of divine providence, are certainly the most adequate objects for rational and considering men. […] ‘Tis the Portraiture of this flourishing Commonwealth which is here presented to the Ingenious […] in reference to the two principal ends of Books, Instruction and Divertisement.⁶⁵
Der Aufstieg dieses kleinen Staates hätte jüngst die Aufmerksamkeit der Gelehrtendiskussionen auf sich gezogen – zu Recht, denn mit seinem Wachstum in nur 100 Jahren habe es bereits alle antiken Republiken Griechenlands übertroffen und nahezu die Größe der herausragendsten zeitgenössischen Monarchien erreicht: Scarce any Subject occures more frequent in the discourses of ingenious men, than that of the marvellous progress of this little State, which in the space of about one hundred years […] hath grown to a height, not only infinitely transcending all the ancient Republicks of Greece, but not much inferior in some respects even to the greatest Monarchies of these latter Ages.⁶⁶
Parivals Abhandlung Délices de la Hollande, die 1651 zum ersten Mal neben den bis dato üblichen Aussagen auch die Religions- und Gewissensfreiheit als Stütze einer erfolgreichen niederländischen Wirtschaftspolitik und eine spezifische, nämlich negativ definierte, niederländische Freiheit sowie die exakte, schnelle Justiz als Staatsgrundlagen der niederländischen Politik explizit thematisierte, wurde sowohl in Frankreich als auch in England schnell und gattungsübergreifend rezipiert. Die hier vorgestellten Autoren ergänzten die oft nahezu wörtlich übernommenen Aussagen um einzelne Aspekte, setzten Schwerpunkte oder ließen manche Aussagen aus ihren Texten raus. So diskutierte etwa Samuel de Sorbiere das Thema der Freiheit kaum. François Savinien d‘Alquié betonte vor allem die
Aglionby, The Present State, S. . Aglionby, The Present State, The Preface (o.P.). Aglionby, The Present State, The Preface (o.P.).
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Gesetze und die Justiz sowie die nichtexpansive Ausrichtung der Vereinigten Provinzen als Grundlagen von Frieden und Sicherheit der Bürger. Er fasste zudem die seiner Ansicht nach grundlegenden Maximen des Freistaates noch einmal gesondert zusammen. Allen gemeinsam war die Prognose eines dauerhaften Bestands der Vereinigten Provinzen im Gefüge der europäischen Staatenwelt. Diese Prognose wurde durch das Entkräften anderslautender Meinungen und möglicher Einwände argumentativ gestützt und etwa bei William Aglionby lang ausgeführt. Die Vereinigten Provinzen wurden dabei explizit als Unterrichts- und Anschauungsmaterial präsentiert, welches der rationalen Analyse bedürfe und so weiterführende Erkenntnisse generiere.
5 William Temple Ganz ähnlich wie William Aglionby begründet der englische Diplomat William Temple (1628 – 1690) seine 1673 vorgelegte Beschreibung der Vereinigten Provinzen im Vorwort mit der in der Geschichte bis dato nicht vergleichbaren Entwicklung dieser Republik in so kurzer Zeit, die die Aufmerksamkeit aller Nachbarstaaten auf sich gezogen habe und nun erklärungsbedürftig sei: Having lately seen the State of the United Provinces, after a prodigious growth in Riches, Beauty, extent of Commerce, and number of Inhabitants, arrived at length to such a heighth (by the strength of their Navies, their fortified Towns and standing-Forces, with a constant Revenue proportion’d to the support of all this Greatneß), As made them the Envy of some, the Fear of others, and the Wonder of all their Neighbours. […] Now because such a Greatneß, and such a Fall of this State, seem Revolutions unparallel’d in any Story, and hardly conceived even by those who have lately seen them; I thought it might be worth an idle man’s time, to give some account of the Rise and Progress of this Commonwealth, The Causes of their Greatneß, and the Steps towards their fall.¹
Allerdings will Temple anders als Aglionby – und das wird bereits aus diesen ersten einführenden Bemerkungen deutlich – in seinen Observations upon the United Provinces of the Netherlands nicht allein den Aufstieg und den enormen Reichtum der Vereinigten Provinzen beschreiben und erklären, sondern auch den „Fall“, den Absturz dieser Republik vom Zenit ihrer Macht erläutern, den er, ebenfalls bereits im Vorwort, auf den der Publikation vorausgegangenen Sommer im Jahr 1672 datiert: We have this Summer past, beheld the same State, in the midst of great appearing Safety, Order, Strength, and Vigor, Almost ruin’d und broken to pieces in some few days and by very few blows; And reduced in a manner to its first Principles of Weakness and Distreß; Exposed, opprest, and very near at Mercy.²
Diese Aussage über den „Fall“ der Niederlande, deren endgültiger Ruin allenfalls durch die fehlende Entschlusskraft der auswärtigen Mächte, nicht aber durch
Temple, Observations, Preface (o.P.). Koen Stapelbroek verweist auf die mögliche Orientierung Temples bei seiner Wortwahl an der publizierten Aussage Josiah Childs ( – ) über die Vereinigten Provinzen: “The prodigious increase of the Netherlanders in their domestick and forreign Trade, Riches, and multitude of Shipping, is the envy of the present, and may be the wonder of all future Generations.” (Child, Josiah: Brief Observations Concerning Trade and Interest of Money. London . S. .) Siehe Stapelbroek, Dutch Decline, S. . Temple, Observations, Preface (o.P.).
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eigene Stärke verhindert werden habe können,³ ist neu. Anders als Parival oder Aglionby bescheinigt Temple der niederländischen Republik keine perfekte Einrichtung und ewige Dauer mehr, sondern er beleuchtet kritisch das Potential eines möglichen und tatsächlich erfolgten Niedergangs dieses Gemeinwesens. Damit stellt Temples Traktat, das allein zu Lebzeiten des Autors sechs englische Editionen sowie niederländische und französische Übersetzungen erfuhr und in der Folge bis 1750 diskursprägend wurde,⁴ eine entscheidende Zäsur im Sprechen über die Niederlande dar. Hintergrund für diese neue Aussage Temples war der französische Angriff auf die Vereinigten Provinzen 1672, der nach dem geheimen Vertrag von Dover zwischen Karl II. und Ludwig XIV. (1670) mit englischer Unterstützung erfolgte und dem die niederländische Republik kaum etwas entgegen zu setzen hatte. Ludwig XIV. eroberte während der Landoffensive im Juni 1672 den Großteil der niederländischen Festungsanlagen innerhalb von einer Woche, der Börsenkurs in Amsterdam brach ein und innenpolitisch entfachte erneut die Diskussion um die Notwendigkeit eines Statthalters, die Machtverteilung unter den Provinzen und damit um die strukturelle Organisation des Gemeinwesens. Temple erlebte dieses Year of Disaster, wie es die Forschungsliteratur bis heute bezeichnet,⁵ aus der Perspektive des Diplomaten, der von 1668 bis 1670 als erster ständiger englischer Botschafter in Den Haag tätig gewesen war, enge Beziehungen zu Johan de Witt und Wilhelm von Oranien aufgebaut und sowohl in wichtigen Handelsfragen als auch bereits 1668 die Trippleallianz zwischen England, Schweden und den Niederlanden vermittelt hatte. Die Observations verfasste Temple vermutlich im Herbst 1672 vor dem Hintergrund seines zweijährigen Aufenthaltes in den Verei-
Temple, Observations, Preface (o.P.): „And the remainders of their State rather kept alive by neglect or disconcert of its Enemies, than by any strength of Nature, or endeavours at its own recovery.“ Vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. . Es gab allein sechs englische Ausgaben der Observations sowie französische und niederländische Übersetzungen zu Lebzeiten Temples. Temples literarische Werke, Korrespondenz und politischen Essays wurden postum durch seinen Schüler Jonathan Swift ( – ) herausgegeben. Im . Jahrhundert finden sich dann entsprechend seinem durchaus populären Status sieben Ausgaben seiner gesammelten Werke. In den in dieser Arbeit betrachteten Quellentexten zur Rezeption der Niederlande zwischen 1675 und 1750 finden sich zahlreiche Verweise auf Temples Observations, gattungs- und sprachübergreifend. Zum Teil diskutieren andere Autoren gar einzelne Passagen Temples detailgenau und kritisch. Vgl. etwa Israel, Dutch Republic, S. : „: Year of Disaster. The Year was the most traumatic of the Dutch Golden Age. It was a year of military collapse, of almost complete demoralization, the moment when the overthrow of the Republic, if not in its entirety, then certainly as a major power, seemed at hand.“
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nigten Provinzen, bevor er 1674 erneut als Botschafter dorthin zurückkehrte, um die Hochzeit zwischen Wilhelm von Oranien und Prinzessin Mary von England (1662– 1694) sowie den Friedensvertrag auszuhandeln, der den dritten Niederländisch-Englischen Krieg beendete. Schließlich wurde er 1678/1679 als einer der englischen Vermittler beim Frieden von Nijmegen tätig.⁶ Temples Traktat ist klar als Staatbeschreibung im Sinne der politischen Interessenlehre zu klassifizieren. So stellt er in der Einleitung den Nutzen heraus, den Machthaber und Regierungsmitglieder aus dieser Art der Darstellung ziehen können: Besides, it may possibly fall out, at one time or other, that some Prince or great Minister may not be ill pleased in these kind of Memorials (upon such a Subject), to trace the steps of Trade and Riches, of Order and Power in a State; and those likewise of weak or violent Counsels, of corrupt or ill Conduct, of Faction or Obstinacy, which decay and dissolve the firmest Governments: That so by reflections upon Foreign Events, they may provide the better and the earlier against those at home, and raise their own Honour and Happineß by equal degrees with the Prosperity and Safety of the Nations they govern.⁷
Die Observations knüpfen dabei nahtlos an den ein Jahr zuvor von Temple verfassten Essay A Survey of the Constitutions and Interests of The Empire, Sweden, Denmark, Spain, Holland, France, And Flanders, with their relation to England in the Year 1671 an.⁸ Auch hier hatte Temple die Notwendigkeit der Kenntnis anderer Staaten für die Stärke und Sicherheit des eigenen Landes betont⁹ und bereits die
Für biographische Informationen siehe Woodbrige, Homer E.: Sir William Temple: The Man and his Work. New York ; Davies, J.D.: Art. Temple, Sir William, Baronet ( – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Temple, Observations, Preface (o.P.). Temple, William: A Survey of the Constitutions and Interests of The Empire, Sweden, Denmark, Spain, Holland, France, and Flanders, with their Relation to England in the year . And then given to one of his Majesty’s principal Secretaries of State, upon the ending of my Embassy at the Hague. In: The Works of Sir William Temple, Bart. Complete. In Four Volumes. To which is prefixed the Life and Character of the Author, considerably enlarged, a new Edition. Vol. II. London . S. – . Temple, The Constitutions and Interests, S. : „The decay and dissolution of civil, as well as natural bodies, proceeding usually from outward blows and accidents, as well as inward distempers or infirmities, it seems equally necessary for any government to know and reflect upon the constitutions, forces, and conjunctures among their neighbouring states, as well as the factions, humours, and interest of their own subjects; for all power is but comparative; nor can any kingdom take a just measure of its safety by ist own riches or strength at home, without casting up at the same time, what invasions may be feared, and what defences expected, from enemies or allies abroad.“
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Gründe für den Aufstieg der Vereinigten Provinzen als „most prodigious growth that has been seen in the world“ ausgelotet.¹⁰ In den Observations widmet sich Temple nun ausführlich in acht Kapiteln dem Ursprung und der historischen Entwicklung der Vereinigten Provinzen, ihrer Regierungsform, ihrer Lage, der niederländischen Bevölkerung und deren Voraussetzungen, der Religion, dem Handel, den Stärken und Einkünften und explizit im letzten Kapitel den Gründen ihres Falls 1672. Dabei greift auch er durchaus stereotype, seit Guicciardini übliche Elemente der Beschreibung sowie auch die seit 1650 in der Darstellung der Vereinigten Provinzen dominanten Themenkreise und Aussagen auf: Schon als antikes Batavia sei Holland vielmehr gleichberechtigter Partner denn Untergebener Roms gewesen.¹¹ Den Freiheitswillen und die Tapferkeit hätten sich die Niederländer immer bewahrt,¹² wenn sie auch die hart erkämpften Freiheiten nach der Unabhängigkeit durch die notwendigen hohen Steuern und die absolute Macht mancher Magistraten in einzelnen Städten und Provinzen selbst eingeschränkt hätten.¹³ Die Lage an der See würde die Stärke des Freistaats ausmachen. Flüsse und Kanäle würden sowohl als natürliche Festungen als auch als den Handel begünstigende Infrastruktur dienen.¹⁴ Die Bevölkerung, die Temple in vier Gruppen aufteilt (Bauern, Seefahrer, Händler, Rentiers und Offiziere), sei nicht übermäßig intelligent, aber fleißig, sparsam, wohltätig und zum Teil übermäßig dem Alkohol zugeneigt.¹⁵ Ein jeder habe seine Finanzen im Griff, gebe nicht mehr aus, als er einnehme. So falle es ihnen auch leichter als anderen, die überaus hohen Abgaben zu zahlen, mit denen sie wiederum schöne Gebäude und eine gute Infrastruktur finanzieren würden.¹⁶ Der Adel imitiere immer mehr die Franzosen, die Händler seien froh, wenn sie so wenig wie möglich an der Regierung beteiligt werden und lediglich die Sicherheiten durch diese garantiert werden würden.¹⁷ Die Mehrheit der Amtsträger rekrutiere sich aus der Gruppe der Rentiers, die ihre
Temple, The Constitutions and Interests, S. f. Temple nennt hier ihre vorteilhafte Lage, die Ordnung der Regierung, das Verhalten der Minister, die Kunst, die Industrie, die Sparsamkeit der Bürger und vor allem die ungetrübte Konzentration auf den Handel, während die Nachbarstaaten mit Bürger- oder auswärtigen Kriegen beschäftigt waren. Temple, Observations, Chap. I, vor allem S. . Temple, Observations, S. und S. f. Temple, Observations, S. : „And so they retained the name of a Free People, yet they soon lost their Liberties they contended for, by the absoluteness of their Magistrates in the several cities and Provinces, and by the extreme pressure of their Taxes, which so long a War with so mighty an Ennemy made necessary for the support of their State.“ Temple, Observations, Chap. III: Of their Situation. Temple, Observations, Chap. IV: Of their People and Dispositions. Temple, Observations, S. – . Temple, Observations, S. – .
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Nachkommen gezielt auf die Aufgabe im öffentlichen Dienst vorbereiten würden.¹⁸ Der so erlangte Bildungsstand wie auch die Bescheidenheit der Amtsträger komme der Öffentlichkeit zu Gute.¹⁹ Insgesamt könnten die Vereinigten Provinzen dabei nicht als Commonwealth bezeichnet werden, sondern würden eine Union von sieben unabhängigen, souveränen Provinzen darstellen.²⁰ Auch viele Städte innerhalb der Provinzen besäßen noch eigene souveräne Rechte.²¹ Die Generalstände würden diese Souveränität nur repräsentieren und seien wie die Provinzialstände auch in allen ihren Entscheidungen an die jeweils anderen Ebenen rückgebunden.²² Allerdings würde sich der Staatsrat als Exekutivorgan der Generalstände angesichts von Notwendigkeit und eines möglichen Risikos durch Verspätung auch manchmal über diese Rückversicherungspflicht bei der Entscheidungsfindung hinwegsetzen.²³ Die reformierte Religion sei die Staatsreligion, die Religionsfreiheit im Sinne der Gewissensfreiheit aber für alle anderen durch das Gesetz garantiert.²⁴ Die meisten anderen Religionen würden darüber hinaus auch das Recht auf die freie Religionsausübung besitzen, nur die Katholiken seien von diesem Recht ausgeschlossen.²⁵ Insgesamt sei die Religion in den Vereinigten Provinzen eine Privatangelegenheit. Die politische Gemeinschaft werde hier stattdessen zusammengehalten durch „[…] common ties of Humanity, and by the bonds of peace, under the impartianal protection of indifferent Laws, with equal encouragment of all Arts and Industry and equal freedom of Speculation and Enquiry“.²⁶ Der langanhaltende Friede im Inneren gäbe, so Temples eindeutiger Standpunkt, dieser Religionspolitik recht. Genauso – und das ist eine neue Aussage, die bei Parival angeklungen war und in der Folge immer wieder auftrat –, der aus dieser Religionspolitik resultierende Zustrom an Menschen, der maßgeblich den Handelserfolg und so die Macht und Stärke des Staates bedingt habe: However it is, Religion may possibly do more good in other places, But it does less hurt here; And whereever the invisible effects of it are the greatest and most advantageous, I
Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. : „It cannot be properly be stiled a Commonwealth, but is rather a Confederacy of Seven Soveraign Provinces united together for their common and mutual defence, without any dependance one upon another.“ Temple, Observations, S. . Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. – . Temple, Observations, S. – . Temple, Observations, S. – . Temple, Observations, S. .
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am sure the visible are so in this Countrey, by the continual and undisturbed Civil Peace of their Government for so long a course of years; And by so mighty an encrease of their people, Wherein will appear to consists chiefly the vast growth of their Trade and Riches, and consequently the strength and greatness of their State.²⁷
Dieser Handelserfolg wurde zur Norm von Temples gesamter Abhandlung und von ihm als grundlegender Pfeiler der Stärke und des Bestands der Vereinigten Provinzen bewertet. Alle anderen Strukturmerkmale dieses Freistaates, so macht er bereits in der Einleitung deutlich, müssten als Zutaten, als Bestandteile dieses Handelserfolges betrachtet werden.²⁸ Ausgehend von der Frage, wie ein Gemeinwesen, das kaum Rohstoffe und äußerst schlechte Häfen habe, dennoch so erfolgreich sein könne,²⁹ kommt Temple zu dem Schluss, dass andere Parameter als die natürlichen Gegebenheiten entscheidend sein müssten. Dies zeige auch der Vergleich mit Irland, welches trotz bester Voraussetzungen keinen Erfolg im Handel und einen daraus erwachsenen Reichtum aufweisen könne.³⁰ Der Erfolg der Niederlande sei menschengemacht und begünstigt durch zwei entscheidende strukturelle Bedingungen: Bevölkerungsreichtum und ein relativ kleines Territorium. I conceive the true original and ground of Trade, to be great multitude of people crowded into small compass of Land, whereby all things necessary to life become deer, and all men who have possessions, are induced to Parsimony; but those who have none, are forced to industry and labour, or else to want. […] These Customs arise first from Necessity, but encrease by Imitation, and grow in time to be habitual in a Countrey; And wherever they are so, If it lies upon the Sea, they naturally break out into Trade, both because whatever they want of their own that is necessary to so many mens lives, must be suplly’d from abroad; and because of the multitude of people, and smallness of Countrey, Land grows so deer, that the improvement of money that way is inconsiderable, and so turns to Sea, where the greatness of the Profit makes amends for the Venture.³¹
Temple, Observations, S. . Temple, Observations, Preface (o.P.): „And whereas the greatness of their Strength and Revenues, grew out of the vastness of their Trade, into which, Their Religion, their Manners and Dispositions, their Situation, and the form of their Government, were the chief Ingredients.“ Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. : „Since the ground of Trade cannot be deduced from Havens, or Native Commodities (as may well be concluded from the survey of Holland,which has the least and the worst; and of Ireland, which has the most and the best, of both).“ Temple, Observations, S. f.; Siehe auch S. f.: „Having thus discover’d what has laid the great Foundations of their Trade, by the multitude of their People, which has planted and habituated Industry among them, and by that alls sorts of Manufacture; As well as Parsimony and thereby generall Wealth.“ Zum Vorteil des kleinen Territoriums siehe auch S. : „I believe the force of Commerce, alliances and Acquatainance, spreading so far as they do in small circuits
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Irland etwa habe dementsprechend keine Aussicht auf Verbesserung, solange die Bevölkerungszahl im Verhältnis zur Größe des Landes und den vorhandenen Ressourcen nicht deutlich ansteige. Das macht Temple sowohl in den Observations als auch in seinem ein Jahr später verfassten, von dem Lord Lieutenant of Ireland angefragten Reformvorschlag für Irland mit dem Titel An Essay upon the advancement of Trade in Ireland (1673) ganz deutlich.³² Die Verfassungsform spielt für Temple mit Blick auf den Handelserfolg dabei keine tragende Rolle. Ein weiterer entscheidender Parameter ist für ihn vielmehr eine stabile, Rechtssicherheit gewährleistende Ordnung, die dem Einzelnen sowohl in einer Monarchie als auch in einem Freistaat garantiert werden kann: That there is something in that form of Government proper and natural to Trade in a more peculiar manner. But the height it arrived to at Bruges and Antwerp, under their Princes, for four or five descents of the House of Burgundy, and two of Austria, shows it may thrive under good Princes and legal Monarchies, as well as under Free States. Under Arbitrary and Tyrannical Power, it must of necessity decay and dissolve, Because this empties a Countrey of people, whereas the others fill it. […] And as Trade cannot live without mutual trust among private men; so it cannot grow or thrive to any great degree, without a confidence both of publique and private safety, and consequently a trust in Government, from an opinion of its Strength, Wisdom, and Justice; Which must be grounded either upon the Personal Virtues and Qualities of a Prince, or else upon the Constitutions and Orders of a State.³³
(such as the Province of Holland) may contribute much to make conversation, and all the offices of common life, so easie, among so different opinions […].“ Vgl. Temple, Observations, S. : „This cannot be better illustrated, than by its contrary, which appears no where more than in Ireland; Where by the largeness and plenty of the Soil, and scarcity of People, all things necessary to life are so cheap, that an industrious man, by two days labour, may gain enough to feed him the rest of the week; Which I take to be a very plain ground of the laziness attributed to the people: For men naturally prefer Ease before Labour, and will not take pains if they can live idle.“ Vgl. auch Temple, William: An Essay upon the advancement of Trade in Ireland. In: The Works of Sir William Temple. Vol. III. S. – . Dazu Hont, Jealousy of Trade, S. . Temple, Observations, S. . Diese grundsätzliche Unterscheidung zwischen Willkürherrschaft und Rechtsstaat trifft Temple auch in dem ebenfalls verfassten Essay: An Essay upon the Original and Nature of Government. (In: The Works of Sir William Temple.Vol. I. S. – ).: „For, though the old distinctions run otherwise, there seem to be but two general kinds of government in the world; the one exercised according to the arbitrary commands and will of some single person; and the other according to certain orders or laws introduced by agreement or custom, and not to be changed without the consent of many.“ (S. ). Mit den aristotelischen Verfassungskategorien tut sich Temple hier schwer, die Vereinigten Provinzen seien dementsprechend auch mit keiner der herkömmlichen Verfassungsbezeichnungen adäquat zu fassen (S. : „Nor will any man, that understands the state of Poland, and the United Provinces, be well able to range them under any particular names of government that have been yet invented.“).
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Im Kapitel 6 seiner Abhandlung, Of their Trade, führt Temple dementsprechend Gründe und Folgen, „effects“,³⁴ dieser drei entscheidenden, in den Vereinigten Provinzen vorhandenen Strukturmerkmale des Handelserfolges im Detail aus: Die Niederlande seien mannigfaltig attraktiv für die vielen durch Bürgerkriege und Verfolgungen in den Nachbarstaaten auf der Suche seienden Flüchtlinge gewesen. Sowohl die Sicherheit garantierende natürliche Lage des Landes als auch die vielen vorhandenen Freiheiten,vor allem die garantierte Gewissensfreiheit, hätten anziehend auf viele Asylsuchende gewirkt. Von einem Staat, der keine eigenen Soldaten in ständiger Bezahlung stehen habe, sei keine Willkür zu erwarten. Vielmehr signalisiere die niederländische Regierung schon immer einen Schutz aller Verfolgten, auch bei erfolgendem Druck auswärtiger Mächte. Zudem seien die Vereinigten Provinzen und hier vor allem Holland mit Amsterdam als Wirtschaftsstandort sehr attraktiv: die Verfassung garantiere den Schutz von persönlichem Eigentum, die Bank von Amsterdam biete beste Garantien für eine sichere Geldanlage, die Kommunikations- und Geldtransfermöglichkeiten mit allen Teilen der Welt seien ohne Einschränkungen möglich.³⁵ Ihrerseits habe die große Bevölkerungsanzahl bei einer geringen Verfügbarkeit von Land einen geringen Zinssatz in den Vereinigten Provinzen bewirkt, der wiederum Investitionen in eine gute Infrastruktur, Landgewinnung und Handelsprojekte befördert habe. Die gute Einrichtung der Banken, die Absicherung von Erwerbungsvorgängen durch Registrierungen und die Ernsthaftigkeit und Strenge der Justiz würden zudem einen schnellen und sicheren Handel begünstigen und den Ruf ihrer Handelsgüter und –strukturen in aller Welt befördern. Die geringen Zölle und Freihandelshäfen würden dazu einladen, Waren aller Art zur Aufbewahrung in die Vereinigten Provinzen zu bringen. Diese Aufbewahrung sei zudem durch das Stapelrecht bestmöglich organisiert. Die Verbindungen zwischen Händler- und Regierungsfamilien würden immer ein Interesse für und die Förderung des Handels seitens der Regierung garantieren. Letztendlich sei auch der überaus vorteilhafte Handel mit Südostasien vor allem durch die große Zahl der Bevölkerung ermöglicht worden, denn erlittene Verluste durch das Klima oder bewaffnete Auseinandersetzungen hätten leicht ausgeglichen werden können.³⁶ Zusammenfassend hält Temple fest:
Insgesamt präferiert Temple in diesem Essay, entsprechend dem Bild der Pyramide, eine Monarchie, die an die Entscheidungskraft einer möglichst großen Gruppe der Bevölkerung rückgebunden ist (vgl. S. ). Siehe dazu auch Hont, Jealousy of Trade, S. . Temple, Observations, S. . Temple, Observations, S. – . Temple, Observations, S. – .
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Thus the Trade of this Countrey is discover’d to be no effect of common contrivances, of natural dispositions or situations, or of trivial accidents; But of great concurrence of Circumstances, a long course of Time, force of Orders and Method, which never before met in the World to such a degree, or with so prodigious a Success, and perhaps never will again. Having grown (to sum up all) from the situation of their Countrey, estended upon the Sea […] From the confluence of people out of Flanders, England, France and Germany, invited by the Strength of their Towns, and by the Constitutions and Credit of their Government; by the Liberty of Conscience, and Security of Life and Goods (subjected only to constant Laws); From general Industry and Parsimony occasion’d by the multitude of People, and smalness of Countrey; From cheapness and easiness of Carriage by convenience of Canals; From low Use, and deerness of Land, which turn Money to Trade; The institution of Banks; Sale by Registry; Care of Convoys; Smalness of Customs; Freedom of Ports; Order in Trade; Interest of persons in the Government; Particular Traffique affected to particular places; Application to the Fishery; And Acquisitions in the East-Indies.³⁷
Nicht immer würde ein erfolgreicher Handel auch zu Reichtum eines Landes führen, das hält Temple ergänzend fest. Entscheidend sei auf der Grundlage von Sparsamkeit und den industriellen Strukturen eine positive Handelsbilanz eines Gemeinwesens. Außerdem müsse der Handel am Ende immer auf tatsächlich verfügbarem Geld basieren. Diese Bedingungen hätten die Vereinigten Provinzen beherzigt und deshalb einen solchen Reichtum erlangt.³⁸ Dennoch – und auch dies ist eine neue Aussage, die in Temples Traktat zum ersten Mal auftritt und in der Folge möglich wird – habe der niederländische Handel seit einigen Jahren seinen Zenit überschritten und sei im Niedergang: „I am of opinion, That Trade has for some years ago past its Meridian, and begun sensibly to decay among them.“³⁹ Für diesen Niedergang führt der englische Diplomat mehrere Gründe an: 1) die Veränderung des internationalen Marktes durch eine steigende Anzahl konkurrierender Mächte.⁴⁰ Seit dem Westfälischen Frieden hätten große Monarchien wie England, Frankreich, Schweden und Dänemark ihre Bevölkerung ermuntert, im Handel aktiv zu werden. Auch wenn die strukturellen Voraussetzungen unter anderem aufgrund der Größe der Territorien andere seien als im vergleichsweise „little state“ der Niederlande, hätten diese neuen Handelskonkurrenten inzwischen eine beachtliche Steigerung ihrer Handelsaktivitäten erreicht. Die ursprüngliche Aufteilung zwischen Handelsrepubliken und kriegführenden Territorialstaaten sei nicht mehr gültig. Vielmehr gebe es inzwischen zu viele „Traders
Temple, Observations, S. f.; vgl. auch S. f.: „The Causes of its succeeding Greatness and Riches being not be sought for in the Events of their Wars, but in the Institutions and Orders of their Government, their Customs and Trade, which will make the Arguments of the ensuing Chapters.“ Temple, Observations, S. – . Temple, Observations, S. . Temple, Observations, S. – .
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for Trade in the world“⁴¹, so dass Temple als notwendige Konsequenz konstatiert: „At length so many fall to the Trade, that nothing is got by it; and some must give over, or all must break.“⁴² 2) Durch den Erfolg der Ostindien-Kompanie sei die Zahl der Güter inzwischen größer als die Nachfrage in Europa. Konsequenterweise würden die Preise sinken, während die Aufwandskosten durch zunehmende Kriege und höhere Verwaltungskosten vor Ort in Asien gleichzeitig steigen würden.⁴³ 3) Durch den relativ lang anhaltenden Frieden in Europa sei Personal für die Landwirtschaft freigesetzt worden, so dass mehr Korn produziert und solches günstiger verkauft werden könne. Dies habe großen Einfluss auf den niederländischen Handel, da die meisten Waren aus Südostasien im Norden gegen Korn getauscht würden.⁴⁴ 4) Der Ausbau und die Größe eines neuen Stadtteils in Amsterdam habe zu viel Geld verschlungen, das sonst in den Handel investiert worden wäre. Zudem scheine unter vielen Amsterdamer Händlern zunehmend ein Luxusstreben ausgebrochen zu sein, das der den Handel fördernden Sparsamkeit entgegenwirke.⁴⁵ Insgesamt habe es, so Temple, in den Jahren 1669 und 1670 aus diesen Gründen kaum einen auswärtigen Handel gegeben, der Gewinne abgeworfen hätte.⁴⁶ Der größte Einschnitt für die Vereinigten Provinzen sei dann mit dem französischen Angriff 1672 gekommen. Die Gründe für das niederländische Desaster analysiert Temple im achten Kapitel seiner Abhandlung ausführlich.⁴⁷ Als Umstände dafür, dass der „strahlende Komet vom Himmel gefallen sei wie ein Meteor“,⁴⁸ führt der englische Diplomat die alleinige Ausrichtung auf den Handel und eine Friedenspolitik an, die die Bevölkerung unfähig im Kriegswesen gemacht habe, die Sparpolitik hinsichtlich der Ausbildung und Ausrüstung der Offiziere und Truppen sowie die Konzentration auf die Investition in die Seestreitkräfte, da man seit dem Frieden von Münster jede Invasion von Landseite her als unwahr-
Temple, Observations, S. . Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. . Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, Chap. : Of the causes of their fall in , S. – . Auch in seinem Essay An Essay upon the Original and Nature of Government aus demselben Jahr verweist Temple auf das Schicksalsjahr , das die Vereinigten Provinzen dem Ruin nahe gebracht habe. (Temple, An Essay upon the Original and Nature of Government, S. – ). Temple, Observations, S. : „It must be avowed,That as This State in the course and progress of its Greatness for so many years past, Has shined like a Comet; So in the Revolutions of this Last Summer, It seem’d to fall like a Meteor, and has equally amazed the World by the one and the other.“
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scheinlich angesehen habe. Der größte Fehler aber sei vor allem das Edikt der Staaten von Holland und Friesland gewesen, in dem man sich gegen einen Statthalter entschieden habe. Ein durch Dürre zusätzlich geschwächtes Gemeinwesen habe sich dadurch noch angreifbarer gemacht, da über die Statthalterfrage Uneinigkeiten ausgebrochen seien und die „disunited Provinces“⁴⁹ dem französischen Angriff nichts entgegen zu setzen gehabt hätten. Insgesamt hätte man die Allianz Englands mit Frankreichs mit einplanen müssen, nicht mit Frankreich brechen dürfen, ohne eine Allianz mit dem Erbfeind Spanien einzugehen, und den Prinz von Oranien 1668 zum Statthalter machen müssen. So schließt Temple sein Werk mit militärischen und außenpolitischen Ratschlägen, die die Vereinigten Provinzen seiner Ansicht nach hätten befolgen sollen. Ratschläge erteilt Temple auch an seinen eigentlichen Adressaten: das englische Lesepublikum. Dabei nutzt er die Beschreibung des niederländischen Gemeinwesens als Blaupause, um strukturelle Merkmale eines möglichen Handelserfolges in den zeitgenössischen internationalen Strukturen auszuloten und für England nutzbar zu machen. Die Vereinigten Provinzen, deren natürliche Ausgangslage und Infrastrukturmöglichkeiten Temple als nicht vorteilhafter als die englischen bewertet,⁵⁰ dienen dabei nicht als Modell, das es uneingeschränkt nachzuahmen gelte.⁵¹ Das zeigt schon seine insgesamt sehr kritische Betrachtung der Nordseerepublik, in der er auch Gründe des Niedergangs und des Scheiterns nennt. Temple nutzt die Darstellung der Niederlande vielmehr, um Argumente der englischen Debatte über unterschiedliche Erfolgsstrategien aufzugreifen und sich innerhalb dieser Debatte zu positionieren. Dies erfolgt innerhalb der Observations sowohl implizit als auch explizit. Im Kapitel über den Handel der Vereinigten Provinzen hält er etwa fest: „By all this account of their Trade and Riches, it will appear, That some of our Maxims are not so certain as they are current in our common Politicks.“⁵² Im Anschluss an diese Feststellung nennt er vier Annahmen, die es zu widerlegen gelte: Erstens die Vorstellung, dass die Beförderung von Luxus und Überschuss auf dem eigenen Markt den Handel ankurbeln und vorteilhaft beeinflussen würde. Denn letztendlich würde dies immer zu einer negativen Handelsbilanz, damit zur Aufnahme neuer Staatsschulden und so zu Armut
Temple, Observations, S. . Temple, Observations, S. : „I see no advantage they have of most parts of England; and they must certainly yeild to many we possess, if we had other equal circumstances to value them.“ Koen Staplebroek verweist auf den Unterschied zu Josiah Child, der in seinen Brief Observations Concerning Trade and Interest of Money von sehr wohl eine genaue und uneingeschränkte Imitation der niederländischen Finanzpolitik als Schlüssel zum Erfolg nach dem Vorbild der Vereinigten Provinzen empfohlen habe. Vgl. Stapelbroek, Dutch Decline, S. f. Temple, Observations, S. .
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führen.⁵³ Zweitens sei die Annahme zurückzuweisen, dass, wenn der niederländische Handel durch eine Invasion von außen ruiniert werden würde, dieser automatisch gänzlich von England übernommen werden könnte.Vielmehr würde der Handel, so Temple, in einzelne Stücke zerfallen und von verschiedenen Akteuren übernommen werden.⁵⁴ Drittens sei auch die Vermutung unwahrscheinlich, dass die Vereinigten Provinzen, vorausgesetzt sie müssten sich großem Druck beugen und einer stärkeren Macht unterordnen, automatisch England wählen würden. Viel logischer sei eine Orientierung möglichst vieler Provinzen am Reich, um innerhalb des Reichsverbunds gewissermaßen als ein eigener „Belgick-Circle“ die alten Freiheiten und damit auch die Handelsvorteile erhalten zu können.⁵⁵ Schließlich sei viertens auch die Vorstellung zurückzuweisen, dass die gewaltsame Etablierung des Prinzen von Oranien als Souverän erfolgreich sein würde. Denn dies würde innere Unruhen hervorrufen, die das Vertrauen in den Staat und die Sicherheit des Eigentums erschüttern und so als Folge alle Grundlagen des erfolgreichen Handelssystems zum Einsturz bringen würden.⁵⁶ Temples Botschaft ist klar: Ein Handelserfolg, wie ihn die Vereinigten Provinzen über Jahre hinweg vorzuweisen hatten, lässt sich nicht durch die bloße gewaltsame Aneignung dieser Republik und ihrer Handelsnetzwerke erzwingen.⁵⁷ Vielmehr müsse England die eigenen Strukturen gemäß der von ihm dargelegten, erfolgsversprechenden Charakteristika (hoher Bevölkerungsanteil im Verhältnis zur Größe des Landes und den vorhandenen Ressourcen, Rechtssicherheit, geringe Zinsen) ändern, um erfolgreich zu werden: „And whoever pretends to equal their growth in Trade and Riches, by other ways than such as are already enumerated, will prove, I doubt, either to deceive, or to be deceived.“⁵⁸ Es sind diese Strukturmerkmale, die Temple vor dem Hintergrund einer zunehmenden Konkurrenz durch die aufgrund eines erhöhten Finanzbedarfs auf den internationalen Markt drängenden Territorialstaaten sowie einer zunehmenden Politisierung dieses Marktes etwa durch protektionistische Maßnahmen wie den Navigation Act als entscheidende Elemente herausarbeitet.⁵⁹ Auch die Vereinigten Provinzen müssen sich wie England auf diesem Feld immer wieder neu beweisen und ihre Handels- und Außenpolitik den neuen Anforderungen
Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. . Temple, Observations, S. f. Temple, Observations, S. f. Vgl. dazu auch Hont, Jealousy of Trade, S. f. Temple, Observations, S. . Vgl. dazu auch Hont, Jealousy of Trade, S. – und S. – ; Stapelbroek, Dutch Decline, S. .
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anpassen, wenn sie nicht dem vollkommenen Ruin erliegen wollen, so legt es Temples Abhandlung nahe. In jedem Fall werde es keine klare Aufteilung von Zuständigkeiten und Handelsmonopolen mehr geben, sondern die Dominanz des Marktes ähnlich den Gezeiten wechseln: „So as it seems to be with Trade, as with the Sea (its Element), that has a certain pitch, above which it never rises in the highest Tides; And begins to ebb as soon as ever it ceases to flow; And ever loses ground in one place, proportionably to what it gains in another.“⁶⁰ Temples Analyse konzentriert sich also im Sinne der staatlichen Interessenlehre klar auf die Gegenwart, den Ist-Zustand der Vereinigten Provinzen und der internationalen Situation. Er arbeitet systematisch Strukturmerkmale einer erfolgreichen Handelspolitik heraus. Seine Aussagen über die Toleranz gegenüber Religionsflüchtlingen als Grundlage eines erfolgreichen Handels, die Vorteile von Kleinstaatlichkeit und Rechtssicherheit, die Anzeichen des Niedergangs sowie einen potentiellen gänzlichen Ruin der niederländischen Republik sind neu im Sprechen über die Vereinigten Provinzen und etablieren sich in der Folge als grundlegende Aussagen innerhalb des politischen Reformdiskurses. Temple distanziert sich dabei von jeglichen eschatologischen Zielvorgaben: Wie ein jeder zum Glück im Jenseits kommen könne, sei die Glaubensentscheidung eines jeden Einzelnen. Das Glück im Diesseits aber, „our happiness here“, sollte vielmehr von Gesetzen, Tugend und Moral abhängen als von unterschiedlichen Glaubensauffassungen, so stellt er es zu Beginn des fünften Kapitels der Observations klar.⁶¹ Temples Analyse ist also gegenwarts- und mit Blick auf die Entwicklungschancen Englands und der Niederlande auch zukunftsorientiert. Seine Rhetorik ist über weite Strecken dabei eher nüchtern und beschreibend. In seinen nahezu parallel entstehenden Essays bedient sich Temple hingegen öfter auch Metaphern, um seine Position zu verdeutlichen. Neben althergebrachten Motiven wie dem Bild der Familie und jenem der Pyramide, um die Entstehung und den Aufbau des Staates zu verdeutlichen,⁶² verwendet Temple bereits 1671 auch das Bild der Maschine, um den niederländischen Staat zu beschreiben, der in seiner individuellen Charakteristik unfähig sei, sich mit Hilfe von Expansion zu vergrößern und deshalb andere Mittel anwenden müsse, um mehr Macht zu erlangen und die Nachbarstaaten einzuschüchtern: „Yet the frame of this State (as of most great machines
Temple, Observations, S. ; Vgl. auch Hont, Jealousy of Trade, S. . Temple, Observations, S. – . Vgl. Temple, An Essay upon the Original and Nature of Government, S. – (Familie) und S. – (Pyramide).
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made for rest and not for motion) is absolutely incapable of making any considerable enlargements or conquests upon their neighbours.“⁶³ Die Möglichkeiten der Vereinigten Provinzen, die internationale Situation entscheidend zu beeinflussen, lägen auf dem Feld des Handels, in der Stärke ihrer Seestreitkräfte, in ihrem Potential, die Balance zwischen den Großmächten durch geschickte Allianzen zu verschieben, in ihrer Bereitschaft, Flüchtlinge und politische Rebellen aus den Nachbarstaaten aufzunehmen, und in einem selbstbewussten Auftreten auf dem diplomatischen Parkett.⁶⁴ In jedem Fall sei es im Interesse der Niederlande, dass der internationale Handel jederzeit ungestört weiterlaufen könne.⁶⁵ Diesen Handel beurteilt Temple auch in diesem Essay als „grown the design of all nations in Europe, […] as being the only unexhausted mine, and out whose treasures all greateness at sea naturally arises.“⁶⁶ Während das Spektrum möglicher Aussagen über die Vereinigten Provinzen durch die Commonwealthmen, Jean de Parival und dessen Rezipienten erweitert und in einen klar funktionalen Zusammenhang gestellt wurde, änderte sich dieses Spektrum 1673 mit Temples Abhandlung eklatant, so dass hier durchaus von einem diskursiven Bruch gesprochen werden kann.
Temple, The Constitutions and Interests, S. . Istvan Hont wertet Temples Zusatz an dieser Stelle: „which is evident to all that know their constitutions“ als klaren Hinweis darauf, dass Temple die Unfähigkeit der Expansion an der föderativen Struktur der Vereinigten Provinzen festmacht (siehe Hont, Jealousy of Trade, S. , FN ). Angesichts der Tatsache, dass Temple hier nicht explizit den föderativen Aspekt anspricht, sondern lediglich auf die „Verfassung(en)“ verweist, ist diese Interpretation meiner Einsicht nach zumindest mit Vorsicht zu betrachten. Temple, The Constitutions and Interests, S. . Temple, The Constitutions and Interests, S. . Temple, The Constitutions and Interests, S. . Temple steht damit exemplarisch für eine sich im letzten Drittel des . Jahrhunderts entwickelnde, charakteristische Position innerhalb der englischen politischen Debatte, die den Handel als Austausch realer Waren dem Kreditwesen, basierend auf (irrealen) Papierwerten, als probateres Mittel der Staatsfinanzen und der Stabilisierung des Gemeinwesens vorzog. Vgl. dazu Hont, Jealousy of Trade, S. f.
6 Jean Gailhard Der Bruch im Sprechen über Venedig wird am Ende der 1660er Jahre bei französischen Autoren greifbar. Während Harringtons politische Ideen und auch die damit verknüpfte technizistisch-abstrakte Modifikation des venezianischen Mythosnarrativs in England auch nach der Thronbesteigung Karls II. (1630 – 1685) und dessen Revisionspolitik präsent, aber durchaus umstritten blieben,¹ fanden sich nun auch Texte, die in ihren Beschreibungen Venedigs differenziert vorgingen,vornehmlich den aktuellen Zustand der Seerepublik in den Blick nahmen und dabei durchaus Elemente negativ bewerteten. Auf diese Weise wurden starke Elemente des Mythosnarrativs zugleich dekonstruiert. 1669 veröffentlichte der wohl 1660 nach England emigrierte, französische Calvinist Jean Gailhard (1659?–1708?) die Schrift: The Present State of the Republick of Venice. ² Gailhard positionierte sich in der politischen Auseinandersetzung in England klar auf Seiten der Whigs. Theologisch-orthodox argumentierte er gegen die rigide Ausschlusspolitik Karls II. und publizierte vornehmlich theologische Traktate und Erziehungsliteratur.³ Schon der Titel seiner Venedigdarstellung verweist auf die Textgattung der Staatsbeschreibung, die der Autor im Vorwort als neue europäische „Mode“ kennzeichnet, in die er sich gerne einreiht.⁴ Dieser Gattung entsprechend legt Gailhard den Fokus seiner Betrachtung auf sechs inhaltliche Kernthemen, die seit 1650 immer prominenter in den Abhandlungen über alle drei Republiken diskutiert wurden: 1) das Territorium, 2) die Einnahmen und Ausgaben des Gemeinwesens, 3) die Streitkräfte, 4) die Regierung, die Gesetze
Siehe etwa die Aussagen über Venedig bei Henry Neville ( – ) (Neville, Henry: Plato redividvus or, a Dialogue concerning Government. London c. ) and Algernon Sidney ( – ) (Sidney, Algeron: Discourses concerning Government. London ). Vgl. dazu Mulier, Myth of Venice, S. . Gailhard, Jean: The Present State of the Republick of Venice, As to the Government, Laws, Forces, Riches, Manners, Customes, Revenue, and Territory of that Common-Wealth: With a Relation of the present War in Candia. London (printed for John Starkey) . Vgl. Goldie, Mark: Art. Gailhard, Jean. In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, Widmung (o.P.): „[…] he will easily observe the difference of methods, and how much I endeavour to use a clear and a substantial Discourse. […] And as Books as well as Cloathes must be modish and fashionable, as now in France their Memories, and in England Relations; and because a Lustre is to be given to things, and (to please Book-sellers) a considerable name to Relations, In this I have conformed my self to that method.“
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und die Justiz, 5) die Sitten der Einwohner, und 6) das Interesse bzw. Verhältnis gegenüber anderen Staaten in Europa.⁵ In seiner Darstellung finden sich dabei noch durchaus Elemente des Mythosnarrativs wie etwa die venezianische Gründungslegende oder das Motiv der Jungfräulichkeit.⁶ Dennoch wird deutlich: Es ging Gailhard um eine Darstellung des Ist-Zustandes Venedigs und das hieß 1669 konkret den Zustand Venedigs angesichts des Kriegs um Candia und den daraus erwachsenden Konsequenzen.⁷ Dabei machte Gailhard die Normen, die seiner Abhandlung als Bewertungsmaßstab zu Grunde liegen, sehr deutlich. So benennt er die folgenden Kriterien eines erfolgreichen und stabilen Staates: 1. die Flexibilität eines Gemeinwesens, um schnell auf neue Herausforderungen reagieren zu können⁸ 2. die Sicherheit und den Wohlstand des Gemeinwesens⁹ 3. die Rechtsstaatlichkeit¹⁰
Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f. Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f. und To the Reader (o.P.): „And like true Heroes, have for almost a Thousand years protected this Virgin from the Rude Attaques of those Hectors and impetuous Affaillants, that have at several times been attempting to violate her Honour.“ Vgl. außerdem etwa die Verweise auf die außergewöhnliche Lage (S. f.), das herausragende Arsenal (S. ), die Dogenwahl, die Hochzeit des Dogen mit dem Meer, den Karneval und die Oper (S. – ). So ist der Abhandlung eine eigene Darstellung des Candiakrieges angehängt (Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – ). Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, To the Reader (o.P.): „So that People judge of them not onely according to their inclination, but also conjunctures and emergencies do in time very much alter the face of things; […] that I look upon it as one of the greatest advantages of this Government [Monarchies] over Republicks; for a liberty is allowed to find remedies fit and proper for new distempers felt or feared, when others are doting upon the idol of their old ways […].“ Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f. Hier benennt der Autor auch gleich die dazu erforderlichen Voraussetzungen: „Therefore the safety and prosperity of a State doth consist in a middle way between two extremities; that is, in a mediocity of means and riches of subjects; and these questionless are the strength of a Nation, who are not so rich, so credited, nor so strong of themselves, as to oppress others, or attempt any thing against the Government, or so poor as to undertake any thing to get bread, or to seek their fortune in the troubles and ruines of the State, seing they have enough of their own to live upon, according to their quality, which they are afraid to lose, and would not hazzard upon any uncertainty […].“ Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f.: „Furthermore, there ought to be a difference between subjects and slaves: the former depends upon Laws, and the latter upon the will and fancies of men, not only as to goods, if any they have, but also as to their persons and lives, yet this is only amongst Infidels and Barbarians.“
6 Jean Gailhard
4. 5. 6.
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die Stabilität im Innern¹¹ einen florierenden Handel als „ground and bottom of policy“¹² die Tugendhaftigkeit der Bürger, vor allem der politisch Verantwortlichen.¹³
Mit Blick auf die Flexibilität und Stabilität eines Gemeinwesens stellte Gailhard klar den Unterschied zwischen Monarchien und Republiken heraus und betonte deutlich Vor- und Nachteile, die aus diesen gegensätzlichen Verfassungen erwachsen würden. Eine Monarchie könne etwa viel schneller auf Veränderungen reagieren, da die Änderung der Gesetze nur von einer einzelnen Person, dem Monarchen, abhinge: […] but also conjunctures and emergencies do in time very much alter the face of things; though in some Republicks they are not so subject to alteration as in most Monarchies; for let persons be what they please, the Laws still remain the same, and they are the Soveraign; but in the Government of single Persons they alter according to the inclination of the Prince, and the mind of his Ministers, as they are over-ruled by the necessity of Affairs: which I speak of, […] that I look upon it as one of the greatest advantages of this Government over Republicks; for a liberty is allowed to find remedies fit and proper for new distempers felt or feared, when others are doting (sic!) upon the idol of their old wayes, there wanting in Republicks a person by whose Authority all the rest may be ove-swayed, and be brought to that which the present reason of State, differing from the former, doth require.¹⁴
Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – . („As ‘tis not enough for a State to be strong against attempts from without, but they ought to be provided, against those which may arise within. […]“). Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – . („The truth is, I look upon this [Trade] as the ground and bottome of Politicy; for let the occasions of the State as to charges be what they will, when there are sure and constant yearly incomes ‘tis ever supplyed, and so is able not only to settle peace at home, but also preserve it self from forraign attempts, and even upon occasion to look abroad.“) Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. : „And as the good or bad nature, manners and customes of a Nation, are that which make it flourish, or cause its ruine; so hence one may be able to ground his judgment about this, how long or how little that Republick is like to last.“ Die moralische Erziehung des Bürgers zu einem tugendhaften Verhalten bleibt für Gailhard eines der Hauptthemen in den folgenden Jahren, so auch in seinem am stärksten rezipierten Werk, einer Erziehungsschrift für die Jugend von , die auch einen Ratgeber für Grand Tour-Reisende umfasst (Gailhard, Jean: The Compleat Gentleman, or, Directions for the Education of Youth. Vol. London . Zwei weitere Bände erscheinen .Vgl. dazu Goldi, Art. Gailhard, Jean, o.P.). Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, To the Reader (o.P.).
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Die Staatsraison, so wird in diesem Zitat deutlich, ist für Gailhard dementsprechend keine feste, unveränderbare Größe, sondern vielmehr immer ein Resultat der jeweils gegebenen Umstände. Auch bei inneren Auseinandersetzungen hätten Monarchien den Vorteil gegenüber Republiken, dass der Monarch schneller und kraftvoller die sich streitenden Parteien wieder vereinen und Differenzen bereinigen könne: Three things cause alterations and ruine in States and Principalities, one is outward […]; the other two arise from within, and are either the division of Subjects amongst themselves, or against their Governours, or else the treason of some particular men combining with the Enemies of the State. These divisions are made and carried on by factions and parties about matters of religion, State, or private interest, arising from error, ambition, envy, hatred, &c. […] I must take notice of the advantages of Monarchies over Republicks. When a Republick is subject to divisions, there is hardly any remedy, but by the destruction if one of the parties, whereby the whole is weakned; and if every side be potent, they grow obstinate, which carries them often to extremities, every one thinking his right and his cause better then his Neighbours. And ‘tis a certain truth, that Common-wealths, and even those Monarchies which have most the nature of Republicks, especially those which are elective, were ever more subject to troubles and divisions, then those Dominions which depend upon a successive Soveraign. […] Now a Monarch, by all parties being acknowledged to be the Lord and Soveraign, by vertue of his Power and Authority, can make up breaches, unite parties, reconcile differences, and take resolutions, with more speed and secresie.¹⁵
Um interne Parteienbildung und Unruhen zu vermeiden und so bestehen zu können, müssten Republiken ihren Bürgern Wohlstand, Gerechtigkeit, Frieden und eine ehrliche Freiheit bieten.¹⁶ Venedig habe diese Voraussetzungen grundsätzlich ausreichend bereitgestellt.¹⁷ Doch Gailhard benennt weitere Defekte Venedigs. Diese macht er vor allem am Fehlverhalten der beteiligten Personen fest, deren Handeln aber zu einem großen Teil durch die Strukturen der Republik begünstigt sei. Nachdrücklich verweist er
Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f.: „However, I do not deny, but that such things (though not to easily) may be effected in Republicks: especially to make divisions cease when they are between Rulers and the people. […] Therefore to keep people content and quiet, they must procure them plenty, justice, peace, and a certain honest liberty, not degenerating into licentiousness; because plenty affords men subsistance and a livelihood, justice secures ones State, peace promotes both, and liberty makes peace sweet and acceptable; plenty frees one from wants, civil justice from cheat and deceit; the criminal secures our persons from violence, peace from the attempts of foreign Enemies, and liberty from the fear and jealousie men are apt to have left Princes would encroach upon and destroy their priviledges.“ Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. : „Now the Republick of Venice hath sufficiently provided for every one of these things.“
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vor allem auf Korruption und Vetternwirtschaft, sowohl in der Politik¹⁸ als auch im Justizwesen.¹⁹ Letzteres sei zudem mangelhaft, da Recht lediglich nach einem eigenen, praktisch erworbenen Gewohnheitsrecht gesprochen werde, das zum Teil internationalen Rechtsnormen entgegenstünde.²⁰ Außerdem hätten arme Bürger bei Gerichtsprozessen kaum eine faire Chance auf ein angemessenes Urteil.²¹ In der Verantwortung sieht Gailhard vor allem den venezianischen Adel. Dessen untugendhaftes Verhalten lasse den ganzen politischen Körper erkranken und führe zum baldigen Niedergang und Ruin Venedigs: This shews how the best things are apt to be corrupted, and that this Republick so famous and so excellent doth degenerate in her members, which in time may infect the head and the whole body, for bad humours of this kind are apt to break out at in one time or other, especially in this place, where the old as the young Noblemen are divided into factions and parties, and have intestine hatred one for another, and against the Citizens; with the former by reason of envyings in point of honour and dignity, with the latter upon the account of
Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f.: „But as things use to change and alter from what they are at their first beginning; so it happens to the Republick in this, wherein she receives some alteration in the qualities or persons, and in the fidelity of those who manage their Exchequer; Many Ministers and Officers of it proving either careless or unfaithful, applying the publick monies to their particular uses, relying upon their power and credit, and upon the favour which they shew one to another; So that by reason of an interest, or of consanguinity, or some other relation, they do not find any string opposition; Besides that all Offices in the Republick, excepting that of the Duke and Procurators of St. Mark, being bestowed but for a time, every one is in hopes of being promoted by the help of his friends and interest, whereupon they avoid to make any one their enemies who could hinder them in their design. […] so that this disorder increases every day without hopes of remedy: which in time may happen to cause a malignant and remediless distemper.“ Vgl. auch Gailhard, The Present of State of the Republick of Venice, To the Reader (o.P.); S. und S. . Vgl. Gailhard,The Present state of the Republick of Venice, S. f.: „[…] and although all these Courts appear to be much regulated, as indeed they are in themselves, yet, many of them are superfluous, and introduced only to keep in exercise and from idleness the great number of the Nobility, to bring them up in the management of affairs, and that thereby some may get a subsistance and a livelihood; and as the best things are apt to be corrupt, so corruption hath crept into several of these Courts; which very often men are admitted into, by strength of monies.“ Vgl. auch S. f.: Vetternwirtschaft werde nur so gering bestraft, „[…] so that this proceeding encourages them to be imperious, peremptory, and unjust to others.“ Gailhard, The Present state of the Republick of Venice, S. – . Gailhard, The Present state of the Republick of Venice, S. f.: „[…] for the poor people who are at Law being forced to follow appeals to Venice are put to tedious and extraordinary charges, and see no end of their causes, especially if they are to deal with some of the Nobles, or other rich persons, for in all places where Appeals are admitted the richest will tire out the poor: So that this is one of the greatest faults of that Republick, but it is committed upon a politick account, as we said elsewhere, to keep people in exercises, and the Courts of Justice in credit.“
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Riches, and this ever causes corruption in a Common-wealth. […] yet in time these things cause ruine and destruction to States.²²
Das heilende Mittel, das Gailhard anführt, ist eine Vermeidung von Extremen, eine „mediocrity of means and riches of subject“.²³ Ein Extrem, der gegenwärtige Kriegszustand, erschwere die Lage Venedigs zusätzlich. Die Lagunenstadt, die mit den eigenen Rohstoffen nicht das Subsistenzniveau des eigenen Gemeinwesens erwirtschaften könne, sei per se auf den Handel mit anderen Staaten und deshalb auf Frieden angewiesen.²⁴ Der Krieg habe zudem die Reichtümer der Stadt so erschöpft, dass selbst die zuletzt enorm hohen Steuern und Abgaben keine Abhilfe mehr schaffen könnten.²⁵ Da die Mehrheit der Untertanen inzwischen arm sei, sei auch die gesamte Republik arm. Sowohl militärisch als auch finanziell sei Venedig nun auf Hilfe angewiesen.²⁶ Diese Hilfe, so der gleichzeitige Appell Gailhards, solle Venedig von einer gleichsam neu zu gründenden protestantischen Union gewährt werden. Da Politik und nicht mehr Religion (hier wohl Konfession) das bewegende Moment der Handlungen großer Staatsmänner sei, könne auf der Grundlage der Staatsraison
Gailhard, The Present state of the Republick of Venice, S. – ; Vgl. auch dessen negative bewertende Darstellung des Adels auf S. – und S. : „The Republick of Venice is an Assembly consisting of a great number of Noblemen, so much differing in temper, judgement and affection, that it may be compared to a Sea blown upon by all manners of winds: Private ends and interests are strong amongst them, of late years more then they were heretofore, according to that decay which every thing on Earth is exposed unto; and after the height which through her vertue this Republick hath attained unto, it is not to be admired, if in these last years she is fallen into some declination, through that general corruption which is in the World. These Nobles are greedy to increase their Riches, which sometimes makes them shrink from that which is honest and just.“ Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. . Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. –. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – : „I Endeavour to satisfie the curiosity which some may have to know the present condition of the Republick. I do not mean their War-like posture; […] but I mean how they are at home, whether hearty or dejected, rich or poor. I answer to the first, That there is no Republick, nor any other State in the World, which hath had, and still doth retain so much of the Ancient Roman Courage, Patience and Constancy, […].Yet for all this, they bear it out, and are so undaunted, as to refuse to condescend to any Conditions dishonourable, or very disadvantageous to the Republick. As for their Riches, the publick Treasure must necessarily be exhausted; […] yet Trade by Sea interrupted, and Taxes much raised and multiplyed, the people who bears the greatest burthen of them must needs be disenabled to pay […] so that the Subject is poor, and the publick Treasure empty; […] Therefore I conclude, that this long and chargeable War which the Republick hath against the Turk, hath much wasted her Treasure; […] therefore she stands in need of assistance from other Princes and States, in monies, as well as in men.“
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ein gemeinsames „protestant interest“ aller protestantischen Mächte in Europa herausgefiltert werden.²⁷ In diesem Interesse liege die Verteidigung der eigenen Staaten gegenüber dem Osmanischen Reich,²⁸ auch wenn dieses insgesamt weniger gefährlich sei als die Habsburger und der Vatikan.²⁹ Venedig müsse deshalb unterstützt werden und dies könne auch guten Gewissens getan werden, da die Seerepublik sich schon mehrmals auch gegen den Papst gestellt habe und die Inquisition dort sehr moderat gehandhabt werde.³⁰ Zudem, so zeigt Gailhard auf, habe Venedig immer schon ein gutes Verhältnis zu England gehabt und sei insgesamt an einem friedlichen Gleichgewicht der Mächte in Europa interessiert.³¹ Weniger aufgrund seiner Vision einer protestantischen Union in Europa als vielmehr in seiner Form einer auf Staatsraison und Interessenlehre gründenden Staatsbeschreibung und vor allem aufgrund der hierin dargelegten Normen der wertenden Beschreibung kann dieser Text von Gailhard – das wird die Analyse im dritten Teil der vorliegenden Arbeit zeigen – als paradigmatisch für Aussagen bis 1750 gelten, nicht nur über Venedig, sondern in Bezug auf alle drei betrachteten zeitgenössischen Republiken. Flexibilität, Sicherheit und Wohlstand, Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, ein florierender Handel und tugendhafte Bürger sind für den nach England emigrierten Franzosen die Kennzeichen eines erfolgreichen Gemeinwesens. Dem Justizwesen Venedigs räumt er dementsprechend einen enormen Platz innerhalb seiner Darstellung ein.³² Noch expliziter wird Gailhard in der Darstel-
Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f.: „By what I say of the great interest of all Christians against the Common Enemy, I do not intend by any means to prejudice another great concern between Christians themselves, and that is the Protestant interest, which is grounded not only upon differences about Religion, but also upon reason of State; for alas! as the world goes now men are not much acted with principles of Religion, except there be with it one thing or other of temporal concernment. Policy is the great mobile of the actions of States-men; but if Religion be brought in, ‘tis more the name then the power of it, and according to the rule of Machiavel, as a shew and a pretence only;Therefore I say, that Protestant Princes and States are not to neglect the Protestant Cause, in the defence of which lyes the safety of their persons, and preservation of their States and Authority.“ Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – . Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – . Gailhard weist in der Schilderung der außenpolitischen Interessen darauf hin, dass es in einer Republik schwerer sei „the common interest“ auszumachen als in anderen Staatsformen, da es aufgrund der Zahl der an der politischen Entscheidung beteiligten Personen so viele verschiedene Meinungen und Leidenschaften gäbe (S. ). Vgl. Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – .
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lung der Notwendigkeit und der Vorteile eines prosperierenden Handels. Dieser sei die Grundlage aller Politik: The truth is, I look upon this as the ground and bottome of Policy; for let the occasions of the State as to charges be what they will, when there are sure and constant yearly incomes ‘tis ever supplyed, and so is able not only to settle peace at home, but also preserve it self from forraign attempts, and even upon occasion to look abroad.³³
Die Vorteile des Handels seien, dass er 1.) Orte berühmt mache, die sonst arm und unbekannt wären (wie Amsterdam und Venedig); 2.) die Bevölkerung in Beschäftigung halte und so die potentielle Gefahr für den Staat durch faule Müßiggänger abwende; 3.) durch die Beschäftigung die Bevölkerung frei von Wünschen und Gedanken halte, die sonst zu Extrempositionen führen könnten; stattdessen engagiere sich der Einzelne für die Verteidigung des Staates, der ihm mit seinem Schutz den Handel ermögliche. Die Bürger würden ruhig und gehorsam gegenüber den Autoritäten bleiben. 4.) einige Personen reich mache, die dann Steuern und Abgaben zahlen würden und zudem dem Staat in Notlagen gegen Nachbarn finanziell unter die Arme greifen könnten. 5.) je besser er sei, umso mehr Geld durch Abgaben, Zölle und Steuern in die öffentlichen Kassen spülen würde.³⁴ All dies, so macht Gailhard am Ende dieses Abschnittes deutlich, seien lediglich die politischen Gründe für eine Förderung des Handels. Er könne noch zahlreiche andere Gründe nennen.³⁵ Vor allem verweist er darauf, dass die Einsicht in diese politische Notwendigkeit überall in Europa Fuß gefasst habe: „The truth is, that all Nations are so generally and so fully convinced of it, that they now apply themselves to it, as England of old, and Holland since the States were formed, and of late the French, the Swede, and others.“³⁶
Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. . Direkt zuvor erläutert Gailhard zudem, dass die Rolle handelserfahrener Experten zunehmend wichtiger in allen Staaten werde: „The truth of which is so well known, and so important, that in all Countryes there are Councels and Committees settled about it, who are willing to hear any thing that may be proposed tending to the advantage of it; and they who make a constant practice and profession of it, must needs by their own experience be able to give light and directions about it; and herein their opinion is to be taken as soon, if not sooner, then that of the greatest Statesmen, if reason be joyned to their experience.“ Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. – . Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. : „[…] besides that, these Reasons I have brought why Trade should be promoted, are all grounded upon politick grounds; and several others I could name, which I omit for brevity sake.“ Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. f.
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Auch wenn Gailhards Normen als paradigmatisch für den folgenden Reformdiskurs angesehen werden können und seine differenzierte Darstellung Aussagen präsentiert, die auch Defekte Venedigs konstatieren und gar einen Niedergang und möglichen Ruin der Lagunenstadt voraussagen, dieser Text damit zugleich einen Bruch im Sprechen über Venedig markiert, so bleibt die Sprache des Franzosen doch noch ganz den herkömmlichen Bildern verhaftet. In dieser Abhandlung findet sich noch nicht die Metapher der mechanisch funktionierenden Staatsmaschine, sondern vielmehr weiterhin jene des politischen Körpers, der erkrankt, wenn die Mitglieder des Gemeinwesens „degenerieren“: This shews how the best things are apt to be corrupted, and that this Republick so famous and so excellent doth degenerate in her members, which in time may infect the head and the whole body, for bad humours of this kind are apt to break out at one time or other, especially in this place, where the old as the young Noblemen are divided into factions and parties, and have intestine hatred one for another, and against the Citizens; […].³⁷
Die Tugend der politisch Verantwortlichen blieb für Gailhard ein entscheidender Faktor des stabilen Bestands eines Gemeinwesens.³⁸
Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, S. . Es ist genau diese korrumpierte und nicht mehr vorhandene Tugend des venezianischen Adels, die auch ein weiterer Text eines anderen Franzosen mit dem Titel La conjuration des Espagnols anprangert. (Vischard de Saint-Réal, César: La conjuration des Espagnols. Paris . Englische Übersetzungen wurden und publiziert. Vgl. Wootton, Ulysses Bound?, S. .). César Vischard de Saint-Réal ( – ) zeichnet in diesem Essay den spanischen Versuch der Ein- und Übernahme Venedigs als Verschwörung nach, die im Einverständnis mit dem politisch verantwortlichen, korrupten Adel Venedigs erfolgt sei.
7 Amelot de la Houssaye Diskursprägend wirkte in der Folge aber nicht unbedingt Gailhards Abhandlung, sondern vor allem ein Text: Amelot de la Houssayes (1634– 1706) Histoire du Gouvernement de Venise. ¹ Diese Abhandlung, die der Sekretär des französischen Botschafters in Venedig verfasste und 1676 in Paris veröffentlichte, erfuhr in der Folge 22 verschiedene Auflagen und Ausgaben sowie zahlreiche Übersetzungen.² Zudem wurde in zahlreichen Texten des Untersuchungszeitraumes explizit auf diese Schrift verwiesen und zahlreiche Aussagen Amelots wurden nahezu wörtlich wiederholt oder hart mit ihnen gerungen.³ Diese Schrift wurde folglich langfristig wirkmächtig. Sie rief aber auch unmittelbar heftige Reaktionen hervor: Die venezianische Regierung war über den Inhalt der Abhandlung so erzürnt, dass sie bei der Regierung in Paris eine sechsmonatige Inhaftierung des Autors erwirkte. Der gleichzeitige Versuch, den Text zu verbieten, schlug allerdings fehl.⁴ Dass Amelots Text in eine Richtung gehen würde, die dem bis dahin transportierten Mythosnarrativ entgegen laufen sollte, ließ schon die Tatsache erahnen, De la Houssaye, Histoire. Nicolas Amelot de La Houssaye ( – ) diente von bis als Sekretär des französischen Botschafters in Venedig, Nicolas Prunier de Saint-André ( – ). Die Histoire du Gouvernement de Venise verfasste er wahrscheinlich direkt nach seiner Rückkehr nach Frankreich. Vgl. dazu und zu den Werkausgaben Stapelbroek/Trampus, Commercial Reform, S. ; Fink, Classical Republicans, S. ; Wootton, Ulysses Bound?, S. ; Ravaisson, F./ Ravaisson, C.: Archives de la Bastille. Bde. Paris – . Nachdruck Genf . Bd. . S. f. Vgl. neben den Verweisen im Folgenden der Arbeit auch Eglin, Venice Transfigured, S. . Zur (unmittelbaren) innervenezianischen Auseinandersetzung mit Amelots Aussagen vgl. Venturi, Franco: „Venise et, par Occasion, de la Liberté“. In: The Idea of Freedom. Essays in Honour of Isaiah Berlin. Hrsg. von Alan Ryan. Oxford . S. – . S. – ; Walker, Jonathan: Legal and Political Discourse in Seventeenth-Century Venice. In: Comparative Studies in Society and History (CSSH) (). S. – . Vgl. Wootton, Ulysses Bound?, S. ; Landwehr, Die Erschaffung Venedigs, S. f.; Stapelbroek/Trampus, Commercial Reform, S. . In einem zum ersten Mal an die Textausgabe von 1695 angehängten Mémoire pour servir à la défense de l’Histoire du Gouvernement de Venise geht Amelot selbst noch einmal direkt auf diese Verhaftung ein und rechtfertigt seine Schrift als reine Darlegung der historischen Wahrheit, die er ohne Hass und ohne Leidenschaft geschrieben habe („j’ai eu comme lui le courage de dire la vérité, aprés avoir eu les moiens de l’aendre sur les lieux, & je l’ai dite sans haine & sans passion“) und die die Venezianer zu Unrecht so lautstark verurteilt hätten („Les Venitiens ont tant crié contre céte Histoire de leur Gouvernement, que je suis obligé, malgré moi, de leur montrer par ce Mémoire, qu’ils n’ont pas eu raison de faire tant de bruit.“). Houssaye, Amelot de la: Histoire du gouvernement de Venise, Derniere Edition, reveüe, corrigée & augmentée, avec Figures. Amsterdam (chez Pierre Mortier) 1695. S. 1– 16.
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dass er als grundlegende Informationsquellen zwei Texte heranzog, die den Zeitgenossen bis dahin als kritischste Abhandlungen über den Zustand der Lagunenstadt galten: Alphonso de la Cuevas (1572– 1655) Squitinio della libertà veneta ⁵ und die kritische Reformschrift des venezianischen Mönchs Paolo Sarpi, dessen Text 1689 zum ersten Mal auf English publiziert wurde, aber wohl schon lange vorher in Manuskriptform zirkulierte.⁶ Deutlich wurde Amelots Bruch mit der Glorifizierung Venedigs bereits mit einem Blick in das Inhaltsverzeichnis der Schrift, das unter anderem ein Kapitel auswies, welches die Gründe für den Niedergang Venedigs darlegen sollte: Discours des Causes de la décadence de la République de Venise. ⁷ Amelot betonte in den einleitenden Worten, dass es ihm im Sinne einer Staatsbeschreibung um die Darlegung des gegenwärtigen Ist-Zustandes der Republik gehe und nicht um eine Darstellung der – so gesteht er sehr wohl ein – durchaus ruhmreichen Vergangenheit Venedigs.⁸ Diesem Ist-Zustand, den er kritisch bewertet aber durchaus differenziert betrachtet, nähert er sich über eine Darstellung, deren Schwerpunkt auf der Beschreibung der politischen Institutionen und deren Amtsträgern liegt.⁹ Venedigs Verfassung stellte sich dabei für den Franzosen nicht als Mischverfassung dar, sondern als Aristokratie, deren Form sich in einem langen Prozess mit mehreren Verfassungswechseln herausgebildet habe.¹⁰ Folglich steht auch der Vgl. dazu Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit. Vgl.Wootton, Ulysses Bound?, S. f. In der Folge gibt Amelot französische Übersetzungen von beiden Texten bzw. Autoren heraus: Cuevas, Alphonso de la: Examen de la liberté originaire de Venise, traduit par Amelot de la Houssaye. Avec une harangue de Louis Hélian, ambassadeur de France, contre les Vénitiens. Paris ; Sarpi, Paolo: Histoire du concile de Trente, de Fra Paolo Sarpi. Traduite par le sieur de La Mothe-Josanval. Avec des remarques historiques, politiques et morales. Amsterdam ; sowie Sarpi, Paolo: Traités de bénefices, de Fra Paolo Sarpi. Traduit et vérifié par l’abbé de Saint-Marc. Amsterdam . De la Houssaye, Histoire, Table des Chapitres (o.P.). Zum Begriff décadence vgl. Gembicki, Dieter/ Scoti-Rosin, Michael: Corruption, Décadence (Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich – . Bd. /). München . De la Houssaye, Histoire, S. : „Témoignage asseuré de l’excellence du Gouvernement de Venise, dont il est maintenant question de faire voir l’état & la disposition présente, qui est le but que je me suis proposé dans cet Ouvrage.“ Vgl. dazu De la Houssaye, Histoire, Preface (o.P.): „[…] que ce n’est pas une Histoire de Venise que j’écris, ce qui seroit fort superflu après toutes celles que nous en avons de tant de célèbres Ecrivains; mais une Rélation fidele de sa Police, de ses Conseils, de ses Magistrats & de ses Loix.“ Giannotti, Contarini und andere vor ihm, so Amelot, hätten diese Institutionen nur oberflächlich beschrieben (ebd.); Vgl. auch Fröhlich, Mysterium Venedig, S. . Amelot bedient damit nicht den Gründungsmythos der Lagunenstadt. Vgl. de la Houssaye, Histoire, S. – („Venise a changé plusieurs fois la forme de son Gouvernement.“) und S. f.: „on pourrait dire que la République de Venise est presque une Aristo-Democratie comme l’étoit celle de Sparte après l’institution des Ephores; […] bien qu’à le prendre à la rigueur, ce soit une pure
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venezianische Adel im Mittelpunkt von Amelots Betrachtung. Er kritisiert dessen korruptes, untugendhaftes und selbstsüchtiges Verhalten aufs Schärfste und sieht in diesem Fehlverhalten einen der Hauptgründe für den Niedergang der ehemals so erfolgreichen Seerepublik.¹¹ Mechanismen wie etwa das Losverfahren in den Wahlprozeduren, die diesen Defekt verhindern sollen, würden durch Korruption und Missbrauch einfach ausgehebelt.¹² Die Tugend der politischen Amtsträger als notwendige Voraussetzung eines erfolgreichen Gemeinwesens ist hier klar als eine wichtige Norm dieser Abhandlung zu erkennen. Eine weitere Norm, nämlich diejenige der „wahren Freiheit“, lässt sich ebenfalls aus Amelots Beschreibung des venezianischen Adels herauslesen. Dieser sei nicht nur moralisch verkommen, korrupt und verfolge viel stärker die eigenen privaten Interessen als diejenigen der Gemeinschaft,¹³ sondern er unterdrücke den Adel der Terra Ferma¹⁴ und halte die übrige Bevölkerung Venedigs still und unpolitisch, indem er ihr eine falsche Freiheit vorgaukle: Le Sénat contente le Peuple en le laissant vivre dans l’oisiveté & dans la débauche, n’y aiant pas de meilleur moien de l’avilir & de le rendre obéissant, que de ne lui contrôler
Aristocratie, puisque le duc est sans pouvoir, & que le peuple n’a point de part dans l’administration publique.“ An anderer Stelle verweist Amelot zudem auf die Vergleichbarkeit zwischen Polen und Venedig als „les deux seules Républiques Couronnées en Europe“ (S. ). Die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft klassifiziert Amelot in seinen angefügten Remarques sur quelques mots & Noms-Propres emploiez dans cette Histoire als Demokratien („Democratie. C’est un Gouvernement Populaire, comme celui de Holande (sic) & de Suisse.“ De la Houssaye, Histoire, S. 372). Vgl. etwa S. : „Enfin, l’on peut mettre entre les principales Causes de la décadence de cette République, la mauvaise éducation que l’on y donne à la Jeunesse. Car c’est une chose toute commune à Venise, de voir des Pères de Famille entretenir des Concubines, & plusieurs autres instruments de leur débauche, à la veuë de leurs enfans, qui aprénent le mal devant que de le connoître, & s’y engagent à mesure qu’ils avancent en âge, corrompus par le mauvais éxemple de ceux qu’ils croient devoir imiter. De sorte que ces Gentilshommes entrant dans le maniment des affaires, avec de si méchantes dispositions, il est impossible que l’Administration Publique ne s’en ressente.“ Vgl. de la Houssaye, Histoire, S. – (S. : „La Vénalité des voix est encore un plus grand mal, les riches achetant les suffrages des pauvres, qui deviennent par là les valets de leurs égaux. Il est vrai que ce commerce est peut-estre le nœud de la concorde entre les uns & les autres. Quoi qu’il en foit, c’est un abus qui en entraine beaucoup d’autres.“) und S. f. Vgl. etwa de la Houssaye, Histoire, S. : „C’est dans le Grand Conseil que les Nobles font jouër tous les ressorts de leurs inimitiez secretes, pour exclure des Charges tous ceux qu’ils n’aiment pas, sans nul égard à leur mérite. C’est-là veritablement qu’ils se balotent, non pas tant avec de petites bales d’étofe blanche, qu’avec des éfets tout contraires à leur promesses.“ De la Houssaye, Histoire, S. .
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point ses plaisirs & cette vie licentieuse, qu’il nomme liberté, quoique ce soit en éfet le principal instrument de sa servitude.¹⁵
Amelot brandmarkt folglich Venedig als kollektive Tyrannei. Die vielen TacitusEpitaphe im Text und Amelots Beschäftigung mit Tacitus und Machiavelli in den folgenden Jahren machen dabei sehr deutlich, in welcher Tradition der Franzose sich hier bewegt.¹⁶ Neu, so David Wootton, sei die Tatsache, dass Amelot hinsichtlich der Exklusion durch den Adel auch diejenigen Bevölkerungsteile in den Blick nimmt, die nicht das venezianische Bürgerrecht besaßen.¹⁷ Amelot demaskiert so in seiner Histoire den Topos von Venedig als Hort der Freiheit als Farce: „Ils croient que le Gouvernement de Venise doit servir de règle & de modèle à tous les autres, & qu’il n’y a qu’eux de Gens-libres dans le monde, bien que véritablement ils soient sans Maître plûtost qu’en liberté. (magis sine domino quam in libertate. Tac. Ann. 2).“¹⁸ Neben der Tugend der Amtsträger und der Freiheit der Bevölkerung – wobei Amelot nicht positiv definiert, was für ihn die „wahre Freiheit“ ausmacht – ist es vor allem die Rechtssicherheit, die in seiner Abhandlung als normativer Bewertungsmaßstab zum Tragen kommt. Er gibt der Darstellung des Justizwesens in seiner Abhandlung etwa viel größeren Raum als beispielsweise dem Handel. So legt er die Zusammensetzung und die Zuständigkeiten der Gerichtshöfe genau dar.¹⁹ Sein Urteil über deren Kompetenz und Seriosität ist allerdings vernichtend: Mais il y a deux choses à rédire dans leur Judicature. L’une est, qu’ils sont presque tous tres-ignorans dans le Droit, & ne jugent que par une certaine routine de leurs Loix. Et
De la Houssaye, Histoire, S. .Vgl. auch S. f.: „Au reste, il se fait tous les jours de nouvelles Ordonnances à Venise, mais qui pour estre trop fréquentes, ný font point observées. D’oè est venu le proverbe du Païs, Parte Venetiana dura una settimana. Mais la Seigneurie dissimule par fois cét abus, pour tromper le Peuple, par de fausses apparences de liberté, & lui faire trouver son Gouvernement plus doux.“ Siehe Houssaye, Amelot de la: La Morale de Tacite. De la flatterie, par Amelot de la Houssaye. Den Haag ; Houssaye, Amelot de la: Le Prince de Nicolas Machiavel, traduit et commenté par Amelot sieur de la Houssaye. Amsterdam ; Houssaye, Amelot de la: Tacite. Avec des notes politiques et historiques. Première partie, contenant les six premiers livres de ses Annales. Paris . Vgl. dazu Wootton, Ulysses Bound?, S. 353; Wootton, The true Origins of Republicanism, S. 299; Soll, Jacob: Amelot de la Houssaye (1634– 1706) Annotates Tacitus. In: Journal of the History of Ideas (JHI) 61 (2000). S. 167– 187; Soll, Jacob: Publishing the Prince. History, Reading, and the Birth of Political Criticism. Ann Arbor 2005. S. 59 – 71. Vgl. Wootton, Ulysses Bound?, S. . De la Houssaye, Histoire, S. . Vgl. de la Houssaye, Histoire, S. – .
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l’autre, que pour toute sorte de sujets ils condannent (sic) aux Galéres, pour des bagatelles, comme pour des cas atroces, acommodant la Justice à leur intérest, j’entens, au besoin qu’ils ont de gens de Rame.²⁰
Vor allem aber sei es der Rat der Zehn, der mit seiner Machtfülle, seinen Methoden und geheimen Prozessen, die Bevölkerung in Angst versetze und den Rechtsstaat unterwandere. Ein Angeklagter habe keinerlei Anspruch auf Rechtsbeistand oder eine solide Beweisgrundlage.²¹ Der Rat der Zehn kontrolliere mit Hilfe dieser Methoden, vergleichbar mit den spartanischen Ephoren, die gesamte venezianische Regierung: Cependant c’est de ce Conseil que dépend toute l’oeconomie du Gouvernement; C’est la pierre angulaire de l’Etat, on ne la sauroit remuer sans le renverser; […] Enfin c’est une Verge pleine d’yeux, qui veille incessamment pour la conservation de la Liberté commune. […] Enfin les Dis de Venise ont le mesme pouvoir que les Efores avoient en Lacédémone. Ils peuvent comme eux déposer, emprisonner & juger à mort tous les Magistrats de la Ville, & le Doge mesme, au lieu que les Efores ne pouvoient juger un Roy de Sparte sans l’intervention du Sénat & de l’autre Roy. Que si les Efores pouvoient faire mourir toute sorte de gens sans aucune forme de Procez (Ce qui a donné sujet à Platon d’appeler leur puissance Tirannique) le Conseil de Dix a montré fort souvent que la sienne n’étoit pas moins absoluë en condamnant des Citoiens sur de simples soupçons, quoique véritablement il soit plus modéré que les Efores.²²
Trotzdem – und das ist gewissermaßen die andere Seite der Medaille – ist die Institution des Consiglio dei Dieci in Amelots Sicht auch ein wichtiges Stabilitätsmoment der Republik, die andernfalls in innere Zwietracht und damit in den Ruin geraten würde: De sorte que si le Conseil de Dix est jamais aboli, il est tres-constant que la division & le desordre se mettront aussi-tost dans l’Etat, & le conduiront en peu de tems à sa ruine, ainsi qu’il est arivé à la République de Lacédémone après la supression des Ephores, qui au sentiment d’Aristote étoient les nerfs de cette belle & florissante Aristocratie.²³
Stabilität als weitere Norm der Darstellung kam dabei für Amelot sowohl als innenpolitisches als auch außenpolitisches Kriterium zum Tragen. Venedig müsse
De la Houssaye, Histoire, S. . Zu Amelots Bewertung und Darstellung der venezianischen Justiz vgl. auch Wootton, Ulysses Bound?, S. . Vgl. de la Houssaye, Histoire, S. – . De la Houssaye, Histoire, S. und S. . David Wootton spricht deshalb davon, dass Amelot Venedig als „Polizeistaat“ in einem modernen Sinne klassifiziert. Vgl. Wootton, Ulysses Bound?, S. . De la Houssaye, Histoire, S. .
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unbedingt innere Zwietracht vermeiden²⁴ und außenpolitisch Frieden bewahren.²⁵ Die expansiven Bestrebungen wie in den Kriegen gegen Mailand und Ferrara hätten die Seerepublik, die allein mit der Verwaltung der neu hinzugewonnenen Landgebiete vollkommen überfordert gewesen sei, destabilisiert.²⁶ Außenpolitischer Frieden sei zudem unbedingt notwendig, um die Staatsfinanzen im Plus zu halten.²⁷ Venedigs Maxime der Neutralität im europäischen Mächtekampf, so Amelots Analyse, sei dabei eher von Nachteil. Denn eine solche Haltung laufe den Interessen und damit dem Bestand des Staates vielmehr entgegen.²⁸ Neben der Tugend, der Freiheit, der Rechtssicherheit und der Stabilität lässt Amelots Kritik am venezianischen Gemeinwesen noch zwei weitere Normen erkennen, die für ihn den Erfolg eines Gemeinwesens ausmachten: die Flexibilität und Schnelligkeit in der Entscheidungsfindung und ein langfristiges, auf die Zukunft ausgerichtetes Denken der Verantwortlichen. So führt er etwa explizit als zweiten Punkt seiner Aufzählung der Gründe des venezianischen Niedergangs die Langsamkeit der Beschlussfindungen an: La seconde Cause de leur ruine, est la lenteur de leurs Délibérations. Il est vrai que ce défaut leur est commun avec toutes les Républiques. Mais on peut dire qu’il est extrême chez eux, & que leur Sénat semble quelquefois endormi, tant il a de peine à se mouvoir en de certaines ocasions.²⁹
De la Houssaye, Histoire, S. . De la Houssaye, Histoire, S. f. De la Houssaye, Histoire, S. – (S. : „De mesme la puissance d’un Etat ne consiste pas tant à aquérir qu’ à conserver. Et s’il est constant qu’un Etat ne peut jamais se maintenir que par des moiens conformes à son principe, il ne faut pas s’étonner, si la République de Venise, qui avoit été conçuë par la Crainte, enfantée par les Eaux, nourie dans la pauvreté, élevée dans la paix, commença a déchoir de sa grandeur, pour s’estre engagée dans la Guerre avec les Ducs de Milan & de Ferrare, sans considérer la nature de ses forces, ni la difficulté de se maintenir dans ses Conquestes.“). Vgl. dazu auch Fröhlich, Mysterium Venedig, S. . De la Houssaye, Histoire, S. . De la Houssaye, Histoire, S. f.: „La Neutralité, qui est une de leurs maximes fondamentales, pour conserver la Paix, leur a été aussi fort préjudiciable, & quelquefois mesme leur a atiré la Guerre, comme il leur ariva pour avoir voulu se maintenir neutres entre le Roy Louis XII. & l’Empereur Maximilien qui étoient en Guerre pour le Duché de Milan. […] Et véritablement, si la Neutralité n’est bien ménagée, non seulement elle ne fait point d’amis, ni n’oste point d’ennemis, mais elle expose les Souverains qui en ont fait leur capital, comme les Vénitiens, au mépris & à la haine des Vainqueurs, qui selon la remontrance judicieuse de cét Ambassadeur Romain à ceux d’Achaie, ont coûtume de mal-traiter, & s’ils peuvent, de ruiner ceux qui n’ont pas voulu embrasser ouvertement leurs intérests, & courir leur fortune.“ De la Houssaye, Histoire, S. f.; Vgl. auch S. : „Mais le Vénitiens n’ont pas cette perfection, ils sont lents à délibérer & lents à éxécuter.“; vgl. dazu auch Fröhlich, Mysterium Venedig, S. .
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Die Kurzsichtigkeit der Entscheidungsträger kritisiert Amelot im Anschluss daran ebenfalls als Defekt „de la plûpart des hommes“, von dem Venedig allerdings schon mehrfach betroffen gewesen sei: Efet de la foiblesse (sic!) & de l’ignorance de la plûpart des hommes, qui ne considérant point l’avenir, aiment mieux perdre tout dans la suite du tems, que de se priver volontairement d’une partie pour sauver le reste. Semblables à ces Marchands avares qui périssent en Mer pour n’avoir pas voulu décharger le Vaisseau; ou à ces Malades opiniâtres qui se laissent venir la Cangréne, pour s’épargner la douleur d’une legére incision. Quelque expérience que la Seigneurie de Venise ait faite en plusieurs ocasions (sic!), Elle n’a point encore changé de stile ni de métode […].³⁰
Amelots Abhandlung stellt sich also insgesamt als eine Beschreibung der zeitgenössischen Regierungsinstitutionen Venedigs sowie von deren Amtsträgern und grundlegenden Gesetzen dar.Während die außenpolitischen Interessen und damit das Verhältnis zu anderen Staaten ebenfalls durch den Franzosen beleuchtet werden, finden etwa der Handel und die venezianischen Händler kaum Beachtung. Amelot konstatiert lediglich, dass der Handel Venedigs stark abgenommen habe, nachdem die Portugiesen nach der Entdeckung des Seeweges nach Südostasien das venezianische Monopol im Gewürzhandel aufgebrochen hätten.³¹ Insgesamt wertet und kritisiert Amelot dabei die venezianischen Gegebenheiten vor dem Hintergrund klar erkennbarer Bewertungsmaßstäbe. Den (Verfassungs‐) Gegensatz Monarchie vs. Republik macht er dabei selten als Kriterium der Analyse auf.³² In seinem einige Jahre später erschienenen Memorandum zur Verteidigung seiner Histoire wirft er vielmehr den Venezianern vor, dass sie diese Denkfigur instrumentalisieren würden, um die eigene Bevölkerung blind gegenüber der kollektiven Tyrannis zu halten, unter der sie lebten.³³ Insgesamt ist die kollektive
De la Houssaie, Histoire, S. f. Vgl. dazu auch Wootton, Ulysses Bound?, S. . Siehe De la Houssaye, Histoire, S. f. Zudem bemerkt er hinsichtlich der Händler, dass diese von dem Umstand profitieren würden, dass der Adel das ihm auferlegte Handelsverbot durch geheime Kooperationen mit den Händlern umgehen würde (vgl. de la Houssaye, Histoire, S. ). Explizit lediglich, als er über die Schwierigkeiten des tugendhaften Abstimmungsverhaltens im Großen Rat spricht: „Dans une Monarchie il sufit de plaire au Prince, mais dans une République il faut plaire à tous. Ce qui est d’autant plus dificile, ou mesme impossible, que la Naissance, les biens, les honneurs & la vertu mesme vous y font des ennemis, si tout cela n’est ménagé avec une prudence extraordinaire.“ (De la Housssaye, Histoire, S. ). Vgl. de la Houssaye, Histoire, , S. f.: „Il y a une Relation imprimée de l’Ambassade Extraordinaire de M. Nani en France, où il parle ainsi du Roiaume : […] ce qui en bon langage veut dire, que le Roi tirannise ses Sujets, & métroit des imposts jusques sur l’air & le Soleil, s’il le pouvoit. Qui est la maxime ordinaire des Républiquains, pour décrir le Gouvernment des Rois, &
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Entscheidungsfindung allerdings ein klar negatives Strukturmerkmal für Amelot. In Venedig etwa könne aufgrund des Pluralitätsprinzips nicht immer die weiseste Entscheidung gefällt werden: La troisième Cause du désordre de leurs afaires, est que leur Sénat étant composé d’un si grand nombre de gens, les mauvais conseils, pourveu qu’ils soient couverts de quelque belles aparence, y sont plus suivis que les bons, qui tres-souvent ne plaisent pas, ou parce que l’éxécution en paroît dificile; ou que le bien ou le mal qui en doit ariver à l’Etat, ne se pénétre pas par beaucoup de Gentils-hommes ignorans, qui ne discernent pas le vrai d’avec le faux, ni le bon d’avec le mauvais. Si bien que c’est quelquefois à Venise comme à Aténes, où selon le dire d’un Philosophe, les Sages consultoient, & les Fous délibéroient. Car les avis se comptent au lieu de se peser, la vois des Fous étant de mesme valeur que celle des Sages, & Ceux-ci toûjours en plus petit nombre que les autres.³⁴
In ihrer Eigenschaft als Republik allerdings, so betont Amelot gleich zu Beginn seiner Schrift, sei Venedig, aufgrund ihrer starken Ähnlichkeit zu den „anciennes Républiques de la Grece“, noch die beste ihrer Art.³⁵ Der Franzose schrieb als Botschaftssekretär klar vor dem Hintergrund der sich verändernden europäischen Machtverhältnisse. So führt er realpolitisch etwa auch die Veränderung der Handelsmonopole, die sich durch Portugals Erfolg in Südostasien ergeben hätten, als Grund für starke Verluste Venedigs an.³⁶ Darüber hinaus widmet er die gesamte Histoire dem Kriegsminister Ludwigs XIV. Dass Amelot als Spieler in diesem europäischen Mächtefeld agierte, verdeutlichen auch seine in den Folgejahren publizierten Schriften zur Machtpolitik des französischen Königs und zu europäischen Friedensverträgen.³⁷ Insgesamt beurteilte Amelot dabei Venedigs gegenwärtigen Zustand sehr negativ. Venedig sei im Niedergang begriffen, und zwar aufgrund von Übeln, die
par ces impostures rendre le leur plus tolérable à des Sujets qui gémissent sous un peuple de Tirans.“ De la Houssaye, Histoire, S. f. Vgl. dazu auch Wootton, Ulysses Bound?, S. . De la Houssaye, Histoire, S. : „J’ecris l’Histoire du Gouvernement de Venise, qui est sans contredit le plus beau de l’Europe en son genre, puisque c’est une fidele copie des anciennes Républiques de la Grece, & comme l’assemblage de toutes leurs plus excellentes Loix.“ De la Houssaye, Histoire, S. f. Siehe dazu das Werkverzeichnis in Cioranescu, Alexandre: Bibliographie de la littérature française du dix-septième siècle. Bde. Paris . Bd. . S. f. Vgl. dazu auch Foisneau, Luc: Le machiavélisme acceptable de Amelot de la Houssaye ou la vertu politique au siècle de Louis XIV. In: Revue de philosophie (RPH) (). S. – ; Allot, Terence: „Undermining Absolutism“: The Disguised Critique of Amelot de la Houssaye ( – ). In: The Seventeenth Century (). S. – .
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gemiedet werden sollten und Staatskrankheiten, die unheilbar seien.³⁸ Die englische Übersetzung des Textes von 1677 formuliert da vorsichtiger. Sie spricht von Krankheiten, die nicht auf herkömmliche Art geheilt werden könnten.³⁹ Während letztere also stärker eine mögliche Reform suggeriert, steht für Amelot fest, dass ein System mit so großen Defekten nicht mehr reformiert werden könne. Wenn, dann müsste eine grundsätzlich neue Regierung gebildet werden. Aber auch eine solche neue Regierung könne niemals ganz perfekt sein: Ce qui fait bien voir qu’il y a des maux où il est tres-dangereux de vouloir toucher; que les maladies d’Etat sont incurables quand elles sont vieilles, & qu’il vaut mieux laisser en repos un Corps cacochime, que d’en émouvoir les humeurs par des remédes qu’il ne peut plus porter. […] Il seroit plus aisé de faire un nouvel Etat, que d’en réformer de certains abus, qui ont passé en coûtumes. Et il n’y peut avoir de Gouvernement parfait, parce qu’il y aura des vices tant qu’il y aura des hommes.⁴⁰
Die Möglichkeit des mechanischen, perfekt eingerichteten Staates, dessen Teile ineinandergreifen und unabhängig vom tugend- oder untugendhaften Verhalten seiner Träger funktionieren, war für Amelot so in letzter Konsequenz noch nicht denkbar.⁴¹ Dementsprechend changiert sein Text zwischen neuen und herkömmlichen Metaphern für den Staat. In seiner Analyse des venezianischen Senats etwa spricht Amelot vom Staat als Maschine: Il me reste présentement à discourir des maximes, des fins, & des intérets de celui [Gouvernement de Venise] d’aujourd’hui, comme aussi des bonnes ou mauvaises dispositions des sujets de la Seigneurie, cette matiére apartenant de plein droit au Sénat, puisqu’il a toute la direction des affaires, & donne le mouvement qu’il lui plaist à toute la machine de l’Etat.⁴²
De la Houssaye, Histoire, S. f.: „Ce qui fait bien voir qu’il y a des maux où il est tresdangereux de vouloir toucher; que les maladies d’Etat sont incurables quand elles sont vieilles […].“ Houssaye, Amelot de la: History of the government of Venice. London (printed by H.C. for John Starkey) . S. : „From whence we may gather, that there are some Ills that cannot be conveniently remedied; […].“ De la Houssaye, Histoire, S. f. In der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts wird dies eine gängige denk- und sagbare Vorstellung werden. Vgl. dazu auch die Überlegungen in der Schlussbetrachtung der vorliegenden Arbeit. De la Houssaye, Histoire, S. f. Der Gebrauch der Maschinenmetapher ist für überaus bemerkenswert. Vgl. die Untersuchungen von Wootton, Liberty, S. – und Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Auch das Amelot an anderer Stelle von der „l’oeconomie du Gouvernement“ (S. 199) spricht, ist ebenso bemerkenswert. Gemäß einer Studie von Jean-Claude Perrot taucht diese
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Stärker präsent ist im Text allerdings die Vorstellung vom Staat als politischem Körper, der verschiedene Lebensalter durchläuft und erkranken kann. Amelot ordnet dabei die verschiedenen Regierungsorgane einzelnen, spezifischen Körperteilen zu: De sorte que la Seigneurie est comme la teste du Corps de la République, dont le Duc est la blouche & la langue, puisque c’est à luy de répondre aux Ambassadeurs. Les Conseillers en sont les yeux & les oreilles […]. Le College est comme le col de ce Corps Politique; veu que c’est par où passent toutes les Affaires qui doivent aller au Prégadi, que l’on peut dire en estre l’estomac & le ventre, puisqu’il contient toutes les parties Nobles du Corps de l’Etat, & lui fournit toute sa nourriture. Les Magistrats particuliers en sont comme les nerfs & les os qui le soûtiennent & le font mouvoir; & le Conseil de Dix en fait tous les ligamens, empeschant que ces parties ne se dénoüent les unes d’avec les autres, & qu’un mouvement violent ne les jette hors de leur place naturelle.⁴³
Insgesamt befinde sich Venedig allerdings bereits im Stadium der „Vieillesse“⁴⁴ und sei, so Amelots Fazit, längst unheilbar erkrankt.⁴⁵
Begriffsverwendung im Sinne einer staatlichen Haushaltung, deren Träger eine „mechanistische“ regulative Funktion gegenüber der Gesellschaft einnehmen“ (S. 56), zwar mit Antoine de Montchrétiens (1575 – 1621) Traicté de l’Oeconomie politique 1615 zum ersten Mal im französischen Sprachgebrauch auf, doch wird er erst nach 1750 wirklich präsent. Vgl. Perrot, Jean-Claude: Une Histoire intéllectuelle de l’Économie politique XVIIe–XVIIIe siècle. Paris 1992; Perrot, JeanClaude/Michel, Pierre: Barbarie, Civilisation, Vandalisme. Economie Politique. (Handbuch Politisch-Sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680 – 18208). München 1988. S. 51– 104. De la Houssaye, Histoire, S. f. An anderer Stelle unterscheidet Amelot zwischen dem Senat als Seele der Republik und dem Großen Rat als Körper der Republik (S. ). De la Houssaye, Histoire, S. : „[…] jusques à la guerre de la Ligue de Cambray, qui est proprement le commencement de sa Vieillesse.“ De la Houssaye, Histoire, S. f. (s.o.); vgl. auch S. .
