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German Pages 489 [492] Year 2023
Sophie Lange Deutsch-deutsche Umweltpolitik 1970—1990
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 140
Sophie Lange
Deutsch-deutsche Umweltpolitik 1970—1990 Eine Verflechtungsgeschichte im internationalen und gesellschaftlichen Kontext des Kalten Krieges
Die Publikation beruht auf der Dissertation „Deutsch-deutsche Umweltpolitik 1970–1990. Eine Verflechtungsgeschichte im internationalen und gesellschaftlichen Kontext des Kalten Krieges“ zur Erlangung des akademischen Grades Doctor philosophiae (Dr. phil.), die an der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen wurde. Sie wurde von Prof. Dr. Gabriele Metzler und Prof. Dr. Elke Seefried begutachtet und am 12. Juli 2021 verteidigt.
ISBN 978-3-11-108620-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-110684-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-110773-8 ISSN 0481-3545 Library of Congress Control Number: 2023941434 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Titelbild: Die Umweltminister (v. l.) Klaus Töpfer (CDU) und Hans Reichelt (DBD) bei einem Briefing im Klärwerk Nord in Berlin (DDR), 11. Juli 1988; Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotograf: Klaus Mehner, 88_0711_UMW_Toepfer_06 Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmH www.degruyter.com
Für Mama Oma und Opa
Inhalt Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Vom ungleichen Forschungsstand und asymmetrischer Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
2. Umweltgeschichte und Kalter Krieg – Gegenstand und Analysekategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
3. Asymmetrisch verflochtene Umweltpolitikgeschichte . . . . . . . . . . .
16
Genese der Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1. Zwischen Krise und Aufbruch – die Entstehung der Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
I.
1.1
Internationale und gesellschaftliche Entwicklungen . . . . . . . .
26
1.2
„Sozialistische Landeskultur“ in der Deutschen Demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
Das Umweltprogramm der Bundesrepublik Deutschland . . .
43
2. Der kalte Kampf um internationalen Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
1.3 2.1
Das Symposium in Prag 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
2.2
Die Umweltkonferenz der UNO in Stockholm 1972 . . . . . . .
63
3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
II. Zwischen bilateraler „Nicht-Umweltpolitik“ und multilateraler Umweltentspannungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
1. Deutsch-deutsche (Nicht-)Umweltverhandlungen 1973–1980 . . . .
72
1.1
Ein Gespräch im November 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
1.2
Die Errichtung des Umweltbundesamtes in West-Berlin 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
Auswirkungen der Ölpreiskrise 1973/74 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
1.3 2.1
Erste Triebe der Verständigung in der KSZE . . . . . . . . . . . . . .
89
2.2
Das Machbare machen – die Hochrangige Tagung Umwelt 1979 in Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
3. Politische Herausforderung durch Umweltbewegte in Ost und West . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
VIII
Inhalt
III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
1. Verortung deutsch-deutscher Umweltpolitik im Ost-WestKonflikt der 1980er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124
2.1
Die Werra – salziger als die Nordsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
Die Verhandlungsposition der DDR (131) – Die Verhandlungsposition der Bundesrepublik (136) – ESTA versus Flotation (141) – Ein umweltpolitischer Traum? – Ein Resümee (145)
2.2
Die Gewässer Berlins – keine Einbahnstraße . . . . . . . . . . . . . .
149
2.3
Die Röden – das Vorzeigemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155
Die Elbe – „Ausdruck des guten Willens“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
2.4
Von Protesten und Messungen in der Bundesrepublik (163) – Elbe international – ECE und Nordseeschutzkonferenz (169) – Elbe bilateral – von Quecksilber und Ammonium (173) – Elbe kommunal – die Rolle Hamburgs vom Ankläger zum Anbieter (181) – Die Elbe und die innerdeutsche Grenze – ein Fazit (185)
3. „In Ost und West stinkt’s wie die Pest“ – Grenzüberschreitende Luftverschmutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1
187
Gespräche zur Rauchgasentschwefelung und zu Waldschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
Die Multilaterale Umweltschutzkonferenz 1984 in München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
„Dreckschleuder der Nation“ – Das Kraftwerk Buschhaus als Vorbild und „Anti-Symbol“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
1. Der Stellenwert der Umweltpolitik in Bundesrepublik und DDR in den 1980er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
229
3.2 3.3
2.1
Von Berlin nach Schönberg – ein Geschäft mit Tradition . .
234
2.2
„Zu hilf ’, ihr Leut’, schreit Protest, aus Schönberg kommt die neue Pest“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
„Müll-Polit-Tourismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243
2.3
Von technischen Missverständnissen, Problemen und Lösungen (253) – Vom Positiv-Negativ-Katalog zur Seveso-Novelle (257)
2.4
Der „Darmausgang der Nation“ – ein deutschlandpolitisches Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264
Inhalt
3. Ost-West-Kontakte von zivilgesellschaftlichen und politischen Akteuren um 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
266
3.1
„Shakehands mit Honey“ – (Partei-)Politische und offizielle Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
270
3.2
„Konstruktive Frechheit üben“ – die Situation der Basis . . . .
282
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291
4.1 Zug um Zug: Die bilateralen Umweltverhandlungen 1985– 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
297
Die Umweltvereinbarung von 1987 (309) – Die Zeit ist reif – Sechs Pilotprojekte im Laboratorium DDR (316)
4.2
Die Dichte umweltpolitischer Verflechtung . . . . . . . . . . . . . . .
328
Von Montreal nach Sofia – Umweltpolitik und die Frage nach ökologischer Sicherheit (329) – Partei- und verbandspolitischer Umweltaustausch (336) – Unabhängiges Netzwerken und Agieren – Die Grünen, die Arche, die Umweltbibliothek und Greenpeace (340)
4.3
„BRD – DDR“ und die Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
357
V. Der Wiedervereinigungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
361
1. Die SED und ihre Konkurrenz – ein kurzer Abriss zur Friedlichen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
361
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90 . . . . . . . . . . .
364
2.1
Der Grüne Tisch – ein Versuch gelebter Demokratie . . . . . .
368
2.2
Die Umweltunion – eine öko-soziale Notwendigkeit? . . . . . .
372
2.3
Umweltschutzprojekte: Im Labor der ökologischen Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
383
Naturschutz: Das „Tafelsilber der deutschen Einheit“ . . . . . .
389
3. Wuchs „zusammen, was zusammen gehört“? – Ausblick auf die 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
393
2.4
3.1
Von Eigenständigkeit und Vernunftehe – Politik und Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
393
Bilanz der Umweltprobleme im wiedervereinigten Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
397
Fazit: Deutsch-deutsche grüne Verflechtungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . .
405
3.2
X
Inhalt
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
413
Anhang Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
417
Abbildungen und Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
423
Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425
Quellenkritik zu Abbildung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
Tabellen zu den Expertengesprächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
437
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
469
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
473
Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ — eine ertragreiche Dichotomie? „Belastungen der Umwelt wie schwefelsaure Rauchgase machen nicht vor Mauern, Stacheldraht und Grenzsperren halt.“ Umweltschutz bedeute, so Helmut Kohl, ein „gesamtdeutsches Lebensinteresse.“ 1 Es gelte daher, „jede Gelegenheit [zu] nützen, um mit der DDR bei besonders dringlichen Problemen konkrete Verbesserungen zu erzielen.“ 2 Für den christdemokratischen Bundeskanzler war damit in den Jahren 1983/1984 klar, dass es nicht nur eine geteilte Natur gibt, die es grenzüberschreitend zu schützen galt. Gleichzeitig implizierte er darüber auch die Überzeugung von der einen deutschen „Nation“, indem die Regierung durch Umweltverhandlungen mit den ostdeutschen Nachbarn der Fürsorgepflicht auch für die DDR-Bevölkerung nachkam. Als 1989 die Berliner Mauer fiel, hätte der ökologische Kontrast zwischen Bundesrepublik und DDR jedoch größer kaum sein können: Etwa sechs der 16 Millionen Einwohner der DDR lebten in Gebieten, die starker Staub-, Ruß- und Schwefeldioxidbelastung ausgesetzt waren, vor allem im industriellen Süden. Mit 2,2 Millionen Tonnen Staub- und 5,2 Millionen Tonnen Schwefeldioxidemissionen (SO2) pro Jahr hatte das staatssozialistische Land die höchste Luftschadstoffbelastung in Europa zu verantworten. Die Zahl respiratorischer Erkrankungen bei Kindern war innerhalb von 15 Jahren um 111 Prozent gestiegen. Das bedeutete, fast jedes zweite Kind war betroffen – die Autorin eingeschlossen.3 Knapp die Hälfte (47 Prozent) der Gewässer auf dem Gebiet der DDR waren für die Trinkwassergewinnung unbrauchbar und nur teilweise für Brauchwasser geeignet.4 Rund 12 000 „wilde“ Mülldeponien und nur mangelhaft kontrollierte Ablagerungen belasteten den Boden und das Trinkwasser.5 Die Umweltbilanz der DDR skizzierte also ein Szenario der ökologischen Katastrophe. Die Forschung diskutierte und umschrieb den „Untergang“ der Ostblockstaaten deshalb auch mit dem Begriff „Ökozid“, der mittlerweile jedoch weitestgehend abgelehnt wird.6 Dahingegen präsentierte sich die Bundesrepublik Ende der 1980er Jahre ganz anders: Der SO2-Ausstoß war von 3,9 im Jahr 1974 auf 0,9 Millionen Tonnen 1990 gesunken, fast alle Gewässer hat-
1 2 3 4 5 6
Bericht zur Lage der Nation, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 10/59, 15. 3. 1984, S. 4162. Helmut Kohl, Bericht zur Lage der Nation, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 10/16, 23. 6. 1983, S. 992. Vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltbericht, S. 7. 28, 65. Siehe auch Wolle, Welt, S. 211 f. Vgl. Meyerhoff/Petschow/Thomasberger, Umweltreport, S. 102. Ähnlich: Institut für Umweltschutz, Umweltbericht, S. 30, 36. Vgl. Meyerhoff/Petschow/Thomasberger, Umweltreport, S. 80 f.; Wolle, Welt, S. 211 f. Vgl. Feshbach/Friendly, Ecocide. Siehe dagegen für ein Plädoyer zu einer differenzierteren Betrachtung u. a. Gestwa, Notstand; Obertreis, Naturbeherrschung; Förster/Herzberg/Zückert, Umweltgeschichte(n), S. 2, 4.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
ten mindestens die Gewässergüteklasse 2 („mäßig belastet“), und den wilden Deponien war bereits seit den 1970er Jahren der Kampf angesagt worden.7 In der Botanik bezeichnet „Dichotomie“ die Gabelung eines Pflanzensprosses zu einander gegenüberstehenden Systemen. Übertragen auf Bundesrepublik und DDR lagen sie mit ihren Umweltproblemen also nicht immer so weit auseinander. Ab den 1970er Jahren setzte auf beiden Seiten jedoch eine Entwicklung ein, die Ende der 1980er Jahre in diesen ökologisch sichtbaren Kontrast mündete.8 Mit dem Umbruch von 1989/90 entstand somit ein Bild, das sich grob so beschreiben ließe: Dem „Saubermann“ Bundesrepublik stand im doppelten Sinne der „Schmutzfink“ DDR gegenüber – eine funktionierende Demokratie, deren am Markt ausgerichtetes Wirtschaftssystem die ökologischen Herausforderungen meisterte, hob sich entgegen einer auf Planwirtschaft basierten Diktatur ab, der dies eben nicht gelungen war. So steht im Abschlussbericht der Enquête-Kommission zur „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ geschrieben: „Das ökologische Desaster des SED-Staates war systembedingt […] Je größer und sichtbarer in der Praxis die Leistungsschwächen der zentralen Kommandowirtschaft wurden und je mehr der ‚real existierende SED-Sozialismus‘ weltweit im Wettbewerb der Systeme in Rückstand geriet, umso weniger wurden Umweltschutzaspekte beachtet, umso rücksichtsloser wurde die Umwelt des Landes geplündert, und umso gewissenloser wurde mit der Gesundheit der Menschen umgesprungen.“ 9
Der Abschlussbericht evoziert die Vorstellung eines geradlinig verlaufenden und aussichtslos erscheinenden Prozesses – eines vorherbestimmten: „Es musste ja so kommen“ – und impliziert der Westen habe keine systembedingten Umweltprobleme gehabt. Konjunkturen und andere differenzierende Darstellungen waren im Bericht nicht vorgesehen. Dieses politische Statement galt lange Zeit als „Masternarrativ“ in Bezug auf die DDR-Umweltpolitik.10 Hatte die DDR den Westen und den Kapitalismus noch in den 1960er Jahren als ein System angeprangert, das „Raubbau an den Naturressourcen“ betreibe, kehrte sich hier die Interpretation um. Und doch waren sich die Zeitzeugen in der Enquête-Kommission hinsichtlich der Systembedingtheit der Umweltprobleme in der DDR nicht so einig, wie der Abschlussbericht Glauben machen möchte.11 Auch die Wissenschaft laboriert 7
Vgl. zur Luftverschmutzung Weber, Getrennt, S. 984; zu Gewässern die „Gewässergütekarte 1990“, in: Umwelt 1994, Deutscher Bundestag, Drucksache 12/8451, 6. 9. 1994, S. 19; zu Mülldeponien Köster, Hausmüll, S. 228. 8 Vgl. Uekötter, Verflechtungen, S. 124, 151; Dominick, Capitalism, S. 320. 9 Schlußbericht der Enquête-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, in: Deutscher Bundestag, Drucksache 13/11000, 10. 6. 1998, S. 112. Ähnlich auch in: Studienarchiv Umweltgeschichte des Instituts für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V. (IUGR) an der Hochschule Neubrandenburg, StUG 354–11, Bestand Reinhold Fiedler, Eckwerte der ökologischen Sanierung und Entwicklung in den neuen Ländern, BMU, November 1990, S. 4. 10 Vgl. Möller, Umwelt, S. 16 f.; Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 27. Mittlerweile differenzierter betrachtet: Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Jahresbericht 2020, S. 205. 11 Die Frage der Ökologie sei die Frage nach der Macht gewesen; Umweltgruppen nutzten nach Carlo Jordan einen „erweiterten Umweltbegriff “, der die sozialen und politischen Beziehun-
Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
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noch immer an der komplizierten Frage mit unterschiedlichen Ergebnissen.12 Die Historikerin Astrid M. Eckert resümiert daher, der politische Kontext sei in den 1990er Jahren alles andere als ein fruchtbarer Boden gewesen, auf dem eine „objektive“ DDR-Umweltgeschichte hätte wachsen können.13 Wo war sie außerdem, die Idee von der „deutschen Nation“ und der Fürsorge für sie, wie sie von der Bundesregierung inszeniert und von Helmut Kohl im Bundestag artikuliert worden war? In der 33. Sitzung besagter Enquête-Kommission fragte schließlich der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, vermutlich mit dem oben skizzierten ökologischen Kontrast im Hinterkopf: „Inwiefern war denn der Westen über die Umweltsituation im Osten aufgeklärt, bzw. inwiefern hat der Westen sich überhaupt um die Umweltsituation – fern von nichtstaatlichen Organisationen wie Greenpeace – im Osten gekümmert?“ 14 Kowalczuk erhielt auf diese Frage keine zufriedenstellende Antwort. Einzig Ulrich Klinkert, ostdeutscher Diplom-Ingenieur und nach der Wiedervereinigung Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, verteidigte die alte Bundespolitik gegenüber Kowalczuks implizierten Vorwurf, die Bundesregierung hätte nichts gemacht: „Das war nicht das Verschulden der Bundesregierung. Das ist einzig und allein in der Verantwortung der früheren DDR-Regierung zu sehen, die eine Umwelt- und Informationspolitik betrieben hat, die mehr verschwiegen als offengelegt hat.“ 15 Das ist zwar richtig, doch nimmt nicht auch diese Aussage bereits den Ausgang der Geschichte vorweg? Klinkerts Antwort gibt nur einen Ausschnitt des Bildes wieder, das unser Geschichtsverständnis in diesem Bereich teilweise bis heute prägt. Unberücksichtigt bleiben zudem die der DDR inhärenten Ambivalenzen: Als zum Teil hoch industrialisierte Staaten lagerten die DDR und andere Ostblockländer ihre chemische Industrie nicht in den „globalen Süden“ aus, weshalb im Osten viel länger zu sehen war, was im Westen zunehmend verschwand. Systemund ideologiebedingt war auch das geringere Aufkommen an Individualverkehr
gen einschloss, man könne jedoch von „systembedingte[n] Erscheinungsformen der Umweltkrise“ sprechen, S. 613, 617, Zitat S. 618; „selbstverständlich“ systembedingt für Christoph Kuhn und Jörn Mothes, S. 611, 614; für Nikolaus Voss erst nach der Friedlichen Revolution von 1989/90 als „systembedingt“ wahrgenommen, S. 614; für Christian Felix Matthes galten sie nicht als „systembedingt“, bedenkt man die Energieträgerstruktur der DDR, S. 640, alles in: „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in, Materialien, Bd. III/1. 12 Vgl. systembedingt bei Schwenk/Weisspflug, Umweltschutz, S. 128 f., 223; Tobias Huff führt die ideologische Basis des Marxismus und die Ausbeutung der Ressourcen an, Huff, Natur, S. 14. Für Raymond Dominick hängen die Umweltprobleme von Faktoren wie Geologie, Bevölkerungswachstum und wirtschaftlichen Entscheidungen ab. Vgl. ders., Capitalism, S. 326. Jörg Roesler sieht die Umweltprobleme der DDR eher konjunkturbedingt an. Vgl. ders., Unterschiede, S. 488; „nichts spezifisch Sozialistisches“ bei Gensichen, Kirche, S. 180; die DDR zeige Umweltprobleme aus der Phase der zweiten industriellen Revolution bei Behrens, Umweltbewegung, S. 318, 322. 13 Vgl. Eckert, Geteilt, S. 69. 14 „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/1, S. 583. 15 Ebenda, S. 628.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
mit Autos, da der „Kollektivverkehr“, also der öffentliche Personennahverkehr, zur Stärkung der sozialistischen Gemeinschaft mehr gefördert wurde als im Westen.16 Und wie passt die „rücksichtslose Ausbeutung“ der Ressourcen zu dem entwickelten Müllverwertungssystem osteuropäischer Länder?17 Was in Klinkerts einfachen Antwort fehlt, sind Zwänge, Handlungsspielräume, Wandlungsprozesse sowie die wissenschaftliche, rechtliche, wirtschaftliche, geologische, ökologische, internationale und vor allem westdeutsche Perspektive. Eine solche Darstellung hatte in einer Enquête-Kommission, die explizit die Hinterlassenschaften der DDR zum Thema hatte, aber keinen Platz. Die vorliegende Studie fragt, ähnlich wie Kowalczuk 1997, nach dem – aus der Retrospektive möglicherweise überraschenden – Zustandekommen der 1987 geschlossenen „Vereinbarung über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes“ zwischen Bundesrepublik und DDR als auch nach den generellen Beziehungen im Bereich der Umweltpolitik. Sie untersucht die Umweltverhandlungen im Zeitraum von 1970 bis 1990. Das Themenfeld fand Eingang in den Grundlagenvertrag von 1972 zwischen beiden deutschen Staaten, zu dem es sogenannte „Nachfolgeverhandlungen“ geben sollte. In den 1970er Jahren kamen solche Gespräche allerdings nicht zustande, stattdessen verlagerten sie sich auf die internationale Ebene. In den 1980er Jahren wiederum erfolgten bilaterale Treffen zu diversen umweltpolitischen Themen. Das Ziel dieser Arbeit ist, die Geschichte entgegen dem oben beschriebenen Narrativ ergebnisoffener zu erzählen, die dichotomische Betrachtung beider Systeme also um ihre Verflechtungen zu erweitern. Damit erhebt sie den Anspruch, die bisherige Erzählung an manchen Stellen aufzubrechen, westdeutsche Interessen, Motive und Hintergründe zu hinterfragen, die vielfältigen, die deutsch-deutsche Umweltgeschichte determinierenden Faktoren herauszuarbeiten sowie Mythen zu dekonstruieren, wie es die Aufgabe (osteuropäischer) Umweltgeschichte ist. Denn wie auch das eingangs genannte Beispiel der Enquête-Kommission zur DDR-Aufarbeitung gezeigt hat, ist eine Umweltgeschichte, die sich auf ein Land im ehemaligen Ostblock bezieht, noch immer mit Emotionen, Vorurteilen und Nachwirkungen des Kalten Krieges belegt.18
1. Vom ungleichen Forschungsstand und asymmetrischer Quellenlage In den letzten Jahren „boomten“ umwelthistorische Studien sowohl zur DDR als auch zur Bundesrepublik. Auffällig ist und bleibt ihre getrennte Betrachtungsweise
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Vgl. McNeill/Kirchhof, Introduction, S. 11; Schwierigkeit eines Umweltrankings von Regimen bei Weiner, Communism, S. 530; siehe auch Guha/Martinez-Alier, Varieties, S. 18, 40 f.; Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 26–28. 17 Vgl. u. a. Gille, Cult. 18 Vgl. Laakonen/Pàl/Tucker, Cold War, S. 385; siehe auch z. B. Gille, Cult, S. 3.
1. Vom ungleichen Forschungsstand und asymmetrischer Quellenlage
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voneinander. Die DDR fungiert allenfalls als Exkurs,19 es dominiert der Vergleich,20 verflechtungsgeschichtliche Ansätze sind rar gesät.21 Darstellungen zu deutsch-deutschen Umweltbeziehungen beziehungsweise solche, die aus der Westperspektive die Umweltzerstörung im Osten analysieren, stammen überwiegend von Politik-Wissenschaftlern22 und staatlichen Akteuren,23 zumeist aus den Jahren vor 1990. Forschungen, die ost-west-übergreifend angelegt sind, behandeln oft die Umweltbewegungen, weniger die politischen Beziehungen.24 Viele der Autoren, die zum Thema DDR-Umweltbewegung schrieben, waren selbst in den unabhängigen Umweltgruppen aktiv. Ihre Werke sind demnach zwischen der Zeitzeugenperspektive und der historischen Analyse zu verorten, da manche nachträglich studiert, promoviert und ein Expertentum auf diesem Gebiet entwickelt haben.25 Dieser Teil der Forschungslandschaft zu den Umweltgruppen, gern erzählt als Erfolgs- und Oppositionsgeschichte, führte lange Zeit das Feld einer DDR-Umweltgeschichte an. Dabei ist der Begriff der DDR-Opposition vielschichtig und komplex. Er beinhaltet hier auch widerständiges Verhalten und politische Gegnerschaft, die sonst davon differenziert werden.26 Die in diesen Arbeiten hervorstechende Verknüpfung von Umweltverschmutzung und Systemversagen ist nicht auf die DDR beschränkt, sondern war Ende der 1980er Jahre in vielen osteuropäischen Ländern und der Sowjetunion typisch.27 Der dreibändige Sammelband von Hermann Behrens und Jens Hoffmann hält Analysen und Perspektiven von Zeitzeugen und Praktikern bereit, der eine differenzierte Erklärung für die Umweltprobleme und deren Lösungsversuche in der DDR aufzuzeigen sucht.28 Neuere Studien zeigen, dass es für die gesellschaftliche Resonanz und Partizipation der DDR-Bevölkerung bei Umweltproblemen zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Möglichkeiten gegeben hat. Dies analysierten zuletzt Christian Möller und Martin Stief anhand von Eingaben.29 Sie war eben nicht so passiv, wie zuvor meist dargestellt.30 Statt öffentlich zu demonstrieren, wurde in der DDR eher hinter ver19
Vgl. Radkau, Ära, S. 519–535; siehe auch Uekötter, Deutschland; Uekötter, Gewissheiten. Vgl. z. B. Roesler, Unterschiede, S. 480–488; Uekötter, Verflechtungen; Dominick, Capitalism. 21 Vgl. Eckert, Geteilt. 22 Vgl. Würth, Umweltschutz; Haendcke-Hoppe/Merkel, Umweltschutz; Knabe, Umweltkonflikte; De Bardeleben, Future. 23 Siehe z. B. Berg, Umweltschutzabkommen; Berg, Umweltschutz; Müller, Innenwelt; Melsheimer, Gewässerschutzvereinbarung. 24 Vgl. u. a. Kirchhof, Entanglements; Kirchhof, Environmental Groups; Ault, Pollution; Ault, Saving Nature. 25 So z. B. Halbrock, Freiheit; siehe auch Rüddenklau, Störenfried; Jordan/Kloth, Arche Nova; Beleites, Luft. 26 Vgl. Klein, Politisierung, S. 24 f.; siehe auch Neubert, Opposition, S. 25–34; und zur Typisierung der DDR-Opposition Knabe, „DDR-Opposition“. 27 Vgl. Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 15; Umweltschutz als Proxy für demokratische Forderungen auch bei Schwellenländern, siehe Guha/Martinez-Alier, Varieties, S. 18. 28 Vgl. Behrens/Hoffmann, Umweltschutz. 29 Vgl. Möller, Umwelt, S. 12; Stief, Staatssicherheit, S. 10, 184 f., siehe auch S. 227–270. 30 Vgl. Radkau, Ära, S. 523–526; Uekötter, Gewissheiten, S. 126–128. 20
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
schlossenen Türen verhandelt.31 Mittlerweile widmet sich die Forschung auch der „staatlichen Umweltbewegung“ in der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) im Kulturbund, die mit ihren mehreren Zehntausend Mitgliedern nicht zu ignorieren ist, da auch hier gewisse Freiräume genutzt werden konnten.32 Quellenbasierte Studien zur DDR-Umweltpolitik stammen zuletzt von Möller, Stief und Tobias Huff. Sie stellen eindrücklich den umweltpolitischen Aufbruch unter Walter Ulbricht und seinen Zerfall unter Erich Honecker heraus.33 Hierbei betont insbesondere Huff am Beispiel der industriellen Luftverschmutzung die nachvollziehbare Bedeutung internationaler Entwicklungen für die DDR-Umweltpolitik. Diese seien für den Umweltminister notwendig gewesen, um bis zuletzt für umweltpolitische Maßnahmen gegenüber der Führung argumentieren zu können. Und Stief eruiert in seiner Mikro-Studie zum Chemiedreieck Halle – Bitterfeld – Wolfen, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in den 1980er Jahren die Umweltprobleme der DDR zunehmend als Unsicherheitsfaktor wahrnahm, den es auszuschalten beziehungsweise zu begegnen galt. Die Arbeiten liefern daher wichtige Erkenntnisse, auf denen eine deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte aufbauen kann. Immer wieder finden sich darin auch Bezüge zur Bundesrepublik sowie zu den osteuropäischen Nachbarn Polen und ČSSR. Doch vergleichende Studien, die die DDR statt mit der Bundesrepublik mit ihren osteuropäischen Nachbarn verstärkt in Beziehung setzt, gibt es bisher kaum. Die jüngste Ausnahme ist hier die Studie von Julia Ault, die einen Vergleich der Umweltsituation und -bewegung der DDR mit Polen vornimmt.34 Auch der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurde noch wenig hinsichtlich einer umwelthistorischen Fragestellung untersucht,35 während das für die Europäische Gemeinschaft (EG) durchaus geleistet wird.36 Ist die Umweltpolitik der DDR und ihre Genese mittlerweile, wie gerade beschrieben, einschlägig erforscht und auf einer breiten Quellengrundlage erfasst, so liegt für eine Umweltpolitikgeschichte der Bundesrepublik bisher nichts Vergleichbares vor: Frank Uekötters „Rauchplage“ behandelt die Vorgeschichte der Luftverschmutzung in der Bundesrepublik bis 1970, seine weiteren Werke zur bundesdeutschen Umweltpolitik sind diskursanalytisch angelegt; Joachim Radkaus „Ära der Ökologie“ fußt zwar auf Quellen, zielt jedoch mehr auf die großen
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Vgl. Rosenbladt, Osten, S. 115; Stief; Staatssicherheit, S. 227–270; siehe auch Ault, Saving Nature, S. 31. 32 Vgl. Möller, Umwelt, S. 287, 305–306. Siehe auch Steinmetz, Landeskultur; und zu den Naturschützern Kirchhof, Nestoren; Wegener, Zeiten; Behrens, Umweltbewegung, S. 323. 33 Vgl. Huff, Natur; Stief, Staatssicherheit; Möller, Umwelt. 34 Vgl. Ault, Saving Nature; Mählert, Totgesagte, S. 18; ähnlich auch Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 13 f. Die Osteuropa-Studien scheinen diese Frage aufzunehmen, siehe Štanzel, Wasserträume. 35 Vgl. Ault, Conundrums, S. 201, 203; Füllenbach, Umweltschutz; siehe auch Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 17, 21–28, kurz angerissen bei Chaney/Gudermann, East’s Contribution, S. 121. 36 Siehe dafür v. a. die Arbeiten von Meyer, Pay for Pollution; Meyer, Umweltpolitik; Meyer, Pushing.
1. Vom ungleichen Forschungsstand und asymmetrischer Quellenlage
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Grundlinien einer westzentrierten Globalgeschichte der Umweltschutzbewegung und Jens Ivo Engels fokussiert die Naturschutzpolitik und -bewegung.37 Monografien über die Ursprünge der Umweltpolitik der Bundesrepublik im Ministerium für Gesundheit, und später des Inneren, gibt es so im Grunde genommen noch nicht. Das heißt, bereits die wissenschaftliche Ausgangslage für deutsch-deutsche Umweltbeziehungen ist asymmetrisch. Zudem setzen Studien zu westdeutscher Umweltpolitik andere Schwerpunkte als diejenigen zur ostdeutschen, was dazu führt, dass ein expliziter Vergleich mit entsprechenden Parametern fehlt beziehungsweise nur schwerlich möglich ist. Dies kann in dieser Studie nicht ausgeglichen werden, weshalb die Genese der ost- und westdeutschen Umweltpolitik nur im Sinne einer Vorgeschichte umrissen wird. Überdies dominieren Einzelthemen die bundesdeutsche Umweltgeschichte: Hier sind zum Beispiel die Arbeiten von Roman Köster zum Hausmüll 38 oder von Birgit Metzger über die Debatte des Waldsterbens zu nennen.39 Die neueste Studie von Astrid M. Eckert beleuchtet zudem den innerdeutschen Grenzraum aus westdeutscher Perspektive hinsichtlich Umwelt, Wirtschaft und Tourismus.40 Die Parteienforschung nimmt sich des Themas ebenfalls erst langsam an.41 Zurzeit herrschen Arbeiten zur Geschichte der Partei Die Grünen42 vor. Darstellungen zu Zivilgesellschaft und Protest in der Bundesrepublik haben meist einen Schwerpunkt in der Anti-Atomkraft-Bewegung.43 Für die Verbands- und Organisationsforschung sind die Arbeiten von Ute Hasenöhrl zum Bund Umwelt und Naturschutz Bayerns (BUND) sowie Frank Zelko zu der Mitte der 1970er Jahre gegründeten transnationalen Umweltschutzgruppe Greenpeace einschlägig.44 Bei all diesen Beispielen fällt auf, dass eine ost- oder westdeutsche Umweltgeschichte zumeist als abstrakter Gegenstand einer Gesellschaftsgeschichte erzählt wird und nur in den seltensten Fällen auch wissenschaftlich-technisch basierte Analysen Eingang in die bisherige Forschungsliteratur gefunden haben. Neben der Umweltgeschichte berührt eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte zudem den Forschungsbereich der Deutschlandpolitik. So erschienen bereits zahlreiche Studien zur Brandt/Bahrschen Ostpolitik;45 für die Westpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sind die Arbeiten von Hei-
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Vgl. Uekötter, Rauchplage; Uekötter, Verflechtungen; Uekötter, Deutschland; Radkau, Ära; Engels, Naturpolitik. 38 Vgl. Köster, Hausmüll. 39 Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald. 40 Vgl. Eckert, West Germany. 41 Vgl. für die SPD: Lieb, Arbeit. Ansätze für die FDP finden sich bei Seefried, Zukünfte, u. a. S. 456 f. Es gibt Hinweise zu Initiativen der Ost-CDU bei Klemm, Korruption, S. 166 f.; Stief, Staatssicherheit, S. 292–297. 42 Vgl. u. a. Raschke, Die Grünen; Mende, Geschichte; Wick, Mauer; Gieseke/Bahr, Staatssicherheit. 43 Vgl. u. a. Milder, Democracy; Tompkins, Better Active. 44 Vgl. Hasenöhrl, Zivilgesellschaft; Zelko, Green Peace. 45 Vgl. zur Ostpolitik u. a. Görtemaker, Ursprünge; Sarotte, Dealing; Schmidt, Wurzeln; Senoo, Irrweg; Steck, Ostpolitik.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
ke Amos hervorzuheben.46 Doch auf den Umweltverhandlungen liegt kaum ein Fokus.47 Die Studie von Herrmann Wentker zur DDR-Außenpolitik gilt als Standardwerk. Darin behandelt er für den Bereich der Nachfolgeverhandlungen zum Grundlagenvertrag beispielhaft die Verkehrsvereinbarung von 1978.48 Die seitenstarke Gesamtdarstellung zur deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte von Petra Weber enthält zwar ein Kapitel zu Umweltproblemen. Doch entschied auch sie sich dafür, Ost und West in einem Nebeneinander statt in einem Miteinander darzustellen. Außerdem bleibt dieser Teil ihrer Geschichte in eingangs erwähnten Deutungsmustern verhaftet.49 Tatsächlich gibt es für die Nachfolgeverhandlungen bisher nur eine einzige Studie, nämlich die Dissertation von Sebastian Lindner zum Kulturabkommen zwischen Bundesrepublik und DDR.50 Um den Umweltverhandlungen abseits der Forschungsliteratur nachzuspüren, eignen sich zur ersten Bestandsaufnahme die editierten Standardwerke, die Problemlagen erkennen lassen, jedoch meist nicht in die Tiefe gehen und nur in den seltensten Fällen die entscheidenden Begegnungen oder Akteure darstellen.51 Die Liga der Staats- und Regierungschefs ist wichtig, doch ist die Ebene der Beamten und Delegierten in dieser Studie von besonderem Wert, was sich in Hintergrundgesprächen, wie beispielsweise mit dem Abteilungsleiter Umweltschutz und stellvertretenden Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft Frank Herrmann, auch bestätigte.52 Als Experten identifizierten sie in den Verhandlungen Probleme, an deren Lösung sie im politischen Entscheidungsprozess letztlich beteiligt waren. Hierbei fällt besonders auf, dass in der Bundesrepublik hauptsächlich Juristen und auf der DDR-Seite überwiegend Bauingenieure und Wasserwirtschaftler vertreten waren und die Protagonisten deutsch-deutscher Umweltverhandlungen – bis auf eine Ausnahme – ein von Männern dominiertes Akteursfeld war.53 Ließ sich die westdeutsche Seite zumeist von ihnen zuarbeitenden (externen) Experten aus dem Umweltbundesamt beraten, waren im Osten die „Träger von verwissenschaftlichtem Fachwissen“ 54 direkter in die Gespräche involviert. Exper-
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Vgl. Amos, Westpolitik; Amos, SED-Deutschlandpolitik. Auch in folgenden Standardwerken werden sie nicht erwähnt: Weber, DDR; Schroeder, SEDStaat; Schwenk/Weißpflug, Umweltschutz, S. 223. 48 Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 412, 417–421. 49 Vgl. Weber, Getrennt, S. 981–993. 50 Vgl. Lindner, Öffnung. 51 Vgl. Editionen: Dokumente zur Deutschlandpolitik (DzD); Akten zu Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD); Die DDR im Blick der Stasi. Siehe darüber hinaus für die Regierungsebene: Potthoff, Koalition; Potthoff, Bonn; Nakath/Stephan, Hubertusstock. 52 Hintergrundgespräch der Autorin mit Frank Herrmann, 22. 9. 2020, Berliner Kolleg Kalter Krieg. 53 Deshalb verwendet diese Studie das in der deutschen Sprache übliche generische Maskulinum. Hiermit sollen dennoch alle Geschlechteridentitäten ohne wertenden Unterschied angesprochen sein. 54 Selgert, Experten, S. 14, siehe auch S. 9–11. Dieser Unterschied war auch in der Grenzkommission auffällig, siehe dazu Füßlein, Grenzkommission, S. 40. Siehe zu Qualifikationen in der Wasserwirtschaft der DDR Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 295.
1. Vom ungleichen Forschungsstand und asymmetrischer Quellenlage
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tise bezeichnet in diesem Kontext also informiertes (Fach-)Wissen mit einer Verbindung zur politisch-administrativen Entscheidungsfindung für ökologische Probleme.55 Umweltpolitik bezeichnet dabei eine „Politik, die Eingriffe in die Natur vermeidet, verhindert oder eingetretene Umweltschäden ‚beseitigt‘.“ 56 Sie beschreibt neben der materiellen Politik und Praxis auch Prozesse und Dynamiken, die sich in einem bestimmten Handlungsrahmen vollziehen, weshalb sie nicht nur von den Politikern selbst gestaltet und verwaltet wird, sondern oftmals aus einem Wechselspiel wissenschaftlicher Erkenntnis und öffentlicher Problemartikulation hervorgeht.57 Die betreffenden Unterlagen – beispielsweise für die 13 Verhandlungsrunden zur Umweltvereinbarung 1987 – lagern vor allem im Bundesarchiv (BArch). Hauptquellenbestand dort sind die Akten der jeweiligen Umweltministerien. War dieser Bereich in der Bundesrepublik zunächst dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), seit 1970 dann als eigenständige Abteilung im Bundesinnenministerium (BMI) zugeordnet und seit 1986 als eigenständiges Ministerium etabliert, hatte die DDR bereits 1972 ein Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (MfUW) eingerichtet. Sind allerdings die DDR-Akten bis 1990 längst einsehbar, so oblagen während der Recherche die bundesdeutschen Akten teilweise noch der 30-jährigen Schutzfrist, die unter anderem bei einer Laufzeit bis zum Jahr 2000 trotz entsprechender Anträge nicht immer verkürzt wurde.58 Dies und die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass nicht nur der Forschungsstand asymmetrisch gewachsen, sondern auch die Quellenlage ungleich verteilt ist, es also keine paritätische Ausgangslage für diese Studie gegeben hat. Darüber hinaus sind die Akten aus den Umweltministerien noch um weitere Perspektiven zu ergänzen. Geheimdienstberichte beispielsweise, im Sinne der Erkundung dessen, was die jeweils andere Seite wusste, stellen hierfür interessante Quellen dar. Zwar ist der Aktenzugang zur Behörde des Bundesnachrichtendienstes (BND) schwierig, Berichte zur Umweltsituation der DDR sind jedoch zum Teil auch in den Akten des Bundeskanzleramtes parallel überliefert. In der DDR wurde hierfür die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) konsultiert, um Informationen aus den Berichten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zur Einschätzung der Umweltsituation, der westdeutschen Umweltbewegung und der eigenen, ostdeutschen Delegierten zu erlangen. Für die internationale Dimension der deutsch-deutschen Umweltbeziehungen und ihre Auseinandersetzun-
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Definition angepasst und entlehnt aus Seefried, Steering, S. 2. Siehe zur Definition von „Wissenspolitik“, d. h., wenn sich das Fundament staatlicher Autorität in den Bereich von Expertenwissen verschiebt, Metzler, Konzeptionen, S. 153. Siehe zum Austausch von Naturwissenschaftlern: Niederhut, Wissenschaftsaustausch. 56 Hillenbrand, Umwelt, S. 752. 57 Vgl. angelehnte Politikdefinition bei Metzler, Konzeptionen, S. 22. Siehe auch Brühl, Umweltpolitik, S. 703–712. 58 Das betraf v. a. Akten des BMU (B 295) zu Problemen der Finanzierung gemeinsamer Energieund Umweltprojekte im Jahr 1990.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
gen oder auch ihre Kooperationen in der United Nations Economic Commission for Europe (UN-ECE, kurz ECE) oder der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) wurden die Akten aus dem Politischen Archiv (PA) im Auswärtigen Amt (AA) und des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) hinzugezogen. Die Asymmetrie der Quellengrundlage zu der Umweltschutzbewegung der 1980er Jahre in Ost und West, die die jeweilige Umweltpolitik begleiteten, ist noch gravierender. Die „Bewegungsarchive“ sind historisch auf unterschiedliche Weise gewachsen. An der Hochschule Neubrandenburg gibt es beispielsweise das Studienarchiv Umweltgeschichte des Instituts für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V. (IUGR), welches eine große Sammlung privater Vor- und Nachlässe von Umweltengagierten, beispielsweise aus der ehemaligen Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU), sowie anderer staatlicher und oppositioneller Akteure des Umwelt- und Naturschutzes der DDR bereithält. Und in den 1990er Jahren gründete ein Teil der ehemaligen Oppositionsszene die Robert-Havemann-Gesellschaft (RHG), zu der seit 1994 das zentrale Oppositionsarchiv gehört. Dagegen verteilen sich die Archivalien der Bewegung in der alten Bundesrepublik, gewachsen aus unterschiedlichen Kontexten, auf viele verschiedene Standorte. Zu nennen wäre hier vor allem das Archiv Grünes Gedächtnis (AGG) der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Berlin, das auch die Beziehungen der westdeutschen Partei zu DDRUmweltgruppen dokumentiert. Im Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) gibt es zwar (noch) keinen Archivbestand zu einer deutsch-deutschen Umweltbewegungsgeschichte, dafür aber jede Menge Graue Literatur sowie beispielsweise die Zeitschrift des Verbandes Bund Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Ebenfalls in Hamburg archivieren die Organisationen Rettet die Elbe e. V. und Robin Wood Broschüren sowie Presseartikel und -mitteilungen über ihre eigenen Aktionen. Besonders hervorzuheben ist das Schloss Wiesenfelden im Bayerischen Wald. Dort befindet sich das Archiv für Umweltpolitik, das Informationen über die Ursprünge und weitere Unterlagen des Bunds für Umwelt und Naturschutz (Bayerns) (BUND) und des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und ihrer Führungsfiguren Hubert Weinzierl und Helmut Röscheisen aus den 1970er und 1980er Jahren verwahrt. Weitere Quellen für die Resonanz deutsch-deutscher Umweltbeziehungen in der Öffentlichkeit liefern sowohl Artikel der westdeutschen überregionalen Presse wie der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), die linke „Tageszeitung“ (taz), ferner die sozialdemokratisch gefärbte „Die Zeit“ sowie die eher konservative „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) als auch die Lokalpresse, hier insbesondere die „Lübecker Nachrichten“ (LN). Darüber hinaus bieten die Beiträge des linksliberalen Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ interessante zeitgenössische Darstellungen und Auffassungen zur DDR-Umweltpolitik aus westdeutscher Perspektive. Sie machten die Umweltprobleme des Nachbarn weiträumig in der alten Bundesrepublik bekannt. Zeitgenössische Presseorgane bieten ein ergänzendes Bild der veröffentlichten Meinung zum umweltpolitischen Thema und sind wegen ih-
2. Umweltgeschichte und Kalter Krieg – Gegenstand und Analysekategorien
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res Einflusses auf die Politik auch nicht aus dieser historiografischen Arbeit wegzudenken. Für die DDR-Öffentlichkeit ist das Zentralorgan der SED, das „Neue Deutschland“ (ND), eine unverzichtbare Quellengrundlage und erste Anlaufstelle dafür, wie die Partei das Wissen über die Umweltprobleme im Land steuern wollte. Dem stehen für den Transfer und Austausch von Umweltwissen in den jeweiligen Gruppen der DDR mit dem Westen die Samisdatpublikationen entgegen. Unverzichtbar und stellvertretend als bedeutende Quelle dieser „Gegenöffentlichkeit“ sind „Die Umweltblätter“ der Ostberliner Umweltbibliothek. Als Treffpunkt für Umwelt-, Dritte-Welt- und Friedensgruppen unterhielt die Bibliothek internationale Kontakte, insbesondere auch zu einigen westdeutschen Parteimitgliedern der Grünen.59 Ihr etwa einmal im Monat herausgegebenes Blatt gibt Aufschluss über konträre politische Meinungen zur Umweltpolitik der DDR. Außerdem wird an ihm auch der Einfluss westdeutscher Bewegungen deutlich. Neben den „Umweltblättern“, die eher Berliner Ansichten der DDR-Ökoszene vertraten, finden sich weitere Samisdatblätter in der RHG, die ebenfalls nicht zu vernachlässigen sind. Quellenlage und Forschungsstand weisen trotz ihrer Asymmetrie also eine Fülle von Material auf, und dennoch fehlte bisher eine integrierte deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte zur Umweltpolitik.
2. Umweltgeschichte und Kalter Krieg — Gegenstand und Analysekategorien In den 1970er und 1980er Jahren war die Elbe mit Schwermetallen stark belastet. Zwar entspringt der Fluss in der ehemaligen ČSSR, also im damaligen Ostblock, doch reicht sein Einzugsgebiet bis nach Bayern. Als 1985 die fast 200 Jahre alte „Chemische Fabrik Marktredwitz“ im fränkischen Fichtelgebirge aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde, hatte sie bereits seit langem Quecksilber in den Bach Kössein geleitet, von wo aus es – verdünnt zwar – in das Flüsschen Röslau gelangte, das ein Nebenfluss der Eger ist.60 Diese wiederum ist ein linker Nebenfluss der Elbe. Die meisten Schwermetallfrachten kamen dann aus den Industriezentren der ČSSR und DDR in den viertgrößten europäischen Strom, der alle zusammen Richtung Bundesrepublik trug. Die Schwermetalle lagern sich in den Sedimenten ab. Private Müllunternehmer aus der Bundesrepublik verbrachten ab den 1980er Jah-
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Vgl. u. a. zur Auflagenstärke der Umweltblätter Kowalczuk, Freiheit, S. 50, 72; Rüddenklau, Störenfried, S. 71–81; und zu internationalen Kontakten Kirchhof, Strains; Neubert, Opposition, S. 499, 629–632. 60 Vgl. o. V., „Wir haben oft alle Augen zugedrückt“, in: Der Spiegel, Nr. 48, 28. 11. 1988, S. 81– 88; o. V., Erst an der Leiche, in: Der Spiegel, Nr. 18, 30. 4. 1990, S. 119–125. Förderkreis „Rettet die Elbe“ e. V. (Hrsg.), Ein Plan für die Elbe. Vorschläge für ein internationales Abkommen zur Sanierung der Elbe, S. 15, in URL: https://www.rettet-die-elbe.de/5kapitel/plan1/Ein_ Plan_fuer_die_Elbe_1989.pdf [1. 12. 2020]. Siehe zur Elbebelastung Teil III, Kap. 2.4.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
ren ihren (Gift-)Müll auf die Deponie Schönberg (DDR). Mit dabei: Der schwermetallbelastete Schlammaushub aus dem Hamburger Hafen. Der westdeutsche Müllexport auf die ostdeutsche Müllkippe evozierte wiederum Befürchtungen in der Lübecker Zivilgesellschaft, dass ihr Grundwasser unter der Systemgrenze hinweg kontaminiert werde. Dieses Beispiel zeigt wie kein anderes nicht nur, dass und auf welche Art und Weise Umweltverschmutzungen grenzüberschreitend sind, sondern dass es sich bei ihnen auch um Zuschreibungen handelt, dass sie Machtverhältnisse infrage stellen und von einer Materie zur anderen (hier: Wasser – Erde) übergehen können. Eine Umweltgeschichte umfasst deshalb das Mensch-Natur-Verhältnis in den unterschiedlichsten Bereichen, ob gesellschaftlich, politisch, kultur- oder naturwissenschaftlich.61 Im vorliegenden Fall schließt sie deshalb auch die Wissensund Technikgeschichte mit ein. Häufig ist die deutsch-deutsche Umweltbeziehungsgeschichte auch eine Geschichte des Nicht-Wissens, in der die Delegierten regelrecht im Trüben fischten, weil die naturwissenschaftliche Forschung oder ihre Instrumente noch nicht so weit entwickelt waren. Daher muss für die historische Forschung die technische Machbarkeit der jeweiligen Zeit ausschlaggebend sein.62 Was war wann der sogenannte „Stand der Technik“?63 Neue Technologien spielen außerdem eine wichtige Rolle, um Aufgabe und Bedeutung von politischem Handeln zu formulieren und darüber zugleich neue Möglichkeiten zu eröffnen.64 Ebenfalls gilt es, sich in einem Zahlendschungel von Messdaten und Grenzwerten zurechtzufinden. Eine Eindeutigkeit ist auch in dieser Arbeit nicht immer gegeben. Das Problem liegt darin, dass Daten über die Umwelt „nicht ungefiltert“ vorliegen, da auch naturwissenschaftliche Untersuchungen an sich schon immer Deutungen sind, die historisch und kulturell vermittelt wurden.65 Das oben genannte Elbe-Beispiel zeigt zudem, dass es sich bei der Umweltverschmutzung immer auch um „Problemzuschreibungen“ von Menschen handelt. Zugespitzt gesagt, beschreiben Umweltprobleme Gesellschaftsprobleme.66 Die Frage ist nun im deutsch-deutschen Beispiel: Probleme welcher Gesellschaft? Das heißt für diese Arbeit, dass die kulturelle Dimension von Umweltproblemen mitgedacht werden muss. Ab wann stellt eine Verschlechterung der Umwelt in welchem gesellschaftlichen Kontext – Bundesrepublik oder DDR – ein Problem dar? Werden die „Gesellschaftsprobleme“ weiter gedacht, stellt Melanie Arndt fest, ist eine Umweltgeschichte immer auch eine Geschichte von Macht und Herrschaft.67 61
Vgl. Engels, Umweltgeschichte, in URL: https://www.bpb.de/apuz/29840/umweltgeschichteals-zeitgeschichte [31. 5. 2022]; siehe auch: Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 10–13. 62 Vgl. Uekötter, Rauchplage, S. 17; Heßler/Weber, Provokationen, S. 3 f., 9. 63 Vgl. Feess, Eberhard, Stand der Technik, in: Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten, in URL: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/stand-der-technik-45988 [31. 5. 2022]; siehe zum Stand der Technik Kap. III.2.1. 64 Vgl. Metzler, Konzeptionen, S. 62. 65 Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 30. 66 Vgl. Kupper, 1970er Diagnose, S. 330. 67 Vgl. Arndt, Umweltgeschichte, in URL: https://docupedia.de/zg/Arndt_umweltgeschichte_ v3_de_2015 [2. 5. 2022].
2. Umweltgeschichte und Kalter Krieg – Gegenstand und Analysekategorien
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Wer hat die Kontrolle über Ressourcen, Zugänge und Mittel? Und wie wird das im Falle von DDR und Bundesrepublik gegeneinander abgewogen? Hierfür untersuche ich die bilateralen Gespräche, durch deren Analyse ich eine perzeptionsund kommunikationsbezogene Perspektive auf die Umweltprobleme zwischen beiden deutschen Staaten erhalte.68 Als Analysekategorien verwende ich für die deutsch-deutschen Umweltverhandlungen und der Darstellung der vielfältigen, umweltpolitischen Verflechtungen die Begriffe Interaktion – Kommunikation – Motivation. Die Interaktion beschreibt die Art der Zusammenarbeit beider deutscher Staaten, die Nischen zwischen Aktion und Reaktion: Erfolgte sie direkt oder indirekt über die internationale oder gesellschaftliche Ebene? Wie wirkten beide Seiten aufeinander ein? Welche Transfers gingen von West nach Ost, welche Einflüsse wirkten von Ost nach West? Und wie handelten beide Seiten wann aus welchem Grund? Das wiederum wird auch durch die Motivation beschrieben, die nach den dahinterstehenden Interessen von Umweltverhandlungen der Bundesrepublik und der DDR fragt. Untersucht wird auch der Wandel, dem die jeweilige Motivation in dem zwanzigjährigen Betrachtungszeitraum unterlag. Interaktion und Motivation verbindend ist die Kommunikation. Paul Watzlawicks Axiom der Kommunikationstheorie – „Man kann nicht nicht kommunizieren“ 69 – ist auch für die deutschdeutschen Beziehungen von Relevanz, insbesondere zu Beginn der 1970er Jahre, als es um eine DDR-Beteiligung an UN-Konferenzen oder den Abbruch der bilateralen Beziehungen ging. Denn selbst über ihr Schweigen kommunizierte die DDR ihre Standpunkte. In diesem Zusammenhang charakterisiert Susanne Schattenberg Diplomatie als einen „kommunikative[n] Akt“, in dem es mehrere Symbolsysteme wie die Sprache, aber auch den kulturellen Horizont und den jeweiligen öffentlichen Diskurs als Referenzrahmen der einzelnen Länder gebe. Den Kalten Krieg, das heißt die ideologische Auseinandersetzung zweier Gesellschaftssysteme, interpretiert sie als „fehl gelaufene Kommunikation“, die neu umrissen werden könne.70 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Radkau, der behauptet, der Kalte Krieg habe die ökologische Kommunikation gestört.71 Damit bezieht er sich – wenn auch nicht explizit – auf das Konzept „Ökologische Kommunikation“ von Niklas Luhmann. Darin sagt Luhmann, wenn die einzelnen Subsysteme einer Gesellschaft wie die Wirtschaft, die Justiz, die Politik etc. nicht miteinander über die Ökologie kommunizieren und die Interdependenzen untereinander nicht wahrnehmen, könne auch keine gesellschaftliche Resonanz erzeugt werden und es setze sich die Angst fest.72 Der Aspekt der Emotion ist durchaus einleuchtend, ohne ihn 68 69
Vgl. Lehmkuhl, Umwelt, S. 235. Watzlawick/ Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 53. 70 Vgl. Schattenberg, Diplomatie, S. 462; siehe auch Niedhart, Entspannung, S. 14, 35. 71 Vgl. Radkau, Ära, S. 500; ähnlich Janáč/Olšáková, On the road to Stockholm, S. 2. 72 Vgl. Luhmann, Ökologische Kommunikation, S. 52, 75–100, 137, 177; Kupper, 1970er Diagnose, S. 330; siehe auch Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 254 f., 317, seine Kritik an Luhmann: S. 344 f.; Ein Theoretiker der neuen Göttin Angst. Spiegel-Redakteur Nikolaus von Festenberg
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
wäre manch eine Handlung oder Motiv nicht erklärbar und schwer fassbar. Gefühle sind dabei hilfreich, um Komplexität handlungsorientiert zu reduzieren.73 Doch erklärt Luhmanns Konzept beziehungsweise Radkaus Anwendung dessen nicht, warum gerade in der Epoche des Kalten Krieges bedeutende und viele internationale Abkommen zum Umwelt-, Natur- und Artenschutz vereinbart wurden, die teilweise noch heute die Grundlagen unserer Umweltdiplomatie darstellen. Einer der Ausgangspunkte für diese Arbeit war deshalb auch die interessante These, dass Umweltpolitik im Kalten Krieg in den 1970er Jahren für die Entspannungspolitik genutzt wurde. Danach begünstigte der ideologische Wettbewerb zwischen den Supermächten den Abschluss von Umweltabkommen, da hier niemand dem anderen im Prestige nachstehen wollte.74 Auch Uekötter stellt fest, „ökologische Themen [boomten] vor allem dann, wenn andere politische Baustellen stagnierten. So fungierte Umwelt als ein alternatives politisches Spielfeld, auf dem man auch dann punkten konnte, wenn woanders Stillstand herrschte.“ 75 Ob die „ökologische Kommunikation“ im Kalten Krieg also gestört wurde oder gerade befördert, hing sowohl von der Frage der Zeit als auch der Akteure sowie weiterer Umstände ab. Es waren beide Tendenzen vorhanden, die es hier auszuloten gilt. Neben der Umweltgeschichte, die sich seit mehreren Jahren nun schon einiger Beliebtheit in der Zunft erfreuen konnte, ist die vorliegende Studie auch dem Feld der Cold War Studies zuzuordnen. Die Beschäftigung mit der Bundesrepublik und der DDR in der Zeit zwischen 1945 und 1990 fällt einerseits in die Epoche des Kalten Krieges (1945/47–1990/91),76 andererseits prägte das „hegemoniale Ordnungssystem […] binäre[r] Logik“ 77 ihre Beziehungen zueinander mal mehr mal weniger stark. Das bedeutet, dass dieses Politikfeld im Rahmen des Kalten Krieges neu zu vermessen ist.78 So fanden die Umweltverhandlungen trotz allem vor dem Hintergrund der Existenz nuklearer Waffenarsenale, militärischer Auf- und auch Abrüstung und dem ideologischen Wettbewerb statt. Umweltpolitik wurde wie viele andere Themenbereiche von der bipolaren Blockkonfrontation beeinflusst, ausgebremst oder beschleunigt.79 So gesehen wären insbesondere die 1980er Jahre hier als Transitionsphase und Zeit paradoxer Gleichzeitigkeiten in den deutsch-deutschen Beziehungen wahrzunehmen, in der bipolare Gegensätze noch einmal erstarkten unterdessen aber ihre
über Niklas Luhmanns „Ökologische Kommunikation“, in: Der Spiegel, Nr. 41, 6. 10. 1986, S. 111–117. 73 Vgl. Luhmann, Vertrauen, S. 21, 30–38. 74 Vgl. Hünemörder, Environmental Crisis, S. 257; siehe auch Brain, Appeal of Appearing Green, S. 445; Schulz-Walden, Anfänge, S. 105. 75 Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 88. 76 Vgl. u. a. Greiner, Spuren, in URL: www.bpb.de/302841 [11. 6. 2022]; Stöver, Kalter Krieg, S. 11. 77 Hansen, Abschied, S. 2. 78 Vgl. Greiner, Kalter Krieg, in URL: http://docupedia.de/zg/greiner_cold_war_studies_v1_ de_2010 [11. 6. 2022]. 79 Vgl. Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 124.
2. Umweltgeschichte und Kalter Krieg – Gegenstand und Analysekategorien
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Anziehungskraft verloren und die aufkommenden multipolaren Tendenzen einer globalisierten Welt kaum noch zu ignorieren waren.80 Der Beginn der 1980er wird in der Geschichtswissenschaft auch als Phase des sogenannten „Zweiten Kalten Krieges“ beschrieben,81 wobei diese Umschreibung auf die Umweltbeziehungen eher weniger zutrifft. Deshalb wird meine Studie dafür argumentieren, eher von einer „Krise der Entspannung“ auszugehen.82 Denn analytisch passt diese periodische Einschätzung besser zu der Erkenntnis, dass die deutsch-deutschen Umweltbeziehungen in diesem Kontext gerade erst Fahrt aufnahmen. Zwischen ihnen wurde ein Stand der Auseinandersetzung erreicht, hinter den nicht mehr zurückgegangen werden konnte. So erhöhte zwar die DDR in dieser Zeit beispielsweise den Mindestumtausch für Besucher aus dem Westen, aber sie verhinderte nicht mehr komplett deren Einreise – diejenige bestimmter einzelner Gruppen ausgenommen.83 Auch politisch wurden nicht alle Seile der Zusammenarbeit gekappt, nur weil die Abrüstungsgespräche zwischen der Sowjetunion und den USA zu scheitern drohten oder Mittelstreckenraketen aufgestellt wurden. Und im deutschdeutschen Verhältnis konnte es auch nicht mehr zur Nicht-Anerkennung der DDR, zur Hallstein-Doktrin und zu Ähnlichem zurückgehen. Die Frage, die daraus folgt, ist die nach einer Veränderung im zwanzigjährigen Betrachtungszeitraum. Ab wann erodierte beispielsweise die ideologische Argumentation?84 Die weltanschauliche Konfrontation, aber auch die Kooperation zwischen den Blöcken waren daher eine Art Referenzrahmen der Umweltbeziehungen, der sich in den 1980er Jahren immer mehr verschob. Die deutsch-deutschen Umweltbeziehungen hatten demnach etwas von einem Seismografen, dessen Ausschläge durch den Wechsel von Spannung und Entspannung zwischen den Akteuren bestimmt wurde. Es stellt sich die Frage, wie die Periodisierung des Kalten Krieges mit einer der Umweltgeschichte korrespondiert oder wie beide zumindest in Beziehung zueinander stehen.85 Die internationale Genese von Umweltpolitik um 1970 fällt mit der Hochphase der Entspannungszeit im Kalten Krieg zusammen. Eventuell ermöglichte sogar erst die graduelle Entspannungspolitik das Entstehen internationaler Umweltpolitik.86 Denn mit dem neuen universalen Thema wurde die
80
Vgl. v. a. Jarausch, Teile als Ganzes, S. 19; Link, Ost-West-Konflikt, S. 120, 131, 203. Siehe zum „Zweiten Kalten Krieg“ u. a. Gassert, Geiger, Wentker, Zweiter Kalter Krieg, S. 7– 30; siehe zur Ablehnung: Stöver, Kalter Krieg, S. 19; bzw. Zur Differenzierung Niedhart, OstWest-Konflikt, S. 560, 589 f.; vgl. zum ungeklärten Ende des Kalten Krieges Iriye, Historicing the Cold War, S. 25. 82 Siehe dazu u. a. Niedhart, Ost-West-Konflikt, S. 589–593; Loth, Rettung, S. 312; Nuti, Crisis of Détente; zu unterschiedlichen Zeiten aufgeladene Bedeutungen des Quellenbegriffs Kalter Krieg bei Hansen, Abschied, S. 1. 83 Z. B. Die Grünen, vgl. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 56–59. 84 Siehe dazu z. B. Yurchak, Everything. 85 Vgl. McNeill/Kirchhof, Introduction, S. 4–7; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 21 f.; Uekötter, Ökologische Ära?, S. 109 f.; Hünemörder, Crisis, S. 258; Arndt, Umweltgeschichte, S. 9, in URL: https://docupedia.de/zg/Arndt_umweltgeschichte_v3_de_2015 [2. 5. 2022]. 86 Vgl. Laakkonen/Räsänen, Cold War, S. 235. 81
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
Bipolarität des Kalten Krieges fundamental infrage gestellt. Die internationalen umweltpolitischen Aktivitäten der Bundesrepublik werden allgemein in folgende Phasen eingeteilt: Etablierungsphase (1969–1974), Phase der Stagnation beziehungsweise des Abschwungs (1975–1982) sowie Phase des Vorreiters in der internationalen Umweltpolitik (1983–1994).87 In Bezug auf die DDR könnten die ersten beiden Phasen fast identisch übernommen werden. Nur für die 1980er Jahre braucht es für die Beschreibung des sozialistischen Staates auf der internationalen Umweltbühne einen neu zu charakterisierenden Zeitabschnitt. Die DDR galt definitiv nicht als Vorreiter, doch gewannen Umweltprobleme sowohl gesellschaftlich als auch politisch an Relevanz, weshalb in beiden Systemen hier von einer gewissen „Ökologisierung“ von Politik und Gesellschaft ausgegangen werden kann.
3. Asymmetrisch verflochtene Umweltpolitikgeschichte Seit 2004 plädiert die deutsche Forschungsriege von Konrad Jarausch über Julia Obertreis bis hin zu Astrid M. Eckert und Frank Biess für eine grüne Beziehungsgeschichte zwischen Ost und West sowie deren Einordnung in inter- und transnationale Kontexte.88 Eine deutsch-deutsche Beziehungs- und Transfergeschichte birgt aber auch Gefahren in sich: Sie könnte beispielsweise in den Ruf geraten, die DDR mit der Bundesrepublik gleichzusetzen, Unterschiede zu nivellieren, fälschlicherweise ein Verständnis von National- oder Zusammengehörigkeitsgefühl zu suggerieren, das es nicht in jedem Falle gab, oder einzelne Transfers zu überhöhen.89 Nach Andreas Wirsching solle der Systemgegensatz von Diktatur und Demokratie nicht überbetont werden,90 während Horst Möller warnt, eine deutschdeutsche Beziehungsgeschichte sei zwar sinnvoll, jedoch müsse „eine sorgfältige Auswahl“ der Themen vorgenommen werden, „die eine zumindest relative Systemunabhängigkeit besitzen“.91 Zusammen mit den zuvor gemachten Ausführungen lassen diese Auffassungen erahnen, warum sich nicht schon früher dem Thema einer deutsch-deutschen Umweltbeziehungsgeschichte gewidmet wurde. Tatsächlich muss auch eine integrierte deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte sowohl die Grenzen als auch die Handlungsspielräume von Diktatur und Demokratie in
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Vgl. Brühl, Umweltpolitik, S. 703–709; ähnlich auch Brand, Umweltbewegung, S. 224–227; drei Phasen bei Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (Hrsg.), Rolle der Umweltverbände, S. 78 f. 88 Vgl. Jarausch, Teile als Ganzes, S. 18, Obertreis, Naturbeherrschung, S. 122, Biess/Eckert, Introduction, S. 16; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 118; ähnlich auch bei Seefried/ Hoffmann, Einleitung, S. 33. 89 Vgl. u. a. Bösch, Geteilt und verbunden, S. 11, 21; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 118–119. 90 Vgl. Wirsching, Zeitgeschichtsforschung, in URL: https://www.bpb.de/apuz/30711/fuer-einepragmatische-zeitgeschichtsforschung [11. 6. 2022]. 91 Möller, Demokratie, in URL: https://www.bpb.de/apuz/30706/demokratie-und-diktatur?p=all [11. 6. 2022].
3. Asymmetrisch verflochtene Umweltpolitikgeschichte
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ihren jeweiligen Ausprägungen zeigen. Eine Verflechtungsgeschichte schaut in die Nischen und auf die Hintergründe, Handlungsoptionen, Entwicklungen und Aushandlungsprozesse, die letztlich erklären, warum es zu diesem oder jenem Ergebnis gekommen ist, das andere wiederum im Vergleich bereits präsentierten. Das Politikfeld „Umwelt“ bildet einerseits eine Besonderheit in den deutschdeutschen Nachfolgeverhandlungen, aber es wird andererseits auch zu sehen sein, dass Umweltfragen im Zuge der Gespräche wie jedes andere Politikfeld pragmatisch als Mittel zum Zweck für Interessen in anderen Bereichen genutzt wurde, um Kompromisse zu erzielen. So beschrieb die Umwelthistorikerin Anna-Katharina Wöbse über das kumulative Wesen der Umweltdiplomatie: „Dünne Schichten aus Kompromissen verfestigen sich zu einem wachsenden Profil.“ Es galt, Ideen immer wieder aufzugreifen und fortzuführen, wenn die Zeit reifer war.92 Das lässt sich ebenfalls auf die deutsch-deutschen Beziehungen übertragen. Gleichzeitig bildete die jeweilige deutsche Umweltpolitik auch den Resonanzboden für die internationalen Entwicklungen im Umweltbereich. Diese spielten neben dem öffentlichen Druck, Umweltprobleme zu lösen, den wirtschaftlichen Interessen und der politischen Prioritätensetzung auch in die bilateralen Verhandlungen hinein. Dabei waren beide Seiten auf ihren expliziten Vorteil bedacht. Der Interessenausgleich stellt daher die Grundlage für funktionierende Umweltpolitik zwischen beiden deutschen Staaten dar, der oftmals vom Engagement einzelner Politiker und dem übergeordneten politischen Willen der jeweiligen Regierung abhing. Kurz gesagt, geht die Arbeit zum Thema deutsch-deutsche Umweltpolitik von folgenden Prämissen aus: 1. Umweltdiplomatie braucht Zeit. 2. Internationale Zusammenhänge und Initiativen konturieren das Politikfeld Umwelt. 3. Das Themenfeld ist eine austauschbare Verhandlungsmasse zur Kompromissbildung. 4. Der gegenseitige Vorteil und der politische Wille sind entscheidend. Die Diskussionen und Verhandlungen, auf die in dieser Studie eingegangen wird, fanden auf unterschiedlichen Ebenen statt: bilateral, international und gesellschaftlich. Das deutsch-deutsche Verhältnis stellt dabei den roten Faden dar. Ihre bilateralen Beziehungen schließen jedoch aufgrund des föderalen politischen Systems der Bundesrepublik teilweise auch die Länderebene mit ein. Das ist insofern wichtig, als dass nicht für alle umweltpolitischen Aufgaben in der Bundesrepublik allein der Bund zuständig war, weshalb sich daraus oftmals eine komplizierte Dreiecksbeziehung aus Bundes-, Landes- und DDR-Regierung ergab. Diese bi- und teilweise trilateralen Beziehungen der deutsch-deutschen Umweltverhandlungen werden in den internationalen und gesellschaftlichen Kontext eingeordnet. Mit
92
Wöbse, Weltnaturschutz, S. 330, siehe auch S. 10; ähnlich auch Stinsky, International Cooperation, S. 3.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
der internationalen Ebene ist die bereits angesprochene ECE sowie KSZE gemeint. Beides waren Gremien, die in Europa ost-west-übergreifend tätig waren und sowohl Spezialthemen als auch Umwelt im Allgemeinen behandelten. Der gesellschaftliche Kontext impliziert die Beziehungen zwischen den ost- und westdeutschen Umweltgruppen sowie die öffentliche und die veröffentlichte Meinung und ihre Wechselwirkungen mit der Politik. Im deutsch-deutschen Verhältnis kam es im Betrachtungszeitraum zu einer Veränderung bezüglich der sogenannten „Deutschen Frage“, also der nach einer avisierten Wiedervereinigung unter dem ideologischen Vorzeichen des einen oder des anderen Staates. Richtete sich die DDR in ihrem Territorium als souveräner Staat ein und kämpfte um die Anerkennung als solcher, so gab die Bundesrepublik den Anspruch auf eine friedliche Beseitigung der innerdeutschen Grenze nie auf. Galt mit dem Honecker-Besuch 1987 in der Bundesrepublik für die DDR ihr Ziel als erreicht, rückte für die Bundesregierung die potenzielle Wiedervereinigung in noch weitere Ferne, weshalb so viele von ihr überrascht wurden, als sie dann kam.93 Die junge heranwachsende Generation verstand die Rhetorik um die „Ostzone“ immer weniger. Deshalb galt für die westdeutschen Regierungsvertreter die Devise, die Beziehungen mit der DDR auf allen Ebenen auszubauen, um die Trennung so erträglich wie möglich zu gestalten. Diese spezifische Kalte-Kriegs-Erfahrung im geteilten Deutschland – man war geteilt, aber nicht gänzlich unverbunden – führte zu einer permanenten Instabilität durch die Frage der nationalen Zugehörigkeit und der Sprach- beziehungsweise Kommunikationsgemeinschaft.94 Der methodische „Goldstandard“, um nun eine deutsch-deutsche Geschichte zu schreiben, ist die Idee einer „asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte“ von Christoph Kleßmann. Er führt aus, dass er die reine Dichotomie zwischen liberaler Demokratie und totalitärer Diktatur vermeiden möchte. Ebenso sollte es keine Geschichtsschreibung sein, die teleologisch auf die Wiedervereinigung ausgerichtet sei. Ziel sei es, die nationalstaatliche Verengung zu lösen und charakteristische Formen der Abgrenzung und Annäherung zu betonen. Dabei sei die Asymmetrie in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass die DDR sich nicht ohne die Bundesrepublik entwickeln, Letztere jedoch ohne die DDR bestehen konnte.95 Kleßmann schreibt weiterhin: „Die Nation und ihr Zusammenhalt bilden letztlich den Fluchtpunkt der Darstellung.“ 96 Dieser Fluchtpunkt wird in vorliegender Arbeit jedoch nicht zu finden sein. Kleßmanns Worte erinnern hier zu sehr an die sozialdemokratische Formel, „zwei deutsche Staaten, eine Nation“, mit der bundesrepublikanische Deutschlandpolitik gemacht wurde. Möchten wir wirklich „objektiv“ an unser Themenfeld herangehen, so müssen wir uns von der Vor-
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Vgl. Sabrow, Pyrrhussieg, S. 201–256; Bösch, Geteilte Geschichte, S. 107; Roth, Bestandsaufnahme, S. 17, 686. 94 Vgl. Stöver, Kalter Krieg, S. 29; Jarausch, Teile als Ganzes, S. 19. 95 Vgl. Kleßmann, Spaltung und Verflechtung, S. 22. 96 Ebenda, S. 25. Es geht hier nicht um eine „Kulturnation“, das entspräche einer anderen Definition.
3. Asymmetrisch verflochtene Umweltpolitikgeschichte
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stellung der „einen deutschen Nation“, deren Dasein ohnehin in Bezug auf die deutsche Einheit unterforscht ist,97 kurz lösen. Auch impliziert Kleßmanns Formulierung letztlich zu sehr, dass wir wissen, wie die Geschichte mit der Wiedervereinigung ausgegangen ist. Das darf aber nicht dazu führen, dass es unsere Sicht auf die unübersichtliche Gemengelage der deutsch-deutschen Beziehungen versperrt. So plädiert auch Dorothee Wierling in ihrem Kommentar zu Frank Böschs Plädoyer für eine deutsch-deutsche Perspektive, ironisch-paradoxerweise für eine „transnationale Nationalgeschichte“. Damit meint sie das Zusammenbringen einer Vielzahl von Grenzüberschreitungen, die gleichzeitig offen lässt, ob die „innerdeutsche“ Grenze nicht auch kurze Zeit eine nationale Grenze war, die es zu überschreiten galt.98 In eine ähnliche Richtung tendiert Konrad Jarausch mit seiner „pluralen Sequenzperspektive“, die besagt, es müsse erfasst werden, was Ost und West gemeinsam betraf, „aber zu jeweils unterschiedlichen Reaktionen der konkurrierenden Systeme“ führte.99 Und auch Bösch votiert dafür, nicht vorschnell von einer gemeinsamen Identität und einer nationalen Einheit auszugehen.100 Ähnlich sieht auch Hermann Wentker die Gefahr, in eine nationalstaatlich ideologisierte gesamtdeutsche Interpretation abzudriften. Sie gebe auch wenig Raum für eigene Entwicklungen der Bundesrepublik oder der DDR. Daher sei es wichtig, neben dem Verbindenden auch das Trennende in der Beziehungsgeschichte zu analysieren, den Systemwettbewerb nicht unter den Tisch fallen zu lassen, parallele Entwicklungen sowie auch Abbrüche und Distanzierungen einzubeziehen. Es gehe nicht darum, beide Staaten vor allem in ihrer Aufeinanderbezogenheit zu erklären, sondern „vielmehr um die Bestimmung der aus der deutsch-deutschen Sondersituation resultierenden Faktoren, die Einfluss auf die jeweilige Entwicklung hatten.“ 101 Kleßmanns Ansatz wird also in den Geschichtswissenschaften weiterentwickelt. Diese Arbeit versucht deshalb, zwar sein Konzept umzusetzen, aber auch die Kritikpunkte daran zu berücksichtigen. Das heißt, ich schaue nicht nur auf die Erfolge der Beziehungsgeschichte, sondern auch auf Abbrüche und darauf, warum diese geschahen. Wichtig ist darüber hinaus ein Aspekt, den Mary Fulbrook zur Sprache brachte: Wir gehen in unserer wissenschaftlichen Forschung zu oft davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland das „Normale“ sei. Sie ist die Größe, an der die DDR sich selbst maß, und an der sie noch immer normativ gemessen wird.102 Ein ähnlicher Punkt war für Zsuzsa Gille ausschlaggebend, eine ethnografische Studie zur Müllverwertung im sozialistischen Ungarn zu schreiben. Als sie in den USA
97 98 99 100 101 102
Vgl. Bösch, Geteilt und verbunden, S. 21; Jarausch, Teile als Ganzes, S. 14. Vgl. Wierling, Asymmetrien, S. 116. Jarausch, Teile als Ganzes, S. 15. Bösch, Geteilte Geschichte, S. 108. Wentker, Abgrenzung und Verflechtung, in URL: http://www.bpb.de/apuz/29301/zwischenabgrenzung-und-verflechtung-deutsch-deutsche-geschichte-nach-1945?p=all [11. 6. 2022]. Vgl. Fulbrook, Fehlende Mitte, S. 90–92.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
studierte, lernte sie, wie dreckig der ehemalige sozialistische Osten war – ein Bild, das nicht mit den Erfahrungen aus ihrer Kindheit übereinstimmte, was sie zum Anlass nahm, es zu hinterfragen. Entstanden ist eine Studie über Müll im Sozialismus, die aus der Forschungslandschaft nicht mehr wegzudenken ist.103 Für die vorliegende Studie bedeutet dies, nicht nur die Aktivitäten der DDR im Umweltbereich zu hinterfragen, sondern vermehrt auch diejenigen der Bundesrepublik. Worin und wie grenzte sich die Bundesrepublik von der DDR ab? Wer wollte zu welchem Zeitpunkt eine Umweltvereinbarung und warum? Und es heißt auch, die DDR nicht mit den normativen Maßstäben der alten Bundesrepublik zu messen. Das stellt die größte Herausforderung dar. Zwar reproduziert die Wortwahl dieser Studie hinsichtlich des Ausschreibens von „Bundesrepublik“ und der Abkürzung „DDR“ die Auffassungen des Kalten Krieges und verdeutlicht die Asymmetrie beider Staaten, doch nur dadurch wird die Quellensprache ersichtlich, in der die DDR-Delegierten oder sich als links verstehende Bundesbürger das auch heute noch immer nicht offiziell existierende Kürzel „BRD“ verwendeten. Diese Abkürzung hatten die Bundesregierungen seit den 1970er Jahren für die westdeutsche Republik rigoros abgelehnt, um auch dadurch den Anschein zu vermeiden, sie billige dem ostdeutschen Staat gewissermaßen Gleichberechtigung zu.104 Besteht Deutschland aus einem oder aus zwei Staaten? Darum ging es im Grunde, und das beeinflusste auch die Wahl von Begriffen wie „innerdeutsche“ (eine „Nation“) oder „deutsch-deutsche“ (gleichberechtigte) Beziehungen oder Grenze,105 West-Berlin, Westberlin oder Berlin (West), die hier jedoch hauptsächlich einfach als Synonym füreinander benutzt werden. Neben den deutschlandpolitischen Fragen sollten nochmals einige umweltgeschichtliche Aspekte klargestellt werden. Das Mensch-Natur-Verhältnis wurde maßgeblich durch die Industrialisierung geprägt, weshalb der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der industriellen Umweltverschmutzung liegt. Dazu gehört alles, was durch Energie- und sonstige Produkterzeugung an Kontamination entstand: durch Pestizide vergiftete Böden; Flüsse, die zur Abwasserentsorgung dienten; verunreinigte Luft, Müllentsorgung etc. Doch können die Ausführungen der vorliegenden Beziehungsgeschichte im Umweltbereich zwischen der DDR und der Bundesrepublik nicht alles abdecken: beispielsweise die Umweltzerstörung in Bitterfeld,106 Espenhain und anderswo innerhalb der DDR oder auch im „Ruhrpott“. Was sich im innerdeutschen Verhältnis entwickelt hatte, lässt nicht unbedingt zwingend Rückschlüsse auf die jeweilige Lage in den beiden Staaten selbst zu und andersherum. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Atomenergie, für das in der Bundesrepublik zunächst das Bundesministerium für Atomfragen, später das Bundesforschungsministerium und erst ab 1986 der Umweltminister Verantwortung trägt. In
103 104 105 106
Vgl. Gille, Cult, S. 3. Vgl. Berschin, Deutschlandbegriff, S. 222–224. In den Quellenangaben aus DDR-Beständen wird die Verwendung „BRD“ daher beibehalten. Vgl. u. a. Wick, Mauer, S. 130. Siehe für das Chemiedreieck Halle-Leipzig-Bitterfeld beispielsweise Stief, Staatssicherheit.
3. Asymmetrisch verflochtene Umweltpolitikgeschichte
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der DDR war der Leiter des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) zuständig. Institutionell war dieser Bereich demnach vom industriellen Umweltschutz getrennt und wird an dieser Stelle deshalb nicht weiter berücksichtigt.107 Auch der Naturschutz, der oftmals als Synonym für Umweltschutz verwendet wird, deckt ebenfalls einen eigenständigen politischen Teilbereich ab. Während der Zeit der deutschen Teilung in dieser Studie eine vernachlässigbare Größe, gewann er im Zuge der Wiedervereinigung immens an Bedeutung. Während es sich der Umweltschutz eher zur Aufgabe macht, die Umwelt trotz des Baus moderner technologischer Anlagen oder gerade mit ihrer Hilfe zu schützen, lehnt der Naturschutz jegliche Änderungen in der Natur ab.108 Die weiter oben stark gemachte Unterscheidung zwischen Schadstoffen ist zudem der Grund, warum diese Arbeit drei Tiefenbohrungen vornimmt: Abfallverbringung, Luft- und Gewässerverschmutzung. Darüber hinaus weisen diese Teilbereiche unterschiedliche „Richtungen“ der Verschmutzung auf, die einerseits den wechselseitigen, grenzüberschreitenden Charakter verdeutlichen, andererseits dem eingangs skizzierten Schwarz-Weiß-Bild Grautöne hinzufügen: Selbst bei Westwind war die Luftverschmutzung um 1970 noch auf beiden deutschen Seiten annähernd gleich, etwa 90 Prozent der Flüsse fließen jedoch von Ost nach West und der Müll wiederum wurde von der Bundesrepublik in die DDR – also von West nach Ost – geschickt. Der Luftverschmutzung kann nicht mit denselben Mitteln begegnet werden wie der Gewässerverschmutzung oder der Bodenverseuchung durch Abfall, weshalb es eben zwischen ihnen genau zu differenzieren gilt. Die Studie analysiert das Wechselspiel zwischen deutsch-deutscher Entspannungs- und Umweltpolitik und deren Wandlungsprozesse. Umweltgeschichte und Kalter Krieg hängen demnach untrennbar miteinander zusammen. So brauchte die Entspannungspolitik die Umweltpolitik als „Proxy“, also als Kommunikationsschnittstelle für ein Ost und West gemeinsam tangierendes universelles Themenfeld. Der Ort dafür waren die ECE und KSZE, bei denen diese Synergien besonders deutlich wurden. Dabei gingen die beiden Blöcke jedoch von unterschiedlichen Prämissen für die Entspannung aus: Galt sie für den Ostblock als Sicherung der Machtverhältnisse, war sie für den Westen ein Instrument dafür, die Öffnung des Ostens zu erwirken.109 Auffällig ist in diesem Zusammenspiel das antizyklische Verhalten der beiden deutschen Staaten gegenüber den Supermächten United States of America (USA) und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR). Über den chronologischen Zugriff wird auch der Wandel sowohl in den deutsch-deutschen Beziehungen als auch in der internationalen Umweltdiplomatie erkennbar. Die sich verengende Schere zwischen umweltpolitischem Druck von oben und dem Druck der Umweltgruppen von unten zwang die Regierungen zunehmend zum Handeln – auf die eine oder andere Weise. Die Studie stellt ent107 108 109
Siehe u. a. Stude, Strom; Türk, Treibstoff. Vgl. Kupper, 1970er Diagnose, S. 340; sehr gute Differenzierung bei Hasenöhrl, Zivilgesellschaft, S. 36 f. Vgl. Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 15; Loth, Rettung der Welt, S. 19.
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Einleitung: „Saubermann“ und „Schmutzfink“ – eine ertragreiche Dichotomie?
gegen der Behauptung einer geradlinigen, als unausweichlich dargestellten Zerstörungsentwicklung in der DDR im Abschlussbericht der Enquête-Kommission 1998, also einer vermeintlich „ertragreichen Dichotomie“, die These auf, dass die Umweltpolitik zunächst über die Entspannungspolitik bis in die 1980er Jahre hinein eingeübt wurde. In den 1980er Jahren führte dies zu einer gewissen „Ökologisierung“, womit ein Wandel des (Umwelt)politischen110 in ihren Beziehungen beschrieben werden soll. Es kam zu vermehrten Kontakten und Verflechtungen auf den verschiedensten Ebenen: basisgesellschaftlich, parteipolitisch, verbandsorganisatorisch, international und bilateral. Im dadurch regelmäßig stattfindenden deutsch-deutschen Austausch wandelten sich sowohl der Stellenwert der Umweltpolitik in der DDR als auch Einstellungen in der Bundesrepublik. Die Arbeit gliedert sich in fünf unterschiedlich große Kapitel, die den Phasen deutsch-deutscher Umweltbeziehungen entsprechen. Begonnen wird in Kapitel I mit der Vorgeschichte „Genese der Umweltpolitik“. Im II. Teil mussten um 1970 für die erste bilaterale Umweltverhandlung mindestens zwei Faktoren aufeinandertreffen: zum einen die Etablierung geregelter deutsch-deutscher Beziehungen und zum anderen die zuvor dargestellte politische Beschäftigung mit dem, was wir unter dem Schlagwort „Umwelt“ zusammenfassen. Er thematisiert die deutschlandpolitischen Implikationen nach dem Grundlagenvertrag, die mit der Etablierung des Umweltbundesamtes (UBA) in eine umweltpolitische Eiszeit zwischen beiden deutschen Staaten mündeten und skizziert das zeitgleiche Geschehen auf der internationalen Bühne als Nebenschauplatz der deutsch-deutschen Umweltbeziehungen. Kapitel III „Kleine Schritte in der Krise der Entspannung“ behandelt das erneute Aufeinanderzugehen beider deutscher Staaten zu Beginn der 1980er Jahre. Über die Verhandlungen zur Gewässer- und Luftverschmutzung wird durch praktische Umweltpolitik Vertrauen aufgebaut und die Entspannungspolitik eingeübt sowie gefestigt. Die dritte Tiefenbohrung – der Müllexport – sowie die eigentlichen Umweltverhandlungen ab 1985 befinden sich im IV. Kapitel. Es beschreibt, wie das Thema Umweltschutz die deutsch-deutschen Beziehungen, aber auch Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zunehmend prägte beziehungsweise „ökologisierte“. Dazu gehört, dass die Kapitel, insbesondere aber II und IV, von Einschüben zur gesellschaftlichen Entwicklung beziehungsweise zur Entstehung von Umweltgruppen und der Umweltschutzbewegung in Ost und West begleitet werden. Teil V – der Wiedervereinigungsprozess – umreißt, was aus den anvisierten Umweltprojekten wurde, wie sich die Umweltproblematik wandelte, neue Schwerpunkte gesetzt wurden, aber entgegen der Wahrnehmung als Zeit des radikalen Umbruchs teilweise überraschende Kontinuitäten aus den Jahren der deutsch-deutschen Umweltbeziehungen feststellbar sind. Damit sind die Grundzüge der vorliegenden deutsch-deutschen grünen Verflechtungsgeschichte genannt, die im Folgenden ausführlich dargelegt wird.
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Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Wandel des Politischen.
I. Genese der Umweltpolitik Sterbende Vögel, rauchverrußte Städte, versauerte Seen, ölverseuchte Strände, explodierende Bevölkerungszahlen und schwindende Ressourcen bilden die Puzzleteile, die nach und nach um 1970 ein Bild von der Verwüstung des Planeten und der Bedrohung der Menschheit zusammensetzte. Das Puzzlebild des Weltuntergangsszenarios enthält jedoch auch helle Momente aus Wissenschaft, Technik und Politik. „Vielleicht war ja der ‚Zeitgeist‘ reif für das Thema [, sic!] ohne dass einem bestimmten Land oder einzelnen Personen und Institutionen das Urheberrecht zugesprochen werden kann.“ 1 So resümierte bereits die damals beteiligte bundesdeutsche Ministerialbeamtin Edda Müller das Entstehen des Politikfeldes „Umweltschutz“. Der neue Bereich der Umweltpolitik hatte vielfältige Ursprünge aufzuweisen, die um 1970 kulminierten. Er erhielt institutionell sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR einen Platz. Einer dieser von Müller beschriebenen Zeitkontexte bestand in der beginnenden Entspannungsphase zwischen den Supermächten im Kalten Krieg. Denn dieses vermeintlich „unpolitische“ Themenfeld Umwelt,2 also ein zunächst als objektiv verstandener Wissensbereich, eignete sich hervorragend, um die seit Mitte der 1960er Jahre aufkommende entspannungspolitische Tendenz zu fördern. Insbesondere die USA sahen darin einen Nutzen, und so handelten sie bereits 1971 mit der UdSSR eine bilaterale Umweltvereinbarung aus.3 Die Entspannungspolitik zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion (UdSSR) begünstigte die Kommunikation über den Eisernen Vorhang. Statt eines die 1950er Jahre dominierenden Rüstungswettlaufs begannen beide Seiten nun eher Rüstungsvereinbarungen in den Fokus zu stellen, womit für die Westmächte auch die deutsche Frage, das heißt eine von der Bundesrepublik angestrebte Wiedervereinigung mit den deutschen Gebieten im Osten, an Bedeutung verlor.4 Anders als bei den Supermächten ließ sich im deutsch-deutschen Verhältnis eine multilaterale Umweltpolitik zu diesem frühen Zeitpunkt, Anfang der 1970er Jahre, jedoch noch nicht mit der Entspannungspolitik vereinbaren. So nutzten zwar beide Staaten von Anfang an auch die aufkommende Umweltpolitik, nicht jedoch für die übergeordnete Entspannungspolitik, sondern zunächst für ihre jeweils eigenen Interessen auf der internationalen Bühne: Die DDR wollte eine Verbesserung ihres völkerrechtlichen
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Müller, Innenwelt, S. 81; ähnlich auch bei Uekötter, Deutschland, S. 136. Als solches beispielsweise bezeichnet in: PA AA, B 28, ZA, Bd. 109308, Stand der KSZE-Vorbereitung bezüglich wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen, Konzept, o. V., 30. 10. 1972; PA AA, B 75, ZA, Bd. 132165, 37. Generalversammlung, 2. Ausschuss International Cooperation in the Field of the Environment, Drahtbericht Nr. 3643, New York UNO an das AA, Günther van Well, 9. 12. 1982. Vgl. Macekura, Limits, S. 500; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 267; Gassert, Entstehung, S. 356–358. Vgl. Görtemaker, Ursprünge, S. 46 f.; Stöver, Kalter Krieg, S. 381–388; Niedhart, Entspannung, S. 15–17; Schmidt, Wurzeln, S. 543 f.
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I. Genese der Umweltpolitik
Status‘, nämlich die Anerkennung erreichen, während die Bundesrepublik jenes zunächst zu verhindern suchte. Der Kalte Krieg und der damit einhergehende Systemwettstreit wirkten demnach wie ein Katalysator für die umweltpolitischen Entwicklungen im jeweiligen deutschen Staat, um das neue Politikfeld dann auf der internationalen Ebene für ihre unterschiedlichen außenpolitischen Ambitionen in der Systemauseinandersetzung zu instrumentalisieren. Entgegen der Intention der beiden Supermächte führte das wiederum zu einem atypischen, der Entspannungspolitik eher hinderlichen deutschen Verhalten. Das wird in ihrer Auseinandersetzung um eine Teilnahme der beiden Nichtmitglieder der UNO an der Umweltkonferenz in Stockholm 1972, und zuvor in Prag, besonders deutlich. Bevor es also in der internationalen Arena zu diesem kalten Kampf um Einfluss sowie die Etablierung deutsch-deutscher Umweltkontakte kam, ist ein Blick auf die vielfältigen Ursprünge, Stimmungslagen, Wissenstransfers und Entwicklungspfade des neuen Politikfeldes sowohl international als auch in beiden deutschen Staaten notwendig.
1. Zwischen Krise und Aufbruch — die Entstehung der Umweltpolitik Für das vermeintlich plötzliche Auftauchen der Umweltpolitik wie aus dem Nichts wird in der umweltgeschichtlichen Forschung der Begriff der „ökologischen Revolution“ diskutiert. Neu war in dieser Hinsicht im deutschen Sprachgebrauch ab 1969 tatsächlich das Aufkommen der Bezeichnung „Umweltschutz“ als direkte Entlehnung aus dem englischen environmental protection. Damit war die „Gesamtheit aller menschlichen Lebensgrundlagen unter Einschluss künstlicher Umwelten“ gemeint.5 Joachim Radkau plädiert dafür, den Umweltboom in die Reihe der großen Aufklärungen zu setzen, so „dass auch das Umweltbewusstsein, sobald es sich mit politischer Macht verband, eine ‚Dialektik der Aufklärung‘ in Gang setzte.“ 6 Er präzisiert als neu zudem, dass die Form beziehungsweise die administrative Bündelung von verschiedenen Umweltthemen eine hohe Vernetzung und Breitenwirkung erzielte und einen globalen Horizont einbezog,7 während sie zuvor eher einzelne, regional und lokal betrachtete Elemente gewesen seien.8 So wird der Begriff der „ökologischen Revolution“ um 1970 zwar oft rezipiert und gleichzeitig aber für die Bundesrepublik abgelehnt: Denn obwohl neue, in die Gesellschaft wirkende Tendenzen festgestellt werden können, so überwog letztlich doch – zumindest politisch-administrativ – die Kontinuität.9 Deshalb votieren un5 6 7 8 9
Engels, Naturpolitik, S. 21. Radkau, Ära, S. 149. Vgl. ebenda, S. 28. Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 23. Vgl. Radkau, Ära, S. 170 f., er distanziert sich davon: S. 28, 134–137. Unterschiedliche Äußerungen zum Begriff bei Uekötter, Rauchplage, S. 394–406, hier S. 404; ders., Ende der Gewissheiten, S. 21, 110; ders., Deutschland, S. 139.
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ter anderem Jens Ivo Engels oder Kai Hünemörder für den schwächeren Begriff einer „ökologischen Wende“, die in diesen Jahren vollzogen wurde.10 Für die Sowjetunion und gegebenenfalls ihren Einflussbereich ist zwar ebenfalls ein Wandel in den 1970er Jahren auszumachen, der jedoch noch genauer untersucht werden müsste.11 Die Politisierung des Umweltthemas um 1970 lag nicht in einer einzelnen, plötzlich auftretenden Umweltkatastrophe begründet,12 sondern in einer sich allmählich einschleichenden „Umweltangst“ 13 und zunehmenden Technik- und Fortschrittskritik. Hatten Ost und West in den 1950er und 1960er Jahren den technischen Fortschrittsgedanken noch gemeinsam, weshalb sie auch hierin in einer wettbewerblichen Auseinandersetzung zueinander standen, zeigte die industrielle Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Schattenseiten. Diese wurden nach zwei Jahrzehnten des Wachstums und Wohlstands der Industrienationen im Westen verstärkt wahrgenommen, weshalb anstelle des Fortschrittsoptimismusses der 1950er und 1960er Jahre ein dämpfender Fortschrittspessimismus trat.14 In diesem Zusammenhang wird oft Ronald Ingleharts These vom „Wertewandel“ und postmateriellen Diskurs angeführt. Nachdem sich die Menschen nach dem Wiederaufbau – im Westen – nach 1945 um Werte wie Arbeit, Ernährung, persönliche Sicherheit nicht mehr sorgen brauchten, traten „postmaterielle“ Bedürfnisse wie Umweltschutz, Feminismus, Selbstverwirklichung und Lebensqualität in den Vordergrund. An dem Begriff „postmateriell“ scheiden sich jedoch die Geister und auch hierfür gilt, es ist eine Idee – sicherlich – von vielen, die zur Erklärung des westlichen Umweltdiskurses der 1970er Jahre beitragen kann.15 Für die DDR wurde diese These bisher kaum problematisiert, doch müsste hier ein längerer Zeithorizont gewählt werden.16 Die Krise der Moderne fand quasi einen neuen Aufbruch in der Umweltpolitik. Für diesen Wandel, der das Aufkommen einer allgemeinen Umweltpolitik und eines breiter werdenden Umweltbewusstseins begünstigte, spielten mehrere Faktoren aus Politik, Gesellschaft, industrieller Moderne und Entwicklung, Kultur, Tradition, Wissenschaft und Ideologie eine Rolle.
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Vgl. Engels, Umweltgeschichte, S. 35, in URL: https://www.bpb.de/apuz/29840/umweltge schichte-als-zeitgeschichte [31. 5. 2022]; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 155. 11 Vgl. Obertreis, Naturbeherrschung, S. 121. 12 Vgl. Radkau, Ära, S. 140, 148; Dominick, Capitalism, S. 315. 13 Vgl. Schulz-Walden, Anfänge, S. 58, 63; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 256; Kupper, 1970er Diagnose, S. 341. 14 Vgl. Seefried/Hoffmann, Einleitung, S. 18, 33; Kupper, 1970er Diagnose, S. 348; Gestwa, Ökologischer Notstand, S. 351–353; Metzler, Konzeptionen, S. 83, 89, 228, 404–406, 418. 15 Vgl. Inglehart, Silent Revolution, S. 3–18, 42, 117–126. Dass die Idee vom „Wertewandel“ eine gewisse Relevanz hat, bei Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 104–106; seine Theorie lasse sich jedoch nicht eindeutig auf Umweltprobleme anwenden, ders., Ökologische Verflechtungen, S. 125; ähnlich bei Köster, Hausmüll, S. 238–240; Ablehnung, dass Neue Soziale Bewegungen „postmaterialistisch“ seien bei Tompkins, Better Active, S. 25. 16 Vgl. Heinemann, Wertewandel, in URL: http://docupedia.de/zg/heinemann_wertewandel_ v1_de_2012 [31. 5. 2022].
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1.1 Internationale und gesellschaftliche Entwicklungen Die Beschäftigung mit der Natur und ihres Schutzes reicht in Deutschland und anderen Teilen der Welt weiter zurück als die „ökologische Revolution“ oder auch „Wende“ um 1970 einem zunächst Glauben machen möchte. Nicht umsonst wird den Deutschen und ihrer Beziehung zum Wald beispielsweise ein ganz besonderes Verhältnis nachgesagt. So evozierte die gezielte, systematische Ausbeutung natürlicher Ressourcen in der (industriellen) Moderne gleichzeitig eine nähere Beschäftigung mit der Natur und ihren eigenen Gesetzen. Frühes Beispiel hierfür aus dem 18. Jahrhundert ist die Entwicklung nachhaltiger Forstwirtschaft und die Errechnung des maximalmöglichen Ausbeutens eines Waldbestandes. Der Galoppritt durch die Geschichte kennt die Gründung von Tier- und Naturschutzvereinen und erste Kongresse derselben, frühe Gesundheitsämter als auch moderne Infrastrukturen wie Kanalisationen und Klärwerke für Flüsse als auch die Lebensreform-, Hygiene- und Heimatschutzbewegung bereits zur Zeit des Kaiserreichs gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Motive der überwiegend aus dem Bildungsbürgertum stammenden Akteure reichten von der Ablehnung verkünsteltem Lebens, einem konservativen Antikapitalismus, über einen völkischen Nationalismus bis hin zu Gesundheitsbedenken und religiöser Sorge um die Bewahrung der Schöpfung. Erstmals systematisiert wurden erste Anlaufstellen für den Natur- und Landschaftsschutz im Reichsnaturschutzgesetz von 1935 zur Zeit des Nationalsozialismus.17 International gesehen betrieben obengenannte Lobbygruppen der Vogelschutzvereine und anderer gesellschaftlicher Netzwerke Interessenpolitik vor dem Völkerbund, um bereits in den 1920er und 1930er Jahren eine Art „Umweltdiplomatie“ zu etablieren. 1948 verbanden sich die Naturschützer zunächst als Expertennetzwerk in der Weltnaturschutzunion, der späteren International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN), die von jeher eng mit der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) zusammenarbeitete.18 Die frühe Natur(schutz)politik des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bildet also den Rahmen und damit einen wichtigen Baustein im Puzzlebild der 1960er und 1970er Jahre. Konkrete Umweltverschmutzungen dürfen in diesem Bild dennoch nicht fehlen. Ein markantes Umweltproblem, das die aufkommende internationale Umweltpolitik später nachweislich prägte, war die Smogkatastrophe von London 1952. Acht Tage lang lag ein dicker, schwarzer Nebel aus Ruß und Staub über der Stadt und nahm ungefähr 4000 Menschen das Leben. Diese Katastrophe setzte einen wissenschaftlichen internationalen Austausch in Gang, der sich in den 1960er Jahren zusehends intensivieren sollte.19 Zu dieser Zeit wurde die Luftver-
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Vgl. Radkau, Ära, S. 47–49, 55–58, 73–81, 96–100; Engels, Naturpolitik, S. 36–37; 40–41. Vgl. z. B. zum Problem von Schweröl im Meer Wöbse, Weltnaturschutz, S. 94–130; Radkau, Ära, S. 104–108. 19 Vgl. Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 277–280.
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schmutzung jedoch noch eher als nationales denn transnationales Problem aufgefasst.20 Das zeigte sich ebenfalls an lokalen Protesten gegen Kohlekraftwerke, die kaum nationale Aufmerksamkeit erhielten.21 Das änderte sich erst als Wissenschaftler in Schweden entdeckten, dass ihre Seen zunehmend versauerten, wofür sie die grenzüberschreitende Luftverschmutzung vornehmlich aus den Industriezentren Englands, der Bundesrepublik und Osteuropas verantwortlich machten. Technisch war es erst Mitte beziehungsweise Ende der 1960er Jahre möglich geworden, was bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gefordert wurde, nämlich die Ausbreitung von Schadstoffemissionen genauer zu bestimmen.22 Das Phänomen war nun nicht mehr national und lokal begrenzt. Es musste daher mittels internationaler Regelungen angegangen werden. Internationale Regierungskonferenzen bildeten generell Vorläufer für die Verdichtung und Neukonzeption von Umweltschutz, die letztlich um 1970 stattfand: Im Jahr 1964 beteiligten sich 58 Länder an internationalen Forschungsprogrammen zum Thema der Ökologie („International Biological Program“), welches die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zum Ziel hatte. Dieses wurde vier Jahre später von der Biosphärenkonferenz der UNESCO in Paris (1968) ergänzt.23 Dort implementierte der russische Bodenwissenschaftler und ehemalige Direktor des Natural Sciences Department der UNESCO Viktor Kovda erfolgreich und mit weitreichenden Folgen den Begriff der „Biosphäre“. Der vom russischen Geologen Wladimir Iwanowitsch Wernadski (1863–1945) entwickelte Terminus beschreibt die Gesamtheit aller Räume eines Himmelskörpers, auf dem sich Leben bilden kann. Vor allem in den USA entwickelte sich daraus wiederum das Denken über das Ökosystem.24 Im darauf folgenden Programm „Man and Biosphere“ (1970) widmeten sich die Konferenzteilnehmer der Probleme der oben angesprochenen Luftverschmutzung, der Ressourcenknappheit und der Bevölkerungszunahme.25 Darüber hinaus rief die UNESCO gemeinsam mit der World Meteorological Organization (WMO) ab 1965 eine „International Hydrological Decade“ (IHD) aus, um vor allem Wissenschaft und Kooperation für diese sensible Ressource zu stärken.26 All diese und andere Konferenzen der 1960er Jahre wirkten beschleunigend auf eine integrierende Problemsicht des Umweltschutzes in West als auch Ost.27 1967 unterbreitete die ČSSR der ECE den Vorschlag für eine Umweltkonferenz in Prag.28 Und die schwedische Regierung schlug letztlich dem Wirtschafts- und Sozialrat der UNO, dem Economic and Social Council (ECOSOC), eine Umweltkon-
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Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 141. Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 156, 160–170. Vgl. Radkau, Ära, S. 230. Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 279 f. 24 Vgl. Obertreis, Desert Dreams, S. 405. 25 Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 279 f. 26 Vgl. Nace, Water and Man, S. 5. 27 Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 280; Radkau, Ära, S. 141. 28 Vgl. Janáč/Olšáková, Road to Stockholm, S. 7–11; siehe auch Teil I, Kap. 2.1.
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ferenz in ihrem Land vor. Mit der Resolution Nr. 2398 (XXIII): „Problems of the human environment“ beschloss die Generalversammlung am 3. Dezember 1968 eine solche für den Sommer 1972 in Stockholm durchzuführen.29 Allein die Ankündigung der Konferenz löste ein weltweites Umdenken aus, das zur Gründung von Umweltministerien und zu einem größeren Umweltbewusstsein führte. Parallel zur UNO entwickelten auch andere Internationale Organisationen wie beispielsweise die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) Analysen und Konzepte zu dem aufkommenden Problembereich.30 Neben Wettbewerbsverzerrungen, die unbehandelte Umweltprobleme international herbeiführen konnten, stellte eine weitere Säule für die politische Beschäftigung mit dem, was letztlich unter „Umweltpolitik“ firmierte, das Verlangen nach Sicherheit dar.31 Bereits Ende der 1960er Jahre wurde der Umweltschutz neben der militärischen und zivilen als „dritte“ soziale Dimension von Sicherheit mit dem Committee for the Challenges of Modern Society (CCMS) in der NATO aufgenommen.32 Die Nixon-Administration erkannte schon früh eine internationale Umweltpolitik als Werkzeug für die größeren Zusammenhänge der Entspannungspolitik.33 Ähnlich sah es bei den Warschauer Vertragsstaaten aus: Im Budapester Appell von 1969, in dem sie eine europäische Sicherheitskonferenz forderten, spielten umweltpolitische Erwägungen ebenfalls eine Rolle.34 Auch der Europarat beschäftigte sich seit den 1960er Jahren mit dem Thema Natur und beschloss für das Jahr 1970 ein „europäisches Naturschutzjahr“ mit vielfältigen Veranstaltungen zum Thema auszurufen.35 Parallel dazu feierten Hunderttausende in den USA im selben Jahr am 22. April den „Earth Day“, initiiert durch den Begründer der Umweltschutzgruppe „Friends of the Earth“ (1969), David Brower. Brower prägte den Sinnspruch für den modernen amerikanischen Umweltaktivismus „Think globally, act locally“.36 Beeinflusst wurden solche Initiativen auch von dem ersten aus dem All fotografierten Bild der aufgehenden Erde („Earthrise“) während der Apollo-8-Mission am 24. Dezember 1968. Das „Time
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Vgl. Problems on the human environment, General Assembly Resolution No. 2398 (XXIII), 3. 12. 1968, in URL: http://www.worldlii.org/int/other/UNGA/1968/23.pdf [30. 5. 2022]. Siehe dazu auch Kap. I.2.2. 30 Vgl. zur OECD z. B. Meyer, Pay for Pollution?, S. 377–398. 31 Vgl. Uekötter, Consigning Environmentalism, S. 23; Kupper/Seefried, Vision of Doomsday, S. 69. 32 Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 141–143; Macekura, Limits, S. 493; Seefried, Globale Sicherheit, S. 354 f., 370–372. Siehe dazu auch die Diskussion auf StS-Ebene im Auswärtigen Amt: PA AA, B 9, ZA, Bd. 178369, Protokoll über die Ressortbesprechung vom 16. Juni 1969, Referat II A 7, 18. 6. 1969. 33 Vgl. BArch, B 136, Bd. 14329, Teil 1, Vermerk Dr. Schumacher, Referat V/1 (Planungsabteilung), BKAmt, 27.8.197. Siehe auch Macekura, Limits, S. 500; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 143–145, 152, 158; Müller, Innenwelt, S. 82; Schulz-Walden, Anfänge, S. 79–92. 34 Vgl. Memorandum der Budapester Außenministerkonferenz, in: Deutschland Archiv (DA) 8 (1970), S. 861–863, hier S. 862; Hünemörder, Environmental Crisis, S. 259. 35 Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 279 f.; Meyer, Pushing, S. 62. 36 Vgl. Radkau, Ära, S. 143 f., 146 f.
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Magazine“ betitelte es für das endende Jahr mit „Dawn“ (Untergang), was der Interpretation der Zeit entsprach. Das vollkommene Bild des blauen Planeten, die „Blue Marble“ (1974) avancierte später zum Symbol für die Umweltbewegung.37 Zudem kursierten Metaphern wie „Raumschiff Erde“ oder es sei „5 vor 12“ auf der Doomsday Clock im „Bulletin for Atomic Scientists“, um die drohende Gefahr – die Zerstörung von Menschheit und Planeten – anzuzeigen. Beide Bilder verweisen darauf, wie der komplexe Zusammenhang von Umwelt auch in Raum und Zeit expandierte.38 Nicht nur Bilder und Metaphern fanden, insbesondere durch das Leitmedium Fernsehen, eine schnelle mediale Verbreitung, sondern auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse. So markierte das Buch „Silent Spring“ von Rachel Carson (1962) den Ausgangspunkt der Kritik an der industriellen und chemischen Massenproduktion. Teils fiktiv, teils real schilderte die Autorin darin, wie die Umwelt durch das Pflanzenschutzmittel Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) vergiftet wird. So verstumme der Frühling, da die Vögel das Umweltgift nicht überlebten. Ihre Forschung fußte wiederum auf Erkenntnissen aus der Arbeitsmedizin, die bereits früh die toxische Wirkung vieler Umweltgifte nachgewiesen hatte und ab den 1930er Jahren eine größere Aufmerksamkeit erhielt.39 Die Entdeckung von Strontium-90 Isotopen in Milchzähnen von Kindern in den 1950ern oder der Zusammenhang von Bronchitis und Asthma mit Luftverschmutzung führte zur Verschmelzung vom Umwelt- und Gesundheitsdiskurs.40 Der Mikrobiologe und amerikanische Umweltschützer Barry Commoner fasste dies in seinem ersten „Gesetz der Ökologie“ zusammen: Everything is Connected to Everything Else – alles ist mit allem vernetzt.41 Andere Sachbücher wie „Spaceship Earth“ (1966) von Barbara Ward oder die „Bevölkerungsbombe“ (1968) von Paul R. Ehrlich waren in den 1960ern ebenfalls maßgeblich rezipiert und weit verbreitet. Damit verschafften die Publikationen im Gefühl für ihre Zeit der Mensch-Umwelt-Beziehung und den zunehmend sichtbar werdenden Umweltschäden allmählich einige Aufmerksamkeit, um in das Bewusstsein von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zu dringen.42 Doch statt wie gewohnt sachlicher, eher zurückhaltender Berichterstattung verbreiteten die Medien einen Alarmismus, der den Eindruck vermittelte, der Zustand der Umwelt habe sich binnen kurzer Zeit dramatisch verschlechtert.43 Und Umweltkatastro-
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Vgl. John Noble Wilford, On Hand for Space History, as Superpowers Spar, in: The New York Times, 13. 7. 2009, in URL: https://www.nytimes.com/2009/07/14/science/space/14mission. html?pagewanted=all [8. 5. 2022]; Radkau, Ära, S. 128, 139, 156. 38 Vgl. Radkau, Ära, S. 124, 139 f.; Kupper, 1970er Diagnose, S. 346; Seefried, Zukünfte, S. 265. 39 Vgl. Carson, Silent Spring, S. 150–151; Radkau, Ära, S. 88; Engels, Naturpolitik, S. 214–218; Kupper/Seefried, Vision of Doomsday, S. 68–71. 40 Vgl. Gassert, Entstehung, S. 347–350; Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 279. 41 Vgl. Radkau, Ära, S. 144; siehe zur politischen Verflechtung Deuerlein, Interdependenz, S. 183. 42 Vgl. Kupper, 1970er Diagnose, S. 328, 345 f. 43 Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 222; Radkau, Ära, S. 148.
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phen dieser Zeit, wie das Tankerunglück der SS Torrey Canyon 1967 vor der Küste von Cornwall, schienen die aufkommende Technikkritik Ende der 1960er Jahre zu bestätigen.44 Die „Ökologie“, eine Teildisziplin der Biologie, erlebte zu dieser Zeit ihren wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg als wissenschaftliche Fachrichtung. Die „Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und ihrer belebten und unbelebten Umwelt“ fand Eingang in die Politik- und Alltagssprache und wurde bald zum Umweltschutzbegriff synonym gebraucht.45 Daneben spielte eine weitere wissenschaftliche Disziplin, nämlich die damals vor allem in den USA etablierte Zukunftsforschung mit ihrer Methode der Kybernetik, der Wissenschaft von vernetztem Denken und Kreisläufen, keine unwichtige Rolle, um das Puzzlebild Stück für Stück zusammenzusetzen. Die Erkenntnis der Interdependenz von Natur und Gesellschaft spielte sowohl für die Futurologen als auch Ökologen eine immanent wichtige Rolle. Die Zukunftsforschung entstand, um die Politik mit vorausschauender Planung, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und systematischen Zugriffen auf gesellschaftliche Prozesse zu versorgen. Diese Wissenschaft nahm sich allerdings den Untergangspessimismus der Zeit an. Zwar war die Existenz negativer Umwelteinflüsse nicht neu, aber was ihnen zuvor gefehlt hatte, war die Untermauerung mit „exakter“ Wissenschaftlichkeit.46 Mit Hilfe der Zukunftsforschung und der Kybernetik konnten um 1970 statt vager Zivilisationskritik nun konkrete Handlungsentwürfe erstellt, das heißt, mittels moderner Methodik und rational-technischem Denken konnte Umweltschutz zu Politik gemacht werden – so das Verständnis der „Umweltplaner“ in der Bundesrepublik.47 Die aufkommende Technik- und vor allem Wirtschaftskritik fand ihren Höhepunkt in der Studie des Club of Rome von Dennis Meadows et al zu den „Grenzen des Wachstums“ (1972). Im Sinne der Kybernetik wurden die Teilbereiche der Studie – Bevölkerung, Nahrungsmittelproduktion, Industrialisierung, Umweltverschmutzung und Konsum von nichterneuerbaren Ressourcen – nicht isoliert voneinander, sondern im Zusammenhang betrachtet. Anhand des Bildes einer Lilienpflanze, die rasant (exponentielles Wachstum) einen Teich zuwächst, wurde das Problem beziehungsweise die Kritik des grenzenlosen Wachstums auch für die Politik verständlich. Forderungen nach Entschleunigung und „Nullwachstum“ konnten nun durch diese Studie politisch legitimiert werden.48 Die Ideen, dass Bevölkerungswachstum und Ressourcenverbrauch bald an ihre Grenzen stoßen würden, waren zwar ebenfalls nicht neu. Aber die angewandte kybernetische Me-
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Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 224; Seefried, Rethinking Progress, S. 380. Vgl. Haefeli-Waser, Ökologie, in URL: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008428/2009-08-20/ [8. 5. 2022]; siehe zur Nutzung des Begriffs Hasenöhrl, Zivilgesellschaft, S. 36 f. 46 Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 281. Brand, Umweltbewegung, S. 224; Metzler, Konzeptionen, S. 141, 151, 406, 415. 47 Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 280–282; Hannig, Suche nach Prävention, S. 55 f.; Metzler, Konzeptionen, S. 77–80; Seefried, Traum S. 179, 183, 186–190, 194–203, 207–210; siehe zur Umweltpolitik der Bundesrepublik Kap. I.1.3. 48 Vgl. Kupper, 1970er Diagnose, S. 345 f.; Kupper/Seefried, Vision of Doomsday, S. 54–57.
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thodik und Systemanalyse, errechnet über ein Modellierungsmodell an einem Computer am Massachusetts Institute of Technology, brachte die wissenschaftliche Unterfütterung dessen, was bereits „in der Luft“ lag. Damit bestätigte die Studie einen Trend, der längst begonnen hatte. Sie konnte sich nur dadurch als Bestseller verkaufen.49 Durch die Kombination exponentieller Faktoren wie Bevölkerungswachstum und Industrieproduktion mit begrenzten Komponenten wie Nahrung und nichterneuerbarer Ressourcen konstruierte die Studie indes automatisch einen Fokus auf den globalen Kollaps. Die Initiatoren der Studie konnten mit diesem Ergebnis jedoch ihre Lösungen für die Welt anbieten: Um das Wachstum kontrolliert zu beenden, appellierten sie an die Staaten, für eine Austeritätspolitik und globale Planung unter Führung westlicher Industrienationen einzutreten. Mit Letzterem bauten sie auf den Vorstellungen einer planbaren Zukunft der 1950er und 1960er Jahre auf. Die Folgen wären ein autoritäres Regieren und Freiheitsbegrenzungen gewesen.50 Die intellektuelle Elite des Westens spaltete das Buch in pro und contra. In 37 Sprachen übersetzt, stimulierte es weltweit Debatten und erhielt eine akribische Medienaufmerksamkeit. Der Leiter der Abteilung „Umweltschutz“ im Bundesinnenministerium (BMI) Peter Menke-Glückert hielt es jedoch für miserabel fundiert und den beinhaltenden Pessimismus für kontraproduktiv. Barry Commoner hielt es für einen Rückschritt.51 In der Sowjetunion waren insbesondere Wissenschaftler an der Studie interessiert. Sie verfolgten in der Debatte vor allem den Zugriff auf und das Wissen über zukünftige globale Ressourcen. 1977 fand sogar mit dem Club of Rome ein Follow-up-Treffen unter dem Titel „Aid to Policy Tool“ in der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften statt.52 Auch in der DDR war das Buch in seiner westdeutschen Ausgabe in Bibliotheken zugänglich – blieb jedoch vermutlich auf bestimmte Personengruppen beschränkt. Wissenschaftler konstatierten allerdings, dass die Studie des Massachussetts Institute of Technology keine sozialistischen Staaten untersucht hatte und demnach nicht für diese gelte. Der emeritierte Professor für Wirtschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin Jürgen Kuczynski hielt sie für übertrieben und falsch berechnet. Zwar räumte er auch für den Sozialismus Umweltprobleme durch neue Wirtschaftsprozesse ein, die langfristig gesehen jedoch durch entsprechende Maßnahmen und internationale Bemühungen gelöst würden. Gegen die westliche „Umwelthysterie“ und „Kassandra-Rufe“ wandten sich als staatliche Organisation auch die „Natur und Heimatfreunde“. Sie alle sahen in dem Buch den scheiternden Versuch, das kapitalistische System zu rechtfertigen und standen damit der Auffassung der SED Gewehr bei Fuß.53 Andere, alternative Umweltgruppen rezipierten „Die Grenzen des Wachstums“ vermehrt erst in den 1980er Jahren, während in den 1970ern eher
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Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 223; Kupper/Seefried, Vision of Doomsday, S. 50–53, 68–74. Vgl. Kupper/Seefried, Vision of Doomsday, S. 49–54, 57 f., 71. Vgl. zu Menke-Glückert, ebenda, S. 61–65; zu Commoner: Radkau, Ära, S. 149. 52 Vgl. Kupper/Seefried, Vision of Doomsday, S. 65 f. 53 Vgl. Steinmetz, Landeskultur, S. 108–113.
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eine theoretische Auseinandersetzung mit der Studie erfolgte. So entwickelten die Dissidenten Wolfgang Harich, Rudolf Bahro und Robert Havemann eigene auf einen Wachstumsstopp ausgelegte Öko-Utopien. Tendierte Harich zu einer archaistisch-asketischen Ökodiktatur, entwarfen Havemann und Bahro eher anarchokommunistische Gegenvorstellungen zur DDR.54 Der beschriebene Umweltboom beziehungsweise die gefühlte „Umweltkrise“ war allerdings, wie auch der Literatur bis jetzt anzumerken ist, ein überwiegend westliches Phänomen.55 Für den Ostblock, hier insbesondere die Sowjetunion, ist die „ökologische Wende“ um 1970 in der Forschung bisher weniger diskutiert worden. Zwar lohne es sich nach Obertreis auch für den Ostblock davon zu sprechen, sie müsse nur genauer datiert werden.56 Nach ihrer Machtergreifung führten die Bolschewiken quasi einen imaginierten Krieg gegen die Natur mit ihrer Vorstellung, sie könne vom Menschen beherrscht und transformiert werden (Stalins Großer Plan für die Transformation der Natur).57 Das kann wiederum nicht eins zu eins auf die ostmitteleuropäischen Länder übertragen werden. Umfassende Großplanungen wurden durch nationales Beharren auf Eigenständigkeit hier eher verhindert, doch fehlen dazu noch differenzierende Betrachtungen der Forschung.58 Nach Stalins Tod 1953 wurden in der Sowjetunion die Naturschutzverbände jedoch wieder aktiv. Die Wissenschaftler, die sich dort hauptsächlich engagierten, wurden zwar im Stalinismus marginalisiert, aber nicht als Bedrohung empfunden. Zwischen 1957 und 1963 erließen die Regierungen in den Sowjetrepubliken zwar Naturschutzgesetze, die allerdings eher deklaratorischen Charakter hatten und kaum befolgt wurden. Die Sowjets propagierten somit früher als der Westen die Werte des sozialistischen Umweltmanagements. Nach Stephen Brain nahm dies aber eher die Form eines fast schon hagiografisch anmutenden naturliebenden Lenins an.59 Unterdessen formierte sich in den 1960er Jahren in der UdSSR lokaler Protest gegen spezielle Großprojekte, wie Kraftwerke an Flüssen oder Bewässerung (Irrigation) in der Landwirtschaft, begleitet von Kritik an der Moderne, nicht aber am Sozialismus. Die Diskussion blieb indes auf kleine wissenschaftliche und literarische Zirkel begrenzt und bildete keine Umweltbewegung im westlichen Sinne.60 Generell drehte sich der Umweltdiskurs in der Sowjetunion in den 1970er Jahren in Fachkreisen um die Termini der „rationellen Nutzung“ von Ressourcen – womit
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Vgl. ebenda; Gespräch der Autorin mit Karl-Heinz-Zwirnmann, 3. 12. 2020; Amberger, Bahro – Harich – Havemann, S. 25, 35–43; Seefried, Traum, S. 211; Brand, Umweltbewegung, S. 226; weder Harich noch Havemann hatten theoretischen Einfluss auf die unabhängigen DDR-Gruppen: Klein, Politisierung, S. 160. 55 Vgl. Radkau, Ära, S. 137; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 256. 56 Vgl. Obertreis, Naturbeherrschung, S. 121. 57 Vgl. Obertreis, Desert Dreams, S. 366–368. 58 Vgl. Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 22 f. 59 Vgl. Obertreis, Desert Dreams, S. 393–396; Brain, Appeal of Appearing Green, S. 451. 60 Vgl. Obertreis, Desert Dreams, S. 396; Gestwa, Ökologischer Notstand, S. 353–355; Weiner, Communism, S. 539.
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auch obiges Interesse an den „Grenzen des Wachstums“ erklärbar ist. Auch Barbara Wards Buch „Only one Planet“ (1972) wurde 1975 ins Russische übersetzt, das heißt, es bestand durchaus wissenschaftliches Interesse an westlicher Umweltliteratur. Der ökologische Diskurs in der Sowjetunion entstammte nach und nach aus einem wirtschaftlichen Denken heraus. Die Wirtschaftsreformen Nikita Chruschtschows und Leonid Breschnews aus den 1950er und 1960er Jahren reflektierten bereits die „rationelle Nutzung von Ressourcen“ auf staatlicher Ebene. Auch die wissenschaftliche Fachdebatte war in einen wirtschaftlichen und ideologischen Diskurs darüber eingebettet, dass der Kapitalismus Raubbau an der Natur betreibe, und es die sozialistischen Staaten besser machen können. Dieses Lippenbekenntnis klang zwar nicht ab, wurde jedoch ergänzt um die Ideen von der Zukunft der Kinder, einer Harmonisierung von Natur und Technik hin zu einer abfallfreien Produktion, als auch den Termini „Biosphäre“, „Ökologie“ und „Umwelt“. Die Transferleistungen in den 1960er und 1970er Jahren zwischen Ost und West im Umweltbereich als auch eine stärkere Differenzierung zwischen dem dichter besiedelten Ostmitteleuropa und der UdSSR bedürfen jedoch noch weiterer Forschung.61 Viele der Puzzleteile, die das Aufkommen dieser Umweltkrise und damit den umweltpolitischen Aufbruch beeinflussten, kumulierten also vor allem im Westen insbesondere zwischen den Jahren 1968 und 1970. Patrick Kupper votiert deshalb dafür, von einer „1970er Diagnose“ zu sprechen – in Anlehnung an das „1950er Syndrom“.62 Letzteres beschreibt die Zeit nach 1945 als Sattelzeit zwischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, in der die sich ausbildende westeuropäische Konsumgesellschaft einen entscheidenden Wachstumsschub erfuhr. Umweltbelastende Prozesse waren als solche noch nicht erkannt und nicht intendiert. Bis in die 1950er Jahre befand sich Europa noch auf einem umweltverträglichen Entwicklungspfad, bis sich die Preisschere zwischen billigem Öl und teurer Kohle zu weiten begann und sich die Konsumgesellschaft mit Waschmaschine, Auto und Urlaubsreisen eine neue Lebensweise gab. So bildeten sich durch den Zerfall der Energiepreise neue Konsumpraktiken, Siedlungsformen und energieintensive Produktionen heraus, die längerfristig Umweltschäden und verschwenderische Gewohnheiten im Verbrauch evozierten.63 Das änderte sich nach Kupper um 1970. Die Diagnose lautete, dass der technische Fortschritt und die „Planungseuphorie“ der 1960er Jahre vom Westen zunehmend infrage gestellt wurden.64 Und welchen Einfluss hatte der eben beschriebene internationale und gesellschaftliche Kontext auf die Entwicklung der Umweltpolitik in beiden deutschen 61
Vgl. Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 24–28; Obertreis, Desert Dreams, S. 394 f., 400–410; Obertreis, ökologische Katastrophe, S. 17–19; Obertreis, Naturbeherrschung, S. 121; Arndt, Umweltgeschichte, S. 11–13, in URL: https://docupedia.de/zg/Arndt_umweltgeschichte_v3_ de_2015 [2. 5. 2022]; Josephson, Umweltschäden, S. 345. 62 Vgl. Pfister, 1950er Syndrom; Kupper, 1970er Diagnose, S. 348; Metzler, Konzeptionen, S. 70, 404–408, 418. 63 Vgl. Pfister, 1950er Syndrom, S. 65 f., 70, 73–77. 64 Vgl. Kupper, 1970er Diagnose, S. 348.
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I. Genese der Umweltpolitik
Staaten? Politische Planung lag sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren zunächst in einem Machbarkeitsdenken, Technikoptimismus als auch in wirtschaftlichen Krisenerfahrungen (Mauerbau 1961 und kleine Rezession 1966) und in dem neuen Stellenwert von Wissenschafts- und Technikexpertise begründet. Dem lag die Vorstellung zugrunde, Wissen über die Zukunft mit neuen Methoden wie der Kybernetik, Systemanalyse und Modellrechnungen am Computer zu generieren, um dann längerfristig steuernde und gestaltende Handlungsentwürfe für die Politik entwickeln zu können. In den sozialistischen Staaten fand die Zukunftsforschung ihren Ausdruck in der Formel des „wissenschaftlichtechnischen Fortschritts“, der bis hin zu einer „Technikgläubigkeit“ ausufern konnte. Während es im Staatssozialismus nur die eine Zukunft der technischwissenschaftlichen Revolution mit dem finalen Ziel der kommunistischen Gesellschaft gab, so arbeiteten Think Tanks im Westen die vielfältigen, möglichen Zukünfte heraus, um möglichst das wahrscheinlichste Szenario dem wünschenswertesten näher zu bringen. So hatte die Zukunftsforschung die Technik- und Wachstumskritik selbst stimuliert, die letztlich Planungskonzepte und große Technologieprojekte zunehmend unattraktiv werden ließ. Sie wandelte sich von einem positiv in einen negativ konnotierten Bereich in den 1970ern und geriet darüber in die Krise, die unterschiedlich in Ost und West gelöst wurde. Führte die SED die wissenschaftlichen Experten von ihrem objektiven, rationellen Pfad wieder auf die ideologische Parteilinie zurück, um sie kontrollieren zu können, verband sich Planung in der Bundesrepublik zunehmend mit Wettbewerbsförderung. Damit hielten dort neoliberale Konzepte, aber auch ein gewisser Pragmatismus Einzug, der sich nach der Erkenntnis von den Grenzen einer planbaren Zukunft entwickelte.65 Bevor die Prognostiker im Osten und die Kybernetiker im Westen jedoch an Einfluss verloren, begannen 1968/69 sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik ihre Umweltpolitik zu planen und anzugehen. Der DDR wurde in dieser Hinsicht vielfach unterstellt, sie habe ihre Umweltschutzgesetzgebung im Hinblick auf eine Teilnahme an der vier Jahre später stattfindenden Umweltkonferenz in Stockholm ausgerichtet, und sei demnach eine Geburt der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges.66 Das ist per se nicht falsch, scheint jedoch als Erklärung zu kurz gegriffen. Zudem kann der Bundesrepublik eine ähnliche Motivation nachgewiesen
65
Vgl. Seefried/Hoffmann, Einleitung, S. 21–32; Seefried, Traum, S. 179–200, 218; Seefried, Zukünfte, S. 255–279; Metzler, Konzeptionen, S. 227–232, 404–408, 418. 66 Außenpolitisches Prestige und der Systemwettbewerb überwogen bei: Roesler, Umweltprobleme, S. 28; Radkau, Ära, S. 139; Steinmetz, Landeskultur, S. 114. Die Entspannung in Europa erhöhte den umweltpolitischen Druck auf die DDR nach Schwenk/Weisspflug, Umweltschutz, S. 41; bzw. sie konnte sich als „gleichberechtigt“ darstellen: Hünemörder, Environmental Crisis, S. 264 f. Widersprüchlich bei Huff, Natur: So sei die DDR-Umweltpolitik außenpolitisch motiviert, S. 21, 250, andererseits sei das Rennen um die Teilnahme an Stockholm nicht ausschlaggebend gewesen, S. 541; ähnlich auch Würth, Umweltschutz, S. 326; Möller, Umwelt, S. 17, 195 f.
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werden.67 Ost und West waren sich in ihren Entwicklungen daher gar nicht so unähnlich, wie die folgenden Kapitel zeigen werden.
1.2 „Sozialistische Landeskultur“ in der Deutschen Demokratischen Republik Umweltschäden in der DDR, entstanden durch den Raubbau an der Natur, seien das kapitalistische Erbe, das der neuen sozialistischen Gesellschaft vermacht wurde – so lautete der offizielle, staatliche Grundtenor, der ideologisch ausgeschlachtet wurde und sich in das Narrativ der Sowjetunion einfügte.68 Bereits mit der Staatsgründung der DDR 1949 begann allerdings eine wissenschaftlich geführte Debatte darüber, dass auch die Naturressourcen in die Wirtschaftspläne als eigenständiger Faktor integriert werden müssten. Im Juni 1953 überreichte beispielsweise der Landschaftsarchitekt Reinhold Lingner, vom Institut für Pflanzen- und Holzchemie in Tharandt, dem Sekretariat des Zentralkomitees der SED den ersten „Plan für die Durchführung der Umgestaltung der Natur in Deutschland“. Darin forderte der überzeugte und im Verhältnis Mensch-Umweltbeziehungen von den Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels inspirierte Sozialist unter anderem für die nächsten zehn Jahre 15 Mio. Mark (M69), um Grundlagenforschung, Forschungseinrichtungen und Verwaltungsstrukturen aufbauen zu können. Seine Pläne waren auf eine langfristige Nachhaltigkeit und demzufolge auf ein reduziertes Wirtschaftswachstum ausgerichtet. Der Zeitpunkt war nur denkbar schlecht gewählt. Der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 zerschlug diese Pläne. Eine bessere Versorgung der Bevölkerung und somit ein schnelles Wirtschaftswachstum hatten im Politbüro oberste Priorität.70 Zwar fiel 1958 ein weiterer Vorstoß ebenso wenig auf fruchtbaren Boden, dennoch fertigten Wissenschaftler, vor allem am Institut für Pflanzen- und Holzchemie in Tharandt, weiterhin Großraumdiagnosen für die Land- und Forstwirtschaft an. Dieses Institut bestand seit Beginn des 19. Jahrhunderts und besaß eine lange Tradition in der Rauchschadensforschung. Die Wissenschaftler forderten spätestens ab 1962 nach einem Ulmensterben (1952), einem Kiefernsterben und den Rauchschäden in der Dübener Heide Filteranlagen für den Asche- und Schwefeldioxidausstoß.71 Doch die DDR produzierte
67
Vgl. Weidner, Politikfeld, S. 155. Zur sogenannten „Erblasttheorie“ siehe u. a. Huff, Natur, S. 145; Neef/Neef, Sozialistische Landeskultur, S. 31 f.; Thüsing, Ökologie, S. 159 f.; Eckert, Geteilt, S. 84. 69 Die Währungsbezeichnung in der DDR hieß von 1948 bis 1964 ursprünglich „Deutsche Mark der Deutschen Notenbank“ und wurde DM abgekürzt. Um hier keine Missverständnisse mit der bundesdeutschen „Deutschen Mark“ (DM) aufkommen zu lassen, wird bereits hier auf den Namen der Währung, wie sie ab 1968 in der DDR bezeichnet wurde, verwiesen: Mark der DDR (M). 70 Vgl. Huff, Natur, S. 43–45; Huff, Umweltpolitik, S. 528–531. 71 Vgl. Brief Hans Reichelts, Minister für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft (1955– 1963), an Hans Stubbe, Präsident der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften vom 15. 10. 1962, zit. nach Huff, Natur, S. 116. 68
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bis zu ihrem Ende teilweise noch mit Anlagen, die vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren. Als Reparationsleistungen hatten die Sowjets sogar manchmal ganze Fabriken abgebaut.72 Im Folgenden führten letztlich wirtschaftliche und geologische Notwendigkeiten zu einer stärkeren Berücksichtigung ökologischer Faktoren. Nicht zu verkennen ist demnach der Fakt, dass die DDR seit Anbeginn mit einem geringen Wasserhaushalt von etwa 17,7 Mrd. Kubikmeter Wasser pro Jahr für Produktion- und Trinkwasserversorgung zu rechnen hatte. Im Vergleich dazu standen der Bundesrepublik 160 Mrd. Kubikmeter zur Verfügung, das heißt nahezu das Neunfache. Bereits am 1. Juli 1952 nahm das Amt für Wasserwirtschaft seine Arbeit auf. Neben der Anleitung, Kontrolle und technischen Betreuung der Wasserbetriebe hatte es die Aufgabe, Grundsatzfragen des Wasserrechts zu klären und auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft zu forschen. Brauchwasser wurde wegen der Wasserknappheit in der Produktion zuletzt mehrfach (bis zu neun Mal) verwendet. Etwa zehn Jahre später, am 17. April 1963, erging ein Wassergesetz, das Obergrenzen für die Schadstoffbelastung im Wasser vorsah, und bei deren Überschreiten Geldstrafen androhte.73 Erst im September 1966 folgte der Beschluss zu „Maßnahmen zur Reinhaltung von Luft“, in dessen Folge das Ministerium für Gesundheitswesen zwei Jahre später 48 Stoffe mit Höchstgrenzwerten belegte.74 Die neuen Regelungen ermöglichten den Betrieben, Schadensersatz für ausgefallene und durch Umweltverschmutzung evozierte Produktionsausfälle einzuklagen. So geschehen am 14. Dezember 1966, indem der Staatliche Forstbetrieb Dübener Heide den Volkseigenen Betrieb (VEB) Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld (EKB) auf 7 303 010 M Schadensersatz verklagte. Im Urteil wurden dem Forstbetrieb schließlich 1 515 527 M zugebilligt und beiden Betrieben Auflagen erteilt: Die Forstwirtschaft solle die Mittel nutzen, um ihren Betrieb auf die Immissionsbelastung einzustellen, die Industrie wiederum solle Gelder aufwenden, um Forschung darüber zu fördern, wie die Belastung gesenkt werden könne. Die Zeit, in der Kriegszerstörungen, der Wirtschaftsneuaufbau und die Spaltung Deutschlands Kräfte gebunden hätten, sei vorbei, so das Gericht.75 Diese ersten „Umweltschutz“-Gesetze sowie dieser Musterprozess fielen in die Zeit, in der die SED neue Wirtschaftsreformen anstieß. Das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung“ (NÖSPL) sollte die zentrale politische Steuerung der Wirtschaft lockern, Innovationskraft schaffen und den Betrieben weniger Planvorgaben erteilen. Allerdings mussten sie dann auch ihre Mittel selbst erwirtschaften. Über den „ökonomischen Hebel“ der marktwirtschaftlichen Schadensersatzforderungen sollten, wie im oben genannten Prozess dargestellt, die Betriebe
72 73
Vgl. Buck, Umweltpolitik, S. 246. Vgl. Roesler, Umweltprobleme, S. 7; Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 25, 59– 72; Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 474; Buck, Umweltpolitik, S. 239; Ault, Aquatic Conundrums, S. 207–208, 213. 74 Vgl. Huff, Umweltpolitik, S. 536; siehe zur Bodennutzung Roesler, Umweltprobleme, S. 19. 75 Vgl. Huff, Natur, S. 138–141; Huff, Umweltpolitik, S. 533–537.
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dazu gebracht werden, ressourcenschonender auf wissenschaftlich-technischem Höchststand zu produzieren.76 Daraus ergab sich indirekt auch ein ökologischer Faktor in der Produktion. In den 1960er Jahren experimentierten die Betriebe daher mit der Einplanung von Umweltschutzmaßnahmen in die Produktionskosten, aber sie planten auch Schadensersatzleistungen ein, die durch die umweltschädigende Produktion entstehen könnten.77 Das Reformprogramm, stimuliert durch die sozialistische Prognostik der 1960er Jahre wissenschaftliche Erkenntnisse in die Planwirtschaft zu integrieren, ermutigte auch Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, sich kritisch mit den ökologischen Folgen der Industrie auseinanderzusetzen.78 So fand parallel dazu eine Debatte der marxistisch-politischen Ökonomen statt, die sich der Frage widmete, wie Umweltprobleme mit den Vorstellungen von Karl Marx zu vereinbaren seien. Der Hintergrund war der, dass nach der marxistischen Lehre dem Boden und dem Wasser als Ressourcen kein (Tausch-)Wert zugewiesen wurde, da Marx und Engels von der Reproduktionsfähigkeit der Natur ausgingen und sie demnach als unbegrenzt ansahen. Im Gegensatz zur menschlichen Arbeit standen diese Ressourcen kostenlos zur Verfügung. Deshalb wurde diskutiert, ob die Arbeit, die für Umweltschutzmaßnahmen aufgewendet würde, nach Marx als „produktiv“ oder „unproduktiv“ zu bewerten sei. Eine Lösung für den Streit konnte in den Schriften selbst zunächst nicht gefunden werden, da Marx und Engels keine Naturtheorie formuliert hatten.79 Einzig Engels schrieb, dass sich die Natur für menschliche Siege über sie (Abholzung, Eindeichung etc.) rächen würde, der Mensch jedoch in der Lage sei mit Hilfe der Naturwissenschaften ihre Gesetze zu erkennen und demnach wiederum wisse, wie die Natur zu beherrschen sei.80 Diese Naturvorstellung diente im Sozialismus jedoch eher als Argument dafür, mittels Wissenschaft und Technik den Kommunismus aufzubauen. Daher schloss der Umweltbegriff in der DDR auch den Heimatbegriff ein.81 Einer der bekanntesten Streiter im politischen Umdenken von der bisherigen Tonnenideologie hin zu „rationeller Ressourcennutzung“ im Sozialismus war der Professor für Wirtschaftsgeschichte und Direktor der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst Hans
76
Vgl. Huff, Umweltpolitik, S. 534; Roesler, Umweltprobleme, S. 18; Seefried/Malycha, Planen, S. 12, 18–19, 44–45. Vgl. für die Sowjetunion, Josephson, Umweltschäden, S. 345; Reformen bei Breschnew: Schattenberg, Leonid Breschnew, S. 372–374. 77 Vgl. Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 474–477; Huff, Umweltpolitik, S. 534; Huff, Natur, S. 138–141. 78 Vgl. Seefried/Hoffmann, Einleitung, S. 12, 18 f.; Roesler, Umweltprobleme, S. 19; Herzberg, Ostmitteuropa, S. 21. 79 Vgl. Huff, Natur, S. 39–41; Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 477 f.; Ault, Saving Nature, S. 57 f.; Debatte habe keine praktischen Auswirkungen gehabt: Roesler, Umweltprobleme, S. 18. 80 Siehe Engels, Dialektik der Natur, S. 452–455. 81 Vgl. Ault, Aquatic Conundrums, S. 208 f.; Möller, Umwelt, S. 114 f., 186 f., 211. Siehe auch Stude, Strom, S. 9–11, 17–20. Marx’ Plädoyer für einen verantwortlichen Umgang mit der Natur wurde von der SED hingegen kaum rezipiert, vgl. Thüsing, Ökologie, S. 156; Gespräch der Autorin mit Karl-Heinz Zwirnmann am 13. 8. 2020, Müggelheim.
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Mottek. Er forderte, Produktion und Umwelt als ein System zu betrachten, und die Kosten für Umweltschäden dem Nationaleinkommen gegenüberzustellen, welches durch die zusätzliche Produktion ebenfalls gestiegen sein müsse.82 Die Stimmung in den 1960er Jahren unter Wissenschaftlern und in Teilen der Elite ist also mit einer „Aufgeschlossenheit der Notwendigkeit des Umweltschutzes“ 83 gegenüber zu charakterisieren. Ab 1967 ließ die SED die Studie „Prognose industrielle Abprodukte und planmäßige Gestaltung einer sozialistischen Landeskultur in der DDR“ erarbeiten. Deren Ergebnis war, dass die Produktion die Ursache für Umweltschäden sei. Umweltschutzmaßnahmen für Betriebe wären demnach sinnvoll, weshalb daraus politökonomisch geschlussfolgert wurde, dass den Umweltmedien wie Luft, Wasser und Boden doch ein Wert zugeschrieben werden müsse.84 Der interne ideologische Streit wurde also zentralistisch von oben politisch entschieden und führte dazu, dass das Thema „Umwelt“ beziehungsweise Naturschutz bereits in der neuen Verfassung der DDR von 1968 seinen Niederschlag fand: Art. 15 § 2: „Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzenund Tierwelt und der landschaftlichen Schönheit der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers.“ 85
Damit wurde Umweltschutz auch Teil der sozialistischen Gesellschaftsordnung, in dem er zum Aufbau des Kommunismus beitragen sollte.86 Bereits im Februar 1969 beriet die Ständige Arbeitsgruppe für „sozialistische Landeskultur“ beim Ministerrat der DDR unter Leitung von Dr. Werner Titel, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates, über ein entsprechendes Gesetz dazu. Begleitet wurde die Ausarbeitung von einem Aufruf an ausgewählte Räte der Kreise und Bezirke, Betriebe und landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) im Dezember, die ihre Kommentare und Ideen zur Vorlage des Gesetzes einbrachten.87 So kritisierten beispielsweise Persönlichkeiten wie der Naturschützer Reimar Gilsenbach oder der spätere stellvertretende Umweltminister Guido Thoms vorab die ursprüngliche wirtschaftliche Fokussierung des Gesetzes und konnten eine Änderung dessen bewirken. Es sollte aus der zwanzig-jährigen Erfahrung der bisherigen industriellen Produktion gelernt und ein Ausgleich mit der Natur geschaffen werden. Insbesondere Gilsenbach war daran gelegen, mit diesem Gesetz den „‚Ge-
82
Vgl. Mottek, Wirtschaftsgeschichte, S. 77–82; siehe auch Roesler, Umweltprobleme, S. 18; Schwenk/Weißpflug, Umweltschmutz, S. 68. 83 Roesler, Umweltprobleme, S. 21; siehe auch Würth, Umweltschutz, S. 27. 84 Vgl. Huff, Umweltpolitik, S. 537–538; Würth, Umweltschutz, S. 30. 85 Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968, Berlin 1972. 86 Vgl. Möller, Umwelt, S. 109; Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 22. 87 Vgl. BArch, DC 20, Bd. 19121, Bl. 22, Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Beschluss zum Entwurf des Gesetzes über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur in der DDR, 9. 10. 1969. Hünemörder bezweifelt die Einbeziehung von gesellschaftlichen Kräften. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 255.
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danken der Nachhaltigkeit, also der volkswirtschaftlichen Interessen auf lange Zeit‘“ zu verankern.88 Am 14. Mai 1970 erließ der Ministerrat das „Landeskulturgesetz“ (LKG). Sein Ziel und Inhalt waren, „die planmäßige Entwicklung der sozialistischen Landeskultur als System zur sinnvollen Gestaltung der natürlichen Umwelt“ (§ 1) zu nutzen. Es ermöglichte, den Umweltschutz in die zentrale Volkswirtschaftsplanung einzubeziehen (§ 4). In der Produktion sollten an und für sich wenige Abfallprodukte anfallen [§ 8(1)] und diese möglichst wiederverwertbar sein können. Dabei setzte die Politik auf die neuesten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik [§ 1(2) und 8]. Zuständig für die „Planung und Leitung“ der Aufgaben, die sich aus diesem Gesetz ergaben, waren der Ministerrat beziehungsweise alle Organe des Staates, die Betriebe und die Bürger (§ 3).89 Ein eigenes Ministerium war noch nicht vorgesehen. Von den Zeitgenossen, insbesondere in der Bundesrepublik, wurde dieses Gesetz als sehr fortschrittlich bewertet.90 Die historische Fachliteratur bemängelt allerdings die unverbindliche Ausdrucksweise des LKG in Kombination mit einer vom Staat abhängigen Justiz und dadurch fehlenden Kontrollinstanzen.91 Tobias Huff weist wiederum darauf hin, dass es sich um ein Rahmengesetz handelte, das mit mehreren Durchführungsverordnungen (DVO) im Laufe der Zeit präzisiert wurde. Problematisch seien jedoch die geringe Kompetenzabgrenzung und der Vorrang wirtschaftlicher vor ökologischen Interessen gewesen.92 Es besteht also ein klarer Unterschied zwischen dieser theoretischen Vorgabe und der praktischen Umsetzung. Das LKG sollte sowohl den Schutz der Natur als auch die wirtschaftliche Produktion gleichermaßen umfassen. So bedeutet beispielsweise allein das alte deutsche Wort Landeskultur die planmäßige Verbesserung („Melioration“), rationelle Nutzung und Kultivierung des Bodens.93 Desgleichen wird im LKG immer wieder darauf verwiesen, dass die „Maßnahmen so durchzuführen [seien], daß der Landschaftshaushalt nicht gestört“ wird, andererseits eine „Mehrfachnutzung
88
BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 10622, Stenografisches Protokoll der Tagung der Kommission Natur und Heimat im Deutschen Kulturbund zum Landeskulturgesetz, 19. 12. 1969, zit. nach. Möller, Umwelt, S. 178. Siehe zur Definition, Begriff und Konzept von Nachhaltigkeit o. V., „Nachhaltigkeit Definition“, in: Lexikon der Nachhaltigkeit, in URL: https://www.nachhaltig keit.info/artikel/definitionen_1382.htm?sid=4ah9jh05iauv7gtneeg4i05f31 [8. 5. 2022]; Seefried, Rethinking Progress, S. 377–378; Uekötter, Haus auf schwankendem Boden, S. 9. 89 Vgl. Gesetz über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur in der Deutschen Demokratischen Republik – Landeskulturgesetz – vom 14. Mai 1970, in: Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 12 vom 28. Mai 1970, S. 67–74. Siehe auch Ohlenforst, Umweltrecht, S. 530–537. 90 Vgl. Huff, Umweltpolitik, S. 538; Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 478. 91 Vgl. Krummsdorf, Terminologie, S. 56 f.; Klapper, Gewässerschutz, S. 238–240; Schwenk/ Weisspflug, Umweltschmutz, S. 40; Thüsing, Ökologie, S. 156, 168; Roesler, Unterschiede, S. 482; Roesler, Umweltpolitik, S. 22, 26. Eher nachsorgender statt vorsorgender Umweltschutz, bei Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 474–476. 92 Vgl. Huff, Natur, S. 172–173. 93 Vgl. Huff, Umweltpolitik, S. 537, Anm. 63; Würth, Umweltschutz, S. 46; Steinmetz, Landeskultur, S. 95 f.
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der Landwirtschaft“ möglich sein muss (§ 2 und 11) und „gesamtgesellschaftliche Interessen“ Vorrang haben. Das Credo „Natur und Umwelt schützen, aber auch nutzen“ wurde hier auf weitere Bereiche der Industrie ausgedehnt. Damit stellte das LKG in der Theorie weder die Umwelt vor die Wirtschaft, noch andersherum. Es ist stattdessen ein Kind seiner Zeit: langfristige Planung und Fortschrittsglaube der Prognostiker verhießen eine Verbesserung für Natur und Umwelt des Menschen in einer sozialistischen Gesellschaft. Die Planung der maximalmöglichen, aber schonenden Ressourcennutzung und die damit zusammenhängende wirtschaftliche Effizienzsteigerung sind daher im Kontext der Wirtschaftsreformen des NÖSPL, ab 1967 „Ökonomisches System des Sozialismus“ (ÖSS) genannt, zu verorten. So gesehen knüpfen sowohl Artikel 1594 der Verfassung als auch das LKG außerdem an den sowjetischen Wissenschaftsdiskurs von der „rationellen Nutzung der Ressourcen“ an. In einer später angepassten Definition bezeichnet die „sozialistische Landeskultur“ beziehungsweise die „Umweltgestaltung“ breiter aufzufassende und langfristig geplante Maßnahmen, die „die planmäßige proportionale Entwicklung […] der Produktions- und Reproduktionsbedingungen der sozialistischen Gesellschaft gewährleisten“ sollten.95 Der Begriff „Umweltschutz“ stand hingegen eher für kurzfristige Maßnahmen.96 Allerdings konnte sich der Terminus „sozialistische Landeskultur“ gegenüber dem Umweltschutzbegriff auch in der DDR kaum behaupten. Mit der zunehmenden internationalen Aufmerksamkeit für das Thema wandte sich auch die DDR vermehrt dem Wort „Umweltschutz“ im Sinne der westlichen Bedeutung zu, insbesondere im Vorfeld ihrer Aufnahme in die UNO 1973. Es war durch die Entlehnung aus dem Englischen der internationalere Begriff, der zudem eine breitere Öffentlichkeit und wachsendes Interesse hervorrief (Abb. 1).97 Mit dem Wechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker an der Parteispitze der SED im Mai 1971 wandelte sich auch der Umgang mit der Umweltpolitik. Auf das Wirtschaftsprogramm der 1960er Jahre folgte die von Honecker propagierte „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Durch stabiles Wirtschaftswachstum sollte ein höherer Lebensstandard der Bevölkerung gesichert werden. Zunächst machte die Regierung unter Honecker die marktwirtschaftlichen Experimente aus dem NÖSPL/ÖSS wieder rückgängig, von denen auch eine Umweltpolitik in der DDR profitiert hätte.98 Während Ulbricht sich auch noch auf das oben skizzierte Netz von Experten stützte und Vorschläge zumindest immer wieder aufgriff, sah Honecker Technokraten mit ihrem Fach- und Expertenwissen eher als Bedrohung
94
Huff bezieht den Zusammenhang zwischen NÖSPL und Umweltgesetzgebung nur auf die Verfassung. Siehe Huff, Natur, S. 168. 95 Neef/Neef, Sozialistische Landeskultur, S. 22, 581. 96 Vgl. Würth, Umweltschutz, S. 46; Krummsdorf, Terminologie, S. 53, 56. 97 Vgl. Würth, Umweltschutz, S. 46 f.; Herrmann, Umweltpolitik, S. 251. 98 Vgl. Huff, Natur, S. 186; Reichelt, Umweltpolitik nur Alibi, S. 143 f.
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Abb. 1: Erhebung der Häufigkeit der Begriffe „Umweltschutz“ und „Landeskultur“ im Neuen Deutschland 1945–1990; eigene Darstellung.
für die Herrschaft der SED an. Deshalb minimierte er ihren Einfluss zusehends und rezentralisierte die Planung.99 Trotz des wirtschaftlichen Kurswechsels präsentierte sich Honecker beim Machtantritt auf dem VIII. SED-Parteitag 1971 als dem Umweltschutz aufgeschlossen gegenüber, mahnte aber zugleich, dass eine Verbesserung viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen werde.100 Die „sozialistischen Landeskulturwochen“, die eine Sensibilisierung der Bevölkerung zum Ziel hatten, und die veröffentlichten Jahresberichte zum Umweltschutz stehen stellvertretend für eine kurze Hochphase von DDR-Umweltpolitik zwischen 1971 und 1973. Nach Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler wurden in den Fünfjahrplan 1971–1975 finanzielle Ausgaben in Höhe von ca. sieben Milliarden Mark eingeplant, jedoch letztlich „netto“ weniger investiert, nämlich knapp 6,2 Mrd. M zwischen 1971 und 1979 (vgl. Abb. 2).101 Solange die Umweltpolitik, vor allem im internationalen Bereich, Honecker nütz-
99
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Trotz einer Fachberatung durch Experten behielt das Politbüro das letzte Wort, vgl. Huff, Natur, S. 100, 146, 187; zum Aufkommen von „Gegen-Eliten“ während des NÖSPL: „Kampf der Eliten“, in: Der Spiegel, Nr. 1, 1. 1. 1968, S. 22 f.; Roesler, Umweltprobleme, S. 21; Würth, Umweltschutz, S. 27; Seefried/Hoffmann, Einleitung, S. 29. Vgl. Für das Wohl des arbeitenden Menschen all unsere Kraft. Bericht des Zentralkomitees an den VIII. Parteitag der SED 15.–19. Juni 1971, 15. 6. 1971, in: Erich Honecker. Reden und Aufsätze, S. 134–225, hier S. 165. Roesler bezieht sich hierbei auf eine Quelle des BMIB aus dem Jahr 1985. Vgl. ders., Unterschiede, S. 482. Eine genaue Erfassung dessen, wie viel für Umweltschutz ausgegeben wurde, ist im Nachhinein schwierig zu rekonstruieren: 1973 wurden ca. 860 Mio. M in den Umweltschutz investiert, vgl. Würth, Umweltschutz, S. 32. Nach Huff betrug der Anteil am Umweltschutz 1972 0,6 % des Nationaleinkommens, Huff, Natur, S. 195. Siehe dazu ausführlicher die Abb. 2 mit der dazugehörigen Quellenkritik im Anhang.
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Abb. 2: Umweltschutzinvestitionen der DDR in Mio. Mark 1970–1990 Die Umweltschutzinvestitionen beinhalten die Luftreinhaltung und Abfallverwertung sowie den Gewässer- und Lärmschutz (Letzteres nur 1971–1979); Quellen: Möller, Umwelt, S. 225, Tab. 4; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1990, S. 145 f.; eigene Darstellung; siehe auch die Quellenkritik im Anhang
lich schien, so die bisherige Forschung,102 förderte er das Unterfangen. Auf diese Weise erklärt sich zwar im Hinblick auf die Konferenz in Stockholm die Neugründung eines DDR-Umweltministeriums Ende des Jahres 1971, obwohl laut LKG die Zuständigkeiten, ähnlich wie in der UdSSR, hauptsächlich beim Ministerrat lagen – explizit erwähnt wurde der Zusammenhang in den Quellen jedoch nicht. Die Wahl des Begriffes „Umweltschutz“ statt „sozialistischer Landeskultur“ ist aber ebenfalls Indiz für diese internationale Ausrichtung.103 Als am 1. Januar 1972 das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (MfUW) geschaffen wurde,104 besaß es als Funktionalorgan und Querschnittsministerium einen orientierenden, kontrollierenden und koordinierenden Charakter. Zu seinen Aufgaben zählten beispielsweise die Anleitung der Forschung sowie die Erarbeitung von Gesetzesvorlagen für den Ministerrat. Anders als andere Mi-
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So z. B. Steinmetz, Landeskultur, S. 93; Huff, Natur, S. 21, 175–177; Roesler, Umweltprobleme, S. 28; Dominick, Capitalism, S. 320. Gegen diese sogenannte „Alibi“-These: Möller, Umwelt, S. 17, 195 f., teilweise auch Ohlenforst, Umweltrecht, S. 536 f. Vgl. BArch DC 20-I/4, Bd. 2572, Teil 1, Bl. 160–165, Anlage 7: Beschluss des Ministerrates 02–3/7/71 über die Aufgabenstellung und den Aufbau des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft – Aufgabenstellung des Ministeriums, 3. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 15. Dezember 1971; Huff, Natur, S. 173, 182; Ohlenforst, Umweltrecht, S. 536 f.; siehe zur UdSSR Obertreis, Desert Dreams, S. 406 f. Vgl. Bekanntmachung über die Bildung von Ministerien, 3. 1. 1972, in: Gesetzblatt der DDR, Teil II, Nr. 2, S. 18.
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nisterien hatte der Umweltminister keine Spiegelinstitution eines Sekretariats im Zentralkomitee (ZK) der SED, womit es für ihn grundsätzlich schwieriger war, Themen in die Debatten des Politbüros einzubringen.105 Doch angesichts dessen, dass die Alternative nach LKG geheißen hätte, dass konkurrierende Minister im Ministerrat zusammen für Umweltschutz zuständig gewesen wären, barg es womöglich auch Chancen den umweltpolitischen Aufgaben gerecht(er) zu werden. Der Bereich der Luftverschmutzung verblieb im Gesundheitsministerium, der Naturschutz im Ministerium für Landwirtschaft und Forsten (MfLF). Damit reduzierte sich der umweltpolitische Aufgabenbereich – zumindest in den 1970er Jahren auf die Abfall- und Wasserwirtschaft. Auf der Bezirksebene wurden zudem Räte und Sekretäre für Umweltschutz und Wasserwirtschaft geschaffen und in den Betrieben Umwelt- und Hygienebeauftragte ernannt, die nach oben berichten sollten, und gegenüber dem Ministerrat weisungsgebunden und rechenschaftspflichtig waren.106 Erster Umweltminister wurde im März 1972 der Ökonom Dr. Hans Reichelt, nachdem der designierte Dr. Werner Titel am 25. Dezember 1971 plötzlich verstorben war.107 Beide gehörten der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) an. Dass also das Themenfeld der Umweltpolitik im Ostblock ideologisch auch für außenpolitische Ambitionen eingesetzt wurde, insbesondere nach dem Machtwechsel, verwundert nicht. Dennoch gilt es ebenfalls zu beachten, dass die DDR mit internen Schwierigkeiten wie Rohstoffmangel, veralteten Technologien und geringem Wasserhaushalt zu kämpfen hatte. Demnach muss festgestellt werden, dass sich in den 1960er Jahren innerhalb der DDR der Trend hin zu mehr Umweltschutz beziehungsweise besser „Einsparung von Ressourcen“ eher aus einem akuten Problemdruck108 der industriellen Situation heraus entwickelt hatte und nicht allein aus Konkurrenzdenken mit dem anderen System.
1.3 Das Umweltprogramm der Bundesrepublik Deutschland Wie in der DDR hatte auch die Bundesrepublik institutionelle Vorreiter im Umweltschutz. In den 1950er und 1960er Jahren dominierten die Ideen von Natur-
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Vgl. Huff, Umweltpolitik, S. 542. Vgl. Roesler, Umweltprobleme, S. 27; Behrens/Hoffmann, Organisation, S. 41, 43, 46. Die Umstände, unter denen der 40-jährige Werner Titel ums Leben kam, scheinen nicht geklärt. Es wird vermutet, dass das MfS ihn mit Informationen aus der Vergangenheit unter Druck gesetzt hatte. Vgl. Matthias Schlegel, Die brisanten Akten über die Spitzengenossen, in: Tagesspiegel, 1. 10. 2014, in URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/erich-mielke-undsein-geheimes-dossier-die-brisanten-akten-ueber-die-spitzengenossen/10775394.html [10. 5. 2022]. Er starb an einem seltenen Herzleiden bei Huff, Natur, S. 171, siehe zu Reichelt, S. 178. Gespräch mit Hans Reichelt am 3. 12. 2020 in Schöneiche bei Berlin. Vgl. Würth, Umweltschutz, S. 27. Die Problemdruckthese wird für die Bundesrepublik von der Forschung weitgehend abgelehnt: Vgl. z. B. Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 103; Radkau, Ära, S. 148. Nicht so jedoch bei Roman Köster in Bezug auf das zunehmende Abfallproblem: Köster, Hausmüll, S. 203, 240.
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schutz und Landschaftsgestaltung gegenüber dem technischen Schutz des Bodens, der Gewässer und der Luft. Aufgrund der daraus entstehenden engen Vernetzung zwischen den öffentlichen Stellen des Staates, ehrenamtlichen Naturschutzbeauftragten und den Verbänden, wie beispielsweise dem 1950 gegründeten Deutschen Naturschutzring (DNR), kann von einer kontinuierlichen Kooperation zwischen beiden gesprochen werden, die auch im späteren Umweltprogramm ihren Niederschlag fand.109 Wie bereits geschildert, bediente sich die Politik zunehmend wissenschaftlicher Erkenntnisse als Entscheidungshilfe. Für die rasche Durchsetzung der Umweltpolitik als eigenständiges Politikfeld spielten denn auch die Expertennetzwerke aus den Kreisen der Luftreinhaltung, Hygienemedizin, Vegetationskunde und des Naturschutzes eine bedeutende Rolle, die sich in den 1950er und 1960er Jahren immer wieder international austauschten.110 Die Politisierung des Umweltthemas war für diese Fachleute wichtig, um ihre Resultate praktisch anwenden zu können. Auch als der Kanzlerkandidat Willy Brandt im Wahlkampf 1961 noch den „blauen Himmel über der Ruhr“ beschwor, war er zuvor von Wissenschaftlern mit der Erkenntnis über die Zunahme von Bronchialerkrankungen im ruß- und staubbelasteten Ruhrgebiet vorbereitet worden. Allerdings spielte das Thema im Bundestagswahlkampf 1969 – den er letztlich gewann – keine Rolle mehr.111 Ein erster Versuch von Naturschützern, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen mit Politik zu verbinden, war die „Grüne Charta von der Mainau“ vom 20. April 1961. In der Beschreibung der vielfältigen Umweltgefahren fasste sie die daraus entstehenden Risiken erstmals als ein Problem auf. Sie bejahte im Fortschrittsoptimismus der Zeit die technische und ökonomische Entwicklung, allerdings mit dem Ziel, einen Ausgleich zur Natur zu schaffen. Der Schlüssel dafür hieß: verbindliche Planungen und gesetzliche Regelungen. Doch war nicht genau bestimmt, wer für die Planung zuständig sei; Bürgerbeteiligung kannte die Charta nicht und sie blieb allgemein und vage formuliert. Den damaligen Naturschutzverbänden und Fachverwaltungen war die Grüne Charta bekannt. Der patriarchalische und elitäre Verhaltens- und Denkstil führte jedoch dazu, dass sie von der Bürgerbewegung der 1970er Jahre nicht rezipiert wurde, obwohl sie grundlegende Dinge bereits vorgedacht hatte.112 Die öffentliche Debatte über das sich zusammenbrauende Problem der Umweltverschmutzung wurde allerdings nicht von allen gleichermaßen befürwortet. In den 1960er Jahren sahen gerade westdeutsche Experten beispielweise das Problem der Luftverschmutzung als überwiegend „stille Aufgabe der Facheliten“ an. Sie be109 110 111
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Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 46–53. Vgl. Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 275 f. Vgl. ebenda, S. 279; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 151, 242; „Ruhr. Zu blauen Himmeln“, in: Der Spiegel, Nr. 33, 9. 8. 1961, S. 22–33; Müller, Innenwelt, S. 71; Uekötter, Rauchplage, S. 475 f.; siehe zum eher gesundheits- denn umwelrelevanten Aspekt dieser Aussage: Lieb, Arbeit, S. 23. Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 130–135, 148–149; Frohn/Potthast/Rosebrock, Entstehung, S. 163–185.
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fürchteten, ein Gang an die Öffentlichkeit könne aus sachlicher Unkenntnis für bestimmte Agitationszwecke benutzt werden und daher der konstruktiven Arbeit an der Lösung der Probleme schaden.113 Der Europarat und die westeuropäischen Staaten sahen es wiederum als notwendig an, die Menschen mit Hilfe von Expertenwissen aufzuklären und darüber politischen Druck zu generieren. Außerdem hatte der Europarat 1968 eine Wasser-Charta sowie die „Europäische Konvention zur Luftreinhaltung“ verabschiedet, an denen sich die Bundesrepublik ebenfalls orientieren musste. Ferner wurde schon in den 1960er Jahren auf EG-Ebene über eine Harmonisierung der Immissionsgrenzwerte diskutiert, die jedoch einen fortwährenden Streit um mögliche Wettbewerbsverzerrungen nach sich zog.114 In der Bundesrepublik hatte Nordrhein-Westfalen (NRW) 1962 als erstes Bundesland ein Immissionsschutzgesetz verabschiedet, das schnell Nachahmer fand. Somit hatte die Bundesregierung Ende der 1960er Jahre Verwaltungsangestellte und Experten zur Verfügung, auf deren Fachwissen sie aufbauen konnte.115 In seiner Regierungserklärung 1969 orientierte sich der sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt beim Thema Umweltschutz somit an einer Traditionslinie aus den 1960er Jahren, wenn er „umfassende, aufeinander abgestimmte Maßnahmen in Wissenschaft und Forschung, in der Gesundheitsgesetzgebung, in der Gesundheitsvorsorge und in der gesundheitlichen Aufklärung“ versprach, um „dem Schutz der Menschen vor den Risiken für die Gesundheit, die durch die technisierte und automatisierte Umwelt entstehen“ vorzubeugen.116 Das hieß, neue „Umweltschutz“-Gesetze würden zunächst verstärkt im Gesundheitsressort berücksichtigt. Lärm-, Gewässer- und Luftschutz sowie die Abfallbeseitigung spielten in die Hygienevorschriften hinein und waren demnach im 1962 gegründeten Gesundheitsministerium angesiedelt. Auch im Godesberger Programm der SPD (1959) hatte die Partei bereits vor zunehmenden Umweltbelastungen gewarnt. Im Vordergrund stand jedoch immer die Gesundheitsgefährdung des Menschen und nicht die Umwelt und Natur per se.117 Zwar integrierte Brandt nun das neue Denkgebäude „Umwelt“ in den Aufgabenbereich seiner Regierung. In den Koalitionsverhandlungen holte jedoch HansDietrich Genscher (FDP) dieses Aufgabenbündel zu sich in das Bundesinnenministerium (BMI), wo am 7. November 1969 nach amerikanischem Vorbild die Abteilung „Umwelt“ gebildet wurde.118 Die Aushandlung, welche Bereiche diese ge-
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Vgl. Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 280; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 142, 152; Engels, Naturpolitik, S. 141. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 151, 242; Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 281, 287. Vgl. Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 279 f.; Uekötter, Rauchplage, S. 429–448, 474, 478. Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), 28. 10. 1969, in URL: https:// www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0021_bra&st=WILLY%20 BRANDT&l=de [30. 5. 2022]. Vgl. Steinmetz, Landeskultur, S. 34–36; Köster, Hausmüll, S. 213; siehe auch Lieb, Arbeit, S. 23, 29. Vgl. Müller, Innenwelt, S. 71; Genscher, Erinnerungen, S. 127.
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nau umfassen sollte und mit welchen Kompetenzen für den Innenminister, erfolgte vor dem Deutschen Bundestag. So forderte Genscher im Dezember 1970: „Das Grundgesetz kennt das Wort ‚Umweltschutz‘ noch nicht. Im Grundrechtskatalog fehlt ein Menschenrecht auf unschädliche Umwelt. Dennoch ist der Schutz der Umwelt des Menschen eine Pflicht aller staatlichen Gewalt, die ihr mit den Grundentscheidungen unserer Verfassung aufgegeben ist.“ 119
In dieser Debatte verfolgte der Innenminister das Ziel, für die Bundesregierung beziehungsweise für die einzelnen Bereiche wie jene des Gewässer-, Natur- und Lärmschutzes sowie der Luftreinhaltung und Landschaftspflege die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu erhalten. Das heißt, der Bund erhielte die „Vollkompetenz“ und einzelne Landesgesetzesregelungen würden solchen des Bundes weichen müssen. Genscher betonte vor dem Bundestag, es gehe nicht um „Rechthaberei“ oder um einen „Anschlag[ ] der Bundesregierung auf die Eigenstaatlichkeit der Länder“,120 aber man könne international kein Recht durchsetzen, um Wettbewerbsnachteile durch eine verzerrte Umweltgesetzgebung zu verhindern, wenn die Regierung im eigenen Land ein zersplittertes Kompetenzgerangel aufweise. Gleichzeitig würde die verteilte Gesetzgebungskompetenz auch zu Wettbewerbsnachteilen einzelner Bundesländer gegenüber anderen führen. Genschers Vorschlag – eingebettet in eine generelle Auseinandersetzung über eine Reform des Grundgesetzes – wurde im Bundesrat abgelehnt, da die dort vertretenen Länder nicht auf ihre Kompetenzen verzichten wollten.121 Die neue Abteilung „Umwelt“ im BMI erhielt letztlich aus dem Bundesgesundheitsministerium die Aufgabenbereiche Reinhaltung der Luft, Lärmbekämpfung und Abfallbeseitigung in Form der konkurrierenden Gesetzgebung. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass verschiedene Problembereiche Teil eines größeren Zusammenhanges sind. Genschers BMI verlor – wie er selbst sagte – die „Wasserschlacht“, das heißt, die Kompetenzen in diesem Feld lagen bei den Ländern, der Bund besaß diesbezüglich nur die Rahmenkompetenz, ebenso wie für Naturschutz und Landschaftspflege, die jedoch dem Landwirtschaftsministerium (BML) zugeordnet wurden. Doch über die erste Bündelung einiger Kompetenzen durch die neu geschaffene Abteilung sollte dem Thema im BMI im Vergleich zu kleineren Ministerien, wie dem Gesundheitsressort, mehr Durchsetzungskraft und Einfluss verliehen werden.122 Dieser Logik folgend wurde kein neues Bundesministerium
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Rede Hans-Dietrich Genschers, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll Nr. 6/87, 16. 12. 1970, S. 4797. Ebenda, S. 4800. Vgl. ebenda, S. 4798–4801. Siehe auch o. V., „Genug gesündigt“, in: Der Spiegel, Nr. 31, 26. 7. 1971, S. 34, 36. Vgl. für die erneute Debatte über die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz als „wertentscheidende Grundsatznorm“ oder Staatszielbestimmung 1974/75 die Akte im BArch, B 136, Bd. 27438. Siehe zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes in der Luftreinhaltung: Uekötter, Rauchplage, S. 478; und zu Reformvorhaben der SPD/ FDP-Regierung Metzler, Konzeptionen, S. 315–372. Vgl. Genscher, Erinnerungen, S. 129–131, 135; Uekötter, Deutschland, S. 121; Radkau, Ära, S. 140 f.; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 158.
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geschaffen – wohl aber Länderministerien, deren Vertreter sich ab 1972 mit dem BMI regelmäßig in Umweltministerkonferenzen trafen.123 Was Genscher vor dem Bundestag präsentierte, stimmte inhaltlich gänzlich mit dem Parteiprogramm der FDP überein. Auf ihrem Parteitag am 25./27. Oktober 1971 widmete die Partei in den Freiburger Thesen ein ganzes Kapitel dem Umweltschutz.124 Für den umweltpolitischen Zuschnitt seines Ministeriums holte Genscher seinen Partei- und Studienfreund aus Leipzig Peter Menke-Glückert (FDP) als Abteilungsleiter für Umweltschutz von der OECD in Paris nach Bonn. In Paris hatte er auch an der Biosphären-Konferenz der UNESCO 1968 teilgenommen. Zudem war Menke-Glückert ein Verfechter der Zukunftsforschung, deren positives Verständnis von Zukunftsfragen und Planungen er mit ins Amt nahm, entgegen den pessimistischen Vorstellungen der Studie des Club of Rome. So vertrat er die Auffassung, eine Umweltpolitik sei nur möglich, wenn sie über ein umfassendes Wissen über den Zustand der Umwelt verfüge. Um also politische Qualitätsziele erreichen zu können, sei eine weitreichende Informationsgewinnung und langfristige Forschungsplanung vonnöten. Für eine politische Kontroverse sei dieses Feld ungeeignet, die Politik sei vielmehr Hilfsmittel der Umweltplanung, die sich nur mit Hilfe von angemessener Technik und im Konsens mit den Verursachern auf lange Sicht lösen ließe.125 Bereits am 19. September 1970 hatte das federführende BMI dem ebenfalls neu geschaffenen „Umwelt-Kabinett“ ein Umweltsofortprogramm zur Verabschiedung vorzulegen.126 Darin ging es hauptsächlich darum, Infrastrukturen zur Datenerhebung und Messstellen sowie Kontrollen zu schaffen und gesetzliche Grundlagen zu regeln. Aufbauend auf bereits angelaufenen Initiativen wurden ein Bundesimmissionsschutzgesetz (1974) und ein Abfallbeseitigungsgesetz (1972) vorbereitet. Ein Benzinbleigesetz sollte ebenfalls in Angriff genommen, wie auch gefährliche Pestizide wie DDT überprüft und notfalls verboten werden. Sprachlich erinnert das Umweltprogramm an das Landeskulturgesetz der DDR. So war sich auch hier das Kabinett einig, dass der Umweltschutz „unter Berücksichtigung aus-
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Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 155; Müller, Innenwelt, S. 71–74. Das erste Landesumweltministerium wurde in Bayern gegründet: vgl. Stoiber, Weil die Welt, S. 35; von Lersner, Initiator, S. 154. Vgl. o. V., Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik der Freien Demokratischen Partei (Beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg vom 25./27. Oktober 1971), in: Archiv des Liberalismus, Signatur D1–123, in URL: https://www.freiheit.org/sites/default/files/ 2020-06/1971freiburgerthesen_0.pdf [10. 5. 2022]. Vgl. Radkau, Ära, S. 141 f.; Engels, Naturpolitik, S. 286; siehe zur Planung auch Kap. I.1.1. Vgl. Sofortprogramm für den Umweltschutz auf der 40. Sitzung am 17. September 1970, in: Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 23, 1970, S. 364. Das Umwelt-Kabinett bestand u. a. aus den Bundesministerien des Inneren (BMI, geschäftsführender Vorsitz), der Finanzen (BMF), der Wirtschaft (BMWi), der Jugend, Familie, Gesundheit (BMJFG), für Bildung und Wissenschaft (BMBW), für Landwirtschaft und Forsten (BML), für Verkehr (BMV), für Arbeit (BMA), der Verteidigung (BMVg). Vgl. BArch, B 136, Bd. 14329, Beschluss Umweltkabinett, Leiter Planungsabteilung, 7. 7. 1970.
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schließlich des Interesses der Gesamtheit, betrieben werden muß.“ 127 Und auch die Gesetze für den Landschaftsschutz müssen „sicherstellen, daß die Landschaft in der nachhaltigen Leistungsfähigkeit ihres natürlichen Potentials auch weiter entwickelt wird.“ Abschließend heißt es, auch in der Bundesrepublik könne die „Umwelt […] vor den Gefahren der Technik nur durch Technik geschützt werden.“ 128 Damit orientierte sich das Programm an dem, was der sozialdemokratische Bundeskanzleramtschef Horst Ehmke in einem Brief an Genscher vorschlug: So sei es auf bereits existierenden Kontinuitäten aufzubauen und dürfe keine maßgeblichen Kosten verursachen.129 Die Aufbruchsrhetorik des Umweltprogramms setzte sich in der Umsetzung nur bedingt fort. Experten einigten sich beispielsweise eher auf die sogenannte „Politik der hohen Schornsteine“ 130 für eine weiträumige Verteilung der schädlichen Abgase als das Problem an der Ursache zu bekämpfen. Mit ihrem technokratischen Charakter wurden bestehende Regelungsstrategien fortgesetzt. Und obwohl Brandt und Genscher klar war, dass Umweltschutz koste und der Verbraucher sich einschränken müsse, hielt die Regierung und vor allem das Bundeswirtschaftsministerium am Wachstum, wenn auch nun an einem „qualitativen“ statt quantitativen fest.131 Dieses technizistische Umweltverständnis und dessen Einbettung in ein weiterhin kontinuierliches Wirtschaftswachstum entsprach dem Geist der Zeit – in Ost und West gleichermaßen. Ganz unumstritten war das Programm intern aber nicht. Insbesondere der Doktor der Physik Dieter Schumacher, Mitarbeiter im Planungsstab des Bundeskanzleramtes, sah die Bewältigung der Umweltproblematik als Gemeinschaftsaufgabe mehrerer Ressorts an, wofür ursprünglich das Umwelt-Kabinett geschaffen worden sei. Dass das BMI die ihm zugewiesene Federführung in diesem Bereich zum Ausbau eigener Kompetenzen nutzte, sah er deshalb kritisch. Dem Sofortprogramm warf er mangelnde Zielvorstellungen und zu sehr auf Technik fokussierte Lösungen in den Bereichen Luft, Lärm, Wasser und Boden vor. Der Gesundheitsschutz, die Landschaftspflege, der Naturschutz und die Raumentwicklung würden damit ausgeklammert und „in ihren Interdependenzen nicht berücksichtigt“.132 Er bemängelte weiterhin:
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Sofortprogramm der Bundesregierung für den Umweltschutz, Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, in: Bulletin der Bundesregierung, 1. 10. 1970, Nr. 132, S. 1370. Siehe zum Bundesimmissionsschutzgesetz (Entwurf seit 1966) auch Uekötter, Rauchplage, S. 479–485. Beide Zitate in: Sofortprogramm der Bundesregierung für den Umweltschutz, Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, in: Bulletin der Bundesregierung, 1. 10. 1970, Nr. 132, S. 1372. Vgl. BArch, B 136, Bd. 14329, Teil 1, Brief von Horst Ehmke, Chef des Bundeskanzleramts, an Genscher, Juli 1970; Sofortprogramm für den Umweltschutz, 17. 9. 1970, in: Kabinettsprotokolle, Bd. 23, 1970, S. 364. Vgl. Uekötter, Rauchplage, S. 116–119, 218, 223. Vgl. Seefried, Zukünfte, S. 456; Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 279 f.; Engels, Naturpolitik, S. 276, 289. BArch, B 136, Bd. 14329, Teil 1, Vermerk von Schumacher, Referat V/1 (Planungsabteilung), Bundeskanzleramt (BKAmt), 27. 8. 1970.