8 Fazit Ab 1650 traten in den Abhandlungen über die drei Republiken zunehmend neue Elemente der Beschreibung und Analyse auf. Nicht flächendeckend und abhängig vom Gegenstand wurden diese Elemente stärker oder weniger stark, aber doch in Abgrenzung zu vorangegangen Darstellungen erstmals, vermehrt und explizit in eigenen Kapiteln ausführlich diskutiert: die Justiz als notwendige Voraussetzung eines gut funktionierenden Staates, die Freiheit der Bürger, die Religion/en der Einwohner und der staatliche Umgang mit dieser/n, die Steuern- und Abgabenpolitik der Freistaaten und die außenpolitischen Interessen bzw. die grundsätzlichen „Staats-Maximen“ der Republiken. Zudem wurden bereits bekannte Schwerpunkte der Analyse zunehmend unter neuen Gesichtspunkten diskutiert und bewertet: die politischen Institutionen und Entscheidungsträger etwa wurden vermehrt im Hinblick auf ihre Effektivität, die außenpolitische Expansion mit Blick auf die staatliche Stabilität betrachtet. Der Handelserfolg wurde verstärkt innerhalb eines internationalen Kontexts bemessen, Schwächen der Freistaaten, unter anderem der Aspekt der Kleinstaatlichkeit, als mögliche oder tatsächliche Niedergangsfaktoren erstmals thematisiert. Der Zeitraum zwischen 1650 und 1676 muss deshalb als entscheidende Phase gewertet werden, in der die Ränder des Aussagenspektrums über die zeitgenössischen Republiken brüchig wurden. Bestehende Narrative über die Vereinigten Provinzen der Niederlande und Venedig wurden modifiziert oder gar dekonstruiert. Die Eidgenossenschaft wurde überhaupt Gegenstand einer zunehmend differenzierten Betrachtung. Neue Aussagen wurden möglich und unter veränderten Prämissen getätigt. Ein Niedergang oder zumindest eine Krise im Sinne eines potentiellen, aber noch abwendbaren Ruins der einzelnen Republiken wurden (hinsichtlich der Vereinigten Provinzen und Venedig) erstmals sagbare Zuschreibungen mit Blick auf die existierenden Freistaaten. Die neuen thematischen Schwerpunkte ergaben sich vorwiegend aus dem politischen Kontext und den daraus resultierenden Diskussionszentren der politischen Debatten (unter anderem Anforderungen einer commercial society; Stabilität im europäischen Mächtekonzert). Sie waren aber vor allem bedingt durch den Schematismus der zu diesem Zeitpunkt neu auftretenden und sich europaweit schnell etablierenden Textgattung der sogenannten Staatsbeschreibungen, die jetzt vornehmlich nicht mehr an einer historischen, sondern an einer systematischen Darstellung politischer Gemeinwesen interessiert war und grundsätzlich die exklusive und komparative Beschäftigung mit den Republiken in Europa ab 1650 forcierte und begünstigte. Die Relevanz der Analyse politischer Gemeinwesen der Gegenwart erhöhte sich gegenüber dem Studium vergangener Staaten, da die
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Erkenntnis, die aus dieser Analyse gewonnen werden konnte, funktional angesehen wurde. Sie sollte für die eigene Entwicklung in derselben Gegenwart und Zukunft nutzbar gemacht werden. Die Textgattung der Staatsbeschreibungen war vor allem ein Resultat der im 17. Jahrhundert einflussreichen politischen Interessenlehre, die entsprechend ihrer Grundannahme einer spezifischen, dem historischem Wandel unterliegenden Individualität eines jeden Gemeinwesens, die Analyse gegenwärtiger Staaten einforderte und als einzig wirklich nützliche und der Erkenntnis dienliche Tätigkeit der Auseinandersetzung mit Staaten der Vergangenheit gegenüberstellte. Insgesamt lassen die im vorangegangenen Kapitel analysierten Staatsbeschreibungen und staatstheoretischen Abhandlungen dabei fünf normative Zielvorstellungen erkennen, die im Sinne des funktionalen Charakters der Textgattung(en) als Bewertungsmaßstab der Autoren dienten. 1. der wirtschaftliche Erfolg eines Gemeinwesens, der Wohlstand generiert (vgl. etwa die Commonwealthmen, Temple, Gailhard); 2. die Stabilität und Sicherheit eines Gemeinwesens (vgl. etwa Harrington, D’Alquié, Aglionby, Temple, Gailhard, Amelot); 3. die Schnelligkeit, Flexibilität und Effektivität eines Gemeinwesens bzw. von dessen politischen Institutionen und Entscheidungsträgern (vgl. etwa Parival, Harrington, Milton, de Sorbiere, Gailhard, Amelot). 4. die Freiheit bzw. Freiheiten der Bürger eines Gemeinwesens (vgl. etwa Nedham, Parival, Gailhard, Amelot); 5. die Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit eines/in einem Gemeinwesen (vgl. etwa Parival, D’Alquié, Temple, Gailhard, Amelot). Die betrachteten Autoren arbeiteten vor dem Hintergrund dieser Normen verschiedene Strukturmerkmale beziehungsweise Mittel zum Zweck heraus, die ihrer Ansicht nach Erfolg versprechen. Je nach eigener Schwerpunktsetzung unterschied sich die Gewichtung und Bewertung dieser einzelnen Elemente. Als diskussionswürdig kristallisierten sich insgesamt vor allem die folgenden Aspekte heraus: a) ein außen- und innenpolitischer Friede; b) die Tugend und Erziehung der politisch Verantwortlichen eines Gemeinwesens; c) die Expansionsfähigkeit und -notwendigkeit und grundsätzlich die territoriale Größe eines Gemeinwesens; d) ein sicheres und flexibles Finanzsystem; e) die Bevölkerungsgröße im Verhältnis zur Größe eines Gemeinwesens und dessen Ressourcen; f) die Religionspolitik eines Gemeinwesens;
8 Fazit
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g) die Steuern- und Abgabenpolitik eines Gemeinwesens; h) der Einfluss von Veränderungen internationaler (Markt‐)Strukturen auf das Gemeinwesen; i) die Grundlage und Ausführung des Rechtssystems eines Gemeinwesens; j) die Verfasstheit als Freistaat; k) die föderative Struktur eines Gemeinwesens; l) die Art der Entscheidungsfindung innerhalb des Gemeinwesens; m) die Mechanismen der Übertragung von politischer Verantwortung innerhalb des Gemeinwesens. Die leitende Hypothese für den folgenden Teil des vorliegenden Buches ist, dass die möglichen Aussagen über die drei betrachteten Republiken zwischen 1676 und 1750 genau diese strukturellen Merkmale diskutierten und dabei die hier vorgestellten normativen Zielvorstellungen als entscheidender Bewertungsmaßstab fungierten.
III Republiken als Blaupause: Normative Zielvorstellungen eines politischen Reformdiskurses 1676 – 1750
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III Republiken als Blaupause
Im Folgenden Teil der vorliegenden Arbeit werden deshalb die Aussagen über Venedig, die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft entsprechend den ihnen zugrundeliegenden Zielvorstellungen dargestellt und analysiert. Die Aussagen sollen dabei primär auch kontextualisiert werden. Die Gliederungsperspektive wird hier also bewusst verändert, um der übergeordneten Frage nachzugehen, wie sich politische (Reform)Vorstellungen der Frühaufklärung und Aussagen über die zeitgenössischen Republiken zueinander verhielten. Welche Themen wurden wie und wann auch an anderer Stelle verhandelt? Gab es Aspekte, die ausschließlich anhand der Freistaaten erörtert wurden? Inwiefern sind Einflüsse anderer Autoren und Debatten in der Diskussion über die Republiken erkennbar? Welche Ereignisse bedingten möglicherweise eine Aussagenhäufung oder Negativ-/Positivzuschreibungen? Grundsätzlich gilt es dabei als ein Ergebnis festzuhalten, dass sich das Spektrum möglicher Aussagen bis 1750 nicht entscheidend erweiterte. Die Analyse erfolgt deshalb im Folgenden anhand exemplarischer Textbeispiele, deren Aussagen je nach zugrundliegender Norm an verschiedenen Stellen aufgegriffen werden.
1 Wirtschaftlicher Erfolg Wirtschaftlicher Erfolg tritt als eine normative Zielvorstellung der hier betrachteten Texte auf. Für die meisten Autoren war dies im Untersuchungszeitraum mit einem Handelserfolg im Sinne einer positiven Handelsbilanz gleichzusetzen. Die Überzeugung, dass der Handel und weniger die Produktion die erfolgreiche und Reichtum generierende Wachstumsbranche der Zeit sei, dominierte sowohl die wirtschaftstheoretischen Überlegungen als auch die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Europa.¹ Mit dieser Akzentsetzung ging parallel eine geographische Verschiebung der Schwerpunkte innerhalb des europäischen Wirtschaftsgefüges einher, die schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts eingesetzt hatte und sich nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges massiv bemerkbar machte. Die Niederlande, England und weniger dominant auch Frankreich wurden die Knotenpunkte und Hauptakteure sowohl des europäischen Binnenhandels als auch des stark an Bedeutung gewinnenden Fernhandels, vor allem nach Übersee. Traditionelle Handelsrouten wie etwa zwischen der Apenninenhalbinsel und dem westalpinen Europa, die Rheinschiene oder das Handelsnetzwerk der Hanse verloren zumindest relativ an Gewicht. Neben dieser Struktur- und Akzentverschiebung innerhalb des Wirtschaftslebens beeinflusste ein weiterer Faktor die wirtschaftliche Konjunktur der meisten europäischen Staaten massiv: nämlich die in diesem Zeitraum relativ häufigen Schlechtwetterperioden, die Missernten nach sich zogen. Für die 1690er Jahre spricht die Forschung mit Blick auf Europa gar von einer „kleinen Eiszeit“.² Agrarkrisen oder zumindest eine anhaltende Stagnation der landwirtschaftlichen Produktionsraten waren fast überall in Europa die Folge.
Vgl. etwa übergreifend Duchhardt, Europa am Vorabend, S. – . Duchhardt versteht sich als „Europa-Historiker“, der „stärker nach gleichläufigen Phänomenen, nach parallelen Entwicklungen, nach übergreifenden gesellschaftlichen und politischen Interaktionen“ fragt „als nach dem nationalen oder regionalen Sonder- und Einzelfall“, ohne „die je besonderen Entwicklungen zu marginalisieren oder gar zu vernachlässigen.“ (Duchhardt, Europa am Vorabend, S. ). Dieser Zugriff erschien unter einer Vielzahl von Handbüchern angesichts der Perspektive der vorliegenden Arbeit, die nach möglichen transnationalen Gemeinsamkeiten fragt, als am besten geeignet. Vgl. Duchardt, Europa am Vorabend, S. f.
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
1.1 Die Vereinigten Provinzen als Vorbild Alle hier angeführten Faktoren beeinflussten die wirtschaftliche Entwicklung in den Territorien des Alten Reichs, in denen zumeist der Sektor der Landwirtschaft dominierte, massiv. Je nach Gebiet hatten die Obrigkeiten in ihren jeweiligen politischen Gebilden zudem mit den Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu kämpfen: Verwüstungen, die fehlende und schlechte Ausbildung von Arbeitskräften, die Auflösung von wirtschaftlichen Netzwerken sowie grundsätzlich die Entvölkerung ganzer Landstriche stellten die Verantwortlichen vor große Probleme.³ Ein Rückgang der Nachfrage an Produkten und in der Folge sinkende Preise gingen mit dieser Situation einher. Manche Landesherren versuchten diesem Zustand mit einer bewussten Peuplierungspolitik entgegenzuwirken. Die Zuwanderung aus dem Ausland fiel dabei quantitativ nicht so sehr ins Gewicht, bedeutete meist aber – wie in anderen europäischen Staaten auch – einen enormen Zugewinn an wirtschaftlichem know how und Kapital.⁴ Besonders den Hugenotten, die sich vornehmlich in Brandenburg, den hessischen Staaten und der Pfalz ansiedelten, kam dabei eine tragende Rolle zu. Nachdem Louis XIV 1685 im Edikt von Fontainebleau das Edikt von Nantes (1598) und damit die Religionsfreiheit der Protestanten in Frankreich widerrufen hatte, flohen diese zu einem großen Teil in die benachbarten europäischen Staaten. Das noch im selben Jahr erfolgte Versprechen des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620 – 1688), diesen Glaubensflüchtlingen Toleranz und Förderung zu gewähren, erwies sich als wirtschaftspolitisch kluger Schachzug und markierte den Beginn einer brandenburgisch-preußischen Einwanderungspolitik.⁵
Vgl. hier und im Folgenden Kaufhold, Karl Heinrich: Deutschland – . In: Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd. : Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des . Jahrhunderts bis zur Mitte des . Jahrhunderts. Hrsg. von Ilja Mieck. Stuttgart . S. – . Zu den Strukturen, Rechtsformen, Motiven und Auswirkungen der Hugenottenaufnahme vgl. Dölemeyer, Barbara: Ökonomie und Toleranz – Wirtschaftliche Ziele, Mittel und Ergebnisse der Hugenottenaufnahme in europäischen Ländern. In: Wirtschaft und Wirtschaftstheorien in Rechtsgeschichte und Philosophie. Économie et théories économiques en histoire du droit et en philosophie. Viertes deutsch-französisches Symposion vom .–. Mai in Wetzlar. Hrsg. von Jean-François Kervégan u. Heinz Monhaupt. Frankfurt a.M. . (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte ) S. – ; Vgl. zudem Lachenicht, Susanne: Hugenotten in Europa und Nordamerika. Migration und Integration in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a.M. ; Und den Sammelband Hugenotten und deutsche Territorialstaaten. Immigrationspolitik und Integrationsprozesse. Hrsg. von Guido Braun. München . Es handelte sich dabei um das Edikt von Potsdam, siehe Kaufhold, Deutschland – , S. .
1.1 Die Vereinigten Provinzen als Vorbild
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Während das in Zünften organisierte Handwerk im Reich hauptsächlich für den örtlichen Grundbedarf produzierte, wurde die Textilproduktion durch Heimgewerbe und Verleger organisiert. Der größte Teil dieser Produktion ging in den Überseehandel, bei dem man auf die europäischen Konkurrenzstaaten und deren Handelskompanien angewiesen war. Insgesamt dominierten je nach Region und Einzelstaat unterschiedliche Wirtschaftsformen und –zweige. Genauso unterschiedlich fiel die jeweilige Wirtschaftspolitik der Einzelstaaten im Reich aus. Grundsätzlich konstatiert die Forschung aber für den hier betrachteten Zeitraum eine allen gemeinsame, in ihren Grundzügen sehr ähnliche wirtschaftspolitische Doktrin, die auf eine positive Handelsbilanz und das größtmögliche Ausmaß an Autarkie zielte.⁶ Zölle, die zwischen Rohstoffen und produzierten Fertigwaren unterschieden, gehörten dabei genauso zu den gängigen Mitteln wie Ein- und Ausfuhrverbote.⁷ Ein theoretischer Überbau, der die Grundsätze des Merkantilismus systematisch darlegte,⁸ findet sich für das Ende des 17. Jahrhunderts noch nicht. Hier dominierten zunächst vor allem stark an der konkreten Praxis orientierte Schriften die Publikationslandschaft.⁹ Zwei umfangreiche Traktate, die einen solchen praktischen Zugriff aufwiesen und als entscheidende Vorläufer einer sich im 18. Jahrhundert entwickelnden Politischen Ökonomie gewertet werden können, sind die 1686 und 1688 entstandenen Abhandlungen von Wilhelm von Schröder (1640 – 1688) (Fürstliche Schatz- und Rentkammer) und des Speyerer Commercien-Raths Johann Joachim
Vgl. Duchhardt, Europa am Vorabend, S. ; Kaufhold, Deutschland – , S. – ; Simon, Thomas: „Gute Policey“. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit. Habilitation. Frankfurt a.M. (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte ). S. . In den drei Reichskriegen gegen Frankreich verhängte das Reich etwa Einfuhrverbote gegen französische Waren (, , ). Vgl. Kaufhold, Deutschland – , S. . Der Terminus „Merkantilismus“, der ursprünglich von Adam Smith (getauft – ) abwertend eingeführt wurde, ist als Forschungsbegrifflichkeit für eine solche wirtschaftspolitische Doktrin etabliert. Daneben wird oft der Begriff des „Kameralismus“ in der Forschung als Terminus für die im Reich vorherrschende, am Nutzen der fürstlichen Haushaltung und staatlichen Wirtschaftsführung orientierten Staats- und Verwaltungslehre angewandt. Vgl. etwa Kaufhold, Deutschland – , S. ; Dagegen argumentiert Thomas Simon, dass man erst für das . Jahrhundert im Reich von einem Kameralismus im Sinne einer „auf den Staat übertragenen ökonomischen Klugheitslehre“ sprechen kann. Dabei unterscheide sich die Kameralistik aber auch eindeutig von merkantilistischen Konzepten, da sie nicht auf den eigentlichen Bereich der Wirtschaftspolitik begrenzt geblieben, sondern zu einer „umfassenden Lehre von der rechten Ordnung der Gesellschaft ausgeweitet“ worden sei. Diese „umfassende Regelungsperspektive“ sei neu gewesen. (Siehe Simon, „Gute Policey“, S. – ). Vgl. Kaufhold, Deutschland – , S. .
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
Becher (1635 – 1682) (Politische Discurs).¹⁰ Beide Texte zielen auf eine Verbesserung der ökonomischen Strukturen ihres Landes, um höhere Steuereinnahmen zu erzielen und mit diesen Mitteln dann ein zur Machtsicherung notwendiges, stehendes Heer finanzieren zu können. Voraussetzungen für eine solche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage war für beide ein freyes Commercium, das nicht durch Monopole, Privilegien oder überhöhte Zölle eingeschränkt werden dürfe und dem die übrigen Wirtschaftssektoren der Landwirtschaft und der handwerklichen Produktion unterzuordnen seien.¹¹ Der Landesherr müsse zudem einen regen Kapitalfluss durch zinsgünstige Kredite und ein funktionierendes Bankenwesen gewährleisten.¹² Beide Autoren sahen dabei Holland¹³ als nachahmungswürdiges Vorbild an, in dem ihre eigenen Vorschläge, die auf die Verbesserung ihrer Heimatterritorien zielten, bereits realisiert seien.¹⁴ An Holland, so Wilhelm von Schröder, könne man ablesen, dass allein der Handel ein Gemeinwesen zu Reichtum führen könne, selbst wenn gar keine Rohstoffe im Land vorhanden seien: Dieweilen denn diese handlung ein mittel ist, durch welches die kunst und der fleiß den mangel der natur ersetzet, und einen großen überfluß im lande machet, so sehen wir die exempel für augen, nemlich holland ein kleiner sandhaufen, in welchem mehr menschen sind, denn gras und bäume darinn gefunden werden, hat durch seine geschicklichkeit und fleis erlanget, was ihn die natur mißgönnet.¹⁵
Becher, Johann Joachim: Politische Discurs, von den eigentlichen Ursachen/deß Auff- und Abnehmens der Städt/Länder und Republicken/ in specie,Wie ein Land Volckreich und Nahrhafft zu machen/ und in eine rechte Societatem civilem zu bringen […]. Dritte Edition. Franckfurt (in Verlegung Johann David Zunners) (ND Darmstadt ). Die erste Ausgabe erschien in Frankfurt; Schröder, Wilhelm von: Fürstliche Schatz- und Rentkammer, nebst seinem Tractat vom Goldmachen, wie auch vom Ministrissimo oder Obertstaatsbedienten. Leipzig . (Hier verwendete Ausgabe: Königsberg/Leipzig (ND Vaduz ));Vgl. hierzu Simon, „Gute Policey“, S. – . Vgl. etwa Schröder, Capitel – . Dazu Simon, „Gute Policey“, S. f. Vgl. etwa Schröder, Capitel . Dazu Simon, „Gute Policey“, S. f. Ob Becher und von Schröder „Holland“ hier als pars pro toto für die gesamten Vereinigten Provinzen verwenden, ist nicht genau ersichtlich, erscheint aber wahrscheinlich. Vgl. dazu auch Simon, „Gute Policey“, S. . Wilhelm von Schröder verweist zudem auf England als Modell, siehe etwa Schröder, Fürstliche Schatz- und Rentkammer, S. f. Schröder, Fürstliche Schatz- und Rentkammer, Capitel : wie durch diese Handlung nicht allein in einem lande der mangel ersetzet, sondern wie es auch reich dadurch wird, in exempeln angezeiget, S. . Er führt im Anschluss noch weiter aus: „Norwegen hat es zu seinem wald gemacht; den Rheinstrom in Deutschland, Aquitanien in Frankreich, haben sie zu ihren weingärten ausgelesen: Schlesien, Pohlen, Sachsen, Spanien und Irland, müssen ihre Schafställe seyn; Pommern und Preußen müssen für sie ackern und das brod schaffen; in arabien haben sie ihren küchengarten, und in Indien ihren pflanzgarten gepflanzet. Es wächset bey ihnen kein holz, und
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Er verweist dabei auf den niedrigen Zinssatz als Grundlage dieses florierenden Handels: Das fundament des florirenden handels in holland ist, daß das geld auf zinse gegen dritthalb oder drey, auch wol zwey pro cento jährlich ohn einiges unterpfand auch an Kaufleute gethan wird. Dagegen in andern ländern von dem gelde, auf unbewegliche güter ausgezahlet, viel eine grössere rente muß bezahlet werden, als im Reich fünf pro cent, in den kayserlichen erbländern aber 6 pro cent gewöhnlich gegeben werden.¹⁶
In der Folge erläutert Schröder die Ursachen, die einen solchen niedrigen Zins ermöglichen und fasst abschließend unter Verweis auf die eigene Nachholbedürftigkeit zusammen: §4 Ist derowegen erstlichen, der überfluß des geldes, zum andern der mangel groser landgüter; drittens, die harte accisen und imposten, absonderlich aber der hunderste pfennig, und viertens die stricte justiz, welche in der geschwinden execution bestehet, die ursach, daß in holland um so geringes interesse, als 2 oder 2 und einen halben pro cento, die capitalien und zwar ohne hypothec ausgeliehen werden. […] §5 Nun scheint, daß ein solch geringes interesse in diesen landen nicht zu hoffen sey. Dieweilen ein solcher überfluß an gelde nicht ist, beydes, dieweilen unser land zu commercien nicht allerdings sowol gelegen ist aus mangelung der see als auch unser unwissenheit und unverstandes in commercien und manufacturen.¹⁷
Auch Johann Joachim Becher betont im Anschluss an die Darlegung seiner Grundsätze die Vorreiterrolle Hollands, die mit ihrem freien und entschlossenem Handel den „Teutschen“ weit voraus seien: […] dieses ist nun/ was ich proponirt/ eine Sach/ die man täglich vor Augen siehet/ daß es Franckreich/ Engellandt/ Schweden/ vor allem aber Holland thut/ dann wann wir ein klein wenig nur nachsinnen wollen/ wordurch (sic!) Hollandt/ ein schlechte Graffschafft/ zu solchem Stand kommen seye/ daß es allein nunmehr an Mitteln als das gantze Römische Reich vermag/ so kan man keine andere Ursach finden/ als die Commercien/ ihre libertät und resolution solche zu führen/ sie verarbeiten Seiden und wächst keine im Land/ sie holen frembder Leut Flachs und Hanff/ machen Spitzen und schöne Leinwand darvon/ […]. Etliche unserer Teutschen Staatisten meinen nit/ daß an den Commercien und derer Auffnehmen so viel gelegen/ sondern machen vielmehr aus ihrer Statistica eine materiam commerciorum, aber die holländer machen e contrario aus den comerciis eine materiam
dennoch ist bey ihnen der Stapel von holz, also daß sie jährlich über Schiffe für sich und für andere bauen können. […] Sie haben keine wolle, und dennoch ist der stapel aller wollenen manufacturen in holland, also daß, wenn holland des handels mit fremden waaren beraubet würde, solches nichts, ja gar nichts seyn würde.“ Schröder, Fürstliche Schatz- und Rentkammer, S. . Schröder, Fürstliche Schatz- und Rentkammer, S. .
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Status, und führen so kostbahre Krieg darum/ sie wissen wol/ daß die Commercien ihr Land Volckreich/ Nahrhafft/ und rechte Gemeinschafft darinnen machen/ dann allezeit einer von dem andern lebt/ sie haben ihre mächtige Kauffmans-Compagnien/ die auch König und herren trutzen können […] mit einem Wort/ sie sind in ihrem Handel so genau und profitlich/ daß ihretwegen das Sprichwort erwachsen/ wo Holländer hinkommen/ da wächst kein Gras mehr/ da ist nemlich nichts mehr zu thun/ dann durch ihren Handel saugen und ziehen sie das Geld von allen Orten an sich/ durch tausend Handgriff und Vortheil/ sie hohlen und bringen was nöthig/ und darinnen sind sie Diener der gantzen welt/ welche sie in dessen durch süssen Müssigang einwiegen/ dieses nun/ und dergleichen mehr thun die holländische/ und um so viel sicherer/ dieweil wir es nicht thun […] Diese treffliche/ und Hauptvortheil haben wir in Teutschland/ und stehen doch still/ lassens solche thun/ die dergleichen nicht haben/ und das zwar thun wir nur darum/ diweil es bald hie /bald dort/ bald an der resolution, bald an was anders fehlet.¹⁸
Während Becher und Schröder die tatsächliche Umsetzung einer solchen Politik für die Territorien im Reich noch skeptisch und in weite Ferne gerückt sahen,¹⁹ versuchte man sich in Frankreich unter Louis XIV und dessen contrôleur général des finances Jean-Baptiste Colbert (1619 – 1683) bereits an einer solchen Wirtschaftspolitik. Durch den Abbau von Binnen- und Einfuhrzöllen, der arbeitsteiligen Organisation der Manufakturen, eine Verallgemeinerung der Zunftverfassung, den Ausbau der Infrastruktur sowie der rechtlichen Neuordnung des Marktes (Ordonnance sur le commerce vom März 1673) und der Kopplung von Steuererlassen an die monetäre Zirkulation versuchte Colbert Wachstum und eine positive Handelsbilanz für Frankreich zu erreichen.²⁰ Doch die andauernde Krise in der Landwirtschaft wirkte sich zunehmend auf das vornehmlich für den Binnenmarkt produzierende Textilgewerbe aus. Zudem wurde die wirtschaftliche
Becher, Politische Discurs, S. – . Eine der wenigen Autoritäten, die beide Autoren überhaupt anführen, ist konsequenterweise dann auch Pieter de la Court ( – ). Siehe Schröder, Fürstliche Schatz- und Rentkammer, S. ; zu Bechers Bezug vgl. Simon, „Gute Policey“, S.. Siehe etwa Schröder, Fürstliche Schatz- und Rentkammer, Vorrede, §: „Ich weis zwar wohl, daß ich in diesem tractätlein ein Utopiam beschrieben habe, zweifele auch, ob jemand an solchen einen gefallen haben werde.“; Vgl. dazu auch Simon, „Gute Policey“, S. , der zugleich auf Achim Landwehrs Studie (Policey im Alltag. Die Implementierung frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg (Studien zur Policey und Policeywissenschaft). Frankfurt a.M. .) und die Tatsache verweist, dass sich die Gesetzgebungspraxis in einzelnen Territorien im Reich auch bereits im . Jahrhundert sehr wohl „wirtschaftlicher Rechtfertigungsmuster“ bediente. Vgl. Lepetit, Bernard: Frankreich – . In: Handbuch der europäischen Wirtschaftsund Sozialgeschichte. Bd. : Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des . Jahrhunderts bis zur Mitte des . Jahrhunderts. Hrsg. von Ilja Mieck. Stuttgart . S. – . S. – ; Malettke, Klaus: Die Bourbonen. Bd. : Von Heinrich IV. bis Ludwig XIV. – . Stuttgart . S. – .
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Konjunktur weiter durch die internationale Konkurrenz beeinflusst. Gerade Frankreichs Bemühungen im Fernhandel Fuß zu fassen und der damit verbundene Ausbau der Kriegs- und Handelsflotte, scheiterten vielfach. Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts wurden zahlreiche Handelsorganisationen gegründet und wieder aufgelöst. Auch die 1664 gegründete Ostindische Kompanie konnte keine Erfolge verbuchen und wurde schließlich 1716 als eigenständige Kompanie eingestellt. Erst der Friede von Rijswyk (1697) und der damit verbundene Erwerb des Monopols für den afrikanischen Sklavenhandel versprachen ersten Profit für Frankreich.²¹ Die insgesamt sehr schlechte Lage der französischen Wirtschaft am Ende der Herrschaft Ludwigs XIV. rief auch Gegenstimmen hervor. Deren Wirksamkeit blieb aber begrenzt.²² Und so blieb die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auch unter Colberts Nachfolger Pontchartrain (1643 – 1727) trotz einiger Neuerungen (etwa der Einrichtung des Conseil de Commerce) dieselbe.²³ Pontchartrain setzte dabei Colberts Ansatz einer begleitenden ökonomischen Pädagogik fort. Der Conseil de Commerce förderte im Zuge dieser Pädagogik in den 1680er Jahren ein neuartiges enzyklopädisches Projekt der Gebrüder Jacques (1657– 1716) und Philemon Savary (1654 – 1724): Der Dictionnaire Universel de Commerce, der nach langen Ankündigungen schließlich erst 1723 veröffentlicht wurde, enthielt nach eigener Angabe im Titel tout ce qui concerne le commerce qui se fait dans les quatre parties du monde und le detail du commerce de la France en general. ²⁴ Sowohl in der Widmung²⁵ als auch im Vorwort formulieren die Autoren klar das Ziel ihres Werks: C’est principalement pour leur [nos Negocians] faciliter les moyens de faire heureusement ce Commerce, tant au-dedans qu’au dehors du Royaume, & pour aider les François à
Vgl. Lepetit, Frankreich – , S. . Vgl. Lepetit, Frankreich – , S. . Vgl. Lepetit, Frankreich – , S. . Dictionnaire Universel de Commerce, contenant tout ce qui concerne le commerce qui se fait dans les quatre parties du monde […] Ouvrage posthume du Sieur Jacques Savary des Bruslons […] continué sur les memoires de l’Auteur et donné au Public par M. Philemon Louis Savary. Chanoine de l’Eglise Royale de S. Maut des Fossez, son Frere. Tome Premier. A Paris (chez Jacques Estienne) . Der Dictionnaire Universel de Commerce wurde zunächst von Jacques Savary des Bruslon, Inspecteur general des Manufatures pour le Roy à la Douane de Paris begonnen, und nach dessen Tod von seinem Bruder Philemon Louis Savary weitergeführt und publiziert. Schon der Vater der Brüder, Jacques Savary ( – ), war an der Ordonnance sur le commerce beteiligt gewesen und Autor eines weit verbreiteten kaufmännischen Handbuchs, dem Parfait Negociant ().Vgl. dazu Schefold, Savarys „Parfait Negociant“. Siehe Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., Epistre (o.P.): „[…] pour le retablissement de notre Commerce“.
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profiter des grands avantages qu’ils ont de ce côté-là sur toutes les autres Nations, qu’on leur offre aujourd’hui ce Dictionnaire universel de Commerce.²⁶
Der Dictionnaire sollte als Anleitung zum erfolgreichen Handeln fungieren, um die Vorteile Frankreichs, die es gegenüber anderen Nationen habe, in Binnen- und Außenhandel ausspielen zu können. Der Handel, so stellen die Brüder Savary gleich zu Beginn fest, sei das grundlegende Mittel, um Stärke und Reichtum eines Gemeinwesens hervorzubringen und deshalb von vorrangigem Interesse für jede Regierung: En effet, pour ne parler d’abord que de l’utilité de la matiere qu’on traite dans ce Dictionnaire, il faut convenir qu’il n’en est point qui interesse plus de monde, & dont il soit plus nécessaire & plus avantageux d’être instruit. […] Mais à l’égard du Commerce, c’est un moyen universel qui s’offre également à tout le monde. Les Etats les plus florissans y trouvent leur force & leur gloire ; les Souverains le fond le plus juste & le plus sur de leurs finances […] & le seul moyen de subsister avec commodité, & même avec éclat.²⁷
Trotz bester Voraussetzungen²⁸ habe Frankreich es bisher aber nicht geschafft, sich ausreichend auf den Handel als politisches Mittel zu konzentrieren und daraus Profit zu erwirtschaften. Es bedürfe daher beispielhafter Modelle: On sera surpris que parmit tant d’exemples des avantages que le Negoce produit dans les Etats où il est florissant, la France n’en ait fournit aucun: On avoue à regret que du côté du Negoce, les François d’apresent sont moins en état de servir modele, qu’ils n’ont besoin d’être animez par l’exemple des autres.²⁹
Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., S. xiv. Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., S. i. Eine Definition dessen, was die Autoren unter Commerce verstehen, findet sich im Dictionnaire unter einem eigenen Lemma: „Commerce, se dit de tout échange, vente, achat, trafic, ou négoce de marchandises; même de celui qui se fait seulement ou en argent, ou en papier. […] Le Commerce, sur le pied qu’il est presentement, se divise en Commerce de terre, & en Commerce de mer; en commerce de proche en proche, & en Commerce par des voyages de long cours; en Commerce interieur, & en Commerce exterieur; enfin, en Commerce en gros, & en Commerce en détail.“ (Dictionnaire Universel de Commerce, Bd. , Sp. – ). Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., S. xii: „En un mot, on peut dire, & le dire sans exageration, que la France réunit chez elle tous les avantages de Commerce que si trouvent comme partagez entre le reste des Peuples de l’Europe; & que se suffisant à elle-même, elle pouroit absolument se passer des autres Nations, & se contenter de sa propre abondance; tandis qu’elles de leur côté auroient peine à subsister sans notre secours, & que l’on verroit bientôt tomber ce grand Commerce dont quelques unes sont si fieres, & avec tant de raison, si elles cessoient de recevoir de nous ce nombre infini de marchandises qui leur sont necessaires, & qu’elles ne trouvent que difficilement ailleurs.“ Dictionnaire Universel de Commerce, Bd. , S. xif.
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Solche beispielhaften Modelle suchen die Autoren im Zuge eines historischen Überblicks im Vorwort und auf dem Wege der Artikeleinträge zu den einzelnen Staaten Europas. Venedigs Handel wird dabei als noch relativ beachtlich,³⁰ aber insgesamt im krisenhaften Zustand bewertet: Venise étoit dans cet état de prosperité & de gloire lorsqu’elle éprouva le fort de tant de Villes puissantes, que la chûte de leur Commerce avoit ou ruinées ou affoiblies. Elle trouva dans la diminution du sien, le terme fatal de cette puissance qui avoit donné de la jalousie à ce grand nombre de Princes […] parce que la Republique ne trouva plus les mêmes ressources qu’autrefois dans le Negoce de ses Marchands, déjà de beaucoup affoibli par la perte de celui des Epiceries, que les Portugais avoient commencé de leur enlever, & qui étoit encore diminué d’un autre côté par nos Provençaux […]. ³¹
Leuchtendes Vorbild sind hingegen auch hier die Vereinigten Provinzen, deren Eintrag, so betonen die Autoren, deshalb auch neben dem zum Handel Frankreichs der längste im ganzen Dictionnaire sei: Rien ne donne une plus grande, & une plus magnifique idée de ce Commerce, que l’état florissant de la Republique de Hollande; aussi jamais aucune Nation n’en a-t-elle fait un si étendu; ce qui va engager à un plus grand détail de son négoce, que tout ce qu’on a dit, ou que l’on dire dans la suite des autres Nations du Monde, à la réserve du Commerce de la France.³²
In diesem Eintrag, in dem sich die Brüder Savary explizit auf William Temple als grundlegende Quelle beziehen,³³ konstatieren sie vier grundlegende Erfolgsfaktoren der Nordseerepublik: 1) der große Kreditrahmen der Amsterdamer Bank, 2) die große Anzahl an Handelsschiffen mit einem immensen Warenspektrum an Bord, 3) die Sicherheit, die der Staat den Händlern und Kaufleuten gewährleistet
Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., Sp. : „[…] le Commerce qu’ils font encore, ne laisse pas d’etre un des plus considerables de l’Europe.“ Dictionnaire Universel de Commerce, Bd. , S. vi. Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., Sp. . Der Eintrag erstreckt sich von Sp. bis Sp. . Schon im Vorwort betonen die Gebrüder Savary den immensen Reichtum, den die Holländer allein durch den Handel erlangt hätten und der sie den großen Monarchien ebenbürtig mache. Keine auswärtige Macht, so hier das Fazit, könne die Holländer schlagen. Allein sie selbst könnten einen solchen Fall verursachen („[…] qu’il n’y a point de Puissances Etrangeres qui paroissent capables de les ébranler jamais; y aïant bien de l’apparence que la chute ne viendra que d’elle-même […].“). Siehe Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., S. viii. Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., Sp. . Im Vorwort verweisen die Autoren außerdem noch auf Jean Pierre Ricards Negoce d’Amsterdam, das in Paris veröffentlicht worden war (siehe Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., S. xxi).
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und 4) die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der die niederländischen Händler international agieren.³⁴ Zudem betonen die Autoren die Rolle der französischen Flüchtlinge, die nach dem Edikt von Nantes die niederländischen Manufakturen mit französischem Fachwissen perfektioniert hätten.³⁵ Erwähnenswert ist, dass das Dictionnaire auch einen Eintrag zur Eidgenossenschaft bereithielt. Dieser fiel zwar im Vergleich relativ kurz aus, nahm die Schweiz aber zumindest in den Blick und bewertete deren (Außen‐)Handel durchaus positiv.³⁶ Schärfer ins Gericht gingen die Autoren in ihrer Analyse, wie bereits erwähnt, mit Frankreich selbst, deren Handelsstrukturen sie als unbedingt reformwürdig ansahen. Tatsächlich unterschieden sich die französischen Regionen stark hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung und Wachstumsraten. Alle waren allerdings vom übergeordneten, immensen Problem der wachsenden Staatsverschuldung Frankreichs betroffen.³⁷ Die große Zahl an europäischen Kriegen, die nicht selten auch auf Schauplätze in Übersee übergingen und zu einem großen Teil durch divergierende Handelsinteressen ausgelöst worden waren, ließen den Finanzbedarf der Krone ins Unermessliche steigen. Dieser Bedarf konnte nur über Steuern oder Staatsanleihen gedeckt werden. Schon der Krieg gegen die Niederlande (1672– 1678/79) erforderte hohe Summen und dementsprechend rigide steuerpolitische Maßnahmen, die in einigen französischen Provinzen bereits Widerstand und Unruhen hervorriefen (vor allem in Bourdeaux und der Bretagne). Nahtlos schlossen sich im Zuge der Reunionspolitik Ludwigs XIV. zahlreiche militärische Auseinandersetzungen an diese erste gravierende Phase an. Im nun folgenden Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688 – 1697) sah sich Frankreich erneut einer kostenintensiven Auseinandersetzung mit den europäischen Nachbarn ausgesetzt. Allerdings brachte der Friede von Rijswik (1697) dem französischen Handel zunächst einmal eine gute Ausgangsposition, die unter anderem dem für Frankreich so
Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., Sp. f. Mit crédit könnte hier auch die hohe Vertrauens- und Glaubwürdigkeit der Amsterdamer Bank gemeint seien. Dictionnaire Universel de Commerce, Bd., Sp. f. Dictionnare Universel de Commerce, Bd. , , Sp. : „La Suisse si connuë par la candeur, la fidelité & la bravoure de ses habitans, est aussi très-celebre par le commerce que la plûpart des principales Villes de ses cantons font avec les Etrangers.“ Der Eintrag erstreckt sich von Sp. – Sp. (inklusive Genf). Zur Staatsverschuldung vgl. den Überblick bei Isenmann, Moritz: Wachstum durch Schulden? Staatsverschuldung und die Diskussion über den öffentlichen Kredit im Frankreich des Ancien Régime. In: Vom Wohl und Wehe der Staatsverschuldung. Erscheinungsformen und Sichtweisen von der Antike bis zur Gegenwart. Hrsg. von Thorsten Beigel. Münster . S. – .
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profitablen Dreieckshandel zu einer ersten Blüte verhalf.³⁸ Doch diese Phase der relativen Erholung währte nicht lange. Mit Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges 1701 stand Frankreich erneut in einem militärischen Konflikt gegen den Kaiser und dessen Allianz mit England und den Vereinigten Provinzen.Wiederum war die französische Krone in großer Finanznot und erließ regelrechte Notstandsmaßnahmen, um diese zu beheben. Angesichts von Hungerkrisen (1709/ 1710) und allgemeinen Missständen wuchs auch eine von Teilen des Adels getragene, sozial-religiöse Reformbewegung heran. Der Friede von Utrecht (1713), der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete und unter anderem den Verlust des Sklavenhandelsprivilegs an die Engländer bedeutete, fungierte dann schließlich auch als eine Art Startpunkt einer noch intensiveren Auseinandersetzung mit wirtschaftspolitischen, vor allem handelstechnischen Fragen. Diese Fragen und mögliche Lösungsansätze wurden vorwiegend in einem neuen Genre, den Histoires du Commerce, verhandelt.³⁹ Einer der zeitgenössisch am stärksten rezipierten Autoren auf diesem Feld war der unter Jacques-Bénigne Bossuet als Assistenzlehrer des Dauphin angestellte Pierre-Daniel Huet (1630 – 1721).⁴⁰ Seine komparativ angelegte Histoire du Commerce & de la Navigation des Anciens wurde 1716 publiziert und erfuhr bereits 1717 zahlreiche Neuauflagen und Übersetzungen.⁴¹ Mindestens ebenso stark nachgefragt war ein weiteres Traktat desselben Autors, welches Huet wohl schon früher, auf Drängen Colberts verfasst,⁴² aber erst 1712 publiziert hatte: Le Grand Tresor Historique et Politique Du Florissant Commerce des Hollandois, dans tous les etats et empires du Monde. Quelle est leur maniere de le faire, son origine, leur grand progrès, leurs possessions & gouvernement dans les Indes. Comment ils se font rendus maîtres de tout Commerce de l’Europe. […] Ouvrage aussi curieux que nécessaire à tous les Négocians. Très propre à rétablir le Commerce de France. ⁴³
Vgl. Lepetit, Frankreich – , S. . Am meisten profitierten davon Hafenstädte wie Nantes, Bordeaux und La Rochelle. Paul Cheney spricht von einem „wake-up call“ einer neuen „science of commerce“ in Frankreich. Cheney, Paul: Revolutionary Commerce. Globalization and the French Monarchy. Harvard [u. a.] . S. . Vgl. auch Cheney, Revolutionary Commerce, S. und S. . Pierre-Daniel Huet war Jesuit, ehemaliger Bischof von Soissons und Avranches und Herausgeber mehrerer lateinischer Texte sowie von Kommentaren zur Bibel und Descartes. Vgl. dazu Whatmore, „Neither Masters nor Slaves“, S. . Huet, Pierre-Daniel: Histoire du Commerce & de la Navigation des Anciens. Amsterdam (chez Humbert&Mortier) . Vgl. Cheney, Revolutionary Commerce, S. . Vgl. Cheney, Revolutionary Commerce, S. . Huet, Pierre-Daniel: Le Grand Tresor Historique et Politique Du Florissant Commerce des Hollandois, dans tous les etats et empires du Monde. Quelle est leur maniere de le faire, son origine, leur grand progrès, leurs possessions & gouvernement dans les Indes. Comment ils se font
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Während das erklärte Ziel dieser Abhandlung bereits im Untertitel anklingt (rétablir le Commerce de France), so wird es im Vorwort des Autors noch einmal explizit deutlich: Es gelte, den Handel Frankreichs wieder zu erwecken, zu verbessern und auf diese Weise zur führenden Handelsnation aufzusteigen.⁴⁴ Dafür müsse der Unwissenheit in dieser Materie, vor allem bei den politisch Verantwortlichen, Abhilfe geschaffen werden.⁴⁵ Denn der Handel müsse fortan als Primat der Politik gelten.⁴⁶ Nicht Edelmetalle, das habe das Beispiel Spaniens gezeigt, sondern der erfolgreiche Handel garantiere Reichtum.⁴⁷ Alle anderen Faktoren wie Stabilität, Ruhe und Wohlstand der einzelnen Bürger würden von diesem einen Element abhängen.⁴⁸ Kein anderer Staat, so führt Huet aus, könne dabei besser als beispielgebendes Modell dienen als Holland: „j’ai crû que rien n’y seroit plus propre que de faire connoître celui des Hollandois, puis qu’il est répandu par toute la terre, & que c’est par son moyen que leur état Républiquain, tient un rang si considérable parmi tous les autres Etats de l’Europe.“⁴⁹ Hier sieht er die entscheidenden Strukturelemente, nämlich Freiheit im Sinne fehlender Einschränkungen und Sicherheit für die Handeltreibenden, gewährleistet: Les Etats Generaux des Provinces-Unies, voyant que l’industrie de ces Marchands étoit d’un si grand secours à la République, les protegerent & favoriserent en toutes choses; & l’on peut dire que sans eux, elle auroit eu de la peine à finir la Guerre aussi glorieusement
rendus maîtres de tout Commerce de l’Europe. […] Ouvrage aussi curieux que nécessaire à tous les Négocians. Très propre à rétablir le Commerce de France. A Rouen (chez Ruault) . Zitiert und rezipiert wird in der Folge meist die leicht abgeänderte Ausgabe von : Huet, Pierre-Daniel: Memoires sur le Commerce des Hollandois. A Amsterdam (chez Emanuel du Villard) . Zu Rezeption und Inhalt des Traktats vgl. auch Whatmore, „Neither Masters nor Slaves“, S. – . Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.): „Preface de l’auteur, pour réveiller le Commerce de France, & le faire prévaloir à tout autre. […] Il est fort à désirer que nous ouvrions les yeux assez tôt sur une matiere aussi importante & nécessaire que celle du Commerce, & que nous sçachons prendre de justes mesures pour faire réüssir une chose d’où dépend en quelque façon le bonheur de tous les Sujets du Roy, & la grandeur de l’Etat.“ Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.): „[…] qu’il m’a paru que cette matiere étoit peu connuë en France, & particulierement des personnes qui remplissent les charges & les emplois publics, soit de Justice, Police, ou des Finances; cependant elle est d’une si grande importance […].“ Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.): „[…] il y a peu de chose dans le gouvernement qui mérite plus d’attention que le Commerce. […] c’est le principal motif qui a causé les dernieres Guerres, & particulierement celle d’apresent. On demeurera d’acord que le Commerce doit tenir un grand rang dans la Politique moderne.“ Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.). Vgl. auch Huet, Le Grand Tresor, S. . Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.). Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.).
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qu’elle se fit. Voila ce que peut pour le bien d’un Etat un Commerce conduit avec prudence, & par de fort habiles Negocians qui sont protegez sans être constraints.⁵⁰
In der folgenden Abhandlung, die sich vornehmlich mit den verschiedenen Warenströmungen und Handelsstrategien der Niederländer in den unterschiedlichen Regionen der Welt auseinandersetzt, betont Huet weiterhin den Aspekt der Freiheit des Handels. Einschränkung, so die personifizierende Wertung des Franzosen, sei der Todfeind des Handels: „Le Commerce qui n’a point de plus mortel ennemi que la contrainte, […].“⁵¹ Immer wieder hebt Huet darüber hinaus die tragende Rolle der immigrierten, vor allem auch der französischen Glaubensflüchtlinge für den Erfolg des niederländischen Handels hervor.⁵² Indem die Vereinigten Provinzen, im Unterschied zu anderen Staaten, Ausländern keine Hindernisse in den Weg stellen würden, hätten sie größtmögliche Attraktivität für Einwanderer mit wirtschaftlicher Kompetenz erlangt. Der Flüchtlingszustrom habe zudem einen besonderen Standortvorteil der Holländer verstärkt: die große Bevölkerungszahl im Verhältnis zu einem relativ kleinen Territorium. Daraus lasse sich schlussfolgern, dass das Überleben eines Gemeinwesens nur dann garantiert werden könne, wenn sich dieses auf den Handel als wichtigsten Wirtschaftsfaktor konzentriere. Dies sei der genuine Ursprung des niederländischen Erfolges.⁵³ Als weiteren wichtigen Erfolgsfaktor hebt Huet zudem die gute Infrastruktur und Förderung der Handelsflotte hervor. Denn die Schifffahrt sei die Seele des Handels.⁵⁴ Die Niederländer hätten dies erkannt und die Präsenz ihrer Handelsschiffe sei, zum jetzigen Zeitpunkt, aufgrund der dadurch generierten Einnahmen, noch ein Glück für französische Häfen.⁵⁵
Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.). Huet, Le Grand Tresor, S. . Vgl. auch Huet, Le Grand Tresor, S. . Ähnlich argumentiert Huet auch hinsichtlich der Produktion. Er bezeichnet die geringen Abgaben, die Niederländer und Engländer ihren Manufakturen auferlegen, als „weise Politik“. (Huet, Le Grand Tresor, S.). Siehe Huet, Le Grand Tresor, S. , S. , S. , S. : „Mais après cela, je ne vois pas que rien ait tant augmenté le nombre des habitans & des Manufactures d’Hollande, que les Religionnaires François, presque tous Marchands, ou Artisans qui s’y sont réfugiez depuis ou années. Enfin, il faut tenir pour chose fort assurée, que toutes les fois que le commerce sera gené, & contraint dans un état, il se retirera toûjours dans ceux où il connoîtra être le plus en sûreté, & où il sera le plus favorablement traité, ce qui ne sçauroit mieux convenir qu‘ à la Hollande.“; siehe auch S. und S. . Huet, Le Grand Tresor, S. . Huet, Le Grand Tresor, S. f. Huet, Le Grand Tresor, S. und S. .
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Insgesamt sieht er Frankreichs Voraussetzungen und Chance, eine große Handelsnation zu werden, als überaus positiv an. Die Verfassungsform, so macht Huet deutlich, spiele hinsichtlich des Handelserfolges jedenfalls keine entscheidende Rolle: Cela fait assez voir que le trafic peut fleurir dans une Monarchie, aussi bien que dans un Etat libre, lors qu’on sçait bien le ménager; […] J’ai été souvent dans l’erreur commune inveterée, qu’il n’y avoit que les Republiques qui pouvoient bien faire le commerce; mais j’ai bien changé de sentiment, après avoir examiné les choses de prés, entendu discourir sur cette matiere quelques-uns des plus habiles négocians & politiques d’entre les Anglois & les Hollandois; & après avoir bien refléchi sur l’heureuse situation, & la fertilité de la France, sur l’industrie de ses habitans, & sur la nature de son gouvernement: De sorte que je suis très convaincu, (& que même il est facile d’en convaincre les autres) qu’on y peut faire fleurir le Commerce tout aussi bien que dans une Republique; & par ce moyen rendre cette Monarchie la plus puissante qui ait jamais été.⁵⁶
Hier wird folglich explizit betont, dass der Handelserfolg einer Republik als Blaupause für die französische Monarchie dienen könne. Zu dem Zeitpunkt, an dem Huets Abhandlung veröffentlicht wurde, hatte diese Monarchie aber weiterhin mit einer enormen Staatsschuldenlast zu kämpfen, der die politisch Verantwortlichen seit dem Tod Colberts (1683) mit einem Strategiewechsel in der Finanzpolitik entgegenzuwirken suchten. Die Öffnung für monetäre Spekulationen und eine gezielte Inflation destabilisierten dabei das französische Wirtschaftssystem. Die französischen Staatspapiere wurden zunehmend unattraktiv. Als die französische Krone sich angesichts der Kreditklemme während des Spanischen Erbfolgekrieges 1706/1707 gezwungen sah, Zwangsanleihen durchzuführen, war das Vertrauen der französischen Anleger nachhaltig erschüttert. Nach dem Tod Ludwigs XIV. 1715 fielen die Staatspapiere sogar um bis zu 90 Prozent unter ihren eigentlichen Nennwert und auch die zwei Jahre später angestrebte Münzreform scheiterte.⁵⁷ Der Schotte John Law (1671– 1729), der als neuer Finanzminister die problematische Situation lösen sollte, gründete eine neue Handelskompanie (Compagnie de la Louisiane ou d’Occident), die schon bald alle bisherigen Handelskompanien in sich vereinen sollte und unterkapitalisiert, also mit noch nicht realisierten Erträgen die Aktien deckend, handelte. Zudem fun-
Huet, Le Grand Tresor, S. f. Paul Cheney konstatiert allerdings unter Verweis auf unpublizierte Manuskripte von Huets Texten im Archive du Ministère des Affaires Etrangères einen „implicit criticism of absolutist France“ und eine „republican analysis of commerce“, da er unter anderem die „republican form of government“ als Grundlage des wirtschaftlichen Erfolges gesehen habe. (Cheney, Revolutionary Commerce, S. und FN ). Vgl. Lepetit, Frankreich – , S. .
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gierte Law als Direktor der neu gegründeten Banque Royale und versuchte die Wirtschaft auf der Grundlage von Papiergeldemissionen anzukurbeln.⁵⁸ Die seinen Vorstellungen zu Grunde liegende Theorie hatte er bereits 1705 in seinem Traktat: Money and Trade Consider’d, with a Proposal For Supplying the Nation with Money dargelegt.⁵⁹ Die Vereinigten Provinzen spielten hier als Analysebeispiel neben England und Schottland eine wichtige Rolle. Law unterstrich ebenfalls deren Vorbildhaftigkeit und nannte ähnliche Erfolgsfaktoren wie Schröder, Becher, der Dictionnaire Universel und Huet. Die naturgegebenen Nachteile (geringe Größe des Territoriums, Unfruchtbarkeit des Bodens, geringe Produktion, kaum Rohstoffe, lange Winter, schlechte Luft, Marschboden als Gebäudegrundlage, eine gefährliche Küste, ein schwieriger Zugang zu den Flüssen, mächtige Nachbarstaaten und hohe Steuern, die aus diesen Nachteilen notwendigerweise resultieren müssten) hätten die Niederländer durch geschickte Politik ausgeglichen.⁶⁰ Ja, sie hätten die wenigen naturgegebenen Vorteile (Nähe zu den deutschen Flüssen und zum blühenden Handel) so genutzt und strukturell gefördert, dass sie reich und mächtig geworden seien: Yet they have so improv’d their few Advantages, that they are become a rich and powerful People. What has contribut to their Riches and Power, was the early Protection and Favour the Government gave to Trade; the Liberty was given to People of different Religions; the freedom of Trade allowed to Strangers; the Example of their Rulers to Oeconomy; but chiefly the neglect of Trade in other Countries, particularly in Spain, who forc’t the People and Trade of Flanders to Holland.⁶¹
Law kommt zu dem Schluss: Hätten andere Nationen mit viel größeren naturgegebenen Vorteilen wie Schottland, aber auch Spanien, Frankreich oder jetzt Großbritannien, die selben Maßnahmen wie die Holländer ergriffen, so wären sie bereits viel erfolgreicher als die kleine Nordseerepublik.⁶² Deren Zukunft sieht der Schotte dabei weiterhin sehr positiv:
Zur Person und Politik John Laws vgl. Murphy, Antoin E.: John Law. Economic Theorist and Policy-Maker. Oxford . Law, John: Money and Trade Consider’d, with a Proposal For Supplying the Nation with Money. Edinburgh (printed by the Heirs and Successors of Andrew Anderson) . Law, Money and Trade, S. . Law, Money and Trade, S. . An anderer Stelle betont Law die Sicherheit und die enormen Vorteile für den Handel, die aus der Einrichtung der Amsterdamer Bank resultieren würden (vgl. Law, Money and Trade, S. f.). Law, Money and Trade, S. : „If the same measures had been taken in Scotland for encouraging Trade, as was taken in Holland, we had been a more Powerful and Richer Nation than Holland. If Spain, France and Brittain, or any one of them had apply’d to Trade, as early, and upon the same measures Holland did; Holland would not have been inhabit.“
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
That in all appearance so long as Silver is used as Money, the great Quantity they have of it, with their great Oeconomy, enabling them to under-sell other Nations; They will maintain the Rang they hold in Trade, and consequently in Power; notwithstanding their natural Disadvantage, the present Application, and natural Advantages of other Nations.⁶³
Laws System führte in Frankreich zu einer Spekulationsblase, die 1720 platzte. Die Banque Royale und die Handelskompanie fielen rapide in ihrem Wert. Langfristig blockierten die Erfahrungen der Mississippi-Bubble die Gründung öffentlicher Kreditanstalten, die von vielen Zeitgenossen aber gerade als wesentliches Element erfolgreicher Handelsstrategien angesehen wurden. Kurzfristig stießen die auf diese Affäre folgenden Entschuldungsvorgänge in Frankreich die Konjunktur wieder an. Die Währung stabilisierte sich Mitte der 1720er Jahre sogar dauerhaft. Einzelne Branchen wie die Textilindustrie konnten sogar ein dauerhaftes Wachstum erreichen.⁶⁴ Diese positiven Auswirkungen wurden von den Zeitgenossen allerdings kaum wahrgenommen.⁶⁵ Dabei waren Diskussionen um konkrete Fragen der Wirtschaftsverwaltung in den verschiedensten Institutionen und Gremien der städtischen und provinziellen Verwaltung nach 1720 nun ständig an der Tagesordnung.⁶⁶ Die Forderung nach einer weisen und bestmöglichen Verwaltung wirtschaftlicher Vorgänge und Institutionen dominierte in der Folge dann auch die ökonomische Literatur der 1730er und 1740er Jahre und verband sich wie bei dem ehemaligen Sekretärs John Laws, François Melon (1675 – 1738), oder André François Deslandes (1689 – 1757) nun mit den Fragen einer neuen Luxusdebatte.⁶⁷ Der positiven Konnotierung der Vereinigten Provinzen tat diese Verbindung beider Debatten keinen Abbruch. Auch England erlebte 1720 mit der South Sea Bubble die erste große Spekulationsblase an der Börse, die aus sehr ähnlichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen resultierte.⁶⁸ Die 1711 als Aktiengesellschaft gegründete Handelskompanie der South Sea Company erhielt das staatliche Monopol für den Südamerikahandel. Während sich die Ausgangssituation für diese Handelsregion mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges erheblich verbesserte, da England
Law, Money and Trade, S. f. Vgl. Lepetit, Frankreich – , S. – . Vgl. Cheney, Revolutionary Commerce, S. f. Vgl. Lepetit, Frankreich – , S. . Siehe Melon, François: Essai Politique sur le Commerce. Paris ; Deslandes, André François: Essai sur la marine et sur le commerce. Amsterdam (chez F. Changuion) . Vgl. dazu Lepetit, Frankreich – , S. ; Cheney, Revolutionary Commerce, S. – . Zu dieser Luxusdebatte vgl. außerdem Kapitel III. der vorliegenden Arbeit. Vgl. dazu Neil, Larry: The Rise of Financial Capitalism. International Capital Markets in the Age of Reason. Cambridge . S. .
1.1 Die Vereinigten Provinzen als Vorbild
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im Frieden von Utrecht wichtige Handelskonzessionen von Spanien zugestanden bekommen hatte, lief der eigentliche Handel dennoch nur langsam an. 1720 übernahm das Unternehmen als Kreditgeber einen hohen Anteil der Staatsschulden und erhielt dafür das Recht, zusätzliche Aktien auszugeben. Der Kurs der Handelsgesellschaft stieg enorm an, vor allem als das Monopol im Sommer 1720 erneut bestätigt wurde. Doch noch vor dem Ausschüttungstermin der ersten Dividende wollten möglichst viele Anleger ihre Gewinne realisieren und der Kurs der Aktie sank ins Bodenlose.⁶⁹ Im Unterschied zu den französischen Institutionen und Kompanien überstanden das englische Bankensystem und der englische Überseehandel diese Krisensituation aber relativ unbeschadet. Dieser Stabilitätserfolg wurde von den Zeitgenossen vor allem mit dem Namen Robert Walpole (1676 – 1745) verknüpft. Walpole, der 1721 das Amt des First Lord of the Treasury übernahm, ließ die South Sea Company nicht auflösen, sondern stützte das Unternehmen, indem die Bank of England und die längst erfolgreiche East India Company die angefallenen Kosten übernahmen. Auf diese Weise konnte er die staatlichen Schuldpapiere absichern. In der Folge versuchte Walpole, über eine defensive Außenpolitik die Staatsverschuldung und damit in Konsequenz vor allem auch die Steuern auf Landbesitz gering zu halten. Wirtschaftliche Anreize erfolgten bei ihm durch eine Vereinfachung des Zollwesens und die Abschaffung von möglichst vielen Einschränkungen des Außenhandels.⁷⁰ In der Konzentration aller wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf den Handel setzte Walpole damit eine Politik fort, die in England spätestens seit der Glorious Revolution und der Thronbesteigung durch den Oranier Wilhelm III. eingesetzt hatte. Das produzierende Gewerbe, das sich vor allem der Textilverarbeitung widmete,wurde in seiner Gestaltung von staatlicher Seite kaum beeinflusst. Die Strukturen passten sich hier zunehmend den Markt- und Kapitalbedürfnissen an, so dass die Zünfte im Laufe der hier betrachteten Periode immer stärker an Einfluss und Privilegien verloren.⁷¹ Während der Binnenhandel vorwiegend alltägliche Gebrauchsgüter umsetzte, bestimmten neben dem Wolltuch vor allem Metallwaren und Güter wie Steinkohle und Getreide den Export. Ein wichtiger Einnahmefaktor wurde zudem der Tran-
Vgl. dazu grundlegend Dickson, Peter: The Financial Revolution in England. A Study in the Development of Public Credit – . London [u. a.] . Und Paul, Helen: The South Sea Bubble. An Economic History of its Origins and Consequences. London [u. a.] , die Dicksons Erklärungen mit Hilfe anderer Quellengattungen modifiziert. Vgl. dazu etwa Haan/Niedhart, Geschichte Englands, S. f. Vgl. Wilson, Charles: England – . In: Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd. : Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des . Jahrhunderts bis zur Mitte des . Jahrhunderts. Hrsg. von Ilja Mieck. Stuttgart . S. – . S. – .
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
sithandel mit Zucker, Tabak, Kaffee, Tee und indischen Tüchern.⁷² Bereits um 1700 konnte England auf diese Weise eine positive Handelsbilanz vorweisen. Wert und Umfang des englischen Handelsvolumens stiegen stetig an und beschäftigten eine schnell wachsende Handelsflotte. Da das Preisniveau stabil blieb, entsprach diese Wertsteigerung des Handelsvolumens auch einem realen Wirtschaftswachstum.⁷³ Grundlage dieser gesunden Währung war die 1696 auf Vorschlag von John Locke (1632– 1704) durch das Parlament umgesetzte Währungsreform und die Entwicklung eines funktionierenden Bankwesens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Neben der Bank of England, die seit 1694 das Monopol für den Aktienhandel innehatte, existierten zahlreiche kleinere Banken, die sich in London schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf bestimmte Geschäftszweige spezialisierten. Immigrierte französische Hugenotten nahmen dabei in den Bankund Finanzkreisen der Londoner City oft führende Positionen ein. Grundsätzlich gelang einem großen Teil der 50.000 – 100.000 nach dem Edikt von Fontainebleau eingewanderten Hugenotten ein rascher Aufstieg in die Mittelschicht der Händler und Gewerbetreibenden. Sie wurden wie die niederländischen Einwanderer vor ihnen zu einem nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftsfaktor.⁷⁴Aufgrund der steigenden Wirtschaftsleistung und des funktionierenden Finanzsystems wurde der Staat – auch nach der South Sea Bubble – weiterhin als kreditwürdig angesehen, sowohl von britischen als auch von ausländischen Anlegern (vor allem auch aus den Vereinigten Provinzen). Eine steigende Staatsverschuldung blieb deshalb möglich. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg betrug sie ca. 50 Millionen Pfund, nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg fast 76 Millionen. In den 1730er Jahren mussten etwa 40 Prozent des Staatshaushaltes zur Deckung der Zinsen und Tilgung der Schulden eingesetzt werden.⁷⁵ Diese Kosten wurden aus Steuereinnahmen bestritten, wobei Zölle und Verbrauchssteuern den größten Anteil abdeckten.⁷⁶ Schwankungen und kurzfristige Einbrüche der wirtschaftlichen Konjunktur ergaben sich vor allem durch Missernten und Kriege. Auch in England wurden im Untersuchungszeitraum von verschiedenen Autoren Strategien entwickelt, die ein erfolgreiches Wirtschaften Englands garantieren sollten. Istvan Hont erläutert diese Lösungsstrategien anhand dreier Autoren, die er als exemplarisch und bedeutend für die wirtschaftspolitische Publizistik zwischen William Temple und der Schottischen Aufklärung ansieht:
Vgl.Wilson, England – , S. ; Haan/Niedhart, Geschichte Englands, S. f. und S. . Vgl. Wilson, England – , S. ; Haan/Niedhart, Geschichte Englands, S. . Vgl.Wilson, England – , S. – ; Haan/Niedhart, Geschichte Englands, S. . Vgl. Haan/Niedhart, Geschichte Englands, S. . Vgl. Wilson, England – , S. .
1.1 Die Vereinigten Provinzen als Vorbild
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Den unter Königin Anna (1665 – 1714) als Inspector-General of Exports and Imports ernannten Charles Davenant (1656 – 1714)⁷⁷, den im neu gegründeten Council of Trade aktiven Politiker John Pollexfen (1636 – 1715)⁷⁸ und den Publizisten Henry Martin (getauft 1665 – 1721), ebenfalls eine Zeit lang Inspector-General of Exports and Imports. ⁷⁹ Davenants Erfolgsstrategie beinhaltete eine konsequente Förderung und möglichst geringe Einschränkung des Handels durch den Gesetzgeber. Das hieß für England, gemäß Davenant, vor allem eine Konzentration auf den uneingeschränkten East India Trade. Die Finanzierung einer Armee und damit von Kriegen dürfe zudem nur über eine positive Handelsbilanz erfolgen. Das neu entwickelte Finanz- und Bankensystem und vor allem eine Finanzierung über Staatskredite seien strikt abzulehnen.⁸⁰ Auch weil die daraus resultierenden hohen Steuerlasten die Sicherheit des Eigentums gefährden würden, die für Davenant die notwendige Grundlage eines gesunden Wirtschaftslebens darstellte.⁸¹ Pollexfen wandte sich gegen Davenants Forderung der konsequenten Marktöffnung und -freiheit. Er plädierte im Gegensatz dazu für mehr Gesetze und Kontrolle und für eine konsequente Förderung der heimischen Industrie, die bei einer
Davenant war bereits vor der Glorious Revolution Commissioner of Excise ( – ), war dann aber ohne Beschäftigung in der Regierung, bis die neue Tory-Regierung unter Königin Anna ihn zum Inspector-General of Exports and Imports berief. Vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. , FN . Die Werke, die Hont analysiert, publizierte Davenant alle zwischen – (vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. , FN .); Vgl. auch Hoppit, Julian: Art. Davenant, Charles ( – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). John Pollexfen war Mitglied im Council of Trade von – . Zuvor hielt er bereits mehrere politische Ämter und war Mitglied in einigen Kommitees, die sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigten. Ausgangspunkt seiner publizierten Abhandlungen war seine Antwort auf Charles Davenant. rekapitulierte er sein gesamtes Werk noch einmal in der Schrift On Trade.Vgl. Grassby, Richard: Art. Pollexfen, John ( – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Martyn publizierte unter anderem im Guardian und im Spectator und fungierte wie Davenant zeitweise als Inspector-General of Exports and Imports. Als radikal wurden zeitgenössisch vor allem seine Ansichten bewertet, die er in dem Pamphlet Considerations upon the East India Trade () vertrat. Seine späteren Schriften schwenkten auf eine „konservativere“ Linie ein.Vgl. dazu Legge, A. E. J.: Art. Martyn, Henry (bap. – ), rev. by Matthew Steggle. In: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ).Vgl. insgesamt Hont, Jealousy of Trade, S. – . Siehe Davenant, Charles: An Essay upon the probable methods of making a people gainers in the balance of trade. In: The Political and Commercial Works of that celebrated writer Charles d′ Avenant. Collected by Sir Charles Whitworth, Member of the Parliament, in five Volumes.Volume . London (printed for R. Horsfield, T. Becket and P.A. de Hondt, T. Cadell and T. Evenas) . S. – . Vgl. Hont, Jealousy of Trade, – .
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
durchaus möglichen Steigerung die Kriegsfinanzierung ebenso leisten könne.⁸² Einen dritten Lösungsvorschlag präsentierte Henri Martyn. Während Davenant und Pollexfen durch unterschiedliche Ansätze vor allem die Preise der Waren und Löhne niedrig halten wollten, um konkurrenzfähig zu bleiben, zielte Martyn auf eine Wettbewerbsfähigkeit durch strukturelle Veränderungen der Arbeitsprozesse.⁸³ Für Pollexfen war Frankreich das nachzuahmende Modell einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik.⁸⁴ Davenant und Martyn hingegen verwiesen auf die Vereinigten Provinzen der Niederlande als Gemeinwesen, in dem zentrale Elemente ihrer Erfolgsstrategien bereits umgesetzt worden waren.⁸⁵ So pries Davenant sowohl die Marktfreiheit, die die Politik in den Niederlanden garantiere, als auch deren Bevorratungspolitik, die etwa einen billigen Einkauf von Getreide und einen Verkauf zu einem höheren Preis an einem späteren Zeitpunkt ermögliche. Er lobte zudem die selektive Sparsamkeit der Holländer, indem sie günstige Waren zu Hause konsumierten und teure Waren exportierten.⁸⁶ Martyn hingegen hob die in den Vereinigten Provinzen bereits etablierte Umstrukturierung von Produktionsprozessen hervor, sei es durch den Einsatz technischer Neuerungen (etwa im Sägewerk) oder durch Arbeitsteilung.⁸⁷ Im krisengeschüttelten und kriegsgebeutelten Europa zwischen 1670 und 1750 wurde der wirtschaftliche Erfolg, und hier vornehmlich der Handelserfolg, wie dargelegt, vor allem aufgrund des hohen Finanzbedarfs, nahezu überall zur diskursiven politischen Norm. Dabei fungierten die Vereinigten Provinzen der Niederlande fast immer als nachahmungswürdiges Modell der Orientierung oder zumindest als bedenkenswerte Reflexionsfolie – und zwar unabhängig vom nationalen, „parteipolitischen“ oder konfessionellen Hintergrund.⁸⁸ Vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. – . Vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. – . Vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. . Siehe etwa Davenant, Discourse on the East India Trade, In: The Political and Commercial Works, Bd. , S. – . S. : „We have set forth some of the methods used by the Dutch, in managing their East India Trade, and what measures may probably contribute to secure our interest there, and render our dealings thither a more national benefit to this kingdom.“ Vgl. dazu Hont, Jealousy of Trade, S. . Siehe Martyn, Henry: Considerations upon the East-India Trade. London (A. and J. Churchill) . S. . S. f. S. . Vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. – . In den eidgenössischen Orten setzten Diskussionen über ökonomische Reformbedürftigkeit und die Abhilfe schaffende, richtige Wirtschaftspolitik in einem zunehmend veränderten Europa erst in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts ein. Mit Ausbruch des Siebenjährigen Krieges ( – ) schien es eidgenössischen Denkern zunehmend unwahrscheinlich, dass die eigenen Gemeinwesen unabhängig von den europäischen Entwicklungen Bestand haben könnten. Béla Kapossy hat dies u. a. für Bern und Zürich gezeigt. (Vgl. Kapossy, Béla: Neo-Roman Republicanism and Commercial Society: The Example of Eighteenth-Century Berne. In: Republicanism.
1.1 Die Vereinigten Provinzen als Vorbild
285
Dabei war die niederländische Wirtschaft in gerade dem hier betrachteten Zeitraum kaum noch erfolgreich, im Sinne einer Profit generierenden Gesamtleistung. Seit den 1660er Jahren setzten ein Abwertungsprozess der Preise und in der Folge sinkende Löhne ein. Die drei Kriege gegen England (1665, 1667, 1672) und vor allem der Krieg gegen Frankreich 1672 bis 1678 sowie die merkantilistisch motivierten Einfuhrverbote der Handelspartner setzten der niederländischen Wirtschaft stark zu. Ganze Branchen wie das Textilgewerbe und der Heringshandel erlebten Absatzkrisen. Auch das Außenhandelsvolumen ging durch die neue Konkurrenz der Engländer und die restriktive Politik Japans in den 1670er und 1680er Jahren stark zurück. Mit kostenreduzierenden Maßnahmen wie der Inbetriebnahme neuer Technologien, Arbeitsprozessoptimierung und der Integration von Niedriglohnarbeitern versuchte die niederländische Politik diesem Negativtrend entgegenzuwirken. Zudem wurden mit dem noch vorhandenen, hohen Kapitalrückhalt risikoreiche Investitionen angestoßen. Dennoch litten einzelne Provinzen unter einer immensen Staatsverschuldung, die stetig zunahm und deren Zinstilgung 1713, nach dem Spanischen Erbfolgekrieg, allein über 70 Prozent des Steueraufkommens der stärksten Provinz, Holland, verschlang.⁸⁹ Doch diese Probleme thematisierten auch die sich exklusiv mit den Vereinigten Provinzen beschäftigenden Traktate kaum. Vereinzelt verwiesen einige dieser Traktate auf das Schicksalsjahr 1672 – oftmals auch mit direktem Verweis auf Temples Abhandlung –, in dem die niederländische Wirtschaft und grundsätzlich das gesamte Gemeinwesen herbe Rückschläge zu erleiden gehabt hätte.⁹⁰ A Shared European Heritage. Hrsg. von Quentin Skinner u. Martin van Gelderen. Volume II: The Values of Republicanism in Early Modern Europe. Cambridge . S. – und Kapossy, Republican Futures. Dabei spielte die durchaus differenzierte Auseinandersetzung mit dem „Modell“ der Vereinigten Provinzen ebenfalls eine wichtige Rolle. Bestimmte, für die Wirtschaft als positiv bewertete Aspekte wie die religiöse Toleranz und die daraus folgende hohe Attraktivität für kompetente Einwanderer wurden als nachahmenswert propagiert. Andere Aspekte, wie der Tugendverfall der niederländischen Bürger, wurden als negativ und zu vermeiden gewertet (Siehe Kapossy, Republican Futures). Vgl. Vries, Jan de u. Ad van der Woude: The First Modern Economy. Success, Failure, and Perseverance of the Dutch Economy, – . Cambridge . S. – . Siehe etwa Anonymus: Les Délices de la Hollande, contenant une description éxacte du Païs, des Moeurs & des Coutumes des Habitans […] Nouvelle edition, considérablement corrigée & augmentée, Tome Premier. A Amsterdam (chez Pierre Mortier) . Avertissement o.P.; Gundling, Nicolaus Hieronymus: Ausführlicher Discours über den ietzigen Zustand der Europäischen Staaten, darinnen von derselben Ursprung, Wachstum, Macht, Commercien, Reichthum und Schwäche, Regierungs-Form, Interesse, Praetensionen und Streitigkeiten […]. Franckfurth und Leipzig . Bd.. S. . (Bei dieser Aussage nimmt Gundling Bezug auf Savary und Huet.); Koehlers, Johann David: Johann David Koehlers erneuerter Entwurf eines Collegii über den gegenwärtigen Zustand von Europa und die jetzigen Welt-Händel. Göttingen (bey Christian Heinrich
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
Der in Amsterdam in diplomatischen Diensten stehende William Carr etwa konstatierte 1688 einen Niedergang der Vereinigten Provinzen seit 1672. Zugleich räumte er die Möglichkeit einer vollständigen Genesung durchaus ein: „[This commonwealth] for some years has been in a declining condition […] Even so this Commonwealth of Holland hath visibly recovered strength again, and probably may attain to its former force and Lustre, except from depravation in its vital humous should still keep in languishing, and obstruct its perfect cure.“⁹¹ Insgesamt wurden die Wirtschafts- und vor allem die Handelsleistung weiterhin als überaus positiv bewertet und folglich wurden weiterhin vornehmlich die Erfolgsfaktoren thematisiert.
1.2 Erfolgsfaktoren So erscheint etwa im Jahr 1728 in London eine dreibändige Abhandlung über die Niederlande mit dem Titel Batavia Illustrata: Or a view of the Policy, and Commerce, of the United Provinces. ⁹² Während der erste Band sich der Beschreibung der politischen Strukturen sowohl der Vereinigten Provinzen insgesamt als auch jeder einzelnen Provinz widmet, behandelt der zweite Band ausschließlich den niederländischen Handel in all seinen verschiedenen Ausprägungen.⁹³ Der dritte Band beschäftigt sich schließlich mit den außenpolitischen Beziehungen der niederländischen Republik. Die Aussagen des bis dato wohl unbekannten Autors,
Cuno) . S. .; Weise, Christian: Christian Weisens Politische Fragen/ Das ist: Gründliche Nachricht von der Politica, welcher Gestalt Vornehme und wolgezogene Jugend hierinne Einen Grund legen/so dann aus den heutigen Republiquen gute Exempel erkennen/ Endlich auch in practicable Stats-Regeln (sic!) den Anfang treffen soll/ nebst einer ausführlichen Vorrede und einem zulänglichen Register. Dresden (verlegst Johann Christoph Mieth und Joh. Christoph Zimmermann) . S. . Carr, William: Remarks of the Government of Severall Parts of Germanie, Denmark, Sweedland, Hamburg, Lubeck, and Hanseatique Towns, but more particularly of the United Provinces […] written by William Carr, Gentleman, late Consul for the English Nation in Amsterdam. Amsterdam . S. f. Burrish, Onslow: Batavia Illustrata: Or, a View of the Policy, and Commerce, of the United Provinces: Particularly of Holland. With an Enquiry into the Alliances of the States General, with the Emperor, France, Spain, and Great Britain. In Three Parts. London (printed for William Innys) . Eine zweite, nahezu unveränderte Ausgabe erscheint . Auch der Kupferstich des Titelblatts verweist auf diese Schwerpunktsetzung: Hollandia sitzt mit den bekannten Symbolen (Lanze mit Freiheitshut, Löwe mit sieben Schwertern) inmitten von Fässern und Kisten und im Hintergrund ist die Handelsflotte zu sehen.Vgl. Abb. der vorliegenden Arbeit.
1.2 Erfolgsfaktoren
287
Onslow Burrish, der in der Folge wohl auch kein weiteres Werk veröffentlichte,⁹⁴ lassen die Freiheit und das Glück des einzelnen Bürgers auf der einen Seite und die Stabilität und Prosperität des Gemeinwesens auf der anderen Seite als regulative Normen der Betrachtung erkennen.⁹⁵ Letztere werden in den Vereinigten Provinzen für Burrish vor allem durch den erfolgreichen Handel der Nordseerepublik generiert und garantiert.
Abb. 4: Burrish, Onslow: Batavia Illustrata: Or, a View of the Policy, and Commerce, of the United Provinces: Particularly of Holland. With an Enquiry into the Alliances of the States General, with the Emperor, France, Spain, and Great Britain. In Three Parts. London (printed for William Innys) 1728. Bd. 1. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 9472407 Belg. 39 1-1. Bd. 1. S. 1. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10272912-2.
Auch wenn die Lage und das Klima in den Niederlanden „many Inconveniencies“ berge, so beginnt Burrish den zweiten Band toposartig, hätten die Einwohner der Vereinigten Provinzen diese Mängel doch – notgedrungen – durch den
In den einschlägigen biographischen Nachschlagewerken lässt sich kein Eintrag zu diesem Autor finden. Auch weisen die für die vorliegende Arbeit konsultierten Datenbanken kein weiteres gedrucktes Werk Burrishs aus. Zur Freiheit und Glück des einzelnen Bürgers als regulative Norm in Burrishs Text vgl. etwa Burrish, Batavia Illustrata, S. , S. , S. f.
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
Handel mehr als wett gemacht.⁹⁶ Mit Blick auf diesen würden die schlechte Bodenqualität und das insgesamt sehr kleine Territorium sogar Vorteile in sich tragen. Denn im Unterschied zu England, wo Händler, sobald sie etwas Profit erwirtschaftet hätten, das Geld aus dem Handel rauszögen und in die Landwirtschaft und Ländereien investieren würden, seien die Kaufleute in den Niederlanden nicht versucht, ihr Geld aus dem Handel abzuziehen und würden zudem auch das Kapital als Geld an die nächste Generation weitervererben.⁹⁷ Neben diesem verfügbaren Kapital nennt Burrish vor allem die niedrigen Zinsen, die vorteilhaft für den Handel seien. Denn Kaufleute könnten günstiger Kredite aufnehmen und Waren könnten so billiger verkauft werden als durch die europäischen Nachbarn.⁹⁸ Vor allem in Amsterdam seien zudem alle Bedingungen so ausgerichtet, dass der Markt schnell und sicher funktioniere.⁹⁹ Das heißt für Burrish vor allem auch eine Freiheit von Einschränkungen, denn die Geschichte habe gezeigt, dass diese für den Handel hinderlich seien.¹⁰⁰ Auch dieser Autor nennt außerdem immigrierte Flüchtlinge als wichtigen Erfolgsfaktor mit Blick auf die niederländischen Manufakturen. Zunächst hätten die Flüchtlinge aus den spanischen Niederlanden ein enormes Potential mitgebracht, später seien dann vor allem die französischen Glaubensflüchtlinge dienlich hinsichtlich einer Perfektionierung der Manufakturen und des Handels gewesen.¹⁰¹ Burrish formuliert deshalb: The great Difference between the Church Government of Holland, and that of other Countries, consist in a general Tolleration of Sects. […] but that it is very consistent with secular
Burrish, Batavia Illustrata, S. – . Burrish, Batavia Illustrata, S. . Burrish, Batavia Illustrata, S. : „For there being little Land in Holland, and that extreamly bad, the Merchant has no Temptation to draw his Money out of Trade; which continues to accumulate from Generation to another, and by this Means becomes so plenty, and Interest so very low, that the Dutch are from thence, in a great Measure enabled to sell cheaper than their Neighbours.“ Und S. : „Thus if a Merchant has a Commodity that is not perishable, […] He may find the Means to have two Thirds of the Value advanced upon a very small Interest, which enables Him to wait for his Market. The Use and Advantage of such a Practice, especially in a Trading Country, is very obvious.“ Burrish, Batavia Illustrata, S. . Burrish, Batavia Illustrata, S. : „But as all Constraint is hurtful to Commerce […].“ Burrish, Batavia Illustrata, S. – . S. f.: „Nothing contributed more to bring these Manufactures to a Perfection in Holland, than the Number of French Refugees, who fled thither from the Persecutions raised against all those of the reformed Religion in France, and were received by the Dutch with great Humanity. […] and being for the most part Merchants and Artizans, They applyed Themselves readily to Commerce and Manufactures, and were very instrumental in bringing Those of Holland to Perfection.“
1.2 Erfolgsfaktoren
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Happiness, the domestic Peace and Tranquility of the united Provinces, is an illustrious Proof, which it is impossible to controvert. […] for in the Intercourse and Commerce of the World, the Question is not what Religion a Man is of, but whether he is honest.¹⁰²
Onslow Burrish schreibt klar vor dem Hintergrund der erlebten South Sea Bubble und der englischen Innenpolitik. So widmet er sein Werk Robert Walpole (1676 – 1745), den er als erfolgreichen Vermittler einer England schwächenden innenpolitischen Auseinandersetzung preist, und positioniert sich damit eindeutig in der englischen Debatte.¹⁰³ Ausführlich stellt Burrish dann in der Folge etwa auch Funktion und Aufbau der Amsterdamer Bank vor, deren Darstellung in der Literatur bisher sträflich vernachlässigt worden sei, sogar von William Temple.¹⁰⁴ „[…] as a good English Man, zealous for the Honour of these great Magistrates […]“, berichtet Burrish dabei von einer Episode von 1672, bei der die die Bank verwaltenden Magistraten misstrauische Bürger darauf verpflichtet hätten, nicht schlecht über die Bank zu sprechen, um den guten Ruf des Geldhauses auch während der Krise im Krieg gegen Frankreich zu erhalten.¹⁰⁵ Eine solche vertrauensbildende Maßnahme hätte sicherlich auch England 1720 im Vorfeld der Bubble gut getan.¹⁰⁶ Ausführlich widmet sich Burrish zudem in seiner Abhandlung dem niederländischen Kreditwesen, den milden Gesetzen mit Blick auf private Schuldner und die dort eingeführte Möglichkeit der Insolvenzverwaltung.¹⁰⁷ Für ihn ist klar: „If the Method of treating Bankrupts in Holland be not perfect, ours in England is I think much less so.“¹⁰⁸ Dabei prangert er in England vor allem die Rechtlosigkeit von Schuldnern und die ihnen entgegengebrachte Unmenschlichkeit an und kommt zu dem Schluss, dass, auch wenn einige wichtige Schritte
Burrish, Batavia Illustrata, S. f. Siehe Burrish, Batavia Illustrata, Dedication, S. i–v: „To the Right Honorable Sir Robert Walpole. […] The Commons, ever jealous of the Power of their Sovereign, have frequently distressed the Administration […] they have broke in with Violence upon the wisest Measures, and blindly sacrificed their Security, to ill grounded, and unseasonable Suspicions. It has been your Part Sir, to reconcile those Divisions which have hindred Us from knowing our own Force, and how well You have succeeded in so generous and difficult a Task […].“ Burrish, Batavia Illustrata, S. – . Burrish, Batavia Illustrata, S. . Burrish, Batavia Illustrata, S. : „I cannot help wishing, however, as a good English Man, zealous for the Honour of these great Magistrates, that the Experiment had been made: an Event, which would have evidenced the Truth, beyond Contradiction, and have placed the Veracity and Honour of those Gentlemen, as well as the Credit of their Bank, upon a solid and lasting Foundation.“ Siehe Burrish, Batavia Illustrata, S. – . Burrish, Batavia Illustrata, S. .
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
inzwischen unternommen worden seien, eine Reform weiterhin unbedingt notwendig sei.¹⁰⁹ Explizit lässt Burrishs Darstellung also erkennen, dass die Vereinigten Provinzen hier vor allem als Folie dienen sollen, vor deren Hintergrund die Reformbedürftigkeit Englands diskutiert wird.¹¹⁰ Mit Blick auf die erfolgreiche Wirtschaft der Niederlande leitet Burrish dann auch am Ende der Abhandlung noch einmal ausdrücklich Ratschläge für England ab: Da eine große Bevölkerung den Reichtum eines Gemeinwesens bedinge, gelte es alle Maßnahmen zu ergreifen, die ein Bevölkerungswachstum befördern.¹¹¹ Zudem müsse England alle Transportkosten minimieren und etwa das Vorgehen der Vereinigten Provinzen in der Heringsfischerei imitieren.¹¹² Burrish argumentiert klar aus einem englischen Blickwinkel heraus. Die Parallelität seiner Aussagen zu den oben vorgestellten übergeordneten Debatten und vor allem auch seine Quellenbezüge lassen dennoch einen transnationalen Zugriff und eine ebensolche Vernetzung erkennen. Neben den Holländern Hugo Grotius und Abraham de Wicquefort (1606 – 1682) verweist Burrish etwa im Teil über den niederländischen Handel gerade auch auf Pierre-Daniel Huet (1630 – 1721).¹¹³ Die Hauptquellen für seine Abhandlung sind allerdings Temples Observations und die Annales des Provinces-Unies depuis les négociations de la paix de Munster des in die Niederlande geflohenen Hugenotten Jacques Basnage de
Burrish, Batavia Illustrata, S. f.: „[…] but surely there remains a further Reformation to be wish’d for. […] The Legislative Body has thought fit to make one Step towards a Cure of this national Disease, worthy the Representatives of a great, free and generous People; and I doubt not, but the Time is near when we shall still act more in Character.“ Die Forschung beurteilt das Konkurssystem Englands rückblickend hingegen als eines der fortschrittlichsten im . Jahrhundert. Vgl. Beerbühl, Margrit Schulte: Zwischen Selbstmord und Neuanfang. Das Schicksal von Bankrotteuren im London des . Jahrhunderts. In: Pleitiers und Bankrotteure. Geschichte des Ökonomischen Scheiterns vom . bis . Jahrhundert. Hrsg. von Ingo Köhler u. Roman Rossfeld. Frankfurt a.M. [u. a.] . S. – . Diesen Hinweis verdanke ich Lina Weber. Burrish selbst changiert in seinen Ausführungen zwischen den Termini Great Britain und England. Dabei ist nicht ganz klar, ob er letzteres nun pars pro toto verwendet oder explizit nur England meint. Burrish, Batavia Illustrata, S. : „[…] and if it be true that Numbers of People make the Riches of a Country, then surely We ought to encourage all Machines that serve to rescind Labour, which is in Effect to multiply our Inhabitants […].“ Burrish, Batavia Illustrata, S. und S. : „But I will set down what I know of the Manner in which the Dutch carry on this Trade, which may possibly be of some Service to those who may hereafter undertake it in Great-Britain.“ Vgl. etwa Burrish, Batavia Illustrata, S. und S. (Wicquefort); S. , S. und S. (Grotius); S. (Huet). Außerdem etwa S. (Le Clerc).
1.2 Erfolgsfaktoren
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Beauval (1653 – 1723).¹¹⁴ Der erste von zwei Bänden dieser Abhandlung erschien 1719 in Den Haag.¹¹⁵ Basnage widmet diesen ersten Band den Provinzialständen von Holland und Seeland und betont die Notwendigkeit der Kenntnis der Vereinigten Provinzen, um im europäischen Mächtegeflecht adäquat agieren zu können.¹¹⁶ Auch er verweist auf Temples Abhandlung als eine der bisher profundesten und wichtigsten Darstellungen der Vereinigten Provinzen¹¹⁷ und betont hinsichtlich des Handelserfolges, der trotz widriger Bedingungen wie Kriegszustand und hoher Abgaben so floriere, vor allem die hohe Bevölkerungsdichte, die viel Potential in den unterschiedlichsten Bereichen darbiete.¹¹⁸ Gerade die religiöse Toleranz sei dabei die Grundlage der Prosperität des niederländischen Gemeinwesens in den Künsten, den Manufakturen und dem Handel.¹¹⁹ Die umliegenden europäischen Monarchen hätten dies nicht verstanden und aus Gründen der despotischen Machtsicherung oder der religiösen Ausschließlichkeit wertvolle Bevölkerungsteile verloren.¹²⁰ Anders als Burrish nennt Basnage diesbezüglich
Dabei diskutiert Burrish deren Ausführungen durchaus im Fließtext. Vgl. etwa Burrish, Batavia Illustrata, S. f., S. , S. , S. , S. , S. (Basnage) und S. , S. , S. f., S. , S. f. (Temple). Basnage, Jacques: Annales des Provinces-Unies, depuis les Negociations Pour La Paix de Munster. Avec La Description Historique de leur Gouvernement, a La Haye (chez Charles le Vier) . Der zweite Band (Contenant les Choses les plus remarquables arrivées en Europe, et dans les autres, depuis la Paix d’Aix-La-Chapelle parties du monde jusque à celle de Nimègue) erscheint postum in Den Haag. Im Vorwort berichtet der Verleger ausführlich über Basnages Biographie und die Rezeption des ersten Bandes in der Öffentlichkeit. Demnach ließ sich der calvinistische Theologe Basnage nach seiner Flucht aus Rouen zuerst in Rotterdam und dann in Den Haag nieder, wo er Pastor der Wallonischen Kirche wurde. Der erste Band der Annales sei insgesamt positiv aufgenommen worden. Kritische Stimmen hätten vor allem eine profunde Kenntnis eines Ausländers hinsichtlich der Strukturen der Vereinigten Provinzen angezweifelt und seine Darstellung De Witts kritisiert. (Vgl. Basnage, Jacques: Annales des Provinces-Unies. Tome II. A la Haye (chez Charles le Vier) . Préface du Libraire. S. I–XVII.). Basnage, Annales, Bd., Widmung (o.P.). Vgl. etwa Basnage, Annales, Bd., S. iv und S. . Basnage, Annales, Bd., S. f. Basnage, Annales, Bd., S. : „[…] que la Tolérance qui réserve à Dieu seul l’Empire sure les Consciences non seulement s’acorde parfaitement avec les Loix Naturelles & Divines; mais qu’elle contribuë beaucoup à faire prospérer un Etat, & à faire fleurir les Arts, les Manufactures & le Commerce.“ Basnage, Annales, Bd., S. : „Les Princes Voisins n’ont pas pris garde qu’ils ont beaucoup contribué à transporter le Commerce de leurs Etats dans les Provinces-Unies, & à les métre par ce moïen en Etat de faire la balance de l’Europe. Les uns ont dégoûté leurs Sujets par le Pouvoir Despotique qu’ils éxerçoient sur eux, & les autres les ont chassés par Zéle de religion. […] soit enfin qu’on les ait abusés en leur cachant l’afoiblissement du Roïaume ou l’agrandissement des Voisins,
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vornehmlich die „Freiheit und Milde der Regierung“ als Ursache einer erhöhten Attraktivität der Vereinigten Provinzen und damit des Handelserfolges.¹²¹ Dass er mit der „Liberté du Gouvernement“ die republikanische Regierungsform meint, lassen die Ausführungen Basnages insgesamt in dieser Abhandlung zumindest vermuten.¹²² Alle drei Texte – Temple, Basnage und Burrish – werden 1729 wiederum von einem weiteren hugenottischen Flüchtling, François Michel Janiçon (1674– 1730), aufgegriffen und kritisch kommentiert.¹²³ In seinem Traktat État présent de la République des Provinces-Unies, et des païs qui en dependent ¹²⁴ wirft er zunächst William Temple eine konfuse und oberflächliche Arbeit vor: Le Chevalier Guillaume Temple a publié des Remarques sur l’Etat des Provinces-Unies. Ce n’est qu’une ébauche assez informe de leur Gouvernement; & comme il n’en avoit qu’une idée fort confuse, on ne doit pas s’étonner que ses Lecteurs ne soient pas mieux instruits, qu’il l’étoit lui-même.¹²⁵
Anschließend kritisiert er auch Basnage für seine undifferenzierte Abhandlung: Cependant, combien de fois n’est-il pas arrivé à M. Basnage de prendre l’ombre pour le corps? Enfin, l’on peut dire, sans manquer au respect que mérite d’ailleurs son érudition,
on a laissé transporter en Hollande les Artisans avec leurs Manufactures, & les Marchands avec leur argent & leur habilité dans le Commerce.“ Basnage, Annales, S. : „D’ou vient donc que la Hollande, qui n’a point d’autre ressource que celle du Négoce, l’a fait fleurir malgré tant d’obstacles qui devoient refroidir les Habitans, & les obliger de se transporter ailleurs avec leur industrie & leurs éfets. On a beau en chercher des raisons, la plus évidente est la Liberté & la douceur du Gouvernement qui fait le bonheur des Peuples, & qui y attire un grand nombre d’Habitans.“ Vgl. etwa Basnage, Annales,Widmung (o.P.). „L’ancien Gouvernement de ces Provinces étoit Républicain […] La plûpart des Etats changèrent leur Gouvernment dans la Décadence de l’Empire Romain […]. Mais si les Païs-Bas étoit gouvernés par des Personnes d’un titre & d’un Caractére diférent, les Provinces se réunissoient dans un même point de vûë, c’étoit l’affermissement & la conservation de la Liberté.“ François Michel Janiçon ging nach dem Edikt von Fontainebleau zu seinem Onkel nach Utrecht. Nach seinem Studium dort und in Irland betreute er zunächst die französische Zeitung in Utrecht. Er überwarf sich aber mit den städtischen Autoritäten und ging schließlich nach Den Haag, um dort als Diplomat im Auftrag des Landgrafen von Hessen-Kassel zu fungieren. Siehe Sgard, Jean/Couperus, Marianne: Art. Jean Rousset de Missy. In: Dictionnaire des journalistes ( – ). http://dictionnaire-journalistes.gazettese.fr/journaliste/-jean-rousset-demissy (. . ). Janiçon, État présent,Bd. . Der geplante dritte Band wird nicht mehr vollendet (siehe Sgard/ Couperus, Art. François Michel Janiçon, o.P.). Janiçon, État présent, Bd. , Préface, S. XVIII.
1.2 Erfolgsfaktoren
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que sa Description ne fournit point une idée nette & distincte de cette République & de ses differentes parties.¹²⁶
Und schließlich unterstellt er Onslow Burrish die Kopie des fehlerhaften Textes von Basnage: L’ouvrage de M. Onslow Burrish, publié en Anglois, avec le titre Latin, Batavia Illustrata, n’a rien de commun avec un autre Livre qui porte le même nom, & dont je parlerai ci-après. Celui de M. Burrish est un fort pauvre recueil, compilé sans discernement, & traduit en partie de l’Ouvrage de M. Basnage, dont il adopte & multiplie toutes les fautes.¹²⁷
Janiçon, der seine Abhandlung selbst als Auftragsarbeit für den Landgraf von Hessen-Kassel und explizit als Staatsbeschreibung im Sinne der Interessenlehre kennzeichnet,¹²⁸ präsentiert dennoch ganz ähnliche Aussagen wie Burrish und Basnage. Als es um die Hauptursachen für den Handelserfolg der Vereinigten Provinzen geht, der trotz widriger Umstände zu konstatieren sei, formuliert Janiçon nahezu wörtlich wie Basnage und baut lediglich Ergänzungen ein: Il n’est pas difficile d’en découvrir la cause & l’origine. Les plus évidentes raisons sont la situation du Païs étendu le long de la Mer, & arrosé de deux grandes Rivieres, le Rhin& la Meuse, & surtout la Liberté de conscience, & la douceur du Gouvernment, qui y ont attiré une affluence inconcevable de Peuples de divers Païs. Ces nouveaux Habitans, en y apportant leur industrie & des sommes immenses, y ont fait fleurir les Manufactures, & n’ont pas peu contribué à rendre la Hollande le centre du Commerce de tout l’Univers.¹²⁹
Janiçon, État présent, Bd. , Préface, S. XIX. Janiçon kritisiert zudem noch Nicolas Le Clerc (Clerc, Nicolas le: Methode Facile Pour Apprendre l’Histoire de la République d’Hollande. Paris ) als zu kurz und unzulänglich, sowie Guicciardini als veraltet und die Délices de la Hollande (wahrscheinlich meint er die von Jean Nicolas de Parival) als austauschbar mit anderen Staatsbeschreibungen (S. XIX–XXI). Janiçon, État présent, Bd. , Préface, S. XX. Janiçon verweist hier auf Simon van Leeuwens ( – ) Batavia Illustrata, die er im gleichen Zuge als zu partikularistisch und deshalb wenig hilfreich beschreibt. Ebenso wenig dienlich seien ihm die Arbeiten von Schockius ( – ), Grotius und Marcus Boxhorn (/ – ) gewesen. Allein die Arbeiten von Mathieu vander Houwe und Romeyn de Hooghe ( – ) (Spiegel van Staat der Vereenigde Nederlanden) hätten eine gute Grundlage für seine Abhandlung dargestellt (S. XXII–XXIV). Janiçon, État présent, Bd. , Widmung (o.P.) und S. XXIX: „Au reste, comme mon Ouvrage n’est nullement une Histoire de cette République, je ne parle de l’ancien Gouvernement, qu’autant qu’il peut servir à faire mieux connoitre celui d’aujourd’hui; est c’est par cette raison que je l’intitule État Présent de la République des Provinces-Unies.“ Janiçon, État présent, Bd. , S. . Vgl. dazu Basnage, Annales, S. . Janiçon ergänzt die Lage als Standortvorteil; zudem wird die Freiheit hier explizit als Liberté de conscience gekennzeichnet.
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Wie Basnage betont Janiçon neben der milden und Freiheit garantierenden republikanischen Regierung¹³⁰ vor allem die religiöse Toleranz als Grundlage des niederländischen Reichtums.¹³¹ Diese Schwerpunktsetzung wird auch anhand des Frontispiz’ deutlich, das der Abhandlung vorangestellt ist und in der Bildunterschrift erläutert wird: „Neptune ôffre l’Empire de la Mer, à la République de Hollande. Elle est accompagnée de la Réligion, et des deux Compagnies d’Orient, et d’Occident, sur le devant Mercure lui montre une carte des 4 parties du Monde, ou elle étend son Commerce“.¹³² Neben den hohen Steuern und Abgaben thematisiert Janiçon im Unterschied zu den bisher betrachteten Traktaten vor allem die Staatsschulden der Vereinigten Provinzen. Diese seien vorhanden und würden ausnahmslos von den eigenen Bürgern getragen. Trotz einer Reduzierung des Zinssatzes seien diese weiterhin dazu bereit, wohl auch weil die Zinsen so verlässlich ausgezahlt würden. Auf diese Weise hätten einige der niederländischen Provinzen ihre Finanzen bereits wieder gut in den Griff bekommen.¹³³ Angesichts der Tatsache, dass die Staatsschuldenthematik als drängendes Problem des betrachteten Zeitraums gelten muss, ist es sehr erstaunlich, dass Janiçons Abhandlung eine von lediglich dreien des dieser Arbeit zu Grunde liegenden Quellenkorpus ist, die dieses Thema mit Blick auf die Republiken explizit aufgreift.¹³⁴ Eine solche Aussage ist folglich nur am Rand einer
Vgl. dazu Janiçon, État présent, Bd. , S. f. und Kapitel III. der vorliegenden Arbeit. Siehe etwa Janiçon, État présent, Bd. , S. : „C’est cette tolerance qui attire tous les jours dans ces Provinces ce grand nombre d’Habitans de tant de differens Païs, qui y fait fleurir le Commerces, les Manufactures, les Arts & les Sciences, & qui fait en un mot la force & la richesse de la République.“ Vgl. sehr ähnlich Basnage, Annales, S. . Janiçon, État présent, Bd. , Frontispiz. Siehe Abbildung der vorliegenden Arbeit. Janiçon, État présent, Bd. , S. f.: „Malgré les grands avantages que le Commerce procure à l’État, & les revenus considerables qu’il retire des droits & des impositions, il n’est pas surprenant que la République, après tant de longues & curelles Guerres qu élle a eu à soutenir, ait contracté des dettes immenses. Tout cet argent a été emprunté des Sujets de l’Etat, & quoique les intérêts en ayent été diminuez, même jusqu’à deux&demi pour cent en Holland, les Particuliers seroient fort fachez d’en être remboursez, parcqu’ils ne sauroient où mieux employer leur argent. Aussi les intérêts en sont-ils payez fort exactement, & font partie de revenues de la plupart des gens qui voivent de leurs rentes. […] il y toute apparance que peu à peu la République s’acquitera de ses dettes, & quelques Provinces ont déjà si bien rétabli leurs finances, qu’elles n’ont plus de peine à fournir leur contigens au Bureau géneral.“ Außer Janiçon verweisen noch folgende Autoren auf dieses Problemfeld: Köhler, Johann David: Erneuerter Entwurf eines Collegii über den gegenwärtigen Zustand von Europa und die jetzigen Welt-Händel. Göttingen (bey Christian Heinrich Cuno) . S. f. (niederländische Staatsschulden). Valkenier, Petrus: Das Interesse einer gesamten löblichen Eydgenoßschafft bey itzigen Conjuncturen. o.O. . S. (eidgenösissche Staatsschulden).
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Abb. 5: Janiçon, François Michel: Etat présent de la République des Provinces-Unies, et des païs qui en dependent. Bd. 1. A la Haye (chez Jean van Duren) 1729. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 2581183 Belg. 142-1. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10273795-4.
Diskursformation möglicher Aussagen anzusiedeln, deren Regeln sich hier offensichtlich zeitversetzt zum tatsächlichen Phänomen veränderten.
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Auch Janiçons Abhandlung wird in der Folge breit diskutiert. Ein kritischer Brief des ebenfalls hugenottischen Flüchtlings und Publizisten Jean Rousset de Missy (1686 – 1762)¹³⁵ wurde noch 1729 aus dem Niederländischen sogleich ins Französische übersetzt.¹³⁶ Rousset de Missy wirft Janiçon darin seinerseits vor, nur allgemein Bekanntes zu präsentieren und sowohl Pierre Daniel Huet¹³⁷ als auch Onslow Burrish zu kopieren. Der Plagiatsvorwurf wird hier also gerade umgedreht: Mais tel est le Caractère des Auteurs plagiaires. Ils déchirent impitoyablement ceux des depouilles desuels, ils tirent tout leur éclat. Ceux qui auront l’original Anglois verront que tout ce que l’Agent de Cassel dit de bon sur le Commerce à commencer à la pag. 305. Il l’a pris de l’Auteur Anglois, sans lui en faire honneur.¹³⁸
Rousset de Missys Kritik ist dabei Ausgangspunkt einer breiten, in mehreren Zeitschriften ausgetragenen Debatte um Janiçons État Présent, in der letzterer sich auch selbst rechtfertigt und vor allem wegen seiner mangelnden Referenzen als Autor, der mangelnden Struktur seiner Abhandlung und der geringen Detailkenntnis kritisiert wird.¹³⁹ Rousset de Missy urteilt etwa:
Jean Rousset de Missy wurde in Paris „im Geheimen“ protestantisch erzogen und floh mit Jahren in die Niederlande. Dort diente er zuerst im Militär, engagierte sich dann auch politisch, floh aber wiederum in die Spanischen Niederlande. Rousset de Missy war u. a. Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin und publizierte in zahlreichen Zeitschriften. Hauptverantwortlich zeichnete er einige Jahre vor allem für den Mercure historique et politique (La Haye – ). Couperus/Sgard, Art. Jean Rousset de Missy. Rousset, Jean: Lettre Critique sur le premier Volume de l’Etat Present de la République des Provinces-Unies, par Mr. F.M. Janiçon, imprimé à la Haye chez van Duren , addressée au Comte de L […]. Traduite du Hollandois, avec quelques Notes du Traducteur. A Liege (chez Jean Philippe Gramme) . Rousset, Lettre Critique, S. : „Quant aux autres Chapitres, où il trait du Commerce, si on y trouve des fautes, il faut moins lui attribuer qu’aux ‘Memoires sur la Commerce des Hollandois’ (Imprimez à Amsterdam ), qu’il a consciencieusement copié, sans en faire un petit mot d’honneur à l’Auteur, […].“ Rousset, Lettre Critique, S. . Und er empfiehlt den Lesern, lieber das englische Original zu lesen. Die Debatte äußerte sich u. a. über Rezensionen in den Zeitschriften Lettres serieuses et badines, Bibliothèque raisonnée (Bd. XIX), la Bibliothèque française (Bd. XVIII, XIX, XXVI, XXVIII) und La Gazette des Savants (Suppl. Du T. XVIII). Siehe dazu Couperus/Sgard, Art. François Janiçon, o.P. Im Vorwort zum zweiten Band seiner Abhandlung nimmt Janiçon ebenfalls Bezug auf diese Debatte (Siehe Janiçon, État présent, Bd. , Avertissement, S. IX–XIII). Er geht dabei auf die Auseinandersetzung ein, nicht aber auf konkrete Vorwürfe. Im Lettre Cinquieme der Lettres Serieuses et Badines sur les Ouvrages des Savans, et sur d’autres Matieres. Bd. 2/1. Den Haag (chez Jean van Duren) 1729 verweist der anonyme Autor etwa auf einzelne Fehler, die Janiçon in der Beschreibung politischer und theologischer Strukturen und
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Aussi de tout application, & de toute la penetration necessaires pour un ouvrage de ce genre: Aussi ne trouveriez vous dans ce premier volume que rudis indigestes moles, un potpouris sans ordre, & des choses si ordinaires, si communes, si triviales, si peu recherchées, qu ‘il n’y a ni Etranger, ni Citoïen qui ne sache tout ce que l’Auteur a ramassé au hazard dans ce premier Tome, qui, je crois, pouroit bien être le dernier, car qui voudroit se charger d’un tel ouvrage?¹⁴⁰
De Missy bemängelt hier interessanterweise vor allem, dass Janiçon lediglich bereits vorhandenes Wissen präsentiere. Offenbar setzt mit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts eine Art Reflexion über die diskursiv nun fest etablierten und folglich immer gleichen möglichen Aussagen ein. Janiçons Werk wurde aber nicht ausschließlich negativ, sondern durchaus auch positiv bewertet. In der zweiten und veränderten Auflage des Rezensionsjournals Lettres Serieues et Badines sur les Ouvrages des Savans von 1740 erfährt die Abhandlung des Hugenotten trotz des Hinweises auf einzelne Fehler und Unstimmigkeiten grundsätzlich eine positive Bewertung.¹⁴¹ Rousset de Missys Kritik wird dabei im selben Atemzug als absurd und lächerlich bezeichnet.¹⁴² Vor allem bei englischen Autoren wurde Janiçons Schrift sehr positiv aufgenommen. Der anonyme Autor¹⁴³ des 1743 in London publizierten Traktats A Description of Holland: or, the Present State of the United Provinces ist sich sicher:
Amtseinsetzungprozessen in der Provinz Seeland gemacht habe (S. 41– 49). Insgesamt sei die Kenntnis der Vereinigten Provinzen für einen Ausländer aber durchaus beachtlich (S. 49). Rousset, Lettre Critique, S. . Vgl. Lettres Serieuses et Badines sur les Ouvrages des savans et sur d’autres Matières. Tome Premier. Seconde Edition. Revûë & corrigée, par Monsieur de Camuzat. A la Haye (chez Jean van Duren) . Im Premiere Lettre (Jugement sur un Livre intitulé, Etat Présent des ProvincesUnies, Par M.F.M. Janiçon) wird durch den anonymen Autor zunächst der Inhalt und die Absicht der Schrift inklusive einzelner Auszüge aus dem Werk ausführlich dargelegt. Der Rezensent kommt schließlich zu dem Schluss: „Je crois en avoit dit assez pour vous faire connoître combien l’Auteur a sçû remplir son Livre de détails intéressans. J’ajoute que sa narration est nette, simple, & telle qu’il convient à un Ouvrage de cette nature.“ (S. ). Allerdings habe Janiçon mit seiner Kritik an Basnage und Le Clerc nicht Recht. Onslow Burrish hingegen beurteile er zu Recht negativ (S. f.). Zudem hätte Janiçon sich manche Zuschreibungen von Vorlieben einzelner Nationen sparen können und lediglich die Fakten referieren sollen (S. f.). Lettres Serieuses et Badines. . Aufl. . Lettre Seconde: Jugement sur la Brochure intitutlée, Lettres Critique sur l’Etat présent de la République des Provinces Unies, où on développe les absurdités & le ridicule de cette Brochure. In der Einleitung verweist der Autor darauf, dass er große Teile seiner Kindheit in den Vereinigten Provinzen verbracht hat (Anonymus: A Description of Holland: or, the Present State of the United Provinces. London . Introduction. S. ix). Im Text verwendet er den Terminus Great Britain und spricht mit Blick auf Großbritannien etwa von our Legislation (siehe bspw. Anonymus, A Description of Holland, S. ). Er untersucht im Abschnitt über den Handel der Niederlande
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Of all the Writers upon the United Provinces, the late M. Janissons (sic!) deserves the first Place. He was a judicious, curious, and indefatigable Man. He visited every Place he describes, and resided some Time in them, whilst he consulted the Archives, Magistrates, and most knowing Persons with extraordinary Success. His Example may serve as a Model for all to follow, who treat of this, or indeed of any other Country.¹⁴⁴
Auch in diesem Text, der sich explizit als Staatsbeschreibung im Sinne der Darstellung des Ist-Zustandes versteht (darauf verweisen bereits Titel und Untertitel), findet die Beschreibung des niederländischen Handelserfolges, aus der normativ Ratschläge für das eigene Gemeinwesen abgeleitet werden könnten, ihren Platz. Angesichts des Anspruchs der Vollständigkeit, so der Autor, sei dieser Platz aber, trotz eines immensen Interesses für diese Thematik seitens Großbritanniens, relativ gering gehalten worden, auch wenn eine viel detailreichere Darstellung möglich gewesen wäre.¹⁴⁵ Als Erfolgsfaktoren nennt auch dieser Autor die niedrigen Zölle, die einen starken Handel ermöglichen,¹⁴⁶ und vor allem die religiöse Toleranz, welche die unbedingt notwendige hohe Bevölkerungsdichte garantiere: That it is in the Interest of this State to protect and enlarge her Commerce, to tolerate all Religions, to maintain Peace whilst her Neighbours are at war., &c. are trite Topicks, in respect to which few can be ignorant; but there are certain Things relative to these, which are not so well known and therefore may merit a little Observation. Holland is as industrious to receive Strangers from all Parts, as other Countries are to get rid of them. It is Maxim with
ausführlich die Handelsverbindungen mit Great Britain and Ireland (Anonymus, A Description of Holland, S. ). Es lässt sich also nicht unbedingt ausmachen, ob der Autor eher einen englischen oder vielleicht schottischen Hintergrund hat. Anonymus, A Description of Holland, S. . Ausführlich berichtet der anonyme Autor hier über Leben und Werk – sowohl von Janiçon (S. f.) als auch vor allem von Basnage (S. – ), dessen Arbeit er in den höchsten Tönen lobt. Neben Janiçon, Basnage und Temple bezieht sich der Autor außerdem etwa auf Le Clerc (S. ) und Wicquefort (S. ). In der Einleitung gibt der anonyme Autor auch explizit neben Reiseberichten und Gesprächspartnern vor Ort “Grotius, Bynkershoeck, Sir William Temple, and Basnage” als Quellen für seine Darstellung der Regierung der Republik an. (Anonymus, A Description of Holland, Introduction, S. ix). A Description of Holland, Introduction, S. x: „Nor has there been less Attention bestowed on the present State of her Commerce, and particularly that part of it, carried on between the Provinces and Great Britain. The particulars specified under that head, were collected in the ports themselves, and from those who had a principal share in the Troole on both Sides. I might on this Article have taken occasion to enter into a long Detail. But that was not consistent with the principal subject of these sheets. […] To conclude, the Author’s chief Intention has been to be exact and full.“ Als zweiten Punkt des gesteigerten Interesses nennt der Autor in der Einleitung die (militärische) Stärke der Vereinigten Provinzen: „As it highly concerns the British Nation to be perfectly well acquainted with the Disposition, Maxims, and Strengths of so considerable a state and ally as the United Provinces […].“ (S. ixf.). Anonymus, A Description of Holland, S. .
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the Dutch, That no Nation can to be too populous, provided it be industrious. They admit all Strangers that come to settle amongst them, and immediately grant them all the Privileges of the Natives. […] And this conduces exceedingly to the Wealth, Trade, and Strength of the State. No country perhaps stands more in need of fresh Supllies of People than this. Their numerous Colonies abroad, their long East India Voyages, which are more than commonly fatal, their vast Trade to all the other Parts of the World, seem in a manner to make it the Necessity of this little Republick to people the mighty Spaces of the Ocean itself. Besides which, what Numbers must be necessary to carry on the many various Manufactures which she has at home, and with which she supllies Nations much greater than herself! […] In consequence, if this State had not constant and annual Supplies of Foreigners, it would be impossible for it to subsist, and it would be dissolved in a very few Years. England, that does not lie under this last Disadvantage, nor any of the rest in so great a Degree, without a perpetual Suplly from the rest of the British Dominions and Strangers, would be depopulated in less than half a Century.¹⁴⁷
Der Vergleich mit England/Großbritannien zieht sich dabei ebenso durch den Text¹⁴⁸ wie der Verweis auf allgemein bekannte, oft wiederholte Aussagen, vor allem auch mit Blick auf den Handel der Vereinigten Provinzen. So beginnt der Autor das Kapitel über den Present State of the Trade and Manufactures of the United Provinces mit den Worten: The vast Commerce of these flourishing Provinces has been so often, and so amply treated, that to resume the Subject at this time of Day, were in a manner to want sufficient Regard for the Publick. Not that I think the Generality of our Writers upon this Head, who do but copy one another, seem to have had any certain Knowledge of their Subject, of have treated every Part of it with the Exactness it required. However, all I shall do here, will be to set a few Things in a true Light […].¹⁴⁹
Auch dieser Autor reflektiert über die immergleichen Aussagen mit Blick auf diesen bestimmten Diskursgegenstand und versucht dabei auch zu erklären, warum manche dieser Aussagen nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen der Realität übereinstimmen würden: The Profit, which the Dutch make by Herring Fishery, has been magnified exceedingly above the Truth. // Some tell us, that this Trade occasions the building of 1000 Ships every Year; that the Dutch had made five Millions Sterling of it in One Year […] These Exaggerations must however be owned to be honestly intended. The Design of them was to
Anonymus, A Description of Holland, S. – . Vgl. etwa den ausführlichen, tabellarischen Vergleich von niederländischem Statthalter und englischem König (Anonymus, A Description of Holland, S. – ) oder den Hinweis auf die unterschiedliche (geographische) Ausgangslage zum Handel (Anonymus, A Description of Holland, S. ). Anonymus, A Description of Holland, S. .
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excite the Attention of the British Nation, and to induce them to apply their Industry to the Fishing Trade, for which they are more commodiously situated, and to which they have undoubtedly a better Right.¹⁵⁰
Dass auch er der britischen Nation und den Verantwortlichen vor Ort („our Legislature“) solche Ratschläge geben will, wird in eben diesem Abschnitt über den Handel der Vereinigten Provinzen ebenfalls deutlich. Aus bestimmten Handelsweisen der Niederländer leitet der Autor mögliche empfehlenswerte Vorgehensweisen für die Engländer ab: beispielsweise den Import von Spitze zu beschränken und so die eigene Produktion zu befördern oder auch den Import niederländischer Waren auf das Nötigste zu beschränken und die Einfuhrzölle der notwendigen Waren genau zu kontrollieren.¹⁵¹ Auch dieses Traktat formuliert also klar vor dem eigenen britischen Hintergrund und den politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen der betrachteten und der eigenen Nation.¹⁵² Die Aussagen über den erfolgreichen niederländischen Handel und die Faktoren, die diesen Erfolg bedingen, gleichen dabei denjenigen von Autoren aus Frankreich und aus dem Reich. Auch zeigt die Quellengrundlage, die der anonyme Autor hier selbst immer wieder angibt und diskutiert, die breite europäische Vernetzung, auf deren Grundlage dieser Text entsteht. Der wirtschaftliche Erfolg vor allem im Sinne eines Profit generierenden, florierenden Handels erscheint dabei in nahezu allen betrachteten Texten zwischen 1676 und 1750 als eine wichtige diskursive Norm. Mit Blick auf die Niederlande stellen sich die Aussagen vor dem Hintergrund dieser Norm nahezu immer als positive Wertungen dar.¹⁵³ Hinsichtlich der Fak-
Anonymus, A Description of Holland, S. f. Anonymus, A Description of Holland, S. und S. . Der anonyme Autor verweist u. a. auf die niederländischen Investitionen in englische Staatspapiere: „Every week considerable Quantities of our Gold and Silver are enter’d at the Custom-house for Holland, which surprizes many; but that does not proceed from the Balance of Trade being against us, as has been generally believed, but the considerable sums that the Dutch have in our publick Funds, in which they think their Money more secure than any where else;“ (Anonymus, A Description of Holland, S. ). Dass aufgrund dieser Tatsache die South Sea Bubble von auch für viele Niederländer eine finanziell schwierige Situation darstellte, thematisiert allein die Délices-Ausgabe von . Vgl. etwa unter anderen auch Anonymus: A late Voyage to Holland with Brief Relations of the Transactions at the Hague […] written by an English Gentlemen, Attending the Court of the King of Great Britain (printed for John Humphreys) . S. . D‘Audiffret, Jean Baptiste: Histoire et Geographie ancienne et moderne. Tome second, qui contient la France, les Pays-Bas, les Provinces-Unies, la Suisse, & la Savoye. A Paris (chez Jean Baptiste Coignard) . S. ; Gundling, Ausführlicher Discours, S. – ; Gude, Heinrich Ludwig: Staat der Vereinigten Niderländer. o.O. o. J., S. – .
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toren, die diesen Erfolg bedingen, lassen sich keine deutlichen Unterschiede hinsichtlich nationaler, konfessioneller, parteipolitischer oder anderer Hintergründe der Autoren erkennen. Die in den Vereinigten Provinzen gewährte religiöse Toleranz, die eine Einwanderung attraktiv mache und damit die notwendige Bevölkerungsdichte garantiere und wichtige, innovative Fachkräfte anlocke, wird etwa nicht nur von hugenottischen, sondern von nahezu allen Autoren genannt.¹⁵⁴ Auch das chronologische Moment erweist sich in der Analyse nicht als ein entscheidendes Distinktionsmerkmal. Das erfolgreiche Bankwesen der Niederländer und ihr Umgang mit Bankrotten und Schuldnern wurden etwa nicht erst nach den großen Finanzkrisen von 1720 aufgegriffen, sondern schon ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts thematisiert.¹⁵⁵ Wohl aber lassen sich gewisse unterschiedliche Akzentsetzungen erkennen. So wird das Bank- und Schuldenwesen vornehmlich von englischen Traktaten über die Vereinigten Provinzen thematisiert.¹⁵⁶ Auch die Steuern- und Abgaben-
Außer bei den angegebenen Textstellen bei Burrish, Janiçon, Basnage und Anonymus, A Description of Holland siehe: Motraye, Voyages, Bd. , S. (Aubry de la Motraye ( – ) betont den Wert der Flüchtlinge im Handel, Handwerk und Militär, die zu Reichtum und Stärke sowohl der Niederlande als auch Englands beigetragen hätten); Gundling, Ausführlicher Discours, , Bd., S., S. , S. und S. („Sie haben zwey Fundamenta von Commerce, wenn sie bey diesem bleiben, so höret das Commerce nicht aus. (Es sind aber Accidentalia dabey). Das Faupt-Fundament ist die Freyheit der Religion.“); Schmeizel, Einleitung zur Staatswissenschaft, S. ; Shaw, Joseph: Letters from a Noblemen. From a Gentleman travelling thro’Holland, Flanders and France. London (printed for Daniel Midwinter) . S. f.; Weise, Politische Fragen, , S. ; Anonymus, A late Voyage to Holland, , S. – ; Köhler, Collegii, , S. f.; Jordan,Voyages historiques, Bd. , , S. ; Patin, Relations, ; D’Audiffret, Histoire et Geographie, S. . Die Argumente, die in den konkreten Verhandlungen zwischen den Hugenotten und den Landesherren der jeweiligen Aufnahmeregionen zum Tragen kamen, zielten auf genau diese wirtschaftlichen Vorteile. Gewerbeförderung, Peuplierung und Nutzbarmachen internationaler Handelsbeziehungen hat Barbara Dölemeyer als entscheidende Argumente dieser Verhandlungen identifiziert. Vgl. Dölemeyer, Ökonomie und Toleranz, S. 79 – 84. Siehe etwa Carr, Remarks, , S. – und S. – ; Shaw, Travel through Holland, , S. f. Siehe neben Onslow Burrish auch Carr, Remarks, , S. – und S. – , der dabei immer wieder die mögliche Vorbildfunktion der Vereinigten Provinzen für England hervorhebt (siehe etwa S. : „I shall therefore in this place give a short relation of the method used in Amsterdam in the case of Bankrupts, which perhaps may be taken notice of by our King and Parlement for the preventing disorders and sad absuses that dayly happen in Executing the Statutes of Bankrupts.“); Shaw, Travel through Holland, , S. – führt beide Aspekte explizit als zwei der acht ausschlaggebenden Erfolgsfaktoren der niederländischen Wirtschaft an („Nor does the reason of this great Trade and Commerce among the Dutch seem difficult to find out, if we consider: […] thly. The Transferrance of Bills of Debt; which makes the permutation of
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politik der Nordseeprovinz sowie die Zinsstrategien werden vor allem von Autoren aus England und außerdem in deutschsprachigen Staatsbeschreibungen diskutiert.¹⁵⁷ Französische Autoren (egal welcher Konfession) greifen diese Thematik kaum auf.¹⁵⁸ Daneben gibt es einzelne Aussagen über weitere Erfolgsfaktoren, die nur in wenigen Texten genannt werden. So wird zum Beispiel die republikanische Regierungsform als ein den Handel bestimmender Faktor bei einzelnen Autoren thematisiert.¹⁵⁹ Auch die Sicherheit für Händler nennen einige Autoren als entscheidenden Erfolgsfaktor.¹⁶⁰ Andere verweisen auf die Kleinstaatlichkeit und gute Infrastruktur der Republik, die unter anderem eine geringe Zeit des gesamten Herstellungs- und Handelsprozesses garantiere.¹⁶¹ Werden einige der genannten Faktoren mit Blick auf die Vereinigten Provinzen unter einem negativen Vorzeichen diskutiert, so geschieht dies in den betrachteten
Property more easie than elsewhere. […] thly. Their Lean Banks, or Lombards, are likewise a vast Advantage to it; where at all times, for a small Matter, you may turn all your Stock into ready Money.“). Siehe Carr, Remarks, , S. – und S. – . Auch hier betont Carr die ratsame Vorbildfunktion für England: „I am confident that if the King and Parlement thought fit to introduce some or all three of these taxes into England, the publick charge of Government might be defrayed with more ease and with less repining and clamour, then when it must be done by new and high Impositions, how ever our Governers are the proper Judges of that.“ (S. ); Shaw, Travel through Holland, , S. und S. ; Anonymus, A late Voyage, , S. ; Gundling, Ausführlicher Discours, Bd., , S. und S. (Gundling kommt verwundert zu dem Schluss: „Ein Land, das starcke Imposten hat, kann nicht floriren, und Holland floriret doch.“); Köhler, Collegii, , S. ; Schmeizel, Einleitung zur Staatswissenschaft, , S. f.; Weise, Politische Fragen, , S. – . Er betont das hohe Staatseinkommen der Vereinigten Provinzen durch Zölle, „Accisen“ aus Verbrauchsgüter und andere Abgaben, die alle freiwillig von der niederländischen Bevölkerung bezahlt würden. Zudem könne die Republik durch einen hohen eigenen Kredit, Kapitalanlagen „richtig verzinsen“. Solche niedrigen Zinsen seien die Grundlage wirtschaftlichen Erfolgs. Zudem dürfte das Geld nicht aus dem Land gelassen werden, Rohstoffe müssten selber verarbeitet und dann erst verkauft werden, ausländische Manufakturen im eigenen Land stabilisiert und „Kauff- und Handwercks-Leuten gewisse Privilegia [ge]geben werden“. (S. ); Burrish, Batavia Illustrata, S. ; Eine „französische Ausnahme“ findet sich bei Jordan, Voiages Historiques, Bd. , , S. – . Hinweise finden sich lediglich bei Jordan, Voyages Historiques de l’Europe, Bd. , , S. – und S. (hier verweist Jordan auf die Vorbildfunktion der Niederländer: „La Hollande étant le Païs où l’on pratique le mieux ces levées de dernières (impôts et taxes) & où les Intendants des Finances de la plûpart des Princes de l’Europe, ont puisé cette science.“) und Janiçon, État Présent, Bd. , , S. – . Siehe Basnage, Annales, S. ; Janiçon, État Présent, Bd., S. f. Siehe etwa D’Audiffret, Histoire et Geographie, S. . Siehe etwa Anonymus, A late Voyage, , S. f.; Zur Kleinstaatlichkeit als Handelsvorteil siehe auch die oben dargelegten Ausführungen von Onslow Burrish; in Ansätzen auch D‘Audiffret, Histoire et Geographie, S. .
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Abhandlungen immer dann, wenn nicht mehr der wirtschaftliche Erfolg, sondern eine andere Norm der Betrachtung der betreffenden Aussage zu Grunde liegt. Der politische Publizist und Journalist Eustache Le Noble (1643 – 1711)¹⁶² lässt in seiner 1690 veröffentlichten Fabel zum Beispiel die personifizierte Schweiz ihre Schwester Holland warnen, dass die Aufnahme der vielen französischen Flüchtlinge nicht etwa die Grundlage ihrer Stärke sei, sondern eines ihrer größten Übel, da sie, monarchisch sozialisiert, die größten Feinde ihrer republikanischen Freiheit seien.¹⁶³ Freiheit als politische Normen wird hier offensichtlich anderen Zielen übergeordnet.
1.3 Venedig und die Eidgenossenschaft als wirtschaftspolitische Reflexionsfolien Wirtschaftlicher Erfolg, vor allem als Handelserfolg, fungierte auch in den Texten als Norm der Betrachtung, die sich im selben Zeitraum mit den anderen beiden, im zeitgenössischen Verständnis relevanten Republiken, Venedig und der Eidgenossenschaft, beschäftigten. Die Aussagen über die Leistungsfähigkeit dieser Freistaaten fielen aber im Unterschied zu jenen über die Vereinigten Provinzen sehr unterschiedlich und vornehmlich nicht (mehr) positiv aus. Während der auf erfolgreichem Handel beruhende Reichtum Venedigs fester Bestandteil des bis
Zu Leben und Werk Eustache Le Nobles, der unter anderem auch Lobeshymen auf die Revokation des Edikts von Nantes und eine historische Abhandlung über die niederländische Revolte (Histoire de l’établissement de la république de Hollande ou sa révolte. Paris ) verfasste, siehe Moureau, François/Collinet, Jean-Pierre/Hourcade, Philippe: Art. Eustache Le Noble. http:// dictionnaire-journalistes.gazettese.fr/journaliste/-eustache-le-noble (. . ). Noble, Eustache Le: La Pierre de touche politique. Février . La Fable Du Renard. A Leyde (chez William Newking) . Septième Dialogue. Entre La Suisse & la Holande. S. – : „La Suisse: Croiois-tu bien que rien n’a jamais été plus préjudiciable à ton Etat Républicain, que la retraite ouverte que tu as donnée dans tes Etats à une infinité de François fugitifs. La Holande: Oh! pour ce coup là tu te moques de moi, & tu me dis une chose qui n’est pas concevable, quis qu’au contraire ce sont eux qui m’ont communiqué ma principale chaleur, & les principales forces sur lesquelles je me suis apuyée. La Suisse: Conçois bien ce que je vas te dire […] Aprens que cette multitude nombreuse de François qui ont cherché un abri chez toi, sont tous nez avec une proposition naturelle à l’État Monarchique, qu’ils préferent dans le cœur à l‘État Républicain. C’est le génie&la nature des François. […] Ainsi ces serpens que tu as retirez & réchauffrez dans ton sein, ont été des fleaux aussi funestes à ta liberté, qu’ils ont été utiles au Prince d’Orange pour la consommation de ses pratiques ambitieuses. […] qu’il n’y en a pas un seul qui ne desire avec une passion violente de voir ton Etat Républicain détruit, & le Prince d’Orange souverain absolu de tes Provinces. La Holande: Tu m’ouyres les yeux sur des choses ausquelles je n’aurois jamais pensé, & cependant je m’aperçois bien de la verité de ton raisonnement.“
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1650 weit verbreiteten und durch verschiedene Textgattungen transportierten Mythos Venedig gewesen war,¹⁶⁴ konstatierten die Autoren zwischen 1676 und 1750 nun nahezu ausnahmslos einen abnehmenden und zunehmend erfolglosen (also keinen Profit mehr erwirtschaftenden) Handel.¹⁶⁵ Selbst solche Traktate, die noch immer vorwiegend positiv über die Lagunenstadt berichteten und sich gegen eine Niedergangsrhetorik verwehrten, stellten fest, dass der Handel Venedigs und damit auch die Einkünfte der Republik im Rückgang begriffen seien. So stellt einer der wichtigsten Reiseführer für englische Venedigreisende, die postum publizierte Abhandlung The Voyage of Italy des katholischen Priesters und Gelehrten Richard Lassels (ca. 1603 – 1668), die durchaus stereotyp noch etliche Elemente des venezianischen Mythos weitertrug, bereits 1670 eine ökonomisch schwierige Situation seit dem Candia-Krieg fest, die es zu beheben gelte.¹⁶⁶ Auch der in den Niederlanden lebende Franzose Casimir Freschot (ca. 1640 – 1720), der sich in seiner 1709 publizierten Abhandlung Nouvelle Relation de la Ville&Republique de Venise vor allem ausführlich mit Amelot de la Houssaie auseinandersetzte und sich gegen dessen Niedergangsprognose für Venedig stellte,¹⁶⁷ kam nicht umhin festzustellen, dass der Handel stark abnehme und Venedig in diesem Bereich die ehemalige Vormachtstellung an andere habe abgeben müssen: On ne dira rien ici du commerce de la Ville de Venise, qui lui a autrefois fait donner le surnom de Riche. Il est aujourd’hui tout a fait diminué, & il ne consiste guerre que dans quelques marchandises qu’elle donne & reçoit des Allemans & des Turcs. […] Les Villes de
Vgl. Kapitel I. der vorliegenden Arbeit. Der Zedler hält zusammenfassend fest: „Seit dem die Engeländer und Holländer Meister von der Handelschafft geworden, so hat die Stadt Venedig dadurch an ihrem Commercio einen ebenso großen Stoß, als an ihrer Macht erlitten, und sind auch die Manufacturen gar sehr in Abnahme gekommen.“ (Zedler, Grosses Vollständiges Universal-Lexikon, Sp. f.). Siehe Lassels, Richard: The Voyage of Italy, or A Compleat Journey through Italy. In Two Parts. With Instructions concerning Travel. Never Before Extant. Newly Printed at Paris, and are to be sold in London (by John Starkey) . S. f. Zu Leben und Werk des katholischen Priesters, der längere Zeit als Gelehrter in Paris wirkte und fünf Italienreisen als Begleiter englischer Adliger unternahm, vgl. Chaney, Edward: Art. Lassels, Richard (c. – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford . http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Zu Lassels Wiedergabe des venezianischen Mythos und seiner differenzierteren Aussage über die Einkünfte Venedigs vgl. auch Landwehr, Die Erschaffung Venedigs, S. und S. f. Vgl. Freschot, Nouvelle Relation,S. und S. : „Encore une fois la durée de la Répub. Pendant tant de siècles prouve au contraire que les desordres y sont rares, & qu’on sçait y remedier par des voyes qui contribuent plus à son affermissement qu’à sa ruine à laquelle une conduite telle que la décrit Monsieur Amelot, l’auroit depuis long-temps precipitée.“ Zu Leben und Werk Freschots, bei dem nicht klar ist, ob er zum Protestantismus konvertierte und aus welchen Gründen er emigrierte, vgl. Moureau, Art. Casimir Freschot.
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l’Europe, de l’Asie, & de l’Affrique […] que leurs Commis administroient […] sont aujourd’hui ceux des Compagnies Royales d’Angleterre & de Hollande […].¹⁶⁸
Freschot nennt wie Amelot de la Houssaie als entscheidenden Grund für diesen Niedergang des venezianischen Handels die Konkurrenz durch andere europäische Mächte, die vor allem die Entdeckung neuer Handelsrouten durch die Portugiesen und Holländer mit sich gebracht hätten.¹⁶⁹ Dieser Analyse schließen sich die meisten der hier betrachteten Autoren an.¹⁷⁰ Auch hätten die venezianischen Manufakturen nicht mehr die herausragende Stellung in Europa wie zuvor, ihre Qualität und Einzigartigkeit sei verloren gegangen und folglich sei die Wirtschaftskraft der Lagunenstadt gesunken.¹⁷¹ Der venezianische Adel, so die Meinung einiger Traktate, setze außerdem falsche Prioritäten. Er vernachlässige den Handel, als „Seele aller Staaten“, und konzentriere sich stattdessen darauf, Landbesitz in der Terraferma zu erlangen, um einem aristokratischen Lebensstil zu frönen.¹⁷² Der spätere Royal Commissioner of Trade (1716) und Secretary of State for the Southern Department (1717), Joseph Addison (1672– 1719),¹⁷³ fasst in den
Freschot, Nouvelle Relation, S. f. Freschot, Nouvelle Relation, S. : „On a touché ailleurs la premiere & principale cause de sa décadence, qui a été le passage des Portugais & des Hollandois dans les Indes par delà le Cap de Bonne Esperance, & qui a fait prendre la même route aux marchandieses & aux richesses de ce pays là, qui venoient autrefois toutes aux Golfe Persique, ou dans le Mer rouge, d’où elles passoient par terre à Ale de Syrie & à Alexandrie d’Egypte, où les Venetiens les alloient prendre, & les distribuoient en suite par toute l’Europe.“ Vgl. etwa Saint Didier, Alexandre Toussaint Limojon de: La Ville et la Republique de Venise. Troisième Edition revenuë&corrigée par l’Autheur. A Amsterdam (chez Daniel Elsevier) . S. f.; Pöllnitz, Karl Ludwig von: Lettres et Memoires du Baron de Pöllnitz, Contenant Les Observations qu’il a faites dans ses Voyages, et le Caractere des Personnes qui composent les principales Cours de l’Europe. Bde. . Aufl. Amsterdam . Bd. . S. – ; Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. („Es ist gewiß, daß die vorgedachte Erfindung West-Indiens, und eines neuen Weges um Africa herum, nebst denen andern allegirten ursachen, denen Venetianern einen abscheulichen Stoß gethan, daß ihr Commerce gegen die vorigen Zeiten ietzo fast gar nichts heisset.“). Vgl. etwa Pöllnitz, Lettres et Memoires, S. – ; Blainville, Reisebeschreibung, Bd. , S. f. Siehe etwa Motraye,Voyages. Bd. . S. ; Burnet′s Travels, S. (Vgl. dazu auch Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. ). Der Literat und Politiker Joseph Addison ( – ) verfügte über ein breites politisches und kulturelles Netzwerk in England und Europa. Unter anderem hegte er eine langjährige Freundschaft zu Abraham Stanyan (ca. – )! Er war Herausgeber und Autor mehrerer Journale, u. a. von The Spectator ( – ) und The Freeholder ( – ). Zu Leben und Werk Joseph Addisons vgl. Rogers, Art. Addison.
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1705 veröffentlichten Some remarks on several parts of Italy diese Gründe zusammen und verweist zudem auf die konservative Haltung des venezianischen Staates, die einer modernen Handelsnation nicht mehr angemessen sei: This City stands very convenient for Commerce. […] But, notwithstanding these Conveniencies, their Trade is far from being in a flourishing Condition for many Reasons. The Duties are great that are laid on Merchandises. Their Nobility think it below their Quality to engage in Traffick. The Merchants that are grown Rich, and able to manage great Dealings, buy their Nobility, and generally give over Trade. Their Manufactures of Cloth, Glass and Silk, formerly the best in Europe, are now excell’d by those of other Countries. They are tenacious of old Laws and Customs to their great Prejudice, whereas a Trading Nation must be still for new Changes and Expedients, as different Junctures and Emergencies arise.¹⁷⁴
Die notwendigen Bedingungen eines erfolgreichen Handels wurden folglich auch anhand Venedigs herausgefiltert. Unterschiede, die dabei je nach nationalen, konfessionellen oder anders bedingten Blickwinkeln zu vermuten sein könnten, lassen sich auch hier nicht ausmachen. Während vor allem die Konkurrenzfähigkeit, die richtige Prioritätensetzung und ein freier Handel, der nicht durch zu hohe Zölle eingeschränkt wird, als entscheidende Erfolgsfaktoren ausgewiesen werden, finden sich mit Blick auf die Lagunenstadt kaum Aussagen über die Notwendigkeit eines regen Kapitalflusses durch zinsgünstige Kredite oder ein funktionierendes Bankwesen. Auch die Bevölkerungsdichte als möglicher entscheidender Standortvorteil und eine religiöse Toleranz, die dies begünstigen könne, werden anhand von Venedig nur selten thematisiert.¹⁷⁵ Eine der wenigen Abhandlungen, die etwa das Bankwesen der venezianischen Republik aufgreift, ist die anonym herausgegebene Schrift Voyage Historique et Politique de Suisse, d’Italie et d’Allemagne von 1736.¹⁷⁶ Der Anonymus betont die Vorbildhaftigkeit der venezianischen Bank für andere ähnliche Institutionen und Projekte in Europa,¹⁷⁷ koppelt aber einen Erfolg einer solchen Ein-
Addison, Joseph: Some Remarks on several parts of Italy&c. in the years , and . London (printed for Jacob Tonson) . S. f. So etwa bei Gundling, Ausführlicher Discours. Anonymus: Voyage Historique et Politique de Suisse, d’Italie et d’Allemagne. Avec Figures, Tome Premier. A Francfort (chez François Varrentrapp) . Der zweite Band erscheint ebenfalls in Frankfurt. Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd., S. : „C’est à Venise qu’on a l’obligation de l’invention & de l’établissement de la Banque. […] Cependant la Banque & le change ont apporté autant d’avantage a la bourse que l’imprimerie en a apporté à sciences. La Banque de Venise qu’on appelle Bancò de giro & dont le nom seul fait connoitre l’usage, est une invention des plus belles & des plus avantageuses qu’on pouvoit imaginer, pour tripler & quadrupler la richesse de l’Europe. […] Je n’entrerai pas d’avantage dans l’explication des divers avantages que produit la
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richtung notwendig an die (politische) Freiheit in einem Gemeinwesen. Nur in einer einzigen Monarchie, nämlich in England, habe die Institution einer Bank deshalb bisher Bestand haben können. Unter despotischen Bedingungen, wie etwa in Frankreich, seien derartige Projekte hingegen bisher immer gescheitert.¹⁷⁸ Trotz des gesunden Bankenwesens in Venedig sei der Handel aber auch hier und damit die Größe des gesamten Staates, so das Traktat, im Niedergang begriffen. Ursache hierfür sei neben der internationalen Konkurrenz vor allem die fehlende Freiheit und garantierte Sicherheit für den Handel gewesen: „Le commerce y étant tombé, a entrainé avec lui la grandeur de l’Etat. […] Pour faire fleurir le commerce, il lui fait accorder toute liberté & le protéger, sans quoi il tombe infailliblement en decadence.“¹⁷⁹Als positives Gegenbeispiel führt der anonyme Autor auch hier Holland ins Feld: L’exemple de la Hollande est trop sensible, pour n’en être pas convaincu. Quelle liberté pour le commerce n’y a t’on pas? Ces habiles politiques conçoivent trop le besoin que les Souverains ont du commerce dans leurs Etats, pour ne pas y donner toute leur attention c’est ce qui fait de leur grande sagesse un parfait éloge, qui surpasse tout ce qu’on en pourroit dire.¹⁸⁰
Hinsichtlich der garantierten Freiheit und der notwendigen Einsicht der politisch Verantwortlichen, dass ein florierender Handel die Grundlage eines erfolgreichen Gemeinwesens bilde, hebt der Autor der Voyage Historique et Politique neben Holland in seiner Beschreibung der Eidgenossenschaft auch die Stadt Zürich hervor: „Heureux la Païs qui s’adonne au Commerce & aux Fabriques; plus heureux encore celui qui peut y réüssir comme Zurich a fait.“¹⁸¹ Zürich sei vorbildhaft im Aufbau und der Ausgestaltung seiner Fabriken, aber vor allem in seiner weisen Ökonomie und der Marktstrukturen, die das Geld der Ausländer ins Land hineinziehen würden. Eine reine, merkantilistische „Abschottungspolitik“ würde hingegen zu kurz greifen:
Banque. […] Celle de Venise a servi de modêle à toutes celles qu’on a établies tant en Allemagne qu’en Hollande.“ Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd. , S. f.: „On a remarqué qu’en aucun Roiaume excepté l’Angleterre la Banque n’a pu réüssir. Encore moins a-t-elle prospéré sous un Gouvernement despotique. Tous les projets d’établissement qu’on en a formez en France sont toujours tombez. Preuve de ce que j’ai déjà dit que le commerce en général & celui-ci en particulier demandent une liberté parfaite.“ Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd. , S. . Vgl. auch S. und S. . Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd. , S. . Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd. , S. .
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Les richesses, que les Fabriques ont portée à Zurich m’ont fait faire des réflexions sur l’avantage qu’elles apportent dans un Etat. […] Mais par là on réüssira infailliblement, & c’est si je ne me trompe, le plus court chemin pour apporter des richesses & l’abondance dans un Païs. Non seulement à Zurich, mais en Hollande & en Angleterre, on a suivi de pareilles maximes. Les Edits pour défendre l’Entrée du Païs aux Marchandises de même nature que celles qu’on y Fabrique, sont une pauvre ressource quand on est obligé d’envenir là. C’est par l’oeconomie & le bon marché qu’il faut obliger les Etrangers de venir chez soi troquer leur Argent contre les Marchandises qu’on Fabrique. […] le Principal bût d’un habile Législateur doit être, selon moi non pas seulement d’empêcher que l’Argent ne sorte, mais de l’obliger à entrer.¹⁸²
Der anonyme Autor schreibt dabei klar vor dem eigenen französischen Hintergrund. So lobt er etwa Colberts wirtschaftspolitische Ansätze und kritisiert gleichzeitig die französische Vertreibung der Hugenotten als großen wirtschaftspolitischen Fehler.¹⁸³ Solche wirtschaftspolitischen Überlegungen und vor allem deren Umsetzung in der alltäglichen Praxis fasste der venezianische Abgesandte in der Eidgenossenschaft,Vendramino Bianchi (1667– 1738), in seiner 1708, also kurz nach seinem Schweizaufenthalt (1705 – 1707), publizierten Abhandlung Relazione del paese de’ Svizzeri, e loro alleati mit dem Terminus der „Ökonomie“.¹⁸⁴ Und auch er lobt – und
Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd. , S. . Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd. , S. f.: „Colbert, ce fameux Ministre de France, a été un des plus habiles hommes qui fut jamais pour le commerce & pour les Fabriques, qui en sont la source. […] Je ne doute pas que, si ce grand politique avoit vêcu, il n’eût arrêté le faux zêle de ces Devots & que sans entrer avec eux dans des disputes de Religion il ne leur eut dit en ami. L’intérêt du Roy & du Roiaume est que les Reformez y restent. S’ils ne veulent pas aller en Paradis, vous y en serez d’autant plus à votre aise. Enfin, s’ils ne sont pas bons Catholiques, ils sont bons Négotians cela suffit.“ Die Rolle der hugenottischen Flüchtlinge hebt der Anonymus unter anderem in seiner Beschreibung Genfs hervor. Hier stilisiert er sie zum bedeutendsten Erfolgsfaktor der erfolgreichen Wirtschaft. (Vgl. Anonymus, Voyage Historique et Politique, Bd. , S. f.). Auch ein Schweizer Anonymus ging 1730 auf die Flüchtlingspolitik der Eidgenossenschaft ein. Er kritisiert, dass die katholischen Kantone die wirtschaftliche Chance, die sich durch die mögliche Aufnahme hugenottischer Flüchtlinge bieten würde, noch nicht erkannt hätten. Bern hingegen habe dies bereits registriert und durch die Aufnahme französischer Flüchtlinge enorm gewonnen. Siehe Anonymus: L’Etat et les Delices de la Suisse, en forme de Relation critique, par plusieurs Auteurs célèbres. Enrichi de Figures en Taille-douce, dessinées sur les Lieux mêmes & de Cartes Géographiques très-exactes en IV.Volumes. Amsterdam (chez les Wetssteins et Smith) 1730. Bd. 1. S. 447– 449 und Bd. 2. S. 85. Bianchi, Vendramino: Relazione del paese de’ Svizzeri, e loro alleati. Venezia . Für die vorliegende Arbeit wurde die englische Übersetzung von verwendet: Bianchi, Vendramino: An Account of Switzerland, and the Grisons: as also of the Valesians, Geneva, the Forest-Towns, and their other Allies. Containing The Geographical, and present Political Estate of all those
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zwar in einem generalisierenden Sinn – die kantonalen Regierungen diesbezüglich. Ihre „most exact Oeconomy“ würde garantieren, dass die Einnahmen des öffentlichen Haushaltes immer größer seien als die Ausgaben.¹⁸⁵ Bianchi, dessen Text sich klar als Staatsbeschreibung präsentiert und positioniert,¹⁸⁶ greift in seinen Ausführungen immer wieder den Handel und überhaupt die wirtschaftlichen Strukturen der Eidgenossenschaft als Ganzes und der einzelnen Kantone auf. Er hebt vor allem die vorhandene Bevölkerungsdichte als wichtigen Standortfaktor der Alpenrepublik und Grundlage von deren Prosperität hervor.¹⁸⁷ Der Handel und die Konzentration und Ausrichtung aller politischen Handlungen auf diesen, etwa auch der Außenpolitik, sei für manche Kantone, vor allem für die protestantischen, überlebenswichtig.¹⁸⁸ Sehr vorteilhaft sei es daher, dass die
Places, made English from the Italian Original, printed at Venice in . London (printed for J. Knapton) . Für Bianchis Ökonomiebegriff siehe S. , S. und S. . Zur Begriffsgeschichte von „Ökonomie“ und „Politischer Ökonomie“ siehe Simon, Thomas: Ursprünge und Entstehungsbedingungen der „Politischen Ökonomie“. In: Wirtschaft und Wirtschaftstheorien in Rechtsgeschichte und Philopsophie. Viertes deutsch-französisches Symposion vom .–. Mai in Wetzlar. Hrsg. von Kervégan, Jean-François. Frankfurt a.M. (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte ). S. – . Bianchi, Account of Switzerland, S. : „But in proportion, the Expences defray’d out of the Publick Cash, are yet less than their Revenues; and their Publick treasure being therefore manag’d with the Frugality of a most exact Oeconomy, no wonder if, in the Course of a long Peace, it be found in some cantons to amount to many Millions of Florins.“ Am Ende der Abhandlung führt Bianchi die Einkünfte der einzelnen Kantone tabellarisch auf. Allerdings berücksichtigt er nur die aristokratisch regierten Kantone, da die demokratischen Kantone, die ihre Untertanen nicht mit Steuern belasten wollen würden, keine oder nur sehr geringe Einnahmen hätten (Siehe Bianchi, Account of Switzerland, S. – .). Siehe Bianchi, Account of Switzerland, To the Reader (o.P.): „After the Geographical description of the Country, and having given a (perhaps not useless Account of its nature, I conclude with some Particulars of the Ancient History of these People […]; believing that enough for the Reader’s Information, as well as to lead with ease and all possible clearness to the Exposition of the Modern State.“ Bianchi, Account of Switzerland, S. und S. : „[…] for if that were left free, other Potentates who retain Switzers in their Pay, wou’d also press to augment their Numbers, and their Country, tho’ fertile in the production of People, would in a short time be emptied, to the utmost prejudice of their Liberty and flourishing Estate.“ Bianchi, der sich explizit als katholischer Autor ausweist (siehe To the Reader, o.P.), spricht dabei nicht die religiöse Toleranz als mögliches Mittel einer solchen Bevölkerungsdichte an. Allerdings verweist er an einer Stelle darauf, dass die Emigration der Hugenotten einen großen Nachteil für die französische Wirtschaft bedeutet habe (siehe S. ). Vgl. etwa Bianchi, Account of Switzerland, S. : „The matter of Trade is very considerable, especially to the Protestant Cantons: which for the most part, are so situated, that it cou’d scarce be carried on, if their Commerce with Germany was cut off.“ Vgl. auch S. : „This Country being very Mountainous, and of the Nature above describ’d, cannot possibly subsist its People, which are therefore necessitated to apply themselves to Trade or Arms.“ Und S. f.
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Jugend zu einem sehr großen Teil Erfahrungen im Ausland sammle und die erlernten Dinge in Militär- und Handelswesen dann nach ihrer Rückkehr mit einbringen könne.¹⁸⁹ Eine erfolgreiche Wirtschaftsleistung tritt also auch in jenen Texten als Referenznorm auf, die sich mit der Eidgenossenschaft beschäftigen. Dabei werten die Aussagen die notwendigen Erfolgsfaktoren positiv als erfüllt (etwa hinsichtlich Bevölkerungsdichte, Ausbildung, Marktstrukturen) oder negativ als noch nicht erfüllt oder unbedingt verbesserungsbedürftig. So kritisieren einige Autoren zum Beispiel die enormen Zunftregulierungen in manchen Städten, die einem freien Markt und damit auch einer guten Qualität der Produkte entgegenstünden.¹⁹⁰ An diese Kritik schließt sich ein weiterer Punkt an: Das Bürgerrecht als Voraussetzung für die Teilnahme am Handel oder am Zunfthandwerk werde zu exklusiv und restriktiv vergeben. Man vergebe daher die Chance, vermögende und fähige Kaufleute in die Stadt zu integrieren und damit den Handel florieren zu lassen. So moniert der sich selbst als Monsieur de Blainville bezeichnende Autor in seinen Reisebeschreibungen aus den Jahren 1705 und 1707 diese restriktive Bürgerrechtsvergabe in Zürich und Basel: Die Bürger von Basel genießen große Freyheiten und Vortheile, die sie aber keinem Fremden mittheilen wollen, welche Härtigkeit aber meiner Meinung nach, hier so wohl als in Zürich, wo eine gleiche Partheilichkeit obwaltet, die Aufnahme der Handlung sehr hindert, weil sie auswärtige vermögende Kaufleute abhält, sich hier niederzulassen. Ich bin überzeugt, dass es ein sicheres Mittel seyn würde, eine große Anzahl neuer Einwohner aus Frankreich, Deutschland und anderen Gegenden in diese beyde Städte zu ziehen, wenn man die Bürgerschafft in verschiedene Classen eintheilte, und die vornehmsten und angesehensten unter den neuen Ankömmlingen unter ihre alten Familien so wol von Patricien als vom Bürgerstande aufnähme, damit sie vermöge dieses Rechtes dereinst Hofnung hätten, bey Gele-
Bianchi, Account of Switzerland, S. : „Those who engage in the Second, quit their Country for some time, to learn abroad the Mercantile Arts: either in the Empire, or Italy, or France, or Holland: by which means, the Nation is not only richly stor’d with excellent Officers, and good Soldiers, but also adorn’d with an incredibable Politeness.“ Vgl. etwa Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , § (S. ) und S. ; Stanyan, Abraham: An Account of Switzerland.Written in the Year . London (printed for Jacob Tonson) . S. f. und S. f.: „As to the Citizens of the Aristocratical Cantons […] they may be divided into Three Classes, the Trades-men and Merchants, the Pen-men, and the Military Men.The first are generally esteemed to be proud and lazy; which Qualities chiefly proceed from two Privileges they enjoy. One is, their Right of being chosen into the Government by Vertue of their Burgership, which makes them proud; and the other is, that of hindering any but a Citizen, from exercising any Trade within the Cities, which makes them lazy. From whence two Inconveniences naturally flow: One, that the Inhabitants pay every dear for their Goods; and the other, that the Workmen are bad; for where there is no great Choice of Artificers, one must be contented not only with bad Work, but to pay such a Price for it, as they please to impose.“
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genheit auch zu öffentlichen Bedienungen zu gelangen. Die Freyheiten der Bürger von der geringen Classe müssten auch allen Fremden ohne Unterschied ertheilet werden, die sich hier niederlassen wollen. Wenn diese Einrichtung statt fände, so ist gar kein Zweifel die Handlung dieser beyden Städte würde gar bald in einen größern Flor kommen, als sie gegenwärtig hat.¹⁹¹
Immigranten als potentieller Erfolgsfaktor werden folglich auch hier ins Feld geführt.¹⁹² Die Parallelität der Aussagen verlief also quer zum Analysegegenstand. Dies wird besonders innerhalb solcher Texte deutlich, die mehrere Staaten in einer Abhandlung betrachteten. Eine solche ist die zweibändige Abhandlung Aus Blainville, Reisebeschreibung, Bd., S. f. Für Zürich hält Blainville an anderer Stelle fest: „Unter so vielen weislich eingeführten Gesetzen werden mir die Herren Zürcher vergeben, wenn ich mich über einen meiner Meinung nach sehr schlechten Staatsgrundsatz, den sie angenommen haben, sehr verwundere, dass sie nemlich ihr Bürgerrecht niemanden als alle hundert Jahre einer einigen Person ertheilen, und diese muß noch dazu aus dem Canton gebürtig seyn, oder zum wenigstens ursprünglich daraus abstammen. In diesem Stücke machen sie mehr Schwierigkeiten als die alten Römer, die ihr Bürgerrecht allen denen ertheilten, die ihnen gute Dienste geleistet hatten, oder von denen sie dergleichen hoffen konten (sic). Ich bilde mir daher ein, dass, wenn die Bürger von Zürich ein gleiches thäten, so würde solches, da das Land gut, die Stadt zum Handel wohl gelegen und die Regierung gelinde ist, wenn man alle diese Vortheile mit denselbigen Vorrechten und Freyheiten, deren die Eingebohrnen geniessen, vereinigte, eine Menge Kaufleute von verschiedenen Orten hierher ziehen, die die Stadt noch weit reicher und mächtiger machen würden, als sie wirklich ist.[…] Ich bin daher wirklich erstaunet darüber, dass Leute, die doch sonst so klug sind, und die ihren Vortheil so wohl einsehen, die schlechten Folgen, welche aus ihrer Regel nothwendig entstehen müssen, noch nie in Betrachtung gezogen haben. Dieses beweiset die Wahrheit des alten Grundsatzes: dass keine Regierung so volkommen (sic) sey, worin man nicht noch Fehler finden könne.“ (Bd., S. ). Über den Autoren ist außer der angegebenen Position im Titel nichts bekannt; Vgl. auch ähnlich konstatierend D’Audiffret, Histoire et Geographie, , S. . Vgl. etwa auch Abraham Stanyan, der die nicht erfolgte Aufnahme der französischen Flüchtlinge nach dem Edikt von Fontainebleau als vertane Chance wertet: „When Numbers of French Protestants left their native Country, after the Revocation of the Edict of Nantes, many of them retir’d into Switzerland, and try’d to establish several Manufactures there; but not being sufficiently protected and encouraged by the Sovereign, and being on the other Hand persecuted by the Native Citizens, who will not suffer any Foreigner to exercise his Trade in any of the Capital Cities, they were forced to give over their Design, and removed into other Countries, that gave them a more kind Reception. By this Means the Protestant Cantons lost the best Opportunity, they perhaps will ever have, of erecting useful Manufactures at home. The Privileges granted to the Citizens, of excluding all Strangers from exercising any Trade, might be justified, if they could work as well themselves; but since they are neither good Workmen themselves, nor will suffer Strangers, that are so, to live among them, there is no Hopes of seeing any useful Manufactures flourish. This Difficulty I take to be greater, than that arising from the want of Materials of their own Growth.“ (Stanyan, Account of Switzerland, S. ).
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führlicher Discours über den ietzigen Zustand der Europäischen Staaten des aus einer protestantischen Theologenfamilie stammenden Professors Nicolaus Hieronymus Gundling (1671– 1729).¹⁹³ Gundling lehrte seit 1705 Philosophie und Rhetorik an der als Reformuniversität bekannten Universität in Halle und wechselte 1707 dort an die juristische Fakultät mit einem Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht. 1712 hielt er seinen Studenten ein sogenanntes Collegium über den ietzigen Zustand von Europa. Als umfassende und detaillierte Textausgabe dieser Vorlesung wurde der Discours erst 1733, vier Jahre nach Gundlings Tod, postum veröffentlicht. Darin bewertet Gundling etwa die Integration und Toleranz gegenüber Glaubensflüchtlingen als positiv und als grundlegenden Pfeiler für Manufakturgründungen und Handelserfolg. So schreibt er hinsichtlich der Niederlande: Seit der Zeit die Holländer ihre Manufacturen in besseren Stand gebracht, und es durch die Frantzosen perfectioniren lassen, so hat Borell ausgerechnet, daß sie fünff und dreyßig Millionen erspahren, weil sie vordem vor so viel Waare aus Frankreich holen müssen, ehe sie die Manufacturen gehabt, welche ihnen die Refugier zuwege gebracht haben.¹⁹⁴
Und weiter an anderer Stelle: Sie haben zwey Fundamenta von Commerce, wenn sie bey diesem bleiben, so höret das Commerce nicht auf. Das Haupt-Fundament ist die Freyheit der Religion. Eine jede Religion wird da geduldet.Wenn jeder gleich nicht zu Chargen kommen kan, so kan er doch da leben; anderswo jagt man sie gar weg wegen anderer Opinionen, da werden sie dann denen Holländern zugejaget. Auf die Art sind vile tausend Frantzosen dahin kommen; Franckreich hat mit denen Persecutionen mehr verlohren, als durch die Kriege; da mussten Leute weg, die ihnen dienlich waren, davon haben die Holländer das beste weggeschnappet.¹⁹⁵
Gundling, Ausführlicher Discours. Zu Leben und Werk Gundlings, der zunächst Theologie in Nürnberg und Jena und dann Jura in Halle studierte, dann bei Christian Thomasius ( – ) promovierte, als außerordentlicher Professor für Philosophie lehrte und schließlich den Lehrstuhl für Geschichte und Rhetorik, später Naturrecht innehatte vgl. Stinzing, Roderich von: Art. Gundling, Nicolaus. In: ADB. Bd. . Leipzig . S. ; Lieberwith, Rolf: Art. Gundling, Nicolaus Hieronymus. In: NDB. Bd. . Berlin . S. ; und Fischer, Daniela: Nicolaus Hieronymus Gundling – . Der Blick eines frühen Aufklärers auf die Obrigkeit, die Gesellschaft und die Gebildeten seiner Zeit. Trier . S. f. Gundling, Ausführlicher Discours, Bd., S. . Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. .
1.3 Venedig und die Eidgenossenschaft als wirtschaftspolitische Reflexionsfolien
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Mit Blick auf Venedig hält Gundling fest: Sie haben zwar zu Venedig eine geistliche Inquisition; allein sie verfähret bey weitem nicht so schlimm mit denen Ketzern, als die Spanische […]. Es werden auch die Juden in Venedig toleriret, und daselbst besser als an irgendeinem andern Ort in Italien tractiret. […] Es stehen die Juden zu Venedig mit denen vornehmsten Kauffleuten, die nach der Levante handeln, in Compagnie, und ziehen daher ein grosses Negoce nach Venedig.¹⁹⁶
Und auch hinsichtlich der Eidgenossenschaft konstatiert er: […] da zu den Zeiten Lutheri das Reformations-Wesen auch in Italien sich eingeschlichen, daß daselbst viele die Finsterniß des Papstthums eingesehen, so sind etliche hinüber gekommen. […] und da die Schweiz Italien am nächsten ist, begaben sie sich dahin […]. Von diesen Flüchtlingen nun haben es die Schweitzer gelernet, und sich seit dem etwas auf die Manufacturen appliciret. Wenn also die Manufacturen nicht wären aus Italien gekommen, so hätten die Schweitzer ihre Lebtage keine gekriegt. Nun machen sie den schönsten seidenen Flor, Crep, und auch Tücher. [..] Deshalben soll sich ein Princeps nicht weigern die Flüchtlinge einzunehmen: Denn wir sehen es sowohl an andern, als auch hieselbst, was die Italiäner denen Schweitzern für Vortheil geschaffet.¹⁹⁷
Insgesamt argumentiert Gundling ganz ähnlich wie Wilhelm von Schröder und Johann Joachim Becher und die meisten der in diesem Kapitel vorgestellten Abhandlungen. Im Sinne dieser neuen merkantilistischen Überlegungen, die die Vorstellungen der barocken Hofoeconomie im Reich zunehmend verdrängten,¹⁹⁸ plädiert Gundling für einen freien Handel, der nicht durch Monopole oder hohe Zölle eingeschränkt werden darf, eines produktiven Gewerbes unbedingt bedarf und notwendig durch ein öffentliches und funktionierendes Bank- und Kreditwesen gefördert werden kann. Grundsätzlich legt Gundling dies in seiner Einleitung zur wahren Staatsklugheit dar, die ebenfalls erst postum 1751 veröffentlich wurde.¹⁹⁹ Dass er gerade diese Strukturelemente mit Blick auf eine erfolgreiche
Gundling, Ausführlicher Discours, Bd., S. . Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S.. Vgl. dazu Bauer, Volker: Hofökonomie: Der Diskurs über den Fürstenhof in Zeremonialwissenschaft, Hausväterliteratur und Kameralismus. Weimar [u. a.] (Frühneuzeitstudien Neue Folge ). S. – . Gundling, Nicolaus Hieronymus: Einleitung zur wahren Staatsklugheit, aus desselben mündlichem Vortrag aufgezeichnet, jetzo aber aus zuverlässigen Handschriften zusammengetragen. Frankfurt/Leipzig .Vgl. hier etwa besonders S. (Vorrang des Handels), S. und S. (zur Einschränkung durch Monopole), S. (Notwendigkeit des produzierenden Gewerbes als „Grund und Seele der Commercien“), S. – (Bank- und Kreditwesen. Dabei hebt Gundling vor allem die Bank von Amsterdam als Beipiel hervor: „Keine Banco ist in besserer Verfassung als die zu Amsterdam, welche darinnen bestehet, daß Geld sicher ist, und man mit
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Wirtschaftsleistung eines Gemeinwesens als notwendig erachtete, wird auch in seinen Aussagen über die drei betrachteten Republiken innerhalb seines Ausführlichen Discours über den ietzigen Zustand der europäischen Staaten deutlich. Anhand der Vereinigten Provinzen, deren Wirtschaftskraft 1672 einen herben Rückschlag erlitten habe, so hält auch Gundling unter Bezugnahme auf Savary und Huet fest,²⁰⁰ könne man grundsätzlich erkennen, dass der Handel eine Nation reich und damit mächtig machen könne.²⁰¹ Als Standortvorteile, die einen erfolgreichen niederländischen Handel generieren, preist Gundling neben der oben zitierten Toleranz, die attraktiv auf wirtschaftlich potente Glaubensflüchtlinge wirke, die sichere Börse, die niedrigen Zinsen, die Sicherheit, die den Kaufleuten garantiert wird, die Milde der Regierung und das Stapelrecht.²⁰² Zweifelnd fragt er außerdem, ob die niederländischen Handelskompanien mit dem ihnen verliehenen staatlichen Monopol der niederländischen Republik „heut zu Tage […] noch nöthig, oder […] zuträglich?“ seien, denn „je mehr Kauffleute aber da sind, je besser floriret das Commerce“.²⁰³ Auch nimmt Gundling die Betrachtung der niederländischen Wirtschaft zum Anlass, um die Zustände im Reich zu kritisieren: Die vielen Zölle etwa seien dem deutschen Handel überaus schädlich.²⁰⁴ Mit Blick auf die Eidgenossenschaft kritisiert Gundling vor allem die Zunftstrukturen, die die Bildung „rechter Manufakturen“ verhindern würden.²⁰⁵ Burnet habe in seinen Reisebeschreibungen durch die Brille des erfolgreichen englischen Handels überhaupt kein „Commercium“ in der Eidgenossenschaft feststellen können. Insgesamt könne man hier aber durchaus von einem funktionierenden Handel sprechen und diesen vor allem in Zürich, Bern und Schaffhausen beobachten.²⁰⁶ Funktionieren würde noch immer der venezianische Handel, doch im Verhältnis – Zetteln und mit Papier bezahlen kann, ohne Weitläuffigkeit.“ (S. )). Zu dieser wirtschaftspolitischen Argumentation Gundlings in der Einleitung zur wahren Staatsklugheit vgl. auch Rüdiger, Axel: Staatslehre und Staatsbildung. Die Staatswissenschaft an der Universität Halle im . Jahrhundert. Tübingen . S. f. und Fischer, Gundling, S. – , die Gundlings Aussagen zum Teil auch als klare Kritik an den Maßnahmen Friedrich Wilhelms I. ( – ) sieht. Siehe Gundling, Ausführlicher Discours, S. und S. . Gundling, Ausführlicher Discorus, S. : „Also macht das Commercium reich.Vorhero war in Europa nichts, ehe das Commerce entstanden. […] Also können die Commercia eine Nation reich machen.“ An anderer Stelle hält Gundling fest: „Wer kein Geld hat, der hat keine Force.“ (Gundling, Ausführlicher Discours, S. ). Siehe Gundling, Ausführlicher Discours, S. (Börse und Bank), S. (Zinsen), S. (Sicherheit), S. (Milde der Regierung), S. (Stapelrecht). Gundling, Ausführlicher Discours, S. . Siehe Gundling, Ausführlicher Discours, S. . Siehe Gundling, Ausführlicher Discours, Cap. VII, §. Gundling, Ausführlicher Discours, S. .
1.4 Zusammenfassung
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und in solchen relationalen Kategorien denkt Gundling nun vornehmlich²⁰⁷ – sei der Handel der Lagunenstadt vornehmlich aufgrund der iberischen Entdeckungen und der zunehmenden Handelskonkurrenz in einem erheblichen Maße zurückgegangen: Es ist gewiß, daß die vorgedachte Erfindung West-Indiens, und eines neuen Weges um Africa herum, nebst denen anderns allegirten Ursachen [der Konkurrenz durch Engländer, Franzosen, Holländer], denen Venetianern einen abscheulichen Stoß gethan, daß ihr Commerce gegen die vorigen Zeiten ietzo fast gar nichts heisset.²⁰⁸
1.4 Zusammenfassung Insgesamt ähneln sich die Aussagen über alle drei zeitgenössischen Republiken vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Erfolges als Norm. Diese regulative Zielvorstellung, so lassen die hier angeführten Quellenbeispiele erkennen, gewann unabhängig vom spezifischen Hintergrund der Autoren im europäischen Nachdenken über den Staat an Gewicht. Unter welchem Vorzeichen (positiv/negativ) die Aussagen getätigt wurden, hing dabei stark vom Gegenstand der Analyse ab. So wurde die wirtschaftliche Performanz der Vereinigten Provinzen nahezu ausnahmslos als erfolgreich gewertet, jene Venedigs fast immer als mindestens relativ im Niedergang begriffen. Die Leistungsfähigkeit der Eidgenossenschaft wurde hingegen sehr unterschiedlich bewertet,²⁰⁹ meistens differenzierten die Autoren in ihrem Urteil auch stark zwischen den einzelnen Kantonen oder Städten. Manche der Faktoren, die dabei als erfolgsversprechend gewertet wurden, finden sich vornehmlich bei Autoren, die ein spezifisches Kriterium gemeinsam hatten. So wurde etwa ein funktionierendes Bankwesen, das einen regen Kapitalfluss ermöglichen sollte, vornehmlich von englischen Autoren angeführt,
Vgl. dazu auch Rüdiger, Staatslehre, S. . Gundling, Ausführlicher Discours, S. f. Abraham Stanyan etwa spricht der Eidgenossenschaft ein eigenes Handelswesen weitestgehend ab und konstatiert eine durchweg negative Handelsbilanz (siehe Stanyan, Account of Switzerland, S. und S. ). Auch Burnet negiert ein eigenes Handelswesen, zumindest für Bern: „In Bern there is very little trade“ (Burnet′s Travels, S. ). Nicolaus Gundling relativiert Burnets Aussage hingegen als zu sehr durch die „englische Brille gesehen“: „Es saget zwar Burnet, daß sie gar kein Commercium haben; Allein er hat den Lerm und den Strepitum der grossen Handlung in Engelland vor Augen gehabt, und dahero ist ihm diese kleine Handlung nicht ins Gesichte gefallen. Sie haben allerdings ein Commercium, sonderlich zu Kriegs-Zeiten, weil sie alsdann Frantzösische Waren nach Deutschland bringen.“ (Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. ).
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1 Wirtschaftlicher Erfolg
hauptsächlich mit Blick auf die Vereinigten Provinzen, aber auch hinsichtlich der anderen beiden Republiken. Viele der möglichen Erfolgsfaktoren wurden allerdings von Autoren angeführt, die sich mit Blick auf ihren nationalen, konfessionellen oder beruflichen Hintergrund durchaus unterschieden. Neben einer günstigen Lage, einer guten Infrastruktur und einer hohen Bevölkerungsdichte wurden vor allem die Notwendigkeit eines freien – durch wenige Zölle, Abgaben und Regeln eingeschränkten – Marktes betont und politische bzw. religionspolitische Strukturen eingefordert, die einen solchen Markt attraktiv und offen für fähige und solvente Marktteilnehmer halten sollten. Die politische Verfasstheit als Republik wurde nur ganz vereinzelt als notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Handel gedacht. So etwa 1736 bei dem anonymen Autor der Voyage Historique et Politique de Suisse, d′Italie et d′ Allemagne. Die Mehrheit der Autoren sah die kritisch herausgefilterten Erfolgsfaktoren als genauso in einer Monarchie umsetzbar an. Die Parallelität der Aussagen in Bezug auf die drei Republiken verlief also insgesamt quer zum spezifischen Hintergrund der Autoren. Das macht der in diesem Kapitel durchgeführte Vergleich der verschiedenen Texte sichtbar. Allen gemeinsam war die Intention, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in den Republiken als Blaupause zu nutzen, um Reformen im jeweils eigenen Land anzustoßen und zu gestalten. Einige Autoren wie etwa Onslow Burrish, François Michel Janiçon und die anonymen Verfasser der Abhandlungen A Description of Holland (1743) und der Voyage Historique et Politique de Suisse, d’Italie et d’Allemagne (1736) machten dabei schon ganz konkrete Vorschläge und diskutierten deren mögliche Umsetzbarkeit.
2 Stabilität Die durch Konkurrenz und Expansionsbestrebungen gekennzeichnete, komplexe Mächtekonstellation Europas bildete den übergeordneten Denkrahmen der im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Autoren. Auch für die Überlegungen des Hallenser Professors Nicolaus Hieronymus Gundling (1671– 1729) war dieses Mächtespiel zentral. Seine Studenten sollten sich künftig im Dienst der preußischen Krone bewähren, indem sie Strategien erkennen und erlernen, die einen Erhalt und den Ausbau einer relationalen Machtposition in diesem Spiel beeinflussen könnten.¹ Die Förderung struktureller Voraussetzungen eines erfolgreichen Handels war für Gundling eine notwendige solche Strategie. Unbedingte Voraussetzung für den Erhalt einer relationalen Machtposition sei daneben aber, so lassen es Gundling Aussagen erkennen, vor allem die Stabilität eines Gemeinwesens. Eine solche Stabilität könne durch Frieden in den außenpolitischen Beziehungen und den Frieden im Inneren erlangt werden.² Die Verfassungsform spiele dabei zunächst keine entscheidende Rolle. Gundling ist sicher, „[…] daß man in einer Democratie eben so gut und vergnügt leben könne, als in einer Monarchie; wenn nehmlich alles fein ordentlich zugehet, und nach der Regel eingerichtet ist.“³ Ruhe und Ordnung sind deshalb prägnante Termini in Gundlings Analyse. So hebt er etwa positiv hervor, dass in Holland alle Gesetze so eingerichtet seien, „daß ein jeder in Friede und Ruhe sitzen kann“.⁴ In der Eidgenossenschaft hingegen würde das Nebeneinander von protestantischen und katholischen Kantonen sowie grundsätzlich die Einrichtung als föderatives Ge-
Siehe etwa Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. . Vgl. dazu auch Rüdiger, Staatslehre, S. f.; Fischer, Gundling, S. f. Zum Krieg als Element, das den Untertanen den „größten Schaden“ bringt und vor allem die immense Staatsverschuldung der meisten europäischen Staaten verursacht hat, siehe Gundling, Einleitung zur wahren Staatsklugheit, S. ;Vgl. dazu auch Fischer, Gundling, S. und S. . Thomas Simon konstatiert grundsätzlich für die „Merkantilisten“ im Reich, dass „innere Sicherheit“ als „oberstes Ziel staatlichen Handelns“ angesehen wurde und „die Friedenssicherung, früher das im Mittelpunkt stehende Endziel politischen Handelns, in den Traktaten der Merkantilisten zur Prämisse geworden“ sei. Vgl. Simon, „Gute Policey“, S. 388 und S. 392. Gundling, Einleitung zur wahren Staatsklugheit, S. . Er verweist zugleich darauf, dass „gleichwie in der ganzen Welt kein Regiment in der höchsten Vollkommenheit angetroffen wird“. Siehe auch Gundling, Einleitung zur wahren Staatsklugheit, S. : „Die Form thut an sich nichts zur Glückseeligkeit oder Unglückseeligkeit der Staaten. Wenn die Regenten klug und verständig seynd, so kann das Volk nach einer jeden von gedachten Formen wohl regieret werden.“ Vgl. auch Fischer, Gundling, S. – . Gundling, Ausführlicher Discours, Bd., S. .
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2 Stabilität
bilde notwendigerweise immer wieder Unruhen bedingen.⁵ Auch in Venedig, dessen Losverfahren bei der Wahl der Mitglieder des Großen Rats im Mythosnarrativ und auch noch bei Harrington als Stabilitätsgarant hervorgehoben worden war, sieht Gundling den Mechanismus des Wahlverfahrens durch Korruption ausgehebelt: Wenn man diese Art zu votiren ansiehet, sollte man dencken, es müsten (sic) lauter wohlverdiente Leute zu denen Chargen gelangen, und wäre es nicht möglich, daß hierunter einige Intriguen könten gespielet werden. Allein es geschicht doch, es werden genug Intriguen gemacht, und kömmt viel darauf an, wenn einer Geld hat; die Reichen erkauffen sich die Suffragia der armen Nobili, und ob es zwar nach denen Gesetzen nicht erlaubt, sich um Chargen zu bewerben, so ist doch das Broglio gleichsam eine öffentliche Messe, wo alle Chargen vermarchandieret werden.⁶
Dass ein friedliches Verhältnis zu den Nachbarstaaten zuträglich, ein Kriegszustand aber nachteilig für das Gemeinwesen sei, hätten etwa die Niederländer inzwischen als Staatsinteresse erkannt.⁷ Die Eidgenossenschaft hätte keine andere Wahl, weil sie aufgrund ihrer föderativen Struktur und mangelnden Reichtums gar nicht fähig wäre, einen Krieg mit anderen Staaten zu führen.⁸ Gundlings Aussagen lassen die Breite der Themen und Strukturfaktoren erkennen, die in dem hier betrachteten Zeitraum mit Blick auf die drei zeitgenössischen Republiken unter der normativen Vorgabe der Stabilität diskutiert wurden: Primat des Friedens in der Außenpolitik, politische Organisation des Gemeinwesens und ein kluges Regieren, Korruption, Religionsverhältnisse und die Garantie von Sicherheit und Wohlstand für die Bürger. Seine Aussagen können dabei als exemplarisch für einen Großteil der analysierten Texte gewertet werden und zugleich als Ausdruck politiktheoretischer Überlegungen gelten, die in dem betreffenden Zeitraum innerhalb der europäischen république de lettres diskutiert wurden. So benannten auch andere Abhandlungen der notitia rerum publicarum im Reich die Stabilität als Norm der bestmöglichen Einrichtung eines Staates, die folglich auch den Referenzpunkt abgab, wenn es galt, Verhältnisse und Phänomene in den europäischen Nachbarstaaten zu bewerten. Dabei ist zu beachten, dass „Stabilität“ in diesem Kapitel als Analysebegriff verwendet wird und als
Siehe Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. f. und S. : „Aus obiger Verfassung und Regierungs-Form derer Schweitzer kan (sic) es wohl nun nicht anders seyn, als daß dann und wann Tumulte und bella civilia unter ihnen entstehen müssen.“ Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. . Vgl. Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. f. Vgl. Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. f.
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Quellenbegriff so nicht auftritt. Vielmehr bedienten sich die Autoren wie auch Gundling einer Gruppe von Begriffen, die in einem Wortfeld zusammengruppiert erscheinen: Ruhe, Ordnung, Sicherheit, Glückseeligkeit, Frieden, Erhalt, Consistenz. Gundlings direkter Nachfolger in Halle, Martin Schmeizel (1679 – 1747)⁹, formulierte in seiner 1732 publizierten Einleitung zur Staats-Wissenschaft: Die wahre Ratio Status zielet auf die Erhaltung und Glückseeligkeit eines Staats, die falsche auf deßen Untergang. […] Und da fraget sichs nun 1. worinnen diese Glückseeligkeit bestehe, 2. wie sie zu erhalten? Das erste bestehet darinnen, wenn der Oberherr mit Ansehn, Gewalt, Sicherheit und Nachdruck sein Regiment führen kan, das andere, wenn die Unterthanen oder Einwohner, in Ruhe, Ordnung, Sicherheit, gutem Auskommen und in gerechtem Wandel leben können. Beydes kan erlanget werden, wenn man in einem Staat die Geschicklichkeit besitzet gute und nöthige Rathschläge zu ersinnen, und die Consilia glücklich auszuüben.¹⁰
Hinsichtlich der Republik Venedig hält Schmeizel fest, dass die neutrale Haltung bei Unruhen in Italien ihrem „gemeinschafftliche[n] Interesse der Republic [,das] in der Ruhe und Sicherheit bestehet“, entspreche. Stabilität ist dabei nicht nur Schmeizels eigener Orientierungspunkt, sondern sei auch derjenige Venedigs und derjenige der Eidgenossenschaft: „Die innerlichen Staats-Maximen bestehen vornehmlich darinnen, sich in gegenwärtiger Consistenz zu erhalten“.¹¹ Johann Adolf Hoffmann (1676 – 1731) setzte in seinen Politischen Anmerkungen von der wahren und falschen Staatskunst, deren Entstehung im Vorwort zur zweiten Auflage auf 1732 datiert wird, die „Selbsterhaltung“ eines Staates mit dessen „wahren Interesse“ gleich.¹² Eine gute Regierung, Maßhaftigkeit, Ruhe, Ordnung
Zu biographischen Informationen über Martin Schmeizel siehe Herzberg, Gustav F.: Art. Schmeizel, Martin. In: ADB (). S. f. Schmeizel, Einleitung zur Staats-Wissenschafft,S. . Schmeizel, Einleitung zur Staats-Wissenschafft, S. . Ähnlich argumentieren auch andere der hier betrachteten Autoren, so zum Beispiel Joseph Addison mit Blick auf Venedig: „The Preservation of the Republick is that to which all other Considerations submit.“ (Addison, Some Remarks, S. ). Hoffmann, Johann Adolf: Johann Adolf Hoffmanns Politische Anmerkungen von der wahren und falschen Staatskunst, worinnen aus den Geschichten aller Zeiten bemerkt wird, was den Regenten, Bürgern und Einwohnern eines Lands zuträglich oder schädlich ist. Zwote verbesserte und vermehrte Auflage. Hamburg (bey sel. Felginers Wittwe und Johann Carl Bohn) . S. : „Die Selbsterhaltung nennt man heut zu Tage das Interesse eines Staats; und es wäre zu wünschen, daß beydes immer einerley wäre: denn also würde das sogenannte Interesse die wahre Selbsterhaltung der Länder niemals verhindern. Denn es giebt ein scheinendes und ein wahres Interesse. Dieses befördert die Glückseligkeit eines Landes und jenes hindert dieselbe. […] Dieses lässet andere auch neben sich leben, jenes aber will die ganze Welt allein verschlingen.“ Die zweite Auflage von ist gemäß Vorrede die von Hoffmann selber übersetzte, deutsche Version der lateinischen Erstausgabe von .
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und Eintracht seien die wichtigsten Mittel, um diese Selbsterhaltung zu garantieren.¹³ Die Niederländer etwa hätten sich die Eintracht zum Grundsatz erkoren und ihre schlechte Lage angesichts des französischen Vormarsches 1672 habe die Verwundbarkeit gezeigt, sobald sie von diesem Grundsatz abweichen würden.¹⁴ Grundsätzlich tritt diese Vorstellung im Reich nicht erst 1732 auf. Schon 1698 fragte der durch Thomasius und Conring geprägte Gymnasiallehrer und Lyriker Christian Weise (1642– 1708)¹⁵: Worinnen bestehet nun die Conservation des Staats? Kurz davon zu reden/ sie bestehet hierinnen/ daß alle und iede Einwohner glückselig leben/ und vor allen besorglichen Zufällen sicher seyn. […] Was saget die rechte Vernunfft? Sie giebt dem höchsten Gut vor dem geringen den Vorzug. Also nennet sie denselben Staat glückselig/ darinne die Einwohner nach Anleitung der wahren Religion mit Gott verbunden/ in einen tugendhafften und gerechten Wandel erhalten/ und dergestalt in der Hoffnung des ewigen Lebens bestätigt werden. Hergegen erfordert sich auch eine gute Ordnung dadurch ein gemeines Wesen wol regieret/ in guten (sic) Wachsthum erhalten/ vor aller besorglichen Gewalt verwehret/ und so viel möglich ist/ durch redlich und zuläßliche Mittel in ein besseres Auffnehmen gesetzet wird.¹⁶
Die Komponente des gottgefälligen Lebens gemäß der „wahren Religion“ – die bei Weise in der folgenden Darstellung der Republiken als Kriterium so nicht mehr auftritt – kam in den anderen in dieser Arbeit analysierten Quellentexten nicht zum Tragen. Wohl aber wurden Aussagen getroffen über Faktoren, die den „tugendhaften und gerechten Lebenswandel“ der Einwohner betrafen, die „gute Ordnung“ stören oder stützen würden, die „Sicherheit“ und das „Wachstum“ verringern oder vergrößern würden.¹⁷ Der von 1705 bis 1714 in der Eidgenossenschaft als englischer Gesandter tätige Abraham Stanyan (1672– 1732), selbst Jurist, erfahrener Diplomat und Sohn eines
Siehe Hoffmann, Politische Anmerkungen, S. (gute Regierung) und S. f. („Denn es verhält sich mit einem Staate wie mit unsern Leibern; je stärker die Gliedmassen sind, und je ordentlicher sie gebraucht werden, je besser ist die Gesundheit. Die Maaße der Lebensgeister, die Süßigkeit der Säfte, die Veßtigkeit und Ordnung der Theile verursachen des Leibes innerlichen Wohlstand; dazu kömmt die äusserliche Nahrung, welche die innere Lebenskraft stärket und erhält.“) sowie S. f. („Das IX. Capitel. Von den besonderen Mitteln, welche zur Erhaltung eines Staats gehören, und zwar von desselben innerlichen Ruhe und Eintracht.“). Hoffmann, Politische Anmerkungen, S. f. Ähnlich auch Gude, Einleitung zu den Europäischen Staaten, S. . Zu Leben und Werk Christian Weises vgl. Schmidt, Erich: Art. Weise, Christian. In: ADB (). S. – . http://www.deutsche-biographie.de/sfz.html (. . ). Weise, Politische Fragen, S. f. Weise, Politische Fragen, S. .
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Händlers,¹⁸ thematisiert in seinem Account of Switzerland ¹⁹ von 1714 vor allem drei solcher stabilitätsgefährdenden Faktoren: 1) einen langanhaltenden Krieg mit einer auswärtigen Macht, 2) die Art der Regierung und der Verfassungsstruktur, 3) Korruption und Vetternwirtschaft. Stanyan, der seinen Account of Switzerland ganz bewusst als Staatsbeschreibung verfasste und sich im Text von historischen Darstellungen und Reiseberichten abgrenzt,²⁰ konstatiert eine enorme Bedrohung der Eidgenossenschaft bei einem länger währenden Krieg, die schließlich zu einem Ruin des Staates führen würde. Aufgrund der Organisation des Militärs in einer Bürgermiliz und der fehlenden Gewohnheit, außergewöhnliche Steuern und Abgaben eintreiben zu dürfen, hätten die Eidgenossen im Ernstfall keine Chance zu bestehen:
Abraham Stanyan fungierte nach seinem Jurastudium zunächst als Sekretär englischer Botschafter in Konstantinopel ( – ), Venedig ( – ) und Paris ( – ), bevor er als „envoy-extraordinary“ William Aglionby in der Eidgenossenschaft nachfolgte. Dort residierte Stanyan in Bern. Während seiner Amtszeit versuchte er mit Bern und Basel eine Art „Achse der protestantischen Solidarität“ gegenüber Frankreich aufzubauen. Folgerichtig unterstützte er / die preußischen Ambitionen in der Erbnachfolge in Neuchâtel. Nach seiner Rückkehr nach London publizierte er den Account of Switzerland, wurde zum Lord of Admirality ernannt und zum Mitglied des Parlaments. Schließlich ging er als Botschafter zunächst nach Wien () und dann erneut nach Konstantinopel (). Zum Leben Stanyans vgl.Woodfine, Philip/Gapper, Claire: Art. Stanyan, Abraham ( – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. http:// www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Stanyan, Account of Switzerland. Schon die Kapitelaufteilung verweist auf die Gattung der Staatsbeschreibung (Situation; Former und Present State; the Thirteen Cantons in Particular; Government; Diets and Helvetick Union; People and Dispositions; their Religion; their Trade; their Revenues; their Militia; Conclusion; Appendix: Containing an Account of the Allies of the Switzers). Im Vorwort begründet Stanyan seine Abhandlung mit dem Bestreben, Vorurteile und Unkenntnis über die Eidgenossenschaft aus dem Weg zu räumen. Bisher erschienene Abhandlungen seien unzureichend oder veraltet (etwa Simler). Der „modern reader“ benötige neue und andere Informationen. „Finding therefore, that there is no distinct Account yet extant of the Modern State of this Country, I thought it might be worth while, to publish the Observations I made upon it, while I lived there, both to make it better known to us, and to remove some Prejudices, which are taken upon Trust from other Nations, and have no real Foundation.“ (Stanyan, Account of Switzerland, Preface (o.P.)). In der Folge grenzt Stanyan seine Abhandlung von historischen Darstellungen und Reiseberichten ab (vgl. Stanyan, Account of Switzerland, S. und S. .). In seinem eigenen historischen Abriss folgt er dann weitestgehend der eidgenössischen Selbstdarstellung: die Schweizer hätten immer nur unter „protection“ und nie unter „dominion“ gestanden; die Revolte gegen die Habsburger sei eine legitime Verteidigung alter Privilegien gewesen; die Gründungslegende um Melcher, Stauffacher und Fürst sowie der Tell-Mythos werden ausführlich dargelegt und die Schlacht bei Morgarten als „foundation of the Helvetick Union“ gewertet. (Vgl. Stanyan, Account of Switzerland, Chap. II: Of its Former and Present State, as divided into Cantons, S. – ).
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But a War of any Continuance would so ruin their Country, that they would not be in a Condition of paying new Taxes for the Support of it; So that such Cantons, as have not ready Mony when a War breaks out, must not expect, that their Militia should keep long together, to make War at their own Expence; and consequently must lye exposed to all the Dangers and Incursions of a Defenceless People.²¹
Dieser Ernstfall sei aber seit 200 Jahren nicht mehr eingetreten, der andauernde Friede habe so den Schweizer Kantonsverbund in dieser Hinsicht stabil halten können.²² Den Erhalt des Gemeinwesens, den Stanyan ebenfalls als übergeordnetes Ziel politischer Maxime voraussetzt,²³ sieht der Engländer in der Eidgenossenschaft vor allem aber auch durch das schwelende Potential innerer Unruhen gefährdet. In den aristokratischen Kantonen sei dafür vor allem die mangelnde Beteiligung weiter Teile der Bürgerschaft an der politischen Entscheidungsfindung der Grund, in den demokratischen Kantonen anarchistische Tendenzen.²⁴ Bisher formulierte
Stanyan, Account of Switzerland, S. . Stanyan, Account of Switzerland, S. f. Vgl. Stanyan, Account of Switzerland, S. : „Other standing Maxims of Popular Governments are, That a Commonwealth, framed for Preservation, must have a well regulated Militia, equal Agrarian Laws, and an equal Rotation of Magistracy.“ Stanyans Analyse der notwendigen Strukturen erinnert hier stark an Harrington. Hinsichtlich der drei hier angeführten Bedingungen (Miliz, Bodenreform, Ämterrotation) erfülle, so Stanyan weiter, die Eidgenossenschaft alle Notwendigkeiten („From these Considerations I am apt to believe, that the Sovereign of these Cantons have little Cause to apprehend any intestine Divisions among themselves.“ Stanyan, Account of Switzerland, S. f.). Allerdings entspreche die Struktur und die Regierungspraxis in den eidgenössischen Kantonen nicht jenen weiteren Maßstäben und notwendigen Anforderungen von „popular governments“ – und an solchen wolle Stanyan die Eidgenossenschaft allein messen (S. : „Neither it is to my Purpose in this Place, to set forth the Excellence of so well temper’d a Monarchy as Ours, beyond any other Species of Government. My Business here, is only to reason upon the different Kinds of Commonwealths in Switzerland, in order to shew their Advantages or Defects with Relations to one another, according to the Rules laid down by the warmest Advocates of popular Shemes.“) – nämlich: Gleichheit garantierende Regeln für Regierende und Regierte. Vgl. Stanyan, Account of Switzerland, S. – . Siehe Stanyan, An Account of Switzerland, S. : „But as the Sovereign of these Cantons [the aristocratic ones] have by degrees deprived the rest of the Citizens of many Privileges, and that the Principal Families endeavor still more and more to engross the Government to themselves, there have been seditious Insurrections in some Cities against the Magistrates, and more are to be feared, unless Care be taken to content the Bulk of the Citizens, by chusing a greater Number of them into Administration.[…] But in relation to the Subjects, the Government is very unequal. The Sovereign Power is for ever lodged among the Citizens of the Capital of each Canton. […] so that the Inhabitans of the rest of the Canton are totally excluded, from having any share in the Government.“ Die Ungleichheit und die Gefahr nehme zu, je größer das Territorium durch Expansion erweitert werde (Stanyan, An Account of Switzerland, S. ). In der Folge verdeutlicht Stanyan
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Überlegungen, diese Unzulänglichkeiten durch eine extrem geringe Steuerlast und das gegenseitige Versprechen der Kantone untereinander, die anderen in dem Erhalt ihrer spezifischen politischen Organisationsform zu unterstützen, hält Stanyan für nicht realisierbar.²⁵ Er empfiehlt vielmehr ein Repräsentativsystem, das möglichst viele Bürger beteilige. Die demokratischen Kantone seien einem solchen Vorschlag dabei näher als die aristokratischen: As Aristocratical Governments fail by the Narrowness of their Foundation, so do the Democratical Ones for want of good Rules and Orders: The Former, say the Politicians, degenerate usually into Oligarchy, and the latter fall into Anarchy. So much is certain, that where the whole Body of the People are allowed to debate Matters of State in publick Assemblies, Confusion cannot be avoided; as on the other Side, where the People are never consulted by themselves, of their Representatives, they will have little Concern for the Welfare of a Government they have no part in, and perhaps will be glad to see an Old one destroyed, in hopes of mending their Condition in a New. And as to the different Commonwealths established in these Cantons, I will venture to say, what I know will seem a Paradox in the Aristocratical ones; which is, that the Government of the Popular Cantons comes nearer to, or at least may more easily be made a perfect Commonwealth, than the other. To make the Popular Government so, there wants nothing, but to send a Deputy from each Community of the Cantons; all which should form a Petty Council or College, whose Business should be only to prepare and digest Matters. […] Thus the Petty Council proposing, the Senate debating, and the People chusing, do, in the Opinion of the most famous Republicans, form a perfect Commonwealth; provided the Deputies, that compose these Two Councils, be regularly changed by a settled Rotation.²⁶
Insgesamt sieht Stanyan aber auch, wie schwer es sei, die perfekte Regierung einzurichten:
dieses Argument mithilfe des Bildes einer umgekehrten Pyramide, die durch einen einzigen Stoß von Innen oder Außen zu Fall gebracht werden könne (Stanyan, An Account of Switzerland, S. – ). Mit Blick auf die demokratischen Kantone konstatiert Stanyan: „This is all that is necessary to be said of the government of these petty Cantons; which, by allowing each Member an equal share in it, seems to interest every Part in the Preservation of the Whole. It is true indeed, that the common People here are generally rul’d in their Opinions by the Gentry, whom they suppose to be wiser than themselves; but then they make them answerable in a manner for Success, and often punish severly such as has given them Advice, that has proved pernicious.“ (Stanyan, Account of Switzerland, S. 111). Siehe Stanyan, Account of Switzerland, S. f. Stanyan, Account of Switzerland, S. –-. Vollkommen konträr argumentiert der Venezianer Vendramino Bianchi, der in seinem sechs Jahre zuvor erschienen Traktat über die Eidgenossenschaft (italienisch Relazione del paese de’ Svizzeri, e loro alleati , englische Übersetzung ) gerade die demokratischen Kantone aufgrund ihrer Verfassungsstruktur näher an der Instabilität verortet. Siehe Bianchi, An Account of Switzerland, S. – .
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Upon the whole, I know there is nothing so easie, as to find Faults in every Form of Government, and nothing so hard, as to shew a perfect One reduced to practice; whereof the Chief reason perhaps may be, that scarce any Legislator has been at Liberty to cast his Frame at once, and pursue one entire compact Scheme. Most of the Plans of Government settled in the World, seem to have been formed like Houses built at several times; for as the Parts of them always deface the new, and render them irregular, so upon the Establishment of any new Frame of Government, something of the Old is still preserved, and enters into the Frame of the New, which is not of a Piece with it, and consequently spoils its Symmetry.²⁷
Dennoch hält er an der Machbarkeit des besseren Staates fest. So gilt es für ihn auch, einen weiteren Faktor zu kritisieren, der die Symmetrie der eidgenössischen Kantone störe: Vetternwirtschaft und Korruption. Während in Zürich, Basel und Schaffhausen Händler und „geringere Bürger“ Zugang zu Regierungsämtern erhielten, würde in den übrigen aristokratischen Kantonen (Bern, Luzern, Fribourg und Solothurn) die dort vorherrschende Vetternwirtschaft einen solchen Zugang unmöglich machen.²⁸ Diese Praxis kritisiert Stanyan im Anschluss an diese Feststellung vor allem in Bern, wo er selber residierte, sowohl ironisch implizit als auch ganz explizit.²⁹ Bei der Besetzung der begehrten, profitablen Vogteiämter habe man die „kranken Auswirkungen“ dieser Vergabepraktiken realisiert und durch die Einführung der geheimen Abstimmung versucht, dem entgegenzuwir Stanyan, Account of Switzerland, S. . Die Formulierung Stanyans erinnert hier stark an Harrington. Eine Rezeption liegt folglich auch hier nahe. Stanyan, Account of Switzerland, S. f.: „There is yet a Subdivision to be made of these Seven with Cities. For tho’ they be all equally Aristocratical, in relation to the Subjects, that are not Citizens, or Freemen of the Capital of each Canton, because none but such Citizens are capable of having any share in the Government; yet in relation to the Citizens themselves, there is a difference among them. For in the Cantons of Zurich, Basil, and Schaffhausen, the meaner sort of Citizens, and Companies of Tradesmen, who are divided into Tribes, have their part of the Government, and are elected by their Tribes into the Sovereign Council; but in those of Berne, Lucerne, Fribourg and Soleurre, the Little Council consisting of twenty Seven […] have the sole Right of filling up Vacancies in the Sovereign Council, when they happen; and as those Persons always chuse their Relations and Friends, to suplly these Vacancies, the Common Trades-men and Citizens are by that Method almost excluded from having any share in the Soverein Power […].“ Vgl. Stanyan, Account of Switzerland, S. („Upon this Occasion it is pleasant enough to see, what Numbers of passionate Lovers start up in three or four Days time. […] The first Visists that a new Seizenier receives, as soon as he returns home from his Election, are sure to be from Lovers, that demand his Daughter in Marriage, if there be no Son in the way;“) und S. f. („This is the usual Method of filling up Vacancies in the Great Council; whereby it appears, that the Electors not only favour their own Relations in their Nominations, but also agree among themselves to serve one anothers Friends, in the Choice of the others, that come in by Plurality of Voices. By which Means the whole Government must necessarily be lodged in a few Families, and the Bulk of the ordinary Citizens be excluded from a Share in it […].“).