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„Der zu enge Ansatz besteht darin, daß die Umweltprobleme als Folge der Technisierung und Automatisierung und nicht als eine unerwünschte Nebenwirkung eines ungestalteten wirtschaftlichen Wachstums gesehen werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind auf die Therapie von punktuellen Umweltschäden gerichtet, ohne den Problemen in den Verursachungsketten auf den Grund zu gehen.“ 133
Die Punkte, die Schumacher anführte, weisen ihn geradezu als Planer und Kybernetiker aus, der den Umweltkomplex in seiner Gesamtheit angehen wollte. Mit seiner Kritik, das Sofortprogramm hätte mehr leisten können und sollen, bekam Schumacher in Teilen sogar aus dem BMI selbst Recht.134 Doch ginge es um die Realisierung „praktischer technischer Maßnahmen“ und nicht um die „Propagierung von Zielvorstellungen“, entgegnete ihm der Referatsleiter für Umweltschutz im BMI, Michael von Berg.135 Den Einmischungen aus dem Bundeskanzleramt, das die zersplitterte Umweltpolitik als „Gesamtpolitik“, die quer zu Ressortzuständigkeiten lag, kontrollieren wollte, machte Genscher mittels eines Ordnungsrufes bereits im Sommer 1970 ein Ende.136 Was hier ersichtlich wird, ist eine pragmatische Ausrichtung von Planung, die sich an Kosten und bereits Bestehendem orientierte, wie es schließlich auch Ehmkes Vorstellung war. Zudem war Eile geboten. In Umweltbelangen gaben die Amerikaner den Takt vor. So gäben deren Zeitplanungen „meist einen Anhalt für das, was bei uns geschehen müßte.“ 137 Inwiefern der Vietnam-Krieg (ca. 1955–1975) mit der Umweltpolitik im Zusammenhang steht, ist umstritten.138 Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD wollte US-Präsident Richard Nixon umweltpolitisch unterstützen, weshalb erste Stellungnahmen in diesem Bereich zuerst im Auswärtigen Amt formuliert und ausgearbeitet wurden. So orientierte sich die Bundesrepublik mit ihren Umweltschutzinitiativen sehr nah an den USA. Für die amerikanische Regierung war der Dreh- und Angelpunkt die Umweltkonferenz 1972 in Stockholm, die damit auch der Bundesregierung den Zeitrahmen für die Programmfor-
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BArch, B 136, Bd. 14329, Teil 1, Stellungnahme zum Umweltschutzprogramm (Kabinettausschuss Umweltfragen, Vorlage 8. 9. 1970) Schumacher, Gr. V/1 (Planungsabteilung), an den Minister, BKAmt, 3. 9. 1970. Vgl. BArch, B 136, Bd. 14329, Teil 2, Vermerk zur Stellungnahme von Dr. Schumacher vom 18. 1. 1971 zum Ansatz des Umweltprogramms, Unterabteilungsleiter (U I) Heinrich von Lersner, BMI, 5. 2. 1971. Siehe zu Querschnittsaufgaben politischen Handelns in einer hochkomplexen modernen Industriegesellschaft auch Metzler, Konzeptionen, S. 362–372, insbesondere S. 370. BArch, B 136, Bd. 14329, Teil 1, Antwort im Vermerk von Schumacher, Referat V/1, BKAmt, 27. 8. 1970. Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 285 f.; BKAmt entglitt der Umweltbereich: Schulz-Walden, Anfänge, S. 104. PA AA, B 9, ZA, Bd. 178369, Protokoll über die Ressortbesprechung vom 16. Juni 1969, Referat II A 7, 18. 6. 1969; siehe auch Schulz-Walden, Anfänge, S. 90–99; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 141–143; Macekura, Limits, S. 493. Mit Umweltpolitik vom Vietnam-Krieg ablenken bei Macekura, Limits, S. 491; Gassert, Entstehung, S. 356 f.; ähnlich: Schulz-Walden, Anfänge, S. 91. Hünemörder bezweifelt diese These in Frühgeschichte, S. 259; ähnlich auch Radkau, Ära, S. 152–153, 156.
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mulierung vorgab.139 So wurde das Umweltrahmenprogramm am 31. März 1971 vorgestellt und im selben Jahr noch ein Sachverständigenrat für Umweltfragen eingerichtet.140 Als Leitlinien für das Umweltprogramm galt die Trias des Vorsorge-, Verursacher- und Kooperationsprinzips. Pointierter formuliert, speiste es sich aus der konsensorientierten Strategie früherer Regierungen bis ins Kaiserreich zurück, die darauf setzten, dass Verursachergruppen selbstständig Verantwortung übernahmen.141 Das Neue an dieser Politik bestand in der Vorsorge, die potenziellen Umweltgefahren vorgeschaltet wurde.142 Umweltproblemen sollte mittels „umweltfreundlicher Technik“ besser vorgebeugt statt nachgesorgt werden. Aber „[t]echnischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum brauchen dabei nicht beeinträchtigt zu werden“ (These 4). Die Kooperation sollte die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern, Wissenschaft und Wirtschaft ermöglichen (These 9) sowie Expertenwissen in die Regierungsarbeit in Form eines Sachverständigenrates einbeziehen (These 6) als auch den internationalen Austausch berücksichtigen (These 10).143 Im Verursacherprinzip (These 2) sollte nach Peter Menke-Glückert „mehr Markt“ im Umweltschutz durchgesetzt werden. Das heißt, wer die Umwelt verschmutzt, zahlt. Produkte, die bei der Herstellung die Umwelt verschmutzen, müssten teurer sein als umweltfreundliche. Probleme bereitete das Verursacherprinzip der Arbeitsgruppe, die dieses Thema inhaltlich abstecken sollte, insofern, als dass das unantastbare Prinzip des Wirtschaftswachstums nicht in Frage zu stellen war: Bevorzugte der Markt umweltfreundliche Technologien, so hieße das automatisch, dass verschmutzende untergehen würden – so weit, so gut. Müsse aber potenziell umweltfreundliche Technik dem Markt noch fern bleiben, weil noch nicht alle ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit des Menschen bekannt seien, blockiere dies Entwicklung und Forschung und damit auch Innovationskraft.144 Außerdem: „Das Verursacherprinzip sagt nicht[s] darüber aus, wer für die Vermeidung oder Beseitigung von Umweltschäden zu sorgen hat“. Bei der Luftverschmutzung wären mögliche Verursacher beispielsweise die KfZ-Hersteller, aber auch die Autofahrer und die Kraftstoffproduzenten. Nur wenn die Bedingung be-
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Vgl. BArch, B 136, Bd. 14329, Teil 1, Vermerk Dr. Schumacher, Referat V/1 (Planungsabteilung), BKAmt, 27. 8. 1970; siehe auch Schulz-Walden, Anfänge, S. 90–99; Macekura, Limits, S. 500; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 143–145, 152, 158; Müller, Innenwelt, S. 82. Vgl. Radkau, Ära, S. 128, 131; Müller, Innenwelt, S. 73 f.; Lersner, Initiator, S. 151–153. Vgl. für das Umweltprogramm der Bundesregierung, Deutscher Bundestag, Drucksache VI/ 2710, 14. 10. 1971, S. 6; Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 278; Engels, Naturpolitik, S. 52; Uekötter, Rauchplage, S. 234, 253–259, 418; siehe zur Vorgeschichte der Vorsorge Hannig, Suche nach Prävention, S. 34–36. Vgl. Uekötter, Rauchplage, S. 284, 467–470, 512. Vgl. Umweltprogramm der Bundesregierung, in: Deutscher Bundestag, Drucksache VI/ 2710, 14. 10. 1971, S. 6. Siehe zu Vorläufern im Gesundheitsministerium Hünemörder, Expertennetzwerk, S. 278; Radkau, Ära, S. 386. Vgl. BArch, B 136, Bd. 5336, Teil 1, Das Verursacherprinzip in der Umweltpolitik, o. D. und o. V.
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ziehungsweise der Verursacher vorher benannt werde, bedeute die Anwendung des Prinzips eine Internalisierung von Kosten der Vermeidung beziehungsweise Beseitigung von Umweltschäden. Instrumente der Durchsetzung seien daher: Emissions- und Produktstandards, Verbote und Abgaben.145 Da es sich um ein Kostenzurechnungsprinzip handle, könnten daraus nicht bestimmte umweltpolitische Maßnahmen geschlussfolgert, sondern nur eine marktwirtschaftliche Orientierung für die Instrumente der Umweltpolitik gegeben werden.146 Dieser Ansatz kam mehr oder weniger nur im Abwasserabgabengesetz zur Geltung.147 Mit dem Umweltprogramm wurden bis 1972 Grundlagen und Gremien wie beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft (AG) für Umweltfragen im Innenministerium geschaffen, um ein einheitliches Vorgehen im Umweltschutz zu etablieren.148 Die AG für Umweltfragen sollte dem BMI Kontakte zur „Basis“ verschaffen, indem ausgewählte Umweltverbände über sie eine direkte Verbindung ins Ministerium erhielten. Das Konzept entstand in der liberalen Theodor-Heuss-Akademie und sollte für ein ständiges Diskussionsforum sorgen, um das Gespräch zwischen Politik, Umwelt- und Wirtschaftsverbänden zu forcieren und auch transparent zu gestalten. Auch die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) war bei der Gründung einer „grünen Lobby“ aktiv: Sie unterstützte den Bund Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) finanziell und trug maßgeblich zu dessen Gründung 1972 in Mörfelden bei. Mitglieder konnten sowohl Umweltgruppen als auch Einzelpersonen sein. Mit der Radikalisierung der Umwelt-Szene durch die heftigen Auseinandersetzungen um Atomkraftwerke ab Mitte der 1970er Jahre zerschlug sich für die Politik die Hoffnung auf eine „staatsnahe Lobby“ jedoch relativ schnell.149 Der sozialliberalen Bundesregierung gelang es zwar ein neues Thema in die Politik einzuführen, aber nicht deren Deutungshoheit mit dem Anwachsen der Bürgerinitiativbewegungen zu behalten. Jens Ivo Engels macht hierfür vier Gründe aus: Zum einen fehlte der Naturschutz in den Konzepten des BMI, der fast als Synonym mit dem Umweltschutz-Begriff verwendet wurde. Zum anderen wurde die Leitwissenschaft der „Ökologie“ kaum angewandt, sodass die Zusammenhänge zwischen Natur, Technik und menschlicher Existenz nicht immer verständlich dargestellt werden konnten. Statt etwas wirklich Neuem, setzte sich der technokratische Charakter bestehender Regelungstendenzen fort. Und viertens entstand ein Kommunikations- und Verständigungsproblem zwischen Beamten und Umweltmahnern. Waren die einen der Auffassung, Umweltschutz sei eine Regierungsangelegenheit,
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Vgl. (inkl. Zitat) BArch, B 136, Bd. 5336, Teil 3, Das Verursacherprinzip, AG für Umweltfragen, Entwurf vom 6. 7. 1972. Vgl. BArch, B 136, Bd. 5337, Teil 5, Schnellbrief von StS Hartkopf, BMI, an alle Ministerien, 29. 12. 1972, AG Verursacherprinzip, Endfassung des Papiers. Vgl. Menke-Glückert, Umweltpolitiker Genscher, S. 156–167; Müller, Innenwelt, S. 74; Radkau, Ära, S. 345, 389. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 152–155; Müller, Innenwelt, S. 71–74; Schulz-Walden, Anfänge, S. 65. Vgl. Menke-Glückert, Umweltpolitiker Genscher, S. 158 f.; Uekötter, Deutschland, S. 124 f.; Radkau, Ära, S. 345. Siehe zur Umweltbewegung auch Kap. II.3.
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I. Genese der Umweltpolitik
die sich auf Experten-gestützte Verwaltungen, Konsens und Fortschrittsoptimismus begründete, passte dies nicht zu den Katastrophenszenarien die außerhalb der Büroräume durch die Medien zirkulierten.150 Im Vergleich zur DDR ging die Bundesrepublik also einen ähnlichen Weg – hauseigene Umweltprobleme bedingten erste institutionelle Einrichtungen, zunächst im Gesundheitsministerium. Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren wie der Ankündigung der Umweltschutzkonferenz in Stockholm, des Regierungswechsels in beiden Staaten und des allgemeinen internationalen Trends führten zu ebendiesen administrativen Entwicklungen – und damit eines politischen Aufbruchs aus der skizzierten „Umweltkrise“. Inwieweit beide Staaten sich diesbezüglich aufeinander bezogen, ist nicht feststellbar. Die DDR integrierte den Umweltschutz als „Landeskultur“ bereits 1968 in die Verfassung. Innerhalb der Bundesrepublik wurde ab 1970 immer wieder darüber diskutiert, ob das Thema auch ins Grundgesetz gehöre. Aber hierin lässt sich weniger eine Ostbezogenheit als vielmehr ein Problem föderaler Strukturen erkennen. Die Erkenntnis, dass Umweltprobleme grenzüberschreitende Probleme sind, reichte Anfang der 1970er Jahre allerdings noch nicht dafür aus, dass beide deutsche Staaten ungeachtet ihres ungeklärten Verhältnisses zueinander darüber ins Gespräch kamen. Erst mussten die entsprechenden politischen Grundlagen im Umgang miteinander geschaffen werden. Da es diese noch nicht gab, führte das – wie im Folgenden beschrieben – im internationalen Aufeinandertreffen zu harten Auseinandersetzungen.
2. Der kalte Kampf um internationalen Einfluss Wie das vorhergehende Kapitel gezeigt hat, gab es viele Faktoren, die aufeinander trafen, als Umweltpolitik in beiden deutschen Staaten entstand. Die Systemkonkurrenz war hier nur ein Faktor unter vielen. Wo sie aber verstärkt zu Tage trat, ist das „gemeinsame“ Ziel der DDR und der Bundesrepublik jeweils unabhängig voneinander an den Umweltkonferenzen 1971 in Prag (UN-ECE) und 1972 in Stockholm (UN) teilzunehmen. Letztere wird in der Forschung als die bedeutendere „Wegmarke“ für die internationale Umweltpolitik hervorgehoben,151 doch im deutsch-deutschen Verhältnis war es wohl eher Prag. Beide deutsche Staaten waren noch keine Mitglieder der United Nations Organisation (UNO). Das Ringen um eine Mitwirkung der DDR an der Umweltkonferenz in Stockholm und zuvor in Prag verdeutlicht daher sehr gut das deutsch-deutsche Verhältnis in der internationalen Gemeinschaft vor dem Grundlagenvertrag, der letztlich im Dezember 1972 geschlossen wurde. Während die Bundesrepublik international in den Sonderorganisationen der UNO auch in Umweltfragen ihren Alleinvertre150 151
Vgl. Engels, Naturpolitik, S. 287–290, Metzler, Konzeptionen, S. 404–406, 415 f. Vgl. Schulz-Walden, Anfänge, S. 177 f.; Macekura, Limits, S. 500; Brenton, Greening of Machiavelli, S. 42–44; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 243, 249, 268–273; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 88 f.; Seefried, Zukünfte, S. 457.
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tungsanspruch demonstrierte, bestand die DDR auf eine „gleichberechtigte Mitarbeit“ in ebendiesen Gremien, die ihr bis dato verwehrt war.152 Sie nutzte demnach ihre innenpolitischen Reformen im Umweltschutz auch dazu, um ihr internationales Prestige als Staat aufzubessern, sich als souveräner anderer deutscher Staat in der (wissenschaftlichen) „Arena“ 153 der internationalen Gemeinschaft zu präsentieren und sich damit in der Systemkonkurrenz zu profilieren. So gesehen, spricht viel für die These, dass beide Seiten versuchten, das Thema „Umweltschutz“ für ihre jeweilige Position in den internationalen Beziehungen zu instrumentalisieren.154 Daher erhob der für Umweltschutz Zuständige im Ministerrat, Werner Titel, am 20. Juli 1971 auf der Woche der sozialistischen Landeskultur den Anspruch der DDR, an der Stockholmer Umweltkonferenz teilzunehmen, da Umweltschutz auch ein „Mittel der friedlichen Koexistenz“ sei.155 Die „friedliche Koexistenz“ bedeutete für die SED jedoch nicht nur die längerfristige parallele Existenz von Kapitalismus und Sozialismus, sondern auch Klassenkampf.156 Das heißt, mit dem Thema Umweltschutz sollte immer auch für den Sozialismus und dessen Verbreitung mit nicht-militärischen Mitteln gekämpft werden. Für die Bundesrepublik stellte sich jedoch die Frage einer Mitarbeit des ostdeutschen Staates an der Umweltkonferenz wie das Eintreten der DDR „durch die Hintertür“ in die UNO dar.157 Mit der sogenannten „Neuen Ostpolitik“ arbeitete die SPD-geführte Bundesregierung daran, mehr Dialog und Verständigung mit den sozialistischen Staaten, allen voran mit der Sowjetunion, zu ermöglichen. Dazu gehörten die bilateralen Verträge der Bundesrepublik über Gewaltverzicht und die Anerkennung des Status quo in Europa mit Moskau (1970) und Warschau (1971), das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin (1971), der Transit- (1971) und der Grundlagenvertrag mit der DDR (1972) und der Vertrag mit der ČSSR (1973).158 Bis es jedoch soweit war, und sich das Vertragsnetz entfalten konnte, galt parallel dazu noch immer die Scheel-Doktrin, eine Abwandlung der Hallstein-Doktrin. Letztere postulierte den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik als Nachfolgerin des Dritten Reiches, weshalb sie keine Länder anerkannte, die mit der DDR diplomatische Beziehungen hatten, um den ostdeutschen Staat international zu isolieren.159 Außenminister Walter Scheel (FDP) schwächte diese Doktrin da-
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Vgl. für die Bundesrepublik Hünemörder, Frühgeschichte, S. 242; für die DDR Amos, Westpolitik, S. 282. Vgl. Forman, Scientific Internationalism, S. 153–155; Stinsky, International Cooperation, S. 9. Vgl. Hünemörder, Environmental Crisis, S. 258, 261, 264 f.; Roesler, Unterschiede, S. 482; auch Kirchhof, East Germany’s Fight, S. 219–232. Vgl. Huff, Natur, S. 175. Vgl. Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 129. Vgl. Drahtbericht Nr. 744, Gehlhoff, New York (UNO), 29./30. 7. 1972, in: AAPD 1972, Bd. II, Dok. 212, S. 972. Vgl. Stöver, Kalter Krieg, S. 392; Sarotte, Dealing with the Devil, S. 87; Bender, „Neue Ostpolitik“, S. 175–178, 186–190; Schmidt, Wurzeln, S. 522, 537 f.; Senoo, Irrweg, S. 17, 373– 375; Loth, Helsinki, S. 144. Vgl. Görtemaker, Ursprünge, S. 55–57; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 242.
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hingehend ab, dass dritte Länder, die die DDR anerkannten, zwar damit noch immer ihr Verhältnis zur Bundesrepublik belasteten, da sie dies als Einmischung und Störung der Bemühungen um innerdeutsche Regelungen ansah, aber die Beziehungen zu ihnen würden nicht mehr gänzlich abgebrochen.160 Damit war auch für die beiden deutschen Staaten die Phase der Entspannungspolitik im Kalten Krieg eingeläutet, welche sich zuvor schon zwischen der Sowjetunion und den USA abgezeichnet hatte. Doch obwohl der Kurs bereits in diese Richtung ging, bedurfte es noch der Bewältigung zweier Hürden in der diplomatischen Arena, ehe die Bundesrepublik und die DDR zueinander fanden – im Allgemeinen wie im Umweltschutz. Und wichtiger noch als die UN-Umweltkonferenz war für die DDR das Symposium in Prag der UN-ECE, das ihr gewissermaßen als Blaupause für Stockholm diente.
2.1 Das Symposium in Prag 1971 „[D]ie Nichtbeteiligung der DDR sei eine Folge des kalten Krieges und müsse aufgehoben werden“, forderte der polnische Ständige Vertreter bei den Internationalen Organisationen in Genf Włodzimierz Natdorf auf der 26. Jahresversammlung der United Nations Economic Commission for Europe (UN-ECE).161 Und auch ein bundesdeutscher Drahtbericht schlussfolgerte, die gleichberechtigte Teilnahme der DDR an den Arbeiten der ECE sei nicht mehr als eine Anerkennung der in Europa bestehenden Realitäten.162 Gemeint war die erste europäische Umweltschutzkonferenz im Rahmen der UN-ECE 1971 in Prag, ČSSR, die auf Ministerebene geplant war und somit die Generalprobe für die UN-Umweltkonferenz in Stockholm darstellte. Bereits 1967 hatte die ECE das Prager Treffen auf hoher Ebene beschlossen, um Umweltprobleme ganzheitlich zu besprechen. Wie die obige Aussage zeigt, stand auch hier die deutsche Frage zwischen Ost und West.163 Im Februar 1970 hatte die DDR nochmals – wie schon 1956 – einen offiziellen Antrag auf Mitgliedschaft an den ECOSOC gestellt,164 der im Juli desselben Jahres 160 161 162
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Vgl. Runderlass des Bundesministers Scheel, Fernschreiben Nr. 4271, 30. 10. 1969, in: AAPD 1969, Bd. II, Dok. 337, S. 1195–1197. PA AA, B 30, Bd. 505, Bericht über die XXVI. Jahresversammlung der ECE vom 19. bis 30. April 1971 in Genf, Bonn, 25. 5. 1971. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 505, Drahtbericht Nr. 420, Schnippenkötter, Genf, 20. 4. 1971; „ECEPräsident: DDR muß offiziell vertreten sein. Otto Winzer macht Anspruch auf Mitgliedschaft geltend“, in: ND, 15. 4. 1970, S. 2. Vgl. Part II, 23rd Session of the Commission, Economic Commission for Europe, Annual Report (30. 4. 1966–28. 4. 1967), Economic and Social Council, Official Records: 43rd session, Supplement No. 3, S. 50. Siehe auch Janáč/Olšáková, Road to Stockholm, S. 7–11; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 262. Vgl. BArch, DC 20/I/4, Bd. 2257, Bl. 152–154, Vertrauliche Ministerratssache Nr. 785/70; Beschluß des Ministerrates 02 – 123 / III. 2/ 70 vom 8. 7. 1970 und die Anlage III.2. „Maßnahmen zur Antragstellung der DDR auf gleichberechtigte Mitgliedschaft in der ECE nach Artikel 7 des Mandats einschließlich der 49. Tagung des ECOSOC nach der Beschlußfassung durch das Politbüro“. Vgl. auch die Afz. des Vortragenden Legationsrats (VLR) I von Hassell, 12. 2. 1970, in: AAPD 1970, Bd. I, Dok. 52, S. 235.
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abgelehnt wurde.165 Die Bundesrepublik wiederum wurde dort bereits 1955 als Mitglied zugelassen und war seitdem auch in der ECE als Vollmitglied tätig. Die DDR bemühte sich ab da an ebenfalls als zweiter souveräner deutscher Staat in der ECE unter der eigenen Landesbezeichnung zu etablieren, um nicht mehr als „Eastern Zone“ 166 beteiligt zu sein. Alle Bemühungen der DDR, sich eine Statusverbesserung zu erstreiten, verliefen allerdings im Sande, weshalb sie 1958 ihre Zusammenarbeit mit der ECE aufgekündigt und zunächst keine weiteren Statistiken, Anfragen etc. mehr beantwortetet hatte.167 Konsequent war sie in puncto Aufkündigung der Zusammenarbeit jedoch nicht: Zum einen blieb der Ständige Vertreter der DDR in Genf. Zum anderen beantwortete die DDR ab den 1960er Jahren auch wieder Anfragen, ließ Besuchergruppen der ECE in der DDR zu, aber beteiligte sich aus Protest nicht aktiv an den Plenartagungen der 13 verschiedenen Fach-Komitees der ECE.168 So lieferte die DDR dem 1967 neu gegründeten Wasserkomitee nur Berichte. Doch gerade beim Thema Wasser konnte die DDR besonders gut veranschaulichen, dass Gewässerschutz ohne sie in Europa nicht möglich sei. Den Hintergrund bildete die Erkenntnis, dass Großeinzugsgebiete der Wasserwirtschaft nicht mit politischen Grenzen übereinstimmen: „Bei der Einreichung von Berichten ist davon auszugehen, durch Propagierung der fachlichen Potenzen der Wasserwirtschaft der DDR, [… und der] Verflechtung des Wasserhaushaltes der DDR mit dem gesamteuropäischen Wasserhaushalt den Nachweis zu führen, daß ohne die Mitarbeit der DDR die Effektivität des ECE-Komitees für Wasserprobleme wesentlich beeinträchtigt wird.“ 169
Die Zusammenarbeit mit der ECE sollte daher genutzt werden, um die DDR zu stärken und den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik in den Internationalen Organisationen zurückzudrängen. Des Weiteren konnte die DDR darüber ihre Eignung und Interessiertheit darstellen. Auch sollten die Ergebnisse dieser Organisation im Fachbereich kontinuierlich ausgewertet werden, um sie für die DDR-Wasserpolitik nutzbar zu machen. Gleichzeitig sollte über die Mitarbeit im Wasserkomitee der Anspruch der DDR vermittelt werden, eine gleichberechtigte Teilnahme in der ECE nach Artikel 7 des Mandats zu erreichen – das heißt als
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Vgl. PA AA, B 30, Bd. 502, Bericht betr. die ECE-Umweltkonferenz in Prag 1971, VLR Marke, 29. 9. 1970. Vgl. Art. 10, United Nations, Terms of Reference, S. 2. Vgl. Amos, Westpolitik, S. 282 f., siehe auch BArch, DY 30, Bd. 3668, Bl. 8 f., 13, Brief Walter Ulbrichts an Nikita Chruschtschow vom 1. 12. 1958 zur Unterstützung des Anliegens durch die Sowjetunion sowie die Zusage durch Chruschtschow vom 30. 12. 1958. Vgl. Amos, Westpolitik, S. 283 f. Siehe zum Thema „Umgang der DDR in multilateralen Organisationen“, insbesondere der ECE auch die Afz. des VLR I von Hassell, 12. 2. 1970, in: AAPD 1970, Bd. I, Dok. 52, S. 227–239. BArch, DK 5, Bd. 540, Konzeption für die Arbeit in der Wasserwirtschaft in ECOSOC und ECE, Verfasser: AfW, 2. 2. 1970.
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Vollmitglied.170 Kurz, die DDR versuchte über die wissenschaftliche Universalität des Themas politisches Kapital zu schlagen.171 Ähnlich argumentierten auch die Ostblockstaaten, unter anderem Polen und Ungarn, im Hinblick auf eine Beteiligung der DDR an der Umweltkonferenz 1971 in Prag. Sie betonten, die DDR sei für eine erfolgreiche europäische Umweltpolitik bedeutend, zum einen aufgrund ihrer geografischen Lage im Herzen Europas, und zum anderen durch ihre Wirtschaft, ihre Handelsbeziehungen sowie die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit.172 Diese Argumentation entspricht fast wortgenau Briefen, die DDR-Außenminister Otto Winzer an die Sekretariate der ECE und des ECOSOC für eine „gleichberechtigte Teilnahme“ der DDR in diesen Gremien formuliert hatte.173 Westdeutsche Botschafter spekulierten darüber, ob die Haltung der osteuropäischen Länder nun durch Druck von der DDR oder der Sowjetunion entstand.174 Die Direktiven der DDR sahen jedenfalls in dieser Frage die einheitliche Haltung der sozialistischen Länder vor, die DDR in ihrem Anliegen zu unterstützen. Sie kann daher – mit Rückenwind aus Moskau – als die treibende Kraft hinter den Plädoyers anderer osteuropäischer Länder für ihre Beteiligung gesehen werden. Die Hilfe durch die anderen sozialistischen Staaten kannte jedoch auch Grenzen: „Da nicht zu erwarten ist, daß Erwägungen, die Prager Konferenz an das ECE-Sekretariat zurückzugeben, allgemeine Unterstützung finden [wird], ergreift die DDR gegenüber der ČSSR keine Initiative, die Absetzung der Konferenz zu erwirken.“ 175 Die Bundesrepublik reagierte prompt auf die Versuche aus dem Osten, die DDR mit ihr gleichzustellen, und intervenierte beziehungsweise leistete für ihre Position in der Deutschlandfrage eine enorme Lobbyarbeit, innerhalb der ECE sowie im Rahmen der UNO: Die Bundesregierung brauche noch etwas Zeit; Die neue Ost170
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 540, Information an das Sekretariat des ZK, 9. 7. 1970, Beziehungen der DDR zur ECE auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft, Leiter des AfW beim Ministerrat der DDR, Johannes Rochlitzer. Vgl. Art. 7, United Nations, Terms of Reference, S. 2. Siehe mit anderem Beispiel ähnlich Forman, Scientific Internationalism, S. 161. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 505, Beteiligung der DDR an der 26. Jahresversammlung der ECE, Drahtbericht Nr. 420, Schnippenkötter, Genf, 20. 4. 1971. Siehe zur DDR auch Janáč/ Olšáková, Road to Stockholm, S. 11. Vgl. ECE-Präsident: DDR muß offiziell vertreten sein Otto Winzer macht Anspruch auf Mitgliedschaft geltend, in: ND, 15. 4. 1970, S. 2; Prinzip der Universalität in der ECE verwirklichen! Schreiben Otto Winzers an den Präsidenten der 25. Plenartagung, Prof. Jewgeni Matejew, in: ND, 15. 4. 1970, S. 6; DDR-Mitgliedschaft in der ECE im Interesse aller Völker Europas. Schreiben Außenminister Winzers an ECOSOC-Präsidenten, in: ND, 6. 7. 1971, S. 7. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 504, Drahtbericht Nr. 401, Boeker, New York, 22. 4. 1970. Siehe zum Einsatz der SU für die DDR: PA AA, B 30, Bd. 502, Delegationsbericht Nr. 11, 51. Tagung der ECOSOC, Top 11 (Umwelt), Drahtbericht Nr. 885, Stempel, Genf, 21. 7. 1971; Sarotte, Dealing with the Devil, S. 32. BArch, DC 20, Bd. 18166, Bl. 4, Direktive für die Expertendelegation der DDR zur Teilnahme an der 3. Beratung sozialistischer Länder in Vorbereitung der ECE-Konferenz über Umweltbedingungen in Prag, Werner Titel und Otto Winzer, 18. 3. 1971; und für die einheitliche Position der sozialistischen Länder, Bl. 8, Direktive der DDR-Delegation zum Prager ECE-Symposium über Umweltprobleme (2.–15. 5. 1971), 30. 4. 1971, Werner Titel und Otto Winzer.
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politik sei schließlich gerade erst angelaufen; Eine vorzeitige Statusänderung der DDR auf dem internationalen Parkett würde ihre Bemühungen in Richtung Osten unterlaufen. Folglich prophezeite der Ständige Vertreter der Bundesrepublik in Genf, Swidbert Schnippenkötter, vor der ECE-Jahresversammlung 1971 die dunkle Zukunft, dass eine Störung des innerdeutschen Entspannungsprozesses, bevor ein Modus Vivendi gefunden wurde, die internationale Zusammenarbeit nachhaltig beeinträchtigen würde.176 Doch mit dieser Position geriet die Bundesrepublik zunehmend unter Druck. Norwegen, Schweden und Österreich waren geneigt, sich von der westlichen Position zu entfernen und der DDR im Hinblick auf die Konferenz in Stockholm, in der ECE in Genf mehr als nur einen Beobachterstatus zukommen zu lassen.177 Insbesondere die Schweden waren besorgt, dass aufgrund der Nichtanerkennung der DDR die Sowjetunion später in Stockholm diese verhärtete Position als diplomatischen Hebel nutzen könnte.178 Auch der US-Assistant Secretary of State for International Organization Affairs Samuel De Palma warnte Schnippenkötter davor, dass es immer schwieriger würde, die DDR aus den Internationalen Organisationen herauszuhalten. Gerade beim Thema Umwelt sei er sich nicht sicher, wie amerikanische Behörden überzeugt werden könnten, die DDR aus politischen Gründen auszuschließen.179 In Internationalen Organisationen tätige Amerikaner betonten immer wieder das Universalitätsprinzip der UNO, das einen Ausschluss der DDR nicht rechtfertige.180 Auch andere Staaten, die die deutsche Frage in keiner Weise betrafen, die aber in die Auseinandersetzung notgedrungen hineingezogen wurden, empfanden die Situation zunehmend als lästig, was den Druck auf die Bundesrepublik weiter erhöhte.181 Janez Stanovnik, der Generalsekretär der ECE, versuchte eine Vermittlerposition einzunehmen: Eine Beteiligung der DDR in der ECE sei nicht nur ein europäisches Interesse, sondern außerdem eine Konsequenz der neuen westdeutschen Ostpolitik, sofern diese von Bonn ernst gemeint sei.182 176 177
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Vgl. PA AA, B 30, Bd. 505, Beteiligung der DDR an der 26. Jahresversammlung der ECE, Drahtbericht Nr. 420, Schnippenkötter, Genf, 20. 4. 1971. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 502, Delegationsbericht Nr. 1 über die 26. Jahresversammlung der ECE am 20. 4. 1971, in Drahtbericht Nr. 424, Schnippenkötter, Genf, 21. 4. 1971; und das Schreiben der Deutschen Botschaft in Oslo, Norwegen, an das AA, Rouget, 10. 5. 1971. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 502, ECE-Umweltkonferenz, Drahtbericht Nr. 113, Obermeyer, Stockholm, 30. 4. 1971. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 504, Zusammenfassung deutschlandpolitischer Fragen, Drahtbericht Nr. 239, Schnippenkötter, Genf, 12. 3. 1970. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 502, Zusammenfassung deutschlandpolitischer Fragen, Drahtbericht Nr. 934, Schnippenkötter, Genf, 30. 7. 1971. „USA-Politiker: DDR in die UNO aufnehmen“, in: ND, 15. 4. 1970, S. 2. Siehe zur Unterminierung der Universalität durch feindliche Lager Forman, Scientific Internationalism, S. 156. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 504, Sitzung Leitender Regierungsbeamter für Umweltfragen, hier: Gespräch mit Filipov, Direktor im Sekretariat der ECE, Afz. Referat III A 8 im Hause an Referat I C 1, 13. 12. 1971. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 504, Drahtbericht Nr. 90, Schnippenkötter, Genf, 5. 2. 1970. Vgl. auch PA AA, B 30, Bd. 502, Vermerk vom 23. 3. 1971 über den Besuch von Janez Stanovnik bei BM Scheel am 19. 3. 1971.
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Hauptstreitpunkt der fast eineinhalb-jährigen Diskussion belief sich darauf, ob die DDR in Prag ein Rederecht erhalte oder nicht, beziehungsweise mit ihrer Staatsbezeichnung oder nur als „Eastern Zone“ auftreten konnte.183 Der immer wieder diskutierte Artikel 8 beinhaltete eine Art Konsultativmitgliedschaft, die die DDR immerhin nicht mehr als besetztes Land ansehen würde. Doch auch das lehnte sie ab, da dieser Artikel wieder nur einen Beobachterstatus enthielte und sie die darin enthaltene Wendung „european nation“ zurückwies.184 Für ihr angestrebtes Ziel – Nennung der Staatsbezeichnung und Rederecht – besaß der Botschafter keine Restriktionen im Auftreten.185 Auf der 26. Jahresversammlung der ECE kam es in Bezug auf die Beteiligung der DDR an der Konferenz in Prag zu einer Pattsituation der jeweiligen Anträge aus Ost und West. Aus diesem Grund schlug Stanovnik vor, die Prager Umweltkonferenz auf Ministerebene in ein wissenschaftliches Symposium umzuwandeln, auf der Experten inhaltliche Sachfragen klären könnten.186 Schnippenkötter berichtete daher nach Bonn, der Osten nehme eher die Degradierung der Konferenz zu einem Symposium hin, als den Boykott oder eine Verlegung nach Genf zu riskieren. Er vermutete dahinter, dass die ČSSR darum gebeten habe, da immerhin Geld und Prestige mit der Ausrichtung einer solchen Konferenz einhergingen. Zudem wollten die osteuropäischen Länder nicht die Funktionsfähigkeit der ECE, des einzigen Ost-West-Gremiums, infrage stellen und das Thema „Umwelt“ verlieren, das weltweit an Bedeutung gewann. Durch die Bekämpfung der Wiener Formel und der Durchsetzung einer DDR-Beteiligung hätte der Osten einen „nützlichen Auftakt“ für Stockholm geleistet. Die westdeutsche Seite wiederum konnte ihren deutschlandpolitischen Status quo innerhalb der ECE bewahren.187 Die UN-ECE, eigentlich ein Ort der wissenschaftlich-technischen Kooperation,
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Vgl. PA AA, B 30, Bd. 505, Drahtbericht Nr. 439, Schnippenkötter, Genf, 23. 4. 1971. Die Bundesrepublik und die USA befürworteten eine Einladung der DDR als Beobachter ohne Rederecht (Art. 8), vgl. PA AA, B 30, Bd. 502, Drahtbericht Nr. 172, Schnippenkötter, Genf, 27. 2. 1971; das Vereinigte Königreich favorisierte eine Beteiligung der DDR nach Art. 10 der Terms of Reference, d. h. als „Ostzone“, vgl. ebenda, Drahtbericht Nr. 172, Schnippenkötter, Genf, 27. 2. 1971. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 504, Drahtbericht Nr. 90, Schnippenkötter, Genf, 5. 2. 1970; Art. 8, United Nations, Terms of Reference, S. 2. Vgl. zur Auslegungsdiskussion auch die Aufzeichnung des VLR I von Hassell, 12. 2. 1970, in: AAPD 1970, Bd. I, Dok. 52, S. 232. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 540, hs. Notiz von Keller auf der Rückseite des Schreibens von Ewald Moldt, stv. Außenminister der DDR, zur Teilnahme der DDR bei der ECE, 2. 3. 1971. „Prinzip der Universalität in der ECE verwirklichen! Schreiben Otto Winzers an den Präsidenten der 25. Plenartagung, Prof. Jewgeni Matejew“, in: ND, 15. 4. 1970, S. 6. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 505, Bericht über die 26. Jahresversammlung der ECE vom 19. bis 30. April 1971 in Genf, Bonn, o. V., 25. 5. 1971. Vgl. für die Umwandlung in ein Symposium: 26th Session of the Commission, Economic Commission for Europe, Annual Report (25. 4. 1970–30. 4. 1971), Economic and Social Council, Official Records: 51st Session, S. 7, 56 f. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 505, Drahtbericht Nr. 524, Schnippenkötter, Genf, 9. 5. 1971. Siehe zur Wiener Formel Kap. I.2.2., Anm. 215.
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avancierte nun in der Auseinandersetzung um die Prager Konferenz zu einem potenziellen Konfliktherd in den Ost-West-Beziehungen.188 Nach diesen harten Auseinandersetzungen verlief das „ECE Symposium on problems relating to the environment“ vom 2. bis 10. Mai 1971 in Prag denn auch ohne großes Aufsehen. Die Öffentlichkeit wurde – wie bei solchen Veranstaltungen noch üblich – nicht zugelassen. Das heißt, das Publikum, vor dem die Experten letztlich konkurrierten, blieb auf sie selbst beschränkt. Als inoffzielle Diplomaten kam ihnen dabei die einzigartige Rolle zu, einerseits vielfältige Bereiche der Kooperation zu identifizieren, andererseits standen sie jedoch unter dem politischen und ideologischen Druck ihre apolitische wissenschaftliche Arbeit in den Dienst ihrer jeweiligen Regierungen zu stellen, wie beispielhaft an den beiden deutschen Staaten zu sehen ist.189 Nach anfänglichen Irritationen, wie genau die DDR zu bezeichnen sei, erhielt deren Delegationsleiter, Günter Zillmann, stellvertretender Minister für Wissenschaft und Technologie, einen Platz ganz hinten. Das Schild „DDR“ wurde hinzugefügt, aber die Landesbezeichnung nicht ausgeschrieben. Die Bezeichnung lautete letztlich: „Auf Einladung der Regierung der ČSSR – Zillmann, DDR“.190 Die Vertreter der DDR reagierten auf diese Behandlung zunächst mit – Schweigen. Die Direktive für das ECE-Treffen in Prag sah ein solches Schweigen zwar nicht vor, eher sollte durch „qualifiziertes politisch-fachliches Auftreten [nachgewiesen werden], daß Umweltfragen in Europa ohne gleichberechtigte Teilnahme der DDR nicht zu lösen sind.“ 191 Doch die eher verhaltene Beteiligung beunruhigte sowohl Stanovnik als auch die westdeutsche Delegation. Werner Rouget, Vertreter des Leiters der bundesdeutschen Handelsvertretung in Prag, schlussfolgerte daraus: „… je mehr Abstinenz sie [die DDR-Vertreter] auf dem Symposium üben, umso dringlicher könne die Forderung erhoben werden, sie bei künftigen Gelegenheiten als vollberechtigten Teilnehmer zuzulassen.“ 192 Das Auswärtige Amt (AA) vermutete eher, die politisch motivierte, taktische Zurückhaltung läge daran, dass die DDR die ungleiche Position auf dem Symposium nicht gewahr werden lassen wollte.193
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Vgl. Janáč/Olšáková, Road to Stockholm, S. 12; siehe zur ECE auch Stinsky, International Organisation, S. 1–10. Vgl. Janáč/Olšáková, Road to Stockholm, S. 5; Forman, Scientific Internationalism, S. 161, 170, 180; Niederhut, Wissenschaftsaustausch, S. 307. Vgl. BArch, DC 20-I/4, Bd. 2476, Bl. 89, Bericht über die Teilnahme der DDR-Delegation am ECE-Symposium über Umweltprobleme in Prag (2.–15. 5. 1971); PA AA, B 30, Bd. 502, Drahtbericht Nr. 230, Schnippenkötter/Rouget, Prag, 3. 5. 1971, und Drahtbericht Nr. 249, Rouget, Prag, 6. 5. 1971. BArch, DC 20, Bd. 18166, Bl. 8, ähnlich auch Bl. 10, Direktive der DDR-Delegation zum Prager ECE-Symposium über Umweltprobleme (2.–15. 5. 1971), 30. 4. 1971, Dr. Werner Titel und Otto Winzer. PA AA, B 30, Bd. 502, ECE-Symposium über Umweltfragen in Prag, Drahtbericht Nr. 237, Rouget, Prag, 4. 5. 1971. Vgl. PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 115–136, hier Bl. 126, Anlage 2: Vermerk von Heimsoeth, Referat IO, AA, 25. 5. 1971, zum Bericht über das ECE-Symposium vom 3.–10. 5. 1971, im Bericht des Abteilungsleiters U, BMI, von Berg, 15. 6. 1971.
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I. Genese der Umweltpolitik
Inhaltlich formulierte Stanovnik in der Eröffnungsrede des Symposiums als wichtiges Ziel dieses Treffens, neben der Wirtschafts- und Sozialpolitik eine „selbständige Umweltpolitik“ in der ECE zu entwickeln.194 Infolge der Umwandlung der Konferenz in ein fachwissenschaftliches Symposium entfielen aber politische und strategische Diskussionen über die umweltpolitische Ausrichtung der ECE. Stattdessen bildeten 26 Länderberichte die Grundlage, um über Methoden und Herausforderungen bei der Bekämpfung von Umweltproblemen zu sprechen.195 Die Bundesrepublik und die DDR reichten jeweils Ländermonographien, also Tätigkeitsberichte über ihre bisherige Umweltarbeit, ein. Diejenige der DDR wurde von der „Kommission für sozialistische Landeskultur beim Ministerrat der DDR“ herausgegeben, die darin auch als verantwortlich für den Umweltschutz bezeichnet wird. Ein Ministerium für Umweltschutz wird nicht erwähnt, da es noch nicht gegründet worden war, wohl aber das Landeskulturgesetz. Als innenpolitische Ziele nennt die Kommission in dem Bericht unter anderem die Umstellung auf flüssige und gasförmige Brennstoffe, die Ablösung der Braunkohle durch Erdölchemie und im „Rahmen des Strukturwandels [die] Stillegung [sic!] veralteter, die Biosphäre verschmutzender Produktionsanlagen“. Doch all diese Maßnahmen standen auch hier wieder unter dem Diktum des „gesamtgesellschaftlichen Nutzens“ und der „Einhaltung einer volkswirtschaftlich begründeten Rangfolge“.196 Während die Monographie der Bundesrepublik als Mitglied der ECE selbstverständlich verteilt wurde, erhielt die DDR keine offizielle Veröffentlichungsmöglichkeit für ihren Länderbericht.197 In seiner Rede verwies der DDR-Delegationsleiter Zillmann darauf, dass der Umweltschutz in der Verfassung der DDR und im LKG verankert sei. Da dies im Grundgesetz (GG) nicht der Fall war, nahm der westdeutsche Vertreter, Michael von Berg, auf Artikel 2 GG Bezug, ein Recht auf Leben und Gesundheit:
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Vgl. PA AA, B 30, Bd. 502, Drahtbericht Nr. 230, Schnippenkötter/Rouget, Prag, 3. 5. 1971. Vgl. PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 117–118, Bericht des Abteilungsleiters U, BMI, von Berg, über das ECE-Umweltsymposium in Prag, 3.–10. 5. 1971, 15. 6. 1971. Siehe auch Janáč/Olšáková, Road to Stockholm, S. 10–12. Vgl. zum Länderbericht der Bundesrepublik: BArch, B 136, Bd. 5424, Teil 2, Umwelt – Probleme in der Bundesrepublik Deutschland, zusammenfassender Landesbericht erstattet durch den Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen, Bonn – Bad Godesberg, Dezember 1969; zur DDR, siehe Anm. 196. BArch, DC 20, Bd. 16090, Bl. 157–198, Zitate hier Bl. 173, 175, „Probleme der Umwelt“, Deutsche Demokratische Republik (Ländermonografie), hrsg. v. der Kommission für sozialistische Landeskultur beim Ministerrat der DDR, Berlin Mai 1970; siehe zum Bericht auch Kirchhof, East Germany’s Fight, S. 226 f. Die Monographie der Bundesrepublik wurde als B-Serie, diejenige der DDR als Information in der I-Serie veröffentlicht. Vgl. BArch, DC 20-I/4, Bd. 2476, Bl. 78–85, hier Bl. 80, Bericht über die Teilnahme der DDR-Delegation am ECE-Symposium über Umweltprobleme in Prag (2.–15. 5. 1971). Im Falle einer Nichtveröffentlichung bestand die Direktive, den Bericht selbst unter den Delegationen zu verteilen, vgl. BArch, DC 20, Bd. 18166, Bl. 2–6, hier Bl. 5, Direktive für die Expertendelegation der DDR zur Teilnahme an der 3. Beratung sozialistischer Länder in Vorbereitung der ECE-Konferenz über Umweltbedingungen in Prag, Werner Titel, 18. 3. 1971.
2. Der kalte Kampf um internationalen Einfluss
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„Dem Bürger steht schon heute nach Art. 2 GG ein Grundrecht auf eine Umwelt zu, die frei von schädlichen Eingriffen durch die öffentliche Gewalt ist. Es muß eines der wichtigsten Anliegen einer modernen Umweltpolitik sein, dieses Grundrecht nach Schaffung der notwendigen tatsächlichen Voraussetzungen zu einem sozialen Grundrecht weiter zu entwickeln, nach dem der Bürger einen Anspruch darauf hat, daß der Staat aktiv gegen Verursacher von Umweltschäden tätig wird.“ 198
Bewertet wurde dieser Schachzug von der ostdeutschen Seite als „Unverfrorenheit in der Wahl der propagandistischen Mittel und Argumente.“ 199 Die bundesdeutsche Argumentation war zwar mit dem Hinweis auf den Gesundheitsdiskurs in den 1960er Jahren verhaftet geblieben und auch das Umweltprogramm floss noch nicht in Prag ein.200 Da solche Erklärungen aber keine spontanen Einfälle der Delegierten widerspiegeln, sondern eher abgesprochene und abgesegnete Dokumente darstellen, liegt es durchaus nahe, dass die Bundesrepublik, wohlwissend, dass die DDR teilnehmen würde, versuchte, ihr damit in nichts nachzustehen. Nachdem in der Bundestagsdebatte Ende 1970 die Aufnahme des Umweltschutzes ins Grundgesetz abgeschmettert worden war, wollte sie vermutlich trotz allem den Nachweis erbringen, ebenfalls etwas zum Thema in der Verfassung stehen zu haben. Dies wäre eher ein Indiz für die These, dass der legislative Vorsprung der DDR im Umweltbereich doch auch die Bundesrepublik beeinflusste und beide Staaten den Umweltschutz für ihr Prestige in der Systemkonkurrenz nutzten. Neben der legislativen Konkurrenz, standen beide auf dem Symposium auch in wissenschaftlicher Hinsicht weiter im Wettbewerb miteinander: Die Bundesrepublik hatte zwei Wissenschaftler aus Nordrhein-Westfalen, Dr. Ludger Wierling und Dieter Hötker, nach Prag entsandt, die unter anderem einen Vortrag über „Umweltprobleme und Umweltschutz im Ruhrgebiet“ hielten.201 Bewertet wurde dies im Delegationsbericht der DDR mit: „Der Stand der BRD, der sich auf Umweltfragen im Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk beschränkte, konnte nicht überzeugen.“ 202 Für die DDR hielten die Genossen Werner, Abteilungsleiter im Institut für Landesforschung und Naturschutz Halle der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften, und Gerhard Voigt, Sektorenleiter im Amt für Wasserwirtschaft, Diskussionsbeiträge zur Wiedernutzbarmachung von Bergbauländereien und die Nutzung und Reinhaltung der Gewässer.203 Die westdeutsche Delegation berichtete hierzu, die DDR hätte ihre „Ebenbürtigkeit“ zur Bundesrepublik darstellen können, was ihr nach westdeutscher Sicht 198
199 200 201
202 203
PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 114–137, hier Bl. 120, Anlage 1: Erklärung zur nationalen Umweltpolitik, Bericht über das ECE-Symposium vom 3.–10. 5. 1971, Abteilungsleiter U von Berg, BMI, 15. 6. 1971. BArch, DC 20-I/4, Bd. 2476, Bl. 78–85, hier Bl. 81, Bericht über die Teilnahme der DDRDelegation am ECE-Symposium über Umweltprobleme in Prag (2.–15. 5. 1971). Vgl. Schulz-Walden, Anfänge, S. 198 f. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 247, sowie PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 133–135, Anlage 4: Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, zum Bericht über das ECE-Symposium vom 3.– 10. 5. 1971, im Bericht des Abteilungsleiters U, von Berg, BMI, 15. 6. 1971. BArch, DC 20-I/4, Bd. 2476, Bl. 78–85, hier Bl. 84, Bericht über die Teilnahme der DDRDelegation am ECE-Symposium über Umweltprobleme in Prag (2.–15. 5. 1971). Vgl. ebenda, Bl. 81.
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I. Genese der Umweltpolitik
nicht gelang: Die DDR-Vertreter haben über Umweltprobleme im gesamten Land und über Probleme in der Metall-Industrie berichtet. Auch die Exponate der DDR in der Ausstellung in Ostrau seien „nicht besonders eindrucksvoll“ gewesen und hätten „keine interessanten Gesichtspunkte“ ergeben.204 Im Vermerk über das Symposium wurde daher die erreichte Demonstration der westdeutschen Überlegenheit herausgestellt: „Im Vergleich der sachlichen Beiträge zu den Diskussionen ergaben sich Vorteile für die Bundesrepublik Deutschland, da die Mitarbeit der DDR-Experten hinter den Erwartungen zurückblieb und nach Umfang und Gehalt nicht den Beitrag der Fachleute aus der Bundesrepublik Deutschland erreichte.“ 205 Dennoch wurde anerkannt, dass die DDR mit einer gleichberechtigten Teilnahme auch durchaus Bedeutenderes hätte leisten können. Der ungleiche Status schien die Sprache gelebter Konkurrenz jedenfalls bestärkt zu haben. In der sachlichen Auseinandersetzung sahen sich sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR als Gewinnerin. Doch über die Querelen wegen der deutschen Frage hatte die Bundesrepublik erreicht, dass auf dem Symposium keine politischen Inhalte diskutiert wurden. Dabei bestand vonseiten der NATO eigentlich ein Interesse daran zu wissen, an welchen Maßnahmen im Umweltschutz die Warschauer Vertragsorganisation (WVO) interessiert sei, da hierüber noch keine Informationen vorlagen. Die ECE-Konferenz hätte in dieser Hinsicht die erste Kontaktmöglichkeit zwischen beiden Blöcken auf höherer Ebene zum Thema Umwelt darstellen können. In einer handschriftlichen Anmerkung auf dem Bericht des Symposiums wurde im Auswärtigen Amt resümiert, dass die „Klärung der Frage kaum möglich sein [konnte], welchen Grad polit.[ischen] Interesses die W[arschauer-]P[akt]-Fragen [sic!; vermutlich „WP-Staaten“] mit Erörterung von Umweltfragen verbinden“.206 Die USA hatten neben ihren bilateralen Beziehungen die ECE als „second front“ ihrer umweltbezogenen Entspannungspolitik ausbauen wollen, da hier die Sowjetunion weniger konfrontativ als gegenüber der NATO auftreten würde. Ihr Ziel bestand darin, die UdSSR für umweltpolitische Projekte zu gewinnen und den Osten damit in bürokratische Maßnahmen einzuwickeln.207 Mit der Herabstufung der Konferenz in Prag zu einem Symposium war für die Bundesrepublik also noch nichts gewonnen und die Auseinandersetzung um eine DDR-Beteiligung in Stockholm nicht beendet. Und obwohl Schnippenkötter selbst feststellte, dass die Ungelöstheit der deutschen Frage die substanzielle ECE-Arbeit lähme,208 verteidigte er auf der 27. Jahrestagung der ECE 1972 die Ostpolitik beziehungsweise die bisheri-
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207 208
Vgl. PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 126–130, hier Bl. 127, Anlage 2: Vermerk von Heimsoeth, Refeferat IO, AA, 25. 5. 1971, zum Bericht über das ECE-Symposium vom 3.–10. 5. 1971, im Bericht des Abteilungsleiters U, von Berg, BMI, 15. 6. 1971. Ebenda, Bl. 128. PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 126, Anlage 2: Vermerk von Heimsoeth, Referat IO, AA, 25. 5. 1971, zum Bericht über das ECE-Symposium vom 3.–10. 5. 1971, im Bericht des Abteilungsleiters U, von Berg, BMI, 15. 6. 1971. Vgl. Macekura, Limits, S. 498; Schulz-Walden, Anfänge, S. 178. Vgl. PA AA, B 30, Bd. 504, Teilnahme der DDR an der Umwelttagung hoher Regierungsberater der ECE-Mitgliedsländer, Drahtbericht Nr. 1468, Schnippenkötter, Genf, 18. 12. 1971.
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ge Haltung der Bundesregierung. Er drohte fast schon: „… es wäre eine unnötige Störung des Prozesses, den wir durchmachen, wenn von einem regionalen und funktionalen Organ der Vereinten Nationen wie der ECE Schritte politischer Natur ergriffen würden.“ 209 Die Forderung einer DDR-Beteiligung für Stockholm blieb auf Seiten der sozialistischen Staaten indessen offenkundig bestehen – sehr zur Genugtuung der DDR.210 Doch konnte sie sich nicht gegenüber der Sowjetunion durchsetzen, diesen Appell der sozialistischen Staaten auch in die Abschlussdokumente des Symposiums aufnehmen zu lassen. Die UdSSR wollte – entgegen den westlichen Staaten – die Abschlussdokumente verabschiedet sehen, um die Bedeutung des Treffens in Prag im Allgemeinen nicht weiter zu verringern.211 Umweltpolitik stand auf dem Symposium der ECE demnach ganz im Zeichen der Blockkonfrontation. Inhaltlich gingen beide deutsche Staaten kaum aufeinander ein. Von Kooperation kann also keine Rede sein. Gleichzeitig mussten beide Abstriche an ihren eigenen Zielen vornehmen: auf der Westseite in Bezug auf Informationen der WVO-Staaten in ihrem Verhältnis zu Umweltfragen und auf der Seite der DDR, weil ihre „gleichberechtigte Teilnahme“ in den übergeordneten Zielen der Warschauer Vertragsstaaten ihre Grenze fand. Gleichzeitig wird ersichtlich, dass in der Umweltpolitik das Universalitätsprinzip der UNO mehr Geltung erfuhr als bei anderen Themen. Zudem lässt sich über die Umweltdebatte im internationalen Kontext bestätigen, was längst auch an anderen Stellen spürbar wurde: Die deutsche Frage, das heißt eine mögliche Wiedervereinigung beider deutscher Staaten, in den 1950er und 1960er Jahren willkommenes Mittel im Kalten Krieg, verlor auf der internationalen Bühne immer mehr an Rückhalt, vor allem im Westen. Sie störte das internationale Gleichgewicht zunehmend, wie es anhand des Höhepunkts in der Auseinandersetzung um eine DDR-Beteiligung in Stockholm ersichtlich wird.
2.2 Die Umweltkonferenz der UNO in Stockholm 1972 „Die DDR denke nicht daran, Umweltfragen für Bayern zu regeln, während sie von der gleichberechtigten Teilnahme an der Konferenz in Stockholm ausgeschlossen wurde“, erklärte DDR-Außenminister Otto Winzer in einem geheimen Gespräch
209
210 211
BArch, DL 2, Bd. 6273b, Bl. 548, Information Nr. 116/IV, Zur bisherigen Behandlung der Frage der gleichberechtigten Mitgliedschaft der DDR auf der 27. Plenartagung der ECE, MfAA, 19. 4. 1972. Vgl. PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 114–135, hier Bl. 117, Bericht des Abteilungsleiters U von Berg, BMI, über das ECE-Umweltsymposium in Prag, 3.–10. 5. 1971, 15. 6. 1971. Vgl. BArch DC 20-I/4, Bd. 2476, Bl. 82, Bericht über die Teilnahme der DDR-Delegation am ECE-Symposium über Umweltprobleme in Prag (2.–15. 5. 1971). Siehe auch PA AA, B 30, Bd. 502, Drahtbericht Nr. 232, Schnippenkötter/Rouget, Prag, 3. 5. 1971. Eine Entschließung gab es nicht, sondern nur das Papier über „Allgemeine Schlussfolgerungen aus den Diskussionen über Umweltprobleme“, vgl. PA AA, B 40, Bd. 199, Bl. 118, Bericht des Abteilungsleiters U, von Berg, BMI, über das ECE-Umweltsymposium in Prag, 3.–10. 5. 1971, 15. 6. 1971.
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I. Genese der Umweltpolitik
im Sommer 1972 dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Egon Bahr.212 Was sich in Prag im Kleinen bereits abgespielt hatte, setzte sich in der Vorbereitung für Stockholm fort: Die Bundesregierung wollte verhindern, dass die DDR mehr als nur einen Beobachterstatus auf dieser Konferenz erhielt, was die DDR wiederum nicht akzeptierte. Doch parallel zu den Differenzen auf der internationalen Ebene versuchten beide Seiten im Zuge der westdeutschen Ostpolitik den Grundlagenvertrag auszuhandeln. Während Bahr im Gespräch mit Winzer also hart und beständig bei der bundesdeutschen Position bezüglich Stockholms blieb, das Handeln der Bundesrepublik rechtfertigte und auch damit drohte, sie habe es bisher geschafft, sie könne auch ein weiteres Mal verhindern, dass die DDR in die UNO aufgenommen werde, bröckelte es bereits hinter dieser Fassade. Bahr schrieb im Mai 1972 in einer Aufzeichnung für Bundeskanzler Willy Brandt: „Es ist ziemlich grotesk: Ich möchte im Rahmen des Grundvertrages eine Fülle von kleinen Wünschen der Länder von Bayern bis Schleswig-Holstein an der Grenze regeln, die zu einem großen Teil Umweltfragen sind. Die DDR muss einfach mit dem Argument kommen, dies zu verweigern, solange ihr die gleichberechtigte Mitarbeit auf internationaler Ebene verweigert wird.“ 213
Im Gegensatz einer Teilnahme der DDR in der World Health Organization (WHO), die ebenfalls verhindert wurde, stünde die Umweltkonferenz in Stockholm dagegen nicht in der Gefahr, eine DDR-Mitgliedschaft in einer der Unterorganisationen der UNO zu präjudizieren, da es eine solche noch nicht gab. Dies sei ohnehin ein Prozess, den die Bundesrepublik nicht werde verhindern können. Allerdings habe die Bundesregierung nun eine Entwicklung in Gang gesetzt, die sie nicht mehr aufhalten könne, ohne ihre eigenen Verbündeten zu verprellen.214 Das Festhalten an der Scheel-Doktrin wurde im Umweltbereich nun offensichtlich ad absurdum geführt. Als die UNO im Februar 1972 eine Teilnahme über die „Wiener Formel“ beschloss, verließen die Sowjetunion und die ČSSR das Vorbereitungskomitee. Die „Wiener Formel“ regelt die diplomatischen Beziehungen der Vereinten Nationen. Da die DDR nicht Mitglied in einer der Unterorganisationen war, schloss sie das – anders als die Bundesrepublik (u. a. Mitglied des ECOSOC, der WHO) – aus.215 Den Beobachterstatus, den sie eventuell hätte erhalten können, lehnten die DDR und die Sowjetunion – nicht ohne Verstimmungen untereinander – ab.216 Die Differenzen hatten auch Auswirkungen auf die ECE, wo es einen Monat später nicht zur ersten Sitzung des neuen Gremiums der ECE-Umweltberater in Jugoslawien kam, aufgrund der unnachgiebigen Haltung der östlichen Gruppe.217 Letztlich 212 213 214 215
216 217
Afz. des StS Bahr, BKAmt, 28. 6. 1972, in: AAPD 1972, Bd. II, Dok. 191, S. 853 f. Afz. des StS Bahr, BKAmt, 25. 5. 1972, in: AAPD 1972, Bd. I, Dok. 144, S. 600. Vgl. ebenda, S. 600 f.; und auch Afz. des VLR I von Hassell, 12. 2. 1970, in: AAPD 1970, Bd. I, Dok. 52, S. 227 f. Vgl. Artikel 48 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen („Wiener Formel“), in: Bundesgesetzblatt 1964, Teil II, Nr. 38, 13. 8. 1964, S. 991– 993; Kirchhof, East Germany’s Fight, S. 230; Macekura, Limits, S. 503. Vgl. Afz. des VLR I von Hassell, 12. 2. 1970, in: AAPD 1970, Bd. I, Dok. 52, S. 232. Vgl. PA AA, B 28, Bd. 109308, Ortex Nr. 21, Erste Tagung der ECE-Berater für Umweltfragen, Genf, 6. 3. 1972.
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boykottierte fast der gesamte Ostblock im Sommer die Stockholmer Umweltkonferenz.218 Somit wurde die bis dahin erste und bedeutendste „Weltumweltkonferenz“ zu einem Ereignis allein für die westlichen Staaten und Entwicklungsländer. Bisher wurde die Gründung des MfUW am 1. Januar 1972 in der DDR oft mit einer Teilnahme in Stockholm in Verbindung gebracht.219 Dazu gibt es jedoch einige Unstimmigkeiten beziehungsweise Ergänzungen: So resultiert die Ministeriumsgründung nicht, wie vermutet werden könnte, aus Schlussfolgerungen, die im Ergebnis des ECE-Symposiums gezogen wurden. Stattdessen scheint die DDR nach Prag in expliziter Ausrichtung auf Stockholm die treibende Kraft hinter der Gründung eines „Rates für Umweltfragen“ innerhalb der Warschauer Vertragsstaaten gewesen zu sein.220 Dieses neu zu schaffende Organ sollte insbesondere die Teilnahme der DDR an der Umweltkonferenz in Stockholm sichern und die Zusammenarbeit im Hinblick auf eine Sicherheitskonferenz in Europa fördern. 1972 wurde der „Rat für den Schutz und die Gestaltung der Umwelt“ gegründet und dem Komitee für Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit (WTZ) im Rahmen des RGW unterstellt.221 Damit sollte einerseits eine Verteilung der (Umwelt-)Lasten innerhalb der osteuropäischen Wirtschaftsvereinigung stattfinden, andererseits grenzten sich die osteuropäischen Länder hierüber zunehmend vom Westen ab.222 Dementsprechend war die Integration des Themas „Umweltschutz“ innerhalb der Institutionen des Ostblocks die stärkere Motivation für die DDR, um im Systemwettbewerb zu bestehen. Zwar hatte die Gründung des MfUW indirekt mit der deutsch-deutschen Rivalität um Stockholm zu tun, aber sie reihte sich auch in die Gründung von osteuropäischen Umwelträten und -ministerien ein.223 Außerdem sollte für die Teilnahme in Stockholm zusätzlich eine Regierungskommission im Ministerrat unter der Leitung des zukünftigen Ministers für Um218 219 220
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Nur Rumänien nahm teil. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 262–267; Laakkonen/Räsänen, Cold War, S. 232–234. Vgl. Huff, Natur, S. 178; Roesler, Umweltprobleme, S. 28; Radkau, Ära, S. 139; Schwenk/ Weißpflug, Umweltschmutz, S. 41. Vgl. BArch, DC 20-I/4, Bd. 2476, Teil 3, Bl. 76–78, Beschluß über Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Umweltkonferenz der UNO in Stockholm 1972 im Ergebnis des ECE-Symposiums über Umweltprobleme in Prag, 162. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 23. 6. 1971. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5711, Standpunkt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bildung eines speziellen Organs für Umweltfragen im Rahmen der sozialistischen Staatengemeinschaft, 30. 9. 1971. Der Rat organisierte den Erfahrungsaustausch, die Leitung und Planung des Schutzes und der Verbesserung der Umwelt und der damit verbundenen rationellen Nutzung der natürlichen Ressourcen. Vgl. BArch, DK 5/5710, Direktive zur 1. Tagung für RGW-Umweltschutzrat, 7. 3. 1973, und PA AA, B 38, ZA, Bd. 109272, Anlage 4: Der Umweltschutz der DDR im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), II 7, 16. 10. 1973. Vgl. Welfens, Umweltpolitik, S. 101. Vgl. RGW als Solidargemeinschaft durch Umverteilung von Risiken: Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 25–28. In der ČSSR waren die Staatliche Plankommission und das Ministerium für technische und Investitionsentwicklung verantwortlich, in Polen gab es ein Ministerium für Regionalwirtschaft und Umweltschutz (1972), die UdSSR gründete einen Umweltschutzrat, der für die Ministerien Umweltprogramme erarbeitete. Vgl. Füllenbach, Umweltschutz, S. 36, 46, 55.
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weltschutz und Wasserwirtschaft geschaffen werden. Ob diese jemals tagte, ist nicht bekannt. In den entscheidenden Monaten Anfang des Jahres 1972, wir erinnern uns, war das neu gegründete Ministerium wegen des plötzlichen Ablebens des designierten Ministers Werner Titel zunächst führungslos und die offizielle Ernennung des neuen, Hans Reichelt, erfolgte erst Ende März 1972.224 Nach dessen Aussage bestand seine Hauptaufgabe darin, die DDR für eine Teilnahme an der Umweltkonferenz der UNO in Stockholm vorzubereiten.225 Doch der interne Beschluss, nicht an der Konferenz teilzunehmen, erfolgte bereits am 13. März, also noch vor Reichelts Vereidigung zum Umweltminister, und wurde erst fünf Wochen später vom Ministerrat verabschiedet.226 Die DDR-Führung hatte bereits im Vorfeld Prags mit dem Gedanken eines Boykotts beziehungsweise der Rückgabe der Konferenz durch die ČSSR an das ECE-Sekretariat gespielt, sah dann jedoch ein, dass dies im eigenen politischen Lager eine unrealistische Forderung wäre.227 Das Prager Symposium war demnach für die beteiligten osteuropäischen Staaten sehr wichtig; für Stockholm – außerhalb des Ostblocks gelegen – galt dies nicht unbedingt. Der Rückzug der UdSSR aus dem Vorbereitungskomitee für Stockholm kam der DDR-Führung daher sehr gelegen. Reichelts Aufgabe bestand also lediglich darin, nach außen den Druck aufrechtzuerhalten, während intern die Sache bereits entschieden war. Der Umweltminister diente der SED demnach als Feigenblatt, die Doppelstrategie von Boykott und Teilnahme zu verdecken: Eine Teilnahme wäre schön, ein Boykott besser. Denn nur mittels des ultimativen Abbruchs konnte der Westen genug für die Interessen sowohl der DDR als auch der Sowjetunion unter Druck gesetzt werden. Über den drastischen Schritt des Boykotts durch die Sowjetunion und ihrer Verbündeten wurde im Westen viel spekuliert: Die Sowjetunion sehe in der DDRAblehnung eine willkommene Ausrede dafür, nicht an der Konferenz teilnehmen zu müssen, da die UNO sich mit dem Frieden und nicht mit der Umwelt beschäftigen sollte; die UdSSR sehe Umweltprobleme als lokal-nationale Probleme an und hätte Angst vor den Kosten, die auf das Land mit mehr Umweltkooperation zukämen.228 Trotz allem überraschte der Boykott den Westen und passte nicht zu den
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Reichelt hatte die kaderpolitische Entscheidung am 28. 2. 1972 erfahren, ohne vorher gefragt worden zu sein; Gespräch mit Hans Reichelt am 3. 12. 2020 in Schöneiche bei Berlin. Am 9. 3. 1972 wurde Reichelt von der Volkskammer in den Ministerrat gewählt, von wo aus er am 24. 3. zum Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft vereidigt wurde, siehe: „Recht und Würde der Frau vollauf garantiert“, in: ND, 10. 3. 1972, S. 1; „Minister Hans Reichelt wurde vereidigt“, in: Berliner Zeitung, 25. 3. 1972, S. 2. Zu den Umständen von Titels Tod siehe Kap. I.1.2., Anm. 107. Vgl. Huff, Natur, S. 178. Vgl. BArch DC 20 I 3, Bd. 948, Bl. 32–34, Beschluss Nr. 343/72 über eine Erklärung der Deutschen Demokratischen Republik zur Stockholmer Umweltkonferenz, 13. 3. 1972, im Beschlussprotokoll der 13. Sitzung des Ministerrates der DDR am 21. 4. 1972. Vgl. zum Boykott-Gedanken Kap. I.2.1. Vgl. Drahtbericht Nr. 171, Obermeyer, Stockholm, 31. 5. 1972, in: Afz. des StS Bahr, BKAmt, 25. 5. 1972, in: AAPD 1972, Bd. I, Dok. 144, S. 600, Anm. 10. Ähnlich auch Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 89.
2. Der kalte Kampf um internationalen Einfluss
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sonstigen Bemühungen der UdSSR und auch der DDR im (außen)politisch genutzten Umweltschutz: Bereits im Budapester Appell von 1969 forderten sie umweltpolitische Themen wie Energie, Gesundheit, Luft- und Gewässerschutz in einer allgemeinen europäischen Sicherheitskonferenz ein.229 Abseits des Umweltpolitischen hatte die amerikanische Administration vermutet, dass die Sowjetunion definitiv an der Konferenz teilnähme, um der Volksrepublik China, die ebenfalls an der Umweltkonferenz in Stockholm teilnehmen würde, nicht das propagandistisch-ideologische Feld zu überlassen. Sie sahen aber auch, dass umweltpolitische Fragen für die Sowjetunion nicht von den größeren politischen und vor allem sicherheitspolitischen Themen losgelöst betrachtet werden konnten: Europäische Sicherheitskonferenz, Berlin, Ostverträge mit der Bundesrepublik.230 Die UdSSR gab öffentlich zu verstehen, dass sie die Nichtbeteiligung der DDR an der Konferenz als Sabotage einer internationalen Zusammenarbeit im Umweltschutz wertete. Es zeigt auch, dass das Thema „Umweltprobleme“ eine unterschiedliche Bewertung aus Ost und West erfuhr: Der Westen konzentrierte sich auf Technik- und Standardisierungsfragen, um den Gegenstand zu entpolitisieren und aufgrund der Sachlage ost-west-übergreifend ins Gespräch zu kommen. Die reine Beschäftigung mit Sachfragen räumte für die Sowjetunion aber keine deutschlandpolitischen und demnach auch keine sicherheitspolitischen Bedenken aus dem Weg.231 Wichtig ist daher, dass sie mit der Erfüllung ihrer Drohung die westlichen Staaten in puncto Entspannung und Europäische Sicherheitskonferenz noch mehr unter Druck setzen konnte. Die Korrelation zwischen Umwelt- und Entspannungspolitik erscheint dadurch vielschichtiger als eingangs erwartet. Die „Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen“ (auch United Nations Conference on the Human Environment, UNCHE) fand vom 5. bis 16. Juni 1972 in Stockholm statt. Es handelte sich um die erste UN-Konferenz, die sich eines speziellen Themas annahm und hauptsächlich junge Menschen versammelte. Ihr Ziel, ein möglichst dynamisches Umweltprogramm zu erstellen, sollte bei der Jugend Vertrauen in die UNO und Interesse an ihr stärken. Obwohl sie ohne osteuropäische Beteiligung erfolgte, gilt Stockholm dennoch als Beispiel für eine neue Ära des Multilateralismus: 114 Länder entsendeten 1200 Delegierte, und es nahmen zwischen 400 und 500 Non-Governmental-Organizations (NGOs) an dieser Konferenz teil. Mit etwa 1000 angereisten Journalisten war die Medienpräsenz auch deutlich höher als bei anderen Konferenzen zuvor, womit sie im Gesamtbild ihre Bedeutung bereits während der Veranstaltung selbst produzierte.
229 230 231
Vgl. Hünemörder, Environmental Crisis, S. 259. Vgl. Macekura, Limits, S. 503; Hünemörder, Environmental Crisis, S. 259 f. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 267; Huff, Natur, S. 177; siehe auch BArch, DC 20 I 3, Bd. 948, Bl. 34, Beschluss Nr. 343/72 vom 13. 3. 1972 über eine Erklärung der Deutschen Demokratischen Republik zur Stockholmer Umweltkonferenz, im Beschlussprotokoll der 13. Sitzung des Ministerrates der DDR am 21. 4. 1972.
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I. Genese der Umweltpolitik
Die UNO wollte damit Transparenz im Entscheidungsfindungsprozess demonstrieren.232 Auch China und die Entwicklungsländer nahmen teil, weshalb die Konferenz, vor allem durch den Boykott der Ostblock-Staaten, eine Verlagerung der Konfrontationslinie von Ost-West auf die Nord-Süd-Achse erhielt. So betonte die Premierministerin Indiens Indira Gandhi beispielsweise in ihrer Rede, dass sie die Beseitigung von Armut als die wichtigste globale Aufgabe und Umweltverschmutzung eher als ein Problem der Werte und nicht des technischen Fortschritts ansah. Die Entwicklungsländer fürchteten, dass die Gelder für die Entwicklungshilfe künftig mit denen für den Umweltschutz konkurrierten und die Verbindung von Technik und Umweltschutz den Status quo Arm gegen Reich manifestieren würde.233 Obwohl der „saure Regen“ für die Schweden der Anlass für diese Konferenz war, spielte er letztlich jedoch kaum noch eine inhaltliche Rolle.234 Auch ein Austausch zwischen Regierungen und NGOs kam nicht wirklich zustande.235 Das Ergebnis der Konferenz bestand zum einen in der Bildung einer neuen Unterorganisation der UNO, nämlich dem Umweltprogramm United Nations Environmental Program (UNEP), mit Sitz in Nairobi. Zum anderen verabschiedeten die Delegierten einen Aktionsplan mit 109 Empfehlungen für die (trans)nationale Regierungsarbeit und die Stockholmer Deklaration (Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment) mit 26 Prinzipien für die zukünftige Entwicklung. Gesetzlich unverbindlich, nicht ratifiziert wie die Menschenrechtserklärung der UNO und eher vage gehalten, bestand das Ziel darin, dass die Stockholmer Texte in späteren Schritten vereinzelt verbindlicher werden sollten. Die Prinzipien, Informationen zu Umweltproblemen an Nachbarstaaten weiter zu geben (20), als auch das Recht souveräner Staaten ihre eigenen Ressourcen ausbeuten zu können, allerdings nicht auf Kosten anderer (21), wurden als die bedeutendsten angesehen.236 Mit Letzterem sah die Bundesregierung ihr „Verursacherprinzip“, auch bekannt als polluter-pays-principle international akzeptiert und wertete dies als Erfolg.237 Die Ostblockstaaten erkannten die Prinzipien allerdings nicht an, weshalb eines der Kernziele der Konferenz, öffentlichkeitswirksam ost-west-übergreifende, weltweite Einigkeit zu demonstrieren, nicht erfüllt wurde. Das Pochen der Staaten auf ihre souveränen Rechte und die Ausstattung mit weni-
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233 234 235 236
237
Vgl. Macekura, Limits, S. 500; Brenton, Greening of Machiavelli, S. 42–44; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 243, 249, 268–273; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 88 f.; Schulz-Walden, Anfänge, S. 235–242. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 277–280. Vgl. Radkau, Ära, S. 148. Vgl. Hünemörder, Frühgeschichte, S. 277–280; Schulz-Walden, Anfänge, S. 236 f., Radkau, Ära, S. 152–156. Vgl. Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment, Stockholm, 16. 06. 1972, in URL: https://www.un.org/en/conferences/environment/stockholm1972 [12. 5. 2022]; Brenton, Greening of Machiavelli, S. 44–47; Hünemörder, Frühgeschichte, S. 268–271. Vgl. Afz. des Referats III A 8, Dok. 180, in: AAPD 1972, Bd. II, S. 776.
3. Zusammenfassung
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ger Finanzmitteln als geplant, verhinderten, dass das Umweltprogramm sein Potenzial voll ausschöpfen konnte.238 Barry Commoner, einflussreicher US-amerikanischer Umweltschützer, kritisierte schon während der Konferenz, dass der NordSüd, Ost-West und andere politische Konflikte das bedeutende Zukunftsthema Umwelt überlagerten.239 Auch das Auswärtige Amt bezweifelte, „ob das gegenwärtige System der Internationalen Organisationen, das auf dem Prinzip der vollen Souveränität beruht, effiziente weltweite Umweltschutzmaßnahmen möglich macht.“ 240 Nach dem internationalen Aufschwung des Umweltthemas stellte der Boykott der Konferenz durch die sozialistischen Staaten zwar einen Tiefpunkt im multilateralen, ost-west-übergreifenden Dialog darüber dar. Gleichzeitig setzte sie aber einen Grundstein für die stärker in den Fokus geratenden Nord-Süd-Beziehungen. Über die Organisation und die Abhaltung des Treffens wurde deutlich, dass die Universalität des Themas eigentlich keine Ausschlüsse mehr zulassen dürfte. Die Abwesenheit der sozialistischen Staaten, so argumentiert Julia Ault, verstärkte wiederum das langanhaltende Narrativ westlichen Umweltengagements und kommunistischer Vernachlässigung.241 Doch markiert die Konferenz auch eine Wende für das deutsch-deutsche Verhältnis, und damit eine neue umweltpolitische Chance.
3. Zusammenfassung Wie am Beispiel der Bundesrepublik und der DDR gezeigt werden konnte, generierte sich die Umweltpolitik aus vielerlei Faktoren. So konnte für beide dargestellt werden, dass die Etablierung des Umweltschutzes bereits auf längeren Traditionslinien beruhte. In der DDR spielten insbesondere wirtschaftliche Reformen, die den sorgsameren Umgang mit den knappen Ressourcen zum Ziel hatten, eine Rolle. Und in der Bundesrepublik waren maßgeblich Hygiene- und Gesundheitsaspekte relevant. Ferner erlangte der Umweltschutz sowohl in Ost als auch West durch langfristige Planungsvorhaben und wissenschaftliche Expertise in politischen Entscheidungen eine größere Bedeutung. In der DDR fand dies seinen Ausdruck im Landeskulturgesetz. In der Bundesrepublik gerieten langfristige Planungsvorhaben unter Druck, weshalb sie einen eher pragmatischen Tenor und marktwirtschaftlicheren Ansatz annahmen. Die Systemkonkurrenz zwischen Bundesrepublik und DDR wurde hauptsächlich im außenpolitischen Rennen um die Teilnahme an den internationalen Umweltkonferenzen in Stockholm, mehr noch aber in der „Arena der Konkurrenz“ in Prag deutlich. Beide deutsche Staaten versuchten das Thema zu diesem Zeit-
238 239 240 241
Vgl. Hünemörder, Environmental Crisis, S. 266, und Frühgeschichte, S. 273; Macekura, Limits, S. 507 f. Vgl. Macekura, Limits, S. 507. Afz. des Referats III A 8 vom 21. 6. 1972, in: AAPD 1972, Bd. II, Dok. 180, S. 770–778. Vgl. Ault, Saving Nature, S. 50.
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I. Genese der Umweltpolitik
punkt noch immer zur Durchsetzung ihrer eigenen außenpolitischen Prämissen zu nutzen: die DDR für ihre Anerkennung als Staat, die Bundesrepublik für ihren Alleinvertretungsanspruch. Dementsprechend waren ihr Verhältnis und die Kommunikation noch stark von Misstrauen geprägt. In letzter Konsequenz führte diese Haltung – neben anderen Motiven der Sowjetunion – 1972 zum Boykott der Stockholmer Umweltkonferenz durch die Ostblockstaaten. Damit wurde ersichtlich, wie unterschiedlich das Umweltthema von der jeweiligen Blockseite für die internationalen Beziehungen interpretiert wurde. Sah der Westen die Umweltfrage als ein sachbezogenes, entideologisiertes Thema an, über das sich Ost und West leicht verständigen könnten, verbanden insbesondere die Sowjets ihren Wunsch nach einer Sicherheitskonferenz und Festigung des Friedens in Europa mit diesem Thema. Die DDR verknüpfte die Umweltpolitik wiederum mit dem Konzept der „friedlichen Koexistenz“, das neben dem gleichzeitigen Bestehen zweier Systeme auch die Demonstration der Überlegenheit des Staatssozialismus verhieß. In beiden Staaten trugen demnach sowohl innen- als auch außenpolitische Motive zur Gründung von Umweltministerium (DDR) und -abteilung im BMI (Bundesrepublik) bei. Während sich die Bundesregierung hierbei an den US-Amerikanern orientierte, initiierten die DDR-Verantwortlichen eine verstärkte Integration des Themas bei den Warschauer Vertragsstaaten – das heißt, jede Seite war auf ihren Block fixiert, was indirekt den Wettbewerb wiederum forcierte. Sowohl das „Schweigen“ der DDR-Delegation in Prag 1971 als auch der Boykott von Stockholm 1972 durch die sozialistischen Staaten sendeten in der Kommunikation und Interaktion mit der westlichen Welt deutliche Signale, dass eine Ausgrenzung der DDR im multilateralen Bereich gerade bei dem universalen Thema „Umwelt“ nicht mehr durchzusetzen war.
II. Zwischen bilateraler „Nicht-Umweltpolitik“ und multilateraler Umweltentspannungspolitik Umweltpolitik fand zu Beginn der 1970er Jahre Eingang in nationalstaatliche und internationale Politik. Das bedeutete jedoch nicht automatisch eine Übertragung auf die Beziehungen zwischen Bundesrepublik und DDR. Hier verhandelten beide Seiten parallel zu ihren Auseinandersetzungen auf der internationalen Ebene einen Vertrag, um zuerst grundsätzlich ihre Beziehungen zu einander zu regeln. Mit dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 sollte diese intensivere Verständigung auch im Umweltbereich möglich werden. Dieser Teil untersucht daher die ersten politischen Schritte im Umweltbereich nach dem Abschluss dieses Vertrages. Und es werden die Gründe für das erneute Nichtkommunizieren zwischen beiden deutschen Staaten in den 1970er Jahren analysiert. Der Begriff „NichtUmweltpolitik“ entstammt dabei der Charakterisierung der DDR-Umweltpolitik durch den Runden Tisch 1990.1 Er steht hier stellvertretend für das offizielle bilaterale Schweigen zwischen beiden deutschen Staaten in der Dekade der 1970er. Während es bilateral – wieder einmal – zu einer kommunikativen Eiszeit in diesem Themenbereich kam, waren beide Staaten dafür international in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sowie in der Economic Commission for Europe (ECE) aktiv. Nach Radkau habe der Kalte Krieg die „ökologische Kommunikation“ gestört.2 Vermutlich meint er hier die „heiße“ Phase der Blockkonfrontation der 1950er und 1960er Jahre. Übertragen auf das Verhältnis der deutschen Staaten zueinander, scheint dies auf den ersten Blick – angesichts erneuter blockierter Verhandlungen – zu stimmen. Die beiden deutschen Staaten behielten auf der bilateralen Ebene ihr „antizyklisches“ Verhalten gegenüber dem von den Supermächten gesetzten Trend zur Entspannung bei.3 Allgemein haben Historiker aber bereits herausgestellt, dass die USA und so auch Bonn die Umweltpolitik als Instrument für die Entspannung nutzten.4 Das Gleiche lässt sich auch für Ost-Berlin beziehungsweise Moskau sagen: Die außenpolitische Motivation von Umweltpolitik hatte sich für die DDR nach dem Grundlagenvertrag und der Aufnahme in die UNO 1973 nicht erledigt.5 Sie blieb bestehen und war weiterhin relevant, wenn Umweltpolitik als Außenpolitik, respektive Sicherheits- und Entspannungspolitik funktional
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Vgl. Information PDS: Zwischenbericht der PDS-Arbeitsgruppe: Zu den Ursachen der bisherigen Nicht-Umweltpolitik der DDR (Information 10/8), 10. Tagung, 29. 1. 1990, in: Thaysen, Runde Tisch, Bd. V, S. 179–183, hier S. 181. Vgl. Radkau, Ära, S. 500; Blick auf frei werdende Probleme der Menschheit in Friedenszeiten, S. 419. Ähnlich auch bei Gassert, Entstehung, S. 358. Vgl. Brain, Appeal of Appearing Green, S. 445; Hünemörder, Environmental Crisis, S. 258; Schulz-Walden, Anfänge, S. 105. Anders bei Huff, Natur, S. 251.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
dienlich zu sein schien. Entgegen der Annahme, dass die Störung der ökologischen Kommunikation zu weniger statt mehr Kontakten, Gesprächen und Möglichkeiten führte, sei in den folgenden Ausführungen die Frage nach der jeweiligen Interessenlage gegenübergestellt. Prestige, Finanzen, sicherheitspolitische und ökologische Kompromisse – spätestens anhand der Konferenz über weiträumige Luftverschmutzung in Genf 1979 – sehen wir aber auch, dass das Umweltthema in der neuen Phase, nämlich der Entspannung, angekommen war. Vor diesem Hintergrund des sich entfaltenden und dann wieder ins Straucheln geratenden Entspannungsprozesses und auch des Wettbewerbsgedankens der Systemauseinandersetzung, verfolgt dieser Teil die These, dass Umweltpolitik mittels der Entspannungspolitik im Kalten Krieg ersichtlich an ost-west-übergreifenden Konferenzen international „eingeübt“ wurde und demnach doch zu einer Art von „ökologischer Kommunikation“ in der Epoche des Kalten Krieges führte. Gleichzeitig formierte sich in der Bundesrepublik eine zunehmend streitbare Umweltbewegung und auch in der DDR gewann das Thema über die Naturschutzorganisationen und Kirchen an Bedeutung, als die abflauende Blockkonfrontation die Öffnung für neue Themenbereiche zuließ. Im Folgenden werden jedoch zunächst die Gründe für die bilaterale „Nicht-Umweltpolitik“ dargelegt.
1. Deutsch-deutsche (Nicht-)Umweltverhandlungen 1973—1980 Die „Neue Ostpolitik“ geht hauptsächlich auf die Überlegungen des Tandems Willy Brandt und Egon Bahr zurück. Um wieder vermehrt Kontakte zwischen den Menschen auf beiden Seiten herstellen zu können und die bis dato nicht existenten Beziehungen zur DDR zu verbessern und anzukurbeln, müsse der Status quo, ergo die Teilung Deutschlands, zunächst anerkannt werden, um ihn letztlich zu überwinden. Das hatte der damalige Berliner Senatssprecher Bahr bereits am 15. Juli 1963 vor der Evangelischen Akademie in Tutzing dargelegt. Diese Paradoxie umschrieb er mit der Formel „Wandel durch Annäherung“. Seine und Brandts Ansätze für eine neue Politik gegenüber dem Osten und der DDR beruhten auf gegenseitiger Akzeptanz, zielten auf die Transformation der innerdeutschen Beziehungen ab und sollten die Möglichkeit aufzeigen, ideologische Unterschiede bei fortdauernden verschiedenen Rechtsauffassungen zu überwinden.6 In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 sprach der sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt daher bewusst von „zwei Staaten in Deutschland“, womit er der DDR zum ersten Mal Staatlichkeit zugestand.7 6
7
Vgl. Egon Bahr, „Wandel durch Annäherung“. Rede in der Evangelischen Akademie Tutzing [Tutzinger Rede], 15. 7. 1963, in URL: https://www.1000dokumente.de/index.html?c=doku ment_de&dokument=0091_bah&object=translation&l=de [30. 5. 2022]; Görtemaker, Ursprünge, S. 44, 51–53; Schmidt, Wurzeln, S. 522, 537 f. Vgl. Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), 28. 10. 1969, in URL: https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0021_bra&st=
1. Deutsch-deutsche (Nicht-)Umweltverhandlungen 1973–1980
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Von der Opposition im Bundestag, den Vertriebenenverbänden und Teilen der westdeutschen Öffentlichkeit wurde die „Neue Ostpolitik“ jedoch stark kritisiert: Die Anerkennung des Status quo bedeutete eine Akzeptanz der bestehenden Grenzen in Europa, und somit den Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße. Das führte zu einer polarisierten Stimmung im Land: Die bayerische Staatsregierung klagte vor dem Bundesverfassungsgericht – doch am 31. Juli 1973 bestätigte dieses die Vereinbarkeit von Grundlagenvertrag und Grundgesetz, so sei die DDR nicht Ausland und gehöre zu „Deutschland“, mit dem die Bundesrepublik „teilidentisch“ sei; Brandt musste ein konstruktives Misstrauensvotum überstehen, und bei den vorgezogenen Bundestagswahlen 1972 wurde die Ostpolitik zum wahlentscheidenden Faktor, knapp zugunsten der sozial-liberalen Koalition.8 Auf der DDR-Seite war Walter Ulbricht mit seinem Vorhaben gescheitert, mittels einer „Neuen Westpolitik“ 9 die Ostpolitik der Bundesregierung im Interesse der DDR für wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Austausch zu nutzen. Seine Kritiker hatten die Destabilisierung des Landes aufgrund zunehmender wirtschaftlicher Abhängigkeit vom „Nicht-Sozialistischen Wirtschaftsgebiet“ (NSW) und eine zu große Eigenständigkeit des Ersten Sekretärs des ZK der SED befürchtet. Deshalb kam es am 3. Mai 1971 mit Rückendeckung aus Moskau zum Machtwechsel an der Führungsspitze der Partei. Nachfolger wurde Erich Honecker. Der angelernte Dachdecker war langjähriger Kommunist, Mitbegründer und Vorsitzender der Freien Deutschen Jugend (FDJ) als auch im späteren Verlauf seiner SED-Karriere Sekretär für Sicherheitsfragen im ZK und damit für den Bau der Berliner Mauer verantwortlich. Er versprach, als Kompensation zur Aufnahme von Beziehungen mit der Bundesrepublik gleichzeitig eine verstärkte Abgrenzungspolitik ihr gegenüber zu betreiben. Damit stand er für eine strengere ideologische Linientreue.10 Außerdem fokussierte er sich auf eine erfolgreiche Außenpolitik und die internationale Anerkennung der DDR, welche die fehlende innere Legitimation ausgleichen sollte. Mit der gleichzeitigen Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO am 18. September 1973 schien dieses Ziel erreicht.11 Der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag legte den Modus Vivendi, also die Regeln fest, unter denen beide Seiten fortan den Umgang miteinander pflegen woll-
WILLY%20BRANDT&l=de [30. 5. 2022]; Wentker, Außenpolitik, S. 320; Senoo, Irrweg, S. 35–38. 8 Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 344, 410; Görtemaker, Ursprünge, S. 54 f.; Stöver, Kalter Krieg, S. 389; Wentker, 1972 – Schlüsseljahr, S. 57–59; Nakath, Vertrag über die Grundlagen, S. 22 f. Siehe zur Klage Bayerns vor dem Bundesverfassungsgericht Möller, Strauß, S. 460–476. 9 Zit. nach Wentker, Außenpolitik, S. 321; Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 148–149. 10 Vgl. Steck, Neue Ostpolitik, S. 244–248, 281–289. Siehe auch Wentker, Außenpolitik, S. 320– 322, 331, 363, 391; Görtemaker, Ursprünge, S. 57; Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 148– 149, 276–278. 11 Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 343, 372; Bender, „Neue Ostpolitik“, S. 194 f.; vgl. für die zunehmend positive Darstellung der bundesdeutschen Ostpolitik in den DDR-Medien Steck, Neue Ostpolitik, S. 281–289.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
ten. Kernprinzipien waren die „Formalisierung“ und „Normalisierung“ der Beziehungen beider deutscher Staaten zueinander. So verstand die Bundesrepublik unter „Formalisierung“, dass sie zwar den Staatscharakter der DDR anerkannte, sie aber nie völkerrechtlich akzeptierte. Das bedeutete, dass die DDR für die Bundesrepublik kein Ausland darstellte, eher dem Status eines Bundeslandes glich, und demzufolge statt Botschaften nur Ständige Vertretungen (StäV) in Ost-Berlin und Bonn errichtet wurden. Auch die Staatsbürgerschaft der DDR wurde nicht anerkannt: DDR-Bürger blieben vor dem Grundgesetz Deutsche. Die innere Stabilität und die volle völkerrechtliche Anerkennung anstrebend, konnte die DDR damit nicht einverstanden sein. Im Grundlagenvertrag fixierten beide Seiten daher, dass sie unterschiedliche Auffassungen über die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Ähnlich regelten die Chefunterhändler des Grundlagenvertrages, Egon Bahr und Michael Kohl, auch die verschiedenen Standpunkte zu einer potenziellen deutschen Wiedervereinigung: Im „Brief zur Deutschen Einheit“ übergab die Bundesregierung den Vertretern Ost-Berlins und Moskaus ein zusätzliches Dokument, das besagte, dass die abgeschlossenen Verträge nicht im Widerspruch zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und somit einer friedlichen deutschen Wiedervereinigung stünden.12 Darüber hinaus strebten beide Seiten praktisch gangbare „kleine Schritte“ 13 an. So erläuterte Bahr, der Weg zur „Normalisierung“ der Beziehungen sei die „Materialisierung“ konkreter Vereinbarungen.14 Eine Liste solcher Möglichkeiten wird im Artikel 7 des Grundlagenvertrages festgehalten: Um „auf der Grundlage dieses Vertrages und zum beiderseitigen Vorteil“ für ihre Zusammenarbeit „humanitäre Fragen“ zu regeln, wollten die Vertragspartner verschiedene Politikfelder nutzen, 15 wie beispielsweise Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Umwelt. Im Zusatzprotokoll wurden die Umweltfragen noch einmal genauer spezifiziert. So sollten „Vereinbarungen“ auf dem Gebiet des Umweltschutzes „geschlossen werden, um zur Abwendung von Schäden und Gefahren für die jeweils andere Seite beizutragen.“ 16 Auf Seiten der Bundesrepublik war es vor allem Michael von Berg, Beamter im Bundesinnenministerium in der Abteilung Umweltschutz, der die Aufnahme des Umweltthemas in die Verhandlungen zum Grundlagenvertrag be-
12
Vgl. Bender, „Neue Ostpolitik“, S. 175, 192, 196–197; Wentker, Außenpolitik, S. 342, 395, 410. Vgl. Nakath, Vertrag über die Grundlagen, S. 11 f., 14; Schroeder, SED-Staat, S. 831. 13 Vgl. Görtemaker, Ursprünge, S. 44, 51–53; Schmidt, Wurzeln, S. 522, 537 f.; o. V., „Schritt für Schritt“, in: Der Spiegel, Nr. 3, 13. 1. 1965, S. 37. 14 StS Egon Bahr im Gespräch mit StS Michael Kohl, 21. 6. 1972, Dok. 178, in: AAPD 1972, II, S. 761. 15 Vgl. Art. 7, Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972, Dok. 53, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 206; Wentker, Außenpolitik, S. 420–421. StS Egon Bahr im Gespräch mit StS Michael Kohl, 21. 6. 1972, Dok. 178, in: AAPD 1972, II, S. 761. 16 Zusatzprotokoll, Vertrag über die Grundlagen, Teil II, Abs. 9, Dok. 53, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 207.
1. Deutsch-deutsche (Nicht-)Umweltverhandlungen 1973–1980
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anspruchte.17 Die DDR begann die Gespräche allerdings mit einem Entwurf zum Grundlagenvertrag, in dem Umweltfragen bereits enthalten waren.18 Wer demnach für die Aufnahme des Themengebietes verantwortlich war, ist schwer zu beurteilen. Dass es aber aufgenommen wurde, ist vor dem Hintergrund der zeitgenössisch wachsenden Bedeutung des Politikfeldes wenig verwunderlich. Bahrs Bewertung dieses vertraglichen deutsch-deutschen Fundaments fiel schließlich realistisch und nüchtern aus: „Bisher hatten wir keine Beziehungen, jetzt werden wir schlechte haben, und das ist ein Fortschritt!“ 19 In Bezug auf die Regelung von Umweltfragen schritten beide Seiten allerdings zunächst zügig voran.
1.1 Ein Gespräch im November 1973 Der Grundlagenvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR sollte die Lösung von gemeinsamen Umweltproblemen ermöglichen. Bis dahin mussten sie versuchen, diese auf lokaler Ebene zu mindern. Vor allem in den Grenzregionen standen auf beiden Seiten der Hochwasserschutz (z. B. an der Jeetze), die Trinkwasserversorgung (z. B. in Duderstadt) und das Abwassermanagement (z. B. in Berlin) im Vordergrund. Der Bau der Berliner Mauer 1961 und die militärische Befestigung der innerdeutschen Grenze hatten durch die Blockade kleinerer Flüsse wiederum zu neuen Problemen geführt: Das Unkraut auf den Feldern in Grenznähe und das Algenwachstum in den Flüssen konnte nicht mehr ohne weiteres entfernt werden. Das veränderte einerseits die Wahrnehmung der dort lebenden Bewohner in den 1960ern in dem Sinne, dass das eine Deutschland vor den Aktivitäten des jeweils anderen im Umweltbereich geschützt werden müsse, andererseits erforderte es auch ihre verstärkte Kommunikation.20 Für die Gestaltung der Umweltverhandlungen mit der DDR gab es mehrere Möglichkeiten. So überlegte die Bundesregierung, dringende Umweltprobleme neben bilateralen Gesprächen auch in der neuen Grenzkommission zu besprechen. Sie hatte die Aufgabe, alle mit dem Grenzverlauf im Zusammenhang stehenden Probleme, zum Beispiel der Wasserwirtschaft, Energie- und Trinkwasserversorgung sowie Schadensbekämpfung, zu lösen.21 Das Innenministerium versprach sich von diesem 17
Vgl. von Berg, Umweltschutzabkommen, S. 123. Vgl. Art. 8, Entwurf der DDR, Gespräch zwischen StS Bahr und StS Kohl, 15. 6. 1972, Dok. 170, AAPD 1972, II, S. 723. Siehe auch Wentker, Außenpolitik, S. 340. 19 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 424. 20 Vgl. Grady, A Shared Environment, S. 667–676; Chaney/Gudermann, East’s Contribution, S. 119. 21 Vgl. Punkt I zu Art. 3 im Zusatzprotokoll zum „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972“, Teil I, Dok. 53, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 207; Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über den Betrieb, die Kontrolle und die Instandhaltung der auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Teile der Trinkwasserversorgungsanlagen der Stadt Duderstadt (Bundesrepublik Deutschland) (mit Protokollvermerken und Erklärung der Bundesrepublik Deutschland) vom 3. 2. 1976, Dok. 118, 18
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
Gremium zwar ein schnelleres Inkrafttreten und eine praktische Anwendung des Umweltschutzes, allerdings wäre es darin nicht möglich, West-Berlin einzubeziehen. Deshalb sollte sie sich nur mit solchen Gewässerproblemen befassen, „wo die Grenze selbst Ursache wasserwirtschaftliche[r] Probleme“ war,22 wie beispielsweise bei der Ecker-Talsperre im östlichen Harz, die für die westdeutsche Trinkwasserversorgung genutzt wurde.23 Auch von der DDR wurden Besprechungen in der Grenzkommission zunächst mit dem Verweis auf die bilateralen Umweltverhandlungen abgelehnt.24 Dennoch schlossen beide deutsche Staaten am 20. September 1973 in der Grenzkommission Vereinbarungen, die Umweltschutzbelange zumindest ansatzweise berührten: Der Text über Grundsätze zur Schadensbekämpfung an der Grenze legte unter anderem fest, dass sich beide Seiten kurzfristig über Schäden durch Ölaustritt, Brände, Hochwasser, Strahlung und Verunreinigungen der Luft informieren.25 Ein Protokoll zur Instandhaltung von Grenzgewässern regelte deren Erhalt und Ausbau, ähnlich den Praktiken, die vor dem Mauerbau auf lokaler Ebene vor Ort selbstverständlich waren, aber eine Behandlung der „Gewässergüte“, also der Qualität, war nicht vorgesehen.26 Nachdem der Weg über die Grenzkommission vorerst versperrt blieb, bestand das Ziel der Bundesrepublik zunächst darin, mehrere Vereinbarungen über einzelne Probleme abzuschließen. Die Abteilung Umweltschutz im BMI erarbeitete eine fünfseitige Themenliste, die auf einen Informationsaustausch zu den Gebieten des Wasserschutzes, der Abfallwirtschaft, der Reinhaltung der Luft, der Reaktorsicherheit, des Strahlenschutzes, der Lärmbekämpfung und des Naturschutzes ausgerich-
in: Ebenda, S. 295–296; Protokollvermerk der Grenzkommission, 24. Sitzung am 3. 2. 1976, Dok. 119, in: Ebenda, S. 296–297. Vgl. allg. zur Grenzkommission, Nass, Vermessung, S. 27– 29. 22 PA AA, B 38, ZA Bd. 109272, Schreiben des BMI an u. a. AA, Grenzgewässer zwischen Bundesrepublik und DDR, 26. 3. 1973. 23 Vgl. Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die Regelung von Fragen betreffend die Eckertalsperre und die Eckerfernwasserleitung (mit Protokollvermerk und Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland), 3. 5. 1978, Dok. 148, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 329–331; Seidel, Berlin-Bonner Balance, S. 215; Füßlein, Grenzkommission, S. 87–89. 24 Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 109272, Schreiben Peter Füßlein, BMI, an Dietrich Stobbe, Senator für Bundesangelegenheiten, 23. 5. 1973; und BArch, B 106, Bd. 57383, Afz. Verhältnis Grenzkommission – Umweltabkommen, 4. 10. 1973, Füßlein, Ref. Z II 3; siehe auch Seidel, BerlinBonner Balance, S. 215, und Kap. III.2. und III.2.3. 25 Vgl. Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über Grundsätze zur Schadensbekämpfung an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, 20. 9. 1973, Dok. 70, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 245. 26 Vgl. Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über Grundsätze zur Instandhaltung und zum Ausbau der Grenzgewässer sowie der dazugehörigen wasserwirtschaftlichen Anlagen, 20. 9. 1973, Dok. 71, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 247. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 39–49, hier S. 42, Afz. vom 30. 11. 1973 über die 1. Verhandlung auf dem Gebiet des Umweltschutzes zwischen DDR und BRD am 29. 11. 73 in Bonn.
1. Deutsch-deutsche (Nicht-)Umweltverhandlungen 1973–1980
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tet war.27 Eine Befragung der Grenzländer Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen ergab, dass die Kaliabwässer in der Werra, die Verschmutzung der Elbe und der Röden sowie eine Reihe weiterer Trink- und Abwasserfragen die Prioritätenliste anführten.28 Die DDR entwickelte hingegen eine ganz andere Ausgangsposition: In der Direktive des Politbüros der SED vom 6. November 1973 wurde festgestellt, dass es zur Zeit keine „wesentlichen Nachteile“ für die DDR im Umweltbereich an der innerdeutschen Grenze gebe und daher „kein zwingendes Erfordernis“ zur Zusammenarbeit bestehe. Darüber hinaus seien „[ö]konomische Vorteile für die DDR […] durch eine derartige Zusammenarbeit nicht zu erwarten.“ 29 Eher das Gegenteil: Das Politbüro befürchtete, wie oben dargestellt, dass die westdeutsche Seite die Werra-Versalzung in den Fokus der Verhandlungen rücken würde, um die DDR in der „internationalen Öffentlichkeit ins Unrecht zu setzen“.30 Die ostdeutsche Delegation erhielt daher die Anweisung, die Ausführungen der Bundesrepublik nur zur Kenntnis zu nehmen und die Behandlung von Einzelfragen erst nach einem Rahmenabkommen beziehungsweise nur in Ausnahmefällen mit Ministerratsbeschluss zu akzeptieren. Nichtsdestoweniger sollte das Interesse der DDR an der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit im Bereich des Umweltschutzes bekundet werden, zusätzliche Kosten waren allerdings zu vermeiden.31 Am 29. November 1973 lud der Abteilungsleiter für Umweltschutz Peter MenkeGlückert die ostdeutsche Seite nach Bonn zu einem ersten gemeinsamen Gespräch über den Umweltschutz ein. Die DDR-Delegation wurde vom Stellvertretenden Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, dem Ingenieur für Wasserwirtschaft, Guido Thoms angeführt. Um ihrer Direktive möglichst erfolgreich nachzukommen und sich somit „eine offensive Verhandlungsführung“ 32 zu sichern, übergab Thoms den Westdeutschen bereits einen Entwurf für ein Rahmenabkommen. Damit verfolgten die DDR-Vertreter die Strategie, die Bundesrepublik von den Problemen im Grenzbereich abzulenken und auf allgemeine Fragen des Um-
27
Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 109272, Anlage 5: Themenliste zum Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, UA I 7, BMI, 22. 10. 1973. 28 Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 109272, Entwurf einer Gewässervereinbarung, UA I 2, BMI, 6. 11. 1973; Vermerk über das 1. Gespräch mit der DDR zum Umweltschutz am 29. 11. 1973 in Bonn, Peter Menke-Glückert, 6. 12. 1973; die Ergebnisniederschriften über die Besprechung mit Bundesressorts und Ländern am 15. 10. 1973 im BMI betr. die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Umwelt mit der DDR, Afz. Menke-Glückert, UA I 7, BMI, 22. 10. 1973; und die Bund-Länder-Besprechung am 12. 11. 1973 im BMI, Afz. Daldrup, UA I 7, 22. 11. 1973. 29 BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Anlage 3: Erfassung der Interessenlage der DDR zur Aufnahme von Verhandlungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes mit der BRD, o. V., Protokoll 47/73, 6. 11. 1973. 30 BArch DK 5, Bd. 635, Teil 2, Schreiben von Hermann Kleyer, Leiter des Amts für Rechtsschutz des Vermögens der DDR, an Johannes Rochlitzer, StS im MfUW, 8. 10. 1973. 31 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Anlage 1: „Konzeption für die Verhandlungen“, o. V., Protokoll 47/73, 6. 11. 1973. 32 Ebenda.
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weltschutzes zu orientieren. Als Schwerpunkte formulierten sie in dem Entwurf die Luftverunreinigung, den Binnen- und Küstengewässerschutz sowie den Lärmund Trinkwasserschutz. Maßnahmen zum Umweltschutz sollten mittels der Entwicklung und Einführung neuer Technologien umgesetzt werden.33 Damit erfüllte die DDR-Delegation nicht nur die Direktive, ihr Interesse an wissenschaftlichtechnischem Austausch zu verdeutlichen, sondern rekurrierte zudem auf ihr eigenes Landeskulturgesetz, in dem der technikbasierte Ansatz ebenfalls verankert war. Knapp ein Jahr nach dem Grundlagenvertrag visierte die DDR mit diesem Vertragsentwurf allerdings ein weiteres Ziel an: Der erste Artikel des Entwurfs sah vor, dass als Grundlage künftiger Zusammenarbeit die „souveräne Gleichheit“ gelten solle. Damit strebte die DDR in der Begrifflichkeit die „völkerrechtliche Anerkennung“ durch die Bundesrepublik an.34 Bei diesem Punkt wurde im ersten Gespräch der Umweltverhandlungen auch deutlich, dass beide Seiten unterschiedliche Auffassungen über die Art des Abkommens, vor allem aber zu formalen Fragen hatten. Letzteres war der in jeder deutsch-deutschen Auseinandersetzung fortdauernde Streit um die von Bonn geforderte Einbeziehung West-Berlins. Die DDR wollte hingegen mit dem Berliner Senat eigene Verhandlungen führen und ging von der sogenannten „Drei-Staaten-Theorie“ aus. Diese sah neben den beiden deutschen Staaten West-Berlin als „eigenständiges Völkerrechtssubjekt“ an.35 Die Bundesrepublik hob wiederum ihre Bindung an die Stadt hervor – vertraglich gesichert durch das Vier-Mächte-Abkommen von 1971 – und wollte dies auch in jeder weiteren Vereinbarung zugesichert sehen. In einem Gespräch von Mitarbeitern des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) mit Egon Bahr waren sich beide Seiten einig, möglichst schnell Nachfolgeverhandlungen abzuschließen. Dabei hatte Bahr sogar akzeptiert, „daß bestimmte Fragen des Umweltschutzes (Wasserwirtschaft) direkt zwischen Senat und DDR geregelt werden könnten“.36 Dieses vermeintliche Zugeständnis an die DDR war jedoch schon längst Praxis, da der Senat und die Verantwortlichen in Ost-Berlin seit jeher über die Abwasserentsorgung der gesamten geteilten Stadt Absprachen tätigten.37 Bis auf einen kurzen Protest der DDR gegen die geplante Errichtung eines Umweltbundesamtes in West-Berlin und generell dessen Einbeziehung in ein poten-
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Vgl. ebenda. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Rahmenabkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes; sowie auch in: PA AA, B 38, ZA, Bd. 109272. Vgl. zu Statusfragen, Loth, Helsinki, S. 188. 35 Vgl. Alisch, Insel, S. 389. 36 Die Bereiche Kultur, Gesundheit etc. waren allerdings gleich davon ausgeschlossen. Vgl. PA AA, MfAA, G-A 461, Bl. 98, Gespräch mit Bahr, o. V., 8. 11. 1973; siehe auch ViermächteAbkommen, 3. 9. 1971, Teil II, B, Dok. 24, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 158–161. 37 Vgl. Joachim Nawrocki, Einig über Abfall und Abwässer, Die Zeit, 2. 11. 1973, in URL: https:// www.zeit.de/1973/45/einig-ueber-abfall-und-abwaesser [13. 5. 2022]; o. V., „DDR/Abwässer: Ehrender Name“, in: Der Spiegel, Nr. 39, 18. 9. 1967, S. 90, 93.
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zielles Abkommen war das Gespräch im November 1973 insgesamt sachlich. Es diente vor allem dazu, die jeweiligen Standpunkte zu erfassen. So schnitten die bundesdeutschen Vertreter hauptsächlich Gewässer- und Strahlenschutzfragen an und bekundeten ihr Interesse an der Wiederverwertung von Altstoffen. Der DDRVertreter Thoms war wiederum an der Luftverschmutzung durch KfZ-Abgase und technische Lösungen durch die aus Industrie und Landwirtschaft verursachten Probleme interessiert. Volkmar Fenzlein aus dem MfAA wurde von den Westdeutschen als „Politruk“ 38 identifiziert, als jemand der die Parteilinie aufrechterhalten sollte. Die umweltpolitischen Möglichkeiten waren damit eingegrenzt, da er feststellte, dass ein Staat nicht mehr für andere Bevölkerungen als für die eigene tun könne. In einer politischen Einschätzung wurde jedoch die restliche DDR-Delegation mit Ausnahme Hans Reichelts als „Experten“ bezeichnet, womit es sich aus westdeutscher Sicht um im Grunde genommen „unpolitische Fachleute“ handelte.39 Menke-Glückert vertrat in dem Gespräch unterdessen den Grundsatz, dass die Probleme nicht auf Kosten anderer zu lösen seien und wollte sich demnach auf die UN-Papiere aus Stockholm beziehen – Resultate einer Konferenz, an der die DDR bekanntlich nicht teilgenommen hatte.40 Entgegen dem Eindruck von verhärteten Standpunkten in der Berlin-Frage verlief das Gespräch dennoch in einer „sehr aufgeschlossenen und gelösten Atmosphäre“.41 So verabschiedete sich Peter Menke-Glückert von seinen Verhandlungspartnern aus der DDR auch hoffnungsvoll mit den Worten: „Die Menschen müßten sehen, daß in ihrem Interesse etwas geschieht. Der Umweltschutz sollte ein Beispiel für die positive Wirkung des Geistes des Grundlagenvertrages werden.“ 42 Bis zur nächsten Sitzung am 14. Februar 1974 wollte sich die westdeutsche Seite mit dem Entwurf der DDR auseinandergesetzt haben. Dieses Treffen fand jedoch nicht mehr statt, und bis zum Ende der 1970er Jahre sollte auch kein weiteres bilaterales Gespräch zu Umweltthemen folgen. Grund dafür war der sich bereits andeutende und dann eskalierende Streit um das Umweltbundesamt in West-Berlin.
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Vgl. BArch, B 106, Bd. 57385, Umweltverhandlungen mit der DDR, Bericht über die 1. Sitzung der Delegationen am 29. 11. 1973, Daldrup, UA I 7, BMI, 14. 12. 1973. 39 Vgl. BArch, B 106, Bd. 86312, Gutachterliche Stellungnahme Umweltschutz in der DDR, Ludz, Februar 1974. 40 Vgl. BArch, B 106, Bd. 57385, Umweltverhandlungen mit der DDR, Bericht über die 1. Sitzung der Delegationen am 29. 11. 1973, Daldrup, UA I 7, BMI, 14. 12. 1973; BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Afz. über die 1. Verhandlung auf dem Gebiet des Umweltschutzes zwischen DDR und BRD am 29. 11. 1973 in Bonn, Guido Thoms, 30. 11. 1973; siehe zur Stockholmer Umweltkonferenz 1972 Kap. I.2.2. 41 PA AA, B 38, ZA, Bd. 109272, Vermerk über das 1. Gespräch mit der DDR zum Umweltschutz am 29. 11. 1973 in Bonn, Peter Menke-Glückert, 6. 12. 1973. 42 BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Afz. über die 1. Verhandlung auf dem Gebiet des Umweltschutzes zwischen DDR und BRD am 29. 11. 1973 in Bonn, Guido Thoms, 30. 11. 1973.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
1.2 Die Errichtung des Umweltbundesamtes in West-Berlin 1974 „Das neue Amt wird nicht dem Kampf um die Reinheit der Umwelt dienen, sondern zur Vergiftung der internationalen Atmosphäre beitragen.“ 43 So berichtete das „Neue Deutschland“ (ND) über die Errichtung des westdeutschen Umweltbundesamtes (UBA) in West-Berlin. Schien es anfangs, als sei die deutsche Frage mit den neuen Regelungen der sozial-liberalen Ostpolitik vom Tableau, so tauchte mit der Symbolpolitik um das Umweltbundesamt ein deutsch-deutscher Ersatzkonflikt auf, der die Umweltbeziehungen bis etwa 1987 – mal mehr, mal weniger schwer – belasten sollte. Zum Ausbau westdeutscher Umweltadministration gehörte die Konzentration wissenschaftlicher Expertise in einer Behörde, die dem Bundesinnenministerium fachlich zuarbeitete – wieder nach amerikanischem Vorbild, diesmal der Environmental Protection Agency (EPA). Die „zentrale Dachorganisation“, wie sie bereits im Umweltprogramm von 1971 angekündigt worden war, erhielt aus anderen Bundesämtern die Zuständigkeiten für Luftreinhaltung, Abfallbeseitigung und Lärmschutz, nicht jedoch den Gewässerschutz, der Ländersache war, und die Reaktorsicherheit, die in die Zuständigkeit des Bundes fiel. Weiterhin sollte das Amt ein Umweltinformationssystem aufbauen und Gesetzesvorlagen entwickeln, ohne allerdings eigene Weisungs- und Kontrollbefugnisse zu besitzen. Ohne eigene Forschungskapazitäten, oblag es ihm ferner Forschungsaufträge und Gutachten zu erstellen. Die neue Behörde erhielt für die ersten vier Jahre ein Budget von 148 Mio. DM. Eine ihrer Hauptaufgaben war es, den zersplitterten Umweltbereich zwischen den verschiedenen Ressorts und anderen Umweltinstituten zu koordinieren und die Kommunikation zu vereinfachen. Dass dies nicht so einfach werden würde, deutete sich bereits nach der Standortverkündigung an. Der Amtschef, Heinrich Freiherr von Lersner, sah seine Aufgabe denn auch eher in einer „Koordinierungshilfe“.44 Strittig zwischen beiden deutschen Staaten war nicht die Existenz des Amtes, sondern allein der Ort, an dem diese neue Institution gegründet wurde: West-Berlin. Im Vier-Mächte-Abkommen vom 3. September 1971 wurde das Versprechen der Sowjetunion für die Sicherheit des Transitverkehrs mit dem westdeutschen Verzicht auf die ostentative Bundespräsenz in West-Berlin (keine Verfassungs- oder Amtsakte) aufgewogen. Letzteres wurde nach Auffassung der Bundesregierung ohnehin nicht mehr praktiziert.45 Genau das sah die DDR jedoch anders, weshalb sie die Bundesrepublik ab August 1973 immer wieder davor gewarnt hatte, wenn ein solches Amt in West-Berlin eingerichtet werde, werde an die „‚Gewährleistung einer
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Bundesumweltamt vergiftet internationale Atmosphäre, in: ND, 2. 8. 1974, S. 2. Vgl. o. V., „Bißchen zu heiß“, in: Der Spiegel, Nr. 32, 5. 8. 1974, S. 19–22, hier S. 21; Genscher, Erinnerungen, S. 134. 45 Vgl. Vier-Mächte-Abkommen, II, B, Dok. 24, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 158–160; siehe auch Bahr, Zu meiner Zeit, S. 364; Wentker, Außenpolitik, S. 332 f. 44
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ungehinderten Durchfahrt‘ die Axt angelegt“.46 Trotzdem wurde die Umweltbehörde am 22. Juli 1974 in West-Berlin gegründet. Kurz darauf erfolgten Kontrollen der zukünftigen Mitarbeiter durch die Nationale Volksarmee (NVA) auf der Transitstrecke. Das betraf beispielsweise Norbert Nidger von Nieding, Abteilungsleiter im UBA, und dessen Familie am Grenzübergang Marienborn. Dr. Heinrich Freiherr von Lersner, der Präsident des UBA, erhielt deshalb von seinem Dienstherrn, dem Innenminister Hans-Dietrich Genscher, die Anweisung, das Flugzeug zu nutzen.47 Der Ursprung des genannten Konflikts lag in dem Satz, dass die Westsektoren Berlins „so wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland sind und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden.“ 48 Die Sowjets sahen im UBA eine Oberste Behörde, die dem Innenministerium zugeordnet war, womit implizit Regierungstätigkeiten der Bundesrepublik in West-Berlin Einzug erhielten.49 Um das Ganze zu verkomplizieren findet sich im Vier-Mächte-Abkommen aber auch die Passage, dass „die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden.“ 50 Das englische „ties“ und das russische „swasi“ wurden durch eine undeutliche Übersetzung im westdeutschen Vertragstext zu „Bindungen“ und im ostdeutschen zu „Verbindungen“. Für die jeweilige Auslegung bedeutete das entweder eine tiefergehende Beziehung zwischen Bund und West-Berlin oder nur einen einfachen Zusammenhalt beider. Die Bundesrepublik interpretierte das Abkommen demnach in Richtung eines Ausbaus von Bundespräsenzen, während die DDR an einen Abbau der Institutionen wie beispielsweise des bereits seit 1952 bestehenden Bundesgesundheitsamtes dachte.51 Als Konsequenz für die Errichtung des Umweltamtes wurden von ostdeutscher Seite nicht nur die Kontrollen auf der Transitstrecke eingeführt und das zweite Treffen zum Umweltschutz im Februar 1974 abgesagt, auch weitere Verhandlungen, an denen die Bundesrepublik interessiert war, wurden für unbestimmte Zeit ausgesetzt. Das neue Bundesamt sollte im Osten keine Gesprächspartner erhalten.52 Un-
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Aussage des stellv. Außenministers Kurt Nier, in der Afz. des StS Günter Gaus, 22. 1. 1974, Dok. 18, in: AAPD 1974, I, S. 77. 47 Vgl. o. V., „Schikanen auf niedriger Ebene“, in: Der Spiegel, Nr. 32, 5. 8. 1974, S. 17–19, hier S. 17 f. 48 Vier-Mächte-Abkommen, II, B, Dok. 24, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 158 f. 49 Afz. des Gesprächs zwischen dem sowjetischen Botschafter Jefremow mit dem britischen Botschafter Henderson, 22. 2. 1974, Dok. 137, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik (DzD), Reihe VI, Bd. 3, S. 505. 50 Vier-Mächte-Abkommen, II, B, Dok. 24, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 158. 51 Vgl. Alisch, Insel, S. 204. Hans-Otto Bräutigam in der Diskussion, in: Wentker, 1972 – Schlüsseljahr, S. 77; Bahr, Zu meiner Zeit, S. 369; Wentker, Außenpolitik, S. 332 f.; Stobbe, Bindungen, S. 477–486. 52 Eine Absage des 2. Verhandlungstermins erfolgte im Gespräch zwischen Günter Gaus und Kurt Nier am 31. 1. 1974. Vgl. Afz. des StS Gaus, 4. 2. 1974, Dok. 34, in: AAPD 1974, Bd. I, S. 142 f. Siehe auch Wentker, Bundespräsenz, S. 257; Seidel, Berlin-Bonner Balance, S. 184 f.; Alisch, Insel, S. 213.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
terstützt vom Propaganda-Organ der SED, das „Neue Deutschland“,53 hatte vor allem die Führung der Sowjetunion ein Interesse daran, die Bundesrepublik durch den ständigen Protest aus dem Osten spüren zu lassen, welch unangenehmen Präzedenzfall sie selbst geschaffen hatte.54 Gleichzeitig sollte jedoch die Entspannungspolitik nicht gefährdet werden. Zeitlich eskalierte der Streit um das UBA kurze Zeit nachdem Willy Brandt wegen der Spionage-Affäre um den DDR-Agenten Günter Guillaume zurückgetreten war. Da sich Honecker diesbezüglich zum Teil schuldig fühlte, sollten die Gegenmaßnahmen nicht allzu drastisch ausfallen.55 Aus diesem Grund wurden nur Mitarbeiter ab einem gewissen Rang kontrolliert, andere blieben also unbehelligt.56 Auf die Standortentscheidung des Bundesamtes hatte auch der an den Aushandlungen des Vier-Mächte-Abkommens beteiligte Egon Bahr Einfluss genommen: Berlin sei als Ort geeignet, „die mit dem Berlin-Abkommen erzielten Fortschritte unter Beweis zu stellen.“ 57 Später distanzierte er sich jedoch von dieser Empfehlung und urteilte, Genscher sei zu schnell in die Öffentlichkeit vorgeprescht ohne mittels Kanal Moskau darauf vorzubereiten.58 Dennoch sollten seiner Meinung nach die Transitblockaden der DDR hart bestraft werden. So sei der fehlende wissenschaftliche Kontakt des Umweltamtes zu entsprechenden Institutionen im Ostblock sowie das Nichtzustandekommen eines Umweltabkommens mit der DDR zwar hinnehmbar, nicht aber die Blockade der Transitstrecke.59 Als Strippenzieher im Hintergrund kam er mit der sowjetischen Regierung in Moskau überein, das „Bundesumweltamt“, wie es ursprünglich hieß, in „Umweltbundesamt“, wie es noch heute heißt, umzubenennen. Das sollte den Eindruck erwecken, als seien die „(Ver-)Bindungen“ zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik doch nicht so stark.60 Ganz anders Genscher: In der neuen Bundesregierung von Helmut Schmidt (SPD) statt Innen- nun Außenminister, stand er zeitlebens rigoros hinter der Entscheidung, West-Berlin als Standort zu wählen. Dies sei für ihn, wie er in seinen
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Siehe z. B.: o. V., „Nodong Sinmun: Provokation gegenüber der DDR“, in: ND, 13. 2. 1974, S. 7; o. V., „Umweltbundesamt vergiftet internationale Atmosphäre. ‚Prawda‘: In direktem Widerspruch zum Vierseitigen Abkommen“, in: ND, 2. 8. 1974, S. 2; o. V., „Das ist ein Rückfall in den kalten Krieg. ‚Zemedeiske Noviny‘ zum Bundesumweltamt“, in: ND, 7. 8. 1974, S. 2. 54 Vgl. Alisch, Insel, S. 211 f., hier S. 211. 55 Vgl. Wentker, Bundespräsenz, S. 257–259. 56 Vgl. o. V., „Schikanen auf niedriger Ebene“, in: Der Spiegel, Nr. 32, 5. 8. 1974, S. 17–19, hier S. 18. 57 Genscher, Erinnerungen, S. 133. Vgl. o. V., „Bißchen zu heiß“, in: Der Spiegel, Nr. 32, 5. 8. 1974, S. 19–22, hier S. 21. 58 Vgl. Bahr, Zu meiner Zeit, S. 453. 59 Vgl. ebenda, S. 369. Siehe auch Gespräch des Bundesministers für besondere Aufgaben, Bahr, mit den Botschaftern der Drei Mächte, Bonn, 11. 2. 1974, Dok. 129, in: DzD, VI/3, S. 483; Wentker, Bundespräsenz, S. 258. 60 Vgl. Mitteilung Bahrs an den amerikanischen Außenminister Kissinger, 19. 3. 1974, Dok. 148, in: DzD, VI/3, S. 540; Seidel, Berlin-Bonner Balance, S. 184.
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Erinnerungen schrieb, „der Testfall einer realistischen Entspannungspolitik.“ 61 Dafür musste Genscher auch die Alliierten, die in Sachen West-Berlin das letzte Wort hatten und deshalb gefragt werden mussten, zu einem Zugeständnis bewegen. Das war nötig, denn die Vertreter der USA, Frankreichs und Großbritanniens fühlten sich in diesem Fall von der Bundesregierung überrumpelt. Der französische Botschafter beschwerte sich darüber, dass „die Drei Mächte nicht frühzeitig und ausreichend konsultiert“ worden seien.62 Und der britische Vertreter konkretisierte: „[E]s sei nicht so gewesen, daß die Alliierten gesagt hätten, mit dem Bundesamt sei alles in Ordnung.“ 63 Auch von Abgeordneten des Bundestages, Experten und Umweltlobbyisten wurde die Entscheidung kritisch gesehen: Eine der Hauptaufgaben hätte die Kommunikation und Koordination von Aufgaben mit den anderen umweltrelevanten Instituten und mindestens acht Ministerien sein sollen. Dies hätte für den Raum um Bonn gesprochen. Anders als ihr amerikanisches Vorbild, die EPA, konnte das UBA in Berlin nicht so schlagkräftig für den Umweltschutz ausgebaut werden, wie eigentlich gewünscht. Stattdessen entwickelte es sich zu einer „weichen Behörde“ mit wissenschaftlichen Aufgaben, die Empfehlungen an Stelle von Weisungen formuliert. „Der Spiegel“ wertete die Standortwahl folglich als fachliche und politische Fehlentscheidung.64 Nach dieser schwierigen Auseinandersetzung wurden bis 1989 keine weiteren Bundesämter in der geteilten Stadt errichtet. Der Konflikt um das UBA wurde bis auf den Skandal um die Kontrolle von Niedings nicht weiter direkt zwischen den deutschen Staaten ausgetragen, sondern verlagerte sich – wie eingangs vom „Neuen Deutschland“ angedeutet – in den multilateralen Bereich. Um die westdeutschen Umwelt-Experten „international zu isolieren“ 65, protestierten Vertreter von DDR und UdSSR bei Veranstaltungen internationaler Organisationen, auf denen das UBA anwesend war. Von Dezember 1978 bis Februar 1980 nahm die DDR beispielsweise an neun von 14 ECE-Veranstaltungen teil und widersprach in diesem Zeitraum fünf Mal einer Beteiligung des UBA.66 Bonn wiederum versuchte gezielt, die Behörde auszubauen und seine internationale Rolle zu stärken.67 Immerhin konnte mit einer Beteiligung des UBA 61
Genscher, Erinnerungen, S. 133 f. Vgl. auch Schmidt, Menschen, S. 63. Siehe zu Genschers Entspannungsbegriff Bresselau von Bressensdorf, Frieden durch Kommunikation, S. 89. 62 Afz. des Ministerialdirigenten Sanne, Bundeskanzleramt, 23. 1. 1974, Dok. 21, in: AAPD 1974, I, S. 88. 63 Afz. VLR I Wilhelm Lücking, 12. 2. 1974, Dok. 44, in: AAPD 1974, Bd. I, S. 180. 64 Vgl. o. V., „Bißchen zu heiß“, Der Spiegel, Nr. 32, 5. 8. 1974, S. 19–22, hier S. 19; Schmidt, Wurzeln, S. 559 f. 65 Vgl. Zusammenfassenden Bericht über die Konsultationen zwischen Delegationen des sowjetischen Außenministeriums und des MfAA, 3./4. 12. 1974, Dok. 274, in: DzD, VI/3, S. 880. 66 Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132529, Auflistung des Umweltbundesamtes, U I 4, BMI, 9. 4. 1980. Auch zwischen 1980 und 1983 nahmen sozialistische Staaten an insgesamt 29 Veranstaltungen der ECE teil und protestierten davon 13 Mal. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Übersicht zur Teilnahme des Umweltbundesamtes bei Internationalen Organisationen und Protest, 1980–1983, Heinrich von Lersner, 31. 1. 1984. 67 Vgl. für den Ausbau des UBA z. B. PA AA, B 38, ZA, Bd. 111625, Afz. über die internationale Beteiligung des Umweltbundesamtes, van Well, 8. 10. 1974.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
die konsularische Außenvertretung West-Berlins durch den Bund wahrgenommen werden, die ihr im Vier-Mächte-Abkommen vertraglich zugesprochen worden war.68 Die Wahrung des Status’ von Berlin überwog in jeder dieser Auseinandersetzungen das fachliche Anliegen sowohl der Bundesregierung als auch der DDR. Als zum Beispiel auf dem UNEP-Symposium zur „Eutrophierung“ 1976 in KarlMarx-Stadt Professor Ulrich Hässelbarth vom ebenfalls in West-Berlin angesiedelten Bundesgesundheitsamt nicht wie üblich aufgelistet wurde, war für die Bundesregierung klar, dass ihr „fachliches Interesse an dem Symposium […] entschieden hinter der politischen Frage der Bundespräsenz in Berlin und der Außenvertretung Berlins durch den Bund zurücktrete.“ 69 Eine Ausweitung des Konflikts auf andere Bundesämter konnte Bonn nicht zulassen. Für den Senator für Bundesangelegenheiten Dietrich Stobbe (SPD) hatte die Berlin-Frage um das UBA nach Berlin-Blockade 1948/49 und -Ultimaten der 1950er Jahre eine „neue Qualität“ angenommen, die unterhalb eines offenen Konflikts schwele.70 Hermann Wentker zieht aus der Handhabung des UBA den Schluss, dass nicht Statusfragen die Politik des Ostblocks bestimmten, sondern dass die Politik je nach Sachlage entschied, inwieweit Statusfragen von ihr berücksichtigt würden.71 Die Frage, ob es Protest gab und wie die Statusfragen wozu eingesetzt wurden, wird uns immer wieder begegnen.
1.3 Auswirkungen der Ölpreiskrise 1973/74 Am Beispiel des UBA wurde ein Exempel statuiert, das für die bilateralen Umweltverhandlungen alles andere als förderlich war. Neben Statusfragen und mangelndem Interesse der Ostseite an Umweltverhandlungen muss jedoch auch Honeckers Versprechen gegenüber Moskau berücksichtigt werden: die Abgrenzung zum Westen. Nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages lebte die DDR in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Annäherung und Abgrenzung zur Bundesrepublik. Eine zu große Öffnung zum Nachbarn bedeutete für sie eine Gefährdung der inneren Stabilität, weshalb sie zunächst nach 1972 wieder auf Distanz ging72 – der Umweltbereich war ein Beispiel dafür, das UBA der Anlass. Gleichzeitig hatten beide Seiten aus innenpolitischen Gründen zu der Zeit kaum Interesse an Umweltschutzvereinbarungen, weshalb ihnen der Statusstreit um das UBA eher gelegen kam. Dringlichkeit und Kompromissfähigkeit beider deutscher Staaten
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Vgl. Vier-Mächte-Abkommen, Dok. 24, Anlage IV, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 160. PA AA, B 38, ZA, Bd. 116455, Afz. des Referats 414, AA, zum UNEP, 9. 9. 1976, sowie vgl. zum Fall Hässelbarth allgemein ebenda. 70 Vgl. Stobbe, Bindungen, S. 484; Information der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS der DDR, Berlin (Ost), 20. 9. 1973, Dok. 77, in: DzD, VI/3, S. 312. 71 Vgl. Wentker, Bundespräsenz, S. 262. 72 Vgl. Niedhart, Entspannung, S. 24; Schroeder, SED-Staat, S. 834; Bender, „Neue Ostpolitik“, S. 196; Wentker, Außenpolitik, S. 340–345; Steck, Neue Ostpolitik, S. 275–278. 69
1. Deutsch-deutsche (Nicht-)Umweltverhandlungen 1973–1980
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bestimmten das Vorankommen der Nachfolgeverhandlungen zum Grundlagenvertrag,73 und beides war für den Umweltschutz nach 1972 vorerst nicht mehr gegeben. Ein Grund dafür war der in der langfristigen historischen Betrachtung im Westen nach dem „Boom“ einsetzende Strukturwandel von einer Industrieproduktions- zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. 1971 brach das BrettonWoods-System zusammen, das zuvor den stabilen Wirtschaftsrahmen gestellt hatte. Wirtschaftskrisen und Konjunktureinbrüche häuften sich. Anfang der 1970er erlitten westliche Industrieländer eine wirtschaftliche Rezession.74 Damit verschob sich im Verlauf der 1970er Jahre auch zunächst die politische Aufmerksamkeit von der noch jungen Umwelt- zur Energie- und Wirtschaftskrise. Die erste Ölpreiskrise 1973 verstärkte dabei die zeitgenössische Krisenwahrnehmung.75 Sie schien die Thesen der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ bereits ein Jahr nach ihrem Erscheinen zu bestätigen und verschaffte ihr wiederum einen großen öffentlichen Resonanzboden in der Gesellschaft.76 Mit dem Auslöser der Ölpreiskrise, dem Jom-Kippur-Krieg (Oktober 1973) und den Lieferbeschränkungen der Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC), rückte die enorme Abhängigkeit der Bundesrepublik von importiertem Erdöl ins öffentliche Bewusstsein. Die Bundesrepublik setzte nun stärker als zuvor auf einen Energiemix und baute das Atomprogramm von ein auf fünfzehn Prozent aus, um die Abhängigkeit vom Öl bis 1985 von 55 auf 44 Prozent zu verringern. Ziel der Maßnahmen war es neben einer gesteigerten Sicherheit der Energieversorgung außerdem, sowohl die Lebensqualität der Bevölkerung als auch die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten.77 Energiespar-Aktionen wie autofreie Sonntage oder die Einführung der Winterferien im Jahr 1973 stehen charakteristisch für das Symptom der Energiekrise.78 Auch heizte die erste Ölpreiskrise in den zeitgenössischen Debatten den Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie an. Bezüglich ihres Umweltprogramms erhielt die Bundesregierung aus der Industrie Druck, denn ohne genügende Energieversorgung seien weder Vollbeschäftigung noch Umweltschutz möglich.79 Beim Treffen zwischen Regierungs- und Wirtschaftsvertretern am 3. Juni 1975 auf Schloss Gymnich gab Bundeskanzler Schmidt den Forderungen der Industrie nach, keine weiteren Umweltschutzgesetze zu erlassen. Nach Ansicht der Wirtschaftsvertreter würden Umweltschutzauflagen langwierige Genehmigungs- und unvorhersehbare Gerichtsverfahren, einen Investitionsstau in Höhe von 50 Mrd. DM verursachen und sowohl Arbeitsplätze als auch die Energieversorgung durch Auflagen in der 73 74 75
Vgl. Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 289. Vgl. Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom, S. 26, 48 f. Vgl. Schulz-Walden, Anfänge, S. 279 f.; Graf, Öl und Souveränität, S. 393. 76 Vgl. Kupper/Seefried, „A Computer’s Vision of Doomsday”, S. 65; Graf, Öl und Souveränität, S. 224 f. Siehe zur Rezeption der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ Kap. I.1.1. 77 Vgl. Graf, Öl und Souveränität, S. 212, 214, 219–222. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 69. 78 Vgl. Graf, Öl und Souveränität, S. 219 f.; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 159. 79 Vgl. Graf, Öl und Souveränität, S. 229, 393.
86
II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
Luftreinhaltung gefährden. Die Regierung streckte stattdessen die Auflagen. Das zögerte beispielsweise die Umsetzung des Benzin-Blei-Gesetzes bis zum Jahr 1988 heraus, das bereits 1971 konzipiert wurde.80 Gleichwohl hatte die erste Ölpreiskrise keinerlei direkte Auswirkungen auf den Etat des BMI für den Bereich „Umweltschutz“. Die Ausgaben stagnierten etwa auf einem gleichbleibenden Niveau bis etwa 1977 (vgl. Abb. 3). Auch in der DDR hinterließ die Ölpreiskrise ihre Spuren. Einen ersten Einschnitt bedeutete für die SED die Entscheidung Breschnews 1974, die Preisbindung für Erdöl im RGW jährlich schrittweise an die Weltmarktpreise anzugleichen. Die Sowjetunion litt unter gravierenden Missernten, weshalb sie Geld brauchte, um auf dem Weltmarkt einkaufen zu können. Zuvor erhielt die DDR russische Rohölkontingente zur Hälfte des Weltmarktpreises, die sie selbst veredelte, um sie dann ins westliche Ausland weiterzuverkaufen. Da sie also mit einem festen Betrag kalkuliert hatte, fehlte ein erheblicher Anteil sowohl für die Versorgung der DDR-Bevölkerung als auch für weitere Investitionen.81 Der noch im Länderbericht für das Symposium in Prag ausgewiesene Strukturwandel, beispielsweise die Substitution der Braunkohle durch Erdöl und -gas, war somit bereits drei Jahre später nicht mehr umsetzbar. Auch das extensive Wirtschaften im Osten geriet ins Schwanken. Gerade die DDR und ČSSR waren sich hier der eigenen begrenzten Ressourcen bewusst. Die DDR-Industrie musste nun vermehrt mit der Braunkohle als Energieträger vorliebnehmen. Allein die Rückumrüstung von Erdöl auf Kohle kostete in den 1970er Jahren etwa 20,2 Mrd. US-Dollar. Geld, das der DDR dadurch verloren ging und die Bundesrepublik vergleichsweise in Kraftwerksfilteranlagen (17 Mrd. USDollar) investieren konnte. Zudem band die Wirtschafts- und Sozialpolitik Honeckers Investitionen, da die Bedienung der Schulden im Ausland – sie stiegen von zwei Milliarden Anfang der 1970er auf etwa 25 Mrd. Valutamark zu Beginn der 1980er Jahre – gegenüber anderen Politikfeldern Vorrang hatte.82 Zwar schienen die Investitionen der DDR in den Umweltschutz inklusive Wasserwirtschaft in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre leicht angestiegen zu sein (vgl. Abb. 2), doch gemessen an den Nationalausgaben waren sie im Sinken begriffen. So habe die DDR 1973 noch 0,65 Prozent und Ende der 1980er Jahre nur noch 0,4 Prozent des Nationaleinkommens in Umweltschutzmaßnahmen investiert.83 Hier machten sich in der DDR die ersten Anzeichen einer Verschuldungskrise bemerkbar. Laut dem Historiker Jörg Roesler lenkte die DDR, wie ihr Vorbild die UdSSR, Umweltausgaben in
80
Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 71–73; Müller, Innenwelt, S. 75; Voss, Spannungsverhältnis, S. 170; Menke-Glückert, Mühen der Ebenen, S. 125 f.; zum Benzin-Blei-Gesetz, siehe Radkau, Ära, S. 386. 81 Vgl. Huff, Natur, S. 196; Stief, Staatssicherheit, S. 64 f.; Malycha/Winters, Geschichte der SED, S. 219; Steiner, Plan zu Plan, S. 192–194. 82 Vgl. Stief, Staatssicherheit, S. 270 f.; Huff, Natur, S. 256; Türk, Treibstoff der Systeme, S. 55–63; Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 19; siehe auch Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 126; Buck, Umweltpolitik, S. 228; 231–238; Fleischman, Communist Pigs, S. 7 f., 69, 72–75. 83 Vgl. Huff, Umweltpolitik, S. 552
1. Deutsch-deutsche (Nicht-)Umweltverhandlungen 1973–1980
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produktionstechnisch notwendige Bereiche.84 Das hatte zur Folge, dass der Mammutanteil der Ausgaben des MfUW seit Anbeginn hauptsächlich in den Teilbereich der Wasserwirtschaft floss.85 Als 1975 der Ständige Vertreter der Bundesrepublik in Ost-Berlin, Günter Gaus, erneut Sondierungsgespräche für Umweltverhandlungen aufnehmen wollte, führte sein Gesprächspartner, Karl Seidel, entgegen den Erwartungen der Zeitgenossen nicht das UBA, sondern „finanzielle Schwierigkeiten“ als Hinderungsgrund an.86 Zwar konnten Vertragsabschlüsse vor den Landtags- und Bundestagswahlen von 1975/76 wohlgesinnte Kräfte in der Bundesrepublik stärken. Das hieß für die DDR, mit einer gezielten Annäherungspolitik die sozialdemokratische Regierung zu fördern. Umweltverhandlungen fielen in dieser Zeit allerdings nicht in diese Kategorie, da mit nur einer Verhandlung ein baldiger Abschluss nicht zu erwarten war.87 Deutsch-deutsche Umweltverhandlungen kamen darüber hinaus auch im weiteren Verlauf der 1970er Jahre nicht zustande. Nach einem anfänglichen innenpolitischen Umwelt-Boom in beiden Staaten, flaute das politische Engagement angesichts konjunkturbedingter Schwierigkeiten und damit einhergehender angespannter Haushaltslage wieder ab. In der Forschung wird meist beschrieben, dass für Honecker mit dem Thema Umweltschutz außenpolitisch nach der Aufnahme in die UNO nichts mehr zu gewinnen war – vielmehr noch, es kostete.88 Dieser Eindruck wurde durch die Abschaffung der 1971 erst eingesetzten „Wochen der sozialistischen Landeskultur“, die die Bevölkerung zu mehr Umweltschutz im Alltag aufklären und anhalten sollten, verstärkt. Das MfUW wurde 1976 dem Zuständigkeitsbereich des Sekretärs für Wirtschaft im ZK, Günter Mittag, unterstellt, womit – so Huff – Reichelts politische Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurde. Umweltschutzprogramme tauchten von nun an nicht mehr in den Volkswirtschaftsplänen auf, ab 1975 wurden Umweltberichte zurückgehalten und der Umweltrat bei der Akademie der Wissenschaften wieder aufgelöst.89 Dennoch hielt die DDR im multilateralen Bereich durchaus ihr Umweltengagement in der KSZE und ECE aufrecht, wie die folgenden Kapitel zeigen werden. Stand anfänglich noch
84
Vgl. Roesler, Umweltprobleme, S. 38 f., 48, 52; so auch Huff, Natur, S. 186; Möller, Umwelt, S. 177 f. Siehe auch Radkau, Ära, S. 522, und Reichelt, Umweltpolitik nur Alibi, S. 144. 85 Vgl. Möller, Umwelt, S. 225. 86 Vgl. Koordinierungsgespräch der Bundesregierung auf Delegationsleiterebene, Bonn, 14. 10. 1975, Dok. 111, in: DzD, VI/4, S. 419. 87 Vgl. u. a. Schreiben des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED Honecker an den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Wehner, Berlin, 6. 5. 1974, Dok. 166A, S. 591–594; und Information für das Politbüro des ZK der SED über den Stand der Nachfolgeverhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland, ohne Datum, Dok. 109, S. 421, 425, beide in: DzD, VI/3. 88 Vgl. Huff, Natur, S. 250 f., siehe u. a. zur Bedeutung der Systemkonkurrenz und Anerkennung der DDR Roesler, Umweltprobleme, S. 28; Dominick, Capitalism, S. 320; Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 471. 89 Vgl. Roesler, Umweltprobleme, S. 38 f., 48, 52; Radkau, Ära, S. 522; Huff, Natur, S. 186; Möller, Umwelt, S. 17, 195 f. Vgl. zu Mittag auch Reichelt, Umweltpolitik nur Alibi, S. 144.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
die ungelöste deutsche Frage den Umweltverhandlungen im Weg, machten nun die jeweiligen innen- und wirtschaftspolitischen Problemlagen in der Bundesrepublik und der DDR weiteren Bemühungen einen Strich durch die Rechnung. Die Krise um das UBA als Ersatzkonflikt der Deutschen Frage trug ihr Übriges dazu bei. Trotz allem, wie oben angedeutet, versuchte die Bundesrepublik das Thema gegenüber der DDR immer wieder anzusprechen – bilateral jedoch erfolglos. Nach der Aufnahme beider Staaten in die UNO und die DDR in die ECE 1973 sowie durch ihre Beteiligung an der 1975 abgeschlossenen „Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE), entspannte sich ihr Verhältnis zusehends. Auch wenn mit dem UBA bilateral noch immer frostige Winde zwischen beiden deutschen Staaten wehten, wurde auf der internationalen Ebene langsam das Eis zwischen ihnen gebrochen. Deshalb formulierte Gerhard Henze, Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, dass die umweltpolitische Strategie nun sei, die „Petiten gegenüber der DDR auch multilateral voranzutreiben“.90
2. Grüne Entspannungspolitik — multilateral Die KSZE-Schlussakte von Helsinki vom 1. August 1975 gilt gemeinhin als der Höhepunkt der entspannungspolitischen Phase im Kalten Krieg. Eingefordert wurde die Konferenz von den Ostblockstaaten bereits seit 1969 mit dem sogenannten Budapester Appell.91 Von der gemeinsamen Sicherheitskonferenz versprachen sich Ost und West den gleichen Nutzen für die Entspannungspolitik: Die atomare Konfrontation sollte verringert werden, was die Staatshaushalte von den Kosten, die die Rüstungsspirale verursachte, entlasten würde. Die Idee war eine Zusammenarbeit zum wechselseitigen Vorteil. Im Zweck unterschieden sich Ost und West wieder: Während die kommunistischen Parteien der Warschauer Vertragsstaaten diese Art der Zusammenarbeit für die Konsolidierung ihrer Herrschaft brauchten, verfolgte die NATO mit der Entspannungspolitik das Ziel, die Freiheitsbeschränkungen im Osten zu überwinden. Dies spiegelte sich auch in den Körben der KSZE wider: Der Osten bekannte sich in Korb I zu den zehn ausgehandelten Prinzipien wie Achtung der Menschenrechte, Enthaltung von Androhung oder Anwendung von Gewalt und anderen vertrauensbildenden Maßnahmen sowie in Korb III zu humanitärer Zusammenarbeit. Dafür erhielt er in Korb II die Zusage des Westens zu wirtschaftlicher Kooperation.92 Nachdem die Stockholmer Umweltkonferenz 1972 wegen des Boykotts durch die osteuropäischen Länder in Bezug auf die ost-west-übergreifende Umweltzu-
90
PA AA, B 38, ZA, Bd. 115047, Vermerk von Gerhard Henze, Referat 210 „Außenpolitische Fragen, die Berlin und Deutschland als Ganzes betreffen“, an das Referat 414, AA, 7. 7. 1977. 91 Vgl. Loth, Helsinki, S. 134–136. Siehe auch Memorandum der Budapester Außenministerkonferenz, in: DA 8 (1970), S. 861–863. 92 Vgl. Loth, Rettung der Welt, S. 16.
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
89
sammenarbeit gescheitert war, stellten die Verhandlungen in Vorbereitung der KSZE dafür eine neue Chance dar. Getestet wurde dies bereits durch die im Frühjahr 1974 verabschiedete multilaterale Helsinki-Konvention zum Schutz der Ostsee. Man könnte sagen, die „kleine KSZE“ war anfänglich stark geprägt von der Deutschen Frage und daher begleitet von der Angst vor einem erneuten Scheitern wie in Stockholm. Andererseits erhofften sich die Finnen von dieser kleinen Umweltkonferenz eine positive Wirkung auf die KSZE. Schließlich führte sie zu vertrauensbildenden Maßnahmen, zwar nicht im Sicherheitsbereich, jedoch bezüglich der Wasserqualität der Ostsee.93 Auch bei den KSZE-Verhandlungen galt noch immer, dass das Thema Umweltschutz „am wenigsten politisch belastet“ und alle Industrieländer davon gleichermaßen betroffen seien, weshalb eine Einigung günstig schien.94 Historiker bewerten die Sachlage allerdings etwas anders als die Zeitgenossen, wonach die Prestigefrage im ideologischen Wettbewerb zwischen den Supermächten den Abschluss von Umweltabkommen gerade begünstigte.95 Die Frage ist deshalb, wie wurde das Thema verhandelt und welchen Stellenwert besaß es innerhalb des Rahmens der KSZE und der 1979 stattfindenden Hochrangigen Tagung (HRT) der ECE? Inwiefern liefert das Umweltthema Spezifika im internationalen Umgang und im Vergleich mit anderen Fachgebieten? Störte oder beflügelte die binäre Ordnungslogik des Kalten Krieges die umweltpolitische Kommunikation?
2.1 Erste Triebe der Verständigung in der KSZE Die Gespräche zur „Umwelt“ gestalteten sich als lebhaft, sie waren geprägt durch die aktive Mitarbeit aller sowie die gemeinsame Interessenlage.96 So lautete die Beurteilung der westdeutschen KSZE-Delegation als 1973 die Fachdiskussionen begannen. Das Thema wurde in der Unterkommission G „Umwelt“ der Kommission II (Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt) des Koordinationsausschusses der KSZE verhandelt.97 War für die DDR hauptsächlich das MfAA zuständig, mussten für die Bundesrepublik Verantwortlichkeiten erst geklärt werden: So beanspruchte das Innenministerium die Delegationsführung unter Peter Menke-Glückert in diesem Unterausschuss für sich – unter Beteiligung des Auswärtigen Amts.98 93
Vgl. Laakkonen/Räsänen, Cold War, S. 229–236. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 109308, Stand der KSZE-Vorbereitung bezüglich wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen, Konzept, o. V., 30. 10. 1972. 95 Vgl. Brain, Appeal of Appearing Green, S. 445; Hünemörder, Crisis, S. 257. 96 PA AA, B 28, ZA. Bd. 100024, Schreiben der KSZE-Delegation des AA, Helmut Sigrist, an die StäV (NATO), das BMWi u. a., 9. 11. 1973. 97 Siehe o. V., Organigramm der Phase II der KSZE (Genf, 18. September 1973–21. Juli 1975), in URL: https://www.cvce.eu/en/obj/organigramm_der_phase_ii_der_ksze_genf_18_september _1973_21_juli_1975-de-4bb7b2b4-ecdf-4f33-a421-206e5665b85b.html [14. 5. 2022]. 98 Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Brief von StS Hartkopf, BMI, an StS Frank, AA, 7. 2. 1973; und dessen Antwort vom 6. 3. 1973. 94
90
II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
Die Delegation der DDR zeigte sich dem Umweltthema hier sehr aufgeschlossen. Sie vertrat die Ansicht, dass es nicht nur darum gehen sollte, Umweltschäden künftig zu vermeiden, sondern auch zu beseitigen, was in diesem Jahrhundert an Luft- und Gewässerverschmutzung bereits angefallen sei. Gleichzeitig verwahrte sie sich gegen die Annahme, dass die Umweltverschmutzung der Preis für den technischen Fortschritt sei. „[Die These] lenkt von den gesellschaftlichen Ursachen der Umweltverschmutzung ab und diffamiert in gewissem Sinne die Ergebnisse des menschlichen Geistes auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und Technik.“ 99 Die ostdeutsche Abordnung verteidigte also die wissenschaftlichtechnische Revolution (WTR) und lehnte die vom Westen darin implizierte Konvergenz-Theorie ab. Diese besagt auf das Thema bezogen, dass Umweltprobleme die Industrieländer gleichermaßen betreffen und sich unterschiedliche Gesellschaften mit der Zeit annähern. Damit verdeutlichte sie ihren ideologischen Standpunkt eines Technikoptimismusses, der durch den Einsatz von Wissenschaft und Technik, neben Kapital, Arbeit und Boden, zum Kommunismus führen werde.100 Für westdeutsche Vertreter war es wiederum wichtig, dass durch unterschiedliche Umweltmaßnahmen keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen. So urteilte das Bundeswirtschaftsministerium, dass es beim Umweltschutz nicht nur um technische Probleme, sondern auch „um die Verteilung des Sozialprodukts, also auch um politische Fragen gehe.“ 101 Nach zehn Sitzungen der ersten Runde waren die Hauptberatungen im November/Dezember 1973 quasi abgeschlossen. Ministerialrat Dietrich Kupfer (BMI) vermerkte denn auch, dass der Unterausschuss trotz seiner „begrenzten Bedeutung“ innerhalb des Konferenzgeschehens wegen der weitreichenden Übereinstimmung im Gegenstand letztlich zu einem sachlichen und „politisch nützlichen“ Konferenzergebnis beitragen wird.102 Ab 1974 konnte deshalb bereits am Abschlussdokument gearbeitet werden. Hierfür entwickelte die DDR gemeinsam mit der Ungarischen Volkrepublik (UVR) für die Ostblockstaaten das sogenannte Papier G 1 (Resolutionsentwurf ). Darin schlugen beide unter anderem vor, dass die Teilnehmerstaaten zugunsten künftiger Generationen nicht nur für den Umweltschutz zusammenarbeiten, sondern ihre Aufmerksamkeit auch dem Schutz der Natur und ihrer Ressourcen widmen sollten.103 Probleme seien auf bi- oder multi-
99
100 101 102 103
PA AA, MfAA, M 1, C 380/78 – KSZE, Korb II, Bl. 81, Zur grundsätzlichen Haltung der DDR in der Frage des Umweltschutzes, 1973; und Bl. 25, Beratungen zur KSZE, Korb II, 16. Tag nachmittags, 6. 2. 1973. Vgl. Moranda, People’s Own Landscape, S. 108; Jessen, Akademische Elite, S. 43, 148 f.; Metzler, Konzeptionen, S. 225–231; Möller, Umwelt, S. 194. PA AA, B 28, ZA, Bd. 109308, Fragen des Umweltschutzes auf einer KSZE, Afz. Dr. Lucas, BMWi, 13. 10. 1972. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Vermerk, Kupfer, UA I 6, BMI, 9. 11. 1973. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Papier G 1 (DDR/UVR), o. D., o. V.; PA AA, MfAA, M 1, C 380/78 – KSZE, Korb II, Bl. 79–81, Zur grundsätzlichen Haltung der DDR in der Frage des Umweltschutzes, 1973. Nach Hanisch legten die DDR und die UVR den Entwurf der Sowjetunion für den gesamten Korb II vor: Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 67.
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
91
lateraler Ebene zu lösen und zur Erziehung der Öffentlichkeit, insbesondere der Jugend, verfolgten die Regierungen weitere Maßnahmen zur populärwissenschaftlichen Tätigkeit. Als Hauptthemen nannten sie unter anderem den Schutz vor Gewässer- und Luftverschmutzung, eine erhöhte Effektivität der Nutzung von Wasserressourcen, Grundlagenforschung, die Beobachtung von Veränderungen in der Biosphäre sowie rechtliche und administrative Maßnahmen im Umweltschutz. Letzteres zielte auf eine Art Umweltvölkerrecht ab, das immer wieder vom Ostblock gefordert wurde.104 Die Zusammenarbeit sollte insbesondere durch die Entwicklung von gemeinsamen Projekten und Programmen sowie den wissenschaftlichen Austausch von neuen Forschungsergebnissen über Symposien und Konferenzen verwirklicht werden.105 Gerade der letzte Punkt erinnert stark an die Tätigkeiten, die bereits in der ECE ausgeführt wurden. So verwundert es nicht, dass sich auch die Beamten im Westen seit Ende 1971 darüber Gedanken machten, wie eine Doppelarbeit in ECE und KSZE vermieden werden könnte. Schließlich gebe es nur eine begrenzte Anzahl von Experten in Europa, das Mandat zu Umweltverhandlungen liege bereits in der ECE und ihre Arbeitsergebnisse, wenn auch noch mager, sprächen trotzdem für sie. Letztlich stimme auch die Zusammensetzung der ECE mit den Teilnehmern der KSZE überein.106 Statt ein neues Gremium innerhalb der KSZE zu schaffen, wurde die Umweltarbeit daher an die ECE abgegeben.107 Das Thema Umwelt wurde in dem Forum der KSZE zwischen Ost und West zwar sachlich diskutiert, allerdings urteilte die westdeutsche Delegation, ihr Papier sei „besser und umfassender“ 108 als das der DDR und Ungarns. Diese Einschätzungen ähneln zwar noch ein wenig den konkurrierenden Sprachmustern beider Staaten auf dem Prager Symposium 1971, doch schien sich hier eine Änderung diesbezüglich bereits abzuzeichnen. Obgleich der westdeutsche Entwurf bis auf den Aspekt „die Auswirkungen des Menschen auf die Biosphäre“ die gleichen Umweltprobleme behandelte, war er in der Tat mit einzelnen technischen Maßnahmen zur Verbesserung angereichert.109 Die Bundesregierung hatte sich bereits seit 1970 damit beschäftigt, welche konkreten Probleme besprochen werden könnten. So erarbeitete das AA beispielsweise beiderseits interessierende Themen wie unter anderem die Eutrophierung von Inlandsgewässern oder Forschungen zur Rauch-
104 105 106 107
108 109
Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Delegationsbericht Nr. 203, Drahtbericht Nr. 1377, von Groll/Herbst, Genf, 4. 12. 1973. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Papier G 1 (DDR/UVR), o. D., o. V. Vgl. PA AA, B 38–215, Bd. 1453, Arbeitspapier zur Beteiligung der ECE an der KSZE, deutsche Delegation, 10. 12. 1971. Vgl. Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Schlussakte, Helsinki, 1. 8. 1975, S. 42, in: URL: https://www.osce.org/de/mc/39503 [14. 5. 2022]. Zaagman, Helsinki II, S. 38. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Delegationsbericht Nr. 131, Unterausschuss am 2. 11. 1973, in Drahtbericht Nr. 1398, Kühn/Herbst, Genf, 5. 11. 1973. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Schnellbrief, Kupfer, BMI, an das AA, 6. 8. 1973. Siehe zum Papier der Bundesrepublik Anm. 111 und zum Thema Biosphäre Kap. I.1.1.
92
II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
gasentschwefelung. Das Ziel bestand für Menke-Glückert darin, nach der Konferenz konkrete Projekte direkt in Angriff zu nehmen, um auch der Öffentlichkeit gegenüber ein Signal der Tat zu setzen.110 Die Überlegungen der bundesdeutschen Beamten resultierten im gemeinsamen Papier mit Dänemark, Frankreich, Italien und Belgien namens „G 8“. Es unterschied sich zum DDR/UVR-Papier grundlegend in der Einleitung: Hier wurde explizit auf die Stockholmer Erklärung Bezug genommen und somit das Verursacher- und Vorsorgeprinzip postuliert, also Vermeidung von Ressourcenausnutzung zu Lasten anderer Staaten.111 Interessanterweise unterstützte die DDR diesen Resolutionsvorschlag mit der Ergänzung um die Notwendigkeit, das Völkerrecht auf diesem Gebiet weiterzuentwickeln,112 während die UdSSR die darin enthaltene Stockholmer Erklärung zunächst ablehnte.113 Ob es sich bei der sowjetischen Haltung um ein sachliches (keine Teilnahme osteuropäischer Staaten bei dieser Konferenz) beziehungsweise taktisches Anliegen (Verzögerung) oder um die Solidarität mit dem DDR/UVR-Papier handelte, war den westdeutschen Delegierten nicht ganz klar. Es könnte auch am mangelhaften Mandat der sowjetischen Vertreter gelegen haben, die jeden Punkt von Moskau absegnen lassen mussten.114 Nach spätestens zwei Wochen lenkten die Sowjets unter der Bedingung ein, dass auch das Prager Symposium im Abschlussdokument genannt werden müsse.115 Mit der Nennung der Stockholmer Erklärung akzeptierten die Ostblockstaaten erstmals die Ergebnisse dieser Konferenz, die sie selbst boykottiert hatten.116 Damit schien die Strategie der Bundesregierung aufzugehen: In der Unterkommission G war der Zeitpunkt entscheidend, wann die neun EG-Länder geschlossen, meist mit Unterstützung der fünfzehn Neutralen, ein neues Papier einreichten. So sollte „jede Sitzungsrunde mit einem konstruktiven westlichen Papier“ ausklingen, sodass sich die Redaktion der Schlussdokumente „auf Basis westlicher Entwürfe“ vollzog, wogegen die WVO-Staaten nichts einwenden konnten: „Die neun [EG-Staaten] haben damit in jeder Phase der Unterkommissionsarbeit die
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111 112
113 114 115
116
Vgl. Hünemörder, Environmental Crisis, S. 270. Vgl. Zu den möglichen Themen: PA AA, B 28, ZA, Bd. 109308, CSCE-ad-hoc, Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Umweltfragen, o. V., 20. 9. 1972. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Papier G 8 (Bundesrepublik, Dänemark, Frankreich, Belgien, Italien), im Vermerk von Kupfer, UA I 6, BMI, 9. 11. 1973. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Delegationsbericht Nr. 203, in Drahtbericht Nr. 1377, von Groll/Herbst, Genf, 4. 12. 1973. Eine Direktive für die DDR diesbezüglich war leider nicht zu finden. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Delegationsbericht Nr. 247, Unterausschuss am 4. 2. 1974, in Drahtbericht Nr. 146, Kühn/Herbst, Genf, 5. 2. 1974. Vgl. o. V., Der kalte Krieg ist tot. West-Erfolge auf der Europa-Konferenz, in: Der Spiegel, Nr. 31, 28. 7. 1975, S. 17–20, hier S. 18. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Delegationsbericht Nr. 255, in Drahtbericht Nr. 168, Kühn/Stempel, Genf, 12. 2. 1974; Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Schlussakte, Helsinki, 1. 8. 1975, S. 41, in URL: https://www.osce.org/de/mc/39503 [14. 5. 2022]. Vgl. Hünemörder, Environmental Crisis, S. 271.
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
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Initiative behalten.“ 117 Die bundesdeutschen Delegierten erarbeiteten daher auf der Grundlage des DDR/UVR-Papiers ein neues, G 9, das sie vor der Weihnachtspause 1973 in die Sitzung einbrachten und das Anfang 1974 mit einigen leichten Veränderungen letztlich fertiggestellt werden konnte. Den schnellen Erfolg im Umweltbereich führten die Delegierten sowohl auf die gemeinsamen Erfahrungen in der ECE als auch auf die „Interessengemeinschaft“ im Umweltschutz zurück, die wenig Polarisation zwischen den Blöcken zuließ. Geschlussfolgert wurde daraus, dass es gelungen sei, „die WP-Staaten in die europäische Umweltzusammenarbeit einzuführen“.118 Das hieß auch, damit gelang dem Westen, was ihm 1972 mit Stockholm aus den Händen geglitten war: Die ECE und KSZE konnten als umweltbezogene Entspannungspolitik ausgebaut und der Osten damit in bürokratische Maßnahmen verwickelt werden.119 Obwohl am 20. Juni 1974 die Sachdiskussion über den Resolutionsentwurf abgeschlossen war, wurde er noch nicht registriert. Somit konnten gegebenenfalls noch Änderungen vorgenommen werden. Zudem verhinderte es die mögliche Behauptung des Ostens, der Text sei bereits von den Regierungen akzeptiert worden.120 Auf westdeutscher Seite stand die Vermutung im Raum, dass die Sowjetunion beim Umweltthema eine Art „psychosis of acceleration“ installieren wollte, um die anderen Subkomitees zu beeinflussen. Das heißt, dass durch den Druck, schneller zu Ergebnissen zu gelangen, die Westeuropäer Fehler machen könnten.121 Zwar war mit der KSZE nun ein Anfang gemacht, doch lag für beide Seiten offensichtlich zur Vertrauensbildung noch ein weiter Weg vor ihnen. Besonders augenscheinlich ist, dass in der gesamten Auseinandersetzung in der Unterkommission der KSZE – anders als in ECE, UNEP und anderen Organisationen – kein Streit über eine potenzielle Mitarbeit des UBA aufkam. Gottfried Niedhart schlussfolgert daraus, dass „die Existenz dieser Bundesbehörde in WestBerlin also als gegeben“ hingenommen wurde.122 Dem war jedoch keinesfalls so. Nach Wentker, wir erinnern uns, bestimmte die Politik, wie mit Statusfragen umzugehen sei.123 Und in diesem Fall wollte der Generalsekretär der SED Erich Honecker diesen innerdeutschen Konflikt nicht auf die KSZE ausweiten. Zu wichtig waren die darin ebenfalls mitverhandelte wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie zeitgleich stattfindende Gespräche mit der Bundesregierung dazu. Außerdem
117
118 119 120 121 122 123
PA AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Delegationsbericht Nr. 131, Unterausschuss am 2. 11. 1973, in Drahtbericht Nr. 1398, Kühn/Herbst, Genf, 5. 11. 1973. Siehe auch allgemein: o. V., Der Kalte Krieg ist tot. West-Erfolge auf der Europa-Konferenz, in: Der Spiegel, Nr. 31, 28. 7. 1975, S. 17–20, hier S. 18. PA AA, B 28, Bd. 100024, Stand KSZE-Verhandlungen Korb II, Drahtbericht Nr. 34, Dohms, Bonn, 11. 4. 1974. Vgl. Macekura, Limits, S. 498. Siehe auch Kap. I.2.1. Vgl. PA/AA, B 28, ZA, Bd. 111538, Delegationsbericht Nr. 519, Drahtbericht Nr. 925, von Groll/Herbst, Genf,24. 6. 1974. Zit. nach Hünemörder, Environmental Crisis, S. 271. Vgl. Niedhart, Entspannung, S. 116. Vgl. Wentker, Bundespräsenz, S. 262.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
war den Ostblockstaaten viel am Erfolg der KSZE und einer Stärkung der Entspannung zwischen den Blöcken gelegen, weshalb in diesem besonderen Fall auf das Bestehen der Statuspolitik bezüglich West-Berlins verzichtet wurde.124 Als auch die anderen Unterkommissionen zum Abschluss kamen, resümierte Götz Freiherr von Groll, der Vertreter des Leiters der bundesdeutschen KSZEDelegation in Genf, den Umwelttext im Gesamtzusammenhang folgendermaßen: „Der Text der KSZE-Resolution über Umweltschutz ist eines der am gründlichsten formulierten, sachkundigsten und erschöpfendsten Dokumente, die die KSZE hervorbringen wird. […] Der Text hat – im Gesamtzusammenhang der Schlussdokumente – vielleicht einen ‚Schönheitsfehler‘: Er verwendet zum Teil Vertragssprache und regelt alle einschlägigen Fragen sehr verbindlich, während es allgemein akzeptiert ist, dass die Konferenzbeschlüsse insgesamt politisch-moralische Absichtserklärungen darstellen.“ 125
Der daraus folgenden Idee, den Text in zweiter Lesung abzuschwächen, widersprach Dietrich Kupfer aus dem BMI, da er befürchtete, dass dies bei den osteuropäischen Staaten den Eindruck hinterlassen würde, der Westen meine es mit dem Umweltschutz nicht ernst – was prinzipiell einen Beleg für die Prestigethese, allerdings in diesem Fall für den Westen – darstellt. Stattdessen solle die Präambel so überarbeitet werden, dass keine verbindlichen Rückschlüsse oder Auswirkungen auf andere Bereiche der KSZE möglich seien.126 Mitunter trugen die Vorarbeiten aus der ECE und der Stockholmer Erklärung zu mehr Verbindlichkeit des umweltpolitischen KSZE-Teils bei. Der KSZE-Resolutionstext zur Umwelt war somit die erste allgemeine OstWest-Umwelterklärung im multilateralen Bereich. Er stärkte den internationalen Austausch von Informationen und Expertise, unterstützte die Zusammenarbeit in regionalen, bi- und multilateralen Verbünden, wie beispielsweise in der ECE oder UNEP. Bereiche der Zusammenarbeit wie der Luft- und Gewässerverschmutzung wurden ausgehandelt, bei Letzterem standen jedoch die Meere wie das Schwarze und das Mittelmeer im Fokus. Zurückgehend auf einen Vorschlag der UdSSR sollten einheitliche Umweltterminologien und Definitionen angestrebt werden. Das Anliegen der DDR, die Jugend für den Umweltschutz zu sensibilisieren, erhielt ebenso Eingang wie das von der Bundesrepublik geforderte Prinzip 21 der Stockholmer Erklärung „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Völkerrechts“ keine Umweltverschlechterungen in anderen Staaten zu verursachen. Die positive DDR-Auffassung zum technischen Fortschritt spiegelt sich zwar nicht wider, doch wurde generell auch hier – wie im Umweltprogramm und im Landeskulturgesetz –
124 125 126
Vgl. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 83. PA AA, B 28, ZA, Bd. 100024, KSZE-Resolution Umweltschutz, Afz. von Groll, BMI, 12. 5. 1975. Vgl. PA AA, B 28, ZA, Bd. 100024, Stellungnahme zur KSZE-Resolution Umweltschutz, Kupfer, BMI, 26. 5. 1975; und Afz. Referat 500 an 210, AA, 15. 5. 1975. Das Referat 414 im AA sah keine Notwendigkeit, den Text zu verändern. Vgl. ebenda, Afz. Referat 414 vom 21. 5. 1975. Vgl. auch Brain, Appeal of Appearing Green, S. 445.
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
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auf vorbeugende Maßnahmen gesetzt, unter der Bedingung, dass das natürliche Gleichgewicht gewahrt bleibt.127 Der niederländische Diplomat Rob Zaagman wertet das Kapitel zur Umwelt in der Schlussakte von Helsinki dahingehend, dass das Thema für die Delegierten zwar wichtig schien, der Text an sich jedoch deklaratorisch, ermahnend und wenig mit Substanz gefüllt sei.128 Dies steht im Widerspruch zur Aussage der Juristen im BMI und AA, die befürchteten, der Text sei zu verbindlich. Nach Abschluss der Verhandlungen verband sich mit den Ergebnissen der KSZE eher die Hoffnung, dass sie insbesondere bei den schwierigen Umweltverhandlungen mit den östlichen Nachbarstaaten wie DDR und ČSSR helfen werden, Lösungen zu finden.129 Auch wenn diese Hoffnung auf eine bilaterale Zusammenarbeit mit den Ostblockstaaten für die 1970er Jahre zunächst nicht erfüllt werden sollte, kann nicht von mangelnder Substanz im Resolutionstext ausgegangen werden. Die Teilnehmerstaaten einigten sich unter anderem darauf, bei der „Entschwefelung von fossilen Brennstoffen und von Abgasen; Bekämpfung der Verschmutzung durch Schwermetalle, Partikel, Ärosole, Stickstoffoxyde“ zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus wollten sie „Methoden der Beobachtung und Kontrolle der Luftverschmutzung und ihrer Auswirkungen, einschließlich der Verbreitung von luftverschmutzenden Stoffen über weite Entfernungen“ ausarbeiten.130 Die genannten Arbeitsgebiete wiesen bereits eine längere Entwicklung auf. So wurde im Frühjahr 1971 in der ECE eine Arbeitsgruppe zu Problemen der Luftverschmutzung gegründet, welche ebenfalls Situationsanalysen und Strategien für die Entschwefelung fossiler Brennstoffe entwickeln sollte.131 Die KSZE sah weiterhin ein Messsystem für die Ausdehnung von Schwefeldioxid und andere Stoffe vor – seit den 1960er Jahren ein Anliegen Schwedens und Norwegens. Auch dies bezieht sich bereits auf ein ECEProjekt zum weiträumigen Transport von luftverschmutzenden Schadstoffen, hier ergänzt mit der Vorgabe, dass es die Grundlagen eines Kooperationsprogramms berücksichtigen solle, das Experten im Dezember 1974 am Norwegischen Institut für Luftforschung erarbeitet hatten.132 Somit wurde im KSZE-Text zur Umwelt nicht nur konkret genannt wie die „deklaratorisch“ beschworene internationale Zusammenarbeit im Umweltschutz aus-
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Vgl. Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Schlussakte, Helsinki, 1. 8. 1975, S. 37–43, in URL: https://www.osce.org/de/mc/39503 [14. 5. 2022]. Vgl. Zaagman, Helsinki II, S. 42. Vgl. Ergebnisse KSZE Korb II, Afz. von Lucas, Genf, 27. 5. 1975, in: PA AA, B 28, ZA, Bd. 100024. Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Schlussakte, Helsinki, 1. 8. 1975, S. 38, in URL: https://www.osce.org/de/mc/39503 [14. 5. 2022]. Vgl. Problems on Air Pollution (Priority A), in: Economic Commission for Europe. Annual Report (23rd April 1969 – 24th April 1970), Economic and Social Council, Official Records, 43rd Session, Supplement No. 3, S. 74. Vgl. Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Schlussakte, Helsinki, 1. 8. 1975, S. 43, in URL: https://www.osce.org/de/mc/39503 [14. 5. 2022]; BArch, B 106, Bd. 69285, Teil 2, 3. Sitzung der ECE-Umweltberater, Afz. des Referats UA I 7, Daldrup, BMI, 24. 3. 1975.
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sehen sollte, sondern es wurden sogar gewisse Zielvorhaben aus der ECE wiederaufgegriffen und weiterentwickelt und Teile von ihm sind 1979 sogar in eine Konvention gegossen worden. Welche Schwierigkeiten sich hier auftaten, wird im nächsten Kapitel behandelt. Die ECE jedenfalls reagierte auf den Text der KSZE insofern, als dass sie neue Arbeitsgruppen bildete, die die Inhalte der KSZE mit dem Arbeitsprogramm der ECE in Einklang bringen sollten.133 Das Verhältnis zwischen der ECE, der Schlussakte von Helsinki sowie den KSZE-Nachfolgekonferenzen könnte demnach als ein Ping-Pong-Spiel aufgefasst werden: Die Initiativen wurden einander zugespielt, „verarbeitet“ und durch das Hin und Her gleichzeitig verstärkt und ausgebaut – die ökologische Kommunikation erschien hier demnach keineswegs gestört, eher im Gegenteil, sie wurde regelrecht befördert.
2.2 Das Machbare machen 134 — die Hochrangige Tagung Umwelt 1979 in Genf „Ein deutsches Interesse, zu einer international bedeutsamen Regelung zu kommen, besteht kaum. Wir sind jedoch aus vorwiegend außenpolitischen Gründen interessiert, nicht als ‚Großverschmutzer‘ angeklagt zu werden.“ 135 Was war passiert? Diese Worte aus einem Bericht des für den Umweltschutz zuständigen Bundesinnenministeriums passten kaum zu den internationalen Initiativen zu Anfang des Jahrzehnts, als der Umweltschutz neu etabliert wurde. Konkret geht es hier um die Hochrangige Tagung (HRT) zum Thema Umwelt, die 1979 in der ECE in Genf stattfand. Diese Umweltschutzkonferenz stellt einen Schlüsselmoment für die Festigung internationaler Umweltpolitik dar: Sie verhieß sowohl die Chance auf neue bilaterale Kontakte zwischen beiden deutschen Staaten als auch ein Festhalten an der entspannungspolitischen Situation. Die HRT ist hauptsächlich auf das Engagement Breschnews zurückzuführen. Bereits auf der KSZE 1975 versuchten die Sowjets noch das Papier mit dem Titel „Konvention betreffend die grenzüberschreitende Luftverschmutzung über weite Distanzen“ in den Korb II einzubringen.136 Und Ende 1975 forderte er auf dem VII. Parteitag der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gesamt-
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Vgl. BArch, B 106, Bd. 69285, Teil 3, Auswirkungen der KSZE auf die ECE, in Drahtbericht Nr. 1742, Herbst, Genf, 2. 10. 1975. „Das Machbare müsse gemacht werden.“ DDR-Vertreter Devaux in: PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Vermerk von Hoffmann, Referat 414, AA, 22. 3. 1978. Ähnlich auch Breschnew: „… in nächster Zeit so manches Nützliche tun“, um die KSZE zu erfüllen, in: „Bündnis der Bruderländer wird immer tiefgreifender“, in: ND, 10. 12. 1975, S. 4. BArch, B 136, Bd. 10316, Teil 13, Bericht zur Umwelttagung im Rahmen der ECE, U I 6, BMI, 16. 3. 1979. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5710, Bericht über die 5. Tagung des Rates zu Fragen des Schutzes und der Verbesserung der Umwelt, 28. 10.–3. 11. 1974 in Budapest; und zur KSZE: o. V., „Saure Tropfen“, in: Der Spiegel, Nr. 49, 3. 12. 1979, S. 249–252, hier S. 252.
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europäische Kongresse zu den Themen Energie, Verkehr und Umwelt ein, um die Konferenzergebnisse der Schlussakte von Helsinki in die Praxis umzusetzen.137 Im Westen spekulierten die Beamten über die Motivation der Sowjetunion: Wollte sie durch diesen Schritt tatsächlich die Entspannung aufrechterhalten und manifestieren oder mit der Werbung für eine pan-europäische Politik die Integration der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) behindern? Wollte die UdSSR vom Korb III ablenken, indem sie im Korb II ihre Interessen bekräftigte oder mit einer Energiekonferenz die Aufmerksamkeit von anderen internationalen Konferenzen ablenken? Aufgrund dieser Unklarheit ließen sich die neun EWGStaaten zunächst nicht auf eine Antwort ein.138 Die Historikerin Anja Hanisch bewertet die Forderung Breschnews dahingehend, dass er in Bezug auf die Nachfolgekonferenz in Belgrad tatsächlich vom Korb III (u. a. Menschenrechte) ablenken und ein „Helsinki II“, eine weitere Schlussakte mit neuen Bestimmungen vermeiden wollte. Stattdessen forderte er diese gesamteuropäischen Kongresse zu vermeintlich „unpolitischen“ Fragen, um die Aufmerksamkeit auf die Bereiche der KSZE zu lenken, die für den Osten angenehmer waren als Korb III.139 Nach Susanne Schattenberg wiederum hegte Breschnew ein wahres Interesse an europäischer Sicherheit.140 Seine Forderung könnte demnach tatsächlich zur Förderung der Umsetzung der KSZE verstanden werden – ganz im Sinne „das Machbare tun“. Zudem würde eine Ablehnung durch den Westen die östlichen Staaten in einem vorteilhaften Licht erscheinen lassen, schließlich hatten sie damit Vorschläge zur Umsetzung der Schlussakte geleistet.141 Nicht nur in Vorbereitung auf die Nachfolgekonferenz der KSZE in Belgrad 1977, sondern auch auf den Sitzungen der ECE-Umweltberater pochten die osteuropäischen Länder nun auf die Abhaltung dieser gesamteuropäischen Kongresse, während die nordischen Staaten parallel dazu eine hochrangige Konferenz speziell zum Thema Luftverschmutzung einforderten. Nachdem sich die sozialistischen Staaten auf der 32. Jahresversammlung der ECE 1977 weigerten, den Tätigkeitsbericht abzusegnen – eine Voraussetzung dafür, dass die ECE auch weiterhin Gelder von der UNO beantragen konnte –, einigten sich Ost und West auf eine gemeinsame Umweltkonferenz.142 Sie war der kleinste gemeinsame und „unproblematisch[ste]“ 143 Nenner, auf den sich die Länder innerhalb des Westens zu diesem 137 138
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Vgl. „Bündnis der Bruderländer wird immer tiefgreifender“, in: ND, 10. 12. 1975, S. 4; Brain, Appeal of Appearing Green, S. 459 f. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 115111, Proposition Sovietique d’organiser des Conferences paneuropéennes sûr l’énergie, les transports et l’environnement, AG/KSZE, Luxemburg, 26. 3. 1976; Huff, Natur, S. 235. Siehe zur Position der Bundesregierung: Schreiben des Bundeskanzlers Schmidt an den Generalsekretär des ZK der KPdSU Breschnew, Bonn, 7. 7. 1976, Dok. 202, in: DzD, VI/4, S. 709. Vgl. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 190 f. Vgl. Schattenberg, Breschnew, S. 457, 479 f. Vgl. Füllenbach, Umweltschutz, S. 192. Vgl. Huff, Natur, S. 236. PA AA, B 38, ZA, Bd. 115111, Das sowjetische Projekt einer Konferenz über Umweltfragen, von Groll, Referat 212, AA, 2. 6. 1976.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
Zeitpunkt einigen konnten. Energiepolitische Fragen verhandelte die Bundesrepublik bereits mit der Sowjetunion bilateral im sogenannten Erdgas-RöhrenGeschäft.144 In Westeuropa stieß eine Energiekonferenz aber auf Ablehnung, aus Angst, sich von der UdSSR abhängig zu machen, und weil der Nahe Osten nicht einbezogen werden würde. Auch zum Thema Verkehr konnte sich der Westen noch nicht einmal unter sich einigen.145 Sehr zum Leidwesen der westeuropäischen Gruppe, insbesondere Frankreichs, Großbritanniens und der Bundesrepublik, gingen die nordischen Staaten mit den Ostblockstaaten in dieser Angelegenheit eine Allianz ein, was es für die EWG-Staaten noch mehr erschwerte, den östlichen Vorschlag einer Umweltkonferenz abzulehnen.146 Anfang 1978 schlugen die Staaten in der ECE schließlich ihre Themen für eine Hochrangige Tagung zum Thema Umwelt vor: a) grenzüberschreitende Luftverschmutzung (27 Länder), b) abfallarme und abfallfreie Technologien (24 Länder), c) grenzüberschreitende Gewässerverschmutzung (zu Flüssen: WVO-Staaten; zu Meeren: Malta, Türkei, Norwegen u. a.), d) Kontrollen giftiger Substanzen und Abfälle (14 Länder), e) Schutz der einheimischen Flora und Fauna (18 Länder).147 Die westdeutschen Diplomaten und Beamten waren sich einig, dass die Bundesrepublik kaum ein sachliches Interesse an einer Umweltkonferenz habe. Zudem befürchteten sie im Auswärtigen Amt, dass mit einer solchen Konferenz auf europäischer Ebene bilaterale Abkommen sowohl zu Wissenschaft und Technik als auch zur Umwelt mit den sozialistischen Staaten, vor allem mit DDR und ČSSR, umgangen werden würden.148 Das verwundert angesichts dessen, dass der bilaterale Verhandlungsweg mit der DDR versperrt war und sie deshalb gerade mittels internationaler Abkommen unter Druck gesetzt werden sollte, wozu diese Konferenz schließlich genutzt werden konnte. Die geologische und ökologische Ausgangslage der Bundesrepublik als großer Gewässer- und Luftverschmutzer schien für diesen Ansichtswechsel jedoch ausschlaggebend zu sein, die das Projekt Petiten über den multilateralen Weg zu forcieren, auf sie zurückkatapultieren ließ.
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Vgl. Müller, Erdgas-Röhren-Konflikt, S. 510. „Osthandel. Röhrenkredit. Salto am Trapez“, in: Der Spiegel, Nr. 7, 9. 2. 1970, S. 34; Frank Bösch, Energiewende nach Osten, in: Die Zeit, 10. 10. 2013, in URL: https://www.zeit.de/2013/42/1973-gas-pipeline-sowjetunion-gazprom [6. 6. 2022]; siehe auch Kieninger, Diplomacy of Détente. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 115111, Folgerungen aus dem Ergebnis der 32. Jahrestagung der ECE für die Vorbereitung der Belgrader Konferenz, hier: Energie-Konferenz, Drahtbericht Nr. 3003, Sigrist, Brüssel Euro, 28. 7. 1977. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10313, Teil 4, Bericht über die 5. Sitzung der „Senior Advisors on Environmental Problems“ der ECE in Genf vom 21.–25. 2. 1977, U I 6, BMI, 10. 3. 1977; Kaijser, „Acid Rain“, S. 372 f; Buns, 1974, in URL: https://nordics.info/show/artikel/the-1974nordic-environmental-protection-convention [11. 6. 2022]; Lange, Genfer Konvention, S. 1–9, in URL: https://www.europa.clio-online.de/sites/europa.clio-online/files/documents/B2022/ E_Lange_Genfer.pdf [30. 5. 2022]. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, VN-Wirtschaftskommission, hier: hochrangiges Umwelttreffen, Bericht der StäV bei der UN-ECE in Genf, Sanne, an das AA, 23. 1. 1978. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Breschnew-Vorschlag zu einer gesamteuropäischen Umweltkonferenz, Afz. Referat 414, 24. 4. 1978.
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
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Dennoch wollten die bundesdeutschen Vertreter der Umweltkonferenz nicht im Weg stehen, da „hierbei der Entspannungsprozess ohne Aufgabe eigener Positionen fortgeführt werden kann.“ 149 Doch die Themen Luft- und Gewässerverschmutzung lehnten sie ab. An ersterem waren eher die nordischen Staaten interessiert, während die Bundesregierung fürchtete als Verursacher der Luftverschmutzung angeklagt und mit Schadensersatzforderungen konfrontiert zu werden.150 Und was den Gewässerschutz anging, wollte sie vermeiden, dass sich die UdSSR in ihre Auseinandersetzungen mit den östlichen Donau-Anrainerstaaten einmischte, denen gegenüber die Bundesrepublik Oberlieger war. Deshalb zog sie bei diesen Themen bilaterale Abkommen vor.151 Als zustimmungsfähig erachtete sie den Bereich der giftigen Substanzen sowie das Thema abfallarme und -freie Technologien, auch wenn dies vermutlich in einen kostenlosen Technologietransfer nach Osteuropa münden würde.152 Die sozialistischen Staaten konzentrierten sich wiederum auf Themen, die ihren gemeinsamen Interessen sowie der Schlussakte von Helsinki entsprachen, das hieß: Luftverschmutzung und ebenfalls abfallarme und -freie Technologien.153 Diese Einmütigkeit des Ostblocks ist einerseits auf die Notwendigkeit des dichtbesiedelten Ostmitteleuropas,154 andererseits aber auch auf die Abhängigkeit der Satellitenstaaten von Moskau zurückzuführen. Insbesondere für das Verhältnis zwischen DDR und UdSSR definiert Wentker allerdings eine „Juniorpartnerschaft“, die ein „gleichberechtigtes, aber ungleichgewichtiges Verhältnis“ darstellt. Das heißt, die DDR fügt sich zwar dem großen Bruder, ohne jedoch ihre Souveränität und eigenen Interessen aufzugeben.155 Das wurde auch bei der Vorbereitung dieser Konferenz sichtbar. Die DDR vertrat mit der Werbung für die HRT die sicherheitspolitischen Interessen der Sowjetunion. Umweltschutz war für sie und den Ostblock immer auch ein Mittel der sogenannten „friedlichen Koexistenz“, letztlich also entspannungspolitisch besetzt. Daher machten sie einen Erfolg der
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PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Gesprächsvorschlag zum Thema gesamteuropäische Umweltkonferenz für den Generalsekretär der KPC, Husak, ČSSR, Afz. des Referats 414, AA, 5. 4. 1978; vgl. auch ebenda, Ergebnisvermerk der Ressortbesprechung am 9. 3. 1978, im BMI betr. die Hochrangige Umweltkonferenz im Rahmen der ECE, U I 6, 15. 3. 1978. Vgl. Müller, Innenwelt, S. 82. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Ergebnisvermerk der Ressortbesprechung am 9. 3. 1978, im BMI betr. die Hochrangige Umweltkonferenz im Rahmen der ECE, U I 6, 15. 3. 1978. Vgl. zur Ablehnenden Haltung zu Gewässerproblemen BArch, B 136, Bd. 10313, Teil 6, Ergebnisvermerk der Ressortbesprechung am 9. 3. 1978, im BMI betr. die Hochrangige Umweltkonferenz im Rahmen der ECE, U I 6, 15. 3. 1978; und BArch, B 136, Bd. 10313, Teil 5, Sondersitzung der ECE-Umweltberater, 19.–21. 9. 1978 in Genf, Afz. U I 6, BMI, 5. 10. 1977. Vgl. PA AA, B 75, ZA, 132136, Ergebnisvermerk der Ressortbesprechung am 9. 3. 1978 im BMI betr. die Hochrangige Umweltkonferenz im Rahmen der ECE, U I 6, 15. 3. 1978. Vgl. PA AA, MfAA, M 95, Bd. 1437/7682, Konsultativtreffen der ECE-Chefberater für Umweltprobleme vom 19.–21. 9. 1977 in Genf, Information Nr. 93/IX, 26. 9. 1977. Vgl. Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 16–17, 20 f. Wentker, Außenpolitik, S. 10.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
Konferenz auch von Ergebnissen bei der Abrüstung und dem Stopp des Wettrüstens abhängig.156 Am Rande der 6. Tagung der ECE-Umweltberater im März 1978 sondierten die Delegierten der UdSSR und der DDR, inwieweit die Bundesrepublik und andere westliche Staaten zum Ob, Wie und Worüber einer HRT Stellung beziehen würden. Der bundesdeutsche Ständige Vertreter in Genf kommentierte: „Die Kontaktaufnahmen schienen von Unsicherheit und der Sorge über die Entwicklung der Lage post Belgrad bestimmt.“ 157 Die KSZE-Nachfolgekonferenz auf Beamtenebene in Belgrad scheiterte 1977 an der Frage der Menschenrechte und endete mit dem schmalen Ergebnis, dass 1980 in Madrid weiterverhandelt wird.158 Ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Genf wurde sogar vom Ersten Sekretär der DDR-Vertretung, Ralf-Peter Devaux, aufgesucht, um ihn von der hochrangigen Umwelttagung zu überzeugen: Die DDR wolle der ECE einen „neuen Impetus“ geben. Nach dem Scheitern in Belgrad müsse an den Bereichen gearbeitet werden, bei denen ein Fortschritt möglich sei: „Das Machbare müsse gemacht werden.“ Für die DDR stünden die Themen grenzüberschreitende Luftverschmutzung und abfallarme Technologien im Vordergrund. Sie hätte aber auch Interesse an der Gewässerverschmutzung als auch der Flora und Fauna. Devaux’ westdeutscher Gesprächspartner, Julius Hoffmann, verdeutlichte gleichgelagerte Interessen mit der DDR – ausgenommen das Wasserthema.159 Gerade an ihm war der DDR allerdings viel gelegen, was angesichts ihres eingangs genannten knappen Wasserhaushalts wenig überrascht. Im Volkswirtschaftsplan für das Jahr 1978 teilte Reichelt den Aufgaben des Gewässerschutzes zum Beispiel über 60 Prozent der Arbeitskräfte für Forschung und Entwicklung (F/E) zu.160 Ein Jahr zuvor hatten sich einige Ostblockstaaten im Abkommen „Interwodootschistka“ zusammengeschlossen, um die technologische Kooperation im für die Wirtschaft zentralen Wasserbereich zu verbessern.161 An diesem Punkt wird daher vermehrt ihr eigenes Interesse ersichtlich. Gegenüber dem westdeutschen Vertreter argumentierte Devaux allerdings mit der Schlussakte von Helsinki, weshalb das Thema „irgendwie“ in der HRT repräsentiert werden müsse.162 Parallel arbeitete das Wasser-
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 1827, Bericht über die Ereignisse des Gesamteuropäischen Umweltkongresses in Genf, 3. 12. 1979. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Protokoll der 6. Tagung der ECE-Umweltberater vom 27. 2.– 3. 3. 1978, StäV der UN-ECE Genf, an das AA, Stempel, 7. 3. 1978. Vgl. o. V., „Schau der Supermächte“, in: Der Spiegel, Nr. 8, 20. 2. 1978, S. 115 f.; Peter, Sicherheit und Entspannung, S. S. 62 f.; Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 207. Vgl. alle Zitate in: PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Vermerk von Hoffmann, Referat 414, AA, 22. 3. 1978. Nur 13 % entfielen für die Lösung von F/E-Aufgaben im Umweltschutz, vgl. BArch, DK 5, Bd. 684, Teil 1, Planentwurf zum Volkswirtschafts- und Staatshaushaltsplan 1978, Plan: Wissenschaft und Technik, 26. 10. 1977. Siehe auch Möller, Umwelt, S. 225. Vgl. Ault, Aquatic Conundrums, S. 215. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, ECE-Umwelttagung, hier: weitere Themen, Büronotiz der StäV, UN-ECE Genf an das Referat 414, AA, 4. 9. 1978, und Vorbereitung ECE-Umwelttagung, in Drahtbericht Nr. 1479, Stempel, Genf, 18. 9. 1978. Siehe auch BArch, B 136,
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
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komitee der ECE bereits an einer Wasserdeklaration, deren Verabschiedung durch die HRT letztendlich verzögert wurde.163 In der ersten Hälfte des Jahres 1978 sondierten die Delegierten bei der ECE schließlich die Themen: Die Gewässerverschmutzung, Flora und Fauna sowie giftige Substanzen konnten sich nicht durchsetzen. Mehr oder weniger unstrittig zwischen Ost und West war das Thema „abfallarme und -freie Technologien“, das auch die Verwertungs- und Kreislauftechnologien, also betriebsinternes Recycling, in die Definition einschloss.164 Dies war für die DDR bereits in ihrem Statement auf der ECE-Umweltberater-Sitzung 1977 ein „Schlüsselproblem des Umweltschutzes“ gewesen, denn ohne diese Technologien ließen sich Verschmutzungsursachen nicht systematisch kontrollieren.165 Sowohl bei abfallarmen Technologien als auch bei der Luftverschmutzung gelte es, systematisch und langfristig die Gründe für Verschmutzungen der Atmosphäre, des Wassers und des Bodens zu beseitigen, um sowohl das Wohlergehen der jetzigen und zukünftiger Generationen als auch wirtschaftliches Wachstum zu sichern – „which are in the universal interest of States“.166 Das schwierigste Thema blieb die Bekämpfung der weiträumigen Luftverschmutzung. Es war ein Aufgabenbereich, an dem die Länder bereits seit längerem arbeiteten, und dennoch konnte es aus Sicht der Bundesrepublik sogar als „Misserfolg“ bezeichnet werden.167 Hier tat sich eine Dreiteilung Europas und eine interne Spaltung der Blöcke auf: Zum einen versuchte der nordische Rat, bestehend aus Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Island, dieses Thema seit einiger Zeit in der ECE stärker zu verankern. Zum anderen standen die westeuropäischen Staaten der EWG dem Vorhaben eher ablehnend gegenüber, solange es auf eine Verbindlichkeit und einen Emissionsstillstand hinauslief. Drittens waren zwar auch die osteuropäischen Staaten intern gespalten,168 standen aber nach außen geschlossen hinter Moskau. Die westeuropäische Befürchtung, die UdSSR wolle die Einigkeit Westeuropas stören, erscheint gar nicht so abwegig. Entgegen der Warnung der ČSSR, sie müsse
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Bd. 10313, Teil 5, Sondersitzung der ECE-Umweltberater, 19.–21. 9. 1978 in Genf, Afz. des U I 6, BMI, 5. 10. 1977. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10316, Teil 15, VN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE), hier: Wasserschutzpolitik, Afz. Mühleck, U II 2, BMI, 6. 6. 1979. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10314, Teil 7, Afz. U I 6, AG abfallarme und abfallfreie Technologien, 2. 6. 1978. Vgl. PA AA, MfAA, M 92, Bd. 5111/14, Statement by the GDR-Delegation on low-waste technologies at the Consultative Meeting of Senior Advisers to ECE Governments on Environmental Problems, Geneva, 20. 9. 1977. PA AA, MfAA, M 92, Bd. 5111/14, Statement by the GDR-Delegation on air pollution at the Consultative Meeting of Senior Advisers to ECE Governments on Environmental Problems, Geneva, 19. 9. 1977. Vgl. auch PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, 6. Tagung der ECE-Umweltberater vom 27. 2.–3. 3. 1978, in Drahtbericht Nr. 264, Stempel, Genf, 28. 2. 1978. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10315, Teil 10, 3. Sondertagung für eine HRT-ECE, Drahtbericht Nr. 1979, Hoffmann/Per Fischer, 18. 12. 1978. Die DDR, ČSSR und Polen standen der UdSSR, Rumänien und Bulgarien gegenüber. Vgl. Huff, Natur, S. 237.
102
II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
Messtechnik aus dem westlichen Ausland importieren, um den Vertrag zu erfüllen,169 unterstützte die Sowjetunion den Entwurf der nordischen Staaten,170 obwohl er zu einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen, einer Konvention, führen sollte. Alles andere war für die Skandinavier innenpolitisch nicht akzeptabel.171 Eine Konvention akzeptierten die EWG-Staaten und die USA allerdings nur, wenn ihr auch ein Datenaustausch beigefügt würde. Der Ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der UN-ECE, Per Fischer, triumphierte daher, die nordischen Staaten hätten zu kurz gedacht, denn die östlichen würden keiner Konvention zustimmen, deren Basis Informationen seien: „Es rächt sich jetzt, daß die nordischen Staaten ihr ‚Lieblingsthema‘ zum Gegenstand einer hochrangigen Tagung gemacht haben, über die vorwiegend unter politischen Gesichtspunkten entschieden wurde“.172 Tatsächlich stellte das für die DDR ein Problem dar. Obwohl nach außen öffentlich befürwortet, befürchtete sie, der Westen könne die Luftverschmutzung Europas als Anlass nehmen, die DDR, die ČSSR und die Volksrepublik Polen dafür verantwortlich zu machen. Da die USA insbesondere an einem Datenaustausch zu Einsatzorten und Schadstoffquellen interessiert waren, der allerdings Rückschlüsse auf die Volkswirtschaften zulassen würde, suchte die DDR nach technischen Regelungen, die solche Folgerungen verhinderten, den Informationsaustausch aber dennoch ermöglichen sollten. Darüber hinaus interessierte die DDR-Vertreter vor allem der wissenschaftlich-technische Austausch. In der DDR gab es noch kein effektives Rauchgasentschwefelungsverfahren für die Braunkohleverbrennung, sodass sich die SED erhoffte, über das Abkommen an bessere Informationen und eventuell sogar Lizenzen zu kommen.173 Daher unterstützte die DDR die Konvention, allerdings nur ohne Staatenhaftung, und sie lenkte den Fokus mehr auf die Forschung als auf ein Emissionsüberwachungssystem.174 Die Bundesregierung hatte ähnliche Befürchtungen, als Umweltsünder gebrandmarkt zu werden: Für sie blieb nur, mitzuspielen und sich „im Umweltbereich posi169 170
171
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174
Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5710, Bericht über die 10. Tagung des Rates zu Fragen des Schutzes und der Verbesserung der Umwelt, Moskau, 21.–24. 6. 1977. Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 111, und BArch DK 5, Bd. 3611, Bericht von Hans Reichelt über die Konsultativberatung der Vertreter interessierter Mitgliedsländer des RGW im Rat für Umweltschutz vom 11.–12. 3. 1979 in Moskau, 13. 3. 1979. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3611, Bericht über die Ergebnisse der 7. Tagung der ECE-Chefberater für Umweltprobleme, Genf, 19.–27. 2. 1979. Siehe auch Buns, 1974, in URL https://nordics. info/show/artikel/the-1974-nordic-environmental-protection-convention [11. 6. 2022]; Lange, Genfer Konvention, S. 1–9, in URL: https://www.europa.clio-online.de/sites/europa.clio-online/ files/documents/B2022/E_Lange_Genfer.pdf [30. 5. 2022]. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Sonder-AG Luftverschmutzung, Afz. der StäV UN-ECE in Genf, Per Fischer, 11. 7. 1978. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 1940, Information über den Stand der Vorbereitung des gesamteuropäischen Umweltkongresses und Schlußfolgerungen für das weitere Vorgehen der DDR, o. D. [vmtl. 1979]. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5710, Ergänzung zur Direktive der DDR-Delegation zur 12. Tagung des Rates für Umweltschutz beim RGW-Komitee für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, 6. 10. 1978.
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
103
tiv darzustellen“. Würde sie das nicht tun, isoliere sie sich selbst und träte womöglich noch als „Störer im Ost-Westverhältnis“ und „Verhinderer eines Fortschrittes im internationalen Umweltschutz“ auf. Das BMI schlussfolgerte daraus, „daß D[eutschland] in den – ungerechtfertigten – Geruch eines Hauptschuldigen an der weiträumigen grenzüberschreitenden Luftverschmutzung gerät.“ 175 Diesem Bild musste durch sanfte Lenkung entgegengewirkt werden: Statt einer rechtlich verbindlichen Stillstands- beziehungsweise Verringerungsklausel für Schwefeldioxid (SO2) befürworteten sie zum Beispiel eine Bemühungsklausel zur Verringerung von Schadstoffen in der Luft.176 Nach Ansicht der Beamten würden sowohl Stillstand als auch Verringerung der Luftschadstoffe einen Ausbau von Kohlekraftwerken in der Bundesrepublik verhindern und somit einen Eingriff in die energiepolitischen Optionen der Bundesregierung bedeuten.177 Des Weiteren waren sie auch für die Harmonisierung der nationalen Emissionsverminderungspolitiken, die Ausrüstung von Kraftwerken nach dem neuesten technischen Stand, eine Ergänzung des „European Monitoring and Evaluation Programme“ (EMEP), also des europäischen Emissionsmessprogramms, erweiterten Informationsaustausch sowie Konsultationen.178 So entstand ein Abkommen, das zwar Verbindlichkeit anstrebte, im Grunde aber auf das Bemühen und den guten Willen der einzelnen Staaten vertraute, insbesondere Schwefeldioxidemissionen zu reduzieren: „to limit and, as far as possible, gradually reduce and prevent air pollution“.179 Es gab weder Fristen noch verbindliche Reduktionsziele. Die Staaten seien dazu angehalten, die neueste und abfallfreie Technologie einzusetzen, sich bezüglich neuester wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse auszutauschen – die Maßnahmen müssten jedoch ökonomisch machbar („economically feasible“) sein.180 Soweit entsprach das Abkommen sowohl teilweise den Vorstellungen der DDR als auch denen der Bundesrepublik. Verpflichtend war es jedoch, dem europäischen Emissionsmessprogramm EMEP beizutreten. Das hieß, jährlich die Emissionen aufzunehmen, die Luftqualität zu messen und Ausbreitungsberechnungen anzustellen. Hierfür Parameter für Ost und West anzugleichen,181 war die eigentliche Herausforderung. Die
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Vgl. alle Zitate in: BArch, B 136, Bd. 10316, Teil 13, Umwelttagung im Rahmen der ECE, Bericht der U I 6, BMI, 16. 3. 1979, an den Bundesminister u. a. als Kabinettsvorlage. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10316, Teil 13, Umwelttagung im Rahmen der ECE, Bericht der U I 6, BMI, 16. 3. 1979. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10315, Teil 12, Luftreinhaltung, hier: Begrenzung weiträumiger grenzüberschreitender Luftverschmutzung, Vermerk von Hegerfeldt, Referat 331, BKAmt, 1. 3. 1979, darauf hs. „einverstanden“ von StS Hans-Jürgen Wischnewski. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10316, Teil 13, Umwelttagung im Rahmen der ECE, Bericht von U I 6, BMI, 16. 3. 1979. Art. 2, 1979 Convention on Long-Range Transboundary Air Pollution, in URL: https:// treaties.un.org/doc/Treaties/1979/11/19791113 %2004-16 %20PM/Ch_XXVII_01p.pdf [6. 6. 2022]. Vgl. Art. 6, ebenda; Huff, Natur, S. 238–241. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Vorbereitung einer ECE-Umwelttagung, in Drahtbericht Nr. 1479, Stempel, Genf, 18. 9. 1978.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
ČSSR votierte beispielsweise für ein Raster mit 150 statt 50 Quadratkilometern.182 Aber die Konvention ließ offen, ob die Daten als Raster oder in Form von Strömungen angegeben werden sollten. Wie bereits erwähnt, wollte die DDR unbedingt die Messung an der Quelle verhindern, weshalb in der Direktive für Genf nur ein Abkommen unterzeichnet werden sollte, dass Daten in aggregierter Form wiedergab – was mit den Emissionsströmungen nun erfüllt war. Das heißt, jeder Ostblockstaat brauchte nur die Gesamtmenge an SO2, die in beide Richtungen seine nationalen Grenzen überschritt, über Moskau nach Genf schicken.183 Deshalb wertete die DDR das Abkommen als Erfolg, auch wenn sie es kaum erfüllen konnte: ihr Messnetz war zersplittert, besaß eine geringe Qualität, und nur 26 Geräte werteten Daten automatisch aus, während die restlichen manuell betrieben werden mussten.184 Dennoch stellte dieses Abkommen für die DDR-Delegation die Materialisierung der Schlussakte dar und bot somit die Möglichkeit, die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes zur Fortsetzung des Entspannungsprozesses auszuweiten.185 Ähnlich argumentierten und resümierten auch die Beamten im AA und BMI: Die HRT Umwelt sei ein positives Ergebnis der KSZE-Implementierung, ein wichtiger Brückenschlag zwischen den KSZE-Konferenzen von Belgrad und Madrid, und durch die Begrenzung auf zwei Themen konnte sowohl der sachliche als auch der politische Effekt hervortreten.186 Im Abschlussdokument der KSZE-Konferenz in Madrid wurde der schnellen und effektiven Implementierung des Abkommens die Priorität eingeräumt.187 Allerdings ging dieses KSZE-Dokument nicht mehr über die bestehenden ECE-Vorhaben hinaus. Weiterhin resümierte Per Fischer aus dem AA über die HRT Umwelt, dass die „paneuropäische Kongreßidee [sic!]“ der Sowjets den westeuropäischen Integrationsprozess auch nicht überlagert und gestört habe, im Gegenteil, die Konvention wurde das erste Mal von der „EG“ 188 unterzeichnet. Dabei enthalte die Konven182 183
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Vgl. BArch, B 136, Bd. 10315, Teil 10, 3. Sondertagung für eine HRT-ECE, Drahtbericht Nr. 1979, Hoffmann/Per Fischer, 18. 12. 1978. Vgl. Art. 9 (e), 1979 Convention on Long-Range Transboundary Air Pollution, in URL: https://treaties.un.org/doc/Treaties/1979/11/19791113 %2004-16 %20PM/Ch_XXVII_01p. pdf [6. 6. 2022]; Rosencrantz, ECE Convention of 1979, S. 516 f. Vgl. Huff, Natur, S. 238–241. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3611, Gesamteuropäischer Umweltkongreß in Genf, 13.–15. 11. 1979, Bericht der DDR-Delegatio. Vgl. PA AA, B 200, ZA, Bd. 121897, Ortex 134, Referat 414, AA, Oehms, 20. 11. 1979; PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, korrigiertes Konzept zur Information, Umwelttagung, Zustandekommen und Umsetzung, Lautenschlager, 3. 10. 1979. Vgl. Concluding Document of the Madrid Meeting 1980 of Representatives of the Participating States of the Conference on Security and Cooperation in Europe, held on the Basis of the Provisions of the Final Act Relating to the Follow-Up to the Conference, 9. 9. 1983, in URL: https://www.osce.org/de/mc/40873 [11. 6. 2022], S. 15. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Afz. von Per Fischer zur HRT Umwelt, 22. 11. 1979. Fischer spricht in dem Dokument durchgängig von der „EG“. Die „Europäische Gemeinschaft“ wurde jedoch erst 1993 mit dem Vertrag von Maastricht gegründet. Anzunehmen ist, dass hier ihr Vorläufer, die EWG, gemeint ist und sich EG im diplomatischen Sprachgebrauch als Ab-
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
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tion für die Bundesrepublik keine Verpflichtungen, die nicht schon innerstaatliches Recht wären.189 Ohne verbindliche Reduktionsziele und Haftungsklauseln für Schadensersatzforderungen, denen zu diesem Zeitpunkt weder die Bundesrepublik noch die DDR zugestimmt hätten, handelte es sich bei der Genfer Luftreinhaltekonvention zum Zeitpunkt der Verabschiedung tatsächlich noch um ein recht wenig restriktives Gebilde. Die unterschiedlichen Positionen, vor allem von Ost und West, aber auch von Nord- und Mitteleuropa sollten deutlich geworden sein. Für die nordischen Staaten war es das Beste, was es angesichts dieser diffusen Ausgangslage herauszuholen gab. Fachwissenschaftler aber geißelten die Konvention eher als „frommen Wunsch“ denn als praktischen Kampf gegen die Luftverschmutzung.190 Ähnlich wie bei den Verhandlungen zur ersten Sicherheitskonferenz war auch hier das Umweltbundesamt nicht zu einem Störfaktor geworden. Zum einen war die UdSSR mit ihrem Verlangen nach einer Umweltkonferenz in der Bittsteller-Position, weshalb der Protest gegen Mitarbeiter des UBA relativ „milde“ ausfiel.191 Zum anderen arbeitete das AA seit etwa Ende 1978 daran, dass UBA-Delegierte auf ECESeminaren, insbesondere im Ostblock, bereits Standard-Erwiderungen für den Fall solchen Protests bereithielten.192 Das trug dazu bei, den inzwischen zur Tradition gewordenen Prozess von Protest- und Gegenprotestnote zu beschleunigen. Als Musterbeispiel galt hierfür ein ECE-Seminar 1978 in Stettin, bei dem es innerhalb von drei Stunden zu dem Briefaustausch kam und somit der Verlauf des Treffens nicht wesentlich durch die „Berlinproblematik“ gestört wurde.193 Auch bediente sich das ECE-Sekretariat bereits zu Beginn des Jahres 1976 bei Umweltseminaren mit Beteiligung des UBA geänderter Teilnehmerlisten, in denen die Angabe von Herkunftsort und Dienststelle entfielen.194 Der ECE-Generalsekretär Stanovnik erhoffte sich damit eine Abschwächung des östlichen Protests auf ein „ritualisiertes Minimum“.195
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kürzung davon eingeschlichen hat. Kieran Klaus Patel argumentiert, dass von den „Europäischen Gemeinschaften“ im Plural gesprochen werden müsse, da die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die EWG, die „Europäische Politische Zusammenarbeit“ (EPZ) und die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs gemeint waren. Vgl. Patel, Projekt Europa, S. 15 f. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Sprechzettel für BM Baum, ECE HRT Umwelt, 5. 11. 1979. Vgl. o. V., „Saure Tropfen“, in: Der Spiegel, Nr. 49, 3. 12. 1979, S. 249–252, hier S. 252. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10313, Teil 5, ECE-Seminar über die Verwertung von Kunststoffabfällen im September 1978 in Dresden, hier: Ressortbesprechung vom 19. 12. 1977, Afz. Möbs, U I 6, BMI, 2. 1. 1978, und Sondersitzung der ECE-Umweltberater, 19.–21. 9. 1978 in Genf, Afz. von U I 6, BMI, 5. 10. 1977. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 116545, ECE-Seminar on Environmental Impact Assessment vom 24.–29. 9. 1979 in Villach/Österreich; hier: Mitarbeiter des Umweltbundesamtes (UBA) Berlin als Delegierter der Bundesrepublik Deutschland, Schreiben der StäV UN-ECE, Genf, Rantzau, an das Referat 210, AA, 19. 10. 1979. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 116545, ECE-Seminar zu Luftverschmutzungsproblemen bestimmter Zweige der organisch-chemischen Industrie vom 16.–20. 10. 1978 in Stettin, Drahterlass Nr. 5284, Richthofen, 19. 10. 1978. Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116454, Drahtbericht Nr. 134, Genf, 14. 2. 1976. Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116454, Drahtbericht Nr. 49, Genf, 20. 1. 1976.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
Und 1984 urteilte das Auswärtige Amt: „Protest und Zurückweisung sind zwischenzeitlich zu einem Ritual geworden, durch das die sachliche Arbeit der Veranstaltungen nicht beeinträchtigt wird.“ 196 Durch die Performanz des Wechselspiels von Protest- und Antwortnote konnte die vertrackte Ausgangslage konstruktiv umgangen werden, indem beide Seiten ihren Standpunkt verdeutlichten und das Gesicht wahren konnten. In der immer gleichen Wiederholung einer solchen performativen Handlung, ergo dem Ritual, liegt die Chance, chaotische Zustände einer Gemeinschaft aufzufangen, sie neu zu kanalisieren und damit sogar eine „strukturbildende Wirkung“ zu erzeugen.197 Das machte somit hinnehmbar, was anders nicht akzeptiert werden würde. Dass der Protest gegen das UBA somit eine ritualisierte Form annahm, schuf eine soziale Ordnung, die größtenteils verlässlich und vorhersehbar war, dadurch sowohl Vertrauen schuf und damit die Umweltdiplomatie nicht mehr wie noch 1974 störte als auch möglicherweise eine Wiederannäherung für bilaterale Umweltverhandlungen erleichterte. Des Weiteren sollte die „qualitative Ausweitung der Tätigkeit des Umweltbundesamtes durch Beteiligung an den Folgearbeiten zum Abkommen nicht beabsichtigt“ werden.198 Hierbei handelte es sich aber keineswegs um eine statuspolitische Konzession an DDR und UdSSR oder ein bundesdeutsches Einlenken in der Berlinfrage. Es bedeutete, die Konvention sei rechtlich so angelegt, dass weitergehende Aktivitäten von der Bundesrepublik im Bereich der Luftreinhaltung nicht verlangt werden könnten. Entwickle sich aber, wonach es aussah, dieses Thema zum Schwerpunkt der ECE-Arbeit, so nehme auch die Arbeit des UBA zu. Das wiederum könnte der bundesdeutschen Energiepolitik Einschränkungen auferlegen.199 So stellten bei der Unterzeichnung die westlichen Staaten klar, dass aus den „Festlegungen des Umweltkongresses keine Einschränkungen bei der Nutzung umweltbelastender Energieträger abgeleitet werden dürfen.“ 200 Dies erklärt auch das anfängliche Zögern der Bundesrepublik, verbindliche Zusagen bei einer Umweltkonferenz zu leisten: Es ging ihr um den Schutz der Kohlekraftwerke. Ab 1979 wurde die Bundesrepublik durch die zweite Ölpreiskrise von einer weiteren, schweren Rezession getroffen.201 Anders als noch 1974/75 bekam dieses Mal auch das Bundesinnenministerium die Krise durch drastische Kürzungen sei-
196 197 198
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200 201
PA AA, B 75, ZA, Bd. 132206, Beteiligung des Umweltbundesamtes an der Münchner Umweltkonferenz, Afz. von Pfeffer, 17. 2. 1984. Vgl. Stollberg-Rilinger, Rituale, S. 9; Krieger/Belliger, Ritual, S. 13. Siehe auch Scharloth, Ritualkritik, S. 76. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Vorlage für BM zur Information, Hochrangige Umwelttagung im Rahmen der ECE vom 13.–16. 11. 1979 in Genf (HRT Umwelt), AA, Referat 414, Hoffmann/Lautenschlager, 18. 10. 1979. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132136, Afz. Referat 414, Hochrangige Umwelttagung im Rahmen der ECE, hier: Zuschriften des Ministerbüros vom 22.10. und des Referats 210 vom 24. 10. 1979, 26. 10. 1979. BArch, DK 5, Bd. 1827, Bericht über die Ereignisse des Gesamteuropäischen Kongresses in Genf, 3. 12. 1979. Vgl. Bösch, Zeitenwende, S. 286, 305–307; Steiner, Bundesrepublik und DDR, S. 345.
2. Grüne Entspannungspolitik – multilateral
107
Abb. 3: Haushalt des BMI/BMU der Bundesrepublik Deutschland in Mio. DM 1970–1994 Der Haushalt des BMI/BMU der Bundesrepublik Deutschland für Ausgaben des Umweltschutzes umfasste hauptsächlich den Gewässer- und Lärmschutz, die Luftreinhaltung, Abfallbeseitigung, Reaktorsicherheit (ab ca. 1987), Naturschutz (ab ca. 1988), Gelder für Statistiken und das Umweltbundesamt; Quelle: Bundeshaushaltspläne 1970–1994 (siehe auch Anm. 202); eigene Darstellung
nes Etats (siehe Abb. 3202) zu spüren. Das zwang die Bundesregierung einerseits zum Ausbau des Energiemixes von fossilen Brennstoffen (Öl, Kohle) und Atomkraftwerken und andererseits kaum neue Ausgaben für den Umweltschutz zu tätigen. Nachdem bis Mitte der 1970er Jahre noch der Ausbau der Kernenergie im Vordergrund stand, war dies nach den teilweise gewaltsamen Protesten gegen Atomkraftwerke in der Bundesrepublik nicht mehr so einfach möglich.203 Weil
202
203
Siehe eigene Darstellung in Abbildung 3, vgl. dazu die Angaben aus dem Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1970, Verwaltungshaushalt 1970/71, Bd. 1, S. 129–132, 286; Bd. 2, S. 251; Bundeshaushaltsplan für die Haushaltsjahre 1971–1986, Einzelplan 06, Geschäftsbereich des BMI: S. 286 f., 290, 301–305, 308 (1971); S. 307 (1972); S. 563 (1973); S. 529 (1974); S. 513 (1975); S. 501 (1976); S. 545 (1977); S. 579 (1978); S. 595 (1979); Bd. 1, S. 639 (1980); Bd. 1, S. 591 (1981); Bd. 1, S. 559 (1982); Bd. 1, S. 311 (1983); Bd. 1, S. 325 (1984); Bd. 1, S. 370 (1985); Bd. 1, S. 321 (1986); ab Haushaltsjahr 1987, Einzelplan 16, Geschäftsbereich des BMU: Bd. 2, S. 18 (1987); Bd. 2, S.95 (1988); Bd. 2, S. 20 (1989); Bd. 2, S. 16 (1990); Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990, S. 9; Dritter Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990, S. 11; Bundeshaushaltsplan für die Haushaltsjahre 1991 und 1992: Bd. 3, S. 122 (1991); Bd. 3, S. 115 (1992); Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1992, S. 7; Bundeshaushaltsplan für die Haushaltsjahre 1993 und 1994: Bd. 3, S. 101 (1993); Bd. 3, S. 108 (1994); Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1993, S. 6. Vgl. Radkau, Ära, S. 369, 445 f.; Mende, Geschichte, S. 330–339; Tompkins, Better Active, S. 18, 158–173; Milder, Greening Democracy, S. 71–82, 97–99.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
sich ein Teil der Bevölkerung so eklatant gegen die Kernenergie wehrte und das Öl aus dem Nahen Osten knapp und teuer wurde, wollte die Bundesregierung die Kohleförderung und -verstromung unbedingt schützen – und zwar vor der Abschaffung wegen zu weitreichender Umweltschutzmaßnahmen. Also führte die sozial-liberale Regierung mit dem sogenannten „Jahrhundertvertrag“ nach 1977 die sogenannte „Kohlevorrangpolitik“ ein, die der Verstromung heimischer Kohle Priorität einräumte. Um die Kohle gegenüber anderen Energieträgern „wettbewerbsfähig zu machen“, subventionierte die Bundesregierung diese Energiepolitik mit dem sogenannten „Kohlepfennig“.204 Obwohl Bundesrepublik und DDR bei der HRT 1979 unterschiedliche Themen bevorzugten, nahmen sie aus mehr oder weniger gleichen Motiven wie Prestige sowie sicherheits- und entspannungspolitischen Aspekten daran teil. Konkurrierende Kommunikationsmuster waren hier nun nicht mehr auszumachen, eher schien sich eine konstruktive Zusammenarbeit auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner anzubahnen. Standen für die Umweltdiplomaten Ende der 1970er Jahre daher pragmatische Schritte zwischen Umwelt- und Entspannungspolitik im Vordergrund, formierte sich in West als auch Ost zunehmend eine Umweltbewegung, die von der Basis her die Politik in den 1980er Jahren zunehmend aufrütteln sollte.
3. Politische Herausforderung durch Umweltbewegte in Ost und West Entstand das Politikfeld Umwelt Anfang der 1970er Jahre überwiegend aus der Feder von kosmopolitischen Bürokraten im Westen und technokratischen Planern im Osten, erhielt im Laufe des Jahrzehnts die gesellschaftliche Basis immer mehr Zulauf und forderte die etablierten Umweltpolitiker heraus. Der Entspannungsprozess setzte die Sicht auf andere Probleme und Themen frei.205 Der innenpolitische Druck durch grüne Bewegungen (Bundesrepublik) beziehungsweise Gruppen (DDR) hinterließ somit – mehr oder weniger – deutliche Spuren bei Bundesregierung und SED-Führung. Zwar bezogen sich ost- und westdeutsche Umweltgruppen in den 1970er Jahren kaum aufeinander; die jeweilige gesellschaftliche Entwicklung ist jedoch als Kontext wichtig, da sie zunehmend zum Sensor für politische Prozesse wurden und für die 1980er Jahre prägend waren, weshalb sie im Folgenden kurz dargestellt wird. In der Bundesrepublik kam die Umweltbewegung aus dem unter Spannung stehenden Geflecht von Wissenschaft, Politik und medialer Öffentlichkeit zu Tage.206 Von 1969 bis 1990 lässt sich die westdeutsche Umweltbewegung in etwa drei Pha204
205 206
Vgl. Michael Jungblut, Zurück zur Kohle?, in: Die Zeit, 25. 11. 1977, in URL: https://www. zeit.de/1977/49/zurueck-zur-kohle/komplettansicht [6. 6. 2022]; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 70. Vgl. Radkau, Ära, S. 419. Vgl. ebenda, S. 230.
3. Politische Herausforderung durch Umweltbewegte in Ost und West
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sen unterteilen: I) den umweltpolitischen Konsens mit einer Politik von oben (1969–1974); II) die Polarisierung von Ökonomie und Ökologie, gekennzeichnet durch eine Angst vor Katastrophenszenarien, Kritik an Großtechnik und wirtschaftlichen Wachstum (1975–1982), als auch III) die Institutionalisierung der Umweltbewegung (1983–1990).207 Während Genscher als Innenminister Anfang der 1970er Jahre noch die Hoffnung hegte, mit dem Aufbau einer grünen Lobby in der Bundesrepublik eine Einheit und ein Zusammenarbeiten von Politik und Gesellschaft zu bewirken,208 so zerplatzte dieser Traum recht schnell. Anhand der Atomenergiefrage trat das Bedürfnis von Teilen der Bevölkerung nach Sicherheit und offener, transparenter Kommunikation offensichtlich hervor und stand in scharfem Kontrast zum Handeln der Regierung. Die Umweltbewegung wurde in den 1970er Jahren von der Anti-Atomkraft-Bewegung dominiert. Hier eskalierten manche Proteste gegen (teilerrichtete) Atomkraftwerke brutal in Whyl (1975), Brokdorf (1976/77) und vor allem in der „Schlacht um Grohnde“ (1977). Die krassen Auseinandersetzungen mit den Polizeikräften sind Ausdruck der Diskrepanz zwischen dem Handeln der Staatsmacht und den Erwartungen an sie.209 Zwar gab es in der Bundesrepublik bereits seit den 1950er und 1960er Jahren eine friedliche Anti-Atomkraft-Bewegung, gedacht sei an die alljährlichen Ostermärsche. Doch nach dem Epochenjahr „1968“ verknüpften sich hier personelle Kontinuitäten und Protestformen wie Sit- und Teach-ins der Studenten- mit der Anti-AtomkraftBewegung. Auch ließ sich der Kampf gegen die Betonbauten für Atomenergie durchaus mit antikapitalistischen Positionen wie der „Ausbeutung der Natur“ statt des Proletariats verbinden.210 Das Zusammenspiel von Anti-Atomkraft-, Umweltund Friedensbewegung ergab jene spannungsgeladene Mischung, die sich in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre entlud. Das Ziel der aktiven Umweltbewegten war, ökologisches Problembewusstsein zu vermitteln, um eine umweltpolitische Öffentlichkeit herzustellen und auf diese Weise eine Gegenmacht zum Staat zu bilden. Damit ging ab 1975 eine Politisierung und Ideologisierung der Umweltgruppen einher.211 Diese gesellschaftliche Entwicklung, die zunehmend nach offener Problemdiskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie verlangte, brach darüber den zuvor vorherrschenden umweltpolitischen Konsens mit der Politik auf. Je mehr Investitionen jedoch in diesen Nuklearenergiesektor flossen, desto schwieriger wurde die öffentliche Kommunikation. Radkau schlussfolgert daraus: „Es hatte seine Logik, dass Diskussionen, die in den zuständigen Expertengremien nicht mehr stattfanden, in
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Vgl. Brand, Umweltbewegung, S. 224–227. Siehe zur Umweltpolitik der Bundesrepublik Kap. I.1.3; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 96–98. Vgl. Radkau, Ära, S. 156 f.; Milder, Greening Democracy, S. 97–100; Tompkins, Better Active, S. 18, 158–173; zum Misstrauen zwischen Zivilgesellschaft und Staat, Hasenöhrl, Zivilgesellschaft, S. 260. Vgl. Radkau, Ära, S. 156 f. Vgl. Jäger, Innenpolitik, S. 150.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
eine oppositionelle Öffentlichkeit abwanderten.“ 212 So fand beispielsweise das Buch „Friedlich in die Katastrophe“ (1971) des studierten Fertigungstechnikers und Sachverständigen des Innenausschusses des Bundestages Holger Strohm zunächst keinen Verlag. Letztlich erschien der Klassiker der Anti-Atomkraft-Bewegung im Eigendruck von Bürgerinitiativen.213 In eine andere Kerbe schlug das Buch „Der Atomstaat“ (1977) des Journalisten und Zukunftsforschers Robert Jungk. Darin prangerte er die staatlichen Überwachungsmaßnahmen der sensiblen Kerntechnologie an, die zwar zur Abwehr von „Atomterrorismus“ gemeint waren, jedoch die Bürgerrechte einschränkten. Darüber hinaus sei die Atomtechnologie Folge einer Politik, die das Wachstum der Produktion über die Interessen der Menschen stelle.214 Somit knüpfte Strohm offensichtlich an die Debatte über die „Grenzen des Wachstums“ an. Mittels des Themas Atomkraft schufen Aktivisten eine kritische Gegenöffentlichkeit und professionalisierten sich zunehmend. Dieser neue Typus des „Gegenexperten“ verlieh den Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) im Zusammenwirken mit den Medien in öffentlichen Diskussionen viel Durchschlagskraft. Damit verlor die herkömmliche Expertise ihre Eindeutigkeit und Politiker waren gezwungen, ihrem Tun mehr Transparenz zu verleihen.215 Nach Historiker Stephen Milder führten die offensichtliche Diskrepanz und der praktizierte Aktivismus zu einer neuen Form demokratischer Partizipation der Bürger über die Wahlurne hinaus. Motiviert durch gravierende oder auch nur potenziell mögliche Umweltprobleme erblühe beziehungsweise „ergrüne“ der demokratische Beteiligungsprozess durch die Einforderung von Anhörungen, Mitsprache und Informationen.216 Die Forderung nach demokratischer Partizipation und Transparenz war das eine, die Nachfrage nach Sicherheit das andere. Die unsichtbare Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgehen könnte, war schon länger bekannt. Die Menschen nahmen immer mehr die Folgen der industriellen Entwicklung wahr, die ein Gefühl für Katastrophen erzeugten, ohne dass die Bewegung somit auf ein zentrales Ereignis zurückzuführen wäre.217 Nun kursierten neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach auch Furane, Dioxine und andere Stoffe krebserregend, giftig, gar tödlich sein konnten.218 Diese zeitgenössische Perzeption verarbeitete Ulrich Beck
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Radkau, Ära, S. 212. Vgl. Klaus Schramm, Rezension zu Strohm, Holger: Die stille Katastrophe, in URL: http:// www.netzwerk-regenbogen.de/Strohm_H_Stille.html [6. 6. 2022]; Frank Lübberding, Kernkraftkritiker der ersten Stunde. Einer steht im Weg, in FAZ online, 25. 4. 2011, in URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/energiepolitik/kernkraftkritiker-der-ersten-stunde-einersteht-im-weg-1622070.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 [6. 6. 2022]; Radkau, Ära, S. 216. Klaus Traube über Robert Jungk: „Der Atom-Staat“. Thesen gegen Supertechnik, in: Der Spiegel, Nr. 53, 26. 12. 1977, S. 104–107, Zitat S. 107. Vgl. Metzler, Konzeptionen, S. 416; Hasenöhrl, Zivilgesellschaft, S. 264; Geiger, Vergeblicher Protest?, S. 285 f. Vgl. Milder, Greening Democracy, S. 5–7. Vgl. Radkau, Ära, S. 212. Siehe dazu auch Kap. I.1 und I.1.1. Vgl. Köster, Hausmüll, S. 208.
3. Politische Herausforderung durch Umweltbewegte in Ost und West
111
in seiner Studie „(Welt-)Risikogesellschaft“, die erstmals 1986 erschien. Darin beschreibt er, dass Risiko für ihn die Antizipation, die Vorwegnahme einer Katastrophe, die die Menschheit in (ferner) Zukunft bedrohen könnte, bedeutet. So prägt das heraufbeschworene Bedrohungsszenario eines explodierten Atomkraftwerks, verseuchten Flusses oder krebserregenden Giftstoffes in der nahe gelegenen Mülldeponie wiederum Erwartungen und Handeln der Akteure. Sie stellen nach Beck die Kontrollierbarkeit „industriell erzeugter Unsicherheiten und Gefahren“ infrage, hadern mit den „Nebenfolgen erfolgreicher Modernisierung“ und erzeugen dadurch eine neue gesellschaftliche Dynamik und politischen Wandel.219 Die Nachfrage nach Sicherheit und die Erfahrungen aus der Anti-Atomkraft-Bewegung ließen sich mühelos auch auf andere Bereiche industrieller Umweltverschmutzung übertragen. Dazu verstärkte die mediale Berichterstattung die Wahrnehmung von Katastrophenszenarien und erzeugte eine politische Mobilisierung. Bis 1981 nahm die Zahl der Umweltproteste als auch die Gründung lokaler Umweltgruppen in der Bundesrepublik kontinuierlich zu.220 Die Umwelt- und Anti-Atomkraft-Bewegung im Rahmen der NSB stellten den Kontext dar, in dem sich auch die traditionellen Naturschutz-Verbände neu positionieren mussten. In den 1970er Jahren nahmen sich die damals beiden größten Naturschutzorganisationen, der Deutsche Naturschutzring (DNR) und der Deutsche Bund Vogelschutz (DBV), noch nicht des Themas der industriellen Umweltverschmutzung an. Dennoch verstanden sie sich teilweise nach wie vor als „intermediäre“ Kräfte, die zwischen Staat und Gesellschaft agierten. Ihr apolitisches Selbstverständnis war jedoch der Grund, weshalb ihnen die politisierte Umweltbewegung diese Rolle als Vermittler und Vertreter ökologischer Interessen gegenüber dem Staat nicht mehr zu traute. Neue Mitglieder gingen eher in die streitbaren Umweltgruppen und Bürgerinitiativen, deren radikalökologische Positionen zum Motor der Umweltbewegung wurden.221 Programmatisch existierten in den 1970ern damit zwei zu unterscheidende Strömungen nebeneinander: sowohl die Verbände des unpolitischen, korrektiven, traditionellen Naturschutzes wie DBV und DNR, die sich eher für die Kartierung von Pflanzen- und Tierarten sowie die Landschaftspflege interessierten, als auch die des pragmatischen, politischen Umweltschutzes wie des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), des Bunds Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und später Greenpeace.222 Aus dieser stark politisierten Umwelt-, Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre ging am 12. und 13. Januar 1980 in Karlsruhe die neue,
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Vgl. Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 29, 42, 65, 90–91, 163, 171, 347, 393; Zitate auf S. 26 und 27. Vgl. Take, Ingo: NGOs im Wandel. Von der Graswurzel auf das diplomatische Parkett, Wiesbaden 2002, S. 159–160; Radkau, Ära, S. 148, 151; Jäger, Innenpolitik, S. 149. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Rolle der Umweltverbände, S. 12–14, 30, 69, 82 f.; Take, NGOs im Wandel, S. 157; Brand, Umweltbewegung, S. 231; Hasenöhrl, Zivilgesellschaft, S. 283. Vgl. Take, NGOs im Wandel, S. 52, 85 f.; Raschke, Die Grünen, S. 711 f., Steinmetz, Landeskultur, S. 143–145; Brand, Umweltbewegung, S. 235.
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II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
bereits angesprochene Sammlungspartei „Die Grünen“ hervor. Sie repräsentierte ein weites Feld politischer Einstellungen der alten Bundesrepublik: linke, sozialistische und ehemalige K-Gruppen, grüne Bewahrer sowie Anhänger einer konservativen Ökologie als auch eines dritten Weges (Wiedervereinigung beider deutscher Staaten, aber unter der Bedingung der Neutralität). Nach dem Aufbrechen des antikommunistischen Grundkonsenses der Gesellschaft ab Mitte der 1970er Jahre stand die Heterogenität der Partei für die Auflösung der Lager und eine ideologische Orientierungslosigkeit. Mitglied Herbert Gruhl prägte hierfür das treffende Motto: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Indem die Grünen zunächst die Lebensqualität und das umweltpolitische Engagement in den Mittelpunkt stellten, waren die verschiedenen Strömungen unter diesen Minimalkonsens miteinander vereinbar.223 Das „vorn“ bezog sich auf eine neue Form des politischen Zugangs. Daher galten sie oft als „Antiparteienpartei“ oder als parlamentarischer „Arm der Bewegung“.224 Damit forderten sie die anderen Parteien thematisch heraus, die nun ihrerseits versuchten den Bereich des Umweltschutzes zu besetzen. Ähnlich wie in der Bundesrepublik die Parteien durch die grüne Bewegung und letztlich durch die neue Sammlungspartei unter Druck gerieten, musste auch die SED-Führung auf diese immer stärker werdenden gesellschaftlichen Entwicklungen, Erwartungen und Sensibilitäten innerhalb der Bevölkerung zum Thema Umweltverschmutzung reagieren. In der DDR ist der Ursprung der überschaubaren Umweltbewegung in den Lebensreformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts, in der westlichen Umweltbewegung (übermittelt über das „Westfernsehen“) als auch in der entstehenden Friedensbewegung der DDR zu verorten.225 Der Bewegungsraum dieser Gruppen blieb jedoch zunächst auf die Kirchen, insbesondere die evangelischen, und auf den Kulturbund (KB) beschränkt, die noch stark auf ein konsensorientiertes Aushandeln mit dem SED-Regime bedacht waren.226 Auch ist es schwierig, um 1980 von einer „Umweltbewegung“ in der DDR zu sprechen. Es gab vereinzelte Gruppen, deren Vernetzung in den 1980er Jahren voranschritt. Von einer „Bewegung“, die vernetzt politisch Einfluss nimmt, kann erst in den späten 1980ern ausgegangen werden, wenn nicht gar erst Ende 1989.227 Das Wirken der DDR-Umweltschutzgruppen kann daher in vier Phasen eingeteilt werden: I) Baumpflanzaktionen, selbst organisierte „Öko-Seminare“ sowie ethische Dis-
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Vgl. Mende, Geschichte, S. 449–461; Mende, „Enemies at the Gate“, S. 67–70; Heidemeyer, (Grüne) Bewegung, S. 74; Jäger, Innenpolitik, S. 155; Peter, Sicherheit und Entspannung, S. 61. Vgl. Heidemeyer, (Grüne) Bewegung, S. 76 f. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 13; Brand, Umweltbewegung, S. 231; Radkau, Ära, S. 520 f.; Ault, Saving Nature, S. 157. Siehe für die Lebensreformbewegung bspw. Kirchhof, Nestoren des DDR-Naturschutzes, S. 71–106. Vgl. Steinmetz, Landeskultur, S. 175 f.; Möller, Umwelt, S. 211–220. Beleites spricht von einer „Umweltbewegung der DDR“. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 25, 27. Vgl. für das Gegenargument bzw. das Plädoyer eher von Umweltgruppen zu sprechen: Kirchhof, Structural Strains, S. 82, 88 f., 92, 96 f.; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Rolle der Umweltverbände, S. 88; Möller, Umwelt, S. 13, 311.
3. Politische Herausforderung durch Umweltbewegte in Ost und West
113
kussionen (1979–1983); II) Zunahme lokaler Proteste (1984–1986); III) Politisierung der Gruppen (1986/87–1989); IV) Emanzipation von der Kirche (1989).228 Der KB behandelte fast ausschließlich Themen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, da ihre Mitglieder vorwiegend aus den fachlichen Bereichen der Biologie, Forst- und Landwirtschaft kamen. Es gab mehrere verschiedene Fachgruppen, die sich ausschließlich mit einem speziellen Thema wie dem Vogelschutz etc. beschäftigten. Diese enge personelle und organisatorische Verzahnung von Naturschutz und Naturwissenschaft führte einerseits dazu, dass Naturschutz in der DDR „innovativer“ und „fachlich fundierter“ praktiziert wurde als in der Bundesrepublik.229 Andererseits ließ diese starre Struktur wenig Raum für Laien und für selbstgewählte Themen. Und doch gab es auch Ausnahmen. So engagierten sich beispielsweise das Ehepaar Kurt und Erna Kretschmann im KB für den Naturschutz und gründeten in Bad Freienwalde das „Haus der Natur“. Dort empfingen sie bis zu 5 000 Besucher im Jahr, um diese mit Vorträgen und Seminaren in Naturschutzbelangen weiterzubilden, aber auch den Austausch und das Netzwerken zwischen den Naturschützern zu fördern. Die Historikerin Astrid M. Kirchhof beschreibt den Freiraum, den sich die Kretschmanns schufen, als „Gegenwelt“ zur überpolitischen SEDDiktatur, in der der vom MfS als harmlos eingestufte Naturschutz neue Ideen entwickeln konnte, die zu einem späteren Zeitpunkt abrufbereit waren.230 Im KB waren die Naturschützer in der Organisation der „Heimat- und Naturschutzfreunde“ vertreten. Dieser war neben den Spezialgebieten der Ornithologie (Vogelkunde) und Entomologie (Insektenkunde) aber auch die Astrologie, die Numismatik sowie die Zinnfigurensammlervereinigung zugeordnet. Ende der 1960er, Anfang der 1970er wollten sich die darin versammelten Naturschützer deshalb umstrukturieren, und damit die Idee der „sozialistischen Landeskultur“ besser in der DDR-Bevölkerung, insbesondere unter der Jugend, bekannt zu machen. Doch erst am 28. März 1980 erfüllte sich dieser Wunsch mit der Gründung der „Gesellschaft für Natur und Umweltschutz“ (GNU) in der Massenorganisation des KB. Binnen kürzester Zeit verzeichnete die Organisation 50 000 Mitglieder (1983) in 1600 Arbeitsgruppen. Die Gründung der GNU galt bisher als Beleg für das Reagieren der SED auf die zunehmende „Bedrohung“ durch das wachsende Umweltbewusstsein in der Bevölkerung.231 Die begrenzten Möglichkeiten junger Menschen in der DDR, sich mit den Themen industrieller Umweltverschmutzung auseinanderzusetzen, öffnete Tür und Tor der Kirchen. In deren geschützten Räumen konnten sich Umweltbewegte aus-
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Vgl. Beleites, Umweltschutzbewegung in der DDR, S. 187. Siehe zur Politisierung der unabhängigen Umweltgruppen: Klein, Politisierung, S. 19 f.; contra zur Politisierungsthese: Möller, Umwelt, S. 313, vgl. zu Phasen S. 303. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Rolle der Umweltverbände, S. 90. Vgl. Kirchhof, Nestoren, S. 94–102. Vgl. Kirchhof, Structural Strains, S. 86; Steinmetz, Landeskultur, S. 152–165, 174–176; Neubert, Opposition, S. 453. Siehe ausführlicher zur GNU Kap. IV.3.
114
II. „Nicht-Umweltpolitik“ und Umweltentspannungspolitik
tauschen und informieren. Die Kirchen begannen sich im Rahmen des Schöpfungsdiskurses in den 1970er Jahren mit dem Thema Umweltschutz zu beschäftigen. Inspirierender Stichwortgeber waren hierbei unter anderem die ökumenischen Weltkonferenzen 1974 in Bukarest, 1975 in Nairobi und insbesondere 1979 am Massachusetts Institute of Technology in Boston, USA, mit dem Themenschwerpunkt „Glaube, Wissenschaft und die Zukunft“. Deren Empfehlung, an diesen Themen weiterzuarbeiten und sie zu kommunizieren, hat die Umweltarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR überwiegend beeinflusst.232 Einen weiteren Impuls erhielt die unabhängige Umweltszene in der DDR durch das Kirchliche Forschungsheim (KFH) in Wittenberg. Es war 1927 gegründet worden, um einen Dialog zwischen der Theologie und den Naturwissenschaften anzustoßen. 1975 wurde Hans-Peter Gensichen zum Leiter ans KFH berufen; er etablierte dort ab 1976 eine Weiterbildung für Pfarrer im Themenbereich „Umwelt“ und gründete 1977 einen naturwissenschaftlichen Arbeitskreis. Gensichen gab die halbjährlichen „Briefe“ heraus und verfasste mit anderen die Schrift „Die Erde ist zu retten“ (1980), welche die Ergebnisse des Berichts des Club of Rome „Grenzen des Wachtsums“ (1972), die zuvor eingehend im KFH diskutiert wurden, auf die DDR-Verhältnisse übertrug. Das KFH forderte zwar Taten, hielt sich selbst aber aus Furcht vor Repressalien durch das MfS und um nicht die eigene Schließung zu provozieren zurück. Gensichens Vortrag im April 1980 in der Dresdner Kreuzkirche über die Wanderausstellung „Mensch und natürliche Umwelt“ führte zur Gründung des „Ökologischen Arbeitskreises der Dresdner Kreuzkirche“, die eine der größten und aktivsten unabhängigen Umweltgruppen der DDR werden sollte. Obwohl das KFH nicht selbst aktiv war, initiierten seine Schriften und die einsetzende Vernetzungsarbeit zu Beginn der 1980er Jahre jedoch maßgeblich die Gründung neuer Umweltgruppen und -initiativen. Das Forschungsheim verstand sich deshalb als intellektueller Ideengeber und Informationensammler. Wie die evangelischen Kirchen allgemein stellte auch das KFH in Wittenberg Räume zur Verfügung, insbesondere für die jährlichen Vertretertreffen von Ökologie-Gruppen.233 Die Motivation zur Gründung dieser frühen „unabhängigen“ Umweltgruppen in der DDR lag in einem Verantwortungsgefühl für zukünftige Generationen begründet. Das ließ sich leicht mit dem kirchlichen Kontext vereinbaren und stellte ein Gegengewicht zur, als nicht wahrnehmbar empfundenen, staatlichen Umweltpolitik der DDR dar.234
4. Zusammenfassung Ökologische Interessen wurden zu Beginn der 1970er Jahre im deutsch-deutschen Verhältnis noch eindeutig von deutschland- und entspannungspolitischen Moti232 233 234
Vgl. Huff, Natur, S. 316, 322–324; Möller, Umwelt und Herrschaft, S. 304. Vgl. Huff, Natur, S. 323–329, 335 f.; Halbrock, Störfaktor Jugend, S. 28. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 21.
4. Zusammenfassung
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ven überlagert. Oder, im Falle des UBA, geriet bilaterale Umweltpolitik sogar in deutschlandpolitische Geiselhaft. Trotz des Auftrages aus dem Grundlagenvertrag, auch über Umweltbelange zu reden, kamen beide deutsche Staaten auf diesem Themengebiet nicht zusammen. Zusätzlich zu den politischen gab es auch konjunkturelle Einbrüche, die Investitionen im eigenen Land und damit erst recht eine bilaterale Kooperation erschwerten. Dabei setzte das Jahrzehnt der Entspannung auch neue Kräfte frei. Die Umweltbewegung und -gruppen in Ost und West gewannen als Akteur zunehmend an Gewicht und eine deutsch-deutsche Zusammenarbeit gelang besser im internationalen Rahmen von KSZE und ECE. Auf der internationalen Ebene zog in den 1970er Jahren ein gewisser Pragmatismus in die Umweltpolitik ein. Dies war einerseits an der immer weniger mit Konkurrenzvokabeln belegten Sprache und zunehmenden Zusammenarbeit, andererseits an dem Prestige- und Sicherheitsgedanken erkennbar. So wurden ökologische Kompromisse auch zugunsten anderer Politikfelder wie der Entspannungs- beziehungsweise Außenpolitik erzielt. Der Hochrangigen Tagung (HRT) zur Umwelt von 1979 in der ECE kommt somit am Ende des Jahrzehnts eine Schlüsselfunktion zu: Zum einen steht sie umweltpolitisch für den Höhepunkt einer seit den 1960er Jahren laufenden Bemühung der nordischen Staaten, grenzüberschreitende Luftverschmutzung international einzudämmen. Zum anderen handelte es sich um die erste Umweltkonferenz, an der beide Blöcke ohne Ausnahme vertreten waren – in der KSZE war das Umweltthema schließlich nur ein Teilbereich. Dazu gehört auch, dass sie das erste fruchtbare Ergebnis eines sich gegenseitig verstärkenden Wechselspiels zwischen der ECE und der KSZE darstellte. Obwohl die genuinen umweltpolitischen Motive bei beiden deutschen Staaten hier eher als zweit- oder sogar drittrangig anzusehen sind, regte die HRT im speziellen ein östliches Wissenschafts- und Technologieinteresse und eine westliche Neugier für Umweltdaten an. Angesichts der KSZE in Belgrad 1977, die von den Zeitgenossen als schlecht verlaufen wahrgenommen worden war, steht diese Konferenz außerdem als Ersatz für sicherheits- und entspannungspolitische Kontinuität bei zunehmend schlechter werdender politischer Wetterlage. Auch ist nicht zu vergessen, dass auf der HRT ein erstes Zusammentreffen des ostdeutschen Umwelt- mit dem westdeutschen Innenminister zustande kam, das letztlich die Chance bot, das nächste Jahrzehnt mit einem neuen Anlauf bilateraler Umweltverhandlungen zu beginnen.
III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“ Der Jahreswechsel 1979/1980 markiert für die umweltpolitischen Beziehungen zwischen Bundesrepublik und DDR zumindest eine auffallende Trendwende im Ost-West-Konflikt.1 Beide deutsche Staaten wollten nun einzelne Umweltprobleme besprechen, obwohl sich zeitgleich die internationalen Beziehungen massiv verschlechterten. Das heißt, die umweltpolitische Interaktion beider deutscher Staaten besaß auch hier eine etwas andere Konjunktur. Gab es aufgrund von Hallstein-Doktrin und starker ideologischer Gegensätze im Kalten Krieg der 1950er und 1960er Jahre nur vereinzelte Kontakte durch den Eisernen Vorhang, so hatte sich die Kommunikation zwischen den Blöcken Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre – trotz gegenseitiger nuklearer Bedrohung – stark verbessert. Statt aber analytisch von einem „Zweiten Kalten Krieg“ 2 auszugehen oder zu sprechen, sei hier von der „Krise der Entspannung“ in der Epoche des Kalten Krieges die Rede.3 Das Kapitel skizziert daher zuerst die genauere politische Großwetterlage als Kontext, denen beide Staaten um 1979/80 ausgesetzt waren, woraufhin im Folgenden mit den umweltpolitischen „Tiefenbohrungen“ begonnen wird. Nach der Hochrangigen Tagung (HRT) zur Umwelt 1979 hätten Bundesrepublik und DDR leicht an das Thema der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung anknüpfen können. Schließlich konnte die DDR hinter dem dort Erreichten nicht mehr zurückfallen. Dieser Bereich stellte im bilateralen Verhältnis aber nicht das dringendste Umweltproblem dar. Der Schwerpunkt lag auf der Gewässerverschmutzung – international ein vorrangiges Interesse der DDR auf der HRT gewesen, war es hier ein maßgebliches Interesse der Bundesregierung. Ökologische als auch entspannungspolitische Motive gingen nun zunehmend Hand in Hand. Dennoch erhielten die konkreten Umweltprobleme in den bilateralen Beziehungen zunehmend mehr Gewicht als letztlich das entspannungspolitische Motiv. Auf der internationalen Ebene erscheint eine genauere Differenzierung zwischen ökologischen und entspannungspolitischen Impulsen zwar nicht mehr so eindeutig wie bisher. Interessant ist jedoch, dass Gewässerfragen hauptsächlich nun bilateral zwischen Bundesrepublik und DDR verhandelt wurden, während Verhandlungen zur grenzüberschreitenden Luftverschmutzung – vermutlich ob ihres „luftigen“, flüchtigen
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Vgl. zur These die „Zeitenwende“ von 1979 habe das Ende des Kalten Krieges eingeläutet Bösch, Zeitenwende 1979, S. 12 f. Siehe auch die Einleitung und vgl. zum „Zweiten Kalten Krieg“ Bresselau von Bressensdorf, Frieden durch Kommunikation, S. 2 f.; Loth, Helsinki, S. 191, 195–197, 200–204; Geiger, Regierung Schmidt-Genscher, S. 96–99. Die Entspannungspolitik wurde im Hintergrund der Krise fortgesetzt. So u. a. auch Nuti/ Bozo/Rey/Rother, Editor’s Introduction, S. 1 f.; Kieninger, Diplomacy of Détente, S. 1; siehe auch Einleitung, Punkt 1.2.; Baron, BRD–DDR, S. 282 f. Argumentiert wurde hier mit der „Verantwortungsgemeinschaft“ beider deutscher Staaten.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Charakters – eher im multilateralen Bereich zu weitergehenden Bestimmungen führten. Nach ersten Gesprächen über den Gewässerschutz ergaben sich ab 1983 somit weitere Gespräche zur Rauchgasentschwefelung sowie zum Waldsterben.4 Bundesrepublik und DDR hoben somit ihre bisherigen „Nicht“-Umweltbeziehungen auf eine neue Stufe, in dem sie – mit den im Grundlagenvertrag anvisierten praktischen „kleinen Schritten“ zwar – mit dem Reden über Umweltprobleme begannen.
1. Verortung deutsch-deutscher Umweltpolitik im Ost-West-Konflikt der 1980er Jahre Alles begann mit einem Cocktail. Der DDR-Umweltminister Hans Reichelt und der bundesdeutsche Innenminister Gerhart Baum trafen sich erstmals auf dem Empfang des ECE-Generalsekretärs Stanovnik zur Eröffnung der Hochrangigen Tagung (HRT) zur Umwelt 1979 in Genf. Baum sprach insbesondere – unterstützt von Menke-Glückert – das Problem der Werraversalzung an und schlug vor, Expertengespräche aufzunehmen. Diese seien bestimmt für die DDR nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich von Interesse. Zudem habe die DDR sicherlich Umweltprobleme mit der Bundesrepublik.5 Reichelt erklärte dazu, die „bisherigen Erfahrungen würden zeigen, daß Ergebnisse bei der Lösung von Sachfragen am ehesten ohne Teilnahme der Massenmedien und ohne öffentliche Polemik herbeigeführt werden könnten.“ Der DDR-Bericht resümiert außerdem, Zeit und Ort wären für diese Unterhaltung nicht „richtig gewählt“ worden, was als Kritik an der SED-Führung gelesen werden kann, die dieses Treffen von oben angeordnet hatten.6 Und dennoch: Das hochrangige Treffen zur Umwelt im Dezember 1979 barg für die deutsch-deutsche Ebene die Chance, genau diese wieder in Gang zu bringen. Reichelts Antwort an Baum, dass Sachfragen besser ohne die Teilnahme von Medien erörtert würden, lässt sich nur im größeren deutsch-deutschen, internationalen und innenpolitischen Kontext der DDR verstehen: Seit etwa 1977 standen beide Seiten wieder in einem sporadischen Austausch über potenzielle Umweltgespräche, zeitgleich schränkte die SED jedoch die öffentliche Verfügbarkeit von Umweltdaten ein. Die Geheimhaltungspolitik hatte 1974 nach einer Fachdiskussion über die Staubbelastung in der Bergakademie Freiberg angefangen. Bereits ab 1975 durfte 4 5 6
Vgl. Berg, Umweltschutz in Deutschland, S. 608–609. Es hatte auch Strahlenschutzgespräche gegeben, die jedoch (noch) nicht analysiert wurden. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 116544, Drahtbericht Nr. 2026, Per Fischer, Genf, Gespräch Hans Reichelt mit BM Gerhart Baum, 13. 11. 1979. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3032, Bd. 1418, Bl. 214–217, hier Bl. 216 f., Gesprächsvermerk über das Gespräch mit dem Bundesinnenminister der BRD Baum anläßlich des Gesamteuropäischen Umweltkongresses in Genf am 13. 11. 1979, Schreiben Günter Mittag an Erich Honecker, 5. 12. 1979. Gespräch der Autorin mit Hans Reichelt am 3. 12. 2020 in Schöneiche bei Berlin.
1. Umweltpolitik im Ost-West-Konflikt der 1980er Jahre
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das MfUW die jährlichen Umweltberichte nicht mehr dem Ministerrat vorlegen. Ab 1978/79 erklärte der Ministerrat alle Umweltdaten zur „vertraulichen Verschlusssache“. Die Klassifizierung von Umweltdaten steigerte sich ab 1982 nochmals auf die Stufe „geheim“. Für die weitere Verschärfung wurden vor allem Publikationen von westdeutschen Fachzeitschriften über den Zustand der Umwelt in der DDR verantwortlich gemacht.7 Analog zu den eigenen Publikationsorganen sah die SED die Westmedien als Propaganda-Mittel der Bundesregierung an, um die Bevölkerung aufzuwiegeln und zu beeinflussen.8 Die Rolle der Medien wird daher im Folgenden immer wieder Erwähnung finden. Darüber hinaus stand nach der KSZE und der Weltklima-Konferenz in Genf mit der HRT 1979 eine weitere Umweltkonferenz an, auf der die Staaten über den Zugang zu Daten verhandelten. Wenn sich die ostdeutsche Führung also bedeckt hielt, konnten andere Länder, insbesondere die Bundesrepublik, mögliche Schadensersatzforderungen kaum gegenüber der DDR durchsetzen. Während im Gegenzug die durch die Geheimhaltung entstehende Unkenntnis ihrer Nachbarn der DDR-Führung strategisch günstigere Vorteile versprach.9 Dieser Vorgang stellte für die SED somit die notwendige Abgrenzung dar, die die DDR benötigte, um im Umweltbereich wieder auf die Bundesrepublik zugehen zu können.10 Im Bundesinnenministerium erarbeitete die Abteilung „Umweltschutz“ wiederum seit 1975 intern Möglichkeiten, wie die DDR an den Verhandlungstisch zurückgeholt werden könnte. So erschien es „zweckmäßig, das Ziel einer vertraglichen Regelung des Umweltschutzes in Etappen anzustreben.“ 11 Dabei solle die DDR auch unter Bezugnahme internationaler Vereinbarungen zu einem Modus Vivendi veranlasst werden. Dies klang bereits in den vorangegangenen Kapiteln an, wenn davon die Rede war, dass sich die Bundesregierung nach dem Scheitern der bilateralen Verhandlungen mit der DDR vorrangig auf internationale Treffen konzentrierte. Dass DDR und Bundesrepublik in den 1970er Jahren umweltpolitisch nicht zusammenkamen, bedeutete also nicht, dass es intern nicht doch Bestrebungen gab, Konsultationen in diesem Bereich zu erreichen. Auf dem bundesdeutschen Programm standen – entsprechend den eben erwähnten Etappen im Umweltschutz – eine oder mehrere Gewässerschutzvereinbarungen.12 Diese galt es ebenfalls politisch und finanziell im Vorfeld gut zu durchdenken. 7
Vgl. Gundermann, Geheimnis, S. 25–29; Roesler, Umweltprobleme, S. 52, Möller, Umwelt, S. 231–233; Stief, Staatssicherheit, S. 87–95. Siehe auch zur allg. Kritik Honeckers zur Presseberichterstattung über die DDR: o. V., Deutscher Gipfel im Herbst?, in: Der Spiegel, Nr. 25, 19. 8. 1978, S. 21–23, hier S. 23. 8 Vgl. Stief, Staatssicherheit, S. 92, 97. 9 Vgl. Gundermann, Geheimnis, S. 25–29; Roesler, Umweltpolitik, S. 52; Huff, Natur, S. 241– 243. 10 Vgl. zum Verhältnis Annäherung – Abgrenzung allg.: Bender, „Neue Ostpolitik“, S. 198. Die Staatsräson der DDR bewege sich zwischen Ostabhängigkeit und Westabgrenzung: Wentker, Außenpolitik, S. 8. 11 Koordinierungsgespräch der Bundesregierung auf Delegationsleiterebene, Bonn, 16. 4. 1975, Dok. 35, in: DzD, VI/4, S. 154. 12 Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 115047, Sondierungskonzept des BMI, o. V., 5. 4. 1977.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Bundeskanzler Schmidt äußerte deshalb gegenüber dem SED-Generalssekretär Erich Honecker Ende 1977, dass die Umweltproblematik, obwohl sie immer dringender werde, noch Zeit benötige.13 Auch gegenüber Helmut Kohl von der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, also der Opposition, machte Schmidt deutlich: „… man werde in dieser Frage schon aus Kostengründen nur langsam vorgehen können.“ 14 Zwar kam es in den 1970er Jahren nur zu einem einzigen bilateralen Treffen zwischen beiden deutschen Staaten im Umweltbereich, dafür erreichten sie Vereinbarungen im Post- und Fernmeldeverkehr 1976, den Bau einer Autobahn zwischen Hamburg und Berlin 1978 und die Aushandlung eines Verkehrspakets 1980. Sofern die Interessen gleichgelagert waren, waren beide Seiten durchaus zu Kompromissen bereit.15 Insbesondere wegen des millionenschweren Verkehrspakets (etwa 500 Mio. DM Zuschuss) äußerte das Bundesfinanzministerium gegenüber weiteren Investitionen in der DDR allerdings Vorbehalte. Egon Franke, der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, hielt dagegen, dass die Vertragspolitik mit der DDR Kosten erfordere, die politisch notwendig seien.16 Bundesinnenminister Baum appellierte an die Staatengemeinschaft im Allgemeinen, dass Umweltschutzmaßnahmen auch dann durchzuführen seien, wenn die wirtschaftliche Lage schwierig sei,17 und das war sie zu Beginn der 1980er Jahre. Der Westen erlebte eine schwere Rezession. Der Sturz des Schahs und die Islamische Revolution im Iran 1979 verursachten zudem Förderausfälle und weltweite Verunsicherungen, sodass es erneut zu einem Preisanstieg des „schwarzen Goldes“ und einer zweiten Ölpreiskrise kam. Anders als bei der ersten sackte nun der Bundeshaushalt und damit auch das Budget für den Bereich Umweltschutz im BMI von 546 Mio. DM für 1980 um mehr als ein Drittel auf 330 Mio. im Jahr 1981 ab. 1984 verzeichnete der Haushaltsplan für den Umweltschutz seinen Tiefststand mit 210 Mio. DM (vgl. Abb. 3). Erst ab 1985 ging es finanziell für die Abteilung Umweltschutz wieder aufwärts.18 Wie viel die DDR in den Umweltschutz inklusive Wasserwirtschaft investierte ist äußerst schwierig zu rekonstruieren, komplex und bleibt eine vage Angelegen-
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Vgl. Schreiben des Bundeskanzlers Schmidt an den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR Honecker, Bonn, 22. 12. 1977, Dok. 117, in: DzD, VI/5, S. 457 f. 14 Gespräch des Bundeskanzlers Schmidt mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Kohl, Bonn, 2. 5. 1978, Dok. 156, in: DzD, VI/5, S. 613. 15 Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 412, 418–422. 16 Vgl. PA AA, B 38, ZA, 116544, Vermerk von Richthofen über die Besprechung auf Ministerebene zu den Umweltverhandlungen mit der DDR, Koordinierungsgespräch im kleinen Kreis (BMIB, BKAmt, BMI, BMF, STäV Ost-Berlin, Senator West-Berlins), 6. 3. 1978. Vgl. zum Verkehrspaket Wentker, DDR-Außenpolitik, S. 419–422. 17 Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132182, Konferenz über sauren Regen [28.–30. 6. 1982], Drahtbericht Nr. 171, Stockholm, Gescher, 30. 6. 1982. 18 Vgl. Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Bundesministers des Inneren, in: Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1980, Bd. 1, S. 639; Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1981, Bd. 1, S. 591; Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1984, Bd. 1, S. 325. Siehe auch die Abb. 3. Siehe zum Iran Bösch, Zeitenwende, S. 25–38.
1. Umweltpolitik im Ost-West-Konflikt der 1980er Jahre
121
heit (siehe Quellenkritik im Anhang). Nach bisherigen Erkenntnissen scheint jedoch zumindest eine gewisse Tendenz ablesbar, die vor und nach der HRT Umwelt 1979 einen Anstieg von Investitionen in diesem Bereich auf 919,4 Mio. M (1979) und 1023,5 Mio. M. (1980) erkennen lassen (vgl. Abb. 2). Gemessen an den Staatsausgaben fällt dieses vermeintliche Hoch der „Netto-Investitionen“ jedoch wieder weniger ins Gewicht und schienen eher rückläufig zu sein.19 Das ließe sich ebenfalls wieder mit der Schuldenkrise der DDR erklären. Die auf Pump subventionierte Konsum- und Sozialpolitik der 1970er Jahre schnürte den Verteilungsgürtel von Investitionen immer enger. Auch die Ankündigung der UdSSR, 1981 ihre Rohölkontingente zum Vorzugspreis an die DDR um zehn Prozent, also um ca. zwei Mio. Tonnen zu kürzen, machte die Auswirkungen der Ölpreiskrisen in der DDR spürbar. Diese waren in Form der Rückkehr zur Braunkohle in einer zunehmenden Luftverschmutzung erfahrbar.20 Die Folgen der Ölpreiskrisen waren jedoch nicht der Grund für eine umweltpolitische Wiederannäherung der DDR an die Bundesrepublik. Anders als noch 1975, als das UBA in West-Berlin vorgeschoben wurde und die schlechte finanzielle Lage umweltpolitischen Gesprächen im Weg standen, gab die SED ihre ablehnende Haltung etwa ab 1977 auf, hauptsächlich um der HRT zum Umweltschutz in Genf den Weg zu ebnen. So resümierte das DDR-Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft in einer Vorlage für das ZK der SED, dass die DDR „aufgrund der internationalen Entwicklung […] nicht auf Dauer die Verhandlungen mit der BRD zu Fragen des Umweltschutzes ablehnen kann.“ 21 Nachdem der Ständige Vertreter der Bundesrepublik in der DDR Günter Gaus seit Mitte der 1970er Jahre immer wieder bei seinem Gesprächspartner Michael Kohl in Sachen Umweltverhandlungen vorgefühlt hatte,22 konnte er nun seinem DDR-Kollegen am 17. März 1978 eine von der Bundesregierung ausgearbeitete Liste mit Umweltthemen übergeben.23 Daraufhin titelte der Bonner „Generalanzeiger“ prompt „DDR bietet Umweltschutzgespräche an“.24 Dies setzte die SED-Führung unter Druck, und sie vermutete, dass die Bundesregierung so ihre Verhandlungsposition stärken wollte. Deshalb forderte sie eine öffentliche Klarstellung, dass die Bundes-
19
Vgl. dazu die einzelnen Daten bei Huff, Umweltpolitik, S. 552; Möller, Umwelt, S. 225 und Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Berlin 1991, S. 146. Siehe zu den Umweltschutzinvestitionen der DDR Abb. 2 und die Quellenkritik dazu im Anhang. 20 Vgl. Huff, Ökologische Modernisierung, S. 300; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 126; Buck, Umweltpolitik, S. 228; 231–238. Siehe zur Ölpreiskrise auch Kap. II.1.3. 21 BArch DK 5, Bd. 635, Teil 2, Umweltschutz-Verhandlungen zwischen der DDR und BRD, Zuarbeit des MfUW für die Arbeitsgruppe des ZK, Sommer 1977, o. V. Siehe auch Eckert, West Germany, S. 139. 22 Vgl. u. a. PA AA, B 38, ZA, Bd. 116544, Drahtbericht Nr. 265, Gaus, Ost-Berlin, 20. 3. 1978. 23 Vgl. ebenda; siehe auch Schreiben des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR Honecker an Bundeskanzler Schmidt, Berlin (Ost), 13. 6. 1978, Dok. 174, in: DzD, VI/5, S. 719. 24 Vgl. o. V., „DDR bietet Umweltschutzgespräche an“, in: Generalanzeiger, 26. 9. 1978, S. 2. Ähnlich auch o. V., „Umwelt: Lenkt die DDR ein?“, in: Der Spiegel, Nr. 39, 25. 6. 1978, S. 18 f.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
republik auf die DDR zugegangen sei.25 Andersherum sähe es nämlich wie ein Schuldeingeständnis aus. Sicherlich lässt sich an der Haltungsänderung, speziell der DDR, festmachen, dass hier etwas politisch in Bewegung kam. Doch die Motivation dafür lag hauptsächlich noch immer in Moskaus Ansehen in der Welt begründet. Wie bereits an anderer Stelle dargestellt, nutzte die Sowjetunion und somit auch die DDR die Umwelt-Außenpolitik dazu, sie für ihre Strategie der „friedlichen Koexistenz“ einzusetzen. Also stand der ostdeutsche Staat, vor allem angesichts der HRT Umwelt, unter dem (sowjetischen) Druck, gerade Umweltprobleme an der Westgrenze vorrangig zu bekämpfen.26 Das hieß für ihn zunächst, die Umsetzung der eigenen innerstaatlichen Regelungen zu forcieren, die jedoch (noch) nicht oder nur teilweise erfüllt werden konnten.27 Kurz darauf verschob sich allerdings der Rahmen im Gefüge des Kalten Krieges zunehmend in ungünstigere Gefilde. Die Entspannungsphase hatte nach der Unterzeichnung der Schlussakte in Helsinki 1975 ihren Zenit überschritten. Die KSZE-Nachfolgekonferenz in Belgrad 1977 galt als gescheitert. Parallel dazu stritten Ost und West um Abrüstungsfragen. Während die NATO-Staaten noch über eine Modernisierung ihrer Waffen-Arsenale diskutierten, ersetzte die UdSSR bereits ihre alten Mittelstrecken-Raketen durch neue SS-20. Dies schürte bei den westeuropäischen Regierungen Sicherheitsbedenken, da sie eine technische Überlegenheit der Kommunisten befürchteten. Sie konzipierten daraufhin das, was als „NATO-Doppelbeschluss“ in die Geschichte einging: Die NATO kündigte die Aufstellung moderner amerikanischer Mittelstreckenraketen (Pershing II) in Westeuropa an, machte das Ausmaß jedoch von den gleichzeitig angebotenen Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion in Genf abhängig.28 Die angekündigte Aufstellung der Raketen auch in der Bundesrepublik zog massive Proteste der Friedensbewegung nach sich. Am 22. Oktober 1983 demonstrierten bundesweit über eine Million Menschen, etwa 300 000 davon allein im Bonner Hofgarten und Umgebung. Die von Brandt noch 1969 verkörperte Aufbruchsstimmung hatte die westliche Gesellschaft zum Teil für eine gewisse Zeit denken lassen, der Kalte Krieg sei vorbei. Den Zeitgenossen mutete die erneute, verschärfte Konfrontation
25
Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116544, Drahtbericht Nr. 939, Gaus, Ost-Berlin, 2. 10. 1978; siehe auch Koordinierungsgespräch der Bundesregierung auf Delegationsleiterebene, Bonn, 11. 10. 1978, Dok. 229, in: DzD, VI/5, S. 893. 26 Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1625, Information über bestehende Situationen an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin, die zu Schadensersatzforderungen der BRD bzw. Westberlins führen können und eingeleitete Maßnahmen sowie Vorschläge für das weitere Vorgehen, Schreiben Schalck-Golodkowskis über Mittag an Honecker, 22. 9. 1981; siehe auch BArch, DY 30/J IV 2/2, Bd. 1699, Beschluss über die Aufgaben der zuständigen staatlichen Organe bei der Behandlung von Schadensfällen, die von der BRD oder Westberlin bzw. der DDR ausgehend der jeweils anderen Seite entstehen, Protokoll Nr. 43/77, Sitzung des Politbüros am 1. 11. 1977. 27 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 11–31, hier Bl. 12, Dossier, Umweltbelastungen im Verhältnis zwischen DDR und BRD, o. V., o. D. Siehe zur HRT Umwelt Kap. II.2.2. 28 Vgl. Geiger, Regierung Schmidt-Genscher, S. 95–100, 105–114.
1. Umweltpolitik im Ost-West-Konflikt der 1980er Jahre
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zwischen den beiden Blöcken dermaßen unheimlich an, dass sie die Zeit Anfang der 1980er Jahre als „Zweiten Kalten Krieg“ 29 charakterisierten. Die internationale Lage verschlechterte sich weiter, als die Sowjetunion am 25. Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierte, womit sie in einen dort laufenden Bürgerkrieg an ihrer Peripherie intervenierte. In Polen hatte sich nach Protesten wegen der sich verschlimmernden wirtschaftlichen Lage unter anderem die freie Gewerkschaft Solidarność gegründet, die zunehmend die Herrschaft der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei infrage stellte. Parteichef Wojciech Jaruzelski entschied sich deshalb dazu am 13. Dezember 1981, das Kriegsrecht auszurufen. Auf diese Weise versuchte er, das befürchtete Eingreifen der Sowjetunion wie 1956 in Ungarn oder 1968 in Prag zu verhindern. Das heizte wiederum die Bedrohungsperzeption der UdSSR in westlichen Regierungslagern weiter an.30 In dieser angespannten Situation besuchte Helmut Schmidt vom 11. bis 13. Dezember 1981 als erster Bundeskanzler den Generalsekretär des ZK der SED Erich Honecker in der DDR. Trotz der Ereignisse in Polen brach der Kanzler den Besuch nicht ab. Entgegen den sich verhärtenden und stärker konturierten Fronten in der Ost-West-Auseinandersetzung hielten beide deutsche Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten an ihrer Beziehung zueinander fest. Die Angst Honeckers, die DDR könne vom „polnischen Virus“ angesteckt werden, verhinderte jedoch größere Zugeständnisse seinerseits, ohne die wiederum der Kanzler innenpolitisch keine Finanzierungsprojekte bewilligen konnte.31 Die deutsch-deutsche Annäherung bedeutete auch keineswegs, dass es nicht auch zwischen beiden Staaten kriselte. Ab 1979 nahm die DDR weitere Abgrenzungsmaßnahmen vor, wie verschärfte Arbeitsbedingungen für westdeutsche Journalisten oder die Erhöhung des Zwangsumtauschs. Bonn interpretierte dies als innere Krise, da die osteuropäischen Staaten mit der Schlussakte von Helsinki zunehmend in Konflikt gerieten. Genscher wollte die Situation nicht durch westliche Maßnahmen stören, da er diese Abgrenzungsmaßnahmen für einen Erosionsprozess hielt.32 Beide Regierungen schwammen vorsichtig im Fahrwasser innerhalb ihrer jeweiligen Grenzen aber dennoch leicht gegen den internationalen Strom einer ideologischen und militärischen Verschärfung zwischen den Supermächten. Es erinnert an den Anfang der 1970er Jahre, als die USA und Sowjetunion umweltpolitische Abkommen abschlossen und die Bundesrepublik erst allmählich das eigens angelegte Korsett der Hallstein-Doktrin gelockert hatte. Nur in diesem Fall war die Ausgangslage umgekehrt. Trotz der sich abzeichnenden wirtschaftlichen und außenpolitischen Krisen, begleitet von der gesellschaftlichen Nachfrage zur Lösung anstehen29
Vgl. zum „Zweiten Kalten Krieg“ Bresselau von Bressensdorf, Frieden durch Kommunikation, S. 2–3; Loth, Helsinki, S. 191, 195–197, 200–204; Geiger, Regierung Schmidt-Genscher, S. 96– 99. 30 Vgl. Bresselau von Bressensdorf, Frieden durch Kommunikation, S. 193, 198–216, 235–237; Wentker, DDR-Außenpolitik, S. 423, 426 f. 31 Vgl. Loth, Helsinki, S. 224, Wentker, DDR-Außenpolitik, S. 424–427; Bresselau von Bressensdorf, Frieden durch Kommunikation, S. 237–239. 32 Vgl. Peter, Sicherheit und Entspannung, S. 72 f.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
der Umweltprobleme, waren beide Länder gewillt, ihre Beziehungen aus der Zeit der Entspannung in eine neue Phase zu retten. Diese Krise zu überwinden und zur Détente zurückzufinden, war das erklärte Ziel beider deutscher Staaten. Politisch bedeutete das für die Bundesregierung, die KSZE als entspannungspolitisches Instrument zu stärken, um den Frieden in Europa zu erhalten.33 Für die „Normalisierung der Beziehungen“ war es zudem hilfreich, möglichst viele Kontakte in den verschiedensten Feldern zu etablieren, so auch im Umweltbereich. Schmidt und Honecker waren sich deshalb bei ihrem Treffen 1981 am Werbellin-See einig, dass die zu diesem Zeitpunkt bereits angelaufenen Gespräche zur Werra und den Berliner Gewässern zügig fortgesetzt werden sollten.34 Angesichts der hier umrissenen „Krise der Entspannung“ fungierte Umweltpolitik zu Anfang des Jahrzehnts noch immer als Konfliktmoderation im Ost-West-Konflikt und sollte ein zunehmendes Vertrauen zwischen beiden deutschen Staaten in den Gesprächen manifestieren. Vom informellen Cocktail nahmen somit die Umweltgespräche ab 1980 den formellen Charakter von Expertengesprächen an.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR Die innerdeutsche Grenze wurde von etwa 200 Grenzgewässern gekreuzt, von denen etwa 95 Prozent aus der DDR in die Bundesrepublik flossen.35 Damit war die Bundesrepublik beispielsweise im Fall der Werra, der Elbe oder der Röden der Unterlieger, was die Annäherung an den Oberlieger DDR umso schwieriger machte. Mit dieser asymmetrischen geologischen Ausgangslage war die Bundesregierung konfrontiert als sich folgende Kernprobleme heraus kristallisierten: (1) Versalzung von Werra und Weser durch die Kalibetriebe in der DDR, (2) die Einleitung von Abwässern aus der DDR über den Berliner Nordgraben in den Tegeler See und (3) die Verschmutzung des bayerischen Teils der Röden durch Abwässer aus der thüringischen Stadt Sonneberg. Der DDR sollte im Gegenzug als gewisser Ausgleich angeboten werden, dass die Verschmutzung der Saale durch die bayerische Industrie eingedämmt würde.36 Für die Bundesregierung war die Einbeziehung West-Berlins der politische Knackpunkt einer jeden Vereinbarung mit der DDR. Für einzelne Gewässer, die außerhalb des Territoriums der geteilten Stadt lagen, wie beispielsweise die Werra
33
Vgl. Peter, Sicherheit und Entspannung, S. 64. Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 132685, Aufzeichnung über die Sondierung zu Berliner Gewässerschutzmaßnahmen, Mahnke/von Berg, 16. 2. 1982. Siehe auch Wentker, Außenpolitik, S. 425– 427; Loth, Rettung der Welt, S. 230–237. 35 Vgl. Kurzaufzeichnung des Leiters der StäV der BRD Gaus über den Stand der Folgeverhandlungen mit der DDR in Berlin (Ost), 24. 10. 1974, Dok, 240, in: DzD VI/3, S. 788, Anm. 2. 36 Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116544, Aufzeichnung des Referats 210 (AA) über die Umweltgespräche mit der DDR, Gewässerfragen, von Richthofen/Spohn, 22. 2. 1978. 34
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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in Mitteldeutschland, musste demnach eine Konstruktion geschaffen werden, die Berlin dennoch an einem Abkommen mit der DDR beteiligte.37 Die angedachte Lösung stellte schließlich eine Rahmenvereinbarung mit Berlin-Klausel dar, in der beide Staaten die verschieden gelagerten Flussprobleme behandeln könnten. Diese Art der Verhandlungslösung, Gewässerrahmenvereinbarung statt Umweltabkommen, erhielt auch die Zustimmung der Alliierten, die wegen der Einbeziehung Berlins hinzugezogen werden mussten.38 Die ostdeutsche Führung kam intern zu denselben Ergebnissen wie die Bundesrepublik: Sie befürchtete seit Anbeginn, dass die Bundesregierung ihr gegenüber die Werraversalzung in den Mittelpunkt stellen würde. Das war bereits im Vorfeld des ersten Gespräches 1973 angeklungen. Bedingungen für eine Wiederaufnahme der bilateralen Gespräche waren deshalb sowohl politischer als auch finanzieller und letztlich sogar ökologischer Natur: So sollte die Bundesrepublik auf eine Beteiligung des UBA verzichten, da es aber für den Gewässerschutz nicht zuständig war, würde hier jedoch ohnehin keine „politische Reizschwelle“ 39 berührt. Außerdem galt bei manchem die Auffassung, pragmatisch politisch Festgefahrenes zu akzeptieren, um in der Sache voranzukommen.40 Für die DDR war es zudem wichtig, vor allem für die Werra eine Beteiligung der Bundesrepublik an den Kosten durchzusetzen, sofern sie der maßgebliche wirtschaftliche Profiteur von Reinigungsmaßnahmen durch die ostdeutsche Seite sei. Dieses sogenannte „Nutznießerprinzip“ war die Antwort der DDR auf das von der Bundesrepublik postulierte „Verursacherprinzip“. Der Anteil der Bundesrepublik sei in Valuta durchzusetzen und solle den überwiegenden Teil der Aufwendungen der DDR decken.41 Wollte die Bundesrepublik kurzfristig Umweltschutzmaßnahmen umgesetzt sehen, für die die DDR wiederum einen langfristigen Zeitraum veranschlagt hatte, müsste sie sich finanziell beteiligen. Zu guter Letzt war auch die Trinkwasserversorgung der DDR-Bevölkerung in den Verhandlungen zu sichern.42
37
Vgl. u. a. PA AA, B 38, ZA, Bd. 115047, Umweltprobleme mit der DDR, Ressortbesprechung auf Ministerebene am 9. 3. 1977 im BMI, Möbs/Boehm; PA AA, B 38, ZA, Bd. 116544, Umweltverhandlungen mit der DDR, Schreiben Herrmann von Richthofens, StäV der Bundesrepublik in Ost-Berlin, an BKAmt, AA, u. a., 6. 3. 1978. 38 Vgl. PA AA, B 38 (ZA), 116544, Vermerk über die Einbeziehung Berlin (West) in Verhandlungen mit der DDR über Gewässerschutzfragen, Spohn, 23. 3. 1978. 39 BArch, B 288, Bd. 376, Umweltverhandlungen mit der DDR, Afz. Referat III/1,StäV, 22. 10. 1974. 40 Vgl. Schreiben des Leiters der StäV der Bundesrepublik Deutschland, Gaus, an den StM beim Bundeskanzler, Huonker, 17. 3. 1980, Dok. 123, in: DzD VI/6, 1, S. 470. 41 Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1442, Bl. 137 f., Vorschläge zum weiteren Vorgehen, Schreiben Mittags an Honecker, 25. 4. 1984. Ähnlich auch BArch, DK 5, Bd. 1498, Weisung Nr. 38/76 über die Planung, Vorbereitung und Durchführung wasserwirtschaftlicher Maßnahmen an der Staatsgrenze zur BRD, vom 26. 11. 1976. Siehe zum Nutznießerprinzip auch BArch, B 137, Bd. 11813, Anlage 8: Aufzeichnung zum Verursacherprinzip, Maßnahmen zur Reduzierung der Werra-Versalzung, 20. 6. 1984, BMIB, Referat II 7. 42 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 11–27, hier Bl. 18, 21, Punkt 4.1 im Dossier „Umweltbelastungen im Verhältnis zwischen DDR und BRD“, Durchschlag, o. V., o. D. Siehe auch Sondierungsgespräch des Staatsministers beim Bundeskanzler, Wischnewski, mit dem Leiter der
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Nachdem die Bundesregierung um 1977 erfuhr, dass die DDR-Kaliindustrie einen grenzüberschreitenden Kalibergbau wünschte, nutzte sie dieses Interesse der DDR für ihre eigenen Gewässerschutzangelegenheiten.43 Sie schnürte deshalb ein ganzes Werra-Paket. Darin enthalten waren: Expertengespräche zum (a) grenzüberschreitenden Kalibergbau, (b) zur Werraversalzung durch die Einleitung der DDR-Kalibetriebe, (c) zur Versenkungspraxis der Bundesrepublik und (d) eine Abstimmung zum Sprengregime.44 Auch eine Vorlage für das Politbüro des ZK der SED ließ 1977 ebenfalls erkennen, dass – abgesehen vom internationalen Druck – die Einleitung der Salzlauge ohne Abstimmung mit der Bundesrepublik zu ernsthaften Belastungen in den Beziehungen führen könnte. Es liege zwar im Interesse der DDR, „die volkswirtschaftlich günstigste Form der Ableitung über die Werra durch die Verhandlungen mit der BRD für den Zeitraum bis zur Beendigung des Abbaus soweit als möglich zu sichern“; dies gelte allerdings unter der Voraussetzung, dass sich der Grad der Versalzung trotz steigender Kaliproduktion nicht weiter erhöhen dürfe. Die Reduzierung der Laugeneinleitung mittels einer abfallärmeren Produktion und einer Wiederverwertung der Abfallprodukte sei daher notwendig.45 Das bedeutet, die DDR musste sich in dieser Frage ebenfalls neu positionieren. Am 30. April 1980 gaben beide Seiten letztlich eine gemeinsame Erklärung ab. Darin erläuterten die Ständigen Vertreter Günter Gaus und Michael Kohl der Öffentlichkeit, dass sie sich über Gewässerschutzfragen unter dem Aspekt eines „Ausgleich[s] unterschiedlicher Interessen“ austauschen wollten. Die Bundesregierung erhoffte sich hierbei „positive Auswirkungen auf die Lösung dringender Umweltprobleme“ bei Werra und Berliner Gewässern; die DDR die Förderung des Entspannungsprozesses in Europa. Ziel des Meinungsaustausches sei es zu eruieren, welche Leistungen und Maßnahmen für die Lösung der Umweltprobleme ergriffen werden müssten. Wer zahlte, wurde noch ausgeklammert.46 Die Veröf-
Ständigen Vertretung der DDR, Kohl, Bonn, 12. 8. 1977, Dok. 73, in: DzD, VI/5, S. 268; Eckert, Geteilt, S. 72. 43 Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 115047, Aufzeichnung des Referats 201 (AA) über die Gesprächsführung mit der DDR, 29. 3. 1977. Der Wunsch der Kali-Industrie bestand schon seit 1974: Vgl. Beschluß des Politbüros des ZK der SED über die Fortführung der Verhandlungen mit der Bundesregierung und dem Senat von Berlin, Berlin (Ost), 16. 7. 1974, Dok. 194, in: DzD, VI/3, S. 657. 44 Vgl. von Berg, Umweltschutzabkommen, S. 125. 45 Zitat in: PA AA, MfAA, M 50, ZR 928/14, Vorschläge für das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit der Beseitigung der Abwässer der Kaliindustrie, Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Mittag, beschlossen am 21. 6. 1977. Siehe auch Eckert, West Germany, S. 139. Das Ministerium für Wissenschaft und Technik (MfWT) sollte gegenwärtige Möglichkeiten für eine Vergleichsmäßigung bzw. Verminderung der Salzbelastung der Werra untersuchen. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 1–8, hier Bl. 3, hs. Zuarbeit des MfUW für die Arbeitsgruppe im ZK, Umweltschutz Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD, Sommer 1977. 46 Vgl. Mitteilung der Bundesregierung, S. 385 f.; Erklärung des Leiters der Stäv der Bundesrepublik Deutschland, Günter Gaus sowie Erklärung des Stellvertreters des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Michael Kohl, S. 393, und „Erklärungen zu Gewässerschutzfragen“, S. 392 f., in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 46, 30. 4. 1980.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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fentlichung eines solchen Kommuniqués war für die Bundesregierung auch innenpolitisch wichtig, um im anstehenden Wahlkampf gegenüber der neugegründeten Partei Die Grünen punkten zu können.47 Astrid Eckerts Behauptung, die Werraversalzung könne als pars pro toto für die gesamten Umweltverhandlungen der Bundesrepublik mit der DDR und demnach als quasi „gescheitert“ beziehungsweise als ungelöst sowie als „cash cow“ angesehen werden,48 wird vor dem folgenden Hintergrund zum Teil widersprochen: Die Werra-Gespräche bildeten im Gesamtvergleich der Gewässerverhandlungen eher eine Ausnahme. Zugegeben, die DDR ließ sich Lösungen für die Umweltprobleme von der Bundesrepublik bezahlen und in diesem Fall fiel der Zeitpunkt mit der Liquiditätskrise der DDR zusammen.49 Doch galt es bei jeglichen Kontakten mit dem Westen für die DDR, Finanzierungen zu sichern,50 das Thema Umwelt bildete hier keine Ausnahme. Es stellte zudem für das MfUW zunächst erst einmal einen Lernprozess dar, der in diesem Kapitel über die Stufen Berliner Gewässer, Röden und Elbe ersichtlich wird. Das westdeutsche Verursacherprinzip scheint wiederum so einleuchtend, dass es kaum noch hinterfragt wird. Doch kann dieses Kostenzurechnungsprinzip wirklich zwischen zwei Staaten, insbesondere den beiden deutschen, angewandt werden? Welche deutschlandspezifischen Fragen werfen diese Umweltgespräche auf? Die verschiedenen Flussbeispiele werden zeigen, dass vor allem Bund und Länder, interne und externe Kommunikation in diesen Fragen stark an ihre Grenzen stießen. Ergebnisse kamen vor allem dann zustande, sobald sie (von der DDR) politisch gewollt waren. Die Vielzahl der Gewässerverhandlungen weisen ferner differierende Ergebnisse vom Scheitern über Stillstand und Leerlauf bis hin zum „Erfolg“ bei Röden und den Berliner Gewässern – je nach Perspektive – auf.
2.1 Die Werra — salziger als die Nordsee Die Werraversalzung entpuppte sich als eines der zähesten, mühsamsten und langwierigsten Themen, die zwischen der Bundesrepublik und der DDR verhandelt wurden. Im Jahr 1976 wurden in dem Fluss zwischen Thüringen und Hessen Rekordwerte von 40 000 Miligramm pro Liter Chlorid pro Tag gemessen. Damit war die Werra doppelt so salzhaltig wie die Nordsee.51 Zu berücksichtigen wäre jedoch auch, dass es gerade in jenem Jahr einen sehr heißen und trockenen Sommer gege-
47
Vgl. Vermerk des StS im MAH der DDR Schalck-Golodkowski über das Gespräch mit dem Leiter der StäV der Bundesrepublik Deutschland Gaus, Berlin (Ost), 8. 2. 1980, Dok. 107, in: DzD VI/6, S. 419. 48 Vgl. Eckert, Geteilt, S. 93. 49 Vgl. ebenda, S. 93–96. 50 Vgl. Sarotte, Dealing with the Devil, S. 78. 51 Vgl. o. V., „Im Koma“, in: Der Spiegel, Nr. 22, 31. 5. 1982, S. 48–50; Eckert, Geteilt, S. 83.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
ben hat.52 Er führte zu geringerem Pegelstand der Flüsse und demnach zu erhöhten Schadstoffkonzentrationen im Wasser. Trotzdem brannte die Werraversalzung der Bundesregierung sichtlich unter den Nägeln. Es war „nach sachlicher Bedeutung, finanziellem Umfang, Dringlichkeit und politischer Relevanz (Anfragen und Stellungnahmen von Politikern, Unzufriedenheit in der Bevölkerung) das bedeutendste Umweltproblem überhaupt im Verhältnis zur DDR“.53 An dem knapp 300 Kilometer langen innerdeutschen Grenzfluss, rechtem Zufluss der Weser, lagen sowohl hessische als auch thüringische Kaliproduktionsstätten, die ihre Abwässer teilweise oder komplett in den Fluss einleiteten. Sauerstoffmangel und zu hoher Salzgehalt bedrohten nicht nur Flora und Fauna, sondern auch das Trinkwasser in Hessen und Niedersachsen. „Fische mit hervorquellenden Eingeweiden oder freigelegtem Skelett“ waren in der Weser in den 1970er Jahren keine Seltenheit mehr.54 Bereits im Bundestagswahlkampf 1976 wurde dies thematisiert, nun aber, im anstehenden Wahlkampf 1980, befürchtete die Bundesregierung, dass der „Salzkanal“ zum „Kronindiz einer insgesamt mißratenen Deutschlandpolitik“ herauf beschworen werden könnte.55 Die Einleitung der salzhaltigen Lauge aus der Kaliindustrie in die Werra, die mehrfach die innerdeutsche Grenze kreuzte, war vorerst legal. Sie entsprach einer Quotenregelung zwischen der Ost- und Westzone von 1947. Demnach erhielten die thüringischen Kaliwerke eine Quote zulässigen Chloridgehalts des Wassers bis zu 61,89 Prozent und die hessischen bis zu 38,11 Prozent. Ab 1968 war auf der westdeutschen Seite festzustellen, dass die DDR ihre Werte maßgeblich überschritt und die gesamte Kalilauge in den Fluss einleitete. Wie die Bundesrepublik hatte die DDR bis dato einen Teil der Chloridabwässer im Plattendolomit versenkt. Doch bereits in den 1950er und 1960er Jahren stellten Experten eine zunehmende Versalzung des Trinkwassers sowie die Verödung von Landwirtschaftsflächen fest und urteilten, dass die entstehenden Schäden aus der Versenkung in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen stünden.56 Darüber hinaus durften die volks52
Vgl. Beate Wild, Der Hitzesommer und die weißen Anzüge, in: SZ, 19. 5. 2010, in URL: https://www.sueddeutsche.de/panorama/sommerloch-der-hitzesommer-und-die-weissen-anz uege-1.921130 [15. 5. 2022]. 53 PA AA, B 38 (ZA), Bd. 115047, Sondierungskonzept des BMI, 5. 4. 1977. Vgl. auch die kleine Anfrage der Opposition im Deutschen Bundestag, Drucksache 8/3051, 10. 7. 1979, und Antwort der Bundesregierung, Drucksache 8/3080, 30. 7. 1979; PA AA, B 38 (ZA), Bd. 132528, Sachstand über die Werraversalzung, Referat 414 (AA), 12. 9. 1980. 54 Vgl. o. V., „Im Koma“, in: Der Spiegel, Nr. 22, 31. 5. 1982, S. 48–50; Eckert, Geteilt, S. 83. 55 Günter Müchler, Dreck von Osten. Zahlt Bonn für die Sünden der DDR?, in: Deutsche Zeitung Christ und Welt, 24. 8. 1979, S. 4. Siehe auch o. V., „Auf den Weg“, in: Der Spiegel, Nr. 37, 10. 9. 1979, S. 30 f. Vgl. zum innenpolitischen Druck in der Bundesrepublik: Sondierungsgespräch des Staatsministers beim Bundeskanzler, Wischnewski, mit dem Leiter der StäV der DDR Kohl, Bonn, 12. 8. 1977, Dok. 73, S. 256; und den Ergänzungsbericht des Leiters der StäV der DDR, Kohl, über das Sondierungsgespräch mit Wischnewski, Bonn, 5. 10. 1977, Dok. 91, S. 374, beide in: DzD VI/5; Vermerk des StS im MAH der DDR Schalck-Golodkowski über das Gespräch mit dem Leiter der StäV der Bundesrepublik Deutschland Gaus, Berlin (Ost), 11. 1. 1980, Dok. 93, in: DzD VI/6, S. 363. 56 Vgl. Würth, Umweltschutz, S. 257, 260; Eckert, Geteilt, S. 88. Siehe auch Matthias Bartsch/ Michael Fröhlingsdorf, Alarm am Monte Kali, in: Der Spiegel, Nr. 35, 24. 8. 2009, S. 42–44.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
129
eigenen Betriebe die Hohlräume im Kaliabbaugebiet gar nicht zur „Verpressung“ 57 nutzen, da sie ansonsten die Bergbausicherheit gefährdeten.58 Es mussten also andere Lösungen her, wie beispielsweise die Schaffung von Speicherräumen für eine Verdünnung beziehungsweise „Vergleichmäßigung“ des Salzwassers oder eine Pipeline zur Nordsee mit der Bundesrepublik.59 Am 12. Oktober 1979 gab Honecker sein Einverständnis für Verhandlungen über das sogenannte „Werra-Paket“ mit Gebietsaustausch, Versalzung, Versenkund Sprengregime.60 Für die den Expertengesprächen vorgelagerten Sondierungen, die nicht nur Umweltbelange umfassten, sondern auch einen der sensibelsten Wirtschaftsbereiche der DDR, schickte er nicht den Umweltminister. Abgemessen wurde der Rahmen der Gespräche zwischen Günter Gaus und Alexander SchalckGolodkowski, kurz Schalck, Honeckers „Devisenbeschaffer“ aus dem Außenhandelsministerium (MAH). Seit 1977 war er Chef der Abteilung „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo), die außerhalb des Staatsplans Devisen erwirtschaftete. Bei ihrem Treffen im Dezember 1979 einigten sich beide Männer auf ein umwelt(wirtschafts)freundliches „Minimalprogramm“; nach Schalck „eine Lösung, welche ‚die Lage stabilisiert, also nicht weiter verschlechtert‘.“ 61 Das Projekt einer gemeinsamen Pipeline zur Nordsee legten beide als erstes ad acta, obwohl es in Gutachten und Berichten für die Bundesregierung als die ökologisch sinnvollste Maßnahme beschrieben wurde.62 Es war schlicht zu teuer. Die Summe – 700 Mio. bis zu über 1 Mrd. DM – wollten und konnten sowohl die DDR als auch die Bundesregierung nicht aufbringen.63 Weiterhin versuchte die DDR auch hier, die vier Punkte mit einem Staatsvertrag abzuschließen, der ihre völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesrepublik impliziert hätte64 – jedoch erfolglos. 57
Die DDR-Quellen sprechen von „verpressen“, während in der Bundesrepublik das schwächere Wort „versenken“ benutzt wurde. Heute werden beide Begriffe für die Beschreibung dieses Vorgangs verwendet. 58 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Umweltschutz-Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD, Zuarbeit des MfUW für die Arbeitsgruppe beim ZK der SED, Sommer 1977. 59 Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 928/14, Vorschläge für das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit der Beseitigung der Abwässer der Kaliindustrie, Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Mittag, beschlossen am 21. 6. 1977. Siehe auch eine Kostenauflistung aller möglichen technischen Lösungen in: Vermerk von Weichert, BMIB, Bonn, 26. 7. 1979, Dok. 37, in: DzD VI/6, S. 152. Die AG Wintershall (später K + S) erörterte den Pipeline-Bau zur Nordsee bereits seit 1966. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 1498, Forderungen und Verbindlichkeiten der DDR aus der Instandhaltung und dem Ausbau sowie Probleme aus der Abwasserbelastung der Grenzwasserläufe, Arbeitsgruppe II, 10. 3. 1971. 60 Vgl. Drahtbericht Nr. 903, Gaus, Ost-Berlin, an Bundeskanzler Schmidt, 12. 10. 1979, Dok. 229, in: AAPD 1979, II, S. 1442 f. 61 Drahtbericht Nr. 791, Gaus, Ost-Berlin, 10. 9. 1979, in: Anm. 10, Dok. 229, in: AAPD 1979, II, S. 1443; PA AA, B 150, Bd. 434, Teil 4, Bl. 9819, Drahtbericht Nr. 1085, Gaus, Ost-Berlin, 7. 12. 1979. Siehe auch Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 21, 25; Steiner, Plan zu Plan, S. 182 f.; Eckert, Geteilt, S. 90, 93. 62 Vgl. BArch, B 288, Bd. 376, Teil 1, Bericht „Belastung von Werra und Weser mit Abwässern der Kaliindustrie“, im Rundschreiben des BMI, U II 3, vom 29. 6. 1977. 63 Vgl. PA AA, B 150, Bd. 434/4, Bl. 9819, Drahtbericht Nr. 1085, Gaus, Ost-Berlin, 7. 12. 1979; Eckert, Geteilt, S. 90. 64 Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, Protokoll der 2. Verhandlungsrunde vom 22./23. 10. 1980, und den Kurzbericht über die 4. Verhandlungsrunde über Kalibergbau und Werraversalzung
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Nach der Erklärung vom April 1980 und den ersten Sondierungen verhandelten nun der Staatswissenschaftler aus dem MfAA Volkmar Fenzlein und der politische Beamte aus dem BMIB Hannsjürgen Schierbaum miteinander. Beide kannten sich bereits, da sie Leiter ihrer jeweiligen Delegation in der Grenzkommission waren. Das Auswärtige Amt hatte Fenzlein schon 1973 als „Politruk“ identifiziert, also als jemanden, der dafür zuständig war, die Parteilinie durchzusetzen.65 1981 wechselte Schierbaum in die Berliner Senatskanzlei und wurde deshalb vom Juristen Michael von Berg als Delegationsleiter abgelöst. Da der Bund beim Gewässerschutz nur die Rahmenkompetenz besaß, nahmen entsprechend der „Kramer-Heubl-Absprache“ auch Ländervertreter Hessens und Niedersachsens an der Delegation der Bundesrepublik teil, wodurch sie ihr konkretes Experten- und lokales Fachwissen einbringen konnten.66 Das Besondere an diesen Verhandlungen war ab einem bestimmten Zeitpunkt auch die Einbeziehung von Mitarbeitern der Kali und Salz AG (K + S) und des VEB Kali Werra – Merkers in die gesamten Expertengespräche (vgl. Tab. 1). Das unterstreicht den wirtschaftlichen Ausnahme-Charakter der Gespräche, da keine andere grenzüberschreitende Umweltverschmutzung einen so immanent wichtigen Wirtschaftsfaktor für beide Seiten berührte. Die Kali-Betriebe der DDR und K + S waren als Hersteller des „weißen Goldes“, eines Düngemittels, die größten Konkurrenten auf dem Weltmarkt.67 In etwa 27 Expertengesprächen bis 1986 tauschten sich die Unterhändler insbesondere über die beiden Punkte Versenkpraxis und Werraversalzung aus dem Gesamtpaket mit Sprengregime und Gebietsaustausch aus.68 Dreißig Seiten Protokolle pro Sitzung waren keine Seltenheit, was an die Grenze der Belastbarkeit der Schreibkräfte ging.69 Zunächst sollten Grundlagen erarbeitet werden, um eine ge-
am 4. 2. 1981 in Bonn, von Berg, Drahtbericht Nr. 24, BMIB an AA, 6. 2. 1981. Siehe zum Staatsvertrag: Ebenda, Protokoll über die 5. Verhandlungsrunde über Kalibergbau und Werraversalzung am 26./27. 3. 1981 in Ost-Berlin, von Berg, und das Protokoll über die 7. Verhandlungsrunde dazu vom 29./30. 9. 1981 in Ost-Berlin, von Berg, Drahtbericht Nr. 198, BMIB an AA, 1. 10. 1981. DDR-Seite: SAPMO-BArch, DY 3023/1434, Bl. 248, Schreiben Mittags an Reichelt, 8. 5. 1980. Siehe auch Loth, Helsinki, S. 188. Zur umweltrechtlichen Schwierigkeit der Zeit vgl. Dicke, Umweltverschmutzung, S. 109, 111, 114. 65 Vgl. BArch, B 106, Bd. 57385, Umweltverhandlungen mit der DDR, hier: Bericht über die 1. Sitzung der Delegation am 29. November 1973 in Bonn, Afz. von Daldrup, U A I 7, BMI. 66 Vgl. zur „Kramer-Heubl-Absprache“ vom Juli 1968: Tischendorf, Theorie und Wirklichkeit, S. 18 f. Das Lindauer Abkommen vom 14. 11. 1957 hingegen regelt die Bund-Länder-Kompetenzen beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge; siehe auch Füßlein, Grenzkommission, S. 40, 82. 67 Vgl. Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 827 f.; Ernst Martin, In guter Papierform, in: Die Zeit, 19. 6. 1987, S. 23. 68 Die Verhandlungen zur Werraversalzung erfuhren ab 1982 eine Pause, während die Gespräche zum Sprengregime und Gebietsaustausch fortgesetzt wurden. Als die Gespräche 1984 erneut aufgenommen wurden, begann auch die Zählung für diese zweite Verhandlungsrunde (II) erneut. Nach der 17. Verhandlung (II) der Experten 1986 verlagerte sich das Gespräch auf andere Ebenen, wie beispielsweise die der Unternehmen K+S und VEB Kalibetrieb Werra. 69 Vgl. BArch, B 137, Bd. 11808, Protokollführer an Michael von Berg bzgl. des Protokolls zur 4. Verhandlungsrunde zum Werra-Komplex am 4./5. 2. 1981 in Bonn-Bad Godesberg, 13. 2. 1981.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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meinsame Ausgangsbasis zu schaffen. Diesem Informationsaustausch begegnete die DDR aber aus Sorge vor Veröffentlichung von Daten, kritischer Berichterstattung in den Medien und daraus folgender Verwendung in Form von Schadensersatzforderungen gegen sie zurückhaltend.70 Im Folgenden werden die Verhandlungspositionen der DDR und Bundesrepublik aus den Gesprächen analysiert, daraufhin die technischen Lösungen gegeneinander abgewogen und abschließend die verschiedenen Strategien bewertet. Die Verhandlungsposition der DDR
Die DDR brauchte eine Gegenposition für die offensichtlich von ihr verursachte Werraversalzung. Dazu spielte der SED der Einsturz der Grube „Marx-Engels“ im Kalibetrieb „Werra“ in die Hände. Am 23. Juni 1975 um 13.17 Uhr stürzte im Kreis Bad Salzungen, Bezirk Suhl, nach bergbaulichen Sprengungen ein Teil der Grube ein. Von den möglichen Ursachen – einem normalen tektonischen Erdbeben, einem Gas-Salz-Ausbruch oder einer falschen Abbau-Führung – setzte sich bei den Verantwortlichen in der DDR sehr schnell die Theorie vom „man-made-earthquake“ durch. Das heißt, das Erdbeben sei „seismisch-induziert“, also von Menschen gemacht.71 Ein solches entsteht unter anderem durch das Pressen von Wasser mit sehr hohem Druck in Erdzwischenräume, wie den Plattendolomiten. Anders als die DDR praktizierte die bundesdeutsche K + S die Verpressung der Salzlauge, dem Abfallprodukt der Kaliherstellung, noch immer. Laut Angaben der DDR führte dies im Grenzgebiet zu einem Seitendurchbruch unter Tage. Bereits im Februar registrierten Ingenieure Salzlauge in einem ihrer Schächte und erhöhte Salzwerte im Trinkwasser von Unterbreizbach.72 Gegenüber seinem westdeutschen Kollegen vertrat Michael Kohl, der Ständige Vertreter der DDR, daher 1976 die Auffassung: „Es handle sich um ein typisches Umweltproblem, das die DDR auf Regierungsebene lösen möchte.“ 73 Zuerst ging die DDR also in die Offensive und forderte Expertengespräche ein, um von der Bundesrepublik, wie nach dem Verursacherprinzip, Schadensersatzforderungen für den Verlust von Technik und den Produktionsausfall in Höhe von 70
Vgl. BArch, B 137, Bd. 11807, Protokoll der 2. Verhandlungsrunde über Kalibergbau und Werraversalzung, Bonn/Bad Godesberg, 22./23. 10. 1980, Schierbaum; BArch, B 137, Bd. 11808, Protokoll der 4. Verhandlungsrunde (I) am 4./5. 2. 1981 in Bonn Bad-Godesberg, 13. 2. 1981. 71 Vgl. PA AA, MfAA C 1720 Bl. 1 f., 5, 8, „Zusammenfassendes Gutachten über das Ereignis vom 23. 6. 1975 im Kreis Bad Salzungen“, Heinz Stiller (Leiter der Abteilung für kosmische Physik, Akademie der Wissenschaften der DDR), Hans Höfer (Akademie der Wissenschaften), Werner Gimm (Bergakademie Freiberg) u. a., Leipzig, 27. 1. 1976. Auf der Mercalli-Skala, die nach subjektivem Empfinden misst, erreichte es eine Stärke von sieben bis acht. Vgl. o. V., „Positiver Ansatz“, in: Der Spiegel, Nr. 11, 11. 3. 1985, S. 77. Siehe zu „Induced Seismicity“, wozu auch das vieldiskutierte „Fracking“ gehört: Davies u. a., Induced seismicity, S. 173 f. 72 Vgl. Eckert, West Germany, S. 138. 73 PA AA, B 38 (ZA), Bd. 115047, Protokoll des KSZE-Gesprächs zwischen Michael Kohl (Ständiger Vertreter der DDR in Bonn) und Günther van Well (Leiter der Politischen Abteilung im AA), 27. 10. 1976.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
84 Mio. Mark voranzutreiben.74 Dahinter stand die Vorstellung des MfS, der BND sei in diesem Fall auf die DDR angesetzt, um sie mit Hilfe von Schadensersatzforderungen wirtschaftlich zu zermürben.75 Intern versuchte die Staatssicherheit daher alle Daten, die mit dem Ereignis in Zusammenhang standen, zu erfassen, um sie der Geheimhaltung zuzuführen. Das als „Problem Seismo“ kommunizierte Erdbeben sollte möglichst auch vor Wissenschaftlern abgeschirmt werden. Ursachen seien gegenüber der Presse „entsprechend den Erfordernissen zu legendieren“.76 Für die Beamten im Bundeswirtschaftsministerium, denen am 21. Dezember 1976 DDR-Delegierte das Gutachten „Ereignis vom 23. 6. 1975 im Kreis Bad Salzungen“ übergaben, stellte das Erdbeben jedoch „kein Umweltproblem“ dar.77 Aus ihrer Sicht handelte es sich bei diesen Treffen auch nicht bereits um Expertengespräche, welche auch nicht „institutionalisiert“ werden sollten. Trotzdem kam es in weiteren sieben Gesprächen zu einem geologischen Schlagabtausch darüber, wer auf dem Gebiet des Abbaus von Carnallitit mehr „Betriebserfahrung“ habe.78 Auf Wunsch der DDR sollten keine Informationen über diese Gespräche an die Öffentlichkeit gelangen.79 Um den Druck auf die Bundesregierung jedoch zu erhöhen, startete die DDR eine „gezielte Publikationstätigkeit“ zum Thema „induzierte Seismizität“, ohne auf das „Ereignis“ direkt Bezug zu nehmen.80 74
Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 115047, Koordinierungsgespräch auf StS-Ebene im kleinen Kreis (BMI, BMIB, AA), 22. 4. 1977; PA AA, MfAA C 1720, Bl. 17, Brief von Rommel (Betriebsdirektor des VE Kalibetrieb „Werra“) an die Oberste Bergbaubehörde beim Ministerrat der DDR, 17. 2. 1976. 75 Vgl. BArch, MfS, ZAGG, N. 292, Bearbeitungskonzeption ‚Seismo‘, Kreisdienststelle Jena, Referat XVIII, 13. 2. 1976, Bl. 59–65, hier Bl. 59; und Angriffsrichtungen und Informationsbeziehungen zum Problem ‚Seismo‘, Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz AG I, 12. 2. 1976, Bl. 52–57. 76 BArch, MfS, ZAGG, Nr. 292, Bl. 11–18, hier Bl. 18, Bericht über die Aussprache mit dem Leiter des ‚Zentralinstituts für Physik der Erde‘ der Akademie der Wissenschaften der DDR, Genosse Professor Heinz Stiller, Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz, AG I, 18. 12. 1975. 77 Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 115047, Sondierungskonzept des BMI, 5. 4. 1977. 78 Vgl. PA AA, MfAA C 1721, Bl. 120 f., Standpunkt zum Gutachten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 22. Juni 1977, o. V., Leipzig, 22. 7. 1977. Siehe auch Sondierungsgespräch des Staatsministers beim Bundeskanzler, Wischnewski, mit dem Leiter der Ständigen Vertretung der DDR, Kohl, Bonn, 12. 8. 1977, Dok. 73, in: DzD, VI/5, S. 265. 79 Vgl. PA AA, MfAA C 1719, Bl. 2, 4 f., Bericht über das 1. Gespräch der Expertendelegation der DDR mit Vertretern der BRD zu den Problemen, die sich für die DDR durch das von BRD-Kaliwerken in der Nähe der Staatsgrenze der DDR vorgenommene Einpressen von Kaliabwässern ergeben, Karl Heinz Höfer, Bonn, 21. 12. 1976. 80 Vgl. PA AA, MfAA C 1718, Bl. 53–57, Konzeption für eine Publikationstätigkeit und eine internationale Forschungskooperation zur induzierten Seismizität im Zusammenhang mit dem seismischen Ereignis vom 23. 6. 1975 im Kreis Bad Salzungen (Anhang), Schreiben Hilmar Trögers (Leiter der Obersten Bergbbaubehörde) an Oskar Fischer (MfAA), 1. 6. 1977; und PA AA, MfAA C 1775, Bl. 4, 7, bestätigter Beschlussentwurf zum „Vorgehen gegenüber der BRD bei den weiteren Verhandlungen zur Einstellung der Kaliabwässerverpressung durch BRD-Kalibetriebe“, Vorlage für die Arbeitsgruppe des Politbüros im ZK der SED, erarbeitet von Fischer (MfAA), Tröger (Oberste Bergbaubehörde), Kurt Singhuber (Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali), o. D.; und PA AA, MfAA C 1719, Bl. 185, Ergänzungsbericht über die 7. Verhandlungsrunde zu Problemen der Kaliabwässerverpressung, Höfer, Erfurt, 11./12. 4. 1978.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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In ihrem Gegengutachten zog die bundesdeutsche Seite den Schluss, dass zwischen dem Deckeneinsturz in der DDR und der Versenkungspraxis in der Bundesrepublik „kein kausaler Zusammenhang“ bestehe. Es sei „zweifelsfrei erwiesen“, dass eine „unzureichende Pfeilerdimensionierung und fehlerhafte Abbauführung“ seitens der DDR den Schaden verursacht und es sich deshalb um einen „Gebirgsschlag“ gehandelt habe.81 Nach heutigen Erkenntnissen aus den MfS-Akten scheint dies sogar wahrscheinlich zu sein: So sei die „Standsicherheit […] aufgrund von Unterdimensionierung der Pfeiler gefährdet“ und in der Grube „Marx-Engels“ seien von 821 Pfeilern 65 Prozent „unterdimensioniert“ gewesen.82 Etwa einen Monat nach dem Grubenunglück in der DDR kam es am 24. Juli 1975 in der Gemeinde Ronnenberg bei Hannover zu einem Erdeinbruch auf einem Gebiet von 25 Quadratkilometern. Vermutet wurde, dass Laugeneinbrüche unter dem Kali-Schacht „Albert“ der Kali-Chemie AG Ende Juni eine Kettenreaktion in Gang gesetzt hatte. Die Firma versuchte mit drei Notbohrungen, das Grundwasser gleichmäßig zu verteilen, wodurch wiederum Hohlräume entstanden, die wahrscheinlich zum Einbruch führten.83 Auch wenn beide Fälle, Erdrutsch und -beben, in keinem direkten Zusammenhang miteinander stehen, zeigt dieser Fall, dass auch im Westen, die Wirtschaftszweige schützend, auf keinen Fall zugegeben werden konnte, dass Laugeneinbrüche zu tektonischen Bewegungen oder anderen Umweltproblemen führen können. Hätte sie der DDR in diesem Punkt Recht gegeben, wäre das auch ein Signal nach innen gewesen. So wurde für die Betroffenen in Ronnenberg nur ein Hilfsfonds aus verschiedenen Töpfen – kommunal, Bund, Kali-Chemie AG – eingerichtet, aber der Verursacher des als „Natur“-Katastrophe deklarierten Unglücks nie ermittelt. Obwohl die Gespräche über das Grubenunglück „Marx-Engels“ ins Leere führten, sah sich die DDR als symbolische Gewinnerin in dieser Auseinandersetzung.84 So schätzte das Auswärtige Amt richtig ein, dass es sich bei der Verknüpfung von Beben in der DDR und Versenkungspraxis der Kalilauge durch K + S um
81
Alle Zitate in: PA AA, MfAA C 1721, Bl. 6, „Gutachten der Bundesrepublik Deutschland zum Gebirgsschlag vom 23. Juni 1975 in der Grube ‚Marx-Engels‘ des VEB Kombinats Kali in der DDR“, Prof. Dr. Langer (Berghauptmann Einecke) u. a., Bonn, 22. 6. 1977. 82 Information Nr. 353/76 über die Gefährdung der Bergbausicherheit im VE Kalibetrieb „Werra“, Bezirk Suhl, 7. 5. 1976, in: DDR im Blick der Stasi 1976, in URL: https://www.ddr-imblick.de/jahrgaenge/jahrgang-1976/report/sicherheit-im-ve-kalibetrieb-werra-bezirk-suhl/ [16. 5. 2022]. 83 Vgl. Joachim Holtz, „Wir sind wahrscheinlich zu klein“, in: Die Zeit, 8. 8. 1975, in URL: https://www.zeit.de/1975/33/wir-sind-wahrscheinlich-zu-klein [16. 5. 2022]; Herbert Pitzer, „Erdrutsch mit geologischen Rätseln. Zusammenhänge zwischen Naturereignis in Hannover und hessischem Erdbeben gesucht“, in: Tagesspiegel, 9. 8. 1975, S. 2. Siehe auch BArch, MfS, ZAGG, N. 292, Bl. 52–57, hier Bl. 52 f., Angriffsrichtungen und Informationsbeziehungen zum Problem ‚Seismo‘, Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz AG I, 12. 2. 1976. 84 Vgl. PA AA, MfAA C 1775, S. 31–33, Analyse der bisherigen Verhandlungen mit der BRD über die Einstellung der durch die Kaliwerke der BRD in der Nähe der Staatsgrenze erfolgenden Einpressung von Kaliabwässern in das Deckgebirge der Werra-Kaligruben der DDR, 20. 4. 1978 (Anlage), Tröger an Nier, Leipzig, 26. 4. 1978.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
den Aufbau einer ostdeutschen „Gegenposition“ zur beanstandeten Werraversalzung durch die Bundesregierung handelte.85 Tatsächlich findet sich in einer Vorlage von 1977 für Günter Mittag der Vorschlag, Verpressung und Einleitung in den Fluss so miteinander zu verknüpfen, dass sich für die Bundesrepublik keine Notwendigkeit für Verhandlungen zur Werraversalzung ergebe.86 Mit der Nichtanerkennung der Gespräche um Schadensersatz zum Grubenunglück durch die Bundesrepublik war die DDR somit ihrem Ziel vermeintlich einen Schritt näher. Dass die versenkte Salzlauge jedoch unterirdisch in den Bezirk Suhl fließe und dort das Trinkwasser verseuche, berichtete bereits 1973 die „Frankfurter Rundschau“ (FR).87 Seit den Gesprächen zum Gebirgsschlag 1975 verneinte die bundesdeutsche Seite aber jegliche mit der Verpressung in Zusammenhang stehenden Folgen für die DDR-Seite. Die ab 1980 aufgenommenen Expertengespräche wurden deshalb unter der Bedingung begonnen, dass das Erdbeben von 1975 ausgeklammert, und damit ein etwaiger Zusammenhang zwischen Verpressung und einer dadurch möglichen Auswirkung auf das Territorium der DDR nicht angesprochen wird. Ging die DDR-Seite auf den Gebirgsschlag ein, wollten Schierbaum und von Berg darauf nicht antworten und blockten zunächst ab, egal wie polemisch Fenzlein darauf reagierte: „… wenn auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland derart argumentiert werde, solle man ihm erst einmal nachweisen, daß das Salz in der Werra aus der DDR komme.“ 88 Dennoch ging die Bundesregierung letztlich doch auf die Erörterung ihres Versenkregimes ein, machte dieses Zugeständnis ihrerseits aber wieder von einer zufriedenstellenden Lösung bezüglich der Salzeinleitung in die Werra abhängig. Die Überlegung des hessischen Ministerpräsidenten, ab 1986 keine weitere Versenkung zuzulassen, begünstigte zunächst die westdeutsche Verhandlungsposition,89 auch wenn sich die Hessen letztlich nicht an sie hielten. Einer der Direktoren der
85
Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 115047, Umweltschutzfragen im Verhältnis zur DDR, 17. 1. 1977, Ausarbeitung des Referats 210 (AA), o. V., an BMI, BMIB, StäV in Ost-Berlin, Bundeskanzleramt, Senat, Durchschlag. 86 Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 928/14, Vorschläge für das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit der Beseitigung der Abwässer der Kaliindustrie, Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Mittag, beschlossen am 21. 6. 1977. 87 Vgl. Würth, Umweltschutz, S. 261; PA AA, B 38, ZA, Bd. 109272, Gespräch des BM Bahr mit StS Kohl, 23. 10. 1973. Siehe dazu auch Eckert, West Germany, S. 138. 88 BArch, B 137, Bd. 11808, Protokoll der 4. Verhandlungsrunde (I) am 4./5. 2. 1981 in Bonn Bad-Godesberg, 13. 2. 1981. Vgl. dazu u. a. auch PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, Protokoll über die erste Runde der Expertengespräche mit der DDR über Fragen der Werraversalzung und des grenzüberschreitenden Kalibergbaus, Gespräch zwischen Kohl und Gaus am 19. 9. 1980 in Ost-Berlin, Hennenhöfer, 22. 9. 1980. 89 Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 132528, Kurzbericht über die 4. Verhandlungsrunde zu Kalibergbau und Werraversalzung am 4. 2. 1981 in Bonn, Drahtbericht Nr. 24, BMI an AA, 6. 2. 1981; SAPMO-BArch, DY 3023/1436, Bl. 33, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD über die Reduzierung der Salzbelastung der Werra (Anlage), Schreiben Singhubers an Mittag, 10. 4. 1985. Vgl. zum Vorhaben der hessischen Landesregierung: PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116544, Vermerk über die Besprechung auf Ministerialdirektorenebene (Bundeskanzleramt, BMI, AA, BMIB, Senat für Bundesangelegenheiten) im BMIB 13. 11. 1979.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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K + S AG, der bei den Expertengesprächen ebenfalls zugegen war, machte seinen Regierungsvertretern klar, dass gegenüber der DDR in diesem Fall keine zeitlichen Zusagen gegeben werden sollten.90 Unter dem Deckmantel der Verhandlungen mit der DDR versuchte K + S zudem die eher schwer zu erhaltende Versenkerlaubnis gegenüber der hessischen Landesregierung zu verstetigen. Die Versenkpraxis war billig und verursachte für die Firma im Vergleich zu anderen Methoden bis zu fünfmal weniger Betriebskosten.91 Nach der Darstellung eines K + S-Mitarbeiters über Bohrungen für weitere Verpressungen direkt an der Grenze entrüstete sich Fenzlein, dass dies eine „langfristige Inanspruchnahme von Gebiet der DDR zur Entlagerung [sic!] von Kaliendlaugen“ bedeute. Daraufhin beschwichtigte von Berg, er gehe davon aus, „daß sich die Laugen nur im ‚Transit‘ in Richtung Eiterfelder Mulde bewegten“,92 das hieß, in südwestliche Richtung – diese Aussage zog er später wieder zurück.93 Eine Versenkung an anderer Stelle, weiter im Landesinneren der Bundesrepublik, sei nach Angabe der bundesdeutschen Delegation nicht möglich. Die geringste Entfernung zur DDR-Grenze betrug 135 Meter.94 Als sich wiederum die DDR-Seite erkundigte, ob es nicht möglich sei, ihre Salzlauge, im hessischen Kaligebiet zu versenken, käme dies zum einen „aus Gründen des Trinkwasserschutzes und wegen der Belange des Kurortes Bad Hersfeld nicht in Betracht“,95 zum anderen seien die Versenkräume für K + S vorgesehen.96 Die Verhandlungen sind also neben ihrer Komplexität dazu noch gespickt von Widersprüchen. Gegenüber der Delegation aus der Bundesrepublik blieb Fenzlein dabei, „wenn der ‚Topf ‘ voll sei […], müsse man annehmen, daß sie [die Abwässer] natürliche Wege suchten“.97
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 11810, Protokollteil der internen Sitzung der Delegation der Bundesrepublik Deutschland, in: Protokoll über die zehnte Runde der Expertengespräche mit der DDR über Fragen der Werraversalzung und des grenzüberschreitenden Kalibergbaus, 24./25. 3. 1982 in Wiesbaden. 91 Vgl. o. V., Geist von gestern, in: Der Spiegel, Nr. 16, 17. 4. 1989, S. 82–88, hier S. 88; BArch, B 137, Bd. 11825, Brief von Schroth (K + S) an von Berg (BMIB) 22. 2. 1983. 92 BArch, B 137, Bd. 11808, Protokoll über die 8. Runde der Expertengespräche (I) mit der DDR betreffend Gewässerschutz und grenzüberschreitenden Kalibergbau, 8./9. 12. 1981 in Hannover. Vgl. auch die Karte mit den Versenkorten in: o. V., Geist von gestern, in: Der Spiegel, Nr. 16, 17. 4. 1989, S. 82–88, hier S. 86. 93 Vgl. PA/AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Protokoll zur 6. Verhandlungsrunde (II) über Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung und Versenkung am 20. 6. 1985 im BMI, Afz. vom 27. 6. 1985. 94 Vgl. Einleitung von Maßnahmen zur Reduzierung der Versenktätigkeit von Kali-Endlaugen im unmittelbaren Grenzgebiet (intern), 17./18. 12. 1980, in: BArch, B 137, Bd. 11807. 95 BArch, B 137, Bd. 11814, Protokoll der 7. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 29. 8. 1985 im MfAA. 96 Vgl. ebenda, Protokoll der 6. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 20. 6. 1985 im BMI. 97 BArch, B 137, Bd. 11808, Protokoll über die 6. Runde der Expertengespräche (I) mit der DDR betreffend Gewässerschutz und grenzüberschreitenden Kalibergbau am 10./11. 6. 1981, Laborschiff ‚Argus‘, Bonn-Mainz.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Die Verhandlungsposition der Bundesrepublik
„Die BRD-Regierung strebt keine Entsalzung der Werra an. Solche Forderungen kämen im wesentlichen von den Bundesländern.“ 98 Dies äußerte Schierbaum im Vertrauen gegenüber seinem DDR-Kollegen Fenzlein zu Beginn der Gespräche. Dennoch sollte sich die Werraversalzung nicht weiter erhöhen. Die Auseinandersetzungen blieben hitzig, insbesondere als es um die Maßnahmen ging, die Salzlast in der Werra zu reduzieren. Technische Verfahren, die ab 1982 in die engere Auswahl gerieten, waren vor allem die Flotation (Trennung der Salze durch Lauge) und der Pufferspeicher.99 Andere Maßnahmen wie beispielsweise die elektrostatische Trennung (ESTA) oder die Talsperre wurden zunächst wegen des ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses ausgeschlossen. Fenzlein erschienen die Lösungsmöglichkeiten des Westens Mitte 1981 „kostenungünstiger“ als diejenigen der DDR. Das heißt, er bevorzugte das bereits in seinem Land angewandte Flotationsverfahren, die Laugenstapelung und den Pufferspeicher – Verfahren, die die DDR selbst verwirklichen konnte.100 Eine Machbarkeitsstudie der Firma Uhde von 1981 empfahl für die DDR eindeutig das Flotationsverfahren. In der neunten Verhandlungsrunde 1982 einigten sich beide Seiten als Maximalkonzept auf drei Flotationsanlagen und einen Pufferspeicher für die DDR, die eine Gesamtreduzierung der Salzlast im Abwasser von etwa 65 Prozent ergäben. Die Minimallösung sah nur eine Flotationsanlage und einen Pufferspeicher vor.101 Darüber hinaus sprach von Berg in der fünften Expertenrunde erstmalig die brennende Finanzierungsfrage an. Indem er deutlich machte, dass es nicht seine Absicht sei, Reduzierungslösungen zu diskutieren, die dann von der DDR durchgeführt werden sollten, „könne der von Fenzlein angesprochene ökonomische Nutzen“ eine Brücke darstellen.102 Gerade im Kontext der Werraversalzung kamen interne Aufzeichnungen im BMI mehrmals an den Punkt, dass hier das Verursa98
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BArch, DL 226/1312, Bl. 11–13, hier Bl. 13, Vermerk über Äußerungen von Dr. Schierbaum, Leiter der BRD-Delegation in den Expertenverhandlungen zu den mit dem Kalibergbau zusammenhängenden Fragen, am 17. 12. 1980, gegenüber dem Leiter der DDR-Delegation, Genossen Dr. Fenzlein. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 722/14, Bericht über das 9. Gespräch (I) mit der BRD zu mit dem Kaliabbau im Werra-Gebiet zusammenhängenden Fragen am 18./19. 2. 1982 in OstBerlin, Fenzlein. Vgl. für die technischen Beratungen u. a. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116544, Vermerk über die Besprechung auf Ministerialdirektorenebene im BMIB, 13. 11. 1979. Vgl. die Protokolle in: BArch B 137, Bd. 11808, 6. Runde der Expertengespräche (I) mit der DDR betreffend Gewässerschutz und grenzüberschreitenden Kalibergbau, am 10./11. 6. 1981, Laborschiff „Argus“, Bonn-Mainz; und 7. Runde der Expertengespräche (I) mit der DDR betreffend Gewässerschutz und grenzüberschreitenden Kalibergbau, am 29./30. 9. 1981 im MfAA. Vgl. PA/AA, ZA, B 38, Bd. 132684, Vermerk zur Reduzierung der Werraversalzung und zum grenzüberschreitenden Kalibergbau, von Berg, Referat II 7, BMIB, 4. 3. 1982; PA AA, MfAA, M 50, ZR 722/14, Bericht über das 9. Gespräch (I) mit der BRD zu mit dem Kaliabbau im Werra-Gebiet zusammenhängenden Fragen am 18./19. 2. 1982 in Ost-Berlin, Fenzlein. BArch B 137, Bd. 11808, Protokoll über die 5. Runde der Expertengespräche (I) mit der DDR betreffend Gewässerschutz und grenzüberschreitenden Kalibergbau, am 26./27. 3. 1981 im MfAA, 9. 4. 1981.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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cherprinzip – obwohl öffentlich eingefordert – nicht eingehalten werden könne. Bereits 1975 sah der BMI-Entwurf einer Gewässervereinbarung „für wasserbauliche Maßnahmen von gemeinsamem Interesse Kostenteilung im Verhältnis des Nutzens vor“.103 Das Verursacherprinzip war dazu – wie auch die DDR nicht müde wurde zu betonen – völkerrechtlich nicht anerkannt. Zwar wurde es im Prinzip Nr. 21 der Stockholmer Konferenz von 1972 erwähnt, war jedoch nicht bindend. Zudem waren die staatssozialistischen Staaten nicht auf der Konferenz anwesend gewesen. Hinsichtlich des Verursacherprinzips stellte das Chloridabkommen zum Rhein von 1976 einen wichtigen Referenzpunkt für die Werra-Verhandlungen dar.104 Auch in den Umweltverhandlungen der Bundesrepublik mit Frankreich, der Schweiz und den Beneluxländern kam das Verursacherprinzip ebenfalls nicht zum Tragen. An den finanziellen Konsequenzen hatten „weder wir noch unsere Vertragspartner ein Interesse gehabt“, schätzte der Referent für deutschlandpolitische Fragen Peter Christian Germelmann (BMIB) ein. Würde die Bundesregierung nun im Verhältnis zur DDR auf das Verursacherprinzip pochen, verließe sie damit erstmalig ihre umweltpolitische Linie und setze sich in Widerspruch zu ihren eigenen Interessen. Außerdem sei dieses Prinzip dann nicht anwendbar, wenn, wie im Falle der Werra, eine asymmetrische Kosten-Nutzenverteilung vorliege: Allein die Bundesrepublik würde als Unteranlieger von Reinigungsmaßnahmen in der Werra wirtschaftlich profitieren, während die DDR allein mit den Kosten belastet würde.105 Wohlgemerkt, diese Einschätzung entstand vor dem Beginn der Gespräche, in denen letztlich auch die DDR genau diese Argumente anbrachte.106 Überdies wies Innenminister Gerhart Baum im Dezember 1979 in einer Kabinettssitzung darauf hin, dass Frankreich das Chloridabkommen vermutlich nicht ratifizieren werde, weshalb es sehr dringlich sei, mit der DDR eine Werra-Übereinkunft zu finden.107 Mit einer solchen hätte die Bundesrepublik wiederum ihren westlichen Nachbarn unter Druck setzen können. Frankreich machte es mit seinen elsässischen Kaliwerken jedoch den beiden deutschen Staaten gleich und hielt die schüt-
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BArch, B 288, Bd. 376, hs. Notiz von Irmgard von Rottenburg vom 23. 1. 1975, angeheftet an die Stellungnahme von Klaus Melsheimer zum Vermerk von Ref. UA I 6, BMI: „Umweltschutzverhandlungen mit der DDR“, 20. 1. 1975. Siehe für den Vergleich des Werra-Problems mit dem Rhein PA AA, MfAA, M 50, ZR 928/ 14, Gutachten zur Ableitung von Kaliabwässern der DDR in die Nordsee, Halle, 15. 11. 1977, Professor Gerhard Reintanz, Martin-Luther-Universität, Wissenschaftsbereich Völkerrecht. Vgl. alle Zitate in: BArch, B 136, Bd. 18841, Werra-Weser-Versalzung, Verursacherprinzip, Afz. von Germelmann, Leiter des Referats 221 (Beziehungen zur DDR), BKAmt, 31. 8. 1979. Siehe zum Rhein BArch, B 136, Bd. 18843, Bd. 11, Vermerk zum Chloridabkommen, Dr. Glatzel, Referat 331, 19. 11. 1981. Vgl. u. a. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 11–27, hier Bl. 18, 21, Dossier „Umweltbelastungen im Verhältnis zwischen DDR und BRD“, Durchschlag, o. V., o. D.; SAPMO-BArch, DY 3023/ 1442, Bl. 137 f., Vorschläge zum weiteren Vorgehen, Schreiben Mittags an Honecker, 25. 4. 1984. Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116544, Auszug aus dem Kurzprotokoll der 156. Kabinettssitzung am 5. 12. 1979 in Bonn.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
zende Hand darüber. Die französische Regierung ratifizierte das „Salzabkommen“ für den Rhein erst 1983.108 Nach den ersten zehn Verhandlungsrunden erbat sich die Bundesregierung zur Frage der Werraversalzung 1982 eine Pause, um sich mit den Weseranlieger-Ländern über die Finanzierungsfrage abzustimmen.109 Daran wird eines deutlich: Bund und Länder schoben sich in diesem Fall gegenseitig die Zuständigkeiten und demnach die Verantwortlichkeiten zu. Die Bundesländer waren der Auffassung, der Bund müsse „aus der gesamtdeutschen Verantwortung“ heraus die Kosten allein tragen, da die Werraversalzung aus der DDR käme. Die Bundesregierung wiederum sah sich ebenfalls nicht dazu verpflichtet, den gesamten Beitrag allein zu zahlen, da Gewässerschutz eine Angelegenheit der Länder sei.110 Erst Mitte 1984 kam es zu einer 50 : 50-Regelung, welche die vier Weser-Anliegerländer insgesamt mit 100 Mio. DM belastete. Besonders den Stadtstaat Bremen traf eine zweistellige Millionenzahl bei ihrem angespannten Haushalt und hoher Arbeitslosigkeit enorm. Die Senatorin für Umweltschutz Eva-Maria Lemke (SPD) forderte daher längere Zahlungsfristen und die besondere Berücksichtigung ihres Landes bei der Vergabe von Aufträgen an die DDR.111 Eine Bedingung für die Beteiligung an den Investitionskosten für Reduzierungsmaßnahmen der Salzlast in der DDR sollte daher die Abnahme von bundesdeutscher Technik sein.112 Die Finanzierungsbeteiligung wurde mit dem Pochen auf das Verursacherprinzip in der Außenkommunikation jedoch ungenau dargestellt. Es ging nie darum, dass die Bundesrepublik für alle Maßnahmen finanziell allein aufkommt. In den Gesprächen war immer die Rede von einer „Beteiligung an den Investitionskosten“, das heißt, auch die DDR hatte einen Eigenbeitrag zu leisten. Die DDR-Vertreter machten auf den Treffen jedoch deutlich, dass sie solche Investitionen, wie sie die Bundesrepublik in Bezug auf die Werraversalzung von ihr verlangte, nicht allein tätigen konnte. Das würde angesichts ihrer Leistungen im Verhältnis zu ihren
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Vgl. o. V., „Mein Bulldozer“, in: Der Spiegel, Nr. 26, 23. 6. 1986, S. 101 f. Vgl. Bernauer/ Moser, Internationale Bemühungen, S. 151–156. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1436, Bl. 33, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD über die Reduzierung der Salzbelastung der Werra, Konzeption für das weitere Vorgehen (Anlage), Schreiben Singhubers an Mittag, 10. 4. 1985. Siehe auch Berg, Umweltschutzabkommen, S. 125. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132684, Reduzierung der Werraversalzung, hier: Finanzierung, Afz. Referat II 7, 21. 10. 1982; und Grenzüberschreitender Kalibergbau/Werraversalzung, Afz. von Berg, 4. 3. 1982. Siehe auch Zimmermann abgeblitzt, in: Der Spiegel, Nr. 45, 7. 11. 1983, S. 14. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Schreiben der Senatorin für Umweltschutz der Freien Hansestadt Bremen, Eva-Maria Lemke, an den Bundesinnenminister, Friedrich Zimmermann, 18. 7. 1984. Siehe zur Bereiterklärung Niedersachsens und Hessens Ende 1983: PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Sachstand zur Reduzierung der Werraversalzung, Referat 210, AA, 28. 6. 1984. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Weisungsentwurf „Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung und zur Vergleichsmäßigung der Versenkung sowie Vereinbarungen über den grenzüberschreitenden Kaliabbau und zur Abstimmung von Sprengzeiten“, Referat II 7, von Berg, BMIB, 20. 6. 1984.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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sozialistischen Nachbarn als auch im Staatsinneren zu einem drastischen Ungleichgewicht führen. Fenzleins Delegation bestand deshalb für drei Flotationsanlagen und einen Pufferspeicher auf einer bundesdeutschen Beteiligung von etwa 920 Mio. Mark. Letztere ging aber von einer „realistischen Größenordnung von etwa 200 Mio. DM“ aus, da die DDR öfter Angaben machte, die „um ein Mehrfaches erhöht“ waren.113 Wegen „systembedingter Unterschiede“, ohne diese genauer zu benennen, sei daher für von Berg eine Kostenannäherung nicht zu erreichen.114 Er beurteilte das Aufblähen der Investitions- und Betriebskosten der Flotation dahingehend, dass die DDR „nicht ausreichend in kommerziellen Kategorien“ denke und urteile, wodurch diese Maßnahme „‚volkswirtschaftlich nicht vertretbar‘“ sei.115 Mit großer Fantasie und Vorsicht könnte hier vermutet werden, dass die DDR vielleicht den eigentlichen Umtauschkurs von etwa 1 (DM) : 4 (M) ansetzte, das heißt, sie erhöhte den von bundesdeutscher Seite errechneten Kostenfaktor entsprechend.116 Da es jedoch in den deutsch-deutschen Verhandlungen üblich war, im politischen Verrechnungskurs von 1:1 zu agieren, erschien der von der DDR verlangte Wert für die Bundesrepublik als überhöht.117 Es könnte durchaus Strategie gewesen sein, um die Verhandlungen für die Bundesrepublik so teuer zu gestalten, dass sie ihr Interesse daran verlor oder, sollte der Versuch aufgehen, die DDR sogar daran verdiente. Die Verhandlungspause zog sich jedoch nicht nur wegen der Bund-LänderStreitigkeiten und Kostenfrage fast zwei Jahre hin (1982–1984). 1983 intervenierte die Firma K + S beim Bundeswirtschaftsministerium gegen die Maximallösung von drei Flotationsanlagen mit bundesdeutscher Beteiligung: „Die DDR werde durch die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Mittel in die Lage versetzt, ihre Produktion sowohl qualitativ [Weltmarktstandard] als auch quantitativ erheblich zu verbessern und durch Niedrigpreise letztlich KS vom Markt zu verdrängen.“ 118 Mit nur einer einzigen Anlage würde die DDR einen substantiel-
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 11810, Besuch des Arbeitskreises der CDU-Fraktion des Niedersächsischen Landtages bei dem PStS Ottfried Hennig am 24. 11. 1982, Informationsstand über die Umweltverhandlungen mit der DDR, Afz. Referat II 7, von Berg, 22. 11. 1982. Es gebe zwischen den Investitionskosten der Bundesrepublik und der DDR einen „Umrechnungsfaktor“. In diesem Fall ging es um eine Gebühr für die Nutzung von DDR-Boden für eine Halde, welche die DDR miteinrechnete. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11808, Protokoll über das 8. Expertengespräch (I) mit der DDR betreffend Gewässerschutz und grenzüberschreitenden Kalibergbau am 8./9. 12. 1981 in Hannover. BArch, B. 137, Bd. 11814, Vermerk zum Stand der Verhandlungen mit der DDR über Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung nach der fünften Runde am 25./26. 4. 1985 in Berlin (Ost), von Berg, Referat II 7, BMIB, 3. 5. 1985. Vgl. Mau, Lütten Klein, S. 44. Einen Wechselkurs für die M der DDR (nichtkonvertierbare Währung) zu bestimmen wie er sich unter Marktverhältnissen entwickelt hätte, erscheint jedoch selbst im Nachhinein fast unmöglich: Steiner, DDR-Statistik, S. 16. Siehe z. B. für eine Flotationsanlage (50 Mio. DM) „200 Mio. Mark der DDR = DM“, BArch, B 137, Bd. 11816, Afz. aus dem BMIB vom 15. 11. 1986 über die Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung und Versenkung. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132684, Gespräch mit K + S über Wettbewerbsverzerrung, Dr. Lechner, BMWi, 16. 5. 1983; siehe auch Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 828.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
len Eigenanteil zum Umweltschutz beitragen müssen, sodass es sich für sie finanziell nicht lohnte. Von Berg lenkte daraufhin ein und modifizierte das Angebot an die DDR auf zwei Flotationsanlagen und einen Pufferspeicher.119 In der Zwischenzeit wuchs der öffentliche Druck auf die Bundesregierung und die DDR. Vom 3. bis 7. Oktober 1983 veranstalteten beispielsweise neun Umweltgruppen in Rotterdam ein Wassertribunal gegen 42 Unternehmen, ähnlich den Russel-Tribunalen für die Menschenrechte. In zweieinhalb Jahren hatten ca. 80 Umweltgruppen, darunter Greenpeace, etwa 2000 Wasserproben analysiert, um stichhaltige Beweise zu sammeln. Auf der imaginierten Anklagebank sollten die Vorstände von Firmen wie BASF, Bayer oder Boehringer sitzen. Sie wurden angeklagt, die Flüsse Rhein, Schelde, Maas, Elbe, Weser und Ems massiven Belastungen auszusetzen. Eine internationale Jury, bestehend aus Ökologieprofessoren und Parlamentsabgeordneten, fällte symbolische Urteile, von denen sich die Umweltgruppen Auswirkungen in den jeweiligen Parlamenten erhofften. Auch Erich Honecker wurde angeklagt, da er als Staatsratsvorsitzender für das Einleiten von Abwässern durch die Volkseigenen Betriebe in die Werra verantwortlich war. Dabei galt den Umweltgruppen die Pipeline als das ökologischste Mittel, um der Werraversalzung Herr zu werden.120 Der Generalsekretär blieb davon jedoch unbeeindruckt. Die Verhandlungspause, die sich bis in das Jahr 1984 hinzog, wurde den DDRVertretern zu lang. So berichtete Hannspeter Hellbeck von der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin an das Auswärtige Amt, dass die „‚Verhandlungsruinen‘ die Verständigungsmöglichkeiten“ belasteten.121 Gemeint war hier nicht nur der Teil der Versalzung, sondern vor allem der Gebietsaustausch im Kalirevier. Hier drängte die Zeit, da der Bergbau stetig an die gewünschte Tausch-Stelle fortschritt. Das führte dazu, dass der grenzüberschreitende Kaliabbau (1984) und die verabredeten Sprengzeiten (1985) aus dem Paket herausgenommen und einzeln einem Abschluss zugeführt wurden.122 Die Gespräche zur Werraversalzung und Versenkungspraxis begannen am 11./12. Oktober 1984 mit einer neuen Verhandlungsrunde (II) in der Hessischen Landesvertretung in Bonn.
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Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132684, Reduzierung der Werraversalzung, Afz. von Berg, II 7, BMIB, 11. 1. 1984. Vgl. o. V., Recht auf Rechenschaft, in: Der Spiegel, Nr. 40, 3. 10. 1983, S. 139–143; o. V., „Fast alle höheren Lebewesen vernichtet“, in: Der Spiegel, Nr. 10, 5. 3. 1984, S. 101–103. Bick, Internationales Wassertribunal, S. 221–226; Vorwürfe gegen thüringische Kaliwerke, in: FR, 10. 10. 1983, S. 20. Vgl. zur Pipeline, AGG 567, B.II.1, Sachstandsbericht zur Entstehung und Situation der Weserversalzung, Jürgen Schnappertz, 22. 8. 1985; siehe zur Beteiligung der Bundesregierung (900 000 DM) an der Ausrichtung des Tribunals: PA AA, B 75, ZA, Bd. 132192, Top 4a „Aktueller Bericht des Bundes“, 26. Sitzung der StALA – Bund /Länder am 26./27. 10. 1981 im BMI, 7. 10. 1981. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132688, Drahtbericht, Nr. 1102, Hellbeck, StäV, Ost-Berlin, an das AA, 11. 8. 1983. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132688, Auszug aus einem Gespräch zwischen Schindler, Stäv der DDR, und von Richthofen am 10. 6. 1983, Schnellbrief von Germelmann, BKAmt, 15. 6. 1983; BArch, B. 137, Bd. 11810, Afz. Reduzierung von Werraversalzung und grenzüberscheitender Kalibergbau, von Berg, 15. 8. 1983; Berg, Umweltschutzabkommen, S. 125 f.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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ESTA versus Flotation
„Es werde Probleme geben, wenn die Bundesregierung ESTA-Maßnahmen als nicht beteiligungsfähig bezeichne“, drohte Fenzlein.123 Die neuen Verhandlungen zur Werraversalzung begannen gleich mit einem Affront. Während K + S bei der Bundesregierung intervenierte, dass der DDR nicht die Mitfinanzierung von drei Flotationsanlagen angeboten werden könne, hatten die DDR-Vertreter schon längst kein Interesse mehr an der Flotation. Am 4. April 1984 teilten sie am Rande des 23. Gesprächs zum Kalibergbau informell mit, dass sie nun doch an dem elektrostatischen „Trockentrennverfahren“ (ESTA) von K + S interessiert seien. Es ermöglichte die elektrostatische Trennung der Salze Natrium- und Magnesiumchlorid vom Kieserit und somit eine umweltschonendere Aufhaldung der Salze. Anlass seien Publikationen von Dr. Arno Singewald (K + S) gewesen, in denen er den geringeren Energiebedarf und eine höhere Produktionsausbeute durch das neue Verfahren anpries.124 Zwei Punkte also, die sich mit den Vorgaben aus dem Landeskulturgesetz deckten. Über das MfS hatte die DDR-Führung bereits 1976 von diesem Verfahren gewusst, konnte es wirtschaftlich damals aber nicht einschätzen, wie aus den Expertengesprächen ersichtlich wurde.125 Der Verhandlungsleiter Michael von Berg hatte die Diskussion um technische Verfahren vor der Pause als abgeschlossen angesehen. Mit dieser erneuten Auseinandersetzung, war nun wieder alles offen. Das setzte ihn unter enormen (öffentlichen) Druck, schließlich sollte er möglichst schnell Erfolge liefern, das heißt, eine Abnahme der Salzlast. Fenzlein beklagte sich deshalb darüber, dass die Bundesregierung „ESTA aus Zeit- und Kostengründen“ 126 ausklammern wolle. Bereits in der 10. Sitzung im März 1982 hatte er nach ESTA gefragt, mit der Bitte, dies zu prüfen. Damals wurde die Anfrage damit beantwortet, dass ESTA in der DDR nicht anwendbar sei. Auch die Uhde-Studie, die für die DDR das Flotationsverfahren empfahl, kam zu dem Schluss, dass ESTA aufgrund der in der DDR vorhandenen Mischsalze vermutlich nicht geeignet sei. Getestet wurde es jedoch nicht. Fenzlein erwiderte dazu: „… bis zur Widerlegung gehe die DDR davon aus, daß das ESTA-Verfahren anwendbar sei, und er bäte, dies unsererseits zu prüfen.“ 127 123 124
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BArch, B 137, Bd. 11813, Protokoll des 1. Expertengesprächs (II) zur Werraversalzung am 11./12. 10. 1984 in der Hessischen Landesvertretung in Bonn. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11813, erste Verhandlungsrunde (II) zur Werraversalzung in der Hessischen Landesvertretung in Bonn am 11./12. 10. 1984; und Technisches Lösungskonzept Werra, Afz. von Berg, Referat II 7, BMI, 6. 5. 1984. Siehe auch Singewald/Fricke, Die elektrostatische Aufbereitung, S. 39–45; Berg, Umweltschutzabkommen, S. 125. Vgl. Information Nr. 544/76 über eine neue Möglichkeit der Aufbereitung von Kalirohsalzen nach dem Trockenverfahren, 2. 8. 1976, in: DDR im Blick der Stasi, in URL: https://www. ddr-im-blick.de/jahrgaenge/jahrgang-1976/report/neue-aufbereitungsmethode-von-kaliroh salzen-mit-trockenverfahren/ [16. 5. 2022]; BArch, B 137, Bd. 11814, Protokoll der 5. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 25./26. 4. 1985 im MfAA. BArch, B 137, Bd. 11813, Erste Verhandlungsrunde (II) zur Werraversalzung in der Hessischen Landesvertretung in Bonn am 11./12. 10. 1984. BArch, B 137, Bd. 11810, Gewässerschutz und grenzüberschreitender Kalibergbau, 10. Expertengespräch (I), 24./25. 3. 1982 in Wiesbaden. Siehe zur Uhde-Studie: BArch, B 137,
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Die Gespräche waren gespickt mit sarkastischen Bemerkungen und dem besten Bemühen der Delegation von Bergs, der östlichen Seite die zuvor fast verabredete Flotation schmackhaft zu machen. Fenzlein bestand jedoch darauf, die „DDR müsse in die Lage versetzt werden, daß sie selbst entscheiden könne, ob Flotationsanlagen oder ESTA für sie volkswirtschaftlich zweckmäßiger sei.“ Er verwies darauf, dass die Bundesregierung eine Investitionsbeteiligung an bestimmte Maßnahmen knüpfe, die nur für sie nützlich seien.128 Tatsächlich lehnten Bund und Länder das ESTA-Verfahren ab, da es langwierige Lizenzverhandlungen mit K + S bedeutete, dazu den Bau einer Versuchsanlage, ob die Salze geeignet seien, höhere Investitionskosten als bei der Flotation und eine finale Bauzeit von drei Jahren, sodass frühestens ab 1990/91 mit Ergebnissen zu rechnen wäre.129 Hier wird ein fundamentaler Unterschied feststellbar, auf den auch die DDR-Experten hingewiesen haben: Die Bundesrepublik wollte möglichst schnell Ergebnisse hervorbringen und bevorzugte daher kurzfristig einsetzbare, bereits erprobte Maßnahmen. Die DDR hingegen bestand darauf, ihre Handlungsfreiheit zu behalten – sie selbst entschied, welche Maßnahmen für sie geeignet sind. Einerseits unterstrich dies gegenüber der Bundesrepublik ihre souveräne Entscheidungsgewalt. Andererseits sah sich der Einparteienstaat zu diesem Zeitpunkt keinerlei politischer Konkurrenz im Inneren ausgesetzt, die einen Erfolgsdruck hätten aufbauen können. Und drittens stand diese kurzfristige, auf den Druck des westlichen Wählers ausgerichtete Maßnahme einer liberalen Demokratie dem – zumindest in der Theorie – langfristigen Planungsgedanken einer sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber. Im Streit um das ESTA-Verfahren argumentierte Fenzlein daher mit „erheblichen Belastungen für die Zukunft“, da die Bundesregierung sich nur mit einer einmaligen Investition beteilige, die DDR jedoch auch mit den Betriebskosten langfristiger planen müsse.130 Zumal sich die Bundesregierung nicht, wie von der DDR verlangt, an den Betriebskosten beteiligen wollte.131 Diese Betriebskosten würden sich bei zwei Flotationsanlagen auf etwa 20 Mio. DM pro Jahr belaufen. Eine interne Aufzeichnung zur Wettbewerbsproblematik des BMIB schlussfolgerte daraus: „Insgesamt wäre daher mit bedeutenden finanziellen Verlusten für die DDR zu rechnen, wobei, bedingt durch die verringerte Kieseritproduktion, bei
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Bd. 11808, Studie über Möglichkeiten zur Verminderung des Salzgehaltes in Werra und Weser (Uhde-Studie), Afz. Referat II 7, BMIB, 29. 7. 1981; sowie Papier „Zusammenfassung“ der Uhde-Studie, S. 58–60; BArch, B 136, Bd. 18840, Teil 2, Brief von Kali und Salz, Kassel, 27. 10. 1977, vermutlich an das BMI. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11813, Werrareduzierung, 2. Verhandlungsrunde (II) am 19./20. 11. 1984 im MfAA. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Vermerk Referat II 7, BMIB, Fortsetzung der Gespräche mit der DDR über die Reduzierung der Werraversalzung, 13. 9. 1984. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11813, Protokoll zum 2. Expertengespräch (II) zur Werrareduzierung am 19./20. 11. 1984 im MfAA. So u. a. BArch, B 137, Bd. 11810, Protokoll des 10. Expertengesprächs (I) zu Gewässerschutz (Werra) und grenzüberschreitender Kalibergbau am 24./25. 3. 1982 in Wiesbaden; PA AA, MfAA, ZR 928–14, Bericht über die 10. Verhandlung (II) am 20.–21. 1. 1986 in Bonn.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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Realisierung des Vorhabens auch Devisenverluste für die DDR möglich sind.“ 132 Vor diesem Hintergrund erscheint es ein berechtigtes Anliegen der DDR, alle Möglichkeiten bis zur Gewissheit ausloten zu wollen. Ob Interna in der DDR zu demselben Schluss kamen, ließ sich nicht feststellen. Obwohl Fenzlein hier umwelt- und finanzpolitisch argumentiert, ging es ihm aber außerdem um eine verbesserte Rohstoffausbeute durch neue Verfahren. Diese Vorstellungen artikulierte er in den Verhandlungen sehr deutlich: Eine Flotation führe nicht zu einer erhöhten Rohstoffausbeute.133 So erklärte er, ihm seien durch die DDR-Gesetze enge Grenzen gesetzt, denn eine Aufhaldung von Wertstoffen, wie sie bei der Flotation (allerdings auch bei ESTA) entstünden, verstoße gegen Vorschriften über die „intensive Nutzung von Rohstoffen“ – wie es auch im Landeskulturgesetz bereits festgeschrieben war.134 Um besagte Produktionssteigerung zu erzielen, hatte der VEB Werra-Merkers eigenständig eine Anlage zur Laugentiefkühlung installiert. Die salzhaltigen Abwässer wurden damit soweit hinunter gekühlt, dass sich Salzkristalle bildeten, die aus dem Abwasser herausgefiltert werden konnten. Nach eigenen Aussagen gelang den Kalikumpeln der DDR somit die Rückgewinnung von 25 000 Tonnen Kali pro Jahr.135 Von Berg schien darüber nicht glücklich, dass die DDR hier eigene Maßnahmen verfolgte, beziehungsweise in den Verhandlungen davon nichts erwähnte, was sich möglicherweise auf die Berechnungen ausgewirkt hätte. Fenzlein beschwichtigte daraufhin, dass das aus dem Verfahren gewonnene Magnesiumoxid sich nicht allein in der DDR „ökonomisiere“.136 Mitte 1985 sah von Berg auf beiden Seiten keinen Spielraum mehr,137 während der öffentliche Druck in der Bundesrepublik wuchs. Als eine „politische Initiative von unten“ forderten Die Grünen im Vorfeld des niedersächsischen Wahlkampfs 1986 ihre Gemeinde- und 132
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PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Anlage 6: Aufzeichnung des Referats II 7 zur Wettbewerbsproblematik, im Weisungsentwurf „Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung und zur Vergleichsmäßigung der Versenkung sowie Vereinbarungen über den grenzüberschreitenden Kaliabbau und zur Abstimmung von Sprengzeiten“, Referat II 7, von Berg, BMIB, 20. 6. 1984. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 722/14, Bericht über das 8. Gespräch (I) mit der BRD zu mit dem Kaliabbau im Werra-Gebiet zusammenhängenden Fragen am 8./9. 12. 1981 in Hannover, Fenzlein; PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Vermerk Referat II 7, BMIB, Fortsetzung der Gespräche mit der DDR über die Reduzierung der Werraversalzung, 13. 9. 1984. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11813, Werrareduzierung, 2. Verhandlungsrunde (II) am 19./20. 11. 1984 im MfAA. Siehe zum Landeskulturgesetz Kap. I.2.1, siehe außerdem die „Anordnung über Halden und Restlöcher“ vom 2. Oktober 1980, in: Gesetzblatt der DDR, I, Nr. 31, 12. 11. 1980, S. 301–308, insbesondere § 1, S. 301. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1444, Bl. 13–21, hier Bl. 19, Information zur Sendung des BRD-Fernsehens ZDF „Mit Wind und Wasser über die Grenze“ am 8. 1. 1987, Horst Wambutt, Leiter der Abteilung Grundstoffindustrie des ZK der SED, an Günter Mittag, 9. 1. 1987; „Unsere Wirtschaftsstrategie und Initiativen der Kali-Kumpel“, in: ND, 25. 7. 1986, S. 3. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11814, 5. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 25./26. 4. 1985 im MfAA. Vgl. ebenda, Vermerk zum Stand der Verhandlungen mit der DDR über Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung nach der 5. Runde (II) am 25./26. 4. 1985 in Berlin (Ost), von Berg, Referat II 7, BMIB, 3. 5. 1985.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Stadtratsfraktionen dazu auf, die Bundesregierung dazu zu bringen, sowohl das Verhandlungsangebot auf 400 Mio. DM zu erhöhen als auch der Lieferung einer ESTA-Anlage zuzustimmen, um die Verhandlungen zu beschleunigen.138 K + S hatte bereits im Mai 1983 an von Berg die Nachricht übermittelt, dass das Rohsalz aus der DDR grundsätzlich für ESTA infrage käme.139 Trotzdem dauerte es neun Sitzungen der II. Runde, bis im Oktober 1985 der Test einer Salzprobe aus der DDR zeigte, dass eine ESTA-Anlage auch für das vorher abgewertete Mischsalz der DDR funktionieren könne.140 Ein Grund für die lange Dauer der Verhandlungen lag auch darin, dass die DDR zwar Angaben zu ihren Betrieben machen sollte, K + S jedoch keine Daten zum ESTA-Verfahren verriet, sodass die Experten im Osten es nicht durchrechnen, es daher nicht bewerten und seine wirtschaftlichen Kosten einschätzen konnten. Das sah von Berg ein und ein Vertreter von K + S pries – auf einmal – die interessanten Vorzüge, die der DDR mit dem ESTA-Verfahren ermöglicht werden.141 Im Januar 1986 kam schließlich auch von Berg und seine Abteilung zu dem ultimativen Schluss, dass „offenbar nur mit ESTA ein höherer Reduzierungseffekt unter wirtschaftlich vertretbaren Voraussetzungen erreichbar wäre (weil keine Kieseritverluste eintreten und weil die Betriebskosten wesentlich günstiger als bei anderen Verfahren, z. B. bei der Flotation liegen).“ 142 Bemerkenswert ist an den Werra-Gesprächen, dass diesbezüglich die Formel „Stand der Technik“ kein einziges Mal Erwähnung fand. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff umschreibt, dass für den Schutz von Umwelt und Gesundheit die Industrie die fortschrittlichsten Verfahren oder Betriebsweisen anwenden soll.143 Frank Uekötter bezeichnete diese Formel als „Grenze und Chance“ gleichermaßen: Sie schreibe zwar oftmals den Verzicht auf effektive Maßnahmen offiziell fest und sei das Ergebnis (längerer) politischer Entscheidungsfindungen, gleichzeitig
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Vgl. AGG, B.II.1, Bd. 2037, Brief von Lothar Probst und Jürgen Schnappertz an die Gemeinde- und Stadtratsfraktionen der Grünen im Weserraum, 12. 9. 1985. Siehe auch AGG, B.II.1, Bd. 1066, Pressemitteilung Nr. 265: „Weserkonferenz der Grünen: Kritik an den schleppenden Verhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR zur Weserversalzung“, 10. 10. 1985; vgl. auch Wick, Mauer, S. 212. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11810, 17. Expertengespräch (I) zum Gewässerschutz und Kalibergbau am 30. 5. 1983 im Bürgerhaus Helmstedt. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11814, Protokoll der 9. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 29. 10. 1985 im MfAA; und Vermerk über die Verhandlungen mit der DDR über Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung, hier: Zwischenrunde am 28. 5. 1985 in Erfurt, von Berg, Referat II 7, BMIB, 30. 5. 1985. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11814, Protokolle der 5. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 25./26. 4. 1985 im MfAA, und der 9. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 29. 10. 1985 im MfAA. BArch, B 137, Bd. 11814, Verhandlungsstand der Verhandlungen mit der DDR über Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung, von Berg, Referat II 7, BMIB, 23. 1. 1986. In den Elbe-Gesprächen spielte der „Stand der Technik“ eine vergleichsweise große Rolle, vgl. Kap. III.2.4. Vgl. Eberhard Feess, Stand der Technik, in: Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten, in: URL: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/stand-dertechnik-45988 [16. 5. 2022]. „Stand der Technik“ schien es in der DDR seit den 1950er Jahren als Handlungsmaxime gegeben zu haben. Vgl. Möller, Umwelt, S. 56, 67, 184.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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markiere sie jedoch auch die jeweiligen zeitgenössischen Möglichkeiten der Technik sowie die Eigenart des Schadstoffproblems, das je nach dem unterschiedliche Problemlagen erfasst.144 Durch bewusstes Auslassen dieses unbestimmten Rechtsbegriffes umgingen insbesondere die westdeutschen Unterhändler die Norm oder den eigenen Anspruch, von der DDR die fortschrittlichste Technikimplementierung zu verlangen. In diesem Fall hätte es bekanntlich das ESTA-Verfahren bedeuten müssen, was sie versucht hatten, zunächst mit allen Mitteln zu vermeiden. Ein umweltpolitischer Traum? — Ein Resümee
Mal äußerte sich von Berg in den Protokollen enttäuscht darüber, dass die DDRSeite wenig aktiv sei und er ständig das Gefühl habe, sie drängen zu müssen – mal hieß es, dass die DDR-Experten „ungewohnt konstruktiv“ mitarbeiteten.145 Überzogene Geldforderungen und wechselnde Technikwünsche der DDR lassen sich durchaus als Verzögerungstaktik einordnen. Spätestens ab 1984/85 tätigte sie dagegen einige Leistungen, in der Hoffnung, unter anderem die Aushandlung über ESTA zu beschleunigen. Dazu gehörte einerseits die Zusage, die Flotation zumindest in einem Werk nun doch nicht mehr rigoros auszuschließen, sondern eine Kombination von mehreren Maßnahmen zeitlich versetzt anzugehen. In dem zu beratenden Stufenmodell mehrerer verschiedener Maßnahmen sahen die DDRFachleute ESTA allerdings als die erste Stufe, die Experten der Bundesrepublik dieses Verfahren jedoch gerade als letzten zu verwirklichenden Schritt an.146 Um den Erhalt von ESTA zu unterstützen, erklärte sich die DDR 1984 zur Überwachung von Reduzierungsmaßnahmen und den Austausch von Messergebnissen bereit,147 die an einigen Messstellen sogar über das von der Bundesrepublik Geforderte hinausgingen.148 Außerdem baute die DDR die Talsperre Ratscher (1975– 1983) und eine weitere bei Grimmelshausen (1984–1990). Insbesondere letztere wurde für den geplanten Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik 1984 in Angriff genommen, der letztlich nicht stattfand. Die Talsperren sollten bei Niedrig- und Hochwasserführung eine Vergleichsmäßigung der Salzlauge in der Werra
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Vgl. Uekötter, Rauchplage, S. 17, 33 f., Zitat auf S. 34. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Protokoll über die 5. Verhandlungsrunde (II) über Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung und Versenkung am 25./26. 4. 1985 im MfAA, von Berg, 7. 5. 1985; und Zwischenrunde zur Werraversalzung am 28. 5. 1985 in Erfurt, Drahtbericht Nr. 0000, BMIB, von Berg, 29. 5. 1985. Vgl. u. a. BArch, B 137, Bd. 11814, Protokoll der 7. Verhandlungsrunde über die Werraversalzung (II) am 29. 8. 1985 im MfAA. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung und der Versenkung, Stellungnahme der DDR vom 31. 8. 1984, von Berg, BMIB, 3. 9. 1984; und Non-Paper der DDR. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Protokoll der 4. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 11./12. 2. 1985 in Herleshausen, BMIB. Später bemängelte die Delegation von Bergs die DDR messe nur die Gesamtbelastung: BArch, B 137, Bd. 11815, Protokoll der 14. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 26./27. 6. 1986 in Braunschweig.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
ermöglichen.149 Es würde nicht zu einer allgemeinen Verringerung der Versalzung führen, aber Belastungsspitzen wie 1976 verhindern. In den weiteren Verhandlungen ging es aber hauptsächlich um den Pufferspeicher in der Gerstunger Mulde.150 So hat die DDR, vermutlich in der Hoffnung nachträglich von der Bundesrepublik einen finanziellen Beitrag (100 Mio. DM) zu erhalten,151 in der Verhandlungspause angefangen, diesen Pufferspeicher zu bauen. Ähnlich wie die Talsperren sollte er dazu beitragen, die Ausbreitung des Salzwassers zu kontrollieren, entgegen der Verpressung ohne Druck zu arbeiten und hohe Salzeinträge gleichmäßiger zu verteilen,152 oder konnte als Deponie gefahren werden,153 das hieß, salziges Abwasser dort bis zu einer Weiterverarbeitung oder Entsorgung zu sammeln. K + S kam in einer Einschätzung zu dem Schluss, dass ein Pufferspeicher die Gebirgsschlagtheorie der DDR ad absurdum führe und somit die konzerneigene Position zum Thema ‚Schädliche Auswirkungen der Salzabwässer‘ international aufwerten könne. Gleichzeitig vermutete die Firma jedoch auch, dass sich die Lauge nach (Süd)Westen bewege und sich mit den Versenkungen von K + S vermische, das heißt: Sowohl ein Stofftransport auf Bundesgebiet, eine Beeinflussung der Trinkwassergebiete als auch eine zunehmende Versalzung der Flussniederungen erscheine „möglich“ bis „wahrscheinlich“. Für die Experten von K + S überwogen jedoch die Vorteile, weshalb „keine grundsätzlichen Einwände gegen den Pufferspeicher erhoben werden sollten.“ 154 Hätten sie Bedenken erhoben, hätten sie diese gegebenenfalls öffentlich begründen und damit etwas offen legen müssen, was sie selbst jahrelang offiziell bestritten: nämlich ähnliche Folgen wie bei der Verpressung, die angeblich nicht das Trinkwasser gefährdet. Dadurch, dass keine Seite das Offensichtliche zugeben konnte, um die eigene Wirtschaft nicht zu gefährden, drehten sich die Anschuldigungen, Widersprüche und Argumente im Kreis.