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ken. Doch: „This Remedy seemed good in the Theory, but failed in Practice.“³⁰ Auch hier hätten dieselben Abhängigkeitsverhältnisse und Feindschaften weiter die Platzvergabe beeinflusst.³¹ Gegen den Widerstand der Mächtigen sei schließlich 1710 für die Dauer von sieben Jahren das Losverfahren eingeführt worden. Diese Technik erschien Stanyan 1714 zunächst als erfolgreich angelaufen.³² Bei allen weiteren wichtigen Ämtern allerdings begünstige das Prinzip der geheimen Abstimmung weiterhin die Vetternwirtschaft. Zudem gebe es erheblichen Missbrauch bei der Kandidatenaufstellung für verschiedene Ämter. Abhilfe sei bisher nicht in Sicht.³³ Korruption im Sinne eines Amtsmissbrauchs kritisiert Stanyan vor allem hinsichtlich des eidgenössischen Justizsystems, das eng mit dem Amt des Vogtes verknüpft war: I wish I could as easily justifie them of another Crime laid to their Charge, which is the Corrupt Administration of Justice. But that Vice is too palpable to be denied, and would argue too great Partiality in me, if I should pass it over in Silence. It is certain, that in the Petty Cantons and the Common Bailliages, Justice is almost venal, and that the greatest Profits of their Bailiffs arise from the Partial Execution of it. All Criminal Offences, that are not Capital, among them are generally punish’d by Fines, which are applied to the Bailliffs Use, and it often happens, that in Civil Causes the best Purse carries it. I should be glad I could say, that this Corruption reign’d only in the Catholick Cantons, and Common Bailliages; but it must be owned, that, tho’it be incomparably less in the Protestant Cantons than in the others, yet even among them, the Judges are sometimes tempted by Presents to favour the wrong Cause; and their Bailiffs are not wholly free from Extortions.³⁴
Alle Ahndungsversuche dieses korrupten Verhaltens würden aufgrund der potentiellen personellen Kontinuität und der geringen alternativen Verdienstmöglichkeiten innerhalb der Eidgenossenschaft ins Leere laufen: Not that the Sovereign there does any way approve such unjust Proceedings; on the contrary, there are very severe Laws against Offenders of that kind; but as every Membre of the Great Council has been, or may be one time or other in the same Case, such sorts of Complaints are not too nitely sifted into, but rather accommodated between the Parties, unless the Case be so flagrant, that the Sovereign for his Honour is obliged to take Cognizance of
Stanyan, Account of Switzerland, S. f. Stanyan, Account of Switzerland, S. . Stanyan, Account of Switzerland, S. f. („This Establishment has effectually knock’d on the Head all Brigues, and destroy’d all Enmities.“). Stanyan, Account of Switzerland, S. – . („However this Regulation is liable to great Abuses, which are frequently put in Practice. […] No remedy has been yet found for that Abuse […].“). Stanyan, Account of Switzerland, S. f.
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it; and then the Bailiff is sure of being punished. Injustice and Extortion in never so small a degree, are certainly Faults not to be allowed in any Government: But if it be considered on one side, that the only Fortunes, which the Citizens can make in their own Country, arise from the Profits of their Bailliages, and on the other, that the Subjects pay little or nothing to the Sovereign, it ought not to appear very strange, if they connive at some few irregular Exactions.³⁵
Stanyans Abhandlung wurde in der Folge breit rezipiert und die entscheidende Textgrundlage für nachfolgende Beschreibungen der Eidgenossenschaft sowohl in exklusiven als auch in übergreifenden Darstellungen. Auch eidgenössische Autoren griffen Stanyans Abhandlung in ihren Texten auf. So konfrontierte, kommentierte und diskutierte etwa 1730 der anonyme, sehr wahrscheinlich eidgenössische Autor des Traktats L’Etat et les Delices de la Suisse ³⁶ Stanyans Abhandlung und die ebenfalls 1714 publizierte Abhandlung Les Délices de la Suisse des Schweizers Abraham Ruchat (1680 – 1715)³⁷. Dabei negiert der Anonymus Stanyans Feststellung einer möglichen Bedrohung der eidgenössischen Stabilität: Mais heureusement on n’a encore remarqué en Suisse aucuns de ces finistres Présages; & il n’y a guéres d’apparance qu’on les y voye jamais; ce qui me fait dire, que nôtre Auteur [Stanyan] sera un mauvais Prophête; & que Dieu-aidant, la Pyramide ne s’abbattra, ni par les coups du dedans, ni par ceux du dehors.³⁸
Der Autor wehrt sich gegen den Vorwurf der mangelnden Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungsprozessen mit der Überzeugung, dass dies aufgrund der mangelnden Befähigung vieler solcher potentieller Entscheidungsträger besser für das Gemeinwesen sei.³⁹ Stanyans Hinweis auf die übliche Vettern-
Stanyan, Account of Switzerland, S. f. Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse. Mehrmals verwendet der Autor im Text das Possessivpronomen „notre“ oder das Personalpronomen „nous“ (vgl. etwa Anonymus, L’Etat et les Delices, Préface, S. XIX), was auf die eidgenössische Herkunft verweist. Zur möglichen Autorschaft vgl. außerdem Bonjour, Edgar/Feller, Richard: Geschichtsschreibung in der Schweiz vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Bd. . Basel/Stuttgart . S. f. und Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. f. Ruchat, Abraham: Les Délices de la Suisse, avec une introduction de Marcus Bourquin. Genève (Réimpression de l’édition de Leide ). Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. . Vgl. Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. – , S. f. (Der Anonymus wehrt sich hier erneut gegen Stanyans Bild der umgedrehten, instabilen Pyramide) und S. f. Auch England sei, so stattdessen der Gegenvorstoß des Autors, kein perfekt eingerichtetes Gemeinwesen, wie es Stanyan vorschwebe: „On peut dire, qu’il n’y a point de forme de Republique parfaite, parce qu’il n’y en a point, qui soit capable de détruire entiérement la méchanceté des Sujets, ni celle de ceux qui gouvernent. Et puisqu’il faut le dire, la forme du Gouvernement de
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wirtschaft weist er zudem nicht zurück, verweist aber auf die Tatsache, dass dies nicht unbedingt verwerflich und vor allem universelle Praxis sei, auch in England.⁴⁰ Entrüstet zeigt sich der Schweizer Anonymus in der Folge aber vor allem über Stanyans Darstellung der eidgenössischen Justiz. Die Analyse von ihm sei falsch, ungerecht und unseriös. Bestechung komme zwar bei Einzelnen vor, aber deshalb könne nicht gleich eine ganze Nation der Korruption bezichtigt werden: L’Article de l’Administration de la Justice, est couché dans la Relation de la Suisse, d’une maniére aussi fausse & injuste, qu’injurieuse. Je vais rapporter ce que l’Auteur a eu la témérité d’avancer, & je ferai voir combien il s’est trompé à plusieurs égards. […] Je ne blâme pas l’Auteur, de souhaiter, que l’Administration de la Justice soit éxercée, sans partialité & sans intérêt. Je parle moi-même come lui, dans l’Article des Bailliages d’Italie, où je conviens que la Justice est vénale; & il s’en faut beaucoup que je n’y excuse les Baillifs des Petits Cantons, parce qu’ils me paroissent vraîment blâmables. Ce que je trouve à reprendre; c’est que l’Auteur en fasse une Thése générale […]. Je ne veux pas non plus nier, qu’il ne soit peut-être arrivé, qu’un Magistrat Suisse se soit laissé séduire par des présens; mais cela suffiroit-il pour charger toute la Nation de ce Crime? Je souhaiterois que l’on pût me nommer un endroit du monde où le cas ne soit pas arrivé.⁴¹
Stanyan hätte zudem selbst diese übliche Vorteilsnahme genutzt, um einen Prozess gegen ihn zu stoppen.⁴² Nirgendwo anders würden solche Vergehen außerdem so sehr bestraft wie in der Schweiz und jeder Angeklagte habe das Recht, sich bei einem Fehlurteil immer an die übergeordnete Appellationsinstanz zu wenden.⁴³ Namenhafte Autoren hätten darüber hinaus darauf verwiesen, dass die l’Angleterre n’a pas plus atteint à la perfection, que celle des autre Etats.“ (Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. ). Siehe Anonymus, L’Etat et les Delices, S. : „À l’égard de ce que dit l’Auteur de la Rélation, que les Places vacantes ne se remplissent, que des Parens ou des Amis de ceux qui sont déja en Place. Je n’ai rien à répondre sinon, que l’on pratique, en Suisse, ce que l’on fait en France, en Angleterre, & presque dans tout l’Univers. C’est-là un usage ancien, qui est de tous les tems, de tous les Païs & de tous les Lieux. Les Suisses ne différent point en cela du reste des hommes.“ Sowie Bd. , S. : „Tous les Hommes, non seulement en Suisse & en Angleterre, mais partout ailleurs, ont cela de commun, qu’ils cherchent à élever ceux qui leur appartiennent, toutes les fois que l’occasion s’en présente.“ Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. – . Siehe Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. : „Si l’Auteur se fut ressouvenu, qu’un certain Anglois, ayant été pris pour Arbitre à Berne, dans une affaire d’importance, se laissa aller, pour une somme d’argent, à favoriser la mauvaise Cause, peut-être n’auroit-il pas été assés hardi, pour jetter la prémiére pierre.“ Siehe Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. : „D’autre part, je ne connois point d’endroit où ces sortes de crimes soient punis, avec plus de regueur qu’en Suisse, particulièrement parmi les Réformés. Il eût été facile à l’Auteur de le dire & encore plus d’en rapporter des éxemples. Une raison qui doit empêcher les Baillifs de se laisser corrompre; c’est qu’aucun d’eux ne juge une
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eidgenössische Justiz diejenige sei,welche die größte Gleichheit und die schnellste Prozessabwicklung garantiere.⁴⁴
2.1 Korruption Die pro-aristokratische Argumentation des anonymen Autors und seine Verteidigung der Schweizer Nation gegenüber Stanyans Vorwürfen lassen nicht vermuten, dass dieser jener Gruppe zuzuordnen war, die in der Eidgenossenschaft vornehmlich Kritik an korrupten Praktiken in Politik und Justiz übte: die Opposition in den Landsgemeindekantonen.⁴⁵ Wie intensiv diese Debatte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den eidgenössischen Kantonen geführt wurde, ist angesichts der bisherigen Forschungsergebnisse noch unklar. Sehr intensiv wurde eine solche Debatte um Korruption im Politikbetrieb zur selben Zeit aber in England geführt. Während Kritiker seit der Glorious Revolution (1688/89) immer wieder die gängige Praxis der Krone, einzelnen Parlamentarier durch die Vergabe von Posten, Pensionen und Wahlkampfhilfen an sich zu binden, als Korruption brandmarkten, die die Funktion des Unterhauses untergrabe, verteidigten Befürworter dieses Vorgehen als notwendige Praxis, um stabile Mehrheiten und Regierungsfähigkeit zu garantieren.⁴⁶ Stanyan war diese öffentlich geführte Debatte sicher nicht unbekannt. In dem Zeitraum der Regierung Robert Walpoles
affaire, tant soit peu importante, sans appel. Et supposé qu’il eût jugé, en prémiére instance, avec partialité, la bonne cause n’en souffriroit point de préjudice, parce que le jugement seroit infailliblement réformé, par le tribunal superieur.“ Siehe Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. : „[…] d’autant plus qu’il est notoire, que la Suisse, & surtout les Grands Cantons, sont les Pays de l’Univers, où la Justice s’administre, non seulement avec plus d’équité, mais encore avec plus de promptitude, comme plusieurs Auteurs (La Mothe, le Vayer, Scaliger &c) célébres en ont rendu un témoignage authentique.“ Vgl. dazu Suter, Andreas: Korruption oder Patronage? Außenbeziehungen zwischen Frankreich und der Alten Eidgenossenschaft als Beispiel (.–. Jahrhundert). In: Korruption. Historische Annäherung an eine Grundfigur politischer Kommunikation. Hrsg. von Niels Grüne u. Simona Slanička. Göttingen . S. – . S. f.; Vgl. hingegen auch Brändle, Fabian: Demokratie und Charisma. Fünf Landsgemeindekonflikte im . Jahrhundert. Zürich . S. (für alle Oppositionellen). Vgl. dazu Grüne, Niels: „Und sie wissen nicht, was es ist“. Ansätze und Blickpunkte historischer Korruptionsforschung. In: Grüne/Slanička, Korruption, S. – , S. ; Wellenreuther, Hermann: Korruption und das Wesen der englischen Verfassung im . Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift (HZ) (). S. – ; Corrigan, Philip/ Sayer, Derek: The Great Arch: English State Formation as Cultural Revolution. Oxford . S. – ; Knights, Mark: Parliament, Print and Corruption in later Stuart Britain. In: Parliamentary History (PH) (). S. – .
2.1 Korruption
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(1721– 1742), die den Hintergrund vieler weiterer der hier betrachteten Quellentexte bildet, wurde diese Auseinandersetzung um korrupte Praktiken noch einmal intensiver geführt.⁴⁷ Grundsätzlich sieht die Forschung in der Analyse historischer Korruptionsdebatten ein wichtiges und probates Mittel, um gesellschaftliche Werteordnungen zu erfassen.⁴⁸ Korruption wird dabei als „normative Denkform“ gefasst, die die Legitimität einer Gesellschaftsordnung sowie deren Inklusions- und Exklusionsmechanismen reflektiert.⁴⁹ Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit legen die These nahe, diesen möglichen Reflexionsrahmen um den Aspekt des Erhalts respektive die Stabilität einer Gesellschaftsordnung oder eines Gemeinwesens zu erweitern. Die hier analysierten Texte befinden sich dabei gerade an der Schnittstelle des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, an der eine Verengung des Bedeutungsgehalts des Korruptionsbegriffs auf spezifische Normenverstöße in einem „öffentlichen“ Amt einsetzte. Voraussetzung für eine solche Engführung des Begriffs war dabei die sich entwickelnde Vorstellung vom Amt als spezifischem Delegationsverhältnis.⁵⁰ Stanyans Kritik der Korruption zielte offensichtlich auf den konkreten Amtsmissbrauch aufgrund von Vorteilsannahme. Auch andere Aussagen der hier
Vgl. dazu Grüne, „Und sie wissen nicht, was es ist“, S. ; Skinner, Quentin:The Principles and Practice of Opposition: the Case of Bolingbroke versus Walpole. In: Historical Perspectives: Studies in English Thought and Society in Honour of J.H. Plumb. Hrsg.von Neil McKendrik. London . S. – ;Woodfine, Philip:Tempters or Tempted? The Rhetoric and Practice of Corruption in Walpolean Politics. In: Corrupt Histories. Hrsg.von Emmanuel Kreike u.William Chester Jordan. Rochester . S. – . Vgl. dazu Grüne, „Und sie wissen nicht, was es ist“, S. f.; Engels, Jens Ivo: Politische Korruption und Modernisierungsprozesse. In: Grüne/Slanička, Korruption, S. – , S. . Vgl. Grüne, „Und sie wissen nicht, was es ist“, S. – ; Engels, Politische Korruption, S. . Vgl. Grüne, „Und sie wissen nicht, was es ist“, S. ; Grüne, Niels: Anfechtung und Legitimation. Beobachtungen zum Vergleich politischer Korruptionsdebatten in der Frühen Neuzeit. In: Grüne/Slanička, Korruption, S. – , S. . Umstritten ist allerdings Jens Ivo Engels These eines klaren Bruchs im Verständnis des Korruptionsbegriffs und des Sprechens über Korruption in der Sattelzeit. Erst hier hätten Korruptionsdebatten eine klare Reflexionsfunktion gehabt und erst hier sei Korruption ein klarer Tatbestand der gesetzlich fixierten Normverletzung gewesen. (Vgl. Engels, Politische Korruption, S. ; Engels, Jens Ivo: Einleitung. In: Geld – Geschenke – Politik. Korruption im neuzeitlichen Europa. Hrsg. von Jens Ivo Engels [u. a.]. München . S. – . S. ; Grüne, „Und sie wissen nicht, was es ist“, S. f.; Suter, Korruption, S. .) Ähnlich wie Engels argumentiert Ronan Chalmin. Chalmin, Ronan: Lumières et Corruption. Paris (Les Dix-Huitième Siècles ). S. .
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2 Stabilität
analysierten Texte legen ihrer Kritik ein solches, enges Verständnis von Korruption zu Grunde.⁵¹ Der in die Niederlande immigrierte Hugenotte Jean Rousset de Missy (1686 – 1762)⁵² etwa kritisiert in seiner 1733 publizierten Abhandlung Les intérêts présens des puissances de l’Europe die Annahme französischer Geld- und Sachgeschenke durch eidgenössische Amtsträger als eine den Staat gefährdende Praxis: La France prenant pour baze de sa conduite le Proverbe qu’elle-même a mis en vogue; Point d’Argent point de Suisse, n’emploie que les moiens qui peuvent flater l’avarice de ceux qui sont en credit, des Pensions, des Présens, des Compagnies, mettent dans ses intérêts les principales Familles, dans chaque Canton, qui dans l’occasion dirigent les Affaires dans leur Assemblées, selon qu’elle le leur inspire. C’est un defaut dans le Gouvernement de cette Republique auquel les veritables Patriotes devroient remedier, par de bonnes Loix; mais qui les feroit, ceux qui sont au timon, ceux qui ont le pouvoir de les faire, sont ceux qui ont intérêt que les choses restent dans l’état où elles sont. Mais les autres pouroient rendre ces largesses inutiles, en se mefiant de ceux qu’on fait tire des Pensions, & en les contrariant en tout ce qu’ils proposent de relatif à leurs Obligations de Pensionnaires. L’occasion de remedier à ce défaut, le plus fatal qu’on puisse imaginer dans un Gouver-
Vgl. etwa Anonymus: A New Description of Holland, And the rest of the United Provinces In General. London . S. (Der anonyme Autor kritisiert hier Vetternwirtschaft und Korruption bei der Besetzung der Amsterdamer Bürgermeisterposten) und S. (Kritik an der Bereicherungspraktik im Amt durch Richter in Amsterdam); Bianchi, Account of Switzerland, S. f. (Kritik an der Korruption im Sinne der Amtsverletzung in der Eidgenossenschaft: „In all the Cantons, every Person whatsoever who comes to be promoted to Charges of authority, or the Administration of the Government, takes a Solemn Oath, not to accept from any Foreign Princes, any Private Pension, on any Pretence whatsoever; and I must own, tho’ with Grief, that this Oath is much more strictly kept by the Protestants, than the Catholics. The Abuse is general: but beyond comparison, vastly more amongst the latter than the former.“); Burnet’s Travels, S. (Kritik an Korruption und Vetternwirtschaft bei Ämterbesetzung in der Eidgenossenschaft); Anonymus: Voiage Historique et Politique de Suisse, d’Italie et d’Allemagne. Avec Figures. Tome premier. A Francfort (chez François Varrentrap) . S. f. (Kritik an den Berner Vögten, die sich durch Amtsmissbrauch bereichern); Breval, Remarks on Several Parts of Europe, S. (Kritik an Korruption bei niederländischen Amtsträgern); Caylus, Comte de: Voyage d′Italie – . Hrsg. von Amilda-A. Pons. Paris . S. (Kritik an dem sich bereichernden Patriziat Venedigs); Freschot, Nouvelle Relation, S. (Kritik an der Vetternwirtschaft bei der Amtsbesetzung in Venedig); Sarpi, Paolo: The Maxims of the Government of Venice in an Advice to the Republick; How it ought to govern it self both inwardly and outwardly, in order to perpetuate its Dominion, By Father Paul, the Servite Monk, and Counsellor of State to the Republick. Done into English from the Italian. London (printed and sold by J. Morphew) . Preface. S. xviiif. (Der anonyme englische Herausgeber hebt lobend hervor, dass die Venezianer durch Gesetze und spezifische Wahlverfahren alles daran setzen würden, Korruption und Vetternwirtschaft bei der Wahl und im Amt zu verhindern). Zu Leben und Werk Jean Rousset de Missys siehe Sgard/Couperus, Art. Jean Rousset de Missy.
2.1 Korruption
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nement Républicain, s’est presentée depuis que l’Alliance avec la France est expirée, & qu’il s’agit de la renouvelle.⁵³
Dieser fatale Defekt laufe dem Interesse der eidgenössischen Republik, nämlich den Bestand in einem seit dem Frieden von Utrecht vollkommen veränderten europäischen Staatensystems, so de Missys Ausgangspunkt, vollkommen zuwider.⁵⁴ Während Stanyans und de Missys Korruptionskritik auf den konkreten Amtsmissbrauch zielte und damit politisch-institutionell argumentierte, kritisierten andere Autoren des Quellenkorpus das korrupte Verhalten einzelner Bürger oder Gesellschaftsgruppen. Korrumpiert wurde in diesem Verständnis die Tugend, also eine Eigenschaft, die an die Person und nicht an das Amt gebunden war. Hintergrund solcher Aussagen war das bipolare Schema von virtù vs. corruzione. Korrumpiert wurde in einem solchen Verständnis die Bürgertugend, die grundsätzlich notwendig sei, um den Verfall des Gemeinwesens zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Eine solche Tugend müsse jeder Bürger eines stabilen Gemeinwesens aufweisen, nicht nur die politischen Amtsträger.⁵⁵ Oftmals wurde in einer solchen Argumentation der Luxus als derjenige Faktor ins Feld geführt, der die Tugend korrumpiere.⁵⁶
Rousset, Jean: Les Intérêts Presens des Puissances de l’Europe, Fondez sur les Traitez conclus depuis la Paix d’Utrecht inclusivement, & sur les Preuves de leurs Prétensions particuliers. Tome Premie. A la Haye (chez Adrien Moetjens) . S. . „Si dans les Diétes du Corps Hélvetique on ne suivoit que l’intérêt de l’Etat, si l’intérêt particulier n’avoit aucune influence dans les Propositions, & dans les Deliberations, cette Republique recouvreroit sans peine sans ancien lustre, puisqu’elle trouve sa sureté dans sa situation & dans le courage de ses Habitans; Mais sans une étroite union entre tous les Membres il n’est pas possible d’y réussir. […] Rien n’est plus préjudiciable à un Etat, sur tout un Etat Républicain, que de soufrir que quelque Puissance se méle de ses Affaires Domestiques, il en nait aussi-tôt des Factions, qui étant apuïées par une Puissance étrangere, ne peuvent manquer de causer la ruine de leur Patrie.“ (Rousset, Les Intérêts, S. ); Zur veränderten Ausgangslage siehe: „Le Duc de Rohan est le premier qui ait donné au Public un Traité des Intérêts des Princes […]. Mais il est arrivé dans la situation des Affaires de l’Europe, depuis ce tems-là, des revolutions si extraordinaires qu’on ne trouve plus une seule Maxime dans ces Auteurs, qui puisse être d’usage aujourd’hui.“ (Rousset, Les Intérêts, Preface, o.P.) und Rousset, Les Intérêts, S. . Grundlegend für Entstehung und Rezeption dieses Konzepts und die Sprache, innerhalb der sich diese Vorstellung manifestierte: Pocock, Machiavellian Moment. Zur Renaissance und Machiavelli außerdem Skinner, Quentin: Machiavelli on Virtue and the Maintenance of Liberty. In: Skinner, Quentin: Visions of Politics. Bd. : Renaissance Virtues. Cambridge . S. – . Pocock, Machiavellian Moment, S. – , S. f., S. – , S. f.
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2 Stabilität
2.2 Luxus Für den Zeitraum, der diesem Teil der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, konstatiert die Forschung nun genau einen Wandel im Sprechen über Luxus und eine intensivierte Auseinandersetzung um dessen Wirkung auf den Einzelnen und das Gemeinwesen.⁵⁷ Istvan Hont benennt den französischen Mentor des Enkels Ludwigs XIV., den Erzbischof François Fénelon (1651– 1715), und den nach England immigrierten niederländischen Arzt Bernard Mandeville (1670 – 1733) als entscheidende Pole, zwischen denen sich die Debatte aufspannen lässt.⁵⁸ Fénelon vertrat in seinem bekanntesten Werk, der Erziehungsschrift Les aventures de Télemaque, fils d’Ulysse, die 1699 erstmals publiziert wurde,⁵⁹ genau jene bis dato dominierende Position, dass Luxus die Menschen korrumpiere und in der Folge eine ganze Nation in den Niedergang führen könne.⁶⁰ Die ständige Expansion, die nötig sei, um Luxusgüter zu gewährleisten, würde Frankreich, so Fénelon, über kurz oder lang wie Rom den Ruin bringen. Fénelons Reformvorschlag beinhaltete deshalb eine Radikalkur durch strenge Sittengesetze und eine Agrarreform, damit die Menschen sich wieder auf die Landwirtschaft konzentrieren und sie zu tugendhaften, fleißigen und vertrauenswürdigen Bürgern werden würden.⁶¹ Bernard Mandeville verteidigte hingegen in seiner 1714 erschienenen Fable of the Bees, einem ausführlichen Kommentar zu einem zuvor veröffentlichten satirischem Pamphlet, Luxus als Motor eines erfolgreichen und florierenden Gemeinwesens.⁶² Seine Schrift ist dabei auch als direkte Antwort auf englische Oppositionsbewegungen zu sehen, die sich gegen die Politik von Wilhelm III. und
Vgl. etwa Hont, Istvan: The early Enlightenment Debate on Commerce and Luxury. In: The Cambridge History of Eighteenth-Century Political Thought. Hrsg. von Mark Goldie u. Robert Wokler. Cambridge [u. a.] . S. – ; Berg, Maxine/Eger, Elizabeth: Introduction. In: Luxury in the Eighteenth Century. Debates, Desires, and Delectable Goods. Hrsg. von Maxine Berg u. Elizabeth Eger. New York . S. – ; Shovlin, John:The Political Economy of Virtue. Luxury, Patriotism, and the Origins of the French Revolution. Ithaca . S. – . Siehe Hont, The early Enlightenment Debate, S. . Mandeville wird auch von anderen als „turning point“ der Luxusdebatte bewertet (vgl. etwa Berg/Eger, Introduction, S. ). Mothe-Fénelon, François de Salignac de La: Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse. Paris . Vgl. hier und im Folgenden Hont, The early Enlightenment Debate, S. – . Vgl. auch Shovlin, The Political Economy of Virtue, S. . Mandeville, Bernard: The Fable of the Bees: or, Private Vices Publick Benefits. Containing, Several Discourses, to demonstrate, That Human Frailties, during the degenracy of Mankind, may be turn’d to the Advantage of the Civil Society, and made to supply the Place of Moral Virtues. London (printed for J. Roberts) . Das eigene satirische Pamphlet, das Mandeville hier kommentiert, war unter dem Titel The Gumbling Hive: Or, Knaves Turn’d Honest in London erschienen.
2.2 Luxus
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Königin Anne wandten und unter Verweis auf Fénelons Abhandlung, die 1699 und 1700 ins Englische übersetzt wurde, einen vorrevolutionären Zustand der Tugend herbeisehnten.⁶³ Neu war Mandevilles Definition von „Luxus“ als jeder Art von Verbesserung gemessen an der Einfachheit des menschlichen Naturzustands.⁶⁴ Damit war Luxus unmittelbar mit dem menschlichen Fortschritt, der durch Wissenschaft und Künste erlangt werde, verbunden. Dabei fungierten für Mandeville Stolz und Neid als wichtige Motoren der „Maschine“ Gesellschaft.⁶⁵ Sparsamkeit und ein solcher Fortschritt seien, so Mandeville, unvereinbar. Die Blüte der Kunst und des Handels in den Niederlanden, die trotz Sparsamkeit der Niederländer bestehe, müsste deshalb als Ausnahmefall angesehen werden, der den außergewöhnlichen Umständen des langen Freiheitskampfes gegen Spanien und der ungünstigen Ausgangslage hinsichtlich eigener Rohstoffe und Fruchtbarkeit des Landes geschuldet sei. Die Sparsamkeit sei hier Konsequenz des niederländischen Interesses, welches sich fundamental von dem britischen Interesse unterscheide: The Dutch and we often buy and sell at the same Markets, and so far our Views may be said to be the same: Otherwise the Interests and Political Reason of the two Nations as to the private Oeconomy of either, are very different. It is their Interest to be Frugal and spend little; because they must have every thing from abroad, except Butter, Cheese and Fish, and therefore of them, especially the latter, they consume three times the quantity, which the same number of People do here. […] The Dutch perhaps have more Shipping, and more ready Money than we but then they are only to be considered as the Tools they work with. […] He that keeps three or four Stage Coaches to get his Bread, is to a Gentleman that keeps a Coach for his Pleasure, what the Dutch are in comparison to us. […] Another Instance, that what makes the Bulk of the People saving, are heavy Taxes, scarcity of Land, and such Things that occasion a Dearth of Provisions […].⁶⁶
Vgl. Hont, The early Enlightenment Debate, S. f. Individuelle Exzesse oder obrigkeitlicher Verschwendungswahn zu Repräsentationszwecken subsumiert Mandeville nicht unter dem Begriff „luxury“, sondern er verwendet andere Vokabeln, um solch ein Verhalten zu fassen, etwa „prodigality“, „avarice“ oder „ornamentation“. Vgl. dazu Hont, The early Enlightenment Debate, S. . Mandeville, Fable of the Bees, S. f.: „For in this State of slothful Ease and stupid Innocence, as you need not fear great Vices, so you must not expect any considerable Virtues. Man never exerts himself but when he is rous’d by his Desires: Whilst they lie dormant, and there is nothing to raise them, his Excellence and Abilities will be for ever undiscover’d, and the lumpish Machine, without the Influence of his Passions, may be justly compar’d to a huge Wind mill without a breath of Air.“ Vgl. dazu auch Hont, The early Enlightenment Debate, S. . Schon im Vorwort verwendet Mandeville die Maschine als Metapher für die menschliche Gesellschaft (siehe Mandeville, Fable of the Bees, Preface, o.P.). Mandeville, Fable of the Bees, S. f.
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2 Stabilität
Dabei seien allerdings enorme Unterschiede zwischen der reichsten Provinz Holland und den anderen Provinzen zu beobachten. Die Sparsamkeit der Holländer beschränke sich nur noch auf die Dinge des kurzfristigen Konsums. Längerfristige Projekte etwa in der Kunst und Architektur unterlägen nicht diesem Diktat.⁶⁷ Den Vorbildcharakter spricht Mandeville den Vereinigten Provinzen aufgrund ihrer Sparsamkeit ab.⁶⁸ Es sei zu beachten, dass ihr Erfolg nicht dieser Sparsamkeit geschuldet sei, sondern vor allem auf der Tatsache beruhe, dass sie immer alle Politik auf den Handelserfolg ausgerichtet hätten.⁶⁹ Fénelon verwies hingegen zumindest indirekt auf den Vorbildcharakter der niederländischen Sparsamkeit. In seinem Modell einer post-luxusgeprägten Gesellschaft, dem reformierten Salentum, modelliert er eine Hafenstadt, Tyr, nach dem Vorbild der Vereinigten Provinzen. Die Wirtschaft dieser Hafenstadt erachtete Fénelon in dem angedachten Modell als unbedingt notwendig, um das Funktionieren der gesamten Industrie Salentums zu gewährleisten. Diese Lösung funktioniere aber nur, weil die Einwohners Tyrs durch strenge finanzielle Regeln gelenkt würden und weil sie selbst sparsam und fleißig seien.⁷⁰ In den Niederlanden selbst findet sich für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts keine extreme Position, die an die Thesen Mandevilles anknüpfte.⁷¹ Die Diskussion entfachte vielmehr um die Definition bürgerlicher Tugend und deren Vereinbarkeit mit den Anforderungen der nun überaus kommerziellen Gesellschaft. Vertreter eines sogenannten „klassischen Republikanismus“ wie Lieven de Beaufort (1675 – 1730) lehnten dabei weiterhin jede Form von Luxus als Tugend
Mandeville, Fable of the Bees, S. f. Mandeville verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Abhandlung William Temples, der die Grundlage des meisten überlieferten Wissens über die Niederlande bilde. Seit dessen Darstellung hätten sich Niederländer, gerade hinsichtlich der Sparsamkeit, deutlich verändert: „What we know of their Oeconomy and Constitution with any certainty has been chiefly owing to Sir William Temple, whose Observations upon their Manners and Government, is evident from several Passages in his Memoires were made about that time. The Dutch indeed were then very frugal; but since those Days, and that their Calamities have not been so pressing […] a great Alteration has been made among the better sort of People in their Equipages, entertainments, and whole manner of Living.“ (Mandeville, Fable of the Bees, S. f.). Siehe Mandeville, Fable of the Bees, S. : „But why must they be a Pattern to others who besides that they are more happily situated, are much richer within themselves, and have, to the same number of People, above ten times the Extent of Ground.“ Mandeville, Fable of the Bees, S. . Vgl. dazu auch Stapelbroek, Dutch Decline, S. . Dazu Hont, The early Enlightenment Debate, S. . Dazu Velema,Wyger R.E.: Ancient and Modern Virtue Compared: De Beaufort and Van Effen on Republican Citizenship. In: Eighteenth-Century Studies (ECS) / (). S. – . S. ; Vries, Jan de: Luxury in the Dutch Golden Age in Theory and Practice. In: Berg/Eger, Luxury, S. – , S. ; Velema, Republicans, S. – ; Stapelbroek, Dutch decline, S. .
2.2 Luxus
335
korrumpierendes Element und potentiellen Wegbereiter für eine politische Versklavung ab.⁷² Andere, wie die Autoren neu aufkommender Periodika, versuchten sich hingegen vielmehr an einer Umdeutung der republikanischen Tugend: eine sozio-kulturell generierte „politeness/beschaaftheid“ sollte nun eine Unterordnung des individuellen Interesses unter das Gemeinwohl und die Einsicht in die Notwendigkeit politischen Engagements garantieren.⁷³ Auf der Insel selbst rief Mandevilles Traktat zunächst vor allem scharfen Widerspruch hervor. Für die aus Irland stammenden Moralphilosophen Francis Hutcheson (1694– 1746) und George Berkeley (1685 – 1753) etwa war ein Nutzbarmachen schlechter Eigenschaften wie Neid und Stolz für das Gemeinwohl ganz unmöglich. Jeglicher Luxus müsse daher durch alle verfügbaren Maßnahmen, wie etwa strikte Sittengesetze nach dem Vorbild der Eidgenossenschaft, verhindert werden.⁷⁴ Eine Annäherung an Mandevilles befürwortende Position, die Luxusstreben als ein probates Mittel ansah, um einen florierenden Staat zu initiieren und zu erhalten, fand sich zuerst in den 1730er Jahren in Frankreich. Stärker als der Luxus mit all seinen Auswirkungen auf das Individuum rückten die Kriege, das Militär und das Expansionsstreben mit ihren finanziellen Auswirkungen als Staatskrankheiten in den Mittelpunkt der Betrachtung. Luxusstreben hingegen wurde fortan in einer Gruppe französischer Politiktheoretiker und Ökonomen um JeanFrançois Melon (1675 – 1738) und den frühen Montesquieu – beide kannten sich bestens aus Bordeaux – als notwendiges Element und Stimulus eines wirtschaftlichen Wachstums angesehen.⁷⁵ Melon etwa lehnte in seinem 1734 erstmals publizierten Essai politique sur le commerce moralische Argumente in der Bewertung des Nutzens von Luxus und Luxusstreben ab.⁷⁶ In ökonomischer Hinsicht sei der Luxus, dessen Definition reichlich schwierig sei, zu befürworten, denn Luxusgüter seien nur durch harte Arbeit zu erlangen. Davon profitiere der Einzelne. In der Folge, wenn der Zugang zu diesen Gütern ausreichend für alle Ge-
Beaufort, Lieven F. de: Verhandeling van de Vryheit in den Burgerstaet. Leiden/Middelburg ; Vgl. Velema, Ancient and Modern, S. ; Velema, Republicans, S. – . Vgl. Velema, Ancient and Modern, S. – . Vgl. dazu Hont, The early Enlightenment Debate, S. – ; Textstelle Eidgenossen: Berkeley, Georg: The Querist containing several Queries proposed to the consideration of the Public. Dublin – . Q. – . In: Bishop Berkeley’s Querist in Historical Perspective. Hrsg. von Joseph Johnston. Dundalk . S. – . S. . Vgl. dazu Hont, The Early Enlightenment Debate, S. – ; Shovlin, The Political Economy of Virtue, S. f. Melon, Jean-François: Essai politique sur le commerce. Paris . Im Jahr erscheint die um sieben Kapitel erweiterte zweite Ausgabe. Zur Argumentation Melons vgl. Hont, The Early Enlightenment Debate, S. – ; und Shovlin, The Political Economy of Virtue, S. .
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2 Stabilität
sellschaftsschichten möglich sei, profitiere zudem insgesamt der Staat. Dieser müsse keine strengen Sittengesetze, sondern vielmehr Gesetze gegen Faulheit erlassen. Die facettenreiche Diskussion um Luxus und Luxusstreben zwischen 1676 und 1750 spiegelt sich auch in den Aussagen über die drei zeitgenössischen Republiken. Dabei dominiert insgesamt eine moralisch-politische Argumentation im Sinne des „klassischen Republikanismus“.⁷⁷ Eine Mandeville’sche, extreme Gegenposition findet sich nicht. Aber zunehmend – vor allem in den Texten, die nach 1730 publiziert wurden – wurden auch wirtschaftliche Argumente vorgebracht, die allerdings zumeist auf eine Vermeidung von Luxus beziehungsweise einen übermäßigen Luxus zielten. So bewertet Nicolaus Hieronymus Gundling die Sittengesetze der Eidgenossenschaft als unbedingt notwendig: Denn fället man auf einem Luxum, so kann nichts anders als Armuth und Noth drauf folgen, welches um desto leichter geschiehet, wenn der Luxus an einem solchen Orth einreisset, wo sonst keine grosse Nahrung ist, und das Commercium an einem und dem andern Orte klein, wie in der Schweitz.⁷⁸
Der anonyme Autor der 1743 publizierten Schrift: A Description of Holland: or the Present State of the United Provinces hebt auf eben solche notwendigen Sittengesetze in den Niederlanden ab. Er kritisiert Luxus als stabilitätsgefährdendes Moment und argumentiert dabei sowohl mit Blick auf die Tugenden als auch mit Blick auf die Handelsbilanz: It has in all Times been the great Care of the wise Rulers of the Republick to banish every thing that looks like Pomp and Superfluity, from their Country. […] Should excessive Feasting, Dressing, Balls, &c. once again gain ground in the Provinces, their military and mercantile Qualities would soon decline, and come to nothing; their Tempers would grow too soft and delicate for their Climate, and the peculiar Business and Works, for which Divine Providence seems to have designed them. Besides which, the Materials for Luxury must be brought from other Nations, and that must exhaust and ruin a Country, which has but few commodities of its own to export. Luxury is a fatal Disease in the Vitals of a State, as its natural Consequences are Rapine, Avarice, Injustice, and Venality. The
Vgl. grundsätzlich argumentierend: Carr, Remarks, S. ; Hoffmann, Politische Anmerkungen, S. . Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. . Zuvor hält Gundling fest, dass der Luxus in der Eidgenossenschaft nach Meinung der meisten neueren Autoren größer geworden sei (Bd. , S. ). Dennoch kommt Gundling am Ende seiner Beschreibung zu dem Schluss: „Unter allen Nationen sind sie am weitesten vom Luxu entfernet; sie kommen zwar nach Franckreich und sehen da die Lebens-Art, allein sie halten doch etwas zurück.“ (Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. ).
2.2 Luxus
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wants of the Luxurious perpetually increase, their Expences multipliy, and the more they spend, the more they are reduced to find Supplies; which at last brings the Liberty of a Commonwealth with its Votes to Sale, if any inbred Faction, or foreign Power is disposed to pay the Price of them. […]. It is no wonder therefore, that the prudent and able Governors of the Dutch Republick are perpetually labouring to discountenance every thing, which tends to introduce Vanity and Luxury.⁷⁹
Die Vereinigten Provinzen der Niederlande, so der Tenor der hier analysierten Quellentexte, seien bisher von übermäßigem Luxus verschont geblieben und in ihrer Sparsamkeit und ihrem Pflichtbewusstsein vorbildlich.⁸⁰ In Venedig sei, so immer wiederkehrende Aussagen, vor allem der junge Adel ohne Maß und dem Luxusstreben vollkommen ergeben. Dies berge ein hohes Gefahrenpotential, vor allem in der Zukunft.⁸¹ So hält etwa der Nachfolger Amelot de la Houssayes in der französischen Botschaft Venedigs, Alexandre Toussaint de St. Didier (1630 – 1689), im Jahr 1680 fest: […] on ne doit pas s’étonner que les jeunes Nobles Venitiens, n’étant arrêtez par aucunes considérations, qui portent ordinairement les jeunes à la vertu, ou du moins qui les retiennent sur le penchant du vice, vivent si irrégiliérement, & fassent paroître si peu de modération dans leur conduite.⁸²
Anonymus, A Description of Holland, S. – . Ähnlich schon Addison, Some Remarks, S. f. Eine in ihren Grundzügen ebenfalls wirtschaftliche Argumentation findet sich bei Jacob August Franckenstein ( – ), für den die Luxusbeschränkungen in der Eidgenossenschaft zum sich ausbreitenden Wohlstand beitragen. Siehe Franckenstein, Jacob August: Schweitzerisches Theatrum worinnen dieses Staats völlige Historie und sonderbare Veränderungen enthalten, welche mit benöthigten Allegatis, Autorum versehen, dabey hin und wieder die historischen Zweiffel erörtert, auch zuletzt gehörige Nachricht von der Schweitzer Qualitäten/Praetensionen/dieses Staats Einkommen und Waaren nebst dem Absichten desselben auf andere hohe Potentien gegeben wird. Halbertstadt (bey Johann Michael Teubnern) . S. . Vgl. dazu auch Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. . Vgl. etwa Shaw, Travel through Holland, , S. und S. ; Anonymus, A Late Voyage to Holland, S. ; Carr, RemarksS. – räumt ein, dass die alten Sitten der Niederländer so nicht mehr vorhanden seien. Die Bescheidenheit und Sparsamkeit seien Luxusstreben und Exzessen gewichen. Aber, im Gegensatz zu England, seien sich die Holländer diesen Veränderungen sehr bewusst und kluge Bürgermeister würden versuchen, dem entgegenzusteuern. Vgl. etwa Freschot, Nouvelle Relation, S. f.; Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. f.: „So viel ist gewiß, daß es unter der jungen Noblesse sehr luxurieux und unkeusch zugehet […]. Dergleichen Leichtfertig- und Gewaltthätigkeiten aber ziehen denen Nobili bey dem peuple einen grossen Haß zu, welcher leicht einmahl die gantze Staats Verfassung von Venedig renversiren, und auf einen andern Fuß setzen könnte.“ Saint Didier, La Ville et la Republique de Venise, S. f. Vgl. dazu auch Wootton, Ulysses Bound?, S. .
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2 Stabilität
St. Didier beschreibt die Maßnahmen der Venezianer, um ein solches Verhalten einzudämmen, aber auch deren Grenzen der Wirksamkeit: Il est certain aussi que le luxe en ruinant inévitablement les familles, devient par des suites necessaire, l’écueil assuré de la liberté que les Républiques recherchent si fort. C’est pour prévenir les desordres contagieux du luxe que la République de Venise, à l’imitation de celle de Rome, a établi les trois Sopra-Proveditori alle Pompe. […] Bien que ces Juges soient très-rigoureux qu’ils fassent renouveller leurs Ordonnances de temps en temps, qu’ils ayent un grand nombre d’espions entretenus pour leur dénoncer les contrevenans; il arrive neanmoins que le Courtisanes sont resue les seules qui payent l’amende.⁸³
Die Maßnahmen der eidgenössischen Kantone hingegen, nämlich die strengen Sittengesetze, seien bisher sehr wirksam gewesen, so stimmen die meisten Abhandlungen überein.⁸⁴ Allerdings findet sich auch nahezu durchgehend der Topos der zunehmenden Korrumpierung der alten Tugend durch französische Einflüsse.⁸⁵ Auch Abraham Stanyan verweist auf diesen negativen Einfluss französischer Sitten und betont zugleich die Notwendigkeit der Sittengesetze, um einen Ruin zu verhindern: The Switzers have been noted, during many Ages, for great Candour in their Dealings, and Simplicity in their Manners, as well as in their Dress. But those who examine them at present, do not think they deserve that Character, so well as they did formerly; and I have heard many of them complain of the Luxury and general Corruption of Manners, introduced of late Years among them, which they chiefly attribute to the Officers, that return from Foreign Service, and particularly from France. However that be, it is certain, that the Cantons of Berne, Fribourg, and Soleurre in the Neighbourhood of France, have much more of the Airs and Manners of that Nation in their way of Living, than the others that are more distant. […] But here the Magistrate has wisely interposed, and put a Curb upon their Vanity, by prohibiting all costly Apparel; otherwise it were to be feared, that they would ruin themselves, by imitating a Nation, they are not able to vye with in Expence.⁸⁶
Saint Didier, La Ville, S. – . Vgl. etwa Bianchi, Account of Switzerland, S. ; Addison, Some Remarks, S. – , der Ruhe, Frieden und Eintracht der Schweizer an deren Armut und politische Verfasstheit rückbindet. Ein fürstlicher Hof würde den Luxus einführen und damit die einfachen Schweizer Bürger überfordern. Aufgrund der zunehmenden französischen Einflüsse seien die Luxusgesetze unbedingt notwendig. Würden Luxus und Luxusstreben Einzug halten, seien die eidgenössischen Kantone militärisch, finanziell und wirtschaftlich ruiniert. Vgl. dazu auch Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. , der darauf hinweist, dass Addison hier eine moralphilosophische mit einer physikotheologischen Argumentation verbindet. Vgl. etwa Blainville, Reisebeschreibung, Bd., S. ; Collier, Jeremy: The Great Historical, Geographical, Genealogical and Poetical Dictionary. Paris . Art. Switzerland (o.P.); Addison, Some Remarks, S. ; Valkenier, Das Interesse, S. . Stanyan, Account of Switzerland, S. – .
2.2 Luxus
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Dabei argumentierte Stanyan auch 1714 bereits durchaus wirtschaftspolitisch. In seinem Kapitel über den Handel der Eidgenossenschaft verweist er auf die Tatsache, dass die negative Handelsbilanz in keinem Falle den Import von Luxusgütern erlaube: „The Ballance of Trade being therefore so much against the Switzers, it became absolutely necessary for them to prevent the consumption of foreign Commodities, as much as possible, by retrenching all Superfluities, especially in Apparel and Furniture.“⁸⁷ Auch Stanyans anonymer, eidgenössischer Rezensent musste dem Engländer in diesem Punkt Recht geben: Der Luxus habe, vor allem durch den Einfluss der Franzosen, in den eidgenössischen Kantonen zugenommen und deren Struktur negativ beeinflusst.⁸⁸ Der Anonymus zitiert den Pietisten und Schweizer Frühaufklärer Beat Ludwig von Muralt (1665 – 1749)⁸⁹, dass Luxus die Nation korrumpiere, und warnt davor, diesem Luxus zu viel Raum zu geben.⁹⁰ Die innereidgenössische Kritik am Luxus, der die alte Tugend der Eidgenossen korrumpiere und auf diese Weise den Staatskörper erkranken lasse, hatte um 1700 eingesetzt,
Stanyan, Account of Switzerland, S. f. Thomas Maissen differenziert diesbezüglich die Aussagen des Anonymus der Délices und einer seiner Vorlagen, Abraham Ruchats Les Délices de la Suisse von , als zwei unterschiedliche, innereidgenössische Wahrnehmungsmuster: „Was noch eine aktuelle Entwicklungstendenz ist, wird als abgeschlossener Prozess der Verfremdung und des Authenzitätsverlustes wahrgenommen.“ (Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. ). Es wäre sicherlich spannend, diese These anhand weiterer eidgenössischer Aussagen zu verifizieren. Zu Beat Ludwig von Muralt vgl. Müller, Christina: Art: Muralt, Beat Ludwig von. In: Historisches Lexikon der Schweiz. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D.phpzuletzt (. . ); sowie Zurbuchen, Simone: Von Muralts Lettres sur les Anglais und die Anfänge der Anglophilie auf dem Europäischen Kontinent. In: xviii.ch. Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft zur Erforschung des . Jahrhunderts (). S. – . Anonymus, L’Etat et les Delices de la Suisse, S. f.: „Enfin je donne aux Vices, qui regnent dans la Suisse, une cause tout différente de celle, que leur donne nôtre Auteur. Je trouve, qu’ils viennent du dehors, pour la plûpart. Si les Gens de Guerre, qui servent les Princes & Etats Voisins, nous ont rapporté des maniéres plus polies, ils ont aussi amené bien des Vices, qui ont commencé à infecter la Suisse, comme les autres Nations. Ce qui a fait dire au célébre M. de Muralt dans sa Lettre sur les Voyages.“ (S. ): „Le mal, que nous font les Voyages, ne va pas seulement à changer nôtre ancien Caractère, ils introduisent parmi nous des Moeurs, qui nous perdent, le Luxe, dont nous devions nous garder, comme de ce qu’il y avoit de plus à craindre pour nous, & qui nous convient moins, qu‘à quelque Nation que ce soit; il nous est si peu propre, qu’il nous rend ridicules aux yeux de tout homme raisonnable, de celui même, qui est homme du Monde, & qui aime le Luxe, llors qu’il est en sa place. Le Luxe nous est tellement étranger, que non seulement il n’est connu parmi nous, que par le moyen des Voyages, que nous faisons chès d’autres Peuples; mais que même tout ce qui y sert vient de chès eux; c’est ce qui achève de le rendre ruïneux pour nous. C’est encore le Luxe, introduit par nos Voyageurs, qui entraîne après lui l’abandon & la négligence des soins Domestiques, bannit des Familles la tranquillité & la douceur, & les remplit de desordre.“
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2 Stabilität
unter anderem mit dem Onkel Beat Ludwigs von Muralt, Johann Bernhard von Muralt (1634– 1710).⁹¹ Dieses ruinierende Potential spricht Montesquieu (1689 – 1755) in seinem 1734 publizierten Essay Considerations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur Decadence dem Luxus ab.⁹² Die andauernde Expansion und die daraus resultierende Größe hätten Rom, das hier in seiner Anlage als exemplarisch für alle Republiken vorgestellt wird, den Niedergang gebracht und nicht der bereits in der Republik Einzug gehaltene Luxus. Das Streben nach Luxus präsentiert Montesquieu dabei lediglich als ein Movens neben anderen, die die fatale Expansion bedingt hätten. Die andauernde militärische Aktivität hätte in Rom spätestens nach der Überquerung der Alpen zu einer Konzentration der Macht in den Händen eines oder mehrerer Generäle geführt. Die Größe des Gemeinwesens führe zudem in jeder Republik, das heißt für Montesquieu zunächst einmal einer Verfassungsform ohne Monarchen, zu Informationsproblemen und zu einer verstärkten Diskrepanz privater Interessen. Die einzelnen Individuen seien viel weniger dazu bereit, sich tugendhaft für ein Gemeinwohl einzusetzen, dessen Identität sie kaum mehr fassen könnten.⁹³ Von einer solchen Entwicklung sei momentan etwa auch Bern bedroht, wenn es weiter expandiere.⁹⁴
2.3 Expansion und Krieg Die Expansionsfähigkeit und –notwendigkeit sowie grundsätzlich die territoriale Größe eines Gemeinwesens wurden bereits zwischen 1650 und 1676 des möglichen Aussagenspektrums als strukturelle Merkmale der Republiken diskutiert.⁹⁵ So-
Vgl. dazu Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. f. Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de: Considerations sur les causes de la Grandeur des Romains et de leur Decadence. A Amsterdam (chez Jaques Desbordres) . Zur Auffassung Montesquieus hinsichtlich Luxus und Expansion in diesem Essay siehe hier und im Folgenden: Hont, The Early Enlightenment Debate, S. – ; Levy, Jacob T.: Beyond Publius: Montesquieu, Liberal Republicanism and the Small-Republic Thesis. In: History of Political Thought (HPT) / (). S. – . S. – . Siehe vor allem Montesquieu, Considerations, S. – und S. f. Montesquieu, Considerations, S. : „Il y a à present dans le monde une République (*Le Canton de Berne) que presque personne ne connoit, & ce qui dans le secret & dans le silence augmente ses forces chaque jour. Il est certain que si elle parvient jamais à l’état de grandeur où sa sagesse la destine, elle changera necessairement ses Loix, & ce ne fera point l’ouvrage d’un Législateur, mais celui de la corruption même.“ Vgl. Teil II der vorliegenden Arbeit. Grundsätzlich zur Diskussion über das Verhältnis von Republik und Expansion in der politischen Theorie der Frühen Neuzeit vgl. den Aufsatz von
2.3 Expansion und Krieg
341
wohl bei jenen Autoren wie etwa Temple und Gailhard als auch bei jenen Autoren, die zwischen 1676 und 1750 auf die zeitgenössischen Republiken blickten, wurde diese Thematik dabei oft in einem Zusammenhang mit aktuellen Strategien der Außenpolitik diskutiert. Gemessen an der Zielvorgabe des stabilen Erhalts des Gemeinwesens wurde – mit Blick auf alle drei betrachteten Republiken gleichermaßen – eine militärische Expansion als nachteilig, eine Friedenspolitik hingegen als vorteilhaft für die Republiken angesehen. Der von 1705 bis 1707 in der Eidgenossenschaft als Bündnisvermittler tätige venezianische Gesandte Vendramino Bianchi (1667– 1738) bewertet die eidgenössische Friedenspolitik etwa als weise und alleinige Grundlage ihrer Freiheit und Sicherheit: On all these above-suggested Considerations, tho’ most evident to a Wise Republic as is that of the Helvetic Body, which is fond of Peace to the utmost degree of Jealousie; which finds in it the principal and sole Foundation of its Liberty, Security, and Opulency; and which, like all other prudent Governments, is content with its own, and utterly averse to all manner of Risques in hopes of Advantage, aiming only at its Preservation, ‘twill always be their Interest to be well with the Emperor, and keep up a good Correspondance likewise with France.⁹⁶
Der norddeutsche Geograph Heinrich Ludwig Gude (?–1707) kommt in seinem um 1708 postum als Oktavband erschienenen Staat der Schweitzerischen Eidgenossen und Ihrer Verbundeten zu einem ganz ähnlichen Schluss: „Das einzige und wahre Interesse der gesamten Eidgenoßschafft bestehet in Behauptung der von ihnen so theur erworbenen Freyheit. Zu deren Erhaltung sie ihnen nichtes zuträglichers erachten/ als unter sich selbsten Einigkeit/ und mit allen Benachbarten gute Verständniß.“⁹⁷ Armitage, David: Empire and Liberty: A Republican Dilemma. In: Republicanism. A Shared European Heritage. Bd. : The Values of Republicanism in Early Modern Europe. Hrsg. von Quentin Skinner u. Martin van Gelderen. Cambridge . S. – (zu Montesquieu vor allem S. f.). Bianchi, Account of Switzerland, S. f. Für biographische Angaben vgl. Bundi, Martin: Art. Bianchi,Vendramino. In: Historisches Lexikon der Schweiz. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/ D.php (. . ). Ähnlich auch Weise, Politische Fragen, S. 355 (für die Eidgenossenschaft), S. 348 (für Venedig), S. 378 (für die Niederlande); Köhler, Collegii, S. 45 (für die Niederlande); Janiçon, État présent, Bd.1, S. 52 f. (für die Niederlande); Keilhacker, Johann: Des Curieusen Hoffmeisters Geographisch-Historisch-und Politischer Wissenschafften Anderer Theil/Worinnen die in dem Ersten manquierende herrschende Staaten und Republiquen als Pohlen/Moscau, Türcken/Schweitz/Italien, Asia, Africa und America […] nach voriger Methode vorgestellet werden. Leipzig (bey Martin Theodor Heybeyen) 1699. S. 558 (für die Eidgenossenschaft). Gude, Heinrich Ludwig: Staat der Schweitzerischen Eidgenossen und Ihrer Verbundeten worunter auch die Republique Geneve. o.O. o. J. S. . Gude veröffentlichte mehrere Staatsbeschrei-
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2 Stabilität
Auch die Niederländer, so Gude in seiner ebenfalls als Oktavheft erschienen Beschreibung der Vereinigten Provinzen, hätten verstanden, dass etwa Eroberungen nicht ihrem Interesse entsprächen: „Das vereinigte Niderland/ welches sein Interesse, nicht in der Grandeur, und etendue, sondern in dem Reichthum und blühenden Zustande seines Estats suchet/ praetendirt keine auswärtige conquetes, sondern blos Freyheit der Commercien, als die Grund-Seule ihres Wohlergehens.“⁹⁸ Venedig hingegen hätte unter einem enormen Kostenaufwand solche Expansionen mehrmals vorangetrieben: Das größte/ ja einzige Interesse des Venetianischen Estats bestehet wie aller andern Republicquen in conservation ihrer Freyheit/ und ietzigen Governo, wiewohl sie vor Holland und der Schweiz etwas besonders hat/ dan da diese sich begnüget mit dem territorio, so anfangs ihren Estats ausgemachet/ nach der Niderländischen Stats-Maxime: Non minor est virtus, quam quaerere parta tueri, und alle andere Conquetes vielmehr vor schädlich als nützlich erachten/ indem sie zu deren behauptung höchstkostbare Garnisonen unterhalten/ auch manchesmahl wider die benachbarte Puissances die waffen ergreifen müssen/ so hat dennoch die weise Signoria von Venedig ihr Gebiet so wohl in Ponente, als Levante, in Terra ferma, als denen Insuln aufs mögligste auszubreiten/ und mit unsäglichen Kosten zu erhalten gesuchet/ und dies nicht ohne erhabliche Ursachen.⁹⁹
Im Zuge der sich mit Blick auf Venedig entwickelnden Niedergangsrhetorik wurden gerade diese expansiven Tätigkeiten als Fehler der Lagunenrepublik gebrandmarkt. So hält auch Joseph Addison 1705 fest: „It was certainly a mighty Error in this state to affect so many Conquests on the Terra Firma (sic!), which has only serv’d to raise the Jealousie of the Christian Princes […].“¹⁰⁰ Nur wenige Autoren befürworteten – allein mit Blick auf die Vereinigten Provinzen – eine offensive Außenpolitik und den Zustand des Krieges als vorteilhaft für die jeweilige Republik oder bewerteten zumindest den Zustand des anhaltenden Friedens als gegebenenfalls mit Nachteilen verbunden. So stellt
bungen in einer Reihe von Oktavbänden, allerdings ohne genaue Orts- und Zeitangabe. Seine dazu veröffentlichte Einleitung zur den Europäischen Staaten und derselben Beschluß datiert auf . Eine zeitliche Nähe der Publikation ist deshalb wahrscheinlich. Für biographische Informationen siehe Ratzel, Friedrich: Art. Gude, Heinrich Ludwig. In: Allgemeine Deutsche Biographie (), S. . http://www.deutsche-biographie.de/pndX.html?anchor=adb (. . ). Gude, Staat der Vereinigten Niderländer, S. . Gude, Heinrich Ludwig: Staat der Republique Venedig und Ragusa. o.O. o. J. S. f. Addison, Some Remarks, S. . Zur aktuellen Expansionsfähigkeit Venedigs konstatiert Addison: „This Republick has been much more powerful than it is at present as it is still likelier to sink than increase in its Dominions.“ (Addison, Some Remarks, S. ).
2.3 Expansion und Krieg
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Nicolaus Hieronymus Gundling fest: „Der Friede ist zwar besser; aber sie haben auch Avantage beym Kriege: Denn wenn sie Friede haben, so zancken sie sich unter einander, werden luxurieux, und die reichen Kauffleute ziehen die Chargen an sich; anno 1672 hatte mancher ein Regiment, der keinen todten Hund im Felde gesehen.“¹⁰¹ Und der anonyme Autor der Description of Holland bemerkt in einer Fußnote zur Friedenspolitik als niederländische Staatsmaxime: §This is a very dubious Point: For present Tranquility, at the Hazard of consequential future Ruin, when the Success of a common Enemy against the natural Allies of a State may have made his Power irresistible, is certainly so far from good Policy, that it is a great and fatal weakness, as a publick Council could possibly fall into.¹⁰²
Die gesamteuropäische Ebene, das macht auch diese Aussage deutlich, wird dabei nahezu immer mitgedacht. Die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Gleichgewichts der europäischen Mächte ist für die hier betrachteten Autoren dabei der entscheidende Orientierungspunkt. Nicolaus Gundling verweist innerhalb seiner Beschreibung der Vereinigten Provinzen explizit auf die Aktualität dieses Themas: Die Pedanten disputirten: Ob man propter metum crescentis Potentiae den Degen ausziehen könne? Solche Schul-Leute dürffen nun lesen, was in Welt paßiret, und wie sich alle Herren damit ereusiren, daß sie bemühet seyn müssen, die Balance von Europa zu unterhalten; die Schul-Füchse sagen noch immer: Man solte sich auf Gott verlassen. Gut! Wenn ich kein ander medium weiß, habe ich aber dieses, so darff ich nicht hoffen, sondern es heißt, rette dich durch Mittel und deine Vernunfft, die dir von Gott zu deiner hülffe gegeben sind. Praxis von europa zeiget dir das Contrarium. Contra Potentiorem kan man sich nicht mainteniren; wenn auch ein Herr ruhig wäre, so könte es wohl der andere nicht seyn, der ihm einmahl succedirte,
Gundling, Ausführlicher Discours, S. . Eine chronologische Ausnahme bildet der niederländische Gesandte Petrus Valkenier. Er plädierte schon für eine offensive Außenpolitik der Eidgenossenschaft und grundsätzlich aller Republiken: „Nichts stürzet die Republiquen ehender zum Fall/ dann die Furcht eines Krieges/ weil sie gemeiniglich sich selbsten damit betrügen/ daß sie/ denselben zu vermeiden/ sich still halten wollen/ bis sie angegriffen werden. Wann man einem auffkommenden Ubel allzu lang ohne Hülff-Mittel zusiehet/ so wird es endlich onheilbar/ und wann man den Brand allzunahe läst herzu nahen/ dann findet man sich hernach zu schwach/ denselben allein zu löschen. Hätten die Vereinigten Niederlande mit dem Printzen von Orange nichts Muths genug gehabt/ durch eine descente in Engelland ihrem Verderben zeitlich vorzukommen/ sie wären/ allem Ansehen nach/ anjetzo mit ihrem Nachbarn schon verlohren.“ (Valkenier, Das Interesse, S. ). Zu Valkenier und seiner Gesandtschaft in der Eidgenossenschaft vgl. auch Maissen, Thomas: Petrus Valkeniers republikanische Sendung. Die niederländische Prägung des neuzeitlichen schweizerischen Staatsverständnisses. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte (SZG) / (). S. – . Anonymus, A Description of Holland, S. f.
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und wäre ers auch für sich, so kan ihn doch ein Richelieu, oder anderer unruhiger Minister unruhig machen. Alle Fehler kann man sonst redreßiren; aber in Staats-Sachen muß man immer vigiliren; da muß ich providus seyn, und die Mine heraus graben, ehe sie springet. Walpole hat es dem Parlament so proponirt, auch der König selber; jeder redet von der Balance.¹⁰³
Der Gedanke des europäischen Mächtegleichgewichts hatte angesichts der französischen Dominanz in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine enorme Popularität innerhalb der europäischen Diskussion(en) erlangt.¹⁰⁴ Nachdem mit dem Westfälischen Frieden von 1648 die Dominanz Spaniens und vor allem die Konfession als bündnisbestimmendes Element als prägnante Faktoren des europäischen Mächtekonzertes weggefallen waren, diskutierten die politisch Handelnden in Europa – zumeist auf der Grundlage von Guicciardinis Darstellung italienischer Gleichgewichtsstrategien im 15. Jahrhundert¹⁰⁵ – angesichts einer neuen Flexibilität in der Außenpolitik das europäische Gleichgewicht als Weg der Friedenssicherung und als Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Stimuliert wurde diese Diskussion über eine notwendige balance of power vor allem durch die antiludovizianische Polemik in den Niederlanden, dem Reich und in England während des Niederländisch-Französischen Krieges (1672– 1678) und während des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1688/89).¹⁰⁶ Neben der Vorstellung einer bipolaren Ordnungsstruktur eines ausgeglichenen Verhältnisses zwischen den Häusern Habsburg und Valois oder einer Mächteallianz auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite, entwickelten sowohl theoretische Schriften als auch die alltagspolitische Flugschriftenpublizistik die Variante einer Ordnungskonzeption,
Gundling, Ausführlicher Discours, S. . Vgl. hier und im Folgenden (innerhalb der großen Menge an Forschungsliteratur zu diesem Thema): Kaeber, Ernst: Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur vom . bis zur Mitte des . Jahrhunderts. Berlin ; Duchhardt, Heinz: Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen – . Paderborn [u. a.] (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen ). S. – ; Luard, Evan: The Balance of Power. The System of International Relations, – . London ; Strohmeyer, Arno: Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit. Wien/Köln/Weimar ; Kampmann, Christoph: Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit. Paderborn [u. a.] (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, Neue Folge ). Guicciardinis Geschichte Italiens wurde zum ersten Mal publiziert und erfuhr schnell zahlreiche Übersetzungen und Auflagen. Gerade im . Jahrhundert erschienen noch einmal neue, verbesserte englische Übersetzungen. Zur Rezeption Guicciardinis im europäischen Gleichgewichtsdenken des . und . Jahrhunderts vgl. etwa Luard, Balance, S. ; Strohmeyer, Theorie, S. – und S. f. Vgl. dazu etwa Kampmann, Arbiter, S. – .
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die einer dritten Macht die Rolle des Schiedsrichters zuwies.¹⁰⁷ Zunehmend wurde England, und nach 1688/89 Wilhelm III. in persona, als neuer arbiter der europäischen Christenheit stilisiert. Vor allem die Engländer selbst adaptierten mit Hilfe der royalen Historiographie dieses eigentlich französische Selbstverständnis des arbiters und propagierten das europäische Mächtegleichgewicht als Maxime britischer Außenpolitik.¹⁰⁸ Mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1713, einer Annäherung Englands und Frankreichs und einer zunehmenden Verlagerung ihrer Konkurrenz nach Übersee wurde die Vorstellung einer europäischen balance of power immer stärker als nicht mehr begründungsbedürftige, nahezu natürliche Gegebenheit und Notwendigkeit europäischer Friedenspolitik angesehen. Dieser Umstand fand seinen Ausdruck in der neuartigen Kongresspolitik und dem Vertragswerk von Utrecht selbst.¹⁰⁹ Die Vorstellung von der Notwendigkeit eines Schiedsrichters wich dabei zunehmend dem Gedanken vom Gleichgewicht als Pflicht aller Staaten.¹¹⁰ Mit Ausnahme des in die Niederlande immigrierten Hugenotten Rousset de Missy, der seit dem Spanischen Erbfolgekrieg und dem Frieden von Utrecht nicht mehr an die Möglichkeit eines Gleichgewichts glaubte,¹¹¹ blieb die europäische
Vgl. dazu Strohmeyer, Theorie, S. – ; Kampmann, Arbiter, S. – . Als exemplarischen Quellentext verweist die Forschung auf die anonyme, sehr polemische, gegen Frankreich gerichtete Flugschrift „Europäischer Staats-Rath“ von , die das Universalmachtstreben des französischen Königs für die Kriege und Unruhen der letzten Zeit verantwortlich macht und England als neue Hoffnung Europas stilisiert, die das Gleichgewicht zwischen Frankreich und Habsburg und damit den Frieden herbeiführen und bewahren könne. Siehe Anonymus: Europäischer Staats-Rath/ Oder gründlicher Bericht wie sich die Hohen Potentaten in Europa gegen die Monarchische Einbildungen des Königes in Franckreich zu verhalten haben. o.O. . Vgl. dazu Kampmann, Arbiter, S. f.; Strohmeyer, Theorie, S. . Vgl. dazu Kampmann, Arbiter, S. – und S. – . Vgl. dazu etwa Luard, Balance, S. f.; Kampmann, Arbiter, S. – ; Evert, Jürgen: Mensch, Gleichgewicht und Integration. Neuzeitliche Vorstellungen vom Wesen Europas, insbesondere von seiner Verfasstheit. In: Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom . bis . Jahrhundert. Hrsg. von Michael Jucker, Martin Kintzinger u. Rainer Christoph Schwinges. Berlin (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft ). S. – . S. . In den er Jahren wurde diese Vorstellung zunehmend kontrovers diskutiert. So verweist Arno Strohmeyer etwa auf den Disput der Göttinger Rechtsgelehrten Ludwig Martin Kahle ( – ) und Friedrich Stisser ( – ) von (Vgl. Strohmeyer, Theorie, S. ). Mit Montesquieu und in der Folge etwa Mirabeau ( – ) und Justi ( – ) kommt es dann zu einer Kehrtwende in der Bewertung der balance of power als Instrument europäischer (Friedens) Politik. Vgl. dazu auch Kapitel IV. der vorliegenden Arbeit. Siehe Rousset de Missy, Les Intérêts, S. : „Conclusion: L’expérience de plus d’un siècle & demi a fait voir que l’Empire & l’Espagne étant dans les deux branches de la Maison d’Autriche, elle n’étoit pas trop puissante pour contrebalancer le Pouvoir de la France. La Guerre du com-
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balance of power auch für die hier betrachteten Autoren gegebener oder erhoffter möglicher Zustand.¹¹² Dabei wurden mit Blick auf die drei zeitgenössischen Republiken zwei Alternativen als erfolgreiche, stabilitätsgarantierende Strategien innerhalb dieses Gleichgewichts aufgezeigt: Die meisten Autoren führten die Neutralität als Erfolgsstrategie ins Feld.¹¹³ Neutralität als Maxime eines Gemeinwesens und nicht mehr als situative Handlungsoption wurde – nach Vorläufern im Italien des 15. Jahrhunderts – für die meisten politisch Handelnden in Europa erst nach dem Westfälischen Frieden und damit einer auf staatlicher Souveränität und dem Völkerrecht beruhenden Ordnung denkbar.¹¹⁴ Gerade mit Blick auf den mencement de ce Siecle a épuisé toutes les Puissances de l’Europe; la Paix d’Utrecht a ôté les Espagnes à la Maison d’Autriche, pour les mettre dans celle de Bourbon; donc tout le système a été changé par la mort de Charles II. & par des suites; donc l’équilibre du Pouvoir a été altéré; donc les Intérêts ne sont plus les memes; voilà pour ce qui concerne le Midy.“ Vgl. etwa Schmeizel, Einleitung zur Staats-Wissenschaft, S. ; Pufendorf, Samuel: Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten so in jetziger Zeit sich befinden. . Aufl. Frankfurt . Vorrede. Bd. . S. . So hält Martin Schmeizel mit Blick auf Venedig fest: „Gleich wie hernechst das gemeinschaftliche Interesse der Republic in der Ruhe und Sicherheit bestehet, so muß auch dasjenige äusserst besorget und vorgebeuget werden, was diesen Zweck befördern oder hindern kan (sic). […] Bey erfolgenden Unruhen, nicht leicht Parthey zu nehmen, sondern lieber neutral zu bleiben. […] In Summa: mit allen andern auswärtigen Mächten, nach äusserstem Vermögen in gutem Vernehmen zu stehen, weil alle Händel und Streitigkeiten ihrem Grund-Principio zuwider.“ (Schmeizel, Einleitung zur Staats-Wissenschafft, S. ) Hinsichtlich der Eidgenossenschaft konstatiert er: „Das äusserliche Interesse bestehet in Besorgung, das gute Vernehmen mit allen Nachbarn zu unterhalten. Bey auswärtigen Kriegen lieber neutral zu bleiben, als Parthey nehmen, anbey demjenigen Volck zu überlassen, und Werbungen zu erlauben, der am meisten den Beuthel aufthut.“ (Schmeizel, Einleitung zur Staats-Wissenschaft, S. ) Hinsichtlich der Vereinigten Provinzen stellt er schließlich fest: „Uberhaupt ist eine beständige Maxime derer Holländer, mit allen Potentzen Frieden zu halten, und nicht anders, als aus hochdringender Noth sich zum Krieg zu resolviren, auch so bald als möglich sich wieder heraus zu wicklen. […] Und endlich, das GleichGewicht von Europa mit Nachdruck helffen zu unterhalten, und insonderheit zu verhüten helffen, daß im Norden und in der Ost-See, alles in statu quo verbleiben möge u.s.w.“ (Schmeizel, Einleitung zur Staats-Wissenschaft, S. f.); Vgl. auch Gundling, Ausführlicher Discours, Bd., S. f. und Bd. , § – ; Burrish, Batavia Illustrata, S. ; Weise, Politische Fragen, S. ; Addison, Some Remarks, S. f.; D‘Audiffret, Histoire et Geographie, , S. (für die Eidgenossenschaft). Vgl. hier und im Folgenden: Maissen, Thomas: Wie aus dem heimtückischen ein weiser Fuchs wurde. Die Erfindung der eidgenössischen Neutralitätstradition als Anpassung an das entstehende Völkerrecht des . Jahrhunderts. In: Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom . bis . Jahrhundert. Hrsg. von Michael Jucker, Martin Kintzinger u. Rainer Christoph Schwinges. Berlin (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft ). S. – ; Schweitzer, Michael/ Steiger, Heinhard: Art. Neutralität. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. . Hrsg. von Otto Brunner,
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stabilen Erhalt des status quo innerhalb der europäischen Mächtekonstellation wurde Neutralität zur attraktiven Variante – vor allem für die kleinen und mittleren Staaten. Giovanni Battista Leoni (?–1645) hatte dies um 1600 zum ersten Mal dezidiert formuliert¹¹⁵ und zumindest die Eidgenossenschaft und auch Venedig gingen noch im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts zu einer dezidierten Neutralität in der Außenpolitik über.¹¹⁶ Neutralität wurde aber zugleich auch zu einem Instrument der dominierenden Mächte Europas und Gegenstand von Interessenpolitik. Frankreich förderte, garantierte und gegebenenfalls erzwang die Neutralität kleiner Staaten, um sie der habsburgischen Einflusssphäre zu entziehen und eine Art Pufferzone zu errichten.¹¹⁷ Doch auch andere Staaten versuchten über die Deutungshoheit beim Neutralitätskonzept ihre Interessen durchzusetzen. Petrus Valkenier (1641– 1712) etwa, niederländischer Gesandter in Zürich von 1690 bis 1704, argumentierte in einem Memorial von 1692, dass die Eidgenossen ihre Neutralität als Grundsäule ihrer Sicherheit auch richtig zu interpretieren hätten. Eine exklusive Erlaubnis für Frankreich, eidgenössische Söldner anwerben zu
Werner Conze u. Reinhart Koselleck. Stuttgart . S. – .Vor allem S. – . Hier wird auch darauf verwiesen, dass der Begriff „Neutralität“ in der Lexikal- und Dictionnaireliteratur des . Jahrhunderts bereits stabil als „Nichtteilnahme an einem Krieg zwischen zwei Staaten“ verwendet wird (Schweitzer/Steiger, Art. Neutralität, S. ). Zum Ursprung der Diskussion um die Neutralität als Maxime im italienischen Gleichgewicht der Mächte des . Jahrhunderts vgl. Zwierlein, Cornel: Die Genese des neuzeitlichen Neutralitätskonzepts. Italienische „Discorsi“ in Politikberatung und außenpolitischer Praxis. In: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit – Ansätze und Perspektiven. Hrsg. von Heidrun Kugeler, Christian Sepp u. Georg Wolf. Münster . S. – . Als Überblick und Versuch einer Systematisierung vormoderner Neutralitätsdiskussionen vgl. zuletzt Gotthard, Axel: Der liebe und werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien (Forschungen zur Kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht ). Leoni unterschied allerdings zwischen jenen kleinen und mittleren Mächten, die eine natürliche Verteidigungsstärke hätten (wie die Schweiz,Venedig und Savoyen) und jenen, bei denen dies nicht der Fall und Neutralität deshalb eher eine Nachteile produzierende Position der Außenpolitik sei. Vgl. Zwierlein, Genese, S. f.; Maissen, Fuchs, S. . Angesichts der expansiven Kriege Ludwigs XIV. schärfte sich die Diskussion und das Bewusstsein hinsichtlich der Neutralität als mögliche außenpolitische Grundposition in der Eidgenossenschaft zunehmends. findet sich hier die erste offizielle Neutralitätserklärung. In der Folge begann eine systematische Auseinandersetzung und im . Jahrhundert war die Neutralität bereits feste Maxime der Eidgenossenschaft. Venedig nahm diese Maxime spätestens mit dem Frieden von Passarowitz () für sich in Anspruch. Fortan deklarierte sich die Lagunenstadt auch gegenüber dem Osmanischen Reich als neutral. (Vgl. dazu Maissen, Fuchs, S. und S. – ). Grundsätzlich hatte sich Neutralität im . Jahrhundert als völkerrechtliches Institut konsolidiert. „Literatur und Staatenpraxis operierten von nun an ständig mit diesem Begriff.“ (Schweitzer/Steiger, Neutralität, S. ). Vgl. Maissen, Wie aus dem heimtückischen ein weiser Fuchs wurde, S. .
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dürfen, widerspreche dem Neutralitätsgebot. Valkeniers Auftrag im Hintergrund war es, die Eidgenossen zu einem eben solchen Soldbündnis mit den Vereinigten Provinzen zu bewegen.¹¹⁸ In seiner Schrift Das Interesse einer gesamten löblichen Eydgenoßschafft bey itzigen Conjuncturen von 1697 empfiehlt Valkenier dann klar ein Ende des „Stillhaltens“ und eine Anbindung der Eidgenossenschaft an die Allianz gegen den französischen Universalherrschaftsanspruch.¹¹⁹ Damit ist Valkeniers Text ein Beispiel für die zweite Möglichkeit einer stabilitätsgarantierenden Strategie innerhalb des europäischen Mächtegleichgewichts, die in den Aussagen über die drei zeitgenössischen Republiken ihren Ausdruck fand: So verwiesen einige der Autoren – sicher nicht frei von eigenen, „nationalen“ Interessen – auf die unbedingte Notwendigkeit der Anbindung an eine oder mehrere auswärtige Mächte.¹²⁰
Dies gelang . Zu Valkeniers Argumentationsstrategie vgl. Maissen, Wie aus dem heimtückischen ein weiser Fuchs wurde, S. (mit Verweis auf Valkenier, Petrus: Memoriale, worinnen die von der Eydgenoßschafft gegen dero schuldigen Neutralität vielfältig und stets hin unternommene Proceduren klärlich vor Augen gestellet werden. Baden den . Juli . Baden ) und Lau, Thomas: „Stiefbrüder“. Nation und Konfession in der Schweiz und in Europa, – . Köln/Weimar/Wien . S. – . Siehe Valkenier, Das Interesse, S. f. Ähnlich argumentiert er bereits in Valkenier, Petrus: Das verwirrte Europa. Amsterdam . S. . Vgl. dazu auch Maissen, Petrus Valkeniers Republikanische Sendung, S. . Der französischen Krone nahestehende politische Publizist Eustache Le Noble ( – ) lässt etwa im Unterschied zu Valkenier im siebten Dialog seiner Fable du Renard die personifizierte Schweiz ihrer „Schwester“ Holande zunächst die Vorteile der eigenen Allianz mit Frankreich erläutern und sie schließlich von der Notwendigkeit eines ebenso starken Bündnisses mit Frankreich als Grundlage der niederländischen Sicherheit und Freiheit überzeugen. (Le Noble, La Pierre de Touche Politique, S. – . Vgl. etwa S. f.: „Mais sans entrer plus avance dans l’examen de la force des deux partis qui divisent aujourd’hui l’Europe, je veux bien te dire pourquoi j’ai tenu une conduite toute contraire à la tienne, & entrant avec toi dans le raissonnement de nos utilitez particulieres, je te montrerai qu’en demeurant fidele à la France j’agis suivant mes véritables intérêts, au lieu que tu te coupe la gorge par la résolution que tu as prise de te rendre enemie de cette Couronne.“) Zu Leben und Werk Eustache Le Nobles vgl. Moureau/Collinet/Hourcade, Art. Eustache Le Noble. Johan Jakob Schmauß (1690 – 1757) sieht 1747, also nach Beginn des Österreichischen Erbfolgekrieges, zwei Parteien in den Niederlanden: „Es ist gar kein Geheimnüß, sondern ganz offenbar, daß in Holland zwey Partheyen sich befinden, die einander gänzlich zuwieder sind. Die eine ist derjenigen vernünftigen und patriotischen Staats-Leute, welche nach den alten und wahren Maximen der Republic, die große Gefahr vor Frankreich erkenenn […] Diese sehen weiter hinuas, als auf das gegenwärtige und heutige; sie sorgen vor die Balance von Europa, und sind geneigt, um derselben willen, mit anderen Potenzen of- und defensive sich in Bündnisse […] einzulassen. Die entgegen gesetzte Parthey ist derjenigen Magistrats Personen, welche mehr von ihrem eigenen, als dem allgemeinen Nutzen eingenommen sind; welche sich mehr auf die Handlung als auf die Politique verstehen, und sich weder um die Barriere in den Niederlanden
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Eine andere Idee präsentierte im Angesicht des Spanischen Erbfolgekrieges Charles Irénée Castel de Saint-Pierre (1658 – 1743) in seinem Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe. ¹²¹ Dieser Entwurf einer Neuordnung Europas war zugleich eine Kritik an der Idee des Mächtegleichgewichts. Ein solches sei mit Blick auf den stabilen Erhalt eines Staates genauso unzureichend wie die bisher in Europa existierende Vertragssicherheit: Je les ai toutes rapportées à deux Chefs ou à deux Propositions, que je me propose d’y démontrer: 1) La constitution présente de l’Europe ne sçauroit jamais produire que des Guerres presque continuelles; parce qu’elle ne sçauroit jamais procurer de sûreté suffisante de l’exécution des Traitez. 2) L’Equilibre de puissance entre la Maison de France et la Maison d’Autriche ne sçauroit procurer de sûreté suffisante ni contre les Guerres étrangéres, ni contre les Guerres Civiles, et ne sçauroit par conséquent procurer de sûreté suffisante soit pour la conservation des Etats, soit pour la conservation du Commerce.¹²²
noch um die Balance von Europa, noch um künftige Gefahr kümmern, wann sie nur ihren gegenwärtigen Reichthum erhalten und vermehren. […] Diese Käse-Krämer haben biß vor kurzem noch die Oberhand gehabt, und durch ihre Collusion mit Franckreich die Sachen würklich zu solcher Extremität gebracht, daß die vernünftige Gegen-Parthey große Mühe haben wird, die projectirte Neutralität abzuwenden, und die Republic zu einem Krieg wider Franckreich zu bewegen.“ Der polemische Duktus lässt klar die Zielsetzung von Schmauß erkennen: Die Niederlande sollen sich dem Reich anschließen und gegen Frankreich stellen. (Schmauß, Johan Jakob: Betrachtung über den gegenwärtig verwirrten Zustand der Niederlande. o.O. 1747. S. 5 – 8). Die beiden ersten Bände der endgültigen Fassung erschienen in Utrecht. Hier verwendete Edition dieser Ausgabe: Saint-Pierre, Abbé de: Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe. Utrecht (chez Antoine Schouten) (=Corpus des Œuvres de Philosophie en Langue Française. Paris ). Saint-Pierre, Projet, S. . Vgl. auch S. („leur chimére d’équilibre“), S. : „[…] cet Equilibre, qui ne donne aucune autre voye que la Guerre, pour terminer les différens futurs“; und S. f. („L’Equilibre de puissance entre la Maison de France et la Maison d’Autriche ne sçauroit procurer de sûreté suffisante, soit pour la conservation des Etats, soit pour la continuation du Commerce. […]“) und ausführlich S. – mit der Schlussfolgerung: „Il demeure donc pour constant, ce me semble, que l’Equilibre entre la Maison de France et la Maison d’Autriche ne procure aucune sûreté suffisante ni contre les Guerres civiles, ni contre les Guerres étrangéres, et ne donne par conséquent aucune sûreté suffisante ni pour la conservation des Etats, ni pour la continuation du Commerce.“ (Saint-Pierre, Projet, S. ).
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Saint-Pierres Referenzzeitraum war die Zukunft.¹²³ Seine Abhandlung sollte die Möglichkeit und Notwendigkeit einer europäischen Rechtsordnung darstellen, die einen säkular, interessenpolitisch begründeten, dauerhaften Frieden garantieren könne.¹²⁴ Nur durch eine Institutionalisierung von Rechtsverhältnissen, die die binnen- und zwischenstaatlichen Verhältnisse regeln, so Saint-Pierres Überlegung, könnten die gegenwärtigen Defekte der Einzelstaaten und der Staatenordnung überwunden werden. Durch einen Vertragsschluss sollen die achtzehn souveränen Gemeinwesen Europas in einer Union Européenne zusammenkommen. Zentrales Element dieses neuen Bundes sei einer aus allen Vertragsparteien gebildeter Senat, der alle Angelegenheiten und Konfliktfälle regele und das Gewaltmonopol besitze, um die Rechtsordnung zur Not auch mit Zwang durchzusetzen.¹²⁵ Vorbilder für einen solchen Bund, in dem die Mitgliedsstaaten dennoch ihre Souveränität grundsätzlich behalten sollten, und damit zugleich Beispiele, die die Möglichkeit einer solchen Lösung historisch verifizieren sollten, waren für Saint-Pierre die Vereinigten Provinzen, die Eidgenossenschaft und das Reich: Je cherchai ensuite si les Souverains ne pourroient pas trouver quelque sureté suffisante de l’éxécution des promesses mutuelles en établissant entre eux un Arbitrage perpétuel; je trouvai que si les dix-huit principales Souverainetez d’Europe pour se conserver dans la Gouvernement présent, pour éciter la Guerre entre elles, et pour se procurer tous les avantages d’un Commerce perpétuel de Nation à Nation, vouloient faire un Traité d’Union et un Congrez perpétuel à peu près sur le même modéle, ou des Sept Souverainetés de Hollande, ou des treize Souverainetés des Suisses, ou des Souverainetés d’Allemagne, et former l’Union Européenne sur ce qu’il y a de bon dans ces Unions, et sur tout dans l’Union Germanique composée de plus de deux cens Souverainetés, je trouvai, dis-je, que les plus foibles auroient sûreté suffisante, que la grande puissance des plus forts ne pourroit leur nuire, que chacun garderoit exactement les promesses réciproques, que le Commerce ne
Präsent sind in seiner Abhandlung das Adjektiv „futur“ und das Substantiv „l’avenir“. (Vgl. etwa Saint-Pierre, Projet, S. , S. , S. , S. ). Vgl. dazu auch Asbach, Olaf: Die Zähmung der Leviathane. Die Idee einer Rechtsordnung zwischen Staaten bei Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseau. Berlin (Politische Ideen ). S. – . „Mon dessin est de proposer des moyens de rendre la Paix perpétuelle entre tous les Etats Chrétiens.“ (Saint-Pierre, Projet, S. ). Olaf Asbach verweist überzeugend darauf, dass es SaintPierre – entgegen zeitgenössischer und auch später folgender Rezeption – nicht um die Realisierung eines transzendent begründeten Friedens auf Erden ging, sondern vielmehr um die „notwendigen Realisierungsbedingungen“ eines säkular verstandenen Friedens. (Vgl. Asbach, Zähmung, S. f.). Vgl. dazu Asbach, Zähmung, S. – und S. – , der die These aufstellt, dass „das Projet de paix perpétuelle auf der philosophiegeschichtlich erstmaligen konsequenten Übertragung des kontraktualistischen Gedankens der neuzeitlichen Naturrechtstheorie auf die Sphäre des Verhältnisses zwischen den als Individuen gedachten Staaten beruht.“ (Asbach, Zähmung, S. ).
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séroit jamais interrompu, et que tous les différens futurs se termineroient sans Guerre par la voye des Arbitres, sûreté que l’on ne peut jamais trouver sans cela.¹²⁶
Bei der Erarbeitung einer Art Musterfolie für die institutionelle Ordnung der anvisierten europäischen Union räumt Saint-Pierre in der Folge der Abhandlung dem Reich als Modell am meisten Platz ein.¹²⁷ Da es dem Franzosen aber nicht allein um die grundsätzliche Notwendigkeit eines stabilen Erhalts der einzelnen Gemeinwesen, sondern auch um die übergeordnete, regulative Zielidee des Wohlstands der darin lebenden Bürger ging, spielte der Handel als Quelle allen Wohlstands für ihn eine wichtige Rolle.¹²⁸ Den Vereinigten Provinzen schreibt Saint-Pierre diesbezüglich einen Vorbildcharakter zu, wenn es gelte, strukturelle und handelspolitische Bedingungen eines erfolgreichen, ungestörten Handels herauszufiltern. Dabei bilden die von ihm genannten Erfolgsfaktoren die Breite der topoiartig wiederkehrenden Aussagen ab: die vielen Häfen, die Infrastruktur der Kanäle, die Verfasstheit als Republik, das Fehlen eines Geburtsadels, die Unveräußerlichkeit der Ämter, das arbeitsfreundliche Klima, die fehlende Günstlingswirtschaft an einem Hofe, das geringe Luxusstreben, die Toleranz gegenüber Glaubensflüchtlingen als Standortvorteil, die Präsenz in Übersee, die sie die Preise bestimmen lasse, die enormen Fähigkeiten in der Schifffahrt, die hohe Produktion des Schiffbaus, die gute Stellung der Matrosen und ihre Gerechtigkeit gegenüber Verhandlungspartnern.¹²⁹ Zudem lobt Saint-Pierre die niederländische Justiz und die Wohltätigkeit als vorbildlich.¹³⁰
Saint-Pierre, Projet, S. f. Saint-Pierre fasst alle drei Gebilde als jeweils eine souveräne Macht, auch wenn sie selbst wiederum aus mehreren souveränen Republiken bestehen: „Je ne mets ici l’Empire que pour une Souveraineté; parce que ce n’est qu’un Corps: la Hollande n’est mise de même que pour une Souveraineté; parce que cette République, quoique composée de sept Républiques Souveraines, ne fait qu’un Corps: j’en dis autant de la Suisse.“ (Saint-Pierre, Projet, S. ). Souveränität erscheint für Saint-Pierre damit als teilbar (vgl. dazu Asbach, Zähmung, S. f.) oder potentiell koexistent. Vgl. dazu ausführlich und mit Verweis auf das Verhältnis zu anderen zeitgenössischen Darstellungen des Reichs: Asbach, Zähmung, S. – . Deshalb betont Saint-Pierre immer wieder in seiner Abhandlung, dass der Handel universell und möglichst nicht unterbrochen werden solle (Vgl. etwa Saint-Pierre, Projet, S. f.). Grundsätzlich dazu Asbach, Zähmung, S. f. Siehe Saint-Pierre, Projet, S. – . „Voyons-nous qu’en Hollande où les Habitans sont plus opulens qu’ailleurs, que dans cet Etat où il y a plus de richesses à proportion chés les Particuliers, qu’en aucune Païs du Monde, il y ait plus de vices et plus de crimes que parmi les autres Nations? Au contraire les Habitans, soit qu’ils doivent cela à l’abondance même ou à leurs bonnes Loix, exercent bien plus exactement la justice, la bonne foi, et la charité, qu’on ne fait dans les Païs où regne l’indigence.“ (Saint-Pierre, Projet, S. ).
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Der Franzose stellt in seiner Abhandlung dabei grundsätzlich Unterschiede zwischen Republiken und Monarchien heraus und begründet damit, warum die europäischen Republiken – zu denen er auch England zählt – noch stärker an der erdachten Union interessiert sein müssten als ihre monarchisch organisierten Nachbarstaaten. Republiken seien, so Saint-Pierre, nicht an Eroberungen interessiert. Solche würden enorme Kosten produzieren, die Republiken, viel stärker als Monarchien, unbedingt vermeiden müssten. Ein Krieg würde zudem jedes Mal den Ruin des ganzen Gemeinwesens riskieren. In den Entscheidungen der Republiken werde außerdem große Rücksicht auf die Interessen der einzelnen Bürger genommen. Der Profit einer Eroberung sei für den Einzelnen aber jedes Mal nur sehr gering und deshalb schwer einsehbar. Die Händler in den Republiken seien zudem vor allem an einer sicheren Kontinuität des Handels interessiert. Aufgrund der garantierten Meinungsfreiheit hätten Republiken viel stärker innere Teilungen und Kämpfe zu befürchten. Grundsätzlich, so schließt Saint-Pierre seine Überlegungen in diesem Abschnitt,werde das „wahre Staatsinteresse“ in den Republiken aufgrund der Beteiligung vieler an der Entscheidungsbildung besser verfolgt als in Monarchien.¹³¹ Demzufolge ist Saint-Pierre sehr zuversichtlich hinsichtlich der Einsicht dieser europäischen Republiken in die Vorteile seines Unionsprojektes.¹³² Dieses für ihn rational einsichtige und notwendige Interesse der europäischen Republiken an einem Zusammenschluss führt Saint-Pierre dann auch – in den ersten zwei Bänden des Projets und in dem 1717 als drittem Band publizierten Projet de Traité pour rendre la paix perpetuelle entre les souverains chrétien – für jede einzelne Republik im Detail aus. Indem er darstellt, wie diese Staaten von der Union Européenne profitieren würden, zeigt er gleichzeitig deren derzeitige Schwächen auf. Die Eidgenossen etwa hätten gerade erst wieder einen Bürgerkrieg beendet. Die bestehenden Gesetze dort seien defizitär und könnten bewaffnete Konflikte nicht ausreichend verhindern oder eindämmen. Ihre Freiheit, ihre Ruhe, ihre Sicherheit, ihr Handel und viele einzelne Bürger würden dadurch ruiniert.
Für den gesamten Absatz siehe Saint-Pierre, Projet, S. -–. Den Statthalter als monarchisches Element in der niederländischen Verfassung bezeichnet Saint-Pierre als „défaut essentiel“. Die Eidgenossen hingegen hätten einen solchen Fehler zu ihrem Glück immer vermieden: „[…] à l’égard des treize Souverainetez Suisses, ils ont l’avantage de n’avoir jamais tombé dans une faute aussi essentielle pour une République de Souverains.“ (Saint-Pierre, Projet, S. ). Das Beispiel des Reichs zeige allerdings, dass eine Union verschiedener Gemeinwesen auch mit einem starken Kaiser gut funktioniere (Saint-Pierre, Projet, S. ). Saint-Pierre, Projet, S. : „On peut donc juger avec quelques fondement que si ce Projet vient à la connoissance des Anglois, des Hollandois, de Vénitiens, des Génois, des Polonais, et das autres Etats Républicains d’Europe, il est comme impossible qu’ils ne fassent un jour entr’eux, et ensuite avec les Princes moins puissans, et peu à peu avec tous les Potentats de l’Europe, une confédération semblable.“
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Bleibe alles wie gehabt, sei aufgrund der konfessionellen Teilung auch für die Zukunft nichts Gutes zu erwarten.¹³³ Und so kommt Saint-Pierre abschließend zu der rhetorischen Frage: Or cet évenement n’est-il pas encore une preuve manifeste, que le plus grand intérêt des Suisses, comme des autres Républicains, c’est d’éviter la voye des armes pour terminer leurs différends, et qu’ils ne sçauroient jamais obtenir un si grand avantage que par la formation de la Société Européenne?¹³⁴
Venedig sei nicht ohne Grund die älteste Republik Europas, denn aufgrund ihrer weisen Politik habe es die Lagunenstadt, im Unterschied zur Eidgenossenschaft, immer verstanden, Staatskrankheiten wie Parteienbildung und Bürgerkriege zu vermeiden. Da aber nun die öffentlichen und die gewöhnlichen Einnahmen Venedigs zurückgegangen seien, sei die Stadt nicht mehr in Lage, die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur zu gewährleisten. Die Regierungsorgane lebten deshalb nun in ständiger Angst vor einer möglichen Revolte und diese treibe sie zu einer Vorsicht und einem Argwohn, der die Vorteile, die aus einem kulturellen und wirtschaftlichen Austausch erwachsen könnten, negiere. Die venezianische Republik „en l’Etat de danger“ behelfe sich mit einem Rat der Zehn, der keinerlei Rechtsform beachte, willkürlich urteile und die Bürger in permanente Angst und damit Sklaverei versetze. Der Zusammenschluss in der anvisierten Union würde Venedig, so ist sich Saint-Pierre sicher, große Vorteile hinsichtlich der Rechtssicherheit, Gerechtigkeit und der Sicherheit des Territoriums bringen.¹³⁵ In den Vereinigten Provinzen würde, so Saint-Pierre, die Statthalterfrage als potentieller Konfliktherd wegfallen. Zudem sei die Gefahr eines möglichen Bürgerkrieges gebannt, die durch die strukturelle Anlage als Zusammenschluss von sieben Provinzen – wie die Eidgenossenschaft zeige – immer mit zu bedenken sei.¹³⁶ Die Vereinigten Provinzen könnten zudem ihre inzwischen beträchtlichen Saint-Pierre, Projet, S. f. Saint-Pierre, Projet, S. . Ganz ähnlich formuliert Saint-Pierre dann : „Donc les Suisses pour conserver leur liberté, pour augmenter leurs richesses, pour avoir seureté suffisante contres les Guerres Civiles, n’ont rien de plus important à négocier que cette Ligue totale d’où naitra la protection mutuelle et la Paix perpetuelle.“ (Saint-Pierre, Abbé de: Projet de Traité pour rendre la paix perpétuelle entre les Souverains Chrétiens, pour maintenir toujours le Commerce libre entre les Nations; […] proposé autrefois par Henry le Grand, Roy de France […] Eclairi par M. L’abbé de S. Pierre de l’Academie Françoise. Utrecht (chez Antoine Schouten) . In: SaintPierre, Projet, S. – , S. .). Für den gesamten Absatz siehe Saint-Pierre, Traité, S. – . Vgl. Saint-Pierre, Traité, S. . Hier widerspricht sich Saint-Pierre scheinbar, da er gerade diese föderative Struktur als vorbildhaft hervorgehoben hatte. Doch betont er gleichzeitig, dass diese historischen Beispiele in ihrer Konzeption noch nicht ausgereift seien.