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5756, Ergebnisse und Leistungen der DDR zur Verbesserung der Umweltbedingungen auf dem Territorium der BRD, Schreiben Reichelts an Mittag, 10. 10. 1984. Siehe zu den Talsperren auch Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 351. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11815, Protokoll der 13. Verhandlungsrunde (II) zur Werraversalzung, 26.–28. 5. 1986, Eisenach; Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Kurt Singhuber, Information über Vorhaben im Zusammenhang mit der BRD zur Aufhaldung von Steinsalzrückständen der BRD-Kali-Industrie auf DDR-Territorium im Grenzbereich, vmtl. 13. 10. 1988. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11814, 8. Verhandlungsrunde (II) über die Werraversalzung am 1./ 2. 10. 1985 in Goslar. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11813, Papier Reduzierung der Werrabelastung, K + S AG, Kassel, 9. 1. 1984; und die erste Verhandlungsrunde (II) zur Werraversalzung in der Hessischen Landesvertretung in Bonn am 11./12. 10. 1984. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132683, Protokoll über die 2. Verhandlungsrunde (II) mit der DDR zur Reduzierung der Werraversalzung, zur Versenkung und zum grenzüberschreitenden Kaliabbau, 19./20. 11. 1984, von Berg. BArch, B 137, Bd. 11825, Dr. Käding/Dr. Schroth, K + S, Notiz zu DDR-Pufferspeicher, 29. 4. 1982.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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Am 25. Februar 1985 kam es schließlich zum ersten Gespräch zwischen K + S und dem VEB Kali. Die fortfolgenden Gespräche zwischen den zwei Weltmarktkonkurrenten verliefen ebenfalls schleppend. Die DDR vertrat die Auffassung, dass K + S die Anlagen schlüsselfertig mit einer Garantie übergeben müsse. Die westdeutsche Firma sah ihre Aufgabe hingegen nur darin, einen Grundsatz zur Lizenzvergabe (20 Mio. DM) und eine Beratung zu vereinbaren.155 Darüber hinaus bestanden Bedenken, die DDR könne das ESTA-Verfahren „auf Umwegen den anderen sozialistischen Ländern“ zugänglich machen.156 Was folgte war ein Katz- und Mausspiel, wer für die 20 Mio. DM Lizenzgebühren und für die „schlüsselfertige ESTA-Anlage“ aufkommen und welche weiteren Verfahren wann in Angriff genommen werden sollten. Fenzlein bestand darauf, dass die DDR keine einzige Valuta-Mark für die Anlage ausgeben werde, was im Umkehrschluss doch die Vollfinanzierung durch die Bundesrepublik bedeutet hätte, weshalb von Berg nur noch mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen konnte. Für die Bundesrepublik war es nicht annehmbar, diese komplett zu bezahlen, da sie dies dem Steuerzahler nicht zumuten konnte. Die DDR aber wollte und konnte keine Valuta-Mittel aufwenden für Maßnahmen, die nicht der DDR-Bevölkerung, sondern dem Westen zu Gute kamen. Um die sich anbahnende Stagnation zu überwinden, bat er Fenzlein zu prüfen, ob es für die DDR möglich wäre, die „Kosten für Reduzierungsmaßnahmen [zu] übernehmen, die keine Valuta-Aufwendungen erforderten, während unsere Seite die Valuta-Aufwendungen in den Grenzen des verfügbaren Finanzrahmens [200 Mio. DM] übernehme“.157 Die Nerven lagen auf allen Seiten blank. Mitte 1986 forderten die Bundesländer eine Risikoklausel in einer möglichen Werra-Vereinbarung mit der DDR. Das hätte sie im Falle einer Verzögerung oder Nicht-Erfüllung dazu ermächtigt, ihren finanziellen Anteil nicht zu zahlen beziehungsweise ihr Geld zurückzuverlangen. Daraufhin drohte der Bund damit, die Verhandlungen mit der DDR um eine Kostenbeteiligung abzubrechen, wenn die Länder die „Risikogemeinschaft“ verlassen sollten.158 In der DDR wiederum fanden Überlegungen statt, die Versenkung wieder aufzunehmen. Grund dafür war die Befürchtung, dass in einer potenziellen Werra-Vereinbarung Grenzwerte festgelegt werden, die eine maßlose Einleitung in den Fluss verhindern würden.159 Eine Versenkung in der DDR war jedoch nicht 155
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 11825, Aktenvermerk, von Berg, Referat II 7, BMIB, 25. 2. 1985; BArch, B 137, Bd. 11816, Afz. zum Stand der Verhandlungen über Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung und Versenkung, Referat II 7, BMIB, 15. 11. 1986; und die Afz. über die Besprechung der Delegation der Bundesrepublik Deutschland mit K + S am 17. 12. 1986, Referat II B 3, 22. 12. 1986. BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 17145, Bl. 22–25, hier Bl. 22, Vermerk zum Gespräch mit Dr. Reichelt am 10. 9. 1987, Genosse Major Ebert, Hauptabteilung XVII, 11. 9. 1987. BArch, B 137, Bd. 11814, Protokoll der 11. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 6./7. 3. 1986 im MfAA. Vgl. Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 827. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11815, Vermerk über die Ressortbesprechung im BMIB zur Werraversalzung am 21. 5. 1986, Johnen, Referat II 7, BMIB. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11815, Protokoll der 13. Verhandlungsrunde zur Werraversalzung (II) am 26.–28. 5. 1986 in Eisenach.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
ohne weiteres möglich: Zuvor musste eine Ersatztrinkwasserversorgung geschaffen werden, da eine Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden konnte.160 Der Generaldirektor des VEB Kali Werra-Merkers berichtete seinem Minister Kurt Singhuber, dass er das vereinbarte Prinzip des gegenseitigen Vorteils in den Verhandlungen mit K + S nicht mehr gewahrt sehe. Die Firma verlange für das ESTAVerfahren 700 Mio. DM, was den VEB Kali Werra ernsthaft gefährden würde. Entgegen der offiziellen Erzählung bekräftigte er, dass auch ein seismisch-induzierter Gebirgsschlag [1975] „eines durch Sprengungen erzeugten Initials“ bedürfe. Dies war sein Argument, um letztlich die Bitte zu äußern, den Pufferspeicher in der Gerstunger Mulde zu nutzen und wieder in der Horschlitter Mulde, wie zuletzt 1968, versenken zu dürfen.161 Nach weiteren 17 Runden ab 1984 ruhten die Verhandlungen seit Ende 1986 wieder, da sich die Bundesregierung nochmals mit den Weser-Anliegerländern abstimmen wollte.162 Erst 1988 kamen wieder Verhandlungen über eine Vorvereinbarung in Gang, die unter anderem eine ESTA-Anlage im Betrieb in Merkers in die Wege leiten sollte.163 Ende 1989 wurden die Werra-Verhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR zwar wieder offiziell aufgenommen, nachdem die DDR von einem erneuten Erdbeben in Völkershausen betroffen war. Die Bundesrepublik fürchtete aber eine erneute Schuldzuweisung der DDR, weshalb die Ostdeutschen spätestens im März/April 1990 ein wiederholtes Patt erwarteten, denn „Bonn behandelt die Verhandlungen sehr verhaltend beziehungsweise schleppend“.164 Wie also dargestellt werden konnte, verkomplizierten vielerlei Faktoren die Ausnahmegespräche zur Werraversalzung: Erstens verzögerten die Bund-LänderAuseinandersetzungen über die Finanzierungsfrage die Verhandlungen enorm. 160
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Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 722/14, Bericht über die 13. Verhandlung (II) mit der BRD über die Reduzierung der Salzbelastung der Werra und der BRD-Kaliabwässerverpressung am 27./28. 5. 1986 in Eisenach, Fenzlein; BArch, DK 5, Bd. 1498, Information zu Vorschlägen und Maßnahmen zum Vorhaben Steinsalzrückstände der BRD-Kaliwerke auf DDR-Territorium im Grenzbereich zu lagern, Kurt Singhuber, Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali [vmtl. 13. 10. 1988]. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 1498, Brief des Generaldirektors VEB Kombinat Kali, Taubert, an Singhuber, Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, 2. 8. 1988; siehe auch Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 827. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 1, Vermerk über ein Gespräch des Genossen Butter mit StS Stroetmann, am 30. 1. 1989 im BMU in Bonn. Bis Ende 1989 keine Ergebnisse, bei Eckert, Geteilt. S. 89. Vgl. BArch, B 137, Bd. 10679, Bl. 175 f., Ergebnis der Sondierungen über Maßnahmen zur Reduzierung der Werra-Versalzung und der Versenkung nach der abschließenden 4. Sondierungsrunde am 7.3. in Eisenach und 8. 3. 1988 in Kassel, 9. 3. 1988, BMIB. Siehe auch BArch, B 136, Bd. 21554, Bl. 161–164, Verhandlungen mit der DDR über Maßnahmen zur Reduzierung der Werra-Versalzung und der Versenkung von Kaliabwässern, BKAmt, Referat 221, Germelmann, 29. 5. 1989. BArch, DK 5, Bd. 6042, Positionspapier zum Kali-Werra-Revier für Gespräch Kohl und Modrow „zu Fragen von beiderseitigem Interesse in Verbindung mit der Herausarbeitung eines neuen Energiekonzeptes der DDR mit entscheidender Verringerung der Umweltbelastung“, 15. 12. 1989, Ministerium für Schwerindustrie (Kohle/Energie), 18. 12. 1989.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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Zweitens stand die lange und schwierige Suche und Erprobung technischer Maßnahmen zur Salzreduzierung im Vordergrund. Hierbei wurde ersichtlich, dass die Bundesrepublik an kurzfristigen, günstigen und die DDR an langfristigen, für sie wirtschaftlich nachhaltigeren Maßnahmen interessiert war. Dazu gehört auch der hohe Anspruch der DDR, dass möglichst wenig Abfallprodukte anfallen oder dass sie wiederverwertbar sein sollten, woraus eine vermehrte Rohstoffausbeute resultieren konnte. Somit verzögerte 1983 auch der Interessenwandel der DDR hin zum ESTA-Verfahren die Verhandlungen. Nicht zuletzt trug drittens die drohende Wettbewerbsverzerrung dazu bei, dass anvisierte Lösungen wieder in weitere Ferne rückten. So geschehen durch regelmäßige Interventionen von K + S, was der DDR angeboten und mitgeteilt werden könne und was nicht. Genauso wenig konnte die DDR in diesem Sinne Maßnahmen zustimmen, die ihre Kali-Produktion eingeschränkt beziehungsweise ihr hohe Valutaaufwendungen aufgezwungen hätte. Hinzu kam die mangelnde Transparenz auf beiden Seiten, was technische und finanzielle Daten anging. Eine nachvollziehbare Datenanalyse erscheint bis heute mehr schlecht als recht möglich und wurde in den Verhandlungen oftmals vermutlich bewusst offen gelassen. Bei diesen existenziellen wirtschaftlichen Interessen war es für beide Seiten politisch schwierig, Umweltschutzmaßnahmen zugunsten des jeweils anderen durchzuführen. Im Fall der Werraversalzung gilt wohl zutreffend, was Fenzlein bereits 1981 feststellte: „Man solle sich keinem ‚umweltpolitischen Traum‘ hingeben.“ 165
2.2 Die Gewässer Berlins — keine Einbahnstraße Gewässerschutzprobleme im geteilten Berlin können „nicht als Einbahnstraße“ gesehen werden. So charakterisierte im Expertengespräch Klaus Melsheimer, Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz in West-Berlin, die Situation gegenüber Gerhard Voigt, Abteilungsleiter im MfUW der DDR.166 Was die eine Seite verschmutzte, erhalte auch die andere, und andersherum. Die DDR-Seite resümierte zwar, dass sie nährstoffhaltige Substanzen in die Gewässer ließen. Doch auch West-Berlin leite „zum Schutz der Westberliner Gewässer die biologisch gereinigten, jedoch noch stark nährstoffhaltigen Abwässer“ in den Teltow-Kanal ein, was zu einer verstärkten Beeinträchtigung der Trinkwasseraufbereitung und des Erholungswesens als auch zu Problemen der Wassernutzung bei der Beregnung des Havelländischen Obstbaugebietes führe.167 Die Erholungsgebiete der ummauerten Stadthälfte waren begrenzt und aufgrund des nicht auseinander zu divi165 166
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BArch, B 137, Bd. 11808, Protokoll der 4. Verhandlungsrunde (I) am 4./5. 2. 1981 in Bonn Bad-Godesberg, 13. 2. 1981. Vgl. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 132528, 2. Expertengespräch zwischen Senat und MfUW zu den Berliner Gewässerproblemen in Ost-Berlin am 23. 6. 1980, Melsheimer/Reinhart, 25. 7. 1980. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 1–8, hier Bl. 7, hs. Zuarbeit des MfUW für die Arbeitsgruppe ZK Sommer 1977, Umweltschutz-Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
dierenden Wasserhaushalts des Großraums Berlins einer zunehmenden Gewässerverschmutzung ausgesetzt: Industrieabwässer, phosphathaltige Waschmittel, Rieselfelder im Norden der Stadt und Düngemittel hinterließen jeweils Spuren. Die Stickstoff- und Phosphorverbindungen evozierten schnelles und dominantes Algenwachstum, was zu Sauerstoffarmut und demzufolge zu Fischsterben und langfristig bedrohter Trinkwasserversorgung führte.168 Bereits in den 1970er Jahren verfolgten beide Seiten Gespräche zum Thema Berliner Abwässer mit den Themen: Trinkwasserschutz, die Beeinträchtigung des Teltow-Kanals und neue Verhandlungen über höhere Abwasserentgelte. Zum Beispiel wurden in den 1970er Jahren noch bis zu 55 Prozent der West-Berliner Abwässer kostenpflichtig in der DDR geklärt. Langfristig wollte sich hier der Senat von der DDR unter anderem mit dem Klärwerksbau in Ruhleben unabhängig machen.169 Ost-Berlin wiederum strebte „im Interesse einer sinnvollen Bewirtschaftung der Wasserressourcen langfristig Vereinbarungen mit dem Westberliner Senat“ an.170 Für das Politbüro barg dieses wasserwirtschaftliche Dilemma WestBerlins neben zusätzlichen Einnahmen auch die Möglichkeit, dass das MfUW mit dem Senat von Berlin direkte Verhandlungen führen konnte.171 Auf diesem Weg versuchte die SED, auch hier ihre Auffassung von West-Berlin als selbstständiger, dritter politischer Einheit durchzusetzen.172 So insistierte der Berliner Senator für Bundesangelegenheiten Dietrich Stobbe (SPD) bereits früh darauf, dass Gewässerprobleme mit der DDR in ein bilaterales Umweltabkommen zwischen Bundesrepublik und DDR Eingang finden müsse.173 Der Senator für Bauen und Wohnen und das MfUW durften zwar miteinander die Probleme erörtern. Aber der Abschluss der Verhandlungen oblag dem Bund, womit er seine Zuständigkeit für West-Berlin signalisieren konnte. Nicht umsonst erhielten die Berliner Gewässerschutzgespräche mit der Erklärung der Ständigen Vertreter Gaus und Kohl von 1980 ihr „Bundesdach“.
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Vgl. Melsheimer, Gewässerschutzvereinbarung, S. 280 f. Siehe zu den Abwasserverhandlungen u. a.: Joachim Nawrocki, Einig über Abfall und Abwässer, in: Die Zeit, 2. 11. 1973, in URL: https://www.zeit.de/1973/45/einig-ueber-abfall-undabwaesser/ [17. 5. 2022]; und Vermerk des StS im MAH der DDR Schalck-Golodkowski über das Gespräch mit dem Leiter der StäV der Bundesrepublik Deutschland Gaus, Berlin (Ost), 11. 1. 1980, Dok. 93, in: DzD VI/6, S. 365 f., Anm. 18. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 1–8, hier Bl. 8, hs. Zuarbeit des MfUW für die Arbeitsgruppe ZK Sommer 1977, Umweltschutz-Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD. Vgl. ebenda, Bl. 6; siehe auch BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 53–91, hier Bl. 53, Anlage 3 zu Protokoll Nr. 47/73, Beschluss des Politbüros vom 6. 11. 1973, Verhandlungen mit der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, und Bl. 90 f., Brief Reichelts an Schütz. Vgl. Alisch, Insel, S. 389. Vgl. u. a. PA AA, ZA, B 38, Bd. 109272, Drahtbericht vom 15. 5. 1973 des Bürgermeisters von Berlin, Klaus Schütz (SPD) an den Senator für Bundesangelegenheiten, Dietrich Stobbe (SPD), betr. die Einbeziehung Berlins in innerdeutsche Verhandlungen. Siehe auch den Beschluss des Politbüros des Zentralkomitees der SED über die Fortführung der Verhandlungen mit der Bundesregierung und dem Senat von Berlin (Ost), 16. 7. 1974, Dok. 194, in: DzD, VI/3, S. 657.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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Die insgesamt dreizehn Expertengespräche (vgl. Tab. 2) zwischen 1980 und 1982 leiteten Melsheimer (West-Berlin) und Voigt (DDR) pragmatisch und fast problemlos.174 Das Ziel bestand darin, den Phosphatgehalt von 20–30 auf zwei Miligramm pro Liter zu senken. Letzteres beschrieb den Stand der Wasserqualität der 1960er Jahre vor dem Siegeszug der Waschmaschine und des Waschmittels.175 Die Lösung bestand darin, in den Ost-Berliner Kläranlagen, eine sogenannte „dritte“ Reinigungsstufe einzubauen. Das heißt, neben der mechanischen und biologischen sollten sie auch die chemische Reinigungsstufe erhalten. Inhaltlich konnten sich darauf beide Seiten bereits im vierten und fünften Expertengespräch im November/Dezember 1980 schnell und sachlich einigen.176 Übrig blieb die Finanzierungsfrage, die – wie auch bei den Werraverhandlungen – doch zu einiger Polemik in den Treffen führte. Wollte Melsheimer zunächst die technischen Fragen klären, so bestand Voigt darauf, erst müsse der Senat zusagen, die Kosten zu übernehmen. Melsheimer hielt sich getreu dem bundesdeutschem Umweltprogramm an das Verursacherprinzip, weshalb Voigt behauptete, erhöhte Phosphatwerte seien in „der Hauptstadt der DDR nicht festgestellt“ worden. Deshalb gebe es auch keine Gegenmaßnahmen im Staatsplan.177 Auch hier formulierten die DDR-Vertreter – wie bei der Werra – zunächst überhöhte Geldforderungen von bis zu 380 Mio. DM inklusive Betriebskosten.178 Darüber hinaus nutzte die DDR das von ihr neu zu bauende Klärwerk Nord als finanziellen Hebel. Bereits in den 1970er Jahren habe sie versucht mit dem Senat die dritte Reinigungsstufe zu besprechen. Doch als der Senat abgelehnt hatte, projektierte die DDR neue Klärwerke alleine ohne eine dritte Reinigungsstufe.179 Nun bestand zwischen dem elften und zwölften Expertengespräch Unklarheit, ob die DDR die dritte Reinigungsstufe nur in den zwei bereits bestehenden Klärwerken Münchehofe und Falkenberg einführen würde. Melsheimer klagte: „Wenn also keine dritte Reinigungsstufe im Klärwerk Nord eingeführt wird, kann die andere Seite uns immer unsere eigene Ohnmacht vorführen und alle Reinhaltemaßnahmen unsererseits unterlaufen.“ 180 Damit war auf der Westseite die bereits im Bau befind-
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Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, 1. Expertengespräch zwischen dem Senat und der DDR zu den Berliner Gewässerproblemen, Melsheimer/Reinhart, 10. 6. 1980. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Verhandlungsstand zwischen Senat und DDR, Melsheimer, 9. 2. 1982. Siehe auch Melsheimer, Gewässerschutzvereinbarung, S. 280. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, Protokoll über das 4. Expertengespräch zu Berliner Gewässerschutzfragen zwischen Senat und MfUW am 4. 11. 1980 in Ost-Berlin, Melsheimer/ Reinhart, 28. 11. 1980; und 5. Expertengespräch zu den Berliner Gewässerfragen im Senat am 11. 12. 1980, Melsheimer/Reinhart, 22. 1. 1981. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, Protokoll über das 1. Expertengespräch zwischen Senat und MfUW zu den Berliner Gewässerfragen am 7. 5. 1980 in West-Berlin, Melsheimer/Reinhart, 10. 6. 1980. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Protokoll des 11. Expertengesprächs zwischen dem Berliner Senat und der DDR, 16. 6. 1982. Vgl. Melsheimer, Gewässerschutzvereinbarung, S. 287. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Kurzprotokoll der 12. Expertenrunde zwischen Senat und MfUW zu Berliner Gewässerfragen am 3. 8. 1982 in West-Berlin, Melsheimer, 4. 8. 1982.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
liche Phosphateliminierungsanlage (1981–1985) am Tegeler See gemeint. Die damals größte Anlage dieser Art auf der Welt reduzierte die Phosphorverbindungszufuhr von 150 auf 1,5 Tonnen im Jahr (Kosten: 200 Mio. DM).181 Um die Verhandlungen wohl nicht gänzlich zu gefährden, lenkte die DDR-Seite jedoch ein und reduzierte ihre Forderungen für eine Beteiligung des Senats auf 70 Mio. DM. Die DDR-Experten wiesen darauf hin, dass sie noch vor 1983 zu einer Entscheidung kommen müssen, sollte das Projekt Bestandteil des Fünfjahrplans 1985–1990 werden. Das erhöhte den Druck auf die Verhandlungen.182 Im September 1981 waren die Expertengespräche bereits nach sieben Runden an einem Punkt angelangt, der den Senator für Bundesangelegenheiten Norbert Blüm (CDU) veranlasste, im Auswärtigen Amt und bei Günter Hartkopf, dem Staatssekretär im Bundesinnenministerium, nachzufragen, inwiefern das Verursacherprinzip in Bezug auf Berlin vernachlässigt werden könne. Das Land WestBerlin sei in einer „ganz singulären Weise“ an einer Reinhaltung seiner Oberflächengewässer interessiert; zudem sei es sowohl Ober- als auch Unteranlieger. Da die Expertengespräche quasi abgeschlossen seien, drohe nun entweder der Abbruch, der aufgrund der umweltproblematischen Dringlichkeit nicht hingenommen werden könne, oder die Gefahr eines Abdriftens der Gespräche in Finanzierungseinzelheiten, die das „Bundesdach“ gefährden könnte. Norbert Blüm schlug daher vor, den Ständigen Vertreter Klaus Bölling die Verhandlungen abschließen zu lassen, um die Rechtsposition zu wahren und auf den deutsch-deutschen Gesamtzusammenhang hinzuweisen.183 Auch das Auswärtige Amt schlussfolgerte, das Verursacherprinzip sei „aus überwiegenden Gründen“ berücksichtigt. Schließlich werde der Senat darauf bestehen, dass er sich nur an den Investitionskosten – und nicht den Betriebskosten – beteilige.184 Zu den Betriebskosten zählte die DDR die Beschaffung des für den chemischen Trennprozess nötigen Fällmittels, hier beispielsweise Grünsalz, das sie jedoch importieren würde müssen und nicht allein finanzieren wollte. Der Senat, wie schon die Bundesländer bei der Werraversalzung, nahm hier die Bundesregierung aufgrund der „gesamtdeutschen Verantwortung“ in die Pflicht. Der Bund aber konnte keine Betriebskosten für die DDR übernehmen, da dies wiederum Rückwirkungen auf die Werraverhandlungen gehabt hätte. Hessen und Niedersachsen hätten ein solches Vorgehen niemals akzeptiert.
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Vgl. Melsheimer, Gewässerschutzvereinbarung, S. 282, 289. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Protokoll des 11. Expertengesprächs zwischen dem Berliner Senat und der DDR, 16. 6. 1982. Siehe auch Bericht des StäV der Bundesrepublik Deutschland Bräutigam an das Bundeskanzleramt über das Gespräch mit dem Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel der DDR Schalck-Golodkowski, 10. 6. 1982, Dok. 174, in: DzD, VI/7, S. 786 f. Alle Zitate in: PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, Anlage: Brief von Norbert Blüm, Senator für Bundesangelegenheiten, an den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Bernd von Staden, 26. 8. 1981. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, Interne Afz. des AA zu Gewässerfragen des Berliner Senats mit der DDR, 16. 9. 1981.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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Die Lösung bestand darin, dass das BMI eine einmalige „Abfindung“ sowie eine Investitionsbeteiligung von 68 Mio. DM an die DDR zahlte.185 Da die Berliner Gewässerverhandlungen schneller zum Abschluss kamen als die der Werra, musste über die Formalisierung neu nachgedacht werden. Eine vertragliche Vereinbarung zwischen Senat und DDR, wie von Letzterer gewünscht, kam für die Bundesregierung nicht infrage. Das könnte die Berlin-Einbeziehung in ein späteres Umweltabkommen gefährden. Dass das Geld nicht allein aus den Haushaltsmitteln des Senats fließen würde, war ebenfalls allen Beteiligten bekannt.186 Die Alliierten stimmten daher dem Verfahren zu, dass a) der Ständige Vertreter der Bundesregierung Hans-Otto Bräutigam dem Staatssekretär im MfUW Reinhold Fiedler einen Brief überreichte; b) der Ministerrat beziehungsweise das MfUW einen Brief an den Senat von Berlin schrieb, und es c) einen Expertenbericht geben würde. Somit wurde keine offizielle Vereinbarung mit der DDR getroffen, weshalb die Berlin-Frage hier nicht mehr zum Störfaktor avancieren konnte.187 Plötzlich erfuhren die Gespräche von westdeutscher Seite akuten Handlungsdruck. In Bonn waren am 17. September 1982 unter anderem aus wirtschaftspolitischen Differenzen vier liberale Minister, darunter Hans-Dietrich Genscher, von ihren Posten zurückgetreten. Bundeskanzler Schmidt verlor daraufhin im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage. Durch diese von der FDP herbeigeführte „(geistig-moralische) Wende“ wurde am 1. Oktober Helmut Kohl (CDU) zum Bundeskanzler gewählt.188 Bis Ende September 1982 musste daher alles unter Dach und Fach sein, damit dieses Arrangement nicht durch die neue Bundesregierung verzögert werde.189 Auch wenn dieses Konstrukt über die Berliner Gewässerreinigung nicht als „Vereinbarung“ 190 firmieren sollte, war es doch die erste größere, offizielle umweltpolitische Maßnahme zwischen DDR und Bundesrepublik. Dementsprechend positiv wurde es in den Medien beurteilt. Sowohl der sozialdemokratische Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke als auch der neue Ständige Vertreter in Ost-Berlin Hans-Otto Bräutigam sahen diese Einigung als wichti-
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Vgl. Melsheimer, Gewässerschutzvereinbarung, S. 311; Berg, Umweltabkommen, S. 124. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Aufzeichnung des Referats 210 (AA) über die Formalisierungsfrage der Berliner Gewässerprobleme, Durchschlag als Konzept, 31. 8. 1982; Loth, Helsinki, S. 188. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Drahterlass Nr. 4144, AA an das Bundeskanzleramt, BMIB, BMI, Landesvertretung Berlin, 21. 7. 1982, auf dem hs. die Zustimmung der Alliierten vermerkt wurde; PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Vermerk von Richthofen über die Sitzung im Fünfer-Kreis zu Berliner Gewässerschutzfragen am 21. 9. 1982; „Innerdeutsche Regelung im Bereich des Umweltschutzes“, in: Bulletin, Nr. 89, 29. 9. 1982, S. 814–816. Vgl. Scholtyseck, FDP, S. 197–220. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Vermerk von Richthofen über die Sitzung im FünferKreis, 21. 9. 1982; „Berliner Gewässer sollen sauberer werden“, in: SZ, 29. 9. 1982, S. 5. Vgl. PA AA, B 38, ZA, Bd. 132685, Vermerk von Derix, Sitzung der Vierergruppe, 24. 9. 1982. Anders Melsheimer, der im Nachhinein in seinem Aufsatz von „Vereinbarung“ spricht. Ders., Gewässerschutzvereinbarung.
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Abb. 4: Umweltminister (v. l.) Klaus Töpfer (CDU) und Hans Reichelt (DBD) mit Wasserprobe im Klärwerk Nord, Berlin (Bezirk Berlin) DDR, 11. 07. 1988; Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotograf: Klaus Mehner, Bild 88_0711_UMW_Toepfer_12
gen Impuls sowohl für die deutsch-deutschen Beziehungen im Allgemeinen als auch für die zu der Zeit parallel laufenden Gespräche zu Werra und Elbe im Besonderen.191 Das „Neue Deutschland“ berichtete am 29. September kurz und knapp, dass Vertreter des MfUW der DDR mit dem Senat Gespräche zur Regelung und „Lösung beiderseits interessierender Gewässerprobleme“ geführt hatten. Über die Kürze der Nachricht impliziert der Artikel die Auffassung der DDR, sie hätten die Regelung nur mit dem Senat und nicht mit dem Bund geschlossen. Anvisierte Grenzwerte und westdeutsche Zahlungen fanden erst recht keine Erwähnung.192 Es ist klar, dass beide Seiten an sauberen Gewässern aufgrund der gegebenen geografischen Ausgangslage des Durchflusses von Havel, Spree und Panke durch West-Berlin interessiert waren. Die DDR setzte gegenüber der Bundesrepublik eine Kostenbeteiligung von schließlich 68 Mio. DM für den Einbau der dritten Reinigungsstufe in den drei DDR-Klärwerken durch, ca. ein Drittel der Gesamtinvestitionen.193 Einerseits erfolgte mit diesem Übereinkommen also eine politi191 192
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Vgl. „Berliner Gewässer sollen sauberer werden“, in: SZ, 29. 9. 1982, S. 5. Vgl. o. V., „Regelungen und Vereinbarungen über Gewässerprobleme“, in: ND, 29. 9. 1982, S. 2. Ebenfalls keine Erwähnung fand die Vereinbarung bei Schwenk/Weisspflug, Umweltschmutz, S. 170–176. Vgl. Berg, Umweltschutzabkommen, S. 124, Eckert, Geteilt, S. 96. Zu der Vereinbarung: „Innerdeutsche Regelung im Bereich des Umweltschutzes“, in: Bulletin, Nr. 89, 29. 9. 1982, S. 814–816.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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sche Annäherung zwischen beiden Staaten, und gleichzeitig praktizierte die DDR die Abgrenzung auch im Gewässerbereich: So sollten 40 Prozent der bisherigen Abwassermenge nicht mehr in Kanälen nach West-Berlin übergeleitet werden, womit ein „bedeutender Schritt zur Entflechtung der Abwasserbehandlungsnetze“ von Ost- und West-Berlin geleistet wurde.194 Neben der dadurch entstehenden Autarkie galt es für die SED damit auch der Hauptstadt der DDR „zum frischen Glanz der Visitenkarte“ zu verhelfen, weshalb viele Anstrengungen im Gewässerbereich hauptsächlich auf Ost-Berlin, weniger auf die anderen Bezirke ausgerichtet waren.195 Auch für die Westdeutschen muss bedacht werden, dass die dritte Reinigungsstufe die neueste Technik war, die noch nicht einmal flächendeckend in der Bundesrepublik etabliert war. Demzufolge wurde mit diesem Ausbau West-Berlin auch zum technologischen Vorreiter und Schaufenster für andere westdeutsche Städte, wie beispielsweise Hamburg. Dass die Zusammenarbeit beider Seiten letztlich erfolgreich war, ist dem Willen der Akteure zuzuschreiben. Für Melsheimer und die Bundesregierung bedeutete es, in den sauren Apfel zu beißen und die von der DDR geforderte Beteiligung zu zahlen. Für die DDR hieß es, nicht auf überhöhte Forderungen zu pochen, sondern der Bundesrepublik flexibel entgegen zu kommen, da eine Lösung politisch gewollt war – sowohl aus umwelt- als auch deutschlandpolitischen Gründen. Die dritte Reinigungsstufe wurde in den drei Ost-Berliner und zwei West-Berliner Klärwerken eingebaut. Somit wurden die erzielten Werte von zwei Miligramm pro Liter Phosphorverbindungen ab 1986 erreicht und sogar noch unterschritten.196
2.3 Die Röden — das Vorzeigemodell Im sogenannten „Modell Röden“ spielte eine Kläranlage ebenfalls die Hauptrolle. Die Röden ist ein 25 Kilometer langer linker Zufluss der Itz, der aus Thüringen nach Oberfranken in Bayern fließt. Die thüringische Stadt Sonneberg leitete etwa zwei Drittel ihrer Abwässer ohne Klärung in den Fluss. Das MfUW schlussfolgerte daraus: „Die hygienischen Verhältnisse sind dadurch auf BRD-Gebiet ohne Zweifel als bedenklich einzuschätzen.“ 197 Dementsprechend kam die Bundesregierung laut ihrer Prioritätenliste immer wieder auf den Fall Röden zu sprechen. Ein geeignetes Gremium schien hierfür die Grenzkommission.
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Vgl. entsprechend dem Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 5. April 1983, BArch, DK 5, Bd. 4734, Information über die Beseitigung der Rieselfelder im Norden der Hauptstadt der DDR, Berlin, und die Ergebnisse bei der Errichtung der Kläranlage Berlin-Nord, o. D., o. V. Vgl. Fiedler, Junge Wasserwirtschaftler, S. 111. Vgl. Melsheimer, Gewässerschutzvereinbarung, S. 313, 323. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 1–8, hier Bl. 3, hs. Zuarbeit MfUW für die Arbeitsgruppe ZK Sommer 1977, Umweltschutz-Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD; siehe auch Füllenbach, Umweltschutz, S. 157, Anm. 63.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Die Grenzkommission war nach dem Grundlagenvertrag etabliert worden, um Streitfragen und Probleme (Fragen der Wasserwirtschaft, Energieversorgung, Schadensbekämpfung) als auch den genauen innerdeutschen Grenzverlauf zu regeln.198 Obwohl beide Seiten Umweltprobleme darin eigentlich nicht besprechen wollten, schließlich sollte es ja im Grunde genommen Umweltverhandlungen geben und West-Berlin war hier für die Bundesregierung nicht einbeziehbar, verzeichnete das BMIB über die Vereinbarung zur Schadensbekämpfung (1973) bis 1980 dennoch etwa 500 Maßnahmen zur Sanierung der Grenzgewässer.199 Darunter fiel zum Beispiel auch die im bayerischen Fichtelgebirge entspringende (sächsische) Saale. Obwohl die DDR hier aufgrund der florierenden Leder- und Textil-Industrie in den 1950er und 1960er Jahren den stark verdreckten Fluss gegenüber der Bundesrepublik hätte monieren können – wegen der Gewässerverschmutzung der Saale musste die Zellstofffabrik VEB Rosenthal in Blankenstein beispielsweise im Mai 1953 die Produktion von Fotopapier einstellen – tat sie es wegen des überwiegenden Teils ihrer eigenen Gewässerverunreinigungen nicht.200 Aber sie registrierte, dass die Bundesrepublik in Hof eine große Kläranlage für 53 Mio. DM baute, die ab 1980/81 Verbesserung versprach.201 Die Reinigung des westdeutschen Teils der Saale hatte für die Bundesregierung durchaus auch ideologisch gelagerte Hintergründe: „Dieses Vorgehen unterstreicht nicht nur eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips, sondern bringt in politischer Hinsicht auch die deutschlandpolitische Verantwortung der Bundesregierung zum Ausdruck.“ 202 Auch für die Röden sollte nun, um unkompliziert und schnell zu Ergebnissen zu kommen, in der Grenzkommission eine umweltpolitische Ausnahme gemacht werden.203 Die Verantwortlichen in der DDR wussten, wie oben beschrieben, dass die Zustände katastrophal waren. Dieser „Abwasserkanal“ oder auch der als „Kloake“ umschriebene, stinkende, mit Schlamm überfrachtete Fluss konnte wasserwirtschaftlich nicht mehr genutzt werden; auch eine Seuchengefahr war denkbar.204 Im MfUW gab es bereits Überlegungen, wie mit dem Fall der Röden umzugehen sei. Eine neue Kläranlage mit mechanischer und biologischer Reinigungsstufe würde ca. 35 Mio. Mark kosten. Im laufenden Fünfjahrplan Ende der 1970er sei das nicht mehr realisierbar, weshalb die Maßnahme zum Teil in den Plan 1981– 1985 Eingang finden sollte.205 Die Haltung der DDR, von der Bundesrepublik da198 199 200 201
202 203 204 205
Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 412, siehe auch Kap. II.1.1. Vgl. o. V., Einleitung, in: Zehn Jahre Deutschlandpolitik, S. 25 f. Vgl. Möller, Umwelt, S. 55; Füllenbach, Umweltschutz, S. 156 f. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 1–8, hier S. 4, hs. Zuarbeit MfUW für die Arbeitsgruppe ZK Sommer 1977, Umweltschutz-Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD. Die Saale als „Gegenleistung“ in: BArch, B 288, Bd. 376, Teil 2, Basispapier zur fachlichen Vorbereitung von Verhandlungen mit der DDR über spezifische Gewässerschutzfragen, Afz. des BMI, 29. 6. 1978. BArch, B 137, Bd. 11813, Maßnahmen zur Reduzierung der Werraversalzung, BMB, II 7, 20. 6. 1984, Anlage 8: Aufzeichnung zum Verursacherprinzip. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1441, Bl. 69 f., Schreiben Fischers an Mittag, November 1982. Vgl. Eckert, Geteilt, S. 78; Füllenbach, Umweltschutz, S. 157. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 1–8, hier Bl. 3, hs. Zuarbeit MfUW für die Arbeitsgruppe ZK Sommer 1977, Umweltschutz-Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD.
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für eine finanzielle Beteiligung zu erwirken, wurde eventuell durch die inoffizielle Aussage des stellvertretenden Leiters der Grenzkommission Dr. Erich Kristof, ermuntert, dass sich die Bundesrepublik an den Kosten materiell beteiligen würde.206 Das allein reichte jedoch nicht für einen Durchbruch, zumal die Bundesregierung weiterhin auf dem Verursacherprinzip bestand. Weitere Maßnahmen zur Senkung der hohen Grundbelastung der Röden mit Aufwendungen in Höhe von 90 bis 100 Mio. Mark, davon 35 bis 40 Mio. Mark für Kanalisation und Kläranlage, sah erst der Fünfjahrplan für 1985–1990 vor. Erste Teilmaßnahmen in Höhe von 5 Mio. Mark sollten bereits bis 1985 erfüllt werden, alle anderen wären jedoch erst nach 1990 wirksam geworden.207 Im Mai 1982 überreichte Ewald Moldt dem Staatsminister im Bundeskanzleramt Hans-Jürgen Wischnewski ein Schreiben, in dem die DDR erklärte, dass sie in den nächsten Jahren voraussichtlich nicht die Röden sanieren könne. Falls sich die Bundesregierung jedoch an den Gesamtkosten von 40–50 Mio. DM mit der Hälfte, also 25 Mio. DM für die Kläranlage und den teilweisen Neubau beziehungsweise die Sanierung des Kanalsystems, beteiligen würde, könnte die DDR frühere Baumaßnahmen einrichten.208 Motivierend wirkten auf die DDR dabei sicherlich die positiven Erfahrungen aus den Verhandlungen über die Berliner Gewässer. Innerhalb des Politbüros wurde diese Entscheidung mit der Vorgabe Moskaus legitimiert, „Gefahrensituationen an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin“ zu beseitigen.209 Die Berliner Erklärung hatte die Röden nicht berücksichtigt, weshalb es kein Bundesdach für diese Gewässerverhandlung gab. Die Aufnahme von Gesprächen hätte für die Bundesregierung die Einbeziehung der Berlin-Frage erfordert. In dem Belassen des regionalen Gegenstandes in der Grenzkommission waren somit die Voraussetzungen für eine relativ schnelle Einigung gegeben, wie sie von beiden Seiten gewollt war. Ab der 62. Sitzung der Kommission im November 1982 verhandelten Volkmar Fenzlein vom MfAA und Irmgard von Rottenburg aus dem BMI über die Finanzierungsbeteiligung der Bundesrepublik an der neu zu bauenden mechanisch-biologischen Kläranlage in Sonneberg.210 Benötigt wurden hier-
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210
Vgl. BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 11–27, hier Bl. 25, Dossier, Durchschlag, Umweltbelastungen im Verhältnis zwischen DDR und BRD, o. D, o. A. [vmtl. 1977]. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1625, Bl. 86–100, hier Bl. 94, Information über bestehende Situationen an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin, die zu Schadensersatzforderungen der BRD bzw. Westberlins führen können und eingeleitete Maßnahmen sowie Vorschläge für das weitere Vorgehen, Schalck über Mittag an Honecker, 22. 9. 1981, Anlage. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10376, Vermerk betreffend die Verschmutzung der Röden, Referat II 4, Dr. Kristof, 19. 11. 1982. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1441, Bl. 246, Schreiben Mittags an Honecker, 4. 10. 1983; Bl. 249 „Stand der Realisierung in den Fünfjahrplan 1981–1985 eingeordneter Maßnahmen zur Beseitigung von Gefahrensituationen an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin“ (Anlage 1). Vgl. Eckert, Geteilt, S. 78. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3032/1441, Bl. 69, Schreiben Fischers (MfAA) an Mittag, November 1982.
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für drei weitere reguläre Sitzungen und vier außerplanmäßige Zwischensitzungen im Verlauf des Jahres 1983 (vgl. Tab. 3).211 Die Bundesregierung hatte zunächst eine Finanzierungsbeteiligung entsprechend dem Verursacherprinzip abgelehnt. Die CSU-geführte bayerische Landesregierung setzte sie jedoch zunehmend unter Druck. Entgegen früheren ablehnenden Einstellungen wollte Ministerpräsident Franz Josef Strauß einen umweltpolitischen Deal mit der DDR. Gegenüber Erich Honecker ließ Strauß erkennen, dass die Röden-Gespräche nicht an der Finanzierungsfrage scheitern dürften und auch nicht würden. Sein Besuch in der DDR schien somit die Arbeiten in jedem Fall beschleunigt zu haben.212 Mit dem scheinbar nicht abgesprochenen Vorpreschen des Bayern sah der christdemokratische Minister für innerdeutsche Beziehungen Rainer Barzel für die Regierung keinen Handlungsspielraum mehr gegeben. Dem pflichtete sein Staatssekretär bei: Der Zug sei abgefahren, aber die nun feststehende Summe von 18 Mio. DM lasse die Bundesrepublik in einem guten Licht dastehen.213 Eine interne Analyse des Bundesinnenministeriums kam zu der Einschätzung, dass die von der DDR angegebenen Kosten „vergleichsweise gering“ seien. Die Sanierung des Kanalsystems sei allein mit 15 bis 20 Mio. DM in einer vergleichbaren Stadt in der Bundesrepublik nicht zu leisten. Die Regierung könne also die von der DDR vorgeschlagenen Baumaßnahmen entweder annehmen und versuchen, die Beteiligung zu reduzieren, oder sie zahlt die verlangte Summe mit der zusätzlichen Forderung, ein wie in bundesdeutschen Klärwerken übliches Regenrückhaltebecken zu installieren. Mit dem Argument, dass der Freistaat Bayern durch eine bessere Abwasserqualität Kosten im Betrieb des Flussklärwerkes in Wildenheid sparen würde, sollte das Bundesland zu gleichen Teilen an der Investition beteiligt werden.214 Und auch die CSU rechtfertigte mit diesem Argument ihren finanziellen Anteil gegenüber der Öffentlichkeit.215 Somit hatten sowohl das
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 10377, Teil 4, Protokoll der 65. Sitzung der Grenzkommission am 8./ 9. 6. 1983 in Kiel sowie Protokoll der Zwischensitzungen am 29.3. in Coburg, am 17.5. in Schwerin und am 29. 6. 1983 in Fulda zu v. a. technischen und wasserwirtschaftlichen Fragen; und BArch, B 137, Bd. 10377, Teil 5, Protokoll der Zwischensitzung am 8./9. 9. 1983 in Nürnberg. Vgl. Gespräch Strauß – Honecker, 24. 7. 1983, Hubertusstock, Dok. 5, in: Potthoff, Koalition, S. 146 f., 155 f. Dass dieses Gespräch den Durchbruch ergab, betonte auch Reichelt im Gespräch mit der Autorin am 3. 12. 2020. Vgl. BArch, B 137, Bd. 10377, Teil 4, hs. Anm. des BM Rainer Barzel und des StS Ludwig Rehlinger auf dem Vermerk „Verschmutzung der Röden“ des Referats II (AL), BMIB, für das Ministerbüro, 5. 8. 1983. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10376, Vermerk betreffend die Verschmutzung der Röden, Referat II 4, Dr. Kristof, 19. 11. 1982. Siehe zur Kläranlage Wildenheid: Füllenbach, Umweltschutz, S. 157, Anm. 63. Vgl. BArch, B 137, Bd. 10386, Schreiben zur Kenntnisnahme Van Bebbers an Dr. Kristof, BMIB, den Brief Edmund Stoibers (CSU) an den Landtagsabgeordneten Siegried Rost (CSU) vom 3. 2. 1984.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
159
Land Bayern als auch der Bund einen Anteil von jeweils neun Mio. DM für die Kläranlage in Sonneberg zu zahlen.216 Gegenüber der Öffentlichkeit wurde die Beteiligung der Bundesrepublik darüber legitimiert, dass die DDR die Betriebskosten allein zahle und eine schnelle „Verwirklichung eines optimalen technischen Lösungsmodells unter Einbeziehung zahlreicher kostensteigernder Wünsche unserer Seite“ gegeben war.217 Tatsächlich baute die DDR – entgegen ihrer ursprünglichen Planung – das Regenüberlaufbecken ein, die in der Bundesrepublik bei ähnlicher Bauart technischer Standard waren,218 und investierte bis 1984 13 Mio. M in das Röden-Projekt – mehr als im Fünfjahrplan vorgesehen war.219 Anders noch als beim Autobahnbau in Helmstedt oder den Berliner Gewässern sollte die DDR diesmal die Summe jedoch nicht zur freien Verfügung bekommen, sondern sie wurde auf das Unterkonto 3 gezahlt, damit davon direkt der innerdeutsche Handel, Ausgleich der DDR im Defizit der Dienstleistungen, profitierte.220 Zeitlich fiel die Vereinbarung über die Röden mit dem ersten von Strauß an die DDR vermittelten Milliardenkredit zusammen, als diese vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Es liegt daher nahe, dass die DDR hier politische Zugeständnisse – inoffiziell – für diese Finanzspritze machte. Denn der Kredit wurde ohne Junktim, also ohne offizielle Gegenleistungen als „Vertrauensbeweis“ gegeben. Zwar sprach Strauß durchaus von einem Zusammenhang zwischen Röden und Kredit, den Reichelt hingegen nicht als gegeben ansah.221 Der Kredit wiederum stellte die außergewöhnlichste Bonner Entspannungsmaßnahme dar, die die drohende Nachrüstung durch den NATO-Doppelbeschluss begleitete.222 Die Geschwindigkeit, mit
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Vgl. „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Regelung von Fragen, die mit der Abwassereinleitung und -behandlung für die Stadt Sonneberg (DDR) zur Verbesserung der Gewässergüte der Röden zusammenhängen“, in: Bundesgesetzblatt, Teil II, Nr. 13, 26. 4. 1984, S. 342–346. Siehe auch Eckert, Geteilt, S. 79; Seidel, Berlin-Bonner Balance, S. 314. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132137, Presserklärung des BMI Friedrich Zimmermann „RödenVereinbarung ist erstes Etappenziel auf dem Weg zum gemeinsamen Umweltschutz in beiden Teilen Deutschlands“, 12. 10. 1983. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10376, Vermerk betreffend die Verschmutzung der Röden, Referat II 4, Dr. Kristof, 19. 11. 1982. Vgl. für den Einbau der Regenüberlaufbecken, Klärwerk Sonneberg: o. V., Mehr Planungssicherheit in der Siebbandpresse, in URL: https://gkd.de/praxis berichte/klaerwerk-sonneberg-mehr-planungssicherheit-in-der-siebbandpresse/ [17. 5. 2022]. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5756, Ergebnisse und Leistungen der DDR zur Verbesserung der Umweltbedingungen auf dem Territorium der BRD, Schreiben Reichelts an Mittag, 10. 10. 1984. Vgl. BArch, B 137, Bd. 10376, Afz. des Referats Z II 3 zur Ressortbesprechung am 12. 4. 1983 im BMI zur Verschmutzung der Röden, 14. 4. 1983; PA AA, B 38, ZA, 132700, 64. Sitzung der Grenzkommission am 2./3. 3. 1983 in Oberhof, Protokoll des Referats Z II 3 vom 17. 3. 1983. Ganz anders in Füßlein, Grenzkommission, S. 120 f. Gespräch mit Hans Reichelt am 6. 8. 2014 in Schöneiche bei Berlin; vgl. Franz Josef Strauß, Tatsachen über einen Kredit, in: Bayernkurier, 16. 7. 1983, S. 1. Bräutigam, Ständige Vertretung, S. 311; Seidel, Berlin-Bonner Balance, S. 314; Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 132, 158; Steiner, Plan zu Plan, S. 198; Eckert, Geteilt, S. 93; Möller, Strauß, S. 592. Vgl. Peter, Bundesrepublik Deutschland im KSZE-Prozess, S. 516. Wirsching, Abschied, S. 595–598.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
der letztlich das Problem der Röden gelöst werden konnte, zeigt, dass in der DDR zunehmend der politische Wille vorhanden war, sich gegenüber Bonn in Umweltfragen entgegenkommender zu zeigen. Gleichzeitig markieren Röden- und Milliarden-Deal eine politische Wende des Hardliners Strauß, die in eine engere umweltpolitische Kooperation mit der DDR führen sollte. Die Kläranlage ging letztlich vier Jahre später, 1987 planmäßig in Betrieb.223 Anders als in Berlin, wo die Gewässerverhandlung ihren Abschluss fast sangund klanglos mittels Briefübergaben fand, erreichte die Formalisierung hier fast den Stand einer offiziellen Vereinbarung. Der DDR-Umweltminister Hans Reichelt wurde für den 12. Oktober 1983 nach München eingeladen, um dort der Unterzeichnung durch Fenzlein und von Rottenburg beizuwohnen.224 Aus diesem Anlass kam es sogar zu einer Art umweltpolitischem Gipfeltreffen zwischen ihm und Friedrich Zimmermann. Der promovierte Jurist Zimmermann stand als Bundesinnenminister und CSU-Mitglied sozusagen in Personalunion sowohl für den Bund als auch den Freistaat Bayern. Die DDR sah die Röden-Vereinbarung als Vorbild für die Finanzierungsmöglichkeiten zukünftiger Umweltprojekte an. Zimmermann wich nach dem bundesdeutschen Vermerk über das Treffen allerdings nicht vom Verursacherprinzip ab beziehungsweise schränkte ein, dass es „lediglich Beteiligungen für Anlagen auf DDR-Gebiet“ geben werde.225 Die DDR-Aufzeichnung über das Treffen legte Zimmermann indes in den Mund, dass er dieses „Modell für künftige Regelungen“ akzeptierte.226 Es erscheint möglich, dass das MfUW mit dieser Formulierung versuchte, Umweltverhandlungen mit der Bundesrepublik gegenüber der Parteiführung, insbesondere dem Wirtschaftssekretär des ZK Günter Mittag salonfähig zu machen beziehungsweise sie so zu institutionalisieren. Reichelt hatte ohnehin eine schwierige Position im Ministerrat, „weil er keine Devisen bringe, sondern nur Kosten verursache“.227 Über dieses Finanzierungsmodell bestand nun für die DDR die Möglichkeit, wichtige Umweltbelange in Angriff zu nehmen, die Mittag anderenfalls aus Kostengründen blockiert hätte. Das Finanz-Konstrukt DDR-Bund-Bundesländer schuf einen Präzedenzfall für die Lösung anderer Umweltprobleme in den innerdeutschen Beziehungen. Dementsprechend war unter anderem der Ministerpräsident Niedersachsens Ernst Albrecht (CDU) von dieser Regelung keineswegs angetan, da sie das Verursacherprinzip
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Siehe u. a. das Protokoll über das Gespräch des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR Reichelt mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, München, 12. 10. 1983, Dok. 91, in: DzD, VII/1, S. 359–362. Vgl. zu den parteipolitischen und Länderkontakten zur DDR auch Kap. IV.3.1. Siehe Bilder zur Kläranlage im Zeitzeugenbericht von Max Grahmann in: Thürnagel, Trinkwasserversorgung, S. 217–228. Vgl. BArch DK 5/4740, Information über den Besuch Reichelts in München am 12. 10. 1983 an Erich Honecker, Günter Mittag und Willi Stoph, 15. 10. 1983. BArch, B 136, Bd. 21544, Teil 7, Bl. 139, Vermerk über das Gespräch Minister Zimmermann und Minister Reichelt (DDR) am 12. Oktober 1983 in München, 17. 10. 1983. BArch, DK 5, Bd. 4740, Gespräch Reichelts mit Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann am 12. 10. 1980 in München, Information Reichelts an Honecker, Mittag und Stoph. PA AA, B 38 (ZA), Bd. 116544, Brief Peter Menke-Glückerts an Günter Gaus, 25. 10. 1979.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
161
Abb. 5: Fertigstellung der Kläranlage in Sonneberg mit einem rund 17,5 Kilometer langen Kanalisationsnetz, sieben Regenrückhaltebecken und 15 Überlaufwerken für Regenwasser, Bezirk Suhl (DDR), 2. Oktober 1987; Quelle: Bundesarchiv, Fotograf: Helmut Schaar, Bild 183-1987-1002-045
untergrub.228 Als für die Werra ein ähnliches Modell leise angedacht wurde, warnte Günther Meichsner, Abteilungsleiter für Deutschlandpolitik im BMIB, es sei „bedenklich, die Zuständigkeit der Grenzkommission auf immer mehr grenzüberschreitende Umweltprobleme auszudehnen“, da es hier schwierig sei, Berlin einzubeziehen.229 Reichelt dagegen erhoffte sich nun Verhandlungen mit der Bundesrepublik „auf allen Gebieten des Umweltschutzes“. So nannte er diesbezüglich bei seinem Besuch in München insbesondere eine Beteiligung der Bundesrepublik, „und zwar ‚materiell, finanziell und technologisch‘“ an der Verbesserung der Wasserqualität der Elbe.230 Damit verwies er explizit auf die Elbegespräche, die ebenfalls im Jahr 1983 stattgefunden hatten.
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Vgl. „Deutsch-deutsche Klärung“, in: Der Spiegel, Nr. 33, 15. 8. 1983, S. 14; Carl-Christian Kaiser, Bonn: Bisher nur Signale aus der DDR, in: Die Zeit, 23. 9. 1983, S. 8. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11834, Vermerk über das deutschlandpolitische Koordinierungsgespräch am 16. 2. 1984 im BKAmt, AL II, BMIB, 17. 2. 1984. BArch, B 136, Bd. 21544, Teil 7, Bl. 139, Vermerk über das Gespräch zwischen Minister Zimmermann und Minister Reichelt (DDR) am 12. Oktober 1983 in München, 17. 10. 1983.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
2.4 Die Elbe — „Ausdruck des guten Willens“ 231 „Die hohe Vorbelastung durch die DDR ist zweifelsfrei – der Hamburger Anteil wird derzeit im einzelnen sehr genau ermittelt, aber ich muß allerdings davon ausgehen, daß er im Verhältnis zur DDR-Belastung nicht sehr hoch ist.“ Mit diesen Worten äußerte sich vage der nach Gift-Einleitern und Umweltdaten im Raum Hamburg befragte Senator Wolfgang Curilla (SPD) in der Panorama-Sendung vom 12. Mai 1981. Er war Präses der Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltgestaltung (BBNU) in Hamburg. Auf die Nachfrage: „Aber genau wissen Sie das nicht?“ antwortete er: „Das ist richtig.“ 232 Es ging um den Vorwurf an die DDR und die ČSSR, den 1100 Kilometer langen mitteleuropäischen Strom mit verschiedenen Schadstoffen – vor allem Schwermetallen – zu vergiften. Neben der schlechten Gewässerqualität bestand ein weiteres deutschlandpolitisches Problem: die strittige Grenzfrage an der Elbe. Zwischen Lauenburg und Schnackenburg gab es einen 93 Kilometer langen rechtlich ungeklärten Abschnitt. Während die Bundesrepublik auf der Grenzziehung am Ostufer des Flusses bestand, forderte die DDR – nach völkerrechtlicher Lesart – einen Grenzverlauf in der Mitte der Elbe. Im Oktober 1980 verlieh Erich Honecker dieser Forderung erneut Nachdruck, indem er sie auf der Eröffnung des Parteilehrjahres in Gera als eine der vier Maximalpositionen der DDR in Bezug auf die deutsch-deutschen Beziehungen formulierte. Die sogenannten „Geraer Forderungen“ beinhalteten auch die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und damit einhergehend die Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften sowie die Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle für Gewaltverbrechen der DDR in Salzgitter. Dies geschah in diesem Fall nicht aus sowjetischem Druck, wie zuvor oft geschehen, sondern das Politbüro versuchte damit, die DDR vor einer Einflussnahme aus der Bundesrepublik abzugrenzen.233 Annäherung und Abgrenzung lagen in dieser Beziehung stets nah beieinander. In Bezug auf die strittige Elbegrenze gab zwar ein Memorandum der Hohen Kommissare von 1953, das 1974 im Archiv gefunden wurde, der DDR-Führung Recht. Doch Bonn wollte unter der SPD-Führung die Grenzfrage am liebsten ausklammern und unter CDU-Regie – wie schon unter Bundeskanzler Konrad Adenauer – keinesfalls klein beigeben.234 Das bedeutete 231
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PA AA, MfAA, M 50, ZR 929/14, Standpunkt zum Vorschlag der BRD-Regierung zur Aufnahme von Gesprächen über die Gewässergüte der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen, Schreiben von Volkmar Fenzlein, MfAA, an Oskar Hugler, 4. 3. 1982. Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS), SBe 711 G1 HH, Die Umweltbehörde, in: Wasser in Hamburg. Giftig, salzig, dreckig, stinkig, Bd. 2, hrsg. von der Umweltschutzgruppe Physik/Geowissenschaften (Jochen, Anne Heeling, Dieter), St. Pauli, Hamburg 1983, S. 79–84, hier S. 84. Vgl. zur Unkenntnis Curillas zu Direkteinleitern: o. V., Hamburg: Angst vor Alternativen, in: Der Spiegel, Nr. 22, 31. 5. 1982, S. 17–22, hier S. 22. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 412 f., 424; Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 94; Füßlein, Grenzkommission, S. 105–114; Siebs, Außenpolitik der DDR, S. 186. Im Londoner Protokoll der Alliierten vom 12. 9. 1944 war in der beigefügten Map A diese Grenze falsch bzw. ungenau eingezeichnet, woraus sich eine unsichere Rechtslage ergab, die zu unterschiedlichen Handhabungspraxen führte. Die DDR bezog sich auf die völkerrechtliche Praxis mit der Strommitte; innenpolitische Gründe (dem Osten nicht nachgeben,
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
163
jedoch: Sobald die Bundesrepublik mit der DDR über die Gewässergüte der Elbe in Verhandlungen treten wollte, musste sie sich auch auf die Grenzthematik vorbereiten. Darin unterscheidet sich dieses Grenzgewässerproblem von den bisherigen. Am Beispiel der Elbe kann aufgezeigt werden, wie einerseits der Systemkonflikt des Kalten Krieges über die Grenzproblematik zwischen Ost und West Umweltbeziehungen zwischen beiden Seiten blockierte.235 Andererseits ist diese Gewässerverschmutzung ein weiteres Beispiel dafür, wie die deutsche Frage innerhalb der Bundesrepublik zugunsten partikularer Länderinteressen, in diesem Fall des Hamburger Senats, dafür genutzt wurde, Verantwortlichkeiten auf den Bund abzuwälzen. Mit anderen Worten, hier lassen sich Verschiebungen in den Interessenlagen der Stadt Hamburg und des Bunds, aber auch der DDR, nachvollziehen, zu denen es in den 1980ern kam. Im Folgenden stehen daher zwei Gespräche über die Elbe zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Jahr 1983 im Fokus, deren Kontexte – Messungen, ökologische Faktoren und Umweltdaten, Rolle Hamburgs und der Umweltvereine etc. – ein differenzierteres Bild erzeugen, als Curilla seinem Publikum mit der „zweifelsfreien“ Verschmutzung aus der DDR malen wollte. Von Protesten und Messungen in der Bundesrepublik
Im Mai 1981 kam es in Hamburg unter dem Motto „Rettet die Elbe, jetzt“ zu einer großen Demonstration von 500 Fischkuttern, Motor- und Segelbooten sowie 50 000 Umweltschützern. Hintergrund war, dass den Fischern unter Androhung einer Geldstrafe von 50 000 DM der Verkauf der Elbfische untersagt worden war, was einem Berufsverbot gleichkam. Die Tiere wiesen einen zu hohen Quecksilbergehalt auf. Elbbrassen enthielten beispielsweise 3000 μg pro Kilogramm Fisch, das war das Dreifache der erlaubten Menge. Daraufhin blockierte die einst stolze Zunft mit ihrer auf etwa zwölf Boote zusammengeschrumpften Flotille den Hamburger Schiffsverkehr.236 Ein Umstand also, zu dem sich Curilla äußern musste. Für die Elbfischer saßen die Schuldigen allerdings nicht nur im Osten, sondern auch in Bonn, Hamburg, Kiel und Hannover. Der Plan, an der Elbe das „Kalabrien des Nordens“, ein Wirtschaftszentrum wie im Ruhrgebiet zu schaffen, entpuppte
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Flüchtlinge) führten zur bundesdeutschen Position des Ostufers. Vgl. zur Elbe-Problematik: Füßlein, Grenzkommission, S. 99 f., siehe auch S. 25–29, 92, 96–114, 116–118, 131–161; Schumann, Die Elbe, S.139; Link, Außen- und Deutschlandpolitik, S. 361 f. Siehe auch: o. V., Linie in der Mitte, in: Der Spiegel, Nr. 53, 30. 12. 1974, S. 20 f.; o. V., Deutsche Fläche, in: Der Spiegel, Nr. 50, 8. 12. 1975, S. 69–72; o. V., Jedermanns Fluß, in: Der Spiegel, Nr. 15, 4. 4. 1977, S. 44–46. Siehe zum Beispiel kaum bis gar keine Lösung für die Umweltprobleme wegen der Grenzproblematik bei Schumann, Elbe, S. 137–140; Weber, Getrennt, S. 986; Loth, Rettung, S. 203; von Berg, Umweltunion, S. 904. Vgl. o. V., Elbe: „Wir hängen jetzt total auf Null“, in: Der Spiegel, Nr. 22, 25. 5. 1981, S. 52– 57; o. V., Bi de Büx, in: Der Spiegel, Nr. 11, 15. 3. 1982, S. 86–89; o. V., Der Geist aus der Flasche, in: Der Spiegel, Nr. 35, 24. 8. 1981, S. 62–76, hier: S. 67.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
sich als tückisch. „Der Spiegel“ berichtete, durch Eindeichungen seien die Auen und Flächen trockengelegt worden, die für die Selbstreinigung des Flusses notwendig waren. Das stete Ausbaggern der Schifffahrtsrinne Hamburgs für den Hafen setze giftiges Baggergut frei und trüge ebenfalls zur Verschlechterung der Wasserqualität bei. Die Industrieansiedlung der 1970er Jahre halte Umweltschutzstandards nicht ein. Dem Konzern Dow Chemicals sei nicht zur Auflage gemacht worden, chlorierte Kohlenwasserstoffe – wie bereits technisch möglich – zu entsorgen, und die größte Kupferhütte Europas, die Norddeutsche Affinerie („Affi“) leite nach Angaben von Umweltschützern das 30 000-fache der genehmigten Cadmiummenge in den Fluss.237 Die Hamburger Umweltbehörde (BBNU) verhielt sich zurückhaltend, was die Veröffentlichung von Einleiterdaten betraf, und argumentierte mit dem Geheimnisschutz der Firmen.238 Es waren die aktiven Umweltgruppen in Hamburg, wie beispielsweise der von dem bekanntesten Elbfischer und Kandidaten der GrünAlternativen Liste (GAL) Heinz Oestmann gegründete Verein „Rettet die Elbe e.V.“ oder Greenpeace, die in Hamburg Messproben vornahmen, ihre Ergebnisse veröffentlichten und damit die Verantwortlichen anprangerten. Auch ergaben Stichproben der „Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe“ (ARGE), ein Zusammenschluss von Ländervertretern aus Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein, abweichende Werte von Quecksilberbelastungen nahe Brunsbüttel, die von kaum messbar bis zum 15-fachen Überschreiten des WHO-Grenzwertes (1 μg/l Flusswasser für die Trinkwassergewinnung) reichten. Diese Ergebnisse seien nicht mit Einleitungen aus der DDR erklärbar, jedoch kämen die in Brunsbüttel ansässigen Industriewerke von Bayer und Veba als Verursacher in Frage.239 Der Vorwurf der Umweltbewegung lautete, gerade im Raum Hamburg werde nicht systematisch nach Einleitern gesucht und Umweltsünder nicht konsequent zur Rechenschaft gezogen. Dabei resümierte das eher linksorientierte Magazin „Der Spiegel“ selbst: „Je nach politischer Einstellung werden mal DDRund ČSSR-Kombinate am Oberlauf, mal westdeutsche Industriekonzerne am Unterlauf der Elbe für den Schwermetall-Schmutz verantwortlich gemacht.“ 240 Dennoch stieg durch die Vorbelastung der Druck der Landesumweltminister und der Öffentlichkeit auf die Bundesregierung, mit der DDR und auch der ČSSR Verhandlungen aufzunehmen.241 237
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Vgl. o. V., Elbe: „Wir hängen jetzt total auf Null“, in: Der Spiegel, Nr. 22, 25. 5. 1981, S. 52– 57; o. V., Bi de Büx, in: Der Spiegel, Nr. 11, 15. 3. 1982, S. 86–89. Siehe auch ARGE Elbe, Gewässerökologische Studie, S. 54, 62, 67. Vgl. HIS, SBe 711 G1 HH, Die Umweltbehörde, in: Wasser in Hamburg. Giftig, salzig, dreckig, stinkig, Band 2, hrsg. von der Umweltschutzgruppe Physik/Geowissenschaften (Jochen, Anne Heeling, Dieter), St. Pauli, Hamburg 1983, S. 79–84, hier S. 84. Vgl. o. V., Der Geist aus der Flasche, in: Der Spiegel, Nr. 35, 24. 8. 1981, S. 62–76, hier: S. 73 f. Siehe auch AGG, B.II.1, Bd. 2037, Jörg Heimbrecht „Was man in Bonn ‚vergißt‘, wenn man über verdreckte Flüsse der DDR redet“, in: Unsere Zeit, 28. 2. 1983. O. V., Der Geist aus der Flasche, in: Der Spiegel, Nr. 35, 24. 8. 1981, S. 62–76, hier: S. 69. Vgl. Protokoll des Leiters des Arbeitsstabs Deutschlandpolitik im BKAmt von Richthofen über das Fünfergespräch, 6. 5. 1981, Dok. 39, in: DzD VI/7, S. 161–162, Anm. 28; PA AA,
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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Wie kam es nun zu dieser – im wahrsten Sinne des Wortes – „Schlammschlacht“ zwischen Hamburger Senat, westdeutschen Umweltschützern, DDR und Bund? Die Elbe verlasse laut UBA die DDR bei Schnackenburg mit der Güteklasse III, das bedeutet „stark verschmutzt“ – die Abwässer hinterlassen eine trübe Farbe und die Flüsse sind aufgrund mangelnden Sauerstoffes relativ fischarm. Die Güteklasse242 eines Gewässers sagt allerdings nur etwas über die organische Belastung und den Nutzen, ergo „für etwas“, nicht jedoch über den Zustand des Gewässers im Sinne eines Wertmaßes „an sich“ aus.243 So schränkte aber die Vorbelastung durch die DDR den wirtschaftlichen Handlungsspielraum ein und erschwerte sowohl neue Industrieansiedlungen in der Bundesrepublik sowie das allgemeine Ziel, in den bundesdeutschen Gewässern bis 1990 die Güteklasse II (mäßig belastet) zu erreichen.244 Das heißt, auch im BMI sahen die Beamten die Notwendigkeit, mit der DDR Gespräche über die Vorbelastung zu führen. Allerdings überwog in dieser Angelegenheit wohl das wirtschaftliche das ökologische Motiv. Warum erhielt die Elbe im Vergleich zur Werra erst relativ spät diese politische Aufmerksamkeit? In den 1970er Jahren entwickelte sich die Spurenanalytik, mit der Schwermetalle und chlorierte Kohlenwasserstoffe im Wasser sicher erfasst werden konnten.245 1977 schlossen die Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg eine Verwaltungsvereinbarung, aus der die sogenannte „Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Elbe“ hervorging. Deren Leiter wurde der Chef der Wassergütestelle Elbe, der Diplom-Ingenieur Dr. Gerd Flügge. Der Bund hatte in der ARGE einen Gaststatus.246 Die Arbeitsgemeinschaft war für die ersten Messreihen der Gewässergüte des Flusses zuständig, die in der Bundesrepublik, insbesondere an der Messstation Schnackenburg an der deutsch-deutschen Grenze
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ZA, B 75, Bd. 132146, Brief des Deutschen Fischerverbands Hamburg an den BMLF vom 16. 12. 1981 und dessen Weiterleitung an das BKAmt und BMI vom 2. 2. 1982. Es gibt vier Güteklassen und drei Zwischenklassen, aber keine Einbeziehung von Schwermetallen und anorganischen Stoffen: o. V., Gewässergüte, in: Kompaktlexikon Biologie, Spektrum, in: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/gewaesserguete/4813 [20. 5. 2022]. In der DDR gab es sechs Güteklassen, die wiederum dreifach unterschieden wurden in: Organische Belastung und Sauerstoffgehalt, Salzbelastung und sonstige Gebietsspezifische Inhaltsstoffe (wie Schwermetalle). Vgl. Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 41. BArch, B 295, Bd. 14962, Teil 7, Vergleich der Belastung des Rheins und der Elbe mit Quecksilber und Cadmium, Dr. Wieting, Abteilung III.3.1., Umweltbundesamt, 21. 10. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132530, Vermerk über die Elbeverschmutzung, Bund-Länderbesprechung am 6. 4. 1981 im BMI; Vgl. für das Ziel der Güteklasse: BArch, DK 5, Bd. 4740, Information über das Gespräch Hans Reichelts mit dem MdB Torsten Wolfgramm (FDP), 20. 9. 1983. Siehe auch den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Erklärung der Bundesregierung zum Thema „Unsere Verantwortung für die Umwelt“, in: Deutscher Bundestag, Drucksache 10/383, 14. 9. 1983, S. 1–9, hier S. 5. Vgl. PA AA, ZA, B 38, 132688, Bericht des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Elbe (ARGE Elbe) anlässlich des ersten Expertengesprächs am 1. 2. 1983, MELF des Landes Schleswig-Holstein. Vgl. Flussgebietsgemeinschaft Elbe, Chronologie der ARGE Elbe, in URL: https://www.fggelbe.de/tl_files/Downloads/FGG_Elbe/wuu/Chronologie.pdf [20. 5. 2022].
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
1978 begannen.247 Mit ihrer Studie über die Schwermetallbelastung der Elbe standen Anfang der 1980er Jahre erste Ergebnisse zur Verfügung. Hierin wurden die monatlichen Stichproben in der Tideelbe und drei Messungen für jeweils eine Woche in Schnackenburg ausgewertet. Wegen der Grenznähe konnten in Schnackenburg nur Stichproben aus der Strommitte genommen werden. Außerdem unterlagen die dortigen gemessenen Tagesfrachten erheblichen Schwankungen: So verteilten sich die Messergebnisse von Quecksilber beispielsweise auf 32, 64 bis hin zu 112 Kilogramm pro Tag. Bis auf Quecksilber, das an Konzentration abnahm, blieben die Werte für Cadmium, Blei, Zink und Kupfer bis in die Tideelbe, obwohl Verdünnungseffekte greifen müssten, fast auf dem gleichen Niveau.248 Darüber hinaus lassen die Zahlen des ersten Schwermetallberichts der ARGE Elbe von 1979/1980 im Grunde genommen auch so interpretieren, dass die Schwermetallbelastung bei Schnackenburg innerhalb der westdeutschen Grenzwerte lag, wenn auch äußerst knapp – es wird im Bericht selbst nur nicht explizit gesagt.249 Dennoch ließe sich für das BMI aus den bisherigen Erkenntnissen ableiten, dass die Belastung aus dem Osten diejenige der Bundesrepublik in jedem Fall übersteige.250 Das eine ist somit die Vorbelastung eines Flusses beim Übertritt an der Grenze, die – in der Tat – hoch war, das andere ist jedoch ihre Vergleichbarkeit mit entsprechenden Parametern weiter im Landesinneren, hier also im Raum Hamburg. Und hier wusste niemand genau, wie es in der Bundesrepublik wirklich aussah. Eine historische Rekonstruktion plausibler Messangaben für Anfang der 1980er Jahre ist und bleibt schwierig. Zum Beispiel hätten die Länder der Bundesregierung 1981 noch immer nicht „detailliert dargelegt“, in welchem Verhältnis die Verschmutzung aus den beiden sozialistischen Ländern zur eigenen stünde, so das Resümee aus dem Innenministerium.251 So lagen Messdaten aus dem Raum Hamburg der ARGE Elbe 1982 beispielsweise noch gar nicht vor, da die dortigen Behörden noch nicht über die entsprechenden Daten verfügten.252 Und war dies 247
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250
251 252
Vgl. o. V., Gütemessstellen im Elbegebiet: Schnackenburg, in: Informationsplattform Undine (Datengrundlagen zur Einordnung und Bewertung hydrologischer Extreme), in URL: http:// ne-friend.bafg.de/servlet/is/12115/ [20. 5. 2022]. Vgl. ARGE Elbe, Schwermetalldaten, S. 18–22, 24, 29–30. Für Quecksilber (Hg) lag der Grenzwert bei 4 μg/l (EG 1 μg/l), der bei Schnackenburg zwischen 0,2–4 μg/l betrug und damit knapp innerhalb der Trinkwasserrichtlinie von 1975 lag, und in der Tideelbe bei Hamburg schwankte er zwischen 0,2–0,5 μg/l. Vgl. ARGE Elbe, Schwermetalldaten, S. 15, 17, 29. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Elbeverschmutzung, Besprechung im Fünfer-Kreis, 26. 6. 1981, Drahtbericht Nr. 5212, Bonn, BMI, an AA. Siehe zum Vergleich mit dem Rhein: PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Anlage: Wasserbeschaffenheit der Elbe unterhalb der DDR, Ressortbesprechung im BMI am 28. 7. 1981, Elbeverschmutzung, Afz. von Möbs; und für den höher liegenden Wasserstand des Rheins im Vergleich zur Elbe Erker, Umwelt, S. 24 f. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Elbeverschmutzung, Besprechung im Fünfer-Kreis, 26. 6. 1981, Drahtbericht Nr. 5212, Bonn, BMI, an AA. Vgl. BArch, B 295, Bd. 14960, Teil 4, Anhang: Wasserrechtliche Erlaubnis für die Firma Dow Chemical, Stade – Einleitung von chlorierten Kohlenwasserstoffen, Schreiben Heinrich von Lersner, UBA, an Bundesinnenminister Gerhart Baum, Chlorkohlenwasserstoffe in Abwässern der Firma Dow-Chemical, 21. 4. 1982.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
167
doch der Fall wurden den politischen Entscheidungsträgern Vergleichswerte für die Messungen bei Schnackenburg kurz hinter der Grenze pro Stoff die Daten anderer Städte, wie Geesthacht oder Wedel – die eine vor, die andere hinter Hamburg gelegen, zur Verfügung gestellt. Außerdem gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine systematischen Messungen in Hamburg, sondern nur monatliche Stichproben der ARGE Elbe vom Hubschrauber oder Boot aus.253 Die Messung aus der Luft hatte wiederum den Hintergrund, dass wegen der Tideelbe, 52 Proben innerhalb von fünf Stunden genommen werden mussten, um vergleichbar zu sein.254 Die Gezeiten, die Niederschläge, die Sedimentation der Schadstoffe, der Oberwasserabfluss und die Strömungsverhältnisse sind alles Faktoren, die Messwerte regional beeinflussen. Eine zuverlässige Datengrundlage war deshalb unabdingbar, wozu auch gehörte, Umweltinformationen aus der DDR über die Elbe zu erhalten. Sie dienten allerdings nicht nur dazu, teilweise von eigenen Problemen abzulenken, sondern auch und vor allem, die tatsächliche Lage besser einschätzen zu können. Doch eine Stellungnahme des Gesamtdeutschen Instituts konstatierte, dass es für das UBA schwierig sei, die Daten aus der DDR (Fachzeitschriften, -bücher, Dissertationen, Kongressberichte) auszuwerten, weil diese kaum vorhanden seien. Das lag zum einen daran, dass in der DDR systematischere Untersuchungen über den Gütezustand der Elbe an der innerdeutschen Grenze ebenfalls erst um 1980 entstanden. Anlass war die entsprechende Direktive von 1977, an der Westgrenze der DDR für umweltpolitisch tragbare Zustände zu sorgen.255 Zum anderen wurde die Unwissenheit auf der Westseite wiederum durch die Geheimhaltungstaktik der SEDFührung begründet, Umweltdaten nicht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit sollte der Bundesrepublik die Möglichkeit entzogen werden, die DDR zu diskreditieren und gegebenenfalls finanzielle Forderungen zu stellen.256 Selbst der BND konnte hier wegen der „Komplexität“ und der mangelhaft veröffentlichten Daten keine allgemeine Aussage treffen. Zwar listete der Geheimdienst „[n]achrichtendienstlichen Hinweisen zufolge“ Betriebe auf, die „wahrscheinlich“ Abwässer ungeklärt in die Elbe leiteten, aber der Anteil der in die Flüsse gelangenden Schadstoffe sei nicht bekannt.257 Auch das Gesamtdeutsche Institut sah eine Auf-
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254 255
256 257
Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Anlage: Wasserbeschaffenheit der Elbe unterhalb der DDR, Ressortbesprechung im BMI am 28. 7. 1981, Elbeverschmutzung, Afz. von Möbs; o. V., Elbe: ‚Wir hängen jetzt total auf Null‘, in: Der Spiegel, Nr. 22, 25. 5. 1981, S. 52–57; hier S. 56. Vgl. ARGE Elbe, Schwermetalldaten, S. 8–10. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1625, Bl. 86–100, hier Bl. 99, Information über bestehende Situationen an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin, die zu Schadensersatzforderungen der BRD bzw. Westberlins führen können und eingeleitete Maßnahmen sowie Vorschläge für das weitere Vorgehen, 22. 9. 1981, mit Anlage zu den Maßnahmen, Schalck über Mittag an Honecker, bestätigt am 23. 9. 1981. Vgl. Gundermann, Geheimnis, S. 25–28; Schumann, Elbe, S. 136; zur Geheimhaltungspraxis der SED Kap. III.1. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Statistische Angaben zum vermutlichen Abwasseraufkommen einzelner Industrie- u. Wirtschaftsbereiche in verschiedenen Bezirken der DDR, Afz. TWI des BND, 23. 7. 1982.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
schlüsselung nach chemischen Werken in der DDR als nicht möglich an. Ziel der Expertengespräche über die Elbe müsse demnach „die Verbesserung des Informationsangebots über die Umweltschutzprobleme in der DDR sein. Anderenfalls können hierzulande nicht einmal die Erfolge der DDR-Umweltschützer auf dem Gebiete der Gewässerreinhaltung registriert und anerkannt werden.“ 258 Solche Informationen dienten also auch dazu, eine mögliche Opposition zu unterstützen. Anfang der 1980er Jahre scheint dies jedoch noch zu früh, als dass hier eine klare Verbindung zwischen Bund und DDR-Opposition gezogen werden könnte. Auf der anderen Seite richtete die DDR ihren Arbeitsschwerpunkt entsprechend dem Landeskulturgesetz auf Maßnahmen zur Wertstoffrückgewinnung und Verhinderung des Metalleintrags ins Wasser aus.259 Lösungen in diesem Bereich steckten jedoch noch in den Kinderschuhen. Eine Analyse des MfUW bestätigte, dass die von den West-Medien aufgegriffenen Metallwerte in der Elbe korrekt dargestellt seien. So verlasse der Fluss die DDR bei Schnackenburg mit 70 Kilogramm Quecksilber,260 166 Kilogramm Blei, 94 Kilogramm Cadmium, 9400 Kilogramm Zink und 233 Kilogramm Kupfer pro Tag. Der Sauerstoffgehalt betrug 6,0 Miligramm und der Ammoniumgehalt 2,3 Miligramm pro Liter.261 Verglichen mit dem Rhein im Jahr 1979 sei die Elbe jedoch nicht das am schwersten belastete Gewässer.262 Das MfUW sah daher keinen Handlungsbedarf, den Forderungen der Bundesrepublik nach Elbe-Gesprächen nachzugeben, denn: „Der Antrag der BRD entspricht nicht den Interessen der DDR. Es wird das politische Ziel verfolgt, die DDR für Probleme im Raum Hamburg und der Unterelbe verantwortlich zu machen, die insbesondere dadurch entstehen, daß in diesem Ballungsgebiet selbst Abwassereinleitungen
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PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Stellungnahme zum Bericht des Umweltbundesamtes über die Gewässergüte in der Elbe in der DDR, Gesamtdeutsches Institut, Buck/Spindler, November 1982. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1625, Bl. 86–100, hier Bl. 99, Information über bestehende Situationen an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin, die zu Schadensersatzforderungen der BRD bzw. Westberlins führen können und eingeleitete Maßnahmen sowie Vorschläge für das weitere Vorgehen, 22. 9. 1981, mit Anlage zu den Maßnahmen, Schalck über Mittag an Honecker, bestätigt am 23. 9. 1981. Vgl. 70 kg/d in: o. V., Elbe: „Wir hängen jetzt total auf Null“, in: Der Spiegel, Nr. 22, 25. 5. 1981, S. 52–57, hier S. 56; 112 kg/d in: o. V., Der Geist aus der Flasche, in: Der Spiegel, Nr. 35, 24. 8. 1981, S. 62–76, hier: S. 70. Siehe zu 26 t/a (entspricht ca. 71,2 kg/d) PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Wasserbeschaffenheit der Elbe unterhalb der DDR, Ressortbesprechung im BMI am 28. 7. 1981, Elbeverschmutzung, Afz. von Möbs. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Einschätzung der Schwermetallbelastung der Elbe, Gerhard Voigt, Staatliche Gewässeraufsicht, MfUW, 12. 4. 1982. Siehe auch ARGE Elbe, Gewässerökologische Studie, 1984, S. 48; Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 40. Für den Rhein bei Kleve gab das MfUW 75 kg Quecksilber, 1100 kg Blei, 270 kg Cadmium, 25 500 kg Zink und 5200 kg Kupfer pro Tag an. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Einschätzung der Schwermetallbelastung der Elbe, Gerhard Voigt, Staatliche Gewässeraufsicht, MfUW, 12. 4. 1982. Hochgerechnet liegen diese Angaben teilweise noch unter den Werten, die Der Spiegel für den Rhein nennt, z. B. 12300 t Zink und 70 t Quecksilber pro Jahr: o. V., Automatisch Selbstmord, in: Der Spiegel, Nr. 7, 12. 2. 1979, S. 95–96, hier S. 95.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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einer Kupferhütte, verschiedener großer Chemiebetriebe und anderer Wassernutzer stattfinden.“ 263
Damit entspricht die Argumentationsweise der des Magazins „Der Spiegel“ beziehungsweise einiger westdeutscher Umweltgruppen. Ob die DDR beziehungsweise ihr MfS hier Meinungen in Hamburg beeinflusst hatte oder sich das MfUW manch westdeutsche Auffassung für die eigene Argumentation zu eigen machte, ließ sich nicht nachweisen. Wahrscheinlich ist jedoch auch, dass diese zwei verschiedenen Seiten schlicht durch Analyse des Sachverhaltes zu ein und demselben Ergebnis gekommen waren. Obwohl sich die Sachlage nicht ganz so klar abzeichnete, entwickelte die Bundesregierung verschiedene Strategien, wie auf die DDR zugegangen werden könnte – eine davon berührte die internationale Ebene. Elbe international — ECE und Nordseeschutzkonferenz
Für die Bundesrepublik taten sich drei Möglichkeiten auf, um die DDR auf die Elbe anzusprechen: 1) Sie verhandeln nur mit der DDR, verwiesen jedoch auf die ČSSR, um das Problem von der strittigen Grenzfrage fernzuhalten. 2) Es finden parallel Gespräche sowohl mit der DDR und der ČSSR statt, womit das Problem zu einer Frage von mehreren Parteien und das deutsch-deutsche Verhältnis nicht belastet würde. 3) Ergänzend zu bi- oder trilateralen Gesprächen sollte die Bundesregierung bei internationalen Organisationen wie der ECE die Initiative ergreifen.264 In der ECE wurde 1980 auf der 35. Jahresversammlung die lang vorbereitete, unverbindliche Gewässerschutzdeklaration verabschiedet.265 War die Bundesregierung in der Phase der Ausarbeitung dieser Deklaration noch zurückhaltend, was das rechtlich festgezurrte Instrumentarium einer Konvention anbelangte, änderte sich diese Haltung kurz nach deren Verabschiedung. Hauptsächliches Motiv, eine nun doch rechtsverbindliche Konvention im Gewässerbereich anzustreben, war die Elbe266 – sehr zum Ärger und zur Überraschung der westeuropäischen Partner.267 Andere neuralgische Punkte, die einer Konvention aus westdeutscher Sicht entgegengestanden hätten, waren in separaten Vereinbarungen geregelt, wie
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266
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BArch, DK 5, Bd. 5751, Standpunkt zum Vorschlag der BRD-Regierung zur Aufnahme von Expertengesprächen über die Gewässergüte der Elbe, o. D, o. V. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Elbeverschmutzung, Besprechung im Fünfer-Kreis, 26. 6. 1981, Drahtbericht Nr. 5212, Bonn, BMI, an AA. Vgl. BArch, B 136, Bd. 10316, Teil 15, VN-Wirtschaftskommission, Erklärung zur Gewässerschutzpolitik, allgemeines Schreiben des BMI, Mühleck, 6. 6. 1979. Siehe zur HRT Umwelt auch Kap. II.2.2. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132186, Ergebnisvermerk vom 24. 3. 1982 über die Ressortbesprechung im BMI am 19. 3. 1982, Dr. Thiem, U I 4, BMI; und Möglichkeiten einer deutschen Initiative bei der ECE bezüglich einer Wasserkonvention, Afz. des Referats U I 4, BMI, 26. 3. 1982; BArch, B 295, Bd. 527, Umweltprobleme mit der DDR und ČSSR, ECE-Wasserkonvention, Afz. von Referat U I 4, BMI, 21. 1. 1982. Vgl. BArch, B 295, Bd. 527, Drahtbericht, Nr. 706, Genf an AA, Sahm, 1. 4. 1981.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
beispielsweise der Rhein mit dem Chloridabkommen von 1976,268 oder wie im Fall der Donau noch in Verhandlungen.269 Wenn nun die Bundesregierung die Initiative ergriff, könnte sie die Inhalte einer solchen Konvention entsprechend den eigenen Vorstellungen gestalten.270 Das BMI wollte allerdings die bi- und trilateralen Vorstöße gegenüber der DDR und ČSSR abwarten, weshalb der bundesdeutsche Vertreter bei der ECE die Initiative für eine Wasserkonvention nur fachlich nebenher weiterführen sollte.271 Auch gebe es keine Garantie, sie ihnen gegenüber einsetzen zu können, und außerdem „könnten die Osteuropäer auf den Gedanken kommen, eine Art Hochrangige Tagung zu fordern.“ 272 Die Arbeit im Wasserkomitee der ECE gestaltete sich darüber hinaus zunehmend diffizil. Zwar bewährte sich der ECE-Wasserausschuss „erneut als Gremium für Ost-West-Kontakte“. Doch als in der ECE Anfang der 1980er Jahre „Anforderungen heruntergesetzt, weniger Investitionsmittel zur Verfügung [gestellt] sowie Programme gestreckt“ werden sollten, plädierte die bundesdeutsche Delegation – entsprechend ihrem Vorhaben – dafür „auch in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten keine Abstriche an den Zielen“ vorzunehmen.273 Trotz eigener schwieriger Haushaltslage (vgl. Abb. 3) wurde die Arbeit im Wasserkomitee somit von der Bundesregierung immer weiter forciert: Dies reichte von „die gewonnene Position zu festigen“ über weitere „Themen ebenfalls zu besetzen“ 274 bis hin zur Organisation eines ECE-Seminars zu grenzüberschreitenden Gewässern 1984 in Düsseldorf. Letzteres fand, ihrer Wahrnehmung nach, auch bei den sozialistischen Ländern Anklang. Die Idee, bei dieser Gelegenheit die Rheinschutzkommission vorzustellen, stieß nach Otto Malek auch bei DDR und ČSSR „spontan auf großes Interesse“.275 Beide würden sogar einen Rapporteur stellen, um bei den Vorbereitungen behilflich zu sein.276 Ohne Vorbehalte berichtete Malek an das Innenministerium: 268 269
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275
276
Vgl. Bernauer/Moser: Internationale Bemühungen, S. 151–156. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132211, Multilaterale Gespräche über Donaugewässerschutz, Sachstand, Referat 414, AA, 24. 7. 1979. Das „Übereinkommen über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau“ wurde 1994 in Sofia verabschiedet und trat 1998 in Kraft: Danube River Protection Convention, in URL: https://www.icpdr.org/ main/resources/danube-river-protection-convention [20. 5. 2022]. Vgl. BArch, B 295, Bd. 527, Schreiben Per Fischers, AA, an Peter Menke-Glückert, BMI, 17. 3. 1981. Vgl. BArch, B 295, Bd. 527, ECE-Gewässerschutzkonvention, Hausbesprechung am 4. 2. 1982, Referat U I 4, 9. 2. 1982 und Ergebnisvermerk der Ressortbesprechung im BMI am 19. 3. 1982, Referat U I 4, 23. 3. 1982. PA AA, ZA, Bd. 132186, Möglichkeit der Erarbeitung einer Wasserkonvention, Afz. der Ständigen Vertretung in Genf, Sahm, 6. 8. 1982. BArch B 295, Bd. 2820, Ergebnisvermerk über die 15. Sitzung des ECE-Wasserkomitees vom 14.–18. 11. 1983 in Genf, Malek, U III 4, 8. 12. 1983. BArch, B 295, Bd. 2818, Vermerk über die 14. Sitzung des ECE-Wasserkomitees vom 23.– 26. 11. 1982 in Genf, Malek, U II 3, BMI, 30. 11. 1982. Siehe zum Haushaltstitel Umweltschutz im BMI Abb. 3. BArch, B 295, Bd. 2817, Schreiben Malek an Hartkopf, betreffend die 10. Sitzung der Expertengruppe, Wasserausschuss, 30. 4. 1982 und Ergebnisvermerk, ECE-Wasserausschuss 10. Sitzung, Malek, U II 2, BMI, 30. 4. 1982. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132186, Ergebnisvermerk über die Sitzung des ECE-Wasserkomitees vom 23.–26. 11. 1982 in Genf, U II 3, BMI, 26. 11. 1982.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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„Erfreulich war der gute Kontakt mit dem DDR-Kollegen aus dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Offensichtlich besteht dort großes Interesse an engerer innerdeutscher Zusammenarbeit in Gewässerfragen.“ 277 Ein tatsächliches Interesse der Wasserwirtschaftler aus dem MfUW ist nicht auszuschließen, allerdings hing diese plötzliche Bereitschaft zur Mitarbeit auch damit zusammen, für die DDR die politische Kontrolle zu behalten. Auf dem Düsseldorfer Seminar zu grenzüberschreitenden Gewässerfragen sollten die DDR-Delegierten daher insbesondere die Beziehungen der Bundesrepublik zu ihren westlichen Nachbarn studieren, um sie für künftige Elbeverhandlungen auszuwerten. Außerdem sah das MfUW allein die Vorbereitung des Papiers über die Tätigkeiten an den Grenzgewässern zur Bundesrepublik (ungleich derjenigen zur ČSSR und VRP) als „politisch notwendig“ an, da die Bundesregierung im Wasserkomitee Erfahrungen zwischen beiden deutschen Staaten in der Zusammenarbeit an den Grenzgewässern als „innerdeutsches Problem“ darstelle, dem die DDR mit der Betonung der staatlichen Souveränität entgegenzuwirken versuchte.278 Auch bezüglich einer Gewässerschutzkonvention im Rahmen der ECE analysierte das MfUW mögliche, vor allem volkswirtschaftliche Konsequenzen, falls die DDR wegen der Geschlossenheit des RGW zustimmen müsse. Da es ihr nicht möglich sein würde, in den kommenden Jahren eine „durchgreifende Verbesserung des Gütezustandes der zur BRD abfließenden Gewässer zu erreichen“, sie aber Forderungen in Bezug auf Elbe und Werra, also grenzkreuzende Gewässer, geltend machen könnte, sollte darauf hingewirkt werden, dass diese Flüsse kein Bestandteil der Konvention würden.279 Nach dem Düsseldorfer Wasser-Seminar 1984 wurde Otto Malek zunächst zum stellvertretenden Vorsitzenden im ECE-Wasserkomitee gewählt. Das bedeutete normalerweise nach zwei Jahren auch automatisch dessen Vorsitz und demnach Einfluss auf die politische Schwerpunktsetzung des Komitees. Für Malek stand hier eindeutig die Förderung der Ost-West-Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden Gewässern im Vordergrund.280 Der DDR blieb dieser Schachzug einer bundesdeutschen „Vormachtstellung“ im ECE-Wasserkomitee nicht verborgen. Sie schätzte ein, dass der Zusammenhalt sozialistischer Staaten immer nötiger sein werde und eine langfristige Strategie auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt 277 278
279
280
BArch, B 295, Bd. 2819, Sitzung der Expertengruppe „Wasserqualität und -quantität“ in der ECE, 20. 5. 1983, Afz. von Malek, U II 3, BMI. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1357, Bl. 282–285, Information über ein Seminar zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Grenzgewässer im Rahmen der UN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE) vom 15.–19. Oktober 1984 in Düsseldorf, Reichelt an Mittag, 27. 7. 1984. Siehe in Bezug auf die Grenzfrage an der Elbe auch Wentker, Außenpolitik, S. 412 f. Vgl. die Ergebnisse des Seminars in: BArch, B 295, Bd. 2822, ECE/Water/Sem.11/3, Report of the Seminar on Co-operation in the field of transboundary waters, Düsseldorf, 26. 10. 1984. BArch, DK 5, Bd. 172, Information über die Aktivitäten des RGW zur Konvention über Zusammenarbeit zum Schutz der Wasserressourcen vor Verunreinigung, o. D. [vmtl. Ende 1981, Anfang 1982]. Vgl. BArch, B 295, Bd. 2823, Vermerk über die 16. Sitzung des ECE-Wasserausschusses, U III 4, BMI, 26. 11. 1984.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
werden müsse, um der zukünftigen Agenda-Setzung der Bundesrepublik begegnen zu können.281 Als 1981 noch Gerhard Voigt, der DDR-Wasserspezialist, im ECE-Wasserkomitee den Vorsitz führte, lautete die bundesdeutsche Bewertung hingegen, dass er die „Aufgabe mit gewohnter Sachlichkeit bewältigte“.282 Das war eine um 180 Grad gedrehte Perspektive auf ein und dieselbe Person verglichen mit der Einschätzung auf dem Symposium in Prag zehn Jahre zuvor. Während Voigt also von bundesdeutscher Seite wohlwollend bewertet wurde, blieben auf der ostdeutschen Seite Vorbehalte gemäß den binären Ordnungsvorstellungen des Kalten Krieges bestehen. Die Konvention wurde letztlich erst 1992 – nach dem Zusammenbruch des Ostblocks – in Helsinki verabschiedet.283 Neben der Initiative für eine Gewässerschutzkonvention in der ECE und der Besetzung der Themen im Wasserkomitee entwickelte das von der FDP geleitete Bundesinnenministerium unter Gerhart Baum Pläne für eine Internationale Nordseeschutzkonferenz (INSK). Diese sind vermutlich auf den Bundestagsabgeordneten Torsten Wolfgramm (FDP) zurückzuführen.284 Das auf Ministerebene zu veranstaltende Treffen sollte dem Umgang mit der Nordsee neue Impulse geben. Das Meer wurde zu diesem Zeitpunkt, 1982, als Problem und Risiko angesehen. Greenpeace machte in einer spektakulären Aktion auf die Vergiftung des Meeres durch 50 Mio. Tonnen Chemieabfälle und giftige Schlämme, wie aus dem Hamburger Hafenbecken, aufmerksam. Als lebende Kette legten sich vier Mitglieder bei Windstärke sechs vor das Schiff „Kronos“, das Chemiemüll verklappte.285 Vier bis sechs Jahre später ging ein Aufschrei durch die Republik, als reihenweise Robben am Nordseestrand verendeten.286 Als Reaktion auf die INSK fand am 27. und 28. Oktober 1984 in Bremen, organisiert von zahlreichen Umweltgruppen, die „Aktionskonferenz Nordsee“ statt. Im Memorandum wandten sich die Gruppen hauptsächlich gegen die Verklappung von Giftmüll in die Nordsee durch (west-)europäische Nordseeanrainerstaaten – die ČSSR und DDR als Mitverursacher über die Elbe wurden darin jedoch mit keinem Wort erwähnt.287
281 282 283
284 285
286 287
Vgl. BArch, DK 5, Bd. 899, Bericht über die 13. Expertentagung über Wasserqualität und -quantität, Genf, 19.5–25. 5. 1985. BArch, B 295, Bd. 2817, Vermerk über den ECE-Wasserausschuss, 13. Sitzung vom 16.– 20. 11. 1981 in Genf, Afz. U II 2, o. V., 23. 11. 1981. Vgl. The 1992 UNECE Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, in URL: http://www.unece.org/env/water/text/text.html [20. 5. 2022]. Vgl. BArch, B 295, Bd. 3251, Große Anfrage Gewässerschutz, Afz. von Möbs, U I 4, 29. 4. 1982. Vgl. „Die Erde wird ein öder Stern“. Spiegel-Redakteur Jochen Bölsche über das Elend des Naturschutzes (IV): Von „Global 2000“ zu „Lokal 2000“, in: Der Spiegel, Nr. 16, 19. 04. 1982, S. 64–84, hier S. 65. Vgl. u. a. o. V., Nordsee: „Zeichen einer todkranken Natur“, in: Der Spiegel, Nr. 23, 6. 6. 1988, S. 18–28. Siehe Aktionskonferenz Nordsee (Hrsg.): Nordsee-Memorandum, Internationale Tagung der Umweltverbände am 27./28. Oktober 1984 in Bremen, in URL: http://www.waterkant.info/ wp-content/uploads/2014/04/nordsee-memorandum_1984.pdf [20. 5. 2022].
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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Anders lauteten die Überlegungen des BMI im Vorfeld der INSK, die giftige Einträge vom Land ins Meer regeln sollte, ob nicht ebenfalls Regierungsvertreter von DDR und ČSSR zu der für Herbst 1984 anberaumten Zusammenkunft einzuladen wären. Das BMI entschied sich letztlich dagegen. Es plante die internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Nordsee innerhalb bereits bestehender Regelungswerke zu vollziehen, also beispielsweise im Rahmen der EG. Das erschwerte eine Teilnahme der DDR und ČSSR. Ferner erschien im Falle der Elbe eine Flussgebietskonferenz ohnehin zweckmäßiger zu sein. Zudem sollten zunächst die Gespräche mit der DDR abgewartet werden.288 Auch die Umweltminister der norddeutschen Bundesländer Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen waren dagegen, die beiden sozialistischen Staaten auf eine Nordseeschutzkonferenz einzuladen. Sie bevorzugten bi- und trilaterale Gespräche, die sich bereits abzeichneten.289 Elbe bilateral — von Quecksilber und Ammonium
Am 24. August 1981 wurde die DDR zu Gesprächen nach Bonn eingeladen, die ČSSR ein paar Tage später, am 3. September 1981. Letztere nahm die Einladung nicht an – vermutlich auf Druck der DDR-Führung. Am 20. Januar 1982 gab es ein Gespräch zwischen dem MfUW und dem Ministerium für Forst- und Wasserwirtschaft der ČSSR. In dessen Verlauf wies Reichelt entsprechend einer Direktive seinen tschechoslowakischen Gegenüber darauf hin, dass die Bundesrepublik versuche, die sozialistischen Staaten als alleinige Schuldige darzustellen. Die DDR habe kein Interesse an solchen Gesprächen, und es sei nicht zweckdienlich, wenn die ČSSR und Bundesrepublik allein miteinander verhandelten, ohne eine gemeinsame Grenze an der Elbe zu haben. Die ČSSR lehnte die Einladung daraufhin ab, während die DDR sie zwei Tage später, am 22. Januar 1982, akzeptierte.290 Die Ablehnung der ČSSR kam der Bundesregierung im Laufe des Jahres 1982 im Grunde gelegen, obwohl damit eine vollständige Flussgebietskonferenz nicht
288 289
290
Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132210, Verschmutzung der Elbe, hier: Aufnahme von Expertengesprächen mit der DDR und der ČSSR, Schnellbrief des BMI, 11. 10. 1982. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Anlage 1 zum Schnellbrief aus dem BMI, Möbs, 7. 12. 1982: Aufnahme von Expertengesprächen mit der DDR und ČSSR zur Verschmutzung der Elbe, Ergebnisniederschrift über die Bund-Länderbesprechung am 15./16. 11. 1982 in Hamburg, U I 4. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 929/14, Standpunkt zum Vorschlag der BRD-Regierung zur Aufnahme von Gesprächen über die Gewässergüte der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen, Schreiben von Volkmar Fenzlein an Oskar Hugler, 4. 3. 1982; und die Direktive für die Delegation des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft nach Prag am 19./20. 1. 1982, Konsultationen mit der ČSSR über das weitere Vorgehen zum BRDVorschlag über die Aufnahme von Expertengesprächen über die Gewässergüte der Elbe. Die DDR wollte mit der ČSSR vermutlich allein verhandeln, vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Hausmitteilung MfUW, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD zu Fragen der Gewässerbeschaffenheit der Elbe, Gerhard Voigt, 9. 1. 1985; siehe zur ČSSR auch Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 49–54.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
mehr gegeben war: Trilaterale Gespräche wurden im BMI als zu schwerfällig charakterisiert, da die ČSSR als Oberlieger aus Nichtinteresse Fortschritte blockieren und zudem der DDR in der Grenzfrage zur Seite stehen könnte.291 Der Einladung folgten letztlich zwei Informationsgespräche – am 1. Februar 1983 in Bonn und vom 3. bis 5. Oktober 1983 in Hamburg (vgl. Tab. 4). Auf DDR-Seite verhandelten der Wasserwirtschaftler und Abteilungsleiter im MfUW Gerhard Voigt, der uns von Werra und Röden her bekannte Politruk aus dem MfAA Volkmar Fenzlein und der stellvertretende Abteilungsleiter aus dem MfUW Hans Volksdorf. Voigt wurde im BMI und UBA als Fachmann beurteilt, der sich auch gut mit westlicher Technologie auskenne.292 Die insgesamt zehn-köpfige bundesdeutsche Delegation führte Gerhard Feldhaus, Unterabteilungsleiter im BMI, an.293 Warum sich die DDR trotz vorgegebenen mangelnden Interesses doch auf dieses Gespräch einließ, begründeten ihre Vertreter mit der Etablierung „gutnachbarschaftlicher Beziehungen“ und der „friedlichen Koexistenz“ 294 sowie mit dem „Ausdruck des guten Willens“ 295. Politisch stand die Welt im Jahr 1982/83 in der „Krise der Entspannung“ kopf: Nach der eingangs beschriebenen Talfahrt in den internationalen Beziehungen drohten nun die Abrüstungsgespräche in Genf und die KSZE-Nachfolgekonferenz in Madrid zu scheitern, sodass eine Raketenstationierung in der Bundesrepublik im Sinne des NATO-Doppelbeschlusses immer wahrscheinlicher zu werden drohte. Als Folge des Gesprächs zwischen Honecker und Schmidt am Werbellinsee im Dezember 1981 wollten jedoch beide deutsche Staaten an ihren Beziehungen festhalten. Die Elbe-Gespräche erscheinen demnach als Zugeständnis der DDR, diesem Wunsch, entgegen der sich verschärfenden Weltlage, nachzukommen.296 Das bedeutete für sie aber keinesfalls, den Vorwurf, die Elbe sei stark vorbelastet, zuzugeben. Voigt machte deshalb bereits im Gespräch am 1. Februar 1983 den Standpunkt seiner Delegation klar: Die Elbe sei nicht stärker verschmutzt als andere große Ströme. In diesem Zusammenhang fragte er, wie intern zuvor erarbei-
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Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Afz. von Möbs, Besprechung im BMI über die Verschmutzung der Elbe, BMI an Verteiler, 23. 6. 1982. Vgl. BArch, B 295, Bd. 14961, Teil 6, Aufnahme von Expertengesprächen mit der DDR über die Verschmutzung der Elbe, Gespräch am 15. 12. 1982 beim UBA über weitere Tatsachen und Hintergrundinformationen zur Belastung der Elbe auf DDR-Gebiet, Referat U I 4, BMI, 17. 12. 1982. Die westdeutsche Delegation setzte sich aus dem BMIB, BMI und Vertretern der Länder zusammen. Siehe zur Länderbeteiligung die „Kramer-Heubl-Absprache“ im Kap. III.2.1.; PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn; und BArch, B 137, Bd. 11833, Expertengespräche mit der DDR über die Elbeverschmutzung, 3.–5. 10. 1983 in Hamburg, Afz. von Berg, II 7, BMIB, 7. 10. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 929/14, Standpunkt zum Vorschlag der BRD-Regierung zur Aufnahme von Gesprächen über die Gewässergüte der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen, Schreiben Fenzlein an Hugler, 4. 3. 1982. Siehe dazu auch Kap. III.1.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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tet, nach Ähnlichkeiten beim Rhein. Gerd Flügge, Leiter der Gütestelle Elbe und damit der ARGE Elbe, wich aus, indem er sagte, der Rhein sei „zu weit weg“. Später wurde jedoch zugegeben, auch dieser Fluss hätte ein Sauerstoffproblem gehabt, das durch Klärwerksbau besser geworden sei.297 Das Problem anderer, metallhaltiger Stoffe im Rhein wurde im ersten Gespräch gar nicht erwähnt. Es wurde erst im zweiten auf erneute Nachfrage der DDR mit der Nennung des Verbots vom DDT (1977) und der Untersagung metallhaltiger Farbe für Schiffe von den bundesdeutschen Delegierten etwas genauer ausgeführt.298 Nach dem Landeskulturgesetz galt das Interesse der DDR aber wissenschaftlich-technischen Verfahren zur Rückgewinnung von Metallen aus dem Wasser, um diese Rohstoffe nicht teuer importieren zu müssen. Diesbezüglich brachten die Informationsgespräche den DDR-Vertretern allerdings keine neuen Erkenntnisse. Für die Bundesrepublik ging es vor allem um eine Reduzierung der Belastung durch Schwermetalle und sauerstoffzehrende Stoffe wie Ammoniumstickstoff. Interessant ist hierbei, dass sich ost- und westdeutsche Daten gar nicht so sehr voneinander unterschieden. Die Elbe verlasse die DDR bei Schnackenburg mit einem Ammoniumwert von ca. 2,3 Miligramm pro Liter und der von Quecksilber liege bei ca. 70 Kilogramm pro Tag beziehungsweise 26 Tonnen pro Jahr.299 Auch der Bericht der ARGE Elbe räumte ein, dass die Vorbelastung mit Quecksilber abgenommen habe, es aber nicht eingeschätzt werden könne, ob das nun am Klärwerksbau in der DDR oder an geringeren Abflüssen liege.300 Zwar erfuhr die Geheimhaltung auf der DDR-Seite somit in der technischen Messbarkeit von Umweltdaten ihre merklichen Grenzen, aber genaue Aussagen ließen sich dennoch kaum ableiten. Obwohl sich beide Seiten darin einig waren, dass die einzelnen Stoffe beim Übertritt von dem einen in den anderen deutschen Staat nicht beziehungsweise kaum die WHO-Grenzwerte überschritten,301 waren die westdeutschen Vertreter 297
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Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn. Siehe zur DDR-Überlieferung u. a. PA AA, MfAA, M 50, ZR 929–14, Bericht über das Expertengespräch zur Gewässergüte der Elbe zwischen Beauftragten der DDR und der BRD am 1. Februar 1983 in Bonn. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11833, Expertengespräche mit der DDR über die Elbeverschmutzung, 3.–5. 10. 1983 in Hamburg, Afz. von Berg, II 7, BMIB, 7. 10. 1983. Vgl. PA AA, B 75, ZA, Bd. 132210, Anlage: Wasserbeschaffenheit der Elbe unterhalb der DDR, Ressortbesprechung im BMI am 28. 7. 1981, Elbeverschmutzung, Afz. von Möbs; BArch, DK 5, Bd. 5751, Einschätzung der Schwermetallbelastung der Elbe, Gerhard Voigt, MfUW, Staatliche Gewässeraufsicht, 12. 4. 1982. Siehe zum Gewässergütedatenvergleich: PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn; BArch, B 295, Bd. 14962, Teil 7, Vergleich der Belastung des Rheins und der Elbe mit Quecksilber und Cadmium, Dr. Wieting, Abteilung III.3.1., Umweltbundesamt, 21. 10. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 38, 132688, Bericht des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Elbe (ARGE Elbe) anlässlich des ersten Expertengesprächs am 1. 2. 1983, MELF des Landes Schleswig-Holstein. Siehe dazu auch eine Analyse des Umweltbundesamtes: „… so ergeben sich bei Cadmium an beiden Gewässern keine Grenzwertüberschreitungen. Der Quecksilbergrenzwert wird lediglich an der Elbe geringfügig überschritten.“ BArch, B 295, Bd. 14962, Teil 7, Vergleich der Belastung des Rheins und der Elbe mit Quecksilber und Cadmium, Dr. Wieting, Abteilung III.3.1., Umweltbundesamt, 21. 10. 1983. Dr. Joachim Wieting arbeitete in der Oberfluss-
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
dennoch über die Gesamtlast der Elbe besorgt. Sie sahen hierfür die sterbenden und quecksilbervergifteten Fische als „Bio-Indikatoren“ an. Im Gegensatz dazu sagten die DDR-Vertreter offen, dass der Bevölkerung der DDR vom Verzehr von Fischen abgeraten werde – sie seien bestenfalls als Katzenfutter zu verwenden. Obwohl die Elbe in über 70 Prozent des DDR-Gebietes entwässerte und in einigen Flussgebieten bereits eine Mehrfachnutzung des Wasserdargebots notwendig geworden sei, seien alle gewünschten Wassernutzungen möglich – außer Fischfang. Voigt erläuterte daher, sein Staat könne also nicht allein für eine von der Bundesrepublik geforderte 50-Prozentreduzierung der Schadstoffe aufkommen oder gar, damit in der Bundesrepublik „wieder Fische gefangen werden könnten.“ 302 Doch genau das, sowie auch die Möglichkeit, die Elbe für andere Freizeitaktivitäten wie beispielsweise baden, nutzen zu können, war der erklärte Plan der ARGE Elbe, welcher der DDR schriftlich vorlag. Damit war die Diskussion allerdings genau da angekommen, wo interne bundesdeutsche Vorlagen sie nicht haben wollte: Ziel sollte es sein, die DDR zu einer Reduzierung der Verschmutzung nach dem Stand der Technik303 zu bewegen und sich gerade nicht, wie geschehen, mit ihr auf eine „Qualitätszieldiskussion“ einzulassen.304 Die Bundesrepublik vertrat hier das Emissionsprinzip, das heißt die Bekämpfung der Verschmutzung an der Quelle, wohingegen die DDR und auch andere Staaten das Immissionsprinzip, also die Festlegung von Qualitätszielen im Fluss mit der Möglichkeit der Auffüllung mit Schadstoffen bis zum Grenzwert anwandten.305 Der Wunsch nach einem Informationsaustausch sollte wiederum in den Sprechzetteln der Länder „versteckt“ und nicht als Ziel formuliert werden, um die DDR nicht unter Druck zu setzen. Genauso war ein Messprogrammaustausch für die bilateralen Gespräche ebenfalls nicht vorgesehen, da es international noch nicht weit entwickelt war und außerdem Gegenstand des Düsseldorfer ECE-Seminars zu grenzüberschreitenden Gewässern sein würde.306 Was den Fischen und anderen Lebewesen im Fluss neben der Schwermetallbelastung ebenfalls besonders zu schaffen machte, war der mangelnde Sauerstoff und
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meisterei Leipzig (DDR) bis sein Ausreiseantrag am 18. 12. 1981 genehmigt wurde und war danach im Umweltbundesamt tätig. Vgl. BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 17671, Auskunftsbericht der OPK ‚Elster‘ – Reg. Nr. XIII 989/83, Hauptabteilung XVIII/6/4, 30. 1. 1984. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn. Siehe auch Klapper, Gewässerschutz, S. 240, und zur Fisch- und Sedimentbelastung ARGE Elbe, Schwermetalldaten, S. 2. Der unbestimmte Rechtsbegriff meint, dass die fortschrittlichsten Verfahren oder Betriebsweisen angewandt werden müssen, um Umwelt und Gesundheit des Menschen zu schützen. Vgl. BArch, B 295, Bd. 14961, Teil 6, Aufnahme von Expertengesprächen mit der DDR über die Verschmutzung der Elbe, Gespräch am 15. 12. 1982 beim UBA über weitere Tatsachen und Hintergrundinformationen zur Belastung der Elbe auf DDR-Gebiet, Referat U I 4, BMI, 17. 12. 1982. Vgl. Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 192, 276 f. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132700, Anlage 1 zum Schreiben des BMI, Friedrich Zimmermann, vom 23. 8. 1983, Vorgespräch für das zweite Expertengespräch mit der DDR über die Verschmutzungen der Elbe.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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die Ammoniumbelastung. Damit tierisches Leben im Fluss möglich ist, darf der Sauerstoffgehalt nicht unter drei Miligramm pro Liter fallen.307 Die sogenannte „Sauerstoffzehrung“ entsteht zusätzlich durch die Erwärmung von Gewässern, also in den Sommermonaten und durch die Ansiedlung von Industrie und Atomkraftwerken. Gerade Atomkraftwerke benötigen Kühlwasser, sodass die bundesdeutschen Atommeiler Krümmel (1983) und Brokdorf (1986) bereits den Fluss erwärmten. Auch die DDR plante in den 1970er Jahren ein neues Atomkraftwerk in der Nähe von Stendal, das letztlich aber nie vollendet wurde. Es hätte für den sogenannten „Wärmelastplan“ der Elbe in der Bundesrepublik allerdings kritische Auswirkungen haben können.308 Sauerstoffmangel wird überdies durch Ammoniumbelastung hervorgerufen. Ebenso wie erhöhte Konzentrationen von Schwermetallen im Wasser Ausdruck industrieller, ergo „moderner“ Entwicklungen sind, gilt das auch für diese anorganische Stickstoffverbindung. Für die Elbe und andere Flüsse stieg deren Menge ab Mitte des 19. Jahrhunderts massiv an, unter anderem durch die Einführung des Wasserklosetts und der damit einhergehenden Kanalisation. Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts kam es deshalb vor allem in den Sommermonaten öfter zu Fischsterben in der Elbe.309 Wie schon bei den Berliner Gewässern durch die Einführung der Waschmaschine und phosphathaltiger Waschmittel, trat nun auch hier ein – wenn auch schon länger bekanntes – Umweltproblem durch die Modernisierung im Wohnbereich und in der Vergrößerung landwirtschaftlicher Betriebe zutage. Ammonium-Stickstoff (NH4-N) entsteht vorrangig durch den enzymatischen Abbau von Harnstoff. Der große Sauerstoffentzug im Wasser erfolgt schließlich durch den Abbau von Ammonium durch Mikrobakterien über Nitrit zu Nitrat.310 Faktoren, die somit zu einer erhöhten Ammonium-Stickstoff-Belastung (bzw. Nitrat) führen, sind Ausscheidungen aus einer ungeklärten Kanalisation und von landwirtschaftlichen Betrieben. Dieser Schadstoff, Nitrat, erhielt erst Mitte beziehungsweise Ende der 1980er Jahre in der Öffentlichkeit als Schadstoffkategorie Konjunktur, nicht jedoch in diesen zwei Gesprächen von 1983. Die Ammoniumbelastung, die Sauerstoffmangel hervorruft, führte daher im zweiten Elbegespräch im Oktober 1983 in Hamburg die bundesdeutsche Prioritätenliste an. Die DDR-Delegation, bestehend aus den Herren Fenzlein, Voigt und 307 308
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Vgl. Rettet die Elbe e. V. (Hrsg.), Sauerstoffloch in der Elbe – eine Analyse, Dezember 2005, in URL: https://www.rettet-die-elbe.de/5kapitel/o2loch/o2loch_analyse.htm [2. 6. 2022]. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18826, Niederschrift über das Ressortgespräch am 23. März 1976 im BMI über Standorte für Kernkraftwerke im grenznahen Raum Bundesrepublik Deutschland – Deutsche Demokratische Republik, Anlage zu Kernkraftwerke in der Nähe der Grenze zur DDR, Referat 221, 24. 3. 1976. Siehe allgemein zu Atomanlagen an Gewässern und Grenzen Kaijser/Meyer, Nuclear Installations at the Border, S. 1–32. Vgl. PA AA, ZA, B 38, 132688, Bericht des Vorsitzenden der ARGE Elbe anlässlich des ersten Expertengesprächs am 1. 2. 1983, MELF des Landes Schleswig-Holstein. O. V., „Ammoniumstickstoff “, in: Wasser-Wissen. Das Internetportal für Wasser und Abwasser, in URL: http://www.wasser-wissen.de/abwasserlexikon/a/ammoniumstickstoff.htm [21. 5. 2022]; siehe zur Nitratbelastung in landwirtschaftlichen Betrieben der DDR u. a. Fleischman, Communist Pigs, S. 93.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Volksdorf, wurde eingeladen, die Umweltprobleme und deren Lösungen an der Elbe mittels einer Schifffahrt von Hamburg nach Cuxhaven selbst zu begutachten. Im Gespräch wiesen die Besucher auf die für ihre Bedürfnisse ausreichenden technischen Möglichkeiten hin. Für sie bestünden bei der Nutzung der Elbe auf ihrem Territorium keine Probleme, während die Bundesrepublik – wieder einmal – kurzfristige Maßnahmen verlange. Eine „Kongruenz“ der Umweltprobleme, wie es die Bundesrepublik interpretiere, könne für die DDR nicht gelten: Die DDR habe keine Fahrrinne, die ausgebaggert werden müsse und keine Stellen, die als „Sedimentenfalle“ wirkten.311 Letzteres war jedoch noch nicht gut erforscht. Tatsächlich ist die Interpretation von Schadstoffwerten in der Elbe zwischen Ost und West nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Bereits im ersten Gespräch äußerte sich Voigt, die DDR „habe eine fließende Elbe, ohne Staustufe, Tideeinfluß und Ästuarwirkung.“ 312 Das ist insofern nicht irrelevant, als dass die Tide, das heißt der Einfluss der Gezeiten auf den Strom, bewirkt, dass das Wasser ab Geesthacht, ca. 30 Kilometer östlich von Hamburg gelegen, etwa 20 Tage bis zur Nordseemündung benötigt, da es hier mit Ebbe und Flut hin und her pendelt. Im Vergleich dazu braucht es von Prag bis Geesthacht etwa fünf Tage.313 Das wiederum bedeutet aber, dass Hamburgs Abwässer ebenfalls mit den Gezeiten sowohl stromaufwärts als auch -abwärts fließen, und damit gegebenenfalls Messergebnisse beziehungsweise die Sauerstoffzehrung beeinflussen. Außerdem bewirkt sowohl die Tide durch das eindringende Meerwasser als auch der höhere Niederschlag an der Küste eine Verdünnung der Schadstoffe hinter Hamburg. Während Fenzlein nach dem ersten Elbegespräch im Februar 1983 feststellte, dass sich die Lage der Elbe in der Presseberichterstattung drastischer dargestellt habe als im Gespräch selbst, sah er nach dieser „schmalen Gesprächssubstanz“ zunächst keine Notwendigkeit mehr für weitere Treffen.314 Dennoch, die zweite Begegnung endete nicht so pessimistisch, wie vermutet werden könnte: Die westdeutsche Delegation hatte ein Interesse daran, von der DDR bestimmte Industriebetriebe genannt zu bekommen, in denen konkrete Maßnahmen zur Ammonium-, Quecksilber- und Cadmiumreduzierung vorgenommen werden könnten (Emissionsprinzip). Der Leiter des Referats Wirtschaftliche Angelegenheiten des Umweltschutzes (U I 4) im BMI Hans Möbs forderte daher, wie auch von Berg bei den Werraverhandlungen, in einem ersten Schritt die wertfreie Aushandlung von technischen Lösungsmöglichkeiten, um erst in einem weiteren Schritt die politi-
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 11833, Expertengespräche mit der DDR über die Elbeverschmutzung, 3.–5. 10. 1983 in Hamburg, Afz. von Berg, II 7, BMIB, 7. 10. 1983. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn. Vgl. Rettet die Elbe e. V. (Hrsg.), Sauerstoffloch in der Elbe – eine Analyse, Dezember 2005, in URL: https://www.rettet-die-elbe.de/5kapitel/o2loch/o2loch_analyse.htm [2. 6. 2022]. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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schen, finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen auf anderer Ebene zu klären.315 Die DDR-Vertreter sahen dies genau andersherum: Ihnen waren ohne finanzielle Zugeständnisse vonseiten der Bundesrepublik die Hände gebunden. Fenzlein betonte, man brauche politische und finanzielle Klarheit: Es sei nicht notwendig zu wissen, in welchem Werk genau Maßnahmen ergriffen werden sollten, aber eine Erklärung, die den Zeitrahmen und die Kosten festsetze, sei unentbehrlich: „Wir haben da ja gewisse Praktiken in den gegenseitigen Beziehungen.“ 316 Damit spielte er auf die bereits abgeschlossenen Verhandlungen über die Berliner Gewässer (1982) und die Röden (1983) an, an deren technischen Lösungen die Bundesrepublik zu mindestens einem Drittel finanziell beteiligt war. Für die DDR stellte diese „Praxis“ das Erfolgsmodell für die Umsetzung von Umweltschutzprojekten an der deutsch-deutschen Grenze dar. Voraussetzung dafür war die gemeinsame Erklärung von 1980 sich Gewässerschutzfragen zuzuwenden, in der jedoch nur die Berliner Gewässer und die Werra namentlich genannt wurden – nicht jedoch die Elbe. Von Berg bedauerte daher, dass dies so wichtig war, hätten sie damals nicht erkannt.317 Zudem hatte sich die politische Wetterlage, die solche Erklärungen eventuell begünstigt hatte, mit dem Wechsel von der sozialliberalen zur liberalkonservativen Koalition geändert. Wichtig ist festzuhalten, dass beide Seiten davon ausgingen, dass diese Informationsgespräche über die Elbebelastung fortgesetzt würden. Die DDR-Seite hatte aufgrund der bisherigen Erfahrungen gelernt, dass ihr Umweltverhandlungen mit der Bundesrepublik wirtschaftliche und technische Hilfestellungen boten, weshalb das MfUW diesen Gesprächen nicht mehr so abgeneigt schien wie noch 1982. So plädierte Umweltminister Reichelt in seinen politischen Vorlagen vorsichtig dafür, gemäß dem „Modell Röden“ mit der Bundesrepublik „entsprechend den realen Möglichkeiten“ ins Geschäft zu kommen: „Davon ausgehend sind die Gespräche mit der BRD zur Gewässergüte der Elbe bilateral (ohne Einbeziehung der ČSSR) mit dem Ziel weiterzuführen, das Interesse der BRD an einer Minderung der Ammonium- und Schwermetallbelastung der Elbe für die DDR mitzunutzen.“ 318
Bereits 1982 schätzte die Staatliche Gewässeraufsicht im MfUW ein, dass die finanziellen Aufwendungen 1,2 Mrd. M betragen müssten, um die Schwermetallbelastung in der Elbe eindämmen zu können. Das entspräche im Nachhinein beispielsweise etwas mehr als für den Umweltschutz in der DDR in diesem Jahr vermutlich insgesamt investiert wurde (vgl. Abb. 2). Im Fünfjahrplan 1981–1985
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 11833, Expertengespräche mit der DDR über die Elbeverschmutzung, 3.–5. 10. 1983 in Hamburg, Afz. von Berg, II 7, BMIB, 7. 10. 1983. Ebenda. Vgl. ebenda. Siehe auch „Erklärungen zu Gewässerschutzfragen“, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 46, 30. 4. 1980, S. 392 f. BArch, DK 5, Bd. 5756, Standpunkt und Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD bzw. Westberlin auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Mittag an Reichelt, 20. 3. 1984.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
seien jedoch nur 145 Mio. M veranschlagt.319 Internen Aufzeichnungen zufolge war somit das MfUW deshalb weiteren Expertengesprächen nicht abgeneigt. Auch Außenminister Oskar Fischer stellte in einem Schreiben an Günter Mittag im November 1983 fest, dass die Bundesrepublik bei der Elbe nicht auf das Verursacherprinzip poche, weshalb solchen Gesprächen nichts im Wege stünde.320 Interne Dokumente aus dem BMIB verweisen sogar darauf, dass der DDR eine finanzielle Beteiligung in Aussicht gestellt wurde.321 Fischer schränkte jedoch auch ein, dass über den „politisch günstigen Zeitrahmen“ zur Weiterführung der Gespräche gesondert entschieden werden müsse.322 Damit verwies er einerseits auf das Junktim des Politbüros, die Elbeverschmutzung mit der ungeklärten Grenzsituation zu verknüpfen. Andererseits war mit der Implementierung des NATO-Doppelbeschlusses Ende 1983 aus ostdeutscher Sicht das politische Ziel, mittels der Elbegespräche auch die „friedliche Koexistenz“ zu erhalten, vorerst gescheitert. Dessen ungeachtet stellten die Wasserwirtschaftler im MfUW Überlegungen an, welche Projekte mit der Bundesrepublik in Angriff genommen werden könnten, die der DDR wissenschaftlich-technische Erkenntnisse brächten. Es sollte eine Liste mit solchen Vorhaben erstellt werden, „die den höchsten Effekt für die DDR hinsichtlich Wertstoffrückgewinnung (insbesondere von Importrohstoffen) und für die langfristige Gewährleistung und Verbesserung der Nutzung der Elbe und ihrer Nebenflüsse für die Trink-, Beregnungs- und Brauchwassernutzung erbringen.“ 323 Das wiederum bedeutete, dass das MfUW trotz der vom Politbüro evozierten Funkstille intern weiter daran arbeitete, einen Schritt auf die Bundesrepublik zuzugehen. Im Oktober 1983 hatten die westlichen Delegierten eine solche Aufzählung als Bedingung für ihr weiteres Engagement genannt. Dennoch galt für das MfUW die Einschränkung, dass Forderungen der Bundesrepublik nach Erörterung von Verursachern in der DDR und die Einrichtung von Grenzwerten zurückzuweisen seien, um „eine Mitsprache über den Umweltschutz in der DDR bezüglich des Elbeeinzugsgebietes“ zu verhindern.324 Ein politisch günstiger Zeit-
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Einschätzung der Schwermetallbelastung der Elbe, Staatliche Gewässeraufsicht, MfUW, o. V., 12. 4. 1982. Vgl. zu den Umweltschutzausgaben der DDR Abb. 2 und Quellenkritik im Anhang. Vgl. BArch, MfS HA XVIII, Nr. 21167, Bd. 5, Bl. 180–181, hier Bl. 181, Schreiben Oskar Fischers an Günter Mittag, 14. 11. 1983. Diese Information wurde von Germelmann mit mehreren hs. Ausrufezeichen versehen sowie mit dem Hinweis, dass mit dem Widerstand des BMF zu rechnen sei. Vgl. BArch, B 136, Bd. 215444, Bl. 133–135, hier Bl. 133, Expertengespräch mit der DDR über die Elbeverschmutzung, Vermerk II 7, Dr. von Berg, BMIB, 7. 10. 1983. BArch, MfS HA XVIII, Nr. 21167, Bd. 5, Bl. 180–181, hier Bl. 181, Schreiben Oskar Fischers an Günter Mittag, 14. 11. 1983. Gemeinsame Maßnahmen könnten z. B. zu einer Reduzierung von 45 t Quecksilber für 51 Mio. M und einer Reduzierung von 20 % Cadmium führen. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Hausmitteilung, Voigt, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD zu Fragen der Gewässerbeschaffenheit der Elbe, 9. 1. 1985. BArch, DK 5, Bd. 5751, Hausmitteilung, Voigt, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD zu Fragen der Gewässerbeschaffenheit der Elbe, 9. 1. 1985.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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punkt zur Weiterführung der Gespräche wurde bis 1988/1989 nicht gefunden. Grund dafür war das, was an der Oberfläche zu Tage kam: der Streit um die letzten ungeklärten Kilometer an der innerdeutschen Grenze. Im umweltpolitischen Untergrund brodelte es jedoch – in Ost und West. Elbe kommunal — die Rolle Hamburgs vom Ankläger zum Anbieter
Der politische Umgang mit sensiblen Umweltinformationen in beiden Staaten warf mehr Fragen auf, als es Antworten gab. Zweifelsohne spielte Hamburg demzufolge in der ganzen Elbproblematik, vor allem in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung, eine Schlüsselrolle. Noch 1981 erfolgten Messungen im Fluss der Hafenstadt nur stichprobenartig, erst ab 1983 war ein systematischeres 24-Stunden-Mischprobenprogramm vorgesehen. Noch bevor es demnach kontinuierliche und verlässliche Aussagen dazu gab, in welchem Verhältnis die Messergebnisse aus Schnackenburg (DDR-Grenze) und Hamburg standen, wurde die Aufmerksamkeit von Hamburger Politikern – wie eingangs Curillas Aussage verdeutlicht – auf die DDR gelenkt. Neben Umweltgruppen und DDR-Vertretern erhielt selbst das Bundesinnenministerium, wie oben angedeutet, von den Ländern nicht immer verwertbare Parameter. So fehlten in einem Papier von 1985 beispielsweise Angaben zu den sauerstoffzehrenden Stoffen, obwohl bekannt war, dass Hamburgs Abwässer erst ab 1984 teilweise biologisch geklärt wurden.325 Zwar gab es seit 1966 Klärwerke in der Stadt, jedoch ohne oder mit mangelhaften zweiten biologischen, für den Ammoniumabbau wichtigen Reinigungsstufen. Überlastete Klärwerke und ein zum Teil über hundert Jahre altes Sielsystem führten zum sogenannten „Zustand 1982“.326 Die Wahlkämpfe zur Bürgerschaft waren in diesem Jahr deshalb stark ökologisch geprägt: Umweltprobleme in Elbe und Luft, Giftmüllskandale und Proteste gegen das Atomkraftwerk Brokdorf standen im Fokus.327 Wie bundesweit die neue Partei Die Grünen die Volksparteien CDU und SPD unter Druck setzte, gewann auch die Grün-Alternative Liste (GAL) in Hamburg Zulauf. Das BMI befürchtete sowohl ein Eingreifen der SED in den Hamburger Wahlkampf 1982 als auch Störaktionen der „Alternativen und Grünen Szene“ bei den Expertengesprächen mit der DDR-Delegation – beides letztlich unbegründet.328
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Vgl. BArch, B 295, Bd. 14963, Teil 10, Belastung der Elbe, hier: Bewertung durch Hamburg (Bezug Schreiben vom 30. 8. 1985), 9. 9. 1985, Dinkloh, Referat U III 5. Vgl. Günter Haaf, Streitpunkt: Elbe, Baden erlaubt, in: Die Zeit, 3. 12. 1982, in URL: https:// www.zeit.de/1982/49/baden-erlaubt [21. 5. 2022]. Vgl. o. V., Hamburg: Angst vor Alternativen, in: Der Spiegel, Nr. 22, 31. 5. 1982, S. 17–22, hier S. 22. Vgl. BArch. B 137, Bd. 11833, Anlage 1 zum Schreiben des BMI vom 7. 12. 1982: Aufnahme von Expertengesprächen mit der DDR und ČSSR zur Verschmutzung der Elbe, Ergebnisniederschrift über die Bund-Länderbesprechung am 15./16. 11. 1982 in Hamburg, U I 4.
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Gegenüber Voigt und Fenzlein erwähnte Hans Möbs zwar Maßnahmen, wonach auf westdeutscher Seite alle Möglichkeiten erschöpft seien329 – ohne jedoch genau zu werden. Vermutlich waren damit sowohl Gespräche mit den Industrieeinleitern als auch die schrittweise Erneuerung der Hamburger Großklärwerke Köhlbrandhöft Süd und Dradenau bis 1987/88 sowie die Ausstattung des Letzteren mit einer dritten Reinigungsstufe gemeint.330 Während West-Berlin – als Schaufenster des Westens – die zur damaligen Zeit modernste Kläranlage der Welt erhielt, sah es in der Bundesrepublik nicht überall so fortschrittlich aus. Dem Stand der Technik hinkte Hamburg hinterher. Klärwerke aber waren für die Reduzierung der Sauerstoffzehrung die Schlüsseltechnologie. So teilte auch die DDR im zweiten Gespräch mit, dass sie zwei bis drei Kläranlagen im Rahmen des Fünfjahrplans bauen wolle, die indirekt auch der Bundesrepublik zu Gute kämen.331 Ob das gereicht hätte, sei dahingestellt. Die Sauerstoffzehrung in der Elbe bei Hamburg wurde bereits ab 1985 geringer, weil in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Hamburgs Modernisierung der Klärwerke Wirkung erzielte. Völlig verschwand es für einige Zeit im Zuge der Wiedervereinigung, als die chemischen und landwirtschaftlichen Industriebetriebe in der DDR geschlossen und neue Klärwerke gebaut wurden.332 Folglich hatten beide Seiten zu den katastrophalen Zuständen Anfang der 1980er Jahre in der Elbe bei Hamburg beigetragen, zumindest was die Ammoniumbelastung anging. Es drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass Hamburg einerseits die Kritik der Öffentlichkeit – insbesondere im Wahlkampfjahr 1982 – gezielt auf die DDR lenkte, um von den eigenen unzureichenden Umweltschutzmaßnahmen abzulenken. Andererseits versuchte die Stadt, den Bund für die Umweltbelastung aus der DDR in die Verantwortung zu nehmen: „Hamburg versucht hier darzustellen, daß in seinem Bereich alles in Ordnung ist und daß die Probleme in erster Linie aus der DDR kommen, für deren Lösung der Bund zuständig ist. Es ist offensichtlich, daß damit versucht werden soll, den Schwarzen Peter der Bundesregierung anzulasten.“ 333 329 330
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Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Protokoll des 1. Expertengesprächs zur Elbe, 1. 2. 1983 in Bonn. Vgl. BArch. B 137, Bd. 11833, Anlage 1 zum Schreiben des BMI vom 7. 12. 1982: Aufnahme von Expertengesprächen mit der DDR und ČSSR zur Verschmutzung der Elbe, Ergebnisniederschrift über die Bund-Länderbesprechung am 15./16. 11. 1982 in Hamburg, U I 4. Vgl. zu den Klärwerken in Hamburg: o. V., Elbe: „Wir hängen jetzt total auf Null“, in: Der Spiegel, Nr. 22, 25. 5. 1981, S. 52–57, hier: S. 56; Günter Haaf, Streitpunkt: Elbe, Baden erlaubt, in: Die Zeit, 3. 12. 1982, in URL: https://www.zeit.de/1982/49/baden-erlaubt [21. 5. 2022]; Rettet die Elbe e. V. (Hrsg.), Sauerstoffloch in der Elbe – eine Analyse, Dezember 2005, in URL: https://www.rettet-die-elbe.de/5kapitel/o2loch/o2loch_analyse.htm [2. 6. 2022]; ARGE Elbe, Gewässerökologische Studie, S. 47. Vgl. BArch, B 137, Bd. 11833, Expertengespräche mit der DDR über die Elbeverschmutzung, 3.–5. 10. 1983 in Hamburg, Afz. von Berg, II 7, BMIB, 7. 10. 1983. Vgl. Grafik in: Rettet die Elbe e. V. (Hrsg.), Sauerstoffloch in der Elbe – eine Analyse, Dezember 2005, in URL: https://www.rettet-die-elbe.de/5kapitel/o2loch/o2loch_analyse.htm [2. 6. 2022]. BArch, B 295, Bd. 14963, Teil 10, Belastung der Elbe, hier: Bewertung durch Hamburg (Bezug Schreiben vom 30. 8. 1985), 9. 9. 1985, Dinkloh, Referat U III 5.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
183
Auch hier werden zum einen der Bund-Länder-Streit und das komplizierte Wasserrecht in der Bundesrepublik in der Auseinandersetzung mit der DDR erkennbar. Zum anderen wird die kommunale Instrumentalisierung der Verschmutzung aus dem Osten gegenüber der Bundesregierung deutlich. Indem Hamburg seine Umweltprobleme durch die hohe Vorbelastung aus der DDR anprangerte und Daten gegenüber dem Bund entweder zurückhielt oder zu spät anleierte, verlagerte die Stadt die Zuständigkeit für die Sauberkeit dieses Gewässers auf den Bund. Das Innenministerium sah sich selbst hingegen in einer Analyse aus dem Jahr 1985 in einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber der DDR: „Solange sich die Sedimentbelastung des Rheins an der deutsch-niederländischen Grenze aber nicht wesentlich von der der Elbe unterscheidet, wird es kaum möglich sein, die DDR gerade auf diesem Gebiet freiwillig zu weitergehenden Vermeidungsmaßnahmen zu bewegen.“ 334
Bis auf erhöhte Quecksilberwerte in der Elbe seien beide Flüsse gleich zu bewerten. Das bedeutete für die Bundesrepublik, um gegenüber der DDR etwas einfordern zu können, zunächst an der niederländischen Grenze für Verbesserung zu sorgen, da die Häfen Rotterdam und Dordrecht ähnliche Probleme wie Hamburg aufweisen müssten. In Bezug auf die DDR und die Öffentlichkeit sollten sich die Experten daher statt auf die Schwermetallbelastung und die halogenisierten Kohlenwasserstoffe im Allgemeinen eher auf die Ammonium- und gegebenenfalls die Quecksilberbelastung im Besonderen konzentrieren.335 Zudem lehnten die ARGE Elbe-Länder, so auch zunächst Hamburg, mögliche Zahlungsbeteiligungen an die DDR konsequent mit derselben Argumentation wie bei der Werra ab: Es gelte das Verursacherprinzip beziehungsweise die Elbeverschmutzung sei eine Folge der deutschen Teilung, für deren Kosten die Länder nicht aufkommen müssten. Der Bund hielt dagegen und zog noch vor dem zweiten Elbegespräch ebenfalls intern die Werra-Verhandlungen als Vergleich heran: Hiernach folge der Finanzierungsdie Verwaltungskompetenz, wonach sich die Länder zumindest beteiligen müssten. Interessanterweise wies das CSU-geführte Bundeslandwirtschaftsministerium – wie zuletzt die DDR – dabei auf das Beispiel der Röden hin.336 Das vom Christsozialen Franz Josef Strauß geführte Bayern hatte mit dem Röden-Deal bereits 1983 seine Einstellung zum Verursacherprinzip geändert. Zwei Jahre später wandelte sich dahingehend auch die Meinung der regierenden Sozialdemokraten im Hamburger Senat, was Zahlungen an die DDR betraf. Wie Bayern damals mit der Einsparung von eigenen Umweltschutzmaßnahmen rechnete, kalkulierte nun auch Hamburg damit, dass eine finanzielle Beteiligung des Senats an Projekten in der DDR gegenüber den explodierenden Kosten zu Hause mehr als gerechtfertigt sei. Im Laufe der 1980er Jahre entpuppte sich, wie schädlich der aus dem Hafen ausgebaggerte Schlamm war. Wurde er zuvor noch zum Düngen auf die Felder in der Umgebung gebracht, war dies aufgrund der hohen Schwermetall334 335 336
Ebenda. Vgl. ebenda. Vgl. BArch, B 136, Bd. 215444, Bl. 89–92, hier Bl. 92, Bund-Länder-Besprechung am 10. 8. 1983 in Hannover, Afz. von Möbs, U I 4, BMI, 23. 8. 1983.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
belastung nicht mehr möglich. Er wurde in der Nordsee verklappt oder musste deponiert werden – und das gegen Devisen im VEB Deponie Schönberg (DDR).337 Laut einem Schreiben an den Finanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU) vom 14. März 1986 stiegen die Kosten für zwei Millionen Kubikmeter ausgebaggerten Schlamms von 4 Mio. DM pro Jahr zwischen 1975 bis 1981 auf 35 Mio. im Jahr 1985.338 Hamburgs Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) wurde daher ab 1985 selbst aktiv, was die Beziehungen zur DDR und die Elbeverschmutzungsfrage anging: So schrieb er beispielsweise Briefe an die Bürgermeister der DDR-Städte Dresden und Magdeburg, um über die Elbe zu sprechen – zu diesem Zeitpunkt noch ohne Erfolg.339 Vermutlich strebte Dohnanyi damit – wie der Ministerpräsident des Saarlands Oskar Lafontaine (SPD) es bereits mit Saarlouis und Eisenhüttenstadt 1985 vorgemacht hatte – eine Städtepartnerschaft mit Dresden an, die jedoch erst 1987 mit dem neuen Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer (SED) verwirklicht werden konnte.340 Gegenüber der Bundesregierung verlangte Dohnanyi, dass er über die Gespräche mit der DDR gesondert informiert werde, dem kam das Bundeskanzleramt jedoch nicht nach.341 Außerdem gab es eine Initiative der Hamburger Regierung im Finanzausschuss des Bundesrates, Projekte in der DDR zur Sanierung der Elbe finanziell unterstützen zu dürfen. Der Antrag scheiterte letztlich knapp.342 Dies hätte das Postulat des Verursacherprinzips gegenüber der DDR endgültig untergraben. Da im Bundesrat die Vertreter der Landesregierungen saßen, die dieses Prinzip gegenüber der DDR mehrheitlich noch vehement vertraten, war ein Scheitern ohnehin absehbar gewesen. Nach all dem sah sich Hamburgs Oberbürgermeister nur noch in der Lage, angesichts der blockierten Elbegespräche, der Bundesregierung damit zu drohen, das Stillschwei-
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Siehe zum Müllgeschäft mit der DDR Kap. IV.2. Vgl. BArch, B 136, Bd. 215444, Teil 8, Bl. 272, Schadstoffbelastungen der Elbe durch Einleitungen in der DDR, Belastungen für den Hamburger Haushalt, Schreiben [vmtl. des Senators Alfons Pawelczyk (Beauftragter des Landes beim Bund)] an BM Stoltenberg, 14. 3. 1986. Vgl. BArch, B 295, Bd. 14963, Teil 10, die Briefwechsel zwischen Klaus von Dohnanyi, 8. 7. 1985, mit dem Oberbürgermeisterder Stadt Magdeburg, Werner Herzig, 24. 7. 1985, und Dresden, Paul Gerhard Schill, 19. 7. 1985. Vgl. Thomas Morell, Hamburgs Partnerschaft mit Dresden dümpelt nur noch vor sich hin, in: Die Welt, 5. 11. 2009, in URL: https://www.welt.de/welt_print/vermischtes/hamburg/ article5091514/Hamburgs-Partnerschaft-mit-Dresden-duempelt-nur-noch-vor-sich-hin.html [21. 5. 2022]. Siehe zur Städtepartnerschaft Kap. IV.4.1. Vgl. BArch, B 136, Bd. 215444, Teil 8, Bl. 305–306, hier Bl. 305, hs. Anm. [vmtl. StS Rehlinger], auf dem Vermerk von Referat 221, Germelmann, zu den Gesprächen mit der DDR über die Reinhaltung der Elbe, betr. Schreiben des vom Ersten Bürgermeisters von Dohnanyi vom 16. und 22. 4. 1986, 6. 5. 1986. Vgl. Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986, in: Bundesrat, Drucksache 400/17/85, 26. 9. 1985; und BArch, B 136, Bd. 2154444, Teil 7, Bl. 250, Antrag Nr. 8 des Landes Hamburg für den Haushalt 1986, 537. Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates am 12. 9. 1985; abgelehnt mit 5:6 Stimmen: 554. Sitzung des Bundesrates, 27. 9. 1985, in: Verhandlungen des Bundesrates, Jahrgang 1985, Stenografische Berichte, Bonn 1985, S. 443.
2. Gewässerschutzverhandlungen zwischen Bundesrepublik und DDR
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gen des Senats zur Position der Bundesregierung bezüglich der Elbegrenze zu überdenken. Wolfgang Schäuble (CDU), Chef des Bundeskanzleramtes, entgegnete, die Bundesregierung sehe keinen Zusammenhang zwischen Elbegrenze und Gewässerverschmutzung. Es sei jedoch gut, dass Dohnanyi die Grenze nicht öffentlich thematisiere.343 Im Gespräch mit Günter Mittag am 17. März 1986 hatte Hamburgs Bürgermeister jedoch bereits betont, die Elbsanierung „sei eine gemeinsame Aufgabe für den gemeinsamen Strom“. Im Falle einer Grenzziehung in der Elbmitte müsse die DDR mit konkreten Schritten nachfolgen.344 Damit hatte Dohnanyi die Position der Bundesrepublik zur Elbegrenze bereits verlassen. Die Elbe und die innerdeutsche Grenze — ein Fazit
Obwohl die Bundesregierung kein „diffuses Bund-Länderbild“ in die Öffentlichkeit tragen und sich die Elbe betreffend gut abstimmen wollte,345 erscheint in der historischen Betrachtung die Verständigung innerhalb der Bundesrepublik alles andere als geordnet. Das erzeugt den überraschenden Eindruck, die zwei Elbegespräche von 1983 erfolgten erstaunlich offen von DDR-Seite und eher intransparent vom Westen her. Auch wenn der zeitliche Rahmen für die Fortführung dieser Treffen erst Anfang des Jahres 1989 gefunden werden sollte,346 können die Gespräche von 1983 nicht als gescheitert, sondern höchstens als ruhend bewertet werden. Das lag erstens daran, dass die Bundesregierung keine erneute Erklärung wie die von 1980 abgeben konnte oder wollte, wenn nicht konkrete Projekte vorlägen.347 In einem solchen Sinne wäre jedoch vermutlich Reichelts Appell nach der Unterzeichnung der Röden-Vereinbarung zu deuten. Zweitens, sollte das Topos der „friedlichen Koexistenz“ zwar nicht überbewertet, aber auch nicht ignoriert werden: Mit der Entscheidung des deutschen Bundestages am 22. November 1983 in der Bundesrepublik Raketen zu stationieren, fiel für die DDR das außen- und entspannungspolitische Motiv, diese Gespräche fortzusetzen, weg. Drittens machten die Funktionäre, wie bereits in der bisherigen Forschung festgestellt,348 weitere Gespräche von einer für sie zufriedenstellenden Lösung in der Frage der Elbe-
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 11834, Schreiben Wolfgang Schäubles an Klaus von Dohnanyi, 24. 9. 1986. Vgl. BArch, B 136, Bd. 215444, Teil 8, Bl. 285–289, hier S. 285 f., Vermerk über das Gespräch Klaus von Dohnanyis mit Günter Mittag, Sekretär des ZK am 17. März 1986 in Leipzig, 18. 3. 1986. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132210, Schnellbrief des BMI, 11. 10. 1982. Am 10. 11. 1988 sprach Schäuble mit Honecker hauptsächlich über die Elbe. Die Gespräche wurden am 30./31. März 1989 wieder aufgenommen. Vgl. Schumann, Die Elbe, S.133–141; Berg, Umweltunion, S. 904. Siehe zur Elbe 1989 Kap. IV.4.1. und Tab. 8. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Umweltprobleme im Verhältnis zur DDR, hier: Sachstandsberichte der zuständigen Ressorts zu einzelnen Umweltbereichen, Koordinierungsgespräch Umweltschutz, Ressortbesprechung am 16. 1. 1984 im BMIB. Siehe zur Röden auch Kap. III.2.3. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 519; Schumann, Elbe, S. 139; von Berg, Umweltschutzabkommen, S. 127.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Grenze abhängig und reagierten fortan nicht mehr auf Gesprächsangebote von Seiten der Bundesrepublik. Die Grenzproblematik fand in den bilateralen Elbegesprächen von 1983 keine Erwähnung. Doch sobald ab Mitte der 1980er Jahre bundesdeutsche Politiker bei ihren Besuchen in der DDR die Elbeverschmutzung ansprachen, wurden sie stets getreu der politischen Linie mit der Grenzproblematik konfrontiert.349 In Bezug auf den ungeklärten Grenzabschnitt zwischen Lauenburg und Schnackenburg schlug die Stimmung in der Bundesrepublik in den 1980er Jahren allerdings langsam um. In der SPD und unter den politischen Newcomern Die Grünen wurden Stimmen lauter, die der DDR entgegenkommen wollten. Konservative Politiker wie Uwe Barschel (CDU) taten das als ideologische Dienstbarkeit gegenüber der DDR ab. Der Elbestreit, „den inzwischen kaum ein ernsthafter Deutschlandpolitiker mehr versteht, den aber konservative Zeitgenossen partout nicht pragmatisch beilegen wollen“,350 teilte nicht nur die beiden deutschen Staaten, sondern zunehmend die Bundesrepublik selbst. Hieran zeichnete sich ein Generationenkonflikt ab, schließlich wuchs eine junge Altersgruppe heran, die die Grenzen Deutschlands nur in denen der alten Bundesrepublik oder der DDR kannte.351 Programmatisch lässt sich das an der Deutschlandpolitik der neuen und jungen Partei Die Grünen ablesen, die den „Selbstbetrug gesamtdeutscher Identität“ beenden wollten, um damit den Ausbau der Demokratie und der Identität voranzutreiben. Dahingehend eröffne die Selbstanerkennung der „BRD“ auch Chancen. In der Akzeptanz der Geraer Forderungen – Staatsangehörigkeit, Auflösung der Erfassungsstelle Salzgitter und des BMIB sowie die Elbe-Grenze in der Strommitte – erwarteten sie von der DDR verbesserte Reisefreiheit, mehr Städtepartnerschaften, Familienzusammenführungen etc. „In Bezug auf die Elb-Grenzregelung erwarten die GRÜNEN, daß die freie Schiffahrt garantiert und die Säuberung der Elbe von ökologisch unerträglichen Schadstoffen möglich wird.“ 352 Die CDU-geführte Regierung konnte einer Grenzregelung bis zuletzt jedoch nicht zustimmen. So äußerte sich der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht gegenüber Honecker anlässlich dessen Staatsbesuches in Bonn am 7. September 1987, dass die Bundesregierung die Grenze nur dort hinnehmen könne, wo
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Vgl. z. B. BArch, DK 5, Bd. 3365, Vermerk über ein Gespräch des stv. niedersächsischen Ministerpräsidenten, Wilfried Hasselmann, am 23. 6. 1984 in Berlin; BArch, B 137, Bd. 10375, Teil 10, die Aktennotiz von MdB Jürgen Schmude (SPD) über sein Gespräch mit Fenzlein in Schönberg, 19. 4. 1985; BArch, DK 5, Bd. 2000, Information über den Besuch der Delegation (Leiter Reinhard Gröhner, CDU) des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Bundestages im MfUW am 9. 12. 1987, Schreiben Reichelts an Mittag, 16. 12. 1987. O. V., Größte Annäherung, in: Der Spiegel, Nr. 20, 12. 5. 1986, S. 65–68, hier S. 68. Vgl. Heidemeyer, (Grüne) Bewegung, S. 86; Wirsching, Abschied, S. 591–593; Bösch, Geteilt und verbunden, S. 22. Alle Zitate in: AGG, B.II.1., Bd. 1766, Entwurf eines Grundsatzpapieres: Ansätze und Perspektiven Grüner Politik in den deutsch-deutschen Beziehungen, Lothar Probst, Jürgen Schnappertz, o. D. [vmtl. 12. 9. 1984].
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
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die Besatzungsmächte sie 1945 gezogen hätten, nämlich am Ostufer der Elbe.353 Rückblickend führte Wolfgang Schäuble aus: „… denn unter keinen Umständen wollten wir über die Grenzregelung die Teilung legitimieren.“ 354 Auch die sozialliberale Koalition war in den 1970er Jahren fast soweit gewesen, die Talweglinie als Elbegrenze anzuerkennen, bis sie erkannt hatten, dass dies einer quasi völkerrechtlichen Anerkennung gleich gekommen wäre.355 Obwohl die Bundesrepublik – das „Provisorium“ – in den 1980er Jahren als deutscher Teilstaat in der Souveränität angekommen war, musste nach dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes die „deutsche Frage“ rechtlich, diplomatisch, symbolisch und rhetorisch „offen“ gehalten werden, was die Spannung zwischen Norm und Realität verstärkte.356 Das heißt, solange ein Stück – und es handelte sich hierbei um das letztmögliche Stück – Grenze nicht genau festgelegt war, blieb die deutsche Frage Bestandteil der innerdeutschen Beziehungen. Wie eine Wunde, die nicht behandelt werden und somit nicht heilen sollte, um den Schmerz der Trennung aufrechtzuhalten.
3. „In Ost und West stinkt’s wie die Pest“ 357 — Grenzüberschreitende Luftverschmutzung Mit bis zu 400 Meter hohen Schornsteinen haben „die Emissionen nordamerikanischer oder mitteleuropäischer Schlote Reichweiten wie Interkontinental- und Mittelstreckenraketen“.358 „Der Spiegel“ schaffte es so in einem Satz die zwei Bedrohungsszenarien Anfang der 1980er Jahre gekonnt miteinander zu verbinden: Einerseits die von der Gesellschaft als „Zweiter Kalter Krieg“ wahrgenommene, in der bevorstehenden Raketenstationierung manifestierte erneute militärische Spannung zwischen den Blöcken und andererseits das „Waldsterben“. Damit fügte sich insbesondere Letzteres fast nahtlos in die Krisenstimmung der frühen 1980er Jahre ein.359 Der Begriff „Waldsterben“ – dramatisch und einprägsam – wurde bereits Ende der 1970er Jahre gebraucht, als bundesdeutsche Forstwissenschaftler Politik und Presse auf Baumschäden in den Wäldern hinwiesen. Durch „Spiegel“-Serien und Exkursionen in abgestorbene Waldgebiete erlangte das Thema eine solche mediale Beachtung, dass es in der Bundesrepublik 1983 sogar zum Wahlkampfthema avan-
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Vgl. Nass, Vermessung, S. 326. Wolfgang Schäuble, In kleinen Schritten zum Mauerfall. Besondere Beziehungen: Pragmatisch im Alltag, fest im Grundsatz, in: FAZ, 5. 2. 2018, S. 10. Vgl. Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 286. Vgl. Wirsching, Abschied, S. 591–594. Wortlaut eines ausgerollten Plakats von Robin Wood an der innerdeutschen Grenze als Protest gegen die Kraftwerke Buschhaus (Bundesrepublik) und Harbke (DDR), vgl. Robin Wood e. V., Geschäftsstelle Hamburg, Ordner: Pressemitteilungen 1984/07 bis 1985/12, PM: Protest gegen Dioxin und Schwefel, 17. 6. 1985. O. V., „Da liegt was in der Luft“, in: Der Spiegel, Nr. 48, 16. 11. 1981, S. 188–200, hier S. 188. Vgl. Schäfer/Metzger, Waldsterben?, S. 201–227, hier S. 207.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
cierte und sich darüber umweltpolitische Widerstände in Parteien und Wirtschaft überwinden ließen. Über das sichtbar gewordene Umweltproblem Waldsterben konnte eine Reihe anderer Umweltprobleme wie die Grundwasserspiegelsenkung sowie die Luft- und Gewässerverschmutzung zusammen angesprochen werden. Auch die von Teilen der Gesellschaft verpönte Atomenergie trat in Diskussionen umweltschonender Alternativen zur Kohle wieder hervor. Die Debatte war somit mehr emotionaler Ausdruck von Skepsis und Infragestellung der bisherigen Umweltpolitik als wissenschaftsbasierter Diskussion. In der historischen Forschung wird diese Kontroverse mittlerweile als übertrieben bewertet.360 Als Ursache des Waldsterbens wurde der „saure Regen“ ausgemacht, der bereits Ende der 1960er Jahre die Seen in Schweden versauern ließ. Er entstand hauptsächlich durch den Ausstoß von Schwefeldioxid (SO2) aus Kohlekraftwerken in Verbindung mit Wasser.361 Damals schon war die These, dass die SO2-Belastung allein schuld an den Waldschäden sei, in der Bundesrepublik bald umstritten. In den frühen 1990er Jahre kursierten über 150 Hypothesen über die Ursachen dieses Phänomens.362 Lag es an dem Ozon-Ausstoß, den Schwefel- oder Stickoxiden (NOx)? Je nach Schadstoff hätten unterschiedliche politische Konsequenzen entweder bei den Kraftwerken (SO2) oder bei des Deutschen liebsten Autos (NOx) gezogen werden müssen. Um politische Handlungsfähigkeit zu signalisieren und wirtschaftliche Planbarkeit herzustellen, legte sich die Bundespolitik jedoch schnell auf die Schwefeldioxide fest, was jede weitere Diskussion vor bevorstehenden Abschlüssen internationaler Vereinbarungen politisch heikel werden ließ.363 Mit dem „Aktionsprogramm Rettet den Wald“ (1983), der „Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft“ (TA Luft, 1983, 1986) und der Großfeuerungsanlagenverordnung (GFAVO, 1983) ergriff die neue Bundesregierung unter Helmut Kohl nun vor allem Maßnahmen zur Luftreinhaltung, die teilweise noch von ihren Vorgängern entworfen worden waren. Insbesondere die GFAVO bewirkte ab 1980 eine Schadstoffreduzierung um 70 Prozent, weshalb sie beispielhaft für eine gelungene Umweltpolitik stand.364 In den 1980er Jahren, insbesondere in der ersten Hälfte, durchdrang die Debatte um das Waldsterben sämtliche Politikbereiche und so auch die Deutschlandpolitik. In Gesprächen mit DDR-Vertretern nahmen Politiker das Problem immer
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Vgl. ebenda, S. 202, 214 f.; Radkau, Ära, S. 238 f.; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 584, Uekötter, Gewissheiten, S. 167; siehe auch die Spiegel-Serien „Da liegt was in der Luft“ (1981), Nr. 47, S. 96–110, Nr. 48, S. 188–200, Nr. 49, S. 174–190; „Die Erde wird ein öder Stern“ (1982), Nr. 13, S. 64–79, Nr. 14, S. 64–79, Nr. 15, S. 64–80, Nr. 16, S. 64–84. Vgl. Schäfer/Metzger, Waldsterben?, S. 203; Radkau, Ära, S. 236–239; Uekötter, Rauchplage, S. 233, 261 f. Vgl. Huff, Natur, S. 277; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 447. Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 268–270. Vgl. Schäfer/Metzger, Waldsterben?, S. 202, 214 f.; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 479; Radkau, Ära, S. 239, und den Bericht zur Umsetzung der Empfehlungen des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen im Gutachten „Waldschäden und Luftverunreinigungen", in: Deutscher Bundestag, 19. 11. 1985, Drucksache 10/4284; Wirsching, Abschied, S. 364 f.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
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wieder auf.365 Stimmen zu bestehenden grenzüberschreitenden Problemen wurden seit den 1970er Jahren lauter, wie dem aus den südlichen Bezirken der DDR Suhl, Gera und Karl-Marx-Stadt herüberziehenden „Katzendreckgestank“ 366 im Raum Hof, die Ausstöße des Kraftwerks Harbke (DDR) oder die Berliner Smogprobleme 1982 und 1987. Die SED wiederum verfolgte die Geschehnisse rund um das Kraftwerk Offleben, später Buschhaus, an der innerdeutschen Grenze genau. Die DDR-Führung reagierte ambivalent auf die „Hysterie“ im Westen. Waldschäden waren der Forstwirtschaft schon lange bekannt. Die Nutzung der Braunkohle als Hauptenergieträger führte – neben giftigen Abgasen – durch die Abbaggerung der Erde auch zur Absenkung des Grundwasserspiegels und somit zum Absterben der Bäume.367 Nach außen hin vertrat die DDR-Führung daher die Auffassung, es gebe kein Waldsterben auf ihrem Gebiet – höchstens „Waldschäden“. Das Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (MfLFN) und das MfUW waren jedoch mit gegensteuernden Maßnahmen betraut, wie der Durchführung von Rekultivierungen, der Erprobung der besten Abgas-Filtertechnik und dem Voranbringen der Forschung betreffs gegen Rauchschäden resistenter Pflanzen.368 Andererseits starben im Erzgebirge die Fichten, was der sozialistische deutsche Staat den Industriegebieten in der ČSSR zuschrieb. Das Erzgebirge sehe aus wie „Vietnam“, verriet ein DDR-Diplomat seinem westdeutschen Kollegen in Prag.369 Seit 1977 verhandelte die DDR mit ihrem sozialistischen Partner – bis Anfang der 1980er Jahre jedoch ohne Erfolg. Günter Mittag wollte der ČSSR sogar eine finanzielle Unterstützung zukommen lassen.370 Folgen der Luftverunreinigung waren Gesundheitsschäden sowie Verluste in der Forst-, Land- und Wasserwirtschaft. Auch begann der gesellschaftliche Druck zu wachsen. Allein in den 18 Monaten der Jahre 1979/1980 kamen 220 von insgesamt etwa 900 Eingaben von kommunalen Abgeordneten, Bürgern und kirchlichen Kreisen aus dem Gebiet des Oberen Erzgebirges. So zog Willi Stoph, zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Ministerrates (ohne Geschäftsbereich), in einer Korrektur eines Entwurfs für die Direktive für Beratungen der DDR mit der ČSSR den wichtigen Punkt der
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Vgl. z. B. das Gespräch Strauß – Honecker, 24. 7. 1983, Hubertusstock, Dok. 5, in: Potthoff, Koalition, S. 156. Vgl. u. a. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132146, Schreiben von Köstner, stv. Landrat im Landkreis Kulmbach, an Hans-Dietrich Genscher, 17. 3. 1982. In diesem Band befinden sich weitere Schreiben von MdBs aus Oberfranken, der Initiative Nordostoberbayern für Gesunde Luft, des FDP-Kreisverbandes Wunsiedel, der Jungen Union Selb und anderen. Vgl. Pflugbeil, Umwelt- und Reaktorsicherheitsprobleme, S. 5. „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/1, S. 561. Anders bei Großer, Wald in der Umweltpolitik, S. 135 f. Vgl. Huff, Natur, S. 106–119, 128–132, 217–219. Erfolgreiche Aufforstung auf Satellitenbildern bei Fleischman, Communist Pigs, S. 158. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132146, Bericht Nr. 39 der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag an das AA, Referat 214, 10. 1. 1983. Im Vietnamkrieg wurde von den USA das Entlaubungsmittel „Agent Orange“ eingesetzt. Vgl. Huff, Natur, S. 225–235; Die DDR gab mehr SO2-Emissionen ab, die ČSSR mehr Geruchsstoffe, S. 229.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Abb. 6: Abgestorbene Bäume im Erzgebirge, Grenzgebiet zwischen DDR und ČSSR bei Altenberg, 11. Juli 1987; Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotograf: Klaus Mehner, Bild 87_0711_UMW_ErzGeb_05
„Lebenslage der Bevölkerung“ in der Dringlichkeit vor die volkswirtschaftlichen Schäden, die die Luftverschmutzung im Erzgebirge verursachte.371 Zudem waren die Zuständigkeiten in der DDR für den Bereich der Luftverschmutzung auf die vom Ministerium für Gesundheit (MfG) kontrollierten Hygieneinspektionen, das Ministerium für Kohle und Energie (MfKE) und den für die Emissionsmessungen zuständigen Metereologischen Dienst (MD) verteilt. Das MfUW war offiziell eigentlich nicht für diesen Bereich zuständig, vertrat aber den DDR-Standpunkt zu Luftverschmutzungsproblemen im Ausland und auf internationalen Konferenzen. Von den dortigen Delegierten wurde Reichelt als der natürliche Ansprechpartner für dieses Thema anerkannt. Die HRT Umwelt 1979 und auch die Münchner Umweltkonferenz 1984 führten deshalb zu Kompetenzausweitungen des Umweltministers im Luftreinhaltebereich. 1982 wurde ihm das bereits seit den 1970ern geforderte Zentrum für Umweltgestaltung (ZUG) als zentrale Auswertungsinstanz mit Dokumentationsstellen in Berlin, Cottbus, Wittenberg, Erfurt und Freiberg genehmigt. Zuvor konnte er den MD ebenfalls in seinen Zuständigkeitsbereich eingliedern. Beide Institutionen arbeiteten nun zusammen und
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 2120, Entwurf der Direktive vom 4. 12. 1980, und Bericht über die Luftverunreinigungen im Gebiet des Oberen Erzgebirges, Anlage Nr. 4 zum Protokoll Nr. 142, 26. 11. 1980. Siehe auch BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 19276, Bl. 69–96, hier Bl. 79, Erste Bestandsaufnahme zu den bedeutendsten Umweltproblemen in der DDR, HA XVIII/ 6, April 1981.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
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lieferten Prognosen und tägliche Belastungsszenarien, die an das MfG und das MfKE, beispielsweise im Falle von Inversionswetterlagen (Smog), weitergeleitet wurden. Mit dem Umbau der Hygiene- in Umweltinspektionen war die Eingliederung des Bereichs Luftverschmutzung im MfUW 1985 abgeschlossen.372 Angesichts der Geheimhaltungspolitik in Bezug auf Umweltdaten, des Geltungsbedürfnisses und der vom MfS eruierten „Schwatzhaftigkeit“ 373 einiger Mitarbeiter, erscheint es neben der verbesserten ökologischen Kommunikation der Ebenen auch aus informationssichernden Gründen logisch, diesen zersplitterten Bereich zu zentralisieren. Für Reichelt bedeutete der Kompetenzausbau auf dem Gebiet der Luftreinhaltung eine Bedeutungssteigerung seines Ministeriums. Im Westen stellte Bundeskanzler Schmidt wegen des vermeintlich „neuen“ Erstarkens umweltpolitischer Forderungen, festgemacht an der Waldsterbensdebatte, in der Kabinettssitzung im September 1982 klar: „Für die Bundesregierung ist Umweltschutz kein neues Modethema, sondern […] eine der zentralen politischen Herausforderungen, denen sie sich von Anfang an gestellt hat.“ 374 Das Kabinett würdigte die bisherigen Gespräche mit der DDR zu Werra, Elbe, Röden und den Berliner Gewässern als positiv. Es gelte weiterzumachen, weshalb Bundesinnenminister Baum den Auftrag erhielt, mittels Initiativen in der EG, OECD und vor allem ECE eine Schwefeldioxidreduzierung zu verfolgen. Für die internationale Harmonisierung gelte es, die osteuropäischen Staaten einzubinden und nachhaltig Ergebnisse zu sichern.375 Das Dilemma solcher Verhandlungen bestand jedoch darin, dass die Umweltschutzabteilung im BMI resümierte, dass wegen der vorherrschenden Westwinde die DDR durch die Luftverunreinigungen der Bundesrepublik stärker betroffen sei als andersherum.376 Rein die Emissionsdaten betrachtend hatte die DDR die Bundesrepublik jedoch seit etwa 1970 längst überholt. So emittierte die Bundesrepublik 1980 noch ca. 3,2 Mio. Tonnen SO2 – Tendenz fallend – und die DDR etwa 4,2 Mio. Tonnen – Tendenz steigend.377 Diese Zahlen wurden in der DDR als annähernd „gleich“ interpretiert.378 Während die Bundesrepublik auf der Hochrangigen Tagung (HRT) Umwelt 1979, auf der die Genfer Luftreinhaltekonvention beschlossen wurde, noch als 372 373 374 375 376 377
378
Vgl. Stief, Staatssicherheit, S. 360–364; Huff, Natur, S. 289. BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 19276, Bl. 69–96, hier Bl. 79, Erste Bestandsaufnahme zu den bedeutendsten Umweltproblemen in der DDR, HA XVIII/6, April 1981. PA AA, ZA, B 75, 132196, Anlage zum Auszug aus dem Kurzprotokoll über die 92. Kabinettssitzung der Bundesregierung am 1. 9. 1982, Top 7 Umweltpolitik. Vgl. ebenda. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Afz. Umweltprobleme mit der DDR, Dr. Thiem, U I 4, BMI, 15. 3. 1982. Vgl. Buck, Umweltpolitik, S. 228; Wirsching, Abschied, S. 366; zum „turn“ der Bundesrepublik: Dominick, Capitalism, S. 320; Rink, Umwelt, in URL: https://www.bpb.de/geschichte/ deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47350/umwelt [11. 6. 2022]. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3365, Standpunkt zu dem übermittelten Schreiben des Bayerischen Ministerpräsidenten Strauß (vom 13. 1. 1983) zu Fragen der Schwefeldioxidbelastung im Grenzgebiet BRD/DDR und Vorschläge zum weiteren Vorgehen; BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 19276, Bl. 69–96, hier Bl. 78, Erste Bestandsaufnahme zu den bedeutendsten Umweltproblemen in der DDR, HA XVIII/6, April 1981.
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Bremserin auftrat, kehrte sich zwei Jahre später ihre Haltung komplett um. Dieser Sinneswandel wurde geprägt durch die neu gegründete Partei Die Grünen, die durch die Waldsterbensdebatte gestärkt wurde. Ihr Einzug 1983 in den Bundestag und der dadurch generierte öffentliche Druck veranlasste ein umweltpolitisches Umdenken in den etablierten Parteien. Außerdem befürchtete die Bundesregierung wirtschaftliche Nachteile, wenn nicht alle Länder gleichermaßen an einem Strang ziehen würden.379 Für eine Harmonisierung von Umweltschutzmaßnahmen, die zugunsten von Kostensenkungen im eigenen Land angestrebt würden, bedurfte es jedoch auch der Informationen aus den Nachbarländern, weshalb die Bundesregierung an Gesprächen interessiert war. Die DDR musste hierfür erst einmal Grundlagen schaffen, weshalb ihr Augenmerk in den kommenden Gesprächen zur Luftreinhaltung eher den technischen Hinweisen galt. Gerade Luftverschmutzung ist – anders als die Gewässerverschmutzung – „grenzenloser“, diffuser, weiträumiger und schwerer kalkulierbar. Diesem Kapitel zur Luftverschmutzung kommt daher in dieser Studie eine Scharnierfunktion zwischen den zu diesem Zeitpunkt von beiden Seiten positiv bewerteten Gewässerschutzgesprächen und den sich zum Umweltproblem entwickelnden Müllexportgeschäften zu. War die Luftverschmutzung hauptsächlich im internationalen Bereich verhandelt worden, dienten die bilateralen Gespräche hier dazu, insbesondere für die DDR, aufgetretene Spannungen in ihrem Verhältnis zu Beginn der 1980er Jahre zu überbrücken.
3.1 Gespräche zur Rauchgasentschwefelung und zu Waldschäden Der Austausch über Anlagen zur Rauchgasentschwefelung war ein beiderseitiges Anliegen mit jeweils unterschiedlichen Gründen. Für die DDR-Führung stand das ökonomische Interesse im Vordergrund: Sie wollte der Bundesrepublik Lizenzen für das vom Institut für Energetik (IfE) entwickelte Verfahren zur Rauchgasentschwefelung von Rohbraunkohle (Kalk-Stein-Additiv-Verfahren) verkaufen. Darüber hinaus sollten die Experten in Erfahrung bringen, wie und ob Schwefel aus der Luft als Sekundärrohstoff zurückgewonnen werden könne.380 Für die Bundesrepublik machte der Wunsch nach Informationen einen Austausch über Luftverschmutzung mit der DDR unausweichlich. Im Durchschnitt komme 25 Prozent der Belastung aus der DDR in die Bundesrepublik, bei schlechtem Wetter vermutlich mehr, so ein Bericht der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin vom Januar 1982.
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Vgl. Wirsching, Abschied, S. 363; Brand, Umweltbewegung, S. 226, und Kap. II.3. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1438, Bl. 175–179, hier Bl. 175 f., Direktive für ein Informationsgespräch mit der Bundesrepublik Deutschland über Rauchgasentschwefelung in Leipzig, Schreiben Mittag an Honecker, 16. 11. 1982. Siehe zum IfE-Verfahren: Huff, Natur, S. 259; zum Schwefelimport aus Polen: Schürer, Planung und Lenkung der Volkswirtschaft, S. 75.