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Staatsschulden durch eine lange Friedensphase minimieren. Darüber hinaus würde der Außenhandel als Grundsäule der niederländischen Wirtschaft nicht mehr unterbrochen werden.¹³⁷ Mögliche Bedenken der Niederländer, dass ihre Vorrangstellung im Handel kassiert werden würde, durch eine Union, die das Handelswachstum aller Mitgliedsstaaten befördere, seien zu zerstreuen. Denn die Handelsanteile würden proportional wachsen, die Vereinigten Provinzen also ihre Vorrangstellung behalten.¹³⁸ Und so kommt Saint-Pierre auch hier zu dem Schluss: „[…] qu’ainsi cette Republique n’a rien à negocier avec ses voisins qui soit à tout prendre si important et si pressé que le Traité fondamental de l’Arbitrage Européen.“¹³⁹ Saint-Pierres Projektentwurf wurde in Frankreich und Europa sehr schnell breit rezipiert. Die Publikationsgenese verweist dabei auch auf den Wandel im französischen Politikbetrieb nach dem Tod Ludwigs XIV. im Jahr 1715. Bereits 1707/ 1708 hatte Saint-Pierre eine erste Version seiner Abhandlung entworfen. Er überarbeitete sie mehrmals und entschloss sich 1712 zu einer ersten gedruckten Fassung, die allerdings anonym und unter Angabe eines fiktiven Erscheinungsortes und eines fiktiven Druckers in geringer Stückzahl produziert wurde. Auch die endgültige Fassung, die 1713 in Utrecht erschien, blieb anonym. Erst 1716 taucht Saint-Pierre als Autor auf. Olaf Asbach deutet dies als Hinweis auf eine stärkere Bereitschaft am französischen Hof, „[…] zumindest vorübergehend auch politische Debatten und alternative Positionen zuzulassen“.¹⁴⁰ Auch wenn der französische Regent Saint-Pierres Pläne nicht teilte, so entsprach doch die neue französische Außenpolitik nach 1715 einem verstärkten Wunsch nach einem – zumindest zeitweise – andauernden Frieden als Voraussetzung für eine bessere wirtschaftliche und finanzpolitische Situation. Im Januar 1717 schlossen Frankreich, England und Holland die Tripleallianz. 1718 kam auch der Habsburger Kaiser dazu. Bis zum Ausbruch des Polnischen Erbfolgekrieges (1733) und schließlich des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740) entfaltete sich in Europa in der Folge eine relative Friedensphase, die zumindest mehr Stabilität suggerierte.¹⁴¹
Siehe Saint-Pierre, Traité, S. – . Siehe Saint-Pierre, Projet, S. f. Saint-Pierre, Traité, S. . Asbach, Olaf: Staat und Politik zwischen Absolutismus und Aufklärung. Der Abbé de SaintPierre und die Herausbildung der französischen Aufklärung bis zur Mitte des . Jahrhunderts. Hildesheim/Zürich/New York (Europaea Memoria. Studien und Texte zur Geschichte der europäischen Ideen, Reihe , ). S. . Vgl. für den gesamten Absatz: Asbach, Staat, S. – .
2.4 Zusammenfassung
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2.4 Zusammenfassung Eine solche Stabilität, so hat die Analyse in diesem Kapitel gezeigt, fungierte als eine normative Zielvorstellungen der Aussagen über Venedig, die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft zwischen 1676 und 1750. Stabilität meinte dabei vor allem den konstanten Erhalt eines Gemeinwesens, immer auch gedacht als relationale Machtposition innerhalb der europäischen balance of power, die für die meisten der hier betrachteten Autoren der gegebene und erhoffte Zustand war. Dabei wurden vor allem drei Faktoren genannt, die die Ruhe und Ordnung und damit die Stabilität der Republiken gefährden könnten oder bereits gefährdet hätten: 1) innere Unruhen, 2) Vetternwirtschaft und Korruption, 3) Krieg und Expansion. Expansive Bestrebungen und jeder Kriegszustand wurden von nahezu allen betrachteten Autoren als Ruin bringende Faktoren bewertet, unabhängig davon, von welcher Republik und vor welchem (nationalen, regionalen oder konfessionellen) Hintergrund sie sprachen. Nur sehr wenige Autoren werteten ausschließlich mit Blick auf die Vereinigten Provinzen im letzten Drittel des Untersuchungszeitraumes einen Zustand des außenpolitischen Friedens als nachteilig für die niederländische Republik. Innere Unruhen würden vor allem durch Ungleichheiten, Parteienbildung und konfessionelle Konfrontation bedingt und seien in jedem Fall zu vermeiden. Vetternwirtschaft und Korruption würden die Stabilität eines Gemeinwesens gewissermaßen von innen heraus aushebeln. Während in einigen Texten mit dem Begriff der Korruption bereits der konkrete Amtsmissbrauch kritisiert wurde, zielten andere noch stärker auf die korrumpierte Bürgertugend. Vor allem Luxusgenuss und Luxusstreben korrumpiere den Einzelnen und gefährde so das ganze Gemeinwesen. Der Vorbildcharakter der Niederländer, die dem Luxus bisher weitestgehend abgeneigt seien, wurde dabei von vielen Autoren genauso hervorgehoben wie die strengen Sittengesetze der Eidgenossen. Eine extreme, den Luxus befürwortende Position wie bei Mandeville lässt sich in den untersuchten Texten nicht finden. Wohl aber übernahmen einige Autoren dessen wirtschaftlichen Argumentationsrahmen, allerdings weiterhin, um Luxus und Luxusstreben als stabilitätsgefährdend zu kritisieren. Die Verfasstheit als Freistaat wurde nicht als stabilitätsfördernder oder stabilitätsgefährdender Faktor thematisiert.¹⁴² Wohl aber unterschieden manche
Anders bei Algernon Sidney in seinen zwischen und verfassten, aber erst postum veröffentlichten Discourses concerning government. Sidney kannte alle drei Republiken durch Reisen und Exilaufenthalte in den er Jahren. Er verglich grundsätzlich Monarchien und Republiken und sah Stabilität vor allem in den Freistaaten gegeben: „Let the States of the Switzers, Grisons or Hollanders, be compared with that of France, when it was sometimes divided between
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2 Stabilität
Autoren in ihrer Wertung das stabilitätsgefährdende Potential aristokratischer und demokratischer Strukturen (etwa Stanyan und Bianchi). Die außenpolitischen, stabilitätsgenerierenden Strategien, die den betrachteten Republiken innerhalb des europäischen Mächtekonzerts von den hier betrachteten Autoren nahegelegt wurden, zielten spezifisch auf diese Gemeinwesen in ihrer strukturellen Anlage als relativ kleiner Freistaat: a) Neutralität, b) Anbindung an eine „Schutzmacht“, c) gleichberechtigter Vertragspartner in einer Union Européenne. Saint-Pierres stabilitätsgenerierendes Lösungsmodell der Zukunft war eine föderale, europäische Union. Mit dieser positiven Einschätzung föderaler Strukturen stellt er eine Ausnahme innerhalb des Untersuchungszeitraumes dar. Föderale Strukturen, so der Tenor des betrachteten Textkorpus, seien vielmehr als negativ, da ineffektiv und langsam, zu bewerten. Diese Einschätzung soll im nächsten Kapitel dargelegt und kontextualisiert werden.
two, three, or four Brothers of Meroveus or Pepin′s Races; with the Heptarchy of England; […] and if it be not evident, that the popular States have bin remarkable for Peace among themselves, constancy to their Union and Fidelity to the Leagues made with their Associates; whereas all the above mentioned Kingdoms, and such others as are known among men to have bin joined in the like Leagues, were aver insisted with domestick Rebellions and Quarrels arising from the Ambition of Princes, so as no Confederacy could be so cautiously made, but they would find ways to elude it, or so solemn and sacred, but they would in far less time break through it.“ (Sidney, Algernon: Discourses concerning Government. Published from the Original Manuscript of the Author. London . S. ). Sidney hob dabei vor allem die Eidgenossenschaft als Hort der Stabilität hervor (vgl. Sidney, Discourses concerning Government, S. f.). Diese Aussage muss als Ausnahme, aber am Rand des Diskurses möglich gewertet werden.
3 Schnelligkeit und Effektivität Während der Abbé Saint-Pierre in seiner Abhandlung die Vereinigten Provinzen, die Eidgenossenschaft und das Reich als föderative Gebilde in eine Reihe stellt und sie als historisch verifizierende Beispiele für die Realisierbarkeit einer Union souveräner Mitgliedsstaaten präsentiert, fassten die meisten Autoren der europäischen république de lettres in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert das Reich im Anschluss an Samuel von Pufendorf weniger als „Union Germanique“ als vielmehr als „systema irregulare“, welches nicht mit anderen politischen Gebilden zu vergleichen sei.¹ Die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft hingegen wurden durchgängig als „complexus foederatorum rerumpublicarum“² oder – in den dieser Arbeit zugrunde liegenden Quellentexten häufiger – als „systema confoederatorum“, also als Konföderation, bezeichnet.³ Ein Großteil der hier
Vgl. dazu Kohler, Alfred: Das Heilige Römische Reich – ein Föderativsystem?. In: Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatenverbindungen in der frühen Neuzeit vom . zum . Jahrhundert. Hrsg. von Thomas Fröschl. Wien . S. – . S. ; Malettke, Klaus: Das Heilige Römische Reich und seine Verfassung in der Sicht französischer Juristen und Historiker des . Jahrhunderts. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte (BDLG) (). S. – . Pufendorf bezeichnet das Reich als „irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper“, der weder eine Monarchie noch eine „Föderation mehrerer Staaten“ sei. (Pufendorf, Samuel von: De statu imperii Germanici ()/Die Verfassung des Deutschen Reiches. Hrsg. und übersetzt von Horst Denzer. Frankfurt/Leipzig (Bibliothek des Deutschen Staatsdenkens ). S. : „Nihil ergo aliud restat, quam ut dicamus, Germaniam esse irregulare aliquod corpus et monstro simile, siquidem ad regulas scientiae civilis exigatur, quod lapsu temporum per socordem facilitatem Caesarum, ambitionem Principum, turbulentiam Sacerdotum ex regno regulari in tam male concinnatam formam est provolutum, ut neque regnum etiam limitatum amplius sit, licet exteriora simulacra tale quid prae se ferant, neque exacte corpus aliquod aut systema plurium civitatum foedere nexarum, sed potius aliquid inter haec duo fluctuans.“). Montesquieu fasst alle drei Gemeinwesen dann wieder wirkmächtig unter dem Oberbegriff „républiques fédératives“ zusammen. Vgl. dazu Kapitel IV.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. etwa Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. (NL) und Bd. , S. f. (CH); Köhler, Collegii, S. . Vgl. etwa Anonymus, A Description of Holland, , S. („Upon the whole, this State is not so properly a Commonwealth, as a Confederacy of seven Provinces for their mutual Defence.“); Schmeizel, Einleitung zur Staatswissenschaft, S. (beide) und S. (NL); Burrish, Batavia Illustrata, S. (NL); Breval, Remarks on Several Parts of Europe, , S. f. (NL); Janiçon, État présent, Bd. , S. (NL); Chancel, A.D.: A New Journey over Europe: From France thro’Savoy, Switzerland, […] with several Observations on the Laws, Religion, and Government, &c. of each, London (printed for John Harding) , S. f. (CH); Clarke, Samuel: A New Description of the World […] faithfully collected from the best Authors by S. Clark. London (printed for Hen. Rhodes) . S. (CH); Keilhacker, Des Curieusen Hoffmeisters Geographisch-Historisch- und Politischer Wissenschafften, , S. f. (CH).
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3 Schnelligkeit und Effektivität
betrachteten Autoren beschreibt diese Verfassungsstrukturen, ohne diese zu bewerten. Erfolgt aber eine Wertung und Einschätzung dieses föderalen Aufbaus, so fällt diese fast immer negativ aus. Vor allem ein Aspekt wird dabei als fatale Konsequenz dieser spezifischen Struktur der Verbindung souveräner Provinzen respektive Kantone immer wieder genannt: die Langsamkeit der politischen Entscheidungsprozesse.
3.1 Föderaler Staatsaufbau und das Prinzip der Einstimmigkeit Die zentralen Gremien der Generalstände und der Tagsatzung seien ohne tatsächliche Souveränität, da eine jegliche Entscheidung die Rückbindung an die politischen Entscheidungsträger in den einzelnen Provinzen beziehungsweise sogar Stadträten erfordere und noch dazu bei wichtigen Entscheidungen zumeist an das Prinzip der Einstimmigkeit gekoppelt sei. Der Hugenotte und Gesandte des Landgrafen von Hessen-Kassel, François Michel Janiçon, beschreibt diese Notwendigkeiten und verweist auf die daraus resultierende Langsamkeit der Entscheidungsprozesse, die dem Interesse des niederländischen Staates zuwiderlaufe: Les Etats Géneraux representent les sept Provinces-Unies, mais ils n’en font point les Souverains, comme la plupart des Etrangers se l’imaginent; […] ils ne sont que le Députez, ou Plénipotentiaires de chaque province; chargez des ordres des Etats leurs Principaux; ils ne peuvent prendre de résolution sur aucune affaire importante, sans avoir eu leur avis & leur consentement. […] On a déjà remarqué que les Etats Géneraux ne peuvent rien conclure dans une affaire importante, sans le consentement unanime des sept Provinces; ce qui géneralement cause un grand retardement à la conclusion de ces sortes d’affaires, & quelquefois un préjudice considerable aux intérêts de l’Etat.⁴
Thomas Fröschl verweist darauf, dass die heute übliche Unterscheidung zwischen staatsrechtlich eher weit definierter Verbindung (Konföderation) und eher eng definierter Verbindung (Föderation) so für frühneuzeitliche Texte noch nicht auszumachen ist. Hier habe eher eine „plurale Begriffsverwendung“ vorgeherrscht. Vgl. Fröschl, Confoederation, S. 23 und S. 33. Janiçon, État présent, Bd. , S. . Er führt weiter erklärend aus: „Cela provient de ce que chaque Province ne peut envoyer sa résolution, sans que les Etats de cette Province se soient assemblez, & n’ayent eu un pareil consentement unanime de tous les Membres dont ils sont composez, soit les Nobles, soit les Villes; & il faut qu’une partie de la Noblesse, ou une seule Ville, quelque peu considerable qu’elle soit, pourvu qu’elle ait voix dans les Etats de la Province, pour arrêter la conclusion d’une affaire, ou du moins pour la faire trainer long-tems. Or on compter dans toutes les Provinces ensemble jusqu’à cinquante-six Villes, outre les Corps des Nobles, dont le consentement est absoluement nécessaire à une résolution de l’Etat dans quelque affaire importante.“ (S. f.).
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Der Brite Onslow Burrish konstatiert 1728, ein Jahr vor Janiçons Abhandlung, ganz ähnlich in seinem Traktat hinsichtlich der Vereinigten Provinzen: Those who are unaquainted with the Government of the united Provinces, generally imagine that the States general (sic) are the Sovereigns of the Country; […] But these Deputies are only appointed for a few Years, and tho’ They have the Power of debating on the most important Affairs that regard the Union, and every thing that may tend to secure or promote the Preservation and Happiness of the State; yet they have not Power to conclude any Point of great Consequence without communicating it to their respective Provinces, and receiving their express Consent. This is undoubtedly the weak Side of the Government, which would have been stronger, if the Seven Provinces made but one Sovereignty. Resolutions would be sooner taken, and the Execution of them more vigorous.⁵
Neben der Langsamkeit der Beschlussfassung spricht Burrish hier einen weiteren Punkt an: die Stärke in der Ausführung der so getroffenen Entscheidungen. Als Bewertungsmaßstab von Verfassungsstrukturen fungiert hier also offensichtlich auch die Wirksamkeit, die Effektivität politischer Prozesse. Gut zehn Jahre früher machte der in die Niederlande geflohene Hugenotte Jacques Basnage de Beauval (1653 – 1723) deutlich, dass er diese Kritikpunkte der langsamen und ineffektiven Entscheidungen, die sich an der föderalen Struktur der Vereinigten Provinzen entzünden, kenne. Gleichzeitig warnt er aber auch vor der Veränderung etablierter Strukturen: Il semble que le Gouvernement seroit beaucoup plus ferme & plus commode, si les sept Provinces-Unies ne faisoient qu’une seule & même Souveraineté. Les Délibérations seroient plus promptes, si elles émanoient d’un même Corps toûjours assemblé; l’éxécution plus vigoureuse, si elle dépendoit d’une même tête. Mais il auroit été dangereux de changer les Anciens Privilégés, en dépouillant chaque Province de ceux quelle possédoit, pour en revêtir un autre Corps. Lors qu’on renverse les Anciens usages, il faut pézer éxactement les avantages qui peuvent naître de ce changement, & les dangers auxquels on s’expose en le faisant.⁶
Basnages Aussagen verweisen in ihrer Wortwahl auf die bereits 1719 etablierte Kritik an der föderativen Struktur der Vereinigten Provinzen vor dem Hintergrund von Schnelligkeit und Effektivität politischer Entscheidungsprozesse als normative Zielvorstellungen eines politischen Reformdiskurses. Diese Kritik fand sich
Burrish, Batavia Illustrata, S. . Basnage, Annales,S. . Das größte Gefahrenpotential sieht Basnage in den Uneinigkeiten zwischen und innerhalb der Provinzen, die nicht von einem mächtigen Souverän unterbunden werden können. Die Niederländer würden versuchen, diesem möglichen Unruheherd der Fraktionenbildung durch das Prinzip der Proportionalität bei Abgaben etc. entgegenzuwirken. (Basage de Beauval, Annales des Provinces-Unies, S. .).
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3 Schnelligkeit und Effektivität
mit Blick auf die Eidgenossenschaft aber vor allem auch mit Blick auf die Vereinigten Provinzen, das hat die vorliegende Arbeit gezeigt, bereits bei Machiavelli, Harrington, Parival, de Sorbiere und Milton.⁷ Inwieweit Schnelligkeit und Effektivität als normative Zielvorstellungen auch in anderen Quellengattungen fassbar sind, muss die Forschung noch aufarbeiten. Bisher finden sich lediglich Andeutungen in allgemeinen Abhandlungen vor allem zu Staatsbildungsprozessen im 18. Jahrhundert, die aber keineswegs an konkreten Quellenbefunden festgemacht werden.⁸ Neuere Publikationen der Verwaltungsgeschichte und zum Reformabsolutismus verweisen auf die übergeordnete Norm der Effizienz, die aber stärker die Mittel und Wege zur Erreichung des Ergebnisses mit einbezieht und nicht allein den Grad der Wirksamkeit umfasst. Sie weisen dies zudem vor allem für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts nach.⁹ Die Aussagen über die mangelnde Effektivität und Schnelligkeit der Eidgenossenschaft und der Vereinigten Provinzen der Niederlande öffnen daher den Blick für offensichtlich existente Normen zwischen 1650 und 1750 und ein Desiderat der Forschung, das es anzugehen gilt. Zu vermuten wäre eine ähnliche Kritik der an der Langsamkeit und Ineffektivität föderaler Strukturen in der Literatur, die sich im selben Zeitraum mit dem Reich auseinandersetzt. Ein erster Blick in die Quellen und Forschungsliteratur
Siehe etwa Milton, The readie&easie way, S. : („[…] by having, not as they ( to the retarding and distracting oft times of thir [sic] counsels on urgentest occasions) many Sovranties united in one Commonwealth, but many Commonwealths under one united and entrusted Sovrantie.“); Angeklungen ist dieses Phänomen bereits bei Fynes Moryson. Allerdings sieht Moryson das Problem durch die ständige und mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Vertretung der Generalstände in Den Haag als gelöst an und vermutet, sollte so eine Verzögerung in wichtigen Prozessen eintreten, vielmehr eine bewusste Taktik der Generalstände dahinter. Vgl. etwa Stollberg-Rilinger, Barbara: Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart . S. f.; Reinhard, Wolfgang: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München . S. – ; Whatmore, Richard: Enlightenment Political Philosophy. In: The Oxford History of Political Philosophy. Hrsg. von George Klosko. Oxford . S. – . Vgl. etwa Demel, Walter: Art. Reformabsolutismus. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. . Hrsg. von Friedrich Jaeger. Darmstadt . Sp. – ; Demel, Walter: „Revolutionen von oben“? Verfassungs- und Verwaltungsreformen in der Zeit des Aufgeklärten Absolutismus. In: Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung. Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Michael Hochedlinger u. Thomas Winkelbauer. Wien/ München (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung ). S. – ; Vgl. auch die Dissertationsschrift meines Heidelberger Kollegen Sebastian Meurer (A System of Oeconomy. Approaches to Public Administration in Britain and British India at the Beginning of the Age of Reform [in Vorbereitung zum Druck]).
3.1 Föderaler Staatsaufbau und das Prinzip der Einstimmigkeit
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zeigt aber, dass hier wohl im Anschluss an Pufendorfs einflussreiche Abhandlung De statu imperii Germanici (1667) vor allem die Frage nach der Souveränität im Vordergrund stand und weniger die Stärke der konkreten politischen Entscheidungsprozesse diskutiert wurde.¹⁰ Pufendorf selbst nennt als „Hauptursache“ für die Schwäche des Reiches den „unharmonische[n] und ungeordnete[n] Zusammenhang des Staates.“¹¹ Er kommt im Folgenden zu dem Schluss: „Da aber die gegenwärtige Verfassung am ehesten der Form einer Föderation von Staaten entspricht, sind am besten zur Erhaltung des Reiches solche Mittel anzuwenden, die von den Lehrern der Politik für solche Staatenbünde, die an erster Stelle mehr auf Erhaltung ihres Besitzes als auch Eroberung bedacht sein müssen, vorgeschrieben werden.“¹² Unter anderem sei dies die Einführung eines Staatsrates und einer Geschäftsordnung für die Versammlung der Bundesgenossen „die zur Vermeidung großer Kosten und zur Beschleunigung des Verfahrens“ beitragen.¹³ Bedenken über die mögliche und zu kritisierende Langsamkeit der Beschlussfindung klingen hier zumindest an.¹⁴ Der in Halle lehrende Nicolaus Hieronymus Gundling führt die seiner Ansicht nach mangelnde Effektivität gesamteidgenössischer Entscheidungen und Vorhaben ins Feld, als er den Vorschlag Gilbert Burnets (1643 – 1715) als utopisch Vgl. etwa Asbach, Olaf/Externbrink, Sven/Malettke, Klaus: Das Alte Reich in Europa – historische, politische und philosophische Perspektiven. In: Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutschlandbildes im . und . Jahrhundert. Hrsg. von Olaf Asbach, Klaus Malettke u. Sven Externbrink. Berlin (Historische Forschungen ). S. – ; Jörg Ulbert verweist in seinem Beitrag im selben Sammelband allerdings darauf, dass in der diplomatischen Korrespondenz „es auch schon in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts nicht an Hinweisen auf die mangelnde Effizienz des Reichstages fehlte“. Ulbert, Jörg: Der Reichstag im Spiegel französischer Gesandtenberichte ( – ). In: Asbach/Malettke/Externbrink, Altes Reich, Frankreich und Europa, S. – , S. . Pufendorf, De statu imperii Germanici, S. : „Causa primeraria mali est ec inconcinna maleque digesta reipublicae compage.“ Pufendorf, De statu imperii Germanici, S. . Pufendorf, De statu imperii Germanici, S. : „Abs eodem denique arduis negotiis emergentibus conventus sociorum extra ordinem indicendi; quod ut citra magnos sumtus fieri breviorique via res expediri queant, certa ratio fuerit praescribenda.“ Johannes Burkhardt verweist in seinen Untersuchung zum sich verstetigenden Reichstag im hier interessanten Untersuchungszeitraum hingegen darauf, dass „zunehmend auch die schnelle Reaktionsfähigkeit eines ständig tagenden Gremiums als Vorteil gesehen wurde“. (Burkhardt, Johannes: Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches – . . Aufl. Stuttgart (Handbuch der deutschen Geschichte ). S. ). Burkhardts Quellenbeispiele stammen aus den er Jahren und sind erneut ein Beleg dafür, dass Schnelligkeit als Norm in diesem Zeitraum eine Rolle in der europäischen Diskussion um die bestmögliche Einrichtung eines Staates spielte.
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entlarven möchte, den Mangel an Rohstoffen in der Eidgenossenschaft durch eine zentrale Förderung des Steinkohleabbaus ausgleichen zu können. Dies sei nicht nur aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel und der mangelhaften Infrastruktur unmöglich, sondern vor allem auch aufgrund der Verfasstheit als „Systema Foederatorum“.¹⁵ Zudem kritisiert Gundling die mangelnde Kriegstauglichkeit, die sich aus dieser Verfasstheit ergäbe: „Die Regierungsform ist auch in der Schweitz so beschaffen, daß sie nicht capables sind grosse Kriege zu führen: Denn, ob sie wohl ein Systema foederatorum, wie die Holländer sind, und also communem inimicum haben, so sind sie doch weniger einig wie die Holländer.“¹⁶ Ein weiterer Kritikpunkt, der sich in den betrachteten Aussagen an die aus dem föderalen Aufbau resultierende Langsamkeit der Entscheidungsprozesse knüpft, ist die Schwierigkeit für die anderen europäischen Mächte, mit den Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft Verhandlungen zu führen. So hält etwa François Michel Janiçon mit konkretem Hinweis auf die sogenannte Allianz von Herrenhausen von 1725¹⁷ fest: Dans ces sortes d’occasions, les Ministres des Puissances étrangères qui ont interêt à s’opposer à une résolution de la République, se donnent tous les mouvemens possibles, pour y apporter de l’obstacle de la part de quelque Province, ou de quelque Ville. C’est-là ce qui a fait retarder si long-tems l’accesion de la République au Traité de Hanover, qui ne fut résolue qu’en 1726, & après presque une année entiere de déliberation.¹⁸
Der Venezianer Vendramino Bianchi betont 1708 gar die Vorteile, die für die starken europäischen Monarchien aus diesem Umstand in Verhandlungen erwachsen könnten. Frankreich habe 1674 die bestehende Möglichkeit, mit einzel-
Siehe Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. . Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. f. Im September schlossen sich Frankreich, Großbritannien und Preußen-Brandenburg im hannoverschen Herrenhausen zu einer Allianz gegen den im selben Jahr abgeschlossenen Vertrag von Wien zwischen Spanien und dem Habsburgerreich zusammen. Die Vereinigten Provinzen und Dänemark traten dieser Allianz bei. Janiçon, État présent, Bd. , S. . Ganz ähnlich Burrish, Batavia Illustrata, S. . Andreas Würgler nennt zudem in seiner Analyse der eidgenössischen Tagsatzung zwei einzelne, zeitgenössisch nicht gedruckte Quellen, die schon im . Jahrhundert auf die Langsamkeit der Eidgenossen verweisen (Warnung des französischen Außenministers an seine Botschafter ; Korrespondenz Hugo Grotius: Helvetii per se tardi.). Siehe Würgler, Andreas: „Reden“ und „Mehren“. Politische Funktionen und symbolische Bedeutungen der eidgenössischen Tagsatzung (.–. Jahrhundert). In: Zelebrieren und Verhandeln. Zur Praxis ständischer Institutionen im frühneuzeitlichen Europa. Hrsg. von Tim Neu, Michael Sikora u. Thomas Weller. Münster (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme ). S. – . Hier S. .
3.1 Föderaler Staatsaufbau und das Prinzip der Einstimmigkeit
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nen eidgenössischen Kantonen allein verhandeln zu können, genutzt, um die eigenen Interessen in der „Franche Comté“ möglichst schnell umzusetzen.¹⁹ Angesichts dieser Defizite, die die föderale Struktur nach Ansicht vieler Autoren für die beiden so aufgebauten Republiken mit sich brachte, sprach der in den Vereinigten Provinzen lebende Hugenotte Jean Rousset de Missy 1733 sogar von einem Paradoxon der Politik, dass das „Chaos“ der Eidgenossenschaft schon seit 400 Jahren Bestand habe: C’est un paradoxe en Politique, que la Constitution de la Republique Helvétique & le longtems qu’il y a qu’elle subsiste. Treize Republiques independantes qui ne font qu’un Corps, dont les Membres ne dependent pas les uns des autres, & qui n’ont point de Chef; Corps qui a des Sujèts & des Alliez, Membres qui ont des Sujèts & des Alliez, qui ne le font pas du Corps. Voila la cahos (sic!) de la Republique Helvetique: cependant il y a 400. ans qu’elle subsiste […].²⁰
Allein der an mehreren europäischen Höfen als französischer Gesandter tätige Jean Baptiste d‘Audiffret (1657– 1733) deutete die föderale Verfassungsstruktur, die sogar die einzelnen Städte mit Souveränität ausstattet, 1694 explizit positiv als Stärke der niederländischen Republik: „C’est cette distribution de la souverainité entre les Provinces, & les Villes que consiste la force de cette Republique.“²¹ Die 1743 publizierte anonyme Abhandlung A Description of Holland fasst schließlich Vor- und Nachteile des an Einstimmigkeit gekoppelten, föderativen Staatsaufbaus der Vereinigten Provinzen zusammen (Langsamkeit und Langwierigkeit des Entscheidungsprozesses, mögliche Blockade durch einzelne Mitglieder vs. Möglichkeit zum gründlichen Abwägen der Entscheidungen und Verzögerung von Entscheidungen, um Entwicklung der politischen Situation besser einschätzen zu können): It is this Form of Government that renders the Resolutions of the Republick so tedious and dilatory, as to tire the Patience of the Powers, who have Affairs to negotiate with the States, and whose happier Constitution, in this Point, admits of Speedier Resolutions. This slow Method of proceeding, tho’attended with Disadvantages, has also its Advantages. It affords Leisure for mature Deliberation and Caution, and is sometimes an unexceptionable Pretext for protacting Time, and waiting Events. […]. Hence it is evident, that the real Sovereignty of the Commonwealth vests where one would least expect to find it; that is, neither in the States General, nor States Provincial, but in the Towns or People, en dernier Resort. Without the Consent of every one, even to the smallest of these Towns, nothing can take effect either in the States General, or Provincial. This is an enourmous Defect in this Constitution. It
Siehe Bianchi, An Account of Switzerland, , S. . Jean Rousset, Les Intérêts, , S. . D’Audiffret, Histoire et Geographie ancienne et moderne, S. .
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were certainly sufficient, if two thirds concurr’d to a Resolution; in effect of which the Commonwealth could not but be more secure against Contigencies. For at present the Corruption of any small Town may put the publick Affairs into great, and even fatal disorder.²²
Zum Glück, so der Anonymus weiter, sei dieser Defekt der möglichen Blockierung einer für die gesamte Republik wichtigen Entscheidung durch eine einzige kleine Stadt bis jetzt noch nicht aufgetreten.²³ Insgesamt werden in den hier betrachteten Aussagen die gleichen Argumente mit Blick auf die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft angeführt. Dennoch lehnen einige der vorgestellten Autoren eine direkte Vergleichbarkeit beider Republiken ab, zumeist mit dem Hinweis darauf, dass die Kantone der Eidgenossenschaft noch viel stärker eigenständig handeln würden als die niederländischen Provinzen, die Eidgenossen folglich noch viel weniger einen „body politick“ bilden würden als die Niederländer.²⁴
3.2 Diskussion in den Republiken? Obwohl die Vor- und vor allem die Nachteile des föderativen Staatsaufbaus mit Blick auf die beiden betreffenden Republiken von außen offensichtlich und vornehmlich unter der normativen Vorgabe von Effektivität und Schnelligkeit poli Anonymus, A Description of Holland, S. – . Der anonyme Autor präsentiert in einer Fußnote mehrere Erklärungsansätze, wie diese defizitäre Struktur enstanden sein könne: „*Some have thought, that William I. Prince of Orange, who founded the Commonwealth, took in so many little towns, in order to balance the greater, of whom he could not be sure. Others say with more reality, that he was forced to it. To induce them to concur more heartily in the War, as they were to have such a share in the Government for the furture. But let us here the States themselves upon this Head: ‘For the end (say they) that every one might share in the Government, we have granted to many small Towns, which formerly were not called to the general Assemblies, the Privilege of sending Deputies, and taking part in the Administration of all Affairs, that theys may in effect more willingly support the payment of the Taxes, which themselves shall think fit to impose.’ See the Proclamation of the States of Holland, and West Friesland concerning the ancient Right of the Commonwealth of Holland made at Haerlem October , .“ (Anonymus, A Description of Holland, , S. ). Dass Langsamkeit dem Staat auch zum Vorteil gereichen könne, konstatiert auch Jordan, Voiages Historiques de l’Europe, Bd. 5, 1695, S. 88. Siehe Anonymus, A Description of Holland, , S. : „Yet to the great praise of this People, wie cannot but observe, that the strictest Enquirer would find it extremely difficult, if not impossible, to produce a single instance of such vile Corruption in any of these Towns.“ Vgl. etwa Breval, Remarks on Several Parts of Europe, S. ; Stanyan, Account of Switzerland, S. und S. f. Anders hingegen etwa Burrish, Batavia Illustrata, S. , der den gleichen föderativen Aufbau beider Republiken betont.
3.2 Diskussion in den Republiken?
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tischer Entscheidungsprozesse in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts diskutiert wurden, fand eine entsprechende Debatte in den Vereinigten Provinzen oder der Eidgenossenschaft selbst kaum und wenn überhaupt, dann nicht breit und wenig öffentlichkeitswirksam statt. Forderungen nach einer Stärkung der zentralen Gewalten (Generalstände und Staatsrat) gegenüber den einzelnen Provinzen finden sich in den Vereinigten Provinzen im Zuge der 1716 einberufenen Zweiten Großen Versammlung, einer Serie außergewöhnlicher Sitzungen der Generalstände, die angesichts drängender Probleme in der Folge des Spanischen Erbfolgekrieges einberufen wurde und Reformkonzepte für die Republik erarbeiten sollte.²⁵ Einer der aktivsten Teilnehmer dieser Versammlung war der Sekretär des Staatsrates, Simon van Slingelandt (1664– 1736).²⁶ Van Slingelandt, der auch enger Vertrauter des Ratspensionärs Anthonie Heinsius (1641– 1720) war, erarbeitete zahlreiche Vorschläge und Memoranden, in denen er den Partikularismus der Provinzen als eines der grundlegenden Probleme ausmachte. Van Slingelandt kritisierte die seit 1713 eingeschlagene Politik der extremen finanziellen und militärischen Kürzungen und plädierte stattdessen für eine moderate Reform dieser Bereiche und für einen Abbau der Staatsschulden. Vor allem forderte er eine Stärkung der Zentralgewalt, unter anderem durch die (Wieder‐)Einführung des Mehrheitsprinzips bei wichtigen politischen Entscheidungen, wie es in den frühen Jahren der Republik üblich gewesen sei. Nur auf diesem Wege könne die niederländische Republik ihren Status als eine der führenden Staaten Europas zurückerlangen.²⁷
In Anlehnung an die Grote Vergadering von , in der zum ersten Mal zu einer grundsätzlichen Überprüfung der eigenen Union angesetzt und Reformvorschläge erarbeitet wurden, wurde die außergewöhnliche Zusammenkunft der Generalstände ebenfalls als Große Versammlung bezeichnet. Hinsichtlich Zusammensetzung, Aufgaben und Ziele dieser Einrichtung vgl. Israel, The Dutch Republic, S. – ; Jongste, Jan A.F. de: Ein Bündnis von sieben souveränen Provinzen: die Republik der Vereinigten Niederlande. In: Fröschl, Föderationsmodelle und Unionsstrukturen, S. – , S. . Für biographische Informationen vgl. den Eintrag in der Digitale Bibliografie Nederlandse Geschiedenis der KB in Den Haag: http://www.dbng.nl/nl/details?searchkey=all&searchterm=Slingelandt&searchtype =and&searchkey=all&searchterm=&searchtype=and&searchkey=all&searchterm=&item= (. . ). Vgl. Israel, Dutch Republic, S. – . In den publizierten Staatkundige Geschriften van Slingelandts finden sich unter anderem die beiden Abhandlungen: Memorie, dienende om aan te wysen de noodwendigheid van het in practyq brengen van het veertiende Articul der Ordnonnantie op de Vergadering van Holland, particulierlyk met opsigt tot het redres der financien, en tot vaststelling der jegen-woordige forme van Regeering (S. – ) und der Discours over de defecten in de tegenwoordige constitutie der Regeering van den Staat van der Vereenigde Nederlanden, en over de middelen van redres (S. – ). (Slingelandts, Simon van: Staatkundige Geschriften, Ob-
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3 Schnelligkeit und Effektivität
Diese Reformbemühungen liefen ins Leere und scheiterten dabei vor allem am Widerstand der kleineren Provinzen, die im Gegensatz zu van Slingelandt gerade auf eine stärkere Eigenständigkeit und mehr Gewicht im Verhältnis zur übermächtigen Provinz Holland bedacht waren. Die große Versammlung blieb ohne nennenswerte Ergebnisse und wurde im September 1717 wieder aufgehoben. Auch als van Slingelandt später selbst das Amt des holländischen Ratspensionärs übernahm (1727– 1736), vermochte er es nicht, seinen Wunsch nach Stärkung der Zentralgewalt durchzusetzen.²⁸ Den Eidgenossen zwang der Westfälische Friedensschluss von 1648 gewissermaßen eine Reflexion über die eigene Staatsform auf. Das bis dato dominierende Selbstverständnis einer gleichzeitigen Reichszugehörigkeit und einer eigenständigen Territorialherrschaft war in der nun etablierten europäischen Völkerrechtsordnung keine legitime Option mehr.²⁹ Angesichts der eklatanten Defizite, die sich im sogenannten Bauernkrieg von 1653 abzeichneten, stellte sich dabei bald die Frage, ob die nun künftig nach außen als ein souveräner Staat auftretende Eidgenossenschaft auch einer grundsätzlichen Modifikation des föderalen Aufbaus bedurfte. Im Juli 1654 verwies die Berner Obrigkeit auf die Notwendigkeit einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit der protestantischen Kantone und grundsätzlich einer umfassenden Reform der bestehenden Bündnisverträge aller dreizehn Orte, die bis dato durch ein Geflecht mehrerer, unterschiedlicher Verträge miteinander verbunden waren.³⁰ In Baden kam daraufhin vom 4. bis zum 29. Juli 1655 eine gesamteidgenössische Tagsatzung zusammen, die sich mit der möglichen Reform der eidgenössischen Bünde auseinandersetzte. Das Einladungsschreiben der Zürcher und Berner Obrigkeiten lässt dabei die vornehmliche Intention der großen protestantischen Kantone erkennen: Diese wollten 1) Mängel in der Verteidigungsfähigkeit durch eine verstärkte militärische Zusammenarbeit beheben; 2) die „Diversität“ der einzelnen Bundesverträge durch eine Vereinheitlichung abschaffen, auch – und hier klingt die Norm des schnelleren, effektiveren Handelns an – um ein schnelleres gemeinsames Handeln zu
gestelt en nagelaaten door Mr. Simon van Slingelandt. Eerste Deel. Te Amsterdam (by Petrus Schouten) ). Vgl. Israel, Dutch Republic, S. f. und S. f. Vgl. Maissen, Geburt der Republic, vor allem S. – . Vgl. hier und im Folgenden Suter, Andreas: Der Schweizerische Bauernkrieg von . Politische Sozialgeschichte – Sozialgeschichte eines politischen Ereignisses. Tübingen (Frühneuzeit-Forschungen ). S. – . Den Hinweis auf Suter und die Diskussion der föderalen Verfasstheit anlässlich der Reform der eidgenössischen Bündnistexte verdanke ich Andreas Würgler.
3.2 Diskussion in den Republiken?
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ermöglichen;³¹ 3) allen Orten künftig die gleichen Rechte und Pflichten auferlegen; und 4) die Verwaltung der gemeinen Herrschaften neu regeln. Der schließlich verabschiedete neue Bundestext beinhaltete vor allem eine Vereinheitlichung der bisherigen Bündnistexte, klammerte aber die Fragen der militärischen Zusammenarbeit und der künftigen Verwaltung der gemeinsamen Gebiete aus. Eine mögliche institutionelle Neuordnung der Eidgenossenschaft scheiterte dabei vor allem am Widerstand der katholischen Orte, deren Obrigkeiten in einer solchen Neuordnung nur Nachteile für sich erkennen konnten.³² Die 1655 vorgebrachten Änderungsvorschläge mit Blick auf die föderative Verfassung der Eidgenossenschaft blieben folglich ohne große Wirksamkeit und die staatstheoretischen Schriften, die in der Folge dem neuen souveränen, republikanischen Selbstverständnis Nährboden und Ausdruck verliehen, präsentierten und verteidigten die föderale Verfasstheit vielmehr als alternativlos.³³ Die Forschung bescheinigt der eidgenössischen Tagsatzung, die konfessionsübergreifend nach 1650 lediglich nur noch zwei Mal pro Jahr zusammentrat, tatsächlich einen „schleppenden Geschäftsgang“.³⁴ Andreas Würgler verweist allerdings darauf, dass dies in der Anlage der Tagsatzung, die in der Tradition der Landfriedensbewegung vor allem auf die Konfliktvermeidung und nicht auf eine gemeinsame Gesetzgebung oder Ressourcenbeschaffung zielte, strategisch durchaus so gewollt und genutzt wurde. Das vielfache „ad referendum“ geben, also der Verweis auf die erneute Beratung eines anstehenden Beschlusses durch die Gremien der einzelnen Kantone, ermöglichte eine nicht abreißende Kommunikation und die Vermeidung der Eskalation bei umstrittenen Sachfragen.³⁵ Dieser
Für das Einladungsschreiben von Zürich und Bern vom . Mai siehe Utzinger, Walter: Bürgermeister Johann Heinrich Wasers eidgenössisches Wirken – . Ein Beitrag zur Geschichte der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts. Zürich . S. . Vgl. Suter, Bauernkrieg, S. – . Suter bezeichnet den .Villmerger Krieg sodann als ebenfalls „gescheiterten Versuch“ diese institutionelle Neuordnung über den Weg der „kriegerischen Reform“ durchzusetzen. (Vgl. Suter, Bauernkrieg, S. – ). Auch diejenigen, die zu Beginn des . Jahrhunderts die Autonomie und Souveränität der Eidgenossenschaft als Gesamtgebilde nach außen verteidigten, wie etwa der Züricher Bürgermeister Johann Jacob Leu ( – ), charakterisierten diese als „systema foederatum“. Souveräne Kantone würden unter einer gesamtschweizerischen Souveränität zusammenkommen. Vgl. dazu Maissen, Geburt der Republic, S. – . Vgl. hier und im Folgenden Würgler, „Reden“ und „Mehren“, S. – , hier vor allem S. – . Vgl. Würgler, „Reden“ und „Mehren“, S. – und S. f.; Ebenso Würgler, Andreas: Zu den Funktionen von Verfahren und Verhandlungen. Kommentar. In: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen.Verfahren,Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger u. André Krischer. Berlin (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft ). S. – . S. .
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strategische Vorteil wurde als solcher von den Autoren, die in ihren Staatsbeschreibungen und Reiseberichten die Eidgenossenschaft von außen betrachteten, so nicht reflektiert.³⁶ Andersherum wurden die Schwierigkeiten, die sich aus den langwierigen Entscheidungsprozessen ergaben, von den Angehörigen der Tagsatzung durchaus wahrgenommen. So wurden Instrumente wie das „Vermächtigen“ (einzelne Abweichler wurden von der Mehrheit gezwungen, sich dem Beschluss anzuschließen oder gegebenenfalls einfach in der Korrespondenz mit auswärtigen Mächten unter dem Titel der Eidgenossenschaft subsumiert) oder die Möglichkeit des „Nicht-Stimmens“ entwickelt, um dringliche Beschlüsse dennoch schneller durchzubringen. 1668 wurde den Obrigkeiten von Schwyz zudem von der Tagsatzung der Auftrag erteilt, zu ergründen, ob die bisher gängige Praxis etwa Verhandlungen mit auswärtigen Machthabern erschwere. Dieser Auftrag wurde aber, so lässt es die Quellenlage vermuten, nicht weiter verfolgt.³⁷ Offensichtlich erkannten die in der Tagsatzung wirkenden Vertreter der eidgenössischen Kantone die sich aus der föderalen Struktur und dem Prinzip der Einstimmigkeit ergebenden Defekte in der politischen Entscheidungsfindung, die auch von außen kritisiert wurden. Sie bewerteten sie aber anscheinend als zweitrangig und ordneten alles dem primären Ziel der Konfliktvermeidung und Friedenssicherung unter. In dem politischen Tagesgeschäft der gemeinsamen Verwaltung der gemeinen Herrschaften griff zudem die Majoritätsregel.³⁸
3.3 Exkurs: Die Union von Schottland und England 1707 Virulent wurde die Frage nach der Tauglichkeit des föderalen Modells innerhalb der dynamischen europäischen Staatenwelt um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert vor allem für die Angehörigen der britischen Insel anlässlich der Vereinigung Schottlands und Englands zu einem Staat Großbritannien. Schon seit 1603 wurden beide Monarchien (mit Unterbrechung in der Zeit der englischen Republik 1649 – 1662) in Personalunion regiert. Angesichts zunehmender wirtschaftlicher Probleme in Schottland und der empfundenen Bedrohung durch französische Universalherrschaftsansprüche stellte sich die Frage nach einem tatsächlichen, engeren Zusammenschluss immer dringender. Als zunächst Verhandlungen über
Die oben zitierte A Description of Holland bildet eine Ausnahme, wenn sie mit Blick auf die niederländischen Generalstände den Vorteil der Möglichkeit zum gründlichen Abwägen der Entscheidungen und Verzögerung von Entscheidungen, um Entwicklung der politischen Situation besser einschätzen zu können, benennt. Vgl. Würgler, „Reden“ und „Mehren“, S. . Vgl. Würgler, „Reden“ und „Mehren“, S. .
3.3 Exkurs: Die Union von Schottland und England 1707
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einen Freihandel zwischen Schottland und England scheiterten (1668 – 1670) und in der Folge auch die sogenannte Darien venture (1698 – 1700) – der Versuch mit einer eigenen schottischen Kolonie im Welthandel Fuß zu fassen – vor allem aufgrund mangelnder englischer Unterstützung erfolglos blieb, waren die Spannungen zwischen beiden Gemeinwesen offensichtlich und die Frage nach der künftigen Zusammenarbeit akut.³⁹ Auf schottischer Seite entfachte die Diskussion über die Form eines konkreten Zusammenschlusses beider Staaten endgültig auf Parlamentsebene, nachdem die Engländer 1701 die Thronnachfolge auf das Haus Hannover übertragen hatten, ohne die schottische (oder auch die irische) Zustimmung einzuholen und damit den potentiellen schottischen, aber katholischen Thronfolger übergangen hatten. Die katholische Fraktion schloss eine Verbindung mit England unter diesen Bedingungen kategorisch aus und wandte sich Frankreich als möglicher künftiger Schutzmacht zu.⁴⁰ Unter den Protestanten kristallisierten sich zwei konstruktive Vorschläge einer möglichen Verbindung mit England heraus: die inkorporierende und die föderative Union.⁴¹ Das Parlamentsmitglied James Hodges (?-?) definierte in seinem 1703 publizierten Traktat The Rights and Interests of the two British Monarchies beide Formen der Staatenverbindung und verwies dabei auf die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft als Beispiele eines föderativen Zusammenschlusses: Tho’ the sense of the word Union, as relating to the amicable Conjunctions or Confederations of Kingdoms and States, is very large; yet this general Denomination may in all ist Applications be reduced to these Two principal Heads, to wit, An Incorporating, or a Federal Union. The Title of an Incorporating Union denotes that Kind, whereby distinct and independent Kingdoms and Dominions parting with their distinction, and Independency do so unite themselves with another Kingdom, as to be embodied with it, and to become a particular Part […] being subject to the Laws and Government thereof. […] A Confederate or Federal Union is that, whereby Distinct, Free and Independent Kingdoms, Dominions or States, do unite their seperate Interests into one common Interest, for the mutual benefit of both, so far as relates to certain Conditions and Articles agreed upon
Vgl. dazu Robertson, John: Union by Incorporation. England, Scotland and Ireland – . In: Fröschl, Föderationsmodelle und Unionsstrukturen, S. – ; Robertson, John: An elusive Sovereignty. The Course of the Union Debate in Scotland – . In: A Union for Empire. Political Thought and the British Union of . Hrsg. von John Robertson. Cambridge . S. – ; Zur Darian venture vgl. Armitage, David: The Scottish Vision of Empire: intellectual Origins of the Darien Venture. In: Robertson, A Union for Empire, S. – . Vgl. Robertson, Union by Incorporation, S. . Vgl. Robertson, An elusive Sovereignty. Robertson nennt verschiedene Phasen der Debatte (/, , Sommer und Winter /), die am Ende einen neuen, nämlich einen Kompromissvorschlag einer inkorporierenden Union hervorbringt, die bei weniger zentralen Entscheidungen die Kompetenz bei zwei Parlamenten belässt (S. und S. – ).
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betwixt them, retaining in the mean time their several Independencies, National Distinctions, and the different Laws, Customs, and Government of each. […] Another kind of Federal Union is, that of the States of Holland; whereby seven distinct Bodies of People, independent of one another, are agreed in a peculiar kind of general Government, for ordering all things relating to War, Taxes, trade, &c. with mutual consent; tho’as to other things, each do retain their particular different Laws, Customs, and Government amongst themselves. […] Another kind is, that of the thirteen Swiss Cantons, knit together by a most close Confederacy of common Interest, with respect to mutual Defence; tho’ differing in Religion, under no Common Government relating to the Whole, and never under one Supream Head.⁴²
Hodges selbst spricht sich in diesem Traktat klar gegen eine inkorporierende Union aus, die – so macht bereits der Untertitel deutlich – den Rechten, Freiheiten, Interessen und dem Gemeinwohl beider Königreiche entgegenstünde.⁴³ Ein föderativer Zusammenschluss hingegen läge im Interesse beider Staaten und brächte Vorteile mit sich, vor allem mit Blick auf die Sicherheit, den inneren und äußeren Frieden der Gemeinwesen und deren Wirtschaft.⁴⁴ Über die künftige Rolle des Monarchen scheint Hodges dabei noch keine klare Vorstellung zu haben. Er verweist lediglich darauf, dass die Verfassung der Vereinigten Provinzen gleich bleibe, egal ob es einen Statthalter gebe oder nicht. Die Kantone der Eidgenos-
Hodges, James: The Rights and Interests Of the Two British Monarchies, Inquir’d into, and Clear’d; With a special Respect to an United or Separate State. Treatise I. London . S. – .Vgl. dazu auch Robinson, An elusive Sovereignty, S. f. Der Vertrag, der zwischen England und Schottland schließlich abgeschlossen wurde, stellte die Grundlage für einen Zusammenschluss in Form einer inkorporierenden Union dar. Nachdem zunächst das schottische und dann das englische Parlament diesen Vertrag ratifiziert hatten, trat diese Union am . Mai in Kraft. (Vgl. Robertson, An elusive Sovereignty, S. ). Siehe Hodges, The Rights, Untertitel: […] and the Inconsistency of an Union by Incorporation with the Rights, Liberties, National Interests, and Publick Good of Both Kingdoms. Ebenso Hodges, The Rights, Preface (o.P.) und S. . Im Jahr wird Hodges einer jener Vertreter, die den neuen Kompromissvorschlag befürworten. Siehe dazu auch Robertson, An elusive Sovereignty, S. – . Siehe Hodges, The Rights, S. : „Concerning which it is to be considered, That the solid Substance and Essence of a Happy Union, and the Influence and Consequences of it as such, do consist in these Mutual Advantages, which Both Nations are to gain by it; to wit, The Advancement of the Publick Good and Interest of Each; with a special respect to A perpetual good Understanding, freedom from jealousis of one another, lasting Peace, and a satisfying Security against all Alliances […] Also the Mutual benefits, which Each may gain by Freedom and Communication of Trade. With Mutal Defence and Assisting one another […] against all Incroachments by Foreign Enemies or Intestine Rebellions.“
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senschaft würden zudem auch ohne gemeinsames Oberhaupt in Frieden und gutem Verständnis leben.⁴⁵ Befürworter einer inkorporierenden Union, die auch den Vorstellungen der englischen Verhandlungsführer entsprach, argumentierten ähnlich wie Hodges vor allem mit wirtschaftlichen Aspekten und dem Hinweis auf eine höhere Stabilität und Sicherheit. So verweist etwa einer ihrer Wortführer, William Seton of Pitmedden (1673 – 1744), in seinem bereits 1700 publizierten Essay concerning the Union of England and Scotland into one Monarchy auf die mögliche Steigerung der Bevölkerungsdichte, die einer Steigerung des Reichtums entspräche und einen enormen wirtschaftlichen Standortvorteil bedeuten würde. Der Handel Schottlands würde zudem ansteigen, der gemeinsame Staat mehr Steuereinnahmen haben, die Armen in Arbeit bringen und Stabilität aufgrund von innerer Sicherheit genießen, da Uneinigkeiten zwischen beiden Gemeinwesen wegfallen würden.⁴⁶ Die Normen, die in diesen Aussagen zu Tage treten, sind erneut jene des wirtschaftlichen und hier vor allem des Handelserfolges, die durch inneren und äußeren Frieden garantierte Stabilität des Gemeinwesens und die Sicherheit desselben. Die beiden zeitgenössischen föderativen Republiken der Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft werden dabei in den betreffenden Texten als positive Beispiele oder als zu übertreffende Konkurrenten angeführt.⁴⁷ Das Argument der Langsamkeit und der Ineffektivität der politischen Entscheidungsfindung findet sich in dieser Debatte um die bestmögliche Form des politischen Zusammenschlusses nicht. Dabei könnte man erwarten, dass gerade die Anhänger einer inkorporierenden Union die mögliche Kritik an der Langsamkeit föderativer Entscheidungsprozesse ins Feld geführt hätten. Offenbar waren Schnelligkeit und Effektivität der politischen Entscheidungsprozesse im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts noch keine dominanten regulativen Zielideen,
Siehe Hodges, The Rights, S. : „We see, That the Federal Union betwixt the Independent States of Holland continues the same in all its Articles,whether they have the whole Government in their own hands, or partly in the Trust and Oversight of a Statholder. And in like manner, That the Independent States and Cantons of Switzerland do continue in firm Peace and a good understanding amongst themselves, tho’ruled by distinct Heads, and differing in Religion from one another.“ Pitmedden, William Seton of: Of The Union of Scotland and England into one Monarchy. In: Pitmedden,William Seton of: The Interest of Scotland in Three Essays. o.O. . S. – . S. – . Vgl. etwa Pitmedden, Of the Union, S. – ; Pitmedden, William Seton of: Essay upon the Union. Shewing, That the Subjects of Both Nations Have been, by the Union of the Two Crowns, justly Intitled to all manner of Privileges, which the insuing Treaty can give them. […]. Edinburgh (Re-printed by the Heirs and Successors of Andrew Anderson) . S. f.
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noch keine ausgeprägten diskursiven Normen innerhalb der Diskussion um die bestmögliche Einrichtung eines künftigen Staates – zumindest in Schottland.⁴⁸ Auch bei Andrew Fletcher of Saltoun (1653 – 1716), dem wohl prominentesten und aktivsten Verfechter einer föderativen Lösung im schottischen Parlament und selbst einer der größten Privataktionäre der Darian venture, klingen diese Normen allenfalls an.⁴⁹ Während Fletchers frühe Schriften sich vor allem um die balance of power in Europa und die Einrichtung einer britischen Miliz nach eidgenössischem Vorbild drehten, die eine stehende Armee und deren Voraussetzung einer starken Steuerbelastung ablösen sollte, befasste Fletcher sich gleich in den ersten Sitzungen des 1703 neu einberufenen schottischen Parlaments konkret mit der Frage der schottisch-englischen Union.⁵⁰ Er plädierte für eine föderative Lösung mit starken und klaren Grenzen für den künftigen Monarchen.Während das Parlament ihm in dem Vorschlag der Limitierungen folgte, stieß sein Konzept einer föderativen Union auf Widerstand. Wohl auch, weil die Umsetzbarkeit als fraglich angesehen wurde.⁵¹ So trug Fletchers Idee, die am besten in dem 1704 publizierten Text Account of a Conversation Concerning a Right Regulation of Governments for the Good of Mankind greifbar wird, visionäre und ganz Europa umspannende
Auch in den zentralen Texten der zeitgleich stattfindenden Unionsdebatte in Irland lassen sich keine Argumente hinsichtlich Schnelligkeit oder Effektivität politischer Entscheidungsprozesse finden.Vielmehr werden wirtschaftliche Argumente ins Feld geführt.Vgl. etwa Maxwell, Henry: An Essay upon an Union of England with Ireland: Most humbly offered to the Consideration of the Queen’s most Excellent Majesty and both Houses of Parliament. Dublin (Re-printed for Eliphal Dobson) ; Molyneux, William: The Case of Ireland’s being bound by Acts of Parliament in England Stated. Dublin (printed by and for J. R.) . Zu Leben und Werk Andrew Fletchers vgl. Robertson, John: Introduction. In: Andrew Fletcher, Political Works. Hrsg. von John Robertson. Cambridge (Cambridge Texts in the History of Political Thought). S. ix–xl. Vgl. dazu Armitage, The Scottish Vision, S. – ; Robertson, An elusive Sovereignty, S. ; In seinem Traktat A Discourse of Government with relation to Militias von konstatiert Fletcher etwa: „The Swisses at this day are the freest, happiest, and the people of all Europe who can best defend themselves, because they have the best militia.“ (Fletcher, Andrew: A Discourse of Government. Edinburgh . In: Robertson, Andrew Fletcher, Political Works, S. – , S. ). Istvan Hont verweist darauf, dass Fletcher die Eidgenossenschaft auch als Vorbild einer starken, agrarisch geprägten Wirtschaftsordnung ins Feld führt (Vgl. Hont, Jealousy of Trade, S. ). Die Vereinigten Provinzen tauchen in den frühen Schriften vor allem als starke Handelsmacht, als Gegner spanischer Universalherrschaftsansprüche und als Gemeinwesen auf, das es als einziges vermag, Arme dauerhaft in „public work houses“ unterzubringen (Vgl. etwa Fletcher, Andrew:Two Discourses concerning the Affairs of Scotland. Edinburgh . In: Robertson, Andrew Fletcher, Political Works, S. – , S. – ). Vgl. Robertson, An elusive Sovereignty, S. f.
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Züge.⁵² Voraussetzung für eine Konföderation war für Fletcher eine Vielzahl gleicher, souveräner Staaten. Diese Staaten sollten möglichst klein sein, denn – und hier klingt die Vorstellung einer schnellen Entscheidungsfindung an – in kleinen Regierungen würden Gesetze pünktlich verabschiedet und zudem würde sich keine Gelegenheit für Korruption bieten: „Now in small governments laws may be duly executed, and the manners of men in a great measure preserved from corruption.“⁵³ Da diese „small states“ unfähig seien, sich allein zu verteidigen, würden sie sich mit anderen in einer Union zusammenschließen. Diese Union garantiere Sicherheit, sei aber gleichzeitig unfähig, aktiv Eroberungen vorzunehmen.⁵⁴ Entsprechend forderte Fletcher eine Neuordnung der britischen Insel. England, Schottland und Irland könnten nicht so weiter existieren wie bisher, sondern müssten vielmehr in zwölf kleinere Gemeinwesen neu unterteilt werden. Diese kleineren Einheiten sollten sich dann als jeweils souveräne Gemeinwesen in einer föderativen Union zusammenschließen.⁵⁵ John Robertson stellt die These auf, dass Fletcher dabei die Vereinigten Provinzen als Modell vor Augen hatte.⁵⁶ Ein ex-
Den Text, der auf den ersten Dezember datiert ist, verfasste Fletcher als offenen Brief an die Adligen, die ihn in seinen Vorschlägen im Parlament unterstützt hatten (Marquis of Montrose, Earl of Rothes, Earl of Roxburgh, Earl of Haddington). wurde dieser Brief publiziert.Vgl. dazu Robertson, An elusive Sovereignty, S. . Fletcher, Andrew: An Account of A Conversation Concerning A Right Regulation of Governments For the Common Good of Manking. In A Letter to the Marquis of Montrose, the Earls of Rothes, Roxburg and Haddington. Edinburgh . In: Robertson, Andrew Fletcher, Political Works, S. – , S. . An anderer Stelle verweist Fletcher erneut auf den Umstand, dass in solchen Gebilden keine Korruption möglich sei: „And as to the advantage of having twelve cities governing themselves happily and virtuously, instead of one great vicious and ungovernable city, I leave it to your consideration, who have so judiciously shewn, that great cities do not only corrupt the manners of their own inhabitants, but those of whole nations, and destroy all good government. Cities of moderate extent are easily governed, and the example and authority of one virtuous man is often sufficient to keep up good order and discipline.“ (Fletcher, An Account, S. ). Fletcher, An Account, S. : „[…] but because such governments are not of force sufficient to defend themselves, a considerable number of them should be united together for the common safety; by which union and league they will be enabled to resist a powerful invasion, and yet remain uncapable of conquest.“ Vgl. Fletcher, An Account, S. f., S. (hier nennt Fletcher die zwölf Städte London, Bristol, Exeter, Chester, Norwich, York, Sterling, Inverness, Dublin, Cork, Galloway und Londonderry mit angrenzenden Territorien). Siehe Robertson, An elusive Sovereignty, S. : „At the same time, he was insistent that within a confederation each constituent city or kingdom would have a distinct sovereignty: the reference to the Achaian League suggested that the United Provinces were his model […].“ Der Vergleich der Vereinigten Provinzen mit der antiken Achäischen Liga findet sich in frühneuzeitlichen Texten oft. Dennoch würde ich Vorsicht walten lassen, den Verweis auf das antike Beispiel
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pliziter Hinweis darauf im Text findet sich allerdings nicht. Wohl aber hatte Fletcher die europäische Dimension mit im Blick: Die britische Union könne nur dann funktionieren, wenn ganz Europa eine Umstrukturierung und Neuaufteilung in kleinere Einheiten erfahre, die zudem vornehmlich von Agrarwirtschaft geprägt seien und dem Handel entsprechend weniger Raum geben würden. Nur dann sei das europäische Gleichgewicht zu erhalten und die Sicherheit der einzelnen Staaten gewährleistet.⁵⁷ Stabilität und Sicherheit sind für Fletcher prioritär. Sie werden vor allem durch einen andauernden Frieden und fehlenden Raum für Korruption, die sich aus der Struktur einer föderativen Union kleiner Staaten ergeben, garantiert. Damit rücken bei Fletcher erneut zwei Aspekte in den Fokus, die auch schon etwa bei dem Duc de Rohan (1634), den Commonwealthmen (1650er) und William Temple (1673) zentral diskutiert wurden: Kleinstaatlichkeit und Expansionsfähigkeit respektive -notwendigkeit. Der Schotte hält Expansionen dabei für ein unbedingt zu vermeidendes Übel.⁵⁸ Deshalb beantwortet er die Frage nach der „greater force“, der größeren Kraft oder vielleicht auch zu übersetzen mit der höheren Effektivität solcher Gemeinwesen, die in einer inkorporierenden Union unter einem zentralen Souverän zusammenkommen, bejahend, aber mit Verweis auf das enorme Gefahrenpotential, das von einer solchen Verbindung ausgehe: But certainly, said he, if these distinct sovereignties were incorporated under one head and city, such a government would be of greater force. If you mean, said I, to disturb their own peace, and that of their neighbours, I grant your assertion. How so? You must acknowledge, said I, that a great city is more tumultuous and disorderly, and therefore more capable of disturbing its own peace than small ones, and much more violently inclined to conquer other countries, because better able to retain the conquest.⁵⁹
Kleinstaatlichkeit wird hier also sehr positiv bewertet. Grundsätzlich, so schließt Fletcher an dieser Stelle weiter an, sei es allerdings sinnvoll, an der Spitze einer föderativen Union einen Fürsten zu haben, der die militärischen Geschicke lenkt.⁶⁰ als Analogie zu werten. Warum sollte Robertson nicht direkt auf die Vereinigten Provinzen verwiesen haben, wenn er sie meinte? Siehe Fletcher, An Account, S. – . Vgl. auch Armitage, The Scottish Vision, S. ; Robertson, An elusive Sovereignty, S. f.; Hont, Jealousy of Trade, S. – . Vgl. dazu Hont, Jealousy of Trade, S. f., der auf Fletchers Abgrenzung gegenüber Harrington und Charles Davenant ( – ) in diesem Punkt verweist. Fletcher, An Account, S. . Siehe Fletcher, An Account, S. : „And indeed a prince seems much more fitted to be at the head of such a league, than a council, as to the military part, in which principally such an union has occasion to exert its power.“
3.4 Das „langsame Wesen“ der Republik
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3.4 Das „langsame Wesen“ der Republik Während Fletchers Account of a Conversation ganz ähnlich wie das Projet des Abbé Saint-Pierre auf eine Neustrukturierung Europas abzielte und in seinem Grundtenor visionär, auf die Zukunft hin angelegt war,⁶¹ wurde auch in jenen Texten, die sich mit dem konkreten Ist-Zustand der einzelnen Republiken beschäftigten, die Frage aufgeworfen, ob die Verfassung als Freistaat nicht grundsätzlich ineffektivere Strukturen bedinge als dies in Monarchien der Fall sei. Jacques Basnage de Beauval, der, wie oben gezeigt, 1719 auf die langsamen und ineffektiven Entscheidungsprozesse hinwies, die aus der föderalen Struktur der Vereinigten Provinzen erwachsen würden, gleichzeitig aber vor der Veränderung etablierter Strukturen warnte, hält im Anschluss an diese Feststellungen grundsätzlich fest: Il ne faut pas nier que l’Autorité Souveraine n’ait plus de Relief & plus d’Eclat lors qu’elle réside toute entière dans une seule personne. Les Résolutions sont plus promptes quand un Roi peut les prendre & les écécuter sans ménagement; le Prince armé les fait valoir, ce qu’il appelle la Loi, ou plutlot (sic!) sa volonté imprimé la crainte, & la crainte enfante bientôt l’Obéiccance servile.⁶²
Der Leipziger Jurist, Natur- und Völkerrechtsprofessor und Herausgeber von Gundlings Discours über den ietzigen Zustand der Europäischen Staaten, Jakob August Franckenstein, der 1724 auch eine exklusive Abhandlung über die Eidgenossenschaft publizierte, hält im ausführlichen Vorwort zu Gundlings Text 1733 ähnlich fest: Die Berathschlagungen werden auf denen Rathhäusern, Reichs- oder Landes-Versammlungen, und in denen Regierungen, auch geheimen Conseils über Frieden, Krieg, Gesetze, Auflagen, und andere zum Besten des Staates abzielende Puncte angestellet, und dieses zwar entweder zu gewissen bestimmten Zeiten, oder auf besondere vorhergängige Zusammenberuffung; wobey man meistens bemercken wird, daß bey einem monarchischen Regiment die Rathschläge genau erwogen, und ein geschwinder Schluß daraus genommen werde; in
In der Forschung werden sowohl Fletchers als auch Saint-Pierres Abhandlung immer wieder auch als Utopien charakterisiert. Zum Begriff Utopie und dessen zeitgenössischen Gebrauch sowie der Verwendung als Forschungskategorie: Hölscher, Lucian: Art. Utopie. In: Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Hrsg. von Stefan Jordan. Stuttgart . S. – ; Hölscher, Lucian: Utopie. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. . Hrsg.von Otto Brunner. Stuttgart , S. – ; Hölscher, Lucian: Der Begriff der Utopie als historische Kategorie. In: Utopieforschung. Interdisziplinäre Forschungen zur neuzeitlichen Utopie. Hrsg. von Wilhelm Voßkamp. Stuttgart . Bd. . S. – ; Eliav-Feldon, Miriam: Realistic Utopias. The Ideal Imaginary Societies of the Renaissance – . Oxford . S. – . Basnage de Beauval, Annales des Provinces-Unies, S. .
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Democratien aber die Anzahl derer Stimmen gezehlet werde, und daraus ein langsamer Schluß erfolge.⁶³
Franckenstein schreibt im Anschluss daran im Unterschied zu den Monarchien grundsätzlich allen „Aristocratien, oder zusammen vereinigten Republicken, oder vollends denen vielköpfigen Democratien ein langsames Wesen“ zu.⁶⁴ Basnage und Franckenstein stehen mit ihrer Argumentation dabei in einer Linie mit Jean Gailhard und Amelot de la Houssaye, die bereits 1669 und 1676 mit Blick auf Venedig die Langsamkeit und Inflexibilität der politischen Beschlussfindung kritisiert hatten, die grundsätzlich allen Republiken gemein sei und diesen zum Nachteil gegenüber den mit ihnen konkurrierenden Monarchien gereiche.⁶⁵ Der in den Niederlanden lebende Franzose Casimir Freschot (ca. 1640 –
Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , Vorrede, o.P. Zu Leben und Werk Jakob August Franckenstein vgl. Steffenhagen, ?: Art. Franckenstein, Jakob August. In: Allgemeine Deutsche Biographie (), S. . http://www.deutsche-biographie.de/pnd.html?anchor=adb (. . ). Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , Vorrede, o.P. Johann Jakob Schmauß empfiehlt den Niederländern dringend wieder einen Statthalter zu ernennen, um die „Einrichtung“ der Republik mit Hilfe dieses monarchischen Elements zu verbessern und auf diese Weise der daraus resultierenden Langsamkeit beizukommen: „Die Einrichtung eurer Republic, die Langsamkeit, der Königin Kayserin beyzustehen, die hartnäckige Verweigerung, sich mit uns gegen die Französische Absichten zu vereinigen &c. sind diejenigen Ursachen, welche eure Republic selbst in Verfall gebracht […]. […] und bey heftigen Kranckheiten muß man heftige Mittel gebrauchen. Bey dem gefährlichen Zustand, worinn ihr euch befindet, ist kein schleunigeres Mittel, als euer Interesse den Händen eines Souverainen, der bey andern europäischen Potentzen in Ansehen kommen möge, anzuvertrauen.“ (Schmauß, Betrachtung, S. f.). Siehe Houssaye, Histoire du Gouvernement de Venise, S. f.: „La seconde Cause de leur ruine, est la lenteur de leurs Délibérations. Il est vrai que ce défaut leur est commun avec toutes les Républiques. Mais on peut dire qu’il est extrême chez eux, & que leur Sénat semble quelquefois endormi, tant il a de peine à se mouvoir en de certaines ocasions.“ Sowie S. : „Mais le Vénitiens n’ont pas cette perfection, ils sont lents à délibérer & lents à éxécuter.“; Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, , To the Reader (o.P.): „[…] that I look upon it as one of the greatest advantages of this Government over Republicks; for a liberty is allowed to find remedies fit and proper for new distempers felt or feared, when others are doting (sic) upon the idol of their old wayes, there wanting in Republicks a person by whose Authority all the rest may be ove-swayed, and be brought to that which the present reason of State, differing from the former, doth require.“ Weiter S. f.: „I must take notice of the advantages of Monarchies over Republicks. When a Republick is subject to divisions, there is hardly any remedy, but by the destruction if one of the parties, whereby the whole is weakned; and if every side be potent, they grow obstinate, which carries them often to extremities, every one thinking his right and his cause better then his Neighbours. And ‘tis a certain truth, that Common-wealths, and even those Monarchies which have most the nature of Republicks, especially those which are elective, were ever more subject to troubles and divisions, then those Dominions which depend upon a successive Soveraign. […] Now
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1720) wertet diese Langsamkeit 1709 hingegen als Überlebensvorteil Venedigs gegenüber diesen Monarchien. In Abgrenzung zu Amelot hält er fest: M. Amelot en condannant la lenteur des Venetiens, se laisse transporter à l′ardeur de sa Nation, où il semble que la Noblesse principalement naisse avec un dégoût de la vie, & n′a pas de plus grand plaisir, que celui de la prostituer à la guerre, & où les Princes profitant de cette position ne sont point lents à embrasser, ou meme à faire naître les occasions de la faire.⁶⁶
Allein Jean de Parival hatte 1662 die schnellere Entschlussfindung den Republiken zugesprochen: „[…] que les depeches son (sic!) ordinairement plus promptes dans les Republiques que dans les Royaumes.“⁶⁷ Mit Ausnahme Freschots und des Venezianers Vendramino Bianchis, der bereits 1708 auf die Schwierigkeiten der Verhandlungsführung mit föderativen Gebilden hinweist, wurden alle in diesem Kapitel vorgestellten Quellenbefunde, die Aussagen über die Schnelligkeit und die Effektivität politischer Entscheidungsprozesse präsentieren, erst ab und nach 1719 publiziert. Nur vereinzelt waren Aussagen über die Langsamkeit der föderativ aufgebauten Eidgenossenschaft und die Vereinigten Provinzen in den Texten vor 1676 zu finden.⁶⁸ In diese Linie klafft folglich – das zeigt vor allem die Analyse der Diskussion um die British Union von 1707– eine auffällige Lücke. Auf dieser Grundlage ließe sich zumindest die durch andere Quellengattungen noch weiter abzuklärende Hypothese aufstellen, dass Schnelligkeit und Effektivität politischer Entscheidungen als diskursive Normen innerhalb der europäischen république de lettres erst ab den 1720er Jahren zunehmend präsent und stärker gewichtet wurden. Ob dies mit einer
a Monarch, by all parties being acknowledged to be the Lord and Soveraign, by vertue of his Power and Authority, can make up breaches, unite parties, reconcile differences, and take resolutions, with more speed and secresie.“ Vgl. auch Kapitel II. und II. der vorliegenden Arbeit. Die Langsamkeit der politischen Entscheidungsfindung in Venedig wird auch von Zedlers Universallexikon wieder aufgegriffen: „Sie sind langsam bey den Entschliessungen und kaltsinnig bei den Executionen.“ (Zedler, Grosses Volständiges Universal-Lexikon, Bd. , Sp. ). Freschot, Nouvelle Relation, S. f. Parival, Le Vray L’Interet, S. . Vgl. die in der vorliegenden Arbeit vorgestellten Aussagen von Machiavelli, Harrington, Parival, de Sorbiere und Milton. In den zeitgenössisch nicht gedruckten Berichten der venezianischen Botschafter taucht die Beschwerde über langsame Entscheidungsprozesse und Verhandlungsabwicklungen in den Vereinigten Provinzen schon zu Beginn des . Jahrhunderts auf. Vgl. Blok, P. J. (Hrsg.): Relazioni Veneziane. Venetiaansche Berichten over de Vereenigde Nederlanden van – . ’S-Gravenhage (Rijks Geschiedkundige Publicatiën ). S. (Bericht Girolamo Trevisano, ), S. (Bericht Alvise Contarini, ), S. (Bericht von Francesco Michiel, ). Diesen Hinweis verdanke ich Ettore Cafagna.
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3 Schnelligkeit und Effektivität
Annäherung Englands und Frankreichs in der Außenpolitik und dem damit möglicherweise einhergehenden stärkeren Bewusstsein zusammenhing, dass sich internationale Bündniskonstellationen künftig stärker situativ und schnell neu zusammenfinden können und müssen, kann auf der Grundlage dieses Quellenkorpus nur angedacht und nicht abschließend geklärt werden.
4 Freiheit Eine weitere Norm, die in den Aussagen über die drei hier betrachteten Republiken zwischen 1676 und 1750 deutlich zu Tage tritt, ist diejenige der Freiheit. Aus der rückblickenden Perspektive des 21. Jahrhunderts wäre hier vielleicht ein starkes Abheben auf die Verfassungsunterschiede der einzelnen Gemeinwesen zu erwarten. Doch während die Verfasstheit als Freistaat mit Blick auf die Zielvorstellungen Schnelligkeit und Effektivität durchaus in manchen Aussagen als ein maßgebliches Unterscheidungskriterium angeführt wurde, wurde die Verfassung im Hinblick auf die im Gemeinwesen herrschende Freiheit im Blick von außen nach 1676 kaum mehr als entscheidendes Kriterium thematisiert. Dabei rekurrierten die Autoren in ihren Äußerungen zum Teil allerdings auf eine solche beschriebene, mögliche Erwartungshaltung. Amelot de la Houssayes Nachfolger in der französischen Botschaft Venedigs etwa, Alexandre Toussaint Limojon de Saint Didier, formuliert 1680: Je me trouverois embarassé s’il me falloit exactement definier la liberté des Venise; car elle ne renferme pas seulement la libre disposition dans laquelle se trouvent tous les Sujets de la Republique, & sur tout le Peuple de Venise, de suivre impunément tout ce qui peut contribuer à leurs plaisires, lorsque le public n’y est point interessé; mais encore cette mesme liberté comprend une entiere exemption de tous les égards que les inferieurs doivent à leurs superieurs, lorsque l’autorité du Gouvernement n’y est, à parler proprement, un libertinage politique, avantageux à la Republique, commode à la Noblesse, & agreable au Peuple, qui ne s’apperçoit pas que la liberté qu’il pretend avoir au dessus des Peuples qui vivent dans un estat Monarchique, n’est qu’une pure chimere.¹
Auch der anonyme Herausgeber der englischen Übersetzung der aus dem 16. Jahrhundert stammenden venezianischen Reformschrift des Paolo Sarpi benennt 1707 in seinem Vorwort mehrere Defekte der venezianischen Verfassung und schlussfolgert: „They will see by the History of this Republick, as well as of all other Commonwealths, whether Aristocratical or Democratical, that arbitrary and Despotical Government is not peculiar to Monarchy, as some would have it.“²
Saint Didier, La Ville et la Republique de Venise, , S. f. Anonymus: The Maxims of the Government of Venice in an Advice to the Republick; How it ought to govern it self both inwardly and outwardly, in order to perpetuate its Dominion. […] By Father Paul, the Servite Monk, and Counsellor of State to the Republick. Written by Publick order. Done into English from the Italian. London (printed and sold by J. Morphew) . S. xxxiv. Zu Leben und Werk Paolo Sarpis und seiner Rolle in venezianischen Reformbemühungen um vgl. Wootton, David: Paolo Sarpi: Between Renaissance and Enlightenment. Cambridge/New York .
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4 Freiheit
4.1 Freiheit im Freistaat? Willkür, Tyrannis und Despotie sind die präsenten Antonyme, über die Freiheit in den hier betrachteten Aussagen vorwiegend definiert wird. Dabei verweisen einige Autoren auf Frankreich als Inbegriff einer solchen despotischen Herrschaft und heben die Eidgenossenschaft oder die Niederlande im Vergleich als Horte der Freiheit hervor. So stellt etwa der britische Jurist Joseph Shaw (1671– 1733) in seinem Reisebericht von 1709 der sehr positiven Beschreibung der Vereinigten Provinzen als Bollwerk der „publick Liberty“ die durchgehend negative Beschreibung Frankreichs gegenüber, wo ein „[…] despotick arbitrary Government“ herrsche, „where the Lives and Estates of so many Millions of Mankind are subjected to the lawless Will of one single Prince, whose extravangant Profusion has expended above Fift.“³ Es sind jene, die unter dieser französischen Regierung durch Repressionen und Vertreibung gelitten hatten, die hugenottischen Flüchtlinge, die als einzige die Verfassung eines Gemeinwesens als distinktives Merkmal hinsichtlich der Freiheit hervorhoben, allerdings indem sie das Moment der Freiheit für eine absolute Monarchie ausschlossen und nicht etwa indem sie es grundsätzlich Republiken zuschrieben. So hält François Michel Janiçon 1729 mit Blick auf die Vereinigten Provinzen klar fest: „Outre la liberté de conscience, il regne dans toutes les Provinces une autre liberté politique, que l’on ne voit dans aucune Monarchie absolue.“⁴ Viele hingegen sahen tyrannische Elemente gerade in den betrachteten Republiken selbst. So wurden etwa die Berner Landvögte ob ihrer Regierungspraxis, die allein auf die eigene Bereicherung ziele, als „Tyrannen“ bezeichnet.⁵ Und auch
Shaw, Travel through Holland, , S. ciii. Zu Leben und Werk Joseph Shaws siehe Carlyle, E. I.: Art. Shaw, Joseph ( – ), rev. Norma Landau. In: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Vendramino Bianchi vergleicht die Eidgenossenschaft mit Frankreich. Während jene Inbegriff der Unmöglichkeit der Versklavung seien („The Switzer have confirm’d the opinion of those who believe, that tho’ there mey be an human Force able to bring under Subjection a People, which from Quality of their Climate, the Temperature of their Humours, and their Natural Inclinations, are led to a Fondness for Liberty, yet there never can be found out a Method that will render them tame Suffered, und quiet under absolute Slavery.“), beschreibt Bianchi die französische Regierung als „arbitray despotic power“. (Bianchi, An Account of Switzerland, S. und S. ). Ähnlich auch: Burnet, Burnet’s Travels, S. V. Janiçon, État présent, Bd. , S. . So hält der Monsieur de Blainville fest: „Verliere was Du hast, nur deine Ehre nicht. Eine vortrefliche (sic!) Lehre, sie schickt sich nur nicht allzu wohl auf das Haus eines Bernischen Landvogtes. Denn dieses sind gemeiniglich eine Art Leute, welche ihre eigene Ehre und das Beste
4.1 Freiheit im Freistaat?
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die niederländischen Statthalter erhielten solche Zuschreibungen.⁶ Freiheit, so also der Tenor dieser Aussagen, sei in den zeitgenössischen Republiken keineswegs uneingeschränkt und überall gleich zu finden. In Venedig sei die Freiheit der Bürger gar eine bewusste politische Täuschung. Alexandre Toussaint Limojon de Saint Didier etwa fährt in seinem Definitions- und Beschreibungsversuch der venezianischen Freiheit fort und charakterisiert das Vorgehen der venezianischen Regierung gegenüber den Adligen der Terra Ferma mit den Worten: […] mais au contraire, que la rigeur est pour l’ordinaire d’autant plus grande à l’égard de ces Gentil-hommes, que le Senat a plus d’interest à les abaisser; de sorte que les Peuples des provinces, & ceux de la ville sont persuadez qu’ils ne sçauroient estre plus libres, ny plus heureux qu’ils le sont sou la domination de la Republique.⁷
Hinsichtlich des als Freiheit empfundenen Lebenswandels der Venezianer, vor allem der jungen Adligen, hält Saint Didier fest:
des Landes so wenig in Betrachtung ziehen, dass sie die sechs Jahre ihres Regiments alleine dazu anwenden, durch die ungerechtesten Mittel ein großes Vermögen zusammen zu scharren, damit sie hernach in ihrer Hauptstadt ein großes Aufsehen machen können. Man sagt, dass die Unterthanen im Schweizerlande mehr Freiheit genössen, als sonst ein Volk in Europa. Es ist aber würklich das Gegentheil, denn vieleicht (sic!) giebt es kein Volk, das von einer so großen Anzahl kleiner Tyrannen dergestalt ausgeplündert wird, als die Schweizer, zum wenigsten in verschiedenen Cantons, sonderlich in Bern. Ihre hochgeehrten Landvögte sind gar oft Leute von schlechter Geburt, Erziehung und Wissenschaft, und solche Blutigel, die das beste Blut der Unterthanen aussaugen, und denen römischen Statthaltern volkommen (sic!) gleichen, die Juvenal in seiner Satyre so heftig striegelt. Inde Dolabella est, atue hinc Antonius; inde Sacrilegus Verres; referebant navibus altis Occulta spolia, & plures de pace triumphos. d.i. Da kommen die Räuber und bringen ganze Schiffe voll geheimer Beute und Siegeszeichen, die sie im Frieden erobert haben. Das ärgste dabey für die armen Unterthanen ist, dass sie alle sechs Jahre neue Tyrannen bekommen, und folglich einer unaufhörlichen Abwechslung von Unterdrückungen unterworfen sind.“ (Blainville, Reisebeschreibung, Bd. , S. f.). Ähnlich auch Anonymus, Voiage Historique et Politique de Suisse, S. („Mais là, la punition étant arbitraire, elle s′étend autant que le Baillif le trouve à propos, & pour peu ques a conscience soit large, il fait si bien faire venir l′eau au Moulin, pendant ses six années;“). In Eustache Le Nobles siebten Dialog seiner Fable du Renard warnt die personifizierte Schweiz ihre „Schwester“ Hollande, dass zuviel Autorität des Statthalters die Freiheit der Niederlande gefährden würde. Die Statthalter werden als „Usurpatoren“ bezeichnet, die nicht mal den Schatten der Freiheit übriglassen würden. In der eingeschobenen Fabel erscheint der Statthalter als Fuchs, der die Gänse versklavt. (Noble, La Pierre de Touche Politique, , S. – , Hier: S. , S. , S. , S. – ). Abschließend warnt „La Suisse“ noch einmal eindringlich: „Toute l’Europe ne te regarde plus que comme l’esclave d’un Tyran qui t’a mis aux fers.“ (Noble, La Pierre de Touche Politique, S. ). Saint Didier, La Ville et la Republique de Venise, S. .
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4 Freiheit
La Republique ne croit pas qu’elle doive remedier à ces desordres, ny arrêter le cours du libertinage: elle le tient au contraire pour une maladie necessaire à l’Estat, laquelle comme une lethargie assoupit l’humeur boüillante de la jeunesse, n’affoiblit pas seulement les forces de ceux dont le naturel impetueux seroit à craindre […]. De sorte que le jeune Noblesse s’adonnant entierement à la recherche de tous les plaisirs, dont elle est capable, ne medite point de nouveautez prejudiciables à l’Estat, & attend sans impatience le rang, & les dignitez que l’Age, & sa qualité luy peuvent donner dans la Republique.⁸
Feststellung und Formulierung Saint-Didiers erinnern stark an Amelot de la Houssayes Darstellung des moralisch verkommenen und korrupten venezianischen Adels, der den Adel der Terra Ferma unterdrücke und die übrige Bevölkerung Venedigs still und unpolitisch halte, indem er ihr eine falsche Freiheit vorgaukle.⁹ Auch die Staatsbeschreibungen im Reich griffen diesen Topos auf. So hält Nicolaus Hieronymus Gundling fest: Die Haupt-Maxime des Senats ist es, daß er das Volck bey der Lust erhält, es in luxu, Faulheit, Schwelgerey und aller Ueppigkeit leben lässet. Denn dieses ist das beste Mittel sie feige und verzagt zu machen; da bekümmern sie sich nicht um die Regierung, lernen gehorsam seyn, und dencken Wunder, wie glückliche Leute sie sind. Daher meynen sie auch, die Libertas Veneta bestehe darinnen, wann sie allen denjenigen Lastern, die nur der Regierung keinen Schaden thun, ungestraft ergeben seyn können.¹⁰
Gerade bei dem Themenkomplex der Freiheit ist die Orientierung der Autoren in ihren Aussagen an anderen textlichen Vorläufern auffällig. Dabei waren erneut jene Texte vorbildlich, in denen zwischen 1650 und 1676 die Modifikation der bis dato vorherrschenden Aussagen über die Republiken greifbar wird. Amelots kritische Aussagen über die venezianische Freiheit wurden genauso aufgegriffen wie Jean de Parivals sehr positive Aussagen über die Freiheit in der Provinz Holland – auch wenn diese Aussagen nun oft mit Blick auf die gesamten Vereinigten Pro-
Saint Didier, La Ville et la Republique de Venise, S. . Vgl. De la Houssaye, Histoire, S. : „Le Sénat contente le Peuple en le laissant vivre dans l’oisiveté & dans la débauche, n’y aiant pas de meilleur moien de l’avilir & de le rendre obéissant, que de ne lui contrôler point ses plaisirs & cette vie licentieuse, qu’il nomme liberté, quoique ce soit en éfet le principal instrument de sa servitude.“ Vgl. auch Kapitel II. der vorliegenden Arbeit. Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. f.Vgl. ähnlich auch Schmeizel, Einleitung zur Staatswissenschaft, S. : „Die Staats-Maximen gehen entweder das innerliche Interesse des Senats, oder der gesammten Republic an, oder sie sehen auf auswärtige Potenzen und Staaten. Nach der ersten Absicht, muß dem Volck alle Gelegenheit beschnitten werden, an seine ehemahlige Teilhabung am Regiments-Ruder zu gedencken. Dahin gehöret, demselben gewisse Arten von Wollust und lustigen Zeit-Vertreib zu vergönnen, und also zu verhindern, an Staats-Sachen zu gedencken.“ Ähnlich auch: Burnet, Burnet’s Travels, S. .
4.1 Freiheit im Freistaat?
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vinzen getätigt wurden. Parival hatte 1651 festgehalten, dass keine Provinz der Welt eine solche Freiheit genießen würde wie Holland. Diese Freiheit sei noch dazu gepaart mit einer solchen Harmonie, dass keine Bevölkerungsgruppe eine andere dominieren könne.¹¹ Parival definierte dabei Freiheit als Freiheit von Zwängen. In Holland gebe es weder Sklaverei noch Leibeigenschaft.¹² Jeder, der seinen Fuß auf holländischen Boden setze, sei frei von allen vorherigen Besitzansprüchen seines vorausgegangenen Herrn.¹³ Ein jeder sei „König in seinem Haus“, genieße Reisefreiheit und das Recht, das Land zu verlassen.¹⁴ Jeder habe Gewissensfreiheit und niemand würde aufgrund seiner Religion verfolgt oder gezwungen, zum reformierten Glauben zu konvertieren.¹⁵ Jeder habe das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch in politischen Angelegenheiten, und könne nach seiner eigenen Façon leben.¹⁶ Sehr ähnlich beschreibt François Michel Janiçon 1729 in dem bereits oben angeführten Textabschnitt: Liberté entière est accordée à tous les Habitans. Outre la liberté de conscience, il regne dans toutes les Provinces une autre liberté politique, que l’on ne voit dans aucune Monarchie absolue. Tout le monde y est égal en quelque manière, les Petits ne peuvent être opprimez par les Grands, ni les Pauvres par les Riches. Les Magistrats sont obligez de maintenir les privilèges des Bourgeois & des Habitans, & de les garantir de toute oppression; chacun est maitre chez soi, & c’est un crime, que de faire violence à un Homme dans sa maison. La liberté de parler de toutes choses, & même de ce qui regarde le Gouvernement, est si grande, qu’elle se convertit quelquefois en licence; & ce qui, à cet égard, passeroit dans d’autres Païs pour un crime capital n’est puni dans celui-ci, que fort légèrement, à moins que de pareils discours ne tendent à la sédition. Dès que les Magistrats, ou autres personnes considerables, veulent se faire respecter par des manières hautaines & imperieuses, il se rendent odieux, & s’attirent le mépris du Peuple. La meilleure voie pour se faire aimer & considerer est d’avoir une communication libre & familière, & de faire paroître un air populaire & exemt de tout orgueil. Cette liberté s’étend jusqu’aux Etrangers qui viennent
Vgl. Parival, Les Délices, S. : „Il n’y a point aujourd’hui de Province en tout le monde qui joüisse de tant de liberté que la Hollande, avec une si juste harmonie, que les petits ne peuvent estre gourmandés par les grands, ny les pauvres par les riches & les opulens.“ Vgl. hier und im Folgenden auch Kapitel II. der vorliegenden Arbeit. Parival, Les Délices, S. : „La Hollande ne souffre point de serf ny d’esclave […].“ Parival, Les Délices, S. f. Parival, Les Délices, S. f.: „Un chacun est Roy dans sa maison, & c’est un crime tres dangereux d’avoir violanté un Bourgeois dans la sienne […]. On peut voyager librement par toute la Hollande. […] Personne n’est obligé de demeurer icy plus qu’il ne veut, comme en de certains païs; un châcun peut entrer & sortir quand bon luy semble.“ Parival, Les Délices, S. : „La liberté de conscience est accordée à tout le monde, personne n’est recherché pour sa Religion, ni forcé d’aller à l’Eglise Reformée, ny hay même par les vrais Hollandois […].“ Parival, Les Délices, S. : „La liberté de parler de tout, même des Magistrats, est si grande, qu’elle passe en licence.“ Und S. : „[…] un châcun s’habille à sa mode & comme il luy plait.“
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4 Freiheit
s’établir dans ce Païs, & qui jouissent des mêmes avantages que les Habitans naturels, excepté qu’ils ne peuvent parvenir aux Charges politiques; mais leurs Descendans y sont admis, quand ils ont été reçus Bourgeois, & qu’ils se sont distinguez par leur bonne conduite, & par leur zèle pour le bien de la République.¹⁷
Auch andere – vornehmlich anonyme französische – Autoren griffen die Formulierungen ganz oder in Auszügen nahezu wörtlich auf.¹⁸ In den bisher angeführten Aussagen treten sehr unterschiedliche Definitionen und Ideen von Freiheit zu Tage: Freiheit als freie Verfügung der Einwohner („libre disposition de tous les sujets & sur tout le Peuple“) über sich selbst in dem Sinn, dass sie ungestraft allen ihren Neigungen nachgehen dürften (Saint Didier, Gundling); Freiheit als Freiheit von Zwängen (Parival, Janiçon); Freiheit als Sammelbegriff, der mehrere Freiheiten inkludiere (Reisefreiheit, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung, Freiheit der Lebensgestaltung) (Parival, Janiçon); Freiheit als Sicherheit des Eigentums und Verfügungsgewalt über dasselbe („chacun est maitre chez soi, & c’est un crime, que de faire violence à un Homme dans sa maison“) (Janiçon, Parival); Freiheit als Gegenteil von Despotie, Willkür und absoluter Monarchie; persönliche Freiheit als Gegenteil von Sklaverei und Leibeigenschaft (Shaw, Anonymus 1707, Parival, Janiçon); Freiheit als nicht hinreichend definiert durch „libertinage“ (Amelot, SaintDidier, Gundling). Darüber hinaus finden sich spezifizierende Adjektive, die auf eine bestimmte Art von Freiheit verweisen, etwa „publick liberty“ (Shaw) oder „liberté politique“, die eine Gleichheit beinhalte sowie die Verpflichtung der politisch Verantwortlichen, die Privilegien der Einwohner zu schützen und zu garantieren (Janiçon). Diese Vielfalt an unterschiedlichen Aspekten, die in diesen Aussagen als notwendige, einzelne Definitionsmomente von Freiheit in Erscheinung treten, verweist auf die Spannbreite der Rezeptionsstränge und den Stellenwert von Freiheit als Norm und Idee in frühneuzeitlichen Auseinandersetzungen und Prozessen. Sie verweist aber vor allem auf unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit in den hier betrachteten Quellentexten, also bei Autoren, die untereinander gut vernetzt waren, deren Texte in ihrer Gattungsanlage sehr schematisch und dadurch auch sehr ähnlich waren und die sich mit denselben Untersuchungsgegenständen, nämlich den zeitgenössischen Republiken, beschäftigten. Allen hier betrachteten Autoren war die Ansicht gemein, so lassen die Aussagen
Janiçon, État présent, S. f. So etwa Anonymus, A new Description of Holland, S. (die Bemerkungen im Text lassen darauf schließen, dass der anonyme Autor Franzose ist); Parival, Les Délices, , S. – .
4.2 Freiheit der Alten vs. Freiheit der Modernen
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erkennen, dass Freiheit als eine Norm, also als eine regulative Zielidee bei der Gestaltung des bestmöglichen Staates, fungieren müsse. In der Frage, wie diese Freiheit aber inhaltlich gefüllt werden solle, gab es unterschiedliche Auffassungen. Im Folgenden sollen diese Unterschiede noch klarer herausgearbeitet werden und die umfangreiche Forschung zu Freiheit als (politische) Idee in der Frühen Neuzeit vor allem unter dem Gesichtspunkt zusammengefasst werden, ob sich Kategorien respektive Forschungsbegrifflichkeiten finden lassen, mit denen sich diese Unterschiede und deren Nebeneinander fassen lassen.
4.2 Freiheit der Alten vs. Freiheit der Modernen 1765, also siebzehn Jahre nach Montesquieus De l’esprit des loix und dreizehn Jahre nach Humes Idea of a Perfect Commonwealth und damit dem Ende des Untersuchungszeitraumes der vorliegenden Arbeit, unterschied Johann Gottfried Herder (1744– 1803) zwischen einer Freiheit „der Alten“ und einer neuen Freiheitsidee. Während die erste darauf gezielt habe, „selbst das Rad des Staates lenken zu wollen“, meine die neue „feinere und mäßigere Freiheit, die Freiheit des Gewissens […], die Freiheit, unter dem Schatten des Thrones seine Hütte und Weinstock in Ruhe genießen zu können und die Frucht seines Schweißes zu besitzen; die Freiheit, der Schöpfer seines Glückes und seiner Bequemlichkeit, der Freund seiner Vertrauten und der Vater und Bestimmer seiner Kinder sein zu können.“¹⁹ Herder stellte also ein Verständnis von Freiheit als Recht zu aktiver politischer Beteiligung einem Verständnis von Freiheit als Abwesenheit von Einschränkungen und Vorschriften beim privaten Eigentum und bei allen Entscheidungen der persönlichen Lebensführung gegenüber. 1819 unterschied der aus Lausanne stammende, politisch aktive Publizist Benjamin Constant (1767– 1830), der zwei Jahre zuvor erneut in die französische Abgeordnetenkammer gewählt worden war, ebenfalls, aber in der Rezeption viel
Herder, Johann Gottfried: Haben wir noch jetzt das Publikum und Vaterland der Alten?. In: Herder, Johann Gottfried: Sämtliche Werke. Bd. . Hrsg. von Bernhard Suphan. Berlin (ND Hildesheim ). S. – . S. f. Dabei betont Herder zugleich, dass hinsichtlich der politischen Beteiligung „[…] nach den heutigen Staatseinrichtungen keine eigentliche Demokratie und Regierung des Volkes mehr möglich ist.“ (Herder, Haben wir noch jetzt das Publikum, S. ). Vgl. auch Gelderen, Martin van/Schmidt, Georg/Snigula, Christopher: Einleitung. In: Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa ( – ). Hrsg. von Martin van Gelderen, Georg Schmidt u. Christopher Snigula. Frankfurt a.M. [u. a.] (Jenaer Beiträge zur Geschichte ). S. – . S. .