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Dieser war gespickt von Unkenntnis und Nichtwissen dessen, was in der DDR zur Verhinderung von Luftverschmutzung durch Großkraftwerke geleistet wurde: Nach der Durchführungsverordnung vom 17. Januar 1973 zum LKG seien Kraftwerke in der DDR gehalten, die Luftverschmutzung zur verringern. Grenzwerte sollten eingeführt werden, die jedoch der Ständigen Vertretung nicht bekannt waren. Auch ob und welche Art von Filtern eingesetzt, und falls ja, ob sie dem Stand der Technik genügen würden, war der Ständigen Vertretung nicht bekannt. Zudem kam ein Bericht des UBA zu dem Schluss, dass ihre Messergebnisse für Verhandlungen mit der DDR „ungeeignet“ und „unzureichend“ sowie genauere Ergebnisse vonnöten seien.381 Hier gaben der Bundesrepublik die bis dahin zufrieden stellenden Ergebnisse aus den Gewässergesprächen Hoffnung auf mehr. Außerdem fügte sich eine solche Gesprächsinitiative der Bundesregierung gut in die Stimmung der 1980er Jahren ein, die aufgrund der Debatte um das „Waldsterben“ aufgeheizt war. Darüber hinaus konnte sie auf der kürzlich verabschiedeten Genfer Luftreinhaltekonvention der ECE aufbauen, in deren Artikel 8a ein Informationsaustausch zur Luftverschmutzung und im Artikel 5 Konsultationen beschlossen wurden, an welche die DDR als Unterzeichnerstaat gebunden war.382 Und nicht nur die politischen Vertreter aus besonders betroffenen Gebieten wie eben (West-)Berlin (Smog) oder der Raum Oberfranken (Katzendreckgestank) ließen den Wunsch nach mehr Informationen aus der DDR aufkommen. Im Interesse seiner Kohle- und Stahlindustrie hatte auch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalens (NRW) ein Interesse daran, mehr über die Versuche der DDR zur Rauchgasentschwefelung von Braunkohle zu erfahren.383 Die Landesregierung förderte bereits früh, anders als die Bundesregierung, die Rauchgasentschwefelung in den 1970er Jahren bis zur Praxisreife, allerdings liefen diese Ende der 1970er nur problemlos mit Steinkohle.384 Der Bundesregierung standen nun also wieder einmal drei Möglichkeiten zur Auswahl, wie sie auf die DDR zugehen konnte: mit einem konkreten Problem an der Grenze [Berlin, Harbke (DDR)/Offleben (Bundesrepublik), „Katzendreckgestank“ (Bayern)], über die internationale Genfer Luftreinhaltekonvention oder über das technische Anliegen der Industrie (NRW). Weder spielte die Bundesregierung hier die internationale Karte noch betrachtete sie die Grenzkommission
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383
384
Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Afz. des Umweltbundesamtes, 10. 12. 1982, und Drahtbericht Nr. 73, Hellbeck, StäV, Ost-Berlin, 26. 1. 1982. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Schreiben Pollaks an den Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, 12. 1. 1983; sowie Genfer Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung vom 13. 11. 1979, hier: Folgerungen für die bilaterale Zusammenarbeit mit der DDR, Schreiben der StäV aus Ostberlin an BKAmt. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Afz. Umweltprobleme mit der DDR, Dr. Thiem, U I 4, BMI, 15. 3. 1982; und Schreiben der StäV, Hellbeck, an BKAmt, AA, BMWi, BMIB und den Senat von Berlin (West), 23. 4. 1982. Siehe auch PA AA, ZA, B 38, Bd. 132689, Anfrage des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW zu Braunkohlekraftwerken in der DDR vom 30. 12. 1981, Thiem, BMI, 10. 3. 1982. Vgl. Huff, Natur, S. 151.
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für ein geeignetes Gremium wegen des weiträumigen Transports der Schadstoffe. Die DDR favorisierte hingegen – welche Überraschung – die Grenzkommission.385 Deshalb bildete letztlich die Initiative der Industrie aus NRW den Auftakt für die Expertengespräche (vgl. Tab. 5), die später – so die westdeutsche Vorstellung – in allgemeine über Luftverunreinigung überführt werden sollten.386 Die Ständige Vertretung warnte jedoch davor, dass andere Themen „nach Ansicht unserer Experten derzeit nicht angesprochen werden [sollten], weil die Lage insgesamt nicht zu unseren Gunsten steht.“ 387 Damit war höchstwahrscheinlich die Tatsache gemeint, dass der in Mitteleuropa vorherrschende Westwind dafür sorgte, dass die Bundesrepublik gegenüber der DDR in die Pflicht genommen werden könnte (Emissionen aus Buschhaus und dem Ruhrgebiet). Ähnlich habe sich auch der stellvertretende Umweltminister der DDR Guido Thoms gegenüber den Bundesdeutschen geäußert.388 Am 1. Juni 1983 erbrachte ein erstes Vorgespräch bundesdeutscher Forstwissenschaftler und Vertreter des MfLFN in der Ostberliner Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland Aufschluss über Erfahrungsräume und Herangehensweisen. Sie sprachen über Rauchgasentschwefelungsanlagen in Leipzig und Köln/Bonn sowie das Phänomen des Waldsterbens. Insbesondere bei Letzterem warnten die DDR-Experten vor einer „Dramatisierung“ des Problems. Ihrer Meinung nach sollte eher von einem Baumsterben die Rede sein. Dennoch flochten sie in die Unterhaltung ein, dass der Anteil an geschädigten Kiefern, Fichten und Buchen in der DDR bei etwa 75 Prozent liege. Die Hauptursachen sahen die ostdeutschen Experten in den aufgetretenen Wetteranomalien der letzten zehn Jahre: Wind- und Schneebruch, Sommerdürre, Starkfröste. Auch das von den westdeutschen Wissenschaftlern verantwortlich gemachte SO2 nahmen die DDR-Vertreter unter die Lupe, sahen jedoch eher seine gasförmige Ausbreitung in der Luft als schädlicher als den sauren Regen an. Letzterer würde vorrangig den Pflanzenwuchs auf dem Boden behindern. Ihrer Meinung nach sollten neben Ozon und Stickoxiden weitere Stoffe in die wissenschaftliche Betrachtung aufgenommen und untersucht werden ohne „in eine Art Hysterie in Sachen Saurer Regen zu verfallen“.389 Hannspeter Hellbeck, Stellvertretender Leiter in der Ständigen Vertretung, 385
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PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Antwort auf die Anfrage aus der DDR zu Buschhaus, Möbs, BMI, 21. 4. 1983; BArch, DL 226, Bd. 1328, Bl. 631–632, Informationen zu Fragen der Schwefeldioxidemissionen im Grenzgebiet DDR/BRD, Mittag an Honecker, 29. 6. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Afz. Umweltprobleme mit der DDR, Dr. Thiem, U I 4, BMI, 15. 3. 1982. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, hs. Anm. auf dem Schreiben der StäV, Hellbeck, an BKAmt, AA, BMWi, BMIB und den Senat von Berlin (West), 23. 4. 1982; diese Warnung schien jedoch zu verhallen: Vermerk des Referats 210, AA, zur Ressortbesprechung am 21. 1. 1983; sowie Vermerk vom 24. 1. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132691, Erstes Exekutivtreffen zur Genfer Luftschutzkonvention von 1979, 16. 6. 1983, Übersendung des Gesprächs der Delegationsleiter der Bundesrepublik und der DDR in Genf am 10. 6. 1983, Dr. Peters, BMI. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132199, Gespräch im DDR-Landwirtschaftsministerium über Sauren Regen/Waldschäden, Hellbeck, StäV, 1. 6. 1983. An dem Fachgespräch nahmen auf DDRSeite teil: Dr. Prosnack (Sektorleiter im MfLFN), Professor Prien (Hochschullehrer der Sek-
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gewann den Eindruck, dass „die in der DDR durch Emissionen verursachten Waldschäden in ihrer Bedeutung heruntergespielt werden sollten“. Das Protokoll beendete er aber mit einer Kritik an einer Weisung aus dem Bundeskanzleramt: Er sollte keine Borschüren zum Thema mit der DDR-Seite austauschen. Obwohl „diese Broschüren in Buchhandlungen von jedermann erworben werden können und wir generell ein Informationsgespräch mit besseren Aussichten auf Erfolg führen können, wenn auch wir unsererseits Informationen anbieten.“ 390 Der Grund dieser Weisung ließ sich nicht ermitteln. Für die DDR-Wissenschaftler war die Herausforderung von Waldschäden durch Luftverschmutzung, welcher Art auch immer nichts Neues. Wie sie selbst in diesem Gespräch mitteilten, waren sie seit den 1950er Jahren mit dem Problem konfrontiert. So besaßen sie Erfahrungen mit dem Experimentieren von Nährstoffen in der Dübener Heide, worauf sie auch in den folgenden Gesprächen immer wieder hinwiesen. Diese „gelungene Waldbewirtschaftung unter Immissionseinfluß“ war ihr Vorzeigeobjekt.391 In einem weiteren Gespräch über Waldschäden im August 1984 im Nachklang der Multilateralen Umweltschutzkonferenz in München gingen DDR-Experten davon aus, dass die Schäden in der Dübener Heide, im Erzgebirge und im Bezirk Cottbus durch Stickstoffoxide (NOx) und Ozon (O3), diejenigen in der Bundesrepublik hingegen durch SO2 entstünden. Letzteres schien auch die erst kürzlich im Thüringer Wald entdeckten Schäden verursacht zu haben, weshalb sie daraus „ein Fortschreiten dieser neuartigen Waldschäden von West nach Ost“ ableiteten.392 Diese Auslegung teilten die Westdeutschen keineswegs.393 Huff urteilt dazu, dass sich die DDR mit der Unterteilung in „alte“ und „neue“ Waldschäden gegenüber der Bundesrepublik als Opfer positionieren konnte.394 Diese vorgebliche Opferrolle diente höchstwahrscheinlich dazu, der Bundesrepublik die Verursachung eines Umweltproblems zuzuschreiben, um es gegen ein anderes, der DDR angelastetes aufwiegen zu können und so – wie schon bei den Gewässergesprächen – den angestrebten „Ausgleich“ zu schaffen. Denn mit einem Ausgleich entstanden keine Ansprüche auf Schadensersatz. Neben dieser stark ideologisch und wirtschaftlich geprägten Interpretation darf jedoch der
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tion Forstwirtschaft TU Dresden in Tharandt) und Dr. Schrader (MfLFN, Abteilung Internationale Beziehungen), die Teilnehmer der Bundesrepublik wurden nicht genannt. Beide Zitate in: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132199, Gespräch im DDR-Landwirtschaftsministerium über Sauren Regen/Waldschäden, Hellbeck, StäV, 1. 6. 1983. Vgl. Huff, Natur, S. 162. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1442, Bl. 385, Information über das in der BRD durchgeführte Expertentreffen zu Fragen des Schutzes der Wälder vor Luftschadstoffen vom 27.–30. 8. 1984 in München/Bischofsgrün, Schreiben Bruno Lietz an Mittag, 11. 12. 1984; sowie Bl. 400, Zustimmung über Maßnahmen nach dem Expertengespräch über Waldschutz, Schreiben Mittags an Honecker, 20. 12. 1984. Vgl. auch „Schwefeldioxid-Emission belastet die Umwelt“, in: FAZ, 2. 6. 1987, S. 4; sowie die Gespräche Strauß – Honecker, 24. 7. 1983, Hubertusstock, Dok. 5, S. 156; und Mischnick – Honecker, 5. 3. 1984, Ost-Berlin, Dok. 12, S. 246, beide in: Potthoff, Koalition. Vgl. Wieczorek, Waldschäden, S. 611. Vgl. Huff, Natur, S. 294–297.
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politisch-wissenschaftliche Hintergrund nicht vernachlässigt werden: Wie eingangs festgestellt wurde, hatte sich die bundesdeutsche Politik auf die Reduzierung von Schwefeldioxid als Ursachenbekämpfung festgelegt, während die DDR darauf zwar – ideologisch – reagierte, wissenschaftlich und politisch den Diskurs jedoch noch nicht als abgeschlossen bewertete. Anders als bei den Waldschadensgesprächen ging es bei den insgesamt vier Gesprächen über Rauchgasentschwefelungsanlagen (Tab. 5) im Jahr 1983 hauptsächlich um Erfahrungen mit technischen Verfahren: „Der fachliche Charakter stand eindeutig im Vordergrund, durch präzise, spontane Fragen und direkte Antworten auf beiden Seiten sehr gefördert. Politische Akzente fehlten nahezu völlig.“ Der Auftakt dieser Expertengespräche verlief in einer „bemerkenswert freundlichen und offenen Atmosphäre“.395 Für die DDR war bei diesem Verfahren zur Entschwefelung von Rauchgas eine größtmögliche Effizienz bei günstiger Verteilung von Kosten unter energiewirtschaftlichen Aspekten wichtig. Daher bekundeten sie ein starkes Interesse daran, wie aus dem durch Filter zurückgehaltenen SO2 weitere Produkte, beispielsweise Schwefel oder Ammoniumsulfat (Waltherverfahren), gewonnen werden könne. Westdeutsche Kenntnisse zu verschiedenen Vergasungsverfahren und der Koksgewinnung aus Braunkohle als auch Experimente mit Aktiv-Kohle (Bergbau-Forschungsverfahren Essen) beeindruckten die Vertreter aus der DDR.396 Wie bei den Gewässerschutzgesprächen waren sie darauf bedacht, entsprechend dem Landeskulturgesetz, technisches Wissen zu generieren, wie Abfallprodukte weiterverwendet werden können, um die Kreislaufwirtschaft zu perfektionieren und sich mittels der Herstellung von Sekundärrohstoffen wie Schwefel vom Import auf dem Weltmarkt unabhängig zu machen. Wie in der DDR stellte auch in der Bundesrepublik der bei dem (Kalkstein)-Additiv-Verfahren anfallende Gips ein Problem dar: In der Bundesrepublik durfte ein Kraftwerk nach dem Immissionsschutzgesetz nur ans Netz gehen, wenn geklärt war, was mit den giftigen Abfallprodukten geschehen würde. Der Weiterverkauf dieses Kunstgipses auf dem Markt war jedoch zu teuer, eine Verfüllung von Resttagebaulöchern kritisch, und so blieb meist nur die Deponierung des mit Schwermetallen versetzten Gipses übrig.397 Ähnlich verhielt es sich mit der Ascheverwertung, die vom 4. bis 5. Oktober 1983 in Dresden und Senftenberg Thema war. Ein Aspekt, der insbesondere die westdeutschen Industrievertreter interessierte und sie zu den Gesprächen motiviert hatte. Die DDR-Seite erklärte hier, dass etwa 15 bis 17 Mio. Tonnen Asche pro Jahr anfielen, von denen 5 Mio. Tonnen wiederverwertet wurden. Zwar bezweifelten die westdeutschen Vertreter während des Besuchs, dass die Rekultivierungsanstren395 396
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PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Niederschrift über das erste Expertengespräch mit der DDR zu Fragen der Rauchgasentschwefelung, Leipzig und Vockerode/Elbe, 22.–23. 6. 1983. Vgl. ebenda; PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Niederschrift über das zweite Expertengespräch mit der DDR zu Fragen der Rauchgasentschwefelung am 4.–5. 7. 1983 im rheinischen Braunkohlerevier; PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, viertes Expertengespräch über die Luftreinhaltung in Bergkamen und Essen am 8.11. und Mannheim am 9.11., BMI, 24. 11. 1983. Vgl. o. V., Kleinere Kröte schlucken, in: Der Spiegel, Nr. 22, 27. 5. 1985, S. 45–47, hier S. 47; Möller, Umwelt, S. 247.
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gungen bei Senftenberg mit dem Thema maßgeblich zu tun hätten, dennoch zogen sie das Fazit, dass „die DDR bei der Braunkohle-Ascheverwertung uns erheblich voraus ist.“ 398 Auf Nachfrage, wann das Rauchgasentschwefelungsprogramm für Kraftwerke in der DDR zum Einsatz komme, konnten beziehungsweise wollten die DDR-Vertreter nichts sagen.399 Angesichts der Klassifizierung von Umweltdaten als „geheim“ hätte eine diesbezügliche Äußerung die Anschuldigung von Geheimnisverrat und damit Repressionen nach sich ziehen können. Außerdem existierte zu diesem Zeitpunkt noch keine konkrete Entschwefelungsstrategie, die erst im Nachgang der Multilateralen Umweltkonferenz in München 1984 verstärkt in Angriff genommen wurde.400 Immer wieder versuchten die Westdeutschen, die technisch geprägten Gespräche auf die allgemeine Luftverschmutzung und ein praktisches gemeinsames Vorgehen zu lenken – jedoch ohne Erfolg.401 Auch die DDR erreichte ihr Ziel eines Lizenzverkaufs des IfE-Verfahrens an die Bundesrepublik nicht: In einem Protokoll aus dem MfUW wurde festgehalten, dass das Trocken-Additiv-Verfahren nur noch für die erste Stufe einer Rauchgasentschwefelung in der Bundesrepublik angewandt werde, nämlich dann, wenn es schnell gehen müsse – ansonsten dominiere die Nasswäsche.402 Und auch Reichelt resümierte nach seinem Besuch des Großforschungszentrums und Braunkohle-Kraftwerks Schwandorf in Bayern Mitte 1984, dass dort das Trocken-Additiv-Verfahren nun so weit fortentwickelt sei, dass „der noch vorhandene [technische] Vorsprung der DDR eingeholt werden kann“. Geschlussfolgert wurde daraus, dass die „Intensivierung aller Bereiche der Volkswirtschaft […] mittelbar und unmittelbar Einfluß auf die Verbesserungen der Umweltbedingungen“ haben müsse. Daher sei es nun seine Aufgabe, längerfristige Hauptrichtungen für die Umweltpolitik der Partei auszuarbeiten, die Grundlagen für Umweltschutzmaßnahmen, die Außenpolitik und die Öffentlichkeitsarbeit seien.403 Nach vier Gesprächsrunden erbat sich die DDR „aus der Sache heraus“ eine Denkpause. Die Gespräche zum jeweiligen Stand der Technik müssten erst einmal ausgewertet und dann Richtungen festgelegt werden, wie weiterverhandelt werden
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PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Drittes Expertengespräch zur Luftreinhaltung in Dresden am 4.10. und Senftenberg am 5. 10. 1983, BMI, 28. 10. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Niederschrift über das erste Expertengespräch mit der DDR zu Fragen der Rauchgasentschwefelung, Leipzig und Vockerode/Elbe, 22.–23. 6. 1983. Vgl. Huff, Natur, S. 257–261, 266; Möller, Umwelt, S. 233, 246. Vgl. zur Kompetenzzersplitterung im Umweltschutz, insbesondere bei der Luftreinhaltung, Stief, Staatssicherheit, S. 360. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Drittes Expertengespräch zur Luftreinhaltung in Dresden am 4.10. und Senftenberg am 5. 10. 1983, BMI, 28. 10. 1983; BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, 11. 11. 1983. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, 11. 11. 1983. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über den Verlauf und die Ergebnisse der multilateralen Umweltkonferenz in München, 24.–27. 6. 1984, Reichelt, o. D. Siehe auch: o. V., Schwatzt zuviel, in: Der Spiegel, Nr. 34, 20. 8. 1984, S. 23–25.
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soll.404 Das hieß, die DDR-Seite wollte sich erst einmal darüber klar werden, welchen Weg sie selbst einzuschlagen gedachte – weiterhin selbst an Technik feilen oder teuer mit Devisen im Westen einkaufen? Besagtes Protokoll bewertete auch, dass sich die nassen Verfahren einer Rauchgasentschwefelung durch „hohe Wirkungsgrade“ von bis zu über 90 Prozent auszeichneten, Rohstoffe genutzt würden, die auch in der DDR vorhanden waren, und „die zu erwartenden Verfahrenskosten von rund 1 Deutschen Pfennig pro Kilowattstunde unter BRD-Bedingungen tragbar“ blieben. Anpassungsmöglichkeiten an die DDR-Bedingungen seien daher „ernsthaft zu prüfen“.405 Das technische Interesse der DDR-Delegation erkannte auch der bundesdeutsche Vertreter Gerhard Feldhaus. Für ihn erschien es „sowohl aus umweltpolitischer Sicht als auch im deutschlandpolitischen Interesse […] angezeigt“, die Denkpause „nicht durch politischen Druck zu stören und damit Gefahr zu laufen, den Willen zu weiterer Zusammenarbeit zu beeinträchtigen.“ 406 Insbesondere dieses vierte und vorerst letzte Gespräch zu Rauchgasentschwefelungsanlagen kann trotz der darauffolgenden Ruhephase als bedeutender Brückenkopf in den bilateralen Umweltgesprächen angesehen werden. So registrierte die Westseite „unverkennbar“, dass Umweltschutzaspekte bei den DDR-Vertretern „immer größere Beachtung gefunden“ haben.407 Außerdem nutzten beide Seiten dieses Gespräch auch, um am Rande weitere Themenfelder anzustoßen und abzustecken. Als mögliche Fragekomplexe erkannten sie die Vertiefung der begonnenen Kontakte zur Luftreinhaltung sowie aktuelle Fragen der Beseitigung von Abfallprodukten aus der Bundesrepublik auf der Deponie Schönberg in der DDR. Diese Themenauswahl war nicht zufällig. Beide Abteilungsleiter, Hans Lütke (DDR) und Feldhaus, waren sowohl für die Luftverschmutzung als auch für die Abfallbeseitigung zuständig. Des Weiteren wurde Anfang der 1980er Jahre der Müllexport von der Bundesrepublik in die DDR zunehmend als „ökologisches“ Problem wahrgenommen, worüber bereits Gespräche begonnen hatten.408 404
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Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Schreiben von Feldhaus, BMI, an BKAmt, BMIB, AA, StäV, Senator für Bundesangelegenheiten Bevollmächtigter des Landes Berlin beim Bund, Gespräche mit der DDR zu Luftverschmutzung, 21. 12. 1983; BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, 11. 11. 1983. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, 11. 11. 1983. Siehe auch BArch DK 5, Bd. 3394, Bl. 109, Schreiben Wolfgang Mitzingers an Gerhard Beil, Minister für Außenhandel, 8. 10. 1985. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Schreiben von Feldhaus, BMI, an BKAmt, BMIB, AA, StäV, Senator für Bundesangelegenheiten Bevollmächtigter des Landes Berlin beim Bund, Gespräche mit der DDR zu Luftverschmutzung, 21. 12. 1983; siehe auch PA AA, ZA, B 38, Bd. 132689, Gespräche mit der DDR über Rauchgasentschwefelungsanlagen in Leipzig und Vockerode am 22.–23. 6. 1983, Bräutigam, StäV, 27. 6. 1983. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Viertes Expertengespräch über die Luftreinhaltung in Bergkamen und Essen am 8. 11. und Mannheim am 9. 11., BMI, 24. 11. 1983; siehe zur DDRSicht: BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, 11. 11. 1983. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, 11. 11. 1983. Siehe zum Thema Müllexport Kap. IV.2.
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Darüber hinaus waren auch diese Gespräche über die Rauchgasentschwefelung ein Politikum beziehungsweise wurden von der DDR als solches genutzt. Zwar schien hier tatsächlich das technische Interesse der DDR-Vertreter zu überwiegen. Je näher jedoch die Entscheidung über den NATO-Doppelbeschluss und die mit ihm zusammenhängende Raketenstationierung in der Bundesrepublik rückte, desto weniger konnten sich die Kader dem entziehen. So kam es, dass die Gespräche im Sommer 1983 noch einen relativ „unpolitischen“ Anschein hatten, während die Gespräche im Oktober und November bereits nicht mehr ohne entsprechende politische Hinweise auskamen: So gaben die DDR-Delegierten rundheraus zu erkennen, dass „grundsätzlich über alle Fragen gesprochen werden könne, solange die Großwetterlage [Nicht-Stationierung von Raketen] dies zulasse.“ 409 Sie waren im Oktober 1983 allerdings nicht die einzigen, die das Problem der Luftverschmutzung mit einer bevorstehenden Raketenstationierung verknüpften.
3.2 Die Multilaterale Umweltschutzkonferenz 1984 in München Es gebe „keine kapitalistischen und keine marxistischen Bäume, sondern nur bedrohte Bäume“.410 Mit diesen Worten versuchte Außenminister Genscher seinen bulgarischen Amtskollegen Petar Toschew Mladenow zu überzeugen, an der Münchner Umweltkonferenz teilzunehmen. Die Botschaft war klar: Das ideologiefreie Thema der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung ging alle etwas an. Nur war die Zeit, in der Genscher dafür warb, zwischen „Marxisten“ und „Kapitalisten“ alles andere als entspannt. Am 22. November 1983 entschied eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, moderne Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik zu stationieren. Damit trat der zweite Teil des NATO-Doppelbeschlusses in Kraft, nachdem der erste Teil – Abrüstungsgespräche mit der Sowjetunion – im November 1982 als gescheitert angesehen wurde. So gesehen blieb die neue Regierung unter Bundeskanzler Kohl den Verabredungen ihrer Vorgängerin außenpolitisch treu. Doch auch sie verknüpfte wie eingangs „Der Spiegel“, die Friedens- und Umweltbewegung und zuletzt die DDR-Vertreter diese militärische Entscheidung mit einer Diskussion zu Luftreinhaltemaßnahmen.411 Um die Entscheidung zur Raketenstationierung demnach international und innenpolitisch abzufedern, entschied sich die Bundesregierung dazu, eine internationale Umweltkonferenz über die „Ursachen und Verhinderung
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PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Drittes Expertengespräch zur Luftreinhaltung in Dresden am 4.10. und Senftenberg am 5. 10. 1983, BMI, 28. 10. 1983, siehe auch BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, o. V., 11. 11. 1983. Gespräch des Bundesministers Genscher mit dem bulgarischen Außenminister Mladenow, 10. 5. 1984, Dok. 131, in: AAPD 1984, Bd. I, S. 638. Vgl. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Pfeffer, 18. 4. 1983, Dok. 104, in: AAPD 1983, Bd. I, S. 538.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
von Wald- und Gewässerschäden durch Luftverschmutzung“ in München zu veranstalten.412 Sie markierte einen Wendepunkt im Verhältnis zwischen Entspannungs- und Umweltpolitik, als sich im Zuge dieser „Krise der Entspannung“ die Umweltpolitik zwischen beiden deutschen Staaten intensivierte. Die Idee für eine solche Konferenz teilte Bundeskanzler Helmut Kohl seinem Innenminister Friedrich Zimmermann und seinem Außenminister Hans-Dietrich Genscher im September 1983 schriftlich mit. In seinem Brief erläuterte Kohl, er habe sich entschieden, im Jahr 1984 zu einer multilateralen Umweltkonferenz einzuladen, deren Vorbereitung sich für die „Eröffnung spezifischer bilateraler Kontakte mit der Sowjetunion im Umweltbereich“ eigne. Die Konferenz sei aber noch viel mehr: „Die Vorbereitung und Abhaltung einer internationalen Konferenz über das Wald- und Gewässersterben durch Luftverschmutzung würde so zusätzlich zur Lösung sachlicher Probleme im Umweltbereich in einer Zeit sich evtl. verschärfender sicherheitspolitischer Spannungen – für die Öffentlichkeit sichtbar – die Förderung und Offenhaltung des Ost-West-Dialogs im multilateralen und bilateralen Rahmen erleichtern.“ 413
Die Verschlechterung der internationalen Beziehungen vor Augen, eignete sich – wieder einmal – die grenzüberschreitende Luftverschmutzung wie kein anderes Thema dafür, den Ost-West-Dialog aufrecht zu halten. Weitere Ziele stellten dennoch auch der sachliche Erfahrungsaustausch und die Förderung eines deutschsowjetischen Umweltabkommens „unter größtmöglicher Einbeziehung des Umweltbundesamtes in Berlin“ dar.414 Die Initiative zu einer europäischen Konferenz zum Thema Waldsterben lag jedoch bereits seit etwa einem Jahr in der Schublade. Diesem Vorschlag ging die von den Ostblockstaaten schlecht besuchte Ministerkonferenz in Schweden zum Thema „Saurer Regen“ und Gewässersterben im Sommer 1982 voraus.415 Im selben Jahr wandte sich der Deutsche Naturschutzring in einem Schreiben an die Bundesregierung und forderte ein Notprogramm, das „umgehend“ internationale
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Vgl. Brief Kohls an den Generalsekretär der KPdSU Andropow, 28. 10. 1983, in: AAPD 1983, Bd. II, S. 1583 f.; siehe auch PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Einschätzung des Schreibens des Bundeskanzlers vom 23. 9. 1983, Abt. 4 (Außenwirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik, europäische, wirtschaftliche Integration), AA, Ungerer, 14. 10. 1983. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132205, Brief von Bundeskanzler Helmut Kohl an Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, 21. 9. 1983; PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Brief von Bundeskanzler Helmut Kohl an Außenminister Hans-Dietrich Genscher, 23. 9. 1983. Siehe PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Anlage: Einladung der Bundesregierung zu einer internationalen Konferenz 1984 in München über Ursachen und Verhinderung des Wald- und Gewässersterbens durch Luftverschmutzung in Europa, zum Brief von Bundeskanzler Helmut Kohl an Außenminister Hans-Dietrich Genscher, 23. 9. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132182, Vorschlag für eine Internationale Konferenz zum Thema Waldsterben in der Bundesrepublik Deutschland, Afz. Aurisch/Matuschka an Bundesminister Genscher, 31. 1. 1983; siehe zur DDR-Delegation: Konferenz über sauren Regen, Drahtbericht Nr. 171, Stockholm, 30. 6. 1982, Gescher; und Presseecho, Drahtbericht Nr. 174, Stockholm, 1. 7. 1982, Gescher.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
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Verhandlungen einschließen müsse.416 Doch erst Ende 1983 hatten sich die politischen Bedingungen eindeutig zu Gunsten einer solchen Konferenz verschoben. Da die Bundesrepublik nicht mehr wie noch 1979 auf der Anklagebank saß, schätzte auch das Auswärtige Amt die eigene Position als Gastgeberin positiv ein.417 Sicherheitspolitische Erwägungen und ökologische Erwartungen lagen bei der Vorbereitung der Konferenz so eng nebeneinander oder gingen ineinander über, dass von Akteur zu Akteur mal das eine, mal das andere Motiv überwog. Für Werner Ungerer, Leiter der Abteilung 4 (Außenwirtschaftspolitik), war die „Offenhaltung des Dialogs mit dem Osten angesichts der möglichen Stationierung von Mittelstreckenraketen ein für uns maßgebliches politisches Motiv dafür, auch die internationale Umweltpolitik als Vehikel der Dialogfortsetzung zu nutzen.“ 418 Diese Haltung fügte sich nahtlos in Genschers Entspannungspolitik ein, die Kommunikation zwischen den beiden Seiten des Eisernen Vorhangs aufrecht zu halten.419 Dennoch teilten nicht alle im Auswärtigen Amt diese Auffassung: Dagegen hielt der für Ungerers Abteilung zuständige Staatssekretär Hans Werner Lautenschlager handschriftlich auf dem von Genscher gezeichneten Entwurf fest: „Ich sehe das nicht so. Für mich steht das sachliche Interesse im Vordergrund.“ 420 Eine Umweltkonferenz ohne substanziellen Beitrag zum Umweltschutz war Anfang der 1980er Jahre gar nicht mehr möglich. Anders als in den 1970er Jahren mussten hier nun konkrete umweltpolitische Impulse freigesetzt werden, sodass es nicht beim von den USA und Großbritannien geforderten bloßen Erfahrungsaustausch bleiben konnte. Diese vielschichtige Interessenlage der Bundesregierung entpuppte sich dabei alles andere als einfach, barg Komplikationen und Konfliktpotenziale in sich. Eine handschriftliche Notiz zur Gesamtkonzeption listete alle „Schwellen“ auf, die es für die erfolgreiche Veranstaltung einer multilateralen Umweltkonferenz im eigenen Land zu überwinden galt: „Berlin“, „Umwelt“, „Raketen“, „Prestige“, „Interesse“.421
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Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132182, Schreiben zum Thema Baumsterben von Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings (DNR) Wolfgang Engelhardt an die Bundesregierung, 28. 7. 1982. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132182, Konferenz über sauren Regen, Drahtbericht Nr. 171, Stockholm, 30. 6. 1982, Gescher; und Presseecho, Drahtbericht Nr. 174, Stockholm, 1. 7. 1982, Gescher. Siehe auch PA AA, ZA, B 75, Bd. 132205, Afz. zur MUK, Studie der SWP, Aurisch, Referat 414, AA, 25. 1. 1984; und „Die Gesamteuropäische Umweltkonferenz 1984 in München. Einige Gedanken zu ihrer außenpolitischen Bedeutung“ von Dr. Rudolf Botzian, 10. 1. 1984. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Afz. Abt. 4, Schreiben des Bundeskanzlers betreffend eine Europäische Umweltkonferenz über Folgen der Luftverschmutzung, München 1984, hier: Konzeption des Auswärtigen Amts, Ungerer, 14. 10. 1983. Vgl. Bresselau von Bressensdorf, Frieden durch Kommunikation, S. 89–90. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132205, Afz. Abt. 4, Schreiben des Bundeskanzlers betreffend eine Europäische Umweltkonferenz über Folgen der Luftverschmutzung, München 1984, hier: Konzeption des Auswärtigen Amts, Ungerer/Matuschka, 14. 10. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132206, hs. Notizen, o. D., UBA – SU – ECE-Schirmherrschaft.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Für die Bundesrepublik begann ein schwieriges Lavieren, um die Teilnahme sowohl der USA als auch der Sowjetunion an der Umweltkonferenz zu erreichen. Die von Kohl angedachte gemeinsame Vorbereitung der Konferenz mit Moskau konnte letztlich nicht realisiert werden.422 Die sowjetische Führung hielt das „Raketenstationierungsland“ 423 Bundesrepublik als Gastgeber nicht geeignet. Hier musste die Bundesregierung also klarstellen, dass es sich bei der Konferenz wirklich um die Behandlung von Umweltfragen statt eines „Normalitätsnachweises“ ihrer Beziehungen handelte.424 Für Teilnahme und Mitarbeit im Vorfeld stellte Moskau außerdem Bedingungen: Die Konferenz solle unter der Schirmherrschaft der ECE stehen, damit deren bereits stattfindende Umweltarbeit nicht zersplittert würde. Das Thema decke sich mit dem Arbeitsbereich dieser UN-Organisation und würde darüber hinaus dem KSZE-Prozess von Helsinki und Madrid eine „aktive Rolle“ zuweisen.425 Außerdem pochte die UdSSR auf die Einhaltung des VierMächte-Abkommens, das hieß für sie keine Beteiligung des UBA.426 Wie eine von den Sowjets geforderte ECE-Schirmherrschaft genau aussehen sollte, war unklar. Für eine neue HRT standen die Chancen im Westen teils wegen Sachproblemen, teils wegen des Ost-West-Klimas nach Afghanistan und Polen gar nicht gut. Die USA hatten bereits ein wirtschaftliches Embargo gegen die UdSSR verhängt und mit der Formel „no business as usual“ sollte die Ost-West-Kommunikation im Rahmen des Korbes II der KSZE und in der ECE erschwert werden. Daher stand die potenzielle Ablehnung der Konferenz als Vergeltung des Ostens in der ECE im Raum.427 Eine Schirmherrschaft („under the auspices“) hätte zudem die Eröffnung der Veranstaltung durch den Generalsekretär der ECE erfor-
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Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Brief des Bundeskanzlers Helmut Kohl an den Generalsekretär der KPdSU Juri W. Andropow, 28. 10. 1983; siehe auch Anlage: Einladung der Bundesregierung zu einer internationalen Konferenz 1984 in München über Ursachen und Verhinderung des Wald- und Gewässersterbens durch Luftverschmutzung in Europa, zum Brief von Helmut Kohl an Hans-Dietrich Genscher, 23. 9. 1983. Siehe PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Vorbereitung der Münchner Umweltkonferenz, hier: Umweltbundesamt, Ergebnisvermerk der Ressortbesprechung vom 15. 2. 1984 im BMI. Hervorhebung durch die Autorin. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Afz. von Gerold von Braunmühl, Berlin und der Ost-West-Kontext der Münchner Umweltschutzkonferenz, Dg 21, AA, 27. 2. 1984. Siehe auch PA AA, ZA, B 75, Bd. 132207, Gespräch/Antwort der Sowjetunion zur MUK, Roßbach, Referat 212, AA, 4. 4. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Sowjetisches Papier, Anlage zu: Vorsprache des sowjetischen Botschafters Semjonow bei Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, Aufzeichnung Referat 210, AA, Dieter Kastrup, 24. 2. 1984; sowie Elemente für einen Antwortbrief an das Schreiben des Bundeskanzlers vom 21. 9. 1983, Drahtbericht Nr. 2368, Dietrich Kupfer, BMI, 12. 10. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132206, Non-Paper des sowjetischen Botschafters Semjonow an Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, 24. 2. 1984. Siehe zum UBA Kap. II.1.2. Siehe zu „no business as usual“ u. a. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132206, Aufzeichnung des Referats 212, Münchner Umweltkonferenz, hier: Teilnahme der Sowjetunion, 9. 3. 1984; PA AA, ZA, B 28, Bd. 133244, 38. Jahresversammlung der ECE, Referat 212, 2. 3. 1983; und zur Umdeutung der Formel durch die Bundesregierung: Kieninger, Diplomacy of Détente, S. 84, 111– 124. Siehe auch Kap. III.1., und o. V., Moskaus Griff nach Afghanistan, in: Der Spiegel, Nr. 1, 7. 1. 1980, S. 71–85, hier S. 71, 73.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
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dert. Dies widersprach dem Wunsch des Bundeskanzlers, dass die Konferenz einen dezidiert „nationalen“ Charakter tragen sollte.428 Letztlich beschloss die 39. Jahresversammlung der ECE, die Multilaterale Umweltkonferenz „in Zusammenarbeit mit der ECE“ auszurichten.429 Ende März 1984 ergab sich ohnehin die Gewissheit, dass die Sowjetunion die ECE-Schirmherrschaftsbedingung nur vorgeschoben hatte, um ihr berlinpolitisches Ziel – keine Teilnahme des UBA in München – durchzusetzen.430 Die Beteiligung des UBA gestaltete sich wie üblich kompliziert. Hier wurde nach einer Lösung gesucht, die es sowohl der Sowjetunion als auch der Bundesrepublik erlaubte, ihr Gesicht zu wahren, aber dennoch „pragmatisch die internationale Arbeit des Umweltbundesamtes“ ermöglichte.431 Der Graben tat sich hier vor allem zwischen dem federführenden Innen- und dem Außenministerium auf. Bestand bei Ersterem die Überlegung, „politische Rücksichten“ zu üben, warnte das AA davor, bereits errungene Positionen aufzugeben.432 Dieser interministerielle Konflikt spitzte sich so weit zu, dass Vertreter des AA sich „schlicht überfahren“ fühlten. Die Vorbereitungen liefen bereits ohne das Umweltamt, womit für sie „die Frage einer Beteiligung des UBA an der Münchner Konferenz bewusst manipuliert worden“ war.433 Es müsse mit „Vorwürfen in unserer Öffentlichkeit gerechnet werden, wir hätten das Umweltbundesamt sowjetischem Druck geopfert.“ 434 Letztlich kam es statt einer politischen oder sachlichen Entscheidung zu einer rein pragmatischen Lösung: Da zu viele Interessenten (Ministerien, Länder etc.) um die begrenzten 20 Teilnehmerplätze konkurrierten, wurde das UBA als für den technischen Ablauf wesentlich Mitverantwortlicher in der Vorbereitung herausgestellt.435 428
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Vgl. zur „deutschen Einladung“: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132207, Optionen in Bezug auf die Forderungen der Sowjetunion, Vorlage für den Bundesminister, Referat 414, Per Fischer, 16. 3. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, 39. Jahresversammlung, Entschließung der ECE zur MUK, Drahtbericht Nr. 781, Genf, Höynck, an das AA, 14. 4. 1984; und Afz. zur MUK, hier: Teilnahme UBA, Referat 414, AA, Per Fischer, 13. 4. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132207, Drahtbericht Nr. 1280, Moskau an das AA, Jörg Kastl, 27. 3. 1984. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Anlage: Einladung der Bundesregierung zu einer internationalen Konferenz 1984 in München über Ursachen und Verhinderung des Wald- und Gewässersterbens durch Luftverschmutzung in Europa, zum Brief von Bundeskanzler Helmut Kohl an Außenminister Hans-Dietrich Genscher, 23. 9. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Vermerk des Referats 210 über die Ressortbesprechung am 29. 12. 1983 im BMI zur Münchner Umweltkonferenz mit BMIB, AA und der Landesvertretung Berlin, 30. 12. 1983. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Vermerk des Referats 210, Pauls, AA, zur Beteiligung des UBA auf der Münchner Umweltkonferenz, Ressortbesprechung am 15. 2. 1984 im BMI, 16. 2. 1984. Siehe auch PA AA, ZA, B 75, Bd. 132205, Ergebnisvermerk der interministeriellen Arbeitsgruppensitzung am 29. 12. 1983 im BMI, 5. 1. 1984. Afz. des Referats 210, AA, Beteiligung des Umweltbundesamtes an der Münchner Umweltkonferenz, 17. 2. 1984, in: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132206. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Vermerk des Referats 210, Pauls, AA, zur Beteiligung des UBA auf der Münchner Umweltkonferenz, Ressortbesprechung am 15. 2. 1984 im BMI, 16. 2. 1984; und Vermerk zur Beteiligung des UBA, Referat 210, AA, Pauls, 5. 4. 1984. Siehe
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Die DDR und Bulgarien wurden – nach westdeutscher Auffassung – von der Sowjetunion dazu angehalten, an der Vorbereitungskonferenz teilzunehmen, sodass sie selbst fernbleiben konnte.436 Die „sachliche und konstruktive Mitarbeit“ der vierköpfigen DDR-Delegation wurde von den Veranstaltern als erfreulich gelobt.437 Auf dieser Vorkonferenz wurde ein Resolutionsentwurf über Luftreinhaltemaßnahmen, Forschung, Austausch von Ergebnissen und Ausbau des EMEP (European Monitoring and Evaluation Programme)-Luftmessnetzes der ECE erarbeitet. Das Kernanliegen der Bundesrepublik war es dabei eine verbindliche 30-Prozent-Reduzierung von SO2 schriftlich zu fixieren. Nach der Vorkonferenz herrschte jedoch sowohl darüber als auch über die Verminderung von Stickoxiden (NOx) und die KfZ-Abgasreinigung noch immer Uneinigkeit.438 Im Gegensatz zu ihren westdeutschen Kollegen schwächten die DDR-Delegierten Passagen des Entwurfs sprachlich ab: Plädierten die Westdeutschen für eine Reduzierung der SO2-Emissionen ausgehend vom Basisjahr 1980 „um mindestens 30 Prozent“ bis 1993/95, waren die Ostdeutschen lediglich mit „einer wirksamen Verringerung“ zufrieden. Schlugen die Vertreter der Bundesrepublik vor, zu einer „drastischen Verringerung der Schadstoffe im Abgas von Kraftfahrzeugen“ beizutragen, so wollten die DDR-Delegierten über „Strategien zur weiteren Verringerung der Schadstoffe im Abgas“ verhandeln.439 Strebte die westdeutsche Delegation eine Strategie zur Einführung von bleifreiem Benzin im ECE-Rahmen an, so schlug die DDR-Seite vor, motorische und verkehrslenkende Maßnahmen wie Abgaskontrollen, verringerten Kraftstoffverbrauch, verkehrsfreie Zonen, ein Tempolimit und die Einführung der „grünen Welle“ in die Entschließung aufzunehmen, was zum Teil auch geschah.440
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auch PA AA, ZA, B 75, Bd. 132205, Ergebnisvermerk der interministeriellen Arbeitsgruppensitzung am 29. 12. 1983 im BMI, 5. 1. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, MUK, Sitzung der Bonner Vierergruppe am 9. 5. 1984, Vermerk Referat 210, AA, Weil, 10. 5. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132207, Afz. Kabinettssitzung zur Vorkonferenz der MUK, Ungerer, Referat 414, AA, 7. 5. 1984. Vgl. zur DDR-Delegation bestehend aus Frank Herrmann (AL im MfUW), Hans-Albrecht Lütke, (Direktor des ZUG im MfUW), Michael Nowak (stv. AL im MfUW), Gerhard Thomas (Sektorleiter im MfAA), ebenda, Anlage 2: Delegationsliste der DDR für die Vorkonferenz. Die Vertreter der Bundesrepublik auf der Vorkonferenz waren u. a. Gerhard Feldhaus (Delegationsleiter), Horst Glatzel, Klaus Aurisch, vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132208, Teilnehmerliste, Ergebnisprotokoll der Vorkonferenz der Abteilungsleiter vom 2.–4. 5. 1984 in München. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132208, Bericht über die Vorkonferenz der Abteilungsleiter, Drahterlass an die Botschaften der Teilnehmerstaaten, Aurisch, Referat 414, AA, 15. 5. 1984. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132208, Entschließungsentwurf MUK, Projektgruppe Umweltkonferenz, BMI, 17. 5. 1984. Vgl. BArch, DL 266, Bd. 1358, Bl. 47–53, hier Bl. 50 f., Information über die Vorbereitungskonferenz der Multilateralen Umweltkonferenz in München, 2.–4. 5. 1984, Schreiben Reichelts/Fischers an Mittag, 9. 5. 1984; z. B. Punkt 17 (d): Multilaterale Umweltkonferenz in München, 27. 6. 1984, in: Archiv der Gegenwart (AdG), 54. Jg. (1984), S. 27823–27826, hier S. 27826. Siehe u. a. zum Tempolimit in der DDR auch Kuschel, Sicherheit als Versprechen, S. 22 (Anm. 34), 53–56, 59.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
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Damit folgte die ostdeutsche Delegation einer Direktive, die verlangte, dass „die Emissionssenkung [jedes Landes] entsprechend seinen technischen und ökonomischen Bedingungen vorzunehmen“ sein sollte und jede Verbindlichkeit daher abzulehnen sei.441 Der westdeutsche Entwurf gehe einseitig von Emissionsminderungen bei Erdgas, Erdöl und Steinkohle, nicht jedoch von Braunkohle aus.442 Noch einen Monat vor der Multilateralen Umweltkonferenz kam es für die DDR demnach nicht infrage, diese Resolution zu unterstützen. Die realen Möglichkeiten der DDR-Umwelt- beziehungsweise Wirtschaftspolitik konnten ihr nicht gerecht werden, weil die Resolution von technologisch nicht realistischen Erwartungen und ökologischen Voraussetzungen ausging, die in der DDR so nicht existierten. In eine ähnliche Richtung argumentierte interessanterweise auch fünf Jahre später das „Erfurter Filterpapier“ alternativer Umweltgruppen in Vorbereitung des zweiten Ökumenischen Luftseminars: „Es ist dabei die Tendenz festzustellen, daß derartige Abkommen [München, Helsinki] von den Ländern bestimmt werden, die über den entsprechenden technologischen Stand zur Realisierung der beschlossenen Maßnahmen verfügen.“ 443 Die konkrete umweltpolitische Forderung, die SO2-Emissionen bis 1993 um 30 Prozent zu senken, riefen nun auch die USA auf den Plan. Diese wollten ihre „Nicht-Gesprächsbereitschaft“ zu Sachthemen des Korbes II der KSZE („no business as usual“) als Kritik an der sowjetischen Politik verstanden wissen. Einer multilateralen Umweltkonferenz, die genau diese Gesprächsbereitschaft signalisierte, standen die US-Amerikaner deshalb kritisch gegenüber.444 Außerdem wollten sie keinen Maßnahmen zustimmen, die über den ECE-Rahmen hinausgingen, drängten darauf, keine konkreten Zahlen vorlegen zu müssen und bevorzugten lediglich einen Erfahrungsaustausch.445 Mit diesen Forderungen versuchte die US-Administration zu vermeiden, ihre Umweltkonflikte mit Kanada in Europa austragen zu müssen, während in den USA die Präsidentschaftswahlen näher rückten.446
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SAPMO-BArch, DY 2023/1442, Bl. 116, Direktive zur Teilnahme an der Münchener Konferenz, Schreiben Mittags an Honecker, 24. 4. 1984. Vgl. zu unterschiedlichen Grundvoraussetzungen sozialistischer Staaten: BArch, DK 5, 4733, Zusammenfassung zu den Erklärungen der Teilnehmerstaaten an der Multilateralen Umweltkonferenz in München, 24.–27. 6. 1984. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4733, Standpunkt der DDR zum Entschließungsentwurf über Ursachen und Verhinderung von Wald-, Gewässer- und Bautenschäden durch Luftverschmutzung, o. D., o. V. RHG, PS 034, Bl. 11 f., Das Erfurter Filterpapier, hrsg. von Matthias Voigt und Andreas Koth, „Zentralorgan“ des 2. Ökumenischen Luftseminars vom 22. bis 24. September 1989 in Erfurt. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132205, „Die Gesamteuropäische Umweltkonferenz 1984 in München. Einige Gedanken zu ihrer außenpolitischen Bedeutung“ von Dr. Rudolf Botzian, 10. 1. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132206, Ergebnisniederschrift: Besprechung der interministeriellen AG zur Vorbereitung der o.g. Konferenz, 7. 2. 1984, Projektgruppe Umweltkonferenz München, Jünger-Harms, 13. 2. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132208, Drahtbericht Nr. 197, Nairobi an AA, Vocano, 17. 5. 1984; und Memorandum der USA im Vermerk zur amerikanischen Beteiligung an der Multilateralen Umweltkonferenz, Gröning, 212, AA, 28. 5. 1984; Multilaterale Umweltkonferenz in München, 27. 6. 1984, in: AdG, 54. Jg. (1984), S. 27823–27826, hier S. 27825.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Aber eine Absage durch EPA-Chef William Ruckelshaus musste allein schon deswegen vermieden werden, damit die Sowjetunion nicht den Eindruck erhielt, die USA sagten ihretwegen ab.447 Hilfreich dabei war Ende Mai 1984 die finale Zusage auf hoher, fast Ministerebene, nämlich des Leiters des sowjetischen Staatskomitees für Hydrometereologie und Umweltkontrolle Jurij A. Israel.448 Damit gaben auch die Sowjets ihre Teilnahme an der Multilateralen Umweltkonferenz erst kurz nachdem der ECE-Rahmen und die Nicht-Beteiligung des UBA zu ihrer Zufriedenheit geregelt worden war, bekannt. Darüber hinaus stand mit dem Tod des Generalsekretärs der KPdSU Juri W. Andropows im Februar 1984 ein Machtwechsel im Kreml an. Auch der DDR wurden die „Teilnahmebedingungen“ erst sehr spät vom „großen Bruder“ mitgeteilt.449 Etwa 250 Delegierte aus 31 Staaten und vier internationalen Organisationen fanden sich vom 24. bis 27. Juni 1984 zur Multilateralen Umweltkonferenz „über die Ursachen und Verhinderung von Wald- und Gewässerschäden durch Luftverschmutzung“ in München ein.450 Für die staatssozialistischen Länder bot die Konferenz eine gute Gelegenheit, ihre Umweltschutzpolitik zu erklären und positiv darzustellen. Vor allem aber verband sich damit die Möglichkeit, Umweltschutz mit der „friedlichen Koexistenz“ zu verknüpfen. So argumentierten die Vertreter des Ostblocks, dass mit einer konsequenten militärischen Abrüstung mehr Mittel für den Umweltschutz frei würden.451 Westdeutsche Umweltinitiativen und offene Briefe benannten diesen Zusammenhang ebenfalls und forderten, die Rüstungsausgaben in den Umweltschutz fließen zu lassen.452 Zwei Jahre zuvor hatte das AA noch geurteilt: „Wir alle müssen eine neue ökologische Partnerschaft einüben und lernen.“ Gleichzeitig wandte sich das zuständige Referat 414 jedoch gegen die Verknüpfung von Umwelt- und Sicherheitspolitik, da ein Vergleich mit militärischen
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Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132208, Teilnahme Ruckelshaus, Drahterlass von Greavenitz, an die Botschaften von Nairobi (Kenia) und Washington (USA), Aurisch, 24. 5. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132208, Drahterlass von Aurisch an die Botschaft in Washington, BM-Delegation, 30. 5. 1984; Zusage Israels: PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Drahtbericht Nr. 2200, Moskau, Kastl, 30. 5. 1984. Vgl. Huff, Natur, S. 245. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132209, Bericht über das Ergebnis der Münchner Umweltkonferenz, Graevenitz, Referat 414, AA, 28. 6. 1984; und darin auch DDR-Delegation: Hans Reichelt, Rudolf Rüthnick (MfLFN), Frank Herrmann, Gerhard Thomas, Hans Lütke, Michael Nowak, siehe Delegationsliste der DDR; und die Teilnahme von EG, OECD, ECE und UNEP: Schlußkommuniqué der Münchner Umweltschutzkonferenz, 24.–27. 6. 1984. NGOs als Beobachter zugelassen: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132208, Drahtbericht Nr. 909, Genf an das AA, Arnold, 14. 5. 1984. Vgl. PA AA, MfAA, M 92, ZR, Bd. 5596/14, Bl. 2, Statement by the Delegation of the German Democratic Republic, Agenda Item 8, Multilaterale Umweltkonferenz; Multilaterale Umweltkonferenz in München, 27. 6. 1984, in: AdG, 54. Jg. (1984), S. 27823–27826; Ekkehard Klausa, Umweltkompromisse, in: Die Zeit, 6. 7. 1984, S. 8; Werner Otto, Multilaterales Treffen zum Umweltschutz abgeschlossen. Zusammenarbeit als Beitrag zu Friedenssicherung betont, in: ND, 28. 6. 1984, S. 6. Vgl. z. B. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132306, Erklärung, Elterninitiative Helmbrechts, 25. 6. 1984, Bonn, BKAmt.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
207
Themen ein schiefes Bild ergebe.453 In der Erklärung auf der Umweltkonferenz 1984 konnten die Gastgeber den belastenden Zusammenhang, der mit dem Wort „Wettrüsten“ entstand, verhindern und hoben stattdessen die Verbindung von Umweltpolitik mit Frieden und Sicherheit allgemein hervor.454 Damit bewegte sich die Konferenz wieder im Rahmen des erweiterten Sicherheitsbegriffes um das Thema Umwelt. Diese insbesondere in den 1980er Jahren erneut aufkommende beziehungsweise verstärkte Verbindung von Umwelt und Sicherheit umfasste allgemein die Bedrohung der eigenen Existenz durch die Zerstörung der Umwelt.455 Ähnlich wie in den 1970er Jahren diente – entgegen allen anderslautenden Beteuerungen – Umweltpolitik hier als Ersatzspielfeld, um Konflikte zwischen Ost und West, welche die entspannungspolitische Lage gefährdeten, zu überwinden. So urteilte man in Wien, es sei „eine sehr wesentliche Gesprächsbasis zwischen den verfeindeten Lagern Ost und West entstanden“.456 Doch die insgesamt etwa 270 Pressevertreter berichteten über die Multilaterale Umweltkonferenz eher kritisch, da Erwartungen enttäuscht worden waren. Sie sei zwar erfolgreich abgeschlossen worden, hieß es, wenn auch weniger in den Substanzfragen.457 Die Delegierten beschlossen in ihrem 18 Punkte umfassenden – rechtlich jedoch noch nicht verbindlichen – Schlusskommuniqué explizit Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung voran zu bringen. Das Besondere an dieser Konferenz war daher ihre Scharnierfunktion zwischen der Genfer Luftreinhaltekonvention (1979) und deren verbindlichen Durchführungsprotokollen (ab 1985).458 Die Münchner Resolution enthielt eine Reihe von Empfehlungen an das Exekutivorgan der Luftreinhaltekonvention, wie Stickoxide (NOx) in sein Programm aufzunehmen, bestehende Technologien aufzulisten, langfristige Strategien zu entwickeln, die Forschung zu Kohlenwasserstoffen zu berücksichtigen und gemeinsame Vorhaben zur Abgasreduzierung zusammenzutragen.459 453
454 455
456 457
458
459
PA AA, ZA, B 75, Bd. 132145, Vorbereitung UNEP-Sondertagung in Nairobi im Mai 1982, deutsches Statement, Schreiben von Aurich, Referat 414, AA, an das Referat U I 4, BMI, 7. 5. 1982. Vgl. Punkt 2, Multilaterale Umweltkonferenz in München, 27. 6. 1984, in: AdG, 54. Jg. (1984), S. 27823–27826, hier S. 27824. Vgl. Brundtland, Gemeinsame Sicherheit, S. 184; Verknüpfung von Umwelt- und Friedensbewegung („Ökopax“) in Mende, Geschichte, S. 339–341. Siehe zur Umweltpolitik in den 1980er Jahren auch Kap. IV.1., und zur ökologischen Sicherheit Kap. IV.4.2. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132209, Medienecho Münchner Umweltkonferenz, Drahtbericht Nr. 397, Nöbel, Wien, 28. 6. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132209, Bericht: Ergebnis der Münchner Umweltkonferenz, Graevenitz, 414, AA, 28. 6. 1984; und Zusammenfassung zum ausländischen Presseecho auf die Münchner Umweltkonferenz, o. D. Vgl. „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/1, S. 641; PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Konzertierung des Deutschen Resolutionsentwurfs, Dok. 5308/04 in Brüssel, Drahtbericht Nr. 1143, BMI, 6. 4. 1984. Siehe auch Lange, Genfer Konvention, S. 7 f., in URL: https://www.europa.clio-online.de/sites/europa.clio-online/files/documents/B2022/E_Lange_ Genfer.pdf [30. 5. 2022]. Vgl. Punkte 14–17, Multilaterale Umweltkonferenz in München, 27. 6. 1984, in: AdG, 54. Jg. (1984), S. 27823–27826, hier S. 27826.
208
III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Auf der Multilateralen Umweltkonferenz stand das 30-Prozentziel in Bezug auf die SO2-Emissionen im Vordergrund, obwohl es für den Primärenergieträger der DDR, die Braunkohle, noch keine Entschwefelungstechniken für Großkraftwerke gab. Schon zu Beginn des Jahres 1984 hatten sich im kanadischen Ottawa zehn Industriestaaten getroffen, die diese verbindliche 30-Prozentreduzierung anvisierten. Darunter die Bundesrepublik, die versuchte, sich als Vorreiterin zu profilieren, und verkündete, sie strebe sogar eine 50-Prozent-Reduzierung an.460 Reichelt ließ – entgegen den Absichten während der Vorkonferenz – in seiner Rede verlauten, dass die DDR bis 1993 ebenfalls um „mindestens“ 30 Prozent reduzieren werde.461 Inoffiziell sollten dadurch eine Isolierung der sozialistischen Staaten und eine „Vorreiter“-Position der Bundesrepublik und NATO-Staaten verhindert werden.462 Die Entscheidung, die 30-Prozent-Regelung zu akzeptieren, war damit rein außenpolitisch motiviert: Sie sorgte für ein halbwegs geschlossenes Auftreten der Ostblockstaaten und sollte die USA, die das Kommuniqué nicht unterzeichnete, weiter von (West-)Europa trennen. Offiziell galt es aber, umweltpolitischen Fortschritt zu suggerieren.463 Huff bewertete das Vorgehen der DDR und ihre Entscheidung, an der Vorkonferenz teilzunehmen, als „eigenständiges Handeln“, mithin als nicht mit der Sowjetunion abgestimmt. Das habe Honecker letztlich den für Herbst 1984 anberaumten Bonn-Besuch gekostet.464 Für Letzteres spielten sicherlich mehr Faktoren als die Teilnahme der DDR an der Vorkonferenz eine Rolle, und ein wirklich von Moskau losgelöstes Agieren ist hier ebenso wenig auszumachen. Was Mittag und Honecker zähneknirschend aus politischen Prestigegründen zuließen, ermöglichte Reichelt jedoch im Nachhinein, etwas leichter Umweltschutzmaßnahmen gegenüber der SED durchsetzen zu können. So schlussfolgerte Huff richtig, dass Reichelt mit jeder internationalen Konferenz seine Kompetenzen ausweiten konnte.465 Diese erweiterten Zuständigkeiten halfen Reichelt indes wenig, weil das Land heruntergewirtschaftet war, finanziell zunehmend am westlichen Tropf hing und 460
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Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1442, Bl. 93–94, Schreiben Reichelts an Mittag, 16. 4. 1984; sowie die Aussage des Bundesumweltministers Klaus Töpfer in BArch DK 5/1987, Bericht Reichelts über seinen Aufenthalt am 8. 9. 1987 in der BRD, 11. 9. 1987, Durchschlag. Die Bundesrepublik schaffte letztlich eine Verringerung von 88 %: Der SO2-Gehalt sank von 2.629 kt (1980) auf 604 kt (1990). Vgl. Wirsching, Abschied, S. 366. PA AA, MfAA, M 92, ZR, Bd. 5596/14, Bl. 5, Statement by the Delegation of the German Democratic Republic, Agenda Item 8, Multilaterale Umweltkonferenz; Punkt 11, Multilaterale Umweltkonferenz in München, 27. 6. 1984, in: AdG, 54. Jg. (1984), S. 27823–27826, hier S. 27826. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4733, Schreiben Reichelts an Mittag, 20. 6. 1984; Huff, Natur, S. 247. Vgl. BArch, DC 20, Bd. 23152, Bericht über den Verlauf und die Ergebnisse der multilateralen Umweltkonferenz in München vom 24.–27. 6. 1984, Reichelt an Stoph, 29. 6. 1984. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1442, Bl. 237 f., Schreiben Mittags an Honecker, 14. 6. 1984; und Bl. 317 f., Schreiben Reichelts an Mittag, Genf, 27. 9. 1984. Vgl. Multilaterale Umweltkonferenz in München, 27. 6. 1984, in: AdG, 54 Jg. (1984), S. 27823–27826, hier S. 27825. Vgl. Huff, Natur, S. 245. Vgl. ebenda, S. 265.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
209
als Primärenergieträger allein die Braunkohle als Ressource hatte und nicht auf andere Brennstoffe ausweichen konnte. Dennoch beschloss die DDR-Führung direkt im Anschluss an die Konferenz zunächst Maßnahmen, um das 30-ProzentZiel zu erreichen: Das Kalk-Stein-Additiv-Verfahren sollte auf 34 Objekte ausgedehnt und das neue Wirbelschichtverfahren in den zwei großen Kraftwerken Leuna und Thierbach getestet werden. Das Verfahren war allerdings für Großkraftwerke, die mit Braunkohle betrieben wurden, noch nicht ausgereift und nur für kleinere und mittlere Kraftwerke anwendbar. Das war jedoch noch immer zu wenig: Entgegen der erforderlichen 1,8 Mio. Tonnen SO2 würden durch diese Maßnahmen allein nur 630 000 Tonnen eingespart werden. Außerdem wurden bis 1987 statt der geplanten 34 nur drei Anlagen fertig gestellt. Zudem wurden diese Maßnahmen aus Geldmangel schrittweise wieder zurückgenommen.466 Im Vergleich dazu ging die Bundesrepublik den umgekehrten Weg: Existierten 1982 nur sieben Rauchgasentschwefelungsanlagen waren diese Ende der 1980er Jahre fast flächendeckend installiert.467 Als das sogenannte „Schwefelprotokoll“ (1985), ein Zusatzprotokoll zur HRT Umwelt von 1979, das das 30-Prozent-Ziel verbindlich festschrieb, ebenfalls von der DDR unterzeichnet (nicht ratifiziert) wurde, hatte sich die DDR selbst in eine ausweglose Situation begeben. Es bedeutete, ihre SO2-Daten über Moskau nach Genf zu schicken, wie es der Aufbau des EMEP-Messsystems vorsah. Dies barg einige Komplikationen für sie, denn ihr Messsystem war in einem desolaten Zustand. Zweimal wöchentlich wurden Daten ab dem 1. Februar 1982 nach Moskau geschickt. Allerdings kamen diese aus den eher unbelasteten Gebieten im Norden, aus Arkona, Neuglobsow und Wahnsdorf. Wichtig war, dass diese Informationen keine volkswirtschaftlichen Rückschlüsse zuließen. Wie bereits dargelegt, würde die DDR die 30 Prozent nicht einhalten können, was der Führung durchaus bewusst war und sie zu dem unrühmlichen und später die DDR-Umweltpolitik maßgeblich diskreditierenden Entschluss brachte, die Emissionsdaten zu fälschen. Für das Basisjahr 1980 übermittelten sie 5,0 Mio. Tonnen SO2, obwohl die tatsächliche Belastung bei 4,62 Mio. Tonnen lag.468 „Ein Nachvollziehen der von der DDR angestellten Berechnungen durch Dritte ist ohne genaue Kenntnis der Ausgangsparameter, vor allem der gemessenen Schwefelgehalte der Braunkohle der einzelnen Tagebaue nicht möglich.“ Dahinter stand das Interesse der DDR, die genauen Angaben zu Schwefelgehalten „vertraulich zu schützen und nicht zu veröffentlichen“.469 Neben dem Zwang, sich nicht der Blamage des Scheiterns preiszugeben,
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Vgl. ebenda, S. 257–261, 266–269; Möller, Umwelt, S. 233, 246; Stief, Staatssicherheit, S. 360; siehe zu Rauchgasentschwefelungsanlagen auch Kap. III.3.1. Mittag habe die notwendigen Investitionen im Fünfjahrplan gestrichen, so Reichelt im Gespräch mit der Autorin am 3. 12. 2020 in Schöneiche bei Berlin. Vgl. Huff, Natur, S. 275; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 479; siehe auch allgemein Kap. III.3. Vgl. Huff, Natur, S. 263–264, 270; Schwenk/Weisspflug, Umweltschmutz, S. 87; Roesler, Umweltpolitik, S. 57. BArch, DK 5, Bd. 2115, Anlage Nr. 13 zum Protokoll Nr. 25 vom 28. 6. 1988, GVS ZK: Übergabe von Daten und Informationen über Luftverunreinigungen der DDR an die Wirtschafts-
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
trat also die ewige Furcht vor Industriespionage. Für die Datenfälschung in der DDR-Umweltpolitik wurde nach ihrer Aufdeckung im Ministerrat am 2. November 1989 Günter Mittag verantwortlich gemacht.470 Den westdeutschen Diplomaten war jedoch schon viel früher aufgefallen, dass zwischen den beiden metereologischen Zentren Oslo (West) und Moskau (Ost) „erhebliche Unterschiede“ herrschten. Sie schlussfolgerten daraus: „Eine Kontrolle der Ergebnisse des Zentrums Ost durch eigene Rechnungen erscheint angebracht.“ 471 Obwohl die Münchner Umweltkonferenz für die DDR einerseits zum Ausgangspunkt einer umweltpolitischen Niederlage wurde, so bot sie gleichzeitig auch eine deutsch-deutsche Chance. So konnten insbesondere westdeutsche Landespolitiker mit der DDR-Delegation Kontakte knüpfen und ihre spezifischen Anliegen vorbringen. Horst Vetter, der West-Berliner Umweltsenator, sprach mit Reichelt über das Smogproblem, wobei er den geregelten Weg Senat – MfAA zu umgehen suchte, da er ihn als zu „kompliziert“ charakterisierte. Stattdessen favorisierte er direkte Gespräche mit dem MfUW.472 Der stellvertretende Ministerpräsident Niedersachsens Wilfried Hasselmann (CDU) nahm anscheinend seinen DDR-Besuch wegen des Kraftwerks Buschhaus auf die leichte Schulter, als er äußerte, er müsse nur mit denen drüben ein paar Schnäpse trinken, dann ginge das schon.473 Auch der Bundesinnenminister und Gastgeber der Konferenz Friedrich Zimmermann kam in den Berichten Reichelts schlecht weg. Bei einem Ministertreffen der beiden am zweiten Konferenztag habe Zimmermann „konzentrationslos und ohne Detailkenntnis“ gewirkt, nachdem ihn Reichelt gemäß Direktive nicht wie erhofft in die DDR eingeladen habe. Zimmermanns Umweltpolitik sei einseitig, vorwiegend auf die Öffentlichkeitswirksamkeit bedacht und spontan. Momentan stünden für Zimmermann einzig die Entschwefelung und das bleifreie Benzin im Vordergrund, weshalb Wälder, Gewässer und der Abfallwirtschaftskreislauf auf der Strecke blieben.474
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471 472 473
474
kommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE) und den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe; siehe dazu auch Huff, Natur, S. 249. Vgl. Reichelt, Umweltpolitik nur Alibi, S. 164; Przybylski, Tatort Politbüro, Bd. 2, S. 201; Buck, Umweltpolitik, S. 234; Gundermann, Geheimnis, S. 29 f. Mittag sieht Fehler in der Geheimhaltungs-, aber nicht in der Wirtschaftspolitik: Mittag, Um jeden Preis, S. 272. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, 7. Sitzung des Lenkungsausschusses ECE-EMEP, 10.–11. 11. 1983, Drahtbericht Nr. 2027, Genf an BMI, Arnold, 14. 11. 1983. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über den Verlauf und die Ergebnisse der multilateralen Umweltkonferenz in München, 24.–7. 6. 1984. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4733, Aktenvermerk [über die Politik von Zimmermann], o. D., o. V. Das ND nahm die Begegnung auf und agitierte gegen das Kraftwerk Buschhaus, in: Unvertretbare Umweltbelastung durch Kraftwerk in der BRD. Gespräch zwischen Hans Reichelt und dem stv. Ministerpräsidenten von Niedersachsen, ND, 25. 6. 1984, S. 2. Siehe zu Buschhaus Kap. III.3.3. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bl. 128, Anlage 1: Gespräch mit Zimmermann, München 25. 6. 1984, Bericht über den Verlauf und die Ergebnisse der multilateralen Umweltkonferenz in München, 24.–7. 6. 1984, siehe auch BArch, DK 5, Bd. 4733, Aktenvermerk [über die Politik von Zimmermann], o. D., o. V.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
211
Im Anschluss an die Konferenz machte Reichelt bei seinem bayerischen Kollegen Alfred Dick noch eine Stippvisite und besuchte das Großforschungszentrum und Braunkohle-Kraftwerk Schwandorf. Wie Reichelt vermutlich von seinem bayerischen Kollegen erfuhr, mit dem er bereits seit der Röden-Vereinbarung Kontakte unterhielt und sich gut verstand, stütze sich Zimmermann in den Beziehungen zur DDR und ČSSR „auf extrem rechte Kräfte, die in Bayern als ‚kalte Krieger‘ bezeichnet wurden.“ 475 Die Diskreditierung Zimmermanns aus dem eigenen Hause, der eigenen Partei mutet seltsam an. Tatsächlich hatte aber im Vorfeld der Konferenz ein Treffen von Heimatvertriebenen, auf dem Zimmermann gesprochen hatte, für Empörung bei den Regierungen der VR Polen und der ČSSR gesorgt.476 Zu vermuten wäre hier, dass sich das Land Bayern – auch wenn es nach außen anders dargestellt wurde – in eine bessere Position gegenüber der DDR manövrieren wollte, um zeigen zu können, wie „Deutschlandpolitik“ im Umweltbereich funktioniere, ohne den bundesdeutschen Anspruch aufzugeben, die DDR einem Bundesland gleichzusetzen. Während das außenpolitische Ziel der Konferenz – die Zusammenarbeit in der schwierigen Phase erneuter Blockkonfrontation – erreicht werden konnte, scheint die gesellschaftliche Reaktion auf das „Zuckerbrot“ der Regierung indes eher durchwachsen gewesen zu sein. Greenpeace, Robin Wood, die Jugendorganisation des BUND Naturschutz und andere organisierten eine Fahrrad-Sternfahrt zum Odeonsplatz in München und forderten von den Konferenzteilnehmern eine „länderübergreifende Zusammenarbeit“, „weitreichende politische Entscheidungen“ und „einheitliche europäische Regelungen zur Reduzierung der Luftverschmutzung nach dem neuesten Stand der Technik“.477 Eine Elterninitiative sammelte 75 000 Unterschriften gegen das Waldsterben und erklärte ihr Gebiet – Oberfranken – in einem Schreiben an das Bundeskanzleramt zum „Katastrophengebiet“. In dem Papier verlangten sie sowohl ein unabhängiges Gremium aus Vertretern von Bundesrepublik, ČSSR und DDR, das gegenseitig Schadstoffemissionen und Bauvorhaben kontrolliere, als auch „sofortige und unbürokratische Finanzierungshilfen für den umgehenden Filtereinbau bei den Schadstoffproduzenten aus ČSSR und DDR“. Sie hielten „nicht einmal eine Schenkung dieser Anlagen für ausgeschlossen.“ Um sich zudem gegenüber der DDR nicht der Verhandlungsbasis zu berauben, dürfe das Kraftwerk Buschhaus nicht ohne Filter in Betrieb gehen.478 Außenpolitisch hatte die Münchner Umweltkonferenz ihren Zweck des Brückenschlagens zwischen Ost und West erfüllt, aber innenpolitisch schien sie die aufge-
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476 477 478
Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bl. 45–49, Anlage: Gespräch Fenzlein mit Dick in GarmischPatenkirchen am 25. 9. 1985, Seidel, MfAA, an Reichelt, MfUW, der es an Mittag weiterleitete, 2. 10. 1985. Siehe zu den Beziehungen Reichelts mit dem bayerischen Umweltminister Alfred Dick Kap. III.2.3. und Kap. IV.3.1. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132209, Bericht über das Ergebnis der Münchner Umweltkonferenz, Graevenitz, Referat 414, AA, 28. 6. 1984. Flyer: Sternfahrt, Radl-Demo, in: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132209. Alle Zitate in: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132306, Erklärung der Elterninitiative Helmbrechts für den 25. 6. 1984, Bonn, Bundeskanzleramt.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
heizten Gemüter nicht beruhigen zu können. Kristallisationspunkt dieser Auseinandersetzung wurde das Kohlekraftwerk Buschhaus an der innerdeutschen Grenze.
3.3 „Dreckschleuder der Nation“ — Das Kraftwerk Buschhaus als Vorbild und „Anti-Symbol“ „Buschhaus ist – national und nach einem Kommentar von Radio Moskau vom 29. 7. auch international – zu einem Anti-Symbol für die international so offensiv vertretene Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung geworden.“ 479 So schätzte Per Fischer, Abteilungsleiter für Außenwirtschaftspolitik im Auswärtigen Amt, die Lage ein. Was war passiert, dass die internationale Vorreiterrolle der Bundesrepublik zeitgleich mit der Multilateralen Umweltschutzkonferenz in München 1984 durch ein einzelnes Kraftwerk konterkariert wurde? Das Kohlekraftwerk Buschhaus im Zonenrandgebiet, also an der innerdeutschen Grenze im Helmstedter Revier, wurde 1978 genehmigt und sollte im August 1984 ans Netz gehen. In der Bundesrepublik trat am 1. Juli 1983 die GFAVO für Kohlekraftwerke in Kraft, die besagte, dass neue Werke nur mit einer Filteranlage betrieben werden dürfen und alte innerhalb von fünf Jahren mit Rauchgasentschwefelungsanlagen nachgerüstet werden mussten. Diese Anlagen galten bereits seit 1974 als Stand der Technik.480 Da die Genehmigung für Buschhaus vor der GFAVO erteilt wurde, galt das neugebaute Kraftwerk als „Altanlage“ und durfte rein rechtlich ohne Filteranlage ans Netz gehen.481 Für die Grenzregion Helmstedt und das 170 Kilometer entfernte Berlin bedeutete der ungebremste SO2-Ausstoß eine Belastung von 125 000 Tonnen pro Jahr aus dem mit 307 Metern höchsten deutschen Schlot.482 Es folgte ein gesellschaftlicher Aufschrei. Buschhaus galt als „Dreckschleuder der Nation“. Ende April 1984 demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen das neue Kraftwerk, und Greenpeace besetzte den Schornstein.483 Deutschlandpolitisch brachte der „Buschhaus-Skandal“ die Bundesregierung in die Zwickmühle, wollte sie doch die DDR dazu bringen, in deren Kohlekraftwerke Entschwefelungsanlagen einzubauen. Noch 1984 riet die Ständige Vertretung in Ost-Berlin dem BMI, diesen Aspekt nicht von sich aus ins Spiel zu bringen, da die DDR bisher keinen Zusammenhang zwischen Luftreinhaltungs479 480 481 482 483
PA AA, ZA, B 75, Bd. 132329, Kabinettssitzung vom 31. 7. 1984, Top Kohlekraftwerk Buschhaus, Abt. 4, Per Fischer, AA. Vgl. Huff, Natur, S. 151; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 94; siehe zum Stand der Technik Kap. III.2.1. Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 478–483; Heidemeyer, (Grüne) Bewegung, S. 79. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3365, Gespräch Reichelt mit dem stv. Ministerpräsidenten Niedersachsens, Wilfried Hasselmann, 23. 6. 1984, Ost-Berlin, Schreiben Reichelts an Mittag. Siehe für die Metapher Joachim Nawrocki, Die Dreckschleuder der Nation. Täuschung oder Selbsttäuschung?, in: Die Zeit, 23. 11. 1984, in URL: https://www.zeit.de/1984/48/taeu schung-oder-selbsttaeuschung [21. 5. 2022]; zur Demonstration Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 480. Vgl. auch Wirsching, Abschied, S. 367–371.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
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maßnahmen und Buschhaus hergestellt habe.484 Dabei unterhielt die DDR 47 Messstellen an der Grenze zur Bundesrepublik, doch registrierten davon nur ein bis zwei Geräte automatisch. Begründet wurde ihre Installation zum einen mit dem eigenen Kraftwerk „Philipp Müller“ im Helmstedter Kohlerevier Harbke,485 aber auch als Beweisführung gegen das spiegelbildlich auf der anderen Seite der Grenze gelegene Kraftwerk Buschhaus.486 In Bezug auf die DDR symbolisiert Buschhaus auf dreierlei Ebenen interessante Bedeutungszusammenhänge: ökologisch, gesellschaftlich und technologisch. Erstens schuf das Kraftwerk ein Umweltproblem, das – grob gesprochen – von West nach Ost wehte, aufgrund des vorherrschenden Westwindes. Zweitens nahm der Protest aus dem Westen bezüglich der DDR interessante Formen an. Hier stachen vor allem zwei westdeutsche Umweltschutzorganisationen, Robin Wood und der BBU, mit unterschiedlichen Herangehensweisen heraus. Organisierten die einen spektakuläre Aktionen, so suchten die anderen in der DDR-Führung einen Verbündeten. Und drittens galt die in Buschhaus angewandte Filtertechnik für DDRKraftwerke als Pilotprojekt. Den Anfang macht die ökologische beziehungsweise umweltpolitische Dimension, die trotz aller Klarheit Fragen aufwirft. Eindeutig ist der westdeutsche Anspruch, dass Reinhaltemaßnahmen in Buschhaus ebensolche in der DDR nach sich ziehen sollten. Mit dem geplanten Kraftwerksausbau in der DDR sah der Berliner Senat beispielsweise seine eigenen Anstrengungen, die bundesdeutschen Grenzwerte (TA Luft) einzuhalten, unterlaufen und konnte die Kosten für sich schwer abschätzen.487 Diese Kombination aus westdeutschem Recht und ostdeutscher Luftverschmutzung erschwerte zudem die Industrieansiedlung in der Enklave.488 Außerdem scheint hier ein gewisser Fomo-Effekt („fear of missing out“/ Angst, etwas zu verpassen) die West-Berliner Repräsentanten angetrieben zu haben: Ihrer Ansicht nach gab es im Vertrag über die Schadensbekämpfung an der Grenze Lücken, die die Berliner Mauer und Grenze auszuklammern schienen. Das sollte nicht wiederholt werden.489 Die Bundesregierung informierte die DDR des484
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Vgl. PA AA ZA, B 38, Bd. 132691, Buschhaus, Drahtbericht Nr. 502, Chef des Bundeskanzleramts, Germelmann, an das AA, 29. 3. 1984, in:. Siehe auch o. V., Blanker Wahnsinn. Der Bau des niedersächsischen Kraftwerks Buschhaus gerät zum Milliarden-Skandal, in: Der Spiegel, Nr. 17, 23. 4. 1984, S. 81–83, hier S. 81. Vgl. BArch, DL 226, 1328, Bl. 631–639, hier Bl. 637, Anlage 2: Information im Grenzgebiet der DDR zur BRD und Westberlin bestehende Schadstoffbelastungen der Luft und Vorschläge für das weitere Vorgehen, Mittag an Honecker, 29. 6. 1983, Informationen zu Fragen der Schwefeldioxidemissionen im Grenzgebiet DDR/BRD. Vgl. BARch, DK 5, Bd. 1498, Information über die Inbetriebnahme Buschhaus, o. D. [vmtl. Frühjahr 1983]. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Schreiben Pollaks an den Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, 12. 1. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Reaktion auf das Strategiepapier des BMI, Drahtbericht Nr. 488, Prof. Dr. Scholz, Senat Berlin an AA, 31. 8. 1984. Siehe auch Eckert, West Germany, S. 152. Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Schreiben des Senators für Bundesangelegenheiten, Füßlein, an den BMI u. a., 14. 3. 1983.
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III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
halb bereits 1983, dass in Buschhaus eine Rauchgasentschwefelungsanlage eingebaut werde und listete diese Luftreinhaltemaßnahme im Juni 1984 als deutschlandpolitische Verantwortung und ernsthaften Ausdruck des Verursacherprinzips (wie bei der Saale) auf.490 Beides geschah jedoch, bevor in der Bundesrepublik die Debatte über Buschhaus richtig heiß gelaufen und das Kraftwerk tatsächlich mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage ausgestattet worden war. Dass eine Rauchgasentschwefelungsanlage auch in Buschhaus kommen würde, war nach der GFAVO für spätestens 1988 eindeutig gesichert. Der innenpolitische Druck, jedoch früher handeln zu müssen und das Kraftwerk Buschhaus nicht ohne Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb gehen zu lassen, hätte beinahe die Koalitionsregierung gesprengt. Danach musste in diesem besonderen Fall ein Kompromiss her.491 Dieser erfolgte dann Ende Juli 1984: Das Kraftwerk ging zunächst ohne Filteranlage ans Netz, befeuert wurde es jedoch mit der zehnmal weniger schwefelhaltigen Steinkohle aus dem Rheinischen Revier statt der Helmstedter Salzkohle. Diese Maßnahme verminderte den SO2-Ausstoß um ca. 20–35 000 Tonnen. Am 25. Juni 1987 schließlich ging die mit 320 Mio. DM vom Bund subventionierte 430 Mio. DM teure Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb, ein halbes Jahr bevor – laut GFAVO – die Nachrüstung der Altanlagen von den Betreibern allein hätten finanziert werden und der Bund keinen Pfennig hätte bezahlen müssen.492 Der Protest westdeutscher Umweltgruppen richtete sich in der Causa Buschhaus hauptsächlich gegen die Umweltpolitik der Bundesregierung. Dennoch nutzten die Gruppen die Aktionen ab und zu auch dafür, die DDR an den grenzüberschreitenden Charakter der Luftverschmutzung zu erinnern und an sie zu appellieren. Im November 1982 hatte ein internes Zerwürfnis norddeutscher Umweltgruppen und der deutschen Sektion von Greenpeace zur Gründung von Robin Wood geführt – eine Umweltgruppe, die den Protest gegen das Waldsterben im Namen trägt.493 Bereits im Dezember 1983 trat sie schon in Aktion: Die Berliner Sektion
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491 492
493
Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1328, Bl. 631–634, hier Bl. 633 f., Anlage 1: Vom BRD-Bundeskanzleramt gegenüber der Ständigen Vertretung der DDR am 13. 6. 1983 vorgetragenen Erklärung (Buschhaus), in: Informationen zu Fragen der Schwefeldioxidemissionen im Grenzgebiet DDR/BRD, Schreiben Mittags an Honecker, 29. 6. 1983. Siehe auch PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Anlage 8: Aufzeichnung zum Verursacherprinzip, im Weisungsentwurf zu Maßnahmen zur Reduzierung der Werra-Versalzung und zur Vergleichsmäßigung der Versenkung sowie Vereinbarungen über den grenzüberschreitenden Kaliabbau und zur Abstimmung von Sprengzeiten, Referat BMIB, II P, 20. 6. 1984. Auch der Berliner Senat forderte Rauchgasentschwefelungsanlagen für die Kraftwerke Rummelsburg, Lichtenberg, Lausitz, Vetschau und Lübbenau als Gegenleistung für Buschhaus: PA AA, ZA, B 38, 132687, Telex, o. D. [vmtl. 1983], Landesvertretung Berlin, Mallow. Vgl. Heidemeyer, (Grüne) Bewegung, S. 79; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 481 f.; Wirsching, Abschied, S. 368–371. Vgl. Gerhard Spörl, Vertrauen ist gut, Kontrolle auch, in: Die Zeit, 11. 12. 1987, in URL: https://www.zeit.de/1987/51/vertrauen-ist-gut-kontrolle-auch/komplettansicht [21. 5. 2022]; Wirsching, Abschied, S. 369. Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 335.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
215
warf abgestorbene Bäume aus dem Grunewald über die Mauer am Potsdamer Platz und fuhr mit einem Lautsprecherwagen durch West-Berlin und beschallte die Stadt vom Band mit einem Pseudokrupphustenanfall.494 Die Auswirkung von Buschhaus auf Berlin sollte ein halbes Jahr später, am 27. Juni 1984, einen Tag vor der Bundestagsdebatte dazu, noch eindringlicher dargestellt werden: Aktivisten der Umweltschutzgruppe blockierten die Sektorengrenze an der Heinrich-HeineStraße in West-Berlin mit einem Würfel von 2,5 Metern Länge und ließen aus Rauchpatronen gelben Rauch aufsteigen. Das Volumen des Würfels entsprach der Menge an Schwefel, welche die Kraftwerke Vockerode (DDR) und Buschhaus in drei Stunden in die Luft abgaben. Die Botschaft: Je nach Windrichtung war auch die DDR betroffen. Die „Rächer der Entlaubten“ forderten damit die Umweltminister von Bundesrepublik und DDR auf, die Verstromung schwefelhaltiger Kohle zu verbieten, „solange nicht für eine hochwirksame EntGIFTUNG gesorgt ist!“ 495 Die Kampagne gegen Luftverschmutzung in Ost und West endete mit der Besteigung des Kraftwerks Offleben II im Raum Helmstedt. Ein Transparent, an Wetterballons befestigt, verkündete: „Mit Harbke und Buschhaus geht uns die Luft aus – Luftverschmutzung kennt keine Grenzen“ (Abb. 7). Darüber hinaus ließen die Umweltschützer hunderte Protestpostkarten an Luftballons aufsteigen, die an Erich Honecker und den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht gerichtet waren, und übergaben auch in Bonn ihre Forderungen: „Die Deutsche Einheit sollte nach Ansicht von Robin Wood in dem Bereich unter Beweis gestellt werden, wo sie im beiderseitigen Interesse der Menschen in Ost und West liegt: beim Umweltschutz.“ 496 Von insgesamt 56 Aktionen im Zeitraum 1984 bis 1985 gab es allerdings nur diese zwei mit DDR-Bezug.497 Der Fokus der Gruppe lag beim westeuropäischen Waldsterben und ab Mitte der 1980er Jahre bei der Abholzung des Regenwaldes. Aus der politischen Führungsriege erhielten diese Aktionen keine Resonanz. Ganz anders das Vorgehen des BBU. Sein damaliger Vorsitzender Jo Leinen (SPD) stand in regem Briefaustausch mit Erich Honecker, den er auf die westdeutschen Demonstrationen hinwies und ihn bat, sich ebenfalls für eine Rauchgasentschwefelungsanlage in Buschhaus einzusetzen. Dies erscheine jedoch nur dann als glaubwürdig, wenn er in seinem eigenen Land „moderne Entgiftungsanlagen“ anwende. „Buschhaus ist für uns der Prüfstein einer gemeinsamen Umweltpolitik
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495
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Vgl. Robin Wood e. V., Geschäftsstelle Hamburg, Ordner: Pressemitteilungen 1983–1984, „Robin Wood“ setzt einen Fuß über „die Mauer“, Pressemitteilung (PM) der Regionalgruppe Berlin, 6. 12. 1983. Robin Wood e. V., Geschäftsstelle Hamburg, Ordner: Pressemitteilungen 1983–1984, „Buschhaus und Vockerode – schwefeln uns zu Tode“, 28. 6. 1984, und „Rächer der Entlaubten“, 29. 4. 1983. Robin Wood e. V., Geschäftsstelle Hamburg, in: Ordner: Pressemitteilungen 1984/07 bis 1985/12, PM: Protest gegen Dioxin und Schwefel, 17. 6. 1985; siehe auch PM, 17. 6. 1985: Aktion im Grenzbereich bei Buschhaus. Vgl. Robin Wood e. V., Geschäftsstelle Hamburg, Ordner: Pressemitteilungen 1983–1984, Liste: Aktionen von Robin Wood, Februar 1983 – November 1985.
216
III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Abb. 7: Protest von Robin Wood an der innerdeutschen Grenze, 17. Juni 1985; Quelle: Ullstein, Bild-Nr. 2270503
der Bürger beider deutscher Staaten.“ 498 Neben dem Appell an die Staatsführung, öffentlich gegen Buschhaus zu intervenieren,499 gingen BUND und BBU noch einen Schritt weiter: Im Laufe des Jahres 1984 plante der Umweltrechtsanwalt Reiner Geulen eine Klageschrift gegen die Inbetriebnahme des Kraftwerks. Neben einem Erwachsenen und vier Kindern aus der Bundesrepublik sollten auch Bürger der DDR klagen, wovon er sich ein spektakuläres Ergebnis erhoffte. Über Jochen Brauer, Sprecher einer Bürgerinitiative in Helmstedt und Mitglied des BUND, hatte Geulen einige Namen von Ostdeutschen erhalten, doch diese trauten sich aus Angst vor staatlichen Repressionen nicht, an diesem Unterfangen teilzunehmen. Brauer bat sogar Frank Herrmann vom MfUW telefonisch um Hilfe.500 Ausschlag-
498
499
500
BArch, DL 226, Bd. 1328, Bl. 433–435, Briefwechsel Gunnar Seitz (BBU) mit Erich Honecker, BBU an Honecker, Ostern 1984, und Brief von Honecker an Gunnar Seitz, Geschäftsführer BBU, 30. 4. 1984. Siehe auch den Hinweis, dass Honecker in einem Schreiben an den BBU auf die Folgen der Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus ohne Entschwefelungsanlage in der DDR hinwies, in: FDP fordert Entschwefelungsanlage für BRD-Kohlekraftwerk Buschhaus, in: ND, 22. 5. 1984, S. 5; und die westdeutsche Befürchtung, dass dies die Umweltbeziehungen zur DDR beeinträchtigen würde, so die FDP (s. o.) und Umweltsenator Horst Vetter (West-Berlin), in: Entschwefelungsanlage für Kraftwerk Buschhaus gefordert, in: ND, 1. 6. 1984, S. 5. Vgl. BArch, MfS HA XVIII, Nr. 28847, Bl. 6, Vermerk persönlich vertraulich von Frank Herrmann, 1. 2. 1984.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
217
gebend war jedoch Jo Leinens Beistand, der Honecker darum bat, dass DDRBürger diesen Strafantrag stellen durften. Er begründete die Notwendigkeit gegenüber dem Staatsratsvorsitzenden so, dass wegen der in der Bundesrepublik „geltenden Rechtsnormen nur noch Bürger der DDR die Möglichkeit [hätten], gegen eine Betriebsgenehmigung gerichtlich vorzugehen. Dies resultiere aus dem Umstand, daß den Bürgern der DDR die abgegebenen Emissionsschutzrichtlinien für die Erteilung der Baugenehmigung des Kraftwerks Buschhaus nicht bekannt waren, da diese nur in der Presse der BRD veröffentlicht wurden.“ 501 Durch die Verwendung der Adverbien „nur noch“ erschienen in dieser Argumentation die klagenden DDR-Bürger als letzte Möglichkeit, juristisch gegen das Kraftwerk vorzugehen. Die westdeutsche Initiative, über die Staatsführung eine Klägerin aus Ost-Berlin vermittelt zu bekommen, ging auf. Damit sorgte der Umweltanwalt Geulen laut „Der Spiegel“ für ein „Novum in der [bundesdeutschen] Gerichtsgeschichte“.502 Befragt vom „Deutschlandfunk“, wie es käme, dass eine Ost-Berlinerin in der Bundesrepublik klagen könne, übte sich Geulen in Verschwiegenheit. Er begründete jedoch die Klage damit, dass nach dem Grundgesetz alle Einwohner der DDR Deutsche seien und „also von daher prozeßrechtlich gar keine Probleme entstehen“.503 Dem Braunschweiger Verwaltungsgericht überreichte Geulen eine Vollmacht und eidessstattliche Versicherung seiner Mandantin, in der sie ihre Betroffenheit darüber äußerte, dass die Luftverhältnisse in Ost-Berlin sehr schlecht seien und dass sie durch das Kraftwerk Buschhaus weitere Gefährdungen befürchte. Persönlich musste sie nicht vor Gericht erscheinen.504 Geulen erreichte damit eine Verzögerung der Inbetriebnahme des Kraftwerks, das nun nicht planmäßig im August 1984, sondern erst am 30. Juli 1985 ans Netz ging, nachdem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Frühjahr 1985 den Betriebsstop wieder aufgehoben hatte.505 Während seines Besuchs bei Erich Honecker und Hans Reichelt im September 1984 erkundigte sich Leinen, ob die DDR-Bürgerin mit Maßregelungen zu rechnen habe.506 Über die DDR-Bürgerin ist leider nichts weiter bekannt. Die Ermöglichung der Klage erscheint unter verschiedenen Aspekten ambivalent: Warum ließ sich Honecker auf die Klage ein, obwohl sie die staatliche Souveränität der DDR konterkarierte? Denn die DDR-Bürgerin klagte als „Deutsche“ vor einem bundesdeutschen Gericht. Möglicherweise lässt es sich mit Honeckers Verhältnis zu den
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502 503 504 505 506
BArch, MfS HA XVIII, Nr. 28847, Bl. 4–5, Geplante Einbeziehung von DDR-Bürgern als Kläger vor BRD-Gerichten zu Umweltfragen, o. D. [vmtl. Anfang/Mitte 1984], Information A/20367/3C/07/84. O. V., Erfolg mit Biß, in: Der Spiegel, Nr. 27, 1. 7. 1985, S. 78. BArch, MfS Rechtsstelle Nr. 566, Bl. 76–78, hier Bl. 77, DDR-Bürgerin klagt gegen Buschhaus, DLF, 12 Uhr, 3. 8. 1984, Staatliches Komitee für Rundfunk, Redaktion Monitor. Vgl. ebenda. Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 483. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Gespräch Reichelt mit Jo Leinen (BBU) am 3. 9. 1984, Reichelt an Honecker, Häber, Mittag, 5. 9. 1984. Siehe weiteres zu dem Treffen im Kap. IV.3.1.
218
III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
Grünen erklären und als Signal an sie verstehen. Solange die Aktionen gegen die bundesdeutsche, liberalkonservative Politik gerichtet waren, war die neue Partei in den Augen der SED Verbündeter und potenziell zu unterstützender Kandidat dafür, einer sozialdemokratisch geführten Regierung an die Macht zu verhelfen.507 Ökologisch gesehen hätte ein Erfolg der Klage für die DDR bedeutet, dass zur von ihr selbst erzeugten Luftverschmutzung nicht zusätzlich noch eine von Buschhaus herüberwehende hinzukam und so auch DDR-Bürger weniger Belastung erfuhren. Obwohl die SED-Führung den BBU in diesem Klagefall insgeheim unterstützte, das „Neue Deutschland“ die Vorgänge im Bundestag präzise verfolgte508 und Buschhaus den „Anstrengungen der DDR zur Minderung der Belastung durch Schwefeldioxid und Stickoxid, insbesondere im Raum Harbke“ offiziell entgegen stand,509 kam es ab 1985 kaum noch zu großen öffentlichen Polemiken und Propaganda-Schlachten gegen das Kohlekraftwerk. Reichelt hielt sich nach dem Sommer 1984 in bilateralen Gesprächen bezüglich Buschhaus zunehmend zurück. Den Hintergrund für die verbale Zurückhaltung um Buschhaus stellte der Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 15. Januar 1985 dar, in dem die Aufgabe formuliert wurde, die SO2-Emissionsreduzierung und Technologie der Braunkohleenergieerzeugung so zu gestalten, dass erstens die Minimierung der Kosten, zweitens eine Wertstoffrückgewinnung von Schwefel, Schwefelsäure, Gips erfolge, drittens die Energieausbeute erhöht und viertens eigene hohe Wissenschaftskosten vermieden werden würden.510 Alfred Dick, der bayerische Staatsminister für Umweltfragen, wusste bereits im Mai 1984: „Die für Buschhaus vorgesehene Entschwefelungsanlage ist für die DDR deshalb besonders wichtig, weil die Buschhauser Salzkohle in ihrem Schwefelgehalt die schlechteste DDR-Kohle wohl noch übertrifft. Wenn die Entschwefelung in Buschhaus funktioniert, rechnet die DDR damit, daß das dortige Verfahren für jede Kohlenqualität in der DDR verwendet werden kann.“ 511
Das war jedoch noch vor dem Kohlekompromiss der Bundesregierung mit den Betreibern, eine andere Kohlenart zu verwenden als die aus dem Helmstedter Revier. Dennoch diente die Rauchgasentschwefelungsanlage nach dem Wellman-
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509
510 511
Vgl. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 47, 72. Vgl. u. a. Honecker bestätigt Teilnahme der DDR an Umweltkonferenz. Kritik an BRD-Kohlekraftwerk Buschhaus, in: ND, 18. 5. 1984, S. 1; BRD-Regierung soll Konzept für Buschhaus vorlegen. SPD-Politiker fordert Kraftwerks-Entschwefelungsanlage, in: ND, 11. 7. 1984, S. 5; Betriebsgenehmigung für Kraftwerk Buschhaus erteilt. Trotz DDR-Einwand und Protest von BRD-Umweltschützern, in: ND, 22. 8. 1984, S. 5. BArch, DL 226, Bd. 1327, Bl. 305 f., Zur vorgesehenen Inbetriebnahme des Kraftwerkes der BRD ‚Buschhaus‘, Schalck an Mittag, 9. 4. 1985. Siehe auch BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Probleme der Zusammenarbeit mit dem BRD-Bundesland Niedersachsen, o. D. [vmtl. 1989]. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3393, Konzeption für Gespräche mit der BRD über Verfahren, Anlagen und Ausrüstungen zur Entschwefelung von Braunkohlekraftwerken, o. D. [vmtl. 1985]. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Besuch von Alfred Dick in der DDR, Drahtbericht Nr. 825, StäV Ost-Berlin, 18. 5. 1984.
3. Grenzüberschreitende Luftverschmutzung
219
Lord-Verfahren der britischen Firma Davy McKee, die letztlich in Buschhaus eingebaut wurde, der DDR als Pilotanlage für ihre eigenen Braunkohlekraftwerke. Ein Jahr nach erwähntem Politbürobeschluss plädierte der Minister für Kohle und Energie (MfKE) Wolfgang Mitzinger dafür, bisherige Entschwefelungspläne, die das Kalk-Stein-Additiv-Verfahren nutzen wollten, dahingehend zu ändern, das in Buschhaus verwendete Wellman-Lord-Verfahren im Kraftwerk Berlin-Rummelsburg zu installieren, was allerdings mit einem Investitionsaufwand von insgesamt 480 Mio. M verbunden war. Dafür musste er alle argumentativen Register ziehen: Es handle sich um einen Beitrag dazu, in der DDR das international vereinbarte 30-Prozent-Reduktionsziel an SO2-Emissionen zu erreichen; die Entwicklung Berlins zur „sozialistischen Metropole“ erfordere, dort eine Verbesserung der Umweltbedingungen und als Sekundärrohstoff entstünde statt Gips der für die chemische Industrie wertvollere flüssige Schwefel. Da technische Verfahren im RGW noch weit davon entfernt seien, ähnliche Leistungen zu vollbringen, sei ein Import der Anlage aus dem Nicht-Sozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) unausweichlich – entgegen den angesichts der kriselnden Wirtschaft vorhandenen Einwänden. Um diese Argumente für den Kauf des Wellman-Lord-Verfahrens zu unterstreichen, verglich Mitzingers Ministerium Kosten, Leistungen und Erfahrungen dreier Anlagenbetreiber miteinander. Die britische Firma Davy McKee war nicht nur im Angebot und den langfristigen Betriebskosten günstiger als Mannesmann und Ciba-Geigy; sie hatte schon 33 Anlagen exportiert und mit ihnen viel mehr Erfahrungen gesammelt als ihre beiden Konkurrenten. Außerdem würde der Ankauf keine zusätzlichen Importe nach sich ziehen.512 Auch die westdeutschen Umweltminister, im Unklaren darüber, wie die DDR das 30-Prozent-Ziel erreichen wollte, vermuteten, dass es ihr sowohl mit dem Einbau dieser (einen) Rauchgasentschwefelungsanlage in Berlin-Rummelsburg als auch dem weiteren Ausbau der Kernenergie in großen Teilen gelingen könnte.513 Auf dem Papier sah das alles sehr überzeugend aus, in der Praxis gestaltete sich die Umsetzung jedoch schwierig. Die Reinhaltung der Luft zog Probleme bei der Abwasserbehandlung und Deponierung von Schadstoffen nach sich. Außerdem ignorierte Mitzinger bereits im Vorfeld kritische Stimmen, die das Wellman-LordVerfahren in der Hauptstadt der DDR zum einen aus Sicherheitsgründen und zum
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513
Vgl. BArch, MfS HA XVIII, Nr. 21002, Bl. 262–283, hier Bl. 264–277, Komplexer Vorschlag zum Importvorhaben „Errichtung einer Rauchgasentschwefelungsanlage im VEB Energiekombinat Berlin, Betriebsteil Heizkraftwerk Berlin-Rummelsburg“, Mitzinger, Anlage VVS B 5 – 1319/86, 17. 4. 1986; und Bl. 256–261, Beschluss zum Importvorhaben ‚Errichtung einer Rauchgasentschwefelungsanlage im VEB Energiekombinat Berlin, Betriebsteil Heizkraftwerk Berlin-Rummelsburg‘, Schürer, Mitzinger, Beil, Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, 21. 5. 1986. Vgl. zur Importablösung Möller, Umwelt, S. 247. Siehe Buschhaus als Vorbild, u. a. in: BArch DK 5, Bd. 3394, Bl. 109, Wolfgang Mitzinger an Gerhard Beil, Minister für Außenhandel, 8. 10. 1985. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 2036, Kurzprotokoll der 13. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 9. 12. 1987, Bericht des Umweltministers zu dt.-dt. Umweltbeziehungen, Vorsitz Reinhard Gröhner.
220
III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
anderen aufgrund der Tatsache, dass für Berlin weniger schwefelhaltige Braunkohle genutzt wurde, für unzweckmäßig hielten. Zum damaligen Zeitpunkt konnte keine Wellman-Lord-Anlage der Welt die spezifische, in der DDR vorhandene Braunkohle mit ihrem Wassergehalt von 57 Prozent entschwefeln. Unklar war der Inspektion im Ministerium für Wissenschaft und Technik (MfWT) deshalb, „welche ‚besten Experten der DDR‘ das Vorhaben vorbereitet haben“ – es hätte schließlich auch Alternativen gegeben.514 Probleme waren also vorprogrammiert. Bereits im März 1987 fasste eine MfS-Information zusammen, dass Davy McKee auf dem Gebiet der Abwasserbehandlung kaum ausreichende Kenntnisse vorlagen. „Die absolute Beherrschung des Abwassers zur Gewährleistung des Umweltschutzes ist oberstes Gebot, ‚um nicht die Probleme der Schadstoffe der Luft in das Wasser zu verlagern‘.“ 515 Auch die technische Anlagensicherheit ließ zu wünschen übrig. Bei stabiler Fahrweise würde die Rauchgasentschwefelungsanlage 22 000 Tonnen flüssiges Schwefeldioxid produzieren, von denen jedoch nur 400 Tonnen vor Ort eingelagert werden könnten. Sollte das hochgiftige Luft-GasGemisch havarieren, so müsste das gefährdete Gebiet evakuiert werden. Auch machten Ende 1987 Westmedien die Probleme mit der Rauchgasentschwefelungsanlage in Buschhaus bekannt, was von der DDR sorgfältig registriert wurde. Reichelt bemühte sich daher um einen Erfahrungsaustausch und um einen Besuch in Buschhaus, der letztlich im April 1989 stattfand.516 Jene Schwierigkeiten aber, die dazu führten, dass die Rauchgasentschwefelungsanlage im Heizkraftwerk „Georg Klingenberg“ in Berlin-Rummelsburg erst mit 28 Tagen Verspätung im Februar 1989 in Betrieb genommen wurde, waren teilweise hausgemacht: Leitungsprobleme auf der Baustelle und in der AG „Rauchgasentschwefelung“. Allerdings bemängelten die DDR-Kraftwerksbetreiber auch die Kooperation mit Davy McKee – ganz ähnlich bezeichneten die Kollegen in Buschhaus die Firma als „nicht solide arbeitend“ und ihr Engagement als „abgekühlt“.517 514
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Vgl. BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 19276, Bl. 64–66, hier Bl. 65, Information über einige Aspekte bei der Vorbereitung und Durchführung des Importvertrages zum Heizkraftwerk BerlinRummelsburg, Inspektion, MfWT, 19. 2. 1988. BArch, MfS, Bezirksverwaltung Berlin, AKG, Nr. 172, Bl. 3–9, hier Bl. 5, Information über einige Probleme bei der Vorbereitung des Einsatzes einer Rauchgasentschwefelungsanlage im HKW Rummelsburg Nr. 16/87, 20. 3. 1987. Vgl. ebenda; BArch, DK 5, Bd. 5090, Stellungnahme zur Rauchgasentschwefelungsanlage Buschhaus, Reichelt an Mittag, 7. 12. 1987. Siehe zu den Problemen in Buschhaus auch Gerhard Spörl, Vertrauen ist gut, Kontrolle auch, in: Die Zeit, 11. 12. 1987, in URL: https://www. zeit.de/1987/51/vertrauen-ist-gut-kontrolle-auch/komplettansicht [21. 5. 2022]; vgl. zum Besuch: BArch, DF 4, Bd. 23646, Teil 16, Bericht über die Durchführung von Informationsgesprächen im Wärme-Kraftwerk Buschhaus/BRD zum Wellman-Lord-Verfahren sowie den Besuch der Fachmesse „Envitec 1989“ und der Industriemesse Hannover in der Zeit vom 12. 4. 1989 bis 14. 4. 1989, Minister Herbert Weiz an das ZK der SED, 27. 4. 1989. Vgl. BArch, DF 4, Bd. 23646, Teil 16, Information über den Stand der Realisierung des Vorhabens Rauchgasentschwefelungsanlage nach dem Wellman-Lord-Verfahren für das Heizkraftwerk „Georg Klingenberg“ Berlin-Rummelsburg am 14. 2. 1989, Minister Herbert Weiz an Genosse H. Pöschel, Leiter der Abteilung Forschung und technische Entwicklung im ZK der SED, 16. 2. 1989; und Bericht über die Durchführung von Informationsgesprächen im Wärme-Kraftwerk Buschhaus/BRD zum Wellman-Lord-Verfahren sowie den Besuch der Fach-
4. Zusammenfassung
221
Die einzige Rauchgasentschwefelungsanlage mit hohen Abscheidegraden in der DDR schließt den Kreis mit Buschhaus und den solche Anlagen einfordernden Umweltgruppen. Dass intern sehr schnell zu dieser Anlage gegriffen und der Kauf anderer nicht weiter geprüft wurde, lässt sich mit zunehmenden per Eingabe vorgebrachten Beschwerden der Bevölkerung, dem internationalen Druck, das 30-Prozent-Ziel zu erreichen, und dem Verlangen nach Sekundärrohstoffen erklären, welche die DDR von bestimmten Importen unabhängig machen sollten. Mangelndes Wissen, fehlende Zusammenarbeit mit dem MfUW und dem MfWT, die komplexe Zusammensetzung der ostdeutschen Braunkohle, zu kritisierendes Verhalten der Firma Davy McKee, aber auch der Leitungsebene beim Kraftwerk Klingenberg erschwerten jedoch die Umsetzung in die Praxis. Buschhaus allerdings avancierte von der „Dreckschleuder der [gesamtdeutschen] Nation“ und dem internationalem Anti-Symbol westdeutscher Luftreinhaltepolitik zum innerdeutschen Vorbild im Umgang mit besonders schwefel- und wasserhaltiger Braunkohle.
4. Zusammenfassung Die 1980er Jahre begannen für beide deutsche Staaten mit einem ökologischen Aufbruch, wenn auch in besagten „kleinen Schritten“. Als Motivation spielte zwar das Festhalten an der Entspannungspolitik angesichts internationaler Verschlechterungen eine maßgebliche Rolle, insbesondere wenn es um Ost-West-Treffen ging, aber handfeste sachliche Probleme und deren Lösung standen nun ebenfalls fest auf der Tagesordnung. An den ersten bilateralen Aushandlungsprozessen zur Gewässer- und Luftverschmutzung zwischen Bundesrepublik und DDR sind demnach folgende Punkte erkennbar: Zuvorderst kam es zu positiven Ergebnissen im Sinne eines Abschlusses einer Vereinbarung über Projekte, wenn es von beiden Seiten politisch gewollt war (Röden und Berliner Gewässer). Nur so konnten finanzielle und ideologische Hindernisse überwunden werden. Das bedeutet zugleich, dass insbesondere der Schutz der Wirtschaft (Werra) und der Blockgrenze (Elbe) für beide Seiten gegenüber Umweltschutzbelangen prioritär zu handhaben und somit im deutsch-deutschen Verhältnis zunächst kaum lösbar waren. Anhand der Gespräche zur Werra, Elbe und Luftverschmutzung wird darüber hinaus ersichtlich, dass Umweltdaten nur noch schwerlich geheim gehalten werden konnten, wenn neue Messgeräte diese besser nachweisen konnten. Und auch das westdeutsche Verursacherprinzip stieß an seine „Grenze“. Die Schwierigkeit, dieses gegenüber der DDR geltend zu machen, erscheint erst in der Einordnung im größeren europäischen Rahmen offensichtlich, wenn die Bundesregierung an ihrer Ostgrenze etwas durchsetzen möchte, was sie an der Westgrenze selbst nicht praktizierte. Außerdem setzte sich
messe „Envitec 1989“ und der Industriemesse Hannover vom 12. 4. 1989–14. 4. 1989, Herbert Weiz an das ZK der SED, 27. 4. 1989.
222
III. Kleine Schritte in der „Krise der Entspannung“
bei den Bundesdeutschen zunehmend die Erkenntnis durch, dass einmalige Investitionen in der DDR, beispielsweise bei Röden und Elbe, in der langfristigen Perspektive kostengünstiger wären, als auf dem Verursacherprinzip zu bestehen und eine erneute Blockade der Gespräche zu riskieren. Vor allem in den Werraverhandlungen zeigte sich zudem der systembedingte Unterschied, dass die Bundesrepublik aufgrund des innenpolitischen Drucks gemeinsame Maßnahmen schnell, kurzfristig und auf dem ersten Blick günstig umgesetzt sehen wollte, während die Diktatur und Planwirtschaft auf Befindlichkeiten der Bevölkerung nicht in dem gleichen Ausmaß reagieren musste und langfristige Ziele sowie auf die Dauer nachhaltige Kosten anvisierte. Zu guter Letzt wurde ersichtlich, dass deutsch-deutsche (Umwelt-)Beziehungen immer auch eine Dreiecksbeziehung darstellen: Das föderale System der Bundesrepublik führte nicht selten zur Situation, dass Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern in Bezug auf die DDR hin und her geschoben und für jeweils eigene Interessen – zumeist mangelnde Zahlungsbereitschaft – genutzt wurden. Die im Vergleich zu den 1970er Jahren hier meist sachlichen Auseinandersetzungen zwischen den Experten trugen trotz ihres ambivalenten Ausganges maßgeblich zur Vertrauensbildung beider deutscher Staaten bei. Allgemein löste sich die DDR Mitte der 1980er Jahre zunehmend vom Moskauer Diktat, geriet aber gleichzeitig in die „Bonner Sogwirkung“, beispielsweise über die von Strauß vermittelten Darlehen, die der DDR ihre Kreditwürdigkeit bewahrten.518 Doch über die kleinen Schritte der Gewässerverhandlungen und Gespräche zu Rauchgasentschwefelungsanlagen praktizierten beide Staaten eine Art „ökologischer Kommunikation“, die letztlich im Verlauf der 1980er Jahre in eine zunehmende grüne Verflechtung oder auch eine regelrechte „Ökologisierung“ der deutsch-deutschen Beziehungen mündete.
518
Vgl. Malycha/Winters, Geschichte der SED, S. 266 f.
IV. Die grüne Verflechtung — Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen Anfang bis Ende der 1980er Jahre ging der Wandel im Bereich des Umweltpolitischen1 mit einer Ausweitung ökologischer Interessen und verstärkter Kommunikation auf verschiedenen Ebenen einher. Im Folgenden wird daher von einer „Ökologisierung“ der weiteren deutsch-deutschen Beziehungen ausgegangen. Das heißt einerseits konkret, dass das Thema „Umweltschutz“ nicht mehr nur im relativ eng gefassten Bereich einzelner Expertengespräche behandelt wurde, sondern in immer mehr Kontexten erschien; es bedeutet andererseits auch, dass sich Bundesrepublik und DDR hier noch immer in wechselseitiger Kooperation und Konkurrenz zueinander wiederfanden. Angefangen mit dem veränderten Stellenwert von Umweltpolitik zu Beginn des Jahrzehnts, über die Auswirkungen, die eine Ökologisierung des Müll-Geschäfts zwischen beiden Seiten hervorrief, und über die gesellschaftlichen Kommunikationsmöglichkeiten zum Umweltschutz bis hin zur Verdichtung der politischen und gesellschaftlichen Kontakte, untersucht dieser Teil die zunehmende „grüne Verflechtung“ zwischen beiden deutschen Staaten in den 1980er Jahren. Diese schloss letztlich 1987 auch die Vereinbarung zum Umweltschutz zwischen Bundesrepublik und DDR sowie Folgeprojekte mit ein. Begleitet wird diese Analyse von der These, dass die zuvor eingeübten „kleinen Schritte“ die Eigendynamik der deutsch-deutschen Umweltpolitik verstärkten. Das heißt: Die Umweltpolitik, die insbesondere in den 1970er Jahren noch als Katalysator für die Entspannungspolitik eingesetzt worden war, gewann zunehmend an Eigenständigkeit als Politikfeld. Dies begann in den 1980ern, da insbesondere durch die internationalen Umweltabkommen sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik in umweltpolitischen Zugzwang gerieten, der jenseits der Entspannungspolitik erfüllt werden musste.
1. Der Stellenwert der Umweltpolitik in Bundesrepublik und DDR in den 1980er Jahren „Der Umweltschutz sollte zu einem wichtigen Schwerpunkt in den [deutsch-deutschen] Beziehungen gemacht werden.“ 2 Spätestens 1984 dachte die Bundesregierung, hier in Person des Staatsministers im Bundeskanzleramt Philipp Jenninger,
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Angelehnt an die gleichnamige Ausgabe des AfS 52 (2012) „Wandel des Politischen“, handelt es sich um eine Umschreibung für die 1980er Jahre als einer Phase, in der es zu beschleunigten Veränderungen im Politischen, Gesellschaftlichen, Kulturellen und Sozio-Ökonomischem kam sowie bekannte Deutungsmuster durchbrochen und Normen infrage gestellt wurden. Siehe darin z. B.: Süß/Woyke, Schimanskis Jahrzehnt, S. 3–20. Vgl. Protokoll des Ministerialdirektors im BMIB Meichsner über das deutschlandpolitische Koordinierungsgespräch, Bonn, 16. 2. 1984, Dok. 143, in: DzD, VII/1, S. 519.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
erneut darüber nach, wie Umweltprobleme mit der DDR am besten anzugehen seien: Fortführung der einzelnen Kontakte oder ein generelles Umweltabkommen? Anfang der 1980er Jahre erlebte die Ökologie-Welle im Westen einen erneuten Anschub, dieses Mal jedoch eher vom Druck der Straße her als von oben. Auch im Osten gründeten sich immer mehr kirchliche Umweltgruppen, welche die Staatsführung diesbezüglich unter Druck setzten. Nach Frank Uekötter und Claas Kirchhelle wurde die Ökologie in den 1980er Jahren zwar nicht neu entdeckt, aber durchaus neu erfunden.3 Daher scheint es angebracht, zunächst den im Vergleich zu den 1970ern veränderten Stellenwert von Umweltschutz in Bundesrepublik und DDR und dessen Bedeutung für die deutsch-deutschen Beziehungen näher zu beleuchten. Die Entwicklung im Bereich der Umweltpolitik wurde vom Referat für Umweltschutz im Auswärtigen Amt 1982 folgendermaßen resümiert: „Umweltpolitik hat mit der Verminderung von Schmutz und Lärm in den Umweltmedien (Luft, Wasser, Boden) angefangen und hat sich heute zu einem Sammelbegriff für elementare Menschheitsaufgaben erweitert, der die weltweite rationale Bewirtschaftung der knapper werdenden Ressourcen und die Steuerung des Bevölkerungswachstums umgreift. Da sie verteilungswirksam ist, ist Umweltpolitik elementar politisch. Umweltpolitik bedeutet Verteilung von Lasten, Einschränkungen und relativen Vorteilen. Ihre Öffentlichkeitswirksamkeit hat spürbar zugenommen. Sie ist zum aktuellen Kristallisationsthema für allgemeinpolitische Gruppierungen geworden.“ 4
Hinter diesem erweiterten Begriff von Umweltpolitik stand eine neue Studie, die 1980/1981 nach den „Grenzen des Wachstums“ in der Bundesrepublik und in den USA die Debatte prägte: „Global 2000“. In der von US-Präsident Jimmy Carter 1977 in Auftrag gegebenen Untersuchung widmeten sich über 100 Fachleute nochmals den Zusammenhängen von Ressourcen, Bevölkerungswachstum und Umweltproblemen und prognostizierten einen Klimawandel durch erhöhten CO2Ausstoß.5 Die Studie wurde nicht nur in der Umweltbewegung rezipiert, sondern auch Teil bundesdeutscher Umweltpolitik. Daneben bilden der Aufstieg der Grünen, die Waldsterbensdebatte und die Konflikte der Anti-Atomkraft-Bewegung die Hintergrundfolie für eine ökologische Ausrichtung aller etablierten Parteien. Nach Andreas Wirsching wirkte hier ein „genuiner politisch-gesellschaftlicher Handlungs- und Veränderungswille“.6 Dieser fand in der erneuten Debatte um einer Aufnahme des „Umweltschutzes“ ins Grundgesetz allerdings seine Grenzen. Die 1984 artikulierten Forderungen von SPD und FDP (Staatszielbestimmung) sowie
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Vgl. Uekötter/Kirchhelle, Wie Seveso nach Deutschland kam, S. 317; siehe zur Phaseneinteilung auch die Einleitung, Kap. 2. „Umweltpolitik“ im Original unterstrichen. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132195, Zustimmung zu den Beschlussvorlagen für die Kabinettsitzung am 1. 9. 1982, Top Umweltpolitik, Referat 414, AA, 26. 8. 1982. Vgl. o. V., Reichlich blaß, in: Der Spiegel, Nr. 40, 28. 9. 1981, S. 87–94. Wirsching, Abschied, S. 129, 361 f. Siehe zu den gesellschaftlichen Entwicklungen Kap. II.3 und Kap. III.1. und IV.3.
1. Umweltpolitik in Bundesrepublik und DDR in den 1980er Jahren
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Grünen (Grundrecht) für eine Grundgesetzänderung wurden von der CDU/CSU mit der Begründung abgelehnt, dass diese für die Entwicklung der Rechtsprechung unabsehbare Folgen haben könnten. Außerdem würde in der Bevölkerung eine kaum erfüllbare Erwartungshaltung geweckt und wirtschaftlicher Fortschritt ausgebremst.7 Mehr noch als die Expertenmeinung bestimmten die durch die westlichen Medien verbreiteten Bilder von toten Bäumen, verendeten Robben, giftigen Müllbergen und dunklen Wolken aus Schloten die aufflammende Umweltdebatte der Öffentlichkeit. Damit ging – anders als noch in den 1970ern – eine weitaus stärkere Emotionalisierung des Themas einher. Weltweite Umweltkatastrophen wie das Tankerunglück der Amoco Cadiz vor der bretonischen Küste 1978, der bisher größte Chemieunfall im indischen Bhopal 1984 oder die Brandkatastrophe im Chemiekonzern Sandoz in Basel 1986, die zur Vergiftung des Rheins führte, beflügelten diese Entwicklung – vor allem im Westen.8 Der Bruch mit dem Fortschrittsoptimismus und den Reformbestrebungen der 1970er Jahre sowie der politische Protest ließen die Umweltpolitik in der Bundesrepublik zu einem der wichtigsten innenpolitischen Themen aufsteigen.9 Das gestiegene Interesse am Umweltschutz machte auch nicht vor den deutschdeutschen Beziehungen Halt. Nach seinem Antrittsbesuch beim DDR-Umweltminister Hans Reichelt berichtete Hans-Otto Bräutigam, der Ständige Vertreter in Ost-Berlin, im Februar 1982 nach Bonn: „Insgesamt wurde deutlich, dass die Fragen des Umweltschutzes in der DDR zunehmend ein größeres Gewicht erhalten, dass aber im Konfliktfall weiterhin die ökonomischen Interessen Vorrang haben.“ Als erfolgreiche Umweltmaßnahmen nannte er die Rückgewinnung von Rohstoffen.10 Daraufhin forderte das Bundeskanzleramt seine ihm unterstellte Ständige Vertretung explizit dazu auf, Umweltschutzthemen bei Besuchen in den Bezirken der DDR verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen.11 Auch das UBA und der BND waren im Laufe der 1980er Jahre auf die Umweltverschmutzung in der DDR fokussiert.12 1985 berichtete Hannspeter Hellbeck, stellvertretender Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik, zur Umweltpolitik der DDR, dass die Wirtschaft stagniere und die DDR nicht in der Lage sein werde, „in größerem Ausmaß“ in den Umweltschutz zu investieren. Umweltmaßnahmen im Haushaltsplan seien auf der Staatsebene nicht darstellbar, da es verschiedene Projektschwerpunkte gebe. Weiterhin schätzte er ein:
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Vgl. Röscheisen, Umweltpolitik, S. 205 f. Siehe zur FDP: BArch, B 136, Bd. 27439, Aufnahme einer Staatszielbestimmung „Umweltschutz“ in das Grundgesetz?, Koalitionsgespräch am 30. 9. 1985, Referat 132, BKAmt, Vogelsang/Lehnguth, 27. 9. 1985. 8 Vgl. Radkau, Ära, S. 358. 9 Vgl. Wirsching, Abschied, S. 361–363. 10 PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Antrittsbesuch bei Reichelt, Drahtbericht Nr. 222, StäV an AA, 28. 2. 1983. 11 Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Umweltschutz in der DDR, Germelmann, BKAmt, 2. 3. 1983. 12 Vgl. Wentker, DDR in den Augen des BND, S. 340; Möller, Umwelt, S. 235 f.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
„Durch das Postulat völliger Übereinstimmung von Umweltpolitik und ökonomischer Strategie der SED, […] gelingt Reichelt der Sprung, Umweltschutz und Naturschutz nicht als Anspruch der Bürger an den Staat darzutun, sondern als Verpflichtung aller zur Planerfüllung […]. Konsequenterweise legt Reichelt nicht konkrete Politik zur Luftreinhaltung u. a. Umweltbereichen dar, sondern diskutiert die resultierenden Aufgaben, von einer rationelleren Nutzung von Rohstoffen und Energie bis zur intensiven Nutzung und Schutz des Bodens auf der Grundlage von Höchstertragskonzeptionen. Daraus ergibt sich ein erweiterter Begriff der Umweltpolitik, in der alle Leistungen der Partei für die Arbeits-, Wohn- und Erholungsumwelt der Bürger berücksichtigt werden. Diese ausweichende und ausufernde Konzeption von Umweltpolitik ist für den Hausgebrauch der DDR bestimmt ...“ 13
Die Ständige Vertretung sollte jedoch nicht nur die interne Lage eruieren, sondern auch, inwiefern die DDR versuchte, internationale Lösungswege zu finden.14 Dazu berichtete Bräutigam, dass wegen der Zunahme an Schadstoffen auch das politische Interesse an der Zusammenarbeit mit westlichen Ländern steigen werde: „Dieses Interesse ist in der Sache bedingt. Bis zu einem gewissen Grade wird es daher auch unabhängig von der allgemeinen Entwicklung des politischen Klimas zwischen West und Ost politisches Gewicht bleiben.“ 15 Für die Bundesregierung ergaben sich nun vier Optionen: A) die Fortsetzung der Expertengespräche mit Realisierung von Einzelprojekten „mit [der] Gefahr, daß an Substanz für ein Umweltabkommen nichts mehr bleibt“; B) ein Umweltschutzrahmenabkommen mit dem „Risiko, daß die DDR dies als einen Vorstoß gegen ihre Grundsatzpositionen in Bezug auf Berlin ansieht und die Gespräche über konkret umzusetzende Projekte blockiert“; C) ein relativ unverbindliches Abkommen; D) ein Aufgreifen des von Reichelt gemachten Vorschlags vom 12. Oktober 1983 nach regelmäßigen Konsultationen, „wobei das Risiko besteht, daß eine rechtliche (oder sogar) tatsächliche Berlin-Einbeziehung nicht gegeben“ ist.16 Eine geringe Lösungskraft für die innerdeutschen Umweltprobleme bescheinigten die Deutschlandpolitiker im BMIB, BMI und Bundeskanzleramt zu diesem Zeitpunkt dem in Punkt C genannten relativ unverbindlichen Umweltrahmenabkommen.17 So warnte Günther Meichsner (BMIB) vor großen Absichtserklärungen, denen keine konkreten Projekte folgen würden. Und Hannspeter Hellbeck ergänzte, „daß man im Auge behalten müsse, was die DDR in nächster Zeit realisieren kann und will. Abstrakte Regelungen werde sie verweigern. Wir sollten uns daher auf konkretisierbare und machbare Politik konzentrieren.“ 18 Die Tendenz ging eindeutig dahin, bereits angelaufene Expertengespräche fortzusetzen und
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PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, DDR-Volkswirtschaftsplan 1985 und Umweltpolitik, Drahtbericht Nr. 56, Hellbeck, StäV an BKAmt, AA u. a., 10. 1. 1985. 14 Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Umweltschutz in der DDR, Germelmann, BKAmt, 2. 3. 1983. 15 Ebenda, Entwicklung der Umweltschutz-Diskussion in der DDR, Bräutigam, StäV an AA u. a., 13. 1. 1984. 16 Alle Zitate in: PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Koordinierungsgespräch am 16. 1. 1984 im BMIB, Ergebnisvermerk, 8. 2. 1984, BMIB an Verteiler, 13. 2. 1984. 17 Vgl. ebenda. 18 BArch, B 137, Bd. 11813, Gespräch über Stand der innerdeutschen Beziehungen im BMB am 18. 1. 1984, Referat II 1, BMIB, 20. 1. 1984.
1. Umweltpolitik in Bundesrepublik und DDR in den 1980er Jahren
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neue anzufangen – ein Umweltrahmenabkommen blieb 1984 noch ein Fernziel.19 Dafür sollten die Gespräche zu Elbe, Werra und den Rauchgasentschwefelungsanlagen konkretisiert werden. Für weitere Umweltschutzkontakte formulierte das BMI neue Themenfelder wie bleifreies Benzin, Deponierung von Abfällen, Waldschäden, Naturschutz, Lärmbekämpfung und Bodenschutz.20 Auch die Bildung einer innerdeutschen Umweltschutzkommission oder gemeinsamen AG zur Erarbeitung eines Arbeitsprogramms stand 1984 im Raum. Dafür sprach, dass eine Art ständiger deutsch-deutscher Umweltausschuss,21 ähnlich wie die Grenzkommission, eine kontinuierliche Zusammenarbeit gewährleistete und nicht bei jedem neuen Projekt von vorne beginnen musste.22 Außerdem würde die Kommission das UBA-Problem umgehen, indem Projekte im Kontext von Firmen und halbamtlichen Institutionen realisiert würden.23 Dagegen stand die Vermutung, dass die DDR für ein solches Gremium ein allgemeines Umweltabkommen einfordere, die Berlin-Einbeziehung dennoch Schwierigkeiten bereiten würde und es verfassungsrechtlich problematisch sei.24 Weiterhin galt in den Beziehungen zwar, dass Verursacher- und Vorsorgeprinzip handlungsleitend waren; im Einzelfall sollte jedoch entschieden werden, ob „eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Investitionen von Umweltschutzmaßnahmen in der DDR infrage kommen kann“. Dafür gelte es, mögliche Alternativen (Lizenzen, Handelsverkehr, Pilotprojekte, Zuschüsse u. Ä.) abzuwägen und auch die Frage einer Einbeziehung der Bundesländer zu erörtern.25 Darüber hinaus fanden die sogenannten „Reichelt-Vorschläge“ 26 (Punkt D) bei der Bundesregierung durchaus Anklang. Diese besagten, dass sich Ministerkontakte zwischen Reichelt und den Länderministern für konkrete Projekte intensivieren könnten. Bräutigam bewertete den ostdeutschen Umweltminister als „eine besonders aktive politische Figur, dem ein anpackender und auch unkonventioneller Arbeitsstil nachgesagt wird.“ Auch bisherige Verhandlungen mit der Bundesrepu-
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Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Koordinierungsgespräch am 16. 1. 1984 im BMIB, Ergebnisvermerk, 8. 2. 1984, BMIB an Verteiler, 13. 2. 1984. 20 Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Strategiepapier für Zusammenarbeit mit DDR in Reaktorsicherheit, BMI, 20. 6. 1984; PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Strategiepapier für die Zusammenarbeit mit der DDR auf den Gebieten des Umweltschutzes sowie der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen des Strahlen- und Notfallschutzes (Konzeptionelle Darstellung), Anlage zur Ressortbesprechung am 11. 7. 1984, BMI, 13. 7. 1984. 21 Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Strategiepapier für die Zusammenarbeit mit der DDR im Bereich der Reaktorsicherheit, BMI, 20. 6. 1984. 22 So Wilfried Hasselmann in: AGG, B.II.1, Bd. 890, Rudolph Borchers, Gesamtdeutscher Dreck, in: Rheinischer Merkur, 11. 5. 1984. 23 Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Bayern-DDR-Vorschlag Umweltkommission, Greineder, Referat 433, AA, 27. 5. 1986. 24 Vgl. ebenda; PA AA, ZA, B 38, Bd. 132687, Afz. Umweltprobleme mit der DDR, Dr. Thiem, U I 4, BMI, 15. 3. 1982. 25 PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137, Strategiepapier für die Zusammenarbeit mit der DDR im Bereich der Reaktorsicherheit, BMI, 20. 6. 1984. 26 BArch, B 137, Bd. 11813, Gespräch über Stand der innerdeutschen Beziehungen im BMB am 18. 1. 1984, Referat II 1, BMIB, 20. 1. 1984.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
blik seien auf „seinen persönlichen Einsatz zurückzuführen“.27 Die zeitgenössische Wahrnehmung zeugt sicherlich von einem wahren Kern. Wie bereits erwähnt, konnte Reichelt mit neuen internationalen Abkommen seinen Kompetenzbereich erweitern.28 Reichelts Rolle darf dennoch nicht überbewertet werden, weil der Umweltminister sich an die von der SED vorgegebene politische Linie zu halten hatte. Insbesondere über die „Arbeit nach der BRD“ entschied immer das Politbüro.29 Es ist daher auf der einen Seite zu vermuten, dass der Vorschlag nach intensiveren Ministerkontakten eine abgesprochene Strategie war, 1983/84 unkompliziert an bundesdeutsche Umwelttechnologie zu gelangen. Tatsächlich konnte die DDR mit den Länderkontakten auch die schwierige Frage der Einbeziehung des UBA umgehen.30 Auf der anderen Seite widersprachen Länderkontake der bisherigen Auffassung, die DDR sei souverän und verhandle daher nur ebenbürtig mit der Bundesregierung. Für die DDR stellte sich die Umweltpolitik in der Bundesrepublik, wie hier dank der Einschätzung durch ihren tschechoslowakischen Nachbarn, wie folgt dar: „Praktisch jeder Politiker, der im politischen Kampf bestehen will, muß gleich nach der Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit etwas für die Gesundheiterhaltung [sic!] des Volkes tun, und das ist mit der Umweltproblematik verbunden.“ 31 Im Verlauf des Jahres 1984 hielt sich die DDR jedoch mit Vorschlägen im Umweltbereich gegenüber der Bundesrepublik zurück. Die Beamten im Auswärtigen Amt vermuteten dahinter den geplanten und dann abgesagten Besuch Honeckers in der Bundesrepublik sowie die angespannte wirtschaftliche Lage der DDR.32 Anders als die Bundesrepublik wollte die DDR das aufkommende öffentliche Umweltschutzinteresse nicht in die deutsch-deutschen Beziehungen einfließen lassen: „Es ist zu bekräftigen, daß die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD nicht in erster Linie durch Umweltprobleme bestimmt wird, sondern vorrangig von der Lösung der bekannten politischen Grundfragen abhängt.“ 33 Die „politischen Grundfragen“ waren die Geraer Forderungen, deren Teildurchsetzung allen anderen Fragen – selbst der Devisenbeschaffung – übergeord-
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PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Entwicklung der Umweltschutz-Diskussion in der DDR, Bräutigam, StäV an AA u. a., 13. 1. 1984. 28 Vgl. Huff, Natur, S. 263. Siehe zum Kompetenzausbau auch Kap. III.3.2. 29 Vgl. Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 29. 30 Vgl. für die Begründung des Zusammenhangs UBA und Länderkontakte: Gespräch Honecker – Hans-Jochen Vogel, 28. 5. 1986, Hubertusstock, Dok. 28, in: Potthoff, Koalition, S. 432. Vgl. zu Länderkontakten Kap. IV.3.1. 31 BArch, DK 5, Bd. 5756, Inoffizielle Übersetzung aus dem Gesprächsvermerk Kadnar – von Braunmühl, Oskar Fischer, 20. 12. 1984. 32 Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132683, Umweltschutzverhandlungen mit der DDR, Sachstand, Afz. Referat 210, AA. Siehe u. a. zur Absage des Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik 1984: Möller, Strauß, S. 612. 33 BArch, DK 5, Bd. 1523, Strategie zur Senkung des Schwefeldioxidausstoßes bis 1995 mit den Maßnahmen der rationellen Energieanwendung und der Rauchgasentschwefelung, o. V., o. D. [vmtl. 1988].
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
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net war.34 Dennoch wurde der deutsch-deutsche Austausch über die Expertenebene hinweg ausgebaut. Die umweltpolitischen Beziehungen bildeten so gesehen keine Ausnahme und fügten sich in den Gesamttrend intensiverer deutsch-deutscher Beziehungen ein, die auch einen gestiegenen Handel sowie Besucher- und Reiseverkehr umfassten.35 Demnach trafen hier zwei Faktoren zusammen, die sich durchaus befruchten konnten: intensivere Beziehungen und ein erhöhtes Umweltbewusstsein in den Gesellschaften. Die aufkommende materielle Dringlichkeit und dadurch auch Kompromissfähigkeit begünstigte nun trotz anderslautender politischer Absichtserklärungen ein Entgegenkommen der DDR im Umweltbereich. Das hieß jedoch nicht, dass sie den Umweltschutz als Teil der „friedlichen Koexistenz“ aufgab – im Gegenteil.36 Verschwand bei den Westdeutschen zunehmend das entspannungspolitische Motiv für deutsch-deutsche Umweltbeziehungen, trat es bei ostdeutschen Akteuren – mal stärker, mal schwächer – noch immer hervor. Dafür verblasste aber in den DDR-Ausführungen das Credo der 1960er und 1970er Jahre, der Kapitalismus habe die Umweltschäden verursacht und dem ostdeutschen Staat hinterlassen und nur der Sozialismus sei in der Lage, Umweltprobleme zu bewältigen. Stattdessen setzte sich in den 1980er Jahren in der SED verstärkt die Auffassung durch, Umweltprobleme nur international lösen zu können.37 Zwar stellten die Geheimhaltungsbeschlüsse zu Umweltdaten tatsächlich eine „Bankrotterklärung“ 38 des Regimes dar – von einer absoluten „Realitätsfremdheit“ 39 der Genossen und einer „Nicht-Umweltpolitik“ wie in den 1970ern kann angesichts der Bemühungen um Umweltverhandlungen mit der Bundesrepublik jedoch nicht mehr die Rede sein.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel „Im Verhältnis zur DDR entsteht ein neues, regelungsbedürftiges Umweltproblem.“ 40 Das schlussfolgerte Peter-Christian Germelmann aus dem Bundeskanzleramt im August 1982, als abzusehen war, dass der Müllexport der Bundesrepublik zur Mülldeponie in Schönberg (DDR) von Jahr zu Jahr wachsen würde. Waren es 1982 laut dem „Spiegel“ etwa 400 000 Tonnen Abfall, so wuchs die Menge auf etwa 900 000 Tonnen Haus- und Sondermüll im Jahr 1985.41 Wie war es überhaupt 34 35
Vgl. Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 94. Siehe zu den Geraer Forderungen Kap. III.2.4. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 424 f., 507. 36 Vgl. Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 129. Siehe dazu auch Kap. I.2. 37 Vgl. Neubert, Opposition der DDR, S. 585. 38 Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 131. 39 Ebenda, S. 129. 40 BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 3, Sondermülldeponie Schönberg/DDR, Afz. Germelmann, Referat 221, BKAmt, 19. 8. 1982. 41 Vgl. o. V. Grube ohne Grenze, in: Der Spiegel, Nr. 29, 18. 7. 1983, S. 46–48, hier S. 46; o. V. Salz in der Suppe, in: Der Spiegel, Nr. 8, 17. 2. 1986, S. 52–53, hier S. 52.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
zu diesem Müllgeschäft gekommen? Warum war es ein Umweltproblem? Dieses Kapitel zeichnet mittels einer letzten Tiefenbohrung im Folgenden die Ökologisierung des Müllgeschäfts nach, dem vorab einige historische Entwicklungen und methodische Erklärungen zugrunde liegen. In den 1970er und 1980er Jahren drohte auf die Bundesrepublik eine Mülllawine zuzukommen. Der Modernisierungsschub der 1950er Jahre ging nicht nur mit rasant ansteigendem Energieverbrauch, Luft- und Gewässerverschmutzung und Überanstrengung der Böden, sondern auch mit einer gewaltigen Vermehrung des Verpackungsmülls einher: Zwischen 1954 und 1962 wuchs die Menge der Blechpackungen um 84 Prozent, die der Verpackungen aus Hohlglas um 120 und solcher aus Kunststoff um 3780 Prozent.42 Nach Köster war die Zunahme des „Wohlstandsmülls“ die Konsequenz aus „der sich durchsetzenden ‚systemspezifischen Regelung der Versorgung‘ unter kapitalistischen Bedingungen“.43 Neben der Zunahme wurde auch die Art des Mülls zum Problem, wie Elektroschrott oder hohe Plastikanteile, die nicht mehr im heimischen Ofen verbrannt oder an die Hühner verfüttert werden konnten. Zusammen mit einer modernen Stadtplanung verschwanden die Komposthaufen, Ställe und Käfige, sodass nur die Mülltonnen als Verwerter und Beseitiger übrig blieben.44 Der gravierendste Unterschied zur DDR diesbezüglich war einmal der generelle technologische Rückstand von etwa zehn Jahren gegenüber der Bundesrepublik. Außerdem lag der Pro-Kopf-Verbrauch der Ostdeutschen (175 Kilogramm pro Jahr) noch im Jahr 1989 deutlich unter dem der Westdeutschen (365 Kilogramm pro Jahr). Obwohl Honeckers Programm von der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED gerade den Konsum ankurbeln sollte, erreichte die RGWStaaten die Konsumwelle zeitlich verzögert als den Westen.45 Darüber hinaus ist hier der sozialistische Eingriff oder kapitalistische Nicht-Eingriff in die Produktion als das markanteste Unterscheidungsmerkmal zwischen beiden Staaten zu nennen. Im Landeskulturgesetz der DDR wurde festgelegt, dass bereits in der Produktion wenige Abfallprodukte anfallen [§ 8(1)] und diese möglichst wiederverwertbar sein mussten.46 Genauer gesagt, die DDR versuchte sich an einer gleichsam abfallstoffarmen Technologie und Produktion. Wegwerfen war verpönt. Wollten Betriebe in der DDR etwas deponieren, mussten sie ab 1975 einen „Negativtest“ vorweisen,
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Vgl. Park, Müllkippe, S. 36, Köster, Hausmüll, S. 69 f., 175, 294 f.; Pfister, „1950er Syndrom“, S. 51–95. 43 Köster, Hausmüll, S. 79. 44 Vgl. ebenda, S. 46–59. 45 Vgl. Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 26. 3,5 Mio. t feste Siedlungsabfälle, davon 2,9 Mio. t Hausmüll blieb in den 1980er Jahren sehr konstant, vgl. Umweltbericht der DDR, S. 8, 53–56. Siehe auch Neumaier/Ludwig, Individualisierung der Lebenswelten, S. 240– 248; Steiner, Doppelkrise europäischer Industriegesellschaften, S. 347, 351; Obertreis, Naturbeherrschung, S. 119. 46 Vgl. § 8, Abs. 1, Landeskulturgesetz, 14. 5. 1970, Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 12, 28. 5. 1970, S. 67–74. Vgl. auch Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 478 und zum LKG Kap. I.1.2.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
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der belegte, dass der Stoff nicht weiter verwendet werden konnte. Gleichzeitig forderte das MfUW immer höhere Verwertungsquoten ein, was nicht ohne Konflikte mit den Betrieben blieb.47 Das bedeutete aber, die Planer im Sozialismus dachten – im besten Fall – die Vermeidung von Abfall bereits in der Produktion mit. Die USA und die anderen auf einer freien Marktwirtschaft basierenden Staaten hingegen griffen wegen befürchteter ökonomischer Negativeffekte möglichst wenig in die Produktion ein. Stattdessen regelten sie ab den 1970er Jahren die Deponien.48 Zwar impliziert der für beide Staaten wichtige Begriff „Abfallwirtschaft“, dass die Reste und Überbleibsel der Produktion wieder in den Wirtschaftskreislauf eingeführt werden sollten. In den 1960er Jahren standen im Westen jedoch die Müllverbrennungsanlagen und die Beseitigung im Vordergrund.49 Dennoch übernahm auch die DDR um 1970 die technischen Verfahren für die „geordnete Deponie“ aus der Bundesrepublik. Das Konzept hatte dort erstmals systematische Anforderungen an Planung, Einrichtung, Betrieb, Abschluss und Nachsorge von Deponien gestellt. Es wurde 1969 auf Vorlage von amerikanischen „sanitary landfills“ entwickelt und in den 1980ern modernisiert.50 Der innerstaatliche Umgang mit dem Thema Abfallwirtschaft besaß – für den relevanten Zeitraum – sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik seinen Platz im MfUW beziehungsweise in der Abteilung Umweltschutz im BMI. In der Bundesrepublik regelte das Abfallbeseitigungsgesetz (AbfG) von 1972, dass die Länder Abfallbeseitigungspläne aufstellten. Die DDR ordnete diesen Bereich zunächst durch das Landeskulturgesetz, später durch dessen sechste DVO.51 Beide Staaten hatten diesen Aufgabenbereich also spätestens seit den 1970er Jahren klar der Umweltpolitik zugeordnet. Und noch 1973 hatte die DDR geurteilt: „Hinsichtlich Lärm und Müll sind keine Probleme in den Beziehungen DDR/BRD zu erwarten.“ 52 Für den Müllhandel zwischen Bundesrepublik und DDR waren jedoch maßgeblich das Bundeswirtschaftsministerium und der Bereich „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) im Außenhandelsministerium der DDR (AHM) zuständig. So erklärt sich die bisherige wirtschaftsgeschichtliche Ausrichtung des wissenschaftlichen Diskurses über den „Westmüll“-Export in die DDR.53 International war der Handel mit Giftmüll noch keineswegs geregelt. Ende der 1970er Jahre lassen sich erste zaghafte Ansätze in der „ECE-Declaration on Lowand Non-waste Technology and Reutilization and Recycling of Wastes“ zur Res-
47 48 49 50
Vgl. Möller, Traum, S. 85. Vgl. Gille, Cult, S. 6–7. Vgl. Köster, Hausmüll, S. 164. Vgl. Möller, Traum, S. 83. 51 Vgl. zum LKG Kap. I.1.2; „Nutzbarmachung und schadlose Beseitigung von Abprodukten“, 6. DVO vom 11. 9. 1975, Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 39, S. 662. 52 BArch, DK 5, Bd. 635, Teil 2, Bl. 59–72, hier Bl. 65, Erfassung der Interessenlage der DDR zur Aufnahme von Verhandlungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, in Anlage 3 zu Protokoll Nr. 47/73 vom 6. 11. 1973, Politbüro. 53 Vgl. Judt, Kommerzielle Koordinierung; Krewer, Geschäfte.
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sourceneinsparung erkennen.54 Sondermüll und giftiger Abfall fungierten zu der Zeit als gegenseitige Synonyme. Eine genaue Definition dessen, was diese „gefährlichen Abfallstoffe“ waren, gab es nicht. Das begünstigte ab Ende der 1970er Jahre unter anderem den weltweiten Handel mit den toxischen Abfallprodukten. Erst 1989 wurde im „Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung“ versucht, diesem Handel einen Riegel vorzuschieben.55 Aus wirtschaftlicher Perspektive handelte es sich bei dem Abfallexport aus der Bundesrepublik in die DDR also um eine klassische Win-win-Situation für beide Seiten. Die DDR brauchte Devisen und die Bundesrepublik hatte ein Müllproblem. Nur unter anderen Gesichtspunkten gerät dieser Aspekt in eine Schieflage. Wie ersichtlich werden wird, war der Müllhandel keineswegs für beide Staaten eine sichere Bank. Politiker beider Seiten waren gezwungen, sich neben den wirtschaftlichen Verträgen auch mit den Sorgen und Ängsten, insbesondere der westdeutschen Bevölkerung, auseinanderzusetzen. Des Weiteren gesellte sich zu diesem Thema Abfallhandel auch ein „Nichtwissen“ über das, was auf einer Mülldeponie passiert. Der Müllhandel zwischen Ost und West verkörpert so sichtbar wie kein anderes Umweltproblem die politischen Machtbeziehungen (Arndt/Müller), das zeitgenössische antizipierte Risiko der Gesellschaft (Beck) und die ökologische Kommunikation (Luhmann) in einem. Melanie Arndt stellte für die Umweltgeschichte allgemein fest, dass es immer um Herrschaftsbeziehungen und Ressourcen gehe. Simone Müller konkretisiert speziell für das Müllgeschäft, ob regional oder global, dass Deponien wiederum dort entstehen, wo die Wirtschaft schwach ist.56 Dabei konstituiert nach Nicolai Hannig die Prävention von Umweltgefahren Machtverhältnisse, weil sie dadurch Handlungsweisen kontrolliert und sanktioniert.57 Reichere Länder oder Regionen bezahlen für die Ressource „Stauraum von Abfallprodukten“, um sie nicht bei sich in der Nähe zu wissen. Diejenigen, die wiederum in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik neben einer Deponie lebten, nahmen sie spätestens zu die-
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Vgl. Declaration on Low- and Non-waste Technology and Reutilization and Recycling of Wastes, Annex III, in: Report of the High-Level Meeting within the Framework of the ECE on the Protection of the Environment, 13.–15. 11. 1979, May 1980, Vol. I, New York 1990. 55 Vgl. Müller, Rettet die Erde, S. 357; Meyer, Pushing, S. 58; Basel Convention on the Control of Transboundary Movements of Hazardous Wastes and Their Disposal, 22. 3. 1989, in URL: https://treaties.un.org/doc/Treaties/1992/05/19920505 %2012-51 %20PM/Ch_XXVII_03p.pdf [22. 5. 2022]. Vgl. zum gemeinsamen Lobbyismus von Bundesrepublik und DDR mit Großbritannien, Japan und den USA zur Abschwächung der Konvention: Meyerhoff/Petschow/Thomasberger, Umweltreport DDR, S. 84; Gerd Nowakowski, Bonner Ja für Giftmüllkonvention, in: taz, 12. 10. 1989, S. 4; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 121 f. 56 Vgl. Arndt, Umweltgeschichte, in URL: https://docupedia.de/zg/Arndt_umweltgeschichte_ v3_de_2015 [2. 5. 2022]; siehe auch Birgit Kruse, „Müll ist ein Machtinstrument“, Interview mit Simone Müller, in: SZ, 15. 7. 2019, in URL: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/ muenchen-muell-abfallexport-schwellenlaender-1.4520471 [22. 5. 2022]. 57 Vgl. Hannig, Suche nach Prävention, S. 41.
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ser Zeit zunehmend als Risikofaktor wahr und begannen darüber – meist ablehnend – zu kommunizieren. Dies griffen in ihren zeitgenössischen Theorien auch der Systemtheoretiker Niklas Luhmann in seiner „Ökologischen Kommunikation“ und der Soziologe Ulrich Beck in der „Risikogesellschaft“ auf, deren Werke beide 1986 erschienen waren. Nach Luhmann können die Teilbereiche Politik, Recht, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft nicht die Komplexität und Interdependenz der Ökologie durchdringen und miteinander darüber kommunizieren. Was dieses Vakuum seiner Meinung nach füllt, sei die Angst [vor der Katastrophe], die alle Systeme miteinander verbindet. Dabei beschreibe Angst einen selektiven Vorgang einer Gefahrennennung, ohne jedoch die technologischen Fortschritte einzubeziehen.58 Angst ist eine diffuse, aber „zukunftsorientierte Emotion“. Mit ihr werden Themen vorausgewählt, Bedeutungen verliehen, die auch nicht immer stimmen müssen, und kann politische Wirkung erzielt werden, insbesondere über die Umweltbewegung.59 Mit dem Begriff der „Angst“ ist Luhmann wiederum von der antizipierten Katastrophe Becks durch „Nichtwissen“ gar nicht so weit entfernt.60 Die Kombination aus „Nichtwissen“ und einer auf Deponien und Müllverbrennungsanlagen projizierten Gefahr erzeugte Ängste, die als wichtigster Treibstoff für die Proteste gegen diese Entsorgungsmethoden galten.61 Vorhandene Kontrollinstitutionen verloren einerseits an Glaubwürdigkeit, andererseits barg dieses „Nichtwissen“ die Möglichkeit zum Nachbessern, zur Selbstkorrektur und der Beteiligung von Bürgern. Die (westdeutsche) Gesellschaft wurde anhand der Deponiefrage also zum „Experimentierfeld“, so Historikerin Heike Weber, und die Frage lautete, wie am Schnittfeld von Technik, Wissenschaft, Ökonomie und Ökologie gehandelt und Veränderungsprozesse herbeigeführt werden konnten.62 Aus der „ökologischen Kommunikation“ innerhalb des Systems Bundesrepublik und der antizipierten Gefahr heraus etablierte der westdeutsche Umweltdiskurs über den Müllexport eine „grenzübergreifende Zwangskommunikation“ 63 mit der DDR. Zwar mag das auch auf andere Umweltprobleme zwischen beiden Staaten zutreffen, doch im Gegensatz zur Luft- oder Gewässerverschmutzung mit handfesten Daten, aber flüchtigen Umweltmedien, war die ostdeutsche Deponie in Schönberg ein unbeweglicher Ort, dafür mit fluktuierenden, hypothetischen Gefahrenvorstellungen. Die These für dieses Kapitel lautet deshalb, dass westdeutscher Protest, ausgelöst durch Ängste vor potenziellen Risiken, die „ökologische
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Vgl. Luhmann, Ökologische Kommunikation, S. 52, 75–100, 137, Angst auf S. 177; Ein Theoretiker der neuen Göttin Angst. Spiegel-Redakteur Nikolaus von Festenberg über Niklas Luhmanns „Ökologische Kommunikation“, in: Der Spiegel, Nr. 41, 6. 10. 1986, S. 111–117; Steinmetz, Landeskultur, S. 178. 59 Vgl. Biess, Republik der Angst, S. 27–36. 60 Vgl. Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 254 f., 317, seine Kritik an Luhmann, S. 344 f. 61 Vgl. Köster, Hausmüll, S. 245; siehe auch Beck, Welt-Risikogesellschaft, S. 335. 62 Vgl. Weber, Von wild zu geordnet, S. 121; Glaubwürdigkeitsverlust bei Beck, Welt-Risikogesellschaft, S. 317. 63 Vgl. Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 353.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Kommunikation“ mit der DDR einforderte und den Müllhandel somit administrativ in beiden Staaten mit der Umweltpolitik verknüpfte. Man könnte sagen, es fand eine Art „Ökologisierung“ des Deals auf beiden Seiten statt, eine Hinwendung zur umweltpolitischen Verwaltung eines durch die Wirtschaft verursachten „Umweltproblems“. Hierbei geht es vorrangig also nicht darum, ob die DDR hochtoxischen Müll annahm und wer dafür bezahlte, sondern wie beide Seiten miteinander darüber kommunizierten und verhandelten, was erlaubt sei; wie sie interagierten, welche Motivation sie jeweils antrieb und welchen Wandel das in dem jeweiligen Land hervorrief. Sprich, wie kam es dazu, dass Germelmann eingangs von einem „neu“ zu regelnden Umweltproblem sprach?
2.1 Von Berlin nach Schönberg — ein Geschäft mit Tradition Das Geschäft mit dem Müll zwischen beiden deutschen Staaten begann in der geteilten Stadt Berlin. Auch hier ließ sich der westdeutsche Abfall-Trend am Hausmüllvolumen West-Berlins ablesen: Dort wuchs es von 995 000 m³ im Jahr 1950 auf 1 650 000 m³ im Jahr 1959. Bis zum Jahr 1970 stieg der Wert auf 2 763 800 m³ an.64 Für die West-Enklave in kommunistischer Umgebung gestaltete es sich zunehmend schwieriger, Deponien einzurichten oder Müllverbrennungsanlagen zu bauen. Damit hätte der Senat den West-Berlinern entweder freien Raum im raren Grünen wegnehmen oder die Menschen in der Nachbarschaft den Emissionen aussetzen müssen. Mit dem Aufkommen von Umweltgruppen in den 1970er Jahren sah sich der Senat einer streitfreudigen Opposition gegenüber, die solche Projekte in ihrer Nähe ablehnte. Proteste gegen Mülldeponien verliefen nahezu alle nach dem Prinzip NIMBY – ein Akronym für „Not in my Backyard“, zu Deutsch: Sankt-Florian-Prinzip. Es bedeutet, Probleme nicht zu lösen, sondern in andere Bereiche zu verlagern. Die Verhandlungen des Senats mit anderen Bundesländern oder mit Polen blieben aufgrund von Kapazitätsmangel oder Grundwassergefährdungen erfolglos. Deshalb unterstützte die Bürgerinitiative „Grüne Hand“ den Berliner Senat in dem Vorhaben, nicht-verwertbaren Haus- und Industriemüll in die DDR zu bringen.65 Damit wurde West-Berlin zum Vorreiter im deutsch-deutschen Müllgeschäft. Nach einem Kurzfristvertrag 1972 über ein Jahr schlossen die Firmen Berlin Consult (BC) aus West-Berlin und Bergbau-Handel GmbH (BBH) aus der DDR im Rahmen des Interzonenhandelsabkommens einen Folgevertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren (1975–1994), den sogenannten „Langfristvertrag“. Darin verpflichtete sich die DDR, Siedlungsabfälle, Bodenaushub und Bauschutt sowie flüssige Abfälle in entwässerter Form und Sonderabfälle, also Giftmüll – ausgenommen der von höchster Toxizität – abzunehmen. Von den ursprünglich geforderten 41 DM pro Tonne handelte BC die andere Seite auf 25,7 DM pro Tonne herunter. 64 65
Vgl. Park, Müllkippe, S. 44, 79; Park, „Langfristvertrag“, S. 74. Vgl Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 68; Park, Müllkippe, S. 78, 81–85.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
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Dafür erhielt die DDR die Zusatzkonditionen einer jährlichen Preiskorrektur auf Grundlage der Teuerungsrate in der Bundesrepublik, westdeutsche Deponieausrüstung und 90 Prozent der Devisen in Vorauskasse.66 Für ca. 115 Mio. Tonnen Abfallstoffe aus West-Berlin erwartete das Politbüro etwa 1,35 Mrd. VM. Da die DDR die benötigten Materialien und Fahrzeuge nicht hatte, stellte sie West-Berlin im Wert von 100 Mio. VM zur Verfügung. Die Rückzahlungen dieser Investitionen verrechnete die DDR-Seite über die Preise, sodass die SED-Führung mit einem Nettoergebnis von 1,25 Mrd. VM im Jahr 1994 kalkulierte.67 Die DDR wollte auch hier einen Staatsvertrag mit dem Senat entsprechend ihrer Auffassung vereinbaren, dass West-Berlin eine dritte politische deutsche Einheit sei. Für die westdeutsche Seite wiederum hätte Berlin Teil eines zwischen der Bundesrepublik und der DDR geschlossenen politischen Vertrages sein müssen. Um diese komplexe Berlin-Frage zu vermeiden, handelte es sich um ein rein kommerzielles Übereinkommen. So wurden beispielsweise statt eines politischen Vertrages bei dem wirtschaftlichen Kurzfristvertrag Briefe zwischen Senat und DDR-Außenhandelsministerium ausgetauscht, welche die Zahlungen für ein Jahr garantieren sollten.68 Ganz konfliktfrei verlief die Gelände-Verpachtung in Groß-Ziethen nach Abschluss des Kurzfristvertrags 1972 an die Berliner Stadtreinigung (BSR) jedoch nicht. Eine Ortsgruppe des Anglerverbands der DDR forderte die Veröffentlichung des Vertrages, da die Deponie ohne Entschädigung auf einem Erholungsgebiet entstand, das bis dahin für Strandfeste und Jugendversammlungen genutzt worden war.69 Die BSR verpflichtete sich zwar zum „Bewahren dieses Gebiets“,70 aber über mögliche Folgeschäden musste neu verhandelt werden.71 Für die Erfüllung des Langfrist-Vertrags errichtete die DDR mit Hilfe der Firma BC drei Deponien in Schöneiche, Vorketzin und Deetz, ausschließlich für West-Müll. Die einzige Bedingung war, dass der Grundwasserspiegel mindestens zwei Meter unter der
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Vgl. Park, Müllkippe zur Abfallwirtschaft, S. 86, 88 f. Neu im Vergleich zur Abnahme von Bauschutt etc. in den 1950er Jahren war die Bezahlung in Valuta-Mark (VM): PA AA, ZA, B 2, Bd. 197, Vermerk zur Verbringung von Westmüll in die DDR des StS Karsten Rohwedder, BMWi, 26. 9. 1972. 67 Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023/1440, Bl. 46 f., Politbürobeschluss vom 30. 4. 1974, Abfallstoffe Westberlin; Bl. 10–12, Information über den Stand der Vertragsverhandlungen zum Abschluß eines 20-Jahres-Vertrages über die Beseitigung von Abfallstoffen aus Westberlin auf dem Territorium der DDR. Schätzung Gesamteinnahmen ca. 1,25 Mrd. VM: Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 71; ca. 1,195 Mio. VM, aber vmtl. keine Rekonstruktion mehr möglich: Krewer, Geschäfte, S. 226. 68 Vgl. Joachim Nawrocki, Müll für Millionen, in: Die Zeit, 3. 11. 1972, in URL: https://www. zeit.de/1972/44/muell-fuer-millionen [22. 5. 2022]; Alisch, Insel, S. 389; Park, Müllkippe, S. 86. 69 Vgl. Park, Müllkippe, S. 87. 70 PA AA, ZA, Bd. 109269, Gesprächsprotokoll über Fragen der Gebietspacht für Zwecke der Abfallbeseitigung, Drahtbericht, Dr. Mitdank, 9. 4. 1973. 71 Vgl. PA AA, MfAA, M 42, ZR 465/10, Briefwechsel zwischen dem Ministerrat der DDR und dem MfAA, Dr. Mitdank, mit dem Senator für Finanzen, Heinz Striek (SPD), 27. 10. 1972.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Deponie liegen müsse.72 Die Verbringung toxischer Abfälle wurde noch einmal gesondert verhandelt.73 Im Jahr 1978 nahmen die DDR-Deponien etwa 46,7 Prozent des Gesamtabfalls von West-Berlin an, bis zum Jahr 1981 stieg dieser Anteil auf 78,1 Prozent.74 Der Senat lobte in mehreren Sitzungen 1976, 1978 und 1980 den Langfristvertrag als ein positives Abkommen für die Umwelt, da ohne ihn in West-Berlin zweifellos Schädigungen eingetreten wären. Bedenken kamen öffentlich kaum zur Sprache. Einzig Peter Boroffka (CDU), Mitglied des Abgeordnetenhauses, kritisierte den Vertrag hinsichtlich der im Müll enthaltenen Rohstoffe: Es sei für Berlin peinlich, wenn es diese als Müll in die DDR transportiere und als teure Produkte wieder zurückbekäme.75 Tatsächlich sammelten die Werktätigen auf den für West-Müll angelegten DDRDeponien während des Arbeitsprozesses und an den Wochenenden Metallschrott, um ihn der Verwertung zuzuführen.76 Die DDR-Bevölkerung führte diese Ressourcen dem seit den 1960er Jahren bestehenden VEB Kombinat „Sekundär-Rohstofferfassung“ (Begriff ab 1967), kurz SERO, mit mehreren Sammelannahmestellen zu. Im SERO-System wurde die viel propagierte „Einheit von Ökonomie und Ökologie“ ersichtlich. Die terminologische Neubewertung des Abfalls als „Abprodukt“ oder „Sekundärrohstoff “ sollte dabei helfen, neue Stoffkreisläufe zu schaffen und zu optimieren. Dabei hieß SERO nicht gleich „Wiederverwertung“, sondern bestand oftmals nur in einem Warten auf eine „neue stoffliche Funktion“, weshalb die Materialien gelagert oder doch deponiert wurden.77 Der Preisanstieg auf den Rohstoffmärkten zwischen 1973 und 1975 veranlasste die DDR-Regierung, ihr SERO-System verstärkt auszubauen. Darüber hinaus wurde ab 1976 die Entscheidungsgrundlage für Investitionen für Sekundärrohstoffe denen für Primärrohstoffe quasi gleichgestellt.78 Die hohen Weiternutzungsraten und demzufolge ein geringereres Müllaufkommen ist nicht nur typisch für sozialistische Staaten, sondern allgemein für ärmere Länder.79 Im Müll der westlichen Überflussgesellschaft sah die DDR-Führung für sich eine finanzielle Profitchance. In einem Schreiben an Honecker plädierte Mittag deshalb 1979 dafür, möglichst zügig weitere Abfallstoffe abzunehmen, um „die gegenwärtige Konkurrenzsituation auf dem BRD-Markt voll zugunsten der DDR
72 73
Vgl. Park, Müllkippe, S. 90. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023/1440, Bl. 149–151, Schreiben des Ersten Sekretärs des Kreises Potsdam, Günther Jahn, an Günter Mittag, 6. 4. 1976. 74 Vgl. Park, Langfristvertrag, S. 80. 75 Vgl. o. V., Contra von der CDU?, in: Information. Umweltschutzforum, Nr. 7, 1973, S. 12–18, hier S. 17, zit. nach Park, Langfristvertrag, S. 91. 76 Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023/1440, Bl. 349–350, Information zum Anfall von Sekundärrohstoffen in Realisierung des Langfristvertrages mit West-Berlin, AG für Organisation und Inspektion beim Ministerrat, 9. 5. 1980. 77 Vgl. Möller, Traum, S. 64. 78 Vgl. Knauer, Abfallwirtschaft, S. 448. 79 Vgl. Dominick, Environmental Protection, S. 319; Guha/Martinez-Alier, Varieties, S. 64.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
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nutzen zu können“.80 Als Deponie wurde ein Gebiet fünf Kilometer von der innerdeutschen Grenze und etwa 14 Kilometer von der Stadt Lübeck entfernt gefunden: der Ihlenberg nahe der Stadt Schönberg. Ursprünglich war das Gebiet für den Abbau und Verkauf von Kies an die Bundesrepublik erkundet worden. Die Qualität des Kieses entsprach allerdings nicht den westlichen Baustoffanforderungen. Um dennoch Valuta-Einnahmen zu sichern, schlug Mittag auf dem Geschiebemergel den Bau einer geordneten Deponie zur Aufnahme von Bauschutt, Schlämmen und Aschen vor. Hierfür wollte er Langfristverträge zur Abfallabnahme mit Lübeck und Hamburg aushandeln.81 Am 30. Januar 1979 beschloss das Politbüro die Errichtung einer Deponie bei Schönberg, und Devisenhändler Alexander Schalck-Golodkowski erhielt die Verantwortung für die Müllgeschäfte.82 Reichelt wiederum oblag mit seinem Ministerium offiziell die ökologische Kontrolle der Deponie. Im April 1979 folgte ein Vertrag über die Verbringung von Baustoffen zwischen den Firmen Hanseatischer Baustoffkontor GmbH (HBK) aus Lübeck und der BBH, aus dem Bereich KoKo des DDR-Außenhandelsministeriums. Weitere Verträge mit Hamburg über den ausgebaggerten Hafenschlick und der Firma Hoechst aus Hessen über ihren Sondermüll folgten im Laufe der 1980er Jahre.83 Insgesamt erwirtschaftete die DDR hier allein mit den Abfällen aus der Bundesrepublik zwischen 1979 und 1989 etwa 211 Mio. DM.84 Eine Tonne Müll kostete die westdeutschen Müllunternehmer zwischen 50 und 140 DM. Der DDR-Preis bezog sich jedoch, wie schon zuvor in Berlin, sowohl auf den Haus- als auch auf den Sondermüll. Das machte vor allem den Sondermüll vergleichsweise günstig und seine Entsorgung in der DDR umso attraktiver. Zum Vergleich wurden in der Bundesrepublik Gebühren zwischen 60 und 80 DM pro Tonne Hausmüll verlangt. Für Giftmüll bezahlten die Entsorger in der Bundesrepublik in der Untertagedeponie Herfa-Neurode etwa 174,20 DM und auf der Deponie Münchehagen 98 DM pro Tonne. Die Verbrennung von Sondermüll kostete etwa 300 DM pro Tonne.85 Adolf Hilmer, der Geschäftsführer des 80
Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Vorbereitung eines langfristigen Vertrages über die Beseitigung von Abfallstoffen aus der BRD (Lübecker und Hamburger Raum) auf dem Territorium der DDR sowie die weitere Vorbereitung von Kieslieferungen in die BRD aus Vorkommen unmittelbar im Grenzbereich der DDR, Mittag an Honecker, 23. 1. 1979, in: BArch-SAPMO, DY 3023/1440, Bl. 277–287, hier S. 282. 81 Vgl. ebenda. 82 Vgl. Krewer, Geschäfte, S. 217. 83 Vgl. BArch, DK5, Bd. 753, Hausmitteilung des AL Umweltschutz, Herrmann, an Minister Reichelt, 31. 10. 1984. Siehe zu den Müllieferungen aus Hamburg und Hessen Kap. III.2.4. und Kap. IV.4.2. 84 Vgl. Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 201. 85 Vgl. Richard Gaul und Wolfgang Gehrmann, Im Giftschrank wird aufgeräumt, in: Die Zeit, 29. 4. 1983, URL: https://www.zeit.de/1983/18/im-giftschrank-wird-aufgeraeumt [22. 5. 2022]. Erich Maletzke, Müll statt Marzipan. Lübeck wehrt sich gegen den „Darmausgang der Nation“, in: Die Zeit, 7. 3. 1986, in URL: https://www.zeit.de/1986/11/muell-statt-marzipan [22. 5. 2022]; Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 822. Siehe auch BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 3, Verbringung von Abfällen aus NRW in die DDR, Gespräch mit Vertretern des Kommunalverbandes Ruhrgebiet KVR am 10. 8. 1982, Dr. Wolbeck, Ref U II 6.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Hanseatischen Baustoffkontors pries die ostdeutschen Preise als insgesamt „marktgünstiger“ als diejenigen in der Bundesrepublik,86 was der Deponie Schönberg unter anderem den Ruf einbrachte, Müll für Dumping-Preise zu beziehen. Gerade die günstigen Preise waren einer der Gründe, weshalb Kritiker des Müllgeschäfts misstrauisch wurden.
2.2 „Zu hilf’, ihr Leut’, schreit Protest, aus Schönberg kommt die neue Pest“ 87 Sofort nach Bekanntwerden des millionenschweren Müll-Deals berichtete „Der Spiegel“ in einer kleinen Notiz, dass die DDR die größte Sondermülldeponie Europas an der innerdeutschen Grenze nahe Lübeck plane – „vermutlich auch [für] hochgiftigen Müll“.88 Als die ersten LKW über die Grenze rollten, waren die Lübecker und Schlutuper bereits alarmiert. Zunächst stand der Lärm des stärkeren Verkehrs durch den kleinen Grenzort Schlutup in der Kritik. Hinzu gesellte sich die Angst um das Trinkwasser: Sickerwässer würden in die Mulde geraten, diese fließe über den Pahlinger Mühlenbach in die Wakenitz und gefährde somit die Lübecker Trinkwasserversorgung.89 Die mangelnde Transparenz in der Genehmigung von Mülltransporten brachte schließlich das Fass der Kritik zum Überlaufen.90 Noch Anfang der 1980er Jahre vermutete das MfS hinter den westlichen Bedenken und kritischen Stimmen aus den Medien eine „Verleumdung“ durch den Deponie-Betreiber in Hoheneggelsen in Niedersachsen aufgrund der Konkurrenzsituation mit den bundesdeutschen Deponien.91 In Reaktion auf den „Spiegel“Artikel hatte KoKo-Chef Schalck gegenüber dem Wirtschaftssekretär im ZK der SED Mittag klarzustellen, dass es keine Verhandlungen über „hochgiftigen Müll“, sondern nur über Bauschutt, Flugaschen, Salze, Schlacken und Hausmüll gegeben
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Vgl. o. V., Günstiger Markt, in: Der Spiegel, Nr. 7, 9. 2. 1981, S. 86, 89, hier S. 86. Vgl. o. V., Müll-Totentanz über Schönberg, in: LN, Lokalausgabe Bad Schwartau, 9. 3. 1986, S. 13. 88 Vgl. o. V., DDR nimmt Giftmüll ab, in: Der Spiegel, Nr. 48, 27. 11. 1979, S. 14 f. Die Größe der Deponie betrug etwa 168 ha: AGG/A – Bestand Fischer/92, Stellungnahme Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA), Oktober 1989, eingegangen bei Fischer am 5. 12. 1989; 200 ha in: o. V., Grube ohne Grenze, in: Der Spiegel, Nr. 29, 18. 7. 1983, S. 46–48, hier S. 46; 250 ha in: AGG, B.II.1., Bd. 890, Rudolph Borchers, Gesamtdeutscher Dreck, Rheinischer Merkur, 11. 5. 1984. 89 Vgl. BArch, B 288, Bd. 380, Schreiben des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (MELF) Schleswig-Holsteins Günter Flessner an den Staatsminister im BKAmt HansJürgen Wischnewski, 6. 8. 1982. 90 Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Schreiben des Vorstands des Gemeinnützigen Vereins LübeckSchlutup e. V. im Juli 1979, im Schreiben des PStS beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Björn Engholm an den PStS beim Bundesminister für Wirtschaft Martin Grüner, 26. 7. 1979. 91 Vgl. Krewer, Geschäfte, S. 219.