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4 Freiheit
wirkmächtiger als Herder, zwischen der „liberté des anciens“ und der „liberté des modèrnes“.²⁰ Auch er sah das Freiheitsverständnis der Alten durch die kollektive Freiheit zur politischen Beteiligung definiert.²¹ Und auch er sah das Freiheitsverständnis der Modernen als Freiheit, das Eigentum sowie die persönlichen Grundrechte und Lebensentscheidungen frei von dem Einfluss „willkürlicher Willensentscheidungen einer oder mehrerer Personen“ genießen und treffen zu können.²² Dabei betonte Constant, vor allem auch vor dem Erfahrungshintergrund der Französischen Revolution, die Pflicht der politischen Institutionen, diesen uneingeschränkten Genuss zu garantieren. Diese Rechtsgarantien seien dabei selbst der Kern des modernen Freiheitsverständnisses: „Le but des anciens était le partage du pouvoir social entre tous les citoyens d′une meme patrie. C′était là ce qu ′ils nommaient liberté. Le but des modernes est la sécurité dans les jouissances privées; et ils nomment liberté les guaranties accordées par les institutions à ces jouissances.“²³ Constant, der die Genese dieses Unterschiedes nicht der politischen Sozialisation in unterschiedlichen Verfassungsformen, sondern vielmehr einem durch Handel, große Territorialstaaten und Aufklärung geprägten „Zeitgeist“ zuschrieb,²⁴ sah dabei die „liberté individuelle“ und die „liberté politique“ nicht als zwei sich einander ausschließende Zustände an. Vielmehr forderte er die bürgerliche Freiheit mit anderen Formen der politischen Freiheit, nämlich der gebildeten Auseinandersetzung mit Politik und der Wahl von Repräsentanten, die dann die Souveränität des Gemeinwesens ausüben.²⁵ Denn das Repräsentativ-
Constant, Benjamin: De la liberté des anciens comparée à celle des modernes. Discours prononcé à l’Athénée royal de Paris en . In: Constant, Benjamin: Écrits politiques. Hrsg. von M. Gauchet. Paris . S. – . Constant, De la liberté, S. : „Comparez maintenant à cette liberté celle des anciens. Celle-ci consistait à exercer collectivement, mais directement, plusieurs parties de la souveraineté tout entire, […]; mais en meme temps que c′était là ce que les anciens nommaient liberté, ils admettaient, comme compatible avec cette liberté collective, l’assujettissement complet de l’individu à l’autorité de l’ensemble.“ Constant, De la liberté, S. f.: „Demandez-vous d′abord, Messieurs, ce que de nos jours un Anglais, un Français, un habitant des Etats-Unis de l′Amérique, entendent par le mot de liberté? C′ est pour chacun le droit de n′être soumis qu′aux lois, de ne pouvoir ni être arête, ni détenu, ni mis à mort, ni maltraité d′aucune manière, par l′effet de la volonté arbitraire d′un ou plusieurs individus. C′est pour chacun le droit de dire son opinion, de choisir son industrie et de l′exercer; de disposer de sa propriété, d′en abuser même. […] C′est, pour chacun, le droit de se réunir à d′autres individus […]. Enfin, c′est le droit, pour chacun, d′influer sur l′administration du gouvernement […].“ Constant, De la liberté, S. . Constant, De la liberté, S. : „il faut l’attribuer à l’esprit opposé des temps anciens et des temps modernes.“ Constant, De la liberté, S. – .
4.2 Freiheit der Alten vs. Freiheit der Modernen
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system war für ihn „le seul à l’abri duquel nous puissions aujourd′hui trouver quelque liberté et quelque repos.“²⁶ Die Forschung griff Constants Unterscheidung im 20. Jahrhundert auf. Der Sozialphilosoph Isaiah Berlin (1909 – 1997) unterschied in seinen 1969 publizierten Four Essays on Liberty angesichts radikaler Ausprägungen und Tendenzen von Nationalismus, Faschismus und Kommunismus zwei Arten von Freiheit: Positive und Negative Freiheit.²⁷ Während erstere die politische Selbstbestimmung meine, also die Freiheit zur politischen Beteiligung an der eigenen Regierung, bezeichne Negative Freiheit die Freiheit des Individuums von Zwang, Einmischung und Kontrolle.²⁸ Dabei sei Freiheit in diesem Sinne nicht unvereinbar mit manchen Arten von Autokratie und setze jedenfalls politische Selbstverwaltung nicht voraus.²⁹ In der Forschung wird Berlins Unterscheidung oftmals mit derjenigen von Constant gleichgesetzt und zugleich als Grundlage genommen, um zwei unterschiedliche historische Traditionen und Spielarten, über Freiheit zu sprechen, nämlich eine republikanische und eine liberale, zu definieren und zu kategorisieren.³⁰ Während die republikanische Tradition Freiheit als historisches und tugendhaftes Kollektivprivileg verstehe, das jederzeit verlustgefährdet sei und zugleich eine Verpflichtung des Einzelnen zu aktiver politischer Beteiligung bedeute, fasse die liberale Tradition Freiheit als präpolitischen, naturrechtlich begründeten Zustand der uneingeschränkten Verfolgung persönlicher Interessen, der von staatlichen Institutionen zu garantieren sei.³¹ Berlin selber spricht von einer „liberal tradition“, zu deren Vertretern er neben John Stuart Mill (1806 – 1873) und Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) vor allem auch Benjamin Constant zählt. Diese liberale Tradition habe auf Freiheit im negativen Sinne abgezielt und diese Constant, De la liberté, S. . Berlin, Isaiah: Four Essays on Liberty. Oxford . Die maßgebliche Unterscheidung zwischen „positive [and] negative liberty“ trifft Berlin im dritten Essay. Vgl. unter anderem Berlin, Four Essays, S. : „Political liberty in this [negative] sense is simply the area within which a man can act unobstructed by others. If I am prevented by others from doing what I could otherwise do, I am to that degree unfree; and if this area is contracted by other men beyond a certain minimum, I can be described as being coerced, or, it may be, enslaved.“ vs. „The ‘positive’ sense of the word ‘liberty’ derives from the wish on the part of the individual to be his own master.“ (S. ) und S. : „The former want to curb authority as such. The latter want it placed in their own hands. That is the cardinal issue.“ Berlin, Four Essays, S. f.: „It is that liberty in this sense is not incompatible with some kinds of autocracy, or at any rate with the absence of self-government. […] Freedom in this sense is not, at any rate logically, connected with democracy or self-government.“ Vgl. etwa zuletzt Maissen, Thomas/Oz-Salzberger, Fania: Introduction. In: The Liberal-Republican Quandary in Israel, Europe, and the United States. Early Modern Thought meets Current Affairs. Hrsg. von Thomas Maissen und Fania Oz-Salzberger. Boston . S. – . S. . Vgl. Maissen/Oz-Salzberger, Introduction, S. .
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4 Freiheit
gleichzeitig an die Notwendigkeit einer Garantie durch Recht und Gesetz geknüpft.³² In der ideengeschichtlichen Forschung traf Berlins bipolare Unterscheidung vor allem bei anglo-amerikanischen Vertretern auf Kritik.³³ Während positive Freiheit tatsächlich eine ganz bestimmte Art von Freiheit als Freiheit zu aktiver politischer Beteiligung des Einzelnen fasse, habe es mehrere historische Varianten gegeben, über individuelle Freiheit als Abwesenheit von Einschränkung nachzudenken.³⁴ So betont etwa Quentin Skinner, dass es neben dem „klassisch liberalen“ Verständnis von Freiheit auch jene Autoren gegeben habe, die individuelle Freiheit notwendig an Rechtsstaatlichkeit geknüpft hätten und dabei zugleich politische Beteiligung, allerdings vornehmlich innerhalb eines Repräsentativsystems, als notwendige Voraussetzung angesehen hätten, individuelle Freiheit zu erhalten.³⁵ Er spricht dabei mit Blick auf Thomas Hobbes, James Harrington, Marchamont Nedham und anderen englischen Autoren des 17. Jahrhunderts von „neo-roman writers“ und einer „neo-roman theory“.³⁶ In den hier betrachteten Aussagen über die Freiheit in den zeitgenössischen Republiken findet sich keine, die ausdrücklich Freiheit im Sinne der „liberté des anciens“ als Freiheit zu politischer Beteiligung definiert. Eine solche Vorstellung von positiver Freiheit klingt lediglich ex negativo in der Kritik an der politischen Klasse Venedigs an, die die Freistellung von jeglicher Beteiligung und den uneingeschränkten Genuss aller individuellen Vorlieben, bewusst täuschend, als „Freiheit“ deklarieren würde. Auch die Idee, dass Freiheit das Kollektivum historisch erworbener Privilegien meine, die es zu schützen gelte, klingt lediglich vereinzelt an – so etwa in den deutschen Überblicksdarstellungen der Geographen Gude (um 1708) und Keilhacker (1699)³⁷ und in den Reiseberichten von Breval
Vgl. Berlin, Four Essays, S. . Vgl. dazu auch Van Gelderen/Schmidt/Snigula, Einleitung, S. f. Vgl. Skinner, Liberty before Liberalism, S. : „Berlin in effect equates (or confuses) the ‘negative’ idea of liberty with the classical liberal understanding of the concept, and he contrasts this understanding with what he calls the ‘positive’ concept of liberty as self-realisation. I agree that the ‘positive’ view must amount to a separate concept. Rather than connecting liberty with opportunities for action – as in the neo-roman as well as in the liberal analysis – the ‘positive’ view connects liberty with the performance of actions of a determinate type.“ Vgl. etwa Skinner, Liberty before Liberalism, S. : „The writers I am discussing merely argue that participation (at least by way of representation) constitutes a necessary condition of maintaining individual liberty.“ Vgl. Skinner, Liberty before Liberalism, Passim. Gude, Staat der Schweitzerischen Eidgenossen,S. ; Keilhacker, Des Curieusen Hoffmeisters, S. : „Sie [die Eidgenossen] sind grosse Liebhaber ihrer alten Freyheiten/ welche sie auch mit Blute zu bestätigen sich nicht gescheuet.“
4.3 Divergierende Deutungsmuster
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(1726) und Patin (1674).³⁸ Auch François Michel Janiçon (1729) und Onslow Burrish sprechen von Privilegien bzw. Freiheiten. Beide Autoren verweisen aber zugleich auf Freiheit als Sicherheit des Eigentums,³⁹ Janiçon zudem auf Freiheit als Abwesenheit von Sklaverei und als garantierte, uneingeschränkte Ausübung einzelner persönlicher Freiheiten.⁴⁰ Argumentation und Rhetorik der hier betrachteten Aussagen lassen daher insgesamt kaum noch eine „republikanische Sprache“ erkennen. Sie sind vielmehr Ausdruck eines Wandels in der politischen Sprache beziehungsweise im Sprechen über Freiheit hin zu einer „liberalen Tradition“ im Sinne Isaiah Berlins. Ein Verweis auf die Notwendigkeit einer veränderten politischen Beteiligung über den Weg der Repräsentation, wie Constant es für die Garantie der „liberté des modernes“ forderte und Skinner für die „neoroman writers“ konstatiert, taucht in den hier betrachteten Aussagen im Zusammenhang mit dem Freiheitsbegriff so nicht auf.
4.3 Divergierende Deutungsmuster Wohl aber sind durchaus nationale und gruppenspezifische Unterschiede beziehungsweise Schwerpunkte erkennbar, die die Forschung zu frühneuzeitlichen Freiheitsvorstellungen jüngst stark betont hat.⁴¹ Die Aussagen Nicolaus Hieronymus Gundlings beispielsweise fügen sich klar in eine Tradition einer „deutschen Freiheit“, die sich seit dem 16. Jahrhundert als überkonfessionelles, identitätsstiftendes Deutungsmuster entwickelt hatte.⁴² Als wesentliche Definitionsmomente dieser „deutschen Freiheit“ kristallisierten sich – in der Abgrenzung gegenüber den Interessen der Habsburger und in Abgrenzung gegenüber den expansiven Bestrebungen der europäischen Nachbarn – Eigentumssicherheit und Abwesenheit von Despotie heraus.⁴³ In Gundlings Aussagen über die Freiheit in
Breval, Remarks on Several Parts of Europe, , S. – . Breval führt hier den Rütlischwur und die Tell-Legende an und bezeichnet diese als „Basis of the Swiss Liberty“ (S. ); Patin, Charles: Relations Historiques et voyages curieuses. Paris . S. f. (Die Niederländer hätten Privilegien vom Kaiser erhalten und diese gegen die Spanier verteidigt). Siehe Burrish, Batavia Illustrata, S. . Siehe Janiçon, État présent, S. f. Vgl. etwa die Beiträge in van Gelderen/Schmidt/Snigula, Kollektive Freiheitsvorstellungen; und die Beiträge in Skinner, Quentin/van Gelderen, Martin: Freedom and the Construction of Europe. Bde. Cambridge . Vgl. Schmidt, Georg: Die Idee „deutsche Freiheit“. Eine Leitvorstellung der politischen Kultur des Alten Reiches. In: van Gelderen/Schmidt/Snigula, Kollektive Freiheitsvorstellungen, S. – , Hier: S. – . Vgl. Schmidt, Die Idee „deutsche Freiheit“, S. – .
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4 Freiheit
den von ihm betrachten Republiken sind genau diese zwei Elemente präsent. Das spezifische Deutungsmuster von Freiheit ist damit als Wertmaßstab in der Darstellung anderer Gemeinwesen bei Gundling ersichtlich. So hält Gundling mit Blick auf die Vereinigten Provinzen fest: „Alle Leges sind in Holland so eingerichtet, daß ein jeder in Friede und Ruhe sitzen kann.“⁴⁴ Und er vergleicht jene mit Venedig: „[…] hingegen in Holland wohnt man gern; auch ist da Lenitas Imperii. Wo despotisch regieret wird, da kriegt der Unterthan seine Früchte nicht zu geniessen; die Herrn erndten, wo sie nicht gesäet haben. Keiner weiß, ob er das Seinige behalten wird, e. g. in Venedig. […] Atrocitas Imperii stehet niemanden an: Lenitas & Libertas sind die Säulen von Holland.“⁴⁵ Genauso urteilt er auch über die Eidgenossenschaft: „Ferner haben sie ein douces Regiment, da kein Despotismus ist; daher sie auch ihre eigene Hand-arbeit geniessen können, dessen sich diejenigen so unter despotischer Regierung stehen, nicht zu freuen haben.“⁴⁶ Während die „deutsche Freiheit“ dabei zunächst auf spezifische Freiheiten im Sinne von garantierten Privilegien rekurrierte und als nicht vereinbar mit den seit 1495 anlaufenden Bestrebungen, das Römische Recht als Reichsrecht zu etablieren, angesehen wurde,⁴⁷ wurden diese Freiheiten seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in naturrechtlich begründete und justiziable Individualrechte überführt.⁴⁸ Eigentum wurde dabei zunehmend (und anders als bei Hobbes) als im Naturzustand begründeter Rechtstitel angesehen, der aber durch das positive Recht modifizierbar sei.⁴⁹ Entwürfe einer expliziten Privatrechtsordnung, wie Leibniz’ Codex Leopoldinus (ca. 1666 – 1689), zielten dabei auf den rechtlichen Schutz des Privateigentums. Innerhalb eines solchen Privatrechts wurde der Bürger als in seinen Handlungen frei, selbstbestimmt und eigentumsberechtigt
Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. . Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. . Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. . Vgl. Lee, Daniel: Roman Law, German Liberties and the Constitution of the Holy Roman Empire. In: Skinner/van Gelderen, Freedom and the Construction of Europe, Bd. , S. – , S. – ; Schulze, Winfried: Ständische Gesellschaft und Individualrechte. In: Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft. Hrsg. von Günter Birsch. Göttingen (Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte ). S. – . S. f. Vgl. Schmidt, Die Idee „deutsche Freiheit“, S. – ; Schulze, Ständische Gesellschaft, S. – ; Lee, Roman Law, S. . Vgl. Link, Christoph: Naturrechtliche Grundlagen des Grundrechtsdenkens in der deutschen Naturrechtslehre des . und . Jahrhunderts. In: Birsch, Grund- und Freiheitsrechte, S. – , S. – .
4.3 Divergierende Deutungsmuster
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angesehen.⁵⁰ Der Staat sei nicht berechtigt, über das Eigentum zu verfügen und habe dessen Schutz zu garantieren.⁵¹ Selbstbestimmung und Eigentum waren auch zentrale Faktoren in der englischen Diskussion um Freiheit. Die hier betrachteten Aussagen über Freiheit englischer Autoren in ihren Abhandlungen über die zeitgenössischen Republiken lassen dabei gar rhetorische Muster erkennen, die auf bestimmte politische Fraktionen verweisen – allerdings vornehmlich dann, wenn diese Autoren auf England selbst als Vergleichsmoment verwiesen. Wenn der anonyme Sarpi-Herausgeber 1701 etwa der krankenden venezianischen Republik England als ideales Gegenbild gegenüberstellt, „[…] where every Man fit securely under his own Figtree, and peaceably enjoy the fruits of his own Labours“,⁵² so verweist das genau auf jene jakobinische Rhetorik, die sich im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts gegen eine „Tyrannis“ und die Realitäten des herrschenden Regimes wandte und das Geschlecht der Stuarts wieder an die Macht bringen wollte.⁵³ Mandeville hatte diese Bestrebungen 1714 in seiner Fable of the Bees persifliert: Ohne Luxus und Geld würde England zum Hort der Gerechtigkeit werden, „where every man should enjoy the fruits of his own labour.“⁵⁴ Onslow Burrish hingegen, der seine Abhandlung über die Vereinigten Provinzen 1728 Robert Walpole widmete und ihn als erfolgreichen Vermittler in einer England schwächenden innenpolitischen Auseinandersetzung pries, bediente sich klar bestimmter sprachlicher Muster seiner regierungstreuen Court-WhigBewegung. Diese hatten die Bill of Rights vor allem als Dokument des Ausgleichs zwischen Krone und Volk bezeichnet und damit die Verfassungswirklichkeit nach
So zum Beispiel Gundling, Ausführlicher Discours über das Natur- und Völcker-Recht, S. : „Libertas bestehet darinnen, wenn ich thun kan, was ich will, possum facere, quod placet.“ Vgl. auch Klipper, Diethelm: Persönlichkeit und Freiheit. Das „Recht der Persönlichkeit“ in der Entwicklung der Freiheitsrechte im . und . Jahrhundert. In: Birsch, Grund- und Freiheitsrechte, S. – , S. f. Merio Scatolla bezeichnet Gundling als „Ausnahme“ im deutschen Naturrecht, da er sich positiv zu Hobbes äußert. Grundsätzlich sei die Rezeption der Hobbesschen Gedanken bei Gundling und der gesamten sog. „Thomasius-Schule“ sehr stark. (Scatolla, „Ein Stein des Anstoßes“, S. – , S. – ). Vgl. Luig, Klaus: Die Privatrechtsordnung im Rechtssystem von Leibniz. In: Birsch, Grund- und Freiheitsrechte, S. – , Hier: S. f. und S. ; Link, Naturrechtliche Grundlagen, S. . Anonymus, The Maxims of the Government of Venice, Preface, S. xxxv. Vgl. dazu Goldie, Mark:The English System of Liberty. In:The Cambridge History of EighteenthCentury Political Thought. Hrsg. von Mark Goldie u. Robert Wokler. Cambridge . S. – . S. – . Mandeville, The Fable of the Bees, Bd. , S. ; Vgl. Hont, The early Enlightenment Debate, S. f.
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1688/89 als ausgeglichene Mischung von „Vorrecht und Freiheit“ propagiert.⁵⁵ Dementsprechend hält auch Burrish in seiner Abhandlung über die Niederlande fest: „The just Mixture of Prerogative and Liberty, which is to be found in the Constitution of England, has long made it the Envy and Admiration of our Neighbours.“⁵⁶ Aussagen über Freiheit waren also auch immer Teil identitätsstiftender und mobilisierender Strategien, die eigene Vorstellungen und Errungenschaften von anderen abzugrenzen halfen.⁵⁷ Dass dies besonders auch für die nationalen Kollektiventwürfe der Republiken galt, erfassten bereits die zeitgenössischen Beobachter. „Liebe“ und „unbedingte Leidenschaft“ für die Freiheit seien Kennzeichen dieser (vor allem der niederländischen und der eidgenössischen) Republiken.⁵⁸ Gründungsmythen und Symbolik wurden diesbezüglich in der Darstellung von außen zum Teil noch nach 1676 unreflektiert übernommen. Der politisch breit rezipierte Reiseberichtsautor John Breval (1680/81– 1738), der die Geschichte der Eidgenossenschaft 1726 als Entfaltungsprozess von „desire of liberty“ und „republican spirit“ beschreibt,⁵⁹ konstatiert bezüglich Tells Apfelschuss: „This bold enterprise was the Basis of the Swiss Liberty.“⁶⁰ Der norddeutsche Geograph Heinrich Ludwig Gude stellt seinem „Staat der Vereinigten Niderländer“ um 1708 einen Kupferstich der holländischen Magd mit Freiheitshut voran, den er im Anschluss erläutert: Eine Dame welche, von gütigen Himel mit allen Gemüths/ und Leibes Vollkommenheiten/ von dem gewogenen Glücke mit seinen kostbarsten Schätzen begnadigt worden/ findet bald
Vgl. Hellmuth, Eckhart: Die Debatte um die Bill of Rights im . Jahrhundert. In: Birsch, Grundund Freiheitsrechte, S. – , S. f. Burrish, Batavia Illustrata, Widmung, S. ii. Vgl. dazu auch van Gelderen/Schmidt/Snigula, Einleitung, S. . Siehe etwa Patin, Relations Historiques et Curieuses des Voyages, S. (CH) und f. (NL); Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. (CH); Gude, Staat der Schweitzerischen Eidgenossen, S. ; Bianchi, An Account of Switzerland, S. f. und S. ; Keilhacker, Des Curieusen Hoffmeisters Geographisch-Historisch-und Politischer Wissenschafften, S. ; Jordan, Voiages Historiques, Bd. ,, S. (NL); Gude, Staat der Vereinigten Niderländer, Vorwort (o.P.); Basnage, Annales des Provinces-Unies, Bd. , Widmung (o.P.); Anonymus, A new Description, S. („They love Libertie, and will sacrifice their Lives and Estates to preserve it.“); Schmeizel, Einleitung zur Staats-Wissenschafft, S. (NL); Gude, Staat der Republique Venedig und Ragusa, S. f. (VE). Breval, Remarks on Several Parts of Europe, Bd. II, , S. – . Breval war Kind französischer Immigranten und stand den Whigs nahe. Viele seiner Schriften tragen propagandistische Züge. Sein Reisebericht wurde aber gemäß Subscribentenliste in England politisch breit rezipiert. Vgl. dazu Rumbold, Art. Breval, John Durant. Breval, Remarks on Several Parts of Europe, Bd. II, S. .
4.3 Divergierende Deutungsmuster
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mehr als einen Liebhaber die umb die Wette sich ihrer Gunst zu bemächtigen suchen. […] Allein der durch die Fürsichtigkeit aus lauter Eintracht zusammen geflochtene Zaun/ samt den dabey wachenden Löwen hat bishero glücklich verwehret/ dass niemand ihr den purpurfarbenen Hut der Freyheit/ welchen sie par une noble sierte von ihrem Haupt auff kein fremdes Haupt setzen wollen/ par force entreissen können.⁶¹
Tell und Jungfrauenmythos waren Teil nationaler Identitätsmythen der eidgenössischen und niederländischen Republik, die innerhalb dieser Gemeinwesen auch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiter transportiert und mit spezifischen Freiheitsvorstellungen verknüpft wurden. In der Eidgenossenschaft existierten dabei mehrere Bedeutungszuschreibungen von Freiheit nebeneinander. Freiheit wurde seit dem Ende des 17. Jahrhunderts vor allem als Unabhängigkeit nach außen gedacht, im Sinne staatlicher Souveränität, die originär und nicht mehr als vom Kaiser abhängig aufgefasst wurde. Gleichzeitig konnte Freiheit aber auch die Abwesenheit von Tyrannis und die Freiheit zur politischen Partizipation bezeichnen.⁶² Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein, so betont Thomas Maissen in seinem jüngst erschienen Aufsatz, sei Freiheit in der Eidgenossenschaft aber vor allem kollektiv und im Plural gedacht worden. Träger der Freiheiten im Sinne von Privilegien waren die Städte und Gemeinden. Folglich durften allein Einwohner mit vollem Bürgerrecht an diesen Freiheiten partizipieren. Naturrechtlich begründete Vorstellungen einer individuellen Freiheit hätten sich in der Eidgenossenschaft erst nach 1750 und auch dann nur langsam entwickelt.⁶³ In den Vereinigten Provinzen wurde Freiheit hingegen bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vereinzelt genau so gedacht. Für die Gebrüder Johan und Pieter de la Court etwa, die in den 1660er Jahren in die intensiv geführte Debatte um die „ware vrijheit“ zwischen Vertretern der neuen statthalterlosen Regierungsform und Verteidigern der Oranier eintraten,⁶⁴ meinte Freiheit nicht länger die Verteidigung alter Privilegien. Freiheit, im Singular, war für sie ein
Gude, Staat der Vereinigten Niderländer, Vorrede (o.P.). Siehe auch Abbildung der vorliegenden Arbeit. Für die Darstellung der Vereinigten Provinzen als holländische Magd im hortus conclusus als Teil eines republikanischen Identitätsprogramms vgl. Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit und jüngst: Maissen, Thomas: Die Bedeutung der christlichen Bildsprache für die Legitimation frühneuzeitlicher Staatlichkeit. In: Religions-Politik I. Zur historischen Semantik europäischer Legitimationsdiskurse. Hrsg. von Georg Pfleiderer u. Alexander Heit. Zürich (Religion-Wirtschaft-Politik ). S. – . S. – . Vgl. dazu Maissen, Freiheitshut. Vgl. Maissen, Thomas: Liberty and Liberties in Europe’s Federal Republics. In: Skinner/van Gelderen, Freedom and the Construction of Europe, Bd. , S. – , S. – und S. – . Vgl. dazu Kapitel II. der vorliegenden Arbeit.
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Abb. 6: Gude, Heinrich Ludwig: Staat der Vereinigten Niderländer. o.O. o.J. Frontispiz. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)/Digitale Sammlungen aus: Hist.Belg.B.883.
4.3 Divergierende Deutungsmuster
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Rechtszustand des besitzenden Individuums.⁶⁵ Vor allem Spinoza (1632 – 1677) griff in der Folge diesen Gedanken auf und propagierte Freiheit als bedingungsloses, natürliches Recht des Einzelnen, das der Staat – am besten in Form eines kollektiven Souveräns – zu garantieren habe.⁶⁶ Zwischen 1670 und 1720 folgte eine Gruppe von Autoren um Ericus Walten (1663 – 1697), Romeyn de Hooghe (1645 – 1708) und Frederik van Leenhof (1647– 1713) Spinoza in dessen Freiheitsverständnis und demokratischer Ausrichtung.⁶⁷ Für sie erlangte dabei die Eidgenossenschaft mit ihren demokratischen Zügen viel stärkeren Vorbildcharakter als das „oligarchische“ Venedig.⁶⁸ Während diese Autoren eine mögliche Richtung des Nachdenkens über Freiheit in den Vereinigten Provinzen verkörperten, lassen sich für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem zwei weitere Tendenzen ausmachen. Es gibt jene, die in der sogenannten Zweiten statthalterlosen Periode (1702– 1747) gegen ein monarchisches Element in der Verfassung argumentierten und republikanische Freiheit als Abwesenheit von Sklaverei definierten. Dabei sei, wie etwa bei Lieven de Beaufort (1675 – 1730), die positive Freiheit zu politischer Beteiligung die notwendige Voraussetzung, um die negative Freiheit im Sinne des Schutzes von Eigentum und persönlicher Freiheit vor Eingriffen und Abhängigkeit zu erhalten.⁶⁹ Die aktive politische Beteiligung müsse daher allen Bürgern ermöglicht werden, so de Beaufort in der Abhandlung Verhandeling van de Vryheit in den Burgerstaat (posthum 1737), und nicht – wie etwa in Venedig – einer kleinen politischen Elite vorbehalten bleiben: In our republic, the office of City Councilor is not hereditary, but based on election, and everybody from the People or the Citizenry, provided he has the proper qualifications, can be elected to it, from which is evident that the Citizenry is not excluded from the government, as it is in Venice and Genoa.⁷⁰
Vgl. Maissen, Liberty and Liberties, S. ; Zur Rezeption von Hobbes bei Pieter de la Court vgl. auch Velema, Republicans, S. . Vgl. Maissen, Liberty and Liberties, S. f.; Israel, Enlightenment Contested, S. – . Jonathan Israel spricht diesbezüglich von einer Bewegung („movement“), die er als „Dutch Radical Enlightenment“ bezeichnet, die aber klar von der dominierenden politischen „Ideologie“ zu unterscheiden sei. Israel, Enlightenment Contested, S. und S. . Siehe etwa Hooghe, Romeyn de: Postwagen-Praetjen tussen Een Hagenaer, Amsterdammer Beneficiant, Schipper en Frans Koopman. o.O. , o.P.: „Sy willen Venetien sijn, haer Burgermeesterlijke geslachten de Signori en Cavallieri, om de Borgers te handelen, gelijk sy doen, trappende en treedende die op de necken, als even so veel Monarchen en Tyrannen, […].“; Vgl. auch Israel, Enlightenment Contested, S. f. Vgl. dazu Velema, Republicans, S. – . Velema bezeichnet gerade diese Vorstellung der Verbindung von positiver und negativer Freiheit als „classical republicanism“ (S. ). De Beaufort, Verhandeling van de Vryheit in den Burgerstaat, S. . Zitiert nach: Velema, Republicans, S. .
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Bei den Anhängern der Oranier hingegen, die stark mit der unbedingten Gültigkeit der althergebrachten Verfassung der Republik argumentierten, kündigte sich der Gedanke von Freiheit als Rechtsstaatlichkeit an. Allerdings, so Wyger Velema in seiner Untersuchung zur politischen Sprache in den Vereinigten Provinzen im 18. Jahrhundert, wurde diese Vorstellung erst nach 1750 mit Elie Luzac (1721– 1796) abstrakter und umfänglich diskutiert.⁷¹ Freiheit innerhalb des venezianischen Mythosnarrativs, das als stabilitätssichernder Faktor auch im 17. Jahrhundert weiter als Teil eines kollektiven Selbstverständnisses tradiert und propagiert wurde, meinte vor allem Freiheit als Unabhängigkeit gegenüber anderen Staaten und eine durch die Mischverfassung und deren Institutionen garantierte politische Freiheit des Bürgers, die aber nicht näher definiert wurde. Auch als die kollektive Identitätserzählung am Ende des 17. Jahrhunderts durch Amelot de la Houssaye und weitere Texte herausgefordert wurde, entfaltete sich in Venedig selbst noch keine grundlegende Debatte um die, gemäß Mythos, von der perfekten Mischverfassung garantierten Werte Freiheit, Stabilität, Eintracht und Gerechtigkeit. Erst in der Folge des Friedens von Passarowitz (1718), der umfangreiche Gebietsverluste Venedigs und damit eine stark reduzierte Machtbasis mit sich brachte, entstanden erste Schriften, die sich mit der Reformnotwendigkeit und den Reformmöglichkeiten der Lagunenstadt auseinandersetzen.⁷² Der Historiker, Dramatiker und Naturwissenschaftler Scipione Maffei (1675 – 1755) war in dieser Reihe der erste, der auch das politische System hinterfragte und nicht allein auf erneuerte Tugend, Neutralitätsstrategien oder Stärkung des Handels als heilende Mittel verwies.⁷³ Maffei, der zwischen 1732 und 1736 durch weite Teile Europas gereist war, stimmte durchaus in die von außen an Venedig herangetragene Rhetorik des (potentiellen) Niedergangs mit ein. Durch den konkreten territorialen und wirtschaftlichen Machtverlust sowie die immer stärker werdende Konkurrenz der anderen europäischen Staaten, die noch dazu expansiv ausgerichtet und machtbewusst handeln würden, sei Venedig – so Maffei in seinem um 1736 verfassten Suggerimento per la perpetua preservazione [ed esaltazione] della Repub Vgl. Velema, Republicans, S. – . Vgl. Pii, Eluggero: Republicanism and Commercial Society in Eighteenth-century Italy. In: Republicanism. A Shared European Heritage. Bd. . The Values of Republicanism in Europe. Hrsg. von Martin van Gelderen u. Quentin Skinner. Cambridge . S. – . S. f.; Venturi, Utopia and Reform in the Enlightenment, S. – . Als weitere Autoren in dieser Reihe sind unter anderem Gianfrancesco Pivati ( – ), Marco Foscarini ( – ) und Andrea Ton (?-?) zu nennen.Vgl. Pii, Republicanism, S. f.; Venturi, Utopia, S. – . Für biographische Informationen zu Maffei siehe Romagnani, Gian Paolo: Art: Maffei, Scipione. In: Dizionario Biografico degli Italiani (). http://www.treccani.it/enciclopedia/scipione-maffei_%Dizionario_ Biografico %/ (. . ).
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lica Veneta atteso il presente stato d’Italia e d’Europa – zunehmend geschwächt.⁷⁴ Um Venedig zu erhalten, sei nicht die Expansion wichtig, sondern das Interesse der Einwohner für ihre Republik. Das persönliche Interesse eines jeden Einzelnen müsse an das Gemeinwohl gekoppelt werden.⁷⁵ Voraussetzung für ein solches Interesse sei dabei die Möglichkeit der politischen Mitbestimmung für jeden Einzelnen. In Venedig aber seien viele Einwohner bisher wie „Untertanen“ behandelt, also von jeder Partizipation ausgeschlossen worden.⁷⁶ Maffeis politische Lösung war dabei nicht eine direkte Demokratie, sondern ein Repräsentativsystem. Alle Einwohner Venedigs – und das meinte nicht nur die Adligen und nicht nur Angehörige der Stadt Venedig – sollten wählen dürfen. Abgesandte einzelner Regionen würden den großen Rat bilden.⁷⁷ Freiheit war für Maffei Freiheit nach außen im Sinne der Unabhängigkeit von anderen Mächten.⁷⁸ Freiheit war für ihn aber auch Freiheit zu politischer Beteiligung, die in einem Repräsentativsystem aufgeht. Vorbilder waren für Maffei dabei die „modernen Republiken“, denn: „In questo secondo trarremo ogni
Maffei, Scipione: Suggerimento per la perpetua preservazione [ed esaltazione] della Republica Veneta atteso il presente stato d’[dell] Italia e d’[dell’] Europa. In: Ulvioni, Paolo: „Riforma Il Mondo“: Il pensiero civile di Scipione Maffei. Con una nuova edizione del Consiglio politico. Alessandria (Forme e percorsi della storia ). S. – . Die Gründe für die zunehmende Schwäche Venedigs führt Maffei im ersten der drei Teile der Abhandlung aus (S. – ). Die Abhandlung entstand vermutlich während der Europareise Maffeis. existierten wohl zwei endgültige Fassungen, die in mindestens zwanzig handschriftlichen Kopien in Venedig zirkulierten. Die Zensur in Venedig verhinderte allerdings eine Publikation des Textes zu Lebzeiten.Vgl. Ulvioni, „Riforma Il Mondo“, S. – und Ulvioni, Paolo: Note per una nuova edizione del Consiglio politico di Scipione Maffei. In: Studi Veneti. Offerti a Geatano Cozzi. Hrsg. von Gino Benzoni. Venedig . S. – . Vgl. außerdem hier und im Folgenden Maurach, Lena: Scipione Maffeis politisches Werk im Kontext seiner Zeit. Der Suggerimento – eine Schrift des venezianischen „Anti-Mythos“?. Unpublizierte Magisterarbeit. Heidelberg . Vgl. Maffei, Suggerimento, S. – . Maffei, Suggerimento, S. : „Le città e i popoli vi son tenuti in condizione di meri sudditi, sono esclusi da ogni communicazione della Republica, da ogni apparenza di società e da qualunque partecipazione di libertà. Qual interesse hanno adunque e qual affetto possono avere? non altro per verità che quello degl’altri sudditi, cioè un’interna totale indifferenza.“ Vgl. den dritten Teil der Abhandlung Che si può interessar tutti senza la minima alterazione o cambiamento del presente instituto e [systema di] governo (Maffei, Suggerimento, S. – ). Vgl. seine Darlegung des Verhältnisses Venedigs zu den anderen europäischen Mächten in Teil : „Che per mantenersi liberi e dominanti è necessario crescer di forze.“ (Maffei, Suggerimento, S. – ).
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documento da’moderni, perché in questa parte assai più hanno veduto e assai meglio sono riusciti I moderni degli antichi.“⁷⁹ Es ist dabei vor allem das englische System der Abgeordnetenwahl, das Maffei als vorbildlich darstellt.⁸⁰ Darüber hinaus hebt er die Repräsentativaspekte der niederländischen (Vertreter der Provinzen in den Generalständen) und der eidgenössischen (Vertreter der Kantone in der Tagsatzung) Verfassung hervor.⁸¹ Man habe die „guten Ergebnisse, die ihr System mit sich bringe“, bisher nicht ausreichend erkannt.⁸² Maffei, der dezidiert die Nachahmungswürdigkeit der zeitgenössischen Republiken hervorhob, präsentierte mit dem Plädoyer für eine repräsentative Vertretung durch Wahlen eine (in seinem eigenen Verständnis) moderne Lösung, die allerdings nicht wie Benjamin Constant oder Quentin Skinners neo-roman writers in ihrem Zweck auf die Garantie der individuellen Freiheit zielte, sondern die Freiheit des Gemeinwesens gegenüber anderen Mächten erhalten sollte. Die Aussagen, die aus einer Außenperspektive über die Freiheit in den drei betrachteten Republiken getroffen wurden, zielten hingegen – wie oben gezeigt – viel stärker auf die Freiheit des Einzelnen. Im Sinne Herders könnte von einer „Freiheit der Neuen“ gesprochen werden, die allerdings Constants Forderung der politischen Beteiligung über den Weg der Repräsentation als notwendigen Schutz dieser Freiheit – mit Ausnahme von Scipione Maffei – noch nicht kennt.Wohl aber sind Forderungen erkennbar, die auf jene Rechtsgarantien für die Freiheit des Individuums abheben, die Constant in der Folge als Kern des modernen Freiheitsverständnisses fassen sollte. Soll dieser Befund mit modernen Forschungskategorien gefasst werden, so lassen Argumentation und Rhetorik der hier betrachteten Aussagen insgesamt kaum noch eine republikanische Sprache erkennen. Sie sind vielmehr Ausdruck eines Wandels hin zu einer „liberalen Sprache“, deren Aufkommen und Verbreitung in einem weiteren Kontext, über einzelne Texte wie etwa John Lockes Second Treatise of Civil Government (1690) hinaus, die Forschung bisher meist deutlich später angesetzt hat.⁸³
Maffei, Suggerimento, S. .Vgl. auch S. : „Tutte le Republiche fin ora rappresentate sono esempi che meritano d’esser imitate […].“ Ob Maffei hier „Republik“ als Terminus für Freistaat nimmt, ist fraglich, da er im selben Werk auch „governi popolari“ (S. ) verwendet. Siehe Maffei, Suggerimento, S. f. Siehe Maffei, Suggerimento, S. – . Maffei, Suggerimento, S. f. Vgl. etwa Kalyvas, Andreas/Katznelson, Ira: Liberal Beginnings. Making a Republic for the Moderns. Cambridge . S. .
5 Rechtssicherheit Dabei war der Bezugsrahmen der hier betrachteten Autoren (noch) nicht die Gesetzgebung, sondern vielmehr die Rechtsprechung.¹ Rechtssicherheit des Einzelnen durch eine geregelte und gerechte Justiz tritt als weitere diskursive Norm hervor. So finden sich Aussagen, die die Willkür von Justiz kritisieren und andere, die gerade eine exakte und gerechte Rechtsprechung in den zeitgenössischen Republiken lobend hervorheben.
5.1 Willkür und Langsamkeit Alexandre Toussaint Limojon de Saint Didier etwa bezeichnet den Rat der Zehn in Venedig – erneut der Argumentation Amelot de la Houssayes folgend – als sehr zweifelhaftes Tribunal, das die Bürger terrorisiere, nach Verdachtsmomenten entscheide, unprofessionell ausgebildet sei und die Strafe je nach Ruderbedarf auf den Galeeren der Lagunenstadt festlege. Il n’y a point à Venise de plus grave, ny de plus redoutable Tribunal, que le Conseil des Dix; […] en un mot ce Tribunal a une Jurisdiction si étenduë, que son authorité est également redoutable aux Nobles, & aux simples sujets de la Republique. […] Comme ce Tribunal ne diminuë rien de sa severité, punissant toujours les soupçons, qui ont quelque apparence de fondement, comme le crime mesme, ces Juges rigoureux se contentent d’ordonner dans ces rencontres des executions secretes, pour ne pas faire crier contre une authorité, qui est déja si odieuse à la Noblesse. […] Ces Juges décident de la vie & de la mort des Criminels, sans estre obligez de rendre raison de leurs opinions, & mesme sans qu’on sçache qui est contraire, ou qui est favorable au coupable: mais comme ils sont les Maistres & les Souverains, on ne leur demande pas s’ils ont la science necessaire, ou s’il sont graduez dans les Facultez du Droit, pour pouvoir excercer ces judicatures. Ils jugent selon leurs Loix, comme font dans l’armée les Officiers selon les Status de la guerre; leur conscience & leurs lumieres naturelles estant la principale regle de leurs Jugemens. […] Mais ce qui me paroist encore plus rigoureux, ce sont les fréquentes condamnations aux prisons obscures pour 8 ou 10 ans, & souvent pour toute la vie: car l’horreur de ces cachots qui sont presque au dessous de l’eau & où l’on ne voit jamais d’autre clarté que celle d’une petite lape est certainement quelque chose de plus affreux que la mort même. […] D’ailleurs, comme la
Heinz Monhaupt nennt drei Kategorien, zu denen Rechtssicherheit als Norm grundsätzlich in Beziehung gesetzt werden kann: Gesetzgebung, Rechtslehre und Rechtsprechung. Vgl. Monhaupt, Heinz: „Lex certa“ and „ius certum“. The Search for legal Certainty and Security. In: Natural Law and Laws of Nature in early modern Europe. Jurisprudence, Theology, Moral and Natural Philosophy. Hrsg. von Lorraine Daston u. Michael Stolleis. Ashgate . S. – . S. .
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5 Rechtssicherheit
Republique a besoin de Forçats, on y condamne aux Galeres pour des fautes très-legeres: mais l’abus qui regne à Venise, d’accorder des graces pour de l’argent, est veritablement d’une dangereuse consequence: car s’il est d’un costé une invention très-utile à la Republique, il est de l’autre une porte ouverte au crime, pour ceux qui peuvent eserer de se délivrer pour de l’argent.²
Zudem bemängelt er die extreme Langwierigkeit der einzelnen Prozesse: „Ce qu’il y a de plus rude dans la Justice de Venise, est l’extrême longueur qu’on apporte à vuider les affaires criminelles, laissant ordinairement pourrir deux ou trois ans les coupables dans les cachots, pour leur faire expier, disent-ils, par ce long supplice, une partie de leur crime.“³ Auch der Abbé Saint-Pierre kritisiert, wie oben gezeigt, die venezianische Justiz, deren Rat der Zehn keinerlei Rechtsform beachte, willkürlich urteile und die Bürger in permanente Angst versetze.⁴ Nicht alle Autoren teilten allerdings diese Auffassungen. Der in den Niederlanden lebende Franzose Casimir Freschot, der sich in seiner 1709 publizierten Abhandlung Nouvelle Relation de la Ville & Republique de Venise vor allem auch ausführlich mit Amelot de la Houssaye auseinandersetzte, verteidigte die venezianische Justiz gegenüber Amelots Vorwurf der Willkür: Mais n’est il pas vrai aussi que la maniment de la justice, ou vindicative ou reconnoissante, n’appartenant de droit à aucun particulier. […] Dire comme fait Mr. Amelot, qu’on y punit de mort jusqu’à l’ombre & la soupçon de Crime, & que même pour ne pas perdre le tems à instruire le procés d’une personne inutile à l’ètat, on la depêche sur la premiere délation, c’est outrer la chose, & ôter la reputation de la probité indispensable à tout Souverain, & à un Senat qui sçait trop ce qu’il fait pour en agir si tyranniquement.⁵
Auch hinsichtlich der Justiz in der Eidgenossenschaft finden sich unterschiedliche Wertungen. Die Berner Vögte würden, so der Monsieur de Blainville in seinen Reisebeschreibungen aus den Jahren 1705 und 1707, in ihrer Rechtsprechung „die
Saint Didier, La Ville et la Republique de Venise, S. – .Vgl. ähnlich auch Jordan,Voyages Historiques, Bd. , , S. ; Historical Dictionnary, Art. Venice, o.P. ; Zedler, Grosses Vollständiges Universal-Lexikon, Sp. : „Sie wollen als Eiferer vor die Gerechtigkeit angesehen sein […], sind aber manchmal gar zu strenge, weil sie um geringer Ursachen willen einen auf die Galeeren und zum Tode verurtheilen, welches theils eine Staats-Maxime ist, damit sie Ruder-Volck bekommen.” Saint Didier, La Ville et la Republique de Venise, S. . Saint-Pierre, Traité, S. – . Siehe Freschot, Nouvelle Relation, S. und S. ; außerdem S. („On n’auroit jamais fait si on vouloit redresser tout ce que cet écrivain a pris plaisir d’abbatre, & repondre par le detail à tout ce qu’il avance contre la Noblesse de Venise. Tous les soins de bien administrer la justice ne sont au’affectation.“).
5.1 Willkür und Langsamkeit
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Güter und Geldstrafen […] nach ihrem Gutdünken den Verbrechern auflegen.“⁶ Und auch der anonyme Autor der Voiage Historique hält 1736 diesbezüglich deshalb ganz klar fest: „A la verité, dans tout Etat bien policé, pareils excès sont punis, & l’amende est moderée. Mais là, la punition étant arbitraire, elle s’étend autant que le Baillif le trouve à propos […].“⁷ Diese beiden Autoren standen dabei in einer Argumentationslinie mit Abraham Stanyan. Dieser kritisiert, wie oben gezeigt, 1714 harsch den Amtsmissbrauch im eidgenössischen Justizsystem.⁸ Der eidgenössische Anonymus, der in der Folge Stanyans Abhandlung aufgreift und kritisch diskutiert, wehrt sich hingegen gegen Stanyans Darstellung der eidgenössischen Justiz. Bestechung komme zwar bei Einzelnen vor, aber deshalb könne nicht gleich eine ganze Nation der Korruption bezichtigt werden.⁹ Der französische Gesandte Jean Baptiste d‘Audiffret hebt 1694 denn auch die gute Justiz der Eidgenossenschaft explizit hervor. In den meisten Kantonen werde Blainville, Reisebeschreibung, Bd. , S. . An anderer Stelle beschreibt Blainville eine ebensolche willkürliche Rechtsprechung in Lausanne: „Die Einwohner der größten Straße dieser Stadt haben ein ganz besonders Vorrecht, dass sie alle Hauptverbrecher beurtheilen, verdammen und lossprechen können, wie es ihnen gut dünkt, die Missethat bestehe auch in was es wolle. Ich muß gestehen, niemals von einem dergleichen Vorrechtem, welches Bürgern einer Stadt ertheilet worden, gehöret zu haben. Es ist daher kein Wunder, wenn die Häuser in dieser Straße um viel höhere Preise verkauft werden, als in andern Gassen. Denn der geringste Einwohner hat so gut, als der reichste das Recht in diesen Fällen seine Stimme zu geben.“ (Vgl. Blainville, Reisebeschreibung, Bd. , S. ). Anonymus, Voiage Historique et Politique de Suisse, S. ; Ähnlich urteilt Gilbert Burnet: „When the bailiff is chosen, he takes all possible methods to make the best of it he can, and lets few crimes pass, that carry either confiscations or fines after them: his justice also is generally suspected. It is true, those of the bailage may complain to the council of Bern, as the oppress′d provinces did anciently to the senate of Rome; and there have been severe judgments against some very exorbitant bailiffs; yet as complaints are not made, except upon great occasions,which are not often given by the bailiffs, so it being the general interest of the citizens of Bern to make all possible advantages of those employments, the censure will be but gentle, except the complaint is crying.“ (Burnet, Burnet’s Travels, S. ). Stanyan, Account of Switzerland, S. f. Siehe auch Kapitel III. des vorliegenden Buches. Anonymus, L′Etat et les Delices de la Suisse, S. – : „ L’Article de l’Administration de la Justice, est couché dans la Relation de la Suisse, d’une maniére aussi fausse & injuste, qu’injurieuse. Je vais rapporter ce que l’Auteur a eu la témérité d’avancer, & je ferai voir combien il s’est trompé à plusieurs égards. […] Je ne blâme pas l’Auteur, de souhaiter, que l’Administration de la Justice soit éxercée, sans partialité & sans intérêt. Je parle moi-même come lui, dans l’Article des Bailliages d’Italie, où je conviens que la Justice est vénale; & il s’en faut beaucoup que je n’y excuse les Baillifs des Petits Cantons, parce qu’ils me paroissent vraîment blâmables. Ce que je trouve à reprendre; c’est que l’Auteur en fasse une Thése générale […]. Je ne veux pas non plus nier, qu’il ne soit peut-être arrivé, qu’un Magistrat Suisse se soit laissé séduire par des présens; mais cela suffiroit-il pour charger toute la Nation de ce Crime? Je souhaiterois que l’on pût me nommer un endroit du monde où le cas ne soit pas arrivé.“
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5 Rechtssicherheit
die Rechtsprechung genau und mit einer bewundernswerten Gerechtigkeit ausgeübt: „[…] la justice est administrée avec une exactitude & une équité admirable.“¹⁰ Es ist genau diese gute, genaue, gerechte und integere – das meint frei von eigenen Interessen ausgeübte – Justiz, die mit Blick auf die Vereinigten Provinzen von vielen Autoren zudem explizit hervorgehoben wurde. Der anonyme Autor der Délices de la Hollande von 1710 formuliert dies in seiner ausführlichen Darlegung des niederländischen Justizwesens so: C’est par l’administration de la justice & par la douceur & l’équité du gouvernement, que la Hollande a monté au point de grandeur & de puissance où on la voit aujourd’hui. En effet comment pourroit-on attirer le commerce des Etrangers dans un païs, s’ils n’y étoient en liberté & en sureté? Le Magistrat ne porte point le glaive en vain. Pour protéger les gens de bien, il faut de nécessité punir les méchans qui les opriment. […] C’est le principe d’équité que les Etats Généraux & les Etats de Hollande ont toûjours pris pour se conduire, & par lequel ils conduisent leurs sujèts; & c’est par-là qu’ils se sont rendu puissans, redoutables, & dignes de l’admiration de tout l’Univers. […] Dans les autres Etats, ce sont les Juges qui tâchent d’immortaliser les procès, ou qui du moins y tiennent la main, afin d’en tirer du profit. Mais ici il n’en revient rien aux Juges. Ils rendent la justice d’une maniére désintéressée, & s’il n’y avoit pas trop d’affaires, & qu’ils les pussent vuider toutes, ce seroit un fort grand bonheur pour le public. […] En un mot les Juges sont fort bien intentionnez & agissent avec une entiére intégrité, mais les gens de Palais n’en usent pas avec tant de désintéressement, afin de ne rien dire de plus, & ceux qui ont passé par leurs mains ne se vantent pas d’y avoir trouvé les Délices de la Hollande.¹¹
In den Aussagen über das Justizwesen in den drei betrachteten Republiken treten klare Gegensatzpaare hervor, die in ihrem normativen Anspruch auf eine Rechtsordnung und vor allem eine Rechtsprechung zielten, die den einzelnen Bürger vor willkürlichen Einschränkungen und Zugriffsmöglichkeiten sichern, Gerechtigkeit garantieren und vor allem auch Planungssicherheit generieren könne: Willkür vs. Genauigkeit und Rechtskonformität, Unangemessenheit und Ungerechtigkeit vs. Gerechtigkeit, korruptes Personal vs. integeres Personal, unabhängig von eigenen Interessen handelndes Personal, gut ausgebildetes Personal vs. unausgebildete Laien, langsame vs. schnelle Prozessabwicklung.¹² D‘Audiffret, Histoire et Geographie ancienne et moderne, , S. . Vgl. auch Chancel, A New Journey over Europe,S. f.: „Justice is administred here with great Exactness and Equity.“ Anonymus, Les Delices de la Hollande, , S. – . Vgl. ähnlich Chancel, A New Journey over Europe, S. f.; Janiçon, État présent, Bd. , S. ; D’Audiffret, Histoire et Geographie ancienne et moderne, S. : „La justice y est administrée avec beaucoup d’intégrité.“; SaintPierre, Projet, S. . Neben den oben angeführten Quellenbeispielen im Text vgl. zur Kritik an Korruption im Justizwesen vgl. auch Anonymus, A New Description of Holland, S. ; positiv formulie-
5.1 Willkür und Langsamkeit
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Selten finden sich alle Aspekte bei einem Autor gleichzeitig thematisiert und reflektiert. Jakob August Franckenstein hält in seinem ausführlichen Vorwort zu Gundlings Staatsbeschreibung 1733 drei Aspekte fest: „Bey Verwaltung der Justiz sind sonderlich drey Hauptfehler zu vermeiden, daß Gerichts-Personen sich durch keine Geschenke verblenden lassen, Advocaten mit schlimmen Streichen nicht hervor blicken dürffen, und die Processe nicht eine ewige Dauer haben.“¹³ Dass meist einzelne Themenfelder diskutiert wurden, deckt sich mit dem Befund der Forschung zu Diskussionen um Rechtssicherheit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die schließlich in Forderungen und Projekten der Vereinheitlichung und Kodifikation des Rechts mündeten.¹⁴ Solche konkreten Forderungen finden sich in den hier betrachteten Äußerungen noch nicht. Die einzelnen Rechtsgrundlagen – Gewohnheitsrecht, Römisches Recht, „geschriebenes Recht“, Gesetze – werden erwähnt, aber zumeist unreflektiert und ohne Wertung nebeneinander gestellt.¹⁵ Auch die jeweiligen Zuständigkeiten und Instanzenwege rend etwa Janiçon, État présent, Bd. , S. : „On peut dire à l’honneur des Juges qu’ils sont incorruptibles, & qu’ils rendent justice aux etrangers, tout comme aux Gens du Païs.“ Hinsichtlich der Ausbildung und Rechtskonformität des Justizpersonals vgl. etwa auch positiv formulierend D’Audiffret, Histoire et Geographie ancienne et moderne, S. (hinsichtlich der Rechtsprechung in den Vereinigten Provinzen): „[…] le Droit écrit n’y est réçû qu’autant qu’il est conforme à la raison, & les Juges n’y ont égard que comme aux avis des personnes sages & judicieuses.“ Vgl. kritisierend den Monsieur de Blainville mit Blick auf die Verhältnisse in Lausanne: „[…] vor funf oder sechs Jahren, zum Exempel, fand in einer höchst wichtigen Sache ein Schuhflicker, auf dessen Stimme der Ausschlag ankam, weil die übrigen gleich waren, für gut, es mochte nun recht oder unrecht seyn, den Verbrecher loszusprechen.“ (Blainville, Reisebeschreibung, Bd. , S. .). Hinsichtlich der Dauer der Prozessabwicklung vgl. etwa auch Blainville, Reisebeschreibung, Bd. , S. (mit Blick auf Bern): „Es gereichet den Gerichten zur Ehre, dass die Art ihres Verfahrens kurz ist, und die Rechtshändel hier nicht wie an andern Orten ewig dauern.“ Weiter Janiçon, État présent, Bd. , S. : „Ce qu’il y a de facheux, c’est que le procès y trainent autant en longueur, qu’en aucun autre Païs, par les chicanes interessées des Avocats & Procureurs.“ Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , Vorrede, o.P. Vgl. dazu Westphal, Siegrid/Härter, Karl: Rechtssicherheit: Sicherheit durch Recht oder Sicherheit des Rechts?. In: Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation. Hrsg.von Christoph Kampmann u. Ulrich Niggemann. Köln/Weimar/Wien (Frühneuzeit-Impulse ). S. – . S. – ; Eisfeld, Jens: Art. Rechtssicherheit. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. . Physiologie – Religiöses Epos. Hrsg. von Friedrich Jäger. Stuttgart . Sp. – ; Arnauld, Andreas von: Rechtssicherheit. Perspektivische Annäherungen an eine idée directrice des Rechts. Tübingen (Jus Publicum. Beiträge zum Öffentlichen Recht ). S. f. Vgl. etwa bzgl. der Rechtsprechung in der Eidgenossenschaft: Chancel, A New Journey over Europe, S. f.: „Matters are determin’d generally according to the Rules of sense and Right; some according to Custom.“; D’Audiffret, Histoire et Geographie ancienne et moderne, S. : „[…] les Loix ne subsistent que dans leur mémoire, & les Suisses disent eux-mêmes avec assez de raison,
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5 Rechtssicherheit
werden kaum reflektiert.¹⁶ Eine Ausnahme stellt die Äußerung Onslow Burrishs dar, der 1728 die dezentrale Justizausübung der niederländischen Stadtverwaltungen an den übergeordneten Provinzgerichtshöfen vorbei kritisiert. Seine Argumentation spiegelt dabei eine starke zeitgenössische Tendenz der Befürwortung einer Zentralisierung der Rechtsprechung in den „Courts of Westminster“ in England:¹⁷ In Them [the Regent Burgomasters] is lodged the Power to admit Strangers into the Freedom and Burgership of their Towns, and to banish those whom they think proper, without any previous Process, or assigning any Cause or Reason for so hard a Procedure. Nor can the Provincial Court of Justice issue any Mandate against such an act of Banishment or Proscription; neither does there in Reality lie any Appeal even to the States Themselves; […] But if the City Magistrates are in some Measure obliged to justify Acts of Banishment, there are other Kinds of Punishment, and those too, out of the common Course of ordinary Justice, which they inflict by Virtue of the Power derived from their Legislative Capacity; without the least Reference to the States of the Province.¹⁸
Im Anschluss an diese Ausführungen präsentiert Burrish ein Beispiel, in dem die Freiheit des Individuums so stark im Interesse der Regierung eingeschränkt wurde, dass – so seine Wertung – dies der freistaatlichen Regierung abträglich und mit der natürlichen Freiheit des Menschen unvereinbar sei: Thus, at Amsterdam, in 1722, They informed me, the Burgomasters had very lately condemned an Advocate to perpetual Imprisonment, for having defended his Client with too great a Liberty, in a Cause that affected the Interest and Authority of the Government. Perhaps the candid and impartial Reader, will interpret the Behaviour of that unhappy Pleader,
que dans les Païs où il y a peu de Loix, il y aussi peu de procès; tous les cas y sont reglez par la Coûtume, & s’il s’en rencontre quelqu’un qu’on n’ait point vû, on le juge par le rapport qu’il peut avoir avec les autres, sinon par le bon sens, & ce jugement est une Loy pour avenir.“; Bzgl. der Rechtsprechung in den Vereinigten Provinzen: Janiçon, État présent, Bd. , S. : „La Justice est fondée sur les loix municipales de chaque Province, & de chaque Ville, sur les Placards des Etats, & enfin sur le Droit Romain.“; D’Audiffret, Histoire et Geographie ancienne et moderne, S. : „[…] le Droit écrit n’a est réçû qu’autant qu’il est conforme à la raison.“ Ein Verweis darauf findet sich lediglich bei Janiçon, État présent, Bd. , S. : „La plupart des Provinces ont chacune une Cour de Justice, à laquelle il est permis d’appeler des Villes particulières & d’autres Tribunaux dans le Plat-Païs, excepté dans les causes criminelles. Si la Partie condamnée veut avoir la révision de son affaire, elle peut la demander aux Etats de sa Province, qui alors comment un certain nombre de personnes versées dans les loix & coutumes du Païs, pour revoir la sentence, & leur jugement est sans appel.“ Vgl. dazu Holmes, Clive: The Legal Instruments of Power and the State in Early Modern England. In: Legislation and Justice. Hrsg.von Antonio Padoa-Schioppa. Oxford (The Origins of the Modern State in Europe th to th Centuries). S. – . Hier: S. – . Burrish, Batavia Illustrata, S. .
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into an honest Boldness, rather than too licentious a Freedom; but supposing the worst, ‘tis hard to imagine any Degree of Liberty of Speech, used at the Bar, that could deserve so severe a Treatment, utterly inconsistent with that Modesty that ought always to be observed in the Government of a Republick, as well as the natural Freedom of Mankind.¹⁹
Die Einschränkung der naturrechtlich begründeten Freiheit des Individuums wird hier also unmittelbar in Bezug zur Sicherheit durch eine berechenbare und angemessene Rechtsprechung gesetzt. Grundsätzlich sind die Kategorien und Aspekte, die in den hier betrachteten Aussagen unter der normativen Vorgabe der Rechtssicherheit diskutiert werden, ganz ähnlich zu jenen, die in der Folge in den Kodifizierungsprogrammen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auftauchten. Allerdings war der Bezugsrahmen in diesen Kodifizierungsprogrammen weniger die Rechtsprechung als vielmehr die Gesetzgebung.²⁰ Kritik an der Langwierigkeit der juristischen Prozesse, an der dezentralen Organisation des Justizwesen sowie an der Unklarheit der Rechtsquellen findet sich vereinzelt auch schon in jenen Texten, die zwischen der im 17. Jahrhundert einsetzenden Debatte um die certitudo iuris in der Rechtslehre und deren Anwendbarkeit in den verschiedenen nationalen Kontexten zu vermitteln suchten. Während es innerhalb der Rechtslehre vor allem um die wissenschaftliche Systematisierung und die Gewissheit der juristischen Erkenntnisse durch rationale Logik ging,²¹ verwiesen etwa der Abbé Fleury (1640 – 1723) in Frankreich oder Samuel von Pufendorf (1623 – 1694) und Johann Wolfgang Textor (1638 – 1701) im Reich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem auf die Unklarheit und Überschneidung der Rechtsquellen, die dezentrale Zersplitterung des Justizwesen und die Langsamkeit der Prozessabwicklung durch schlecht organisierte Gerichte als unbedingt zu überwindende Missstände.²² Burrish, Batavia Illustrata, S. . Vgl. etwa Bentham, Jeremy: Principles of the Civil Code (). In: The Works of Jeremy Bentham. Bd. . Hrsg. von John Bowring. Edinburgh – . S. – . Part I. Chap. XVII. http://www.laits.utexas.edu/poltheory/bentham/pcc/pcc.pa.c.html (. . ). Bentham hebt dabei außerdem hervor, dass die Gesetze in sich stimmig, dem Prinzip der Nützlichkeit entsprechend, allgemein bekannt und verständlich sein sollten. Vgl. dazu auch Arnauld, Rechtssicherheit, S. ; Monhaupt, Lex certa, S. . Vgl. dazu Monhaupt, Lex certa, S. – ; Arnauld, Rechtssicherheit, S. f.; Eisfeld, Rechtssicherheit, Sp. . Siehe Claude Fleury, Abbé: Le Droit public de France, ouvrage posthume, compose pour l’éducation des Princes. Hrsg.von J. B. Daragon. Bde. Paris .Vgl. dazu Iseli, Andrea: „Bonne Police“. Frühneuzeitliches Verständnis von der guten Ordnung eines Staates in Frankreich. Epfendorf/Neckar (Frühneuzeit-Forschungen ). S. f.; Pufendorf, Samuel von: De statu Imperii Germanici. Hrsg. von Fritz Salomon. Weimar (ND der Erstausgabe von ) und
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5 Rechtssicherheit
5.2 Freiheit durch Rechtssicherheit Die in diesem Kapitel vorgestellten Quellenbefunde zeigen, dass bestimmte Aspekte der normativen Vorgabe der Rechtssicherheit zwischen 1676 und 1750 nicht allein innerhalb der Rechtslehre oder von Autoren diskutiert wurden, die sich theoretisch mit dieser Diskussion und der möglichen Anwendbarkeit von Neuerungen des Justizsystems auseinandergesetzt hatten. Die Reflexion fand in einem viel breiteren Kreis von Autoren, nämlich auch in Staatsbeschreibungen und Reiseberichten statt, die auch, aber nicht nur von Juristen verfasst wurden. Diese Reflexion blieb zudem nicht, so zeigen es die Quellenbefunde weiter, auf bestimmte nationale oder andere Kontexte beschränkt. Die Freiheit (vornehmlich als Freiheit des Individuums gedacht) solle gegen Einschränkungen und Zugriffe abgesichert werden, so der Tenor der analysierten Aussagen. Ein wichtiges Instrument respektive eine wichtige Voraussetzung dafür sei eine rechtskonforme, gerechte, professionelle, nicht-korrupte und zügige Rechtsprechung. Im Sinne einer Forschungskategorie kann hier deshalb von der diskursiven Norm der „Rechtssicherheit“ gesprochen werden, die diesen Aussagen zugrunde lag, auch wenn der Begriff selbst mit Bezug auf die Rechtsprechung wohl erst am Ende des 18. Jahrhunderts auftauchte.²³ Der These, dass die Verbindung von „Forderungen nach Verlässlichkeit und Berechenbarkeit des Rechts“ und der Kritik an einem „unsicheren, ungerechten, heterogenen und ineffektiven“ Rechtssystem als „spezifisch juristischer Diskussionszusammenhang um 1800“ zu charakterisieren sei,²⁴ gilt es allerdings angesichts der hier präsentierten Aussagen zu widersprechen. Ein solcher Diskussionszusammenhang ist bereits um 1700 zu erkennen und war gerade nicht „spezifisch juristisch“. Mit Niklas Luhmann kann hier von einem Verständnis von Recht als soziale Technik gesprochen werden. Denn dem Recht – und hier explizit der Rechtsprechung – wird in den hier vorgestellten Aussagen vor allem die Funktion zugeschrieben, Sicherheit und damit Planbarkeit und Erwartungsstabilität zu gene-
Textor, Johann Wolfgang: Tractatus Juris Publici de vera et varia Ratione Status Germaniae Modernae. Altdorf . Vgl. dazu Stolleis, Michael: Staat und Staatsraison in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a.M. . S. – . Vgl. Westphal/Härter, Rechtssicherheit, S. ; Arnauld, Rechtssicherheit, S. datiert die Begriffsverwendung auf „den Beginn des . Jahrhunderts“. Die Forschungslage dazu scheint aber noch gering. Auch geben die betreffenden Autoren nicht an, für welche Einzelsprach(en) sie die Begriffsverwendung untersucht haben. Westphal/Härter, Rechtssicherheit, S. .
5.2 Freiheit durch Rechtssicherheit
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rieren.²⁵ Ein solches Verständnis verweist damit auch auf ein neues Verständnis von der Zukunft. Wenn diese als offen und gestaltbar und nicht mehr als vorherbestimmt gedacht wird, erhält eine Absicherung durch das Recht eine prioritäre Bedeutung.²⁶ Denn wenn der Einzelne den Ordnungsrahmen, in dem er sich künftig bewegen wird, einschätzen und als gesichert voraussetzen kann, ist eine Planung und Gestaltung der Zukunft viel einfacher. Diesem Aspekt soll in der Schlussbetrachtung der Arbeit noch einmal grundlegend nachgegangen werden. Freiheit und Rechtssicherheit treten als zwei weitere normative Zielvorstellungen in den Aussagen über die zeitgenössischen Republiken hervor. Freiheit wurde dabei allerdings mit unterschiedlichen Vorstellungen und Definitionsmomenten verknüpft und definiert. Willkür, Tyrannis, Despotie, Gesetzlosigkeit, Sklaverei und Leibeigenschaft finden sich als präsente Antonyme. Die Abwesenheit von Zwängen, die Sicherheit des Eigentums und die Verfügungsgewalt über dasselbe sowie die Garantie persönlicher Freiheiten finden sich hingegen als positive Definitionskriterien. Die politische Verfassung der Gemeinwesen wird dabei kaum als entscheidendes Kriterium des Vorhandenseins oder der Abwesenheit von Freiheit ins Feld geführt. Gleichwohl wird das identitätsstiftende Potential, das Freiheit als politischer Wert in den Republiken einnahm, in den Aussagen von außen reflektiert. Insgesamt ist die Vorstellung von Freiheit als historisch erworbenes Kollektivprivileg, das es durch eine aktive politische Beteiligung zu erhalten gelte, in den hier betrachteten Aussagen kaum noch zu entdecken. Freiheit wird hier vielmehr als (zum Teil auch explizit naturrechtlich begründete) Freiheit des Einzelnen verstanden, die es vor allem durch eine genaue, gerechte, professionelle, integere, zügige und gesetzeskonforme Rechtsprechung zu garantieren und für die Zukunft zu sichern gelte.
Vgl. Luhman, Ausdifferenzierung des Rechts,S. f. und S. f.: „Fragt man da nach der Funktion des Rechts im Hinblick auf die Zeitdimension, kommen zwei mögliche Antworten in Betracht. [..] sie setzen den Akzent entweder mehr auf die Vergangenheit oder mehr auf die Zukunft. Es kann sich zum einen darum handeln, Erwartungen, die jemand in bezug (sic!) auf das Verhalten anderer hegt, im Falle von Gefährdungen oder Enttäuschungen zu stützen. […] Zum anderen könnte das Recht auch der Verhaltenssteuerung dienen. […] Nun schließen diese beiden Funktionen, die ich unterschieden habe, einander wechselseitig nicht aus. Die Rechtsnorm dient gerade zu ihrer Kombination. Sie stellt einerseits sicher, was man erwarten kann und in welchen Hinsichten man angesichts von enttäuschendem Verhalten nicht lernen, nicht sich anpassen muß, sondern seine Erwartungen durchhalten kann. […] Die Rechtsnorm berechtigt andererseits zu Reaktionen mit dem Ziel, eine rechtgemäße Wirklichkeit herzustellen […].“ Vgl. dazu auch Arnauld, Rechtssicherheit, S. . Vgl. dazu in Ansätzen Arnauld, Rechtssicherheit, S. – und Kampmann, Christoph/Niggemann, Ulrich: Einleitung. In: Kampmann/Niggemann, Sicherheit in der Frühen Neuzeit, S. – , S. f.
6 Fazit Die Analyse der möglichen Aussagen über Venedig, die Vereinigten Provinzen der Niederlande und der Eidgenossenschaft im vorangegangenen, dritten Teil der vorliegenden Arbeit hat gezeigt, dass zwischen 1676 und 1750 genau jene strukturellen Merkmale der Freistaaten diskutiert wurden, die zwischen 1650 und 1676 im Zuge einer neuen, differenzierten Betrachtung erstmals oder modifiziert in die Beschreibungen der zeitgenössischen Republiken eingebracht worden waren. Wirtschaftlicher Erfolg, zumeist verstanden als positive Handelsbilanz, Stabilität, Schnelligkeit und Effektivität sowie Freiheit als Antonym von Willkür und Despotie und zunehmend gedacht als Freiheit des Individuums, die durch eine gerechte, rechtskonforme und nicht-korrupte Rechtsprechung garantiert werde, fungierten dabei als normative Zielvorstellungen, die die Autoren als Orientierungsrichtlinie für die Umgestaltung und mögliche Reformen der eigenen Staaten ausloteten und vorgaben. Als übergeordneter Denkrahmen ist die durch Konkurrenz und Expansionsbestrebungen gekennzeichnete, komplexe Mächtekonstellation Europas nahezu durchgehend in diesen Texten präsent. Es galt Strategien zu entwickeln, um die eigene, relationale Machtposition in diesem europäischen Gefüge zu erhalten oder sogar auszubauen. Die Gegebenheiten und die Politik in den einzelnen Republiken wurden dabei sehr unterschiedlich bewertet. Die Vereinigten Provinzen wurden hinsichtlich einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik nahezu durchgehend als leuchtendes Vorbild stilisiert. Ein kaum durch Privilegien und hohe Zölle eingeschränkter Handel, eine Vielzahl von Schiffen, zinsgünstige Kredite, Toleranz gegenüber wirtschaftlich potenten Glaubensflüchtlingen, eine gute und sichere Infrastruktur, eine hohe Bevölkerungsdichte sowie zum Teil auch die begonnene Umstrukturierung von Produktionsprozessen und die Tatsache, dass die Staatsschulden allein niederländische Bürger als Kreditgeber kannten,¹ wurden als erfolgversprechende Faktoren hervorgehoben. Venedig hingegen war in der Sicht der hier analysierten Autoren nicht länger die reiche, erfolgreiche Handelsrepublik, wie es der Mythos bis 1650 transportiert hatte. Zunehmende europäische Konkurrenz, hohe Zölle, schlechte Manufakturen und vor allem die falsche Prioritätensetzung des Adels hätten den wirtschaftlichen Niedergang der Lagunenstadt eingeläutet. In ihrem Blick auf die Eidgenossenschaft differenzierten die Autoren am stärksten: Wäh-
Dass zumindest in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts auch Ausländer in niederländische Staatsschulden investiert hatten (Vgl. dazu etwa Altdorfer-Ong, Stefan: State Investment in th Century Berne. In: HEI / (). S. – ), wurde von keinem der betrachteten Autoren aufgegriffen.
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rend einige Kantone durchaus eine positive Handelsbilanz vorzuweisen hätten und mit weitgehend freien Marktstrukturen, wie etwa in Zürich, vorbildlich seien, würden andere Kantone mit ihren starken Zunftregulierungen und einer restriktiven Bürgerrechtsvergabe sich selbst besserer Chancen berauben. In einem anderen Punkt, nämlich jenem der Stabilität, wurde gerade eine solche restriktive Politik der eidgenössischen Obrigkeiten von einigen Autoren lobend hervorgehoben: Die strikten Sittengesetze seien vorbildlich, wenn es darum gehe, ein durch Luxus korrumpiertes Verhalten der Bürger als möglichen Instabilitätsherd zu verhindern. Zunehmend wurde Luxus in den hier analysierten Texten aber nicht mehr als moralisches Phänomen, sondern vielmehr als Wirtschaftsfaktor diskutiert. Stabilität könne vor allem durch Frieden erreicht werden: Frieden im Innern – etwa durch eine Beteiligung möglichst vieler Bürger an der Regierung in Form eines Repräsentativsystems – und vor allem Frieden nach außen. Ein expansives Vorgehen wurde von nahezu allen Autoren als nachteilig für die drei betreffenden Freistaaten mit ihrem relativ kleinen Territorium angesehen. Außenpolitisches Ziel müsse das europäische Mächtegleichgewicht sein, so der Tenor der Aussagen, innerhalb dessen entweder Neutralität oder die Anbindung an eine große Macht oder ein Mächtebündnis geboten sei. Einzelne Stimmen, der Abbé Saint-Pierre und Andrew Fletcher, entwickelten außerdem die Idee einer Union Européenne – auch nach dem Vorbild der föderalen Struktur der Vereinigten Provinzen und der Schweizer Eidgenossen. Gerade diese föderale Struktur der beiden Republiken wurde mit Blick auf die geforderte Schnelligkeit in politischen Entscheidungsprozessen und die Effektivität dieser getroffenen Entscheidungen, die ein erfolgreiches Gemeinwesens ebenfalls ausmachen würden, nahezu durchgehend als negativ bewertet. Ein solcher föderaler Aufbau würde, vor allem in Verbindung mit dem Prinzip der Einstimmigkeit und dem möglichen Vetorecht einzelner Provinzen respektive Kantone, die politische Handlungsfähigkeit eines Gemeinwesens sowohl im Innern als auch in der Außenpolitik extrem verlangsamen. Die Verfasstheit als Freistaat ohne Monarch an der Spitze wurde in dieser Hinsicht ebenfalls und mit Blick auf alle drei Republiken als negatives Strukturmerkmal angeführt. Es gilt sicherlich als bemerkenswertes Ergebnis festzuhalten, dass dies der einzige Punkt ist, in dem die freistaatliche Verfassung überhaupt als entscheidendes Element breit (und nicht ausschließlich von hugenottischen Autoren) diskutiert wurde. Freiheit, so der Grundtenor der hier analysierten Aussagen, könne unabhängig von eben dieser Verfasstheit als Freistaat erreicht und garantiert werden. Allein viele hugenottische Autoren schlossen dies für eine absolute Monarchie aus. Das Identifikationspotential, welches das Postulat der Freiheit für die einzelnen Republiken besaß, wurde allerdings auch in den Aussagen von außen
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reflektiert. Diese definierten Freiheit ganz unterschiedlich. Allerdings lässt sich eine Tendenz hin zu einem „liberalen“ Sprechen über Freiheit als individuelles Recht auf Selbstbestimmung und Eigentum erkennen. Nur noch wenige Texte fassten Freiheit als historisch erworbene Kollektivprivilegien auf und kein Text definierte Freiheit ausdrücklich positiv als Freiheit zu politischer Beteiligung. Verstärkt rückte hingegen der Faktor Rechtssicherheit als Garant und Ausdruck individueller Freiheit ins Blickfeld. Das willkürliche und korrupte Vorgehen etwa der Berner Vögte oder des Rats der Zehn in Venedig im Bereich der Rechtsprechung wurden dementsprechend häufig als tyrannisch kritisiert. Die europäischen Narrative über die Vereinigten Provinzen der Niederlande, Venedig und die Eidgenossenschaft, die zwischen 1650 und 1676 modifiziert, zum Teil auch dekonstruiert und neu etabliert wurden, festigten sich also zwischen 1676 und 1750. Unter den normativen Vorgaben von wirtschaftlichem Erfolg, Stabilität, Schnelligkeit und Freiheit innerhalb des europäischen Mächtegeflechts wurden sehr ähnliche Aussagen immer wieder und zum Teil unter expliziter Nennung der rezipierten Autoren getroffen. Es gilt hier folglich,von einem stabilen Aussagenspektrum zu sprechen, das an den Rändern kaum durchlässig war. Die Formationsregeln des politischen Reformdiskurses ließen keine neuen Aussagen zu.
IV Republiken als Auslaufmodell: Modifikation der Aussagen um 1750
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IV Republiken als Auslaufmodell: Modifikation der Aussagen um 1750
Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden diese Ränder erneut brüchig. Dies lässt sich anhand zweier Autoren nachvollziehen, die vorhandene Aussagen aufgriffen, sich mit diesen auseinandersetzten und selbst neue Prämissen formulierten, die als entscheidende Diskussionsgrundlagen für die folgenden Debatten der europäischen Aufklärung(en) fungierten: Charles de Secondat, Baron de Montesquieu und David Hume.
1 Montesquieu Die Aussagen, die sich in den Schriften Montesquieus mit Blick auf die drei zeitgenössischen, hier betrachteten Republiken finden lassen, sind zunächst jenen sehr ähnlich, die seit 1650 in der europäischen Auseinandersetzung mit diesen präsent waren: Die Freiheit in Venedig, so beispielsweise Montesquieu 1728 in einem Brief an Madame de Lambert, sei nur eine Chimäre und nichts anderes als libertinage: „Je ne puis vous dire autre chose de Venise si ce n’est que c’est une lieu où la débauche s’appelle la liberté.“¹ Handel, Reichtum, Stärke und Ordnung der Lagunenstadt seien zudem im Niedergang begriffen und der Rat der Zehn ein zweifelhaftes Tribunal, so Montesquieu am selben Tag in einem weiteren Brief und auch in seinem Reisebericht von 1728/29.² Ebenso zweifelhaft und kritikwürdig sei das Verhalten der niederländischen Bürgermeister. Die hohen Abgaben in den Vereinigten Provinzen seien nicht nachvollziehbar, ja geradezu lächerlich.³ Die Eidgenossenschaft sei im Vergleich mit anderen Staaten Europas ein „image de la liberté“ und wie die Vereinigten Provinzen trotz widrigster Bedingungen aufgrund dieser Freiheit eines der politischen Gemeinwesen mit der höchsten Bevölkerungsdichte – so die Protagonisten in den Lettres Persanes. ⁴ Sein Wissen über diese Republiken zog Montesquieu dabei aus einer eigenen Reise durch weite Teile Europas und eben auch durch die drei betreffenden Republiken in den Jahren 1728 und 1729. Er rezipierte zudem auch jene diskursprägenden Autoren, die in den vorangegangenen Teilen der vorliegenden Arbeit
Montesquieu, Charles de Secondat: Correspondance de Montesquieu. Publiée par François Gebellin avec la collaboration de M. André Morize. Bde. Paris (Collection Bordelaise des inédits de Montesquieu). Bd. . S. – . Nr. : Montesquieu à Mme de Lambert à Venise, le septembre . S. . Montesquieu, Correspondance de Montesquieu, Bd. , S. – : Nr. : Montesquieu à Berwick, à Venise, le septembre , S. : „Je pars de Venise dans deux jours. C’est une ville qui ne conserve plus que son nom: plus de forces, de commerce, de richesses, de lois; seulement la débauche s’y appelle liberté.“ Sowie Montesquieu, Charles de Secondat: Voyages. In: Œuvres completes de Montesquieu. Texte présenté et annoté par Roger Caillois. Paris (Bibliothèque de la Pléiade ). Bd. . S. – . Hier S. – . Vgl. Montesquieu Voyages, S. f. Siehe Montesquieu, Charles de Secondat: Lettres Persanes. In: Oeuvres de M. de Montesquieu. Publié sous la direction de M. André Masson. Bd. . Paris . S. – . Lettre CXXXVI. S. : „[…] la Suisse, qui est l’image de la liberté.“ Und Lettre CXXII, S. : „La douceur de gouvernement contribute merveilleusement à la propagation de l’espèce. Toutes les républiques en sont une preuve constant; & plus que toutes, la Suisse & la Hollande, qui sont les deux plus mauvais pays de l’Europe, si l’on considere la nature du terrain, & qui cependant sont les plus peuplés. Rien n’attire plus les étrangers, que la liberté, & l’opulence qui la suit toujours.“
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vorgestellt wurden. Namentlich nennt er Amelot de la Houssaie, François Janiçon und Joseph Addison.⁵ Die Kenntnis weiterer Autoren liegt unter anderem aufgrund der für seine Bibliothek verzeichneten Werke nahe.⁶ Vergleicht man Montesquieus Schriften genauer, so lässt sich eine Veränderung in seiner Einstellung gegenüber den zeitgenössischen Republiken erkennen. In seinem Frühwerk, den 1721 publizierten Lettres Persanes, zeichnet er die Republiken als ideales, leuchtendes Gegenbild zur degenerierten, absoluten Monarchie Frankreich, deren Veränderung er mit dieser literarischen Kritik erreichen wollte.⁷ In seinem (zeitgenössisch nicht publizierten) Reisebericht gut sieben Jahre später lassen sich bereits klare Zweifel daran erkennen, ob es genau dieses System sei, das am besten die Freiheit garantiere, denn seine Darstellung Venedigs und der Vereinigten Provinzen ist geprägt von Niedergangsrhetorik. Venedig, so Montesquieu gleich zu Beginn, sei „[…] dans une telle décadence, qu’il paroît
In L’Esprit des Lois verweist Montesquieu in Buch V, Kapitel zweimal auf Amelot (Montesquieu, Charles de Secondat: De L’Esprit des Lois. In: Caillois, Œuvres Complètes de Montesquieu, Bd. , S. – , S. und S. ). Im Buch IX, Kapitel auf Janiçon (Montesquieu, De L’Esprit des Lois, S. ) und in Buch II, Kapitel auf Joseph Addison’s Voyage d’Italie (Montesquieu, De L’Esprit des Lois, S. ). David W. Carrithers weist in seinem Aufsatz darauf hin, dass Montesquieu in Buch V, Kapitel auf dieselbe goldene Kette hindeutet, die Saint-Didier in seiner Abhandlung über Venedig ausführlich diskutiert. Außerdem findet sich an anderer Stelle in Montesquieus Aufzeichnungen ein detaillierter Auszug aus dieser Abhandlung. Dass Montesquieu neben Amelot de la Houssaye auch Alexandre Toussaint Limojon de Saint Didier gelesen hat, gilt als sehr wahrscheinlich. (Vgl. Carrithers, David W.: Not so virtuous Republics, S. ). Für Montesquieus Rezeption von François Michel Janiçon vgl. grundlegend Masterson, M.P.: Holland’s fifty Republics: François Michel Janiçon and Montesquieu’s Federal Theory. In: French Studies (Fr Stud) XXIX/ (). S. – ; In Montesquieus Notizen finden sich unter anderem Reflexionen über Paolo Sarpi (Siehe Montesquieu, Charles de Secondat: Mes Pensées. In: Caillois, Œuvres complètes de Montesquieu, S. – , (, II, f°), S. f.). Im Verzeichnis von Montesquieus Bibliothek (Desgraves, Louis: Catalogue de la Bibliothèque de Montesquieu. Genève/Lille (Societé de Publications Romanes et Françaises XLIII).) finden sich neben den Werken von Joseph Addison (S. f., S. , S. ) und Amelot de la Houssaye (S. , S. , S. , S. , S. ) unter anderem folgende Werke: Rogissard, Alexandre de: Les délices de l’Italie contenant une description exacte du pays, des principales villes, de toutes les antiquités et de toutes les variétés qui s’y trouvent. Paris (S. ); Clerc, Jean Le: Histoire des Provinces-Unies des Pays-Bas. Amsterdam (S. ); Parival, Le vray l’intérêt (S. ); Patin, Charles: Relations de voyages en Allemagne, Angleterre, Hollande, Bohême, Suisse etc. . Ausg. Lyon (S. ); Sorbière, Samuel de: Lettres et discours sur diverses matières curieuses. Paris (S. ); Pufendorf, Samuel von: Introduction à l’histoire des principaux royaumes et états dans l’Europe. Leiden (S. ); Temple, William: Œuvres mêlées. Utrecht (S. ). Vgl. etwa Montesquieu, Lettres Persanes, Lettre CXXXVI, S. f. Vgl. dazu auch Kraus, Englische Verfassung, S. .
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qu’elle n’a guère plus de secret à garder“.⁸ Die Stadt sei für Ausländer längst nicht mehr attraktiv. Dafür gebe es zahlreiche Gründe: die Oper besitze keine Qualität mehr; immer seien die Väter schon da gewesen und wüssten, dass ein Besuch in Venedig keinen Vorsprung an Wissen bedeuten würde; Korruption und Krankheiten seien hinlänglich bekannt; der Humor der Venezianer sei nicht zu verstehen und die Freiheit, die dort zu finden sei, sei eine Art von Freiheit, die keiner haben wolle.⁹ Und so lautet denn auch sein Fazit: Mes yeux sont très satisfaits à Venise; mon coeur et mon esprit ne le sont point. Je n’aime point une ville où rien n’engage à se rendre aimable ni vertueux. Les plaisirs meme que l’on nous donne, pour suppléer à tout ce qu’on nous ôte, commencent à me déplaire, et, à la différence de Messaline, on est rassasié sans être las.¹⁰
Ganz ähnlich urteilt Montesquieu über die Provinz Holland, die er zunächst noch als „gute“ Provinz von den übrigen „schlechten“ Provinzen der niederländischen Republik unterscheidet.¹¹ Es gebe dort zwei Arten von Königen: die Bürgermeister und „le bas peuple“, die Montesquieu als „le tyran le plus insolent que l’on puise avoir“ beurteilt.¹² Alles, was man ihm über den Geiz, die Gaunerei und Betrügerei der Holländer erzählt habe, entspreche der Wahrheit. Aufgrund der hohen Abgaben würden die Bürger immer Geld benötigen und sich dieses durch Geiz ansparen oder durch Diebstahl beschaffen. Die politisch verantwortlichen Magistraten würden Ausländer dabei keineswegs schützen oder ihnen Gerechtigkeit zukommen lassen.¹³ Das Herz der Einwohner sei durch den Handel zudem vollständig korrumpiert. Dieser Handel nehme insgesamt erheblich ab.¹⁴ Die Finanzen seien komplett ruiniert.¹⁵ Die Korruption der Magistraten im Amt sei immens.¹⁶ Wie in Venedig würden statt Flotten und Königreichen deshalb nur noch schöne
Montesquieu, Voyages, S. . Montesquieu, Voyages, S. f. Montesquieu, Voyages, S. . Siehe Montesquieu, Voyages, S. . Montesquieu, Voyages, S. . Montesquieu, Voyages, S. . Montesquieu, Voyages, S. : „Le coeur des habitants des pays qui vivent de commerce est entièrement corrompu. […] Il est certain que le commerce de Hollande diminue considérablement.“ Montesquieu, Voyages, S. : „Les finances de Hollande sont totalement perdues. La province de Hollande met, depuis la paix, tous les jours de nouveaux impôts pour payer le courant.“ Montesquieu,Voyages, S. : „Le malheur de la République est que la corruption s’y est mise tellement que les magistrats s’entendent avec ceux qui afferment les revenus publics, pour avoir des pots-de-vin.“
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Bauten übrig bleiben.¹⁷ Ein Wiederaufstieg der Republik sei, wenn überhaupt, nur mit Statthalter denkbar: „Cette république ne se relèvera jamais sans un stathouder.“¹⁸ In seiner Abhandlung De l’Esprit des Lois, die 1748 in Genf zunächst anonym publiziert wurde, bindet Montesquieu seine Aussagen über die Republiken in seine Überlegungen über eine möglichst ideale, das heißt, der menschlichen Vernunft bestmöglich entsprechende, Verfassung ein, an der sich existierende Gemeinwesen künftig orientieren können und sollen.¹⁹ Am Beginn dieser Abhandlung steht eine Definition und Deskription verschiedener Verfassungstypen. Montesquieu unterscheidet dabei – anders als an Aristoteles orientierte Theorien – drei Arten: die Despotie, die Monarchie und die Republik. Letztere definiert er so: „le gouvernement républicain est celui où le peuple en corps, ou seulement une partie du peuple, a la souveraine puissance.“²⁰ Eine solche Republik könne die Form einer Demokratie oder die einer Aristokratie annehmen.²¹ Venedig diskutiert Montesquieu in der Folge als ein exemplarisches Beispiel für eine solche Aristokratie.²² Da eine Republik niemals ohne die Tugend der politisch Verantwortlichen überleben könne, müsse eine solche immer darauf bedacht sein, die Tugend zu erhalten und Eigennutz und Überheblichkeitsgefühle einzudämmen. Alle Gesetze einer Aristokratie müssten daher darauf ausgerichtet sein, den „esprit de moderation“ zu erhalten.²³ Venedig habe weise darauf geachtet. So grenze sich der Adel
Montesquieu, Voyages, S. . Montesquieu, Voyages, S. . Zu Beginn der Abhandlung bezeichnet Montesquieu die verschiedenen politischen und bürgerlichen Gesetze der einzelnen Völker als spezifische Anwendungsfälle der einen menschlichen Vernunft: „La loi, en général, est la raison humaine, en tant qu’elle gouverne tous les peuples de la terre; et les lois politiques et civiles de chaque nation ne doivent être que les cas particuliers où s’applique cette raison humaine.“ (Montesquieu, De L’Esprit des Lois, I, , S. ). Vgl. dazu auch Kraus, Englische Verfassung, S. . Montesquieu, De L’Esprit des Lois, II,, S. . An gleicher Stellte definiert er: „le monarchique, celui où un seul gouverne, mais par des lois fixes et établies; au lieu que, dans le despotique, un seul, sans loi et sans règle, entraîne tout par sa volonté et par ses caprices.“ Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, II, , S. f. Vgl. dazu auch Carrithers, Not so Virtuous Republics, S. – ; Richter, Melvin: The Political Theory of Montesquieu. Cambridge [u. a.] . S. . Martin Fröhlichs These, dass Montesquieu Venedig hier vorrangig als Argument nutzt, um die Zustände in der französischen Monarchie zu kritisieren, ist aus meiner Sicht wenig überzeugend. (Vgl. dazu Fröhlich, Mysterium Venedig, S. – ). Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, V,, S. : „Si dans l’aristocratie, le peuple est vertueux, on y jouira à peu près du bonheur du gouvernment populaire, et l’État deviendra puissant. Mais, comme il est rare que là où les fortunes des hommes sont si inégales, il y ait beaucoup de vertu, il faut que les lois tendent à donner, autant qu’elles peuvent, un esprit de modération, et
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etwa nicht durch eine spezifische Kleidung vom Bürgertum ab.²⁴ Zudem sei die Primogenitur aus dem Erbrecht gestrichen und dem Adel der Handel verboten worden, eine Anhäufung von Besitz und Macht auf diesen Wegen folglich ausgeschlossen.²⁵ Ein wichtiges Kontrollgremium, so Montesquieu weiter, seien die venezianischen Inquisitoren, die durch ihr gewaltsames Vorgehen den Staat zur Freiheit zurückführen und die Republik gegenüber den Adligen erhalten würden.²⁶ An anderer Stelle formuliert er noch einmal deutlich: Il faut qu’il y ait, pour un temps ou pour toujours, un magistrat qui fasse trembler les nobles, comme les éphores à Lacédémone, et les inquisiteurs d’État à Venise, magistratures qui ne sont soumises à aucunes formalités. Ce gouvernment a besoin de ressorts bien violents. Une bouche de pierre s’ouvre à tout délateur à Venise; vous diriez que c’est celle de la tyrannie.²⁷
Im zweiten Teil seiner Abhandlung geht es Montesquieu nicht mehr um die Beschreibung unterschiedlicher Verfassungstypen, sondern um die bewertende Analyse dieser Typen, um die bestmögliche Verfassung herausarbeiten zu können. Im Zuge dieser Analyse beschreibt er dieses die Aristokratie stabilisierende Element der venezianischen Inquisition als der Freiheit abträglich: Dans les républiques d’Italie, où ces trois pouvoirs sont réunis, la liberté se trouve moins que dans nos monarchies. Aussi le gouvernement a-t-il besoin, pour se maintenir, de moyens aussi violents que le gouvernemnet des Turcs; témoin les inquisiteurs d’État (a Venise), et le tronc où tout délateur peut, à tous les moments, jeter avec un billet son accusation.²⁸
cherchent à rétablir cette égalité que la constitution de l’État ôte nécessairement.“ Vgl. dazu auch Dijn, Annelien de: French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville. Liberty in a Levelled Society? Cambridge (Ideas in Context ). S. . Siehe Montesquieu, De l’Esprit des Lois, V, , S. . Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, V, , S. und S. . Vgl. auch Carrithers, Not so Virtuous Republics, S. f. Montesquieu, De L’Esprit des Lois, II, , S. : „Telle étoit Rome avec ses dictateurs, telle est Venise avec ses inquisiteurs d’État; ce sont des magistratures terribles, qui ramènent violemment l’État à la liberté. Mais, d’où vient que ces magistratures se trouvent si différentes dans ces deux républicques? C’est que Rome défendoit les restes de son aristocratie contre le people; au lieu que Venise se sert de ses inquisiteurs d’Etat pour maintenir son aristocratie contre les nobles.“ Vgl. auch Carrithers, Not so Virtuous Republics, S. f. Montesquieu, De L’Esprit des Lois, V, , S. f. Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI,, S. . Vgl. auch Carrithers, Not so Virtuous Republics, S. .
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Grundsätzlich hält Montesquieu fest, dass die Verfasstheit als Republik in keinem natürlichen Zusammenhang mit der Freiheit stehe.²⁹ Freiheit ist für ihn nur in einem „gouvernement modéré“ möglich, das heißt einer Regierung, die auf der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative beruhe.³⁰ Nur dann könne der einzelne Bürger politische Freiheit genießen, die in einem Gefühl der Sicherheit für jeden Einzelnen bestehe: „La liberté politique dans un citoyen est cette tranquilité d’esprit qui provient de l’opinion que chacun a de sa sûreté; et pour qu’on ait cette liberté, il faut que le gouvernement soit tel qu’un citoyen ne puisse pas craindre un autre citoyen.“³¹ Der Gedanke von Freiheit als Rechtssicherheit des Individuums, garantiert durch eine unabhängige, aber an die Gesetze gebundene Rechtsprechung, klingt hier durch. Vor allem wenn Montesquieu in der Folge noch einmal genauer definiert: „La liberté politique consiste dans la sûreté, ou du moins dans l’opinion que l’on a de sa sûreté. Cette sûreté n’est jamais plus attaquée que dans les accusations publiques ou privées. C’est donc de la bonté des lois criminelles que depend principalement la liberté du citoyen.“³² Folglich formuliert Montesquieu auch klare Bedingungen für die Judikative: sie dürfe keinem permanenten Gremium übertragen werden, nicht an einen bestimmten Beruf oder Stand gebunden sein und alle Angeklagten hätten das Recht, von Richtern aus dem gleichen Stand beurteilt zu werden.³³ Verwirklicht sieht Montesquieu eine solche Rechtsprechung sowie grundsätzlich die Gewaltenteilung und damit auch die Freiheit zeitgenössisch allein in der englischen Verfassung,³⁴ deren Grundzüge er in Buch XI, Kapitel 6 beschreibt,
Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. : „La démocratie et l’aristocratie ne sont point des états libres par leur nature.“ Vgl. dazu Zurbuchen, Simone: Republik oder Monarchie? Montesquieus Theorie der gewaltenteiligen Verfassung Englands. In: Die Natur des Staates. Montesquieu zwischen Macht und Recht. Hrsg. von Karlfriedrich Herb u. Olivier Hidalgo. Baden-Baden . S. – . S. ; Kraus, Englische Verfassung, S. . Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, und XI, . Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. . In seinen Notizen formuliert Montesquieu ähnlich: „Le seul avantage qu’un peuple libre ait sur un autre, c’est la sécurité où chacun est que le caprice d’un seul ne lui ôtera point ses biens ou sa vie.“ (Montesquieu, Mes Pensées, ( I, S. ), S. ). Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XII, , S. . Vgl. dazu Sullivan, Vicki B.: Against the Despotism of a Republic: Montesquieu’s Correction of Machiavelli in the Name of the Security of the Individual. In: HPT XXVII/ (). S. – . S. . Vgl. Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. . Kraus sieht darin eine „unverkennbare Bezugnahme auf das berühmte iudicium parium der Magna Charta von “ (Kraus, Englische Verfassung, S. .). Vgl. Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. : „Il y a aussi une nation dans le monde qui a pour objet direct de sa constitution la liberté politique.“ In seinen nicht exakt datierbaren
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ohne die reale gegenwärtige politische Ausgestaltung bewerten zu wollen: „Ce n’est point à moi à examiner si les Anglois jouissent actuellement de cette liberté, ou non. Il me suffit de dire qu’elle est établie par leurs lois, et je n’en cherche pas advantage.“³⁵ Neben der Gewaltenteilung hebt Montesquieu hinsichtlich der englischen Verfassung vor allem das Repräsentativsystem vor. Dies sei die geeignete Lösung, um alle an der Regierung zu beteiligen und damit auch eine zweite Bedingung von Freiheit zu garantieren: die Fähigkeit zur Selbstregierung: Comme, dans un État libre, tout homme qui est cense avoir une âme libre doit être gouverné par lui-même, il faudroit que le people en corps eût la puissance legislative. Mais comme cela est impossible dans les grands États, et est sujet à beaucoup d’inconvénients dans les petits, il faut que le people fasse par ses représentants tout ce qu’il ne peut faire par luimême.³⁶
Dabei spricht sich Montesquieu aber klar gegen eine Rechenschaftspflicht der Repräsentanten nach dem Vorbild des Reichs oder der Vereinigten Provinzen aus, sondern plädiert für eine Unabhängigkeit nach englischem Modell: Il n’est pas nécessaire que les représentants, qui ont reçu de ceux qui les ont choisis une instruction générale, en reçoivent une particulière sur chaque affaire, comme cela se pratique dans les diètes d’Allemagne. Il est vrai que, de cette manière, la parole des deputes seroit plus l’expression de la voix de la nation; mais cela jetteroit dans des longueurs infinies, rendroit chaque depute le maître de tous les autres, et dans les occasions les plus pressantes, toute la force de la nation pourrout être arête par un caprice. Quand les deputes, dit très bien M. Sidney, représentent un corps de people, comme en Hollande, ils doivent render compte à ceux qui les ont commis: c’est autre chose lorsqu’ils sont deputes par des bourgs, comme en Angleterre.³⁷
Notizen vergleicht Montesquieu England mit Venedig und den Niederlanden gerade in Bezug auf den Aspekt der Freiheit: „A Venise, les sénateurs libres politiquement, et non pas civilement. […] La Hollande n’est plus libre depuis qu’elle n’a plus de stathouder. En Hollande les magistrats sont libres. En Angleterre, ils sont esclaves comme magistrats, et libres comme citoyens. C’est le mal lorsqu’un magistrat est libre comme magistrat, et cela arrive toujours s’il n’y a quelque puissance réglante et tempérante. En Angleterre, celui à qui on fait son process, et qui sera perdu le lendemain, est plus libre qu’aucun citoyen du reste de l’Europe.“ (Montesquieu, Mes Pensées, ( I., S. ), S. ). Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. . Vgl. dazu auch Kraus, Englische Verfassung, S. ; Zurbuchen, Republik oder Monarchie?, S. . Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. . Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. . Vgl. dazu Zurbuchen, Republik oder Monarchie?, S. .