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habe.92 In einer weiteren Information heißt es, dass zwar Valuta-Einnahmen durch die Aufnahme von Abfall erhöht werden sollen. Dies galt es jedoch mit dem Abschluss von Verträgen mit möglichst vielen Abfallzulieferern aus dem gesamten Bundesgebiet zu erreichen, unter der Voraussetzung, dass keine „Gefährdung der Umwelt“ eintrete. Hochgiftige und radioaktive Stoffe wurden deshalb ausgeschlossen.93 Ab Dezember 1981 wurde die Deponie allerdings soweit ausgebaut, dass ab Mai 1982 tatsächlich mit der Ablagerung von hochtoxischen Stoffen sowohl aus allen acht Bezirken der DDR als auch aus dem Ausland begonnen werden konnte.94 Ungeachtet dessen, ab wann genau Giftmüll in Schönberg deponiert wurde, bahnte sich mit der Notiz im „Spiegel“ ein Konflikt an, dessen Wurzeln in den Giftmüll-Skandalen der 1970er Jahre in der Bundesrepublik zu verorten sind. 1971 hatte sich herausgestellt, dass im Bochumer Stadtteil Gerthe illegal Natriumcyanid abgelagert worden war. Zwei Wochen zuvor hatte bereits ein Giftmüllskandal um arsenhaltige Rückstände und ihre illegale Deponierung auf 19 oberirdischen Hausmüll-Deponien die Republik erschüttert.95 Im Jahr 1973 begann ein eifriges Suchen nach toxischen Substanzen auf den hessischen Mülldeponien, nachdem bekannt wurde, dass der Giftmüllhändler und Fuhrunternehmer Siegfried Plaumann den Produktionsabfall von Chemiewerken im Rhein-Main-Gebiet eingesammelt und illegal auf Hausmüll-Deponien oder in Gewässern entsorgt hatte.96 Es fehlte an Entsorgungsmöglichkeiten und Infrastrukturen, die den Gesetzen und Bestimmungen in der Bundesrepublik entsprachen. Die Unternehmen wollten ihre toxischen Reste loswerden, während die Kommunen deren Annahme auf den lokalen Deponien zunehmend verweigerten.97 Das Abfallwirtschaftsgesetz regelte nicht den Verbleib giftiger Abfälle. Verursacher dieser Giftmüll-Skandale konnten deshalb nur selten wegen der Umweltschäden zur Rechenschaft gezogen werden – Plaumann beispielsweise wurde wegen Betruges belangt. Zudem beflügelte die Korruption von jeher das privatwirtschaftliche Geschäft.98 Für internationale Schlagzeilen sorgte außerdem der Giftmüll-Skandal von Love-Canal (USA) im
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Vgl. BArch-SAPMO, DY 3032/1440, Bl. 346 f., Stellungnahme zu der Veröffentlichung in der Zeitschrift „Der Spiegel“ vom 26. 11. 1979 „DDR nimmt Giftmüll ab“, Schalck an Mittag, 27. 11. 1979. 93 Vgl. BArch-SAPMO, DY 3032/1440, Bl. 356–360, Information über die Abnahme von Abfallstoffen aus der BRD und Westberlin durch die DDR sowie Vorschläge über Möglichkeiten der Erhöhung von Valutaeinnahmen aus der weiteren Abnahme von Abfallstoffen, o. V., o. D. [vmtl. 1980]. 94 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 2110, Vorlage für die 20. Tagung des Beirates für Umweltschutz beim Ministerrat der DDR, Thoms, 28. 12. 1981. 95 Vgl. o. V., Vorne rein, hinten raus, in: Der Spiegel, Nr. 34, 16. 8. 1971, S. 59; o. V., „So’n helles Zeug wie Salz“, in: Der Spiegel, Nr. 49, 27. 11. 1972, S. 91 f. 96 Vgl. o. V. „Hier tickt eine Zeitbombe“, in: Der Spiegel, Nr. 40, 1. 10. 1973, S. 24–32, hier S. 24; o. V., Eindruck gemacht, in: Der Spiegel, Nr. 45, 3. 11. 1975, S. 54–60. 97 Vgl. Köster, Hausmüll, S. 203–208. Siehe zum Implementationsdefizit: Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 94. 98 Vgl. Köster, Hausmüll, S. 310.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Jahr 1978, der in umweltbewussten Kreisen zum Warnsignal avancierte. Auf einem Gelände, auf dem ehemals hochtoxischer Abfall gelagert und vergraben wurde, baute die Stadt eine Schule und Wohnsiedlungen. Nach einiger Zeit erkrankten die Menschen überproportional häufig an Krebs und anderen Leiden. Damit wurde Love Canal neben seiner ökologischen Tragödie zum Symbol für Firmenverantwortungslosigkeit, Regierungsversagen und die Geburtsstunde von Umweltfirmen.99 Neben vergangenen Giftmüllskandalen in der Bundesrepublik prägte insbesondere der Seveso-Skandal von 1976 die Wahrnehmung von Intransparenz im Müllgeschäft. Nach einer Explosion in der Chemiefabrik Icmesa, nahe der Stadt Seveso in Italien, sollten 41 Fässer mit dioxinverseuchten Überresten entsorgt werden. Durch eine Anfrage von Greenpeace im März 1983 kam heraus, dass die Fässer bereits seit September 1982 verschwunden waren.100 Es folgte eine internationale Suche nach den Fässern, die auch diplomatische Anfragen einschloss, da die Vermutung im Raum stand, sie wären in Schönberg in der DDR gelandet: So beantwortete Reichelt ein französisches Ersuchen damit, dass sein Ministerium die 14 Anträge der mit Seveso zusammenhängenden Firma Spedilec wegen des hohen Schadstoffgehaltes abgelehnt hatte.101 Auch „Der Spiegel“ vermutete, dass Genehmigungen für Schönberg nicht oder noch nicht erteilt wurden.102 Am 19. Mai 1983 fanden Beamte die Behälter schließlich auf einem nicht mehr in Betrieb befindlichen Schlachthof in dem Dörfchen Anguilcourt-le-Sart im Norden Frankreichs. Sie wurden im Juni 1985 in Basel in einem Spezialofen der Firma CibaGeigy verbrannt.103
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Vgl. Colten/Skinner, Road to Love Canal, S. 1, 151–154, 157–161; o. V., Ich will weit weg, in: Der Spiegel, Nr. 22, 26. 5. 1980, S. 142. Vgl. o. V., Verschweigen, Abwiegeln und Dementieren, in: Der Spiegel, Nr. 22, 30. 5. 1983, S. 30; Dioxin: Chronik des Giftmüll-Skandals, in: Die Zeit, 15. 4. 1983, in URL: https://www. zeit.de/1983/16/dioxin-chronik-des-giftmuell-skandals [22. 5. 2022]; siehe auch Wolfgang Gehrmann, Die Bosse giften sich an. Hoffmann-La Roche und Mannesmann streiten um die Schuld am Giftmüll-Fall, in: Die Zeit, 10. 6. 1983, in URL: https://www.zeit.de/1983/24/diebosse-giften-sich-an [22. 5. 2022]. Vgl. PA AA, MfAA, M 44, ZR 44–09, Brief von Huguette Bouchardeau, Sécretaire d’Ètat chargée de l’environnement et de qualité de la vie an Hans Reichelt, 7. 4. 1983, und sein Antwortschreiben vom 3. 5. 1983; kleiner Dienstweg bei Zimmermann, Kabinettstücke, S. 255. Siehe zur Ablehnung von 20 Mülllieferungen im Jahr 1982: BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Vermerk über die Sonderabfalldeponie Schönberg, Besichtigung durch Behördenvertreter und Journalisten am 28. 10. 1983, MELF, Referat VIII an Verteiler, u. a. Senator Egon Hilpert (SPD Lübeck), Verwaltungsdirektor der Hansestadt Lübeck Wolfgang Maaß, Dr. Kaysers (BKAmt/StäV), Hansjürgen Kreft (BMI), Manfred Johnen (BMIB), 22. 11. 1983. Vgl. o. V., Verschweigen, Abwiegeln und Dementieren, in: Der Spiegel, Nr. 22, 30. 5. 1983, S. 30. Vgl. Bundesamt für Umweltschutz u. a. (Hrsg.): Verbrennung dioxinhaltiger Abfälle aus Seveso: Schlußbericht der Expertenkommission vom 7. Mai 1986, Bern 1986; Die Fässer von Seveso, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 23. 9. 2007, S. 4, in URL: https://www.nzz.ch/die_ faesser_von_seveso-1.559284 [29. 11. 2020]; Uekötter/Kirchhelle, Seveso, S. 324; o. V., Lächerliches Öfeli, in: Der Spiegel, Nr. 21, 21. 5. 1990, S. 75–79, hier S. 77. Dennoch hält sich der Mythos, dass der Seveso-Abfall nach Schönberg gelangt sei, noch heute: Vgl. Köster, Hausmüll, S. 280; Baerens/Arnswald, Müll-Connection, S. 41 f.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
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Nach den verschwundenen Fässern von Seveso erschütterte ein weiterer Skandal die Republik im Westen: Eine ihrer größten Mülldeponien, die Kippe Georgswerder in Hamburg, wurde seit Jahrzehnten mit Sondermüll – so auch dioxinhaltigem Industriemüll – beschickt. Ende des Jahres 1983 kam heraus, dass toxische Sickerwässer den Berg verließen und die Umwelt verseuchten. Die giftigen Ausgüsse des „Monte Mortale“ wurden in Fässern gesammelt und vorübergehend eingelagert.104 Die Kritik richtete sich auch gegen die Firma Boehringer, die seit 1955 über die hochgiftige Eigenschaft von Dioxin Bescheid wusste. Nach dem Skandal stellte sie letztlich ihre Pflanzenschutzmittelproduktion (Lindan, T-Säure – u. a. Bestandteil von Agent Orange) in Hamburg ein und schloss schließlich den Betrieb ganz.105 Darüber hinaus wurden nun auch die Müllverbrennungsanlagen bemängelt, bei denen in der Asche Dioxine übrig bleiben können.106 Das „Ultra-Gift“ 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin (TCDD), eine hochtoxische, organische Chlorverbindung, umgangssprachlich (Seveso-)Dioxin genannt, wurde das Schlagwort der westdeutschen Umweltbewegung. Als Xenobiotika, Substanzen, die der Natur fremd sind, galten Dioxine und Furane als die gefährlichsten bekannten Stoffe. Erstere bauen sich in der Luft erst nach 50 bis 100 Tagen, im Boden erst nach 123 Jahren ab. Es mutierte zum Sinnbild der Kritik an einer auf Chemie basierenden Produktions- und Lebensweise und stand zugleich für den Vertrauensverlust in Umweltpolitik und Krisenmanagement der Region.107 Die mit den Giftmüllskandalen einhergehenden Sorgen der Bevölkerung übertrugen sich nicht nur auf Hausmüll und anderweitige Deponien in der Bundesrepublik, sondern auch auf die Sondermülldeponie in Schönberg in der DDR. Dazu trug auch eine ungenaue Berichterstattung der Medien bei, die oftmals die gesamte Lieferung als Giftmüll darstellte, ohne zwischen Haus-, Industrie- und Sondermüll zu differenzieren.108 Die Ereignisse um Seveso, Georgswerder und Boehringer verstärkten noch einmal die Stimmung der Bevölkerung Lübecks gegen die nahe gelegene Mülldeponie auf der anderen Seite der Grenze: So fasste ein Bericht des BMI die Artikelserie „Deponie Schönberg – eine Zeitbombe?“ der „Lübecker Nachrichten“ (LN) von Anfang März 1983 folgendermaßen zusammen: Neben dem Anspruch der Bürgerinitiative, die ostdeutsche Mülldeponie müsse westli-
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108
Vgl. o. V., Blutender Berg, in: Der Spiegel, Nr. 51, 19. 12. 1983, S. 26 f. Vgl. Reiner Klingholz, Hamburger Gift-Grube. Dioxin satt, in: Die Zeit, 13. 1. 1984, in: URL: https://www.zeit.de/1984/03/dioxin-satt [22. 5. 2022]; o. V., Eine unselige Geschichte, in: Der Spiegel, Nr. 48, 23. 11. 1992, S. 64–67; Cordt Schnibben, Der Tod aus Ingelheim, in: Der Spiegel, Nr. 32, 5. 8. 1991, S. 106–120. Siehe auch die Dokumentation: Schnibben, Cordt/Königstein, Horst, „Hamburger Gift. Eine Weltreise“, basierend auf der Spiegel-Reportage von Cordt Schnibben, NDR, 1992, in URL: https://www.youtube.com/watch?v=UJv3fKxE6Ms& list=PL09A9B9A0FBD2D44C [22. 5. 2022]. Vgl. Köster, Hausmüll, S. 257, 282. Vgl. ebenda, S. 282; Uekötter/Kirchhelle, Seveso, S. 322; Grassmuck, Volker/Unverzagt, Christian: Das Müll-System, Frankfurt am Main 1991, S. 174; Cordt Schnibben, Der Tod aus Ingelheim, in: Der Spiegel, Nr. 32, 5. 8. 1991, S. 106–120, hier S. 120. So z. B. in: o. V., Tödliche Zeitbombe für Ost und West, in: Neue Ruhr Zeitung, Essen, 28. 8. 1986, Nr. 199.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
chen Ansprüchen genügen, sei gleichzeitig auch ein dramatisierender Umschwung in der Sprache erfolgt: Aus der Feststellung in den Akten, dass eine Trinkwassergefährdung nicht ausgeschlossen werden könne, wurde im öffentlichen Sprachgebrauch: „das Grundwasser im grenznahen Raum ist konkret gefährdet“. Die mangelnde Kontrolle der Stoffe, die zunehmende Menge, der Transport und die unzureichende Nachsorge seien nicht hinnehmbare Risiken, deshalb forderten die Lübecker Initiativen, Transportgenehmigungen zu stoppen, auf die anderen Länder einzuwirken, keinen Müll nach Schönberg zu verschicken und letztlich mit der DDR sowohl über die Schließung als auch den restlosen Abbau der Deponie zu verhandeln.109 Bis auf den reißerischen Titel geht die Artikelserie jedoch sachlich den einzelnden Punkten nach, stellt Aussagen der Müllunternehmer und Umweltbehörden den Forderungen der Umweltschützer gegenüber und zieht schließlich das Fazit, die Deponie sei sicher.110 Gefüttert wurde der Protest durch ständig neue Erkenntnisse der Forschung zu Deponien beziehungsweise von der Erkenntnis eines „Nichtwissens“ darüber, was im Deponiekörper vor sich geht. Immer wieder kam es durch die neue Zusammensetzung des Mülls (Batterien, Haushaltschemikalien etc.) zu Bränden auf Müllplätzen oder zu Störungen der Wasserwirtschaft. Ende der 1960er Jahre setzte sich aufgrund von hygienischen und ästhetischen Einwänden, der Grundwasserverseuchung und geringer werdender Flächen die „geordnete Deponie“ gegenüber den „wilden“ durch. Für sie musste der Untergrund wasserwirtschaftlich, hydrogeologisch und grundbautechnisch auf seine Eignung untersucht, Sickerungsanlagen und Löschsysteme installiert und der Müll mit Fahrzeugen verdichtet werden.111 In den 1970er Jahren setzte ein Verwissenschaftlichungs- und Technisierungsprozess ein. Das bedeutete, die Akteure waren fortwährend mit neuen, unvorhergesehenen Problemen konfrontiert, wie anaeroben Zersetzungen, Methangasen, dem Absacken des Deponiekörpers und wiederum dem Auftreten von Sickerwasser; sie mussten ihre Erkenntnisse neu ausrichten. Soziologen sprachen daher vom „Realexperiment“, das über die Lern- und Nachbesserungsprozesse an der Gesellschaft erprobt wurde. Das Nichtwissen über den Zustand von Deponien gestanden sich die Fachleute in den 1970er Jahren noch nicht ein. Sie glaubten an die Reinigungskraft des Bodens und eine Verdichtung des Abfalls mit Planierraupen. Erst im darauffolgenden Jahrzehnt – möglicherweise aufgrund der Auseinandersetzungen um die Deponie in Schönberg – verschwand die Annahme, Deponien langfristig kontrollieren zu können.112
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Vgl. BArch B 295, Bd. 37001, Sondermülldeponie Schönberg/DDR – eine Zeitbombe für die Bevölkerung im Lübecker Raum, o. V., o. D. [vmtl. März 1983]. Vgl. „Deponie Schönberg – eine Zeitbombe?“, eine Serie in den LN von Holmar Knörzer und Torsten Teichmann: Giftmüll lagert über Wasserreservoir (1), 27. 2. 1983, S. 3; „EiszeitRinne“ als Giftbollwerk? (2), 1. 3. 1983, S. 3; Die Transporterlaubnis ist Ländersache (3), 2. 3. 1983, S. 3; Freie Fahrt für Sondermülltransporte (4), 3. 3. 1983, S. 4; Sorge: Gerät Giftmüllberg außer Kontrolle? (5), 4. 3. 1983, S. 3. Vgl. Köster, Hausmüll, S, 174, 188; Weber, Von wild zu geordnet?, S. 136 f., 141. Vgl. Weber, Von wild zu geordnet?, S. 119, 121, 139–145.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
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Während die Wissenschaft in den 1970/80er Jahren an ihre Grenzen stieß, kannte der Protest kein kreatives Limit. Emotionale Bilder sprechen mehr als wissenschaftliche Worte. Die Folgen einer unsichtbaren Umweltgefahr mussten demnach wirkungsvoll inszeniert werden, um politischen Handlungsdruck zu erzeugen.113 In Lübeck gab es eine Ausstellung gegen die DDR-Giftmülldeponie, Plakate, die titelten „Zu hilf ‘, ihr Leut‘, schreit Protest, aus Schönberg kommt die neue Pest“, und gesungen wurde eine „Ballade vom großen Müllmann“, begleitet von pantomimischem Totentanz.114 Lübecker Hausfrauen unterstützten die Proteste, indem sie Mülltransporter zählten – an zwei Tagen 89 LKW115 – und Abfallproben zur Analyse einschickten. So wurde Ingrid Hopp von einem vorbeifahrenden LKW, der aus Schönberg kam, mit grau-rosa Puder beweht. Sie schickte die Probe in Plastiktütchen an das Lübecker Ordnungsamt – das Puder war Asbeststaub.116 Greenpeace, Anwohner Schlutups und andere Umweltgruppen, insgesamt etwa 50 Personen, versperrten im April 1984 hundert Meter vor der Grenze die Straße. Sie ließen Fässer rollen, die die Aufschrift trugen „Seveso ist überall“ und „Unser Georgswerder heißt Schönberg“.117 Im selben Jahr kam es sogar zu einem Brandanschlag der Gruppe „Freunde und Freundinnen der Erde“ auf Fahrzeuge der Firma Containermüll Lübeck, die auch nach Schönberg lieferten.118 Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin schlussfolgerte bereits Ende 1983: „Die Stimmung in der Stadt [Lübeck, ist] gegenüber der Deponie recht feindselig“.119
2.3 „Müll-Polit-Tourismus“ „[A]lle Teilnehmer [gewannen] den Eindruck, eine derartige Sondermülldeponie wäre auf Bundesgebiet nicht anders und ebenso sorgfältig angelegt worden.“ So urteilte der Referent für Deutschlandfragen Peter-Christian Germelmann im Bericht aus dem Bundeskanzleramt, nachdem am 21. November 1980 der erste Besuch der Deponie Schönberg durch eine westdeutsche Delegation erfolgt war.120
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Vgl. Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 163; Radkau, Ära, S. 358; Biess, Angst, S. 38 f. Vgl. Müll-Totentanz über Schönberg, in: LN, Lokalausgabe Bad Schwartau, 9. 3. 1986, S.13. Vgl. BArch B 295, Bd. 37001, Sondermülldeponie Schönberg/DDR – eine Zeitbombe für die Bevölkerung im Lübecker Raum, o. V., o. D. [vmtl. März 1983]. Ca. 100–150 LKW am Tag in: BArch B 288, Bd. 382, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, Schnurer, BMI, 29. 4. 1985. Vgl. Monika Metzner, „So wäre eine Deponie hier nicht möglich“, in: FR, 14. 7. 1983, S. 3. Matthias Wiemer, Grenze blieb zwei Stunden dicht, in: LN, 14. 4. 1984, S. 17. Vgl. BArch, MfS, HA XXII, Nr. 5623, Bl. 4, Information gemäß SVA 4.1 (499), HA XVIII/7, 4. 10. 1984. Zum Täterkreis wurden allerdings keine weiteren Fakten bekannt. Die Information des MfS stammte aus den Lübecker Nachrichten vom 2. 10. 1984. BArch, B 288, Bd. 381, Besichtigung der Sondermülldeponie Schönberg, DDR, Afz. des RL 31, 2. 11. 1983. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 2, Verbringung von Abfall aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR, Afz. Germelmann, Referat 221, BKAmt, 11. 12. 1980.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Ein Jahr später bestand „der Eindruck, daß die Deponie hohem westlichen Sicherheitsstandard entspricht und große Investitionen vorgenommen worden waren“, fort.121 Und 1983 bestätigten bundesdeutsche Experten noch einmal intern, dass diese Deponie „bundesdeutsche Maßstäbe nicht zu scheuen braucht“. Im Gegenteil: Im Nachgespräch in Lübeck bemerkten Landesvertreter, dass „die schleswigholsteinische Sondermülldeponie hinter der in Schönberg zurückbleibe“.122 Wie passt dieses äußerst positiv gezeichnete Bild, das sich aus den Besuchen heraus ergab, zu der aufgeheizten Stimmung in Lübeck, die von der Existenz dieser Deponie verursacht wurde? Redeten die westdeutschen Experten den ostdeutschen nach dem Mund, um den günstigen Müllexport zu sichern? Oder war es nicht doch so, dass die Expertengespräche zumindest von einer gewissen Transparenz und offenem wissenschaftlichem Austausch geprägt worden waren, sodass die oben wiedergegebenen Bewertungen der Wirklichkeit wenigstens nahe kamen? Sicher ist: Die Mülldeponie in Schönberg war im Westen von Anfang an umstritten, und das war den Verantwortlichen in der DDR bewusst, weshalb sie einiges taten, um dem entgegenzuwirken. Ein Mittel zu diesem Zweck war, dem Drängen nach Expertengesprächen und Besuchen westdeutscher Delegationen auf der Mülldeponie nachzukommen. So hoffte die DDR-Seite, dass die schleswig-holsteinische Landesregierung nach einem Besuch „die Unklarheiten und teilweise auch verzerrten Vorstellungen über Aufbau und Betrieb der Deponie Schönberg“ ausräumen werde.123 Zwischen 1980 und 1986 gab es aber statt eines Besuchs mindestens zehn (Experten-)Gespräche, davon neun mit Besuchen im VEB Deponie Schönberg.124 Die potenzielle Gefahr und das Einfordern der Lübecker nach mehr Sicherheit evozierte diese „[g]renzenübergreifende Zwangskommunikation“ 125 mit Vertretern der DDR. Das Reisen der Westdeutschen avancierte quasi zu einem „Müll-Polit-Tourismus“ an den festen Standort Schönberg. So bezeichneten zum einen Die Grünen das Wandern des Mülls als „Giftmüll-Tourismus“, zum anderen wandten sich die DDR-Offiziellen gegen einen solchen „Polittourismus“ von lokalen westdeutschen Politikern.126
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124 125 126
BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 2, Besuch der Sondermüll-Deponie Schönberg/DDR am 9. 11. 1981, StäV an BKAmt, Kaysers, 16. 11. 1981. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Besichtigung der Sondermülldeponie Schönberg/DDR, Afz. RL 31, StäV, 2. 11. 1983. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Vermerk über die Sonderabfalldeponie Schönberg, Besichtigung durch Behördenvertreter und Journalisten am 28. 10. 1983, MELF, Referat VIII an Verteiler, u. a. Senator Egon Hilpert (SPD Lübeck), Verwaltungsdirektor der Hansestadt Lübeck Wolfgang Maaß, Dr. Kaysers (BKAmt/StäV), Hansjürgen Kreft (BMI), Manfred Johnen (BMIB), 22. 11. 1983. Siehe zur Auflistung der Besuche und Expertengespräche Table 1 in Lange, Deal, S. 5, in DOI: https://doi.org/10.5334/wwwj.35 [6. 6. 2022]. Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 353. Vgl. AGG, B.II.1, Bd. 885, Grüne streben gesetzliches Verbot des Giftmülltourismus an, Pressemitteilung Die Grünen im Bundestag, 26. 2. 1986; BArch, B 288, Bd. 382, Teil 8, Expertengespräch mit DDR zu Schönberg und Herfa-Neurode am 12. und 13. 11. 1986, Johnen, BMIB, 17. 11. 1986. Zu „grünen alternativen Polittouristen“ vgl. Klein, Politisierung, S. 182;
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Noch 1979 hatte die DDR Gespräche über die Müllverbringung in der Grenzkommission abgelehnt. Obwohl die devisenrechtlichen Genehmigungen aus dem BMWi vorlagen, zögerten westdeutsche Behörden allerdings, Transportgenehmigungen für die DDR-Deponie zu erteilen, woraus sich für die DDR ein wirtschaftliches Risiko ergab.127 So kam es am 24. Juni 1980 doch zu einem ersten Expertengespräch im MfAA, um die westdeutschen Bedenken aus dem Weg zu räumen. Die bundesdeutsche Seite machte ihre Erlaubnis für die Exporte von drei Bedingungen abhängig: Erstens solle eine Drainage mit Rohren und Kies statt mit Bauschutt angelegt werden. Zweitens wolle die Bundesregierung einmal jährlich über die Untersuchung des Oberflächenwassers an der Mündung des Selmsdorfer Grabens in die Wakenitz in Kenntnis gesetzt werden. Drittens baten die Westdeutschen um einen Besuch der Deponie, um sich an Ort und Stelle letztlich von der Sicherheit der Müllkippe zu überzeugen. Die DDR-Vertreter versprachen die Anlage, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollends betriebsbereit war, zu vervollkommnen und den Wünschen der Westseite weitestgehend nachzukommen, sobald die rechtlich zuständige schleswig-holsteinische Landesregierung grünes Licht für die Müllexporte gebe. Die DDR-Seite behielt sich jedoch vor – sofern vertretbar – dennoch für bestimmte Teile der Deponie Bauschutt als Schichtung zu verwenden, wenn das Material es zulasse.128 Im Herbst 1980 zögerte der zuständige Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (MELF) in Schleswig-Holstein Günter Flessner (CDU) noch immer, Transportgenehmigungen aus seinem Land für die Deponie im Osten zu erteilen. Der Bund sah sich damit in einer Zwickmühle: Einerseits hatte er ein Interesse daran, dass die für die Müllverbringung zuständigen Landesbehörden ihre umweltpolitischen Aufgaben mit den notwendigen Informationen aus der DDR erfüllen konnten und er nicht darin verwickelt wird; andererseits galt es aus deutschlandpolitischer Sicht, das momentane gute Einvernehmen mit der DDR nicht zu gefährden, was ein Einschreiten erforderlich machte.129 Dahinein fiel auch die Argumentation, dass diese wirtschaftliche Einigung in einer Zeit zustande kam, als sich die Beziehungen zwischen den Blöcken wieder verschlechterten, weshalb eine Störung der Zusammenarbeit im Falle der Deponie Schönberg für die Bundesregierung nicht erwünscht war. Auch die Ständige Vertretung in Ost-Berlin, die den
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128
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ähnlich auch Hans Reichelt, in: Afz. im Privatarchiv Hans Reichelts. Siehe auch Lange, Deal, S. 1–10, in DOI: https://doi.org/10.5334/wwwj.35 [6. 6. 2022]. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 1, Verbringung von Abfall aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR, Gespräch über die Deponie mit Vertretern im MfAA am 24. 6. 1980, Afz. Kaysers, StäV an BKAmt, 26. 6. 1980. Siehe zum wirtschaftlichen Risiko für die DDR u. a.: Vgl. BArch, DH1, Bd. 31157, Teil 2, Schreiben von Schalck an Wolfgang Junker, Minister für Bauwesen der DDR (5. 7. 1983). Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 1, Verbringung von Abfall aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR, Gespräch über die Deponie mit Vertretern im MfAA am 24. 6. 1980, Afz. Kaysers, StäV an BKAmt, 26. 6. 1980. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 1, Vertreter des schleswig-holsteinischen MELF wollen die Deponie in Schönberg besuchen, Afz. Germelmann, Referat 221, BKAmt, 23. 10. 1980.
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wirtschaftlichen Deal zugunsten der politischen Entspannung zwischen beiden Staaten mit eingefädelt hatte, zeigte sich ob der Forderung einer Bürgerinitiative Lübecks, die für einen „Skandal“ sorgen wollte, wenn ihre Vertreter die Deponie nicht besichtigen dürften, zunehmend ungehalten: „Es sei überhaupt kein Grund vorhanden, den Zusicherungen der DDR zu mißtrauen. Die DDR müsse eine Forderung, wie sie nunmehr von Lübeck – als für die Genehmigung überdies nicht zuständige Stelle – aufgestellt werde, als Ausdruck des Mißtrauens gegenüber ihrer schriftlichen Zusage empfinden.“ 130
Die Forderungen der Lübecker, die Deponie besuchen zu dürfen, erschienen dem zuständigen Referatsleiter Hans Henning Kaysers in der Ständigen Vertretung überzogen und als schwerwiegender Rückschritt, der die Beziehungen zur DDR nachhaltig stören könnte. So teilte er seinem Dienstherrn, dem Bundeskanzleramtschef, mit: „Ich weigerte mich, die Angelegenheit überhaupt an das MfAA der DDR heranzutragen.“ 131 Dabei sollte die Ständige Vertretung die Vermittlerrolle zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der DDR übernehmen. Müllentsorgung war Ländersache, weshalb der Bund hier innenpolitisch nicht in die Verantwortung genommen werden wollte.132 Die Bundesregierung legte daher einerseits strengen Wert auf die Trennung der Bund-Länder-Kompetenzen im Abfallbereich, andererseits übte sie dennoch Druck auf Flessner aus, die Transportgenehmigungen zu erteilen. Würde die DDR die Deponie selbst beschicken oder sich den skandinavischen Interessenten zuwenden, wäre das günstige Moment für die Bundesdeutschen, auf die Mülldeponie nach westdeutschem Stand der Technik Einfluss zu nehmen, so schnell wieder vergangen, wie es gekommen war.133 Mögliche Umweltauswirkungen musste das Land Schleswig-Holstein mit der DDR unter Zuhilfenahme der Ständigen Vertretung aber allein klären.134 Durch den Länder-Kontakt zwischen Schleswig-Holstein und der DDR hätte die Bundesregierung ihre Auffassung, die DDR wie im Rang eines anderen Bundeslandes zu behandeln, deutlich machen können – aus den Akten geht dieser deutschlandpolitische Hintergrund jedoch nicht hervor. In der DDR wiederum sollten die Landtagsabgeordneten aus SchleswigHolstein explizit keine direkten Kontakte mit dem MfUW unterhalten. Getreu der Auffassung, die DDR verhandle mit einem Land der Bundesrepublik, also einem anderen souveränen Staat, musste das MfAA eingeschaltet werden.135 130
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BArch, B 288, Bd. 380, Teil 1, Verbringung von Abfall aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR, hier: Deponie Schönberg, Afz. Kaysers, RL 31, StäV, 13. 10. 1980; und Afz. Kaysers, RL 31, StäV, vom 6. 3. 1981. BArch, B 288, Bd. 380, Verbringung von Abfall aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR, hier: Deponie Schönberg, Afz. Kaysers, RL 31, StäV, 13. 10. 1980. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 1, Vertreter des schleswig-holsteinischen MELF wollen die Deponie in Schönberg besuchen, Afz. Germelmann, Referat 221, BKAmt, 23. 10. 1980. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 2, Afz. Germelmann, Referat 221, BMI, 11. 12. 1980. Vgl. BArch, B 288, Bd. 380, Teil 2, Ressortgespräch am 9. 11. 1982 im BMI, Afz. Dr. Wolbeck, 10. 11. 1982. Vgl. BArch, DL 266, Bd. 1690, Bl. 74–76, hier Bl. 76, Vorschlag zur Besichtigung der Deponie Schönberg (Bezirk Rostock) durch Abgeordnete des Landesparlaments Schleswig-Holstein
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Zu Besuch auf die Deponie kamen hauptsächlich Lokalpolitiker, fachwissenschaftliche Experten aus dem Bereich Geologie und andere Behördenvertreter aus dem MELF Schleswig-Holsteins, dazu sowohl Journalisten und andere Medienvertreter wie auch 1985 erstmals eine Lübecker Umweltgruppe. Als Günter Flessner 1981 mit einem Fernsehteam und den „Lübecker Nachrichten“ anreisen wollte, drohte Volkmar Fenzlein (MfAA), offensichtlich überrumpelt, mit dem Hinweis, dass danach keine „Kontrollbesichtigungen“ mehr möglich sein würden, höchstens welche aus wirtschaftlichen, betrieblichen Gründen.136 1983 konnte sich die westdeutsche Presse auf der Deponie jedoch „ungehindert bewegen, filmen und fotografieren“. Die DDR-Vertreter ließen allerdings erkennen, dass sie „an den Rand des Zumutbaren gegangen seien.“ 137 Die westdeutsche Presse auf der Deponie zuzulassen, verband die DDR-Seite mit der Hoffnung, dass die bundesdeutschen Vertreter auf die eigenen Medien Einfluss nehmen und eine „sachliche Berichterstattung“ sichern würden.138 Sobald sich allerdings Besucher ankündigten, die die Mülldeponie allzu offensichtlich zu Wahlkampfzwecken nutzen wollten, wurden sie abgelehnt. Sie hatten nichts, weder aus ökonomischen noch politischen Gründen, mit den betrieblichen Abläufen zu tun – so geschehen mit dem Antrag der SPD-Fraktion aus dem Europäischen Parlament im Februar 1982.139 In Lübeck waren Bürgerschaftswahlen, die die SPD letztlich auch ohne Deponiebesuch zu ihren Gunsten entscheiden konnte. Auch das seit Anbeginn bestehende Anliegen einer Umweltgruppe, die Deponie zu besichtigen, wurde am 9. Februar 1984 von der DDR zunächst noch abgelehnt. Nach bereits vier Besuchen ging sie davon aus, dass aufgrund „der umfangreich eingeräumten Informations- und Besichtigungsmöglichkeiten […] die zuständigen Behörden der BRD über ausreichende Kenntnisse verfügen, um Anfragen von Bürgerinitiativen und anderer Gruppen umfassend beantworten zu können.“ 140 Doch widersprüchliche Aussagen von Lokalpolitikern dazu ließen eine Besichtigung notwendig werden, sodass am 18. April 1985 das erste Mal ein Vertreter einer westdeutschen Bürgerinitiative seinen Fuß auf die Deponie in Schönberg setzen durfte. Dieser Besuch konnte die Zweifel bei der Initiative allerdings nicht ausräumen.141 Indes waren sich fast alle Parteien-
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(BRD), Alexander Schlack-Golodkowski an Günter Mittag, 4. 10. 1984; siehe zu DDR-Länderkontakten u. a. auch Kap. III.2. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18833, Teil 2, Sondermüll-Deponie Schönberg/DDR, Schreiben StäV an BKAmt, Kaysers, 22. 10. 1981; und Sondermüll-Deponie Schönberg/DDR, Fernschreiben Nr. 1302, StäV an BKAmt, Kaysers, 2. 11. 1981. BArch, B 288, Bd. 381, Sondermülldeponie Schönberg/DDR, Hellbeck, 20. 10. 1983. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 85–91, Bl. 86, Information über die Besichtigung der Deponie Schönberg durch BRD-Experten am 28. 10. 1983. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Information zu den in den letzten Tagen erfolgten Pressemeldungen in der BRD zur Deponie Schönberg, 4. 2. 1986. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 78–81, hier Bl. 80 f., Standpunkt zur Besichtigung der Deponie Schönberg durch „unabhängige Experten“ der Lübecker Bürgerinitiative, Schalck an Mittag, 10. 4. 1984. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985; BArch, B 295, Bd. 36999, Teil 9, Besichtigung der Deponie Schönberg, Die Bürgerinitiativen Lübecks an Herrn Germelmann, BKAmt, 23. 1. 1984.
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Abb. 8: Delegationsmitglieder der Grünen bei Besichtigung des VEB Deponie Schönberg, 4. September 1986; Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotograf: Klaus Mehner, Bild 86_0904_UMW_Deponie_15
vertreter von SPD und CDU beim Gespräch auf der Deponie im April 1986 einig, dass nicht die Deponie das Problem sei, sondern eher das eigene mangelnde Bemühen, den Abfall wieder zu verwerten.142 Dennoch ließen die westdeutschen Politiker, Fachleute und Journalisten keinen Zweifel daran, dass „trotzdem […] auch in der Zukunft immer wieder Informationsbedarf bestehen“ werde.143 Am 4. September 1986 durfte zudem erstmals eine größere Delegation der Grünen aus dem Bundestag, eingeladen von der Volkskammer der DDR, die Deponie besuchen. Sie äußerte den Wunsch, nicht im Beisein der 20 Journalisten mit den DDR-Experten über Schönberg zu diskutieren. Dieses für Die Grünen eher ungewöhnlich diskrete Anliegen ist vermutlich zum einen mit der Erfahrung der 1983/ 84 verhängten Einreisesperre für Grüne in die DDR zu verstehen, die anscheinend mäßigend auf die Delegierten einwirkte. Zum anderen waren diese Besucher eher der Mittelströmung ihrer Partei zuzuordnen, die neben Basiskontakten auch Gespräche mit der SED-Führung politisch vertraten. Als Beispiel wäre hier Henning Schierholz zu nennen, der an der Delegation teilnahm.144
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Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 8, Expertengespräch mit DDR zu Schönberg und Herfa-Neurode am 12. und 13. 11. 1986, BMIB,17. 11. 1986. Siehe zu den Einreisesperren Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 99, 104–105, 222–238; und Kap. IV.3.1.
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Im vertraulichen Gespräch verwiesen Die Grünen dann darauf, dass die Langzeitwirkungen der Mischdeponie nicht abschätzbar seien und die DDR aus den Hypotheken und Erfahrungen der Bundesrepublik (Georgswerder, Münchehagen, Gerolshagen) lernen solle. Die Beschickung der Deponie wirke zudem Bemühungen der Grünen entgegen, Anreize für die heimische Industrie zu mehr Recycling und abfallarmer Technologie zu schaffen. Sie anerkannten die Maßnahmen des MfUW zur Kontrolle, hätten trotz allem aber ökologische Bedenken, die nicht ausgeräumt werden konnten – welche wurden im Protokoll nicht genannt.145 Insgesamt fand die Delegation der jungen Partei bei der Besichtigung „keine direkte Sauerei“. Allerdings wurde sie mit dem Auto von Punkt zu Punkt gefahren und bekam Oberflächenwasser nicht direkt zu sehen.146 Thea Bock aus der GAL-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft, die in den Untersuchungsausschüssen zu Georgswerder und Boehringer Ingelheim involviert war, konstatierte: „Dies ist keine Deponie, bei der man schon auf den ersten Blick sagen muß, sie müsse sofort geschlossen werden.“ 147 Der Besuch dieser Delegation der Partei Die Grünen stand in krassem Gegensatz zu den Bemühungen der lokalen Mitglieder vor Ort in Lübeck. Noch im Februar 1986 protestierten einige von ihnen mit der symbolischen Ablage von zwei Fässern mit den Aufschriften „Schönberg – Giftzone A“ und „Dioxin“ fünf Meter hinter der Grenze, also schon auf DDR-Gebiet.148 Die lokalansässigen Grünen misstrauten der Mülldeponie von Anfang an. Anlass war, dass die DDR behauptete, kein Dioxin und keine PCB-haltigen Abfälle entgegengenommen zu haben. Doch die Annahme von Boehringer-Abfällen, die – wie später bekannt wurde – nachweislich Dioxin enthalten haben mussten und 1981 abgelagert wurden, war ausschlaggebend für diese distanzierte und kritische Haltung gegenüber der Deponie.149 Den Besuch von Parteimitgliedern in Schönberg und das Gespräch mit den DDR-Experten sahen sie deshalb als Verrat an ihren langjährigen Bemühun-
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4935, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg durch die Delegation der Bundestagsfraktion der Grünen am 4. 9. 1986; BArch, MfS, HA XVIII Nr. 20713, Bl. 15–23, hier Bl. 18, Bericht über den Besuch der Deponie Schönberg im Rahmen der Reise der Parlamentsdelegation der Partei die Grünen vom 1.–5. 9. 1986, XV 1756/ 80 „Dozent“, HVA/Abt. II/6, 31. 10. 1986. Vgl. BArch, MfS, HA XVIII Nr. 20713, Bl. 15–23, hier Bl. 22, Bericht über den Besuch der Deponie Schönberg im Rahmen der Reise der Parlamentsdelegation der Partei die Grünen vom 1.–5. 9. 1986, XV 1756/80 „Dozent“, HVA/Abt. II/6, 31. 10. 1986. AGG, B.II.1, Bd. 890, Karl-Heinz Baum, Sozialistisches Gottvertrauen in die Sicherheit, 6. 6. 1986 [vmtl. FR]. Vgl. BArch, MfS, HA I, Nr. 15303, Bl. 87–89, hier Bl. 87, Verletzung des den Grenzsicherungsanlagen vorgelagerten Territoriums der DDR durch eine männliche und vier weibliche unbekannte Personen vom Gebiet der BRD aus in der Nähe der GÜSt Selmsdorf/ Grevesmühlen/ Rostock, Bereich des GR 6 Schönberg, Information Nr. 182/86; o. V., Salz in der Suppe, in: Der Spiegel, Nr. 8, 17. 2. 1986, S. 52 f., hier S. 52; o. V., Rubbish between Germans, in: The Economist, 1. 3. 1986, S. 46. Vgl. BArch, MfS, HA XVIII Nr. 20713, Bl. 15–23, hier Bl. 19, Bericht über den Besuch der Deponie Schönberg im Rahmen der Reise der Parlamentsdelegation der Partei die Grünen vom 1.–5. 9. 1986, XV 1756/80 „Dozent“, HVA/Abt. II/6, 31. 10. 1986.
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gen im Kampf gegen diese Deponie an: „Uns kommt dabei der üble Gedanke, daß ihr Angst habt, Angst davor, das Problem in dem Ausmaß zu sehen, in dem es existiert.“ Die Grünen-Fraktion im Bundestag würde wie die anderen Parteien nach Macht streben, die Probleme der Basis nicht mehr ernst nehmen und die Arbeit der Bürgerinitiativen aus Ost und West untergraben. „Am schlimmsten aber finden wir Eure arrogante Haltung das Problem aus ‚höherer‘ Ebene aus angehen zu wollen. Auf der Ebene nämlich der deutsch-deutschen Beziehungen. – Wie wir darüber denken, erwähnten wir bereits.“ 150 Auch bei Gesprächen einiger Vertreter der Grünen in der Ost-Berliner Umweltbibliothek wurde der offizielle Besuch auf der Mülldeponie ohne Konsultation von DDR-Initiativen kritisiert. Anfang und Mitte der 1980er Jahre hatten Die Grünen eine Doppelstrategie verfolgt, die einem offiziellen Besuch stets einen bei unabhängigen Umweltgruppen gegenüberstellte. Jürgen Schnappertz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion, rechtfertigte sich in der AG deutsch-deutsche Beziehungen damit, „daß es überhaupt keine Initiative zu Schönberg weder in Schönberg noch in Mecklenburg gegeben hat.“ 151 Ob Schnappertz hier bewusst DDR-Umweltgruppen aufgrund seiner Nähe zum Informellen Mitarbeiter (IM) des MfS Dirk Schneider verheimlichte, um sie von den Grünen zu entzweien,152 oder es wirklich nicht wusste, muss offenbleiben. Zwischen den Grünen und DDR-Aktivisten hat es zu Schönberg durchaus Kontakt gegeben, der jedoch zum Schutz der DDR-Leute diskret behandelt wurde.153 Der Besuch der Grünen fiel jedoch schon in eine umweltpolitische Hochphase zwischen beiden deutschen Staaten. Anders als noch zu Beginn hatte der Bereich KoKo bereits 1984 seine negative Einstellung zu den Besuchen geändert und geschlussfolgert, dass an den Kontakten mit den Landtagsabgeordneten festgehalten werden sollte, da es sich positiv auf die ökonomischen Beziehungen im Bereich der Sondermülldeponie in Schönberg ausgewirkt habe.154 Deswegen sei die DDR auch bereit, der Bundesrepublik Bedingungen für die Aufnahme von Abfallstoffen, Ergebnisse geologischer Untersuchungen des Deponiestandortes und der
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AGG, B.II.1., Bd. 2037, ms. Protokoll, o. D., Stellungnahme der Bürgerinitiative und der AG der Grünen „Stoppt Schönberg“ zum Besuch der Deponie (einer Delegation der Grünen) am 4. 9. 1986, und Pressekonferenz mit Henning Schierholz am 19. 9. 1986 in Lübeck. AGG, B.II.1., Bd. 164, Teil 2, Protokollnotiz der Klausurtagung der Arbeitsgruppe Deutschdeutsche Beziehungen vom 25. 9. 1987, TN: Karitas Hensel, Wilhelm Knabe, Reinhard Loske, Wolfgang Helm, Anne Dietrich, Jürgen Schnappertz, Peter Sellin. Siehe auch zur Kritik aus Ost-Berlin: RHG, PS 047, Schönberg und die Grünen, in: Grenzfall Nr. 2 [vmtl. 1986]. Vgl. Baron, Heißer Krieg, S. 257. Vgl. für Schnappertz’ „antinationalen“ Grundkonsens, Kontakte sowohl zu den unabhängigen Gruppen als auch zur DDR-Führung: Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 99 f. An die Teilnahme von Vertretern von Grünen/Greenpeace auf einem Ökologie-Seminar in Schwerin erinnerte sich Michael Beleites, E-Mail an Sophie Lange, 11. 9. 2019; siehe zur Diskretion Beleites, Dicke Luft, S. 94; Klein, Politisierung, S. 182. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 74–76, hier Bl. 76, Vorschlag zur Besichtigung der Deponie Schönberg (Bezirk Rostock) durch Abgeordnete des Landesparlamentes Schleswig-Holstein (BRD) Schalck an Mittag, 4. 10. 1984.
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Oberflächengewässer mitzuteilen, soweit diese nach Westen abflössen. Allerdings bestand die Einschränkung, dass „nur solche Informationen übermittelt werden, die den Sicherheitsinteressen der DDR Rechnung tragen und rechtlich und sachlich erforderlich sind“.155 Das MfUW wiederum gelangte basierend auf der negativen westdeutschen Berichterstattung 1983 zu dem Resultat, dass „die Kontrolle des ordnungsgemäßen Aufbaues und Betrieb der Deponie sowie die verantwortungsvolle Genehmigung der Abprodukte durch unser Ministerium große politische Bedeutung“ habe. So schrieb Frank Herrmann am Ende desselben Dokuments, dass von 420 geprüften Abfallprodukten nur 340 für Schönberg zugelassen würden.156 Ob sich das MfUW allerdings damit durchsetzen konnte, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Jedoch bot es dem Ministerium eine mögliche Vorlage für spätere Entschlüsse, Substanzen auf der Deponie zu verbieten.157 Die Grünen urteilten deshalb, überliefert durch das MfS, „daß die Leute aus dem Umweltministerium ein größeres Problembewußtsein bei der ganzen Sache haben, aber es scheint so, daß sie bei Entscheidungen nur angehört werden und gegenüber anderen Ministerien, z. B. dem Außenhandelsministerium, keine Macht besitzen.“ 158 Teile der CDU wiederum bescheinigten der DDR, sie habe ein eigenständiges Interesse an einem hohen Sicherheitsstandard auf besagter Deponie, weil sich die kritischen Stimmen in Ostdeutschland mehrten.159 Letzteres ist nicht ganz unbegründet. So berichtet auch Hans-Otto Bräutigam, der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, vom Unbehagen der lokal ansässigen Bevölkerung über die Verbringung von Giftmüll auf die „Kloake Europas“ und der Angst vor einer Vergiftung der Landschaft, der Bäume und der Grundwasserströme bis hoch zur Ostsee.160 Quid pro quo: Kein Besuch ohne Gegenbesuch. Ende des Jahres 1983 erfuhr die DDR-Führung aus der Presse von einem weiteren Giftmüllskandal in Hilkerode 155 156
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BArch, DL 226, Bd. 1358, Bl. 176–180, hier Bl. 179, Vorschlag zur Zusammenarbeit mit der BRD auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung, o. D., o. V. [vmtl. Mitte/Ende 1984]. BArch, DK 5, Bd. 781, Bericht über die Anstrengungen der Genossen zur Sicherung hoher Valutaerlöse aus Abschlüssen mit dem NSW, Projektgruppe VIII, Parteigruppenorganisator Herrmann, 10. 5. 1983. Vgl. z. B. den Positiv-Negativ-Katalog in Kap. IV.2.3. oder die Ablehnung der Hoechst-Abfälle Kap. IV.4.3. BArch, MfS, HA XVIII Nr. 20713, Bl. 15–23, hier Bl. 23, Bericht über den Besuch der Deponie Schönberg im Rahmen der Reise der Parlamentsdelegation der Partei die Grünen vom 1.–5. 9. 1986, XV 1756/80 „Dozent“, HVA/Abt. II/6, 31. 10. 1986. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21547, Teil 8, Bericht von Michael von Schmude über seinen Besuch auf der Deponie Schönberg (DDR), 19. 4. 1985; Abfalllieferungen der Farbwerke Höchst, Afz. von Germelmann, Referet 221, BKAmt, 4. 6. 1985. Siehe zu den Sicherheitsinteressen der DDR für die Bevölkerung auch BArch, B 288, Bd. 382, Teil 7, Dr. Peter Ladendorf (Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes Aumühle, 1976–1990), in: Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21547, Teil 8, Meinung aus der Bevölkerung zur Deponie Schönberg, Fernschreiben Nr. 0180, 8. 3. 1985, Bräutigam. Siehe auch RHG, PS 047, „Eingabe zur Giftmülldeponie Schönberg“ und die Antwort des Rostocker Beauftragten für Kirchenfragen, Manteuffel, „Amtlicher Unsinn vom Giftmüll. Beantwortung der Schönberg-Eingabe“, in: Grenzfall, Nr. 2 [vmtl. 1986].
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(Niedersachsen), diesmal vier bis fünf Kilometer von der innerdeutschen Grenze entfernt. Dort lagerte der Betrieb „Feinmechanik Elektrotechnik“ zwischen 1968 und 1974 Kondensatoren, die das Gift Nibren enthielten und deren Freispülung in die Gewässer von den DDR-Fachleuten befürchtet wurde. Eine Ortsbesichtigung in Hilkerode 1984 bot der DDR einen Ausgleich zu den bisherigen Besuchen westdeutscher Experten in Schönberg. Generell sollte die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik der DDR „ausreichende Informationen über grenznahe Deponien der BRD im Interesse der Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen“ beschaffen.161 Allerdings waren die DDR-Vertreter in Hilkerode davon ausgegangen, dass die Deponie noch in Betrieb sei. Vor Ort beschwichtigten westdeutsche Experten, dass durch die Abdeckung der Deponie eine Brandgefahr, also Freisetzung der Gefahrenstoffe, gebannt, und auch der hydrogeologische Bereich sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik nicht gefährdet sei.162 Der Bericht über die „Geologische Situation und mögliche Auswirkungen einer vorhandenen Schadstoffdeponie im Bereich Hilkerode/BRD“ ähnelt in der Argumentation den geologischen Gegebenheiten um Schönberg: Die Grundwasserleiter hätten keine hydraulische Verbindung mit denjenigen in der DDR, und das Oberflächenwasser fließe vollständig in das Bundesgebiet ab. Der Bericht schließt jedoch mit den Worten, dass dennoch eine „mögliche Beeinträchtigung von Trinkwassererfassungen auf dem Gebiet der DDR nicht 100 %-ig ausgeschlossen“ werden könne.163 In der Auseinandersetzung lobten die Vertreter des MELF von Schleswig-Holstein den guten Kenntnisstand des Abteilungsleiters Umweltschutz Frank Herrmann sowohl zu Abfallproblemen in der DDR als auch in der Bundesrepublik.164 Ein paar Jahre später schlug Reichelt dem westdeutschen Umweltministerium auch eine Besichtigung der Deponie Herfa-Neurode vor. Dort sollten die DDRExperten die Einlagerung toxischer Abprodukte studieren, um die Kenntnisse für die eigene Giftmüllgrube „Marie“ anwenden zu können.165 Das MfUW hatte schon früh registriert, dass die Bundesrepublik eine Giftmülldeponie mit hochgradig toxischen Stoffen ebenfalls fünf Kilometer von der innerdeutschen Grenze entfernt betrieb. In Herfa-Neurode in Hessen deponierte die Bundesrepublik in 700 Metern Tiefe, umgeben von einer 300 Meter mächtigen Steinsalzformation,
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Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1358, Bl. 176–180, Vorschlag zur Zusammenarbeit mit der BRD auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung, o. D., o. V., [vmtl. Mitte/Ende 1984]. Vgl. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Besuch einer DDR-Delegation in Hilkerode, Ergebnisprotokoll, MELF an BMI u. a., 22. 5. 1984; Ortsbesichtigung Hilkerode, Afz. Referat II 7, BMI, 24. 5. 1984; Mülldeponie Hilkerode, Beeinträchtigung der DDR, BKAmt, Dörhöfer an BMI u. a., 6. 11. 1984. Vgl. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 6, Geologische Situation und mögliche Auswirkungen einer vorhandenen Schadstoffdeponie im Bereich Hilkerode/BRD, o. V., o. D., Anlage zum Schreiben des BKAmts an BMI u. a., Mülldeponie Hilkerode in der Nähe der Grenze zur DDR, 17. 9. 1984. Vgl. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Besuch einer DDR-Delegation in Hilkerode, Ergebnisprotokoll, MELF an BMI u. a., 22. 5. 1984. Vgl. BArch, DK5, Bd. 3365, Schreiben Reichelts an Mitzinger, 27. 10. 1986. Ein Besuch einer DDR-Delegation in der westdeutschen Untertagedeponie ließ sich nicht ermitteln.
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toxische Überreste aus der amerikanischen und eigenen Industrie wie Pflanzenschutzmittel, arsenhaltige Rückstände, Galvanikschlämme oder Härtereisalze.166 Zwar lassen sich keine Hinweise darauf finden, dass Schönberg als Reaktion auf Herfa-Neurode entstanden ist; generell lässt sich jedoch, ähnlich wie bei Atomkraftwerken, auch für Sondermülldeponien sagen, dass allein durch die Standortwahl an einer Grenze potenziell die Hälfte des mit ihnen verbundenen Risikos ausgelagert wird.167 Der Müll-Polit-Tourismus diente den beiden deutschen Staaten zusammenfassend dazu, Kontrolle zu erlangen und Informationen zu beschaffen, Vertrauen aufzubauen und das Geschäft anzukurbeln. Bei den Expertengesprächen wollte die westdeutsche Seite ihr Gegenüber nicht nur vom neuesten, insbesondere bundesdeutschen Deponiestandard überzeugen, sondern auch Verfahrensweisen, Gesetze und Daten aus der DDR in Erfahrung bringen. Im Folgenden werden nun die technischen und politischen Probleme, die zu diesem „Müll-Polit-Tourismus“ führten und bei Besichtigungen besprochen wurden, untersucht. Hier lassen sich zwei Schwerpunkte identifizieren: Zum einen bestand die bereits angesprochene Sorge, dass Sickerwasser die Deponie verlassen und bundesdeutsches Trinkwasser vergiften könnte. Zum anderen fehlte ein klares Abkommen darüber, was deponiert werden durfte und was nicht.168 Von technischen Missverständnissen, Problemen und Lösungen
Die Mülldeponien in der DDR waren oft sogenannte „Mischdeponien“. Das hieß zum einen in diesem Fall, dass sowohl Haus- als auch Giftmüllbereiche auf einer Deponie vorhanden waren. Darüber hinaus wurde aber auch leicht schadstoffhaltiger Abfall (wie Bauschutt) mit Hausmüll (Essensreste, Papier etc.) vermischt, da der Hausmüll, wie es hieß, nicht nur als Abdichtung diente, sondern auch eine gute „Filterwirkung“ (z. B. Ausfall von Schwermetallen als Sulfide) aufwies.169 Müll mit höherem Schadstoffgehalt wurde in Sondergräben verbracht.170 Im Jahr 1984 lan166
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Vgl. BArch-SAPMO, DY 3032/1440, Bl. 265–268, hier Bl. 266 f., Information zu jüngsten Veröffentlichungen in der Presse der BRD zur Lagerung von toxischen Abprodukten aus den USA in unmittelbarer Nähe zur Staatsgrenze der DDR, 1. 9. 1978, Reichelt an Mittag, 4. 9. 1978. Vgl. Kaijser/Meyer, Nuclear installations, S. 10 f. Vgl. Dicke, Umweltverschmutzung, S. 107. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985. Gespräch der Autorin mit Frank Herrmann am 22. 9. 2020 in Berlin. Siehe auch Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 201; o. V., Grube ohne Grenze, in: Der Spiegel, Nr. 29, 18. 7. 1983, S. 46–48, hier S. 48. Bei vier von sechs Deponiebereichen lagerten Hausmüll und Bauschutt: Vgl. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Vermerk über die Sonderabfalldeponie Schönberg, Besichtigung durch Behördenvertreter und Journalisten am 28. 10. 1983, MELF, Referat VIII an Verteiler, u. a. Senator Egon Hilpert (SPD Lübeck), Verwaltungsdirektor der Hansestadt Lübeck Wolfgang Maaß, Dr. Kaysers (BKAmt/StäV), Hansjürgen Kreft (BMI), Manfred Johnen (BMIB), 22. 11. 1983. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 40–45, hier S. 43 f., Information zur Deponie Schönberg im Kreis Grevesmühlen, Argumentationsmaterial gegenüber BRD, Günter Mittag an Erich Honecker, o. D. [vmtl. 1986]; Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 74.
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deten auf der Mülldeponie in Schönberg insgesamt 65 Prozent Hausmüll, 22 Prozent Klärschlamm, zehn Prozent Bodenaushub, Industrie- und Gewerbeabfälle sowie drei Prozent Sonderabfälle. Letzteres schloss nur geringe Anlieferungen von DDR-Sondermüll ein.171 Zwar wurde die Filterwirkung von Hausmüll von der schleswig-holsteinischen Landesregierung anerkannt, doch blieb genau diese „Mischdeponie“ das markanteste Problem der Causa Schönberg.172 Bohrungen,173 Basisabdichtungen und Behandlungen von Sickerwassern waren demnach westdeutsche Ansprüche an die ostdeutsche Deponie. Mit Hilfe von Bohrungen wird untersucht, ob der Boden wirklich „dicht“ ist. Die auf der westdeutschen Seite vom Land Schleswig-Holstein durchgeführten Bohrungen waren zufriedenstellend, nur stellte sich die Frage, ob es sich auf der DDR-Seite durchgehend um dieselbe Gesteinsstruktur handelte.174 Zwar konnten weitere Bohrungen auf DDR-Gebiet Gewissheit bringen, war aber ein Kostenfaktor von etwa einer halben Million DM. Am Rande eines Gesprächs im April 1986 wies Fenzlein darauf hin, dass er „negative Ergebnisse etwaiger Bohrungen nicht gänzlich“ ausschließen könne, und fragte seinen bundesdeutschen Gesprächspartner, ob die Bekanntgabe solcher Ergebnisse dennoch im Interesse der Bundesrepublik liege.175 Im Protokoll als rhetorische Frage formuliert, blieb eine Antwort von bundesdeutscher Seite in den Akten diesbezüglich aus. Das „Sickerwasserproblem“ war der Schmelztiegel des ganzen Deponieproblems, in ihm trafen gleich mehrere Faktoren aufeinander. 1981 wurde festgestellt, dass organische Fremdstoffe im Sickerwasser von Deponien den Bereich verlassen und auch weiter entfernt von der „geordneten Deponie“ im Wasser und Boden nachweisbar waren. Seitdem spielte die sogenannte „Basisabdichtung“ – nun neben der natürlichen auch noch eine künstliche – eine erhebliche Rolle.176 Das 171
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174 175 176
Vgl. Judt, Kommerzielle Koordinierung, S. 201. Siehe zur DDR-Verbringung von Sondermüll auf die Deponie Schönberg BArch, DK 5, Bd. 1806, Beschluss „Deponie von toxischen Abprodukten“, 12. 1. 1981; und BArch, DK5, Bd. 1538, Beschluss über die Deponie von toxischen Abprodukten vom 15. Januar 1981. Vgl. Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Entwicklung der Mülltransporte zur Deponie Schönberg/DDR und der durch ihren Betrieb gegebenenfalls entstehenden Gefährdungen für die Bevölkerung Schleswig-Holsteins sowie aller damit zusammenhängenden Fragen, insbesondere hinsichtlich des Verhaltens der Landesregierung und der sich daraus ergebenden Folgen, in: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 10/1783, 25. 11. 1986, S. 9, 11, 13. Man testet neben dem eigentlichen Standort und baut die Deponie – auch in der Bundesrepublik – auf „terra incognita“.Vgl. Grassmuck/Unverzagt, Müll-System, S. 154. Im April 1985 fehlten von 35 zugesagten Probebohrungen noch immer zwölf Ergebnisse: BArch, B 288, Bd. 382, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985. Siehe zur Kritik der Bürgerinitiativen zu Bohrungen: BArch B 295, Bd. 37001, Sondermülldeponie Schönberg/DDR – eine Zeitbombe für die Bevölkerung im Lübecker Raum, o. V., o. D. [vmtl. März 1983]. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 8, Expertengespräch zur Deponie Schönberg im MfAA, Referat 31, StäV, 18. 4. 1986. Vgl. Köster, Hausmüll, S. 236, 274 f.
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heißt, sich zersetzende Produkte aus dem Hausmüll könnten möglicherweise Schadstoffe aus den Sonderabfällen mobilisieren und in das Sickerwasser gelangen. Das wiederum gefährde bei unzureichender Behandlung beziehungsweise Dichte des Bodens die Wakenitz und damit das Trinkwasser der Stadt Lübeck. Die Befürchtung der Trinkwasserverseuchung wurde bereits 1983 widerlegt, als klar wurde, dass das Grundwasser sowohl in nord-nordöstliche als auch südliche Richtung abfließe – und demnach nicht, wie angenommen in den Lüdersdorfer Graben (Westen) und damit in die Wakenitz.177 Das Grundwasser wurde seit Inbetriebnahme der Deponie nach bestimmten Kriterien untersucht, unter anderem auf Chlorid- und Nitratgehalt, Gesamthärte, pH-Wert und Leitfähigkeit. Die Deponie besaß neun Kontrollpegel in der Umgebung und 15 auf der Deponie selbst, in Tiefen zwischen drei und 80 Metern.178 Darüber hinaus kam die DDR ihrem Versprechen vom Sommer 1980 nach, einmal jährlich Messergebnisse vom Pahlinger Mühlenbach und Lüdersdorfer Graben an die Bundesrepublik zu übermitteln.179 1986 sicherte Rudolf Kenner, Leiter des VEB Deponie Schönberg, dann den westdeutschen Besuchern zu, dass eine Basisabdichtung leicht einzubauen sei.180 Die DDR entschied sich hier für tonhaltige Materialien.181 Neben der vermuteten Undichte des teils sandigen, schluffigen, geschiebemergeligen Untergrunds bestand auch die Befürchtung, die Überlaufbecken könnten brechen,182 oder die recht kleinen Sickerwasserbecken könnten überlaufen und ihr Inhalt in das Grundwasser gelangen,183 was 1988 tatsächlich fast geschah und somit eine berechtigte Sorge 177
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Vgl. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Vermerk über die Sonderabfalldeponie Schönberg, Besichtigung durch Behördenvertreter und Journalisten am 28. 10. 1983, MELF Schleswig-Holsteins an StäV u. a., 22. 11. 1983. Siehe auch BArch, B 288, Bd. 382, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985. Veränderungen wurden bis dahin nicht festgestellt. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 40–45, hier Bl. 44 f., Mittag an Honecker, Information zur Deponie Schönberg, im Kreis Grevesmühlen (Argumentationsmaterial gegenüber BRD), o. D. [vmtl. 1986]. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 8, Expertengespräch mit DDR zu Schönberg und HerfaNeurode am 12. und 13. 11. 1986, Johnen, BMIB, 17. 11. 1986; und siehe zur Bemängelung der Qualität der Informationen, Expertengespräch zur Deponie Schönberg im MfAA, Referat 31, StäV, 18. 4. 1986; sowie zu Lob für Datenherausgabe und konstruktive Gespräche, ebenda, Teil 7, Bericht über die Besichtigung der Deponie Schönberg am 18. 4. 1985, BMI, 29. 4. 1985. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 8, Besuch der Deponie Schönberg von H. Meyer, am 29. 11. 1985, Referat VIII, 3. 12. 1985; Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Entwicklung der Mülltransporte zur Deponie Schönberg/DDR und der durch ihren Betrieb gegebenenfalls entstehenden Gefährdungen für die Bevölkerung Schleswig-Holsteins sowie aller damit zusammenhängenden Fragen, insbesondere hinsichtlich des Verhaltens der Landesregierung und der sich daraus ergebenden Folgen, in: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 10/1783, 25. 11. 1986, S. 9, 13. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1446, Bl., 170–175, hier Bl. 171, Umweltsicherheit auf Deponien, auf denen Abfallstoffe aus dem NSW und Westberlin abgelegt werden, Reichelt, MfUW, Weiterleitung von Schalck an Mittag, 21. 6. 1989. Vgl. BArch, B 288, Bd. 381, Niederschrift über die Besichtigung und Gespräche mit Vertretern der DDR am 28. Oktober 1983, Kreft, BMI, 31. 10. 1983. Vgl. BArch, B 288, Bd. 380, Teil 2, Schreiben von Günther Flessner, MELF des Landes Schleswig-Holstein, an den Staatsminister im Bundeskanzleramt Hans-Jürgen Wischnewski, 6. 8. 1982.
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war.184 Auf der Deponie Schönberg wurde anfallendes Sickerwasser gesammelt und unter anderem auf dem Deponiekörper wieder verrieselt,185 auch das galt spätestens 1989 in der westdeutschen „Landesarbeitsgemeinschaft Abfall“ (LAGA) als umstritten.186 In dem von der Stadt Lübeck 1986 beim Bremer Umweltinstitut in Auftrag gegebenen Gutachten stand die Schlussfolgerung: „Der Deponieaufbau und -betrieb entspricht bezüglich Abdichtung (Dicke, Material, Herrichtungsmethode), Drähnung, Verrieselung und Aufteilung der Deponiebereiche im Prinzip dem heutigen Stand der Technik.“ Für weitere Einschätzungen würden jedoch Daten aus der DDR fehlen; momentan sei es dem Institut nicht möglich, zu kontrollieren, ob die DDR-Vorschriften eingehalten würden. Bislang hätten sich aber auch keine Verstöße gezeigt. Eher sei es so, dass Abfälle, die den Anforderungen nicht genügten, zurückgewiesen wurden.187 Dies geschah beispielsweise mit etwa 500 von 900 000 Tonnen Müll im Jahr, wenn unter anderem der Schlamm zu flüssig gewesen war.188 Warum die Bundesrepublik laut Gutachten trotzdem keine Abfälle nach Schönberg bringen sollte, wurde mit dem Zusammenbruch der heimischen Abfallindustrie durch Dumping-Preise begründet.189 In den 1970er Jahren war es noch wesentlich einfacher, Deponien zu betreiben, da eine „sachgemäße Deponierung“ erst in den 1980er Jahren an Bedeutung gewann. Innerhalb von vier Jahren, von 1978 bis 1982, entwickelte sich die Deponietechnik von einer einfachen zu einer hoch komplexen Materie, da sie langfristige Sicherheit gewährleisten sollte. Die Politik reagierte damit auf die Skandale der 1970er und vor allem Anfang der 1980er Jahre, auch die Forschung zum „ewigen
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Vgl. BArch MfS HA XVIII, Nr. 19344, Bl. 8–9, Information über die akute Gefährdung des Umweltschutzes im Bereich des VEB Deponie Schönberg MfS, Bezirksverwaltung Rostock, an HA XVIII/6, 11. 1. 1988. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 40–45, hier S. 44 f., Mittag an Honecker, Information zur Deponie Schönberg, im Kreis Grevesmühlen (Argumentationsmaterial gegenüber BRD) [vmtl. 1986]. Vgl. AGG, A (Joschka Fischer), Bd. 92, Stellungnahme Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA), Oktober 1989, eingegangen bei Joschka Fischer am 5. 12. 1989. BArch, B 295, Bd. 37001, Anlage 1: Auszug aus dem Gutachten zur Deponie Schönberg des Bremer Umweltinstituts, Schreiben des Bürgermeisters der Hansestadt Lübeck, GustavRobert Knüppel (CDU), an den Präsidenten des Umweltbundesamtes, Heinrich von Lersner, 26. 2. 1986. Vgl. o. V., Rote Tomaten sind für die DDR Werbung für Schönberg, in: Neue Ruhr Zeitung Essen, 6. 9. 1986, Nr. 207; siehe zu Ablehnungen der DDR von Mülltransporten: BArch, B 288, Bd. 381, Teil 4, Sonderabfalldeponie Schönberg/DDR, Niederschrift über die Besichtigung und Gespräche mit Vertretern der DDR am 28. Oktober 1983, BMI, 31. 10. 1983; BArch, B 136, Bd. 21547, Michael von Schmude über seinen Besuch auf der Deponie Schönberg, 19. 4. 1985. BArch, B 295, Bd. 37001, Anlage 1: Auszug aus dem Gutachten zur Deponie Schönberg des Bremer Umweltinstituts, Schreiben des Bürgermeisters der Hansestadt Lübeck, GustavRobert Knüppel (CDU), an den Präsidenten des UBA, Heinrich von Lersner, 26. 2. 1986. Siehe auch Monika M. Metzner, Wenn brave Fischer der Regierung am Zeug flicken, in: FR, 19. 7. 1986, S. 3. Auch Experten verfolgen eine (politisch-normative) Agenda, weshalb Gutachten oft parteiisch sind: Radkau, Ära, S. 376; Selgert, Externe Experten, S. 15.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
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Reaktor“ setzte in den 1980er Jahren erst so richtig ein.190 Demnach änderten sich über neues Wissen andauernd die Parameter, unter denen eine Deponie als „sicher“ galt. Mitte der 1980er Jahre gaben westdeutsche Deponieingenieure offen zu, dass sie nicht genau wüssten, was in einem Deponiekörper vor sich gehe.191 Eine „Multikomponentendeponie“, wie sie die DDR – nach Vorbild des Emscher Bruchs (Bundesrepublik) – betrieb, enstprach 1985/86 im Grunde genommen nicht mehr dem westdeutschen Stand der Technik, obwohl dieser noch nicht gesetzlich festgeschrieben war.192 Frankreich und Großbritannien praktizierten in den 1980er Jahren diese Form der Deponie ebenfalls weiterhin.193 Die Betreiber Schönbergs sagten abermals zu, künftige neue Deponiebereiche mit einer Basisabdichtung und einer Sickerwasserreinigungsanlage zu versehen, um sowohl die Deponiekapazität zu erhöhen als auch für eine erhöhte Umweltsicherheit zu sorgen.194 Trotz einiger Neuerungen auf der Deponie kam die DDR der westdeutschen Technikentwicklung jedoch nicht in dem Maße hinterher, wie die „MüllPolit-Touristen“ es sich vermutlich wünschten. Hierbei hatte die DDR den Spagat zwischen dem ständigen Fortschritt der Technik einer kontrollierten Ablage und der Entkräftung der Argumente der Umweltopposition gegen die Deponie einerseits und der Sicherung ihrer staatlichen Souveränität als auch des Devisenerhalts andererseits zu meistern. Vom Positiv-Negativ-Katalog zur Seveso-Novelle
Um den Widersprüchen und Unklarheiten, die in der Bevölkerung vorherrschten, zu begegnen, diskutierten Bund und Schleswig-Holstein einen sogenannten „Posi-
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Vgl. Weber, Von wild zu geordnet?, S. 138–140, 144 f. (Zitat S. 144); Köster, Hausmüll, S. 277. Vgl. Köster, Hausmüll, S. 274. Vgl. Punkt 4.2. Vermischungsverbot in: Zweite allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz, Teil 1: Technische Anleitung zur Lagerung, chemisch/physikalischen, biologischen Behandlung, Verbrennung und Ablagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen – TA Abfall, 12. 3. 1991, in URL: https://www.umwelt-online.de/recht/abfall/ta_abf/taab_ ges.htm [22. 5. 2022]. Vgl. BArch, B 295, Bd. 37004, Teil 15, Tatsachen und Schlussfolgerungen zur Deponie Schönberg (Anlage 1), Schreiben von Conrad (MELF) an Schnurer (BMI), 5. 2. 1988. Siehe zu Großbritannien auch: Price, Introducing Groundwater, S. 246. Vgl. BArch, DY 3023, Bd. 1445, Bl. 77–79, hier Bl. 78 f., Information zum Sachstand und anstehenden Problemen bei der Abnahme von Abfallstoffen auf der Deponie Schönberg/ Bezirk Rostock, 20. 6. 1988. Siehe zur Basisabdichtung: Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Entwicklung der Mülltransporte zur Deponie Schönberg/DDR und der durch ihren Betrieb gegebenenfalls entstehenden Gefährdungen für die Bevölkerung Schleswig-Holsteins sowie aller damit zusammenhängenden Fragen, insbesondere hinsichtlich des Verhaltens der Landesregierung und der sich daraus ergebenden Folgen, in: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 10/1783, 25. 11. 1986, S. 9, 13; und zum Sickerwasser: BArch, DY 3023, Bd. 1445, Bl. 120–124, hier Bl. 122, Information über die Beratung auf der Deponie Schönberg unter Leitung des Stellvertreters des Vors. des Ministerrates und Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, Hans Reichelt, am 18. 7. 1988.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
tiv-Negativ-Katalog“ (PNK). Dieser sollte die Stoffe genau festsetzen, die deponiert werden durften oder auch nicht. Unter bestimmten Voraussetzungen sollte es beispielsweise erlaubt sein, ölverunreinigte Böden, Altmedikamente sowie Kalkund Galvanikschlämme und lösungsmittelhaltige Rückstände auf der Deponie Schönberg zu deponieren, nicht jedoch radioaktive Stoffe, Krankenhausabfälle und Pflanzenschutzmittel.195 Den Hintergrund bildete womöglich die Kontrolle eines LKW der Firma Container-Müll Lübeck am 1. April 1982 in Meppen, Kreis Emsland. Durch die fehlende Verplombung des Wagens war aufgefallen, dass Stoffe nach Schönberg transportiert werden sollten, die dort nach westdeutschen Vorstellungen nicht sein sollten, wie Cylol-Lösemittel, Pigmente, Testbenzin und Acetate. Die Fuhre kam aus Holland.196 Die Aushandlung des PNK zwischen Bund und Land begann 1982 und verlief später quasi im Sande – nur interpretierte das jede Seite anders. Der Bund, unterstützt von der fachwissenschaftlichen Expertise des UBA, sprach sich in der Diskussion mit der LAGA Abfall gegen den „Positiv“-Katalog (später auch „Ablagerungsvorschriften“ oder auch „-kriterien“ genannt) aus, den das MELF des Landes Schleswig-Holstein ausgearbeitet hatte. Fachlich und politisch sei es nicht opportun, die DDR auf Anforderungen an die Deponie verpflichten zu wollen, die selbst in der Bundesrepublik als „fachlich nicht abgesichert“ galten.197 Dennoch wurde in dem Schreiben des UBA die Absicht erklärt, an die Deponie die „schärfsten Anforderungen“ zu stellen.198 Nach Auffassung des Bundes wurde der PNK nie rechtsverbindlich. Die Gegenargumente des UBA gegen den Katalog zeigen die Schwierigkeit im Verhältnis zur DDR, die Balance zwischen politischer Machbarkeit und hohen wissenschaftlichen Anforderungen zu halten. Wenn es nach der schleswig-holsteinischen CDU gegangen wäre, sollte der Positiv-Katalog der Öffentlichkeit gerade darlegen, „daß es uns in dieser Angelegenheit möglich ist, auf die DDR einzuwirken und die Einhaltung dieser Absprachen zu verlangen“.199 Der Regierung Schleswig-Holsteins war daran gelegen, den Um195
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Vgl. BArch, B 137, Bd. 10375, Teil 9, Katalog der zur Deponie Schönberg/DDR zu verbringenden bzw. von der Ablagerung ausgeschlossener Abfallarten, Deponiebetrieb und Sickerwasserbehandlung (Positiv-Negativ-Katalog); siehe auch, AGG, B.II.1, Bd. 890, Karl-Heinz Baum, Sozialistisches Gottvertrauen in die Sicherheit, 6. 6. 1986 [vmtl. FR]. Vgl. BArch, B 137, Bd. 10375, Teil 8, Deponie Schönberg/DDR, Schreiben Günter Flessners, MELF des Landes Schleswig-Holstein an den Chef des Bundeskanzleramts, Manfred Lahnstein, 22. 4. 1982. Vgl. BArch, B 295, Bd. 36999, Teil 9, Sonderabfalldeponie Schönberg/DDR, Feldhaus (BMI) an Flessner (MELF), 10. 5. 1984; siehe auch die Befürchtung zum Abfallabnahmezwang durch den PNK in: BArch, B 137, Bd. 10375, Teil 9, Protokoll der 40. Sitzung der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) am 17./18. 3. 1983 in Bremen. Vgl. BArch, B 295, Bd. 36999, Teil 9, Schreiben des UBA vom 8. 3. 1984 zum Positiv-NegativKatalog, Deponie Schönberg, Afz. Wolbeck, U II 6, BMI, 2. 4. 1984; siehe darin auch Deponie Schönberg, Gespräch Minister Baum mit Minister Flessner am 28. 9. 1983, Afz. Wolbeck, U II 6, BMI, 19. 10. 1983. BArch, B 295, Bd. 36999, Teil 10, Schreiben betreffend die Deponie Schönberg/DDR, Amtschef MELF Schleswig-Holsteins, Traulsen, an StS Kroppenstedt, BMI, 26. 9. 1984; siehe zum Landtagswahlkampfmotiv: ebenda, Ref U II 6, Deponie Schönberg, 15. 8. 1984.
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kehrschluss eines fehlenden „Positiv-Kataloges“ zu vermeiden: alles, was nicht im Negativ-Katalog stünde, dürfe deponiert werden.200 Als Beispiel führte das MELF den Umgang mit dioxinhaltigen Abfallstoffen an: Der öffentliche und politische Druck auf Anlagenbetreiber stieg diesbezüglich so stark an, dass die Annahme solcher Abfallstoffe auf bundesdeutschen Deponien oft verweigert und als Konsequenz der Export favorisiert wurde.201 Laut rückblickender Bewertung des Mecklenburger Landtags aber wurde der PNK anscheinend inoffiziell im April 1983 zwischen DDR-Seite und westlichen Bundesländern akzeptiert, ständig weiterentwickelt und erhielt „Verbindlichkeitscharakter“.202 Die DDR hatte vom Katalog Kenntnis erhalten und drehte den Spieß um. Sie hatte Bedenken gegen den PNK, da er einen „Eingriff in die Kompetenzen der DDR“ darstelle.203 Am 3. April 1984 schickte sie der Ständigen Vertretung in OstBerlin – wie ursprünglich abgesprochen – ein Papier mit neuen Ablagerungsvorschriften und Stoffklassen zu.204 Die Grundlage war ein sich immer wieder anpassender wissenschaftlicher, aber auch politischer Prozess. Zum Beispiel war Dioxin Anfang der 1980er Jahre in der Bundesrepublik noch schwer nachzuweisen. Das galt ebenso für die DDR. Ein paar Jahre später ergab aber eine verbesserte Analysetechnik, dass Dioxin in verschiedenen Abfällen, die bereits nach Schönberg transportiert worden waren, vorhanden war. So reagierte die SED auf die westlichen Dioxin-Skandale der Jahre 1983/84, indem sie Anfang 1984 die Abnahme von Flugaschen aus Hamburgs Müllverbrennungsanlage mit der offiziellen Begründung einstellte, dass Dioxin in geringsten Konzentrationen festgestellt worden war.205 Inoffiziell ging es in diesem Fall jedoch eher um das Ansehen der DDR und war eine Vergeltung für die schlechte Berichterstattung über Schönberg und damit eine rein politische Entscheidung.206 Nichtsdestotrotz war eine wissen200 201 202
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Vgl. BArch, B 295, Bd. 36999, Schreiben des Amtschefs des MELF von Schleswig-Holstein, Traulsen, an Kroppenstedt, BMI, betreffend die Deponie Schönberg, 20. 12. 1984. Vgl. BArch, B 295, Bd. 36999, Teil 9, Schreiben betreffend die Deponie Schönberg des MELF Schleswig-Holstein, Carlsen an Feldhaus, BMI, 8. 6. 1984. Hervorhebung durch die Autorin. Beschlussempfehlung und Abschlussbericht des 1. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses nach Artikel 34 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern gemäß Beschluss des Landtages vom 9. Dezember 1994 (Drucksache 2/9), in: Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 2/3869, 10. 6. 1998, S. 84–88. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Bericht über die Ergebnisse von Gesprächen einer Expertendelegation der DDR in der BRD zu Fragen des Umweltschutzes, MfUW, 11. 11. 1983. Zumindest der Negativ-Katalog wurde der DDR zugesandt: BArch, B 295, Bd. 36999, Teil 10, Ref U II 6, Deponie Schönberg, 15. 8. 1984. Vgl. H. Schumann/ Uwe Lahl, Giftkippe der Nation. Die Giftmüll-Dilettanten aus Kiel und Bonn, Serie Teil 2, in: taz, 30. 1. 1986, S. 8. Anders Holmar Knörzer, Bald Klarheit über Deponie Schönberg?, in: LN, 16. 5. 1985, S. 4. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Information zu den in den letzten Tagen erfolgten Pressemeldungen in der BRD zur Deponie Schönberg, 4. 2. 1986; AGG, B.II.1., Bd. 890, o. V., DDR stoppt Transporte dioxinhaltiger Flugasche zur Mülldeponie Schönberg, in: Flensburger Tageblatt, 24. 2. 1984. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 82–84, hier Bl. 83, Einstellung der Abnahme von Flugaschen aus der BRD auf der Deponie Schönberg, 9. 4. 1984, Schreiben Mittags an Honecker, 10. 4. 1984.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
schaftliche Konsequenz aus den Dioxin-Skandalen ab Mitte der 1980er Jahre die Einrichtung eines Dioxinlabors in Wittenberg, einer Außenstelle des Zentrums für Umweltgestaltung (ZUG).207 Obwohl die DDR noch 1985 drei neue Sonderbereiche für Dioxin, PCB (Polychlorierte Biphenyle) und mineralölhaltige Abfälle hatte einrichten wollen, nahm sie nun davon Abstand. Dies sei ein Verdienst des massiven Protestaufschreis der Lübecker Bürgerinitiativen gewesen, analysierte die westdeutsche Presse.208 Die Lübecker Firma HBK sah durch diese – aus ihrer Sicht unnötige – Entscheidung ihrer ostdeutschen Handelspartner hingegen massive finanzielle Einbußen auf sich zukommen.209 Gerade der Ausschluss von persistenten organischen Verbindungen, auch POP (Persistent Organic Pollutants) genannt, die nur sehr langsam abgebaut werden können, war immer wieder Thema in den Gesprächen über die Deponie. Dazu gehören neben PCB und Dioxinen auch Chlordan, DDT, Dieldrin und Toxaphen. Hier ließen die DDR-Vertreter erkennen, dass „sie kein Interesse an derartigen Stoffen auf der Deponie haben. Sie sehen hier das Problem – wie wir – in der Festlegung eines praktikablen Grenzwertes“.210 Dieser wurde unter anderem 1984 nochmals auf einem Dioxin-Symposium in Hamburg diskutiert. Die geplanten Sondergräben wären aber für genau solche Stoffe wie Dioxine gedacht gewesen. Doch bereits Ende 1983 erhielten die Behördenvertreter aus Schleswig-Holstein den Eindruck, dass die DDR wegen geringer Einnahmen und hoher Kosten für diesen Bereich kein Interesse an Abfällen für solche Sondergräben hatte.211 Bis spätestens 1986 hatte die DDR nun ganz offiziell 15 Gruppen von Schadstoffen ausgeschlossen. Damit folgte sie quasi dem nicht verabschiedeten PNK Schleswig-Holsteins und ging sogar noch darüber hinaus. So akzeptierte das sozialistische Land keine Abfälle mehr, die unter anderem Spuren von TCDD (Dioxin) oder PCB enthielten.212
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Vgl. BArch, DK5, Bd. 753, Hausmitteilung des AL Umweltschutz, Hermann, an Minister Reichelt, 31. 10. 1984. Lindemann/Discher/Mleinek, Institut für Umweltschutz, S. 157. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 890, o. V., DDR baut Deponie Schönberg nicht aus, in: Kieler Nachrichten, 8. 3. 1986;, Klaus J. Groth, Kein billiger Ausweg, in: LN, 20. 4. 1986, S. 2; Karsten Henke, „Lübeck hat Schönberg lange unterstützt“, in: LN, 19. 8. 1986, S. 4. Vgl. Baerens/Von Arnswald, Müll-Connection, S. 45. BArch, B 288, Bd. 381, Teil 5, Vermerk über die Sonderabfalldeponie Schönberg, Besichtigung durch Behördenvertreter und Journalisten am 28. 10. 1983, MELF, Referat VIII an Verteiler, u. a. Senator Egon Hilpert (SPD Lübeck), Verwaltungsdirektor der Hansestadt Lübeck Wolfgang Maaß, Dr. Kaysers (BKAmt/StäV), Hansjürgen Kreft (BMI), Manfred Johnen (BMIB), 22. 11. 1983. Vgl. BArch, DK5, Bd. 753, Hausmitteilung des AL Umweltschutz, Hermann, an Minister Reichelt, 31. 10. 1984. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 40–45, hier Bl. 42, Information zur Deponie Schönberg im Kreis Grevesmühlen, Argumentationsmaterial gegenüber BRD, Günter Mittag an Erich Honecker, o. D. [vmtl. 1986]. Siehe auch o. V., Deponie Schönberg mit Bonner Ballast befrachtet, in: Die Welt, 3. 7. 1986, S. 4; Siehe zu den Ablagerungsbedingungen der DDR AGG, A (Joschka Fischer), Bd. 92, Anlage 2: Bedingungen für die Aufnahme von Abfallstoffen auf der Deponie Schönberg, zur Stellungnahme des LAGA-ad-hoc-Fachausschusses Deponie Schönberg/DDR, IVB 1, Carl-Otto Zubiller, 23. 12. 1988.
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Die ostdeutschen Ablagerungsbedingungen wurden 1986 auch den Bundesländern mitgeteilt.213 Vor dem Deutschen Bundestag stellte Franz Kroppenstedt, Staatssekretär im BMI, jedoch klar, dass die „Ablagerungsbedingungen der DDR […] weder in der DDR noch in der Bundesrepublik einen rechtlich verbindlichen Status“ haben.214 Neben der Vermeidung des Eindrucks einer rechtsverbindlichen Vereinbarung, wäre die Zurückhaltung auf Bundesebene auch damit erklärbar, dass „Risiko“ im deutschen Rechtssystem eher eine „schwache“ Form von Gefahr darstellt, anders als eine „akute Gefahr“, die ein Exportverbot hätte nach sich ziehen müssen. Risiko impliziert stattdessen einen Gefahrenumstand, dessen Auftreten eher unwahrscheinlich ist und demnach kein unmittelbares Staatshandeln erfordert.215 Während der Bund also signalisierte, dass es mit der DDR kein endgültiges Abkommen gab, stellte die schleswig-holsteinische Landesregierung das im Bericht zum Untersuchungsausschuss des Landtags vollkommen anders dar: So sei der PNK bereits im Frühjahr 1985 von den Ablagerungsbedingungen der DDR „abgelöst“ worden.216 An dieser Auseinandersetzung lässt sich Folgendes ablesen: Wieder einmal gerieten der Bund und in diesem Fall das Land Schleswig-Holstein aufgrund unterschiedlicher Zuständigkeiten (DDR/Abfall) und Interessen (Handel vs. Kontrolle dessen) aneinander. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Frage einer rechtsverbindlichen Klärung bewusst offen gelassen werden und ungeregelt ihren Lauf nehmen sollte, um den beiderseitigen Deal aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig lässt sich darüber jedoch auch ein gegenseitiges Hochschaukeln ökologischer Maßnahmen über die innerdeutsche Grenze hinweg beobachten: Waren im PNK (1983) ursprünglich noch 30 Prozent ölhaltige Böden in Sondergräben erlaubt, reduzierte die DDR dies auf 20 Prozent (1985/86), und – anscheinend – der Bundesumweltminister laut schleswig-holsteinischer Landesregierung wiederum auf zehn Prozent (1986).217 So hielt eine „Ökologisierung“ im Sinne einer umweltpolitischen 213
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Vgl. BArch, B 295, Bd. 37001, Schreiben Schnurers, BMU, an die Oberste für die Abfallentsorgung zuständige Behörde der Länder, betreffend die Deponie Schönberg (DDR), 26. 8. 1986. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 200. Sitzung, Bonn, 26. 2. 1986, Protokoll 10/200, S. 15398–15399. Kein offizieller PNK, um Anschein rechtsverbindlichen Abkommens zu vermeiden: H. Schumann/ Uwe Lahl, Giftkippe der Nation. Die Giftmüll-Dilettanten aus Kiel und Bonn, Serie Teil 2, in: taz, 30. 1. 1986, S. 8. Vgl. Müller/Itzen, Risk as a category, S. 9. Vgl. zur Herausbildung der Differenz zwischen realer und hypothetischer Gefahr: Hannig, Suche nach Prävention, S. 38; Umgang mit Ungewissheit: Beck, Weltrisikogesellschaft, S. 22. Vgl. Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Entwicklung der Mülltransporte zur Deponie Schönberg/DDR und der durch ihren Betrieb gegebenenfalls entstehenden Gefährdungen für die Bevölkerung Schleswig-Holsteins sowie aller damit zusammenhängenden Fragen, insbesondere hinsichtlich des Verhaltens der Landesregierung und der sich daraus ergebenden Folgen, in: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 10/1783, 25. 11. 1986, S. 6. Eine solche Einmischung des Bundesinnen- bzw. später dann Umweltministers konnte jedoch (noch) nicht mittels BArch-Akten nachgewiesen werden. Vgl. ebenda; BArch, B 137, Bd. 10375, Teil 9, Katalog der zur Deponie Schönberg/DDR zu verbringenden bzw. von der Ablagerung ausgeschlossener Abfallarten, Deponiebetrieb und
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Überbietung, wenn auch nur in Ansätzen und in unterschiedlichen Dimensionen, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Einzug. Angesichts des wachsenden Unmuts über das ökologische Risiko in der Bevölkerung und des scheinbaren Kontrollverlusts politischer Autorität musste die Bundesregierung handeln und reagierte, wie zuvor die DDR, auf die Technikentwicklung und Dioxinskandale. Die Lösung, den Müll zu exportieren, war innerhalb der Administration nicht ganz unumstritten. So befürchteten die Bundesländer einen Sog Schönbergs auf Abfallströme, ein Preisdiktat und unerwünschte Entsorgungsabhängigkeiten sowie die Störung beziehungsweise Nichtauslastung der eigenen Entsorgungsstruktur und die schwierigere Durchsetzung neuer Standorte in der Bundesrepublik.218 Auch das BMI listete Ende 1982 weitere abfallpolitische Konsequenzen, die sich aus den Transportgenehmigungen für Schönberg ergaben, auf: Schwierigkeiten bei der Kontrolle und Überwachung steigender Mengen; Verlust der Glaubwürdigkeit durch die Abfallausfuhr gegenüber den Partnern in der EG; Furcht vor Nachfolgeprojekten auf DDR-Seite. In der Ressortbesprechung einigten sich die Vertreter der Ministerien zwar darauf, dass ein Transit durch die Bundesrepublik nur genehmigt werden dürfe, wenn keine Umweltbelastungen entstünden – eine Ablehnung von Transportgenehmigungen wegen mangelnder Auslastung der eigenen Abfallindustrie sollte hingegen kein Kriterium darstellen. Begründet wurde dies damit, dass „die zur Diskussion stehende Problematik nicht DDR-spezifisch zu sehen und insofern der Eindruck einer diskriminierenden Haltung gegenüber der DDR zu vermeiden [sei]“.219 An dem wirtschaftlichen Deal allgemein war also aus abfallpolitischen Motiven, aber auch aus entspannungspolitischen Interessen, insbesondere zu diesem Zeitpunkt 1982/83 (Nachrüstungsdebatte), nicht zu rütteln. Bereits 1982 war der Bundesregierung klar, dass eine dritte Abfall-Novelle entwickelt werden müsse, um den neuen Erkenntnissen und Entwicklungen im Abfallbereich juristisch und legislativ Rechnung tragen zu können. Am 1. Februar 1983 entzog sie dem BMWi die Zuständigkeit für die devisenrechtliche Genehmigungspraxis.220 Die Debatte und der Protest aus der Bevölkerung zum Müllexport in die DDR, der Seveso-Skandal um die verschwundenen Fässer und das Gerücht,
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Sickerwasserbehandlung (Positiv-Negativ-Katalog); AGG, A (Joschka Fischer), Bd. 92, Anlage 2: Bedingungen für die Aufnahme von Abfallstoffen auf der Deponie Schönberg, zur Stellungnahme des LAGA-ad-hoc-Fachausschusses Deponie Schönberg/DDR, IVB 1, Carl-Otto Zubiller, 23. 12. 1988. Vgl. BArch, B 102, Bd. 376575, Teil 4, Deponie Schönberg/DDR, Abstimmungsgespräch zwischen Bund und Ländern am 10. 12. 1982 im BMI, Afz. Dr. Wolbeck, U II 7, 14. 12. 1982. siehe auch den Appell von Wirtschaftsverbänden: BArch, B 288, Bd. 380, Teil 2, Ressortgespräch am 9. 11. 1982 im BMI, Afz. Dr. Wolbeck, 10. 11. 1982. BArch, B 102, Bd. 376575, Teil 4, Mülldeponie Schönberg/DDR, Referat IV 1, Wagner, an Referat S2, BMWi, 21. 4. 1983, Anlage 1: Ressortgespräch am 9. 11. 1982 im BMI, Afz. Dr. Wolbeck, 10. 11. 1982. Vgl. BArch, B 102, Bd. 376575, Teil 4, Mülldeponie Schönberg/DDR, Referat IV 1, Wagner an Referat S2, BMWi, 21. 4. 1983. Das BMWi blieb jedoch für den Transit durch die Bundesrepublik zuständig.
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diese Fässer seien in Schönberg deponiert worden, führten am 1. Juni 1985 zur sogenannten „Seveso-Novelle“. Es war der Versuch der Bundesregierung, den eigenen Anspruch – Entsorgung im Landesinneren, Arbeitsplätze, Kapital „für die zukunftsträchtige und wachstumsorientierte Abfalltechnologie im Lande“ – mit der Wirklichkeit (Entsorgungsengpässe) wieder näher zusammenzubringen.221 Für Abfälle aus der Bundesrepublik galt nun, dass der Abfallbesitzer eine Mischprobe in einem anerkannten Institut analysieren ließ und das Ergebnis sowohl dem Antrag auf Transportgenehmigung als auch – und das war das Neue – dem Antrag auf Annahme in Schönberg beifügte. Die DDR, so die Idee, erteilte die Erlaubnis dafür, was deponiert werden durfte.222 Die Novelle konnte entgegen dem implizierten Anliegen die Flut an Müllexporten nicht aufhalten. Zwar wurden Exporte nun endgültig durch die Länder genehmigungspflichtig und kontrollierbar, doch galt die Ausnahme, dass exportiert werden konnte, wenn einem Land nachweislich keine Abfallentsorgungsanlagen für den Müll zur Verfügung standen und besagte Annahmeerklärung des Empfängerlandes keine Beeinträchtigungen für die bundesdeutsche Bevölkerung erkennen ließ.223 Der öffentliche Druck in der Bundesrepublik wurde indes ab Mitte der 1980er Jahre immer größer: Es begann mit einem Unterausschuss im Landtag Schleswig-Holsteins;224 gefolgt von einer aktuellen Stunde im Bundestag zur Deponie Schönberg225 und, vor allem nach der dritten Novelle des Abfallgesetzes, einer Flut von 400 Klagen von Landesbehörden gegen Transportgenehmigungen nach Schönberg im Jahr 1988.226 Die DDR-Seite bereitete sich auf die Abfall-Novelle vor, sah sie jedoch nicht als Bedrohung an – im Gegenteil: Änderungen aus dem Abfallbeseitigungsgesetz seien für die DDR von Nutzen, „um zu erreichen, daß Antrags-, Genehmigungs- und Kontrollverfahren für die Verbringung von Abfallstoffen aus der BRD in die DDR bzw. im Transit durch die BRD einfacher gestaltet“ sowie durch langfristige Ver-
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Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132332, Engpässe bei der Abfallbeseitigung – grenzüberschreitende Verbringung, Schriftlicher Bericht des BMI für die 37. Sitzung der StALA am 28. 8. 1985, 22. 8. 1985. Vgl. BArch, B 137, Bd. 10375, Teil 9, Positiv-Negativ-Katalog, Schreiben Günter Flessners, MELF des Landes Schleswig-Holstein, an Philipp Jenninger, Staatsminister im BKAmt, 24. 3. 1983; StS Franz Kroppenstedt in: Stenografische Berichte des Deutschen Bundestages, 10. WP, 200. Sitzung, 26. 2. 1986, S. 15399. Vgl. § 13, Dritte Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes vom 31. 1. 1985, in: Bundesgesetzblatt, Nr. 5, Teil I, 7. 2. 1985, S. 204–206, hier S. 204; Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallbeseitigungsgesetz) vom 27. 8. 1986, in: Bundesgesetzblatt, Nr. 44, Teil I, 30. 8. 1986, S. 1410–1420. Siehe dazu auch PA AA, ZA, B 75, Bd. 132298 Antwort von Carl-Dieter Spranger, PStS, BMI, an MdB Wolfgang Saurin, 8. 8. 1985. Vgl. Karsten Plog, Hintergrund: Fragen nicht erwünscht, in: FR, 19. 6. 1986, S. 4. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Teil 8, Vermerk über ein Expertengespräch mit Vertretern der DDR, 17. 4. 1986. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Information über die Beratung mit Experten der BRD zu den geologischen und hydrologischen Bedingungen der Deponie Schönberg (Bezirk Rostock) am 5. 7. 1988; Petra Börnhöft, Kieler SPD-Regierung – „Schad nix, nützt nix?“, in: taz, 6. 5. 1989, S. 13.
264
IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
träge die Deponierung aus dem Ausland gesichert werden könne. Auch Hamburg war fast durchgängig ein verlässlicher Mülllieferant. Zudem nahm das Land Schleswig-Holstein die Deponie Schönberg Ende 1985 in seinen Abfallbeseitigungsplan auf, angeblich um die guten Kontakte zur DDR zu festigen, vermutlich aber um eigenen Deponieraum zu schonen. Für die Ausstellung der Annahmegenehmigungen war das MfUW der DDR zuständig, für ihre Aushändigung an die Zulieferer das Außenhandelsministerium.227 Für die Bundesrepublik hielt also mit der Seveso-Novelle und für die DDR spätestens mit ihren der Westseite übergebenen Ablagerungsbedingungen sowie mit der zunehmenden technologischen Anpassung der Deponie an westdeutschen Standard eine zunehmende Ökologisierung des Wirtschaftsdeals Einzug. Wegen der nicht abreißenden negativen Berichterstattung aus dem Westen über die „Vorzeigedeponie“ erhielt das MfUW außerdem mehr Kontrollrechte und -möglichkeiten (wie z. B. mit dem Dioxinlabor). Schönberg avancierte zum Vorzeigemodell und musste weitestgehend „sauber“ bleiben. Damit ist diese Mülldeponie weder mit denen im Landesinneren der DDR gleichzusetzen noch mit den Mülldeponien, die in den 1970er Jahren für den West-Berliner Abfall in Schöneiche, Vorketzin und Deetz eingerichtet wurden. Letztere entwickelten auch nie den Besucherhype, der Schönberg berühmt(-berüchtigt) machte. Einen handfesten Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR darüber, was abgelagert werden dürfe und was nicht, gab es nie. Und bis auf die schleswig-holsteinische Landesregierung, eventuell Die Grünen und die Mitarbeiter aus den Umweltministerien schien kein anderer Akteur ein glaubhaftes Interesse an ihm gehabt zu haben. Mit der expliziten „Nicht“-Regulierung des Umweltproblems hielten sich beide Seiten Hintertüren für den Müllexport beziehungsweise -import offen.
2.4 Der „Darmausgang der Nation“ — ein deutschlandpolitisches Resümee Das angestrengte Verhalten der Bundesrepublik, die DDR nicht zu brüskieren, lässt eher – entgegen der bisherigen Forschung – den Eindruck entstehen, dass hier nicht die DDR in einem Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zur Bundesrepublik stand, sondern umgekehrt: die DDR saß hier am längeren Hebel. Diese bundesdeutsche Vorsicht lässt sich unter anderem auch in der deutschlandpolitischen Sprach- und Argumentationsweise erkennen. In der Befragung im Deutschen Bundestag äußerte Franz Kroppenstedt, Staatssekretär im BMI: „Das Bemü-
227
Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1358, Bl. 176–180, Vorschlag zur Zusammenarbeit mit der BRD auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung, o. D., o. V. [vmtl. Mitte/Ende 1984]. Siehe zu Hamburg Baerens/Arnswald, Müll-Connection, S. 24; DDR: o. V., „Die größte Müllkippe Europas“, in: Der Spiegel, Nr. 45, 7. 11. 1988, S. 16–17; und zum Plan von Schleswig-Holstein: AGG, B.II.1., Bd. 890, Heiner Brock, Wie kommt Schönberg in Abfallgeneralplan?, in: Kieler Nachrichten, 21. 12. 1985.
2. Die Entstehung eines „neuen“ Umweltproblems: Der Giftmüllhandel
265
hen der Bundesregierung in Bezug auf Schönberg ist darauf gerichtet, durch Kontakte mit der DDR eventuelle Gefahren für Bürger auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auszuschließen.“ 228 Während bei den Umweltproblemen mit der sächsischen Saale argumentiert werden konnte, dass die Bundesrepublik ihrer gesamtdeutschen Verantwortung, also auch einer Verbesserung für die DDR-Bevölkerung, nachkam, verschwindet diese Haltung in der öffentlichen Darstellung des Bundes in Sachen Schönberg völlig – nur Die Grünen schienen die Eindrücke aus den Diskussionen im Osten verinnerlicht zu haben, und thematisierten die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung in West und Ost.229 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Metapher vom „Darmausgang der Nation“ 230. Sie kam im Zuge des Protests gegen Schönberg auf. Wie bereits erwähnt, wuchs in den 1980er Jahren vor allem eine junge Generation heran, die die Bundesrepublik nur in den Grenzen von 1949 kannte. Schönberg an der innerdeutschen Grenze, bezeichnet als das Ausscheidungsorgan des Körpers Bundesrepublik, symbolisiert das geografische Ende des Territoriums einer „bundesdeutschen“ Nation. Am Beispiel Schönberg fand eine quasi völkerrechtliche Anerkennung der DDR statt: So schrieb der Staatssekretär im BMI Carl-Dieter Spranger an das Mitglied des Deutschen Bundestages Wolfgang Saurin (CDU), dass die Bundesregierung der DDR keine „Vorschriften über die in ihrer Souveränität betriebenen Deponie“ machen könne, weshalb es ihr Ziel sei, den Informationsaustausch möglichst gut zu verbessern.231 Das heißt, am Beispiel der Deponie ist abzulesen, wie paradox die deutschlandpolitische Lage in den 1980er Jahren geworden war: In der Theorie hätte der Müllexport aus der Bundesrepublik in die DDR die bundesdeutsche Linie untermauern können, die DDR ähnlich zu behandeln wie ein Bundesland. Auch die Inkludierung der Deponie in die Abfallbeseitigungspläne der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein könnten in diese Argumentationsrichtung passen. Stattdessen wird, wie bereits mit der Souveränität des DDR-Müllbetriebes angeklungen, genau das Gegenteil erkennbar. Auch § 13 der dritten Abfall-Novelle beziehungsweise des neuen Abfallbeseitigungsgesetzes, der den Export in andere Länder thematisiert, setzt die DDR quasi mit dem „Ausland“ 232 gleich. Eine Sprache, die die DDR allzu offensichtlich weiterhin als nicht souverän kennzeichnete, war zu riskant. Zu 228 229
230
231 232
Vgl. StS Franz Kroppenstedt in: Stenografische Berichte des Deutschen Bundestages, 10. WP, 200. Sitzung, 26. 2. 1986, S. 15399. So z. B. Hannegret Hönes in: Grüne: Den Mülltourismus beenden, in: SZ, 20. 2. 1986, S. 2. Grüne wollten Kontakte in die DDR nicht belasten:, Klaus D. Voss, Schönberg als Hauptthema, in: LN, 4. 1. 1986, S. 2; H. Schumann/ Uwe Lahl, Giftkippe der Nation. Die GiftmüllDilettanten aus Kiel und Bonn, Serie Teil 2, in: taz, 30. 1. 1986, S. 8. Vgl. u. a. o. V., Darmausgang der Nation, in: Der Spiegel, Nr. 23, 3. 6. 1985, S. 50–53; Erich Maletzke, Müll statt Marzipan. Lübeck wehrt sich gegen den „Darmausgang der Nation“, in: Die Zeit, 7. 3. 1986, in URL: https://www.zeit.de/1986/11/muell-statt-marzipan [23. 5. 2022]. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132298, Schreiben des PStS Carl-Dieter Spranger, BMI, an den MdB Wolfgang Saurin (CDU) betreffend die Mülldeponie Schönberg (DDR), 8. 8. 1985. Wahrgenommene Rhetorik der DDR als „Ausland“ beim Thema Müllexport: Rosenthal, Kein Schweigen, S. 134.
266
IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
schmerzlich wäre die Erfahrung eines Verschließens des „Darmausgangs der Nation“ gewesen. Entgegen der Nationsmetapher von Buschhaus, doch ähnlich wie bei der Diskussion um die Anerkennung der Elbe-Grenze, ist an der Mülldeponie ein schwindender Glaube an Wiedervereinigung und die Einheit der deutschen Nation und eine Stärkung der Selbstständigkeit beider deutscher Staaten in den 1980er Jahren zu erkennen.233 Volkmar Fenzlein sah Ende 1986 den „Müll-Polit-Tourismus“ als beendet an, da ein allgemeiner Informationsaustausch über Abfallprobleme in der Umweltvereinbarung mit der Bundesrepublik ausgehandelt worden war,234 womit das eingangs als „neu“ definierte Umweltproblem der 1980er Jahre dort seinen Platz fand. Motiviert und gefördert wurde das Müll-Geschäft zunächst von entspannungsund wirtschaftspolitischen Interessen – einem Geben und Nehmen beim bereits angesprochenen für beide Seiten gewinnbringenden Handel „Müll gegen Devisen“. Dass die Ökologie-Diskussion und die ständige Artikulation des Risikos der Mülldeponie im Westen nicht abrissen, machte das Geschäft für den Osten unsicherer, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Der Erhalt dieser Wirtschaftsbeziehungen stand unter dem zunehmenden Druck, ökologische Aspekte und damit technische Sicherheitsstandards berücksichtigen zu müssen. Somit war die Ökologisierung des Müllhandels vor allem in der Bundesrepublik geprägt durch das Wechselspiel verschiedener Akteure aus Bürgerinitiativen, Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik, aus Wissenschaft und Medien sowie durch den Austausch mit DDR-Vertretern und insbesondere die Besuche auf der Deponie. Auch die DDR passte sich den ökologischen Anforderungen mittels technischer Neuerungen und besserer Ablagerungsbedingungen an, um ihr Prestigeobjekt unter den ostdeutschen Deponien nicht unnötig aufs Spiel zu setzen. Dennoch klagte der DDRVertreter Volkmar Fenzlein, mit der Übergabe von Unterlagen müsse „irgendwann Schluß sein, da unsere Seite [Bundesrepublik] sonst gleich einen ständigen Beobachter auf die Deponie entsenden könne.“ 235
3. Ost-West-Kontakte von zivilgesellschaftlichen und politischen Akteuren um 1985 „Ich glaube, ganz Europa befindet sich an einem Scheideweg. Vielleicht anders ausgedrückt, Herr Honecker – es grünt aus allen Ritzen, auch in der DDR! […] Man wird nicht sehr lange eine ökologische, emanzipative grüne Basisbewegung in der DDR als Zweig am weltweit wachsenden grünen Baum unterdrücken oder einschüchtern können – all die Problembereiche, die wir hier bei uns versuchen ökologisch und gewaltfrei zu lösen, gibt es ebenso in der DDR.“ 236
233 234 235 236
Vgl. Bösch, Geteilt und verbunden, S. 22; siehe zur „Dreckschleuder der Nation“ Buschhaus Kap. III.3.3. Vgl. BArch, B 288, Bd. 382, Vermerk über ein Expertengespräch mit Vertretern der DDR am 13. 11. 1986 in Lübeck. Siehe zur Umweltvereinbarung Kap. IV.4.1. Ebenda, Vermerk über ein Expertengespräch mit Vertretern der DDR am 17. 4. 1986 in OstBerlin. RHG/OWK 1, Bl. 72 f., Schreiben von Petra Kelly an Erich Honecker, 15. 1. 1985.
3. Ost-West-Kontakte um 1985
267
Petra Kelly zitiert in diesem Brief an Erich Honecker eine solidarische Grußbotschaft von Ulrike und Gerd Poppe, Bärbel und Dietrich Bohley, Katja Havemann und zwölf weiteren DDR-Bürgerinnen und Bürgern, die sie an die Bundesversammlung der Grünen Ende 1984 in Hamburg gerichtet hatten.237 Tatsächlich hatten die 17 DDR-Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler nach einem Besuch von Petra Kelly und Gert Bastian am 4. Dezember 1984 für einen kurzen Augenblick die Beantragung einer DDR-Sektion der Grünen vor Augen. Eine solche war jedoch niemals Teil des deutschlandpolitischen Programms der Grünen gewesen, barg juristische Probleme und hätte die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei noch verschärfen können – auch deshalb nahmen die oben genannten Personen von dieser ohnehin nur intern diskutierten Idee Abstand, setzten auf Eigenständigkeit und gründeten die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM).238 Das Zitat impliziert jedoch eine gemeinschaftsstiftende Wirkung des Universalthemas Umweltschutz über den „Eisernen Vorhang“ hinweg. Zeit also, eine Zwischenbilanz zu ziehen, was jenseits der staatspolitischen Kontaktebene passierte. Sowohl der gemeinsame deutschsprachige Kommunikationsraum der geteilten Nation als auch die verflochtenen ökologischen Probleme und Herausforderungen hätten theoretisch eine Annäherung zwischen beiden Seiten begünstigen können. Schließlich entwickle sich nach Akira Iriye über die transnationale Zivilgesellschaft ein globales Bewusstsein und eine globale Gemeinschaft.239 Beschwört auch Radkau das Pathos der Einen Welt sei für die Umweltbewegung wichtig gewesen, so tut Uekötter diese Einheit jedoch damit ab, sie sei mehr Mythos als Tatsache gewesen.240 Bezogen auf beide deutsche Staaten könnte Uekötter wohl Recht behalten. Die Frage ist daher, wie tiefgreifend wäre eine solche transnationale Beziehung zwischen Ost und West gewesen und inwiefern spielte die ökologische, aber auch in Ansätzen die nationale Frage eine Rolle – ohne letztere hier vorschnell vorweg zu nehmen?241 Demnach ist es wichtig, das jeweilige Selbstverständnis der Gruppen und Akteure sowie ihren Umgang miteinander herauszuarbeiten. Bei näherer Betrachtung verhinderten nämlich praktische Probleme und unterschiedliche Ausprägungsformen in Ost und West eher die Ausgestaltung und das Zusammenwachsen dieser ohnehin heterogenen Umweltgemeinschaft als sie zu fördern – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen.
237 238 239 240 241
Vgl. RHG/OWK 1, Bl. 127–130, „An die Bundesversammlung der GRÜNEN der BRD in Hamburg“, 4. 12. 1984; Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 82 f. Vgl. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 80–83. Nach Jordan „zerredeten“ Informelle Mitarbeiter (IM) der Stasi die Idee: Jordan, Akteure und Aktionen, S. 65. Vgl. Iriye, Global Community, S. 113 f., 133, 192; siehe auch Anderson, Imagined Communities, S. 6 f., 133 f. Vgl. Radkau, Ära, S. 139; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 117; Macekura, Limits, S. 490. Kritik zu transnationalen Beziehungen als Überhöhung und zur Frage der „nationalen Einheit“ bei Bösch, Geteilt und verbunden, S. 21; „Nation“/Gemeinschaftsvorstellungen spielten bei den DDR-Wissenschaftlern ab den 1970er Jahren z. B. keine Rolle mehr: Niederhut, Wissenschaftsaustausch, S. 243, 307, 312, 315, 320.
268
IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Wie singulär und einzigartig diese rar gesäten deutsch-deutschen Beziehungen an der Basis waren, weshalb sie in der historischen Betrachtung auch keinesfalls zu einer Überschätzung führen sollten,242 verdeutlicht auch ein Blick auf die quantitative Zusammensetzung der „ökologischen Bewegung“ der DDR. Diese teilte sich, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, in die staatliche Massenorganisation GNU und die alternativen Umweltgruppen im Umfeld der evangelischen Kirchen. Die genauen Angaben schwanken zwischen etwa 40 alternativen Kreisen im Jahr 1985, die auf etwa 58 bis 76 Gruppen mit mindestens 550 bis 1500 Aktiven im Jahr 1988/1989 wuchsen. Die Mitgliederzahl der GNU steigerte sich hingegen von 40 000 1980 auf 60 000 bis zum Jahr 1987.243 Bräutigam berichtete daher bereits 1983 nach Bonn, „auch in der DDR [gebe es] eine ‚grüne Bewegung‘“, nämlich im Kulturbund und zwar nach dem Vorbild der UdSSR.244 Die Motive der SED-Führung der Forderung aus dem Kulturbund nachzukommen und 1980 die GNU ins Leben zu rufen, waren eng mit dem politisch-gesellschaftlichen Kontext Ende der 1970er Jahre verknüft: So förderte erstens die Gründung von Landesverbänden der Grünen in der Bundesrepublik sowie die zunehmende Beschäftigung der Kirchen in den 1970er Jahren im Rahmen des Schöpfungsdiskurses und der sich daraus entwickelnden Umweltgruppen ihr Entstehen.245 Die Interessen Umweltschutzbewegter innerhalb der DDR sollten und konnten dadurch zweitens in einer Massenorganisation des Regimes kanalisiert, aber auch kontrolliert werden. Rolf Caspar, Sekretär des Zentralvorstandes der GNU, ergänzt rückblickend, dass ihre Gründung der Parteiführung drittens dazu diente, außenpolitisch die Repräsentation von „legalen“ Gruppen im Rahmen des KSZE-Prozesses zu erfüllen.246 Und viertens war das strukturelle Argument aus den 1970er Jahren nicht vollends passé, die sich für Umwelt- und Naturschutz interessierenden Fachgebiete der „Natur- und Heimatfreunde“ in einer zentralen Organisation zu bündeln, um deren Themen der DDR-Bevölkerung besser vermitteln zu können. Dafür schlug die GNU durchaus auch leise kritische Töne an, etwa wenn es darum ging, Zuständigkeiten auszubauen und mehr Geld für die Öffentlichkeitsarbeit zu erhalten.247 Julia Obertreis plädiert daher dafür, die offiziellen Naturschutzgesellschaften nicht ausschließlich als verlängerten Arm der osteuropäischen Regime zu betrachten, obwohl das unweigerlich auch der Fall war.248 Die Aufgaben der GNU waren vor allem bildungspolitischer Natur: Die Organisation sollte die DDR-Bevölkerung mit Kenntnissen der „sozialistischen Landes242 243 244 245 246
247 248
Vgl. Bösch, Geteilt und verbunden, S. 21; persönliche Bekanntschaften: Wick, Mauer, S. 179. Vgl. dazu die ausführliche Zusammenfassung von Möller, Umwelt, S. 287, 305 f. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Antrittsbesuch bei Reichelt, Drahtbericht Nr. 222, StäV an AA, 28. 2. 1983. Vgl. Steinmetz, Landeskultur, S. 149–159, 165. Vgl. RHG, Kirchliches Forschungsheim Wittenberg (KFH) 41, Bl. 25–29, hier Bl. 25, Dr. Rolf Caspar: Bürgerbewegungen für Natur- und Umweltschutz. Ähnlich für die UNO auch bei Möller, Umwelt, S. 283. Vgl. Steinmetz, Landeskultur, S. 149–159, 165. Vgl. Obertreis, Naturbeherrschung, S. 120. Siehe zu Aufbau und Struktur: Behrens, Umweltbewegung, S. 328.
3. Ost-West-Kontakte um 1985
269
kultur“ vertraut machen, ihre Heimat- und Naturliebe fördern und offen gegen die durch Westmedien verbreiteten „Hysterien“ und „Halbwahrheiten“ vorgehen. Mit ihren „Landschaftstagen“ versuchte sie beispielsweise einerseits, die Wirtschaftsund Umweltpolitik der SED zu unterstützen, und andererseits neue Mitglieder zu gewinnen.249 Innerhalb der GNU war der Zentrale Fachausschuss (ZFA) Stadtökologie und Umweltschutz mit seinen Interessengruppen (IG) die drittgrößte Gruppe. Er setzte sich hauptsächlich mit dem Thema Umweltschutz im Sinne der Luft- und Gewässerverschmutzung auseinander und bestand 1989/90 aus ca. 380 Arbeitsgruppen und Interessengemeinschaften, in denen etwa 7000 Mitglieder aktiv waren. Ihre Teilnehmer waren deutlich jünger als der Durchschnitt und hatten keinen beruflichen Bezug zum Natur- und Umweltschutz.250 Der Bundesregierung stellte sich nun die Frage, wie mit den staatlichen und kirchlichen Umweltgruppen in der DDR umzugehen sei. Der ECE-Generalsekretär Klaus Sahlgren empfahl im Gespräch mit AA-Staatssekretär Hans Werner Lautenschlager, die Regimekritik der Jugend im Gewand des Umweltschutzes nicht auszunutzen, sondern stattdessen auf die Wissenschaftler als „pressure group“ zu setzen.251 Staatsminister Philipp Jenninger wollte den Umweltschutz zu einem wichtigen Schwerpunkt in den Beziehungen machen, in dem Bewusstsein, dass dies teuer werden könne: „Die DDR könne u. U. dadurch in Bedrängnis gebracht werden, daß man mit einem Umweltgutachten über die DDR in der Öffentlichkeit spiele. Anders als bei der Friedensbewegung sei die DDR gegen eine ökologische Bewegung machtlos.“ 252 Dies wurde im deutschlandpolitischen Koordinierungsgespräch von den anderen Teilnehmern jedoch abgelehnt, um die DDR gerade nicht unter Druck zu setzen. Stattdessen sollten Informationen gesammelt werden.253 Die DDR vermutete ohnehin, dass die Bundesregierung Informationen an die Presse weitergab.254 Die westdeutschen Medien wie zum Beispiel „Der Spiegel“ entdeckten den umweltverschmutzten Osten jedoch von allein.255 In der ersten Hälfte der 1980er Jahre war die Bundesregierung auch längst nicht mehr die einzige Akteurin, die auf diesem Feld aktiv war. Auch Parteien und Ver249 250
251 252 253 254 255
Vgl. Steinmetz, Landeskultur, S. 157–159, 174–176; Neubert, Opposition, S. 453. Vgl. Steinmetz, Landeskultur, S. 162, 182 f., 183; Möller, Umwelt, S. 287, 305 f.; Neubert, Opposition, S. 453; Beleites, Dicke Luft, S. 21. Vgl. mit westlichen Umweltschutzgruppen bei Behrens, Umweltbewegung, S. 331. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132209, Gespräch des StS Lautenschlager mit ECE-Generalsekretär Klaus Sahlgren, 14. 6. 1984, Bonn. Protokoll von Meichsner (BMIB) über das deutschlandpolitische Koordinierungsgespräch, Bonn, 16. 2. 1984, Dok. 143, in: DzD, VII/1, S. 519. Vgl. ebenda; siehe auch Wentker, DDR in den Augen des BND, S. 340. Vgl. Möller, Umwelt, S. 236. Zunächst standen einzelne Themen wie die Elbeverschmutzung oder das Waldsterben im Erzgebirge im Fokus, siehe u. a. o. V., Wieder Tundra, in: Der Spiegel, Nr. 48, 28. 11. 1983, S. 152–153; später brachten v. a. Reportagen und Dokumentationen für die Sendung Kontraste oder im Magazin „Der Spiegel“ von Peter Wensierski Umweltschäden der DDR in die westliche Medienwelt: u. a. die Artikelserie „Wir haben Angst um unsere Kinder“, in: Der Spiegel, Nr. 28, 8. 7. 1985, S. 64–74, Nr. 29, 15. 7. 1985, S. 62–68, Nr. 30, 22. 7. 1985, S. 60– 68; siehe auch Wensierski, Umweltprobleme in der DDR, S. 604–605; Rosenbladt, Der Osten.
270
IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
bände interessierten sich zunehmend für die Umweltverschmutzung in der DDR und waren auf Kontaktsuche. Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich im Laufe der 1980er Jahre ergaben, lassen – wie bereits gesagt – die Frage nach der Intensität dieser transnationalen Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes zwischen beiden deutschen Staaten aufkommen. Jedoch gilt es hierbei die jeweiligen Motive für Kontaktaufnahmen zu hinterfragen, und diese hinterlassen ein eher ambivalentes Bild. Oberflächlich gesehen einte Ost und West sowohl politisch als auch gesellschaftlich der Wunsch nach mehr Umweltschutz. Tiefer gebohrt wird ein unterschiedliches Verständnis dessen, was die jeweilige Seite darunter verstand und wie sie damit umgehen wollte, offensichtlich. Handlungen auf offizieller und inoffizieller Ebene wurden unter anderem dadurch motiviert, dass das Gefühl vorherrschte, auf der zwischenstaatlichen Ebene gebe es Stillstand beziehungsweise geschehe zu wenig zu langsam. Zivilgesellschaftliche Kontakte zwischen Umweltgruppen gab es – aufgrund der eingeschränkten Reisefreiheit der DDR-Bürger – hauptsächlich von West nach Ost. Dabei lassen sich im Folgenden für westdeutsche Akteure zwei markante Wege der Kontaktentwicklung ausmachen: Erstens der offizielle Weg über die Staatsführung und das MfUW der DDR. Zweitens der inoffizielle Weg über die alternativen Umweltgruppen im Rahmen der Kirchen. Manchmal kam sowohl die eine als auch die andere Möglichkeit zum Tragen (Die Grünen) und manchmal keine von ihnen (Greenpeace). Fraglos trugen sie zu einer Ökologisierung beider Gesellschaften bei, das heißt zu einer Thematisierung und Bewusstseinsbildung über ökologische Probleme. Begonnen wird auf den nächsten Seiten mit den offiziellen Kontakten zum DDR-Regime. Hier taten sich Mitte der 1980er Jahre insbesondere die CSU, Die Grünen und der BBU hervor. Ergänzt werden diese Ausführungen mit einer Darstellung der deutsch-deutschen Kontakte an der Basis und Richtungsdiskussionen innerhalb der unabhängigen DDRUmweltgruppen.
3.1 „Shakehands mit Honey“ 256 — (Partei-)Politische und offizielle Kontakte Zwischen 1983 und 1987 gab es mindestens dreizehn Treffen von Hans Reichelt mit Umweltministern der westdeutschen Bundesländer und anderen Parteienvertretern in der DDR (vgl. Tab. 6). Möglicherweise folgte damit die Bundesrepublik einem Vorschlag Reichelts, die Ministerkontakte zu erhöhen.257 Die Themen konzentrierten sich für die Bundesrepublik hauptsächlich auf das „Waldsterben“ und für die DDR auf das Kraftwerk Buschhaus. Die betroffenen Bundesländer Niedersachsen und Bayern stechen in dieser Aufstellung besonders heraus, vermutlich wegen der grenznahen Brennpunkte Papierfabrik VEB Rosenthal in Blankenstein
256 257
Jochen Lange, Kommentar. Die DDR – ein Umweltparadies?, in: „Der Osten ist grau. DDR Umweltpolitik“, Umweltmagazin, 7. Jg., Oktober/November 1984, S. 21. Siehe zu Reichelts Vorschlag Kap. IV.1.
3. Ost-West-Kontakte um 1985
271
(„Katzendreckgestank“) und nochmals Buschhaus. Interessant ist, dass diese Länderebene in den Inhaltsschwerpunkten der internationalen Ebene gleicht, sich also der Luftverschmutzung widmete. Die Gewässerverschmutzung nahm zwar auch ihren Raum ein, doch obwohl Gewässerschutz Ländersache war, schien seine Behandlung hier bei weitem nicht so dringlich zu sein wie auf der bilateralen Staatsebene, schließlich wurden sie ja zum Teil bereits verhandelt. Am stärksten tritt die Beziehung zwischen Hans Reichelt und dem bayerischen Staatsminister für Umweltfragen Alfred Dick in den Vordergrund. Nachdem sich beide bei der Unterzeichnung der Röden-Vereinbarung in München im Herbst 1983 kennen gelernt hatten, reiste Dick einen Monat vor der Münchner Umweltkonferenz vom 14. bis 18. Mai 1984 begleitet von etwa 30 Journalisten und drei Fernsehteams zum Gegenbesuch in die DDR. Themen seiner Gespräche dort waren die Waldschäden und die insbesondere von den Medienvertretern hervorgehobene Luftverschmutzung im Raum Hof. Giftige Gase verbrannten die Nüstern von Pferden, Wandervereine gingen wegen der schlechten Luft ein, Eltern waren um die Gesundheit ihrer Kinder besorgt, Schäden im Fichtenwald und weißer Schaum auf den Wiesen: „… der Unmut der Bevölkerung ist in einer solchen Weise gewachsen, daß die Beamten des Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen in nächtlichen Anrufen mit beleidigenden Vorwürfen angegriffen werden.“ 258 Allerdings hatte nicht nur die DDR Schuld an den bedenklichen Zuständen, denn der Raum Hof war zwar den SO2-Belastungen durch den VEB Rosenthal in Blankenstein ausgesetzt, hatte aber auch unter dem geruchsintensiven Mercaptan aus dem tschechischen Industriegebiet Sokolov zu leiden. Bayern verlangte von der Bundesregierung mehrmals, sie müsse das SO2-Problem gegenüber der DDR ansprechen, hatte damit jedoch keinen spürbaren Erfolg. Hauptsächliches Motiv Münchens, hier selbst die Initiative zu ergreifen, war die Auffassung, Bonn setze sich nicht genügend für die bayerischen Belange an der innerdeutschen Grenze ein.259 Dieser Besuch Dicks und die bayerische „Wende“ in der Deutschlandpolitik von der Opposition zum Geldgeber260 erfüllte gleich mehrere Funktionen: Zunächst konnte die bayerische Landesregierung der oberfränkischen Bevölkerung im Raum Hof, die seit Ende der 1970er Jahre über den „Katzendreckgestank“ der Papierfabrik VEB Rosenthal klagte, zeigen, dass sie etwas zur Beseitigung des Missstands unternahm, und tatsächlich reagierte die DDR darauf mit einigen geruchsmindernden Maßnahmen, wie beispielsweise die Einrichtung eines Trop-
258
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260
PA AA, ZA, B 38, Bd. 132530, Brief von Franz-Josef Strauß an Helmut Schmidt, 25. 1. 1980; vgl. für die Beispiele Eckert, West Germany, S. 143, 147; BArch, DK 5, Bd. 3365, Information über den Besuch des bayerischen Staatsministers für Landesentwicklung und Umweltfragen, Alfred Dick, in der DDR, 14.–18. 5. 1984, Reichelt; Eckert, West Germany, S. 147. Vgl. Eckert, West Germany, S. 143–147. Vgl. u. a. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132146, die Resolution der Initiative Nordostoberbayern für Gesunde Luft, 11. 1. 1982, und weitere Beschwerden zum „Katzendreckgestank“. Siehe zur Klage Bayerns vor dem Bundesverfassungsgericht Kap. II.1. und zum vermittelten Mrd.-Kredit an die DDR von Franz Josef Strauß Kap. III.2.3.
272
IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
fenabschneiders und der Außerbetriebnahme des Kesselhauses.261 Bayern registrierte, dass die SO2-Belastung um 25 Prozent sank und die Beschwerden zurückgingen. Außerdem gestand die DDR-Seite den Bayern ausführliche Informationen zu. Dieses Entgegenkommen bewertet die Historikerin Astrid M. Eckert mit der „strong period“ von Reichelt in Ostberlin.262 Es dürfte in diesem Fall jedoch auch das Zwischenmenschliche eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Reichelt und Dick verstanden sich gut, sodass diese „Männerfreundschaft“ sein Übriges zu dieser funktionierenden Beziehung beitrug.263 Und schließlich versuchte sich die Landesregierung mit Hilfe dieser Gespräche auf den Fall vorzubereiten, sollte ein deutsch-deutsches Umweltabkommen zustande kommen. Ein solches Abkommen konnte für sie einerseits die Lieferung von Umwelttechnologie an die DDR, andererseits Kostenbeteiligungen bedeuten. In diesem Sinne fühlte Dick auch für die Bundesregierung vor, wie gut die Chancen auf ein Umweltabkommen mit der DDR standen.264 Zwar hatte Franz Josef Strauß der Bundesregierung schon länger eine deutschlandpolitische Konzeptionslosigkeit vorgeworfen,265 und konnte nun zeigen, wie Deutschlandpolitik „richtig“ funktioniere, doch hielten sich die Bayern an die Grundsatzerklärung ihrer Schwesternpartei CDU. Im DDR-Protokoll wurde dies explizit wie folgt festgehalten: „Wie bereits in München wurde wiederholt, immer wieder von neuem von ‚gesamtdeutschen‘ Anstrengungen, vom ‚Brückenschlag‘, vom ‚deutsch-deutschen Verhältnis‘ gesprochen, sodaß von uns mehrfach auf das Vorhandensein von zwei deutschen Staaten und die Entwicklung ihrer Beziehungen auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz, eines ausgewogenen Interessenausgleiches und der souveränen Gleichheit verwiesen werden mußte.“ 266
Obwohl Reichelt hier auf die Souveränität seines Landes hinweisen musste, so entsprach Dicks Besuch als Landesminister beim Umweltminister genau der jahrelangen Auffassung der Bundesrepublik, die DDR entspreche nicht dem Ausland, sondern eher dem Status eines Bundeslandes. Dass Alfred Dick dennoch dieses Privileg eines viertägigen DDR-Besuchs zukam, kann als Gegenleistung der Ost-
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Vgl. Eckert, West Germany, S. 147; siehe zu Investitionen der DDR: BArch, DK 5, Bd. 4740, Information über das Gespräch mit Karl-Heinz Hiersemann (SPD) mit Reichelt am 22. 5. 1986; und zur Reduzierung der Geruchsstoffe: BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, „Vielfältige Beziehungen DDR – BRD beim Umweltschutz – Beitrag zum politischen Dialog, Interview mit Hans Reichelt, Handelsblatt, o. D. [vmtl. 1986/87]. Vgl. zum gemeinsamen Sanierungskonzept für den VEB Rosenthal von Bund, Ländern und DDR: Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 821 f. Vgl. Eckert, West Germany, S. 152–153; siehe auch Huff, Natur, S. 265. Reichelt und Dick pflegten ihre freundschaftlichen Kontakte nach 1990 weiter. Gespräch der Autorin mit Dr. Hans Reichelt am 6. August 2014 in Schöneiche bei Berlin. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3365, Information über den Besuch des bayerischen Staatsministers für Landesentwicklung und Umweltfragen, Alfred Dick, in der DDR vom 14. bis 18. Mai 1984, Hans Reichelt, bestätigt am 23. 5. 1984. Vgl. o. V., „Beim nächsten Mal liegt die Meßlatte höher“, in: Der Spiegel, Nr. 37, 10. 9. 1984, S. 17–24, hier S. 19, 21. BArch, DK 5, Bd. 3365, Information über den Besuch des bayerischen Staatsministers für Landesentwicklung und Umweltfragen, Alfred Dick, in der DDR vom 14. bis 18. Mai 1984, Hans Reichelt, bestätigt am 23. 5. 1984. Vgl. Möller, Strauß, S. 593.
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deutschen für die von Strauß und Schalck eingefädelten und mit Bundeskanzler Kohl abgesprochenen Milliardenkredite an die DDR 1983 und 1984 gewertet werden. Der Besuch war demnach die Folge eines von Strauß und Honecker im Jahr 1983 verabredeten „ökologischen Ost-West-Dialogs“ 267. In dem Gespräch vetrat Strauß jedoch fortwährend die umweltpolitischen Interessen der Bundesregierung.268 In einem anderen Gespräch zwischen Fenzlein und Dick äußerte Letzterer wiederum beschwichtigend, die bayerische Regierung möchte die „Normalisierung der Beziehungen gegen die ‚Unbeweglichen‘ in der Bonner Regierung, Parteien oder Ländern, die ‚auf bisherigen Positionen beharren‘“ voranbringen.269 Damit rekurrierte er auf manche Hardliner in Bonn, die die deutsche Oder-Neiße-Grenze im Osten nicht akzeptierten und mit den Vertriebenenverbänden paktierten. Auf diese Weise versuchte sich die bayerische Landesregierung von „rechten“ Kreisen in Bonn abzugrenzen und auf deutschlandpolitische Kontinuität zu setzen. Das sollte einer erneuten Abschottung der DDR entgegenwirken, ihr gegenüber Initiative zeigen und eine „richtige“ Deutschlandpolitik ermöglichen. Denn für Strauß gab es in der Deutschlandpolitik keine Leistung ohne Gegenleistung. Das Ziel der Unionsparteien stets vor Augen und Parteigenossen daran erinnernd, galt es, die Folgen der Teilung abzumildern. Das hieß konkret deutsch-deutsche Kontakte zu fördern, die Selbstschussanlagen abzubauen, den Zwangsumtausch zu mindern und West-Berlin zu sichern.270 Indessen betonte die DDR wie eh und je ihre völkerrechtliche Souveränität, weshalb es eigentlich nach einer Direktive von 1983 keine „formalisierten“ Beziehungen zwischen dem MfUW und den jeweiligen Ministern der Länder zu Umweltfragen geben sollte. Damit wollte die SED-Führung der oben genannten westdeutschen Auffassung entgegentreten.271 Weil Reichelt Ministerkontakte zwar nicht am Politbüro vorbei etablieren konnte, aber westdeutsche Minister dazu ermunterte, Verbindung zu suchen, bestand durchaus die Chance, dass das ein oder andere Gespräch doch genehmigt wurde. Und das barg Aussichten auf gewisse Fortschritte bei möglichen gemeinsamen Umweltprojekten. Diese Treffen wurden jedoch nie institutionalisiert und mussten immer wieder neu ausgehandelt werden.272 So etwa wurde Alfred Dick ein Treffen mit Reichelt im Mai 1985 von Mit267
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BArch, DK 5, Bd. 4740, Information über Franz-Josef Strauß, Reichelt an Mittag, 24. 5. 1984. Siehe zum Kredit und zur Einbeziehung Strauß‘ in die Deutschlandpolitik, Wirsching, Abschied, S. 597. Vgl. Gespräch Strauß – Honecker, 24. 7. 1983, Hubertusstock, Dok. 5, in: Potthoff, Koalition, S. 146 f., 155 f. BArch, DK 5, Bd. 4740, Anlage: Gespräch zwischen Volkmar Fenzlein und Alfred Dick in Garmisch-Patenkirchen am 25. 9. 1985, Karl Seidel (MfAA) an Reichelt/Mittag, 2. 10. 1985. Siehe zu rechten Kreisen in der CDU beispielsweise o. V., „Wäre ich Deutscher, würde ich schreien“, in: Der Spiegel, Nr. 2, 5. 1. 1987, S. 22–30. Vgl. Möller, Strauß, S. 593. Vgl. BArch DK 5, Bd. 1509, Information als Direktive, bestätigte Vorlage, o. V., 15. 8. 1983; Wentker, Außenpolitik, S. 410. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Entscheidungsvorschlag von Mittag am 2. 12. 1985, (Grundlage war ein Vermerk über ein Gespräch zwischen Alfred Dick und Volkmar Fenzlein in der
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
tag verwehrt. Grund war die oben genannte Ablehung, mit Bundesländervertretern zu verhandeln. Und als Dick Reichelt zur Umweltministerkonferenz der Länder einlud, verhinderte Mittag Reichelts Teilnahme aus berlinpolitischen Gründen, denn auch der West-Berliner Senat partizipierte gleichberechtigt.273 Als Dick außerdem an einem vom UBA organisierten Wasser-Kongress in West-Berlin teilnahm und daneben mit Reichelt sprechen wollte, wurde ihm offiziell mitgeteilt, dass dieser keine Zeit habe.274 Die politischen Animositäten, wegen derer die DDR dieses Treffen in Wirklichkeit absagte, sollten in den Hintergrund treten. Die SED war bestrebt, den Anspruch der Souveränität zu wahren, ohne den potenziellen Verhandlungspartner zu verprellen. Die Termine Reichelts mit Dick und auch Frank Herrmanns mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurden zwar abgesagt, die ideologischen Gründe (UBA) dafür jedoch nur intern weiter paraphrasiert, was bereits als ideologischer Erosionsprozess interpretiert werden kann.275 Ferner bahnten sich zu diesem Zeitpunkt schon bilaterale Umweltgespräche mit dem Bund an, die durch eine berlinpolitische Begründung der Absagen vermutlich nicht gestört werden sollten. Auch parteinahe Stiftungen nahmen Kontakt auf. So veranstaltete die GNU zusammen mit der Kammer der Technik und dem Bund der Architekten unter Leitung des MfUW im Juni 1986 zusammen mit der CSU-nahen Hanns-SeidelStiftung (HSS) die erste gemeinsame Tagung mit dem Titel „Umwelt 86“. Für die DDR-Seite barg dieses Symposium die Möglichkeit, den politischen Dialog mit westdeutschen Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik fortzusetzen und die Ziele sozialistischer Umweltpolitik im Rahmen der „friedlichen Koexistenz“ anzupreisen. Für die bayerische Delegation bot sich eine Gelegenheit, abermals auf die Geruchsbelästigungen durch die Papierfabrik in Blankenstein hinzuweisen.276 Des Weiteren kam das Symposium der CSU-Spitze vor den Landtagswahlen sehr gelegen, konnte sie doch damit zeigen, dass Kontakte zur DDR nicht allein Sache der SPD waren. Einen Monat zuvor hatte der bayerische Landesvorsitzende
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Grenzkommission); siehe dazu auch Anhörung von Hans Reichelt, 18. 1. 1990, in: Klemm, Korruption und Amtsmissbrauch, S. 172. Vgl. Entscheidungsvorschlag von Mittag am 2. 12. 1985, (Grundlage war ein Vermerk über ein Gespräch zwischen Alfred Dick und Volkmar Fenzlein in der Grenzkommission), in: BArch, DK 5, Bd. 4740. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1327, Bl. 319, Schreiben Schlack/Mittag an Erich Honecker, 19. 3. 1985. Siehe auch BArch, DK 5, Bd. 4740, Standpunkt zu vom bayerischen Umweltminister Dick angesprochenen Umweltfragen und Vorschläge zum Vorgehen, 1. 7. 1985, Schalck an Reichelt. Siehe zu Herrmanns abgelehnter Teilnahme [intern (UBA), offiziell (Terminschwierigkeit)] am Symposium „Umweltschutz und nationale Souveränität“ der FES: BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1445, Bl. 43–44, Standpunkt zur Teilnahme an Veranstaltungen der FriedrichEbert-Stiftung, Schreiben Mittags an Honecker, 15. 4. 1988. In der Sowjetunion verschwand der Metadiskurs über die Ideologie in der Öffentlichkeit: Yurchak, Everything Was Forever, S. 5–14, 18–29. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9664, Bericht über den Verlauf des Symposiums „Umwelt 86“ mit der Hanns-Seidel-Stiftung“ (BRD) in Dresden vom 23.6. bis 26.6. 1986.
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Karl-Heinz Hiersemann (SPD) mit Reichelt gesprochen, woraus sich wiederum Kontakte zwischen dem Kulturbund der DDR und dem BUND ergaben.277 Ein erster Besuch des BUND bei der GNU in der DDR erfolgte ein Jahr später.278 Damit wurde Bayern das Bundesland, das trotz aller Widrigkeiten Mitte der 1980er Jahre auf der offiziellen Ebene die vielfältigsten Kontakte zur DDR im Umweltbereich aufwies. Ein weiterer parteipolitischer Akteur, der im Umwelt-Bereich nicht fehlen darf, ist die „Anti-Parteien-Partei“ Die Grünen. So empfand es deren Mitglied Antje Vollmer als „Absurdität“, dass Alfred Dick und nicht Die Grünen mit Reichelt sprachen.279 Dass ihnen von CDU und SPD der umweltpolitische Rang abgelaufen wurde, erkannte und besorgte die Partei.280 Dieser Umstand wirkte sich auch auf ihre „grüne“ Deutschlandpolitik aus. Ihr Schwerpunkt verschob sich augenscheinlich in Richtung Frieden, Menschenrechte und Basisdemokratie, aber den Bereich der Umweltpolitik schafften sie nicht nachhaltig in ihren Beziehungen zur SED und zur Basis zu etablieren.281 Nach der Bundestagswahl 1983, in der Die Grünen 5,6 Prozent der Stimmen erreicht hatten, und das erste Mal in den Deutschen Bundestag engezogen waren, weiteten sie systematisch ihre Kontakte zur DDR-Friedensbewegung aus. Diese waren noch begleitet von offiziellen Kontakten zu Erich Honecker und Hans Reichelt, die für Die Grünen einen Teil ihrer Doppelstrategie darstellten. Mittels der offiziellen bilateralen Gespräche sollte Vertrauen hergestellt und die konfrontative Situation zwischen den Blöcken abgebaut werden.282 Aber jedem offiziellen Besuch wurde ein Kontakt zu unabhängigen kirchlichen Umweltgruppen zur Seite gestellt. Darüber hinaus sollte eine Abgrenzung zu anderen Parteien erfolgen, indem Die Grünen beispielsweise immer wieder den Versuch unternahmen, mit dem Fahrrad über die Grenze zu fahren, oder bei offiziellen Empfängen vegetarisches Essen verlangten.283 Zusätzlich sollte die Dop277
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Information über das Gespräch von Karl-Heinz Hiersemann (SPD) mit Hans Reichelt, 22. 5. 1986. Siehe auch BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9392, Brief von Schulmeister (Kulturbund), an die Geschäftsstelle des BUND in Bonn, 30. 9. 1986; BArchSAPMO, DY 27, Bd. 9151, Schreiben Manfred Fiedlers (Kulturbund) an Rudolf Rüthnick, Generalforstmeister, 26. 3. 1987. Siehe zu BUND-GNU-Beziehungen Kap. IV.4.2. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Beschluss des Sekretariats des Präsidiums des Kulturbundes der DDR, Nr. IV/60b, 27. 4. 1987; und Schreiben Fiedlers (GNU) an Generalforstmeister Rüthnick, 26. 3. 1987. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 1766, Neu über deutsch-deutsche Fragen nachdenken, Interview mit Antje Vollmer, Sprecherin der Fraktion die Grünen, im Deutschlandfunk, PM Nr. 298/84, 12. 6. 1984. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 5974, Protokoll der AK-Sitzung vom 14. 7. 1987; Wirsching, Abschied, S. 129; Wick, Mauer, S. 170, 229. Vgl. Wick, Mauer, S. 171, 247. Vgl. Heidemeyer, (Grüne) Bewegung, S. 71, 73, 85 f. Siehe zu den verschiedenen Positionen zur Deutschlandpolitik innerhalb der Grünen – „Dialogfraktion“, die „Basis- und Symbolfraktion“, die „Vermittlerfraktion“ und die „Nationalneutralisten“ – davon vetraten die beiden mittleren die Doppelstrategie: Wick, Mauer, S. 75–94, 152, 166. Siehe zur grünen Deutschlandpolitik auch Mende, Geschichte, S. 348–352. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 1766, Vorschläge für Gespräche der „Grünen“ mit und in der DDR, Hubertus Knabe, o. D.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
pelstrategie der Grünen von öffentlichkeitswirksamen „direkten Aktionen“ 284 begleitet werden. Die erste und breitenwirksamste dieser Aktionen war die Demonstration einer Gruppe der Grünen um Petra Kelly und Gert Bastian am 12. Mai 1983 auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz. Entgegen den Interessen einiger Vertreter der DDRFriedensbewegung, posierten sie vor der Weltzeituhr mit friedenspolitischen Plakaten für eine beiderseitige Abrüstung. Sie platzierten sich „5 Minuten vor 12“, was auf die gängige Metapher für den atomaren und seit Beginn der 1970er Jahre auch ökologischen Weltuntergang anspielte. Vom MfS festgenommen, handelte die Gruppe aus, dass sie in der Bürgersprechstunde im Staatsrat der DDR eine Erklärung übergeben konnte. Die eigene Partei bewertete diese Aktion als „Geltungsbedürfnis“ und Anmaßung einer „Stellvertreterpolitik gegenüber der DDRFriedensbewegung“, wogegen Honecker die Gruppe offiziell zu sich einlud. Im Jahr 1983 ging es der SED allerdings vor allem darum, Die Grünen als Partner im Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss zu gewinnen.285 Darum ging es auch bei dem ersten Treffen dreier Mitglieder der Grünen mit Minister Hans Reichelt in Zeuthen, das den Probelauf für den späteren Besuch beim Staatsratsvorsitzenden darstellte. Als direkte Aktion versuchten Wilhelm Knabe, Charlotte Garbe und Christine Muscheler am 18. Oktober 1983 mit Fahrrädern in Ost-Berlin einzureisen. Das MfS verhinderte dies. In dem sechsstündigen Gespräch präsentierte sich die DDR durchaus umweltorientiert. Mit Wilhelm Knabe, Rudolf Rüthnick und Hans-Günther Däßler trafen hier Forstwissenschaftler aus Ost und West zusammen, die über den Zustand der Wälder berieten. Passend zum Thema gab es daher eine „Begrüßung im Walde“.286 In die abschließende Pressemitteilung der DDR wurde aber kein Umweltthema aufgenommen. Gemeinsamer Nenner der Grünen und Reichelt blieben die Entspannungspolitik und der Protest gegen die Nachrüstung in Westeuropa.287 Damit konnte die SED-Führung Die Grünen im Vorfeld der Bundestagsentscheidung zum NATO-Doppelbeschluss in ihren Kampf gegen die westeuropäische Raketenstationierung einbeziehen288 und – obwohl intern von den Forstwissenschaftlern besprochen – vom eigentlichen Umweltthema ablenken. Es gab jedoch ein pub-
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Die „direkte Aktion“ kommt ursprünglich aus dem Syndikalismus und beschreibt eine Taktik, um in politische, soziale und ökonomische Zusammenhänge mittels Boykott, Streik, Demonstration etc. einzugreifen. Vgl. o. V., Direkte Aktion, in: Der Brockhaus von A–Z (3 Bde.), Band 1: A–Goz, Mannheim 2000, S. 339. Siehe auch Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 57. Vgl. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 48–50; Wick, Mauer, S. 146–148. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5797, Besuch einer Delegation der Grünen in der DDR am 18. 10. 1983, Reichelt an Erich Honecker, Willi Stoph, Günter Mittag und Hermann Axen sowie zur Information an MfS und MfAA, 19. 10. 1983. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 54. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5797, ADN-Mitteilung, 18. 10. 1983, Gespräch mit Delegation der Grünen über Umweltschutz, und Besuch einer Delegation der Grünen in der DDR am 18. 10. 1983, Reichelt an Erich Honecker, Willi Stoph, Günter Mittag und Hermann Axen, sowie zur Information an MfS und MfAA, 19. 10. 1983; Wick, Mauer, S. 155–157. Siehe zur Person Wilhelm Knabes: Metzger, Waldsterbensdebatte, S. 87, 94; Ault, Saving Nature, S. 118 f. Vgl. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 47; Wick, Mauer, S. 146.
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lizistisches Nachspiel, das Reichelt vor der Parteiführung rechtfertigen musste: Die drei Grünen gaben in West-Berlin eine Pressemitteilung heraus, in der sie unter anderem behaupteten, dass die DDR das „Waldsterben“ noch nicht erkannt habe (nur „Waldschäden“) – ohne die Tharandter Forstwissenschaft zu erwähnen. Damit wollte die Delegation die „Ökologiegruppen in der DDR“ stärken.289 Einen Tag nach diesem offiziellen Treffen besuchten dieselben drei Grünen Hans-Peter Gensichen und das KFH in Wittenberg, womit Knabe die grüne Doppelstrategie erfüllt sah.290 Das Insistieren der Grünen auf dem dramatischen Begriff „Waldsterben“ sollte womöglich strategisch Angst vor einer apokalyptischen Zukunft erzeugen und über diese Emotionalisierung weitere Mitstreitende im Kampf gegen die Umweltverschmutzung in Ost und West mobilisieren. Mit dem Verschweigen der DDR-eigenen Bemühungen in Tharandt fütterten Die Grünen in den westdeutschen Medien damit ihr Bild von der DDR-Führung, die angeblich nichts gegen die Waldschäden unternahm. Wissenschaftlich gesehen wurde aber der Begriff „Waldsterben“ ab 1983 auch in der Bundesrepublik zunehmend durch den schwächeren „neuartige Waldschäden“ ersetzt.291 Die ostdeutsche Regierung hatte wiederum Überlegungen angestellt, wie sie mittels der Partei Die Grünen zum Beispiel auf die westdeutsche Regierungsebene dahingehend einwirken könnten, dass diese an die Waldschadensgespräche „realistisch und konstruktiv“ herangehe.292 Ein Unterfangen, das nun eher als gescheitert angesehen werden dürfte. Am 31. Oktober, zwei Wochen später, traf sich – wie verabredet – die Alexanderplatzgruppe der Grünen um Petra Kelly und Gert Bastian mit Erich Honecker; am selben Abend war sie dann bei Rainer Eppelmann in der Samaritergemeinde in Ost-Berlin zu Besuch.293 Somit war auch hier die Doppelstrategie der Grünen erfüllt. Die Gruppe überreichte Honecker nicht nur einen „Persönlichen Friedensvertrag“, sondern auch eine Liste mit umweltpolitischen Themen, die beide Seiten zukünftig besprechen sollten. Dazu gehörte erneut die Einreise mit dem Fahrrad, die Luftverschmutzung durch Blankenstein, die Deponie Schönberg und bekanntlich das „Waldsterben“.294
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5797, Vermerk zu Veröffentlichungen in Westberliner Zeitungen über eine Pressekonferenz der Delegation der Grünen, die am 18. Oktober 1983 zu einem offiziellen Gespräch in der DDR weilte, Reichelt an Häber, 24. 10. 1983. Siehe auch Ault, Saving Nature, S. 119. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 1766, Grüne und die DDR, Kontaktaufnahme zu Umweltfragen, Wilhelm Knabe, 18. 2. 1984; Wick, Mauer, S. 245. Vgl. Schäfer/Metzger, Waldsterben?, S. 210. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1328, Bl. 568–577, hier Bl. 574, 577, Stellungnahme zu dem Material „Themen für Gespräche mit der DDR“, das von der Delegation der Grünen während des Gesprächs mit Genossen Erich Honecker am 31. Oktober 1983 übergeben wurde; siehe zur Emotionalisierung der Friedens- und Umweltbewegung: Biess, Angst, 38 f. und zu den Waldschadensgesprächen Teil Kap. III.3.1. Zur Delegation (ohne „direkte Aktion“) gehörten Petra Kelly, Gert Bastian, Otto Schily, Lukas Beckmann und Dirk Schneider. Vgl. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 55. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1328, Bl. 568–577, hier Bl. 574, Stellungnahme zu dem Material „Themen für Gespräche mit der DDR“, das von der Delegation der Grünen während des
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Kurz darauf, am 4. November 1983, erging gegen Die Grünen ein fast einjähriges Einreiseverbot. Einige Mitglieder der ökologischen Partei hatten in einer weiteren Aktion versucht, mit zwei überdimensionalen Globen vor die Botschaften der UdSSR und der USA in Ost-Berlin zu ziehen. Es folgte ein scharfes Vorgehen des MfS auch gegen die unabhängige Friedensbewegung in der DDR, sodass deren Mitgliederzahl wegen Repressionen und gezielter Ausbürgerungen vorerst zurückging. Die Aktion mit den Globen war innerhalb der Grünen nicht unumstritten, da sie unter anderem auch das gute Verhältnis zu Honecker aufs Spiel gesetzt hatte.295 Die Zeit der direkten Aktionen in der DDR durch die Grünen schien nach dieser Episode jedenfalls beendet gewesen zu sein, da sich mäßigendere Kräfte durchgesetzt hatten. Lothar Probst und Jürgen Schnappertz schlugen zwar noch eine jährliche Umweltkonferenz mit Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft und Umweltinitiativen als auch Fachkommissionen und -kongresse für einen gezielten Austausch über spezifische Probleme vor, um explizit den „Selbstbertrug gesamtdeutscher Identität“ und den „sich langsam hinschleppenden Umweltdialog zu beleben“,296 jedoch blieb etwas in der Art vorerst den Bayern und der HSS vorbehalten. Die Grünen hatten sich mit ihren direkten Aktionen zunächst ins politisch-offizielle Abseits manövriert, weshalb ein anderer Akteur im grünen Eiszeitjahr 1983/ 1984 an ihre Stelle trat: der BBU. Beeinflusst durch die Umweltbewegung hatte sich der Verband in den 1970er Jahren umstrukturiert. Seinem Verständnis parteipolitischer Neutralität folgend, beschloss die Mehrheit auf der Mitgliederversammlung 1979, dass Vorstandsmitglieder nicht an „exponierter“ Stelle (Listenplätze) in Parteien mitwirken sollten. Damit scheiterte der Versuch, den Bewegungsverband für eine grüne Partei zu öffnen und ihm so ähnliche Unterstützung wie die der Gewerkschaften für die SPD oder die der katholischen Kirche für die CDU/CSU zu gewinnen.297 Stattdessen entwickelte sich der BBU Anfang der 1980er Jahre zu einem der wichtigsten Organisatoren der Friedensbewegung gegen den NATODoppelbeschluss.298 Das zeigt, wie eng Umwelt-, Friedens- und Anti-AtomkraftGruppen personell und institutionell miteinander verwoben waren. Ein durch den Buschhaus-Skandal ausgelöster Briefwechsel Jo Leinens (BBU) und Jochen Brauers (BUND) mit Erich Honecker führte zum Besuch einer BBUDelegation in der DDR vom 3. bis 5. September 1984. Kurzfristig wurden die Gäste
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Gesprächs mit Genossen Erich Honecker am 31. Oktober 1983 übergeben wurde; Gieseke/ Bahr, Staatssicherheit, S. 55. Insgesamt wurden kurzzeitig 78 Ost-Berliner und acht Teilnehmer aus der DDR festgenommen, 22 mögliche Teilnehmer erhielten Berlin-Verbot und 31 die Auflage, den Wohnort nicht zu verlassen. Vgl. Gieseke/Bahr, Staatssicherheit, S. 56–59. Siehe dazu auch Kap. IV.3.2. AGG, B.II1., Bd. 1766, Entwurf eines Grundsatzpapiers: Ansätze und Perspektiven Grüner Politik in den deutsch-deutschen Beziehungen, Lothar Probst und Jürgen Schnappertz, o. D. [vmtl. September 1984]. Vgl. Take, NGO im Wandel, S. 85 f.; Raschke, Die Grünen, S. 707 f., Jäger, Innenpolitik, S. 149–152. Vgl. Jäger, Innenpolitik, S. 150.
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nach der Absage des Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik am 4. September 1984 sogar für den darauffolgenden Tag als erster westdeutscher Umweltverband in den Staatsrat der DDR eingeladen. „Der Spiegel“ deutete diese Geste als Signal, dass die deutsch-deutschen Beziehungen weiter bestanden, wenn auch nicht auf höchster Ebene.299 Am 3. September 1984 besuchte also die BBU-Delegation – wie auch Die Grünen zuvor – zuerst Umweltminister Reichelt. Anders als die ökologische Partei pflegte der BBU-Vorstand keine Kontakte in die unabhängige Ökologieszene der DDR und übte in den beiden Gesprächen auch keine Kritik an der staatlichen Umweltschutzpolitik. Er stellte allerdings Fragen, inwieweit Umweltschutzaktionen des Verbandes im grenznahen Raum Unterstützung fänden – nach den Aktionen gegen das Kohlekraftwerk Buschhaus nun vielleicht auch solche gegen das Entsorgungslager für nukleare Abfälle in Gorleben? Auch den ökologischen Wunsch nach einer Einreise in die DDR mit dem Fahrrad ließ Leinens Delegation nicht aus. Letzterem begegnete Reichelt mit verkehrssicherheitspolitischen Argumenten. Fahrräder seien im zunehmenden Maße an Verkehrsunfällen beteiligt, und die Zahl der Verletzten und Getöteten steige.300 Verkehrssicherheit war zwar ein dokumentiertes Anliegen der DDR-Führung, in diesem Fall wurde intern allerdings eher befürchtet, dass eine solche Einreiseerlaubnis zur Bildung von Fahrradkorsos und somit „zu provokatorisch-demonstrativen Aktionen“ missbraucht würde.301 Das Einreiseverbot für Die Grünen bestand zu diesem Zeitpunkt bereits fast ein Jahr, weshalb Honecker – danach gefragt – dem BBU mitteilte: „… die Grünen müßten akzeptieren, daß ein Besuch in der DDR die ‚Reise in ein anderes Land‘ sei.“ 302 Das hieß, die direkten Aktionen und die Treffen mit der unabhängigen Ökologieszene müssten unterbleiben. Auch Reichelt gab gegenüber dem BBU zu verstehen, dass das MfUW und der Kulturbund die natürlichen Ansprechpartner für Umweltgruppen aus dem Westen seien.303 Der politoffizielle Arm im Kulturbund der DDR, die GNU, vertrat Anfang der 1980er Jahre die ideologische Linie der SED: Es galt mit ihren sozialistischen Bru299
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Vgl. o. V., „Beim nächsten Mal liegt die Meßlatte höher“, in: Der Spiegel, Nr. 37, 10. 9. 1984, S. 17–24, hier S. 24. Der BBU wurde von dieser Einladung überrascht: AGG, B.II.1., Bd. 30, Jürgen Schnappertz an alle deutschlandpolitisch interessierten Fraktionsmitglieder, Bonn, 11. 9. 1984, Gesprächsnotiz mit Gunnar Seitz vom geschäftsführenden Vorstand des BBU über die DDR-Reise einer BBU-Delegation, der er angehörte (7. 9. 84). Vgl. BArch, DK 5, Bd. 4740, Gespräch Reichelts mit Jo Leinen (BBU) am 3. 9. 1984, Reichelt an Honecker, Häber, Mittag, 5. 9. 1984. Siehe auch AGG, B.II.1., Bd. 30, Jürgen Schnappertz an alle deutschlandpolitisch interessierten Fraktionsmitglieder, Bonn, 11. 9. 1984, Gesprächsnotiz mit Gunnar Seitz vom geschäftsführenden Vorstand des BBU über die DDR-Reise einer BBU-Delegation, der er angehörte (7.9.84). BArch, DL 226, Bd. 1328, Bl. 668–577, hier Bl. 569, Stellungnahme zu dem Material „Themen für Gespräche mit der DDR“, das von der Delegation der Grünen während des Gesprächs mit Genossen Erich Honecker am 31. Oktober 1983 übergeben wurde. Siehe zur Verkehrssicherheit auch Kuschel, Sicherheit als Versprechen, S. 22 (Anm. 34), 53–56, 59; Stief, Staatssicherheit, S. 138–148. PA AA, ZA, B 38, Bd. 132689, Reise einer Delegation des BBU in die DDR, Drahtbericht Nr. 1481, Hillger, StäV an AA, 7. 9. 1984. Vgl. ebenda.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
derverbänden bei der sich „verschärfenden internationalen Klassenauseinandersetzung […] das gemeinsame Vorgehen zu koordinieren gegen alle Versuche der BRD eine ‚gesamtdeutsche‘ Konzeption zu konstruieren und völkerrechtliche Verträge zu unterlaufen.“ 304 Indem westdeutschen Umweltverbänden nur die offiziellen Kader der GNU präsentiert werden sollten, wollte die DDR-Führung die ökologischen „Basis“-Beziehungen unter Kontrolle halten, ihren Machtanspruch und ihre staatliche Souveränität signalisieren, die dem Westen „überlegene“ sozialistische Umweltpolitik propagieren und für die „Verteidigung der Entspannung“ Sorge tragen.305 So kam es beispielsweise auf einem umweltpolitischen Symposium im September 1983 in Wien zu einer ideologischen Auseinandersetzung zwischen Helmut Röscheisen (DNR) und Harald Thomasius (GNU) darüber, welches System für den Umweltschutz besser geeignet sei.306 Anscheinend spielte sich in diesem gesellschaftspolitischem Bereich umso heftiger ab, was bei den bilateralen Expertengesprächen kaum mehr an die Oberfläche drang: der ideologische Wettstreit. Wurde der BBU von Honecker noch als „wichtigste Kraft der Friedens- und Ökologiebewegung in der BRD“ 307 charakterisiert (nachdem Die Grünen wegfielen), so war der Verband in der Bundesrepublik darum bemüht, nicht zusammenzubrechen. Die Kritik am Treffen mit Honecker („Honey“) stand symptomatisch für die internen Probleme des Umweltverbandes Mitte der 1980er Jahre. Die „Saar Aktion Mensch + Umwelt“ trat beispielsweise aus dem Verband, den sie mitbegründet hatte, demonstrativ aus. Ihre Begründung war, Leinens parteipolitischer (SPD) Vorstandsflügel sei von der Basis nicht für solche Gespräche mit Honecker legitimiert worden.308 Mangelnde Bindung zwischen Basis und Vorstand, das Fehlen umweltpolitischer Impulse, chronischer Geldmangel waren nur einige der Gründe, weshalb bis 1985 von 1000 (1980) Bürgerinitiativen etwa 400 den Verband verließen. Die „Sozialdemokratisierung“ des Vorstands und damit auch der Verlust politischer Kooperation mit der liberalkonservativem Regierung, das Ankommen des Umweltthemas in der Gesellschaft und der Einzug der Grünen in den Bundestag schwächten den BBU als Arm der außerparlamentarischen Opposition. Leinen selbst engagierte sich ab 1985 wieder verstärkt für die SPD und wurde Umweltminister im Saarland.309 304 305 306
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BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9089, Entwurf: Konzeption für die internationale Arbeit des Kulturbundes der DDR 1981–1985, o. D. [vmtl. 1981]. Vgl. ebenda. Das Symposium hieß „Die langfristige Entwicklung der Umweltpolitik und Umwelterziehung in Europa“. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9089, Bericht über eine vom 8. bis 12. 6. 1983 im Auftrage des Kulturbundes der DDR nach Wien durchgeführten Dienstreise, Harald Thomasius, Tharandt, 20. 9. 1983. AGG, B.II.1., Bd. 30, Jürgen Schnappertz an alle deutschlandpolitisch interessierten Fraktionsmitglieder, Bonn, 11. 9. 1984, Gesprächsnotiz mit Gunnar Seitz vom geschäftsführenden Vorstand des BBU über die DDR-Reise einer BBU-Delegation, der er angehörte (7.9.84). Jpe, BBU-Austritt wegen DDR-Besuch, in: „Der Osten ist grau. DDR Umweltpolitik“, Umweltmagazin, 7. Jg., Oktober/November 1984, S. 15. Ob es noch mehr Austritte aus diesem Grund gab, ließ sich nicht feststellen. Vgl. Einsame Austritte, in: Der Spiegel, Nr. 20, 13. 5. 1985, S. 98–106.
3. Ost-West-Kontakte um 1985
281
Einen Monat nach dem Besuch des BBU zierte ein in Nebel gehüllter Fernsehturm hinter der Berliner Mauer das Deckblatt der verbandsinternen Zeitung „Umweltmagazin“. In dieser Ausgabe standen sich zwei Artikel zum DDR-Besuch gegenüber. Derjenige von Peter Schott, Mitglied des BBU-Vorstands, gab „Fakten und Meinungen“, quasi Eindrücke der Reise durch den Osten, wieder. Die einzelnen Stationen waren die chemische Industrie in Schwedt, Braunkohle in Vockerode, Forstschäden in der Dübener Heide und Rekultivierung in Senftenberg. Er resümierte, es werde, mehr als in den westdeutschen Medien dargestellt, für den Umweltschutz in der DDR getan.310 In dem anderen Artikel nahm Jochen Lange die Ausführungen Schotts kritisch unter die Lupe: In der DDR gebe es keine Entschwefelungstechnologien, ergo müssten sie aus der Bundesrepublik geliefert werden, aber sei dies politisch gewollt? Und welchen Nutzen brachte der Besuch für Umweltgruppen in Ost und West? Nichts als ein medienwirksames Gespräch und Friedensbeteuerungen: „Wenn Shakehands mit Honey im Gerangel um die Spitzenposition bundesdeutscher Umweltverbände Pluspunkte bringen können, dann hat der BBU kräftig eingefahren.“ 311 Auch hier stand die „sozialdemokratische Entspannungsphilosophie“ dem basisdemokratischen Anliegen vieler BBU-Mitglieder gegenüber. Der BBU habe sich – so der Autor weiter – nicht um die kirchlichen Gruppen in der DDR bemüht, wobei Lange zugleich reflektierte, ob dieses Bemühen wegen der Abschirmung der Delegation überhaupt Erfolg hätte haben können. Jedenfalls sei das Zusammenwachsen der staatsunabhängigen blockübergreifenden Umweltbewegung genauso notwendig wie bei der Friedensbewegung. Die Aktion auf dem Alexanderplatz wertete der Autor als eine Festigung von Vertrauen der ostdeutschen unabhängigen Friedensbewegung in Die Grünen als politischen Ansprechpartner.312 Die Öffentlichkeitswirksamkeit jener in der ostdeutschen Friedensbewegung doch eher umstrittenen Handlung strahlte somit weit in die westdeutsche Umweltbewegung hinein. Die Aktion schien sich als Vorbild und Maßstab für den Umgang mit der DDR-Staatsregierung zu eignen. Langes Einschätzung zur Strategie des BBU lautete hingegen: „Den – noch sehr wenigen – ökologischen Initiativen, deren Vertrauen in staatliche Schalmeienklänge von ei-
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Vgl. Peter Schott, „DDR Umweltpolitik: Alles gar nicht so schlimm…“, in: „Der Osten ist grau. DDR Umweltpolitik“, Umweltmagazin, 7. Jg., Oktober/November 1984, S. 15–18. Ähnliche Meinung auch bei Gunnar Seitz: AGG, B.II.1., Bd. 30, Jürgen Schnappertz an alle deutschlandpolitisch interessierten Fraktionsmitglieder, Bonn, 11. 9. 1984, Gesprächsnotiz mit Gunnar Seitz vom geschäftsführenden Vorstand des BBU über die DDR-Reise einer BBU-Delegation, der er angehörte (7. 9. 84). Jochen Lange, Kommentar. Die DDR – ein Umweltparadies?, in: „Der Osten ist grau. DDR Umweltpolitik“, Umweltmagazin, 7. Jg., Oktober/November 1984, S. 18–22, hier S. 21. Vgl. zum straffen Zeitplan und den blockierten Telefonen auch: AGG, B.II.1., Bd. 30, Jürgen Schnappertz an alle deutschlandpolitisch interessierten Fraktionsmitglieder, Bonn, 11. 9. 1984, Gesprächsnotiz mit Gunnar Seitz vom geschäftsführenden Vorstand des BBU über die DDR-Reise einer BBU-Delegation, der er angehörte (7. 9. 84). Vgl. Jochen Lange, Kommentar. Die DDR – ein Umweltparadies?, in: „Der Osten ist grau. DDR Umweltpolitik“, Umweltmagazin, 7. Jg., Oktober/November 1984, S. 18–22.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
nem Umweltparadies DDR erschöpft ist, konnte der BBU nicht als Verbündeter erscheinen.“ 313 Es waren zwar keine Expertengespräche, die 1984 – anders als noch 1983 – die Beziehungen im Umweltbereich aufrechterhielten. Dennoch ist es weit gefehlt zu behaupten, die Umweltbeziehungen seien aufgrund der Absage von Honeckers Bonn-Besuch kollabiert.314 Die offiziellen Kontakte nahmen andere Erscheinungsformen an und justierten sich neu. War eine Ebene blockiert, fanden sich im ökologischen Jahrzehnt Mittel und verschlungene Umwege, über Parteipolitik und Länderministerkontakte, um den Dialog fortzusetzen und ihn nicht, wie in den 1970er Jahren, abzubrechen. Die Vielfalt der Ebenen und Möglichkeiten des Föderalstaats und seiner Institutionen wurde nun sichtbar, und die DDR-Staatsführung konnte weiterhin umweltpolitisches Interesse signalisieren und Aktion demonstrieren. Doch eine über den Umweltschutz gestiftete ost-west-übergreifende globale Gemeinschaft (Irye) ist nicht erkennbar. Dabei spielten nicht nur die Restriktionen des SED-Regimes eine behinderne Rolle, sondern auch die mangelnde Berücksichtigung ostdeutscher Perspektiven und westdeutsche Auffassungen zur deutschen Teilung.
3.2 „Konstruktive Frechheit üben“ 315 — die Situation der Basis Obwohl Reichelt und die SED alles versuchten, um die Existenz kirchlicher Umweltgruppen und deren Kontaktaufnahme westwärts zu unterbinden, erhielten diese ab Mitte der 1980er Jahre vermehrt Zulauf. Für den thüringischen Intellektuellen Heiner Falcke waren die unabhängigen (Umwelt-)Gruppen ein Ort der Emanzipation und aktiven Partizipation, ein „Ort der Überwindung des Ohnmachtsgefühls“.316 Im September 1984 verabschiedeten die evangelischen Kirchen in der DDR den Synodenbeschluss „Verantwortung für die Schöpfung“, der ein Bekenntnis zu den Gruppen unter ihrem Dach war. Daraufhin gründeten sich neue Gruppen, die andere Organisationsformen und eine geringere Konfliktscheue mit sich brachten.317 Die meisten im Umweltschutz Aktiven waren in der DDR groß geworden, 20 bis 30 Jahre alt und hatten die Unterdrückung durch das Regime beim Arbeiteraufstand 1953 und zum Teil beim „Prager Frühling“ 1968 313 314 315
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Ebenda, S. 21. Vgl. Eckert, West Germany, S. 153. RHG, KFH, Bd. 35, Bericht aus Wittenberg, Brief von u. a. Jörn Mothes, Michael Beleites, Nikolaus Voss (insgesamt 20 Personen) an den Präses der Synode des Bundes, Siegfried Wahrmann, 23. 4. 1983. RHG, KFH 56, Wensierski, Peter/Büscher, Wolfgang: Es dreckt, Flugasche überm Land, in: Ungeteilte Natur. Die Bedrohung der Umwelt: Deutsch-deutsche Belastung oder gemeinsame Abhilfe, hrsg. von der Fraktion der Alternativen Liste im Abgeordnetenhaus von Berlin, Berlin 1986, S. 7–12, hier S. 11. Frustabbau bei Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 136. Gefühl der Entmündigung bei Möller, Umwelt, S. 317. Vgl. Huff, Natur, S. 331, 334.
3. Ost-West-Kontakte um 1985
283
nicht bewusst miterlebt.318 Die DDR wurde von ihnen als hochindustrialisierter Staat wahrgenommen, daher richtete sich die Kritik der Gruppen am Wachstumsparadigma der industriellen Moderne aus und lehnte dieses ab. Moderne Technik und Wissenschaft hätten Mensch, Tier und Natur „verobjektiviert“. Durch diese Kritik am Staat stufte das MfS die Gruppen als „oppositionell“ ein. Hinzu kam seit spätestens 1982 durch die Geheimhaltung von Umweltdaten das Delikt des Geheimnisverrats. Folglich suchten sowohl die alternativen Friedens- als auch die Umweltgruppen nach Protestformen, die sich schwer kriminalisieren ließen.319 Das führte dazu, dass sich gerade die DDR-Umweltgruppen durch „praktisches Engagement“, eine „pragmatisch-kooperative Orientierung“ und „geringe öffentliche Mobilisierungskraft“ auszeichneten,320 um dieser Fremdzuschreibung durch das MfS als „Opposition“ 321 nicht oder möglichst wenig zu entsprechen. Das markanteste Beispiel hierfür ist die Baumpflanzaktion, die am Wochenende des 16. bis 18. November 1979 eine kirchliche Umweltgruppe in Schwerin ins Leben rief. Gemeinsam mit dem VEB Grünanlagen pflanzten 50 Jugendliche etwa 5000 Bäume entlang einer Straßenbahntrasse. Die Aktion fand in der ganzen DDR Nachahmer. Durch lokale, eben gerade nicht medial vermittelte „grüne Aktionen“ sollten die örtliche öffentliche Meinung beeinflusst als auch Menschen für die Sache mobilisiert werden. Baumpflanzaktionen oder Fahrrad-Demonstrationen, wie 1983 zu den Buna-Werken, wurden zum Symbol explizit ostdeutschen Umweltprotests, der sich haarscharf an der Scheide zwischen staatlicher Duldung und Unterdrückung bewegte. Das MfS konnte Fahrradkorsos ideologisch nicht einordnen, weshalb damit bereits eine politische Protesthandlung gegeben war.322 Zwar empfanden die Umweltengagierten die gesetzliche Grundlage der DDRUmweltpolitik als gut, manchmal ließ sich sogar auch der Anspruch einer internationalen Vorreiterrolle der DDR erkennen,323 doch stand sie im krassen Gegensatz zur erlebten Wirklichkeit und den erklärten Programmen und Erfolgsmeldungen.324 Es ist daher zu beobachten, dass sich Umweltgruppen in Ost und West einander zuwandten, weil sie die staatliche Umweltpolitik der DDR oder die Bemühungen der Bundesrepublik um Zusammenarbeit mit ihr kaum wahrnahmen. Aus dem Eindruck, die Politik tue zu wenig bis gar nichts, entstand ein zaghafter Aktionismus an der Basis. Dieser darf aber nicht überschätzt werden. Kontaktauf-
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Vgl. Halbrock, Störfaktor Jugend, S. 13, 22–26. Vgl. Möller, Umwelt, S. 233, 246. Vgl. Pollack, Zwischen Ost und West, S. 281 f.; Stolzfus, Public Space, S. 391; Möller, Umwelt, S. 313. Brand, Umweltbewegung, S. 231. Vgl. Klein, Politisierung, S. 24 f. Vgl. Halbrock, Störfaktor Jugend, S. 13, 20–26; Neubert, Opposition, S. 451; Stolzfus, Public Space, S. 395 f.; Beleites, Dicke Luft, S. 72 f., 106; Huff, Natur, S. 327, 336. Vgl. RHG, Opposition SWV, Bd. 2/1, Bl. 29–31, hier Bl. 31, Forderungen und Thesen zum Naturschutz, zur Landschaftsgestaltung und zur Landnutzung, 2. Berliner Öko-Seminar, o. D. [1985]. Beleites, Dicke Luft, S. 16. Vgl. Möller, Umwelt, S. 217, 259, 262 f.; siehe auch beispielsweise RHG, Opposition SWV 1/ 3, Bl. 81–87, hier Bl. 82, Arbeitsmaterial für das Friedensseminar 1985, [vmtl. Vipperow].
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
nahmen verliefen hauptsächlich auf persönlicher Ebene, und zwar von West nach Ost. In umgekehrtem Falle hätte den Ostdeutschen die Gefahr einer Anklage wegen beispielsweise „staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme“ gedroht. Auch wusste längst nicht jeder Umweltengagierte in der DDR überhaupt, wie er den Kontakt, beispielsweise zu den Grünen, hätte herstellen können.325 Die westdeutsche Umweltbewegung wiederum interessierte sich mehr für die Abholzung des Regenwaldes im Amazonas als für die Probleme des ostdeutschen Nachbarn.326 Zugleich litten die Ost-West-Kontakte auf dieser Basisebene unter den Reisebeschränkungen der DDR und verstärkten dadurch die ohnehin schon asymmetrischen Beziehungen von West nach Ost. Dennoch können und sollten hier einige Grundtendenzen und Probleme an ausgewählten Beispielen sichtbar gemacht werden. Hierfür ist es erst einmal notwendig, das Selbstverständnis der ostdeutschen Umweltgruppen zu verstehen. Da sie dezentral organisiert waren, agierten sie zunächst lokal und suchten den Konsens mit staatlichen Institutionen, bis um 1985 eine verstärkte Vernetzung mit den Friedens- und „Dritte-Welt“-Gruppen einsetzte. Diese führte ab etwa 1987 letztlich zu ihrer „Politisierung“ beziehungsweise genauer: oppositionellen Haltung zum SED-Staat.327 Das heißt, die ostdeutschen Umweltgruppen waren zunächst mit sich selbst beschäftigt. Der Unterschied zwischen Friedens- und Umweltgruppen bestand nach Gensichen darin, dass „sich unsere Abwehrkräfte gegen sie [die Umweltprobleme] viel langsamer als gegen militärische Konflikte“ entwickelten. Das liege daran, dass „wir mit globalen Umweltkrisen […] noch keine historischen Erfahrungen“ haben.328 So beteiligten sich Gruppen, die sich mit der Ökologie oder der Entwicklungsarbeit beschäftigten, erst beim dritten Seminar „Konkret für den Frieden“ im März 1985 in Schwerin. Damit sahen die Organisatoren die „Komplexität der Friedensproblematik“ als erfüllt an.329 Die Verbindung der Themen Umwelt und Sicherheit wurde stark durch die neue Rüstungsspirale der beidseitigen Raketenstationierung geprägt. Durch Abrüstung sollten die Militäraus-
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Vgl. Rüddenklau, Störenfried, S. 36; siehe zum Nichtwissen der Kontaktaufnahme: Ernst Dörfler, Interview, jung&naiv, Folge 457, 23. 2. 2020, Minute 38:20–39:00, in URL: http:// www.jungundnaiv.de/2020/02/23/oekologe-umweltschuetzer-vogelexperte-ernst-paul-doerf ler-folge-457/ [11. 6. 2022]. Vgl. Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 133. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 17, 27, 40 f.; Definition zur Politisierung bei Klein, Politisierung, S. 19 f.; Pollack, Zwischen Ost und West, S. 281; Brand, Umweltbewegung, S. 225 f. Starkes Autonomiebedürfnis der einzelnen Gruppen bei Rüddenklau, Störenfried, S. 32, 34. Umweltgruppen seien per se „politisch“ gewesen, daher gegen Begriff der „Politisierung“ bei Möller, Umwelt, S. 256 (Anm. 131), 313. RHG, PS 033, Bl. 17, 23 (Noah), Gensichen, Hans-Peter (Hrsg.): Die Erde ist zu retten. Umweltkrise, christlicher Glaube, Handlungsmöglichkeiten, Wittenberg 1985, 3. Auflage. Vgl. RHG/MV 01, Konkret für den Frieden, 1.–3. 3. 1985, Schwerin, Bericht, Materialien, Dokumente, Reaktionen, hrsg. von der AG Frieden und des Oberkirchenrates der Evang.Luth. Landeskirche Mecklenburgs, Bl. 44–51, hier Bl. 46. Siehe zu „Frieden konkret“ auch Beleites, Dicke Luft, S. 27. Umweltbewegung war in Friedenskreise integriert, arbeitete aber weitgehend autonom: Klein, Politisierung, S. 168.
3. Ost-West-Kontakte um 1985
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gaben in die Bereiche Umwelt und Entwicklungsarbeit geleitet werden.330 Damit knüpften die ostdeutschen Gruppen einerseits an die Forderungen der westdeutschen Friedens- und Umweltbewegung an, andererseits argumentierten so auch Honecker und andere DDR-Offizielle, wenn sie das Umweltthema stets in einem Atemzug mit Abrüstung und Friedenspolitik nannten.331 Gründe für die Umweltverschmutzung im Sozialismus sahen Gensichen und andere in der Schrift „Die Erde ist zu retten“ auch in der Wettbewerbssituation mit dem Kapitalismus verortet, dem sich die sozialistische Gesellschaft immer mehr angleiche. Mit dieser Auffassung waren sie unter anderem an Die Grünen anschlussfähig.332 Die zentrale Planung sei zwar gut, um sich gegen einzelne Wirtschaftsinteressen durchsetzen zu können, verhindere aber die Teilnahme der Gesellschaft an Entscheidungsprozessen, weshalb sie das LKG als ungenügend durchgesetzt bewerteten.333 Forderungen waren deshalb vor allem vorbeugende statt nachsorgende Umweltschutzmaßnahmen, Preisstimulierungen und Umweltsteuern, umweltgerechter Konsum- und Lebensstandard, unter anderem Verzichtsaufrufe angesichts der „Grenzen des Wachstums“.334 Der Ständige Vertreter Bräutigam berichtete nach Bonn, dass die weitere Argumentation der kirchlichen Umweltgruppen den Marxismus mit dem Christentum und christlicher Mentalität verband: Eine veränderte Lebensweise und -qualität müsse auch das Bedürfnis nach einer gesunden Umwelt in die „Gesellschaft der Produzenten“ integrieren. Er schlussfolgerte Anfang 1984 daraus: „Der Staat kann dieser theoretischen Diskussion gelassen gegenüberstehen, da sie für eine breitere Resonanz auch in der christlichen Bevölkerung wohl zu anspruchsvoll ist.“ 335 Für die Öko-Gruppen in der DDR, die jedoch genau diese „breite Resonanz“, ein die Gesellschaft durchdringendes Umweltbewusstsein und mehr Öffentlichkeit der Umweltprobleme erreichen wollten, standen angesichts der Geheimhaltung von Umweltdaten einerseits deren Erlangung und andererseits die NichtKriminalisierung ihres Engagements im Vordergrund. Dafür waren insbesondere 330 331
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Vgl. RHG, PS 033, Bl. 27, Gensichen, Die Erde ist zu retten. Vgl. zur westdeutschen Friedens- und Umweltbewegung u. a. Gassert, Entstehung, S. 359– 363; Schott, DDR Umweltpolitik, Peter Schott, „DDR Umweltpolitik: Alles gar nicht so schlimm…“, in: „Der Osten ist grau. DDR Umweltpolitik“, Umweltmagazin, 7. Jg., Oktober/ November 1984, S. 15–18, hier S. 18; BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9664, Engagement für den Umweltschutz stets als Bestandteil des Friedenskampfes auf dem Symposium mit der HSS, 26.–30. 10. 1987 in München und Wildbad Kreuth. Siehe auch Stief, Staatssicherheit, S. 388. Vgl. RHG, PS 033, Bl. 27, Gensichen, Die Erde ist zu retten; zu den Grünen: Wick, Mauer, S. 78. Vgl. RHG, PS 033, Bl. 27, Gensichen, Die Erde ist zu retten. Ähnliches auch PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Entwicklung der Umweltschutz-Diskussion in der DDR, Bräutigam, StäV an AA u. a., 13. 1. 1984; Neubert, Opposition, S. 586. Siehe auch Möller, Umwelt, S. 272–277, S. 317. Vgl. RHG, Opposition SWV, Bd. 2/1, Bl. 29–31, hier Bl. 31, Forderungen und Thesen zum Naturschutz, zur Landschaftsgestaltung und zur Landnutzung, 2. Berliner Öko-Seminar, o. D. [1985]. Beleites, Dicke Luft, S. 16. Vgl. alle Zitate in: PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688, Entwicklung der Umweltschutz-Diskussion in der DDR, Bräutigam, StäV an AA u. a., 13. 1. 1984.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
ein Gedankenaustausch und die Vernetzung der Gruppen untereinander erforderlich. Darüber hinaus galt es aber auch zu klären, inwieweit mit staatlichen Stellen wie der GNU, zusammengearbeitet werden sollte.336 Noch beim Friedrichsfelder Öko-Seminar 1985 berichtete die Mehrheit von positiven Ergebnissen der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, während andere bereits auf eine „emanzipative Bewegung von unten“ drängten. Den strukturell und systembedingt erforderlichen Vernetzungsaspekt bewertete der westdeutsche Beobachter Lothar Probst (Die Grünen) allerdings als „leidige Frage“.337 Deren Beantwortung war jedoch – wie sich im Nachhinein zeigte – eine wichtige Voraussetzung für die später zunehmend politisch-oppositionell agierenden DDR-Gruppen. Auf diesem Öko-Seminar wurde die Gründung eines Koordinierungs- und Kommunikationszentrums beschlossen, das den Grundstein für die Ost-Berliner Umweltbibliothek in der Zionskirche im Frühling 1986 legte.338 Der Fokus der DDR-Gruppen bestand darin, einander in den Berliner Öko-Seminaren, „Frieden konkret“ oder bei den Treffen im KFH in Wittenberg kennenzulernen und auszutauschen – westliche Beobachter und Teilnehmer eingeschlossen. Zum Thema grenzüberschreitender Umweltbewegung verorteten sich die Besucher des zweiten Berliner Öko-Seminars 1985 jedoch folgendermaßen: „Deshalb verstehen wir uns als ein Teil der grünen Bewegung in aller Welt, betrachten uns jedoch auf der Grundlage der besonderen Bedingungen und der spezifischen Situation der bei uns herrschenden gesellschaftlichen Struktur als selbständige in der DDR wirkende Gruppierung.“ 339
Damit wird deutlich, dass die Vorstellung einer transnationalen deutsch-deutschen Umweltbewegung aufgrund der inneren Umstände in der DDR ihre Grenzen hatte. Überregionale Großdemonstrationen wie im Westen waren in der Diktatur kaum denkbar. Die praktische Arbeit bestand daher für die kirchlichen Umweltgruppen darin, „[k]onstruktive Frechheit aus[zu]üben, das Machbare auch tun, um Gefahren zu verhindern“ und Solidarität mit Betroffenen in stärker belasteten Gebieten zu üben.340 Konkret wurde dies beispielsweise in der Aktion des Dresdener Ökologiekreises „Saubere Luft für Ferienkinder“. Dabei wurden Kinder aus stark luftverschmutzten Gegenden im Süden der DDR zu Aufenthalten bei Familien vermittelt,
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Vgl. RHG, KFH, Bd. 35, Bericht aus Wittenberg, Brief von u. a. Jörn Mothes, Michael Beleites, Nikolaus Voss (insgesamt 20 Personen) an den Präses der Synode des Bundes, Siegfried Wahrmann, 23. 4. 1983; und Vertretertreffen in Wittenberg, o. V., o. D. [vmtl. 26.–28. 4. 1985]. Siehe zur Öffentlichkeit u. a. auch Rüddenklau, Störenfried, S. 50; von der Theorie zur Praxis bei: Stief, Staatssicherheit, S. 136–144. Alle Zitate in: AGG, A (Petra Kelly), Bd. 335, Kurzbericht über ein Seminar des Friedrichsfelder Ökologie-Arbeitskreises/Ost-Berlin, 2. Tag, Lothar Probst an Petra Kelly, 15. 11. 1985. Vgl. Rüddenklau, Störenfried, S. 49 f.; Neubert, Opposition, S. 629 f. Siehe für die DDRUmweltgruppen Ende der 1980er Jahre u. a. auch Kap. IV.4.2. RHG, Opposition SWV, Bd. 2/1, Bl. 11–26, hier Bl. 25, Basispapier zur Ökologiediskussion auf dem 2. Berliner Öko-Seminar, 8.–10. 11. 1985. RHG, KFH, Bd. 35, Bericht aus Wittenberg, Brief von u. a. Jörn Mothes, Michael Beleites, Nikolaus Voss (insgesamt 20 Personen) an den Präses der Synode des Bundes, Siegfried Wahrmann, 23. 4. 1983. Siehe auch RHG, PS 033, Bl. 28, Gensichen, Die Erde ist zu retten; kaum Solidarität bei Beleites, Dicke Luft, S. 32, 46, 112.
3. Ost-West-Kontakte um 1985
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die in weniger belasteten Orten wohnten. Diese Maßnahme erfreute sich großer Beliebtheit, sodass 1985 bereits 200 Kinder in den Genuss sauberer Luft kamen.341 Westliche Aktionsformen konnten und wollten die DDR-Umweltgruppen nicht übernehmen, sondern sie fokussierten sich weiterhin auf Handlungen wie Bäume pflanzen, Fahrradkorsos und andere symbolische Gesten. Auf dem evangelischen Kirchentag in Dresden 1983 gab es beispielsweise ein kleines grünes Keramikkreuz zum Annähen – ähnlich dem Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“ der Friedensbewegung.342 Seit 1981 initiierte das KFH zudem die Aktion „Mobil ohne Auto“, die sich – mit Höhen und Tiefen – ebenfalls zunehmender Beliebtheit erfreute. Die Menschen wurden an jedem ersten Juni-Wochenende dazu aufgerufen, das Fahrrad oder andere umweltfreundliche Verkehrsmittel zu nutzen. Der BBU informierte bereits 1981 in seinem „Umweltmagazin“ darüber, 1985 „Der Spiegel“, und spätestens 1989 übernahmen auch Umweltinitiativen in der Bundesrepublik wie der BUND Baden-Württemberg die ostdeutsche Aktion.343 Beleites beklagt dennoch rückblickend, dass sich die DDR-Gruppen über die West-Medien von den Modethemen der Bundesrepublik wie Raketenstationierung, Waldsterben, Atomkraft leiten ließen, während DDR-Themen wie Stadtkernzerfall, Verschwinden traditioneller Berufe und anderes nur vorkamen, wenn sie Anknüpfungspunkte an Westthemen fanden. Es fiel den Gruppen auch schwer, Alternativen zur Umweltverschmutzung durch die chemische Industrie wie jener im Raum Bitterfeld aufzuzeigen, weshalb die Bodenbelastung in den Gruppen kaum angesprochen wurde.344 Zu der vorhin zitierten „gesellschaftlichen Struktur“ gehörte zudem, dass für eine grenzenübergreifende Umweltbewegung weitgehend Reisefreiheit nötig war, die in der DDR fehlte, um sich mit anderen Gruppen, insbesondere aus dem Westen, unbeschwert austauschen zu können. Der Kontakt zum Westen musste deshalb oft über den Umweg ČSSR, Polen und Ungarn erfolgen.345 Für westdeutsche Umweltaktivisten wurde aus Briefen ersichtlich, dass die DDR-Umweltengagierten „Kontakte, Begegnungen und Diskussionen erwarten“. In dem Aufruf „Reise für die Jugend“ stellten sie sich die Aufgabe, die Probleme der DDR-Gruppen öffentlich zu machen, damit sie vor Repressionen geschützt seien. Sie wollten Kontakte knüpfen und gemeinsame Perspektiven entwickeln, ohne einander wegen unterschiedlicher Ansichten zu beschuldigen oder gegeneinander ausspielen zu lassen. Die Umweltschutzproblematik war nur gemeinsam lösbar, und die Umweltschutz-
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Vgl. Neubert, Opposition, S. 590. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 72 f., 90. Vgl. Gensichen, Umweltverantwortung, S. 291 f.; Rothe, „Alles muss klein beginnen“, S. 6 f. Die Kontaktadresse des KFH wurde u. a. im westdeutschen Umweltmagazin (hrsg. BBU), 4. Jg., Nr. 3, Juni 1981, S. 30–31, publiziert; Ökogruppen machen mobil, in: Der Spiegel, Nr. 22, 27. 5. 1985, S. 17. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 34, 122, 140; ähnlich zur Bodenbeschaffenheit: RHG, OWK 4, Bl. 150, Deutsch-deutsche Umweltbetrachtungen – oder: Was uns dazu beim Besuch in der DDR auffiel, o. D. [vmtl. 1986], o. V. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 34 f., 37. Siehe auch Ault, Protesting Pollution, S. 164–167.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
bestimmungen waren in beiden Teilen Deutschlands „absolut unzureichend“: Wirtschaftlichen Interessen würde Priorität eingeräumt, hier sei „in absehbarer Zeit […] von offizieller Seite keine Abhilfe zu erwarten“.346 Damit stand der westdeutsche Aufruf im Einklang mit transnationalen Bewegungen wie dem „European Network for East-West-Dialogue“. Dieses wollte den KSZE-Prozess „von unten“ weiter forcieren, denn „Vertrauen bildet sich zwischen Menschen, nicht zwischen bürokratischen Apparaten.“ Es galt, „so zu handeln, als ob ein vereintes, neutrales und friedliches Europa bereits existierte.“ 347 Die Schlussakte von Helsinki räume dem Umweltschutz zwar „einen bedeutenden Platz“ ein, sei aber noch immer von „Wachstumsoptimismus“, dem „Vorrang der Großtechnologie“ und der „Verdrängung des wirklichen Ausmaßes der Umweltkatastrophe“ geprägt. Durch Selbstverpflichtungen wie auf der Münchner Umweltkonferenz erhalte diese Ansicht zwar Risse, sie sei aber dennoch der Grund, warum sich zuerst in Westund nun auch Osteuropa Protestbewegungen gegründet hätten. Die Organisation forderte deshalb ihre Vernetzung, die Bestandsaufnahme der Umweltzerstörung durch Öko-Institute, die Errechnung der Folgekosten durch Wissenschaftler und letztlich die Herausgabe dieser Materialien an ein europäisches „Tribunal gegen die Umweltzerstörung“.348 Bei diesem sollten, wie schon bei den Russeltribunalen oder dem Wassertribunal, Hauptschuldige, gleichgültig ob private oder staatliche Unternehmen, symbolisch angeklagt werden. Die Einreiseschwierigkeiten für Bundes-, vor allem aber die Beschränkung der Reisefreiheit für DDR-Bürger waren die wichtigsten Hürden für die Etablierung der Kontakte an der Basis. Die DDR beschränkte zunehmend die Reisebedingungen wie die Anzahl der zu besuchenden Orte und die Reisedauer.349 Auch diese Maßnahme gehörte in ihr Wechselspiel von politischer Annäherung, der eine anderweitig gelagerte, in diesem Fall gesellschaftliche Abgrenzung folgte. Indessen stellte die Politik auf westdeutscher Seite kaum noch Mittel für Gruppenreisen in die DDR bereit, weshalb die Aktivisten Reise-Fonds auf kommunaler Ebene forderten. Das Credo lautete: „Organisiert Reisen in die DDR! – Nur so können
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Alle Zitate aus: RHG, OWK 4, Bl. 34 f., hier S. 35, Umweltzerstörung macht an keiner Grenze Halt, Entwurf des Aufrufs „Reise für die Jugend“, o. D. [vmtl. 1985], o. V. RHG, OWK 9, Bl. 113–127, hier Bl. 118 und 120, Protokoll der Koordinationssitzung des European Network for East-West-Dialogue am 5./6. 10. 1985 in Madrid, Dieter Esche. Siehe auch AGG, B.II1., Bd. 1766, Dialog zwischen Menschen, nicht Apparaten – auch im Entwurf eines Grundsatzpapiers: Ansätze und Perspektiven Grüner Politik in den deutsch-deutschen Beziehungen, Lothar Probst und Jürgen Schnappertz, o. D. [vmtl. September 1984]. Ähnlich die Aktion „100 000 Partnerschaften in Ost und West“, Kontakte z. B. über Städtepartnerschaften: o. V., „Aktion 100 000 Partnerschaften“, in: Jugendopposition in der DDR. Lexikon, in URL: https://www.jugendopposition.de/lexikon/sachbegriffe/148340/aktion-100-000-part nerschaften [24. 5. 2022]. RHG, OWK 9, Bl. 113–127, hier S. 126, Protokoll der Koordinationssitzung des European Network for East-West-Dialogue am 5./6. 10. 1985 in Madrid, Dieter Esche. Siehe zum Wasser-Tribunal auch Kap. III.2.1. Vgl. RHG, OWK 4, Bl. 47–52, hier Bl. 47, 52, Aktion 100 000 Partnerschaften West-Ost. Städtepartnerschaften und Jugendaustausch, o. V., September 1985.
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wir unsere Probleme gemeinsam lösen!!!“ 350 Die mangelnde politische Unterstützung für Reisen in die DDR zeigte sich beispielsweise bei den Grünen in Duisburg, die diese Aktion nicht über ihren Öko-Fonds unterstützen wollten, weil sie „andere Schwerpunkte“ hätten.351 Das scheint in dieser Partei kein Einzelfall gewesen zu sein. Und obwohl die Grünen trotz Einreiseverbote bis 1989/90 mit mehr als 20 Kontakten zur Bürgerbewegung der DDR unter den Parteien absoluter Spitzenreiter waren, war ein umweltpolitischer Schwerpunkt in der Deutschlandpolitik der Grünen nach 1983 kaum noch auszumachen:352 Noch 1987 urteilte einer ihrer Arbeitskreise, dass ihr Umweltbereich stark „unterbelichtet sei, zumindest in der Öffentlichkeit“ – im Gegensatz zum medienwirksamen Engagement des Bundesumweltministers Klaus Töpfer (CDU).353 Die Grünen hätten allgemein ihre Meinungsführerschaft im Umweltschutz zugunsten anderer Themen aufgegeben.354 Statt der Naturfrage diskutierten sie zwischen 1984 und 1985 die Systemfrage, das heißt eine Regierungsbeteiligung, und dieser Flügelstreit zwischen „Fundis“ und „Realos“ dominierte ab 1987 die Politik der Partei.355 Mit der „Asyl-Frage“ und dem Besuch bei Hermann Axen habe die Partei im Bundestagswahlkampf 1987 ein falsches Zeichen gesetzt. So urteilte 1986 der Düsseldorfer Kreisverband: „Gilt für uns nicht mehr, daß wir ‚weder dem Westen noch dem Osten – sondern untereinander loyal‘ sind? Sie [die unabhängigen Gruppen] sind doch die Basis der notwendigen Veränderungen in der DDR. Sie sind unsere Bündnispartner.“ An die Stelle der grünen Doppelstrategie mit direkten Aktionen traten Mitte der 1980er Jahre für einige Zeit Tatenlosigkeit und Gespräche der Bundestagsfraktion mit DDR-Politikern. Der Kreisverband resümierte: „Mit Scham haben wir erleben müssen, daß nicht die GRÜNEN sondern die Umweltgruppe ‚Greenpeace‘ das DDR-Salz aus der Werra zu Herrn Reichelt trugen.“ 356 Die internationale Umweltorganisation Greenpeace schüttete am 15. September 1986 einen Zentner Salz, den sie aus dem Wasser der Werra gewonnen hatte vor das Gebäude des MfUW und entrollte das Transparent „DDR-Salz vergiftet Werra und Weser. Schluss damit! Greenpeace“.357 In einem Brief an Reichelt präzisierte
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Hervorhebung im Original; RHG, OWK 4, Bl. 34 f., hier S. 35, Umweltzerstörung macht an keiner Grenze Halt, Entwurf des Aufrufs „Reise für die Jugend“, o. D. [vmtl. 1985], o. V. Vgl. RHG, OWK 4, Bl. 144, Aufzeichnungen, o. V., o. D. Vgl. SPD fünf sowie CDU/CSU und FDP keine Kontakte zu Basisgruppen in der DDR bei Wick, Mauer, S. 12, zum Fehlen eines umweltpolitischen Schwerpunkts, S. 247; vgl. für Kontakte zwischen CDU-Vertretern und DDR-Kirchen Rüddenklau, Störenfried, S. 112–114. AGG, B.II.1, Bd. 5974, Klausurtagung des AK V vom 29. 10. 1987, wesentliche Beiträge, Protokoll von Wolfgang Helm und Kathrin Becker, 25. 11. 1987. Vgl. AGG, B.II.1, Bd. 5974, Protokoll der AK-Sitzung vom 14. 7. 1987, o. V. Vgl. Raschke, Die Grünen, S. 63, 76; Wick, Mauer, S. 217. RHG, OWK 4, Bl. 142 f., Offener Brief wegen eurer Reise nach Ostberlin, Brief des Kreisverbandes der Grünen Düsseldorf, G. K., an die Bundestagsfraktion der Grünen, 17. 9. 1986. Vgl. zur Wendung untereinander loyal zu sein: RHG, OWK 9, Bl. 113–127, hier Bl. 120, Protokoll der Koordinationssitzung des Netzwerkes European Network for East-West-Dialogue, 5.–6. Oktober 1985, Mailand, Dieter Esche. Siehe zur „Asyl-Frage“ Kap. IV.4.1. Bastian, Greenpeace in der DDR, S. 18–20.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
sie, die DDR müsse Verantwortung für die Verschmutzung übernehmen, die Produktion „zeitweilig“ stilllegen und die Abfallmengen zwischenlagern, denn es komme „zum allmählichen Tod von Werra und Weser, der Flüsse und der Meere“.358 Zwei Tage später verteilten Greenpeace-Aktivisten am Grenzübergang Herleshausen kleine Salzpäckchen an Transitreisende, mit der Aufgabe, diese an Reichelt zu schicken. Weitere Aktionen, die die „Warriors of the Rainbow“ öffentlichkeitswirksam durchführten, waren der Ballonflug über die Berliner Mauer 1983 aus Protest gegen die vier Atommächte und ihre Atombombentests oder die von DDR-Behörden 1984 verhinderte Einreise mit dem Laborschiff „Beluga“ auf der Elbe.359 Greenpeace arbeitete auf Spendenbasis und war auf eine breite Öffentlichkeit und eine wirksame Inszenierung ihres Protests bedacht. 1980 hatte sich in Hamburg ein deutscher Ableger des transnationalen Verbands gegründet.360 Das Augenmerk dieser Organisation lag jedoch auf den großen globalen Umweltzusammenhängen, nicht auf einer konkreten Verbesserung der umweltpolitischen Lage in der DDR. Ihre Auftritte im SED-Staat und die damit gewonnene Medienaufmerksamkeit, vor allem im Westen, dienten für sie eher als Mittel zum Zweck für dieses übergeordnete, globale Ziel. Weltanschaulich bei den Quäkern, Gandhis Strategie der Gewaltfreiheit und Marshall McLuhans Idee des „Global Village“ angesiedelt, galt für die Regenbogenkämpfer: „the medium is the message“.361 Wie Die Grünen nutzte auch Greenpeace die Mittel der direkten Aktionen und der Gewaltfreiheit, um Regierungen unter Druck und die Öffentlichkeit in Kenntnis zu setzen. Das heißt, indem sie Emotionalisierungsstrategien instrumentalisierten und aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext übersetzten, agierten sie vielmehr als „Emotionsagenturen“ die der bipolar organisierten Machtkommunikation im Kalten Krieg gegenüberstand.362 Mit der Zeit begann auch bei Greenpeace eine Diskussion darüber, wie mit Basisgruppen beziehungsweise Aktivisten in der DDR umzugehen sei. Greenpeace als international agierender Akteur trat bei spektakulären Aktionen meist mit einem national gemischten Team auf, um Verhaftungen in den von ihren Handlungen betroffenen Ländern zu erschweren und um, sollte es doch dazu kommen, einen diplomatischen Skandal zu provozieren. Nach dieser Logik durfte es zum Schutz der DDR-Aktivisten keine solchen geben, um nicht ihre Verhaftung zu riskieren.363 Das bedeutete nicht, dass auf gemeinsame Informations-Veranstaltungen, beispielsweise solche mit der Umweltbibliothek, verzichtet wurde.364 Greenpeace sollte diese ambivalente Haltung bis zum Schluss beibehalten. Dennoch
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BArch, MfS, HA IX, Nr. 10362, Bl. 11, Schreiben von Greenpeace an Reichelt, 15. 9. 1986. Vgl. Bastian, Greenpeace, S. 18–20 (Werra-Aktion), S. 9, 17, 20–23 (weitere Aktionen). Vgl. Zelko, Green Peace, S. 4–8, 33; Brand, Umweltbewegung, S. 235; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 115. Vgl. Zelko, Green Peace, S. 4. Vgl. Kemper, Nichtregierungsorganisationen als „Emotionsagenturen“, S. 366 f., 370–372. Vgl. BArch, MfS, HA VIII, Nr. 5195, Bl. 3–13, hier Bl. 9, Zusammenfassung von Erkenntnissen über Greenpeace International, 15. 12. 1987. Bastian, Greenpeace, S. 29, und Jütting, Interview, S. 42. Vgl. Bastian, Greenpeace, S. 26 f.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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trugen die sorgfältig medial inszenierten Aktionen in der DDR maßgeblich zu ihrem DDR-Mythos365 bei. Insgesamt lässt sich feststellen, dass ab Mitte der 1980er Jahre Bewegung in die basisgesellschaftlichen Kontakte zwischen Ost und West kam – ob dank der Grünen, der westdeutschen Friedensbewegung oder Greenpeace. Bedingt durch die Einschränkungen und die Abschottung der sozialistischen Diktatur verliefen persönliche Treffen, Materialübergaben und der Austausch von Informationen hauptsächlich von West nach Ost. Das Damoklesschwert staatlicher Repression über sich wissend, erschwerte westliche Kontakte und Aktionen ostdeutscher Umweltgruppen, die sich erst ab 1987/88 vorsichtig aus dem kirchlichen Kontext herauswagten. Es bestand die Angst, die Stasi würde behaupten, die Aktionen der unabhängigen Umweltgruppen würden vom Westen gesteuert – damit wären sie Spionage und ein Verhaftungsgrund.366 Letztlich konnte das SED-Regime konkrete Umweltprobleme, die angeprangert wurden, aber nicht leugnen, wie es auch Staatsminister Jenninger eingangs vermutete. Repressive Maßnahmen gegen Umweltschützer in der DDR fielen deshalb – zum Erstaunen der Akteure selbst – relativ glimpflich aus beziehungsweise das MfS betrieb vor allem die „Zersetzung“ der Gruppen statt ihrer Inhaftierung.367 Das Gefühl, die Politiker dies- und jenseits der innerdeutschen Grenze unternähmen nichts gegen die beide Staaten betreffende Umweltverschmutzung, war ein maßgeblicher Motor für die verstärkte Kommunikation auf Basisebene. Dennoch waren diese asymetrischen, transnationalen Umweltbeziehungen eher die Ausnahme. Zu unterschiedlich waren die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür: In den bundesdeutschen Gruppen standen die Umweltprobleme des Ostens nicht prioritär im Vordergrund. Die Kontakte in den Westen waren für die DDR-Bürger zwar wichtig, aber im DDRAlltag doch eher die Ausnahme; die Normalität der Verhältnisse war eben die an Ort und Stelle und weniger die jenseits der (West-)Grenze – eine transnationale ost-west-übergreifende Umweltbewegung daher mehr Mythos denn Realität.368
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret „Machen Sie den Umweltschutz zum Thema eines Gipfeltreffens, verhandeln Sie ausschließlich über diesen Bereich, betreiben Sie innerdeutsche Völkerverständigung durch gemeinsame An-
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Nur diese Gruppe hätte sich um die ökologische Situation in Ostdeutschland gekümmert. Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk in: „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/1, S. 583. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 31. Kriminalisierung auch bei Möller, Umwelt, S. 234–236, 311. Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 52, 169, 236 f.; „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/ 1, S. 618; Stief, Staatssicherheit, S. 99; siehe auch Ault, Saving Nature, S. 94, 101 Vgl. Jordan, Greenway, S. 34–44; Uekötter, ökologische Verflechtungen, S. 117; Ault, Protesting Pollution, S. 164–167.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
strengungen zur Erhaltung einer menschenwürdigen und ökologisch vielfältigen Umwelt in Mitteleuropa!“ 369
Als diese Forderungen der Deutschen Naturschutzjugend Erich Honecker und Helmut Kohl erreichten, hatte bereits das dritte Umweltschutzgespräch zwischen Bundesrepublik und DDR stattgefunden. Genau in dem Moment als das Gefühl der staatlichen Untätigkeit in der Bevölkerung in Ost und West beständig wuchs, begannen ab 1985 Umweltverhandlungen Form anzunehmen. Für diese Entwicklung waren vor allem vier Aspekte ausschlaggebend: Die DDR erkannte zum einen die Bedeutung internationaler Kooperation im Umweltschutz, zum anderen war der noch immer nicht erfolgte Besuch Honeckers in der Bundesrepublik ein wichtiges Anliegen der Parteiführung; drittens reagierten beide Seiten damit auf den Druck aus der Bevölkerung und nutzten dazu viertens das kurzzeitige Machtvakuum Moskaus als „window of opportunity“. Versuche, den Umweltschutz auf hoher Ebene zu diskutieren, gab es bereits vor 1985. So sollte beim für Herbst 1984 anvisierten Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik der Umweltschutz als „wichtiges Feld“ besprochen werden.370 Ein halbes Jahr zuvor hatte Günter Mittag Umweltschutzfragen bereits ausführlich mit Helmut Kohl diskutiert.371 Einen weiteren Monat früher hatte Reichelt von Mittag ein Strategiepapier erhalten, das sich mit der Frage beschäftigte, wie die DDR mit den beiderseits interessierenden Umweltproblemen umgehen sollte. Darin befand sich auch eine Anlage, die präzise die Themen auflistete, die der DDR nützlich wären. Reichelt hätte sie im Sommer 1984 der Bundesrepublik übergeben sollen. Es ist jedoch zu vermuten, dass die DDR dieses Papier aufgrund des in der Schwebe stehenden Honecker-Besuches zurückhielt. Vielleicht war im Bundeskanzleramt so der Eindruck entstanden, die DDR habe kein Interesse an allgemeinen Umweltschutzverhandlungen. Tatsächlich hatte dieses Papier vorgesehen, die Gespräche zur Werraversalzung (auch mit kurzfristigen Maßnahmen, wenn sich die Bundesrepublik beteilige), zur Elbe (ohne Grenzbedingung) und zur Rauchgasentschwefelung fortzusetzen und weitere Themen wie unter anderem den „Schutz der Wälder“, abfallarme Technologien oder auch Verfahren für eine Umweltkontrolle neu anzusprechen.372 369
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BArch B 295, Bd. 37001, Schreiben der Deutschen Naturschutzjugend an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR Erich Honecker und den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Helmut Kohl, o. D., BKAmt an BMI, 19. 11. 1985. Siehe auch Notwendigkeit von Umwelt-Verhandlungen mit den Staaten des Ostblocks, in: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132199, Anfrage zu Umweltbelastung mit Ostblock (DDR/ČSSR), Junge Aktion der AckermannGemeinde, Klemens Heinz (für die Bundessprecher)/Roland Fabich (Bundessekretär), München 18. 4. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Strategie für die Zusammenarbeit mit der DDR im Umweltschutz, Ressortbesprechung am 11. 7. 1984, BMI, 13. 7. 1984. Vgl. Gespräch Mittag – Kohl, 6. 4. 1984, Bonn, Dok. 25, in: Nakath/Stephan, Von Hubertusstock nach Bonn, S. 187. Dieses Gespräch sei ihm erst nach 1990 bekannt geworden, so Hans Reichelt im Gespräch mit der Autorin am 3. 12. 2020 in Schöneiche bei Berlin. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5756, Anlage zum Standpunkt und Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD bzw. Westberlin auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Schreiben Mittags an Reichelt, 20. 3. 1984.
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Nachdem Honeckers Besuch abgesagt wurde, galt es für den Diplomaten Bräutigam, zumindest Reichelt und Bundesinnenminister Zimmermann wieder zusammenzubringen und der DDR für Letzteren eine Einladung abzugewinnen. Der Ständige Vertreter in Ost-Berlin maß dem Umweltschutz erhebliches Gewicht für die Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik bei.373 Reichelt schlug für den Besuch das zweite Quartal 1985 vor. Bräutigam vermutete hinter diesem späten Termin, dass die Führung das „Misstrauen der Sowjetunion gegenüber deutsch-deutschen Kontakten“ abklingen lassen wollte. Reichelt selbst war gegenüber diesem Kontaktangebot aufgeschlossen: Ihm schwebte vor, dass bei diesem Gespräch mit Zimmermann „konkrete Vorschläge für die Zusammenarbeit erörtert werden sollten“. Für ihn bestand das Ziel dieser Ministerbegegnung darin, dass „von politischer Ebene Impulse für eine kontinuierliche Zusammenarbeit ausgehen“ sollten.374 Das bestätigt einerseits, dass Reichelt sich über die Kontakte zur Bundesrepublik, insbesondere nun auf Ministerebene, konkret ökologische Verbesserungen für sein Land erhoffte. Es verweist andererseits darauf, dass es schnell gehen musste, wenn bei einem ersten ministeriellen Gegenbesuch bereits bestimmte Projekte besprochen werden sollten. Und es zeigt drittens, dass sich das MfUW und das Politbüro von dieser Kontaktebene doch mehr versprachen als von Begegnungen mit einzelnen Landesministern.375 Gegenüber Günter Mittag plädierte Reichelt nun für Umweltbeziehungen mit dem Argument, dass es sich „positiv auf die Gesamtbeziehungen“ auswirken könne.376 Gleichzeitig stockten zu dem Zeitpunkt die Verhandlungen zum Kulturabkommen, weshalb der Ständige Vertreter der DDR in Bonn darauf hinwies, beide Staaten müssten in „praktischen Fragen“ weiterkommen, wie beispielsweise beim Umweltschutz.377 All diese Aussagen weisen daraufhin, dass die SED-Führung um den Jahreswechsel 1984/85 zumindest ein politisches Interesse an Umweltschutzgesprächen mit der Bundesrepublik hatte. Sie schien die ernste Lage der Umweltverschmutzung in ihrem Land erkannt zu haben, worauf die Hinweise auf prakti-
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So, Bräutigam zu Reichelt am 12. 11. 1984, vgl. BArch-SAPMO, DY 3023/1442, Bl. 351–353, hier Bl. 351, Information und Vorschläge zur Fortführung von Gesprächen zwischen der DDR und der BRD auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Schreiben Reichelts an Honecker, Mittag, Stoph und Häber, 16. 11. 1984. Alle Zitate in: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Sondierung für ein Gespräch Zimmermann – Reichelt, Drahtbericht Nr. 1889, StäV an BKAmt u. a., 14. 11. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Siehe auch Wentker, Außenpolitik, S. 424 f. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023/1443, Bl. 16–21, hier Bl. 17, 20, Vorschläge zur Fortführung von Gesprächen zwischen der DDR und der BRD auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Schreiben Reichelts an Mittag, 8. 2. 1985. Siehe zum Preußischen Kulturbesitz auch Lindner, Öffnung, S. 156. Vgl. PA AA, B 82, Bd. 1462, Vermerk über die Vorsprache des Leiters der Ständigen Vertretung der DDR, Ewald Moldt, bei dem Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble, 22. 1. 1985, BKAmt, Leiter Arbeitsstab Deutschlandpolitik, 25. 1. 1985; zum Kulturabkommen auch Lindner, Öffnung, S. 166–176.
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sche Ergebnisse und Projekte vermuten lassen. Die DDR hatte bereits ein Umweltabkommen mit Schweden geschlossen, diejenigen mit Österreich und Dänemark nahmen 1985 Form an, und ein Jahr später sollte sie sogar bei den USA um eine umweltpolitische Zusammenarbeit anfragen.378 Dieser Ausbau ihrer internationalen Umweltbeziehungen, vor allem mit dem Westen, ging mit einem erweiterten Verständnis von Umweltpolitik einher: Nicht mehr das sozialistische System allein könne Umweltprobleme beheben, sondern diese können nur global in der internationalen Gemeinschaft gelöst werden, Frieden und Abrüstung vorausgesetzt.379 Die Bundesrepublik konnte zu diesem Zeitpunkt nichts Vergleichbares mit den Ostblockstaaten vorweisen. Ihre Umweltgespräche mit der Sowjetunion gestalteten sich zäh und wurden nach Auffassung des Auswärtigen Amts durch den Alleingang der bayerischen Landespolitik durch Umweltsymposien mit der UdSSR für die Berlin-Position auf gefährliche Art und Weise torpediert,380 zudem seien andere regionale Umweltprobleme (Regenwald) dringlicher.381 Doch in Vorbereitung des Honecker-Besuchs hatte auch das BMI ein Strategiepapier erarbeitet, das die Ziele umweltpolitischer Zusammenarbeit festhielt. Noch im Juli 1984 schätzte es die Chancen für ein allgemeines Umweltabkommen mit Substanz als schlecht ein. Es bestand die Vorstellung, dass Reichelt und Zimmermann nur ein bilaterales Arbeitsprogramm „und dessen Realisierungsmöglichkeiten unter Einbeziehung eines umweltpolitischen wissenschaftlich technischen Austauschs“ entwickeln.382 Die Zweckmäßigkeit bilateraler Vorbereitungstreffen auf Abteilungsleiterebene sowie der Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme sollte
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Vgl. Erfolgreiche Zusammenarbeit mit Schweden im Umweltschutz, in: ND, 15. 11. 1984, S. 3; Vertrag über Umweltschutz DDR–Österreich signiert, in: ND, 25. 10. 1985, S. 5; Vereinbarung mit Dänemark über Umweltschutz signiert, in: ND, 27. 7. 1985, S. 2; Anfrage der DDR bei den USA: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten von Amerika, der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der sauren Niederschläge, Schreiben des BMELF an BKAmt, AA, BMI, BMIB, BMFT, 25. 4. 1986. Siehe auch Chaney/Gudermann, Contribution, Part 2, S. 183. Vgl. Neubert, Opposition, S. 585; zur Umweltkooperation im RGW, Herzberg, Ostmitteleuropa, S. 25. Symposien 1981 in München und 1984 Chișinău (Kischinau), UdSSR: Vgl. u. a. PA AA, ZA, B 41, Bd. 139388, Geplantes Bayerisch-sowjetisches Symposium über Umweltfragen in Kischinjow April 1984, Per Fischer, Referat 414, AA, 20. 2. 1984; PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Bayern-DDR Vorschlag Umweltkommission, Greineder, Referat 433, AA, 27. 5. 1986; PA AA, ZA, B 41, Bd. 133263, Umweltsymposium in der Sowjetunion 1983, Barker/Arnot, Referat 213, AA, 18. 2. 1983. So Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl zur Kritik mangelnder Umweltabkommen mit osteuropäischen Ländern von Günter Verheugen (SPD) im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 1323262, Tagesordnungspunkt des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags [vmtl. Anfang 1984], Beratung des Entschließungsantrags der Fraktionen CDU/CSU und FDP, Drucksache 10/383, 14. 9. 1983. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Strategiepapier für die Zusammenarbeit mit der DDR auf den Gebieten des Umweltschutzes sowie der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen des Strahlen- und Notfallschutzes (Konzeptionelle Darstellung), Anlage zur Ressortbesprechung am 11. 7. 1984, BMI, 13. 7. 1984.
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später geklärt werden,383 was nach einem knappem dreiviertel Jahr allerdings bereits so weit war. Wenige Tage nach dem Tod des sowjetischen Generalsekretärs der KPdSU Konstantin U. Tschernenko verkündeten Erich Honecker und Helmut Kohl im März 1985 in Moskau, die Gespräche zwischen ihren Ländern zu vertiefen, um „auf der Basis des Grundlagenvertrages normale gutnachbarschaftliche Beziehungen […] im Interesse von Frieden und Stabilität in Europa zu entwickeln und auszubauen“.384 Das sowjetische Machtvakuum nutzend, profitierten nun auch die deutsch-deutschen Umweltverhandlungen von diesem Zusammentreffen – zwölf Jahre nach dem ersten Gespräch Ende 1973. Die Akteure, die Interaktionen und auch teilweise die Motive bezüglich der Umweltthemen hatten sich auf beiden Seiten im Vergleich zu den 1970er Jahren geändert. Die Entspannungspolitik beeinflusste zwar noch immer die umweltpolitischen Beziehungen zwischen Ost und West. So wollte beispielsweise die Bundesregierung zum zehnjährigen KSZE-Jubiläum eine erneute Initiative im Korb II starten. Ihre Idee gemischter Umweltkommissionen setzte aber bilaterale Umweltabkommen mit der DDR und anderen Ostblockstaaten voraus.385 Das Hauptmotiv für beide Seiten war es nun aber, der Umweltverschmutzung durch die DDR Abhilfe zu verschaffen. Mehr noch als im Jahrzehnt zuvor wirkte hier der Druck aus der Bevölkerung. Für die Bundesregierung äußerte sich dies beispielsweise im bayerischen Landtagsbeschluss, der darum bat, auf die DDR bezüglich ihrer benachbarten Gebiete für eine Verbesserung des Umweltschutzes einzuwirken,386 oder eingangs erwähnter Schreiben von Umweltschutzgruppen und von in betroffenen Grenzgebieten wohnender Menschen. Die Beschwerden der Länder und der Bevölkerung wirkten auf die Bundesregierung ein, etwas hinsichlich der Umweltprobleme im Grenzbereich der DDR zu unternehmen. In der DDR fing das Eingabewesen in Ermangelung des Klageweges oder der öffentlichen Auseinandersetzung die Stimmungslage der Bevölkerung ein. Es konnte in einer Diktatur bereits politische Aufmerksamkeit hervorrufen und Protest kanalisieren. Zwar thematisierten zu Anfang nur eine geringe Anzahl der Eingaben den Umweltschutz als solchen, doch wuchs ihre Anzahl in den 1980er Jahren beständig. Genaue quantitative Aussagen lassen sich allerdings schwer beurteilen und ermitteln. Erreichten nach Huff beispielsweise die Abteilung Umweltschutz im MfUW 1975 noch etwa 95 Eingaben, so verneunfachte sich ihre Anzahl auf 881 Stück im
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Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Strategie für die Zusammenarbeit mit der DDR im Umweltschutz, Ressortbesprechung am 11. 7. 1984, BMI, 13. 7. 1984. Gemeinsame Erklärung über das Gespräch des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR in Moskau, 12. 3. 1985, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 28, 14. 3. 1985, S. 230. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132321, „Initiativen zur Belebung der Zusammenarbeit im Korb II“ (Auszug), o. V., o. D. [vmtl. 1985]; und Deutsche Initiative im Bereich Korb II, Gerhardt, 421, AA, 19. 8. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Beschluss des Bayerischen Landtags, Drucksache 10/5615, Zweckbindung für DDR-Kredit, 12. 12. 1984; und Brief des Ministerpräsidenten Strauß an den Chef des Bundeskanzleramts Schäuble vom 7. 2. 1985.
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Jahr 1988. Für dasselbe Jahr gehen Stief und Möller von 1215 Eingaben aus, die das MfUW auch über Umwege wie den Staatsrat erreichten.387 Neben dem entspannungspolitischen Grund und gesellschaftlichen Druck, rückten für die DDR auch wirtschaftliche und technologische Motive in den Vordergrund. So sollten über Umwelttechnologien Valutaeinnahmen generiert und neue Erkenntnisse über Verfahren gewonnen und angewandt werden, um eine Verbesserung der Umweltbedingungen in der DDR zu erreichen.388 Die rohstoffarme DDR visierte somit ein Umweltabkommen auch deshalb an, um ihr Wissen über die Weiterverarbeitung von Abfallstoffen zu erweitern sowie Entwicklungskosten und Importe einzusparen.389 Die DDR strebte insbesondere danach, moderne leistungsfähige Ausrüstung zur Reduzierung von Schwefeldioxid- und Stickoxidausstoß „unter Nutzung der Interessenlage der BRD, zu günstigen Bedingungen zu erhalten.“ 390 Dabei spielten vielleicht auch die Erfahrung ihres Nachbarn, der ČSSR, eine Rolle: Da sie allein den Umweltproblemen technisch nicht begegnen konnte, hatte sie den Kontakt zur Bundesregierung gesucht. Eine ihr von Bayern überlassene Rauchgasentschwefelungsanlage mit Nasswäsche würde die ČSSR angeblich in die Lage versetzen, bis 1993 das 30-Prozent-Ziel der Genfer Luftschutzkonvention von 1979 zu erreichen.391 Zusätzlich zum Informationsund Erfahrungsaustausch mit der Bundesrepublik verfolgte die DDR-Seite aber nicht nur das Ziel, Umwelttechnik aus dem Westen zu importieren, sondern ihn auch „insbesondere für den Export immaterieller Leistungen“ zu nutzen, beispielsweise ihre Kenntnisse zum Schutz der Wälder oder zu abfallarmen Produktionsverfahren.392 Das heißt einerseits, dass die SED damit den von ihr angestrebten Ausgleich herstellen wollte, und andererseits damit versuchte ihre Sichtweise in den Westen zu exportieren, wobei die DDR-Umweltpolitik noch immer eindeutig Teil der „friedlichen Koexistenz“ blieb, ergo einer Weiterführung des ideologischen Systemwettstreits mit friedlichen Mitteln.
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Vgl. Huff, Natur, S. 313; Stief, Staatssicherheit, S. 227–242, hier S. 235; Möller, Umwelt, S. 278–282; Roesler, Unterschiede, S. 486. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5756, Standpunkt und Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD bzw. Westberlin auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Schreiben Mittags an Reichelt, 20. 3. 1984. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1442, Bl. 134–143, hier Bl. 136, Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD bzw. Westberlin auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Schreiben Mittags an Honecker, 25. 4. 1984, hier: II. Weiteres Vorgehen. Siehe zur Wiederverwendung von Rohstoffen: Mittag, Um jeden Preis, S. 271; kritischer: Möller, Traum, S. 63 f. BArch, DK 5, Bd. 5756, Information und Vorschläge zur Fortführung von Gesprächen zwischen der DDR und der BRD auf dem Gebiet des Umweltschutzes, von Honecker am 7. 5. 1985 bestätigt. Diese Information wurde im Original farbig hervorgehoben. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5756, Inoffizielle Übersetzung aus dem Gesprächsvermerk Kadnar – von Braunmühl, Oskar Fischer, MfAA, 20. 12. 1984. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5756 Standpunkt und Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD bzw. Westberlin auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Schreiben Mittags an Reichelt, 20. 3. 1984.
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All diese Faktoren – internationale Verpflichtung und gesellschaftlicher Druck, ökonomische Rationalität und ökologische Not, politischer Wille und sowjetisches Machtvakuum – trugen dazu bei, dass sich das Möglichkeitsfenster für allgemeine bilaterale Abteilungsleitergespräche für beide deutsche Staaten ab März 1985 öffnete. Im Folgenden wird ersichtlich, dass die DDR diese Umweltvereinbarung zwar wollte, dabei aber noch einige Steine im Weg lagen, die ein schnelleres Vorankommen verhinderten beziehungsweise die politischen Züge wohlüberlegt sein sollten.
4.1 Zug um Zug: Die bilateralen Umweltverhandlungen 1985—1987 „Es wurde erhebliches sachliches Interesse der DDR-Seite an bilateraler Umweltzusammenarbeit – insbesondere an einem technologischen Informationsaustausch – deutlich“,393 konstatierte das westdeutsche Protokoll zum ersten umweltpolitischen Gespräch zwischen den Abteilungsleitern Frank Herrmann (DDR) und Egon Herfeldt (Bundesrepublik) im Sommer 1985. Bis zum Frühling 1987 verhandelten die beiden insgesamt dreizehn Mal über das Thema Umweltschutz (vgl. Tab. 7). Zunächst nahmen an diesen Gesprächen – anders als zuvor – keine Ländervertreter teil. Sie wurden später je nach Erfordernis der Sachlage hinzugezogen.394 Nach den ersten fünf Verhandlungsrunden sah die DDR-Seite die Umweltvereinbarung inhaltlich bereits als fertig ausgehandelt an.395 Doch kamen immer wieder Störfaktoren und Unstimmigkeiten hinzu, darunter die altbekannten, wie das UBA beziehungsweise die Berlin-Einbeziehung und die Finanzierungsfrage, aber auch neue wie die Bundestagswahl 1987 und die westdeutsche „AsylFrage“. Es zeigt, dass bei den Umweltverhandlungen Zugeständnisse des Verhandlungspartners auch zu bekommen waren, indem man ihm in anderen politischen Bereichen entgegenkam. Im Folgenden wird daher zunächst der Sachinhalt beleuchtet, um danach die verschiedenenen Problembereiche zu erläutern, die teilweise einem elaborierten Schachspiel gleich verschiedene Strategien und Züge im deutsch-deutschen Verhältnis anzeigten. Auf dem ersten Zusammentreffen am 4. Juni 1985 in Ost-Berlin hatte Herfeldt der DDR-Seite eine Liste von Themen übergeben, an denen die Bundesrepublik interessiert war. An erster Stelle stand wie eh und je die Werraversalzung – beide Seiten einigten sich darauf, dass sie die bereits begonnenen Gespräche darüber im
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PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Vorbereitung der bilateralen Abteilungsleitergespräche mit der DDR über Umweltfragen, Afz. Kupfer, U I 5, BMI, 7. 8. 1985; Vorbereitung für Gespräche mit DDR, Malina, BMI, 14. 10. 1985. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3393, Information über das 5. Gespräch mit der BRD zu Fragen der weiteren Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, 27./28. 1. 1986, Ost-Berlin.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
bisherigen Format fortsetzen wollten. An zweiter Stelle ging es um die Luftverschmutzung, gefolgt von der umgehenden Fortsetzung der Elbegespräche sowie Aussprachen zu kerntechnischen Anlagen und zu Waldschäden.396 Die DDR-Seite konzentrierte sich wiederum auf Themen wie die Luftverschmutzung, inklusive Waldschäden, und die Abfallentsorgung. Das heißt, beiden Seiten war das Problem der Luftverunreinigung besonders wichtig, doch gab es hinsichtlich anderer Fragen – und da vor allem jener der Gewässerverschmutzung – unterschiedliche Ansichten. Die ostdeutschen Delegierten lehnten Elbegespräche anfangs mit der Begründung der ungeregelten Elbe-Grenze wie üblich weiterhin ab. Herfeldt konnte sich jedoch in der vierten Runde im November 1985 damit durchsetzen, die Gewässerschutzproblematik als allgemeinen Konsultationsbereich in den Vertragstext aufzunehmen.397 Ein weiterer, weniger problematischer Bereich war die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft. Das BMI wünschte sich, dass Gespräche über den VEB Deponie Schönberg sowohl innerhalb als auch außerhalb des Abkommens möglich seien. Herrmann schloss zwar Fachgespräche – wie sie bereits über Schönberg geführt wurden – nicht aus, dabei sollte aber keine neue Verhandlungsebene entstehen.398 Damit wurde auch der bereits seit Anfang der 1980er Jahre praktizierte Austausch über die Mülldeponie allgemein in das Umweltabkommen aufgenommen. Darüber hinaus erklärte sich die DDR dazu bereit, als ein weiteres Themengebiet den Naturschutz in die Umweltvereinbarung einzuschließen.399 Ihr war seit Sommer 1984 bekannt, dass die Bundesrepublik gern ein Naturschutzabkommen verhandeln würde. Die DDR sah ein eigenes Abkommen jedoch – ohne nähere Begründung – nicht als „zweckmäßig“ an, weshalb es nun hier integriert wurde.400 396
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Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Anlage 1: Prioritäten für die Zusammenarbeit mit der DDR, in: 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985; BArch, DK 5, Bd. 5756, Direktive für Gespräche auf der Ebene von Abteilungsleitern des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR und des Innenministeriums der BRD, Mai 1985. Siehe zum Junktim Elbe-Grenze auch PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Ergebnisvermerk über die Besprechung vor einer weiteren Sitzung mit der DDR zum Thema Umweltschutz, BMI, 27. 9. 1985; und 3. Runde auf der AL-Ebene mit der DDR zum Thema Umweltschutz 11./12. 9. 1985 in Ost-Berlin, Drahtbericht Nr. 1481, StäV, Herfeldt/Hellbeck, 13. 9. 1985. Siehe zur Elbe-Grenze Kapitel III.2.4. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Afz. Besprechung im BMI, Kupfer, 12. 8. 1985, und Information über die 6. Verhandlungsrunde mit DDR auf AL-Ebene vom 19.–21. 2. 1986 in Düsseldorf BMI, 24. 2. 1986. Siehe zum Austausch bzw. „Müll-Polit-Tourismus“ Kap. IV.2.3. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985; BArch, DK 5, Bd. 5756, Direktive für Gespräche auf der Ebene von Abteilungsleitern des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR und des Innenministeriums der BRD, Mai 1985. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5756, Demarche von Bräutigam, StäV der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin, an Seidel, MfAA, 19. 7. 1984; und Direktive für Gespräche auf der Ebene von Abteilungsleitern des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR und des Innenministeriums der BRD, Mai 1985; Eckert, West Germany, S. 177–179. Siehe
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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Für das bundesdeutsche Interesse der Sicherheit kerntechnischer Anlagen war das MfUW letztlich nicht zuständig, weshalb dieser Bereich ausgesondert und mit dem Präsidenten des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) beim Ministerrat der DDR Georg Sitzlack parallel verhandelt wurde.401 Nachdem alle diese Themen abgesteckt waren, gab es kaum noch inhaltliche Unstimmigkeiten. Dafür bestimmten außerhalb des umweltpolitischen Spektrums liegende Probleme das Fortkommen, angefangen bei der Berlin-Frage. Frank Herrmann überreichte Egon Herfeldt auf dem ersten Treffen im Juni 1985 ebenfalls ein Papier: Es handelte sich – wie bereits 1973 – um einen Vereinbarungsentwurf, welcher der DDR zu einer strategisch günstigen Position verhelfen sollte. Die Ausführung dieses Entwurfs orientierte sich am Umweltabkommen zwischen Österreich und der Volksrepublik Ungarn. Das hieß, er beinhaltete einen dreijährigen Arbeitsplan, eine Kostenregelung für den Aufenthalt von Experten im Ausland, und das Abkommen war begrenzt auf die Dauer von fünf Jahren.402 Neu und als weiteres Indiz für den Wunsch nach intensiverer Umweltzusammenarbeit mit der Bundesrepublik war das Zuvorkommen der DDR in der BerlinFrage, wie das BMI-Protokoll festhielt: „Dieser Entwurf zeichnet sich dadurch aus, daß er in seinem Artikel 5 eine Berlin-Klausel (Frank-Falin-Klausel) enthält. Daß die DDR-Seite eine solche Klausel bereits bei Verhandlungsbeginn präsentiert, ist ein Novum; bei früheren Verhandlungen auf [sic!] anderen Bereichen ließ sich die DDR-Seite diese Klausel regelmäßig erst am Schluß der Beratung abhandeln.“ 403
Die Frank-Falin-Formel regelte die Einbeziehung West-Berlins in Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Dennoch ging die Ostseite nicht ganz hinter ihre Ansprüche und ihre Auffassung vom Vier-Mächte-Abkommen zurück. So sollten bereits bestehende Verträge zwischen ihr und dem West-Berliner Senat davon unberührt bleiben. Das implizierte jedoch die Möglichkeit, dass die DDR mit dem Senat allein verhandeln könnte, weshalb die Bundesregierung eine solche Formulierung nur selten akzeptierte.404 Sie tat es in den 1970ern zum Beispiel nur, wenn es derartige Verträge zwischen der DDR und dem West-Berliner Senat nicht
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auch: Protokoll von Meichsner (BMIB) über das deutschlandpolitische Koordinierungsgespräch, Bonn, 16. 2. 1984, Dok. 143, in: DzD, VII/1, S. 519. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Umweltgespräche mit der DDR, Ergebnisvermerk Ressortbesprechung vom 22. 3. 1985, BMI, 25. 3. 1985. Siehe auch Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes vom 7. Juni 1984, in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Gesetz-Nr. 415, 10. 10. 1985, S. 3341–3343. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1443, Bl. 96–100, hier Bl. 97, Schreiben Mittags an Honecker über das 2. Gespräch zum Umweltschutz auf Abteilungsleiterebene am 2. 7. 1985 in Bonn, 4. 7. 1985; sowie Bl. 156–160, hier Bl. 158, 3. Gespräch am 5. 9. 1985 in Ost-Berlin, 24. 9. 1985. Siehe zur Frank-Falin-Formel Bahr, Zu meiner Zeit, S. 451 f.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
gab und auch nicht geben würde.405 Dass die DDR mit dieser Formel auf die Bundesrepublik zuging, verfügte Honecker bereits nach seinem Gespräch mit Bundeskanzler Kohl in Moskau 1985. So ging die DDR ebenfalls schon in Verhandlungen zum Kulturabkommen auf diese Weise vor.406 Die Berlin-Frage spielte dennoch bei den einzelnen Verhandlungstreffen durchgehend eine Rolle. Wich die DDR bezüglich ihres Berlin-Standpunkts leicht von der bisherigen Linie ab, bestand sie zunächst allerdings im Protokollvermerk auf ihrem Rechtsstandpunkt in der UBA-Problematik.407 Das hieß, keine Einbeziehung dieser Behörde in die Vereinbarung. Daher wurde bereits vor den Verhandlungen auf der westdeutschen Seite überlegt, ob sie nicht darauf verzichten könnten, das UBA als Behörde zu erwähnen, und stattdessen nur eine namentliche Nennung der Experten einforderten. Hier gaben die DDR-Vertreter in der vierten Runde im November 1985 zu erkennen, dass dies möglich wäre, wenn die Bundesrepublik auf eine Gegenerklärung verzichte.408 In der Direktive zu diesem Gespräch wurde dies noch als „ein großzügiges Entgegenkommen der DDR“ dargestellt.409 Bis zum nächsten Treffen setzte sich in der SED-Führung aber die Meinung durch, die ostdeutschen Delegierten hätten sich damit „zu weit aus dem Fenster gelehnt“, weshalb die personenbezogene Lösung zunächst wieder in die Ferne rückte.410 Stattdessen sollte die Arbeit „auf der Basis gegenseitigen Vertrauens erfolgen“, damit die Bundesrepublik keine „nachträgliche ‚Legalisierung‘“ des UBA anstreben könne.411 Ein Grund für dieses Hin- und Herrudern und einer verhärteten Position der DDR Ende April 1986 sah die Ständige Vertretung durch Moskau gegeben, da der Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow vom 17. bis 21. April die DDR besucht hatte.412 Auch wurden auf Druck der Sowjets die Teilnehmer des UBA an einer Neubrandenburger Expertenkonferenz im Juni wieder ausgeladen. Hans Schindler, stellvertretender Leiter der Abteilung „BRD“ im MfAA, bedauerte dies im Gespräch mit dem stellvertretenden Leiter der Ständigen Vertretung in Ostber-
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Vgl. PA AA, ZA, B 38, Bd. 115047, Ausarbeitung des Referats 210 (AA), an BMI, BMIB, StäV in Ost-Berlin, BKAmt, Senat von West-Berlin, 17. 1. 1977. Vgl. Lindner, Öffnung, S. 167. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Ergebnisprotokoll 4. Runde mit der DDR auf AL-Ebene zum Thema Umweltschutz, am 10.–13. 11. 1985, BMI, Malina, 14. 11. 1985. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3393, Direktive für das 4. Gespräch zwischen dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR und dem Bundesministerium des Innern der BRD auf Abteilungsleiterebene zu Fragen des Umweltschutzes, o. D. [vmtl. Oktober/November 1985]. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, 5. Verhandlungsrunde mit der DDR zum Thema Umweltschutz am 27./28. 1. 1986 in Berlin (Ost), Gesamteindruck, Drahtbericht Nr. 116, Herfeldt/ Hellbeck, StäV an AA, 29. 1. 1986. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, 7. Runde mit DDR auf AL-Ebene in Berlin am 29./30. 4. 1986 in Berlin (Ost), Drahtbericht Nr. 652 und 653, StäV an AA, 30. 4. 1986. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, 7. Verhandlungsrunde mit der DDR über eine Umweltvereinbarung am 29./30. 4. 1986 in Berlin (Ost), Drahtbericht Nr.653, Herfeldt/Bräutigam, StäV an AA, 30. 4. 1986.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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lin Hannspeter Hellbeck, weil nun allgemein befürchtet wurde, dass eine diplomatische Verhärtung den gesamten Umweltkomplex erfassen könnte.413 Ebenso deutete sein Chef Karl Seidel, Leiter obiger Abteilung, gegenüber Bräutigam an, dass die DDR „in diesen Fragen ja ‚nicht allein entscheiden kann‘.“ 414 Indessen arbeitete sogar Günter Mittag an einem „modifizierten“ Standpunkt der sozialistischen Staaten in Bezug auf das UBA, dem auch Honecker zustimmte.415 So verdeutlichte Mittag im Gespräch mit dem Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, dass die DDR ein Umweltabkommen wolle und dass es gelte, dafür alle „Trommeln zu rühren“.416 Das hieß, die DDR strebte diese Lösung an, um die Umweltverhandlungen zu beschleunigen. Der ostdeutsche Staat war aber noch immer von Moskau abhängig. Tatsächlich fand die anvisierte ad personam-Lösung in den Arbeitsplänen erst eine endgültige Regelung, als die Sowjetunion diese vor der DDR im Sommer 1986 im Abkommen zur Wissenschaftlich-Technischen Zusammenarbeit (WTZ) mit der Bundesrepublik festgelegt und unterzeichnet hatte. Die Einbeziehung des UBA ad personam in die Verträge erhielt deshalb die Bezeichnung „Moskauer Modell“.417 Ob die DDR-Seite diese Regelung akzeptierte, hing allerdings mit der Frage einer finanziellen Beteiligung der Bundesrepublik an Umweltprojekten in der DDR zusammen.418 Von Anfang an verfolgten die DDR-Delegierten das Ziel, mit Hilfe der Bundesregierung konkrete Projekte zu verwirklichen. Zwar begrenzte die DDR die Vereinbarung schriftlich auf einen Informations- und Erfahrungsaustausch, ihre Vertreter aber ließen im Gespräch erkennen, dass dies gemeinsame Aktionen und Projekte nicht ausschloss – eher im Gegenteil. Protokollant Dietrich Kupfer (BMI) hielt deshalb fest: „Hintergrund dieser Haltung ist offenbar ein bisher politisch begrenzter Spielraum für die Verhandlungen.“ 419 Für die Bundes413 414 415
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Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Gespräch Hellbecks mit Schindler, Drahtbericht Nr. 693, StäV an AA, 6. 5. 1986. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Umweltbundesamt, Drahtbericht Nr. 1007, Bräutigam, StäV an AA, 18. 6. 1986. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1443, Bl. 321–323, Mittag informiert Axen, Schürer, Nier, Schalck-Golodkowski, Krolikowski und Schürer über den Verhandlungsstand mit der Bundesrepublik, 17. 6. 1986, sowie Honecker, Bl. 325. Siehe zur personenbezogenen Lösung auch: Hans-Jochen Vogel zu Erich Honecker, 28. 5. 1986, Hubertusstock, Dok. 28, in: Potthoff, Koalition, S. 431. BArch, B 136, Bd. 21544, Teil 8, Bl. 275–289, hier Bl. 286, Vermerk über das Gespräch mit Herrn Dr. Mittag, Sekretär des ZK am 17. 3. 1986 in Leipzig, Hans-Joachim Kruse, Senatskanzlei, 18. 3. 1986. Vgl. Ernst Martin, In guter Papierform, in: Die Zeit, 19. 6. 1987, S. 23. Das WTZ-Abkommen wurde am 22. 6. 1986 in Moskau unterzeichnet und trat am 7. 7. 1987 in Kraft: Vgl. Anlage zum Abkommen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, in: Bundesgesetzblatt, Teil II, (1988), Nr. 13, 13. 4. 1988, S. 394–312, hier S. 397. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1443, Bl. 321–323, Mittag informiert Axen, Schürer, Nier, Schalck-Golodkowski, Werner Krolikowski und Gerhard Schürer über den Verhandlungsstand mit der Bundesrepublik, 17. 6. 1986, sowie Honecker, Bl. 325. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Siehe zur Ver-
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
republik müsse es aber möglich sein, reale Projekte außerhalb des Vereinbarungstextes in Erklärungen öffentlich zu machen. Die DDR-Vertreter hatten das Beispiel der Ausleihe einer Entschwefelungsanlage aus dem bayerischen Schwandorf an die ČSSR vor Augen und erkundigten sich nun nach vergleichbaren Verfahren und Konditionen.420 Herfeldt erklärte ihnen dazu außerhalb der vierten Verhandlungsrunde, dass „seitens der BRD die Absicht besteht, Möglichkeiten einer Beteiligung an konkreten Vorhaben der DDR zur Minderung der Schwefeldioxidemissionen zu erörtern.“ 421 Dafür sollten die Bundesländer konkrete Vorschläge einreichen, die dem bayerischen Vorgang ähnelten. Dabei standen Projekte in der Wasser- (Reinigung von Galvanikabwässern) und der Abfallwirtschaft (Lieferung einer Müllverbrennungsanlage in die DDR) im Fokus. Diese Projekte sollten wiederum als Aufträge an westliche Firmen gehen.422 Dahinter stand die Überlegung, dass eine Beteiligung der Bundesrepublik wegen des Verursacherprinzips nur ausnahmsweise infrage kam: Dies „kann nur am jeweiligen Fall unter Einbeziehung der Möglichkeiten des innerdeutschen Handelsverkehrs entschieden werden. Grundsätzlich müssen kommerzielle Lösungen (ohne Beteiligung der öffentlichen Hand) im Vordergrund stehen.“ 423 Die westdeutsche Delegation machte denn auch im fünften Gespräch deutlich, dass die Beteiligung an Umweltschutzprojekten in der DDR nur möglich sei, wenn sich dadurch Entlastungen in der Bundesrepublik und West-Berlin ergaben, und zwar noch vor Ablauf der Frist zur 30-Prozent-Reduzierung von Schwefeldioxid 1993. Letzteres wurde im DDR-Protokoll verschwiegen, vermutlich um eine Blockade durch Mittag zu vermeiden.424
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öffentlichung von Absichtserklärungen zu gemeinsamen Projekten: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, 3. Runde auf der AL-Ebene mit der DDR zum Thema Umweltschutz am 11./ 12. 9. 1985 in Ost-Berlin, Drahtbericht Nr. 1481, Herfeldt/Hellbeck, StäV an AA, 13. 9. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, 1. Abteilungsleitergespräch am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) zur Zusammenarbeit im Umweltschutz mit der DDR, Kupfer, BMI, 7. 6. 1985. Siehe zur Schwandorfer Anlage auch Kap. III.3.2.; Eckert, West Germany, S. 153; und BArch, DK 5, Bd. 4740, Anlage: Gespräch Fenzlein – Dick in Garmisch-Patenkirchen am 25. 9. 1985, von Seidel (MfAA) über Reichelt (MfUW) an Mittag (ZK), 2. 10. 1985. BArch, DK 5, Bd. 3393, Information über das dritte Gespräch zwischen dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR und dem Bundesministerium des Inneren der BRD auf Abteilungsleiterebene zu Fragen des Umweltschutzes und Vorschläge zum weiteren Vorgehen, 12. 9. 1985, Ost-Berlin. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Ergebnisvermerk über die Besprechung vor einer weiteren Sitzung mit der DDR zum Thema Umweltschutz, BMI, 27. 9. 1985; Vorbereitung für Gespräche mit der DDR, Malina, BMI,14. 10. 1985; sowie Afz. des Senators für Stadtentwicklung und Umweltschutz Berlin, Manfred Breitenkamp, insbes. zu Kraftwerken in der DDR, 10. 10. 1985. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Strategiepapier für die Zusammenarbeit mit der DDR auf den Gebieten des Umweltschutzes sowie der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen des Strahlen- und Notfallschutzes (Konzeptionelle Darstellung), Anlage zur Ressortbesprechung am 11. 7. 1984, BMI, 13. 7. 1984. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, 5. Verhandlungsrunde auf AL-Ebene mit der DDR am 27./28. 1. 1986 Berlin (Ost), Drahtbericht Nr. 115, StäV an AA, 29. 1. 1986; BArch, DK 5, Bd. 3393, Information über das 5. Gespräch mit der BRD zu Fragen der weiteren Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, 27./28. 1. 1986, Ost-Berlin.
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Der Versuch der Bundesregierung, über die kommerziellen Beziehungen Umwelthilfe zu leisten, geriet jedoch durch die öffentlichen Aussagen des Bundeskanzlers und anderer Politiker, „Hilfen zur Bewältigung von Umweltproblemen“ geben zu wollen, in Schwierigkeiten. Auf DDR-Seite seien dadurch „gewisse Erwartungen“ entstanden. Das heißt, die Ostdeutschen waren eben nicht nur an der Vermittlung von Kontakten auf kommerzieller Ebene interessiert, sondern explizit „an der kostengünstigen oder kostenfreien Überlassung von technischem Know-How oder ganzer Anlagen […], mit denen Schwefel als Wertstoff gewonnen werden kann“.425 Ihre Vertreter sagten frei heraus, dass „‚Mehr- oder Früherleistungen‘ von der DDR nicht aus eigener Kraft oder zu üblichen kommerziellen Konditionen erwartet werden können“, weshalb sie an Starthilfen interessiert waren. Wissenschaftlichtechnische Verfahrenslösungen oder die Beteiligung der Bundesrepublik nach dem Muster Werra/Röden seien für die DDR eher zu realisieren als beispielsweise Kreditlösungen.426 Diese Starthilfen erwartete die DDR auch möglichst bald, da sie Entscheidungen für die Genfer Luftschutzkonvention treffen müsse – eine Offenlegung ihres Programms zur Reduzierung dieser Umweltverschmutzung lehnte sie jedoch ab.427 Das kann – neben der Geheimhaltung von Umweltdaten – als weiteres Indiz dafür ausgelegt werden, dass die DDR keinen vorzeigbaren Plan zur Entschwefelung ihrer Braunkohlekraftwerke hatte und ganz und gar auf die Beteiligung der Bundesrepublik setzte – möglichweise sogar als Strategie des MfUW, um den technologischen Rückstand aufzuholen.428 Bereits 1981 hatte das MfS ermittelt, dass das MfUW isoliert sei. Reichelt habe zwar eine langfristige Umweltschutzkonzeption ausgearbeitet, der Entwurf wurde jedoch von Horst Wambutt, Leiter der Abteilung Grundstoffindustrie im ZK der SED, ausgebremst, was unter anderem zu diesem diffusen Zustand im Umweltbereich geführt hatte.429 Die DDR hatte bereits für das vierte Gespräch eine Auflistung von Anlagen und Ausrüstungen zur Entschwefelung von Braunkohlekraftwerken vorbereitet, die sie zwecks Minimierung der Kosten beispielsweise bei Wissenschaft und Forschung, Wertstoffrückgewinnung und Erhöhung der Energieausbeute interessierte.430 Diese 425
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PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, 5. Verhandlungsrunde auf AL-Ebene mit der DDR am 27./ 28. 1. 1986 Berlin (Ost), Drahtbericht Nr. 115, StäV an AA, 29. 1. 1986. Siehe zum DDRInteresse: BArch, DK 5, Bd. 3393, Information über das 5. Gespräch mit der BRD zu Fragen der weiteren Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, 27./28. 1. 1986, Ost-Berlin. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Ergebnisprotokoll 4. Runde mit der DDR AL-Ebene zum Thema Umweltschutz, 10.-13. 11. 1985, [vmtl. in Bonn], Malina, BMI,14. 11. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, 5. Verhandlungsrunde auf AL-Ebene mit der DDR am 27./28. 1. 1986 Berlin (Ost), Drahtbericht Nr. 115, StäV an AA, 29. 1. 1986. So ähnlich bei Niederhut, Wissenschaftsaustausch, S. 247. Vgl. zur Konzeptionslosigkeit des Entschwefelungsprogramms Möller, Umwelt, S. 246–249; Rücknahme von Maßnahmen zur Entschwefelung: Huff, Natur, S. 268 f. Vgl. BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 19276, Bl. 69–96, hier Bl. 78, Erste Bestandsaufnahme zu den bedeutendsten Umweltproblemen in der DDR, HA XVIII/6, April 1981. Siehe auch Stief, Staatssicherheit. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3393, Konzeption für Gespräche mit der BRD über Verfahren, Anlagen und Ausrüstungen zur Entschwefelung von Braunkohlekraftwerken, o. D., o. V.; und sie-
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Liste mit Angaben zu konkreten Projekten, zugeschnitten auf die westdeutschen Interessen, legten die Vertreter letztlich jedoch erst in der sechsten Verhandlungsrunde am Rande der Envitec-Messe in Düsseldorf vor, die die DDR-Delegierten wiederum nutzten, um Angebote für DDR-Firmen einzuholen.431 Für das BMI bedeuteten „konkrete Projekte“ neben der vorzeitigen Emissionsreduktion, dass die Maßnahmen außerdem „zu einer verfahrenstechnischen Zusammenarbeit von Unternehmen aus West und Ost auf dem Gebiet der Abgasentschwefelungstechnik“ führen sollten.432 Während die drei Westalliierten in Bezug auf Berlin und eine finanzielle Beteiligung der Bundesrepublik an gemeinsamen Projekten mit der DDR keine Schwierigkeiten sahen, verweigerte das BMF seine Zustimmung. Das Ministerium lehnte die Formulierung „konkrete Vorhaben/konkrete Projekte“ ab, weil es darin eine „politische Präjudizierung eines finanziellen Engagements für Vorhaben in der DDR“ vermutete, was damit „politisch vorbelastet“ sei. Andere Ressorts sahen das nicht so.433 Die internen Diskussionen in den bundesdeutschen Ministerien und das Pochen des Finanzministers auf dem Verursacherprinzip verzögerten die Verhandlungen mit der DDR. Doch wurden bei der Abstimmung und Regelung konkreter Projekte, insbesondere ihrer Finanzierung, auch andere politische Bereiche wie die Bundestagswahl als Druckmittel eingesetzt. So äußerte sich Herfeldt beispielsweise in der zwölften Gesprächsrunde im Dezember 1986 nicht in Bezug auf ein vorgeschlagenes Projekt zur Verringerung der Luftbelastung, da eine solche Entscheidung zeitlich zu nah vor der Bundestagswahl war. Seine Seite erklärte, dass „die kontinuierliche Weiterführung der Verhandlungen begrüßt, jedoch ein Abschluß der Verhandlungen vor den Bundestagswahlen nicht für wahrscheinlich gehalten wird.“ 434 In der westdeutschen veröffentlichten Meinung wurde es jedoch vollkommen anders dargestellt: „Es wird vermutet, daß Ost-Berlin die Verhandlungen strecken möchte, um mit einem Vertragsabschluß nicht in die Nähe der Bundestagswahl im Januar zu geraten, was als Begünstigung der Regierung im
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he zu den die DDR interessierenden Anlagen: Konzeption für Gespräche mit der BRD über Verfahren, Anlagen und Ausrüstungen zur Entschwefelung von Braunkohlekraftwerken, o. D., o. V. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3393, Information über das 6. Gespräch mit der BRD zu Fragen der weiteren Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes [19. –21. 2. 1986 in Düsseldorf] und Vorschläge für das weitere Vorgehen. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Konkrete Projekte für die dt.-dt. Zusammenarbeit, BMI, 26. 3. 1986; und Information über die 6. Verhandlungsrunde mit der DDR auf AL-Ebene vom 19.– 21. 2. 1986 in Düsseldorf, 24. 2. 1986, BMI. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Berlinproblematik und Umweltabkommen mit der DDR, Oesterhelt, UA 21, AA, 26. 8. 1986. Siehe zur Finanzierung nur in Ausnahmefällen: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132289, Strategie für die Zusammenarbeit mit der DDR im Umweltschutz, Ressortbesprechung am 11. 7. 1984, BMI, 13. 7. 1984. BArch, DK 5, Bd. 3393, Information über die 12. Verhandlung mit der BRD [am 18. 12. 1986 in Bonn] zum Abschluss einer Vereinbarung über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes und Vorschläge zum weiteren Vorgehen.
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Wahlkampf ausgelegt werden könnte.“ 435 Tatsächlich galt es in den 1970er Jahren, Abkommen mit der sozial-liberalen Koalition möglichst vor Wahlen zu verabschieden, um der SPD Schützenhilfe aus der DDR zu leisten. Dies für die CDU/ CSU und FDP zu unterlassen wäre logisch, allerdings weist in den Unterlagen nichts darauf hin, dass die DDR hier für diese Verzögerung verantwortlich war. Die Frank-Falin-Klausel im DDR-Entwurf von 1985, das Schweigen über die ElbeGrenze im vierten Gespräch436 und die Ausarbeitung von Maßnahmen, die auch der Bundesrepublik zu Gute kämen, zeugen eher von einem großen Interesse der DDR-Seite, die Vereinbarung so schnell wie möglich unter Dach und Fach zu bringen. Dabei nutzte die DDR sogar die bayerischen Kontakte zu Alfred Dick, damit dieser in der strittigen „Frage der Kostenregelung beim Austausch von Experten“ zwischen DDR und BMI vermittelt.437 Die Bundesregierung hingegen konnte ein gewichtigeres Interesse daran gehabt haben, das Umwelt-Abkommen nicht vor den Bundestagswahlen zu verabschieden. Denn die Umweltverhandlungen begleitete ein strategisches „Schachern“ um die vermehrte Einwanderung Asylsuchender in die Bundesrepublik, was zum innenpolitischen Wahlkampfthema avanciert war. Im Laufe des Jahres 1986 hatte die Bundesregierung dieses Thema gegenüber der DDR wieder verstärkt adressiert.438 So lagen „Schatten über den beiderseitigen Beziehungen“ 439 wie es Bräutigam am Rande der Leipziger Buchmesse im Herbst formulierte. Damit war das Verhalten der DDR in der „Asyl-Frage“ gemeint: Im September 1986 kam es erneut zu innerdeutschen Spannungen, weil die DDR über ihren Flughafen BerlinSchönefeld noch immer Flüchtende aus Asien und Afrika ungehindert nach WestBerlin und damit in die Bundesrepublik und Westeuropa durchreisen ließ, wo sie Asyl beantragten. Das Problem bestand bereits seit zwei Jahren und hatte in der Bundesrepublik eine heftige Debatte ausgelöst. Die erste Geflüchteten-Welle, hauptsächlich Tamilen aus dem bürgerkriegszerrütteten Sri Lanka, konnte die Bundesrepublik Mitte 1985 mit einem informellen Junktim zum Swing-Abkommen mit der DDR aufhalten. Das hielt die Fluglinien Interflug und Aeroflot jedoch nicht davon ab, in anderen Ländern mit dem Schlupfloch West-Berlin zu werben, weshalb die Zahl an Asylsuchenden ab 1986 wieder zunahm. Die DDR konnte mit Interflug-Tickets Devisen einnehmen und ihre Auffassung über West-Berlin als eigenständige politische Einheit darstellen.440 Die Bundesrepublik war aber erheb-
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Claus Wettermann, DDR macht West-Berlin erneut zum Stolperstein. In diesem Jahr kein Umweltschutz-Vertrag mehr, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 6. 11. 1986, S. 7. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Ergebnisprotokoll 4. Runde mit der DDR auf AL-Ebene zum Thema Umweltschutz am 10.-13. 11. 1985 [vmtl. in Bonn], BMI, Malina, 14. 11. 1985. BArch, DK 5, 4740, Anlage: Gespräch zwischen Fenzlein (DDR) und Dick (Bayern) in Garmisch-Patenkirchen am 25. 9. 1985, in: Schreiben Seidels (MfAA) an Reichelt (MfUW), 2. 10. 1985. Vgl. Korte, Deutschlandpolitik, S. 288–290. AGG, B.II.1., Bd. 2036, Ergebnis des Gespräches mit dem DDR-Umweltminister Dr. Hans Reichelt zu Umweltabkommen BRD/DDR, Henning Schierholz, Bonn den 19. 9. 1986. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 509 f.; Seidel, Berlin-Bonner Balance, S. 215 f.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
lichem Druck anderer westlicher Staaten ausgesetzt, das „Flüchtlingsproblem“ über West-Berlin in den Griff zu bekommen. Frankreich verlautete, es sehe sich sich sonst gezwungen, von der Öffnung der deutsch-französischen Grenze, Bestandteil des Projekts der „offenen Grenzen“ in der Europäischen Gemeinschaft, Abstand zu nehmen.441 Die „Schatten“, die die deutsch-deutschen Beziehungen belasteten und die sich somit auf die Umweltverhandlungen ausweiteten, waren ein weiterer Grund, warum Bonn die Projekte zur Rauchgasentschwefelung im Laufe des Jahres 1986 in den Gesprächen kurzzeitig, ohne Begründung, auf Eis legte und die Umweltvereinbarung – wenn sie fertig sei – nicht vom Minister unterzeichnet werden sollte.442 Obwohl von bundesdeutscher Seite offiziell kein Zusammenhang zwischen Umwelt und Asyl hergestellt wurde, wollte sich die DDR hier von der Bundesrepublik nicht ausspielen lassen. Gekonnt lancierten das Politbüromitglied Hermann Axen, der Volkskammerpräsident Horst Sindermann und auch Umweltminister Hans Reichelt das Gerücht vom Junktim „Asyl gegen Umwelt“ gegenüber der Partei Die Grünen. So verriet Reichelt Henning Schierholz, dass die Westdeutschen die Höhe der Finanzierungsbeteiligung der Bundesrepublik für den Bau eines Heizkraftwerkes in Ost-Berlin von einem „Entgegenkommen“ der DDR in der „Frage nach durchreisenden Asylbewerbern“ abhängig machte.443 Und bereits im Sommer 1986 ließen Axen und Sindermann im Gespräch mit einigen Grünen durchblicken, dass der Tauschhandel „Asyl gegen Umwelt“ kommen werde. Die Grünen rieten, die DDR dürfe sich nicht auf den „Deal“ einlassen.444 Über die Veröffentlichung in der „taz“ und Kontakte zu den Grünen fand diese Information auch Eingang ins Samisdat der DDR. In der selbstgedruckten Zeitung „Grenzfall“ der Initiative Friedens- und Menschenrechte (IFM) stand in der zweiten Ausgabe im Herbst 1986 ironisch dazu: „So ist jetzt auf dem Rücken einiger weniger tausend Flüchtlinge, Libanesen, Iraner und andere, nicht zuletzt unserer ökologischen Bewegung ein Geschenk offeriert worden. Das Umweltabkommen mit der BRD enthält finanzielle Zusicherungen zu DDR-Projekten. Aber auch III-Weltgruppen können sich freuen. Hat doch das finstere Hin- und Hergeschiebe der Asylanten durch deutsch-deutsches Einigwerden quer durch die deutschen Ost/West-Parteien (ausgenommen die Grünen) ein vorläufiges Ende!“ 445
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Vgl. PA AA, B 82, Bd. 1462, Vermerk Arbeitsgruppe Aufenthaltsrecht und Sichtvermerksfragen, hier: Gesprächsrunde am 8./9. Januar 1985, Müller-Chorus, Referat 510, AA, 10. 1. 1985. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 3023, Bl. 413–418, hier Bl. 414 f., Information über die 10. Verhandlung mit der BRD [am 10. 9. 1986 in Bonn] zum Abschluss einer Vereinbarung über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Mittag an Honecker. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 2036, Ergebnis des Gespräches mit dem DDR-Umweltminister Dr. Hans Reichelt zu Umweltabkommen BRD/DDR, Henning Schierholz, Bonn den 19. 9. 1986. Vgl. Klaus Hartung, Ende der Eiszeit, in: taz, 6. 9. 1986, S. 1–2, hier S. 1; siehe auch: Die Grünen werten DDR-Besuch als Erfolg, in: FAZ, 6. 9. 1986, S. 4. RHG, PS 047/02, Gratulationsbedenken, in: Grenzfall, Nr. 2 (1986).
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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Insbesondere die Berliner Friedens-, Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen verfolgten das politische Geschehen in Bonn und Ost-Berlin also sehr genau. Von der DDR-Führung selbst ins Spiel gebracht, gelangte das Junktim transformiert über den Umweg Bundesrepublik zur Basisebene in die DDR zurück. Sollte es der SED als Einflussnahme auf die westdeutsche Umweltpartei dienen, um in der Bundesrepublik die Asyldebatte weiter zu ihren Gunsten zu befeuern,446 so half die Nachricht in der alternativen DDR-Gruppe dazu, das Staatshandeln auf beiden Seiten, insbesondere aber jener der SED, zu diskreditieren. Auf Nachfrage von Jürgen Schnappertz (Die Grünen) beim BMIB, ob es dieses Junktim in den Verhandlungen denn wirklich gegeben habe, erhielt er eine verneinende Auskunft.447 Tatsächlich gab es auf seiten Bundeskanzleramtschefs Wolfgang Schäubles diese Überlegung zwar wirklich, ihm wurde jedoch von Bräutigam davon abgeraten, weil die DDR sich in der „Asyl-Frage“ gegenüber den Sowjets hätte durchsetzen müssen. Stattdessen sollte der DDR indirekter zu verstehen gegeben werden, „daß wir die Frage konkreter Projekte im Lichte der Gesamtentwicklung zu sehen haben“. Bezüglich der Vorhaben sollte der DDR auf der neunten Sitzung der Umweltverhandlungen nur mitgeteilt werden, dass die Bundesregierung dazu noch keine Entscheidung getroffen habe, obwohl bereits Angebote auf dem Tisch lagen.448 Die SED versuchte über den Eingriff in die bundesdeutsche Debatte ihr lukratives Devisengeschäft am Laufen zu halten, sich in die politische Diskussionskultur einzumischen, diese zu beeinflussen sowie Unruhe in den Wahlkampf zu bringen,449 bis ein neuer Verbündeter erschien. Dieser ließ in der Person Egon Bahrs (SPD) nicht lange auf sich warten. Bahr sicherte Honecker am 5. September 1986 zu, dass im Falle eines SPD-Sieges in der Bundestagswahl die DDR-Staatsbürgerschaft „respektiert“ würde. Damit wäre eine der Geraer Forderungen erfüllt, weshalb die DDR im September einlenkte und Geflüchtete ohne Visum eines Ziellandes nicht mehr zur Weiterreise nach West-Berlin durchließ. Sie tat dies jedoch nicht aufgrund des Umweltabkommens, sondern voreilig auf Basis eines Wahlversprechens. Damit löste sich die „Schatten“-Frage, welche die Umweltverhandlungen verzögert hatte, in Wohlgefallen auf. Die Gefahr, in einem schwierigen politischen Aufwiegen verschiedener Angelegenheiten stecken zu bleiben, wurde geringer. Honecker setzte sich mit diesem eigenständigen Zugeständnis von Moskaus Interessen ab. Er überschätzte dabei
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Vgl. zur Position der Grünen im Bundestagswahlkampf 1986/87: o. V., Frohe Botschaft, in: Der Spiegel, Nr. 39, 22. 9. 1986, S. 22–23, hier S. 22; vgl. auch RHG, OWK 4, Bl. 142 f., Offener Brief wegen eurer Reise nach Ostberlin, Brief des Kreisverbandes der Grünen Düsseldorf, G. K., an die Bundestagsfraktion der Grünen, 17. 9. 1986. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 2036, Umweltschutzabkommen BRD-DDR, gegenwärtige Verhandlungsrunde in Bonn 10./11. 9. 1986, Aktennotiz von Jürgen Schnappertz über eine telefonische Auskunft aus dem BMIB, 11. 9. 1986. BArch, B 137, Bd. 11797, Vermerk Deutschlandpolitik, hier: „Erweiterter Dreierkreis“ am 3. Juli 1986 von 7:30 bis 9:30 im Bundeskanzleramt, Leiter Arbeitsstab Deutschlandpolitik, BKAmt, Richthofen, 3. 7. 1986. Ähnlich für die UdSSR: Wentker, Die Grünen und Gorbatschow, S. 491.
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seinen Einfluss auf die Wahlen in der Bundesrepublik. Diese gewann am 25. Januar 1987 die CDU/CSU.450 Neben der „Asyl-Frage“ und dem Bundestagswahlkampf muss hier ein weiteres Ereignis im turbulenten Jahr 1986 Erwähnung finden: das Reaktorunglück von Tschernobyl (UdSSR) am 26. April. Der Super-GAU verursachte eine radioaktive Wolke, die mit ihrer Strahlung in weiten Teilen Europas die Gesundheit von Menschen gefährdet und ganze Landstriche für die Lebensmittelgewinnung untauglich gemacht hat. Dies rief verschiedene Reaktionen hervor: Während die Bonner Regierung das Bundesministerium für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) gründete und das Problem erhöhter Radioaktivität nicht zuletzt durch die Veröffentlichung der Messdaten offen diskutierte, folgte die DDR dem Vorbild der Sowjetunion.451 Die auch jenseits der Mauer erhöhten Messwerte hielt die SED aufgrund des Geheimnisschutzes von Umweltdaten zurück und leugnete sogar einen Anstieg von Radioaktivität im Land. Die Kontrolle über den Konsum von Westmedien durch ihre Bevölkerung hatte die DDR in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre indes längst verloren. Der Kontrast im Umgang mit dem Reaktorunglück – und auch anderen Vorfällen von Umweltverschmutzung – zwischen DDR und Bundesrepublik sowie der eigenen Regierung war den Bürgern daher kein Geheimnis mehr. Tschernobyl beschleunigte somit die Bildung zahlreicher Umweltgruppen in der DDR und trug damit auch zum massiven weiteren Loyalitätsverlust der Bevölkerung gegenüber der SED bei. Dies fand unter anderem seinen Ausdruck in dem Appell der Umweltbibliothek „Tschernobyl wirkt überall“, abgedruckt in den „Umweltblättern“.452 Auf die deutsch-deutschen Umweltschutzgespräche hatte diese Katastrophe jedoch kaum einen nennenswerten Einfluss, weder einen verzögernden noch einen beschleunigenden. Obwohl die Bundesregierung nun das Bundesumweltministerium (BMU) gegründet hatte, bestanden personelle Kontinuitäten fort. Die Abteilung Umweltschutz wurde aus dem BMI in das neue Ministerium übernommen. Die DDR-Seite wollte die Gespräche mit der Bundesrepublik über die Sicherheit kerntechnischer Anlagen, die parallel zu den Umweltverhandlungen geführt wurden, trotz Tschernobyls nicht verschieben. Die SED befürchtete „Verleumdungen“ durch die Westpresse, wenn sie anders handeln würde.453 Allerdings vermied es der Leiter des SAAS Georg Sitzlack, „eventuell abweichende Daten darstellen und
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Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 510 f. Siehe auch: „‚DDR‘ Blockiert Umwelt-Vereinbarung“, in: Die Welt, 28. 8. 1985, S. 6. Vgl. Weidner, Ein neues Politikfeld, S. 158 f.; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 128. Vgl. Tschernobyl wirkt überall, in: Umweltblätter [vmtl. November 1986], S. 44 f.; Arndt, Tschernobyl, in URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/tschernobyl [30. 5. 2022]; Neubert, Opposition, S. 626–630; Bösch, Geteilt und verbunden, S. 30; Stude, Strom für die Republik, S. 135–139, 144 f. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1443, Bl. 284, Direktive zur Fortsetzung der Gespräche über die Atomsicherheit, Schreiben Mittags an Honecker, 5. 5. 1986. Vgl. Berg, Umweltschutzabkommen, S. 127.
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erläutern zu müssen“.454 Deshalb war in diesem Strahlenschutz-Gespräch eine „durch Tschernobyl bedingte Spannung“ durchaus spürbar.455 Nachdem die strategischen Züge im politischen Spiel beendet und die Stolpersteine Geflüchtete, Bundestagswahl, Projekte und Finanzierung aus dem Weg geschoben sowie die Berlin-Frage aus den Expertengesprächen ausgeklammert wurde, um sie abschließend von den Ständigen Vertretern klären zu lassen,456 waren die Gespräche auf Abteilungsleiterebene zunächst formal beendet. Die Umweltvereinbarung konnte im Sommer 1987 paraphiert und im Herbst unterzeichnet werden. Die Umweltvereinbarung von 1987
Die „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes“ beinhaltete einen Informationsaustausch über Luftschadstoffe, rationelle Nutzung und Schutz der Gewässer, Naturschutz, Abfallstoffe und Waldschäden (Art. 2).457 Insbesondere an den letzten zwei Punkten lassen sich akute zeitgenössische Umweltprobleme erkennen, die hier im Vergleich zu den 1970er Jahren ihren sichtbaren Niederschlag fanden. Sowohl das Waldsterben als auch die Deponierung von Abfallstoffen in der DDR bewegten die Menschen, vor allem in der Bundesrepublik, und somit auch die aktuelle Politik.458 Sie waren im Entwurf von 1973 noch nicht thematisiert worden. Die Lärmbelästigung – eher ein DDR-internes459 denn innerdeutsches Problem – fiel weg. Die Vereinbarung galt vorerst für fünf Jahre (Art. 8). Das UBA war mit der „personenbezogenen Lösung“ in den Arbeitsplänen enthalten, die wiederum für die ersten drei Jahre bereits ausgearbeitet waren (Art. 3). West-Berlin wurde zwar entsprechend dem Vier-Mächte-Abkommen über die Frank-Falin-Formel einbezogen (Art. 6), aber Regelungen zu Einzelfragen auf 454
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Vgl. BArch, B 136, Bd. 18999, Anlage: Protokoll der 3. Gesprächsrunde am 14. 5. 1986 in Bonn, zum Informations- und Meinungsaustausches mit der DDR über Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und Strahlenschutz, BMI, 20. 5. 1986, AL RS II Dr. von Oertzen. Vgl. BArch, B 136, Bd. 18999, Informations- und Meinungsaustausches mit der DDR über Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und Strahlenschutz, 3. Gespräch mit RS am 13./ 14. 5. 1986 im BMI, 20. 5. 1986, AL RS II Dr. von Oertzen. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1444, Bl. 54–58, Information über das 13. Gespräch zum Umweltschutz am 29. 4. 1987 in Ost-Berlin, Schreiben Reichelts an Mittag, 30. 4. 1987; siehe zur Berlin-Frage und Einvernehmen einer schnellen Paraphierung: BArch, B 137, Bd. 11798, Vermerk über das deutschlandpolitische Koordinierungsgespräch am 3. Juni 1987 im BMIB, 4. 6. 1987. Vgl. Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 83, 10. 9. 1987, S. 716 f. Vgl. zum Thema Waldsterben Kap. III.3 und zum Müllhandel Kap. IV.2. BArch, B 106, Bd. 57383, Umweltschutz in der DDR, Gesamtdeutsches Institut Bundesanstalt Gesamtdeutsche Aufgaben, Referat II 2, Fransky, 13. 2. 1973.
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dem Gebiet des Umweltschutzes zwischen dem Senat und der DDR blieben davon ausgenommen (Art. 7).460 Für das deutsch-deutsche Verhältnis ist speziell der Umgang mit Informationen bedeutend, der im Artikel 5 wie folgt festgeschrieben wurde. „Beide Seiten können die Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit im gegenseitigen Einvernehmen Dritten übermitteln.“ Im Vergleich zum 1973er Entwurf kam allerdings neu hinzu: „Die Verwendung von schutzwürdigen oder geschützten Informationen bedarf gesonderter Regelung.“ 461 Die DDR ging auch mit dieser Umweltvereinbarung wieder auf Abstand zur Bundesrepublik: Am 15. Januar 1987 wurden die zwei Geheimstufen „Nur für den Dienstgebrauch“ (NfD) und Vertrauliche Dienstsache (VD) aufgehoben, womit sich der Kreis der Geheimnisträger weiter einengte; Umweltdaten erhielten dadurch denselben Geheimnis-Stand wie zum Beispiel Produktionskapaziäten.462 Doch entgegen der Vermutung, dass es hierbei um die Fortführung der Geheimhaltung von Umweltdaten durch die DDR auf der bilateralen Ebene ging, enthielt dieser Artikel eine genuin wirtschaftliche Dimension: Mit ihm wurde die Nutzung von wissenschaftlichen und technischen Informationen geregelt, womit sichergestellt werden sollte, dass ein Unterlaufen des WTZ-Abkommens zwischen Bundesrepublik und DDR nicht möglich war.463 Damit besagt der Artikel, dass relevante Informationen an die Industrie weitergegeben werden durften, aber gleichzeitig die Verpflichtung bestand, diese geheim zuhalten, um sie zu schützen.464 Beide Seiten waren daran interessiert, dass mögliche Lizenzverhandlungen nicht in Industriespionage mündeten. Die Unterzeichnung der Vereinbarung sollte nun während des Honecker-Besuches in der Bundesrepublik erfolgen.465 Am 8. September 1987 fuhr Reichelt deshalb ebenfalls nach Bonn, wo er auch mit dem neuen Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) sprach. Gegenüber dem MfS schätzte Reichelt Töpfer als „Nachwuchskader“ der CDU und „enge[n] Mann von Kohl“ ein. Reichelt wertete den Besuch als „eine ‚ideologisch belastende Situation‘“, schließlich warte die andere Seite darauf, „ob man irgendeinen Fehler“ mache. Honecker habe seinen Umweltminister Bundeskanzler Kohl zweimal vorgestellt, „ohne daß dieser eine Reaktion zeigte“.
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Vgl. Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 83, 10. 9. 1987, S. 716 f. Art. 5, ebenda, S. 717. Vgl. Gundermann, Geheimnis, S. 27; Thüsing, Ökologie, S. 154. Ein solches wurde parallel zum Umweltabkommen verhandelt. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1443, Bl. 162 f., Direktive für das 4. Gespräch zum Umweltschutz mit der Bundesrepublik, 24. 9. 1985. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, zur Weitergabe an Industrie: Vorbereitung der bilateralen Abteilungsleitergespräche mit der DDR über Umweltfragen, Afz. U I 5, BMI, 7. 8. 1985; und zum Schutz der Industrie: Afz. Besprechung im BMI, Kupfer, 12. 8. 1985; 3. Runde auf der AL-Ebene mit DDR zum Thema Umweltschutz, Drahtbericht Nr. 1481, Herfeldt/Hellbeck, StäV, 13. 9. 1985. Vgl. SAPMO-BArch, DY 3023/1444, Bl. 74, Schreiben Mittags an Honecker, 25. 5. 1987.
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Abb. 9: Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (r.) und Hans Reichelt, Umweltminister der DDR, unterzeichnen eine gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Bonn, 6. Juli 1989 (eine Folgeerklärung zur 1987 ausgehandelten Umweltvereinbarung); Quelle: Bundesarchiv, B 145, Fotograf: Arne Schambeck, Bild 00100900
Kohl sei ohnehin sowohl seinen eigenen Mitarbeitern als auch den Gästen aus der DDR gegenüber „unpersönlich und unzugänglich“ aufgetreten. Die Gespräche mit Industrievertretern liefen nach Reichelt entspannter. So bot ihm beispielsweise der Unternehmer Wolff von Amerongen Umweltschutztechnik an, ohne dass die Medien davon etwas erfahren müssten.466 Reichelt nutzte den Besuch in Bonn im Gespräch mit dem MfS aber auch dazu, um intern Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben. So hatte er in Bonn gegenüber Honecker beklagt, dass die DDR trotz seiner Hinweise an Mittag nichts gegen die SO2-Reduzierung getan habe: „Die DDR würde dadurch zunehmend in die Isolierung geraten, da offensichtlich wird, daß die DDR einerseits ihre offensive Umweltpolitik demonstriert, andererseits jedoch keinen einzigen aktiven Beitrag leistet.“ 467 Der Staatratsvorsitzende gab ihm wohl daraufhin zu verstehen, dass da mehr passieren müsse und er sich mit dem Genossen Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR und damit verantwortlich für den Einsatz der Investitionsmittel, abstimmen solle. Im Ge-
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BArch MfS XVIII, Nr. 17145, Vermerk zum Gespräch mit Dr. Reichelt am 10. 9. 1987, Hauptabteilung XVII, 11. 9. 1987. Ebenda.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
spräch mit dem MfS äußerte Reichelt auch deutlich sein Missfallen darüber, dass von der Bevölkerung zunehmend die Vertrauensfrage gestellt und jungen Menschen die Umweltpolitik nicht erklärt würde. Er sagte den MfS-Offizieren „wie bereits in zurückliegenden Gesprächen, dazu, daß er es nicht verstehe, warum wir in der Öffentlichkeit zu wenig unsere Umweltschutzpolitik publizieren bzw. sichtbare Ergebnisse dokumentieren.“ 468 Somit versuchte Reichelt den Manövrierraum, den ihm das System ließ, bestmöglich auszuloten. Das Umweltabkommen mit der Bundesrepublik zusammen mit Protesten und sich verschlechternden Umweltbedingungen in der DDR gaben ihm im Laufe der 1980er Jahre Rückenwind, bessere Durchsetzungsmöglichkeiten zu erringen sowie intern zunehmend Kritik gegenüber Politbüro und MfS zu üben. Der Besuch Honeckers in Bonn galt für viele Zeitgenossen in Ost und West gewissermaßen als endgültige Anerkennung der DDR.469 Der Abschluss dreier Abkommen mit der Bundesrepublik am 8. September 1987, nämlich der Vereinbarungen zum Umweltschutz, zum Strahlenschutz sowie zu Wissenschaft und Technik, galt für die SED-Führung als großer Erfolg. Während das „Neue Deutschland“, die „Berliner Zeitung“ und die „Neue Zeit“ die Paraphierung der Umweltvereinbarung mit nur einem einzigen, stets fast gleichlautenden Satz verkündeten, erhielt der Akt der Unterzeichnung bei diesen ostdeutschen Tageszeitungen mehr Aufmerksamkeit.470 Reichelt selbst betrachtete das Ergebnis rückblickend als „ausbalanciert“ und als eine gute Vereinbarung, die zu Fortschritten geführt habe.471 Für die Bundesrepublik war die Umweltvereinbarung mit der DDR die erste mit einem osteuropäischen Land. War die politische Ebene mit dem Ergebnis zufrieden, hagelte es in der veröffentlichten Meinung in der Bundesrepublik Kritik. So hob die eher konservative „FAZ“ die ungenügende Art und Weise hervor, wie West-Berlin in die Vereinbarung einbezogen worden war. Eine „interessante Kooperationsmöglichkeit“ wertete „Die Zeit“, die DDR-Beziehungen grundsätzlich befürwortete. Voraussetzung dafür sei jedoch die Offenlegung von Umweltdaten. „Der Spiegel“ stellte die in friedlicher Übereinstimmung erfolgte Paraphierung im Juni 1987 in Bonn dem brutalen Einprügeln auf DDR-Bürger und westdeutsche Journalisten bei einem Rockkonzert in Ost-Berlin gegenüber. Das Schweigen der Bundesregierung zu diesem Vorfall führte das Magazin auf den damals bevorste-
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Ebenda. Siehe auch Huff, Natur, S. 242, 306; Widerlegung der These, Reichelt habe über die Geheimhaltung von Umweltdaten triumphiert, von Schwenk/Weisspflug, Umweltschmutz, S. 82. Vgl. Sabrow, Pyrrhussieg, S. 223. Zuvor erschien ein Artikel, der die Prädestination des Sozialismus für Umweltschutzaufgaben darstellte: Vgl. Richard Heinrich/ Alfred Kosing, Natur. Mensch. Gesellschaft. Das Verhältnis der sozialistischen Gesellschaft zur Natur, in: ND, 1. 6. 1987, S. 3 f.; „Umweltschutzvereinbarung DDR – BRD paraphiert“, in: ND, 11. 6. 1987, S. 5. Mit gleichem Titel und Inhalt in: Berliner Zeitung, 11. 6. 1987, S. 5 und Neue Zeit, 11. 6. 1987, S. 2; u. a. „Drei Abkommen zwischen Regierungen beider Staaten unterzeichnet“, in: ND, 9. 9. 1987, S. 2. Gespräch der Autorin mit Dr. Hans Reichelt am 6. 8. 2014 in Schöneiche bei Berlin.
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henden Honecker-Besuch zurück, der nicht gefährdet werden sollte.472 Gegenüber der konservativen und marktliberal eingestellten Tageszeitung „Die Welt“ musste sich Töpfer in der Frage der Finanzierung rechtfertigen und plädierte: „Wir sollten wirklich nicht die Qualität dieser Umweltvereinbarung primär an ihrer Finanzierung ablesen.“ Schließlich bedingten sich Umweltschutz und Wirtschaftswachstum, wenn die Bundesrepublik mit der DDR bezüglich von Umwelttechnik ins Geschäft komme.473 Auch die Oppositionsparteien bezogen zur deutsch-deutschen Umweltvereinbarung Stellung. Zunächst wurde sie allgemein begrüßt, zugleich aber konkretes Handeln angemahnt. Die SPD sah die Umweltvereinbarung als „nicht ausreichend“ an, weil die Einbeziehung West-Berlins nicht automatisch auf Folgeabkommen ausgeweitet wurde. In den Augen der Partei stellte dies einen Rückschritt dar, weil durch die immer wieder aufkommende Berlin-Frage ökologische Maßnahmen unnötig verzögert würden. Die Sozialdemokraten warfen der Bundesregierung vor, diese habe kein Konzept für die „schwierigen technischen und finanziellen Probleme der deutsch-deutschen Zusammenarbeit im Umweltschutz“.474 Die Grünen brachten den Informations- und Erfahrungsaustausch in Artikel 3 mit der Beteiligung von Umweltgruppen der DDR in Zusammenhang. Angelehnt an Gorbatschows Reformpolitik forderten sie mehr „Glasnost“ (Offenheit) in den Umweltbeziehungen und spielten damit auf die von ihnen kritisierte Geheimhaltung der DDR-Umweltdaten an.475 Darüber hinaus forderte die Umweltpartei konkrete Verpflichtungen zur Minimierung von Luftverschmutzung und Werraversalzung, einen verbindlichen Giftstoffkatalog bei der Produktion sowie die Schließung der Giftmülldeponie Schönberg. Die Vereinbarung sahen sie als „entlarvendes“ Beispiel für die wirtschaftliche Motivation der Bundesregierung, nämlich die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.476 Diese Art der Kritik nahmen auch die „Umweltblätter“ auf. Der Samisdat der Ost-Berliner Umweltbibliothek produzierte eine „Gegenöffentlichkeit“ zur staatlich veröffentlichten Meinung und gab Aufschluss über alternative Ansichten in der DDR. In einer Karikatur zum Umweltabkommen war ein großer dicker Mann im schicken Anzug abgebildet, der vor dem kleinen deutschen Michel das Hypnosependel schwang. Darüber wölbte sich eine mit Blümchen verzierte Gedan-
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Vgl. o. V., „Umweltabkommen mit der DDR abschlußreif “, in: FAZ, 10. 6. 1987, S. 4; Ernst Martin, In guter Papierform, in: Die Zeit, 19. 6. 1987, S. 23; o. V., „Niedrig hängen“, in: Der Spiegel, Nr. 25, 15. 6. 1987, S. 107–111, hier S. 111; Bräutigam, Ständige Vertretung, S. 411. O. V., Töpfer: An Umweltdaten der ‚DDR‘ interessiert, in: Die Welt, 18. 7. 1987, S. 4. BArch, DK 5, Bd. 1987, SPD begrüßt Rahmenabkommen mit DDR, Pressemitteilung. Vgl. BArch DK 5/1987, Wilhelm Knabe/Karitas Hensel, Umweltabkommen mit Leben füllen, Die Grünen im Bundestag, Pressemitteilung zur Paraphierung, 10. 6. 1987; BArch, DK 5, Bd. 5576 Brief von Karitas Hensel (Grüne) an Hans Reichelt, 5. 7. 1989. Vgl. AGG, A (Petra Kelly), Bd. 348, Grüne Positionen deutsch-deutsch, Umweltschutzabkommen, o. D. [Sommer 1987]; und Das deutsch-deutsche Umweltschutzabkommen ist eine Enttäuschung – Grüne fordern Umweltminister Töpfer auf, bald konkrete Abmachungen zu treffen, PM der Grünen im BT Nr. 279/87, 15. 4. 1987.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
kenblase, quasi eine rosige Darstellung, die zweimal das Wort „Wirtschaftswachstum“ nannte, das der kleine Michel wie hypnotisiert wiederholte.477 Damit knüpft die Karikatur sowohl an die wirtschaftskritische Diskussion über die „Grenzen des Wachstums“ in der alternativen Öko-Szene in Ost und West 478 an als auch an die DDR-interne Kritik, die der wahrgenommenen Staatsdoktrin „Ökonomie vor Ökologie“ den Kampf ansagte. Mehr konnte die Redaktion der „Umweltblätter“ eigentlich nicht bemängeln, unternahm der Staat mit der Vereinbarung doch offiziell etwas gegen die Umweltverschmutzung im eigenen Land. Insgesamt fand das Übereinkommen in der Öko-Szene der DDR daher kaum Resonanz.479 In den dezentral organisierten Umweltgruppen setzte sich immer mehr der Gedanke fest, die Politik unternehme nicht genug. Ab 1987/88 reichte es den kirchlichen Umweltgruppen nicht mehr, nur unter sich Informationen auszutauschen, sondern sie wollten mit ihrer Gegenöffentlichkeit in Form von Samisdat und Seminaren öffentlichkeitswirksamer in Erscheinung treten, um in die Gesellschaft hineinzuwirken.480 Das rief gleichzeitig auch das MfS auf den Plan. In der Nacht vom 24. auf den 25. November 1987 startete es die Aktion „Falle“. Die in Umwelt- und Oppositionskreisen als „Überfall“ der Stasi bezeichnete Hausdurchsuchung in den Räumen der Ost-Berliner Umweltbibliothek führte zur Verhaftung einiger ihrer Mitstreiter. Was folgte, waren große ost-west-übergreifende Solidaritätsbekundungen Gleichgesinnter und eine Mahnwache vor der Ost-Berliner Zionskirche. Aufgrund dieses öffentlichen Drucks und der Kontakte der Umweltbibliothek zum Westen, kamen die Inhaftierten nach drei Tagen wieder frei. Zudem hatte sich das MfS geirrt. Nicht beim Druck der legalen „Umweltblätter“ – wie geschehen – hatte zugegriffen werden sollen, sondern bei dem des illegalen Samisdat der IFM „Grenzfall“.481 Zwischen beiden Redaktionen gab es allerdings einen regen Austausch. Im Laufe des Jahres 1987 wurde auch der „Grenzfall“ hin und wieder auf der Ormig-Maschine der Umweltbibliothek gedruckt. Und Informationen, die in den „Umweltblättern“ nicht erscheinen durften, druckte die „Grenzfall“-Redaktion ab.482 Somit war das Gespür der Stasi richtig, sie fassten jedoch die falschen Akteure. In seinem Gespräch mit einer Delega-
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Vgl. Umweltblätter [Reprintausgabe], 12. 6. 1987, Bl. 140 [Paraphierung]; 1. 10. 1987, Bl. 203 [Karikatur]. Vgl. allgemein zu den Umweltblättern: Kowalczuk, Freiheit, S. 50, 72; Neubert, Opposition, S. 499, 629–632; Rüddenklau, Störenfried, S. 68. Konfrontationen einkalkuliert bei Behrens, Umweltbewegung, S. 332. Vgl. Pollack, Ost und West, S. 281; Klein, Politisierung, S. 481–483; Brand, Umweltbewegung, S. 225 f. Michael Beleites erinnert sich nicht daran, dass es eine solche Vereinbarung gegeben habe; E-Mail von Beleites an die Autorin am 11. 9. 2019. In der RHG ließen sich im Samisdat und in den Unterlagen keine Hinweise auf Kenntnisse oder Bewertungen der Umweltvereinbarung entnehmen, bis auf den Abdruck des Vereinbarungstextes in dem Hallenser Samisdat RHG, NzikG (11DA), S. 27 f., Blattwerk, Nr. 4/1988, Sonderausgabe zum Kirchentag in Halle. Vgl. Pollack, Ost und West, S. 275; Knabe, Umweltkonflikte, S. 66–69, 101–110, 117–119. Vgl. Neubert, Opposition, S. 588, 694; Klein, Politisierung, S. 344–347; Kirchhof, Structural Strains, S. 90, 92; Rüddenklau, Störenfried, S. 114–122. Vgl. Rüddenklau, Störenfried, S. 71–81, 96.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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tion des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit versuchte Frank Herrmann aus dem MfUW klarzustellen, dass die DDR keine Umweltschützer verfolge: „Die Vorgänge hätten aber nichts mit Umweltfragen zu tun. Bei der ‚Umweltbibliothek‘ und der Nutzung der dortigen Abzugsapparate gehe es nicht um Literatur zum Umweltschutz. Es handele sich also nicht um Maßnahmen gegen Umweltgruppen.“ 483 Doch die Stimmung zwischen SED-Staat und den alternativen Umweltgruppen war bereits vergiftet. Die Aktion „Falle“ markierte eine Trendwende in den Beziehungen der Umweltgruppen zur Staatsführung und beschleunigte ihre „Politisierung“. Stellten diese Gruppen zunächst vorrangig ökologische Probleme heraus, so wandelte sich ihr Selbstverständnis vor allem in Ost-Berlin dahingehend, dass sich erst politisch etwas ändern müsse, ehe der Umweltverschmutzung abzuhelfen wäre. Um die Umweltprobleme der DDR zunehmend als systemimmanent darstellen zu können, bedienten sich die Mitglieder der Umweltbibliothek eines „erweiterten Umweltbegriffs“, der sowohl die politischen als auch die sozialen Bedingungen einschloss, vor allem Meinungs-, Reise- und Informationsfreiheit. Damit standen Umweltprobleme und deren Anprangerung auch stellvertretend für andere Missstände im Land.484 Die Verbindung zwischen ökologischen und demokratischen Forderungen ist allerdings kein Merkmal, das auf die DDR und die osteuropäischen Oppositionsbewegungen allein zutrifft. Vielmehr ist es ein Wesenszug des „environmentalism of the poor“, der auch im Globalen Süden deutlich wird,485 und noch genauer erforscht werden muss. Die Ereignisse rund um die Umweltbibliothek zeigten allen Beteiligten – der Kirche, der SED, dem MfUW und den alternativen Gruppen, dass eine gewisse Grenze erreicht war. Selbst die GNU sah nach den Vorfällen in der Zionskirche die Notwendigkeit, verstärkt mit den kirchlichen Umweltgruppen zusammen zu arbeiten und sich unbequemer gegenüber staatlichen Stellen zu zeigen, wollten sie ihre Zielgruppe noch erreichen.486 Laut Hans-Peter Gensichen, dem Leiter des KFH in Wittenberg, wurden die autonomen Gruppen unter dem Dach der Kirche und ihre gesellschaftskritischen Stimmen zunehmend radikaler: „Auf Dauer überfordert diese Einwanderung die Kirche – sowohl theologisch als auch organisatorisch als auch politisch.“ Die einzige Lösung, die er sah, bestand in der innenpoliti-
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485 486
AGG, B.II.1, Bd. 5974, Protokoll der Sitzung AK-Umwelt, 2. 2. 1988, Anlage 14: Kurzbericht über ein Gespräch einer Delegation des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit dem Stellvertreter des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR, Frank Hermann, am 9. 12. 1987, der Sekretär des Ausschusses, 21. 1. 1988. Ähnlich auch Reichelt gegenüber derselben Delegation: BArch, DK 5, Bd. 2000, Schreiben Reichelts an Mittag, 16. 12. 1987. Vgl. Aussage Carlo Jordans, in: „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/1, S. 613; Beleites, Umweltschutzbewegung, S. 187; Neubert, Opposition, S. 588; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 129. Vgl. Radkau, Ära, S. 535; Guha/Martinez-Alier, Varieties, S. 18. Vgl. Stief, Staatssicherheit, S. 396 f.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
schen Öffnung zu „mehr Information, mehr Toleranz, mehr Mitbestimmung“. Verantwortlich für diesen gesamtgesellschaftlichen Zustand machte er den Umstand, dass sich die ökologische Krisensituation in der DDR verschärfe, aber umweltpolitisch bewege sich „fast nichts“.487 Diese Wahrnehmung steht jedoch konträr zum politischen Bemühen beider Staaten. Die Zeit ist reif — Sechs Pilotprojekte im Laboratorium DDR
Vom 10. bis 13. Juli 1988 besuchte Klaus Töpfer als erster Bundesumweltminister die DDR (vgl. Abb. 10).488 In einem Brief an den Vorsitzenden des BUND Hubert Weinzierl äußerte ein DDR-Bürger seine Skepsis darüber: „Was verspricht man sich jetzt zum Beispiel vom Treffen der beiden Umweltminister!?! Lieber Herr Weinzierl, ich persönlich überhaupt nichts!!! Hier werden nur wieder Forderungen gestellt. Und was Herr Töpfer wissen möchte, wird er niemals erfahren – oder?“ 489 Die Erwartungen an die Politik waren in der DDR, insbesondere an die eigenen Staatslenker, generell gering. Umweltpolitik ist jedoch die Politik der kleinen und manchmal sehr kleinen Schritte. Dem Außenstehenden schien vielleicht, der erste Besuch eines Umweltministers in der DDR habe nicht viel gebracht. Doch seine positive Wirkung offenbarte sich erst mit der Zeit. Entgegen den politischen Blockaden zu Beginn der 1980er Jahre war gegen Ende der Dekade nun die Zeit reif, fortschrittliche Umwelttechnik in der „Versuchsregion“ DDR zu implementieren. So kam Töpfer zunächst mit zwei thematischen Schwerpunkten in die DDR: Erstens wollte er die Chancen für grenzüberschreitende Naturschutzgebiete im Drömling und Schalsee eruieren. Deren Einrichtung wurde bereits im Vorfeld von der DDR-Führung aus „sicherheits- und außenpolitischen“ Gründen abgelehnt beziehungsweise „als nicht zweckmäßig“ erachtet. Doch sollte der Naturschutz weiterhin in den entsprechenden Arbeitsgruppen und auch in der Grenzkommission besprochen werden.490 Zweitens lag Töpfers Fokus eindeutig auf der Elbe.491 Im Sommer 1988 wurden 400 tote oder sterbende Robben an die Strände der Nordsee gespült, ein Flora- und Fauna-Sterben des Meeres drohte.492 Mit Blick auf 487
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Zitate in: AGG, B.II.1., Bd. 2066, Abschrift eines Briefes von Peter Gensichen an die Freunde in den Umweltgruppen der Kirche, Wittenberg, 7. 12. 1987; ähnlich auch in Rosenbladt, Der Osten, S. 100 f.; Huff, Natur, S. 334. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3384, Bericht über den Besuch von Klaus Töpfer in der DDR, Treffen Töpfers mit Krolikowski, weitergeleitet an Mittag, 15. 7. 1988. Archiv für Umweltpolitik, Ordner II MR 14, Schreiben des Herrn M. an Hubert Weinzierl (BUND), 13. 7. 1988. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1445, Bl. 13–17, Information über Vorschläge der BRD zur Errichtung grenzüberschreitender Naturschutzgebiete, Mittag an Honecker, 23. 2. 1988; Eckert, West Germany, S. 176–178. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3371, Schreiben Töpfers an Reichelt, 10. 6. 1988. Vgl. o. V., Nordsee: „Zeichen einer todkranken Natur“, in: Der Spiegel, Nr. 23, 6. 6. 1988, S. 18–28, und das ND berichtete darüber: o. V., Ost- und Nordsee: 1800 Seehunde starben, in: ND, 8. 7. 1988, S. 1.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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die Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutzkonferenz (INSK) von 1987 in London, die Stickstoff- und Phosphorverbindungen bis 1995 um die Hälfte zu senken, reichten die Kapazitäten der Bundesrepublik ohne die Mitarbeit der DDR nicht aus, um des Algenwachstums (Biomasse) in Elbe und Nordsee Herr zu werden. Auch hatte die ARGE Elbe weitere Studien erstellt. Ein vierjähriges Messprogramm zwischen 1984 und 1988 ergab zudem, dass der „überwiegende“ Teil der Schwermetallbelastung, insbesondere diejenige durch Quecksilber (20–25 t/a), oberhalb Schnackenburgs entstand. Dabei unterlagen die Werte Schwankungen, die ohne weitere Informationen aus der DDR schlecht erklärbar waren.493 Doch kurz darauf sanken zumindest die Quecksilberwerte auf 16 Tonnen (1988) und 12 Tonnen (1989) im Jahr.494 Das lässt gegebenenfalls auf parallel zur bundesdeutschen Messreihe entwickelte und wirksamwerdende Maßnahmen innerhalb der DDR rückschließen.495 Die Senkung war für Töpfer noch nicht abzusehen, weshalb er die Elbe als größtes Umweltproblem mit der DDR ansah und die Gespräche dort fortsetzen wollte, wo sie 1983 stehengeblieben waren. Er bot eine finanzielle Unterstützung durch die Bundesrepublik in Höhe von 100–200 Mio. DM an und schlug erneut, wie seine Vorgänger, eine Elbeschutzkommission vor.496 Das MfAA kam aber zum Schluss, dass trotz einer praktikablen Umsetzung des Umweltschutzes und der dazu bestehenden Interessengemeinschaft noch kein entwickeltes Gesamtniveau der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme bestehe, die eine Kommission ermöglichen würde.497 Auch konterte die Ostseite wieder einmal mit der bekannten Forderung nach einer zufriedenstellenden Grenzregelung. Dass Töpfer in seinem Ziel durch westdeutsche Medien unterstützt wurde, legte ihm die DDR-Führung außerdem als „destruktives Auftreten“ aus. Eine Folge dessen war, dass sein für Oktober 1988 vorgesehener Besuch bei Sitzlack zur Besprechung von Strahlenschutzfragen von der DDR auf das Frühjahr 1989 verschoben wurde.498 Die mediale Aufmerksamkeit zeigte sich am Interesse von 400 Journalisten, die den Minister in die DDR begleiten wollten. Letztlich durften Töpfer etwa 20 west493
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Vgl. ARGE Elbe (Hrsg.), Synthese und Abbau von Biomasse, S. 8; ARGE Elbe (Hrsg.), Schwermetalldaten der Elbe 1984–1988, S. 8, 21, 26, 32, 111, 167, 180, 191–193; siehe auch BArch, DK 5, Bd. 3371, Vorschlag zur Teilnahme der DDR an der 3. Nordseeschutz-Konferenz 1990 in Den Haag, Reichelt an Mittag, 13.2.89. Vgl. für 1988: Buck, Umweltpolitik, S. 244; für 1989: Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 283. Seit 1980 seien 170 Kläranlagen an der Elbe errichtet worden: Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Hintergrundinformationen zur Elbebelastung und zu Maßnahmen der Abwasserlastsenkung, o. D., o. V. Genannt wurden Einleitungen aus Bitterfeld, Merseburg, Piesteritz, vgl. BArch, DK 5, Bd. 3384, Bericht über den Besuch von Klaus Töpfer in der DDR, Treffen Töpfers mit Krolikowski, weitergeleitet an Mittag, 15. 7. 1988. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 927/14, Antwort auf Hausmitteilung [Anfrage Stellungnahme zum Vorbild der Rhein-Schutzkommission für Elbe-Schutzkommission, Seidel, Abt. BRD, MfAA, 30. 11. 1987], Süß, HA Rechts- und Vertragswesen, Abt. BRD, MfAA, 10. 12. 1987. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5652, Reichelt an Krolikowski, 11. 7. 1988, Besuch Töpfers in DDR; und BArch, DL 226, Bd. 1706, Bl. 27 f., Schreiben Schalcks an Mittag, 31. 10. 1988.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Abb. 10: Zu Gesprächen über Fragen der Umweltpolitik empfing Dr. Hans Reichelt, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR und Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der BRD, Prof. Dr. Klaus Töpfer (l.). Zugegen war der Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Dr. Hans Otto Bräutigam (2. v. l.), 10. Juli 1988; Quelle: Bundesarchiv, Fotograf: Hubert Link, Bild 183–1988–0710–008
deutsche Medienvertreter, davon vier Fernsehteams und acht ständig den Minister umgebende Journalisten begleiten. Auf der einen Seite urteilte der DDR-Bericht über das massive Medienaufgebot, dass noch immer die „Massenmanipulierung“ genutzt werde, um die Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen zu stören. Auf der anderen Seite wurde Töpfers Umgang mit den Medien auch positiv herausgestellt: So setzte er sich „besonders mit den Fernsehteams von ARD und ZDF auseinander, die ihn unbedingt dazu drängen wollten, Ergebnisse zu negieren und ihm Erfolglosigkeit seines Besuches einzureden versuchten.“ 499 Sollte Töpfer gewollt haben, über die Medien auf die DDR Druck auszuüben, so stand die SEDFührung dem dieses Mal gelassen gegenüber. Das vorab im „Neuen Deutschland“ publizierte Interview mit Reichelt über die Gewässerqualität der Elbe nahm laut DDR-Bericht Töpfer den Wind aus den Segeln, sodass er sich beim Gewässerschutzthema auf die wissenschaftlich-technischen Fragen zurückzog.500 Dem „ND“ erläuterte Reichelt unter anderem die Beschaffenheit des Flusses sowie die bereits 499 500
BArch, DK 5, Bd. 3384, Bericht über den Besuch von Klaus Töpfer in der DDR, Treffen Töpfers mit Krolikowski, weitergeleitet an Mittag, 15. 7. 1988. Vgl. ebenda.
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geleisteten und noch zu erfolgenden Reinigungsmaßnahmen der DDR.501 Nach Angaben der Ständigen Vertretung in Bonn sah Töpfer die Ergebnisse seiner Reise durch die Darstellung in den Medien eher gemindert. An seinem Ziel, die DDR zu einer reduzierten Schadstoffbelastung der Elbe zu bringen, war er jedenfalls gescheitert – vorerst.502 Nach Töpfers Besuch fand jedoch eine Neujustierung der Schwerpunkte des gemeinsamen Arbeitsplans statt. Bereits während der Verhandlungen zum Umweltschutzabkommen vom September 1987 hatten Herfeldt und Herrmann einen Arbeitsplan bis ins dritte Quartal 1989 ausgearbeitet. Er umfasste fünf große Themengebiete: 1) Technologien und Maßnahmen zur Reduzierung sowie Messung von Luftschadstoffen, 2) Ursachen von Waldschäden und Maßnahmen zu deren Minderung, 3) Vermeidung, Verwertung sowie schadlose Beseitigung von Abfallstoffen, 4) Erfahrungen und Maßnahmen auf dem Gebiet des Naturschutzes und 5) Technologien, Erfahrungen und Maßnahmen zur rationellen Nutzung und zum Schutz der Gewässer.503 Insgesamt stimmten sich etwa 175 Wissenschaftler und Experten in diesen Gesprächen über Begriffe, Definitionen und Herangehensweisen ab.504 Dreißig Experten-Treffen waren geplant, die konsequent durchgeführt wurden. Nach Töpfers Besuch fand ein deutlicher Ausbau des Gewässerschutzes statt, anstelle der vereinbarten sieben Treffen bis zum dritten Quartal 1989 erhöhte sich ihre Zahl auf zwölf.505 Darüber hinaus lenkte Honecker im Herbst 1988 in Bezug auf das Junktim von Grenzverlauf und Elbeverschmutzung ein. Er sprach mit Kanzleramtschef Wolfgang Schäuble, der dabei Verhandlungen über die Verschmutzung des Flusses mit der Festsetzung einer erhöhten Transitpauschale verband. Beide beschlossen, dass im Frühjahr 1989 wieder gesonderte Elbeschutzgespräche aufgenommen werden sollten. Die DDR verzichtete nie völlig auf ihren Anspruch einer Grenzziehung in der Strommitte, kam der Bundesrepublik aber in der Prioritätensetzung entgegen und verschob die Elbegrenzregelung auf einen späteren Zeitpunkt.506 Verhandelte die Bundesregierung zwar weiterhin über Luftverschmutzung, Rauchgasentschwefelungsanlagen, Messtechniken, Datenaustausch sowie nun auch über ein Smog-Frühwarnsystem, verlagerte sich die Priorität ihrer Bemühungen Ende der 501 502 503 504
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Vgl. o. V., Große Anstrengungen der DDR zum Schutz der Gewässer, in: ND, 7. 7. 1988, S. 3. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5652, Reise Töpfer – Einschätzung durch Delegationsmitglieder des BMU, Telegramm Nr. 895/88, StäV Bonn an Reichelt, Neubauer, 15. 7. 1988. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3032, Bd. 1444, Bl. 92–96, Übersicht über die Arbeitspläne. Hauptsächlich waren hier die Experten aus dem MfUW und dem BMU involviert. Es verhandelten aber auch Vertreter des MfKE (Technologien zur Luftverschmutzung) sowie für Waldschäden- und Naturschutzthemen vom MfLFN (DDR) mit dem BMELF (Bundesrepublik), vgl. ebenda. Die Zahl 175 aus dem Gespräch der Autorin mit Frank Herrmann am 22. 9. 2020 in Berlin; nach Reichelt seien es 120 gewesen, Afz. Privatarchiv Hans Reichelt. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 2000, Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 15. 9. 1988; BArch-SAPMO, DY 3032, Bd. 1444, Bl. 92–96, hier Bl. 96, Übersicht über die Arbeitspläne. Vgl. Amos, SED-Deutschlandpolitik, S. 532; Eckert, Geteilt, S. 86; Wentker, Außenpolitik, S. 519 f. Die Auffassung als Entgegenkommen der DDR-Seite in: BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Hintergrundinformationen zur Durchführung von Elbe-Gesprächen am 30./31. 3. 1989 in Berlin, Hauptstadt der DDR, mit der BRD, o. D.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
1980er Jahre von den ohnehin blockierten Werra-Verhandlungen, deren Abbruch im Raum stand, sichtlich auf die Verschmutzung der Elbe.507 Diese zunehmende umweltpolitische Verflechtung und Interaktion beider Staaten führte dazu, dass es nun mindestens vier Ebenen gab, auf denen die Elbeproblematik besprochen wurde: Erstens gab es die normalen Arbeitsgruppentreffen, die aus der Umweltvereinbarung hervorgegangen waren, in denen generell Maßnahmen für die Gewässerreinhaltung besprochen wurden, die letztlich auch der Elbe zuträglich waren. Zweitens bemühte sich der Ministerpräsident Niedersachsens Ernst Albrecht um einen Umweltfonds mit der DDR. Darin verpflichteten sich beide am 8. Juli 1989, jährlich zwischen 1990 und 1995 etwa zehn bis 15 Mio. DM (Niedersachsen) beziehungsweise Mark (DDR) in den Fonds einzuzahlen.508 Dafür rückte die DDR von ihrer noch Ende 1988 postulierten Direktive ab, dass gesonderte Vereinbarungen mit den Bundesländern für sie nicht zweckmäßig seien.509 Als erste Projekte einigten sie sich auf eine Quecksilbereliminierungsanlage im VEB Chemisches Kombinat Bitterfeld (DDR) – eine Maßnahme, die bereits 1985 im MfUW ausgearbeitet worden war – und das DDR-Verfahren zur biologischen Reinigung für die Kläranlage Braunlage (Niedersachsen).510 Drittens konnte sich 1987 der Bürgermeister Hamburgs endlich seinen Wunsch einer Städtepartnerschaft mit Dresden erfüllen und durch sie gemeinsame Maßnahmen planen, die dem zweitgrößten Fluss Gesamtdeutschlands Verbesserung verhießen. Anfang November 1989 verabschiedeten Umweltminister Reichelt und Hamburgs Umweltsenator Jörg Kuhbier (SPD) eine gemeinsame Erklärung für drei Umweltschutzprojekte in Dresden, die hauptsächlich das Abwasser betrafen. Seit etwa 1987 lag die Kläranlage Dresden-Kaditz brach, nachdem starke Regenfälle die marode und gerade in der Rekonstruktion befindlichen Anlage gänzlich zerstört hatten.511 Und viertens 507 508
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Vgl. BArch, B 136, Bd. 21554, Bl. 9–10, hier Bl. 9, Auszug aus dem Vermerk über die Sitzung des erweiterten Dreierkreises am 7. 2. 1989, Top 2: Werra-Versalzung. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Aktenvermerk über das Gespräch von Hans Reichelt mit Ernst Albrecht, 27. 4. 1989, Berlin; und die Erklärung zur Bildung eines Umweltfonds der Deutschen Demokratischen Republik und des Landes Niedersachsen, Genosse Herrmann, 8. 7. 1989. Siehe für das Angebot Albrechts auch das Gespräch Albrecht – Honecker, 27. 4. 1989, Berlin-Ost, Dok. 78, in: Potthoff, Koalition der Vernunft, S. 877. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3365, Direktive für das Gespräch mit dem Umweltminister des BRDBundeslandes Niedersachsen, Dr. Werner Remmers (CDU) zur Umweltpolitik der DDR, 3. 11. 1988. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Direktive zur Abstimmung von Umweltschutzmaßnahmen im Rahmen des Umweltfonds DDR/Bundesland Niedersachsen, 16. 10. 1989. Siehe zu 1985: BArch, DK 5, Bd. 5751, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD zu Fragen der Gewässerbeschaffenheit der Elbe, Hausmitteilung, Gerhard Voigt, MfUW, 9. 1. 1985. Da es sich um eine Erklärung mit Vereinbarungscharakter handelte, musste nach Artikel 32 GG der Bund zustimmen: BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 3, Bl. 509 f., Anlage 2: Begründung, und Anlage 3: Beschlussvorschlage. Auch Schleswig-Holstein wollte sich beteiligen: BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Bericht über den Besuch des Ministers für Natur, Umwelt und Landesentwicklung des BRD-Bundeslandes Schleswig-Holstein (Bernd Heydemann), 12. 6. 1989. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 4, Bl. 88–90, Umweltpolitische Zusammenarbeit mit der DDR; hier: Partnerschaftsstädte Hamburg und Dresden, StäV an BKAmt, BMIB; BMU, BML,
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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gab es die über Schäuble etablierten Elbe-Expertengespräche, die im Jahr 1989 dreimal stattfanden (vgl. Tab. 8). Hier kamen als Verhandlungsgegenstände für die Bundesregierung die Phosphor- und Stickstoffreduzierung als Ziele neu hinzu,512 denen die DDR jedoch nicht entgegenkommen konnte, da sie sich im Fünfjahrplan 1991–1995 auf Verbesserungen im Bereich der oberen Elbe zwischen Pirna und Meißen konzentrierte.513 Dennoch waren sich beide Seiten einig, auch hier bei der Quecksilberreduzierung anzufangen. Von den vereinbarten Maßnahmen stammten mindestens drei aus den Vorbereitungen des MfUW Mitte der 1980er Jahre, die nun in den „Hot-Spots“ Buna, Bitterfeld und Leuna – verantwortlich für 70 Prozent der Quecksilberbelastung – umgesetzt werden sollten.514 Ferner verhandelten sie, dass die Bundesrepublik fünf Gütemessstationen an der Elbe einrichten, dafür im Gegenzug jedoch die Daten dieser Geräte erhalten sollte. Keine Einigung hingegen erreichten die Elbegespräche hinsichtlich einer gemeinsamen Elbeschutzkommission oder auch -konvention mit der ČSSR.515 Die DDR befürchtete, dass die Bundesrepublik sich der finanziellen Zusagen entziehen könnte, wenn es zu einer solchen Zusammenarbeit käme.516
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BMWi, AA, LV HH, 9. 11. 1989; BArch, DK 5, Bd. 3365, Erklärung des Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates und Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik und der Freien und Hansestadt Hamburg vertreten durch den Senat über die Durchführung von Umweltschutzprojekten in der Deutschen Demokratischen Republik in Dresden, 2. 11. 1989. Siehe zur Kläranlage Dresden-Kaditz auch: Sebastian Knauer, „Ein Fluß geht baden“, in: Der Spiegel, Nr. 30, 23. 7. 1990, S. 39–46, hier S. 45; Giftsuppe aus dem Osten, in: Der Spiegel, Nr. 46, 13. 11. 1989, S. 48–50, hier S. 50; Michael Schult, Wer hat eigentlich die Macht im Lande?, in: Arche Nova 5, in: Jordan/Kloth: Arche Nova, S. 488 f.; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 129. Siehe allgemein zu Städtepartnerschaften (58 bis 1989) Wentker, Außenpolitik, S. 507; und solche, die sich Umweltthemen widmen sollten, u. a.: o. V., Frankfurt – Leipzig (3. 10. 1990): Die Grünen denken jetzt an Leipzig. Partnerschaft mit Stadt in der DDR/Neuer Vorstoß, in: FAZ, 11. 10. 1985, S. 49; RHG, Matthias-Domaschk-Archiv, PS 023/03, S. 13–15, Halle – Karlsruhe (27. 5. 1987): Blattwerk 3/1988. Vgl. Information über ein Gespräch mit der BRD über Fragen des Gewässerschutzes der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen, [Gespräch von Gerhard Voigt (DDR) mit Otto Malek am 30./31. 3. 1989 in Ost-Berlin], in: BArch, DK 5, Bd. 5751. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Anlage zum Politbürobeschluss vom 18. 4. 1989. Vgl. zu 1985: BArch, DK 5, Bd. 5751, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD zu Fragen der Gewässerbeschaffenheit der Elbe, Hausmitteilung, Gerhard Voigt, MfUW, 9. 1. 1985; und zu den Maßnahmen 1989: Anlage: Vorschläge des Ministeriums für Chemische Industrie zur beschleunigten Verringerung von Schadstoffableitungen ausgewählter Betriebe in das Einzugsgebiet der Elbe, Information über ein Gespräch mit der BRD über Fragen des Gewässerschutzes der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen, [Gespräch von Gerhard Voigt mit Otto Malek am 30./31. 3. 1989 in Ost-Berlin]. Vgl. o. V., Große Anstrengungen der DDR zum Schutz der Gewässer, in: ND, 7. 7. 1988, S. 3; und zu 70 % der Quecksilberbelastung: Schumann, Elbe, S. 140. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Information über das 3. Gespräch mit der BRD über die Frage des Gewässerschutzes der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen [Gespräch von Gerhard Voigt mit Otto Malek am 26. 9. 1989 in Ost-Berlin]. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Direktive für die Gespräche mit der BRD über Fragen des Gewässerschutzes der Elbe, o. D. [vmtl. Beginn 1989].
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Diese föderale Ausdifferenzierung auf Seiten der Bundesrepublik barg zwar umweltpolitische Chancen, aber auch die Gefahr, dass Akteure unabhängig voneinander und ohne Koordination Probleme bearbeiteten. Solche Doppelarbeit sollte durch gutes Abstimmen untereinander vermieden werden, was allem Anschein nach auch gelang. Je aktiver sich jedoch die Länder um die Umweltprobleme der DDR kümmerten, desto lauter wurde auch der Ruf, mehr Geld für Kläranlagen in der Bundesrepublik selbst bereitzustellen.517 Für das MfUW wiederum stellten die Gespräche nun endlich die Möglichkeit dar, seine Überlegungen von 1985 in die Tat umsetzen zu können. Damit war nun 1989 die Zeit „reif “, die Projekte aus der Liste der Schadstoffverursacher, die es 1985 für weitere Elbegespräche bereits angefertigt hatte, in Angriff zu nehmen.518 Das Engagement des Bundes für deutsch-deutsche Umweltprojekte ist hauptsächlich Klaus Töpfer zu verdanken, der seit dem 7. Mai 1987 dem Kabinett Kohl als Umweltminister angehörte. Bereits vor seinem Besuch in der DDR klärte er eine finanzielle Beteiligung des Bundes daran mit den zuständigen Ministerien ab. Dabei erhielt er insbesondere die Unterstützung der Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen Dorothee Wilms (CDU), die in einem Brief vom 12. Januar 1988 schrieb, sie habe „nachdrücklich jede Maßnahme befürwortet, die dazu beitragen kann, Umweltbelastungen in der DDR, die auch in hohem Maße Berlin (West) und grenznahe Bereiche im übrigen Bundesgebiet belasten, zu reduzieren“.519 Die Spätfolgen wären weitaus kostenintensiver als diese Beteiligungen. Auch das Bundeskabinett hatte sich bereits am 2. Dezember 1987 für finanzielle Erleichterungen für DDR und ČSSR im Umwelt- und Verkehrsbereich ausgesprochen.520 In den 1980er Jahren gewann in der Bundesrepublik das Vorsorgeprinzip als politische Handlungsstrategie zunehmend an Bedeutung.521 Wie diese aussehen sollten, blieb offen. Die Bundesregierung wich seit 1987 immer mehr vom Verursacherprinzip ab. Und auch die DDR investierte mehr als zuvor in den Umweltschutz. 1988 brachte sie 1,6 Mrd. M für ihn auf, etwa 0,59 Prozent der Staatsausgaben und lag damit etwa auf ihrem Niveau Mitte der 1970er Jahre.522
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Vgl. zur guten Abstimmung: BArch, DK 5, Bd. 5751, Information über das 3. Gespräch mit der BRD über die Frage des Gewässerschutzes der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen [Gespräch von Gerhard Voigt mit Otto Malek am 26. 9. 1989 in Ost-Berlin]; BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, zur Forderung von Klärwerken: SPD-Länder bieten der DDR Hilfe bei Elbsanierung an – Kuhbier und Heydemann wollen Geld aus Länderhaushalten bereitstellen – Unterstützung für einzelne Projekte, ADN-Information, 9. 9. 1989. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Information über den Stand der Verhandlungen mit der BRD zu Fragen der Gewässerbeschaffenheit der Elbe, Hausmitteilung, Gerhard Voigt, MfUW, 9. 1. 1985. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21562, Bl. 37, Schreiben von Dorothe Wilms (BMIB) an Klaus Töpfer (BMU). Vgl. BArch, B 136, Bd. 21562, Bl. 39–42, Auszug aus dem Protokoll, Sitzung Bundeskabinett, 2. 12. 1987. Vgl. Schulz-Walden, Anfänge, S. 251; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 310, 444–446. Vgl. Möller, Umwelt, S. 224. Vgl. auch zu 1,4 Mrd. M Investitionen (1980–1984): BArch, DK 5, Bd. 5756, Ergebnisse und Leistungen der DDR zur Verbesserung der Umweltbedin-
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In den Gesprächen zur Durchführung der Regierungsvereinbarung bot das BMU der DDR 1988 zunächst eine finanzielle Beteiligung über zinsvergünstigte Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder der Deutschen Ausgleichsbank an.523 Eine zusätzliche Kreditaufnahme entsprach allerdings nicht den Vorstellungen der DDR-Führung. Die Auslandsverschuldung der ostdeutschen Republik war von zwei Mrd. im Jahre 1970 bis 1989 auf etwa 49 Mrd. DM gestiegen.524 Das MfUW schlussfolgerte, die Bundesrepublik wolle kein neues „Modell Röden“, also keine direkte finanzielle Beteiligung an Projekten in der DDR mehr, sondern bevorzuge es, umweltpolitisch auf kommerzieller Ebene zusammenzuarbeiten.525 Auch waren Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann (FDP) und Günter Mittag am 7. September 1987 darüber übereingekommen, dass die DDR im Rahmen des innerdeutschen Handels im Umwelt- und Energiesektor mehr Investitionsgüterkäufe tätigen werde.526 Vom in der Umweltvereinbarung beschlossenen Informations- und Erfahrungsaustausch erwartete der ostdeutsche Delegationsleiter Frank Herrmann indes, dass „sich daraus konkrete kommerzielle Lieferungen der DDR in die BRD ergeben“.527 Bei seinem Treffen mit Politbüromitglied Werner Krolikowski hatte Töpfer geäußert, dass die Lieferung von Umwelttechnik keine „Einbahnstraße“ sein dürfe, was Herrmann nun wiederholte.528 Tatsächlich exportierte auch die DDR Umwelttechnik in die Bundesrepublik, nämlich die enzymatische Schlammstabilisierung im Bereich der kommunalen Abwasserreinigung. So habe sowohl Duderstadt, das ohnehin von der Wasserversorgung durch die DDR abhängig war, solche Technik installiert, ebenso wie die Gemeinden Scheeßel und Seesen (beide in Niedersachsen).529 Doch die Asymmetrie in diesem Bereich der Umweltbeziehungen blieb – nicht ohne Grund – bestehen. Ab Anfang 1989 konnte das BMU Investitionsmittel aus seinem eigenen Haus für Umweltschutzprojekte in der DDR ausgeben. Töpfer hatte das bereits Ende
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gungen auf dem Territorium der BRD, Schreiben Reichelts an Mittag, 10. 10. 1984. Siehe zu Gesamtinvestitionen der Bundesrepublik Abb. 12. Vgl. BArch, DK5, Bd. 5792, Teil 1, Information über die Gespräche zur Durchführung der Regierungsvereinbarung zwischen der DDR und der BRD auf dem Gebiet des Umweltschutzes, o. D. [Gespräch zwischen Frank Herrmann (DDR) und Egon Herfeldt (Bundesrepublik) am 5./6. 12. 1988]. Vgl. Bösch, Geteilt und verbunden, S. 27. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3371, Direktive für Gespräche mit der BRD zur Errichtung von Demonstrations- und Pilotanlagen in der DDR, Schreiben Reichelts an Mittag, 13. 2. 1989. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 1, Bl. 43–45, hier Bl. 43, Umweltprojekte mit der DDR, BKAmt, Referat 221, Kaesler, 22. 3. 1988. BArch, DK5, Bd. 5792, Teil 1, Information über die Gespräche zur Durchführung der Regierungsvereinbarung zwischen der DDR und der BRD auf dem Gebiet des Umweltschutzes, o. D. [Gespräch zwischen Frank Herrmann (DDR) und Egon Herfeldt (Bundesrepublik) am 5./6. 12. 1988]. Vgl. ebenda, und BArch, DK 5, Bd. 3384, Bericht über den Besuch von Klaus Töpfer in der DDR, Treffen Töpfers mit Krolikowski, weitergeleitet an Mittag, 15. 7. 1988. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3365, Remmers: Drittes deutsch-deutsches Abwasserprojekt entsteht in Scheeßel, Pressemitteilung, 26. 4. 1989; siehe auch Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 821.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
1987 gefordert, doch war Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU) dagegen gewesen. Dabei waren sich Bangemann, Wilms und Töpfer darin einig, dass konkrete Hilfsmaßnahmen einen wichtigen umweltpolitischen Impuls an die DDR geben konnten und darüber hinaus geeignet waren, die DDR zu weiteren Technologieeinkäufen in der Bundesrepublik zu bewegen.530 Nun standen im BMU 115 Mio. DM bereit. Voraussetzungen für deren Einsetzung in der DDR waren, dass sie für Pilotprojekte, also erstmalig in größerem Maßstab angelegte technische Versuche ausgegeben wurden, und die Umweltverbesserungen auch der Bundesrepublik zugutekamen. Ferner durfte das BMU höchstens für 50 Prozent der Gesamtkosten aufkommen. Der DDR war es möglich für ihre Eigenleistung Kredite bei der KfW aufzunehmen.531 Das Abrücken der Bundesregierung vom Verursacherprinzip, ihre Hinwendung zum Vorsorgeprinzip auch in den Beziehungen zur DDR scheinen dem in den 1980er Jahren aufgekommenen, sozialwissenschaften Konzept der „ökologischen Modernisierung“ zu entsprechen. Es sollte das Wirtschaftswachstum der freien Marktwirtschaft und den Ressourcenverbrauch miteinander in Einklang bringen und effizienter gestalten.532 Nun begann in der DDR die Suche nach geeigneten Pilotprojekten. Beim Minister für Chemische Industrie Günther Wyschofsky meldeten sich vor allem pharmazeutische Betriebe und der VEB Chemische Werke Buna, die sich regelrecht für die Pilotprojektfinanzierung bewarben.533 In der DDR hatte die Anzahl veralteter Industrien seit den 1970er Jahren zugenommen, technologische Innovationen sollten selbst geleistet statt im Ausland gekauft werden und Investitionen für den Umweltschutz wurden aus Unwirtschaftlichkeit gestrichen,534 weshalb dieses Angebot nun äußerst attraktiv erschien. Ende Februar 1989 sprachen Herrmann und Herfeldt in den Folgegesprächen zur Umweltvereinbarung bereits über fünf konkrete Vorschläge für Demonstrations- und Pilotanlagen in der DDR.535 Gab es im Westen offizielle Informationen über den Fortgang der Dinge, wie zum Beispiel die Pressemitteilung zur Pilotprojektfinanzierung vom 27. Januar 1989, schwiegen die Medien der anderen Seite. Das führte dazu, dass das 1988 gegründete ostdeut-
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Vgl. z. B. BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 1, Bl. 43–45, hier Bl. 44, Umweltprojekte mit der DDR, BKAmt, Referat 221, Kaesler, 22. 3. 1988. Vgl. BArch, B 136, Bd. 215444, Bl. 708, Pressekonferenz Nr. 12/1989, 27. 1. 1989; BArch, DK 5, Bd. 3371, Aktennotiz über ein Gespräch mit dem Beauftragten des BMU Herfeldt während einer internationalen Beratung in Prag, 13. 3. 1989. Vgl. Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 27. Siehe auch Bemmann/Metzger/ von Detten, Einleitung, S. 10–17. Siehe auch Kap. V.2. Vgl. u. a. BArch, DK 5, Bd. 3371, Schreiben des VEB Pharmazeutisches Kombinat GERMED Dresden an den Minister für Chemische Industrie Günther Wyschofsky, 2. 2. 1989, und Schreiben Wyschofskys an Reichelt, Vorschläge der Generaldirektoren der Kombinate Buna und Pharmazeutische Industrie und Realisierung für Pilotanlagen für moderne Umweltschutztechnologien, 8. 2. 1989. Vgl. Hackemesser/Kunze, Fragen an einen Zeitzeugen, S. 34–38. BArch, DK 5, Bd. 3371, Information über ein Gespräch mit der BRD-Seite über die Errichtung von Pilot- und Demonstrationsanlagen im Bereich des Umweltschutzes in der DDR [Gespräch am 10. 5. 1989].
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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sche Ökologische Netzwerk „Arche“ behauptete, die DDR-Führung hätte dem BMU keinerlei Pilotprojekte vorgeschlagen.536 Das Misstrauen der Umweltgruppen war so groß, dass sie der Führung komplette Untätigkeit unterstellten, doch wurde es wie üblich nicht kommuniziert. Die DDR-Ministerien handelten zwar, dennoch kam der maßgebliche Impuls für ein zügiges Voranschreiten aus der Bundesrepublik, speziell vom Umweltminister: „BM Dr. Töpfer habe entschieden, bei dem Besuch von DDR-Umweltminister Dr. Reichelt am 06. 07. 1989 eine Vereinbarung über Umweltschutz-Pilotprojekte zu unterschreiben.“ 537 Allerdings widersprachen dieser Entscheidung Bundeskanzleramt und BMI mit der Begründung, es bliebe zu wenig Zeit dafür – knapp zwei Wochen – das Vorhaben insbesondere hinsichtlich der Einbeziehung West-Berlins zu prüfen. Hier bestätigte sich die Kritik der SPD an der Umweltvereinbarung von 1987, nach der die West-Berlin-Einbeziehung nicht automatisch auf Folgevereinbarungen ausgedehnt werden könne. Eine gemeinsame Erklärung, die keinen Vertragscharakter habe, sei hingegen annehmbar.538 Doch nicht nur hinsichtlich der Berlin-Frage wich das BMU zunehmend von den bekannten Mustern ab: Im Kabinett habe sich Töpfer am 21. Juni 1989 zudem dafür ausgesprochen, „Umweltverschmutzungen an der Quelle zu bekämpfen und insoweit vom Verursacherprinzip abzugehen.“ Deshalb habe er für weitere Mittel und dafür geworben, dass „man auch Lösungen mit nicht normalen haushaltsrechtlichen Möglichkeiten ins Auge fassen“ müsse.539 Dies alles zusammengenommen weist auf das Engagement des westdeutschen Umweltministers hin, administrative Hürden zu überwinden, um möglichst schnell praktische Hilfe leisten zu können. Als Reichelt am 5./6. Juli 1989 die Bundesrepublik besuchte, vereinbarten beide Umweltminister in Bonn die gemeinsame Erklärung. Darin einigten sie sich auf sechs Pilotprojekte, die in der DDR umgesetzt werden sollten. Davon betrafen drei die Gewässergüte der Elbe: Beispielsweise brachten die Errichtung einer neuen Anlage zur Chlorproduktion (60 kt/a) und die Einsetzung der Acetaldehydproduktion in den Chemischen Werken Buna zusammen eine Entlastung von etwa zwölf Tonnen Quecksilber im Fluss.540 Weiterhin verständigten sich die Minister 536 537 538
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Vgl. Ulrich Neumann, Umweltpilotanlagen in der DDR durch Bundesrepublik finanzierbar, in: Arche Nova 4, 26. 4. 1989, in: Jordan/Kloth, Arche Nova, S. 417. BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 1, Bl. 176 f., hier Bl. 176, Vermerk von Peter Christian Germelmann, Referat 221, BKAmt, 20. 6. 1989. Vgl. ebenda. Siehe auch zur Zurückhaltung des BMU in der Beteiligung Berlins: BArch, B 136, Bd. 21561, Teil 1, Bl. 292 f., Beteiligung Berlins bei der Aushandlung und Vorbereitung von Abkommen mit der DDR und anderen Staaten des Warschauer Paktes durch BMU, Kaesler, Referat 221, BKAmt, 5. 7. 1989. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 2, Bl. 376 f., der Regierende Bürgermeister von Berlin Walter Momper an Bundeskanzler Helmut Kohl, 19. 7. 1989; und Bl. 396–400, Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Lietzmann, Referat Z III 3, BMU, 17. 8. 1989. BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 1, Bl. 176 f., hier Bl. 177, hs. Anmerkungen von Germelmann auf dem Vermerk von Peter Christian Germelmann, Referat 221, BKAmt, 20. 6. 1989. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5751, Information über das 2. Gespräch mit der BRD über die Frage des Gewässerschutzes der Elbe und Vorschläge für das weitere Vorgehen [Gespräch von Gerhard Voigt mit Otto Malek am 31. 6. 1989 in Bonn].
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
auf die Verringerung der Ammonium- und Chlorkohlenwasserstoffbelastung und auf die Einrichtung von drei Gewässergütemessstellen an Standorten in der DDR (Dresden, Magdeburg und an der innerdeutschen Grenze). Zwei weitere Projekte dienten der Reduzierung von Luftverschmutzung. So sollten das Heizkraftwerk Staaken und die Großkokerei Magdeburg mit modernen Wirbelschichtverfahren zur SO2-Reduzierung ausgestattet werden.541 Darüber hinaus einigten sich Töpfer und Reichelt darauf, als sechstes und letztes Projekt ein Smog-Frühwarnsystem in Berlin aufzubauen, womit auch Umweltverbesserungen für den Westteil der Stadt erfüllt würden. DDR-intern half diese nun festgeschriebene Zusammenarbeit Reichelt die eigene Smog-Verordnung gegenüber Mittag und der SED durchsetzen zu können.542 Keines der Projekte zur Minderung der Luftverschmutzung überschnitt sich inhaltlich jedoch mit der von DDR-Umweltschützern zusammengetragenen Liste der zehn größten Luftverschmutzer der DDR wie den Kraftwerken Boxberg, Schwarze Pumpe oder Jänschwalde.543 Das verwundert, da doch gerade der weiträumige Transport von Schadstoffemissionen entscheidend ist. Stattdessen war wohl die unmittelbare Grenzlage der Objekte ausschlaggebend. Insgesamt verpflichtete sich die Bundesrepublik in der Erklärung zu einem Beitrag von rund 300 Mio. DM zwischen 1989 und 1993, die aus den Mitteln des BMU für Lieferungen aus der Bundesrepublik einzusetzen waren. Damit ging keine einzige DM direkt an die DDR. Diese wiederum übernahm die örtlichen Kosten in einer Höhe von mindestens 50 Prozent des gesamten Finanzierungsbedarfs je Projekt. Das bedeutete eine Beteiligung von etwa 470 Mio. M. Außerdem mussten zur Durchführung der genannten Vorhaben für jedes Projekt weitere Einzelvereinbarungen geschlossen werden.544 In ihrer Studie schlussfolgerte Margit Roth, dass die Bundesrepublik Ende der 1980er Jahre immer weniger auf die Einhaltung von Zugeständnissen der DDR achtete.545 Dem kann jedoch nicht zuge-
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3371, Information über ein Gespräch mit der BRD-Seite über die Errichtung von Pilot- und Demonstrationsanlagen im Bereich des Umweltschutzes in der DDR [Gespräch am 10. 5. 1989]; zum Heizkraftwerk Staaken wegen des Berlin-Bezuges: BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 1, Bl. 176 f., hier Bl. 176, Vermerk von Peter Christian Germelmann, Referat 221, BKAmt, 20. 6. 1989; und Teil 2, Bl. 396–400, hier Bl. 399, Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Lietzmann, Referat Z III 3, BMU, 17. 8. 1989. Vgl. zu Verständigungsproblemen: BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 2, Bl. 396–400, hier Bl. 399, Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Lietzmann, Referat Z III 3, BMU, 17. 8. 1989. Vgl. zur Smog-Verordnung DDR: Anhörung Reichelt, 18. 1. 1990, in: Klemm, Korruption, S. 176 f.; Auflistung der Maßnahmen in: Henning Schierholz, „…nicht mit leeren Händen“, in: Arche Nova 5, in Jordan/Kloth: Arche Nova, S. 470–472, hier S. 472. Vgl. Die Liste der zehn größten Luftverschmutzer der DDR (Stand Mai 1989), in: RHG, PS 034, S. 36, Matthias Voigt/Andreas Koth (Hrsg.), Das Erfurter Filterpapier, „Zentralorgan“ des 2. Ökumenischen Luftseminars vom 22. bis 24. September 1989 in Erfurt. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21562, Teil 2, Bl. 359–361, Vermerk: Gespräch zwischen Bundesminister Töpfer und DDR-Umweltminister Reichelt am 6. Juli 1989, Referat Z III 3, BMU, 10. 7. 1989. Siehe auch die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Grüner (BMU) vom 29. Juni 1989 auf die Kleine Anfrage von Reinhold Hiller (SPD, Lübeck), in: Deutscher Bundestag, Drucksache 11/4911, 30. 6. 1989, S. 36 f., hier S. 36. Vgl. Roth, Bestandsaufnahme, S. 17, 683–686.
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stimmt werden: Die Bundesrepublik gab das Geld für besagte Investitionen der DDR schließlich nicht in die Hand, behielt die Kontrolle darüber und pochte im Gegenzug für die Investitionsbeteiligung auf einer Datenübergabe. Reichelt selbst analysierte außen- und wirtschaftspolitische Motive für dieses Übereinkommen: Mit ihrer Initiative konnte die Bundesrepublik die Kritik der Nordseeanrainerstaaten vor der dritten INSK zurückdrängen, Wirtschaft und Banken den Markt für umweltschonende Technologien in der DDR eröffnen und den Einfluss von Umweltgruppen vergrößern, die ein Mitspracherecht an Regierungsverhandlungen verlangten. Sein Schreiben an Mittag ließ ein letztes Aufbäumen der ideologischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges erkennen, als er „die Initiative der BRD im Zusammenhang mit einer groß angelegten Aktion der führenden kapitalistischen Staaten“ (USA, Japan, Bundesrepublik und nordische Staaten) ansah.546 Gleichzeitig bemängelte Reichelt abermals die mangelnde öffentliche Darstellung eigener Umweltschutzbemühungen. Gerade vor dem Hintergrund der Umweltvereinbarung, befürchtete er, dass die Bundesregierung die westdeutschen Pilotprojekte in der DDR propagandistisch ausnutzen würde, ganz so, als täte die DDR in diesem Bereich nichts, woraufhin ab Sommer 1988 an einer neuen Geheimhaltungsbestimmung gearbeitet wurde, die jedoch nie Mittags Zustimmung erreichte.547 Die Folgevereinbarung zu Pilotprojekten brachte somit zwar einen Stein ins Rollen, wenngleich er keineswegs eine „ökologische Lawine“ auslöste. Dementsprechend kritisch wurde die Vereinbarung zu Pilotprojekten vom Sommer 1989 außerhalb des politischen Spektrums beäugt. In der „Grünen Illustrierten“ erschien unter der Überschrift „… nicht mit leeren Händen“ ein Artikel des Politikers Henning Schierholz (Die Grünen) über den Besuch Reichelts in der Bundesrepublik. Das ostdeutsche Ökologische Netzwerk Arche druckte den Beitrag in seinem Informationsblatt „Arche Nova“ unter dem erweiterten Titel „Nationale Zusammenarbeit“ nach. Schierholz bemängelte darin, Reichelt sei in der Bundesrepublik zu wenig kritische Distanz entgegengebracht worden. So sei weder die Geheimhaltung von Umweltdaten, die marginale Rolle der Umweltpolitik im SED-Staat noch die Energiepolitik bestehend aus Atomenergie und Braunkohle angesprochen worden. Der Besuch habe die DDR-Umweltgruppen darin bestätigt, dass „die Herrschenden in der DDR ebenso wie in der BRD unter Umweltpolitik in erster Linie die Entsorgungsinteressen ihrer verfehlten Wachstumspolitik“ wahrnehmen würden. Konservative und SED ergänzten sich gut, nur könne, wenn „Technokraten mit Technokraten verhandeln […] keine ökologische Politik dabei herauskommen“.548 Durch die Wortwahl „nationale“
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BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 1, Information über den Besuch des Stellvertretenden des Vorsitzenden des Ministerrates und Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, Hans Reichelt, in der BRD vom 5. –9. 7. 1989, Schreiben Reichelts an Mittag [29. 7. 1989]. Vgl. Stief, Staatssicherheit, S. 402–405. Henning Schierholz, „…nicht mit leeren Händen“, in: Arche Nova 5, in Jordan/Kloth: Arche Nova, S. 470–472, hier S. 472. Auch veröffentlicht in: AGG, B.II.1., Bd. 2036, Grüne Illustrierte Nr. 8/89, S. 2.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
statt „internationale“ Zusammenarbeit konterkarierte die Arche-Redaktion die Ansicht der SED, dass die staatliche Anerkennung vollzogen sei, und wies sarkastisch auf das politische Einvernehmen beider Seiten hin.549 Präsentierte die Arche eine westdeutsche skeptische Stimme zu Umweltvereinbarung und Pilotprojekten, so beurteilte das „Erfurter Filterpapier“ – eine illegale Druckschrift, die nach zwei Ökumenischen Luftseminaren der Arche und der Evangelischen Studentengemeinde entstanden war – die Lage verhalten optimistisch: „Auch eine Konkretisierung des Umweltschutzabkommens zwischen der DDR und der BRD durch die gemeinsame Errichtung von Anlagen zur Rauchgasentschwefelung ist heute nicht mehr undenkbar und wäre auch dringend erforderlich.“ 550 Die Diskrepanzen, die zwischen den Umweltgruppen in der DDR sowie zwischen ihnen und den staatlichen Behörden auftraten, wurden immer größer. Akutes Misstrauen und lückenhafte Informationen waren nur einige Gründe für auftretende Probleme. Mit der Umweltvereinbarung und ihrer zaghaften Umsetzung erkannte die DDR-Seite an, dass sie ohne internationale Zusammenarbeit nicht weiter vorankam, und die bundesdeutsche Seite verstand, dass sie mit dem Verursacherprinzip außerhalb ihres Territoriums keine Umweltprobleme gelöst bekam. Diese Erkenntnisse beflügelten einen generellen Trend zunehmender Kooperation auf den verschiedensten Ebenen.
4.2 Die Dichte umweltpolitischer Verflechtung In den Jahren 1988/89 hatte sich der Austausch auf ministerieller Ebene mit mindestens dreizehn Treffen innerhalb von zwei Jahren nochmals intensiviert (vgl. Tab. 6). Darüber hinaus registrierte das MfS seit der Unterzeichnung des Umweltabkommens den verstärkten Kontaktausbau der DDR-Umweltgruppen mit westlichen Partnern und beobachtete misstrauisch die Informationssammlung im Umweltbereich durch die „‚legalen Basen‘ des Gegners“ – Ständige Vertretung, Presse, Ministerien – zu denen auch die HSS und andere politische Stiftungen gehörten.551 Nach der Vereinbarung fand also nochmals eine Intensivierung der deutsch-deutschen Beziehungen beziehungsweise ihre „Ökologisierung“ auf allen möglichen Ebenen statt. Gleichzeitig drifteten Staat und Gesellschaft der DDR immer schneller auseinander. Wehte seit 1985 durch die Wahl des jungen Generalsekretärs der KPdSU Michail S. Gorbatschow auch aus Moskau ein frischer politischer Wind, so vermochte er doch die starre Riege der SED-Oberen nicht umzustoßen oder dem Politikgeschehen in der DDR neuen Auftrieb zu geben. 549 550 551
Vgl. RHG, PS 009/05 Arche Nova 5, Bl. 55 (die S. 56–57 fehlen), Nationale Zusammenarbeit, „…nicht mit leeren Händen“, in: Arche Nova 5. RHG, PS 034, Bl. 17, Matthias Voigt/Andreas Koth (Hrsg.), Das Erfurter Filterpapier, „Zentralorgan“ des 2. Ökumenischen Luftseminars vom 22. bis 24. September 1989 in Erfurt. Vgl. BArch, MfS, HA XVIII, Bd. 28847, Bl. 82–103, hier Bl. 91 f., Erkenntnisse/Erfahrungen bei der vorbeugenden Verhinderung, Aufklärung und Bekämpfung feindlicher Angriffe auf dem Gebiet Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR, HA XVIII/6, 13. 4. 1989.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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Doch nicht nur die alternativen Gruppen sahen diese sich auftuende Diskrepanz, sondern auch SED-Mitglieder, deren Parteiaustritte sich Ende der 1980er Jahre häuften.552 Die pessimistische Stimmung in der DDR, basierend auf der Ansicht, beide deutsche Staaten seien umweltpolitisch untätig, stand allerdings in starkem Kontrast zur Aufbruchstimmung in der internationalen Umweltdiplomatie. Auch hier trat die umweltpolitische Zusammenarbeit auf eine neue Stufe. Im Folgenden werden deshalb die erneuten internationalen Bemühungen ausgeführt, die sich unter dem Begriff „ökologische Sicherheit“ zusammenfassen lassen, sowie die vielfältigen gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Ost und West dargestellt, die abschließend am Beispiel der Debatte um die Müllverbrennungsanlage in Schöneiche zusammengefasst werden. Von Montreal nach Sofia — Umweltpolitik und die Frage nach ökologischer Sicherheit
Das Jahr 1987 hielt neben dem deutsch-deutschen Umweltabkommen noch weitere umweltpolitische Weichenstellungen bereit. Jan-Henrik Meyer spricht daher von einer „zweiten Generation“ von (west-)europäischer Umweltpolitik ab dem Ende der 1980er Jahre. Begriffe und Konzepte wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, der Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente und Politikvernetzung definierten die neue Umweltpolitik.553 So wurde im September des Jahres 1987 zum Beispiel das Montreal-Protokoll des Wiener Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht durch das Verbot von Treibhausgasen wie beispielsweise Flourchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) angenommen, dem auch die DDR beitrat und das zum heute erfolgreichsten internationalen Umweltabkommen avanciert ist.554 Im Rahmen der EG wurde am 1. Juli 1987 die „Einheitliche Europäische Akte“ (EEA) festgelegt. Sie besagte, dass über Umweltpolitik von nun an mit Mehrheitsbeschluss entschieden wird. Darüber hinaus verabschiedete die EG 1987 ihr Viertes Umweltaktionsprogramm (UAP) für den Zeitraum 1987–1992. Dieses nahm auf die EEA Bezug, indem die bereits bestehenden EG-Umweltgesetze besser umgesetzt, die Prioritätenliste erweitert und die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert wurden, wirtschaftliche Instrumente für den Umweltschutz zu entwickeln und mit den Entwicklungsländern zusammenzuarbeiten.555 552 553 554
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Vgl. Wolle, Welt, S. 315–317. Vgl. Meyer, Umweltpolitik, S. 420. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 1990, Konsequenzen im Falle eines Nichtbeitritts zum Protokoll über ozonabbauende Substanzen und die Stellungnahme zur Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht und zum Montreal-Protokoll über ozonabbauende Substanzen, Prof. Dr. W. Mundt, in: Anlage, Akademie der Wissenschaften, 8. 2. 1988; Rolf Bartonek, Chloratome stören das Gleichgewicht. Das Protokoll zum Schutz der Ozonschicht trat in Kraft und wurde von der DDR ratifiziert, in: Neue Zeit, 21. 2. 1989, S. 3. Vgl. The Montreal Protocol on Substances that Deplete the Ozone Layer, UNEP, Ozone Secretariat, in URL: https://ozone.unep. org/treaties/montreal-protocol [27. 5. 2022]. „Bonner Lachgas-Verordnung“ bei Radkau, Ära, S. 548. Vgl. Radkau, Ära, S. 489 f.; Meyer, Umweltpolitik, S. 418–420.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Mit der Zusammenarbeit von Industrie- mit Entwicklungsländern griff das UAP auf Empfehlungen des ebenfalls im April 1987 erschienenen Berichts der UN-Kommission zu Umwelt und Entwicklung „Our Common Future“ (auch „Brundtland-Bericht“) zurück. „Our Common Future“ stellte einen Zusammenhang zwischen weltweiten Umweltproblemen, den Schwierigkeiten der Entwicklungsländer und den Pflichten der Industriestaaten her. Er prägte wie kein nationales Umweltprogramm zuvor den Begriff des „sustainable development“, was später als „nachhaltige Entwicklung“ in die Geschichte einging. Die Kommission beschreibt „Nachhaltigkeit“ als einen Wandlungsprozess, in dem die Ausbeutung von Ressourcen, der Einsatz von Investitionen, technische Entwicklung und institutionelle Umstrukturierung mit den gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnissen in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Die Kernidee des BrundtlandBerichts, nur so viele Ressourcen zu verbrauchen wie wieder neu entstehen können, war nicht neu. Und schon im Landeskulturgesetz der DDR findet sich die Intention zur „nachhaltigen“ Wirtschaft. Sie basierte in der DDR jedoch hauptsächlich auf ihrem gegenwärtigen lokalen Rohstoffmangel, Gesundheitsaspekten der Bevölkerung und wirtschaftlichen Schäden durch Umweltverschmutzung, während in „Our Common Future“ eine globale gerechtere Verteilung der Ressourcen und der Zustand einer bedrohten Umwelt zukünftiger Generationen das ausschlaggebende Motiv darstellten. Zum Erreichen des Zieles einer nachhaltigeren Wirtschaft verwies der UN-Bericht immer wieder auf den „politischen Willen“.556 In der Bundesrepublik versuchte Bundeskanzler Kohl den Empfehlungen der Brundtland-Kommission nachzukommen, indem er 1987 das Konzept eines „Schuldenerlasses für Umweltschutz“ für Länder der „Dritten Welt“ ins Leben rief.557 Anhand des Leitbilds einer „nachhaltigen Entwicklung“ lässt sich auch eine bedeutende inhaltliche und globale Erweiterung des Sicherheitsbegriffes in der internationalen politischen Kommunikation nachweisen. Diese Konzeption des Sicherheitsbegriffes hatte seine Ursprünge in den 1970er Jahren in der Wahrnehmungsveränderung der Wissenschaft der Ökologie, den Weltuntergangsvisionen und der Herausbildung einer Umweltpolitik, die im Westen ebenfalls bereits in der Sicherheitspolitik verankert war.558 Daraus entwickelten führende europäische Sozialdemokraten in den 1970er Jahren Überlegungen zu einer „gemeinsamen Sicherheit“, die im Palme-Bericht „Common Security: A Blueprint for Survival“ formuliert und im Brundlandt-Bericht wieder aufgegriffen wurden. So stellte „Our Common Future“ insbesondere den Zusammenhang zwischen nuklearem Wettrüsten und Umweltsicherheit heraus. Die Kosten des Wettrüstens würden die Aufwendungen für den Erhalt der Umwelt um ein Vielfaches übersteigen, ganz abge-
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Vgl. o. V., Our Common Future. Report of the World Commission on Environment and Development, 1987, in URL: https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/5987 our-common-future.pdf [27. 5. 2022], Chapter 1/I/3/30; zum LKG Kap. I.1.2. Vgl. Radkau, Ära, S. 489 f. Vgl. Seefried, Globale Sicherheit, S. 354–365.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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sehen davon, dass ein Nuklearkrieg eine enorme Bedrohung für die Menschheit sei. Daher plädierte der Bericht dafür, dass Staaten ihre „gemeinsame Sicherheit“ vor allem über Kooperationen und Vereinbarungen erreichen sollten.559 Als USPräsident Ronald Reagan und Kreml-Chef Michail Gorbatschow am 8. Dezember 1987 den INF-Vertrag unterzeichneten, der die Vernichtung aller landgestützten Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite (Intermediate Range Nuclear Forces) vorsah, war dies ein erster bejubelter Schritt in die anvisierte Richtung.560 Umweltschutz fand nun unter dem Schlagwort „ökologische Sicherheit“ an immer mehr Stellen Eingang in nationale und supranationale Sicherheitsstrategien. Was bei NATO und KSZE bereits in den 1970er Jahren angeklungen war,561 erfolgte nun auch im politisch-beratenden Ausschuss der Warschauer Vertragsstaaten. Im Juli 1988 nahm die Organisation im Dokument „Die Folgen des Wettrüstens für die Umwelt und andere Aspekte der ökologischen Sicherheit“ 562 das Thema neben militärischer Sicherheit in seine Verteidigungsdoktrin auf.563 Darüber hinaus diskutierten die sozialistischen Staaten den Brundtland-Bericht im RGW.564 Hier wurde der 1973 eingerichtete Rat für Umweltschutz infolge seiner erhöhten Bedeutung in eine Ständige Kommission umstrukturiert.565 Es war jedoch klar, dass die wirtschaftliche Existenzbedingung und der Schutz der Umwelt gleichrangig sein müssen, wie es auch einem Papier des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadses zu entnehmen war, nämlich dass Umweltpolitik nur im Zusammenhang mit einer globalen Wirtschaftsstrategie zu lösen sei.566 Das erst in den Anfängen steckende sowjetische Konzept der „ökologischen Sicherheit“ war eine Konsequenz des „Neuen Denkens“, eines Reformbestrebens Gorbatschows, das sich in den Schlagworten „Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika“ (Umbau) manifestierte. So gehörten zur „ökologischen Sicherheit“ der UdSSR die Offenlegung und der Austausch von Daten, welche die Basis des umweltpolitischen Gemeinschaftsinteresses bildeten. Darin spiegelten sich Umwelt-
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Vgl. o. V., Our Common Future, Chapter 11/II/17. So beispielsweise in: Körber-Stiftung, Die ökologische Wende, S. 33. Vgl. Schulz-Walden, Anfänge, S. 140, 151; siehe auch Kap. I.1.1. Vgl. Dokument II: Warschauer Vertrag (WVO): Die Folgen des Wettrüstens für die Umwelt und andere Aspekte der ökologischen Sicherheit, Tagung des politisch-beratenden Ausschusses der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages“, Warschau/Berlin Juli 1988, in: Achilles, Militär – Rüstung und Klima, S. 91–94. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 3544/13, Vorlage für die Dienstberatung „Rechtsfragen der ökologischen Sicherheit“, Sektor IV, 1. 3. 1988. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 899, Teil 1, Konsultationstreffen RGW im Rat für Umweltschutz, 15.– 17. 10. 1986. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 3544/13, Ständige Kommission über den Zusammenhalt auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Rechtsfragen der internationalen Zusammenarbeit zur Ausgestaltung des Konzepts der ökologischen Sicherheit, Dr. Oskar Hugler (Berlin), Prof. Dr. Reinhard Müller (Halle), o.D.; siehe zum Rat Kap. I.2.2. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 3544/13, Studie zum rechtlichen Gehalt, den Hauptelementen und dem begrifflichen Rahmen des Prinzips der ökologischen Sicherheit, Margit Siegmund, Babelsberg, Okt./Nov. 1988, Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
probleme wider, die oft nur international gelöst werden konnten.567 Die Verknüpfung zwischen Abrüstung und Umweltschutz blieb zwar bestehen, aber die Thematik sollte nun der „politisch-ideologischen Konfrontation“ entzogen werden.568 Damit fand sich in dem sowjetischen Konzept auch die Idee einer „ökologischen Sicherheitspartnerschaft“ deutscher Sozialdemokraten wieder, mit denen die sowjetische Führung im Austausch stand.569 Auf der zweiten Tagung der Ständigen Umweltschutzkommission des RGW beklagte sich die DDR, dass ihre Ideen kaum noch Gehör fanden, diejenigen der UdSSR aber eine „Überbetonung“ von „Formulierungen wie ökologischer Glasnost, Ökologisierung der Produktion, ökologische Perestroika, Forderungen nach mehr Offenheit“ enthielten.570 Der Druck auf die DDR in dem internationalen Chor, der nach Transparenz von Umweltdaten rief, kam demnach nicht nur von westlichen Staaten, sondern zunehmend auch aus dem eigenen Lager, insbesondere aus der Sowjetunion. Im Dezember 1989 gestand Schewardnadse in der „Liturnaja Gaseta“ mögliche Ursachen dafür ein, warum auch die Sowjetunion Umweltdaten der eigenen Bevölkerung und anderen Staaten verheimlicht habe. So bestand in der UdSSR ein kompliziertes Konglomerat aus finanziellen Schwierigkeiten, Streitigkeiten zwischen den Ressorts, Angst, durch die Freigabe von Informationen etwas preiszugeben, und dem Fehler, allein auf die eigene Kraft gesetzt zu haben. Darüber hinaus konkretisierte er darin nochmals das Konzept einer „ökologischen Sicherheit“, das für ihn aus den Grundprinzipien Friedensstreben, Abrüstung, Wirtschaft und Ökologie als Einheit bestand. Das bedeutete, wer vorangehe, müsse den zurückbleibenden, in diesem Fall den Entwicklungsländern, helfen. Für die Lösung der Umweltprobleme sah die Sowjetführung die UN als geeignete Organisation an. Schewardnadse schlussfolgerte: „Ohne Übertreibung kann gesagt werden, daß die Ökologie der Lackmustest eines jeden Staates auf seine Substanz ist.“ 571 Unbeabsichtigterweise behielt er damit Recht – zwei Jahre später war auch die UdSSR Geschichte. Nach Brundtland-Bericht und „ökologischer Sicherheit“ verschob sich auch innerhalb der KSZE der Bedeutungsrahmen des Umweltschutzes. Zum zehnjährigen Jubiläum der KSZE-Schlussakte von Helsinki wurde der Umweltschutz im Korb II als besonders bedeutend und „unausgeschöpft“ hervorgehoben,572 sodass er in der
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Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 3544/13, Vorlage für die Dienstberatung „Rechtsfragen der ökologischen Sicherheit“, Sektor IV, 1. 3. 1988. Vgl. PA AA, MfAA, Mikrofiche, Bd. 029 709, Beratung der RGW-Länder über Fragen des Umweltschutes, HA Information, Nr. 153/II, MfAA, 24. 2. 1989. Vgl. Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 819. BArch, DK 5, Bd. 3390, Teil 16, Bericht über die Teilnahme an der 2. Beratung des von der Ständigen Kommission des RGW (SKUS) initiierten Zeitweiligen Internationalen Kollektivs (ZIK) zur Ausarbeitung der Strategie der Mitgliedsländer des RGW auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Moskau, 5.–9. 12. 1988. PA AA, MfAA, M 50, ZR 3544/13, Schewardnadse, Eduard: Ökologie und Diplomatie, in: Liturnaja Gaseta 47/89, 8. 12. 1989, Auszug, vmtl. Übersetzung ins Deutsche (ohne weitere Angabe). Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132321, Analyse der Reden auf dem KSZE-Jubiläumstreffen vom 30.7. bis 1. 8. 1985 in Helsinki, Vollmar-Libal, Referat 212, AA, 12. 8. 1985.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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Vorbereitung für das Wiener Folgetreffen wieder deutlicher betont wurde. Insbesondere unter dem Eindruck Tschernobyls verfestigte sich einmal mehr die Vorstellung von der Staatengemeinschaft als „Überlebensgemeinschaft“.573 Das Schlagwort der „Interdependenz“ machte in den Besprechungen zum Korb II im Bereich Umwelt wie auch schon im Brundtland-Bericht die Runde,574 obwohl es schon viel länger in diesem Zusammenhang existierte und keine Erkenntnis des Jahres 1986 war. Allerdings wurden „Interdependenz-Deutungen“ für die Sowjetunion erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre politikleitend, während der Begriff im Westen seit den 1970er Jahren als Umschreibung für die Transformation von Weltwirtschaft und -poltik galt.575 Das „Europäische Netzwerk für den OstWest-Dialog“ schaltete sich auch hier ein und forderte unter anderem einen KSZE-Entwicklungsfonds für Infrastruktur, Industrie, Landwirtschaft und Umweltschutz. Ihr Memorandum wurde in Wien den Delegierten übergeben.576 Zudem entstand aus einer finnischen Initiative die Idee für ein Sondertreffen der KSZE-Staaten zum Thema Umwelt. Nach anfänglichem Widerstand der RGWStaaten fand dieser Sondergipfel vom 16. Oktober bis 3. November 1989 in Sofia in der Volksrepublik Bulgarien statt.577 Für die DDR waren hier zwei Themen von besonderer Bedeutung: die Verhinderung von zum einen der Implementierung des Verursacherprinzips und von zum anderen die Beteiligung von Umweltgruppen und Personen unabhängiger Organisationen. Vor der Umweltkonferenz befürchtete Reichelt gegenüber seinem bulgarischen Kollegen, dass das „Ökologische Netzwerk Arche“ vermutlich ebenfalls nach Sofia kommen wolle. Falls es ihm nicht gelänge, die Umweltgruppen einzubeziehen, würden sie einen „Störfaktor“ bilden und – in Reichelts Augen – eine destabilisierende Rolle darstellen.578 Stattdessen solle die GNU teilnehmen.579 Gegen Reiseverbote hatte der Umweltverbund bereits in einem Offenen 573
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Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132321, Gemeinsamer KSZE-Artikel von Bundesaußenminister Genscher und dem französischen Außenminister Jean-Bernard Raimond mit einer Gedankenskizze im Anhang, Drahterlass Vollmar-Libal/Schmidt-Neveling, Referat 212, AA an Paris Diplo, 15. 7. 1986. Z. B.: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132321, Erklärung des österreichischen Delegationsleiters am 14. 11. 1986, Fernkopie Nr. 126, KSZE Wien an AA, 19. 11. 1986. Vgl. Seefried, Globale Sicherheit, S. 354, 362, 364; für die Sowjetunion: Deuerlein, Interdependenz, S. 184, 193. Vgl. AGG, A (Petra Kelly), Bd. 450, Europäisches Netzwerk für den Ost-Westdialog: Das Helsinki-Abkommen mit wirklichem Leben füllen. Ein Memorandum, gerichtet an die Bürgerinnen und Bürger, an gesellschaftliche Gruppen und an die Regierungen aller KSZE-Staaten, in: Kommune 12 (1986), S. 47–50, hier S. 49. Vgl. zur finnischen Initiative PA AA, ZA, B 75, Bd. 132321, Ergebnisvermerk der Ressortbesprechung im AA, Referat 421, AA, 22. 7. 1986; und zum Widerstand im RGW: BArch, DC 20, Bd. 23115, Bl. 7–9, hier Bl. 9, Außenpolitische Information Nr. 24, Wiener KSZEFolgetreffen, 24. 3. 1987. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 972/14, Anlage: Vermerk zu einer Konsultation zwischen den Umweltministern der DDR und der VR Bulgarien am 18. 9. 1989 in Berlin, G. Schumann, MfAA. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9104, Brief von Schulmeister an Manfred Fiedler, 21. 9. 1989.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Brief an die KSZE-Nachfolgekonferenz in Wien 1988 protestiert. Die Reiseverbote passten nicht zur neuen Zeit internationaler Zusammenarbeit und des „Neuen (ökologischen) Denkens“.580 Ein Jahr später unterstützten 22 Umweltschützer aus Ost und West dasselbe Anliegen.581 Die DDR-Mitglieder der Arche durften dennoch nicht nach Sofia reisen und die bulgarischen Mitglieder von Öko-Glasnost wurden nach anfänglichen Freiheiten von der Polizei verprügelt und festgenommen.582 Die bedeutende Rolle von Umweltgruppen, die in osteuropäischen Ländern, namentlich auch der DDR, aufgrund ihres Engagements verfolgt wurden, betonten vor allem die Delegierten aus den USA.583 Die Anerkennung der Umweltarbeit durch gesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen sollte im Abschlussdokument von Wien festgeschrieben werden, doch lehnten die DDR und Rumänien dies ab, während sich die ČSSR der Stimme enthielt und Bulgarien, Ungarn und die UdSSR bereit waren zuzustimmen, wenn die Tätigkeiten im Rahmen der Verfassung lägen.584 Das MfAA resümierte, entsprechend „ihrer unterschiedlichen Gesellschaftskonzepte traten die sozialistischen Staaten differenziert auf “.585 Es wurde im internationalen Umweltbereich immer offensichtlicher, dass sich die DDR selbst im eigenen Lager zunehmend isolierte und der osteuropäische „Block“ nicht mehr geschlossen auftrat. Darüber hinaus nahm das Verursacherprinzip ab der KSZE Wien immer mehr an Gestalt an.586 Im bilateralen Verhältnis zur DDR immer mehr in den Hintergrund geraten, wurde es im internationalen Bereich von der Bundesrepublik schon noch anvisiert. Im Abschlussdokument vom 15. Januar 1989 wurde eine Haftung für grenzüberschreitende Umweltprobleme angedacht, Untersuchungen für diesen Bereich sollten aber noch folgen.587 In Sofia wurde es zwar schon kon-
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Vgl. Offener Brief an die KSZE-Nachfolgekonferenz: Zur ökologischen Zusammenarbeit und Reisefragen, Arche Grünes Netzwerk in der Evangelischen Kirche Region Berlin-Brandenburg, 22. 7. 1988, in: Arche Nova 2, in: Jordan/Kloth, Arche Nova, S. 267–269, hier S. 269. Vgl. RHG, PS 034, S. 35–36, Grenzen halten Menschen, aber nicht die Luftverschmutzung auf, Offener Brief des Air Pollution Network – AIRPLAN an die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) Umweltkonferenz Sofia, Bulgarien, Mai 1989, in: Matthias Voigt/Andreas Koth (Hrsg.), Das Erfurter Filterpapier, „Zentralorgan“ des 2. Ökumenischen Luftseminars vom 22. bis 24. September 1989 in Erfurt. Vgl. Brutaler Polizeieinsatz in Sofia am Rande der KSZE-Umweltkonferenz, in: Arche Nova 5, in: Jordan/Kloth, Arche Nova, S. 467. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 972/14, Information über eine Konsultation zwischen den Umweltministern der DDR und der VRB am 18. 9. 1989 in Berlin, G. Schumann, Abt. IÖO, MfAA. Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132321, Fortsetzung des Drahtberichts 19, Drahtbericht Nr. 1220, Wien Diplo an AA, Ekkehard Eickhoff, 18. 12. 1986. Vgl. BArch, DC 20, Bd. 27607, Bl. 25–26, hier Bl. 26, Außenpolitische Information 82/88, 13. 10. 1988, Stand des Wiener KSZE-Folgetreffens. PA AA, MfAA, Mikrofiche, Bd. 030 961, Verlauf des Umweltschutztreffens der KSZE-Staaten in Sofia, HA Information, Nr. 116/X, MfAA, 24. 10. 1989. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 973/14, Wochenbericht Korb 2, Bereich GP, Sektor ESK an HA Rechts- und Vertragswesen, Genosse Dr. Hugler, 26. 4. 1988. Vgl. Korb II, Prinzip 36, „Abschließendes Dokument des KSZE-Folgetreffens in Wien, 15. Januar 1989“, S. 16, in URL: https://www.chronik-der-mauer.de/material/178885/abschliessen des-dokument-des-ksze-folgetreffens-in-wien-15-januar-1989 [27. 5. 2022].