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Schnelligkeit und Effektivität politischer Entscheidungen werden hier also erneut als normative Kriterien angeführt. Auch in Montesquieus Argumentation für ein monarchisches Element kommen diese zum Tragen: „La puissance exécutrice doit être entre les mains d’un monarque, parce que cette partie du government, qui a presque toujours besoin d’une action momentanée, est mieux administrée par une que par plusieurs.“³⁸ Gemessen an diesen Vorgaben, fiel Montesquieus Bewertung der zeitgenössischen Republiken nicht positiv aus. Das Repräsentativsystem der Vereinigten Provinzen würde den eben genannten Mangel aufweisen. In Venedig agiere die Rechtsprechung mit der Inquisition vollkommen willkürlich und zudem sei zwar prinzipiell eine Gewaltenteilung angelegt, diese würde aber wieder aufgehoben durch die Tatsache, dass alle drei Gremien aus demselben Personal rekrutiert würden: „Ainsi, à Venise, le grand conseil a la legislation; le prégadie, l’exécution; les quaranties, le pouvoir de juger. Mais le mal est que ces tribunaux différents sont forms par des magistrats du meme corps; ce qui ne fait guère qu’une meme puissance.“³⁹ Grundsätzlich stellt Montesquieu den Verfassungstyp der Republik im Esprit des Lois vielmehr als anachronistisch dar.⁴⁰ Die Art der politischen Organisation, die auf Tugend als Grundprinzip fuße, sei angesichts einer modernen, vom Handel dominierten Staatenwelt nicht mehr umsetzbar. Luxus und die daraus resultierende Korruption seien in einer Republik notwendige Faktoren des Niedergangs.⁴¹
Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. f. Vgl. dazu auch Zurbuchen, Republik oder Monarchie?, S. f. Montesquieu, De L’Esprit des Lois, XI, , S. . Vgl. auch Carrithers, Not so Virtuous Republics, S. ; de Dijn, French Political Thought, S. . Vgl. dazu unter anderem Zurbuchen, Republik oder Monarchie?, S. ; de Dijn, French Political Thought, S. ; Spector, Céline: Montesquieu: Critique of Republicanism?. In: Republicanism. History, Theory and Practice. Hrsg. von Daniel M. Weinstock u. Christian Nadeau. London . S. – . S. . Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, III, , S. f.: „Il ne faut pas beaucoup de probité pour qu’un gouvernement monarchique ou un gouvernement despotique se maintienne ou se soutienne. La force des lois dans l’un, le bras du prince toujours levé dans l’autre, règlent ou contiennent tous. Mais, dans un état populaire, il faut un resort de plus, qui est la vertu. […] Mais lorsque, dans un gouvernement populaire, les lois ont cessé d’être executes, comme cela ne peut venir que de la corruption de la république, l’État est déjà perdu. […] Les politiques grecs, qui vivoient dans le gouvernement populaire, ne reconnoissoient d’autre force qui pût les soutenir que celle de la vertu. Ceux d’aujourd’hui ne nous parlent que de manufactures, de commerce, de finances, de richesses et de luxe même. Lorsque cette vertu cesse, l’ambition entre dans les coeurs qui peuvent la recevoir, et l’avarice entre dans tous. Les désirs changent d’objets: ce qu’on aimoit, on ne l’aime plus; on étoit libre avec les lois, on veut être libre contre ells; chaque citoyen est
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In einem Repräsentativsystem einer gewaltenteiligen Monarchie würden diese an Persönlichkeiten gebundenen Faktoren hingegen kaum ins Gewicht fallen und von der Verfassung aufgefangen werden.⁴² Nur wenn folglich Wohlstand und Luxus streng reguliert würden, könnten Republiken (als Handelsrepubliken) gegebenenfalls weiter bestehen.⁴³ Zudem bedinge die Form der Republik ein kleines Territorium. Denn nur in einem solchen könne über Identifikation die Einsicht in die Notwendigkeit, das eigene Interesse dem Gemeinwohl unterordnen zu müssen, aufrechterhalten werden.⁴⁴ Allerdings, so Montesquieu weiter, bestehe bei comme un esclave échappé de la maison de son maître; […] La république est une dépouille; et sa force n’est plus que le pouvoir de quelques citoyens et la licence de tous.“ Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, III, , S. : „Dans les monarchies, la politique fait faire les grandes choses avec le moins de vertu qu’elle peut; comme, dans les plus belles machines, l’art emploie aussi peu de movements, de forces et de roués qu’il est possible.“ Luxus sei sogar ein willkommener Motor: „Comme, par la constitution des monarchies, les richesses y sont inégalemnt partagées, il faut bien qu’il y ait du luxe. Si les riches n’y dépensent pas beaucoup, les pauvres mourront de faim. […] Ainsi, pour que l’Etat monarchieque se soutienne, le luxe doit aller en croissant, du laboureur à l’artisan, au négociant, aux nobles, aux magistrats, aus grands seigneurs, aux traitants principaux, aux princes; sans quoi tout seroit perdu. […] Le luxe est donc nécessaire dans les États monarchiques; il l’est encore dans les États despotiques. Dans les premiers, c’est un usage que l’on fait de ce qu’on possède le liberté; […] Tout ceci mène à une réflexion. Les républiques finissent par le luxe; les monarchies, par la pauvreté.“ (Montesquieu, De L’Esprit des Lois, VII, , S. f.). Vgl. dazu Spector, Montesquieu, S. – . Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois,V, , S. : „Pour maintenir l’esprit de commerce, il faut que les principaux citoyens le fassent eux-mêmes; que cet esprit règne seul, et ne soit point croisé par un autre; que toutes les lois le favorisent; que ces memes lois, par leurs dispositions, divisant les fortunes à mesure que le commerce les grossit, mettent chaque citoyen pauvre dans une assez grande aisance, pour pouvoir travailler comme les autres; et chaque citoyen riche dans une telle médiocrité qu’il ait besoin de son travail pour conserver ou pour acquérir. […] Je ne parle que des républiques commerçantes; car, pour celles qui ne les sont pas, le législateur a bien d’autres règlements à faire.“ Vgl. dazu Zurbuchen, Republik oder Monarchie?, S. . Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois,VIII, , S. : „Il est de la nature d’une république qu’elle n’ait qu’un petit territoire; sans cela elle ne peut guère subsister. Dans une grande république, il y a de grandes fortunes, et par consequent peu de moderation dans les esprits: il y a de trop grands depots à mettre entre les mains d’un citoyen; les interest se particularisent; un homme sent d’abord qu’il peut être heureux, grand, glorieux, sans sa patrie; et bientôt, qu’il peut être seul grand sur les ruines de sa patrie. Dans une grande république, le bien commun est sacrifié à mille considerations; il est subordonné à des exceptions; il dépend des accidents. Dans une petite, le bien public est mieux senti, mieux connu, plus près de chaque citoyen; les abus y sont moins étendus, et par consequent moins protégés.“ Vgl. dazu auch Levy, Beyond Publius, S. – ; Zurbuchen, Republik oder Monarchie?, S. ; Richter, The Political Theory of Montesquieu, S. – ; Kraus, Englische Verfassung, S. ; Zur Genese der Kleinstaatlichkeitsprämisse respektive den Vor- und Nachteilen von expansiven Republiken vgl. Armitage, Empire and Liberty; Zur Entwicklung der Diskussion vor allem in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts vgl. Whatmore, „Neither Masters nor Slaves“, S. – .
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solchen Kleinstaaten immer die Gefahr der Eroberung und Zerstörung von außen. In Buch IX, Kapitel 1, fasst er dieses Dilemma zusammen: „Si une république est petite, elle est détruite par une force etrangère; si elle est grande, elle se détruit par un vice intérieur. Ce double inconvénient infecte également les démocraties et les aristocraties, soit qu’elles soient bonnes, soit qu’elles soient mauvaises.“⁴⁵ Als einzige Überlebenschance und Ausweg aus diesem Dilemma sieht Montesquieu die Föderation vieler kleiner Republiken: Ainsi il y a grande apparence que les homes auroient été à la fin obliges de vivre toujours sous le gouvernement d’un seul, s’ils n’avoient imagine une manière de constitution qui a tous les avantages intérieurs du gouvernement républicain, et la force extérieure du monarchique. Je parle de la république fédérative. […] Cette sorte de république, capable de resister à la force extérieure, peut se maintenir dans sa grandeur sans que l’intérieur se corrompe: la forme de cette société prévient tous les inconvénients. […] Composé de petites républiques, il jouit de la bonté du government intérieur de chacune; et, à l’égard du dehors, il a, par la force de l’association, tous les avantages des grandes monarchies.⁴⁶
Dabei nennt er Holland, das Reich und die Eidgenossenschaft als zeitgenössische Formen einer solchen Föderation: „C’est par là que la Hollande, l’Allemagne, les Ligues suisses, sont regardées en Europe comme des républiques éternelles.“⁴⁷ Allerdings verweist Montesquieu darauf, dass eine solche Föderation aus mehreren Republiken bestehen sollte. Das Reich sei deshalb weniger perfekt als die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft, weil es aus Republiken und Fürstentümern zusammengesetzt sei: „La république fédérative d’Allemagne est compose de villes libres et de petits États soumis à des princes. L’expérience fait voir qu’elle est plus impafaite que celle de Hollande et de Suisse.“ ⁴⁸ Neben dem Postulat der Gemeinwesen von „gleicher Natur“ plädiert Montesquieu zudem für eine Beschränkung der Handlungsfähigkeit der einzelnen Provinzen respektive Mitglieder nach niederländischem Vorbild: Montesquieu, De L’Esprit des Lois, IX, , S. . Montesquieu, De L’Esprit des Lois, IX, , S. . Montesquieu, De L’Esprit des Lois, IX, , S. . In einer Fußnote verweist Montesquieu auf Janiçon und interpretiert dessen Darstellung der Vereinigten Provinzen als Zusammenschluss von rund (Städte)Republiken. (Montesquieu, De L’Esprit des Lois, IX, , S. , Anmerkung a). Zu diesem Verweis vgl. Masterson, Holland’s Fifty Republics. In seinen nicht exakt datierbaren Notizen vermerkt Montesquieu an einer Stelle ähnlich: „Toute république trop petite ne peut point être appelée libre: fato potentiae, non sua vi nixae. Pour remédier à cela, les anciennes républiques de Grèce, d’Italie, de Gaule, d’Espagne et de Germanie, formoient des associations, comme font aujourd’hui les Suisses, les peuples d’Allemagne et de PaysBas.“ (Montesquieu, Mes Pensées, ( II, f°), S. ). Montesquieu, De L’esprit des Lois, IX, (Que la constitution federative doit être compose d’états de même nature surtout d’états républicains), S. .
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Dans la république de Hollande, une province ne peut faire une alliance sans le consentement des autres. Cette loi est très bonne, et même nécessaire dans la république fédérative. Elle manqué dans la constitution germanique, où elle préviendroit les malheurs qui y peuvent arriver à tous les membres, par l’imprudence, l’ambition, ou l’avarice d’un seul. Une république qui s’est uni par une confédération politique s’est donnée entire, et n’a plus rien à donner.⁴⁹
Wie die gemeinsame politische Entscheidungsfindung schließlich ausgestaltet werden soll, lässt Montesquieu im Esprit des Lois offen. Klar ist nur, dass ihm auch hier ein Repräsentativsystem vorschwebt. Dabei zieht er allerdings ein proportionales Wahlsystem nach antikem Vorbild dem existierenden niederländischen vor.⁵⁰ In dem zu Lebzeiten Montesquieus nicht veröffentlichten, notizartigen Traktat Confédérations et Colonies, welches wohl in großen Teilen als direkte Vorlage für die Kapitel über eine mögliche Föderation von Republiken in Esprit des Lois diente,⁵¹ führt der Franzose hingegen genauer aus, wie er sich die politische Entscheidungsfindung in einer „perfekten Union“ vorstellt.⁵² Er plädiert hier gleich zu Beginn für das Prinzip der Einstimmigkeit und damit für ein Vetorecht jeder Provinz nach niederländischem Vorbild: „Si l’union est démocratique, comme chaque partie unie a conservé la souveraineté, il peut être fort bien établi Montesquieu, De L’Esprit des Lois, IX, , S. f. Siehe Montesquieu, De L’Esprit des Lois, IX, , S. : „En Lycie, les juges et les magistrats des villes étoient élus par le conseil commun, et selon la proportion que nous avons dite. Dans la république de Hollande, ils ne sont point élus par le conseil commun, et chaque ville nomme ses magistrats. S’il falloit donner un modèle d’une belle république federative, je prendrois la république de Lycie.“ Vgl. dazu Masterson, Holland’s Fifty Republics, S. f., Anm. , der auf Montesquieus Randbemerkungen in den Handschriften verweist und vgl. die Anmerkungen von André Masson in seiner Edition des Textes von : „Confédérations & Colonies. Les six chapitres groupés sous cette rubrique sont aujourd’hui perdus. Selon Barckhausen [Montesquieu, l’Esprit des Lois & les Archives de la Brède, ], ils étaient réunis dans une chemise, sur laquelle on lisait les annotations suivantes: „Peut-être faire un livre des Constitutions fédératives & des Colonies.“ „Cela pourra servir à un ouvrage particulier, ou bien le mettre dans mes Réflexions, par extrait.“„C’est sur les Constitutions, fédératives & les Colonies.“ „[…] I. Des différentes manières de s’unir (a). (a) […] Or, je parle ici de la manière dont les républiques fédératives se maintiennent: ce qui est une autre chose & ne peut être bon que dans un livre où je parlerois des loix de ces républiques fédératives, ou pour mes Réflexions.“ (Masson, André M.: Œuvres complètes de Montesquieu. Publiées avec la concours de la Recherche Scientifique sous la direction de M. André Masson.Tome III. Paris . (Les éditions Nagel). S. .). Montesquieu, Charles de Secondat: Confédérations & Colonies. In: Masson, Œuvres complètes, S. – . Für Montesquieu ist die Konföderation perfekt, die sich am stärksten der Demokratie annähert (S. f.: „Plus la confédération approche de la démocratie, plus elle est parfaite.“)
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que toutes les résolutions, pour être exécutées, soient unanimes, comme il est établi dans la république des Provinces-Unies.“⁵³ Schnelligkeit und Effektivität traten hier offenbar gegenüber Stabilität und Verteidigungsfähigkeit der Union in den Hintergrund.
Montesquieu, Confédérations & Colonies, S. . Im Laufe des Traktats plädiert Montesquieu verstärkt für eine Gleichrangigkeit und Eigenständigkeit der einzelnen Mitglieder. Dass ein Teil den anderen zu erobern suche, wie es kürzlich in der Eidgenossenschaft vorgekommen sei, sei daher unbedingt zu vermeiden („Il est contre la nature de la chose que, dans une constitution fédérative, une partie conquière sur l’autre, comme nous avons vu de nos jours chez les Suisses.“ Montesquieu, Confédération & Colonies, S. ).
2 David Hume Anders verhielt es sich bei dem Schotten David Hume. In seinem Entwurf einer idealen Verfassung, die gegenwärtigen Staaten als Orientierung und Modell für Veränderungen dienen sollte und die 1752 erstmals publiziert wurde, befürwortet auch er ein föderatives Modell nach niederländischem Vorbild.¹ Dabei sollte diese in der Idea of a Perfect Commonwealth vorgestellte Föderation vieler kleiner Republiken das Dilemma von Groß- beziehungsweise Kleinstaatlichkeit lösen, das Hume ähnlich zu Montesquieu charakterisiert: „A small commonwealth is the happiest government in the world within itself, because every thing lies under the eye of the rulers: But it may be subdued by great force from without. This scheme seems to have all the advantages both of a great and a little commonwealth.“² Allerdings forderte Hume für dieses föderative Schema gerade solche Veränderungen, die die politische Entscheidungsfindung und damit auch das Handeln schneller und wirksamer machen sollten: Stärkung der Zentralgewalt und Rückbindung der Repräsentanten an das Prinzip der Gleichheit. Dies wird an den Modifikationen deutlich, die Hume für sein Modell gegenüber der bestehenden Form der Vereinigten Provinzen aufzeigt und damit gleichzeitig Defizite benennt, die in den vorangegangenen Aussagen über die Niederlande immer wieder auftraten: Das Vetorecht der einzelnen Provinzen sei in seinem föderativen Gemeinwesen abgeschafft, die Provinzen seien insgesamt weniger unabhängig als die jetzigen niederländischen und das zentrale Gremium würde mehr Macht erhalten. Zudem sei dem Prinzip der Gleichheit mehr Rechnung getragen worden, indem die Repräsentation stärker an dieses Prinzip gebunden sei und das Volk jährlich seine Repräsentanten wähle. Dadurch könnte auch die bisher unbegrenzte Macht der städtischen Bürgermeister in den Vereinigten Provinzen begrenzt werden:
Siehe Hume, David: Idea of a Perfect Commonwealth. In: David Hume. Political Essays. Hrsg. von Knut Haakonssen. Cambridge (Cambridge Texts in the History of Political Thought). S. – . Einen guten Überblick zu Leben und Werk von Hume gibt: Robertson, John: Art. Hume, David. In: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/arti cle/ (. . ). Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. . In früheren Traktaten weist Hume auf weitere Nachteile von Kleinstaatlichkeit hin, etwa dass die Gefahr der Bildung von divergierenden Interessengruppen größer sei: „Personal Factions arise most easily in small Republics. Every domestic Quarrel becomes an affair of State.“ (Hume, Of Parties in General (). In: Hume, Political Essays, S. – , S. .).
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That the foregoing plan of government is practicable, no one can doubt who considers the resemblance that it bears to the commonwealth of the United Provinces, a wise and renowed government. The alterations in the present scheme seem all evidently for the better. 1. The representation is more equal, 2. The unlimited power of the burgomasters in the towns, which forms a perfect aristocracy in the Dutch commonwealth, is corrected by a well-tempered democracy, in giving to the people the annual election of the county representatives. 3. The negative, which every province and town has upon the whole body of the Dutch Republic, with regard to alliances, peace and war, and the imposition of taxes, is here removed. 4. The counties, in the present plan, are not so independent of each other, nor do they form separate bodies so much as the seven provinces, where the jealousy and envy of the smaller provinces and towns against the greater, particularly Holland and Amsterdam, have frequently disturbed the government. 5. Larger powers, though of the safest kind, are intrusted to the senate than the States-General possess; by which means the former may become more expeditious and secret in their resolutions than it is possible for the latter.³
Hume zeichnet in diesem Essay einen Verbund vieler kleiner Einheiten, „counties“, deren Mindestanzahl er auf dreißig festlegt und innerhalb derer alle Grundund Hausbesitzer ab einem bestimmten monetären Wert ihres Eigentums jährlich ihre Repräsentanten wählen. Diese haben die Legislative inne und wählen wiederum aus ihrer Mitte (nach dem Vorbild des venezianischen Losverfahrens) einen Senat, der die Exekutive bildet und einen Teil der Judikative ausübt.⁴ Bei Entscheidungen, so Hume ausdrücklich, gelte das Mehrheitsprinzip (und nicht das Prinzip der Einstimmigkeit!).⁵ Die einzelnen „counties“ könnten als selbständige Republiken sogenannte „by-laws“ verabschieden, deren Gültigkeit allerdings auf ein Jahr beschränkt sei und jederzeit durch ein Veto der anderen Provinzen oder des Senats aufgehoben werden könne.⁶ Militärisch müsse eine Miliz nach schweizerischem Vorbild aufgebaut werden.⁷ Insgesamt, so Humes Fazit in dieser Abhandlung, gelte es also mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass ein „commonwealth“ in großen Staaten nicht umgesetzt werden könne. Stattdessen würde gerade ein großer (föderativ organisierter) Staat die Möglichkeit bieten, die Demokratie weiterzuentwickeln: We shall conclude this subject, with observing the falsehood of the common opinion, that no large state, such as France or Great Britain, could ever be modelled into a commonwealth, but that such a form of government can only take part in a city or small territory.
Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. . Siehe Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. f. Siehe Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. f. Siehe Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. . Siehe Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. : „The militia is established in imitation of that of Swisserland, which being well known, we shall not insist upon it.“
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The contrary seems probable. Though it is more difficult to form a republican government in an extensive country than in a city, there is more facility when once it is formed, of preserving it steady and uniform, without tumult and faction. […] Democracies are turbulent. For, however the people may be separated or divided into small parties, either in their votes or elections, their near habitation in a city will always make the force of popular tides and currents very sensible. Aristocracies are better adapted for peace and order, and accordingly were most admired by ancient writers; but they are jealous and oppressive. In a large government, which is modelled with masterly skill, there is compass and room enough to refine the democracy […].⁸
Die Möglichkeit der Weiterentwicklung von Gemeinwesen, die Hume hier einräumt, verweist auf sein Geschichtsverständnis. Historische Veränderung erfolgte für ihn in linearen Entwicklungsstufen.⁹ Dabei orientierte er sich stark an Samuel von Pufendorfs Theorie der Entwicklung politischer und rechtlicher Systeme.¹⁰ Das „perfekte Gemeinwesen“, das Hume in seiner Idea of a perfect commonwealth beschreibt, sieht er als weitere, noch zu verwirklichende Stufe an. Republiken in ihrer bisherigen Ausgestaltung beurteilt er hingegen als wichtige, aber – ähnlich wie Montesquieu – anachronistische Entwicklungsformen der Vergangenheit.¹¹ Allein in den antiken Republiken habe eine Weiterentwicklung der Menschheit in Bildung und Wissen sowie Gesetzen und politischen Institutionen, so Hume am deutlichsten in Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences (1742), stattfinden können. Nur dort sei durch eine den Bürgern garantierte Rechtssicherheit und ein durch friedliche Handelsbeziehungen gekennzeichnetes Gleichgewicht von Staaten eine den Fortschritt stimulierende Umgebung gegeben gewesen.¹² Kleinstaatlichkeit und ausgeglichene Besitzverhältnisse seien eben Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. . Vgl. dazu Haakonssen, Knud: Introduction. In: Hume, Political Essays, S. xi–xxx, S. xv; Phillipson, Nicholas: David Hume. The Philosopher as Historian. Revised Edition. London . S. ; in Ansätzen auch Skinner, Andrew W.: David Hume: Principles of political economy. In: The Cambridge Companion to Hume. Hrsg. von David Fate Norton. Cambridge . S. – . S. f. Vgl. Oz-Salzberger, Fania: The Political Theory of the Scottish Enlightenment. In: The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment. Hrsg. von Alexander Broadie. Cambridge . S. – . S. . Vgl. hier und im Folgenden grundlegend: Robertson, John: The Scottish Enlightenment at the Limits of the Civic Tradition. In: Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment. Hrsg. von Istvan Hont u. Michael Ignatieff. Cambridge [u. a.] . S. – . Diese im Folgenden skizzierte These Humes ergibt sich aus mehreren Traktaten, von denen fast alle zusammen unter dem Titel Political Discourses in Edinburgh publiziert wurden. Hume, Of the rise and progress of the arts and sciences. In: Hume, Political Essays, S. – , S. f. Vgl. auch Robertson, The Scottish Enlightenment, S. f.
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falls Vorteile gewesen, die zeitgenössisch höchstens in den Vereinigten Provinzen und der Eidgenossenschaft zu finden seien.¹³ Allerdings habe die politische Freiheit in den antiken Republiken auf einer Unterdrückung von Sklaven beruht und sei, in Ermangelung eines Repräsentativsystems, durch politische Parteienbildung unterwandert worden. Zudem seien keinerlei Anreize für eine wirtschaftliche Weiterentwicklung gesetzt worden, so Hume in seinem im selben Jahr erschienenen Essay Of the Populousness of Ancient Nations. ¹⁴ In einer letzten Überarbeitung dieses Essays, die postum 1777 gedruckt wurde, wertet Hume die zeitgenössischen Republiken ihren antiken Vorgängern als überlegen. Fast alle zeitgenössischen Republiken seien gemäßigte Aristokratien mit einer stabilen Regierung und einer sozialen Ordnung, die für die wirtschaftliche Entwicklung von Vorteil sei: In those days there was no medium between a severe, jealous Aristocracy, ruling over discontented subjects; and a turbulent, factious, tyrannical Democracy. At present, there is not one republic in Europe, from one extremity of it to the other, that is not remarkable for justice, lenity, and stability, equal to, or even beyond Marseilles, Rhodes, or the most celebrated in antiquity. Almost all of them are well-tempered Aristocracies.¹⁵
Siehe Hume, David: Of the Populousness of Ancient Nations. In: Hume, David: Essays and Treatises on Several Subjects. In two volumes. By David Hume. Vol. I: Containing Essays, Moral, Political and Literary. A new Edition. London (printed for T. Cadell) . S. – . S. : „It must be owned, that the situation of affairs in modern times, with regard to civil liberty, as well as equality of fortune, is not near favourable, either to the propagation or happiness of mankind. Europe is shared out mostly into great monarchies; and such parts of it as are divided into small territories, are commonly governed by absolute princes, who ruin their people by a mimicry of the greatest monarchs in the splendor of their court and number of their forces. Swisserland alone and Holland resemble the ancient republics; and though the former is far from possessing any advantage either soil, climate, or commerce, yet the numbers of people, with which it abounds […] prove sufficiently the advantages of their political institutions.“ Siehe Hume, Of the Populousness of Ancient Nations, S. f., S. f., S. – .Vgl. auch Robertson, The Scottish Enlightenment, S. f. Hume, Of the Populousness of Ancient Nations, S. – , S. f. In seinem früheren Essay That Politics may be reduced to a science () hatte Hume Venedig bereits als Inbegriff einer solchen stabilen Aristokratie und somit der polnischen Aristokratie als überlegen dargestellt (Siehe Hume, That politics may be reduced to a science. In: Hume, Political Essays, S. – , S. f.). Zur grundsätzlichen Überlegenheit der “Modernen” gegenüber den “Alten” siehe außerdem Hume, Of civil liberty, S. : „Since I am upon this head, of the alterations which time has produced, or may produce in politics, I must observe, that all kinds of government, free and absolute, seem to have undergone, in modern times, a great change for the better with regard both to foreign and domestic management. The balance of power is a secret in politics, fully known only to the present age.“ Zusammenfassend in Hume, Of the Populousness of Ancients Nations, S. : „Thus, upon comparing the whole, it seems impossible to assign any just reason, why the world should have been more populous in ancient than in modern times.The equality of property among
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Der große Nachteil der zeitgenössischen Republiken sei aber, dass sie aufgrund ihres kleinen Territoriums ihre Wirtschaften nicht auf eigene Böden und Rohstoffe, sondern allein auf den Außenhandel ausrichten würden. Um diesen weiter finanzieren zu können, seien sie immer mehr auf öffentliche Kredite angewiesen. Diese hätten die Niederlande schon beinahe ruiniert – so Humes Bemerkung in dem Traktat Of civil liberty (1741).¹⁶ Zudem würden sich immer mehr Mächte am Welthandel beteiligen. Die geringe Größe werde den existierenden Republiken daher bald zum Nachteil gereichen. Auch die Vereinigten Provinzen würden das irgendwann spüren. Im Vergleich mit anderen, so hält Hume in Of jealousy of trade (1758) fest, sei deren relative Macht bereits jetzt schon gesunken: The only commercial state, that ought to dread the improvements and industry of their neighbours, is such a one as the Dutch, who, enjoying no extent of land, nor possessing any number of native commodities, flourish only by their being the brokers, and factors, and carriers of others. Such a people may naturally apprehend, that, as soon as the neighbouring states come to know and pursue their interest, they will take into their own hands the management of their affairs, and deprive their brokers of that profit, which they formerly reaped from it. […] The Dutch, having mortgaged all their revenues, make not such a figure in political transactions as formerly; but their commerce is surely equal to what it was in the middle of the last century, when they were reckoned among the great powers of Europe.¹⁷
Hume schrieb dies in Kenntnis von William Temples Observations upon the United Provinces of the Netherlands. Er setzte sich in mehreren Traktaten mit dessen
the ancients, liberty, and the small divisions of their states, were indeed circumstances favourable to the propagation of mankind; But their wars were more bloody and destructive, their governments more factious and unsettled, commerce and manufactures more feeble and languishing, and the general police more loose and irregular. These latter disadvantages seem to form a sufficient counterbalance to the former advantages; and rather to favour the opposite opinion to that which commonly prevails with regard to this subject.“ Vgl. dazu auch Robertson, The Scottish Enlightenment, S. . Siehe Hume, Of civil liberty, S. – , S. : „The source of degeneracy, which may be remarked in free governments, consists in the practice of contracting debt, and mortgaging the public revenues, by which taxes may, in time, become altogether intolerable, and all the property of the state be brought into the hands of the public. This practice is modern date. […] Among the modern, the Dutch first introduced the practice of borrowing great sums at low interest, and have well nigh ruined themselves by it.“ Hume, Of jealousy of trade. In: Hume, Political Essays, S. – , S. f. Vgl. dazu Robertson, The Scottish Enlightenment, S. .
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Beschreibung der Vereinigten Provinzen auseinander.¹⁸ Überhaupt entstanden seine Aussagen über die zeitgenössischen Republiken in Auseinandersetzung mit den prägenden Autoren des bestehenden Aussagenfeldes. Namentlich zitiert er neben Temple auch Abraham Stanyan und Joseph Addison.¹⁹ Eine Auseinandersetzung mit Amelot de la Houssaye ist – gerade auch vor dem Hintergrund seiner intensiven Diskussion von Harringtons Oceana sehr wahrscheinlich.²⁰ Harringtons Entwurf bewertet Hume aufgrund der geforderten Ämterrotation, dem zugrunde liegenden Agrargesetz und der mangelnden Sicherheit für die Freiheit als fehlerhaft.²¹ Mit Blick auf die Gegenwart sieht Hume wie Montesquieu – über dessen Esprit des Lois er schriftlich mit dem Franzosen diskutierte²² – die „civilized monarchies“ als den zeitgenössischen Republiken überlegen an. Sie kämen der „perfection“ bisher am nächsten, urteilt Hume 1741 in Of civil liberty: But though all kinds of government be improved in modern times, yet monarchical government seems to have made the greatest advances towards perfection. It may now be affirmed of civilized monarchies, what was formerly said in praise of republics alone, that they are a government of Laws, not of Men. They are found susceptible of order, method, and constan-
Vgl. die namentlichen Verweise und Argumentation in Of civil liberty (Hume, Political Essays, S. ), Of national characters (Hume, Political Essays, S. ) und Of taxes (Hume, Political Essays, S. ); Vgl. auch Hont, Jealousy of Trade, S. . Siehe die Verweise in Of the balance of trade (Hume, Political Essays, S. ) und Of civil liberty (Hume, Political Essays, S. ). Seine eigenen Erfahrungen, welche Hume auf seiner Reise durch die Niederlande und das Reich als Sekretär einer Gesandtschaft nach Wien machte, hielt er in einem Reisejournal in Briefform an seinen Bruder fest. Darin finden sich allerdings hinsichtlich der Vereinigten Provinzen allein die üblichen Topoi der wunderschönen Städte, der unfruchtbaren, kargen Landschaft und der Unvergleichbarkeit in der Welt. Den Statthalter bewertet Hume als äußerst positiv und zeitgenössisch in seiner Position „as absolute as any king in Europe“. Siehe die Briefe von Hume to John Home of Ninewells, March– April . In: The Letters of David Hume. Bd. : – . Hrsg. von J.Y.T. Greig. Oxford (ND ). S. – . Vgl. dazu Robertson, Hume, S. . Vgl. dazu auch die Anmerkung zu Idea of a Perfect Commonwealth von Knut Haakonssen (Hume, Political Essays, S. ). Siehe Hume, Idea of a Perfect Commonwealth, S. : „The chief defects of the Oceana seem to be these. First, Its rotation is inconvenient, by throwing men, of whatever ability, by intervals, out of public employments. Secondly, Its Agrarian is impracticable. […] Thirdly, The Oceana provides not a sufficient security for liberty, or the redress of grievances.“ Siehe Hume to Montesquieu, . April . In: Greig, The Letters of David Hume, Bd. , S. – . Hume kritisiert darin vor allem Montesquieus Darstellung der englischen Verfassung und Handelsbilanz und zweifelt dessen Lob des existierenden Bankwesens an; Zu Humes Auseinandersetzung mit Montesquieu vgl. Oz-Salzberger, The Political Theory, S. ; Baumstark, Moritz: David Hume: The Making of a Philosophical Historian. A Reconsideration. Edinburgh . S. – . https://www.era.lib.ed.ac.uk/handle// (. . ).
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cy, to a surprizing (sic!) degree. Property is there secure; industry encouraged; the arts flourish; and the prince lives secure among his subjects, like a father among his children.²³
Allerdings konstatiert Hume auch hier Defekte: Die präsente Versuchung der Universalmonarchie verleite zu teuren Expansionen, die das Verhältnis zu den Nachbarn und den unterlegenen Gebieten extrem verschlechtern könnten. Zudem sei das Prinzip der Ehre in diesen Monarchien immer noch so stark, dass die Herausbildung eines „commercial middle rank“ als Garantie von Freiheit, Prosperität und Stabilität verhindert werde.²⁴ Den wirtschaftlichen Erfolg Englands und die weitreichenden Freiheiten in diesem Staat konstatiert auch Hume. Aber anders als Montesquieu und die zeitgenössische Whig-Propaganda schreibt er dem englischen Staat weder Ausnahmerolle noch Perfektion zu.²⁵ Angesichts der starken Auseinandersetzungen verschiedener Interessengruppen, die gar die Verfassung des Staates selbst beträfen, bleibt Hume hier skeptisch.²⁶
Hume, Of civil liberty, S. . In den ersten Editionen zwischen und veröffentlichte Hume diese Abhandlung noch unter dem Titel Of liberty and despotism. Vgl. auch Robertson, The Scottish Enlightenment, S. . Hume verweist dabei auf Frankreich als “civilized monarchy”, die als erste den Handel als wichtiges Moment der Staatsraison erkannt habe.Vgl. dazu Hont, Jealousy of Trade, S. f. Siehe Hume, Of civil liberty, S. f. Vgl. auch Robertson, The Scottish Enlightenment, S. – . So sieht Hume Frankreich ebenfalls als fortschrittliche „civilised monarchie“ an. Vgl. dazu ausführlicher Robertson, Hume, S. f.; Haakonssen, Introduction, S. xviii; Hont, Jealousy of Trade, S. f. Siehe Hume, That politics may be reduced to a science, S. – . Er kommt zu dem Schluss: „A constitution is only so far good, as it provides a remedy against mal-administration; […] if our constitution, I say, with so great advantages, does not, in fact, provide any such remedy, we are rather beholden to any minister who undermines it, and affords us an opportunity of erecting in its place a better constitution.“
3 Fazit David Hume entwarf seine eigene, oben dargelegte Idee eines perfekten Gemeinwesens, von deren Umsetzbarkeit er überzeugt war.¹ Die normativen Zielvorstellungen, die diesem Entwurf zugrunde lagen, stimmen weitgehend mit jenen überein, die Montesquieus Schriften erkennen lassen. Es sind dabei genau jene, die in den Aussagen über die zeitgenössischen Republiken zwischen 1650 und 1750 präsent sind: Wirtschaftlicher Erfolg, Stabilität, Schnelligkeit und Effektivität sowie Freiheit als Rechtssicherheit. Die Strategien, Themenfelder und Beispiele, die mit Blick auf diese Normen diskutiert wurden, bewerteten Montesquieu und Hume aber zum Teil ganz anders als die meisten der Autoren, die sich bis dato mit Venedig, der Eidgenossenschaft und den Vereinigten Provinzen auseinandergesetzt hatten. Die Verfassungsform der Republik galt beiden Autoren in ihrer bisherigen Ausgestaltung als Kleinstaat als anachronistisch und in einer vom Handel dominierten Welt nicht mehr als überlebensfähig. Der Verfassungstyp als Kriterium erhält hier folglich verhältnismäßig viel Gewicht. Der föderative Staat – als Überlebenschance bei Montesquieu und als Ideal bei Hume – sollte Stabilität und Freiheit garantieren. Beide sprachen sich wie die Autoren vor 1750 gegen Expansion aus und Hume forderte als außenpolitische Strategie ebenfalls eine europäische balance of power. Korruption und Luxus wurden hingegen von beiden nicht mehr als Instabilitätsfaktoren gewertet. Sie seien entweder durch institutionelle Mechanismen als unwirksam oder im Falle des Luxus sogar als Motoren des wirtschaftlichen Erfolges einzuschätzen.² Es sind diese institutionellen Mechanismen, vor allem in Form der Gewaltenteilung, die bei beiden Autoren stark ins Gewicht fallen und im vorangegangenen Sprechen über die Republiken (mit Ausnahme des venezianischen Losverfahrens und dem Plädoyer für eine unabhängige, unbestechliche Justiz) kaum
Dies wird nicht zuletzt aus Humes Überzeugung der künstlichen Herstellbarkeit von Verfassungen deutlich (Hume, Idea of a perfect commonwealth, S. : „It is not with forms of governments, as with other artificial contrivances.“) sowie aus seinen konkreten Reformvorschlägen für die Niederlande und Großbritannien (siehe Hume, Idea of a perfect commonwealth, S. ). Angesichts dieser Überzeugung der Umsetzbarkeit ist es fraglich, ob Humes Text als „Utopie“ bezeichnet werden kann. (Vgl. eine solche Einordnung etwa bei Claeys, Gregory: Utopias of the British Enlightenment. Cambridge (Cambridge Texts in the History of Political Thought)). Für Humes den Luxus befürwortende Argumente siehe vor allem seine Trakate Of commerce (Hume, Political Essays, S. – ) und Of Luxury (ab unter dem Titel Of refinement in the arts publiziert) (Hume, Political Essays, S. – ). Vgl. dazu Robertson, The Scottish Enlightenment, S. f.
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3 Fazit
erkennbar waren. Neu ist auch die Betonung eines Repräsentativsystems, welches neben der negativen Freiheit des Individuums durch Rechtssicherheit auch positive Freiheit als Freiheit zu politischer Beteiligung ermöglichen soll.³ Ein solcher Ansatz war in der vorangegangenen Diskussion über die zeitgenössischen Republiken allein bei den englischen Commonwealthmen und dem Venezianer Scipione Maffei erkennbar. Die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft werden bei Montesquieu und Hume vor allem mit Blick auf ihren föderativen Staatsaufbau diskutiert und angesichts der neu formulierten Idealvorstellungen als defizitär gewertet. Venedig stilisieren beide Autoren als Paradebeispiel einer Aristokratie, die allerdings nicht mehr zeitgemäß sei. In dieser vom Handel dominierten Gegenwart, so Hume, könnten auch die Vereinigten Provinzen, deren wirtschaftliches Potential auf keiner realen Entsprechung gründe und zunehmend über öffentliche Kredite finanziert werde, nicht auf lange Sicht bestehen. Die Zuschreibung als leuchtendes Vorbild für wirtschaftlichen Erfolg geht hier also verloren. Beide, Montesquieu und Hume, nutzen aber gerade – wie die oben analysierten Staatsbeschreibungen – diese Beobachtungen der zeitgenössischen Gemeinwesen sowie ihrer historischen Vorbilder, um ihre Prinzipien für einen bestmöglichen Staat daraus abzuleiten und so eine Orientierungsgrundlage für mögliche Reformen zu schaffen.⁴ Dieser bestmögliche Staat wird als in seiner Verfassungsgrundlage bereits realisiert (Montesquieu: die englische Verfassung) oder als in der Zukunft gestaltbar gedacht (Hume). So definiert Hume in seiner Idea of a Perfect commonwealth eine „form of government“ klar als künstliches und damit herstellbares Produkt:
In der Forschung wird breit diskutiert, ob Montesquieu auf dieser Grundlage dem Paradigma des Republikanismus oder jenem des Liberalismus zuzuordnen sei (vgl. exemplarisch die Ausführungen und Zusammenfassungen bei Sullivan, Against the Despotism of a Republic und Spector, Montesquieus Critique of Republicanism). Für die vorliegende Arbeit ist das nicht die entscheidende Frage, da es sich allein um eine Zuschreibung durch eine beschreibende Kategorie der Forschung handelt. Will man Montesquieus und Humes Betonung des Repräsentativsystems und den damit verbundenen Anspruch der negativen Freiheit als Voraussetzung für eine notwendige positive Freiheit unbedingt mit einem Terminus fassen, so ist dies aus meiner Sicht am ehesten Benjamin Constants liberté des modèrnes. Vgl. Kraus, Englische Verfassung, S. . Der Autor betont überzeugend, dass es Montesquieu darum ging, einen Denkprozess anzustoßen: Wie soll die eigene Ordnung gestaltet werden, um sie der Vernunft bestmöglich anzunähern, ohne dabei eigene Traditionen und Gegebenheiten aus dem Blick zu verlieren?! Die englische Verfassung sei für Montesquieu keine Idealverfassung in dem Sinne, dass diese für alle gleichermaßen anwendbar sei. Sie sei vielmehr ein gelungener Anwendungsfall menschlicher Vernunft, der zur Orientierung dienen könne.
3 Fazit
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It is not with forms of government, as with other artificial contrivances: where an old engine may be rejected, if we can discover another more accurate and commodious, or where trials may safely be made, even though the success be doubtful. […] As one form of government must be allowed more perfect than another, independent of the manners and humours of particular men; why may we not inquire what is the most perfect of all, though the common botched and inaccurate governments seem to serve the purposes of society, and though it be not so easy to establish a new system of government, as to build a vessel upon a new plan?⁵
Die Zukunft denkt er als Teil einer linearen Geschichtsentwicklung und damit als dem Fortschritt verpflichtet.⁶ Allerdings erscheint dieses Gedankengebäude nicht so deterministisch, dass Hume die Gestaltbarkeit negiert. Neben der klaren Aussage zu Beginn der Idea of a Perfect Commonwealth hält er auch in dem Essay That politics may be reduced to a science fest: Legislators, therefore, ought not to trust the future government of a state entirely to chance, but ought to provide a system of laws to regulate the administration of public affairs to the
Hume, Idea of a perfect commonwealth, S. . In seinem Essay Of the Populousness of Ancients Nations setzt Hume die Entwicklung der Welt mit derjenigen des Menschen gleich: „It must therefore, as well as each individual form which it contains, have its infancy, youth, manhood, and old age; and it is probable, that, in all these variations, man, equally with every animal and vegetable, will partake.“ Allerdings verweist er auch darauf, dass (als Teil dieses Prozesses) nicht sicher auszumachen sei, wo in dieser Entwicklung der höchste Grad der Perfektion erreicht sei: „And though it were allowed, that the universe, like an animal body, had a natural progress from infancy to old age; yet as it must still be uncertain, whether, at present, it be advancing to its point of perfection, or declining from it, we cannot thence presuppose any decay in human nature.“ (Hume, Of the Populousness of Ancients Nations, S. f.). Montesquieus Geschichtsverständnis wird in der Forschung angesichts seines Gesamtwerkes (und nicht allein mit Blick auf den deterministisch angelegten Essay Considérations sur les causes de la grandeur et de la décadence des Romains) als ambivalent bewertet. Montesquieus Darstellungen würden kein teleologisches Fortschrittsdenken offenbaren. Sein Geschichtsverständnis sei dennoch deterministisch, in dem Sinne, dass bei bestimmten natürlichen, klimatischen und institutionellen Gegebenheiten die Entwicklung eines Gemeinwesens allein die logische, unabänderliche Folge dieser Gegebenheiten sei, die einzelne Individuen nur in der Ausgestaltung der Details, nicht aber in ihrem grundsätzlichen Verlauf beeinflussen könnten. Allerdings betont Montesquieu an anderer Stelle gerade die Rolle Einzelner, die die Entwicklung eines Gemeinwesens und damit Geschichte aktiv gestaltet hätten (so etwa die Darstellung Cromwells und Karls XII. in seiner Abhandlung Réflexions sur le caractère de quelques princes et sur quelques événements de leur vie (1731– 33)).Vgl. dazu grundlegend Carrithers, David: Montesquieu’s Philosophy of History. In: JHI 47/1 (1986). S. 61– 80. Bezüglich Montesquieus selektiver Geschichtserzählung, um diese für „philosophical generalisations“ nutzbar zu machen vgl. außerdem Pocock, John G.A.: Barbarism and Religion. Vol. III: The First Decline and Fall. Cambridge 2003. S. 343 – 360.
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3 Fazit
latest posterity. Effects will always correspond to causes; and wise regulations, in any commonwealth, are the most valuable legacy that can be left to future ages.⁷
Dieser Gestaltungsoptimismus schlägt sich sowohl bei Hume als auch bei Montesquieu in den sprachlichen Metaphern nieder. Beide verwenden als Bild für den Staat jenes der Maschine. Montesquieu etwa zieht diese Parallele in seinem Verweis darauf, dass Monarchien anders als Republiken nicht auf das Prinzip der Tugend angewiesen seien: „Dans les monarchies, la politique fait faire les grandes choses avec le moins de vertu qu’elle peut; comme, dans les plus belles machines, l’art emploie aussi peu de mouvements, de forces et de roues qu’il est possible.“⁸ Hume spricht zu Beginn seines Verfassungsentwurfs von der „alten Maschine“, die „ausgemustert“ und durch eine neue ersetzt werden könne.⁹ Am Ende dieses Entwurfs hält er fest, dass auch die beste politische Maschine rosten und aufgrund von starken Defekten, „factionbuilding“ oder Expansion endlich sein könne. Eine lange Dauer aber sei zu erwarten: It is needless to inquire, whether such a government would be immortal. […] The world itself probably is not immortal. Such consuming plagues may arise as would leave even a perfect government a weak prey to its neighbours. […] Where difference of interest is removed, whimsical unaccountable factions often arise, from personal favour or enmity. Perhaps rust may grow to the springs of the most accurate political machine, and disorder its motions. Lastly, extensive conquests, when pursued, must be the ruin of every free government; […] It is a sufficient incitement to human endeavours, that such a government would flourish for many ages.¹⁰
Hume, That politics may be reduced to a science, S. f. Montesquieu, De L’Esprit des Lois, III, , S. . Hume, Idea of a perfect commonwealth, S. . Hume, Idea of a perfect commonwealth, S. . Zum mechanischen Sprachgebrauch bei Hume und Montesquieu vgl. auch die Hinweise bei David Wootton, Liberty, S. und S. .
V Schlussbetrachtung
1 Ergebnisse Die Analyse der Aussagen, die sich in Bezug auf Venedig, die Vereinigten Provinzen der Niederlande und die Eidgenossenschaft bis 1750 in gedruckten Quellen finden lassen, führte zu folgenden Ergebnissen: Das Spektrum der möglichen Aussagen über alle drei Republiken wurde ab 1650 erweitert. Exklusive Staatsbeschreibungen und politiktheoretische Abhandlungen erörterten neue Themen: die Freiheit der Bürger, die Steuern- und Abgabenpolitik der Freistaaten, die existierende Justiz, der politisch-strategische Umgang mit Religionsflüchtlingen sowie die außenpolitischen Maxime der drei Republiken. Dabei traten bis dahin dominante Elemente der Rezeption in den Hintergrund, wurden umgedeutet oder differenzierter und ausführlicher diskutiert.¹ So wurde der bis dato europaweit transportierte venezianische Mythos modifiziert, indem einzelne Elemente abstrahiert (etwa die technische Komponente des Losverfahrens als Stabilitätsgarant), priorisiert oder innerhalb neuer Aussagenkomplexe diskutiert wurden (zum Beispiel der Agrarstaat bei Harrington). Stereotype Elemente des Mythosnarrativs wie Reichtum, Gerechtigkeit und jungfräuliche Uneinnehmbarkeit wurden in einer differenzierten Betrachtung zunehmend in Frage gestellt. In den Darstellungen der Niederlande traten neben die seit Lodovico Guicciardinis Descrittione Di Tutti I Paesi Bassi (1567) üblichen Stereotype der Beschreibung (Niederländer als fleißige, einfallsreiche, saubere, wohltätige Seefahrer; günstige Lage und Infrastruktur für den Handel; schöne, dicht bevölkerte und gut befestigte Städte; erfolgreiche Wirtschaft) neue Elemente hinzu, wie die Religions- und Gewissensfreiheit als Stütze einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik sowie die in den Niederlanden gewährte negative Freiheit und das gute Justizsystem als entscheidende Staatsgrundlagen. Die politischen Institutionen und Verfassungsstrukturen der Vereinigten Provinzen, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts allein in englischen Reiseberichten ausführlicher thematisiert worden waren, wurden nun von einem breiten Autorenkreis und in eigenen Kapiteln diskutiert. Diese neuen Elemente der Beschreibung wurden in der Folge gattungsübergreifend in Frankreich, im Reich und in England aufgegriffen und weitergetragen.
Die Übergänge sind dabei fließend. Noch finden sich etwa Abhandlungen, die gänzlich den Mythos Venedig bedienen (zum Beispiel Lassels, Richard: The Voyage of Italy. London (printed for John Starkey) .) oder Staatsbeschreibungen, die allein Venedig und noch nicht die anderen beiden Republiken thematisieren (zum Beispiel Becmann, Historia Orbis Terrarum).
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Die Eidgenossenschaft wurde ab 1650 erstmals breiter als souveränes Gemeinwesen rezipiert. Im Reich blieb diese Auslegung auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch ambivalent. Lediglich in Frankreich setzte die Anerkennung als souveränes Gemeinwesen schon eher, nämlich zunächst mit Bodin und dann in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Rohan, Sully, Crucé) ein. Frühere Darstellungen wiesen hingegen vielmehr die einzelnen Kantone als politisch aktive und unterschiedlich verfasste (demokratische, aristokratische, oligarchische) Akteure innerhalb des Reichverbunds aus. Der überwiegende Teil dieser Beschreibungen konzentrierte sich zudem auf die (vor allem im monarchischen Kontext diffamierende; bei Machiavelli positive) Darstellung der Schweizer als Bevölkerungsgruppe und nicht als staatlich organisiertes Gemeinwesen. Ab 1650 wurde die Eidgenossenschaft dann vor allem von jenen Autoren diskutiert, die in England und in den Vereinigten Provinzen die „wahre Freiheit“ ausloteten und Änderungen der politischen Verfasstheit im eigenen Staat zu legitimieren suchten. Der Schwerpunkt lag hier auf den politischen Institutionen und Strukturen. Die erste exklusive, gedruckte Staatsbeschreibung im Selbstverständnis dieser Gattung wurde mit Vendramino Bianchies Relazione del paese de’ Svizzeri, e loro alleati allerdings erst 1708 publiziert. Eine solche findet sich hinsichtlich der Vereinigten Provinzen schon 1651 mit Jean de Parivals Les Délices de la Hollande. Parival benannte in dieser Abhandlung zum ersten Mal auch explizit „Krankheiten“, die diese Republik zu Fall bringen könnten, kam aber zu dem Schluss, dass die Vereinigten Provinzen gut vorbereitet seien und noch lange Bestand haben würden. Nach dem französischen Angriff auf die Niederlande 1672 änderte sich diese Einschätzung. William Temple war 1673 der erste, der dies in seiner in der Folge viel zitierten Abhandlung Observations upon the United Provinces thematisierte, Schwächen der Nordseerepublik markierte und einen bereits erfolgten Niedergang des Gemeinwesens konstatierte. Der vollkommene Ruin dieser Republik wurde von ihm als möglich, aber nicht als unabwendbar aufgezeigt. Hinsichtlich der möglichen Aussagen kann angesichts dieser radikalen Neubewertung von einem diskursiven Bruch gesprochen werden. Auch in den Aussagen über Venedig erfolgte der Bruch mit dem bestehenden (und durch Harrington bereits modifizierten) Narrativ. Jean Gailhard und Amelot de la Houssaye unterwarfen 1669 und 1676 das positive Bild der Lagunenstadt nun einer differenzierten Betrachtung und konstatierten (unheilbare) Staatskrankheiten sowie einen Niedergang Venedigs. Dieses neue Spektrum möglicher Aussagen wurde bis 1750 nicht entscheidend erweitert. Für den Zeitraum zwischen 1676 und 1750 lassen sich dabei prägnante Themenfelder der Rezeption ausmachen, die in den Abhandlungen über alle drei Republiken diskutiert wurden (wenn auch unter unterschiedlichen Vorzeichen)
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und sich den normativen Zielvorgaben wirtschaftlicher Erfolg, Stabilität, Freiheit und Rechtssicherheit sowie Schnelligkeit und Effektivität zuordnen lassen. Während in der italienischen Renaissance die venezianische Mischverfassung als Garant von Stabilität präsentiert und die Expansion eines Gemeinwesens als notwendiges Instrument für den Erhalt der Bürgertugend gewertet worden war, wurde Stabilität nun vor allem als konstanter Erhalt der relationalen Machtposition innerhalb der europäischen balance of power gedacht. Die Autoren sprachen sich für eine nicht-expansive, neutrale oder an eine Schutzmacht gebundene Haltung der Freistaaten aus. Innenpolitisch gelte es unbedingt Luxusstreben und Korruption zu verhindern. Wirtschaftlicher Erfolg wurde zunehmend an einer positiven Handelsbilanz gemessen. Gegen die alten Zunft- und Monopolstrukturen gerichtet, betonten die hier analysierten Autoren die Notwendigkeit eines freien, das hieß durch wenige Zölle, Abgaben und Regeln eingeschränkten Marktes und forderten politische beziehungsweise religionspolitische Strukturen ein, die einen solchen Markt attraktiv und offen für fähige und solvente Marktteilnehmer halten sollten. Anders als vor 1650 wurde Freiheit in den analysierten Beschreibungen der Republiken nicht länger kollektiv gedacht, sondern vornehmlich als Freiheit des Einzelnen interpretiert, die es vor allem durch eine gerechte, zügige und integere Rechtsprechung zu garantieren gelte. Forderungen nach Rechtssicherheit lassen sich also, anders als in der Forschung bisher konstatiert, bereits zwischen 1650 und 1750 und auch außerhalb eines spezifischen juristischen Diskussionszusammenhangs ausmachen. Während das Narrativ vom Tyrannenkampf freier Eidgenossen und Niederländer vor 1650 auch in den Beschreibungen über die beiden Gemeinwesen transportiert wurde, finden sich nach 1650 Aussagen, die etwa die Berner Vögte oder die niederländischen Statthalter selbst als willkürlich agierende Tyrannen ausweisen. Schnelligkeit und Effektivität sind schon bei Machiavelli und Bodin als normative Zielvorstellungen eines perfekten Gemeinwesens zu erkennen. In den Beschreibungen der Republiken nach 1650 waren sie dann stärker präsent. Vor allem nach 1720 häufte sich (wohl angesichts schnell wechselnder Bündniskonstellationen) die Kritik an der Langsamkeit und Ineffektivität politischer Entscheidungsprozesse in den drei Republiken, vornehmlich in den beiden föderativ organisierten. Die Verfasstheit als Freistaat kam als Kriterium unter diesem normativen Gesichtspunkt am stärksten zum Tragen. Mit Ausnahme der meisten hugenottischen Autoren, die wie etwa der in der Einleitung zitierte Casimir Freschot davon überzeugt waren, dass es in einer Monarchie grundsätzlich anderer Maßnahmen bedürfe als in einer Republik, sahen die meisten Autoren die Bedingungen eines bestmöglichen Staates sowohl in Monarchien als auch in Republiken als realisierbar an. Dementsprechend konnte die Kritik an einzelnen
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Aspekten der drei Freistaaten zugleich als Kritik an ähnlichen Strukturen im eigenen Gemeinwesen genutzt werden. Auch wenn sich die Themenfelder und Aussagen in Bezug auf Venedig, die Niederlande und Eidgenossenschaft in dem betrachteten Zeitraum stark ähneln, so sind doch Unterschiede auszumachen – sowohl hinsichtlich der beschriebenen Republiken als auch hinsichtlich des Hintergrundes der Autoren. Die Vereinigten Provinzen waren mit Abstand das am häufigsten diskutierte und das am positivsten bewertete Gemeinwesen. Aufgrund ihres starken wirtschaftlichen Potentials und der daran ausgerichteten Politik wurde ihnen in den betrachteten Abhandlungen nicht selten explizit eine Vorbildfunktion zugeschrieben. Der Zusammenhang von religiöser Toleranz und wirtschaftlichem Potential etwa wurde mit Blick auf die Niederlande spätestens nach 1685 (Edikt von Fontainebleau) in nahezu jedem Traktat thematisiert. Auch Fragen des Steuerwesens wurden vornehmlich anhand der Vereinigten Provinzen diskutiert, deren hohe Steuern bei gleichzeitiger Zufriedenheit der Bevölkerung und Handelserfolg vielen paradox erschien. Die zunehmend prominentere Frage nach den Vor- und Nachteilen eines föderativen Staatsaufbaus wurde, dem Gegenstand geschuldet, allein anhand der Vereinigten Provinzen und der Schweizer Eidgenossenschaft und nicht mit Blick auf Venedig diskutiert. Wurde die Unfähigkeit zu schnellen und effektiven Entscheidungen aber auf die Verfasstheit als Freistaat zurückgeführt, so diskutierten die Autoren auch das Beispiel Venedig. Insgesamt griff die Textgattung der Staatsbeschreibungen die Darstellung der Schweiz nur verzögert auf. Auch die Zahl der Reiseberichte fiel, gemessen an derjenigen über die beiden anderen Republiken, bis 1750 sehr gering aus. Mit Abraham Stanyans Account of Switzerland von 1714 erschien – im Vergleich zu Amelot de la Houssayes und William Temples Abhandlungen über Venedig und die Vereinigten Provinzen – der diskursprägende Text mit Blick auf die Eidgenossenschaft relativ spät. In den Beschreibungen Venedigs findet sich die stärkste Niedergangsrhetorik. Gründungsmythen, die zuvor Stabilität suggerierten, wurden zunehmend dekonstruiert und die Aussagen über die Freiheit, die Rechtssicherheit, Stabilität und das wirtschaftliche Potential unter negativem Vorzeichen getroffen. Auch mit Blick auf den Hintergrund der Autoren lassen sich Unterschiede festmachen: Während etwa in englischen Abhandlungen vor allem Fragen der Rechtssicherheit sowie der Finanz- und Steuerpolitik diskutiert wurden, blieben viele hugenottische Autoren vor allem einer anti-monarchischen Stoßrichtung verhaftet. Die Vereinbarkeit von einer freistaatlichen Verfassung mit wirtschaftlichem Erfolg stand für sie im Zentrum der Analyse, während Fragen der Rechtsprechung und die Steuerpolitik in vielen Texten eher in den Hintergrund traten.
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Im Reich etablierte sich im Unterschied zu anderen europäischen Ländern die Staatenkunde als universitäres Lehrfach. Die Abhandlungen folgten hier deshalb am stärksten einem vorgegebenen Schematismus, der gleichermaßen auf alle drei Republiken angewandt wurde. Insgesamt gilt es angesichts der sich stark ähnelnden Aussagen für den Zeitraum von 1650 bis 1750 von einem transnationalen Diskurs zu sprechen, der zu großen Teilen von den konkreten Strukturen, Problemen und Entwicklungen der jeweiligen Republiken und den eigenen nationalen und konfessionellen Hintergründen abstrahierte und durch eine weitreichende Vernetzung und Rezeption der Autoren untereinander begünstigt wurde. Der Diskurs präsentiert sich als Reformdiskurs, der einzelne Aspekte kritisch und differenziert betrachtete und auf ihre Übertragbarkeit prüfte, um das eigene Staatsgebilde pragmatisch den sich verändernden Machtstrukturen auf dem Kontinent anzupassen und stabil für die Zukunft gestalten zu können. Die Reformbedürftigkeit des eigenen Staatsgebildes wurde dabei nicht nur implizit, sondern auch explizit thematisiert – am deutlichsten, wenn es um die Wirtschaftspolitik ging. So hielt Pierre-Daniel Huet 1712 in seiner Abhandlung Le Grand Tresor Historique et Politique Du Florissant Commerce des Hollandois etwa grundsätzlich fest: „Il est fort à désirer que nous ouvrions les yeux assez tôt sur une matiere aussi importante & nécessaire que celle du Commerce, & que nous sçachons prendre de justes mesures pour faire réüssir une chose d’où dépend en quelque façon le bonheur de tous les Sujets du Roy, & la grandeur de l’Etat.“² Huets Abhandlung war Teil einer ökonomischen Pädagogik, die am französischen Hof von Colbert initiiert worden war und unter Pontchartrain fortgeführt wurde. Genauso wie im 1723 publizierten Dictionnaire Universel de Commerce wurden die Vereinigten Provinzen der Niederlande dabei als Blaupause genutzt, um konkrete Erfolgsfaktoren und zu vermeidende Missstände auszuloten. Es gelte, so Huet im Vorwort seiner Abhandlung, der Unwissenheit in der Materie des Handels, vor allem bei den politisch Verantwortlichen, Abhilfe zu schaffen.³ Die niederländische Republik wurde folglich strategisch als konkretes Anschauungsmaterial eingesetzt, um Reformen zu erwirken. Auch Onslow Burrish etwa verwies 1728 in seiner Beschreibung der Vereinigten Provinzen auf die Reformbedürftigkeit der eigenen, englischen Politik im Umgang mit Schuldern:
Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.). Huet, Le Grand Tresor, Preface (o.P.): „[…] qu’il m’a paru que cette matiere étoit peu connuë en France, & particulierement des personnes qui remplissent les charges & les emplois publics, soit de Justice, Police, ou des Finances; cependant elle est d’une si grande importance […].“
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[…] but surely there remains a further Reformation to be wish’d for. […] The Legislative Body has thought fit to make one Step towards a Cure of this national Disease, worthy the Representatives of a great, free and generous People; and I doubt not, but the Time is near when we shall still act more in Character.⁴
Die Beschreibung zeitgenössischer Republiken etablierte sich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts als wichtiger Baustein argumentativer Strategien, die darauf zielten, Reformideen öffentlich zu platzieren. Mit Montesquieu und Hume wurde das Aussagenspektrum in Bezug auf die zeitgenössischen Republiken um 1750 erneut modifiziert. Die Rolle als strategische Blaupause blieb davon allerdings unbeeinflusst. Beide Autoren trafen ihre Aussagen weiterhin unter den normativen Vorgaben von wirtschaftlichem Erfolg, Freiheit, Stabilität, Schnelligkeit und Effektivität. Beide rezipierten weiterhin diskursprägende Autoren wie Amelot de la Houssaye, William Temple, Abraham Stanyan, François Michel Janiçon oder Joseph Addison. Und beide zielten auch darauf, angesichts einer zunehmend komplexeren Mächtekonstellation in Europa Erfolgsstrategien zu entwickeln und so Orientierungsgrundlagen für Reformprojekte zu schaffen. Allerdings erhielt in ihren Aussagen über die zeitgenössischen Republiken das Kriterium der politischen Verfasstheit ein viel stärkeres Gewicht als in den Aussagen zuvor. Beide charakterisierten dabei die Form der Republik als anachronistisch und nicht mehr überlebensfähig. Venedig als exemplarische Aristokratie sei nicht mehr zeitgemäß, die Vereinigten Provinzen hätten unter anderem aufgrund der Defizite in ihrem föderalen Staatsaufbau und der notwendigen Finanzierung durch öffentliche Kredite ihren Status als Vorbild längst eingebüßt. Die Föderation vieler kleiner Republiken kennzeichnete Montesquieu als einzige Überlebenschance, Hume hingegen als Ideal. Beide betonten allerdings, dass Defizite, die aus dem Staatsaufbau der Eidgenossen und vor allem der Vereinigten Provinzen ersichtlich geworden seien (Rechenschaftspflicht der Repräsentanten, Vetorecht der Provinzen, Macht der Bürgermeister, Einstimmigkeit bei Entscheidungen), dabei vermieden werden müssten. Viel stärker als in den Aussagen zuvor wurden nun institutionelle Mechanismen als notwendige Voraussetzung für den Erfolg thematisiert: Gewaltenteilung und Repräsentativsystem seien unbedingte Voraussetzung für Freiheit und Stabilität.
Burrish, Batavia Illustrata, S. f. Vgl. explizit auf die Reformbedürftigkeit verweisend auch etwa Schröder, Fürstliche Schatz- und Rentkammer, S. ; Temple, Observations, S. ; Anonymus, A Description of Holland, S. f.; Gundling, Ausführlicher Discours, S. .
2 Erklärungsmomente Die Erklärungsmomente für diesen Transformationsprozess, für die Modifikationen und Brüche sowie die Dominanz bestimmter Themenfelder müssen auf mehreren Ebenen angesiedelt werden. Sowohl die politischen Rahmenbedingungen als auch der Schematismus einer neuen Textgattung sowie ein neues Wissenschaftsverständnis konstituierten das Regelwerk des politischen Reformdiskurses, indem die Aussagen über die drei betrachteten Republiken möglich wurden. Entscheidenden Einfluss aber hatte vor allem ein neues Verständnis einer offenen, gestaltbaren Zukunft, das sich im Untersuchungszeitraum entwickelte und seinen Ausdruck auch in einer neuen, mechanistischen Metaphorik fand.
2.1 Politische Rahmenbedingungen Die neuen thematischen Schwerpunkte ergaben sich vorwiegend aus dem politischen Geschehen und den daraus resultierenden Diskussionszentren der politischen Debatten. Angesichts der expansiven Großmachtpolitik Ludwigs XIV. kam den Republiken in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend eine strategisch wichtige Rolle in Europa zu, die eine Beschäftigung mit ihnen grundsätzlich erforderte. Zudem waren die Vereinigten Provinzen längst zu einem ernstzunehmenden wirtschaftlichen Konkurrenten geworden. Die zunehmende Handelskonkurrenz in Europa und Übersee sowie die Notwendigkeit, sowohl die eigene Wirtschaftspolitik als auch die Kriege in Europa zu finanzieren, veranlassten den Blick auf die Erfolgsstrategien anderer Gemeinwesen – insbesondere der bis dato so erfolgreichen Handelsrepubliken der Niederlande und Venedig. Zunehmend rückten im Zuge dieser Entwicklung die Händler als tragende Gesellschaftsschicht eines erfolgreichen Gemeinwesens mit ihren Bedürfnissen und Ansprüchen in den Fokus der politischen Überlegungen. Nicht mehr die Tugend als bindendes Element der Beziehungen unter den Bürgern stand im Vordergrund, sondern die Vereinbarkeit von privaten Handelsinteressen selbständig agierender Individuen und dem Erfolg des gesamten Gemeinwesens. Freiheit wurde folglich nicht mehr als kollektive Freiheit zu politischer Beteiligung, sondern als durch Rechtssicherheit garantierte Freiheit des Einzelnen interpretiert. Die politischen Amtsträger und nicht mehr alle Bürger wurden zunehmend allein in der Verantwortung für die Stabilität eines Gemeinwesens gesehen. So zielten etwa Korruptionsvorwürfe immer stärker auf den konkreten Amtsmissbrauch.
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Die Mächtestruktur in Europa war im Untersuchungszeitraum in Bewegung: Ehemalige Zentren rückten an den Rand, neue Mächte stiegen auf. Grundsätzlich waren viele ständig von einer möglichen Marginalisierung bedroht. Die zunehmend von Konkurrenz geprägte Staatenwelt war als Bezugsrahmen in den hier vorgestellten wirtschaftspolitischen Überlegungen immer präsent. Auch außenpolitische Strategien wurden dementsprechend stark in den Aussagen über die drei Republiken reflektiert. Stabilität wurde zunehmend als Erhalt der relationalen Machtposition definiert. Die nach dem Tod Ludwigs XIV. in Frankreich dominierende Position einer friedens- und status quo-sichernden Außenpolitik schlug sich auch in den Überlegungen der Staatsbeschreibungen nieder. Auch die ständig wechselnden Bündnisse in den 1720er und 1730er Jahren standen, so die These, in einem Verhältnis zu der Häufung von Aussagen über notwendige Schnelligkeit in politischen Entscheidungsprozessen. Mit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688 – 1697) und dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701– 1713/14) prägten zwei relativ langwierige und vor allem kostspielige internationale Konflikte den Untersuchungszeitraum. Der hohe Finanzbedarf, der in immense Staatsverschuldung mündete, bedingte die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Überlegungen, die auch stark Eingang in die Aussagen über die drei Republiken fanden. Überlegungen zur Insolvenzverwaltung und zum Bankwesen in Venedig und den Vereinigten Provinzen standen zudem in einem Zusammenhang mit den geplatzten Spekulationsblasen in Frankreich und England 1720.
2.2 Textgattung und Wissenschaftsverständnis Die neuen thematischen Schwerpunkte waren aber vor allem auch durch den Schematismus einer ab 1650 verbreitet auftretenden und sich europaweit schnell etablierenden Textgattung bedingt, der sogenannten Staatsbeschreibungen, die als Folge der Lehre vom staatlichen Interesse jetzt vornehmlich nicht mehr an einer historischen, sondern an einer systematischen Darstellung politischer Gemeinwesen interessiert war und grundsätzlich die exklusive und komparative Beschäftigung mit den Republiken in Europa ab 1650 forcierte und begünstigte. Diese Staatsbeschreibungen präsentierten sich in ihrem Anspruch als rationale, von allen moralischen und theologischen Prämissen losgelöste Analysen der Interessen benachbarter Gemeinwesen. Das säkulare Staatsinteresse stand nun im Mittelpunkt politischer Überlegungen.¹
Dieser Umstand wurde von den Autoren durchaus explizit reflektiert. Vgl. etwa Gailhard, The
2.2 Textgattung und Wissenschaftsverständnis
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Grundlegend für eine solche Analyse war die Vorstellung von Staaten als agierende Individuen, die sich jeweils durch eine spezifische und immer wieder verändernde Kombination bestimmter Faktoren auszeichnen. Die Relevanz der Analyse politischer Gemeinwesen der Gegenwart erhöhte sich folglich gegenüber dem Studium vergangener Staaten, da die Erkenntnis, die aus dieser Analyse gewonnen werden konnte, für die eigene Entwicklung in derselben Gegenwart und Zukunft nutzbar gemacht werden sollte. Die gegenwärtigen Staaten rückten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts folglich zunehmend in den Fokus der Betrachtung. Auch und gerade die zeitgenössischen Republiken wurden so zu Diskussionsfolien und anhand zeitgenössisch relevanter Kriterien untersucht. Bei den Reiseberichten lösten polyhistorisch-enzyklopädisch ausgerichtete Reiseberichte hingegen die Einzelstudien ab. Dabei stand zunehmend die Systematisierung und Prüfung vorhandenen Wissens im Vordergrund, die schließlich ebenfalls vermehrt zu einer differenzierten und kritischen Betrachtung der Untersuchungsgegenstände selbst führte. Die Gattung der Staatsbeschreibung und die veränderten Reiseberichte waren auch Ausdruck und Resultat eines neuen Wissenschaftsverständnisses, das dem Ideal des fortschreitenden Erkenntnisgewinns verschrieben war und dem bloßen Sammeln und Aufbewahren von Wissen eine nützliche Auswahl gegenüberstellen wollte.² Abgeleitet vom griechischen eklégein (auswählen), entwickelte sich die sogenannte Eklektik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in ihrem Selbstverständnis als eigenständige Methode und so als Instrument der Distanzierung von einseitig und autoritativ gefestigten Schulphilosophien.³ Während die Eklektik grundsätzlich dem cartesianischen Paradigma entsprach, dass sie den Methoden der Erkenntnis den Vorrang vor dem homogenen Zusammenhang des Erkenntnisgegenstandes gab, so distanzierte sie sich von dem Anspruch, immer vollkommene Erkenntnisse erlangen und auf deren Grundlage systematische Theorien erstellen zu können. Die Wandelbarkeit des Erkenntnisgegenstandes
Present State of the Republick of Venice, S. f.: „[…] for alas! As the world goes now men are not much acted with principles of Religion, except there be with it one thing or other of temporal concernment. Policy is the great mobile of the actions of States-men; but if Religion be brought in, ′tis more the name then the power of it, and according to the rule of Machiavel, as a shew and a pretence only.“ Vgl. Bödeker, Strukturen, S. f. Grundsätzlich zur Eklektik vgl. Lehmann-Brauns, Sicco: Art. Eklektik/Eklektizismus. In: Jäger, Enzyclopädie der Neuzeit. Bd. . Dynastie – Freundschaftslinien. Stuttgart . Sp. – ; Albrecht, Michael: Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart (Quaestiones Themen und Gestalten der Philosophie ); Dreitzel, Horst: Zur Entwicklung und Eigenart der „Eklektischen Philosophie“. In: ZHF (). S. – .
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wurde vielmehr als Postulat mitgedacht, eine Offenheit gegenüber Entwicklungen war somit Teil der Methodik.⁴ Unter Verweis auf die Beschreibung des antiken Philosophen Potamon von Alexandria bei Diogenes Laertius im 3. Jahrhundert nach Christus entwickelten Justus Lipsius (1547– 1606) und vor allem Gerhard Johannes Vossius (1577– 1649) als erste die Grundstrukturen einer eklektischen Methode.⁵ Nach dem niederländischen Späthumanismus wurde die Eklektik dann vor allem an protestantischen Universitäten im Reich wieder aufgegriffen. Die beiden Abhandlungen Exercitatio de philosophia sectaria et electiva (1679) und Philosophie eclectica (1686) des Altdorfer Philosophen Johann Christoph Sturm (1635 – 1703) sowie Christian Thomasius’ (1655 – 1728) Introductio in philophiam aulicam von 1688 wurden zu methodischen Standardwerken.⁶ Vor allem in Halle, wo Thomasius lehrte, fand die Eklektik großen Anklang⁷– auch bei Nicolaus Hieronymus Gundling, der unter anderem die philosophica practica seines Kollegen Johann Friedrichs Buddeus (1667– 1729) kommentierte, erweiterte und die Methode in Form der Staatsbeschreibung konsequent auf den Gegenstand der Politik anwandte.⁸ In ihrem Selbstverständnis war die Eklektik dabei nicht dogmatisch, sondern vielmehr pragmatisch. Erklärtes Ziel war der Erkenntnisgewinn für die gegenwärtige Lebenspraxis.⁹ Dies beinhaltete auch eine klare Unterscheidung Vgl. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. f. Vgl. Lehmann-Brauns, Eklektik, Sp. ; Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. – . Vgl. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. und S. – sowie S. – . Der erste Band von Sturms „Philosophia eclectica“ erschien , der zweite Band . Thomasius’ „Einführung in die Hofphilosophie“ war klar als Bildungsschrift intendiert und zielte sowohl auf junge Adlige als auch auf bürgerliche künftige Amtsträger. (Vgl. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. ). Weitere Schwerpunkte waren in Jena, Leipzig und Göttingen.Vgl. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. . Vgl. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. und S. . Albrecht, Eklektik, S. verweist allerdings darauf, dass Gundling den Begriff „Eklektik“ selbst nicht verwendet hat. Der Herausgeber von Gundlings Wissenschaftsgeschichte, Christian Friedrich Hempel (?–), bezeichnet Gundling allerdings als „einen vernünftigen und rühmlichen Eclecticum“. Siehe Gundling, Nicolaus Hieronymus: Vollständige Historie der Gelahrheit. Hrsg. von Christian Friedrich Hempel. Bde. Frankfurt/Leipzig – . Bd. , S. und S. . Vgl. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. und S. . Horst Dreitzel vertritt dabei die interessante These, dass gerade die eklektische Philosophie eine „Freiheitsphilosophie“ sei. „Sie folgte nicht nur der von Pufendorf erneut formulierten Tradition der christlichen Glaubensfreiheit und Toleranz, sie vertrat nicht nur die ‚libertas philosophandi‘ gegen die Ansprüche der offiziellen und selbsternannten Sekten, sie entwickelte nicht nur durch die scharfe Reduktion der Normen erzwingbaren Rechts Spielräume der Liberalität, sondern sie formulierte auch das Prinzip, daß jeder individuelle Mensch ein autonomer Zweck der Natur sei, und zwar gerade durch Freiheit.“ (S. f.) Das individuelle Streben nach Glück sowie die „freyheit der künste“ von Zunftzwängen
2.2 Textgattung und Wissenschaftsverständnis
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einzelner Wissenszusammenhänge, die im Reich ihren Ausdruck in einer Ausdifferenzierung des universitären Fächerkanons fand.¹⁰ Die Staatenkunde etablierte sich in der Folge als eigenständige Disziplin. Auch wenn die Eklektik ab den 1720er Jahren immer öfter kritisiert wurde – so vor allem von Christian Wolff (1679 – 1754) – erfreute sie sich im Reich doch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts großer Beliebtheit.¹¹ Auch in Frankreich wurde die neue Methode positiv aufgenommen.¹² Die libertas philosophandi bildete dabei den gemeinsamen europäischen Nenner einer Definition von Eklektik – so etwa 1711 beim Engländer Isaac Watts (1674– 1748) und 1743 bei dem in Neapel lehrenden Philosophen Antonio Genovesi (1712– 1769), der im Vorwort seiner Metaphysik auch Descartes, Newton, Leibniz und sogar Wolff als Eklektiker bezeichnete.¹³ Der Verweis auf Descartes und Newton ist bei einer solchen weiten Definition nicht verwunderlich. Eigenständiges Denken wurde in der Folge dieser beiden grundsätzliches Axiom guter Wissenschaft. Der Verweis auf Autoritäten war nicht mehr hinreichend, um gültige Aussagen treffen zu können. Die eigene Vernunft müsse urteilen und das Wahre vom Falschen unterscheiden.¹⁴ Dieser Anspruch fand im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts auch seinen Ausdruck in der Gattung des Reiseberichtes. Es genügte nicht mehr, bekannte Topoi zu wiederholen. Vielmehr musste die Darstellung klar den Charakter eines persönlichen Erfahrungsberichtes aufweisen. Das bedeutete neben der Aufgabe eines holistischen Anspruchs vorausgegangener Apodemik vor allem eine differenzierte Darstellung, die Kritik an bestimmten Gegenständen und Umständen mit einschließen konn-
hätten in der eklektischen Philosophie eine besondere Aufwertung erfahren (S. ). Diese These deckt sich mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit, dass vor allem in den Staatsbeschreibungen zunehmend die Freiheit des Individuums als Freiheit von Zwängen sowie die Freiheit des Marktes als normative Vorstellungen in den Aussagen über die zeitgenössischen Republiken zum Ausdruck kamen. Vgl. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart, S. f. Zur Kritik von Christian Wolff und nach vgl. Lehmann-Brauns, Eklektik, Sp. f. und Albrecht, Eklektik, S. – sowie S. – ; Nieke,W.: Art. Eklektizismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter. . Bde. Basel . Bd. . Sp. f. So bei Diderot, der den Artikeleintrag in der Encyclopédie selbst verfasst. Vgl. LehmannBrauns, Eklektik, Sp. sowie Albrecht, Eklektik, S. – . Vgl. Albrecht, Eklektik, S. f. Vgl. Descartes, René: Discours de la metho., Französisch-Deutsch. Hrsg.von Christian Wohlers u. Adrien Baillet. Hamburg (Philosophische Bibliothek ). Prechtl, Peter: Descartes zur Einführung. Hamburg . S. – . Vgl. zuletzt auch Jung, Zeichen des Verfalls, S. – . Jacob August Franckenstein hielt den Zweifel 1724 explizit im Titel seiner Staatsbeschreibung der Eidgenossenschaft fest: Franckenstein, Schweitzerisches Theatrum.
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te.¹⁵ Die in der vorliegenden Arbeit analysierten Reiseberichte weisen eine solche Darstellung auf. So wich etwa nach 1670 die unkritische Wiedergabe des Mythos Venedig einer zumeist differenzierten Analyse der Lagunenrepublik. Staatsbeschreibungen und Reiseberichte zielten also auf eine differenzierte Darstellung der Gegenwart. Sie betrachteten die einzelnen Gemeinwesen als spezifische und sich verändernde Kombination von Faktoren und trugen somit auch dem Gedanken historischer Entwicklung Rechnung. Sie zielten dabei gleichzeitig auf einen pragmatischen Erkenntnisgewinn. „Anleitung und Unterhaltung“, so formuliert es der Engländer William Aglionby 1669 treffend, waren daher gleichermaßen Ziele der Gattung der Staatsbeschreibungen.¹⁶ Die Darstellung des Anderen sollte zugleich nutzbar gemacht werden für das Eigene. Das zeigen nicht zuletzt die zahlreichen expliziten Verweise auf die Reformbedürftigkeit des eigenen Gemeinwesens innerhalb der Analyse der zeitgenössischen Republiken, die so zu einer Reflexionsfolie für die Überlegungen der Autoren wurden.¹⁷ Die in der vorliegenden Arbeit analysierten Aussagen sind damit vor allem Ausdruck eines neuen Gestaltungsoptimismus.¹⁸
Vgl. dazu vor allem Landwehr, Erschaffung Venedigs, S. – . Hier findet sich auch Landwehrs überzeugender Nachweis einer solchen Veränderung in den europäischen Reiseberichten über Venedig, die auch die vorliegende Arbeit darlegt. Aglionby, The Present State, The Preface (o.P.): „’Tis the Portraiture of this flourishing Commonwealth which is here presented to the Ingenious […] in reference to the two principal ends of Books, Instruction and Divertisement.“ Neben den impliziten Verweisen auch die in der vorliegenden Arbeit vorgestellten expliziten Verweise von Schröder, Becher, den Gebrüdern Savary, Huet, Burrish, Gundling, Temple und weiteren anonymen Autoren. Die Vorstellung vom Menschen als Gestalter von Geschichte und Gegenwart wird ausführlich vom Neapolitaner Geschichtsphilosophen Giambattista Vico reflektiert. In seiner Principj di una scienza nuova, die in endgültiger Form publiziert wurde, betont Vico die Schöpfungskraft des Menschen, der Zivilisation immer aktiv forme. Die so entstehenden Gesellschaften würden immer gleiche Grundkonstanten aufweisen. Der Vergleich als methodisches Instrument sei deshalb möglich. (Vgl. dazu Hösle, Vittorio: Vico und die Idee der Kulturwissenschaft. Genese, Themen und Wirkungsgeschichte der „Scienza nuova“. In: Vico, Giovanni Battista: Prinzipien einer neuer Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Übersetzt von Vittorio Hösle u. Christoph Jermann. Teilbd. . Hamburg . S. xxxi–cclxxviii.) Allerdings denkt Vico klar zyklisch und nicht im Sinne einer offenen Zukunft. (Vgl. dazu unter anderem Berlin, Isaiah/Hardy, Henry: Three Critics of the Enlightenment.Vico, Hamann, Herder. Princeton . S. – .) Für die in der vorliegenden Arbeit analysierten Autoren hat Vico wohl kaum eine Rolle gespielt. Die Rezeption Vicos setzte in Frankreich erst in den er und er Jahren, im Reich erst im letzten Drittel des . Jahrhunderts ein. (Vgl. dazu Richter, Pflug und Steuerruder). Gemäß Ernst Cassirer war Gestaltungskraft dem Vernunftbegriff im gesamten 18. Jahrhundert grundsätzlich inhärent: „Die Vernunft ist weit weniger ein solcher Besitz, als sie eine bestimmte Form des Erwerbs ist. […] Das gesamte achtzehnte Jahrhundert faßt die Vernunft in diesem Sinne.
2.3 Zeitverständnis
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2.3 Zeitverständnis Entscheidend für diesen sich an der Gegenwart orientierenden Gestaltungsoptimismus war ein sich um 1700 entwickelndes neues Verständnis von historischer Entwicklung. Mit Blick auf politische Prozesse wie etwa Verfassungsentwicklungen wurde nicht mehr nach Art eines Polybios oder Machiavelli zyklisch oder naturgesetzlich argumentiert. Die Vergangenheit konnte vielmehr als abgeschlossen gedacht werden und Entwicklungen wie Entscheidungen hinsichtlich einer offen zu gestaltenden Zukunft bewertet werden. Die ideale Referenznorm des politischen Diskurses war deshalb nicht mehr in der Vergangenheit angesiedelt (etwa als ideale antike Mischverfassung, verwirklicht in den antiken oder in den italienischen Republiken der Renaissance), sondern idealtypisch als stabiles, wirtschaftlich erfolgreiches, Freiheit und Rechtssicherheit garantierendes sowie flexibel und schnell agierendes Gemeinwesen in der Zukunft. Auch hinsichtlich der Frühaufklärung muss dabei aber von einer „Pluritemporalität“ ausgegangen werden. Verschiedene Zeitauffassungen existierten nebeneinander. Entscheidendes Diversifikationsmerkmal war dabei der Diskussionsgegenstand. Es machte einen Unterschied, ob die historische Entwicklung von Wissenschaft und Künsten oder von politischen Gemeinwesen diskutiert wurde. Folglich entwickelten sich daraus auch unterschiedliche Ansichten über künftige Möglichkeitsräume und menschliches Gestaltungspontential. Diese chronologisch parallel verlaufenden Diskussionsstränge sollen im Folgenden daher noch einmal kurz skizziert werden. Tempus – Zeit – wurde von mittelalterlichen Geschichtsschreibern, Chronisten und Theologen als irdische Zeit und damit als Abschnitt zwischen göttlicher
Es nimmt sie nicht sowohl als einen festen Gehalt von Erkenntnissen, von Prinzipien, von Wahrheiten als vielmehr als eine Energie; als eine Kraft, die nur in ihrer Ausübung und Auswirkung völlig begriffen werden kann. Was sie ist und was sie vermag, das läßt sich niemals vollständig an ihren Resultaten, sondern nur an ihrer Funktion ermessen. Und ihre wichtigste Funktion besteht in ihrer Kraft, zu binden und zu lösen. […] Aber nach dieser Arbeit der Auflösung setzt die Arbeit des Aufbaus von neuem ein. Die Vernunft kann bei den ‚disjecta membra‘ nicht stehenbleiben; sie muß ein neues Gefüge, ein wahrhaftes Ganzes aus ihnen hervorgehen lassen. Aber indem sie nun selbst das Ganze schafft […], wird ihr damit die Struktur des Gebildes, das auf diese Weise entsteht, auch erst völlig durchsichtig. Sie versteht diese Einzelmomente, weil sie sie, in der Totalität und in der geordneten Folge der Einzelmomente, konstruktiv nachzubilden vermag. Diese zweifache geistige Bewegung ist es, wodurch sich der Begriff der Vernunft erst vollständig bezeichnen läßt: als Begriff nicht von einem Sein, sondern von einem Tun.“ (Cassirer, Ernst: Die Philosophie der Aufklärung. Text und Anmerkungen bearbeitet von Claus Rosenkranz. Hamburg 2003 (Ernst Cassirer, Gesammelte Werke 15). S. 12 f.).
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Schöpfung und Jüngstem Gericht definiert. Sie wurde als Teil des Göttlichen Heilsplans verstanden und konnte als solcher untergliedert und gedeutet werden, ohne den übergeordneten Vorstellungsrahmen in Frage zu stellen. Die übliche Epocheneinteilung der Geschichtsschreiber erfolgte gemäß der den sechs Tagen der Schöpfung entsprechenden sechs aetates mundi oder gemäß der Danielschen Lehre der vier Weltreiche.¹⁹ Modernus wurde antithetisch antiquus gegenübergestellt und etwa bei Augustinus (354– 430) im Bild des menschlichen Lebensalters metaphorisch gefasst: Mit Christus habe die Menschheit die Zeit des Alters erreicht und erwarte nun das Ende.²⁰ Besonders stark ausgeprägt war die eschatologische Deutung und die Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Endes bei den Reformatoren um 1600.²¹ Parallel dazu entwickelte sich im Spätmittelalter der Topos von der Verschiedenheit der Zeiten (diversitas temporum), der nicht grundsätzlich den linearen Verlauf der Geschichte in Frage stellte, aber doch das Spezifische der Gegenwart betonte und Forderungen diente, gesellschaftliche Normen und politisches Handeln unbedingt an dieser Gegenwart auszurichten.²² Von einem linearen Geschichtsdenken in allen Bereichen lösten sich in Europa als erstes (wieder) Denker der italienischen Renaissance, die fortan in Anlehnung an antike Vorstellungen historische Entwicklung auch zyklisch interpretierten. Dieser Interpretation lag die Vorstellung der Wiederkehr des qualitativ Gleichen zugrunde, nicht aber die Wiederkehr des Identischen. Vergangenes konnte folglich als solches akzeptiert und eine Einteilung der Geschichte vorgenommen werden. Auf der Grundlage von Platons Modell eines Zyklus von Polis – Zwischenzeit – Polis entwickelte sich, erstmals klar formuliert bei Petrarca (1304 – 1374), das humanistische Dreiteilungsschema der Universalgeschichte (Antike – Mittelalter – Neuzeit). Die eigene Kunst und Literatur konnte so als der Antike wieder ähnlich und vom minderwertigen Mittelalter abgegrenzt positioniert
Zu Zeitverständnis und Geschichtsschreibung im Hoch- und Spätmittelalter vgl. Goetz, HansWerner: Zeitbewußtsein und Zeitkonzeptionen in der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung. In: Zeitkonzeptionen, Zeiterfahrung, Zeitmessung. Stationen ihres Wandels vom Mittelalter bis zur Moderne. Hrsg. von Trude Ehlert. Paderborn [u. a.] . S. – ; Graus, Epochenbewußtsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung, S. – ; Schreiner, „Diversitas Temporum“, S. – . Vgl. Graus, Epochenbewußtsein, S. – . Augustin nannte sechs Stufen: infantia bis zur Sintflut, puertia bis zu Abraham, adulescentia bis zu David, iuventus bis zur babylonischen Gefangenschaft, gravitas bis zu Christi Geburt, senectus bis zum Jüngsten Gericht. (Vgl. Demandt, Alexander: Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken. München . S. ). Vgl. dazu etwa Schreiner, „Diversitas temporum“, S. f. Vgl. Schreiner, „Diversitas temporum“, S. – .
2.3 Zeitverständnis
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werden.²³ Mit Machiavelli erfolgte in Anlehnung an Polybios’ Darstellung der Geschichte Roms die Anwendung des zyklischen Modells auf einzelne Gemeinwesen. Angesichts politischer Veränderungen und der Fragilität der eigenen Strukturen im italienischen Mächtegeflecht stand die Stabilität des eigenen Gemeinwesens im Mittelpunkt der Überlegungen.²⁴ Wenn jedes Gemeinwesen einen naturgesetzlichen Kreislauf (anakuklōsis politeiōn) von sechs Verfassungsstadien durchlaufe,²⁵ gelte es diesen vor allem durch Korruption hervorgerufenen Wechseln mit Lösungsstrategien entgegenzutreten, die zumindest eine größtmögliche Dauer einer guten Verfassung garantieren könnten. Niccolò Machiavelli, Francesco Guicciardini oder Donato Giannotti diskutierten dabei, wie gezeigt, vor allem Venedig als mögliches Modell der Orientierung. Die Einrichtung als Mischverfassung, die Förderung institutioneller Stabilitätsmechanismen, die günstige geographische Lage und das ausgeklügelte technische Unterstützungsverfahren zur Vermeidung von Korruption kristallisierten sich im Zuge dieser Überlegungen als Garanten der venezianischen Stabilität heraus. Dennoch wurde das Vorbild Venedig nicht uneingeschränkt idealisiert, Kritik wurde etwa mit Blick auf die militärische Organisation und Fähigkeit der Venezianer geübt. Grundsätzlich wurde vor allem immer Fortuna mitgedacht, die jederzeit ihren Einfluss am Schicksalsrad vor allem durch externe Faktoren geltend machen könne.Verfall und Rückkehr zum qualitativ ähnlichen Ausgangspunkt wurden als Notwendigkeiten der Geschichte betrachtet. In Frankreich wurde die Theorie von der historischen Entwicklung in Zyklen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Louis LeRoy de Coutances und Jean Bodin aufgegriffen. Allerdings stellten sie die notwendige Rückkehr zur qualitativen Gleichartigkeit in Frage. Beide Autoren vertraten vielmehr den Gedanken
Vgl. Schlobach, Zyklentheorie, S. , S. , S. – . Vgl. hier und im Folgenden Pocock, Machiavellian Moment, S. – ; Schlobach, Zyklentheorie, S. f. Vor allem auch die Ausführungen in Kapitel I.. der vorliegenden Arbeit. Jedes Gemeinwesen sei einem Zyklus unterworfen, der, ausgehend von der „Urmonarchie“, sechs Stadien durchlaufe: vom Königtum (Basileia) zur Tyrannis, auf diese folgt die Aristokratie, deren Pervertierung in die Oligarchie, die Einrichtung der Demokratie und deren Wandlung zur Ochlokratie bzw. Cheirokratie. Der Grund für den jeweiligen Wandel einer guten Ordnungsform in ihre pervertierte Form ist, gemäß Polybios, immer der Missbrauch der Regierung durch die Machthabenden, die der korrumpierenden Wirkung ihrer Macht unterliegen. Ein solcher Missbrauch kann für Polybios nur durch ein politisches System der Mischverfassung verhindert werden, welche in einer Pluralität von Institutionen die dominanten Eigenschaften der drei guten Einzelverfassungen (Basileia, Aristokratie, Demokratie) in sich vereint. Eine solche Mischverfassung garantiere die größtmögliche Stabilität, nicht aber ewige Dauer. Zu antiken Kreislaufmetaphern vgl. außerdem Demandt, Metaphern für Geschichte, S. – .
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aufsteigender Kulturzyklen in der Zeit.²⁶ Die Forschung interpretiert dies entweder als „erste Ansätze einer Fortschrittstheorie“ oder als zyklisches Modell innerhalb einer eschatologischen Geschichtsauffassung.²⁷ In der sogenannten Querelle des Anciens et des Modernes, deren Anfang im engeren Sinn 1687 mit Charles Perraults (1628 – 1703) Gedicht Le siècle de Louis le Grand vor der Académie française angesetzt wird,²⁸ wurde dieser Gedanke der aufsteigenden Kulturzyklen vor allem von den „Modernisten“ aufgegriffen. Perrault betont in seinem Gedicht die Überlegenheit des ludovizianischen Zeitalters gegenüber der Antike in Architektur,Wissenschaft und schönen Künsten. Er spricht klar von einem Fortschritt. Zwar bringe die Natur zu jeder Zeit die qualitativ gleichen Menschen und Bedingungen hervor, im Laufe der Zeit aber könnten immer mehr Geheimnisse der Künste
LeRoy entwickelt seine Geschichtsphilosophie vor allem in seinem Spätwerk. LeRoy de Coutances, Louis: De la Vicissitude ou Variété des Choses en L’Univers, et Concurrence des armes et des lettres par les premieres et plus illustres nations du monde […] iusques à présent. À Paris (chez Pierre l’Huilier) . Bodins Geschichtsauffassung lässt sich maßgeblich in seiner Abhandlung Methodus ad facilem historiarum cognitionem () nachvollziehen. Ganz ähnlich argumentiert Francis Bacon im Novum Organon (1620). Vgl. dazu Schlobach, Zyklentheorie, S. 284 f. Vgl. dazu etwa Schlobach, Zyklentheorie, S. ; Gundersheimer, Werner L.: Louis LeRoy’s Humanistic Optimism. In: JHI / (). S. – ; Baron, Hans: The Querelle des anciens et des modernes as a problem for renaissance scholarship. In: JHI (). S. – ; Jauß, Hans Robert: Ästhetische Normen und geschichtliche Reflexion in der „Querelle des Anciens et des Modernes“. In: Parallèle des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les Arts et les Sciences par M. Perrault de l’Académie Francaise. Mit einer einleitenden Abhandlung von H.R. Jauss und Kunstgeschichtlichen Exkursen von M. Imdahl. München (Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste. Texte und Abhandlungen ). S. – . Hier: S. – . Zur These von der Entwicklung der Fortschrittsidee im . und . Jahrhundert grundsätzlich Bury, J.B.: The Idea of Progress. An Inquiry into its Origin and Growth. New York (ND ) und Rouvillois, Frédéric: L’invention du progress – . Paris (ND ). Der Begriff Querelle des Anciens et des Modernes geht auf Augustin Simon Irailhs ( – ) Geschichte verschiedener Polemiken zurück (Irailhs, Augustin Simon: Querelles litteraires ou mémoires pour servir à l’histoire des revolutions de la république des lettres. Depuis Homer jusqu’à nos jours. Paris ). Er bezeichnet die Auseinandersetzung zwischen jenen, die die kulturelle und wissenschaftliche Überlegenheit der Gegenwart propagierten und jenen, die die Unübertrefflichkeit der Antike konstatierten und im Sinne der griechischen Rhetorik für eine Nachahmung (mimesis) plädierten. In Frankreich wurde dieser Streit hauptsächlich im Umfeld der Académie française ausgetragen. Charles Perrault, Nicolas Boileau-Despréaux und Bernard de Bovier Fontenelle gelten als prägende Akteure. Für einen Überblick vgl. Armogathe, Jean-Robert: Une ancienne querelle. In: La Querelle des Anciens et des Modernes XVIIe–XVIIIe siècles. Hrsg. von Anne-Marie Lecoq. Paris . S. – ; Chihaia, Matei: Art. Querelle des anciens et des modernes. In: Jäger, Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. , Sp. – .
2.3 Zeitverständnis
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entdeckt und genutzt werden.²⁹ Diese Entdeckung erfolge nicht kontinuierlich, sondern in Zyklen. In Le siecle de Louis le Grand deutet Perrault dies an, indem er mit dem Bild der Sonnenwende den kommenden Verfall nach dem eigenen Zeitalter impliziert.³⁰ In seiner 1688 erschienenen, ausführlicheren Abhandlung Parallèle des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les arts et les sciences verwendet Perrault schließlich das Bild des Flusses, der in einzelnen Zeitabschnitten versinke und nur unterirdisch weiterfließe, in Zeiten der Herrschaft glücklicher Monarchen aber wieder zutage trete. In solchen „glücklichen Zeiten“ ereigne sich eine Abfolge im Sinne des Lebensalters (Kindheit, Blüte, Alter). Die Menschheit insgesamt steige so hinsichtlich ihrer Kulturleistungen gewissermaßen spiralförmig Stufe für Stufe zur Vollendung hinauf.³¹ Bernard de Bovier Fontenelle (1657– 1757) vertrat den Gedanken des Fortschritts der Menschheit hin zur Vervollkommnung in seiner ebenfalls 1688 publizierten Digression sur les Anciens et les Modernes deutlich und prominent. Auch er trat dem Argument der Anciens mit Blick auf die nie wieder erreichte Vollkommenheit antiker Werke mit dem Verweis auf die immer sich selbst gleiche Natur des Menschen entgegen.³² Und auch bei ihm findet sich der Gedanke, dass die Entwicklung in manchen Zeitabschnitten nicht sichtbar an die Oberfläche treten könne. Die Natur, so Fontenelle, werde durch bestimmte kulturelle oder Perrault, Charles: Le Siècle de Louis Le Grand. In: Lecoq, La Querelle des Anciens et des Modernes, S. – , Hier: S. f. Perrault, Le Siècle, S. . Perrault, Charles: Paralelle (sic!) des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les arts et les sciences. Dialogues. Avec le Poëme du Siecle de Louis le Grand, et une Epistre eu Vers sur le Genie. A Paris (chez Jean Baptiste Coignard) . Premier Dialogue. S. f. ND in: Imdahl, Parallèle des Anciens et des Modernes, S. – , hier: S. : „On peut comparer alors les sciences & les arts à ces fleuves qui viennent à rencontrer un gouffre où ils s’abîment tout à coup; mais qui après avoir coulé sous terre, dans l’étenduë de quelques Provinces trouvent enfin une ouverture, par où on les en voit ressortir avec la meme abondance qu’ils y étoient entrez. Les ouvertures par où les Sciences & les Arts reviennent sur la Terre sont les regnes heureux des grands Monarques qui en rétablissant le calme & le repos dans leurs Etats y font refleurir toutes les belles connoissances. Ainsi ce n’est pas assez qu’un siècle soit posterieur à un autre pour estre plus excellent, il faut qu’il foit dans la prospérité & dans le calme, ou s’il y a quelque guerre qu’elle ne se fasse qu’au dehors. Il faut encore que ce calme & cette prosperité durent long-temps afin que le siècle ait le loisir de monter comme par degrez à sa derniere perfection. Nous avons dit que dans la durée generale des temps depuis la creation du monde jusqu’à ce jour, on distingue differens ages, on les distingue de meme dans chaque siècle en particulier, lors qu’à l’issuë de quelques grandes guerres on commence tout de nouveau à s’instruire & à se polir.“ Vgl. dazu auch Jauß, Ästhetische Normen, S. . Fontenelle, Bernard de Bovier: Digression sur les Anciens et les Modernes. Paris . In: Lecoq, La Querelle des Anciens et des Modernes, S. – , S. : „La Nature a entre les mains une certaine pate qui est toujours la meme, qu’elle tourne et retourne sans cesse en mille façons, et don’t elle forme les homes, les animaux, les plantes;“.
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politische Ausprägungen einer Gesellschaft daran gehindert, etwa große Denker hervorzubringen.³³ Für die Zeiten aber, in denen die Natur ungehindert sei, konstatiert Fontenelle, anders als Perrault, keinen notwendigen zyklischen Prozess. Vielmehr könne immer sogleich an vorhandenes Wissen angeknüpft und darauf aufgebaut werden – so wie ein Mensch nach einer Phase der Krankheit ebenfalls nicht alles Vorausgegangene vergessen habe.³⁴ Ein stetiger Fortschritt sei daher möglich und „natürlich“.³⁵ Wann der Zeitpunkt der Vollkommenheit erreicht sei, sei von Bereich zu Bereich unterschiedlich. Während dies hinsichtlich „éloquence“ und „poésie“ bereits in der Antike der Fall gewesen sei, die Modernen nur Ebenbürtigkeit erreichen könnten und sollten, so gelte es etwa in der Medizin, der Mathematik oder der Physik immer noch weiter voranzuschreiten.³⁶ Auch Fontenelle zieht das Bild des menschlichen Lebensalters heran, um die Entwicklung der Menschheit zu beschreiben. Allerdings – so betont er – kenne diese Entwicklung kein Alter und somit auch keinen Verfall.³⁷
Fontenelle, Digression, S. . Fontenelle, Digression, S. : „Si un home, qui aurrait de bons commencements des sciences, des belles-lettres, venait à avoir une maladie qui les lui fît oublier, serait-ce à dire qu’il en fût devenu incapable? Non; Il pourrait les reprendre quand il voudrait, en recommençant dès les premiers elements.“ Hans Robert Jauss konstatiert hingegen für Fontenelle ein Festhalten an einem zyklischen Geschichtsbild, ohne dies, meiner Einschätzung nach, überzeugend am Text zu belegen. (Vgl. Jauß, Ästhetische Normen, S. ). Anders hingegen Schlobach, Zyklentheorie, S. , der konstatiert, dass bei Fontenelle „die Zyklentheorie als universelles Gesetz der Naturentwicklung und Menschheitsgeschichte in ihren Grundlagen erschüttert ist.“ Fontenelle, Digression, S. : „Il est evident que tout cela n’a point de fin, et que les derniers physiciens ou mathématiciens devront naturellement être les plus habile.“ Fontenelle, Digression, S. – . Zu dieser zeitgenössisch durchaus neuen Differenzierung Fontenelles vgl. Schlobach, Zyklentheorie, S. . Fontenelle, Digression, S. f.: „La comparaison que nous venons de faire des homes de tous les siècles à un seul home, peut s’étendre sur toute notre question des Anciens et des Modernes. Un bon esprit cultivé est, pour ainsi dire, compose de tous les esprits des siècles precedents; ce n’est qu’un meme esprit qui s’est cultivé pendant tout ce temps-là. Ainsi cet home qui a vécu depuis le commencement du monde jusqu’à present, a eu son enfance, où il ne s’est occupé que des besoins les plus pressants de la vie, sa jeunesse, où il a assez bien réussi aux choses d’imagination, tells que la poésie et l’éloquence, et où meme il a commence à raisonner, mais avec moins de solidité que de feu. Il est maintenant dans l’âge de virilité, où il raisonne avec plus de force, et a plus de lumières que jamais; mais il serait bien plus avancé, si la passion de la guerre ne l’avait occupé longtemps, et ne lui avit donné du mépris pour les sciences auxquelles il est enfin revenue. Il est fâcheux de ne pouvoir pas pousser jusqu’au bout une comparaison qui est en si bon train, mais je suis oblige d’avouer que cet home-là n’aura point de vieillesse; […] c’est-à-dire, pour quitter l’allégorie, que les homes ne dégénéreront jamais, et que les vues saines de tous les bons esprits qui se succéderont, s’ajouteront toujours les unes aux autres.“
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Sowohl bei Fontenelle als auch bei Perrault findet sich also ein deterministisches Narrativ einer notwendigen Entwicklung der Menschheit hin zur Vollkommenheit. Im englischen Pendant zur Académie française, der Royal Society in London, entstand in direkter Reaktion auf die Pariser Diskussion und unter Aufnahme der zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch Francis Bacon (1561– 1626) aufgeworfenen Thesen über den Fortschritt der Wissenschaften eine ganz ähnliche Debatte. In der Battle of the Books traten vor allem William Temple und der Theologe und Linguist William Wotton (1666 – 1727) prominent in Erscheinung.³⁸ 1690, also siebzehn Jahre nach seinen Observations upon the United Provinces of the Netherlands, publizierte Temple – inzwischen zurückgezogen aus der Politik und mit tatkräftiger Unterstützung durch Jonathan Swift (1667– 1745) – seinen Essay Upon Ancient and Modern Learning. ³⁹ Darin vertrat Temple die Auffassung, dass die Entwicklung der menschlichen Wissenschaften und Künste zyklisch verlaufe: „Science and Arts have run their circles, and had their periods in the several Parts of the World.“⁴⁰ Immer wenn sie wieder in Erscheinung treten, würden sie ganz von Neuem beginnen: „[…] when they [Science and Arts] rise again, ‘tis from such low beginnings, that they look like New-Created Regions, or growing out of the Original State of Mankind, and without any Records or Remembrances, beyond certain short periods of Time.“⁴¹ Auch Temple bemüht in diesem Essay den Vergleich der Lebenszeitalter für die Entwicklung der Menschheit im Bereich eben jener Wissenschaften und Künste. Er betont allerdings, dass, auch wenn sich dieser Mensch in den letzten zehn Jahren weiterentwickelt habe, daraus nicht der Schluss zu ziehen sei, er sei stärker und klüger geworden als er es mit etwa dreißig Jahren war.⁴² Entwicklung,
Wotton publizierte seinen Essay Reflections upon the Ancients and the Moderns und konstatierte einen Fortschritt der Modernen. Für Informationen zu Leben und Werk siehe Stoker, David: Art. Wotton, William ( – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. http:// www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Der Begriff Battle of the Books geht auf Jonathans Swifts gleichnamige Satire aus dem Jahr zurück. Grundlegend zur englischen Auseinandersetzung: Levine, Joseph M.: The Battle of the Books. History and Literature in the Augustan Age. Ithaca [u. a.] . Temple, William: Upon Ancient and Modern Learning. In: Miscellanea, The Second Part. In Four Essays. The second edition. Hrsg. von William Temple. London (printed by J.R. for R. and Ra. Sampson) . Temple, Upon Ancient and Modern Learning, S. . Temple, Upon Ancient and Modern Learning, S. f. Temple, Upon Ancient and Modern Learning, S. f.: „It might perhaps truly be said, in that case, that he had grown more in Strength, that last Ten Years, than any others of his Life, but not that he was grown to more Strength and Vigour, than he had at thirty Years old.“
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so Temple abschließend, geschehe immer nur partiell (Weiterentwicklung in einigen Bereichen bedeute zugleich Rückschritt in anderen) und bis zu einem bestimmten Höhepunkt bevor notwendigerweise wieder der Verfall eintrete: It were too great a Mortification to think, that the same Fate has happened to us, even in our Modern Learning, as if the Growth of that, as well as of Natural Bodies, had some short Periods, beyond which it could not reach, and after which, it must begin to decay. It falls in one Country or one Age, and rises again in others, but never beyond a certain Pitch. One man, or one Country, at a certain Time runs a great Length in some certain Kinds of Knowledge, but lose as much Ground in others, that were perhaps as useful and as valuable.⁴³
Dieses zyklische Verständnis, das einen notwendigen Verfall impliziert und hier von Temple für die Wissenschaften und die Künste konstatiert wird, lässt sich in seinen Observations upon the United Provinces of the Netherlands nicht erkennen. Zwar ist eine zeitgenössisch erstaunliche und neue Aussage dieser Abhandlung, dass die Niederlande im Jahr 1672 einen „Fall“ vom Höhepunkt ihrer Macht erlebt hätten. Doch wird dieser Niedergang nicht als „natürlich“, der Genese jeder Entwicklung in der Zeit entsprechend, dargestellt, sondern Temple führt unterschiedliche politische, wirtschaftliche und territoriumsbedingte Gründe an. Zudem wird der totale Ruin lediglich als möglich, nicht aber als unausweichlich gedacht. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Konkurrenz auf den internationalen Markt drängender Territorialstaaten sowie einer zunehmenden Politisierung dieses Marktes arbeitete Temple vielmehr erfolgsversprechende Charakteristika (etwa hoher Bevölkerungsanteil im Verhältnis zur Größe des Landes und den vorhandenen Ressourcen, Rechtsstaatlichkeit, geringe Zinsen) heraus, die einem Gemeinwesen Stabilität sichern sollten. Einen möglichen Erfolg schloss er auch für die Vereinigten Provinzen nicht aus. Vor allem aber sollte England, so wird es in den Observations deutlich, sich an diesen Vorgaben orientieren. Seine Abhandlung war als Staatsbeschreibung im Sinne der politischen Interessenlehre klar gegenwartsbezogen, handlungsorientiert und wenig deterministisch: „That so by reflections upon Foreign Events, they may provide the better and the earlier against those at home, and raise their own Honour and Happineß by equal degrees with the Prosperity and Safety of the Nations they govern.“⁴⁴ Diese Diskrepanz, die sich mit Blick auf Temples Verständnis von historischer Entwicklung im Vergleich beider Abhandlungen erkennen lässt, mag einem tatsächlichen Wandel im Verständnis Temples entsprechen, der sich innerhalb von
Temple, Upon Ancient and Modern Learning, S. f. Temple, Observations, Preface (o.P.).; Vgl. auch Temple, Observations, S. – .
2.3 Zeitverständnis
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siebzehn Jahren eingestellt haben kann. Meines Erachtens wahrscheinlicher ist, dass sie Ausdruck einer Gattungs- und Gegenstandsspezifität ist. In der Querelle und entsprechend in der Battle of the Books wurden politische Fragen etwa nach Verfassungsentwicklungen oder dem Bestand eines konkreten Gemeinwesens nahezu vollständig ausgespart. Im Mittelpunkt standen vielmehr Fragen der ästhetischen, kulturhistorischen oder soziokulturellen Entwicklung. Dies war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass eine These der Dekadenz des eigenen Gemeinwesens oder auch die These der Verbesserungsmöglichkeit im Sinne der Fortschrittstheorie zugleich herbe Regimekritik bedeutet hätte.⁴⁵ Die Texte aber, die das Politische thematisierten und Reformen (implizit oder explizit) forderten, indem sie andere Staaten differenziert beschrieben und analysierten und so als Blaupause nutzten, implizierten in genau dieser Gattungsanlage ein Verständnis einer offenen Zukunft, die noch gestaltet werden konnte. Die in der vorliegenden Arbeit analysierten Staatsbeschreibungen formulierten durch Vergleiche mit und Hinweise für das eigene Gemeinwesen einen Anspruch, der über das bloße Dokumentieren deterministischer Entwicklungen von Fortschritt oder naturgesetzlichem Verfall hinausging. Auf der Grundlage einer differenzierten Analyse des gegenwärtigen Ist-Zustandes sollten nachahmungswürdige Aspekte und vermeidbare Fehler herauskristallisiert werden, die einen Erfolg in der Zukunft möglicherweise, aber nicht notwendigerweise garantieren konnten. Der aus Dublin stammende Robert Molesworth (1656 – 1725), der 1689 in königlichem Auftrag nach Dänemark gereist war, um Söldnertruppen anzuwerben und die pro-französische Haltung der Skandinavier zu unterwandern, formulierte in seiner 1693 zunächst anonym publizierten, wirkmächtigen Staatsbeschreibung An Account of Denmark dementsprechend: But the second sort of Experience is the Instructress of wise Men: for the Prudent will not fail to benefit themselves by the Accidents that befal others, both in their Health and Liberty, by avoiding the occasions of them: and this is one of the great Advantages of Society, that not only the Assistance, but even the Misfortunes of others, may be of use to us. Want of Liberty is a Desease in any Society or Body Politick, like want of Health in a particular Person; and as the best way to understand the nature of any Distemper aright, is to consider it in several Patients, since the same Disease may proceed from different causes, so the
Vgl. dazu auch Schlobach, Zyklentheorie, S. , der in Fußnote eine Abhandlung eines militanten Hugenotten von als Ausnahme anführt, in der als Teil einer ebensolchen Regimekritik die Zyklentheorie auf die politische Entwicklung Frankreichs angeführt wird: Anonymus: Histoire de la décadence de la France, prouvée par sa conduite. Cologne [chez P. Marteau] .
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disorders in Society are best perceived by observing the Nature and Effects of them in our several Neighbours.⁴⁶
Veränderte Realitäten im Verhältnis der Staaten zueinander hätten ein genaues Studium der Nachbarn und damit verbunden eine neue Art des Reisens nötig gemacht.⁴⁷ Ganz ähnlich argumentieren die in dieser Arbeit analysierten Staatsbeschreibungen. Eine Darstellung der Vergangenheit sei nicht zielführend. Vielmehr interessiere der gegenwärtige Ist-Zustand.⁴⁸ Aus dieser jeweiligen Beschreibung des Ist-Zustandes resultierte dabei aber allenfalls eine Prognose über die künftige Entwicklung des jeweiligen Gemeinwesens, keine Aussage über eine notwendige Entwicklung. Der anonyme Autor der Description of Holland spricht deshalb 1743 klar von Vermutungen, die über die Zukunft angestellt werden können: „The Constitution, Government, and present Felicity of a State afford us however great Room to form just Conjectures concerning its future Fortune.“⁴⁹ Nicht nur die Textgattung der Staatsbeschreibung implizierte ein neues Verständnis einer offenen, gestaltbaren Zukunft, sondern auch die Aussagen, die über die zeitgenössischen Republiken unter der normativen Zielvorgabe von Rechtssicherheit getroffen wurden. Cornel Zwierlein hat zuletzt darauf hingewiesen, dass ein Bedürfnis nach Sicherheit immer auf einen Zustand der Unsicherheit und Anonymus [Molesworth, Robert]: An Account of Denmark, as it was in the Year . London . Preface (o.P.). Zu Leben und Werk Robert Molesworths siehe Hayton, D.W.: Art. Molesworth, Robert, first Viscount Molesworth ( – ). In: Oxford Dictionary of National Biography. http://www.oxforddnb.com/view/article/ (. . ). Siehe Molesworth, An Account of Denmark, Preface (o.P.): „The method which has been generally follow’d by us in sending young Gentlemen to Travel can hardly answer any of these ends. […] But the travelling recommended here is that of Men, who set out so well stock’d with the knowledge of their own Country, as to be able to compare it with others, whereby they may both supply it where they find it wanting, and set a true value on’t where it excels. […] but we have liv’d upon the credit of those Times too long, and superciliously neglected our formidable Neighbour and Enemy, whilst he was improving his strength, and we through the encouragement, and by design of our late Rulers were enervating our own.“ Vgl. neben der oft im Titel präsenten Wendung the present state of auch explizit etwa Stanyan, Account of Switzerland, S. ; Saint-Maure, Nouveau Voyage, Preface (o.P.); Gailhard, The Present State of the Republick of Venice, Widmung (o.P.); De la Houssaye, Histoire, S. : „Témoignage asseuré de l’excellence du Gouvernement de Venise, dont il est maintenant question de faire voir l’état & la disposition présente, qui est le but que je me suis proposé dans cet Ouvrage;“ Janiçon, État présent, Bd. , Widmung (o.P.) und S. XXIX: „Au reste, comme mon Ouvrage n’est nullement une Histoire de cette République, je ne parle de l’ancien Gouvernement, qu’autant qu’il peut servir à faire mieux connoitre celui d’aujourd’hui; est c’est par cette raison que je l’intitule État Présent de la République des Provinces-Unies.“ Siehe auch den Titel der anonymen Schrift A Description of Holland: or, the Present State of the United Provinces. Anonymus, A Description of Holland, S. .
2.3 Zeitverständnis
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zugleich auf den Wunsch verweise, diese Unsicherheit in Gegenwart und Zukunft aktiv in Sicherheit umzuwandeln.⁵⁰ Die in der vorliegenden Arbeit analysierten Aussagen über Defizite und positive Elemente der Rechtssicherheit in den einzelnen Republiken legen nahe, dass die Autoren nicht mehr passiv auf eine göttliche Fügung warteten, sondern aktiv gestaltend konkrete Maßnahmen forderten, die Risiken der willkürlichen, ungerechten und langsamen Rechtsprechung in der Zukunft minimieren sollten. Niklas Luhmann zufolge korrelieren Normprojektionen zudem grundsätzlich mit dem Bewusstwerden einer „offenen, festzulegenden Zukunft“.⁵¹ Dieses Bewusstsein einer offenen Zukunft und des eigenen Gestaltungspotentials wurde zunehmend auch explizit reflektiert. Amelot de la Houssaye etwa kritisiert 1676 in seiner Venedigbeschreibung die Kurzsichtigkeit der Entscheidungsträger als grundsätzlichen Defekt des größten Teils der Menschheit: Efet de la foiblesse (sic) & de l’ignorance de la plûpart des hommes, qui ne considérant point l’avenir, aiment mieux perdre tout dans la suite du tems, que de se priver volontairement d’une partie pour sauver le reste. Semblables à ces Marchands avares qui périssent en Mer pour n’avoir pas voulu décharger le Vaisseau; ou à ces Malades opiniâtres qui se laissent venir la Cangréne, pour s’épargner la douleur d’une legère incision. Quelque expérience que la Seigneurie de Venise ait faite en plusieurs ocasions (sic), Elle n’a point encore changé de stile ni de méthode […].⁵²
Vor allem im Reich betonten in der Folge die Vertreter der sich neu etablierenden Disziplin der notitia rerumpublicarum die Möglichkeit, auf der Grundlage der Erkenntnis von Vergangenheit und Gegenwart, Aussagen über mögliche Ent-
Vgl. dazu Zwierlein, Cornel: Frühe Neuzeit, Multiple Modernities, Globale Sattelzeit. In: Landwehr, Frühe Neue Zeiten, S. – , S. f.; Sowie Zwierleins Untersuchungen zum frühneuzeitlichen Versicherungswesen. Hier kristallisiert er ebenfalls die Jahre – als entscheidende Phase eines neuen Sicherheitsdenkens heraus. (Zwierlein, Cornel: Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Göttingen (Umwelt und Gesellschaft ).); Vgl. außerdem Kampmann/Niggemann, Einleitung. In: Kampmann, Sicherheit in der Frühen Neuzeit. S. – . S. f. Siehe Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts, S. : „Normen werden hier mithin als enttäuschungsfeste, kontrafaktisch stabilisierte Erwartungen begriffen, die als solche zunächst weder natürlich noch systematisch noch logisch geordnet sind. Solche Normprojektionen entstehen im sozialen Leben aus einem Strukturbedürfnis heraus: Jeder muß sich der eigenen Erwartungen auch über den Enttäuschungsfall hinaus vergewissern und das Erwarten anderer mit den eigenen Erwartungen verbinden können. Dieses Bedürfnis lässt sich mit anderen gesellschaftsstrukturellen Variablen korrelieren. Es steigt vermutlich in dem Maße, als der Zeithorizont der Lebensführung sich ausweitet und eine offene, festzulegende Zukunft bewußt wird.“ De la Houssaye, Histoire, S. f. Vgl. dazu auch Kapitel II. der vorliegenden Arbeit.
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wicklungen in der Zukunft zu machen, als wichtige Kompetenz künftiger Staatsdiener und Staatenlenker. Nicolaus Hieronymus Gundling hält 1712 fest: Wenn man aber die Sache recht will tractiren, so muß man beschauen 1) den Ursprung, und Wachstum einer Republique […] Denn wer conjecturiren will von futuris, der kann nichts gescheutes davon zu Marcke bringen; es sey denn, daß er den gantzen Begriff, und alle Colores, quos induit Respublica, in numerato habe; […] Die Menschen sterben, und ist keiner unsterblich. Die Republiquen hingegen scheinen bisweilen, als wenn sie sterben, und untergehen wollten. Aber sie legen ihre Kranckheit auch wieder ab. […] Daher muß man das Wachsthum und abnehmen, wie auch das Etablissement der Republique (sic), beobachten. […] 3) Muß man vorstellig machen, sowol das vergangene, als das gegenwärtige Interesse: denn das ist nichts anders als finis&scopus. Daß ich aber sage: das gegenwärtige, vergangene und zukünfftige Interesse, das hat seine Ursache; denn das Interesse bleibt nicht stets einerley. […] Daher habe ich gesagt: wir müssen zusammen nehmen das vergangene und gegenwärtige, und also können wir von dem zukünfftigen auch conjecturiren. Alle Conjecturen dependiren vom praesenti & praeterito. Praeteritum est major syllogismi; Praesens est minor; Futurum est conclusio.⁵³
Gundlings Prämisse ist jene der historischen Veränderung. Dabei können Staaten einen Niedergang erfahren, sie müssen es aber nicht notwendigerweise. Die Kenntnis von Vergangenheit und Gegenwart ermögliche, so Gundling, „Conjecturen“, also Vermutungen anzustellen, aber nicht Aussagen über notwendige Entwicklungen in der Zukunft zu treffen.⁵⁴ Der Herausgeber von Gundlings Ausführlichem Discours über den ietzigen Zustand der Europäischen Staaten, Jacob August Franckenstein, formuliert in seiner Vorrede 1733 ähnlich und betont noch stärker den Gestaltungsspielraum in der Rückkopplung an das eigene Gemeinwesen: Dannenhero soll man bey der Staats-Lehre nicht die eitle Absicht hegen, nur seiner Curiosität wegen seines Vaterlandes, oder einer benachbarten Republic ein Genügen zu thun, sondern es muß ein geschickter Mann sich dahin bestreben, daß er aus dieser Lehre den gegenwärtigen Zustand derer Staaten genau einsehen und beurtheilen, das Zukünfftige durch Vergleichung der vergangenen und gegenwärtigen Geschichte voraus sehen, und durch
Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , S. – . Ähnlich formuliert auch Martin Schmeizel, Einleitung zur Staatswissenschaft, Vorrede (o.P.) und S. f. Das Grosse vollständige Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste von Johann Heinrich Zedler hält Lemmata zu Conjectio und Conjectura vor: „Conjectio, heißt eine Errathung, Muthmaßung. […] Conjectura, eine Conjectur, Erwarthung, Muthmaßung,Vermuthung.[…] Ist eine wahrscheinliche Meynung, so aus gewissen Umständen entstehet und herrühret.“ Zedler, Grosses Vollständiges Universal-Lexikon, Bd. , Sp. .
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dieses Mittel vieles Unglück von dem Vaterlande abwenden, dargegen aber alles erwünschte Glück demselbigen zuwenden könne.⁵⁵
Das Verständnis einer offenen, gestaltbaren Zukunft fand also ab 1650 seinen Ausdruck in der Textgattung der Staatsbeschreibung, die dieses Zeitverständnis in ihrer Anlage zugleich implizierte. Die vorliegende Arbeit weist dies anhand der Staatsbeschreibungen, die sich mit den zeitgenössischen Republiken beschäftigten, nach. Damit erfolgt ein solcher quellenbasierter Nachweis für die jüngst in der Forschung formulierte These, dass eine Aufwertung der Gegenwart und damit auch der Gedanke von der Gestaltbarkeit der Zukunft bereits im 17. Jahrhundert zu verorten sei.⁵⁶
Mit dem Zeitverständnis einhergehende mechanistische Metaphorik Auch Johann Adolf Hoffmann (1676 – 1731) plädierte in seinen Politischen Anmerkungen von der wahren und falschen Staatskunst von 1732 dafür, aus der Analyse benachbarter Staaten Rückschlüsse für das eigene Gemeinwesen zu ziehen und Aussagen über die Zukunft zu treffen: Was ist aber die Staatsklugheit? Sie ist eine innere Erkenntniß und Wissenschaft des Zusammenhangs der Ursachen und ihrer Folgen, die mit einem verständigen und wahren Urtheile verknüpft ist. Drey Dinge bringen Klugheit zuwege: Die Natur, die Wissenschaft, die Erfahrung. Mit drey Dingen beschäftigt sie sich: Mit dem Vergangenen, mit dem Gegenwärtigen, mit dem Zukünftigen. […] Sie urtheilet aus andrer Völker Nutzen oder Schaden, was
Gundling, Ausführlicher Discours, Bd. , Vorrede (o.P.). Franckenstein betont zudem, dass Aussagen über die mögliche zukünftige Entwicklung eines Gemeinwesens notwendiger Bestandteil einer jeder Staatsbeschreibung sein solle: „Inzwischen bestehen die vornehmsten Stücke, so man bey jedem Staate erwegen muß in folgenden: […] ) von der Geschicklichkeit, aus den vergangenen und gegenwärtigen, auf das Zukünfftige zum Voraus zu schlüssen, das benöthigte anzuführen.“ Er führt darüber hinaus an, dass die Analysen antiker Staatstheoretiker „nach dem Staat des alten Griechen-Landes besser schicken, als zu unseren Europäischen Reichen. Die Scribenten mittlerer Zeiten sind zwar einem Staats-Manne gantz unentbehrlich, es läßt sich aber vieles bey unsern gegenwärtigen Umständen im geringsten nicht gebrauchen.“ Zentral sei folglich die Analyse der Gegenwart: „Aus diesen Ursachen ist es nöthig eine genauere Einsicht von den neuern Zeiten zu erlangen. Seit dem XVI. Saeculo hat sich bey nahe der gantze Welt-Creyß, vor andern aber unser Europa in eine gantz andere Form gesetzet, noch vielmehr ist aus denen Geschichten des . und jetztlauffenden Jahr-Hundert zu erlernen, dahero vor andern auf diese neuern Zeiten die Augen zu richten sind.“ Siehe Landwehr, Alte Zeiten, Neue Zeiten, S. – , S. f. Vgl. dazu auch die einführenden Bemerkungen in der Einleitung der vorliegenden Arbeit.
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2 Erklärungsmomente
ihrem Vaterlande dienlich sey. […] Vorjetzo sage ich nur, daß die Klugheit das Vergangene dergestalt mit dem Gegenwärtigen vergleiche, daß sie aus beyden von dem Zukünftigen auf solche Weise urtheilet, damit allem Unheile vorgebeuget werde, und man niemals zu der thörigten Entschuldigung seine Zuflucht nehmen und im Unfalle sagen dürfe: Das hätte ich nicht gedacht.⁵⁷
Hoffmanns Text ist aber – ähnlich wie die unterschiedlichen Schriften William Temples – zugleich ein Zeugnis dafür, dass die hier analysierte Spanne zwischen 1650 und 1750 ein Zeitraum war, indem sich das neue Zeitverständnis erst entwickelte und die Reflexion darüber einsetzte, während parallel weiterhin herkömmliche Interpretationsmuster bestanden. Hoffmanns Politische Anmerkungen sind anders als etwa Gundlings Text nicht allein dem Genre der Staatsbeschreibung zuzuordnen. Die differenzierte Beschreibung benachbarter Staaten steht hier neben grundsätzlichen Überlegungen zu einer Vielzahl von sozialpolitischen, moralischen und wirtschaftlichen Themen. So changiert Hoffmanns Abhandlung auch zwischen unterschiedlichen Aussagen. Es finden sich etwa solche, die klar Ausdruck eines zyklischen Verständnisses sind: „Solchergestalt laufen die menschlichen Händel durcheinander, und welzen sich wie ihn einem beständigen Creyse rund um, bis sie da wieder anfangen, wo sie vorhero aufgehöret haben.“⁵⁸ Dieses Nebeneinander und die sich langsam vollziehende Entwicklung hin zu einem neuen Verständnis einer aktiv gestaltbaren Zukunft kommen auch in den verwendeten Metaphern der hier analysierten Texte zum Ausdruck. Im wechselseitigen Verhältnis mit dem neuen Zeitverständnis stand eine zunehmende „Mechanisierung“ der politischen Sprache. Die Metapher vom „Staat als Körper“ wurde von derjenigen des „Staats als Maschine“ langsam abgelöst. Während der Körper notwendig altert und medizinische Maßnahmen lediglich kurzfristig Abhilfe schaffen können, erfordert die Maschine in regelmäßigen Abständen eine Reparatur und Anpassung an die veränderten Umstände, die ihr aber dauerhaft gleichbleibende Vollkommenheit gewähren können. In den Aussagen über die frühneuzeitlichen Republiken zwischen 1650 und 1750 manifestierte sich dieser Wandel der politischen Sprache zunehmend. Sie können deshalb als wichtiger Indikator und Ausdruck dieser Veränderung gewertet werden. Für Amelot de la Houssaye war 1676 die Möglichkeit des mechanistisch eingerichteten Staates, dessen Teile ineinandergreifen und der unabhängig vom tugendhaften oder untugendhaften Verhalten seiner Träger funktioniert, wie in
Hoffmann, Politische Anmerkungen, S. – . Hoffmann, Politische Anmerkungen, S. .
2.3 Zeitverständnis
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Kapitel II.7 der vorliegenden Arbeit gezeigt, so in letzter Konsequenz noch nicht denkbar.⁵⁹ Allerdings verwendet er schon das Bild der Maschine für den Staat: Il me reste présentement à discourir des maximes, des fins, & des intérets de celui [Gouvernement de Venise] d’aujourd’hui, comme aussi des bonnes ou mauvaises dispositions des sujets de la Seigneurie, cette matiére apartenant de plein droit au Sénat, puisqu’il a toute la direction des affaires, & donne le mouvement qu’il lui plaist à toute la machine de l’Etat.⁶⁰
Stärker präsent ist im Text allerdings die Vorstellung vom Staat als politischem Körper, der verschiedene Lebensalter durchlaufe und erkranken könne. Amelot de la Houssaye ordnet dabei die verschiedenen Regierungsorgane einzelnen, spezifischen Körperteilen zu: De sorte que la Seigneurie est comme la teste du Corps de la République, dont le Duc est la blouche & la langue, puisque c’est à luy de répondre aux Ambassadeurs. Les Conseillers en sont les yeux & les oreilles […]. Le College est comme le col de ce Corps Politique; veu que c’est par où passent toutes les Affaires qui doivent aller au Prégadi, que l’on peut dire en estre l’estomac & le ventre, puisqu’il contient toutes les parties Nobles du Corps de l’Etat, & lui fournit toute sa nourriture. Les Magistrats particuliers en sont comme les nerfs & les os qui le soûtiennent & le font mouvoir; & le Conseil de Dix en fait tous les ligamens, empeschant que ces parties ne se dénoüent les unes d’avec les autres, & qu’un mouvement violent ne les jette hors de leur place naturelle.⁶¹
Venedig sei bereits im Stadium der „Vieillesse“ und längst unheilbar erkrankt.⁶² Dass Amelot de la Houssaye aber überhaupt das Bild der Maschine im Jahr 1676 für den Staat anführt, ist angesichts der bisherigen Forschung überaus be-
Siehe De la Houssaye, Histoire, S. f.: „Ce qui fait bien voir qu’il y a des maux où il est tresdangereux de vouloir toucher; que les maladies d’Etat sont incurables quand elles sont vieilles, & qu’il vaut mieux laisser en repos un Corps cacochime, que d’en émouvoir les humeurs par des remèdes qu’il ne peut plus porter. […] Il seroit plus aisé de faire un nouvel Etat, que d’en réformer de certains abus, qui ont passé en coûtumes. Et il n’y peut avoir de Gouvernement parfait, parce qu’il y aura des vices tant qu’il y aura des hommes.“ De la Houssaye, Histoire, S. f. De la Houssaye, Histoire, S. f. An anderer Stelle unterscheidet Amelot de la Houssaye zwischen dem Senat als Seele der Republik und dem Großen Rat als Körper der Republik (S. ). Grundsätzlich zur Körpermetapher in der Frühen Neuzeit vgl. Hale, David George: The Body Politic. A Political Metaphor in Renaissance English Literature. Den Haag und StollbergRilinger, Der Staat als Maschine, S. – . Vgl. de la Houssaye, Histoire, S. : „[…] jusques à la guerre de la Ligue de Cambray, qui est proprement le commencement de sa Vieillesse.“ Vgl. außerdem de la Houssaye, Histoire, S. f. (s.o.) und S. .
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2 Erklärungsmomente
merkenswert.⁶³ Und er ist mit Blick auf die Staatsbeschreibungen nicht der einzige. Sein Nachfolger in der französischen Botschaft Venedigs, Alexandre Toussaint de St. Didier, hält 1680 ebenfalls mit Blick auf Venedig fest: „Le Gouvernement de la République de Venise est semblable à une grande & ingenieuse machine, don’t plusieurs ressorts cachez concourrent ensemble au moindre movement qu’on y apperçoit au dehors.“⁶⁴ Und bereits 1651 bezeichnete Jean de Parival in den „Délices de la Hollande“ den niederländischen Staat als mächtige Maschine, die durch ihre immerwährende Bewegung immerwährenden Wohlstand und Sicherheit hervorbringe. Die einzelnen Regierungsorgane seien die Intelligenzen, die diese Maschine antreiben würden: Or cette puissante machine estant toûjours en bon train, ce mouvement perpetuel fait perpetuellement fleurir le Pais, par la bonne discipline & par le trafic, met les peuples dans un ferme repos, & fait joüir un chacun des agreables délices qui ne se trouvent pas ailleurs. Montons jusques au plus haut degré de cette puissante machine, dont les Colleges suivans sont les intelligences qui animent ce grand ressort.⁶⁵
Vgl. dazu die grundlegenden Untersuchungen von Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine und Wootton, Liberty. Bereits in der Antike verwenden etwa Lucrez (ca. / v.Chr.–/ v.Chr.) und Lucan ( – ) die Metapher der Maschine. Sie wandten diese allerdings nicht auf den Staat, sondern auf die Welt insgesamt an, um deren geordneten Zusammenhang zu verdeutlichen. Vgl. dazu Demandt, Metaphern für Geschichte, S. ; Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. – . Im Französischen war im 17. und 18. Jahrhundert grundsätzlich das Wort engin gebräuchlicher als machine (Vgl. Rehmann, Alfons: Die Geschichte der technischen Begriffe fabrica und machina in den romanischen Sprachen. Münster 1935. S. 109). Umso erstaunlicher ist hier das Heranziehen dieser Metapher durch die französischsprachigen Autoren. Auch das Amelot de la Houssaye an anderer Stelle von der l’oeconomie du Gouvernement (S. 199) spricht, ist ebenso bemerkenswert. Gemäß einer Studie von Jean-Claude Perrot taucht diese Begriffsverwendung im Sinne einer staatlichen Haushaltung, deren Träger eine „‘mechanistische‘ regulative Funktion gegenüber der Gesellschaft einnehmen“ (S. 56), zwar mit Montchrétiens Traicté de l’Oeconomie politique 1615 zum ersten Mal im französischen Sprachgebrauch auf, doch wird sie erst nach 1750 wirklich präsent. Vgl. Perrot, Une Histoire intéllectuelle de l’Économie politique. Saint Didier, La Ville et la Republique de Venise, , S. . Parival, Les Delices, , S. .Vgl. dazu auch Kapitel II. der vorliegenden Arbeit.Vgl. auch dieselbe Metapher in Parivals publizierter Schrift Le vray l’interet: „D’ailleurs les causes produisent fort souvent des effets divers, & pour ne les pas bien connoitre on prend ordinairement les pretextes, au lieu d’icelles. Voila pourquoy ie soutiens qu’il est tres difficile d’expliquer & definir l’interet d’Etat pour ceux qui ne sont pas dans le maniement des affaires. […] ceux qui gouvernent pas l’Etat, ne comprennent pas facilement avec quel ressort on fait marcher cette machine.“ (S. f.).
2.3 Zeitverständnis
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1637 hatte Descartes den menschlichen Körper als künstliche Maschine bezeichnet und damit dem neuen wissenschaftlichen Anspruch Rechnung getragen, die Gesetze der Natur mit jenen der Mechanik zu identifizieren.⁶⁶ Das mechanische Uhrwerk war der konkrete Anschauungsfall, der diesem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel zugrunde lag. Aber erst Thomas Hobbes übertrug das Bild der Maschine 1651 – also im selben Jahr wie Parival! – in seinem Leviathan systematisch auf den politischen Körper.⁶⁷ Hobbes bezeichnete hier analog zu Descartes den menschlichen Körper als künstlichen, als mechanistischen Automaten. Dann übertrug er diese Gleichsetzung auf den Staat, der ebenfalls ein „artificial man“ sei, den er im Folgenden analysieren wolle.⁶⁸ Der Terminus machine taucht bei Hobbes allerdings noch nicht auf. David Wootton datiert die erste Verwendung des Wortes im Englischen auf 1683 in der Plutarch-Ausgabe von John Dryden.⁶⁹ Wie im Kapitel II.5 der vorliegenden Arbeit gezeigt, spricht William Temple allerdings schon 1671 in seinem Essay A Survey of the Constitutions and Interests of The Empire, Sweden, Denmark, Spain, Holland, France, And Flanders, with their relation to England in the Year 1671 vom Staat als Maschine. Er beschreibt damit die niederländische Republik, die in ihrer individuellen Charakteristik unfähig sei, sich mit Hilfe von Expansion zu vergrößern und deshalb andere Mittel anwenden müsse, um mehr Macht zu erlangen und die Nachbarstaaten einzuschüchtern. Interessanterweise verbindet er hier das Bild der Maschine mit dem Zweck der Ruhe: „Yet the frame of this State (as of most great machines made for rest and not for motion) is absolutely incapable of making any considerable en-
Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. . Das Bild der Uhr als Emblem und Metapher für das Gemeinwesen oder das Verhältnis eines Fürsten zu seinen Räten und/oder Untertanen findet sich im Reich vereinzelt schon für das Ende des . und die erste Hälfte des . Jahrhunderts, vor allem in den sog. Fürstenspiegeln. Der Begriff „Maschine“ taucht hier allerdings noch nicht auf. Auch wird viel stärker eine Einbindung in den gesamten Kosmos als geordnetes Ganzes mitgedacht. Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. und S. – . Prägend sei hier, so Stollberg-Rilinger, das Uhrwerkbild im Emblembuch des Spaniers Diego de Saavedra Fajardo ( – ) gewesen (Saavedra Fajardo, Diego de: Idea de un principe politico christiano. München ; . Ausg. Mailand ). Hobbes, Thomas: Leviathan. Hrsg. von John C.A. Gaskin. Oxford . S. : „Nature, the art whereby God hath made and governs the world, is by the art of man, as in many other things, so in this also imitated, that it can make an artificial animal. For seeing life is but a motion of limbs, the beginning whereof is in some principal part within; why may we not say, that all automata (engines that move themselves by springs and wheels as doth a watch) have an artificial life? […] Art goes further, imitating that rational and most excellent work of nature, man. For by art is created that great Leviathan called a Commonwealth, or State, in Latin Civitas, which is but an artificial man“; Vgl. auch Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. – . Siehe Wootton, Liberty, S. mit Verweis auf Dryden, John: Plutarch‘s Lives. Vol. London . Vol. . S. f.
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largements or conquests upon their neighbours.“⁷⁰Dieser Befund ist erneut ein starker Hinweis darauf, dass das Verständnis einer aktiv gestaltbaren, offenen Zukunft in der Gattung der Staatsbeschreibungen bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts seinen Ausdruck fand. Verbreitung erfuhr die Wendung vom Staat als Maschine in England dann in den 1690er Jahren in der Kontroverse über das stehende Heer.⁷¹ Ein inflationärer Gebrauch ist allerdings vor allem in den in der vorliegenden Arbeit analysierten Staatsbeschreibungen und Reiseberichten nicht festzustellen. Die Metaphern variieren und kommen weiterhin aus dem organischen Bereich (wie der Körper, die Familie) oder dem anorganischen Bereich. Neben dem Bild der Maschine werden hier auch Architekturmetaphern bemüht. Abraham Stanyan etwa vergleicht in seinem Account of Switzerland von 1714 den Aufbau eines Staates mit einer Pyramide⁷² und an anderer Stelle die Verfasstheit eines Gemeinwesens mit einem Haus, das mehrere Mal wieder gebaut wird. Dabei bleibe bei jeder Einrichtung eines neuen Hauses immer etwas vom Alten bestehen. Es sei deshalb extrem schwer, eine perfekte Regierung einzurichten: Upon the whole, I know there is nothing so easie, as to find Faults in every Form of Government, and nothing so hard, as to shew a perfect One reduced to practice; whereof the Chief reason perhaps may be, that scarce any Legislator has been at Liberty to cast his Frame at once, and pursue one entire compact Scheme. Most of the Plans of Government settled in the World, seem to have been formed like Houses built at several times; for as the Parts of them always deface the new, and render them irregular, so upon the Establishment of any new Frame of Government, something of the Old is still preserved, and enters into the Frame of the New, which is not of a Piece with it, and consequently spoils its Symmetry.⁷³
Auch wenn der mechanistische Gedanke einer dauerhaft gleichbleibenden, vollkommenen Maschine, die allein von Zeit zu Zeit repariert und an die gegebenen Umstände angepasst werden muss, hier fehlt, so drückt Stanyans Metapher doch klar die Idee der Gestaltbarkeit aus: Der Gesetzgeber kann die Verfasstheit des Gemeinwesens erarbeiten, neu gießen („to cast the frame of government“), auch wenn er dabei Reste des Alten übernehmen muss. Dass das moderne Haus dabei den alten Vorgängern in jedem Fall überlegen sei, deklarierte der Abbé Saint-Pierre in seinen Schriften, in denen er als einer der
Temple, The Constitutions and Interests, S. .Vgl. auch Kapitel II. der vorliegenden Arbeit. Wootton nennt John Trenchard ( – ) und Walter Moyle ( – ) dabei als tragende Schlüsselfiguren. Siehe Wootton, Liberty, S. f. Siehe Stanyan, Account of Switzerland, S. – . Das Bild der Pyramide bemüht auch Temple, The Constitutions and Interests, S. – . Stanyan, Account of Switzerland, S. .
2.3 Zeitverständnis
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ersten der sogenannten philosophes in Frankreich dem neuen Wissenschaftsverständnis folgend, neue Methoden und rationale Begründbarkeit für alle Bereiche menschlichen Handelns forderte.⁷⁴ Die progressive Geschichtsauffassung der Querelle findet bei ihm auch Anwendung auf die Politik. Fortschritt sei bereits erfolgt und weiterhin möglich. Der ideale Staat gleiche einer politischen Maschine, die wie eine Drehorgel gebaut sei, so dass auch ein Kind, das nichts von Musik verstehe, schöne Melodien hervorbringen könne: „Ainsi la machine Politique bien construite ayant une fois son mouvement elle agit d’elle-même, elle se fortifie elle-même, elle se dirige elle-même vers la plus grande utilité publique, l’Etat devient florissant par sa beule bone constitution, & voila le sublime de la Politique.“⁷⁵ Auch wenn die Entwicklung eines Gemeinwesens bei Saint-Pierre stärker als bei den anderen vorgestellten Autoren an die Fortschrittsidee gekoppelt und damit sein Verständnis von Zukunft weniger offen ist, so ist diese Entwicklung bei ihm zugleich immer als Produkt menschlichen Handelns und damit gestaltbar gedacht.⁷⁶ Wenn die Umstände es erfordern, könne und müsse die Maschine Staat überprüft und angemessen verändert werden.⁷⁷ Saint-Pierre’s Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe war, wie in Kapitel III.2 der vorliegenden Arbeit gezeigt, 1713 Ergebnis einer solchen Bestandsanalyse, die Defekte einzelner Staaten aber auch der Staatenordnung insgesamt konstatierte. Saint-Pierre postulierte für die Zukunft die Möglichkeit und Notwendigkeit einer europäischen Rechtsordnung, die einen säkular, interessenpolitisch begründeten und dauerhaften Frieden garantieren solle. Als Referenzfolien für die institutionelle Ordnung der anvisierten europäischen Union rekurrierte Saint-Pierre vor allem auf die Vereinigten Provinzen, die Eidgenossenschaft und ausführlich auf das Reich. Enormen Einfluss auf Saint-Pierres Bild
Vgl. dazu Asbach, Zähmung, S. – . Saint-Pierre, Charles-Irene Castel Abbé de: Projet pour perfectioner le Gouvernement des Etats. In: Ouvrages de politique et de morale. Hrsg.von Charles-Irene Castel Abbé de Saint-Pierre.Tomme III. Rotterdam . S. . Vgl. auch Asbach, Zähmung, S. . Vgl. dazu Rouvillois, L’invention du progrès, S. – ; Schlobach, Zyklentheorie, S. ; Asbach, Zähmung, S. . „Les etablissemans humaines ressamblent jusqu’ici a des horloges qu’il faut nétoyer et remonter de tems en tems si l’on veut etre toujours contant de leurs operasions; ainsi il faut une direxion continuelle et exterieure de la part du government et une augmantasion de resort pour soutenir les meilleurs etablissemans en dirigeant mieux l’interèt particulier vers l’interèt publiq et c’est le sublime de la politique.“ Siehe dazu das Manuskript mit der Signatur „R “, „Moïens de procurer dans un Etat le progrez de la politique“ von Charles-Irene Castel Abbé de Saint-Pierre, welches sich in der Bibliothèque publique et universitaire in Neuchâtel befindet. Zitiert nach Asbach, Zähmung der Leviathane, S. .
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des Alten Reichs sowie auf seine politische Theorie insgesamt hatte Samuel von Pufendorf.⁷⁸ Pufendorf war es auch, der Hobbes’ Metaphorik des Staates als künstlichen Körper in die deutsche Naturrechtslehre einführte.⁷⁹ An ihn anknüpfend, war es schließlich Christian Wolff, der systematisch die Anwendbarkeit der neuen wissenschaftlichen Methoden auf alle Bereiche, damit auch auf die Politik, forderte. Das logisch deduzierte Muster des vollkommenen Gemeinwesens müsse als Orientierungspunkt für politisches Handeln fungieren. Mit der Gründung des ersten Lehrstuhls für Oeconomie, Policey und Cammer-Sachen 1727 in Halle etablierte sich die Kameralistik als Universitätsdisziplin und damit der Ort, an dem das Wolffsche Wissenschaftsparadigma angewandt werden sollte.⁸⁰ Für die Schriften der Kameralisten lässt sich in der Folge dann auch eine signifikante Häufung der Maschinenmetapher feststellen.⁸¹ Neue Impulse gewannen Staatslehre und Kameralismus im Reich schließlich auch durch die Auseinandersetzung mit Montesquieu.⁸² Grundsätzlich müssen Montesquieu und auch Hume, die – wie in Kapitel IV der vorliegenden Arbeit gezeigt – beide die Maschinenmetapher bemühten und die Gestaltbarkeit der Zukunft durch den Menschen betonten, als Zäsur in der theoretischen Beschäftigung mit Politik, aber vor allem auch mit Blick auf mögliche Aussagen über die zeitgenössischen Republiken bewertet werden. Die gemäßigte Monarchie („civilized monarchie“ bei Hume, „gouvernement modéré“ bei Montesquieu) wird als diejenige Staatsform gepriesen, die dem idealen Staat bisher am nächsten gekommen sei (Hume) beziehungsweise entspreche (Montesquieu). Montesquieu präsentierte dabei die englische Verfassung in ihrer Anlage (nicht unbedingt in ihrer realen zeitgenössischen Ausgestaltung) als Verwirklichung dieses Ideals. Damit griff er eine Tendenz auf, die in politischen Schriften in Europa in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend Konjunktur erlebt hatte: England wurde neben den zeitgenössischen Republiken zu einem wichtigen Referenzobjekt. Schon kurz nach der Glorious Revolution von 1688/89 wurde das Bild eines von Krisen geschüttelten Gemeinwesens auf dem Kontinent durch jenes Bild einer politischen Ordnung ersetzt, die durch eine Beschränkung des Monarchen, ein kluges Austarieren der Institutionen und eine
Vgl. dazu Asbach, Zähmung, S. f. Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. f. Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. – . Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. – . Zur tragenden Rolle Justis vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. – und Richter, Pflug und Steuerruder. Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine, S. – .
2.3 Zeitverständnis
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unabhängige Justiz dauerhaft Freiheit und Stabilität garantieren könne.⁸³ Es waren zunächst vor allem hugenottische Autoren, die das „protestantisch-freiheitliche“ England dem „katholisch-despotischen“ Frankreich gegenüberstellten und der Debatte so einen stark konfessionspolitischen Ton gaben.⁸⁴ Langsam entwickelte sich aber auch eine verfassungspolitische Diskussion, der es zunächst vor allem um die exakte Darstellung der englischen Ordnung ging. Mit Voltaire und Montesquieu erlebte diese Diskussion einen neuen Höhepunkt. Die neue, nämlich funktionale Legitimation monarchischer Herrschaft erschien als attraktive, mögliche Antwort auf die Herausforderungen in der Mitte des 18. Jahrhunderts. In der Folge mehrten sich angesichts des Siebenjährigen Krieges, innerenglischen Konflikten und amerikanischem Unabhängigkeitskrieg auch kritische Stimmen. England blieb dabei aber gerade deshalb diskutiertes Referenzobjekt in einer europäischen Auseinandersetzung um Möglichkeiten und Grenzen politischer Reform.⁸⁵
Vgl. hier und im Folgenden grundlegend: Kraus, Englische Verfassung. Tillet, Edouard: La Constitution anglaise, un modèle politique et institutionel dans la France des Lumières. Aix-enProvènce . Buruma, Ian: Voltaire’s coconuts or Anglomania in Europe. London . Vgl. Kraus, Englische Verfassung, S. – . Vgl. Kraus, Englische Verfassung, S. . Spannend ist hier auch die Fallstudie von Gabriella Silvestrini zu Genf, die die These aufstellt, dass Rousseaus Kritik an England Montesquieus Kritik an den italienischen Republiken gleicht. Die gleichen Argumente werden hier also auf einen anderen Gegenstand übertragen (vgl. Silvestrini, Gabriella: Genève, Rousseau et le modèle politique anglais. In: SZG / (). S. – ).
3 Ausblick Auch Venedig, die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft blieben Teil dieser Auseinandersetzung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die sie beschreibenden Artikel in der Pariser Encyclopédie, ou, Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (Siebzehn Textbände, 1751– 1766), die in der Folge zum Standard-Nachschlagewerk der Aufklärung wurde,¹ präsentieren sich dabei als Zusammenstellung unterschiedlichster möglicher Aussagen. Verherrlichende Superlativaussagen, die vorwiegend in Beschreibungen vor 1650 auftauchten, stehen im selben Artikel neben solchen, die einen potentiellen oder bereits erfolgten Niedergang konstatieren.² Zudem scheinen auch die Darstellungen von Montesquieu und Hume Eingang in die Artikel gefunden zu haben. So kritisiert Louis (chevalier de) Jaucourt (1704– 1779),³ Autor aller drei betreffenden Artikel, etwa die Tatsache des immer gleichen Personals in Venedig, die diese Republik zu einer despotischen Aristokratie werden lasse, und hinsichtlich der Vereinigten Provinzen nennt er neben der zunehmenden Konkurrenz auf dem Weltmarkt das Problem der immensen Staatsverschuldung, die über kurz oder lang zum Niedergang dieser Republik beitragen würden.⁴ De Jaucourt verweist dabei explizit
Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société des gens de lettres. Hrsg. von Denis Diderot u. Jean le Rond d’Alembert. Bde. Paris – . Zu Genese, Schwerpunktsetzung und Wirkmächtigkeit der Encyclopédie vgl. grundlegend: Brewer, Daniel/Hayes, Julie Candler: Using the Encyclopédie. Ways of knowing, Ways of Reading. Oxford (SVEC ,). Siehe Jaucourt, Louis chevalier de: Art. Venise. In: Encylopédie, Bd. , S. – : „[…] la superbe Venise, aujourd’hui l’une des plus belles, des plus considérables, & des plus puissantes villes d l’Europe.“ (S. ) und „Le tems étoit passé où elle s’enrichissoit aux dépens du reste de l’Europe, par son industrie & par l’ignorance des autres chrétiens. La découverte du passage du cap de Bonne-Espérance avoit détourné la source de ses richesses. En un mot, ce n’étoit plus cette république qui dans le XV. siecle avoit excite la jalousie de tant de rois: elle leur est encore moins redoubtable aujourd’hui. La seule politique de son gouvernement subsiste; mais son commerce anéanti, lui ôte presque toute sa force;“ (S. ). Sowie auch Jaucourt, Louis chevalier de: Art. Provinces-Unies. In: Encyclopédie, Bd. , S. – : „Il n’y a point de pays en pareille étendue à celui-ci, où l’on voye un si grand nombre de belles villes, de bourgs & de villages, ni une si grande quantité d’habitants, que la liberté & le commerce y attirent.“ (S. ) Und „[…] mais il n’en est pas moins vrai que l’unique fource de l’opulence des Provinces-Unies décroit chaque année, & sans compter les causes intérieures de decadence de l’état, les progress de toutes les nations dans le commerce doivent miner encore plus immédiatement ses forces & sa puissance.“ (S. ). Haechler, Jean: L’encyclopédie de Diderot et de Jaucourt. Essai biographique sur le chevalier Louis de Jaucourt. Paris (Les dix-huitièmes siècles ). Siehe Jaucourt, Art.Venise, S. : „Il resulte de la connoissance du gouvernement de Venise, que c’est une aristocratie despotique, & que la liberté y regne moins que dans plusieurs monarchies. Ce
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3 Ausblick
auf Autoren zur weiterführenden Lektüre, die zwischen 1650 und 1750 nach der Analyse dieser Arbeit als durchaus diskursprägend und/oder exemplarisch gelten dürfen: Amelot de la Houssaye, Saint-Didier und der Abbé Laugier für Venedig, Janiçon, Basnage und Le Clerc für die Vereinigten Provinzen.⁵ Allein beim Eintrag für die Eidgenossenschaft werden lediglich Schweizer Autoren wie Salomon Gessner (1730 – 1788) und Johann Jakob Scheuchzer (1672– 1733) genannt.⁶ Abraham Stanyan oder Vendramino Bianchi werden nicht erwähnt. Entsprechend reproduziert der Artikel auch unhinterfragt eidgenössische Identitätsmythen. Mit Verweis auf tapfer kämpfende Helvetier und Wilhelm Tell wird die Eidgenossenschaft als Inbegriff der Freiheit präsentiert. Die „politesse“ der Athener und die „simplicité“ der Spartaner verbindend, werde diese Republik immer bestehen bleiben. Selbst eine Koalition aller Nachbarn könne diese Eidgenossenschaft abwehren.⁷ Der Eintrag zur Eidgenossenschaft in der Encyclopédie verweist damit bereits auf einen neuen Rezeptionsstrang, der in der Auseinandersetzung mit eidgenössischen Naturwissenschaftlern und Dichtern wie Scheuchzer und Albrecht von Haller (1708 – 1777) sowie im Kontext internationaler Debatten über Physiko-
sont toujours sous différens noms des magistrats d’un meme corps, des magistrats qui ont les memes principes, les memes vues, la meme autorité, exécuteurs des loix & législateurs en même tems. Il n’y a point de contrepoids à la puissance patricienne, point d’encouragement aux plébéïens, qui à proprement parler, sont sous le joug de la noblesse, sans espérance de pouvoir le secouer.“ Sowie Jacourt, Art. Provinces-Unies, S. : „Malgré les grands avantages que le commerce procure à l’état, & les revenus considerable qu’il retire des droits, des taxes & des impositions, il est arrive que la république des Provinces-Unies a contracté des dettes immenses par les longues & cruelles guerres qu’elle a eu à soutenir. […] mais il n’en est pas moins vrai que l’unique force de l’opulence des Provinces-Unies décroit chaque année, & sans compter les causes intérieures de décadence de l’état, les progress de toutes les nations dans le commerce doivent miner encore plus immédiatement ses forces & sa puissance.“ Siehe Jaucourt, Art. Venise, S. und Jaucourt, Art. Provinces-Unies, S. . Siehe Jaucourt, Art. Suisse. In: Encyclopédie, Bd. , S. – , S. . Jaucourt, Art. Suisse, S. : „Ils habitent un pays qui ne peut exciter l’ambition de leurs voisins; & si j’ose le dire, ils sont assez forts pour se defender contre la ligue de tous ces memes voisins. […] L’égalité, le partage naturel des homes, y subsiste autant qu’il est possible. Les loix y sont douces; un tel pays doit rester libre! […] Je me suis étendu sur la Suisse, & je n’ait dit que deux mots des plus grands royaumes d’Asie, d’Afrique & d’Amérique; c’est que tous ces royaumes ne mettent au monde que des esclaves, & que la Suisse produit des homes libres. Je sais que la nature si libérale ailleurs, n’a rien fait pour cette contrée, mais les habitans y vivent heureux: les solides richesses qui consistent dans la culture de la terre, y sont recueillies par des mains sages & laborieuses. Les douceurs de la société n’a point de charmes durables, ont pénétré dans les parties de la Suisse où le climat est les plus tempéré, & où regne l’abondance. […] Enfin dans ces pays autrefois agrestes, on est parvenu en plusieurs endroits à joindre la politesse d’Athènes à la simplicité de Lacédémone.“
3 Ausblick
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theologie und Moralphilosophie entstand.⁸ Die differenzierte Betrachtung der Staatsbeschreibungen und Reiseberichte aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wich zunehmend einer unkritischen Überhöhung und Fokussierung auf die Aspekte des tugendhaften, einfachen und freiheitsliebenden Schweizers. JeanJacques Rousseaus Darstellung der Eidgenossen im Contrat social oder auch in seinem Entwurf einer neuen korsischen Verfassung bildete gleichsam den Höhepunkt dieser Sichtweise auf die Eidgenossenschaft,⁹ die etwa im Reich in einen wahren Philhelvetismus mündete.¹⁰ Eine andere Entwicklung hingegen lässt sich für die Aussagen über die Vereinigten Provinzen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konstatieren. Immer häufiger wurden diese als exemplarisch herangezogen, um aufzuzeigen, welche negativen Folgen eine Politik mit sich bringen würde, die sich hauptsächlich oder ausschließlich auf die Förderung des Handels konzentrieren und so ein Gleichgewicht missen würde, das notwendig für einen stabilen Staat sei. Dabei identifizierten etwa Guillaume-Thomas Raynal (1713 – 1796), Gabriel Bonnot Abbé de Mably (1709 – 1785) oder auch der Schotte Adam Ferguson (1723 – 1816) im Einzelnen durchaus unterschiedliche Faktoren als defizitär. Der Grundtenor aber, dass die Vereinigten Provinzen mit ihrer gegenwärtigen, commerce orientierten Politik nicht mehr als vorbildlich und nachahmungswürdig gelten dürften, war allen dreien gemein.¹¹
Vgl. dazu Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. – . Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Contrat social. In: Rousseau, Jean-Jaques: Oeuvres completes. Bd. : Ecrits Politiques. Hrsg. von Robert Derathé [u. a.]. Paris . S. – . Hier: S. ; Rousseau, Jean-Jacques: Projet de constitution pour la Corse. In: Rousseau, Oeuvres completes, Bd. , S. – ; Vgl. dazu auch Maissen, Als die armen Bergbauern vorbildlich wurden, S. ; Stutzer, Walter: Jean-Jacques Rousseau und die Schweiz. Zur Geschichte des Helvetismus. Zürich . Vgl. dazu Hentschel, Mythos Schweiz. Hentschel stellt allerdings die These auf, dass „die sozial- und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen für eine umfassende Beschäftigung mit der Schweiz in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts noch gegeben waren“ und „die deutschen Intellektuellen die Erkundung des Landes den Schweizern und Engländern“ überlassen hätten. (S. f.) Dem widersprechen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit. Hentschel ignoriert die Beiträge über die Eidgenossenschaft in deutschen Staatsbeschreibungen wie jenen von Gundling oder Gude. Er ignoriert zudem vollkommen die Beschäftigung mit der Eidgenossenschaft in französischen oder italienischen Staatsbeschreibungen und Reiseberichten der ersten Hälfte des . Jahrhunderts. Vgl. McDaniel, Enlightened History. McDaniels Analyse zeigt auf, dass Ferguson in dem Essay on the History of Civil Society neben der Abhängigkeit von öffentlichen Krediten vor allem die Tatsache kritisiert, dass commerce als Triebfeder von Expansion fungiere und damit notwendig einen Ruin herbeiführe. Raynal hingegen habe in seiner Histoire des deux Indes von (und in erweiterten Versionen zwischen und ) vor allem an bestehenden Monopolstrukturen
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Venedig hingegen verlor spätestens seit dem Siebenjährigen Krieg und dem damit einhergehenden massiven Reformbedarf etwa in Frankreich und England als politisches Referenzobjekt vollkommen an Relevanz. Allein im soziokulturellen Kontext, in Debatten um politeness und gesellschaftliches Wertebewusstsein, so zeigt es John Eglins Analyse englischer Aussagen über Venedig, konnte sich die Lagunenrepublik als Bezugsrahmen in Architektur, Malerei, Theater und Literatur weiterhin behaupten.¹² Nur vereinzelt fanden sich noch historisch-politische Abhandlungen, die sich ausführlich und exklusiv mit Venedig auseinandersetzten. Diese waren dabei zunehmend voll der Niedergangsrhetorik und kaum noch differenziert in ihrer Beschreibung. Amelots de la Houssayes Aussagen wirkten dabei weiter diskursprägend und wurden nahezu wörtlich übernommen, auch wenn einzelne Autoren, wie etwa der Stuttgarter Gymnasiallehrer und spätere Theologieprofessor in Tübingen, Johann Friedrich LeBret (1732– 1807), sich explizit von ihm und den anderen „französischen Scribenten“ abzugrenzen suchten, da bei diesen die Urteile über andere Gemeinwesen „nach dem französischen Staate abgemessen“ würden und so nicht als wissenschaftlich gelten dürften.¹³ 1769 wurde folglich die Intention und Standortgebundenheit anderer und dem Mangel an Patriotismus Kritik geübt. McDaniels Aufsatz zeigt, welche spannenden Ergebnisse auch die Analyse möglicher Aussagen über die zeitgenössischen Republiken noch in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts bergen können. Dem gilt es in Zukunft noch stärker nachzugehen. Für Mablys Aussagen über den negativen Einfluss der handelsorientierten Politik siehe Mably, Abbé de: Remarks concerning the Government and Laws of the United States of America: in four Letters, addressed to Mr. Adams. London 1784. S. 221– 225. (Vgl. dazu auch McDaniel, Enlightened History, S. 205, Anm. 9). Diese Tendenz, so zeigt es Eglin überzeugend, setzte in England bereits in den er Jahren vor allem im Privaten ein. Vgl. dazu insgesamt Eglin, Venice Transfigured, S. – . Bret, Johann Friedrich Le: Staatsgeschichte der Republik Venedig,von ihrem Ursprunge bis auf unsere Zeiten, in welcher zwar der Text des Herrn Abtes L’Augier zum Grunde geleget, seine Fehler aber verbessert, die Begebenheiten bestimmter und aus echten Quellen vorgetragen, und nach einer richtigen Zeitordnung geordnet, zugleich neue Zusätze, von dem Geiste der venetianischen Gesetze, und weltlichen und kirchlichen Angelegenheiten, von der innern Staatsverfassung, ihren systematischen Veränderungen und der Entwicklung der aristokratischen Regierung von einem Jahrhunderte zum anderen beygefüget werden. Erster Theil. Mit Kupfern. Leipzig/Riga . Bd. I. S. IV. Vgl. auch: „Amelot maß Venedig nach französischem Maaße ab; und weil er die Stände in Frankreich nicht mehr fand, so wollte er sie auch in der alten venetianischen Geschichte nicht kennen, da man sie doch in den allerältesten Jahrbüchern dieses Volkes und in dem neuern bürgerlichen Geschichtsschreiber Herrn Bettor Sandi außer Zweifel gesetzt sieht. Hieraus folget natürlich, dass man die innern Staatsveränderungen unrichtig beurtheilet, und den wichtigsten Hauptpunkt derselben anzugeben nicht im Stande ist.“ (Le Bret, Staatsgeschichte der Republik Venedig, S. IV.). Le Bret kommt aber dennoch zu ganz ähnlichen Aussagen wie Amelot de la Houssaye. Vgl. etwa „Der Fortgang und die Abnahme des Handels sind die Seele der Venetianer,
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Autoren bei ihren Staatsbeschreibungen offen reflektiert, ohne allerdings dabei die eigene zu hinterfragen. Relevant als politische Referenzfolien und in dieser Relevanz explizit reflektiert wurden die zeitgenössischen Republiken in der Folge hingegen vor allem für und bei jenen, die seit der Mitte der 1770er Jahre versuchten, eine neue, unabhängige Republik in Nordamerika aufzubauen.¹⁴ Die meisten Einzelstaaten hatten sich seit 1776 neue Verfassungen gegeben, die vor allem durch Volkssouveränität, eine spezifische Form der Gewaltenteilung und Grundrechtskataloge, welche die individuelle Freiheit garantieren sollten, charakterisiert waren. Umstritten blieb aber die Form der gemeinsamen Regierung. 1777 hatte der sogenannte Kontinentalkongress mehrere Konföderationsartikel verabschiedet, die allerdings erst 1781 endgültig ratifiziert worden waren und einen gesetzgebenden Kongress mit eingeschränkten Befugnissen, aber keine gemeinsame Exekutive oder Judikative vorsahen. Nachdem der Unabhängigkeitskrieg 1783 im Frieden von Paris sein offizielles Ende gefunden hatte, setzten erneut Diskussionen über die gemeinsame Verfassungsstruktur ein. 1787 traten bei einem Verfassungskonvent in Philadelphia 55 Delegierte zusammen und erarbeiteten eine neue, bundesstaatliche Verfassung mit einem gewählten Präsidenten als Exekutive, einem Obersten Gerichtshof als höchster Instanz der Judikative und einem Zweikammersystem in der Legislative. Durch Gewaltenteilung und -verschränkung sollte jede Form der Machtkonzentration unterbunden werden. In den in verschiedenen New Yorker Zeitungen von Oktober 1787 bis Mai 1788 anonym publizierten Federalist Papers verteidigten James Madison (1751– 1836), Alexander Hamilton (1757– 1804) und John Jay (1745 – 1829) den neuen Verfassungsentwurf.¹⁵ Sie reagierten welche sie stark oder schwach machet.“ (Le Bret, Staatsgeschichte der Republik, S. VII) oder die gleiche Metapher für den Zustand des Gemeinwesens: „Venedig ist also auch in diesem Betracht, nach der Sprache des de Monachis, ein betagter und bejahrter Körper, dem es an Kraft und Säften fehlt.“ (Le Bret, Staatsgeschichte der Republik Venedig, Bd. III, S. ). Vgl. hier und im Folgenden für die Ereignisgeschichte den Überblick von Berg, Manfred: Geschichte der USA. München (Oldenbourg Grundriss der Geschichte ). S. – und S. – . Hier verwendete Textausgabe: Hamilton, Alexander/ Madison, James/ Jay, John:The Federalist Papers. Hrsg. von Ian Shapiro. New Haven (Rethinking the Western tradition). Zu den Auseinandersetzungen um die neue amerikanische Verfassung vgl. auch Gibson, Alan Ray: Interpreting the Founding. A Guide to the Enduring Debates over the Origins and Foundations of the American Republic. Lawrence ; Greene, Jack P./Pole, J. R.: A Companion to the American Revolution. Malden (vor allem: Part III: Themes and Events, from ); Wellenreuther, Hermann: Von Chaos und Krieg zu Ordnung und Frieden. Der Amerikanischen Revolution erster Teil, – . Münster (Geschichte Nordamerikas in atlantischer Perspektive von den Anfängen bis zur Gegenwart ).Vor allem S. – ). Für die spezifische Thematik der föderalen Ordnung vgl. LaCroix, Alison: The Ideological Origins of American Federalism. Cambridge MA/
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dabei auf Kritik der (später so genannten) Anti-federalists, die vor allem starke Einzelstaaten gegenüber einer zu mächtig werdenden Zentralregierung befürworteten. Für diese Kritiker fungierte die Eidgenossenschaft als exemplarisches Positivbeispiel.¹⁶ Das friedliche Zusammenleben von einzelnen, souveränen Staaten mit unterschiedlichen Einzelverfassungen sei möglich, das habe die Eidgenossenschaft bewiesen.¹⁷ Auch die gleichberechtigte Repräsentation von kleineren und größeren Staaten im gemeinsamen Gremium habe nicht zu Konflikten geführt, so die Argumentation in der Federal Convention. ¹⁸ Grundlage des Zusammenhalts sei vor allem die Freiheit und die Tugend der Eidgenossen. Die Eidgenossenschaft, so das Fazit von Patrick Henry (1736 – 1799), der sich als Abgeordneter in Virgina geweigert hatte, am Konvent in Philadelphia teilzunehmen, könne folglich durchaus als Vorbild für die neue amerikanische Republik dienen.¹⁹ Dem widersprachen die Autoren der Federalist Papers in ihrem Plädoyer für einen Bundesstaat mit souveräner Bundesregierung mit Nachdruck. Vor allem im Federalist Nummer 19 diskutierte James Madison dabei das Beispiel der Eidgenossenschaft. Diese könne nicht als Vorbild oder Beweis für einen funktionierenden Bundesstaat dienen, weil ihr der Charakter des Bundesstaates grundsätzlich abgesprochen werden müsse: The connection among the Swiss cantons scarcely amounts to a confederacy: Though it is sometimes cited as an instance of the stability of institutions. They have no common treasury – no common troops even in war – no common coin – no common judicatory, nor any other mark of sovereignty.²⁰
London ; Onuf, Peter S.: The Origins of the Federal Republic. Jurisdictional Controversies in the United States, – . Philadelphia ; Depkat, Volker: Sicherheit in der föderalen Theologie der Puritaner im kolonialen Neuengland. In: Kampmann, Sicherheit in der Frühen Neuzeit, S. – . Vgl. dazu Widmer, Paul: Der Einfluss der Schweiz auf die amerikanische Verfassung von . In: SZG / (). S. – . S. – . Siehe Storing, Herbert J. (Hrsg.): The Complete Anti-Federalist. Bde. Chicago/London . Bd. . S. ; Vgl. auch Widmer, Einfluss der Schweiz, S. . Siehe Farrand, Max (Hg.): The Records of the Federal Convention of . Revised Edition in four Volumes. Vol. I. New Haven/London . Hier: S. (. . ): „Has Holland or Switzerland ever complained of the equality of the states which compose their respective confederacies? Bern and Zurich are larger than the remaining eleven cantons – so many of the states of Germany; and yet their governments are not complained of. Bern alone might usurp the whole power of the Helvetic confederacy, but she is contented still with being equal.“ Vgl. auch Widmer, Einfluss der Schweiz, S. . Vgl. Widmer, Einfluss der Schweiz, S. f. Madison, James/Hamilton, Alexander: The Federalist No. . In: Shapiro, The Federalist Papers, S. – , Hier: S. .
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Diese Aussage erinnert stark an Abraham Stanyans Beschreibung der eidgenössischen Strukturen, die Madison sehr wahrscheinlich direkt und in jedem Falle indirekt über die Lektüre der Sketches of the Natural, Political and Civil State of Swisserland von William Coxe (1748 – 1828) kannte.²¹ Madison hatte die Eidgenossenschaft durchaus studiert und bereits früh, so machen Aussagen in Briefen und persönlichen Papieren deutlich, als mögliches Vorbild für die USA verworfen.²² Zusammengehalten, so Madison im Federalist Nummer 19 weiter, werde die Eidgenossenschaft allein durch ihre topographische Lage, ihre Unbedeutsamkeit, ihre gemeinsame Furcht vor mächtigen Nachbarn und die Einfachheit ihrer Sitten. Vor allem die Religionsstreitigkeiten und das Fehlen einer zentralen Schlichtungsinstanz hätten den Verbund in der Vergangenheit gesprengt.²³ Auch die Vereinigten Provinzen der Niederlande werden im folgenden Federalist Nummer 20 als defizitäres und gescheitertes Beispiel eines föderalen Bundesstaates charakterisiert. Dabei greifen Madison und Hamilton mit Bezug auf William Temple durchaus bekannte Argumente auf: Die Souveränität der einzelnen Provinzen und die erforderte Einstimmigkeit bei Entscheidungen führe zu Langsamkeit und Unfähigkeit in der Beschlussfindung. Dies berge gar die Gefahr
Vgl. Stanyan, Account of Switzerland, S. : „The truth of it is, that they have nothing in common, which proves any Dependence one on the other: There is no common Civil Judicature in being, that has the Right of obliging all the Cantons by its Decisions; there is no common Treasure, no common Coin, nor any one common Mark of Sovereignty;“ Vgl. auch Widmer, Einfluss der Schweiz, S. und S. . Der Engländer William Coxe hatte die einflussreichen Sketches of the Natural, Political and Civil State of Swisserland vorgelegt und Stanyans Beschreibung der Eidgenossenschaft darin als „the only English publication of merit, concerning Swisserland, that I have met with“ bezeichnet. (Siehe Coxe, William: Sketches of the Natural, Civil, and Political State of Swisserland. In a series of letters to William Melmoth. From William Coxe. Dublin (printed by John Bonham) . S. .). Vgl. dazu Widmer, Einfluss der Schweiz, S. . Madison/Hamilton, The Federalist No. , S. : „They are kept together by the peculiarity of their topographical position, by their individual weakness and insignificancy; by the fear of powerful neighbours, to one of which they were formerly subject; by the few sources of contention among a people of such simple and homogenous manners. […] So far as the peculiarity of their case will admit of comparison with that of the United States, it serves to confirm the principle intended to be established.Whatever efficacy the Union may have had in ordinary cases, it appears that the moment a cause of difference sprang up, capable of trying its strength, it failed. The controversies on the subject of religion, which in three instances have kindled violent and bloody contests, may be said in fact to have severed the league.“
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der Usurpation der Macht.²⁴ Der Ist-Zustand der Vereinigten Provinzen sei Ergebnis genau dieser in der Verfassung angelegten Strukturen: Such is the nature of the celebrated Belgic confederacy, as delineated on parchment. What are the characters which practice has stampt on it? Imbecility in the government; discord among the provinces; foreign influence and indignities; a precarious existence in peace, and peculiar calamities from war.²⁵
Für den Ausgang aus der Krise wünscht Hamilton den Vereinigten Provinzen eine Revolution, die eine bessere Konföderation und damit Ordnung, Freiheit und Glück ermögliche. Eine solche Konföderation sei für die USA nun möglich. Das könne auch die Niederländer trösten.²⁶ Anders als die Eidgenossenschaft und die Vereinigten Provinzen wurde Venedig in den Federalist Papers nicht im Kontext der föderalen Struktur des neuen Staates diskutiert, sondern hinsichtlich der Frage der Gewaltenteilung. Eine einfache Teilung, so der Tenor, reiche nicht aus, um die Freiheit der Bürger zu sichern. Das habe das Beispiel Venedigs gezeigt. Würden nämlich alle drei Ge-
Madison, James/Hamilton, Alexander: The Federalist No. . In: Shapiro, The Federalist Papers, S. – , S. : „The dangers of delay obliges the consenting provinces to furnish their quotas, without waiting for the others: and then to obtain reimbursement from the others, by deputations, which are frequent, or otherwise, as they can. […] Foreign ministers, says Sir William Temple, who was himself a foreign minister, elude matters taken ad referendum, by tampering with the provinces and cities. In , the treaty of Hanover was delayed by these means a whole year. Instances of a like nature are numerous and notorious. In critical emergencies, the StatesGeneral are often compelled to overleap their constitutional bounds. […] Even as recently as the last treaty of peace with Great Britain, the constitutional principle of unanimity was departed from. A weak constitution must necessarily terminate in dissolution, for want of proper powers, or the usurpation of powers requisite for the public safety.“ Zur Rolle der Vereinigten Provinzen in der amerikanischen Föderalismusdebatte vgl. auch Schulte Nordholt, Jan Willem: The Example of the Dutch Republic for American Federalism. In: Federalism. History and Current Significance of a Form of Government. Hrsg.von Johann Christian Boogmann u. G.N. van der Plaat. Den Haag 1980. S. 65 – 77; Schulte Nordholt, Jan Willem: The Dutch Republic and American Independence. Chapel Hill 1982. Madison/Hamilton, The Federalist No. , S. f. „This unhappy people seem to be now suffering from popular convulsions, from dissensions among the states, and from the actual invasion of foreign arms, the crisis of their destiny. All nations have their eyes fixed on the awful spectacle. The first wish prompted by humanity is, that this severe trial may issue in such a revolution of their government as will establish their union, and render it the parent of tranquility, freedom and happiness: The next, that the asylum under which, we trust, the enjoyment of these blessings will speedily be secured in this country, may receive and console them for the catastrophe of their own.“ (Madison/Hamilton, The Federalist No. , S. f.).
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walten vom gleichen Personal ausgeübt, so liege nichts anderes als eine Despotie vor: All the powers of government, legislative, executive, and judiciary […] concentrating these in the same hands, is precisely the definition of despotic government. It will be no alleviation that these powers will be exercised by a plurality of hands, and not by a single one. One hundred and seventy-three despots would surely be as oppressive as one. Let those who doubt it, turn their eyes on the republic of Venice.²⁷
Ständige Kontrolle und eine möglichst breite Beteiligung der Bevölkerung an der politischen Entscheidungsfindung seien daher notwendig. Alle drei zeitgenössischen Republiken, Venedig, die Eidgenossenschaft und die Vereinigten Provinzen der Niederlande, wurden von den Verteidigern der neuen amerikanischen Verfassung, die schließlich ratifiziert wurde und am 2. Juli 1788 in Kraft trat, als mögliche Vorbilder verworfen. Sie konnten, so James Madisons Fazit im Federalist Nummer 37 vom 11. Januar 1788 mit Referenz auf die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft, allenfalls noch als Leuchtfeuer dienen, die auf den zu vermeidenden Weg weisen, nicht aber den richtigen Kurs aufzeigen.²⁸ Die neue Republik, die nun für den großen Flächenstaat erdacht wurde, bedurfte neuer Prämissen, um handlungsfähig und erfolgreich zu sein. Positive Aspekte konnten den zeitgenössischen Republiken dafür nicht mehr abgerungen werden. Anders hatten dies noch jene Autoren gesehen, die zwischen 1650 und 1750 in differenzierten Beschreibungen der Republiken den perfekten Staat auszuloten suchten. Sie destillierten Erfolgsfaktoren und benannten zu vermeidende Missstände. Die Aussagen über Venedig, die Vereinigten Provinzen und die Eidgenossenschaft waren dabei durch die Regeln eines politischen Reformdiskurses bestimmt. Sie verliefen quer zu nationalen, regionalen und zumeist auch quer zu konfessionellen Grenzen und verwiesen auf wirtschaftlichen Erfolg, Stabilität, Schnelligkeit und Effektivität sowie Freiheit und Rechtssicherheit als normative Zielvorstellungen eines perfekten Gemeinwesens. Entscheidendes Moment dieses Madison, James: The Federalist No. . In: Shapiro, The Federalist Papers, S. – , S. f. Vgl. dazu auch Eglin, Venice transfigured, S. – . Madison, James: The Federalist No. . In: Shapiro, The Federalist Papers, S. – , S. : „It has been shown, that the other confederacies which could be consulted as precedents, have been vitiated by the same erroneous principles [as the existing Confederation], and can therefore furnish no other light than that of beacons, which give warning of the course to be shunned, without pointing out that which ought to be pursued. The most that the convention should do in such a situation, was to avoid the errors suggested by the past experience of other countries, as well as our own: and to provide a convenient mode of rectifying their own errors, as future experiences may unfold them.“
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politischen Reformdiskurses war ein neues Zeitverständnis, das sich in der Gattung der Staatsbeschreibungen niederschlug und eine optimistische Perspektive auf die Wirksamkeit der eigenen Handlungen mit sich brachte. Für die Autoren der Frühaufklärung galt es, die Zukunft zu gestalten.
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2 Forschungsliteratur
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Quellen- und Literaturverzeichnis
3 Bildnachweise 1
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Howell, James: S.P.Q.V. A survay of the Signorie of Venice, of her admired policy, and method of Government, &c. with A Cohortation to all Christian Princes to resent her dangerous condition at present. London (printed for Richard Lowndes) 1651. Frontispiz. The John Adams Library at the Boston Public Library. Frei verfügbar über archive.org. Parival, Jean de: Les Delices de la Hollande, composés par le Sieur Jean de Parival, revues, corrigés, & augmentés de nouvau par François Savinien d’Alquié, Lequel y a adjousté tout ce qui s’est passé de plus considerable dépuis l’an 1661, jusquès à l’an 1669, avec un traité particulier des delices du païs, le tout accompagné de plusieurs belles tailles douces. Derniere Edition a Amsterdam (chez Jean de Ravestein) 1669. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 918072 Belg. 201. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10274389 – 3. Anonymus: Les Délices de la Hollande, contenant une description éxacte du Païs, des Moeurs & des Coutumes des Habitans […] Nouvelle edition, considérablement corrigée & augmentée, Tome Premier. A Amsterdam (chez Pierre Mortier) 1728. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 11078247 Belg. 55 – 1. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10310501– 0. Burrish, Onslow: Batavia Illustrata: Or, a View of the Policy, and Commerce, of the United Provinces: Particularly of Holland. With an Enquiry into the Alliances of the States General, with the Emperor, France, Spain, and Great Britain. In Three Parts. London (printed for William Innys) 1728. Bd. 1. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 9472407 Belg. 39 l-1. Bd.1. S.1. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10272912– 2. Janiçon, François Michel: État présent de la République des Provinces-Unies, et des païs qui en dependent. Bd. 1. A la Haye (chez Jean van Duren) 1729. Frontispiz. Bayerische Staatsbibliothek München. Sign. 2581183 Belg. 142– 1. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10273795 – 4. Gude, Heinrich Ludwig: Staat der Vereinigten Niderländer. o.O. o.J. Frontispiz. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)/Digitale Sammlungen aus: Hist.Belg.B.883.
Personenregister Addison, Joseph 36, 38, 305 f., 319, 337 f., 342, 346, 416, 432, 446 Aerssen, François van 87 Affagart, Greffin 75 Aglionby, William 38, 194, 220–226, 260, 321, 452 Alba, Don Fernando Álvarez de Toledo duque de 128 f. Alexander III. 66, 76 Alquié, François Savinien d’ 36, 40, 209 f., 212–214, 217, 260 Althusius, Johannes 133 f. Aristoteles 48 f., 53, 69, 83, 150, 157, 418 Audiffret, Jean Baptiste d′ 38, 300–302, 311, 346, 363, 401–404 Augustinus 454 Bacon, Francis 456, 459 Balzac, Jean-Louis Guez de 138 Barbarossa, Friedrich 66 Basnage de Beauval, Jacques 36, 38, 291, 359, 375 Beaufort, Lieven de 334 f., 395 Beaujeu, Christoph de 107–109 Becher, Johann Joachim 268–270, 279, 313, 452 Becmann, Johann Christoph 161, 441 Benard, Nicolas 137 f. Bentham, Jeremy 405 Bentivoglio, Guido 192, 221 f. Berg, A. van den 98, 201, 332, 334, 479 Berkeley, George 335 Berlin, Isaiah 249, 387–389, 452 Besold, Christoph 112, 134, 169 Bethel, Slingsby 170 Bianchi, Vendramino 38, 152, 308–310, 323, 330, 338, 341, 356, 362 f., 377, 380, 392, 442, 476 Birken, Sigmund von 134 f. Blainville, Monsieur de 41, 305, 310 f., 338, 380 f., 400 f., 403 Blewitt, George 25
Bodin, Jean 11, 20, 79, 81–83, 86, 89 f., 95, 100 f., 103, 107, 110, 112, 124, 149–151, 442 f., 455 f. Borgherini, Giovanni 60 f. Bos, Lambert van 88 f. Bose, Johann Andreas 159 Bosius, J.A. 159 Bossuet, Jacques-Bénigne 275 Botero, Giovanni 157, 162 Boussingault, Adam 36, 217–220 Boxhorn, Marcus Zverius 187, 192, 293 Brederode, Pieter C. 85 f. Brentel, Friedrich 12 f. Breval, John 36, 38 f., 330, 357, 364, 388 f., 392 Breydenbach, Bernhard von 71 Buddeus, Johann Friedrich 450 Burnet, Gilbert 36, 41, 314 f., 330, 361, 380, 382, 401 Burrish, Onslow 286–293, 296 f., 301 f., 316, 346, 357, 359, 362, 364, 389, 391 f., 404 f., 445 f., 452 Busius, Paulus 86 Capponi, Niccolò 57, 62 Carr, Robert 143 Carr, William 39, 286, 301 f., 336 f. Cäsar 101 Caylus, Comte de 330 Chancel, Alexander Doriac 357, 402 f. Chard, Thomas 122 Chesneau, Jean 76 Child, Josiah 225, 235 Clapmar, Arnold 169 Clarke, Samuel 36, 357 Clerc, Jean le 42, 290, 293, 297 f., 416, 476 Clerc, Nicolas le 293 Colbert, Jean-Baptiste 270 f., 275, 278, 308, 445 Collier, Jeremy 338 Conring, Hermann 159 f., 320 Constant, Benjamin 385–387, 389, 398, 436
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Personenregister
Contarini, Gasparo 68–70, 79, 81–83, 86 f., 89 f., 95, 150, 158, 176, 179 f., 197, 250, 377 Cootwijck, Johannes van 86 f. Cornelius Aurelius 131 Coryate, Thomas 72–75, 113–115, 139 f., 151 Court, Johan de la 187, 195–201, 203–206 Court, Pieter de la 187, 195–201, 203–206, 270, 393, 395 Coxe, William 481 Cromwell, Oliver 173, 183, 437 Crucé, Emeric 112, 442 Cueva, Alfonso de la 87, 250 Dandolo, Andrea 65 f. Davenant, Charles 283 f., 374 De las Casas, Bartolomé 130 Descartes, René 275, 451, 469 Deslandes, André François 280 Diogenes Laertius 450 Donà, Leonardo 80 Dorron, Claude 75 Dryden, John 469 Elizabeth I. 125 Erasmus von Rotterdam 131 Ernstingers, Hans Georg 75 Evelyn, John 113 Fénelon, François 332–334 Fenton, Geoffrey 89 Ferguson, Adam 25, 477 Feyerabend, Sigismund 135 Filmer, Robert 149 f. Fletcher of Saltoun, Andrew 372 Fleury, Abbé de 405 Fontenelle, Bernard de Bovier 456–459 Foscarini, Marco 396 Fougasse, Thomas de 80 f., 90, 197 Franckenstein, Jakob August 36, 337, 375 f., 403, 451, 464 f. Freschot, Casimir 38, 42–44, 304 f., 330, 337, 376 f., 400, 443 Friedrich VII. Graf von Toggenburg 97 Friedrich von Württemberg 125 Friedrich Wilhelm von Brandenburg 266 Furttenbach, Joseph 76
Gailhard, Jean 38, 157, 239–247, 249, 260, 341, 376, 442, 448, 462 Geldenhauer, Gerhard 135 Genovesi, Antonio 451 Gessner, Salomon 476 Giannotti, Donato 60–63, 90, 179, 197, 250, 455 Giraudet, Gabriel 75 Grangier de Liverdis, Baltasar de 75 Graswinckel, Dirk 87 f., 197 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 112 Grotius, Hugo 85, 87, 107, 129, 132, 135, 290, 293, 298, 362 Gude, Heinrich Ludwig 11, 300, 320, 341 f., 388, 392–394, 477 Guicciardini, Francesco 52, 57 f., 58–60, 118, 162, 344, 455 Guicciardini, Lodovico 118–122, 124, 127, 135, 137, 140, 147 f., 152, 162, 187 f., 228, 293, 344, 441 Gundling, Nicolaus Hieronymus 36, 285, 300–302, 305 f., 310, 312–315, 317–319, 336 f., 343 f., 346, 357, 361 f., 375 f., 382, 384, 389–392, 403, 446, 450, 452, 464–466, 477 Hadrianus Junius 135 Haller, Albrecht von 476 Hamilton, Alexander 91, 479–482 Harmenszoon van Rijn, Rembrandt 132 Harrington, James 20 f., 95, 170, 178–185, 239, 260, 318, 322, 324, 360, 374, 377, 388, 432, 441 f. Heinsius, Daniel 88, 365 Hemmerlin, Felix 98 Henri IV 80, 128 Henry, Patrick 90, 111, 169, 172, 239, 283 f., 353, 372, 452, 480 Herder, Johann Gottfried 385 f., 398, 452 Herodot 157 Hobbes, Thomas 164, 184, 214, 217, 388, 390 f., 395, 469, 472 Hodges, James 369–371 Hoffmann, Johann Adolf 319 f., 336, 465 f. Hooghe, Romeyn de 293, 395
Personenregister
Houssaye, Amelot de la 15 f., 38–40, 43 f., 249–258, 337, 376, 379, 382, 396, 399 f., 416, 432, 442, 444, 446, 462 f., 466–468, 476, 478 Houwe, Matthieu vander 293 Howell, James 23 f., 92–95, 147 f., 176, 179 Huet, Pierre-Daniel 36, 275–279, 285, 290, 296, 314, 445, 452 Hume, David 6, 16, 23 f., 29, 385, 427–433, 435–438, 446, 472, 475 Hutcheson, Francis 335 Iulius Civilis
131 f.
Jakob I. 143 Jakob II. 32 Janiçon, François Michel 37 f., 292–298, 301 f., 316, 341, 357–359, 362, 380, 383 f., 389, 402–404, 416, 424, 446, 462, 476 Jaucourt, Louis chevalier de 475 f. Jay, John 479 Jonson, Ben 89 Jordan, Claude 36, 40, 301 f., 329, 364, 375, 392, 400 Juliane von Nassau-Siegen 135 Justi, Johann Heinrich Gottlieb von 6, 34, 157, 345, 472 Karl I. 91 f., 146, 169 Karl II. 31, 226, 239 Karl V. 62, 117, 119 f. Karl VIII. 52 Keilhacker, Johann 341, 357, 388, 392 Kirchner, Athanasius 209 Koehler, Johann David 285 Laet, Johannes de 135, 158 Lambe, Samuel 170, 172 Lassels, Richard 304, 441 Law, John 278–280 Le Sage, Jacques 71 LeBret, Johann Friedrich 478 Leenhof, Frederik van 395 Leibniz, Gottfried Wilhelm 390 f., 451 LeMonnier, Pierre 76, 495
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LeNoble, Eustache 36, 303, 348, 381, 497, 517 LePetit, Jean-François 104 f., 148, 498 LeRoy de Coutances, Louis 455 f. Lescarbot, Marc 108–110, 151 Leu, Johann Jacob 367 Lewkenor, Lewis 89 f. Lipsius, Justus 450 Lithgow, William 75 Locke, John 17, 282, 398 Louis XIV 31 f., 136, 226, 256, 270 f., 274, 278, 332, 347, 354, 447 f. Ludwig der Bayer 10 Luzac, Elie 396 Lykurg 54 Mably, Gabriel Bonnot Abbé de 477 f. Machiavelli, Niccolò 20, 50, 52–57, 63, 89, 98–101, 151, 162, 175, 179, 182, 198, 252, 331, 360, 377, 420, 442 f., 453, 455 Madison, James 479–483 Maffei, Scipione 36, 396–398, 436 Mandeville, Bermard 25, 332–335, 355, 391 Maria Theresia 31 Martin, Henry 283 Matthias 110 Maximilian I. 98 Maxwell, Henry 16, 372 Medici, Piero de′ 52 f., 57, 62 f. Melon, Jean-François 280, 335 Mill, John Stuart 387 Milton, John 20, 170, 174–176, 178, 185, 260, 360, 377 Molesworth, Robert 461 f. Molyneux, William 372 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de 8, 16, 21, 23, 25, 29, 335, 340 f., 345, 357, 385, 415– 427, 429, 432 f., 435–438, 446, 472 f., 475 Moryson, Fynes 140–144, 147, 175, 360 Motraye, Aubry de la 39, 301, 305 Moyle, Walter 470 Münster, Sebastian 90, 97, 101, 114, 122– 125, 137, 140, 195, 234, 274, 347, 362, 468, 479
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Personenregister
Muralt, Beat Ludwig von 339 f. Muralt, Johann Bernhard von 340 Nedham, Marchamont 169 f., 172–174, 179, 184–186, 260, 388 Neville, Henry 239 Newton, Isaac 451 Overbury, Thomas
Rohan, Henri II duc de 75, 126–128, 137, 139, 152, 158, 162–169, 192, 200, 214, 331, 374, 442 Rousseau, Jean Jacques 350, 473, 477 Rousset de Missy, Jean 36, 38, 292, 296 f., 330, 345, 363 Rucellai, Cosimo 57 Ruchat, Abraham 326, 339
140, 143–147
Parival, Jean de 15, 36, 40, 42, 187–195, 201–210, 212–215, 217–221, 223, 226, 229, 238, 260, 293, 360, 377, 382–384, 416, 442, 468 f. Parker, Henry 170, 172 Patin, Charles 36, 301, 389, 392, 416 Payen, Monsieur de 76 Perrault, Charles 456–459 Perrière, Guillaume de la 100 Petit, Ian-François Le 104 f., 148, 327, 383, 401 Petrarca, Francesco 49 f., 454 Philipp II. 117, 119, 122, 128 f. Pitmedden, William Seton of 371, 498 Pivati, Gianfrancesco 396 Plutarch 469 Pock, Johann Joseph 10 f. Pollexfen, John 283 f. Pöllnitz, Karl Ludwig von 305 Polybios 50 f., 53, 69, 453, 455 Pontchartrain, Louis Phélypeaux de 271, 445 Porte, Maurice de La 39, 70 Postel, Guillaume 79 f. Potamon von Alexandria 450 Prounick van Deventer, Gerard 84 Pufendorf, Samuel von 36, 160 f., 209, 346, 357, 361, 405, 416, 429, 450, 472 Rathgeb, Jacob 125 Raynal, Guillaume-Thomas 25, 477 Richelieu, Armand-Jean du Plessis duc de 158, 344 Robinson, Henry 170, 172, 370 Rogissard, Alexandre de 416
Saavedra Fajardo, Diego de 469 Sabellico, Marc Antonio 67, 197 Saint Didier, Alexandre Toussaint Limojon de 305, 337 f., 379, 381 f., 384, 399 f., 416, 468 Saint-Pierre, Charles-Irene Castel Abbé de 349–354, 356 f., 375, 400, 402, 410, 470 f. Sandys, George 76 Sansovino, Francesco 68, 90, 95, 157 Sarpi, Paolo 88, 91, 250, 330, 379, 391, 416 Savary, Jacques 42, 206, 271–273, 285, 314, 452 Savary, Philemon 42, 271–273, 285, 314, 452 Savinien d‘Alquié, François 223 Savonarola, Girolamo 11, 52 f. Scheuchzer, Johann Jakob 476 Schickhardt, Heinrich 75 Schmauß, Johan Jakob 348 f., 376 Schmeizel, Martin 36, 44, 301 f., 319, 346, 357, 382, 392, 464 Schröder, Wilhelm von 267–270, 279, 313, 446, 452 Scriverius, Petrus 135 Seyssel, Claude de 149 Shakespeare, William 89 Shaw, Joseph 36, 301 f., 337, 380, 384 Sidney, Algernon 170 f., 239, 355 f., 421 Simler, Josias 102–107, 112, 151, 321 Slingelandt, Simon van 365 f. Sorbiere, Samuel de 36, 214–217, 221, 223, 260, 360, 377 Spinoza, Baruch de 395 St. Aldegonde, Marnix van 129 Stanyan, Abraham 36, 39, 44, 305, 310 f., 315, 320–329, 331, 338 f., 356, 364, 401, 432, 444, 446, 462, 470, 476, 481
Personenregister
Stevin, Simon 85 Strabon 157 Streater, John 170, 173 Stuart, Anna 17, 31, 143, 169, 174, 178, 328, 391 Stumpf, Johannes 102 Sturm, Johann Christoph 450 Sully, Maximilien de Béthune duc de 111 f., 442 Swift, Jonathan 226, 459 Tacitus 11, 131 f., 221, 252 Tell, Wilhelm 101, 109, 114, 321, 389, 392 f., 419, 476 Temple, William 15 f., 23, 31, 38, 41 f., 44, 225–238, 260, 273, 282, 285, 289–292, 298, 334, 341, 374, 416, 431 f., 442, 444, 446, 452, 459 f., 466, 469 f., 481 f. Terno, Pietro da 67 Textor, Johann Wolfgang 405 f. Thomasius, Christian 312, 320, 391, 450 Thysius, Anthonius 88 Tocqueville, Alexis de 387, 419 Ton, Andrea 187, 396, 473 Trenchard, John 470 Tschudi, Aegidius 49, 102
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Valkenier, Petrus 39, 294, 338, 343, 347 f. Van der Heyden, Jacob 12 Vico, Giambattista 452 Villamont, Jacques de 75 f. Vischard de Saint-Réal, César 247 Vondel, Joost van den 132 Vossius, Gerhard Johannes 450 Vranck, François 84 Walpole, Robert 39, 281, 289, 328 f., 344, 391 Walten, Ericus 395 Watts, Isaac 451 Weise, Christian 36, 286, 301 f., 320, 341, 346 Welsch, Hieronymus 76–78 Wicquefort, Abraham de 290, 298 Wilhelm I. von Oranien 129 f., 147 Wilhelm II. von Oranien 195 Wilhelm III. von Oranien 32, 200, 226, 227, 281, 332, 345 Wimpfeling, Jacob 98 Witt, Johan de 133, 195 f., 199 f., 226, 291 Wolff, Christian 451, 472 Wotton, William 91, 459 Zesen, Philipp von Zuallart, Jean 76
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