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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kreter, so galt es für „natürliche und juristische Personen“,588 aber nicht für Staaten. Die Verabschiedung des Sofioter Schlussdokuments scheiterte jedoch. Das lag allerdings nicht an der inzwischen neubesetzten DDR-Führung, bei der Erich Honecker am 18. Oktober 1989 von Egon Krenz abgelöst wurde, sondern an Rumänien (SRR). Das Land wollte die Rolle von Personen und Umweltschutzgruppen nicht akzeptieren, wodurch ein Konsens verhindert wurde.589 Dennoch galt die Sofioter Konferenz als „wichtiges politisches Signal“. Schließlich habe die Mehrheit der Staaten klargestellt, dass „ein wirksamer Schutz der natürlichen Umwelt eine politische Umwelt voraussetzt“, so der österreichische Botschafter Martin Vukovich. Durch den Machtwechsel gebe die DDR gerade Grund zur Hoffnung wie zuvor Ungarn, Polen und die UdSSR.590 Auch ohne formales Abschlussdokument gab Sofia Impulse an die ECE weiter: So bekräftigten die Teilnehmerstaaten, die Konvention zum Gewässerschutz abzuschließen und eine weitere zur Verhinderung und Bekämpfung grenzüberschreitender Industrieabfälle auszuarbeiten.591 Zeitlich fiel Sofia mit den sich in der DDR zuspitzenden politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen im Ostblock zusammen. Aus umweltdiplomatischer Sicht war die Zeit zwischen Montreal und Sofia Teil einer internationalen Hochphase. Dazu gehörte letztlich auch der Erdgipfel über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992. An dieser zweiten bedeutenden Konferenz der UN 20 Jahre nach Stockholm nahm die DDR jedoch nicht mehr als eigenständiger Staat teil. In der Vorbereitung erschien sie nur als Beobachterin.592 Nach Uekötter war die Politik nun nicht mehr vom Ost-West-Konflikt und noch nicht von der globalisierten Weltwirtschaft dominiert.593 Es war eine erneute internationale Aufbruchstimmung in der Umweltpolitik Ende der 1980er Jahre, die mit einer Art „Befreiung“ von der bipolaren Blockkonfrontation am Ende der Epoche des Kalten Krieges einherging. Den damit zusammenhängenden Zeitgeist beschrieb
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Vgl. Report on Conclusions and Recommendations of the Meeting on the Protection of the Environment of the Conference on Security and Co-Operation in Europe, Sofia 1989 – Vienna 1990, S. 4, 6, in URL: https://www.osce.org/eea/14075 [27. 5. 2022]. Vgl. ebenda; BArch, DC 20, Bd. 4132, Information für die Mitglieder des Ministerrates, Bericht über die Teilnahme einer Delegation der DDR am Umweltschutztreffen der KSZE vom 16. 10.–3. 11. 1989 in Sofia, 21. 11. 1989. PA AA, MfAA, M 50, ZR 974/14, Schlusserklärung des Leiters der österreichischen Delegation zum KSZE-Umweltschutztreffen, Botschafter Dr. Martin Vukovich, 3. 11. 1989. Vgl. PA AA, MfAA, Mikrofiche, Bd. 031 077, KSZE-Umweltschutztreffen in Sofia, HA Information, Nr. 72/XI, MfAA, 13. 11. 1989; UNECE Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, 17. 3. 1992, in URL: http://www. unece.org/env/water/text/text.html [27. 5. 2022]; Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents, 17. 3. 1992, in URL: https://www.unece.org/environmental-policy/ conventions/industrial-accidents/about-us/envteiaabout/more.html [27. 5. 2022]. Vgl. PA AA, MfAA, Mikrofiche, Bd. 030 278, 15. Tagung des Verwaltungsrates des UN-Umweltprogramms, HA Information, Nr. 28/VI, MfAA, 6. 6. 1989. Vgl. Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 124.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Mustafa Tolba, der Exekutivdirektor des UNEP, in ähnlicher Weise: „For as the arms race ends, a new race has begun – the race to save our environment.“ 594 Partei- und verbandspolitischer Umweltaustausch
Um „gemeinsame Sicherheit“ ging es nicht nur auf der internationalen Bühne, sondern auch zwischen den beiden deutschen Staaten. Unter dem Titel „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ veröffentlichten SPD und SED am 27. August 1987 ein gemeinsames Papier, das den vereinten Willen zur „friedlichen Koexistenz“ beider Systeme bekräftigte. Darin hielten beide Parteien auch fest, einen Beitrag zur „Überwindung der Umweltgefahren“ leisten zu wollen, weshalb ein verantwortbares Verhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie erreicht werden müsse.595 Überlegungen zur praktischen Umsetzung gab es ein Jahr später auf einem Seminar in Bayern. Die SED stellte dort ihren Versuch dar, das angestrebte Verhältnis von Ökologie und Ökonomie durch einen „ressourcensparenden Weg des Wachstums“ zu verwirklichen, der die SPD für ihren geplanten „ökologisch orientierten Umbau der Volkswirtschaft“ ebenfalls interessierte. Praktisch sollte die sozialistisch-sozialdemokratische „Umweltpartnerschaft“ umgesetzt werden, indem beide Parteien gemeinsam mit der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei über eine Reduzierung der Umweltbelastung im Grenzraum sprachen, konkrete Vorschläge machten und Expertentreffen für die Finanzierung der Projekte anvisierten.596 Für eine deutsch-deutsche „ökologische Sicherheitspartnerschaft“ plädierte auch der Sozialdemokrat Reinhold Hiller, welcher der Bundesregierung ein mangelndes umweltpolitisches Gesamtkonzept vorwarf. Eine verstärkte Umweltkooperation mit der DDR würde in der bundesdeutschen Industrie einen Innovationsschub hervorrrufen, einen neuen Absatzmarkt erschließen sowie die Kosten, die in der Bundesrepublik durch die DDR-Umweltverschmutzung entstanden, senken. Gerade Letzteres sowie die deutsch-deutsche Verantwortungsgemeinschaft für künftige Generationen und die Schaffung einer möglichst großen Interdependenz zwischen beiden Staaten waren die erklärten Ziele der SPD für eine deutsch-deutsche „intrasystemare Umweltschutzpolitik“.597 Die gemeinsame „Umweltsicherheit“ von Bundesrepublik und DDR wurde zudem von verschiedenen hochrangigen Experten aus Medien, Wissenschaft und
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PA AA, MfAA, M 50, ZR 974/14, Building a Bridge to Peace, Environmental Cooperation and Security, Mustafa Tolba (UNEP), Sofia, 3. 11. 1989. Vgl. Grundwertekommission der SPD/Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (Hrsg.), Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit, in: Politik. Informationsdienst der SPD, Nr. 3, 3. 8. 1987, S. 53–60, hier S. 55 f. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5652, Bericht über die Durchführung eines umweltpolitischen Seminars zwischen den Vertretern der SED und der bayerischen SPD vom 9.–12. 10. 1988 in Bayern, Abt. Grundstoffindustrie/Abt. für Internationale Politik und Wirtschaft, 12. 10. 1988. Siehe zur Umweltpolitik der SPD in den 1980er Jahren Lieb, Von der „ökologischen Modernisierung“, S. 84–89; Lieb, Arbeit, S. 137–241. Vgl. Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 819 f., Zitat auf S. 820.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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Politik auch im 87. Bergedorfer Gesprächskreis thematisiert. Unter dem Titel „Globale Umweltpolitik als gemeinsame Überlebensfrage – neue Kooperationsformen zwischen Ost und West“ fand der Gesprächskreis der Körber-Stiftung 1989 erstmals in der DDR, in Dresden statt. Einig waren sich beide Seiten, dass der umweltpolitische Bereich nun endgültig der ideologischen Konfrontation entzogen sei.598 Die ostdeutschen Vertreter pochten gemäß der neuen Vorgabe aus Moskau und dem SED/SPD-Papier auf die „ökologische Sicherheitspartnerschaft“ und betonten dabei insbesondere, dass Umwelttechnik den Staaten verfügbar gemacht werden sollte, die sie brauchten. Damit verdeutlichten sie ihr Verständnis von internationaler Zusammenarbeit im Umweltbereich. Westdeutsche Vertreter wiederum hoben den finanziellen Aspekt hervor, schwächeren Ländern bei den Umweltkosten zu helfen. So betonte Klaus von Dohnanyi, „daß das Verursacherprinzip nicht allein gelten kann“, und schlug ein Finanzierungsmodell für die Elbe vor, das den Verursacher nur zu einem Drittel und den Interessenten („Nutznießer“) zu zwei Dritteln belasten würde.599 Damit war nicht nur für Töpfers BMU, sondern auch in elitären Kreisen zumindest die ideologische Blockkonfrontation so gut wie abgebaut und eine Neubewertung des Verursacherprinzips im Gange. Neben den Sozialdemokraten setzten auch konservative Kräfte ihre Umweltbeziehungen zur DDR fort. Einen Monat nach der Verabschiedung des Umweltabkommens trafen sich Vertreter der GNU und der HSS in München und Wildbad Kreuth, um ihren Erfahrungsaustausch zu den Fragen abfallarmer Technologie und zum Recycling, der Luftverschmutzung und den Ursachen für Waldschäden fortzusetzen. Insgesamt nahmen 55 Wissenschaftler, Industrie- und Ministeriumsvertreter sowie Politiker am Symposium teil.600 Die DDR-Delegation verstand diesen Austausch als einen Beitrag zum politischen Dialog und Erfahrungsaustausch, wie er in der Umweltvereinbarung festgeschrieben war. Doch noch immer notierten sie in ihren Aufzeichnungen dazu, die sozialistische Umweltpolitik „offensiv“ darstellen zu können.601 Dies schien weiterhin dem Prinzip der „friedlichen Koexistenz“ nachzugehen, die Vorzüge des Sozialismus über das Themenfeld der Umweltpolitik anzupreisen. Trotz anderweitiger Bekundungen in der „gemeinsamen Sicherheit“ 1987 mit der SPD, zeigt dies die langsamen Mühlen der politischen Veränderung. Das neue Prinzip war anscheinend noch nicht zur GNU und möglicherweise in andere politische Bereiche vorgedrungen oder es sollte nicht vordringen, um in alten Argumentationsmustern verhaftet zu bleiben. 598
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So der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf als auch der stellvertretende Chefredakteur und Journalist des ND Harald Wessel, in: Körber-Stiftung, Globale Umweltpolitik S. 42, 62; ähnlich auch: Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 819. Vgl. Körber-Stiftung, Globale Umweltpolitik, S. 3, 4, 8, 10, 11, 26, 37, 48, für Dohnanyi, S. 64. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9664, Bericht über die Durchführung einer Veranstaltung mit der ‚Hanns-Seidel-Stiftung‘ (BRD) zu Fragen der Umweltpolitik, 26.–30. 10. 1987 in München und Wildbad Kreuth. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9664, Direktive zur Durchführung einer Veranstaltung mit der Hanns-Seidel-Stiftung (BRD) zu Fragen der Umweltpolitik; siehe auch BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9392, hs. Information von Genossen Fiedler, Betr.: Hanns-Seidel-Stiftung (BRD München), 11. 5. 1987.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Auch Stipendiatengruppen der HSS besuchten nun die DDR. Dem Theologen und Leiter einer Delegation der HSS Karltheodor Huttner war es ein Anliegen, dass die 19 Stipendiaten im Oktober 1988 die Möglichkeiten der DDR aus eigener Anschauung kennenlernten. Der DDR-Bericht nahm zusätzlich wörtlich und unkommentiert einen Standpunkt Huttners auf, welcher der DDR-Forschung Kopfzerbrechen bereiten dürfte: „‚Ich denke, wenn 1990 der Führungswechsel in der DDR vonstattengegangen ist, dann werden sich einige Dinge in den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD einfacher regeln lassen.‘“ 602 So zum Beispiel direkte Kontakte des Kulturbunds mit der HSS ohne zwischengeschaltetes Reisebüro. 1988 war Honecker 76 Jahre alt. Anscheinend stammte die Information aus dem „Spiegel“, der geschrieben hatte, dass der Staatsratsvorsitzende nach dem 40. Jahrestag der DDR zumindest das Amt des SED-Generalsekretärs abgeben würde, und hatte über die Nachfolge spekuliert. Ob die HSS oder die CSU eventuell mehr gewusst hatten, bleibt vermutlich ein Forschungsdefizit als auch ein Quellenproblem.603 Zu diesen offiziellen Diskussionsrunden, die zwischen beiden Staaten in den unterschiedlichsten Formaten aufkamen,604 gesellte sich auch eine Initiative des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND). Der am 20. Juli 1975 gegründete einflussreiche, konventionelle neue Interessenverband räumte dem traditionellen Naturschutz zwar Priorität ein, schaffte es jedoch auch, sich für die neuen Themen wie Umweltverschmutzung und Atomkraft zu öffnen und bei konkreten Konflikten klar Stellung zu beziehen. Damit erlangte er eine Position zwischen traditionellen Naturschutzverbänden und radikaleren Gruppierungen der politischen Ökologie. Dennoch haftete dem Verband ein „bürgerliches“ und konservatives Bild an, weshalb Anknüpfungspunkte zu einer grünen Partei – auf beiden Seiten – schwerfielen. Außerdem war auch der BUND um parteipolitische Neutralität bemüht. So konnte er die Unterstützungsklientel verbreitern und bei wechselnden Regierungen einflussreich bleiben. Schließlich war er ein von der Politik anerkannter Lobbyverband geworden.605 Somit agierte er in den deutschdeutschen Beziehungen als intermediäre Organisation, die zwischen der bundesdeutschen Umweltpolitik und der Umweltbewegung stand. Nachdem dieser Umweltverband Mitte der 1980er Jahre Kontakte nach Polen geknüpft hatte, geriet nun das direkte Nachbarland in den Fokus. Am 12. Mai 1987
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BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9664, Bericht über den Aufenthalt einer Stipendiatengruppe der HSS der CSU Bayern vom 9. bis 14 Oktober 1988 im Bezirk Rostock, 17. 10. 1988. Vgl. o. V., „Verändern, was Veränderung bedarf “, in: Der Spiegel, Nr. 32, 8. 8. 1988, S. 16– 18. Siehe z. B. zur Zerstörung der Stasi-Akte von Franz Josef Strauß: Finger, Franz Josef Strauß, S. 15; nicht erwähnt bei: Möller, Strauß. Z. B.: BArch, DK 5, Bd. 3272, 2. Seminar der FDJ und der Jungen Liberalen zur „Tragfähigkeit der drei KSZE-Körbe“ und zu Fragen des Umweltschutzes in der DDR und der BRD, München, 16.–20. 3. 1989, Teilbericht, MfUW. Vgl. Franke, 40 Jahre BUND, S. 7–14, in URL: https://www.bund.net/service/publikationen/ detail/publication/die-geschichte-des-bund/ [31. 5. 2022]; zur Rolle Hubert Weinzierls: Hasenöhrl, Zivilgesellschaft, S. 284–295.
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besuchte eine erste Delegation des BUND Dresden. Augenscheinliche Unterschiede zwischen beiden Organisationen, die GNU als staatliche Institution mit Vertretung in der Volkskammer der DDR und der BUND als „Lobbyist“ für Umwelt und Naturschutz außerhalb der Regierung stehend, wurden jeweils zur Kenntnis genommen, um sich dann den inhaltlichen Themen zu widmen. Für bemerkenswert hielt die westdeutsche Delegation jedoch, dass GNU-Mitglieder die untragbare Situation der Luftverschmutzung akzeptierten, bis in 20 oder 30 Jahren eine technische Lösung für das Problem gefunden worden sei.606 Die DDR-Vertreter waren wiederum von der Position der BUND-Leitung beeindruckt, die sich sowohl von eher rechtsstehenden Politikern, insbesondere der CSU, als auch dem eher links stehenden „umweltpolitischen Dilettantismus der ‚Grünen‘“ abgrenzten. Nach Manfred Fiedler fanden beide Organisationen Übereinstimmungen beim Schutz und Erhalt der Umwelt bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum, das nötig war, um die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen, ferner in der Entspannung, die zu militärischer Abrüstung führen und so Mittel für den Umweltschutz freisetzen könnte, und in der „Ablehnung von Ideologien des Konsumverzichts“.607 Von ostdeutscher Seite hieß es danach, der BUND sei eine „seriöse Vereinigung“, „die mit wissenschaftlicher Sachlichkeit an die Umweltfragen herangeht.“ 608 Das Besondere an den Beziehungen BUND – GNU war jedoch die Verhandlung über die Ausstellung des BUND „Grün kaputt – warum? Eine Textsammlung hrsg. von Sigmar Groeneveld“, die im Oktober 1989 in den Klubhäusern des Kulturbunds gezeigt werden sollte.609 Ausstellungsorte und -räumlichkeiten mussten wohlüberlegt ausgesucht werden, weshalb es „Grün kaputt“ hauptsächlich im Norden der DDR zu sehen gab. Neben Berlin und Potsdam waren auch Schwerin, Wismar, Stralsund und Neubrandenburg angedacht.610 Allesamt Orte, die in weniger belasteten Regionen der DDR lagen, weshalb zu erwarten war, dass die Ausstellung nicht allzu große Aufregung unter den Fachleuten, für die sie bestimmt war, hervorrufen dürfte.611 Das MfUW musste seine Zustimmung geben, hatte 606
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Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9392, Radiointerview mit BUND-Delegationsleiterin Ulrike Mehl, Moderator Dietmar Böttcher, DLF, 6.55 Uhr, 20. 5. 1987. Siehe auch BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Bericht über den Aufenthalt einer Leitungsdelegation des „Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.“ (Bund) der BRD in der DDR, 12.–14. 5. 1987, Manfred Fiedler. Siehe zur Kontaktaufnahme über Hiersemann (SPD) Kap. IV.3.1. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Bericht über den Aufenthalt einer Leitungsdelegation des „Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.“ (Bund) der BRD in der DDR, 12.– 14. 5. 1987, Manfred Fiedler. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Schreiben Fiedlers an VEB Energiekombinat Betriebsteil Energieerzeugung Direktor Genossen Müller, 2. 5. 1988. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 8151, Schreiben Manfred Fiedlers an Bernd Lohaus, Bundessekretär des Kulturbunds, 19. 10. 1987; BArch, SAPMO, DY 27, Bd. 10599, Briefwechsel zwischen Manfred Fiedler (KB) und Ingrid Klugstedt (BUND) vom 7.11. und 15. 11. 1988. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9664, Information von Hans-Jürgen Winetzka, Bezirkssekretär für Umwelt und Natur für das Sekretariat des Kulturbundes Rostock, 9. 12. 1988. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 8151, Schreiben Manfred Fiedlers an Bernd Lohaus, Bundessekretär des Kulturbunds, 19. 10. 1987. Umweltengagement wurde im Norden vom Staat unterstützt: Stief, Staatssicherheit, S. 83.
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aber keine Einwände gegen das Projekt. Gemäß dem Grundsatz des Ausgleichs wünschte sich Frank Herrmann jedoch die Erarbeitung einer ähnlichen Ausstellung durch die GNU, um diese beim BUND in der Bundesrepublik zu zeigen.612 Ein zusätzlicher erhoffter Nebeneffekt, den ausgewählte Tafeln der Ausstellung in der DDR haben konnten, war, dass „mancher seine Westreklamewelt von den Autoren angekratzt findet und selbstkritisch Einkehr halten wird.“ 613 Um das zu steuern und die Kontrolle über die Wirkung zu behalten, wurde nicht nur der Rezipientenkreis genau ausgewählt und kleingehalten, sondern nur Teile der Ausstellung übernommen. Beispielsweise wollte der KB zwei Tafeln zum Thema „Der letzte Garten“, jedoch ohne diejenige mit dem Titel „Die letzte Deponie“. Zu heikel war das Thema des Müllimports in den Jahren 1988/89 für das Regime geworden.614 Die GNU wählte jene 104 Tafeln, die für die DDR von Interesse waren, bei ihrem Gegenbesuch in der Bundesrepublik im Juli 1988 in Dinkelsbühl aus.615 Der erste Besuch der DDR-Naturschützer im Westen wurde vom BUND euphorisch gepriesen: „Das war ein Meilenstein in der Geschichte des Umweltschutzes und ein Ereignis von politikhistorischer Bedeutung.“ Nachdem der BUND nun den Durchbruch geschafft habe, könnten auch andere Verbände nachziehen.616 Auch änderte die GNU ihre Taktik und öffnete sich jenen Gruppen, „die sich bisher durch eng spezielle und spektakuläre Aktionen hervortaten (etwa Greenpeace, Gruppen der Grünen).“ 617 Greenpeace und die Grünen verfolgten jedoch ganz andere Interessen, als sich mit der GNU auszutauschen, nämlich den Kontakt zu den unabhängigen Umweltgruppen in der DDR herzustellen. Unabhängiges Netzwerken und Agieren — Die Grünen, die Arche, die Umweltbibliothek und Greenpeace
Die alternative Umweltbewegung der DDR war, wie an anderer Stelle bereits dargelegt, nicht besonders groß, zählt man die in der GNU Engagierten nicht mit. Von diesen geschätzt maximal 1500 Aktiven widmeten sich wiederum eher wenige
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Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Schreiben Frank Herrmann (MfUW) an Manfred Fiedler, 5. 10. 1987. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Hs. Notiz, Autor unbekannt, an Bernd Lohaus, o. D. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 10599, Schreiben von Manfred Fiedler (KB) an Ingrid Klugstedt (BUND), 7. 11. 1988. Vgl. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Ausstellung „Grün kaputt“, Schreiben Manfred Fiedlers an Ulrike Mehl, 26. 1. 1988; und die Direktive für die Reise der Genossen Harald Thomasius, Manfred Fiedler, Achim Soldmann und des Bundesfreundes Dr. Klaus-Dietrich Gendert vom 27. Juni bis 1. Juli 1988 nach Bonn, BRD. BArch-SAPMO, DY 27, Bd. 9151, Erstmals Delegation eines DDR-Umweltverbands in der Bundesrepublik, Presseinformation 390/18. 7. 1988, eingegangen 25. 7. 1988. Siehe auch Stefan Lux, Deutsch-deutscher Meilenstein. Erstmals Besuch von DDR-Umweltschützern beim BUND, in: Natur und Umwelt 4/88, (Ausgabe Bayern), S. 6. AGG, B.II.1., Bd. 1008, Informationsbüro West (IWE), DDR-Umweltgesellschaft an Zusammenarbeit mit westlichen Organisationen interessiert, Nr. 92, 21. 6. 1988.
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dem Austausch mit dem Westen. Welchen Umfang das hatte, ist schwer zu sagen. Auch blieb, obwohl sich Ende der 1980er Jahre die Besuche mehrten, der asymmetrische Austausch von West nach Ost zwischen den unabhängigen Umweltgruppen in den Kirchen der DDR und westdeutschen Akteuren eine recht einseitige Beziehung. Dennoch war sie für die weitere Entwicklung wichtig. Die Westgruppen und vor allem Die Grünen brachten nicht nur Geld und Sachspenden ein, sondern auch kulturelles Kapital wie den Zugang zu Medien, Öffentlichkeit, Wissen und Informationen der Bundesrepublik. Oftmals gelang es nur dank der Transferleistungen und indem die Gruppen die Öffentlichkeit der Bundesrepublik suchten, größere Aufmerksamkeit auch in der DDR herzustellen.618 OstWest-Kontakte, gerade außerhalb des politisch etablierten Spektrums, waren in ihrer Interaktion durch Probleme wie Misstrauen, Unwissen und Unverständnis belastet – ein generelles Charakteristikum von Umweltbewegungen in Ost und West. Denn eine verstärkte Vernetzung erhöhte das Maß an Spannungen zwischen ihnen.619 Die sicherlich bekanntesten Ost-West-Kontakte sind diejenigen einzelner Grüner zur Umweltbibliothek in Ost-Berlin. Ihre Verbindungen zu einigen Mitgliedern der Umweltpartei brachten den Ostdeutschen hauptsächlich Bücher und Druckerschwärze für die Wachsmatritzen ein, womit die „Umweltblätter“ hergestellt werden konnten.620 Im Café der Bibliothek, das nicht kommerziell betrieben werden durfte und deshalb „Galerie“ genannt wurde, lag die neueste in der DDR erhältliche, aber immerhin schon zwei Wochen alte „taz“ aus.621 Mitglieder der Grünen und der Umweltbibliothek waren sich zwar in vielem „grün“, doch gab es auch unterschiedliche Auffassungen und Gewichtungen des politischen Alltags zwischen Ost und West, beispielsweise in Fragen der Deutschlandpolitik. Forderten viele der Grünen die völkerrechtliche Anerkennung der DDR, so stellte sich in einem Gespräch in der Umweltbibliothek zum Beispiel schnell heraus, dass es dazu in den einzelnen DDR-Kreisen noch keine Meinungsbildung gab.622 Weder das Thema Wiedervereinigung noch völkerrechtliche Anerkennung der DDR standen bei den unabhängigen Umweltgruppen im Vordergrund. Das war für sie keine Frage von Relevanz und keine, die sich ihnen generell stellte. Auch schien der Marxismus allgemein für die westdeutsche Umweltbewegung weit wichtiger zu sein als für die ostdeutsche.623 Eine inhaltliche Zusammenarbeit mit der Partei ließ sich schwer an, was neben den Einreisebeschränkungen ebenfalls an einer zu
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Vgl. Kirchhof, Structural Strains, S. 92; Klein, Politisierung, S. 181. Vgl. Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 137. Vgl. Rüddenklau, Störenfried, S. 69, 96 f.; Neubert, Opposition, S. 637 f. Keine regelmäßige, institutionelle Unterstützung bei Neumann, Was war, war wenig und viel, S. 87. Vgl. Rüddenklau, Störenfried, S. 105; Jordan, Akteure, S. 54, Anm. 7. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 164, Teil 2, Protokollnotiz der Klausurtagung der Arbeitsgruppe Deutsch-deutsche Beziehungen vom 25. 9. 1987, mit u. a. Karitas Hensel, Wilhelm Knabe, Reinhard Loske, Wolfgang Helm, Anne Dietrich, Jürgen Schnappertz, Peter Sellin. Vgl. Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 136.
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kurzfristigen Einladungspraxis der DDR-Gruppen sowie an dem Verhalten einiger Grüner lag, in der „grauen DDR“ auf „Polit-Safari“ zu fahren.624 Die Umweltbibliothek wurde zu einem bekannten Knotenpunkt der DDR-Umweltszene und vielleicht gerade auch deshalb zu einem der konfliktreichsten. Die Form der Organisation ostdeutscher Gruppen prägte auch die Art ihrer Kommunikation. Lokale Basisdemokratien erforderten andere Herangehensweisen als überregionale Netzwerke, die nicht ohne Kritik blieben. Kurz nach dem „Überfall“ des MfS im November 1987 auf die Umweltbibliothek wurden Stimmen lauter, eine Art Umweltbund aufzubauen, aus heutiger Sicht vielleicht ähnlich der Struktur des BBU. Für die Initiatoren, unter ihnen Carlo Jordan, sollte diese Art der Organisation eine „dritte Säule“ neben Umweltbibliothek und den „Umweltblättern“ sein. Fehlende basisdemokratische Entscheidungsgrundlagen, das Misstrauen gegen zentrale Dachorganisationen und parteiähnliche Strukturen führten jedoch dazu, dass es zum Bruch kam. Im Januar 1988 gründete sich deshalb das „grün-ökologische Netzwerk Arche“ nach Vorbild der dänischen Gruppe NOAH und des osteuropäischen Netzwerks ökologischer Gruppen „Greenway“. Der Zwist zwischen Umweltbibliothek und Arche führte im Februar 1988 aber zu einem Unvereinbarkeitsbeschluss.625 Der Arche schlossen sich etwa 30 Umweltgruppen an, die über dieses Netzwerk Kontakte und Informationen erhielten. Auch gab es in jedem DDR-Bezirk Dependancen der Arche.626 Es dauerte nicht lange und das Netzwerk gab seine eigene Zeitschrift heraus, die „Arche Nova“. Diese konzentrierte sich auf ökologische Brennpunkte im Land und wurde wohl sogar im MfUW gelesen. Die erste Ausgabe handelte von den ökologischen Missständen rund um die Chemiekombinate im Raum Bitterfeld. Neben Friedens-, Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen formierte sich auch die Gruppe der „Ausreiser“. Andere unabhängige Gruppen mieden diese jedoch eher, da sie mit ihrem Ziel, das Verlassen des Landes, das System nicht verändern wollte. Für die Arche stellte sie allerdings eine wichtige Ressource dar. Unter den Ausreisern gab es kompetente Fachleute, die nicht nur Artikel der „Arche Nova“ bereichern, sondern vom Westen aus weiterhin Hilfe leisten konnten.627 Diesem Kreis ist es letztlich zu verdanken, dass über bestehende Kontakte zur West-Journalistin Margit Miosga der berühmteste Film über ostdeutsche Umweltvergehen entstand: „Bitteres aus Bitterfeld“, eine 30-minütige Dokumentation des sorglosen Umgangs mit chemischen Abfallprodukten und ihrer Entsorgung auf ungesicherten Müllkippen oder in die Gewässer. Gedreht wurde während des End624 625
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Reinhard Schult, „Grüner Neokolonialismus“ [vmtl. 1986], Entwurf eines Briefes an den Bundesvorstand der Grünen zit. n. Klein, Politisierung, S. 182. Vgl. Mitteilung über den Unvereinbarkeitsbeschluss von Umweltbibliothek und Arche, bzw. der Verfolgung verschiedener Ziele beider Gruppen, in: Umweltblätter, 12. 2. 1988, S. 334. Vgl. Jordan, Greenway, S. 34–44. Vgl. Jordan, Akteure, S. 40, 54. Vgl. ebenda, S. 43–45, 51–53; und Arche Nova 1, 1. 7. 1988, Bitterfeld, S. 186–236, in: Jordan/ Kloth, Arche Nova; siehe zu den Spannungen auch Klein, Politisierung, S. 382–390.
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spiels der Fußball-Europameisterschaft Sowjetunion gegen die Niederlande. Die Beteiligten spekulierten damit, dass alle vor den Fernsehgeräten saßen, sodass die Dreharbeiten niemandem auffielen.628 Am 27. September 1988 zeigte das Fernsehmagazin „Kontraste“ (ARD) den Film. Über das Westfernsehen sahen dadurch nicht nur Westdeutsche die Umweltzerstörung in der DDR, sondern erstmals in diesem Ausmaß auch die Ostdeutschen. Das DDR-Fernsehmagazin für Wanderfreunde „Tippeltips“ versuchte sofort gegenzusteuern, indem es eine eigene Sendung zu Bitterfeld und den rekultivierten Tagebauen ausstrahlte.629 Die Filme über die Umweltverschmutzung in der DDR dienten somit einerseits als Kontrastfolie für Westdeutsche und andererseits als Informationsquelle für Ostdeutsche und verstärkten insgesamt das Bild des eingangs erwähnten bundesdeutschen „Saubermanns“ und ostdeutschen „Schmutzfinks“.630 In den DDR-Umweltgruppen gab es zum Film einerseits Zuspruch, andererseits aber auch die Kritik, leichtsinnig durch die Westmedien die Menschen in den Öko-Gruppen und ihre Arbeit gefährdet zu haben. Auch das KFH lehnte den von der Arche angestrebten Netzwerkgedanken rundheraus ab. Es sah in der Arche eher einen Konkurrenten. Hans-Peter Gensichen schaltete sich deshalb ein und forderte die Arche-Mitglieder auf: „Und davon, daß sie [die Arche] ‚das Netzwerk…‘ sei, kann nicht im Traum die Rede sein. […] Alles andere ist unnötig und bringt – außer Stoff für Westmedien und Sicherheitsbehörden – nur Verunsicherung, Verhärtung, Störung, Konfrontation, Lähmung in die kirchlichen Umweltgruppen hinein. Hört auf damit! Werdet eine (oder sechs) ganz normale Umweltgruppe(n). Als solche habt ihr genug zu tun! Laßt Euren Vernetzungs- und Vorreiteranspruch. Er ist unzutreffend, verletzend und anmaßend. […] aber ihr werdet nicht zur Organisation einer DDR-weiten Grünen Bewegung gebraucht.“ 631
Konkurrenzdenken, Misstrauen und religiöse Aspekte (Christentum versus Berliner Atheismus) mischten in der Ablehnung der Arche genauso mit wie die Tatsache, dass regional starke Umweltgruppen in Dresden, Leipzig und Wittenberg sich nicht von Ost-Berlin bevormunden lassen wollten – nicht von der Staatspartei und nicht von einem in ihren Augen parteiähnlichen Netzwerk. Der darüber hinaus formulierte Vorwurf fehlender Basisdemokratie in der Struktur der Arche hatte jedoch auch etwas mit der Existenz in der Diktatur zu tun: Schließlich konnten konspirative Aktionen, wie beispielsweise der Dreh des Bitterfeld-Films, nicht
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Vgl. „Das war Bitteres aus Bitterfeld“, Ein Dokumentarfilm von Rainer Hällfritzsch, Ulrike Hemberger, Margit Miosga, MDR, 2005, 45 Minuten. Siehe auch Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt (Hrsg.), Protokoll „Bitteres aus Bitterfeld“, Kontraste-Sendung vom 27. 9. 1988, Dokumente in URL: https://landesarchiv.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_ und_Verwaltung/MI/LHA/externa_alt/89_06/8990_Juni_Umwelt_3.htm [27. 5. 2022], Stief, Staatssicherheit, S. 334–345. Vgl. Rosenthal, Kein Schweigen, S. 141. Ähnliche Gegendarstellung auch bei der Publikation der Untergrundschrift „Pechblende“ zum Uranbergbau: Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 138. Vgl. Eckert, Geteilt, S. 70, 90. RHG, KFH, Bd. 35, Brief von Hans-Peter Gensichen an Vollrad Kuhn, 2. 12. 1988; und siehe auch Brief von Vollrad Kuhn an Peter Gensichen, 24. 1. 1989.
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basisdemokratisch mit großer Mitwisserschaft beschlossen werden. Hinzu kam neben der regional unterschiedlichen ökologischen Belastungssituation auch eine von Bezirk zu Bezirk variierende Intensität der Repression durch die Staatssicherheit. Was in der Hauptstadt der DDR bereits möglich war, wurde anderswo noch hart bestraft.632 Hier spielten womöglich die Nähe Ost-Berlins zum Westen einerseits als auch der Zusammenhang zwischen ökologischen Problemen und wirtschaftlichen Industriezentren im ländlicheren Süden andererseits eine Rolle. Die westliche Medienarbeit war auch innerhalb der Arche selbst umstritten. Somit wurde den Mitgliedern eigentlich von allen Seiten Profilierungssucht und Gewinnstreben vorgeworfen. Die Arche war die einzige Umweltgruppe, die über befreundete Westdeutsche und „Ausreiser“ einen eigenen Ableger in West-Berlin hatte. Das schlechte Gewissen der Ausgereisten, die anderen in der DDR „im Stich gelassen“ zu haben, wirkte motivierend, sich weiterhin für Mensch und Umwelt in der DDR zu engagieren. Neben Reisebeschränkungen und der Beschattung durch die Staatssicherheit war jedoch auch die sogenannte „Mauer in den Köpfen“ ein Hindernis bei der Zusammenarbeit zwischen Arche Ost und West. Für jene, die nun in der Marktwirtschaft lebten, waren die Filme wichtiges Material, das sowohl über die Umweltverschmutzung in der DDR informierte als eben auch das notwendige Geld für weitere Materialien einbrachte. Das stieß oftmals auf Unverständnis bei der Arche im Osten, der es vor allem darum ging, das ostdeutsche Netzwerk aufzubauen. Das Erscheinen der „Arche Nova“ und Seminare in der Provinz waren zur Vernetzung und Information wichtiger als Filme und wichtiger als es die westlichen Mitstreitenden wahrhaben wollten.633 Kamen die Grabenkämpfe zwischen Ost-Berlin und den ostdeutschen Regionen im Westen als „kleinlich“ herüber, so trafen DDR-Bürger im Westen wiederum auf Ignoranz, Desinteresse und mangelndes Wissen über die DDR.634 Diese Probleme betrafen nicht nur die Arche. Noch 1987 behauptete das MfS, dass die Greenpeace-Aktivisten die kirchlichen Umweltgruppen nicht für greenpeacetauglich hielten, da diese „die Probleme des Umweltschutzes nur zu ihrer eigenen Profilierung nutzen wollen“.635 Das heißt nicht, dass Greenpeace diese Auffassung tatsächlich vertrat, zumal die Organisation im gleichen Jahr auch Kontakte zum Dresdener Arbeitskreis knüpfte. Zusammenfassend lässt sich der Kern des Konflikts damit beschreiben, dass insbesondere in Ost-Berlin die Umweltproblematik weiter und systemrelevanter aufgefasst wurde als anderswo und dies der praktischen Umweltarbeit, wie sie vor allem regionale Gruppen und teilweise auch Greenpeace vertraten, entgegenstand. 632 633 634 635
Vgl. Jordan, Akteure, S. 49; De Haas, „Blick auf Berlin“, S. 17–19; Behrens, Umweltbewegung, S. 333. Vgl. Cooper, „Arche Berlin-Brandenburg (West)“, S. 107 f.; Hieke, Abwanderung oder Widerspruch?, S. 120. Vgl. Cooper, „Arche Berlin-Brandenburg (West)“, S. 100–102, 106 f. BArch, MfS, BV Berlin, AG XXII, Nr. 281, Bl. 67–72, hier Bl. 70, Zusammenfassende Information zu bekanntgewordenen Aktivitäten der Umweltschutzorganisation ‚Greenpeace‘ in der DDR, Arbeitsgruppe XXII, 16. 6. 1987.
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Greenpeace intensivierte indes seine Verbindungen in den Osten. Ende 1986 organisierten Greenpeace-Aktivisten und die Umweltbibliothek beispielsweise gemeinsame Vorträge zum Thema Umweltverschmutzung in Ost- und Nordsee. 1987 erhielt die Arche einen Luftmesskoffer und einen Chemiekasten, der Tests zur Überprüfung von Gewässerbelastungen enthielt.636 Im Rahmen ihrer Wasserkampagne 1986/87 sammelte Greenpeace zudem mit Hilfe von DDR-Bürgern Wasserproben. Die Ergebnisse verteilte die westdeutsche Umweltorganisation über Flugblätter in Dresden. Dort entrollten ihre Mitglieder Ende 1987 auf der Dimitroff-Brücke auch das Transparent „Umweltschutz ist grenzenlos. Dresden – Hamburg – Nordsee, Wasser ist Leben“. Damit protestierte sie hauptsächlich in Richtung der Regierenden im Westen und forderten diese auf, die DDR an der zweiten Nordseeschutzkonferenz in London teilnehmen zu lassen. Diese unangekündigte und nicht verabredete Unterstützung der Dresdner Umweltgruppen durch Greenpeace kam für den sächsischen Umweltschützer Michael Beleites überraschend. Die Regenbogenkämpfer aber setzten damals auf direkte Aktionen, an denen kein DDR-Bürger „an der Front“ beteiligt war.637 Greenpeace entwickelte – ähnlich wie Die Grünen – eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite führte die Organisation weiterhin unangemeldet Aktionen durch und versuchte die Schadstoffbelastung in der DDR in Erfahrung zu bringen, wofür sie langfristig doch DDR-Bürger für ihre Aktionen einplanen wollte. Auf der anderen Seite beabsichtigte sie – laut MfS seit 1987 – ein Büro in der DDR zu eröffnen, weshalb ihr manch einer wohlfeiles Verhalten vorwarf. Ein solches hatte Greenpeace bereits im Herbst 1988 in Moskau und auch in der Volksrepublik Ungarn einrichten können,638 für die DDR gelang es ihr erst im Januar 1990.639 Dieser Balanceakt und das etwas von den Grünen abweichende Verhalten, zeigten sich in der einzigen mit Hilfe von DDR-Bürgern abgelaufenden Handlung: Im Frühjahr
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Vgl. Bastian, Greenpeace, S. 26 f.; Voigt, Interview, S. 56 f. Siehe auch BArch, MfS, BV Bln AG XXII, Bd. 281, Bl. 67–72, hier Bl. 67 f., Zusammenfassende Information zu bekanntgewordenen Aktivitäten der Umweltschutzorganisation ‚Greenpeace‘ in der DDR, Arbeitsgruppe XXII, 16. 6. 1987; Analysebefund der am 23. April 1988 gezogenen Wasserproben, in: Arche Nova 1, 1. 7. 1988, in: Jordan/Kloth, Arche Nova, S. 201. Vgl. Bastian, Greenpeace, S. 20, und Jütting, Interview, S. 41–44. Siehe auch BArch, MfS, HA IX, Bd. 10362, Bl. 117 f., Gespräch mit Ingrid Jütting von „Greenpeace“ über ihre Aktion in Dresden, 16. 11. 1987, SFB II, 6.12 Uhr „Bericht“ Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, Berlin den 16. 11. 1987; D. Guratzsch, Greenpeace konnte in Dresden demonstrieren, in: Die Welt, 16. 11. 1987, S. 4; Beleites, Dicke Luft, S. 207. Vgl. BArch, MfS, HA KuSch, Bd. 364, Bl. 249–261, hier Bl. 252 f., Rückflußinformation zur weiteren Qualifizierung der Führung, Leitung und Organisation der politisch-operativen Abwehrarbeit bei der schwerpunktbezogenen Aufklärung und vorbeugenden Verhinderung subversiver Handlungen von ‚Greenpeace Deutschland e.V.‘ gemäß GVS MfS 0008 4/85 des Ministers, MfS, HA XVIII, 22. 2. 1989; o. V., „Wir brauchen eine grüne Internationale“, in: Der Spiegel, Nr. 44, 31. 10. 1988, S. 50–59. Vgl. zum Greenpeace-Büro in der DDR u. a. BArch, MfS, BV Berlin, AG XXII, Bd. 281, Bl. 62–64, hier Bl. 62, Eröffnungsbericht zur OPK „Wald“, Arbeitsgruppe XXII, 10. 6. 1987; Jütting, Interview, S. 43. Vgl. Greenpeace-Büro in DDR?, in: ND, 12. 1. 1990, S. 1; Greenpeace jetzt auch bei uns, in: Neue Zeit, 27. 1. 1990, S. 1; Greenpeace in der DDR gegründet, in: taz, 26. 2. 1990, S. 1.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
1989 wurde Siegbert Schefke von dem unfreiwillig aus der DDR ausgebürgerten Roland Jahn kontaktiert, ob er bereit wäre, bei einer von Greenpeace organisierten Aktion in der DDR zu helfen. Es handelte sich um 12 000 von der Umweltorganisation vorbereitete Briefe, die es an die DDR-Bevölkerung zu verschicken galt. Die fertige Postwurfsendung brachte eine Grünen-Politikerin, die diplomatische Immunität besaß, in die DDR. Schefke sorgte für die Briefmarken und helfende Hände sowohl aus der Umweltbibliothek als auch aus der Arche. Einer der Helfer war jedoch Falk Zimmermann, der als IM die Arche für die Staatssicherheit ausspionierte. Dadurch konnte das MfS einen Teil der Postsendung abfangen.640 Der Text der Postkarte, die an den Staatsrat der DDR geschickt werden sollte, lautete: „Ich unterstütze die Forderung von Umweltminister REICHELT, daß jeder Bewohner unseres Landes eine Verpflichtung zur Erhaltung der Umwelt hat und schlage als wichtigste Sofortmaßnahmen vor: Investitionen in Entschwefelungsanlagen, Offenlegung aller umwelt- und gesundheitsrelevanten Daten, Intensivierung von Energiesparmaßnahmen durch ernsthafte internationale Kooperation, Erhöhung des Anteils an Importsteinkohle und Ausbau des Versorgungsnetzes für bleifreies Benzin, das auch für den Markt der DDR erhältlich sein muß – Datum, Unterschrift.“ 641
Des Weiteren informierte Greenpeace die Empfänger ihrer Post über Luftverschmutzung und Waldsterben sowie dahingehend, dass die Einforderung von Informationen über beides erlaubt sein müsse. Die ARD strahlte in den Tagesthemen zusammen mit der Meldung über den Vorgang ein selbstgedrehtes Video zum Waldsterben in der DDR aus.642 Etwa 6000 bis 7000 Postkarten, also die Hälfte des in die DDR geschmuggelten Gesamtpakets, fanden ihren Weg zu den DDRBürgern, und Greenpeace erhielt, wie in ihrem Schreiben angeregt, zahlreiche Anrufe und Briefe.643 Auch Umweltminister Reichelt erhielt Post von Greenpeace, jedoch war sie von einer etwas anderen Art: Einen Monat nach der Postkartenaktion hoffte die Umweltschutzorganisation, die Sendeaktion sei nicht als „Provokation“, sondern als „Gesprächsangebot“ aufgenommen worden. Sie bat fast demütig um ein informelles Gespräch mit dem Minister, um sich selbst fortzubilden und ihre Kenntnisse zur Verfügung zu stellen: „Wir möchten uns nicht anmaßen, in diesem deutsch-deutschen Verhandlungsgeschäft z. B. über Kompensationsgeschäfte u[nd] dergl[eichen] eine Vermittlerrolle zu spielen, aber vielleicht können wir doch über unsere Kenntnis der hiesigen Situation mit den uns zur Verfügung stehen-
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Vgl. Schefke, 20 000 Briefe, S. 52–55; Cooper, „Arche Berlin-Brandenburg (West)“, S. 105 f. Siehe auch: Greenpeace schreibt an DDR-Bürger, in: taz, 23. 5. 1989, S. 2; BArch, MfS, HA VIII, Bd. 1714, Bl. 97–101, hier Bl. 98, Information über öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der Umweltorganisation ‚Greenpeace‘ im Zusammenwirken mit Kräften des politischen Untergrundes der DDR, Hauptabteilung XVIII, 12. 5. 1989, Nr. 173/89. BArch, MfS, HA VIII, Bd. 1714, Bl. 63–71, hier Bl. 70, Monatsübersicht über die politischideologische Diversionstätigkeit gegnerischer Funkmedien gegen die DDR (Berichtszeitraum: Mai 1989), Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, 14. 6. 1989. Vgl. ebenda, Bl. 70 f. Vgl. Cooper, „Arche Berlin-Brandenburg (West)“, S. 105 f.
4. Deutsch-deutsche Umweltpolitik konkret
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den Mitteln auch in dieser Richtung für eine Beschleunigung sorgen, die Ihnen bei Ihren Bemühungen sicher nicht ungelegen wäre.“ 644
Was aus diesem Gesprächsangebot wurde, ließ sich nicht ermitteln, vermutlich wurde es zunächst ignoriert. Diese Doppelstrategie, bestehend sowohl aus konfrontativem als auch kooperativem Auftreten, war typisch für NGOs.645 Greenpeace und seine eher provokativen Aktionen avancierten zum Vorbild und fanden teilweise ab 1988/89 auch Nachahmer in der DDR. So hing am 5. Juni 1989, dem Weltumwelttag, über der Saale ein Transparent mit der Aufschrift „Wir haben diese Erde nicht geerbt, sondern von unseren Kindern nur geliehen“. Einige Hallenser schrieben die Aktion Greenpeace zu. Das eigentlich dafür verantwortliche „Blattwerk“ empfand dieses Missverständnis als Schmeichelei und Ritterschlag und resümierte: Mit ihren Aktionen hatte „Greenpeace [im Westen und im Osten, Redaktion des Blattwerks] mehr Erfolg und Zuspruch als jede andere Gruppierung ihrer Art“.646 Die große Öffentlichkeit, die Greenpeace erzeugte, und das Beibehalten direkter Aktionen, generierten letztlich den Mythos, die Greenpeacer seien die einzig wahren Umweltkämpfer auch für den Osten gewesen. Andere Gruppen und Verbände mit anderen Strategien und Kontaktpartnern konnten ihr Wirken nicht so eindrucksvoll sichtbar machen, waren zur falschen Zeit am falschen Ort (BBU), wirkten wegen der Repressionen durch das Regime diskreter im Hintergrund oder fokussierten sich auf „langweilige“ Fakten,647 mit denen kein Publikum gewonnen werden konnte.
4.3 „BRD — DDR“ und die Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche Im Jahr 1988 gründete sich in West-Berlin eine Gruppe namens „BRD – DDR“: „Bloß Rüber Damit – Dreck Dankend Retour“. Ihren Mitgliedern ging es um das Müllgeschäft und um Solidarität mit den ostdeutschen Umweltgruppen, weshalb sie auf der Westseite zweimal versuchten, Müllexporte, die in die DDR gingen, zu verhindern.648 Die Vorgänge um den Abfallexport aus der Bundesrepublik – dieses Mal nach Schöneiche bei Berlin – konstituierte eine „Ost-West-Interessenkoalition“ 649 und verdeutlichen wie kein anderes Beispiel Ende der 1980er Jahre, wie einerseits das Selbstbewusstsein und die Vernetzung der Umweltgruppen ge-
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BArch, DK 5, Bd. 5576, Greenpeace Deutschland, i. A. Wolfgang Lohbeck, an Minister Hans Reichelt, 21. 6. 1989. Vgl. Take, NGOs im Wandel, S. 44. RHG, PS 23/09, Greenpeace anerkannt?, in: Blattwerk (Halle) 9/89. Zur Präsentation langweiliger Fakten im Vergleich zu Greenpeaces Brent-Spar-Aktion, vgl. Radkau, Ära, S. 358. Vgl. RHG, Opposition RG, B 1–24, Bl. 114, Bloß Rüber Damit – Dreck Dankend Retour (BRD – DDR), Brief der Gruppe an die Umweltbibliothek, i.A. M. S. und G. F., o. D. [vmtl. Juni 1989]. Vgl. Klein, Politisierung, S. 397 f., Zitat S. 397.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
wachsen waren und andererseits der SED-Staat bereits ins Straucheln geriet. An ihm lässt sich ein doch eher ungewöhnliches Konglomerat aus Medien, Aktivismus, Politik und deren „ökologischer Verflechtung“ ablesen. Im Februar 1990 wurde in der Nähe der Mülldeponie Schöneiche bei Berlin eine vom West-Berliner Senat mit etwa 70 Mio. DM finanzierte Sondermüllverbrennungsanlage (SMVA) in Betrieb genommen. Bereits am 12. Januar 1988 sendete das ARD-Magazin „Kontraste“ über deren Planung einen Beitrag und löste damit eine technische Debatte und oppositionellen Zorn in Ost und West aus. Die Umweltbibliothek sah sich zu einem offenen Brief an den West-Berliner Umweltsenator Jürgen Starnick veranlasst, der im März 1988 in den „Umweltblättern“ veröffentlicht wurde: „Mit Ihrer Zusage zum Bau, speziell der Nutzung der SMVA Schöneiche, 20 km südlich von Berlin, haben Sie der deutsch-deutschen Zusammenarbeit im Umweltschutz einen schlechten Dienst erwiesen. Die Summe der Übertretungen in rechtliche Grauzonen legt den Schluß nahe, daß eine solche Anlage in Berlin-West offenbar nicht zu errichten ist. Genau darauf aber zielt Bundesumweltminister Töpfer, wenn er sagt, solche Anlagen ‚nicht dort zu errichten, wo die Leute nicht dagegen protestieren können‘. […] Wenn Sie aber der DDR Ihren Müll verkaufen, liefern Sie bitte schön die dazu erforderliche Umwelttechnik mit und verlangen Sie den Nachweis der ordnungsgemäßen Versorgung.“ 650
Starnick bewertete die Intervention der Umweltbibliothek zwar durchaus als berechtigt, kritisierte jedoch die ungenaue Recherche der Umweltbibliothek über das Magazin „Kontraste“. Und der Senator für Verkehr und Betriebe Edmund Wronski beanstandete nach einem zweiten Beitrag der Sendung Ende 1988: „…die Sendung des SFB [Sender Freies Berlin], die Fernsehsendung, werden nicht nur bei uns gesehen, sondern auch natürlich im weiten Feld der DDR. Und hier beginnt eigentlich das große Unheil, denn es gibt auch dort engagierte Umweltschutzinitiativen, die sich auf vermeintliche Objektivität unserer Darstellung in Wort und Ton und Bild verlassen und sich auf diese Weise in eine sehr üble Situation begeben könne[n] [sic!].“ 651
Mit der Objektiviät bezog sich Wronski auf Streitigkeiten zwischen den Senatoren und der Kontraste-Redaktion um einen gefälschten Brief, der im Beitrag gezeigt wurde, sowie die Nutzung von ostdeutschem Filmmaterial über die Mülldeponie Röthehof (DDR), die vom Magazin anscheinend als Deponie Vorketzin vorgestellt wurde, die den West-Berliner Sondermüll aufnahm.652 Die giftigen und explo-
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Neue Verdienste um den deutsch-deutschen Umweltschutz: die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche, in: Umweltblätter, 12. 2. 1988, S. 363–365, hier S. 364; ähnlich bei Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 822. Vgl. zur Eröffnung der MVA für West-Berliner Altöl, Lösungsmittel und andere Sonderabfälle: Schöneiche nimmt Probebetrieb auf, in: Neue Zeit, 20. 2. 1990, S. 2. RHG, Th 2/9, Bl. 81–89, Bl. 82, SenRef 2, Mitschrift des Radio-Senders 100,6 vom 4. Januar 1989, 5. 1. 1989; ähnlich auch: Bl. 7–25, hier Bl. 25, Naß oder trocken? Behauptungen und Fakten über den Stand der Rauchgasreinigung bei Sondermüllverbrennungsanlagen, Martin Irion, Landwirtschaft und Umwelt, 24. 1. 1988, RIAS I 6.35–7.15. Vgl. RHG, Th 2/9, Bl. 81–89, Bl. 83, SenRef 2, Mitschrift des Radio-Senders 100,6 vom 4. Januar 1989, 5. 1. 1989. Ähnliche Kritik an solcher Sendung von Michael Beleites in: „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/1, S. 1612; siehe auch Stief, Staatssicherheit, S. 335.
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siven Stoffe, die im Film der Korrosion ausgesetzt waren, konnten also nicht, wie von Kontraste offenbar fälschlicherweise dargestellt, dem innerdeutschen Müllgeschäft angelastet werden. Hier muss zwischen den Vorwürfen der Umweltschützer, den Kontraste-Sendungen und den Angaben der Politiker genau differenziert werden. Der Sachverhalt schien folgender: Die Anlage in Schöneiche sollte mit einem Quasi-Trockenverfahren zur Rauchgasentschwefelung ausgestattet werden. Auf die Errichtung der Anlage einigten sich West-Berliner Senat und DDR 1985 als Bestandteil des noch immer geltenden Langfristvertrags.653 Ein Jahr später regelte die westdeutsche TA Luft, dass müllverbrennende Anlagen den Schadstoffausstoß reduzieren mussten. Von einer Bund-Länder-Kommission wurde auf Empfehlung des UBA 1987 die Nasswäsche zum Stand der Technik erklärt.654 Darauf bezogen sich Umweltschützer und Kontraste-Redaktion und schlussfolgerten, der Senat lasse der DDR nur die billige, ausgesonderte Technik zukommen. Eine solche Anlage wäre, wie die „Umweltblätter“ resümierten, in West-Berlin wohl nicht denkbar.655 Und genau hier lagen sie falsch. Der West-Berliner Senat debattierte in den 1980ern über eine zweite Müllverbrennungsanlage. Mit dem Aufkommen der Dioxin-Angst zu Beginn der 1980er Jahre war sie zunehmend schwieriger durchzusetzen. Die Anti-Müllverbrennungsanlagen-Bewegung schien die Anti-Atomkraft-Bewegung gegen Mitte/Ende der 1980er Jahre abzulösen, denn auch eine Müllverbrennungsanlage ist ein „chemischer Reaktor, der unbekannte Chemikalien erzeugt und emittiert. Verbrennung bedeutet nie Vernichtung, sondern Umsetzung von Stoffen.“ 656 1984 entschied der Senat, die Müllverbrennungsanlage in Ruhleben mit 16 Schadgasreaktoren zur Abgasreinigung nachzurüsten. Die Verwaltung genehmigte damals das im Vergleich zur Nasswäsche „kostenintensivere“, also teurere Trockenverfahren. Bis 1984 gab es solche Genehmigungen nur in Ausnahmefällen, weil die beim Trockenverfahren anfallenden Rückstände nicht verwertbar waren und der generelle Entschwefelungsgrad geringer war als bei der Nasswäsche. Für den West-Berliner Senator für Betriebe Wronski war jedoch ausschlaggebend, dass die Handhabung der Rückstände weniger problematisch sei.657 Das Nassverfahren benötigte jedoch Wasser,
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Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1374, Bl. 1028–1032, Vorschlag zur Errichtung einer SonderabfallVebrennungsanlage für die schadlose Beseitigung von Abfallstoffen aus Westberlin, Reichelt an Mittag, 16. 9. 1985; Neue Verdienste um den deutsch-deutschen Umweltschutz: die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche, in: Umweltblätter, 12. 2. 1988, S. 363–365, hier S. 363. Vgl. Park, Müllkippe zur Abfallwirtschaft, S. 189; Gespräch der Autorin mit Frank Herrmann am 22. 9. 2020. Vgl. Neue Verdienste um den deutsch-deutschen Umweltschutz: die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche, in: Umweltblätter, 12. 2. 1988, S. 363–365, hier S. 363; RHG, Th 2/ 9, Bl. 7–25, hier Bl. 15, Naß oder trocken? Behauptungen und Fakten über den Stand der Rauchgasreinigung bei Sondermüllverbrennungsanlagen, Martin Irion, Landwirtschaft und Umwelt, 24. 1. 1988, RIAS I 6.35–7.15. Grassmuck/Unverzagt, Müll-System, S. 175. Vgl. Park, Müllkippe, S. 186–188.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
das dann wiederum einer zusätzlichen Aufbereitungsanlage bedurfte. Dieses Verfahren konnte deshalb auch nicht im Interesse der DDR sein, die angesichts des angespannten Wasserhaushalts nach trockenen, wassersparenden Methoden suchte. Ende der 1980er Jahre nutzten die ostdeutschen Betriebe das Brauchwasser in manchen Fällen bis zu neunmal.658 Darüber hinaus galt das Nassverfahren als energieintensiver. Neuere Versionen solcher Anlagen besaßen zwar bessere Waste-toEnergy-Konzepte, also Maßnahmen zur Energierückgewinnung, dafür waren sie aber mit 100–150 Mio. DM teurer und lohnten sich erst ab einem Müllaufkommen von mehr als 200 000 Tonnen.659 Die Anlage in Schöneiche in der DDR war jedoch nur für ein Abfallvolumen von etwa 15 000 Tonnen konzipiert worden.660 Die Politiker Starnick und Wronski versuchten deshalb, sich gegen die Behauptung zu wehren, nur die Nasswäsche sei Stand der Technik, der sich ohnehin schnell änderte, und verteidigten das Quasi-Trockenverfahren.661 Um jedoch die TA Luft einhalten zu können, benötigen die trockenen Verfahren wiederum mehr Kalk, das zu mehr Rückständen führte, die auf den Sondermülldeponien für West-Berlin, in diesem Fall also in Vorketzin, abgelagert werden mussten. In West-Berlin führte das trockene Verfahren letztlich zum Erfolg und reduzierte nachweislich die Dioxinemissionen von 37 im Jahr 1987 auf etwa vier Prozent 1990.662 In der DDR wähnte sich die Führung mit einer Sondermüllverbrennungsanlage daher auf der umweltpolitisch sicheren Seite: „Die Verbrennung von Sonderabfallstoffen entspricht den heutigen Umweltanforderungen und wird im Interesse der Erhöhung der Umweltsicherheit international zunehmend praktiziert.“ 663 Nur für die Reststoffe musste noch eine Deponielösung gefunden werden. Damit war wieder eine win-win-Situation eingetreten: Die DDR bekam eine umweltschonendere Technologie bezahlt, die eine nötig gewordene Entlastung der für West-Müll angelegten Deponie Vorketzin versprach und – obwohl nirgendwo, bis auf den Beitrag in den „Umweltblättern“, genannt – brauchte West-Berlin tatsächlich keine zweite Müllverbrennungsanlage im Ortsteil Britz errichten.664
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Vgl. Sattler, Planwirtschaftliche Wachstumsstrategien, S. 474; Buck, Umweltpolitik, S. 239; zur Verhältnismäßigkeit der Abfallverwertung gegenüber Luft- und Gewässerverschmutzung: Vgl. PA AA, ZA, B 75, Bd. 132290, Vorbereitung für Gespräche mit DDR, Malina, BMI, 14. 10. 1985. Vgl. Köster, Hausmüll, S. 279. Kontraste bezog sich auf eine Anlage in Biebesheim: Vgl. RHG, Th 2/9, Bl. 81–89, Bl. 87, SenRef 2, Mitschrift des Radio-Senders 100,6 vom 4. Januar 1989, 5. 1. 1989. Vgl. Schöneiche nimmt Probebetrieb auf, in: Neue Zeit, 20. 2. 1990, S. 2. Vgl. RHG, Th 2/9, Bl. 81–89, Bl. 86, SenRef 2, Mitschrift des Radio-Senders 100,6 vom 4. Januar 1989, 5. 1. 1989; und Bl. 68–71, hier Bl. 71, Myriam Moderow/Hermann Engelbrecht, Müllexporte in die DDR, KONTRASTE, 6. 12. 1988. Vgl. Park, Müllkippe, S. 188 f. BArch-SAPMO, SY 3023, Bd. 1445, Bl. 46–49, hier Bl. 48, Information über die Errichtung der Abfallstoffverbrennungsanlage Schöneiche und die Verbringung der anfallenden Reststoffe, Mittag an Honecker, 15. 4. 1988. Vgl. Park, Müllkippe, S. 149, 180, aber bei ihm keine Erwähnung der SMVA in Schöneiche (DDR).
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Im Kampf gegen Müllverbrennungsanlagen kochten die Emotionen hoch: Unter Umweltschützern galten sie ab den 1970er Jahren zunehmend als Rohstoffverschwendendungsmittel und Dioxinschleudern. Für Auseinandersetzungen sorgte auch, dass niemand – weder aus Wissenschaft noch Politik – verlässlich sagen konnte, was genau diese Anlagen emittierten. Von rund 500 000 chemischen Verbindungen schienen 10 000 unsichtbare Gifte zu sein. Das machte Angst.665 So zum Beispiel davor, dass sich für den Preis von 40 DM pro Tonne Sondermüll die Temperatur der Anlage in Schöneiche nicht bei 1 200 °C halten lasse, was – so die damalige Vorstellung – nötig sei, um Dioxine vollständig zu vernichten.666 Die Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche rief damit den ersten und einzigen (bisher nachweisbaren) gemeinsam konzertierten Ost-West-Protest hervor. Am 11. November 1988 verabredeten sich Robin Wood im Westen und Mitglieder der Umweltbibliothek und andere Gruppen im Osten, um – jeder auf seiner Seite der Mauer – gegen die Sondermüllverbrennungsanlage südöstlich von Berlin zu protestieren. Blockierte Robin Wood den Grenzübergang für West-Berliner Mülltransporter, so radelten die Leute aus der Umweltbibliothek nach Schöneiche oder spazierten dorthin. Auf beiden Seiten griff die Polizei ein: Im Westen verteilte sie Ordnungsstrafen in Höhe von 600 DM, im Osten Geldstrafen von 300 bis 500 M.667 Die Ostberliner Umweltbibliothek plante sogar den West-Berliner Senator Starnick wegen der Sondermüllverbrennungsanlage zu verklagen, wobei sie sich von dem bekannten Umweltanwalt Reiner Geulen vertreten lassen wollte. Dazu bedurfte es jedoch auch hier eines DDR-Bürgers, der in unmittelbarer Nähe zur Anlage wohnte und sich durch sie bedroht fühlte.668 Um die Prozesskosten tragen zu können, rief die Bibliothek in den „Umweltblättern“ zum Spenden auf. Sie wies auf den öffentlichen Druck hin, der im Westen zur Einführung von Gesetzen und Umweltstandards geführt habe. Der Gedanke lag für sie nahe, dass so etwas auch in der DDR möglich sein könnte.669 Auch die Teilnehmer des 5. Berliner Ökologie-
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Vgl. Köster, Hausmüll, S. 237, 245, 256 f. Siehe zur Angst: RHG, Opposition SWV, Bd. 2, Teil 1, Bl. 74 f., hier Bl. 74, Eingabe wegen der Besorgnis um die Mülldeponie Schöneiche an das MfUW, den VEB Deponie Potsdam, die GNU im KB der DDR, InTRAC (DDR), GmbH Berlin Consult und auch an den Senat von Berlin (W) vom 23. 10. 1988, ein Resultat des 5. Berliner Ökoseminars. Vgl. Neue Verdienste um den deutsch-deutschen Umweltschutz: die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche, in: Umweltblätter, 12. 2. 1988, S. 363–365, hier S. 363; Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 822; Park, Müllkippe, S. 143. Vorwurf der Kontraste-Sendung, kein Hochfahren bis zu 1.200 °C im Radio-Sender 100 kritisch hinterfragt: RHG, Th 2/9, Bl. 81– 89, hier Bl. 87, SenRef 2, Mitschrift des Radio-Senders 100,6 vom 4. Januar 1989, 5. 1. 1989. Vgl. Klein, Politisierung, S. 398. Vgl. Claudia Van Laak, Dreck gegen Devisen, in: Deutschlandfunk, 15. 4. 2019, in URL: https://www.deutschlandfunk.de/westmuellexport-in-dieddr-dreck-gegen-devisen.724.de.html?dram:article_id=446426 [27. 5. 2022]. Vgl. RHG, Th 2/9, Bl. 58, Infos zur Sondermüllverbrennung (SVA) und Deponie (MD) Schöneiche, 3. 8. 1988, aus dem StadtUMAuschuß 3. 3. 1988. Vgl. RHG, Opposition RG, B 1–24, Bl. 75, Spendenaufruf.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Seminars im Oktober 1988670 sowie die West-Berliner Gruppe „BRD-DDR“ 671 forderten die Veröffentlichung aller Umweltdaten in Ost und West. Tatsächlich verhandelten DDR und West-Berliner Senat bereits 1988/89 über den Austausch und die Veröffentlichung von Daten.672 Die DDR geriet dadurch unter Druck: Da West-Berlin bei Erhalt die Daten veröffentlichen würde, sollte der Rat des Bezirkes Potsdam ebenfalls die Möglichkeit erhalten, die Information der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.673 Doch die Inbetriebnahme der Anlage verzögerte sich – weniger durch den Protest als viel mehr wegen technischer Probleme. Seit Mitte des Jahres 1988 arbeitete das MfUW an einem Konzept zur Beseitigung der Reststoffe aus der Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche. Ohne einen solchen Plan, wie er auch in den „Umweltblättern“ gefordert worden war, sollte die Anlage nach Vertragsbedingung und nach Meinung des Ersten Sekretärs der Bezirksleitung Potsdam der SED Günther Jahn nicht in Betrieb gehen.674 Die Einschaltung des Ersten Sekretärs in das Müllgeschäft weist daraufhin, dass die SED-Mitglieder nicht mehr willens waren, so weiterzumachen wie bisher – also Befehle von oben einfach nur auszuführen.675 Den also vom Bezirk selbst erarbeiteten Lösungsvorschlag für die Beseitigung der Reststoffe reichte die Intrac an eine Schweizer Firma weiter.676 Wie von den Um670
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Vgl. RHG, Opposition SWV, Bd. 2, Teil 1, Bl. 74 f., Eingabe wegen der Besorgnis um die Mülldeponie Schöneiche an das MfUW, den VEB Deponie Potsdam, die GNU im KB der DDR, InTRAC (DDR), GmbH Berlin Consult und auch an den Senat von Berlin (W) vom 23. 10. 1988, ein Resultat des 5. Berliner Ökoseminars; vgl. auch RHG, Th 2/9, Bl. 66, VEB (B) Deponie Potsdam Beantwortung der Eingabe von T. S. vom 22. 11., Frankfurt Oder, 30. 11. 1988. Vgl. o. V., Müllmärchen, in: Umweltblätter, Juni 1988, S. 384 f.; abgedruckt am 16. 8. 1988 in der taz. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1446, Bl. 9–12, hier Bl. 10, Information über Verhandlungen zur Übergabe von Emissionsdaten der Abfallverbrennungsanlage Schöneiche (Bezirk Potsdam) Mittag an Honecker, 12. 1. 1989; und Bl. 86–90, Schreiben Mittags an Honecker, 12. 5. 1989. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1446, Bl. 35–37, Information über die Fortsetzung der Verhandlungen zum Datenaustausch in Bezug auf Schöneiche, Schreiben Mittags an Honecker, 8. 2. 1989; zu Potsdam: BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1445, Bl. 57–59, Übermittlung von Emissionsdaten der Abfallbeseitigungsanlage Schöneiche, Schreiben Mittags an Honecker, 19. 5. 1988. Forderung, die Daten auch DDR-Bürgern zur Verfügung zu stellen, in: RHG, Th 2/9, Bl. 186, Eingabe von P. und M. L. an den Ministerrat der DDR, 24. 5. 1989. Vgl. BArch, MfS, AG BKK, Nr. 52, Bl. 38–43, hier Bl. 41, Bericht zu Problemen der politischen Führungstätigkeit des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, bei der Wahrnehmung seiner Verantwortung zur Entwicklung des Dienstleistungsexports ‚Abfallstoffbeseitigung‘, o. D. [vmtl. Juli 1988]; Neue Verdienste um den deutsch-deutschen Umweltschutz: die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche, in: Umweltblätter, 12. 2. 1988, S. 363–365, hier S. 364. Finanzielle Beteiligung des Bezirkes an den Einnahmen aus dem Müllgeschäft bei Claudia Van Laak, Dreck gegen Devisen, in: Deutschlandfunk, 15. 4. 2019, in URL: https://www.deutschlandfunk.de/westmuellexport-in-die-ddr-dreck-gegen-devise n.724.de.html?dram:article_id=446426 [27. 5. 2022]. Vgl. Bösch, Geteilt und verbunden, S. 29. Vgl. BArch, MfS, AG BKK, Nr. 52, Bl. 44–47, hier Bl. 45, Stellungnahme zu den Informationen der Arbeitsgruppe BKK vom 19.und 25. 7. 1988 zu Problemen der politischen Führungstätigkeit des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft bei der Wahrnehmung seiner
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weltschützern vermutet, war eine dauerhafte Lösung für die Entsorgung der Asche und Salze, die als Reststoffe anfielen, nach dem Stand der Technik nicht gegeben.677 Zudem sollte die Anlage, wie vereinbart, die Grenzwerte der westdeutschen TA Luft einhalten.678 Im dreiwöchigen Probebetrieb im September 1989 überstiegen die Quecksilberemissionen jedoch den erlaubten Rahmen. Deshalb mussten Nachbesserungen der westdeutschen Firma Berlin Consult erfolgen.679 Zwar hatte der Umweltprotest in der DDR kaum merkliche direkte Auswirkungen auf die Sondermüllverbrennungsanlage wie beispielsweise einen Baustop, beeindruckte aber durchaus bei anderen politischen Entscheidungen. So hatte die KoKo zwar vorgesehen, dass die Anlage in Schöneiche auch PCB-haltige Stoffe verbrennen würde. Aufgrund des Widerstandes einiger Bevölkerungskreise und des Rats des Bezirks Potsdam sowie der negativen Berichterstattung westlicher Medien, wurde davon jedoch wieder abgesehen.680 Auch gab es beispielsweise eine Anfrage von Siemens, Brennstoffelemente aus Atomkraftwerken im Transit durch die DDR nach Schweden oder in die UdSSR zu bringen. Technisch, außenpolitisch und kommerziell gab es keinerlei Einwände. Aber es herrschten innenpolitische Bedenken vor. Da die Bundesrepublik und Empfängerländer wie Schweden „außerordentliche Probleme“ mit Umweltschutzinitiativen hätten, wurde im gemeinsam erarbeiteten Standpunkt des DDR-Verkehrsministeriums, des SAAS und des Bereichs KoKo geschlussfolgert: „Es ist nicht auszuschließen, daß auch Bevölkerungsgruppen der DDR, die gegenwärtig gegen den Transport und die Deponierung von Abfallstoffen auftreten, beim Bekanntwerden solcher Transporte in dieser Richtung aktiv werden.“ Aus diesem Grund wurde der Transit nuklearer Brennstoffe abgelehnt.681 Das Müllgeschäft evozierte 1988/89 auch eine MfS-interne Kontroverse. Die Arbeitsgruppe „Bereich Kommerzielle Koordinierung“ (BKK) im MfS warf Hans
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Verantwortung zur Entwicklung des Dienstleistungsexports ‚Abfallstoffbeseitigung‘, Hauptabteilung XVIII, 15. 9. 1988. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1445, Bl. 160 f., Schreiben Schalcks an Mittag über die Deponie Schöneiche, 11. 8. 1988; und Bl. 162–164, Information zum Arbeitsstand und den erforderlichen Maßnahmen zur Verbringung der Reststoffe aus der Rauchgasreinigung der Verbrennungsanlage Schöneiche, o. D. [vmtl. Ende 1988]. So Staatssekretär Dreißigsacker, Umweltsenat von West-Berlin, in: AGG, B.II.1., Bd. 2036, Kurzprotokoll der 13. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 9. 12. 1987, Bericht des BMU zu dt.-dt. Umweltbeziehungen, Vorsitz Reinhard Gröhner. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1446, Bl. 282–284, Information über aufgetretene Probleme im Ergebnis des Probebetriebes der Hochtemperaturverbrennungsanlage Schöneiche (Bezirk Potsdam), Schreiben Schalck an Mittag, 2. 10. 1989. Vgl. BArch, DL 226, Bd. 1690, Bl. 140–142, Standpunkt zum Auftreten in der Beratung am 16. 8. 1989 zur Errichtung einer Hochtemperaturverbrennungsanlage zur Beseitigung von PCB-Abfällen. BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1446, Bl. 199–203, hier Bl. 201 f., Standpunkt zum Anliegen der Firma Siemens/BRD, Brennelemente und Zwischenprodukte von Kernkraftwerken im Transit durch das Territorium der DDR zu transportieren (erarbeitet in Abstimmung mit dem SAAS und dem Ministerium für Verkehrswesen), Schreiben Schalck an Mittag, 5. 7. 1989.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
Reichelt und seinem Umweltministerium Entscheidungsdefizite und Verzögerungstaktik vor. Der „Minister selbst [habe] sich für diese Angelegenheiten nie ernsthaft interessiert“ und sein Stellvertreter Frank Herrmann habe die Aufgaben in der Praxis (Sicherung der Deponie, ggfs. Einrichtung Sonderdeponie) nur „schlecht und recht wahrgenommen“. Die Kritik durch die AG BKK im MfS-Bericht ging weiter: „Der Minister hat es nie als Verpflichtung empfunden, die gegebenen vertraglichen Beziehungen zu stabilisieren oder gar eine Leistungsentwicklung zu fördern.“ 682 Damit war gemeint, Reichelt habe es versäumt, die Müllgeschäftsbeziehungen konsequent auszubauen. Der Minister argumentiere, so der Bericht, die DDR habe genug eigene Probleme, warum also die zusätzliche Bürde Westmüll aufnehmen, deren einziger Sinn die Deviseneinnahme sei: „Selbst nach dem Gespräch mit dem Staatssekretär, Genossen Dr. Schalck, Ende Februar 1988, sind vor kurzem wieder Äußerungen gefallen in der Weise, ob es überhaupt notwendig ist, den Müll aus westlichen Ländern aufzunehmen. […] Die Position des Ministers, er sei ein Minister ohne Territorium und nur ein Kontrollminister, führt dazu, daß auch alle nachgeordneten Mitarbeiter bzw. bezirklichen Organe, Umweltinspektionen, Abteilungen Umwelt beim Rat des Bezirkes usw., eine ähnliche passive bis destruktive Haltung einnehmen.“ 683
Statt einer „konstruktiven“ Arbeit gebe es eine „Verzögerungstaktik und die Ablehnung von Anträgen, die für 1988 mit Stand von heute allein ungefähr mit 15 Mill. Valuta-Mark beziffert werden können.“ Als Beispiel genannt wurde hier die Ablehnung des Tests, 10 000 Tonnen Biomasse (Klärschlamm) der Firma Hoechst aus Hessen in der DDR zu deponieren. Dieser Versuch war die Voraussetzung für ein zukünftiges Geschäft, das etwa sieben bis acht Jahre dauern und ca. 70 bis 80 Mio. VM erwirtschaften sollte. Durch die Ablehnung solcher langfristigen Aufträge, die eine durchschnittliche Dauer von sieben bis zehn Jahren gehabt hätten, seien etwa 150 Mio. VM verloren gegangen. Sollte das so weitergehen, endete der Bericht dramatisch, bereite das MfUW der DDR Valuta-Verluste in Höhe von 500 Mio. VM.684 Darüber hinaus konnte der BKK nur durch Zufall verhindern, dass der Umweltminister das hydrologische Gutachten für die Deponie Schönberg ohne nochmalige Kontrolle durch das Ministerium für Außenhandel (MAH) an die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik schickte. Das Brisante in dem Gutachten war für die AG BKK beim MfS die Feststellung, dass nicht auszuschließen sei, dass Lübecks Trinkwasser nach 1020 Jahren eventuell doch Schaden nehmen könnte. Die AG befürchtete, dass die bundesdeutschen Medien diesen Punkt hochspielen würden, obwohl der Zweck des Gutachtens darin bestehen sollte, der Bundesrepublik die Kritikgrundlage zu nehmen.685 In den stark gekürzten hydrologischen Schlussfol-
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BArch, MfS, AG BKK, Nr. 52, o. D. [vmtl. Juli 1988], Bl. 38–43, hier Bl. 38, Bericht zu Problemen der politischen Führungstätigkeit des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, bei der Wahrnehmung seiner Verantwortung zur Entwicklung des Dienstleistungsexports ‚Abfallstoffbeseitigung‘. Ebenda, Bl. 39. Ebenda, Bl. 40. Vgl. ebenda, Bl. 42.
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gerungen, die Reichelt dem Bundesumweltminister Töpfer letztlich übergeben durfte, fehlt denn auch obige Aussage.686 Die Hauptabteilung XVIII des MfS, zuständig für Sabotagevorbereitung, Zivilschutz, Infrastruktur, wies den Bericht der AG BKK vehement mit der Begründung zurück, dass der Minister sehr wohl „verantwortungsbewußt“ handele: „Real existierende brisante Umweltprobleme in der DDR, zunehmende Angriffe feindlich-negativer Kräfte gegen den Bereich Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR und Verpflichtungen der DDR aus internationalen Abkommen zwingen Minister REICHELT zwangsläufig zu einer besonders gründlichen und gewissenhaften Prüfung aller Entscheidungen.“ 687
Auch für die Abweisung der Hoechst-Testabfälle gab es eine einfache Erklärung, nämlich widersprüchliche Aussagen in Bezug auf Gesundheitsgefährdung und Geruchsbelästigung durch den Klärschlamm. Reichelt habe, nachdem er darüber informiert wurde, ordnungsgemäß die Verbringung von Biomasse auf die Deponie Schöneiche gestoppt, um den Sachverhalt zu klären.688 Solche internen Auseinandersetzungen zwischen dem MfS, der KoKo und dem MfUW zeigen die Diskrepanzen in der ostdeutschen Diktatur Ende der 1980er, wenn es darum ging, Valuten einzunehmen und gleichzeitig dem zunehmenden umweltpolitischen Druck von innen und außen zu widerstehen oder ihm auszuweichen. Sowohl Teile des MfS als auch Reichelt machten die SED im Verlauf der 1980er Jahre immer wieder darauf aufmerksam, dass die restriktive Informationspolitik beim Umweltschutz negative Effekte hervorrufen würde.689 Es macht deutlich, wie ein Minister im Graubereich des sozialistischen Systems lavierte, um dem Aufgabengebiet seines Ministeriums gerecht zu werden. Verhindern konnte er den Müllimport zwar nicht. Aber er und seine Kontrollgruppe konnten hier und dort leichte Akzente setzen. Und so wie Reichelt dem Bereich KoKo Rede und Antwort stehen musste, musste das auch die evangelische Kirche vor dem MfUW und anderen Stellen bezüglich des Vorgehens der unabhängigen Umweltgruppen unter ihrem Dach tun.690 Ent-
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3371, Schlussfolgerungen aus dem Gutachten über die geologischen und hydrologischen Verhältnisse im Raum Schönberg – Dassow – Selmsdorf, Schreiben Reichelts an Klaus Töpfer, [26. 2. 1988]; und zum Ausarbeitungsprozess dessen: BArch, MfS, AG BKK, Nr. 52, Bl. 44–47, hier Bl. 47, Stellungnahme zu den Informationen der Arbeitsgruppe BKK vom 19. und 25. 7. 1988 zu Problemen der politischen Führungstätigkeit des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft bei der Wahrnehmung seiner Verantwortung zur Entwicklung des Dienstleistungsexports ‚Abfallstoffbeseitigung‘, Hauptabteilung XVIII, 15. 9. 1988. BArch, MfS, AG BKK, Nr. 52, Bl. 44–47, hier Bl. 44, Stellungnahme zu den Informationen der Arbeitsgruppe BKK vom 19.und 25. 7. 1988 zu Problemen der politischen Führungstätigkeit des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft bei der Wahrnehmung seiner Verantwortung zur Entwicklung des Dienstleistungsexports ‚Abfallstoffbeseitigung‘, Hauptabteilung XVIII, 15. 9. 1988. Vgl. ebenda, Bl. 45. Vgl. Stief, Staatssicherheit, S. 385. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5653, Information über ein Gespräch mit Bischof Forck, Klaus Gysi StS für Kirchenfragen, 27. 6. 1989. Siehe zu Spannungen zwischen Reichelt und Mittag auch Huff, Natur, S. 401.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
sprechend verärgert reagierte Reichelt auf das zunehmende Wirken der Umweltgruppen und deren Zusammenarbeit mit ausländischen Organisationen. Die Arche erhalte detailliert methodische Anleitungen für die „willkürliche ‚Erfassung von Umweltdaten‘“, die „von Greenpeace in den Niederlanden ausgearbeitet worden“ seien. Außerdem nützten sie die Umweltpolitik, um die Macht des SEDStaates infrage zu stellen. „Bürgerinitiativen sind also in unserem sozialistischen Staat verfassungsrechtlich gefordert und werden gefördert. Es besteht daher für niemanden die Notwendigkeit, für Initiativen zur Verbesserung des Umweltschutzes zu demonstrieren, Flugblätter mit Verleumdungen und Lügen zu verbreiten oder andere verfassungsfeindliche Aktivitäten zu organisieren.“ 691
Seine Ausführungen beendete der Minister mit der unverhohlenen Kritik an der eigenen Staatsführung: „Wo dies [u. a. Information der Bürger, Einhaltung der Gesetze] nicht gewährleistet wird, wo Ungesetzlichkeiten zu gelassen werden, wo Initiativen nicht gefördert [werden], […] entwickelt sich so etwas negatives [sic!] wie die Arche.“ 692 Die Rolle Reichelts wird in der bisherigen Forschung unterschiedlich bewertet: Bescheinigt Huff ihm, dass er unter der Geheimhaltung von Umweltdaten litt, so beschreibt Möller ihn als „linientreuen Funktionär“, der seine Mitarbeiter bei Verstößen hart anging.693 Sicherlich musste der Umweltminister dafür sorgen, dass sich seine Leute an die von der SED vorgegeben Regeln hielten. Das bedeutet jedoch nicht gleich, dass er diese Regeln auch gut hieß, oder sein Ministerium wie andere beispielsweise die Führung über die realen Zustände belog.694 Alles in allem lässt sich wohl sagen: Der Minister versuchte den ihm anvertrauten Aufgaben, nämlich für möglichst gute Umweltbedingungen zu sorgen, zwar gerecht zu werden, ohne jedoch dabei die Grenzen des Systems zu überschreiten beziehungsweise in den Zugzwängen der SED-Politik aufgerieben zu werden. Die Arche hingegen machte weiter und verfasste eine öffentliche Einladung an den hessischen Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU) und die Westberliner Senatoren Jürgen Starnick und Edmund Wronski, die Deponien zu besuchen, auf die sie ihren Müll schickten.695 Als der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm (SPD) im Februar 1989 in Wismar war, versuchten drei Mitglieder
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BArch, DK 5, Bd. 5653, Konzeption für die Behandlung von umweltpolitischen Aufgaben zur Unterstützung an den Vors. des Ministerrates, Reichelt, MfUW, 4. 7. 1989. Verkürzt auch bei Stief, Staatssicherheit, S. 307. BArch, DK 5, Bd. 5653, Konzeption für die Behandlung von umweltpolitischen Aufgaben zur Unterstützung an den Vors. Des Ministerrates, Reichelt, MfUW, 4. 7. 1989. Vgl. Huff, Natur, S. 242, 306; Möller, Umwelt, S. 233, 237–239, 252. Vgl. Anhörung Reichelts, 18. 1. 1990, in: Klemm, Korruption, S. 166–177; Fleischman, Communist Pigs, S. 112. Frank Herrmann vertritt die These, wäre Reichelt in der SED (statt DBD) gewesen, wäre er vermutlich nicht so lange Umweltminister gewesen: Hintergrundgespräch der Autorin mit Frank Herrmann am 22. September 2020 in Berlin. Vgl. BArch-SAPMO, DY 3032, Bd. 1446, Bl. 3, DDR-Umweltschützer laden Westpolitiker zu Deponiebesuch ein – Müllexport aus Hessen ‚skandalös und energieverschwendend‘ genannt, ADN-Information, Interne Dienstmeldung, 11. 1. 1989; siehe auch Appell aus Eisenach: Müllexporte in die DDR einstellen, in: FR, 15. 2. 1989, S. 17.
5. Zusammenfassung
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des dortigen Ökumenischen Zentrums für Umweltarbeit (ÖZU) ihm einen Brief zu übergeben, in dem sie die Müllexporte auf die Deponie in Schönberg kritisierten. Sie wurden bereits vor der Aktion festgenommen, ihr Brief aber erschien in den „Umweltblättern“: Die Gruppe befürchtete die Beeinträchtigung der Erholungsmöglichkeiten in der Wismarer Bucht, da die Folgen der Sondermülldeponie nicht absehbar seien. „Unser Land hat genügend Probleme mit seinem eigenen Müll. Die DDR darf nicht zur Müllkippe Europas werden!“ 696 Andere Gruppen folgten der Methode der drei aus Wismar. Da sie wussten, dass die eigene Führung nicht auf die Devisen aus dem Müllimport verzichten würde, wandten sie sich an die jeweiligen Landesegierungen der Bundesrepublik und forderten sie dazu auf, deren eigene Müllgesetze (Seveso-Novelle) konsequent einzuhalten und strenger zu überwachen. Denn „daß vom Müllexport keine Gefahr fürs Allgemeinwohl ausgehen darf, schützt zur Zeit nur Bürger der BRD“.697 Das Vertrauen „der Mecklenburger“, das Grundgesetz gelte auch für Bürger der DDR, sei bereits mit dem NATO-Doppelbeschluss Anfang der 1980er Jahre verloren gegangen.698 Die Sensibilisierung der DDR-Bevölkerung gegen Sondermüllexporte aus dem Westen war Ende der 1980er Jahre definitiv gewachsen. Ende 1988 gelang es dem Kreis Osterburg an der deutsch-deutschen Grenze in der Nähe von Lüchow sogar, mit Hilfe der örtlichen Pastoren, des Vorsitzenden der LPG und der Bauern ein weiteres Deponieprojekt zu verhindern.699 Ende der 1980er Jahre hatten sich die Umweltpolitik sowie ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen im deutschdeutschen Verhältnis – verglichen mit dem Beginn des Jahrzehnts – im Rahmen des Kalten Krieges abermals verschoben.
5. Zusammenfassung Gegen Ende des paradoxen Jahrzehnts der 1980er Jahre verzeichnete das deutschdeutsche Verhältnis eine ökologisch-thematische Intensivierung ihrer Beziehun-
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Protestbrief des ÖZU Wismar an Ministerpräsident Björn Engholm, in: Umweltblätter, Dezember 1988, S. 565 f. Siehe zum ÖZU auch Halbrock, Freiheit, S. 280–288. Engholm äußerte Skepsis bzgl. der Mülldeponie in Schönberg: BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 2, Bericht über das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten des BRD-Landes Schleswig-Holstein, Björn Engholm, am 1. 2. 1989 zu Fragen des Umweltschutzes, Reichelt, MfUW. Müllimporte der DDR, in: Umweltblätter, Dezember 1988, S. 566–569, hier S. 569. Siehe dazu auch: RHG, PS 034, Bl. 37, Offener Brief des Fortsetzungsausschusses des Vertretertreffens kirchlicher Umweltgruppen in der DDR in Hirschluch an den Ministerrat der DDR und den Deutschen Bundestag, 10. 9. 1989, in: Matthias Voigt/Andreas Koth (Hrsg.): Das Erfurter Filterpapier, „Zentralorgan“ des 2. Ökumenischen Luftseminars vom 22. bis 24. September 1989 in Erfurt. Vgl. AGG, B.II.1., Bd. 2037, 2. Mitschrift: Aussprache Institut für Wasserwirtschaft Berlin, Die Mecklenburger. Vgl. RHG, Samisdat, Ordner N-K, Wi 14, Arche-Info III/1988, Bürgerprotest stoppte Bau einer Westmülldeponie, H. W. Siehe auch Stefan Schönert, Erfolg für DDR-Umweltschützer, in: taz, 23. 11. 1988, S. 2.
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IV. Die grüne Verflechtung – Ökologisierung deutsch-deutscher Beziehungen
gen auf den unterschiedlichsten Ebenen: bilateral, international, kommunal, an der Basis, parteipolitisch oder verbandsorganisatorisch. Das führte dazu, dass die eingeübte ökologische Kommunikation auch in schwierigen Zeiten über die Systemgrenze hinweg erhalten bleiben konnte. Waren die Gespräche auf bilateraler Ebene wie 1983/84 wieder einmal ins Stocken geraten, wichen die Regierungen diesmal auf andere Ebenen aus, wodurch der Kontakt (z. B. über den bayerischen Umweltminister Alfred Dick) aufrechterhalten blieb oder zumindest in eine signalhafte Kommunikation (BBU bei Honecker) überging. Im Vergleich zu den 1970er Jahren entwickelte sich die deutsch-deutsche Umweltpolitik nun zu einer hochkomplexen, teilweise paradoxen, in jedem Fall komplizierten, aber auch vielschichtigen Beziehungsgeschichte zwischen Bund, Ländern, DDR, Kommunen, Wissenschaft, Wirtschaft, Medien und Umweltgruppen. Das Beispiel des Müllexports in die DDR verdeutlicht, wie die Ökologisierung in die Wirtschaftsbeziehungen Einzug erhielt, auch wenn sie diese keineswegs dominierte. Es zeigt ebenfalls die starke Rolle der Emotion „Angst“, artikuliert von den Umweltgruppen, die politisches Handeln im Sinne einer „Zwangskommunikation“ zwischen beiden Seiten beförderte. Und das Müllbeispiel offenbart, die Herrschaftsbeziehung im Umweltbereich: einerseits die Abhängigkeit der Bundesrepublik von der Müllabnahme durch den Osten, andererseits konnte die Bundesrepublik etwa über den Austausch der DDR ihr Verständnis vom „Stand der Technik“ (SevesoNovelle, Sickerwasseranlagen, Basisabdichtung, TA Luft in West-Berlin) vermitteln. Auffällig ist auch die schleichend erfolgte deutschlandpolitische Erosion sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR, als beispielsweise die Berlin- und UBAFrage immer mehr in den Hintergrund geriet. In der Bundesrepublik wurde, wie bereits in den Tiefenbohrungen in Teil III ersichtlich, das Verursacherprinzip immer weniger handlungsleitend gegenüber der DDR eingesetzt. Dies wiederum fiel zusammen mit der innenpolitischen Phase bundesdeutscher Umweltpolitik, die ab Mitte der 1980er Jahre vermehrt auf das Vorsorgeprinzip setzte. Trotz ihrer finanziellen Schwierigkeiten investierten beide Länder auch wieder vermehrt in den Umweltschutz. Immer deutlicher trat in beiden deutschen Staaten der politische Wille hervor, maßgeblich hervorgerufen durch den jeweiligen innenpolitischen Druck, gegen die gemeinsamen Umweltprobleme vorzugehen. Die Motive dafür erscheinen jedoch unterschiedlich gelagert: Wollte die Bundesregierung gegenüber ihren Wählern und der politischen Konkurrenz durch die Partei Die Grünen Aktionismus zeigen und Umweltprobleme an der Grenze beseitigen, war für Honecker vermutlich sein seit längerem geplanter Besuch in der Bundesrepublik bestimmend, diesem Thema verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. Das wiederum ermöglichte den Fachleuten im MfUW, ihre Kompetenzen und Möglichkeiten mittels der Beziehungen zur Bundesrepublik auszuweiten und für die DDR zu nutzen. Nichtsdestotrotz stand das Ministerium bis zum Schluss im Zugzwang der SED-Politik. Die Hochphase deutsch-deutscher bilateraler Verhandlungen fiel außerdem mit einem erneuten intensiven Abschnitt internationaler Umwelt- und nun auch Klimaschutzbemühungen auf der globalen Ebene zusammen. Die Ökologisierung der
5. Zusammenfassung
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Beziehung kann daher einerseits als Symptom einer langen Détente und Langzeitfolge der KSZE gedeutet und andererseits als Anzeichen der parallel stattfindenden globalen Entwicklung eines Auflösens der binären Ordnungslogik des Kalten Krieges und einer stärker werdenden Globalisierung gelesen werden. Die Vereinbarung über den Umweltschutz von 1987 führte zwar dazu, dass zwei Jahre später konkrete Projekte vereinbart wurden. Sie konnte indes nicht darüber hinweg täuschen, dass sowohl in Ost als auch West an der Basis die Wahrnehmung überwog, es geschehe auf der politischen Ebene zu wenig zu langsam. Insbesondere in der DDR führte die Geheimhaltung von Umweltdaten dazu, dass die Diskrepanz zwischen SED und Bevölkerung immer größer wurde und die Partei letztlich delegitimierte. Das stimulierte in ostdeutschen Umweltgruppen die Entwicklung von Kontakten in den Westen und eine zunehmende oppositionelle Haltung gegenüber dem Staat, was in letzter Konsequenz im November 1989 der „Friedlichen Revolution“ den Boden bereitete.
V. Der Wiedervereinigungsprozess Am 7. Oktober 1989 feierte die DDR mit großem Pomp ihren 40. Geburtstag. Doch hinter dieser Fassade bröckelte es. Gleichzeitig fanden sich bereits Menschenmengen auf dem Alexanderplatz zu einer spontanen Demonstration zusammen. Die Unzufriedenheit in der DDR-Bevölkerung an den Zuständen im Land – Freiheit, Versorgung, Umwelt – erreichte im Jahr 1989 einen neuen Hitzegrad. Die wichtigsten Ereignisse, die die Herrschaft der SED zunehmend infrage gestellt hatten, werden im Folgenden in einem kurzen Überblick zur Friedlichen Revolution wiedergegeben, bevor auf die umweltpolitischen Aspekte im Wiedervereinigungsprozess selbst und ihre Auswirkungen in den 1990er Jahren eingegangen wird. Die Wiedervereinigung war ein Prozess, der nicht mit dem 3. Oktober 1990 beendet war, sondern eigentlich erst richtig begann. So liegt der Fokus auf den Umbrüchen und Kontinuitäten, die aus den zuvor ermittelten deutsch-deutschen Umweltbeziehungen resultierten und nun teilweise eine rasante Beschleunigung erfuhren, und auch hier wieder ein ambivalentes Bild erzeugen. Der kurze Blick auf die Zeit nach 1990 hilft außerdem, die deutsch-deutschen Umweltbeziehungen und Resultate des Wiedervereinigungsprozesses in Gesamtdeutschland besser einzuordnen. Das Kapitel kann der historischen Forschung jedoch nur noch Anrisse und Impulse zu dieser „langen Geschichte“ von Revolution und Transformation geben.1
1. Die SED und ihre Konkurrenz — ein kurzer Abriss zur Friedlichen Revolution Die Friedliche Revolution begann nicht erst 1989, sondern hatte neben der größer werdenden Unzufriedenheit in der DDR weitere Vorläufer, die in immer kürzeren Abständen zum Umbruch führten. So erfolgte nach der Durchsuchung der Umweltbibliothek im September 1987 im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration vom Januar 1988 eine weitere Verhaftungswelle durch das MfS. Diesmal wurde sie allerdings medial begleitet.2 Am 7. Mai 1989 deckten alternative Gruppen die Fälschung der Kommunalwahl auf. Die Ergebnisse veröffentlichten sie unter anderem in den „Umweltblättern“ und veranstalteten seitdem an jedem 7. der folgenden Monate eine Kundgebung. Die zunehmende Isolierung der DDR innerhalb des Ostblocks und überfällige Reformen ließen, vor allem nach dem Verbot der sowjeti-
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Vgl. Böick/Brückweh, Weder Ost noch West, in URL: https://zeitgeschichte-online.de/them en/weder-ost-noch-west [31. 5. 2022]; siehe auch Bösch, Geteilt und verbunden, S. 8, 14–16. Vgl. o. V., „Luxemburg-Liebknecht-Demonstration“, in URL: https://www.jugendopposition. de/themen/145392/luxemburg-liebknecht-demonstration [27. 5. 2022].
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
schen Zeitschrift „Sputnik“ 1988, selbst unter Parteimitgliedern die Herrschaft der SED anzweifeln – erkennbar am Anstieg von Austritten aus der Partei.3 Im Sommer 1989 entstand zudem über die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze und Botschaftsbesetzungen in Prag, Budapest, Warschau und der bundesdeutschen Ständigen Vertretung in Ost-Berlin eine dynamische Ausreisewelle von DDR-Bürgern in den Westen.4 Im August begannen Leipziger nach der Montagsandacht in der Nikolaikirche mit Kerzen durch die Stadt zu ziehen. Am 9. Oktober schlossen sich ihnen bereits 70 000 Menschen an, deren Zahl zwei Wochen später auf über das Doppelte anschwoll. Die sogenannten „Montagsdemonstrationen“ verbreiteten sich schnell im ganzen Land, von Rostock an der Küste bis Klingenthal im Erzgebirge. In der letzten Woche des Oktobers zählte die Staatssicherheit über 130 Demonstrationen mit etwa einer halben Million Teilnehmern.5 Daraufhin änderte sich die politische Lage Schlag auf Schlag: Am 18. Oktober setzte das Politbüro Erich Honecker ab, neuer SED-Generalsekretär wurde sein bisheriger Stellvertreter Egon Krenz. Im Laufe des Herbsts 1989 sah sich die SED einer Vielzahl von neugegründeten Gruppen, ja sogar Parteien gegenüber: Neues Forum (NF), Demokratie Jetzt (DJ), Grüne Partei, Demokratischer Aufbruch (DA). Im Vordergrund stand der Ruf nach mehr Demokratie, jedoch bezogen sich fast alle in ihren Gründungsaufrufen mal mehr, mal weniger stark auf die ökologischen Schäden in der DDR.6 Die Bürgerrechtspartei „Demokratie Jetzt“ trat beispielweise für einen Einklang von Ökologie und Ökonomie in einem reformierten Sozialismus ein. Denn dieser dürfe nicht verlorengehen, „weil die bedrohte Menschheit auf der Suche nach überlebensfähigen Formen menschlichen Zusammenlebens Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft braucht“.7 Und der im Oktober 1989 unter anderem von Rainer Eppelmann und Erhart Neubert gegründete „Demokratische Aufbruch – ökologisch-sozial“ (DA) wählte für seinen Parteitag am 16. und 17. Dezember 1989 das Motto: „Für glückliche Menschen in einer sauberen Umwelt“. Hielt DJ an den sozialen Vorteilen des Sozialismus fest, so wandte sich der DA einer schnellen Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland zu.8 3
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Vgl. Wolle, Welt, S. 320; Amos/Geiger, Einleitung, S. 13. Siehe auch BStU, Das „Sputnik“Verbot, in URL: https://www.bstu.de/informationen-zur-stasi/themen/beitrag/das-sputnikverbot/ [27. 5. 2022]. Vgl. Hertle, Sommer 1989, S. 61–72; Amos/Geiger, Einleitung, S. 13–16. Vgl. Wolle, Welt, S. 324 f. Vgl. z. B. o. V., Dokument „Aufbruch 89 – Neues Forum“, in: LEMO: Lebendiges Museum Online, hrsg. vom Haus der Geschichte, in URL: https://www.hdg.de/lemo/bestand/objekt/ dokument-aufbruch-89.html [27. 5. 2022]. O. V., „Gründungsaufruf der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt (DJ)“, in URL: https://www. jugendopposition.de/node/151135?guid=919 [27. 5. 2022]. Vgl. Christian Wernicke, „Demokratischer Aufbruch“. Eine neue Partei mit Bonner Bügelfalten, in: Die Zeit, 22. 12. 1989, in URL: https://www.zeit.de/1989/52/eine-neue-partei-mitbonner-buegelfalten/ [27. 5. 2022]. Siehe auch o. V., „Demokratischer Aufbruch (DA)“, in URL: https://www.jugendopposition.de/lexikon/sachbegriffe/148374/demokratischer-aufbru ch-da [27. 5. 2022].
1. Die SED und ihre Konkurrenz – ein kurzer Abriss zur Friedlichen Revolution
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Im Gründungsfieber neuer Parteien durfte auch eine Grüne Partei der DDR nicht fehlen. Innerhalb der Ostblockstaaten war es die vierte Gründung einer solchen Partei. Sie erfolgte am 24. November 1989 am Rande des 6. Berliner Ökologie-Seminars – im Vergleich zu anderen bürgerbewegten Organisationen also relativ spät. Einigen Mitgliedern der Arche hatte bereits bei der Kommunalwahl im Mai 1989 vorgeschwebt, eine grüne Liste gegen die Einheitsliste der Nationalen Front antreten zu lassen, was laut Wahlrecht der DDR durchaus möglich gewesen wäre, jedoch in der Praxis nie zur Anwendung gekommen war. Zwar konnten sie ihre Absicht nicht umsetzen, doch die Diskussion zur Gründung einer grünen Liste war von nun an im Gange. Statt einer frühen Parteigründung kam es im Bewusstsein, dass die Herkunft der Gruppe in der Basisbewegung lag, und sie deren Charakter bewahren wollte, im September 1989 zunächst zur Gründung einer „Grünen Liste im Neuen Forum“. Streitigkeiten über das Grundsatzpapier einer Grünen Partei der DDR verzögerten ihr Zustandekommen abermals bis in den November.9 Indes überschlugen sich die Ereignisse: Am 4. November kam es auf dem Berliner Alexanderplatz letztlich mit einer Teilnehmerzahl von etwa einer halben Million zu einer der größten Demonstrationen gegen die Verhältnisse in der DDR. In der Nacht vom 9. zum 10. November fiel nach der Verkündung neuer Reiseregelungen die Berliner Mauer. Am 6. Dezember trat das Politbüro mit Egon Krenz an der Spitze geschlossen zurück, und der Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden Hans Modrow (SED) übernahm als neuer Ministerpräsident die Amtsgeschäfte. Einen Tag später etablierte sich der Zentrale Runde Tisch. Dort saßen Delegierte der sieben größten Oppositionsgruppen DA, DJ, NF, Sozialdemokratische Partei (SDP), Grüne Partei, IFM und Vereinigte Linke. Der Tisch verhandelte mit den vier ehemaligen Blockparteien – Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD), DBD, CDU – und der SED unter anderem über die Auflösung der Staatssicherheit. Er verstand sich demnach explizit als „Übergangsinstitution“, die nicht an Regierungstätigkeiten direkt beteiligt war, diese aber zu kontrollieren und zwischen Regierung und Bevölkerung zu vermitteln suchte. Der Tisch hatte Ableger in der ganzen DDR, in den Kreisen und Kommunen. Sie dienten nicht dazu, die Machthaber zu stürzen, sondern wollten mit ihnen ins Gespräch kommen, die vorhandenen Strukturen reformieren und demokratisieren, und die DDR vor dem Zusammenbruch bewahren. Gemeinsam bereiteten sie die ersten demokratischen Wahlen der Republik vor, die dann am 18. März 1990 stattfanden.10 Auf der anderen Seite der nunmehr durchlässig gewordenen Mauer bereitete sich ein westdeutscher Bundeskanzler auf die plötzlich zum Greifen nahe Mög-
9 10
Vgl. Kloth, Grüne Bewegung, S. 161, 170–179; Jordan, Greenway, S. 41–43. Vgl. Wolle, Welt, S. 323–327; Weil, „Weniger als Feigenblätter…“, in URL: https://www.bpb. de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/223436/weniger-als-feigenblaetter-oder-insti tutionen-zivilgesellschaftlichen-engagements-die-runden-tische-1989-90-in-der-ddr [11. 6. 2022].
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
lichkeit einer Vereinigung beider deutscher Staaten vor: Am 28. November 1989 verkündete Helmut Kohl im Deutschen Bundestag einen Zehn-Punkte-Plan, dessen Ziel die deutsche Einheit war. Am 10. Februar 1990 flog er mit seinem Außenminister Hans-Dietrich Genscher nach Moskau, um Gorbatschows Zugeständnis zu einer deutschen Einheit zu gewinnen, womit der Startschuss zum 2+4-Prozess, der außenpolitischen Regelung einer Vereinigung beider deutscher Staaten, gefallen war. Innenpolitisch wurden mit dem Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“, bestehend aus CDU-Ost, DA und Deutscher Sozialer Union, am 18. März die Weichen für eine schnelle Wiedervereinigung gestellt. Nachdem sich die Bonner Regierungskoalition bereits am 6. März, also vor den Volkskammerwahlen in der DDR, auf eine Einheit Deutschlands nach Artikel 23 GG festgelegt hatte, schwenkte die seit Ende März 1990 im Osten bestehende große Koalition aus Allianz und SPD auf diesen schnell zu vollziehenden Einheitskurs ein. So trat am 1. Juli 1990 mit dem ersten Staatsvertrag für beide Länder die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in Kraft. Am 3. Oktober 1990 wurde die Deutsche Einheit vollzogen – nicht einmal ein Jahr nach dem Fall der Mauer.11 Es lohnt demnach stets sich zu vergegenwärtigen, dass so vieles, was im Jahr 1989/90 geschah, und so auch in der Umweltpolitik, unter einem enormen Zeitdruck entschieden wurde.
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90 „Beim Umbau der DDR-Wirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft muß der Schritt zur ökologischen Marktwirtschaft vollzogen werden. […] Wir fangen nicht bei Null an“,12 so Bundesumweltminister Klaus Töpfer im November 1989. Und DDRMinisterpräsident Lothar de Maizière (CDU-Ost) verkündete in seiner Regierungserklärung im April 1990, dass der Ökologie das Primat vor der Ökonomie eingeräumt werde, weshalb eine ökologische und soziale Marktwirtschaft eingeführt werden müsse.13 Beiderseits der Grenze gab es also die Vorstellung, den ostdeutschen Umbruchprozess als ökologische Chance zu begreifen. Verwies Töpfer auf die Kontinuitäten aus den bisherigen deutsch-deutschen Umweltgesprächen, so äußerte Helmut Kohl in seinem Gespräch am 20. Dezember 1989 mit Vertretern von Oppositionsgruppen, es gebe viele „überfällige Felder“ der Zusammenarbeit, wie beispielsweise den Umweltschutz, der sich für „so-
11 12
Vgl. Banditt, Kuratorium, S. 48; Amos/Geiger, Einleitung, S. 16–30. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 4, Bl. 155–158, hier Bl. 155, Umweltpolitische Konzeption der Bundesregierung in der künftigen Zusammenarbeit mit der DDR, PM des BMU, Bonn, 17. 11. 1989. 13 Vgl. BArch, N 2671, Zuarbeit aus dem MUNER für die Regierungserklärung von Lothar de Maizière im April 1990, Prof. Dr. Steinberg, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https:// deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/MUNER-Regerkl.pdf [27. 5. 2022].
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90
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fortige erste Schritte“ eignete.14 Wieder einmal spielte das Thema „Umweltschutz“ somit eine Vorreiter- und Transmitterrolle, um erste Ergebnisse intensiverer Zusammenarbeit zwischen beiden deutschen Staaten präsentieren zu können. Zufällig war diese Auswahl nicht. Anders als von Kohl gegenüber den Oppositionsgruppen suggeriert („überfälliges Feld“), wurden im Hintergrund längst die Fäden gezogen: Im Gespräch der Umweltbeauftragten am 23./24. Oktober 1989 hatte die DDR der Bundesregierung elf neue Pilotprojekte vorgeschlagen. Angesichts der Reformbemühungen im Osten wollte das Bundeskanzleramt diese im Auge behalten.15 Letztlich kamen beide Seiten am 14. Dezember 1989 überein, weitere Pilotprojekte anzugehen.16 Diese müssten keinen Demonstrationscharakter mehr für die Bundesrepublik aufweisen,17 doch finanzielle Mittel flössen aus der Bundesrepublik nur, wenn die Leistungen von westdeutschen Firmen erbracht würden.18 Hier setzte die Kritik der ost- aber auch westdeutschen Umweltgruppen ein. Einen Tag vor dem Gipfeltreffen der Umweltminister am 14. Dezember 1989 traf eine ostdeutsche Delegation mit Klaus Töpfer zu einem Round-Table-Gespräch zusammen.19 Vorab veröffentlichten sie gemeinsam mit dem BUND eine Erklärung: „Wir befürchten, daß unter einem ‚grünen Deckmantel‘ durchgeführte sogenannte ‚Wirtschaftshilfe‘ umweltschädliche Industriestrukturen zementiert, daß Umweltschutzmaßnahmen als Alibi und Vorwand für profitorientierte Expansion von West-Unternehmen in der DDR mißbraucht werden. Notwendig ist eine ökologische Modernisierung der DDR-Wirtschaft. UmweltschutzHilfemaßnahmen dürfen sich nicht darauf beschränken, einen großen Filter an die bestehende DDR-Industrie hinten dranzuhängen.“ 20
14
Vgl. Gespräch des Bundeskanzlers Kohl mit Vertretern von Oppositionsgruppen in der DDR, Dresden, 20. 12. 1990, Dok. Nr. 130, in: Deutsche Einheit, DzD, S. 673–675, hier S. 674; vgl. auch Gespräch des Bundeskanzlers Kohl mit Ministerpräsident Modrow, Bonn, 13. 2. 1990, Dok. 178, in: ebenda, S. 814–819, hier S. 818. 15 Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 4, Bl. 36 f., hier Bl. 37, Gespräche mit der DDR über Umweltschutzprojekte, hier: Neue Vorschläge der DDR, Germelmann, Referat 221, BKAmt, 2. 11. 1989; und die Liste Bl. 58 f. 16 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3663, Information über das Treffen der Beauftragten gemäß Artikel 4 der Umweltvereinbarung von 1987, 20./21. 12. 1989. Zahl der Pilotprojekte schwankt zwischen sieben und 15: vgl. z. B. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 404–412, hier Bl. 407, „Elf neue Umweltschutzprojekte“ in: Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Referat Z III 3, 31. 1. 1990; BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 463–470, hier Bl. 464, „15 weitere Pilotprojekte“ am 20./21. Dezember 1989 vereinbart, in: Nächste Sitzung des Kabinettausschusses „Deutsche Einheit“, BMU, 9. 2. 1990; acht Pilotprojekte in: Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 80. 17 Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 4, Bl. 95–99, DDR-Pilotprojekte, hier: Initiative zur Finanzierung von Folgeprojekten, Hoffmann, Referat Z II 4, BKAmt, 10. 11. 1989. 18 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 1, Information über das Gespräch zur Realisierung der mit dem BRD-Umweltministerium vereinbarten Pilotprojekte auf dem Gebiet des Umweltschutzes, 25. 9. 1989. 19 Vgl. AGG, A Vollrad Kuhn, Bd. 2, Umwelt nach der Revolution, Reisebericht einer Reise in die DDR, 7.–17. 12. 1989, Jan Haverkamp (Journalist aus den Niederlanden), übersetzt von Karin Hekstra. Siehe zum Bonn-Besuch auch Wegener, Bewegte Zeiten, S. 159–163. 20 Archiv für Umweltpolitik, Ordner II MR 14, Keine Worthülsen – jetzt Handeln. Gemeinsame Erklärung von Umweltverbänden aus Ost und West anläßlich des Round-Table-Gespräches am 13. 12. 1989.
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Die geforderte „ökologische Modernisierung“ war ein westliches Konzept, das seit 1980 seinen Aufstieg in den Sozialwissenschaften feierte und zunehmend in anderen Bereichen, so auch bis weit in die Umweltgruppen hinein, verbreitet war. Analytisch zwar unscharf und vielfältig interpretierbar, lassen sich doch grob folgende Kernaspekte festhalten: eine auf marktwirtschaftlichen Instrumenten, sprich dem Verursacherprinzip, beruhende Umweltpolitik; die verstärkte Einbindung wissenschaftlicher Expertise für die Berechenbarkeit der Naturphänomene – man könnte auch sagen „Planbarkeit“; der Einsatz umweltschonender Technologieinnovationen sowie deren Entwicklung und Förderung, um dennoch Wachstum zu generieren, aber unter ressourcenschonenden, naturverträglichen Vorzeichen. War die Umweltpolitik in den 1980er Jahren eher nachsorgend und reaktiv gewesen, etablierte sich damit am Ende der Dekade für die 1990er Jahre das Vorsorgeprinzip als politische Handlungsmaxime. Der Technologieoptimismus, der in diesem Konzept mitschwingt, sowohl der Prozess- und Fortschrittsentwicklungscharakter als auch das im Begriff enthaltene und ihm widersprechende „Bewahrende“ (Ökologie), zeugen von dem noch immer vorherrschenden Anliegen, Ökologie und Ökonomie miteinander in Einklang zu bringen. So ist eine politische Kontinuität aus den 1960er/1970er Jahren festzustellen, den Fortschrittsoptimismus beizubehalten und mit neuen Technologien der Umweltkrise Herr zu werden. Demgegenüber zeugt es von einem Paradigmenwechsel in der Umweltbewegung, das Wirtschaftswachstum, anders als noch nach der Veröffentlichung des Club of Rome 1972, unter nachhaltigen Voraussetzungen zu akzeptieren. Normativ avancierte dieses Konzept in den letzten 30 Jahren zum Leitbild staatlicher Umweltpolitik.21 Analytisch und deskriptiv konnten wir seinen Beginn seit dem Ende der 1980er Jahre zum Teil im Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR beobachten. Im Zuge des Wiedervereinigungsprozesses, befreit von dogmatischen SED-Vorgaben, brach es sich anscheinend endgültig Bahn. So sind auch die zwischen der Bundesrepublik und DDR vereinbarten Pilotprojekte vom Dezember 1989 dem Konzept der „ökologischen Modernisierung“ zuzuordnen. Für diese neuen Projekte mit der DDR und anderer Ostblockstaaten beantragte das BMU noch im Dezember 1989 eine Erhöhung seines Investitionstitels von 650 Mio. um weitere 450 Mio. DM bis 1993. Für die optimale Ausgestaltung der neuen Aufgaben, die auf das BMU zukamen, forderte Töpfer in seiner Auflistung für den Nachtragshaushalt beim BMF zudem 43 zusätzliche Stellen. Neben Beamten für ein neues Referat im BMU, das sich mit deutsch-deutschen Projekten befassen sollte, befanden sich darunter auch drei Stellen in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, in der ein eigenes Umweltschutz-Referat eingerichtet werden sollte.22 Außenminister Fischer lehnte im September 1989 eine zu-
21
Vgl. Bemmann/Metzger/von Detten: Einleitung, S. 10–17; Metzger, Erst stirbt der Wald, S. 446. 22 Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 4, Bl. 250–254, Schreiben des BMU, Dittrich, an den Bundesminister der Finanzen, Theo Waigel, Nachtragshaushalt 1990, Mehrbedarf für den Einzelplan 16 (BMU), 22. 12. 1989. Vgl. zur Einrichtung des Referats zu deutsch-deutschen Projek-
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sätzliche Planstelle für die Ständige Vertretung der DDR in Bonn für Aufgaben des Umweltschutzes hingegen ab.23 Damit machte sich eine strukturelle Schwäche der Umweltaußenpolitik der DDR endgültig bemerkbar. Am 13. November 1989 quasi mit Amtsantritt hob die Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow die seit sechs Jahren und länger andauernde Geheimhaltung der Umweltdaten auf und lüftete damit den Mantel der ökologischen Verschwiegenheit – vier Monate später, im März 1990, sollte sie den ersten Umweltbericht über den Gesamtzustand von Umwelt und Natur in der DDR veröffentlichen.24 Außerdem war der seit knapp zwanzig Jahren amtierende Umweltminister Hans Reichelt zurückgetreten, weshalb Modrow am 11. Januar 1990 das Amt mit Peter Diederich (DBD) neu besetzte.25 Die AG „Ökologischer Umbau“ des Zentralen Runden Tisches befragte Reichelt kurz darauf zu seiner Zeit als Minister. Sie kam zu dem Schluss, dass Reichelt seinen „eingegrenzten ‚Spielraum‘“ genutzt habe, um den ökologischen Problemen im Land Gehör zu verschaffen. Als partiell hilfreich stufte die AG hier den außenpolitischen Druck in Umweltfragen ein. Darüber hinaus sei es „offensichtlich Hans Reichelt persönlich zuzuordnen, daß einige Disziplinen der Umweltwissenschaften […] wenigstens auf Sparflamme überdauern konnten“.26 Neben einem neuen Minister bekam das MfUW auch einen neuen Namen und weitere Betätigungsfelder: Es hieß nun Ministerium für Umweltschutz, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit (MUNER) und war auf Wunsch der DDR-Opposition somit zusätzlich für Naturschutz (vormals MfLFN), Energie (vormals MfKE) und Atomkraftwerke (vormals SAAS) zuständig.27 Nach den ersten freien Wahlen in der DDR im März übernahm der Hochschullehrer für Chemie Karl-Hermann Steinberg (CDU) die Amtsgeschäfte. Alternative Energiekonzepte, Forderungen nach nachhaltigem Wirtschaften und Nullwachstum, Träume von einem ökologischen Umbau (bei)der Gesellschaft(en) – in diesem kurzen „Jahr der Anarchie“ 28 schien alles möglich. Bevor also die ökologische Welle ganz im Meer von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsproblemen verebbte,
ten: BArch, DK 5, Bd. 6042, hs. Protokoll der ersten Sitzung der Gemeinsamen Umweltkommission, 23. 2. 1990. 23 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 1, Schreiben Außenministers Oskar Fischer an Hans Reichelt, 4. 9. 1989. 24 Vgl. Verordnung über Umweltdaten vom 13. 11. 1989, in: Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 22, S. 241 f.; Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR. 25 Vgl. jeweils o. V., Seit der Wende Geschaffenes – Verdienst der Besonnenen und der Unruhigen, in: ND, 12. 1. 1990, S. 1; Schriftsteller erwarten Rücktritt von Reichelt, in: Berliner Zeitung, 5. 12. 1989, S. 2; Reichelt nach Kritik zurückgetreten, 11. 1. 1990, in: FAZ, S. 3. 26 Information 10/8: Zwischenbericht der PDS-Arbeitsgruppe: Zu den Ursachen der bisherigen Nicht-Umweltpolitik der DDR, 10. Tagung, 29. 1. 1990, in: Thaysen, Runde Tisch, Bd. V, S. 181 f.; siehe auch Przybylski, Tatort Politbüro, Bd. 2, S. 203. 27 Vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltschutzbericht der DDR, S. 78. 28 Vgl. Links/Nitsche/Taffelt, Das wunderbare Jahr der Anarchie, siehe darin z. B. die Stilllegung des Tagebaus Cospuden durch Bürgerinitiativen, S. 120–126, Zugang Sebastian Pflugbeils zu geheimen Unterlagen über die Atomkraftwerke, S. 134–140 oder Blumenaussaat im Grenzstreifen durch Soldaten, S. 202–205.
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versuchten auch die Umweltengagierten aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft den Umbruchsentwicklungen eine umweltpolitische Komponente beizugeben. Die folgenden Kapitel befassen sich damit, die deutsch-deutsche Umweltpolitik im Transformationsprozess der deutschen Wiedervereinigung zu verorten und darin Kontinuität oder Neubeginn zu eruieren. Da die Transformationsgeschichte der deutschen Wiedervereinigung auch im Umweltbereich eine Studie für sich darstellt, kann hier nur exemplarisch auf die wichtigsten, nur in groben Zügen erzählten Entwicklungen eingegangen werden. Mit der Friedlichen Revolution 1989 verbanden sich demnach zunächst Hoffnungen auf einen ökologisch-sozialen Umbau der DDR-Gesellschaft und nach Jahren der Geheimhaltung die Erwartung an eine neue Form der Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft im Umweltbereich. Im Folgenden wird daher der (deutsch-deutsche) Grüne Tisch als zivilgesellschaftlicher Hoffnungsträger vorgestellt und anschließend auf die Verwaltungslogik und -realität eingegangen. Abschließend werden die Pilotprojekte des industriellen Umweltschutzes mit dem „Tafelsilber der deutschen Einheit“ – dem Naturschutz – kontrastiert.
2.1 Der Grüne Tisch — ein Versuch gelebter Demokratie „Ich verstehe uns also als ein Einflußorgan zwischen Volk und Regierung mit der Hauptrichtung von unten nach oben.“ Weiter plädierte Hans-Peter Gensichen für eine „möglichst tiefgehende Koalition der ökologischen Vernunft“.29 Am 24. Januar 1990 tagte zum ersten Mal der Grüne Tisch der DDR. Es nahmen hauptsächlich sowohl Vertreter der neuen Parteien wie DA, Grüne Partei und DJ als auch Delegierte des MUNER, der GNU und des KFH teil sowie Persönlichkeiten wie der Biologe und stellvertretende DDR-Umweltminister Michael Succow, der Sekretär der GNU Rolf Caspar oder der Ökochemiker, Publizist und Mitbegründer der Grünen Partei Ernst Paul Dörfler. Insgesamt trafen sich 25 Personen, davon sieben als Beobachter. Nach Gensichen handelte es sich beim Grünen Tisch jedoch weder um einen Ableger des Zentralen Runden Tisches noch – zumindest so seine Ansicht im Frühjahr 1990 – um eine Übergangslösung. Der Tisch verstand sich hingegen als „ein beständiges Element unserer neuen Demokratie“, das als solches „zu den Errungenschaften, welche die DDR in den Vereinigungsprozeß einzubringen hat“, gehörte.30 Auf diesen Zug der partizipativen Demokratieform, die die Ostdeutschen aufzubauen versuchten, probierten auch die westdeutschen Umweltverbände aufzuspringen. Kurz nach der ersten Sitzung trafen sich am 27. Januar 1990 in West-
29
RHG, KFH, Bd. 39, Rede Hans-Peter Gensichens zur Eröffnung des Zentralen Grünen Tisches, 24. 1. 1990. 30 Peter Gensichen, Grüne Tische, in: Globus. Die Umweltzeitschrift, Umweltschutz in der DDR, hrsg. v. BUND, Nr. 3, 4. 3. 1990, S. 89; siehe auch Helmar Hegewald, 10. Sitzung, 29. 1. 1990, in: Thaysen, Runde Tisch, Bd. III, S. 551–619, hier S. 580.
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Berlin 1500 Umweltschützer aus Ost und West, um über die „ökologische Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft“ in beiden Teilen Deutschlands zu beraten und sich auszutauschen.31 In seiner Rede „Die ökologische Revolution ist überfällig“ konstatierte Hubert Weinzierl (BUND), dass die Auseinandersetzung mit der Umweltpolitik in der Bundesrepublik für die „privaten Naturschutzverbände härter geworden“ sei. In Politik und Medien stürzten sich alle auf die DDR, wogegen eine „internationale Solidargemeinschaft“ sowohl für die Verminderung oder Beseitigung der Schäden im Osten als auch für „das zarte Pflänzchen der bundesdeutschen Umweltpolitik“ vonnöten sei.32 Sein Plädoyer wies also darauf hin, dass über den ökologischen Herausforderungen in der DDR diejenigen der Bundesrepublik nicht vergessen werden dürfen. Entsprechend empfindlich schrieb Weinzierl anlässlich des Gesprächs zwischen Töpfer und Diederich am 17. Januar an den Bundesumweltminister: „Ich bitte Sie dringend, diese Form der überholten Geheimdiplomatie aufzugeben und die in der DDR erreichten Standards der Informationspolitik auch auf den Westen zu übertragen.“ 33 Bemängelt wurde damit, dass der Zentrale Runde Tisch vor den Umweltverbänden von diesem Treffen mit Diederich informiert worden war. Damit machte die Politik einen Unterschied zwischen politischer Opposition in der DDR und Umweltverbänden im Westen, was Weinzierl nicht hinnehmen wollte. Auch sei seiner Meinung nach das BMU nach wie vor das „Sozialamt der Schöpfung“, denn das Sagen habe die Wirtschaftspolitik; Umweltpolitik bekomme nur den Spielraum, den ihr die Industrie gewähre: „Wir Umweltverbände warnen davor, daß unsere Philosophie der Umweltpolitik exportiert wird […] Sie postuliert nämlich Wirtschaftswachstum, um die angerichteten Schäden anschließend reparieren zu können. […] ein deutsch/deutscher Umweltgipfel [ist] überfällig, bei dem wir Bürgervertreter als Anwälte der Natur paritätisch den Regierenden gegenübersitzen und gemeinsam die Grundlagen einer neuen, vorbeugenden Umweltpolitik formulieren wollen, welche die Grundlagen für eine ökologische soziale Marktwirtschaft in beiden Teilen Deutschlands werden sollte.“ 34
Der geforderte deutsch-deutsche Umweltgipfel fand letztlich in dieser Form nicht statt, doch avancierte der Grüne Tisch der DDR ab seiner dritten Sitzung im März 1990 zu einem deutsch-deutschen Grünen Tisch. Mit starkem Auftreten auf dem Berliner Treffen und Aufnahme an den Grünen Tisch versuchte unter anderem der BUND auf die Gemeinsame (politische) Umweltkommission, an der auch einmal drei Vertreter aus der DDR-Umweltbewegung (Gensichen, Dörfler und der 31
Vgl. o. V., Berliner Erklärung, in: DNR Kurier. Zeitschrift des Deutschen Naturschutzrings, Heft 1/1990, S. 3; Wegener, Bewegte Zeiten, S. 164–167. 32 AGG, B.II.1., Bd. 1009, Hubert Weinzierl, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz: Die ökologische Revolution ist überfällig, Rede auf dem Treffen der Umweltverbände aus der DDR und der BRD in Berlin am 27. Januar 1990, S. 1–39, hier S. 2. 33 Archiv für Umweltpolitik, Ordner II MR 14, Brief Weinzierl an Töpfer, 19. 1. 1990; siehe auch dessen Antwort vom 5. 2. 1990. 34 AGG, B.II.1., Bd. 1009, Weinzierl (BUND): Die ökologische Revolution ist überfällig, Rede auf dem Treffen der Umweltverbände aus der DDR und der BRD in Berlin am 27. Januar 1990, S. 1–39, hier S. 28, 33.
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Forstwissenschaftler Helmut Schieferdecker) teilgenommen hatten,35 Einfluss zu nehmen, um diese auf Fehlentwicklungen hinweisen zu können.36 Es ging aber auch um Macht, Einfluss und zu verteilende Gelder. Angesichts der Aufmerksamkeit, die der DDR entgegengebracht wurde, mussten die alteingesessenen bundesdeutschen Verbände doch befürchten, in mancher Hinsicht benachteiligt zu werden. Bekamen westdeutsche Akteure zunehmend Einfluss auf das Konstrukt „Grüner Tisch“, so zogen sich andere immer mehr von ihm zurück. Beim Treffen im Haus der Demokratie etwa zwei Wochen vor den Wahlen in der DDR am 18. März waren kaum noch Vertreter des MUNER oder politischer Parteien vertreten. Sowohl DDR-Umweltminister Diederich als auch sein späterer Nachfolger Steinberg hatten je eine Sitzung ausfallen lassen, weshalb das Vertretertreffen Letzteren schriftlich darauf hinwies, Umweltfragen seien so vielschichtig, dass „sie unbedingt der Beleuchtung von allen erdenklichen Seiten bedürfen – und das ist die Aufgabe des Grünen Tisches.“ 37 Am Tisch saßen nun vor allem gesellschaftliche Vertreter – Entsandte alter westdeutscher und neuer ostdeutscher Organisationen. Robin Wood wäre da zu nennen sowie der BUND, DBV, DNR, die GNU, das neu gegründete „Unabhängige Institut für Umweltfragen“ (UfU) oder die ebenfalls aus der Taufe gehobene „Grüne Liga“. Die Politik hatte sich weitgehend zurückgezogen. Die Anwesenden beschlossen, den Formulierungsvorschlag des Zentralen Runden Tisches für den Entwurf einer neuen DDR-Verfassung zu unterstützen. Der in ihm enthaltene Artikel 33 zum Umweltschutz verband das Vorsorge- und Verursacherprinzip miteinander und wies aus der Bürgerbewegung stammende Bestimmungen auf: So zum Beispiel die Offenlegung von Umweltdaten, welche die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigen; die Verbandsklage, die bereits in der Bundesrepublik von der sozial-liberalen Koalition diskutiert, aber seit dem Regierungswechsel 1983 nicht weiter verfolgt wurde; und die mögliche Einschränkung des Eigentumsrechts durch Staat und Kommunalautonomie, um den Bürgern den Zugang zu Seen, Bergen, Wäldern, Feldern und Flüssen freizuhalten.38 Indessen entschied sich die Politik zur Wiedervereinigung nach Artikel 23 – Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des GG –, weshalb dieser Entwurf nie
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Vgl. o. V., Berliner Erklärung, in: DNR Kurier. Zeitschrift des Deutschen Naturschutzrings, Heft 1/1990, S. 3. Beschlossen wurde der Gesamtdeutsche Grüne Tisch auf dem zweiten Treffen am 27. 2. 1990, vgl. RHG, KFH, Bd. 39, Protokoll des 2. Treffens des Grünen Runden Tisches, 27. 2. 1990; BArch, DK 5, Bd. 6042, hs. Protokoll der ersten Sitzung der Gemeinsamen Umweltkommission, 23. 2. 1990. 36 Vgl. RHG, KFH, Bd. 39, Brief von E. K. an die Teilnehmer des Grünen Runden Tisches. 37 RHG, PS 088/03, Baerens und Gensichen informierten über die Arbeit am Grünen Tisch, April 1990, in: Pusteblume. 38 Siehe Artikel 33, 2. Abschnitt Arbeit, Wirtschaft, Umwelt, in: Entwurf: Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Tisches, Berlin, April 1990, in URL: http://www.documentarchiv.de/ddr/1990/ddr-verfassungs entwurf_runder-tisch.html [28. 5. 2022]; RHG, KFH, Bd. 39, Protokoll des 1. Treffens des Gemeinsamen Grünen Tisches, Haus der Demokratie, o. V., 7. 3. 1990. Krach um die Verbandsklage, in: Der Spiegel, Nr. 6, 2. 2. 1981, S. 14.
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verabschiedet wurde. Die Bürgerbewegten gaben jedoch nicht auf: Als erste gesamtdeutsche Initiative gründete sich das „Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“. Sein Ziel bestand darin, eine breite Verfassungsdiskussion in Ost und West zu fördern, und eine Synthese zwischen Grundgesetz und Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches der DDR herzustellen. Sein ebenfalls kaum zur Kenntnis genommener Verfassungsentwurf beinhaltete unter anderem einen Bundestagsausschuss zur Technikfolgenabschätzung, einen Ökologischen Rat und quasi ein „Vetorecht“ des Umweltministers zu bedeutsamen Vorhaben.39 Auch der deutsch-deutsche Grüne Tisch forderte von beiden Regierungen und den Parteien ein Mitsprache-, Vorschlags- und Beratungsrecht bei allen umweltrelevanten Entscheidungen, Umweltsteuern für Verursacher, Verzicht auf den Ausbau der Kernenergie und drängte darauf, das Nationalparkprogramm der DDR um Flächen in der Bundesrepublik zu erweitern.40 Insbesondere der Generalsekretär des westdeutschen DNR Helmut Röscheisen verfolgte das Ziel, den Grünen Tisch zu einem von Umweltverbänden kontrollierten Umweltrat auszubauen und damit als anerkanntes Gremium zu etablieren; seiner Meinung nach würden die Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der evangelischen Kirchen (AGU) und der bundesdeutsche Rat der Sachverständigen ihrer „Aufgabe nicht gerecht“.41 Die hohen Erwartungen der Beteiligten an die Rolle, die der Grüne Tisch spielen sollte, wurden vom Prozess der Wiedervereinigung schnell zunichte gemacht. Viele aus der Runde waren auch in anderen Gremien wie in Volkskammerausschüssen tätig, woraus sich eine Doppelbelastung vor allem der Ostdeutschen ergab. Das kostete Kraft und Zeit, die dem Tisch verlorengingen. Entgegen der ursprünglichen Intention gerade keine Übergangsinstitution zu sein, handelte es sich im Nachhinein betrachtet genau um eine solche. Umgewandelt in einen personell viel kleiner bestückten Beirat, der dem ostdeutschen MUNER Perspektiven zur Umweltpolitik aus „Forschungseinrichtungen, Umweltverbände[n], Basisinitiativen, Geistesschaffende[n], Medien, Kirchen“ 42 vermitteln sollte, verschwand der Grüne Tisch schließlich. Und nach einmaliger Tagung im Juli 1990 war auch der Beirat Geschichte. Zwar hatte sich Umweltminister Steinberg bei Klaus Töpfer noch für den Erhalt des Gremiums eingesetzt, jedoch ohne Erfolg.43 Mit der Gründung des Beirates fiel für die an der Basis arbeitenden Ökologiegruppen der direkte Kontakt zum ostdeutschen Umweltministerium weg. Nun
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Vgl. Banditt, Kuratorium, S. 50–52. Vgl. RHG, KFH, Bd. 39, Protokoll des 1. Treffens des Gemeinsamen Grünen Tisches, Haus der Demokratie, o. V., 7. 3. 1990. Siehe zum Nationalparkprogramm der DDR Kap. V.2.4. 41 RHG, KFH, Bd. 39, Protokoll der 2. Sitzung des deutsch-deutschen Grünen Tisches, E. K./ C. S., 14. 5. 1990. 42 RHG, KFH, Bd. 39, Vorschlag Gensichens zur Gründung eines Umweltbeirates im MUNER, 22. 5. 1990. 43 Vgl. RHG, KFH, Bd. 39, Schreiben Hans-Peter Gensichens an die „Mitstreiter“ am „Grünen Tisch“, Wittenberg, 1. 6. 1990; und Protokoll der 1. Sitzung des Umweltbeirates am 17. 7. 1990, Dallmann; siehe auch Gensichen, Von der Kirche zur Gesellschaft, S. 179–181. 40
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fehlte ihnen die Möglichkeit, ihre Konzepte und Ideen unmittelbar einzubringen. Wandten sie sich mit ihren Entwürfen an Ost-Berlin, so kam von dort keine Rückmeldung mehr. Nach ihrer Auffassung war gerade die verstärkte „ökologische Zusammenarbeit zwischen dem Umweltministerium und den Umweltgruppen in den Ländern“, das heißt eine intensivere Kommunikation, vonnöten.44 Doch die Zeichen der Zeit standen auf Vereinigungskurs und damit der Übernahme der bundesdeutschen Regelwerke und Praktiken. Dadurch steht der Grüne Tisch exemplarisch für all die Initiativen, Träume, Wünsche und Chancen, die es in den Monaten nach dem Mauerfall gab, und die den übereilten Lauf der Dinge, der eher ein Sprint war, im Sommer 1990 nicht überdauerten.
2.2 Die Umweltunion — eine öko-soziale Notwendigkeit? Nachdem zivilgesellschaftliche Experimente neuer demokratisch-partizipativer Formen gescheitert waren, stellt sich die Frage, inwiefern die Politik auf die Umbruchzeit reagierte. Die Umweltschutzgespräche zwischen der Bundesrepublik und der DDR wurden seit Ende 1989 immer vielseitiger: Es gab Einzelgespräche und Verhandlungen zur Elbe-Reinhaltung, zur Werrasalz-Reduzierung sowie zur Abfallentsorgung und Energieversorgung. Die Gespräche über Pilotprojekte wurden ausgebaut. Darüber hinaus gab es Gemeinsame Kommissionen für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz sowie zum Umweltschutz. Zusätzlich bestanden im Bereich der Länder und Kommunen, beispielsweise beim Gewässerschutz, mannigfaltige Kontakte, über die das BMU jedoch ab Frühjahr 1990 „im Ganzen keinen Überblick mehr“ hatte.45 Der ökologische Aufbruch in den deutsch-deutschen Beziehungen wurde vor allem, wie bereits erwähnt, am 14. Dezember 1989 signalisiert. Neben weiteren Pilotprojekten vereinbarten Töpfer und damals noch Reichelt, die Gemeinsame Umweltschutzkommission zu gründen. Ähnlich dem deutsch-französischen Umweltrat verstand sich diese als „politische Institution“, in die Fachexperten entsandt wurden.46 An ihrer ersten Sitzung nahmen auch Vertreter des Grünen Tischs teil. Damit kam die Modrow-Regierung den Forderungen nach größt-
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RHG, KFH, Bd. 39, Schreiben von E. R. an Hans-Peter Gensichen in Reaktion auf die Auflösung des Grünen Tisches, 28. 6. 1990. 45 BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266–272, hier Bl. 272, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990. Vgl. auch: Maßnahmen der Länder der Bundesrepublik Deutschland zur Zusammenarbeit mit der DDR, Stand: 1. 3. 1990, Dok. Nr. 200B, S. 903–905; und Besprechung des Chefs des Bundeskanzleramtes Seiters mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder, Bonn, 30. 1. 1990, Dok. Nr. 152, S. 735–739, hier S. 737, in: Die Einheit, DzD. 46 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 1, Information über das am 14. 12. 1989 geführte Gespräch mit dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Prof. Dr. Töpfer; siehe auch BArch, B 137, Bd. 11838, Bl. 414–418, Umweltpolitische Zusammenarbeit mit der DDR, hier: Gespräch BM Toepfer mit DDR-Umweltminister Reichelt am 14. 12. 1989 in Berlin-Ost, Fernschreiben Nr. 2879, 15. 12. 1989.
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90
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möglicher Transparenz und Bürgerbeteiligung nach.47 Das Vorhaben der deutschdeutschen Umweltkommission bestand unter anderem neben der Etablierung des Vorsorge- und Verursacherprinzips darin, ein gebietsspezifisches Aktionsprogramm für die DDR zu entwickeln.48 Die Hauptrichtung der deutsch-deutschen Interaktion war damit endgültig auf die Umweltproblematik der DDR gerichtet. Inhaltlich verabredeten beide Seiten in der Kommission Sanierungs- und Stilllegungskonzepte für die die Umwelt belastenden Teile der DDR-Industrie und die zügige Fertigstellung von in Bau oder Planung befindlichen Klär- und Filteranlagen zum Beispiel in Halle, Leipzig, Bitterfeld und Dresden.49 Die Bestandsaufnahme industrieller Produktions-, Klär-, Trinkwasserver- und Abfallentsorgungsanlagen übernahm die Münchner Beratungsfirma Boston Consulting.50 Hinsichtlich des bundesdeutschen Müllexports auf DDR-Deponien verabredeten die Mitglieder der Kommission die Erfassung von Deponien und einen Zeitplan für die Beendigung besagten Missstands, jedoch „unter Berücksichtigung der augenblicklichen Entsorgungssituation in bestimmten Regionen der Bundesrepublik“.51 Die verfügbare westdeutsche Entsorgungskapazität für Sondermüll betrug Ende der 1980er Jahre ca. 0,6 Mio. Tonnen bei einem gleichzeitigen Aufkommen von 1,8 Mio. Tonnen pro Jahr.52 Das hieß konkret, dass Diederich zu Beginn des Jahres 1990 der Deponie Vorketzin die Betriebsgenehmigung entzog, da die aus den 1970er Jahren stammende Sondermülldeponie West-Berlins auf DDR-Territorium nachweislich den Boden und das Trinkwasser gefährdete, der Mülltransport auf die „einwandfreie Deponie“ 53 Schönberg wurde allerdings fortgesetzt. Die Aufgaben der deutsch-deutschen Umweltkommission überschnitten sich stark mit dem von DDR-Umweltminister Diederich am 29. Januar 1990 dem Zentralen Runden Tisch vorgetragenen Umweltschutzstrategiekonzept. Hier musste sich Diederich, der seit kaum mehr als zwei Wochen im Amt war, vor allem bei
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Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 404–412, hier S. 406, Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Referat Z III 3, 31. 1. 1990; siehe auch BArch, DK 5, Bd. 6042, hs. Protokoll der ersten Sitzung der Gemeinsamen Umweltkommission, 23. 2. 1990; Forderung der Beteiligung der Parteien des Zentralen Runden Tisches an der Kommission: Eberhard Stief, 10. Sitzung, 29. 1. 1990, in: Thaysen, Runde Tisch, Bd. III, S. 551–619, hier S. 579, 598. 48 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 6042, Gemeinsame Mitteilung, 23. 2. 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/BArch-DK5-6042_Umwelt kommission.pdf [28. 5. 2022]. 49 Vgl. ebenda. 50 Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 463–470, hier Bl. 465 f., Nächste Sitzung des Kabinettausschusses „Deutsche Einheit“, BMU, 9. 2. 1990; BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266– 272, hier Bl. 268, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990. 51 BArch, DK 5, Bd. 6042, Gemeinsame Mitteilung, 23. 2. 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/BArch-DK5-6042_Umweltkom mission.pdf [28. 5. 2022]. Vgl. keine Einbahnstraße zuzulassen: Ebenda, hs. Protokoll der ersten Sitzung der Gemeinsamen Umweltkommission, 23. 2. 1990. 52 Vgl. Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 822. 53 Ch. Kohl/ D. Kampe, „Jetzt geht es erst ans Grobe“, in: Der Spiegel, Nr. 8, 19. 2. 1990, S. 132– 139, hier S. 139.
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den Themen Finanzierung und Energiewirtschaft Kritik gefallen lassen.54 Da die Veränderungen in der DDR-Führung nach dem Wechsel erst zwei bis drei Monate her waren, verwundert es nicht, dass die Schwachstellen des Systems auch im Umweltschutzkonzept noch nicht ganz ausgemerzt waren. Im Allgemeinen stand das Umweltministerium den Forderungen der Umweltgruppen aufgeschlossen gegenüber. Die Notwendigkeit von Maßnahmen wie beispielsweise die Etablierung des Verursacherprinzips, die Umweltverträglichkeitsprüfung, die Entlastung der verstaubten und verschwefelten Luft und die Säuberung der Gewässer erkannten sowohl Regierung als auch Opposition. Schwieriger war es, einen Konsens über die Umsetzung zu erreichen: Während die knapp 1500 Teilnehmer von Ökologiegruppen auf dem deutsch-deutschen Treffen in Berlin im Januar 1990 die Abschaltung von 50 Prozent der Kohlekraftwerke forderten, beschränkte sich Diederich darauf, die Entstaubungs- und Entschwefelungstechnologiekapazitäten zu erhöhen, schließlich musste die Energieversorgung noch gewährleistet werden.55 So hatte die neue DDR-Führung bereits Ende 1989 drei umweltschonend arbeitende Dampferzeuger für den VEB Chemische Werke Buna geordert, um 50 000 Tonnen SO2 pro Jahr einsparen zu können.56 Doch blieb es nicht bei dem von den Umweltgruppen befürchteten „Anhängen des großen Filters“ an die DDR-Industrie, ergo nachsorgenden Umweltschutzmaßnahmen. Als Umweltsofortprogramm ließ die Regierungskommission mit Verfügung Nr. 146/89 vom 22. November 1989 einige umweltverschmutzende Industrien stilllegen oder zumindest drosseln. Beispielsweise wurde ab 1990 die Leistung der Schwelereien Espenhain und Böhlen um 20 bis 25 Prozent reduziert. 1992 – so der Plan – sollten beide vollkommen stillgelegt werden. Gemeinsam mit der Schließung der Schwelerei Deuben ab 1. Oktober 1990 umfasste diese Maßnahme bis 1992 eine Reduzierung um etwa vier Prozent der 5,2 Mio. Tonnen von ausgestoßenem SO2.57 Beide Maßnahmen – Filter und Stilllegungen – verursachten einen Umbau der Industrie, der mittelfristig nachsorgend die Entstaubung und Entschwefelung von Industrieanlagen, langfristig den Strukturwandel der Industrie, teilweise durch ihre Deindustrialisierung, anstrebte.58 Für den Übergang der DDR zur öko-sozialen Marktwirtschaft spielte sowohl ökologisches als auch administratives Wissen eine wichtige Rolle, weshalb die
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Vgl. 10. Sitzung, 29. 1. 1990, Thaysen, Runde Tisch, Bd. III, S. 551–619, hier S. 561, 579. Vgl. Siehe zu Diederichs Programm: Top 3: Ökologische Fragen, Vortrag vom Minister für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft, Peter Diederich über den gegenwärtigen Stand der Umweltsituation in der DDR, in: ebenda, S. 551–558; und für die Forderungen der Ökologiegruppen aus Ost und West: o. V., Berliner Erklärung, in: DNR Kurier. Zeitschrift des Deutschen Naturschutzrings, Heft 1/1990, S. 3. 56 Vgl. o. V., Lebensraum Todesstreifen, in: Der Spiegel, Nr. 50, 11. 12. 1989, S. 53–58, hier S. 53. 57 Vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 81; Ch. Kohl/ D. Kampe, „Jetzt geht es erst ans Grobe“, in: Der Spiegel, Nr. 8, 19. 2. 1990, S. 132–139, hier S. 132. 58 Vgl. BArch, N 2671, Zuarbeit aus dem MUNER für die Regierungserklärung von Lothar de Maizière im April 1990, Prof. Dr. Steinberg, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https:// deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/MUNER-Regerkl.pdf [27. 5. 2022].
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90
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deutsch-deutsche Umweltkommission drei Arbeitsgruppen einsetzte: (I) Umweltrecht und Verwaltungsorganisation (u. a. Übertragung von Grenzwerten und Schaffung einheitlicher Genehmigungsverfahren), (II) Ökologischer Sanierungs- und Entwicklungsplan bis zum Jahr 2000 (Bestandsaufnahme der Belastung, Maßnahmenkatalog, Finanzierung) sowie (III) Energie und Umwelt (Energieversorgung und Ausrüstung von Kraftwerken mit moderner Technologie).59 Teilweise setzten sich in den Arbeitsgruppen gewisse personelle und auch inhaltliche Kontinuitäten fort.60 Vorarbeiten dieser Kommissionen, insbesondere der Arbeitsgruppe II, fanden Eingang in das vom BMU im November 1990 verkündete „Eckwertepapier“ der Bundesregierung, in dem Umweltziele bis zum Jahr 2000 formuliert wurden. Darin stand unter anderem noch immer die Erfassung einer ökologischen Inventur der DDR.61 Obwohl 1989/90 bereits einiges an Umweltschäden bekannt und gemessen worden war, war die Bestandsaufnahme notwendig, weil Politik und Industrie Ende 1990 teilweise noch immer im Ungewissen verharrten. Im Umweltbericht der DDR vom März 1990 waren zum Beispiel erst etwa 12 Prozent der 10 750 Kilometer Fließgewässer in der DDR erneut „klassifiziert“ worden, das heißt in die sechs Güteklassen von „unbelastet“ bis „übermäßig verschmutzt“ eingeteilt.62 Kurzzeitig wurde auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auch eine neue Güteklasse – „ökologisch zerstört“ – eingeführt.63 Mithin blieben 88 Prozent nicht bewertet. Der Bericht machte erstmals eine immer noch große Wissenslücke sichtbar. Über die Belastung mit Stoffen im Gewässer gab der Bericht weiter an: „Die derzeit vorliegende Beschaffenheit der Hauptgewässerläufe ist dadurch gekennzeichnet, daß von den klassifizierten [12 Prozent] Flußabschnitten“ 20 Prozent für die Trinkwasseraufbereitung und 35 Prozent nur mit komplizierten ökonomisch aufwändigen Technologien nutzbar waren, 45 Prozent konnten für die Trinkwassergewinnung nicht mehr verwendet werden.64 Im Bundeskanzleramt wurde daraus geschluss59
Siehe zu den Arbeitsgruppen, u. a. BArch, DK 5, Bd. 3363, Arbeitskonzeption für die AG „Ökologische Sanierungs- und Entwicklungsplan“ im Rahmen der gemeinsamen Umweltkommission mit der BRD, o. V., 3. 4. 1990; BArch, DK 5, Bd. 6042, Gemeinsame Mitteilung, 23. 2. 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/ uploads/BArch-DK5-6042_Umweltkommission.pdf [28. 5. 2022]. 60 Z. B. Gerhard Voigt (AG Umweltrecht und Verwaltungsorganisation, DDR), Otto Malek (Unterarbeitsgruppe Wasser, Bunderepublik): BARch, DK 5, Bd. 1990, Entwurf der Niederschrift über die Konsultation im BMU, Fiedler/Herfeldt, 13.–15. 3. 1990. Frank Herrmann war bis 1991 im BMU tätig, Gespräch mit der Autorin am 22. 9. 2020. 61 Vgl. Studienarchiv Umweltgeschichte des IUGR an der Hochschule Neubrandenburg, StUG 354–11, Bestand Reinhold Fiedler, Eckwerte der ökologischen Sanierung und Entwicklung in den neuen Ländern, BMU, November 1990, S. 4; siehe dazu v. a. Sprenger u. a., Umweltschutz in den neuen Ländern, S. 95–102. 62 Vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 30; siehe auch Statistisches Bundesamt, DDR-Statistik, S. 261. 63 Vgl. Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 18, sowie die Gewässerkarte in: Umwelt 1994. Politik für eine nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Deutscher Bundestag, Drucksache 12/8451, 6. 9. 1994, S. 19. 64 Hervorhebung durch die Autorin, vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 36. Siehe zu den Gewässern allgemein Kap. III.2. Vgl. weiteres Datenmaterial bei Simon/
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folgert, dass der Bereich Gewässerschutz die „größten umweltpolitischen Fragen“ aufwerfe.65 Für Diederich und Töpfer markierte die Gemeinsame Umweltkommission den Beginn einer „Verantwortungsgemeinschaft“ beider Staaten im Umweltschutz. Das Ziel war eine Umweltunion.66 Das bedeutete letztlich die Übernahme bundesdeutscher Gesetze wie des Immissionsschutzgesetzes, die TA Abfall oder das Wasserhaushaltsgesetz, um bis zum Jahr 2000 gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu schaffen. Dazu hatte sich die DDR mit Artikel 16 der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verpflichtet. Als am 29. Juni 1990 die Volkskammer der DDR das Umweltrahmengesetz verabschiedete, trat am 1. Juli somit neben der Wirtschaftsunion auch die – in der Aufzählung oft vergessene – Umweltunion in Kraft. Dieses Umweltrahmengesetz war eine kleine Synopse bundesdeutscher und DDR-Gesetzgebung, wobei die bundesdeutsche im Konflikt- und Widerspruchsfall stets die Oberhand behielt.67 Doch blieb sogar im Einigungsvertrag im Großen und Ganzen beispielsweise der Straftatbestand „Verursachung einer Umweltgefahr“ (§ 191a) der DDR-Gesetzgebung in Kraft, bis er durch das zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität am 1. November 1994 bundesweit abgelöst wurde.68 Denn wieviel die neue Umweltgesetzgebung die DDR kosten würde, konnten die ostdeutschen Verwaltungsangestellten im Vorfeld nicht eruieren und demnach keine ökonomische Aufstellung ausarbeiten. Deshalb blieben die in der
Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 178. Unterschied von „klassifiziert“ und „nicht klassifiziert“ nicht berücksichtigt, u. a. bei Schiefer, Profiteur, S. 361. 65 BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266–272, hier Bl. 266, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990. 66 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 6042, Gemeinsame Mitteilung, 23. 2. 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/BArch-DK5-6042_Umweltkom mission.pdf [28. 5. 2022]. 67 V. a. Wassergesetzregelungen der DDR (§ 2, Abs. 2) sowie Teile des Naturschutzbereichs (§ 3, Abs. 1), die Paragrafen 10 bis 16 des LKG und ihre DVO blieben vorerst in Kraft. Vgl. Umweltrahmengesetz vom 29. Juni 1990, Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 42, 20. 7. 1990, S. 649–654, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/GblURaG.pdf [28. 5. 2022]. Siehe auch Vermerk Abteilung 4, Bonn, 17. 5. 1990, Dok. Nr. 283, S. 1134 f., hier S. 1135; und die Besprechung des Chefs des Bundeskanzleramtes Seiters mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder, Bonn, 7. 6. 1990, S. 1184–1189, hier S. 1185, beide in: Die Einheit, DzD. Bereits teilweise Übernahme bundesdeutscher Umweltgesetze im Koalitionsvertrag der De Maizière-Regierung im April 1990: Vorlage des Regierungsdirektors Nehring an Bundeskanzler Kohl, Bonn, 17. 4. 1990, Dok. Nr. 246, in: ebenda, S. 1015 f., hier S. 1015. Siehe auch Sprenger u. a., Umweltschutz in den neuen Ländern, S. 76, 84. 68 Vgl. Anlage II, Kap III C Anlage II Kapitel III Sachgebiet C – Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht, Abschnitt II, § 191a Verursachung einer Umweltgefahr, Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag), 31. 8. 1990, in URL: https://www.gesetzeim-internet.de/einigvtr/BJNR208890990.html [28. 5. 2022]; siehe auch Artikel 12, Aufhebung einer Vorschrift (§ 191a), 31. Strafrechtsänderung – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (31. StRÄndG 2. UKG), 27. 6. 1994, in: Bundesgesetzblatt, Teil I, S. 1440– 1445, hier S. 1445.
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DDR existierenden Staub- und Abgasgelder sowie die Abwasserabgabe zunächst weiterhin bestehen.69 Zeit, Geld, Einfluss auf den Prozess – die Umweltunion war aus mehreren Gründen politisch, juristisch und wirtschaftlich wichtig, notwendig und von den beteiligten Akteuren gewollt. Zum einen wies die Bundesrepublik – im Gegensatz zum gerade gescheiterten sozialistischen Experiment – ein erfolgreiches Modell von Umweltpolitik auf. Zum anderen erfolgte die Übernahme bundesdeutscher Gesetze und Methoden unter ungeheurem Zeitdruck und war allein schon deshalb nicht frei von Fehlern. Die ostdeutschen Verwaltungsangestellten hatten mit ihrer marktwirtschaftlichen Unerfahrenheit sowie mit unterschiedlichen, gar kontroversen Vorschlägen aus den SPD- und CDU-geführten Ländern umzugehen.70 Darüber hinaus beschloss die Volkskammer am 22. Juli den (Wieder-)Aufbau eines föderalen Systems wie desjenigen der Bundesrepublik mit fünf neuen Ländern in der DDR.71 Zwar äußerten bei Besprechungen mit DDR-Vertretern sowohl Heinrich von Lersner, der Präsident des UBA, als in Teilen auch Klaus Töpfer ihr Missfallen über die Macht der Länder in manchem Bereich des Umweltrechts der Bundesrepublik,72 ändern konnten sie diesen Umstand jedoch nicht. Damit vollzog sich der Aus- und Umbau der Umweltverwaltung vertikal statt horizontal. Die AG Umweltrecht und Verwaltungsorganisation hatte den Auftrag, sowohl die Rechtsangleichung zwischen DDR und Bundesrepublik als auch die Verwaltungsänderungen vorzunehmen. Hierzu wurden die Wasserwirtschaftsdirektionen und Staatlichen Umweltinspektionen umgewandelt.73 Gerade der Bereich des Gewässerschutzes galt – trotz der vielfältigen Mängel und Ausnahmeregelungen – als gut ausgebauter Behördenzweig mit einem strengen Wasserrecht, aus dem die neu zu
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Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3363, Vergleich ökonomischer Belastungen bei der Übernahme der gesetzlichen Bestimmungen zum Umweltschutz der BRD auf die DDR, in: Schreiben Keßler an Fiedler, 13. 2. 1990. Siehe auch: Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 67 f.; und BArch, DK 5, Bd. 3363, Niederschrift über die Konsultation im BMU, Bonn, 13./14. 3. 1990, Fiedler/Herfeldt (vertreten durch Vieregge). 70 Vgl. Gero: DDR-Umweltministerium und Greenpeace diskutieren, in: taz, 26. 9. 1990, S. 6. 71 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 3363, Niederschrift über die Konsultation im BMU, Bonn, 13./14. 3. 1990, Fiedler/Herfeldt (vertreten durch Vieregge). 72 Vgl. Kluth, Verwaltung der Länder, in URL: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/ lange-wege-der-deutschen-einheit/47200/verwaltung-der-laender?p=all [31. 5. 2022]. Siehe für Lersner: BArch, DK 5, Bd. 3363, Gedanken zu einer Beratung mit dem Präsidenten des Umweltbundesamtes am 7. 3. 1990, H. Schulze; und für Töpfer: Müllverbringung (LänderVerantwortung) sei auf Dauer „politisch nicht tragbar“: BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 404–412, hier Bl. 406, Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Referat Z III 3, 31. 1. 1990. Vgl. Corson, Hazardscapes, S. 64. 73 Vgl. Kluth, Verwaltung der Länder, in URL: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/ lange-wege-der-deutschen-einheit/47200/verwaltung-der-laender?p=all [31. 5. 2022]; BArch, DK 5, Bd. 4433, Vom MUNER entwickelte Empfehlungen für den Aufbau einer einheitlichen Organisation des Umweltschutzes vom Juli 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https:// deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/Empfehlungen-Orga-Umweltschutz.pdf [28. 5. 2022]; sowie BArch, DK 5, Bd. 2785, Ergebnisprotokoll der Arbeitsgruppe „Strukturaufbau“ vom 20. Juli 1990, in: ebenda, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/ AG-Strukturaufbau.pdf [28. 5. 2022].
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
bildenden Strukturen in den ostdeutschen Ländern Personal rekrutieren konnten.74 Entgegen den Verhältnissen in anderen ostdeutschen Ministerien gab es im September 1990 im MfUW/MUNER keine „Offiziere im besonderen Einsatz“ (OibE) des MfS.75 Das zeigt zum einen die Bedeutungslosigkeit des Ministeriums in der DDR, zum anderen erleichterte es die Übernahme von etwa 550 Personen in das gesamtdeutsche Umweltministerium, das seinen Geschäftsbereich damit um etwa 32 Prozent erweiterte.76 Zur Abwicklung der ostdeutschen Behörden gehörte allerdings auch – wie beim 2+4-Prozess – die außenpolitische Regelung. Insgesamt hatte die DDR 87 internationale und bilaterale Abkommen und Vereinbarungen geschlossen. Acht Abkommen der DDR zu Grenzgewässern, Umwelt und Schadstoffimmissionen, insbesondere mit Polen und der ehemaligen ČSSR, sollten fortgeführt und alle anderen an die Bundesrepublik angepasst werden.77 Die 22 Vereinbarungen und Protokolle der deutsch-deutschen Grenzkommission, welche die Trinkwasserversorgung und andere Umweltschutzmaßnahmen betrafen, wurden ebenfalls beibehalten und gingen in Länder- bzw. Behördenangelegenheiten über.78 Der Umgang mit der langersehnten „Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe“ (IKSE) von Bundesrepublik, DDR und ČSFR zeigt wiederum, welche bizarren Ausmaße der Wiedervereinigungsprozess auch beinhaltete: Das BMU pochte darauf, dass die IKSE noch vor der Wiedervereinigung zustande kommen sollte, damit insbesondere die Tschechoslowakei innenpolitisch handlungsermächtigt werden konnte. Das Justizministerium hielt jedoch für bedenklich, dass die DDR „langfristige
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Vgl. BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266–272, hier Bl. 266, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990; siehe auch BArch, DK 5, Bd. 2785, Arbeitsgruppe Strukturaufbau. Komplex: „Zuordnung der Wasserwirtschaftsdirektionen und Oberflußmeistereien“, o. D., in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/ uploads/AG-Strukturaufbau-Wasserwirtschaft.pdf [28. 5. 2022]. 75 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 2785, Schreiben von Reimer, Personalreferat Z I 1, an Minister Steinberg, 28. 9. 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wpcontent/uploads/oibe.pdf [28. 5. 2022]. 76 Vgl. Größte Dreckschleudern werden saniert. Bundesregierung fördert 35 Umweltschutz-Pilotprojekte in Ostdeutschland, in: Neue Zeit, 11. 10. 1990, S. 1. Wieviele Mitarbeiter das MUNER zuletzt aufwies, konnte nicht ermittelt werden. Laut Findbuch betrug die Beschäftigtenzahl im MUNER mit allen zugeordneten Institutionen (MD, Umweltinstitut, Staatliche Umweltinspektionen) 9577: vgl. o. V., Information des Bundesarchivs zum Bestand DK 5 in URL: http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/DK-5-28507/rightframe.htm?vid=DK-5-28507 &kid=e69de925-1e58-4ece-93c8-43ba904299b4 [28. 5. 2022]; zur Wasserwirtschaft: Simon/ Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 63–65. 77 Vgl. PA AA, MfAA, M 51, ZR 2779/13, Anlage 2, im Bericht zum Stand der Beratungen über die Überführung völkerrechtlicher Verträge der DDR im Verantwortungsbereich des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit, 20. 7. 1990, Steinberg an Meckel; Chaney/Gudermann, Contribution, Part 2, S. 183. 78 Z. B.: Eckertalsperre oder das Rückhaltebeckens der Itz, vgl. PA AA, MfAA, M 51, ZR 2779/ 13, Schreiben Steinbergs (MUNER) an Meckel (MfAA) zu den Verträgen zwischen Bundesrepublik und DDR, 27. 7. 1990.
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90
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Ziele […] mitbestimmen soll, deren Auswirkungen sie nicht mehr trägt.“ 79 Diese Auffassung dürfte stellvertretend für viele Nebenvereinbarungen und Aushandlungen im Transformationsprozess zur Deutschen Einheit zwischen Bundesrepublik und DDR gegolten haben. Der östliche Partner sollte möglichst keine Entscheidungen treffen, die dem wiedervereinigten Deutschland zusätzliche, möglicherweise langfristige und „unnötige“ Kosten aufbürdete. Die Vereinbarung zur Elbeschutzkommission bewertete der für die DDR zuständige Referatsleiter Peter-Christian Germelmann aus dem Bundeskanzleramt zudem als „widersprüchlich“: Einerseits verhandle die Bundesrepublik mit der DDR über ihren Beitritt nach Art. 23 GG und demnach „über deren Auflösung“, und gleichzeitig manifestiere sie mit der Unterzeichnung noch ein letztes Mal international ihre Zweistaatlichkeit.80 Kanzleramt und BMJ setzten sich gegenüber dem BMU durch, weshalb die Vereinbarung erst kurz nach der Wiedervereinigung, nämlich am 8. Oktober unterzeichnet wurde.81 Die Angleichung der Umweltstandards auf hohem Niveau, das internationale Umweltengagement, der Abbau grenzüberschreitender Umweltprobleme waren auch Voraussetzungen für die Einbindung des ostdeutschen Gebiets in die Umweltpolitik der EG.82 Die beiden deutschen Umweltminister gaben sich nicht der Illusion hin, dass eine schnelle Harmonisierung des Umweltrechts machbar sei. Selbst drei bis fünf Jahre empfanden sie Ende Februar 1990 als zu knapp.83 Übergangsfristen seien gerade dort notwendig, wo Anforderungen an die Qualität von Luft, Wasser und Boden gestellt würden, zum Beispiel bei der Trinkwasserrichtlinie.84 Hätte von heute auf morgen das bundesdeutsche beziehungsweise EG-Recht gegolten, wäre ein großer Teil der ostdeutschen Möglichkeiten, Trinkwasser zu gewinnen, sofort weggefallen. Die neuen Bundesländer mussten demzufolge mehrjährige Sanierungsprogramme durchführen, weshalb „Ausnahmen von EG-rechtli-
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BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 12, Bl. 207–210, hier Bl. 208, Einrichtung der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe, hier: Entwurf einer Vereinbarung, Schreiben des BMJ an das Referat WA I 1, BMU, 27. 6. 1990. 80 BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 233–235, hier Bl. 235, Vermerk Regierungsvereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland, DDR, ČSFR und EG über eine internationale Kommission zum Schutz der Elbe, Germelmann, Referat 221, BKAmt, an den Chef des Bundeskanzleramts, Seiters, 5. 7. 1990. 81 Vgl. Vereinbarung vom 8. 10. 1990 über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe, in URL: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/internationales-recht/-/ 240214 [28. 5. 2022]. 82 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 6042, Gemeinsame Mitteilung, 23. 2. 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/BArch-DK5-6042_Umweltko mmission.pdf [28. 5. 2022]. 83 Vgl. BArch, DK 5, Bd. 6042, hs. Protokoll der ersten Sitzung der Gemeinsamen Umweltkommission, 23. 2. 1990. 84 Vgl. PA AA, B 221, Bd. 166634 (411/E21), Auswirkungen des deutschen Einigungsprozesses auf die EG, hier: Sitzung der Bangemann-Gruppe mit BM Toepfer in der Kommission am 29. 03. 1990, Drahtbericht, u. a. BMU, 30. 3. 1990.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
chen Vorgaben erforderlich“ seien.85 Töpfers Werben bei der EG-Kommission für längere Übergangsfristen, eine finanzielle Beteiligung bei gemeinsamen Umweltprojekten und eine enge Zusammenarbeit beeindruckte die Kommission durch seine – so der Bericht aus Brüssel – „eindrucksvolle, ja packende Schilderung […] ueber die katastrophale Umweltsituation in der DDR“.86 Der Generalsekretär David Williamson erklärte daraufhin, dass die EG-Kommission zwar die Übergangsund Anpassungsfristen so gering wie möglich halten wolle, doch auf dem Umweltgebiet sei das anders.87 Die umweltpolitische Transformation stellte somit in der europäischen Wiedervereinigung einen legislativen Sonderbereich dar, gerade weil Umweltprobleme nicht von heute auf morgen ohne massive Struktureingriffe an strengere Normen und Grenzwerte angepasst werden konnten. Die Angleichung der DDR an die rund 200 EG-Rechtsakte zu Umweltschutz und nuklearer Sicherheit bis zum 31. Dezember 1992 galt im Prinzip nur dort, wo die wirtschaftliche, soziale und rechtliche Situation sie unbedingt notwendig machte (z. B. neue Anlagen, Produktnormen etc.). Für die besonders kritischen Bereiche wie Boden, Luft und Wasser – wie die eben angesprochene Trinkwasserrichtlinie – waren Ausnahmen bis 1995 vorgesehen.88 Ein zentrales und eindrückliches Argument Töpfers war, sowohl vor der EG als auch innerhalb der Bundesregierung, dass „nicht nur ein wirtschafts-, sondern auch ein umweltbedingter Strom von Übersiedlern“ erfolgen werde. Daher diene Umweltschutz dazu, „die Menschen in der DDR zum Bleiben zu veranlassen.“ 89 So verlangten auch die ostdeutschen Grünen am Zentralen Runden Tisch von Kanzleramtschef Rudolf Seiters objektbezogene Hilfen im Umweltschutz, da sie befürchteten, dass die Zahl der Ausreisewilligen ansonsten weiter steigen werde.90 Die Etablierung der Umweltunion war daher aus denselben politischen Gründen gewollt, aus denen die Einführung der DM in der DDR durch die Wirtschaftsund Währungsunion erfolgt war: die Menschen in der DDR zum Bleiben zu veran-
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BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266–272, hier Bl. 267, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990. 86 PA AA, B 221, Bd. 166634 (411/E21), Auswirkungen des deutschen Einigungsprozesses auf die EG, hier: Sitzung der Bangemann-Gruppe mit BM Toepfer in der Kommission am 29. 03. 1990, Drahtbericht, u. a. BMU, 30. 3. 1990. 87 Vgl. ebenda. 88 Vgl. Sprenger u. a., Umweltschutz in den neuen Ländern, S. 89–94. 89 PA AA, B 221, Bd. 166634 (411/E21), Auswirkungen des deutschen Einigungsprozesses auf die EG, hier: Sitzung der Bangemann-Gruppe mit BM Toepfer in der Kommission am 29. 3. 1990, Drahtbericht, u. a. BMU, 30. 3. 1990. Siehe auch den Zwischenbericht der Expertenkommission zur Vorbereitung einer Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Dok. Nr. 219 A, in: Die Einheit, DzD, S. 948–950, hier S. 949; und Archiv für Umweltpolitik, Bestand II MR 14, Ordner VI DDR. Kosten der Umweltunion, Neues Problem: Umwelt-Flüchtlinge, Umweltunion Deutschland. Mammutaufgabe der 90er, Presseinformation der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen e.V., 27. 11. 1990. 90 Vgl. Gespräch des Bundesministers Seiters mit Vertretern des Runden Tisches Berlin (Ost), 25. 1. 1990, Dok. Nr. 146, in: Die Einheit, DzD, S. 716–718, hier S. 717.
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90
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lassen. Die Währungsunion führte jedoch dazu, dass sich unter anderem der Preis von Exportwaren vervierfachte und die schwache DDR-Wirtschaft damit dem globalen Wettbewerb nicht standhalten konnte. Die Folge waren die Schließung von Industriebetrieben und Arbeitslosigkeit.91 Mit der Stilllegung und dem Ende vieler Betriebe ging die Übernahme bundesdeutscher Umweltgesetzgebung in der DDR mit der Hoffnung einher, dass im Umweltbereich neue Arbeitsplätze entstehen würden. Die Bundesrepublik galt ihr hierin als Vorbild, sie hatte dort in den letzten Jahren bis 1990 mehr als 450 000 Arbeitsplätze geschaffen.92 Zwar stieg ihre Anzahl in den 1990er Jahren, aber mehr als die Hälfte bestand aus vom Arbeitsamt finanzierten umweltbezogenen Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen (ABM).93 Diese ABM-Maßnahmen waren einerseits für die ostdeutsche Verbandsarbeit wichtig,94 kaschierten andererseits aber eine hohe Dunkelziffer bei der Arbeitslosigkeit. Angesichts über einer Million Arbeitsloser in Ostdeutschland,95 deren Zahl in den 1990ern weiter stieg, erscheint das Ansinnen, diese durch neue Arbeitsplätze im zwar aufstrebenden, aber dennoch kleinen Umweltbereich auffangen zu wollen, utopisch. Das war jedoch noch nicht abzusehen, als die Volkskammer das Umweltrahmengesetz verabschiedete. Es sollte vor allem in einer instabilen Gesellschaft für stabile Verhältnisse sorgen. Dadurch, dass mit diesem Gesetz in der DDR sichere und annähernd gleichwertige Regelungen galten wie in der Bundesrepublik, erhofften sich die Umweltbeamten, Investoren anzulocken, um den maroden Kapitalstock der DDR nach und nach durch moderne Umwelttechnik zu erneuern.96 Mitunter wird die DDR in manchen Bereichen als Schwellen- statt als selbstinszeniertes Industrieland angesehen.97 Im Umweltbericht verglich sich der untergehende Staat noch selbst mit westlichen Industriestaaten,98 ein historischer Ver-
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Vgl. Karlsch/Schäfer, Industrielle Familienunternehmen, S. 77 f.; Ahrens/Steiner, Wirtschaftskrisen, S. 108–115; Ritter, Preis, S. 29–31, 104–119. 92 Vgl. BArch, N 2671, Zuarbeit aus dem MUNER für die Regierungserklärung von Lothar de Maizière im April 1990, Prof. Dr. Steinberg, in: Aufbruch und Einheit, in: URL: https:// deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/MUNER-Regerkl.pdf [28. 5. 2022]. 93 Vgl. Thomas Schweer, Für ein besseres Image, in: Neue Zeit, 19. 11. 1993, S. 1; Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 6. 94 Vgl. Behrens, Umweltbewegung, S. 340. 95 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Arbeitslose und Arbeitslosenquote. In absoluten Zahlen und in Prozent aller zivilen Erwerbspersonen, 1980 bis 2021, in URL: https:// www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61718/arbeits lose-und-arbeitslosenquote/ [28. 5. 2022]; Ahrens/Steiner, Wirtschaftskrisen, S. 113. 96 Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 404–412, hier Bl. 406, Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Referat Z III 3, 31. 1. 1990. Siehe auch Küsters, Entscheidung, S. 81. 97 Vgl. Kowalczuk, Übernahme, S. 27. DDR nach Wirtschaftsproduktivität nur Schwellenland, bei Schmidt, Grundzüge der Sozialpolitik, S. 24, in URL: https://www.ssoar.info/ssoar/bit stream/handle/document/11688/ssoar-1999-schmidt-grundzuge_der_sozialpolitik_in_der.pdf [11. 6. 2022]; ähnlich Hiller, Sicherheitspartnerschaft, S. 827. 98 Vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 7; zur Problematik des BIP der DDR: Steiner, DDR-Statistik, S. 16 f.; siehe zum BIP der DDR im Umweltschutz auch Quellenkritik zur Abb. 2 im Anhang.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
gleich mit den anderen osteuropäischen Staaten um 1989/90 als Referenz wäre naheliegender, steht in diesem Bereich jedoch noch aus. Töpfer verkündete jedenfalls, dass es keinen „Rabatt auf Umwelt“ geben werde. Für neue Anlagen in der DDR hatten die gleichen Bestimmungen wie in der Bundesrepublik zu gelten, wodurch Wettbewerbsverzerrungen zwischen Ost und West vermieden werden sollten.99 Der im Osten eingeleitete wirtschaftliche Strukturwandel müsse von umweltpolitischen Rahmensetzungen flankiert werden, so die Auffassung im BMU.100 Um das bestmöglich zu kontrollieren und Einfluss auf diese Entwicklung zu nehmen, vereinbarten das BMU und das MfUW/MUNER einen Beamtenaustausch. Insbesondere den Westdeutschen kam die Aufgabe zuteil, die angestoßenen Projekte in der DDR juristisch wasserdicht abzusichern.101 Die Investoren sollten jedoch nicht durch allzu starke Umweltauflagen abgeschreckt werden. So konnten sich Erwerber von Altanlagen in der DDR von der Haftung für die Umweltschäden, die vor dem 1. Juli 1990 geschehen waren, befreien lassen (§ 4, Abs. 3).102 Doch spätestens bis 1996 sollten nach Übergangsfristen Altanlagen an die bundesdeutschen Standards angeglichen werden.103 Mit dem Umweltrahmengesetz sah der Staatssekretär im MUNER Winfried Pickart die Chance gegeben, den „‚Umwelthinterhof DDR‘ zu einem Modell für die ökologische Erneuerung eines Landes zu machen“. Das Gesetz sei ein Meilenstein bei der Errichtung der Umweltunion, der den Menschen eine „lebenswerte Perspektive“ gebe.104 Die Hauptmotive und Gründe für sein Entstehen waren zum 99
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Vgl. PA AA, B 221, Bd. 166634 (411/E21), Auswirkungen des deutschen Einigungsprozesses auf die EG, hier: Sitzung der Bangemann-Gruppe mit BM Toepfer in der Kommission am 29. 03. 1990, Drahtbericht, u. a. BMU, 30. 3. 1990. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 404–412, hier Bl. 411, Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Referat Z III 3, 31. 1. 1990. Vgl. ebenda, S. 406; siehe auch Interview der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit Klaus Töpfer über die Zusammenarbeit mit seinem früheren Amtskollegen KarlHermann Steinberg, 2015, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990. de/ministerien/muner/ [29. 5. 2022]. Vgl. Umweltrahmengesetz vom 29. Juni 1990, Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 42, 20. 7. 1990, S. 649–654, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/ uploads/Gbl-URaG.pdf [29. 5. 2022]; siehe auch BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 563– 582, hier Bl. 575, Niederschrift über Beratungen zur weiteren Vorbereitung und Realisierung von Umweltschutzpilotprojekten im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland beim Umweltschutz am 7. und 8. Juni 1990 in Berlin; und Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 35, 40. Vgl. Artikel 14 Umweltschutz, in: Arbeitspapier für die Gespräche mit der DDR für einen Vertrag einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, 24. 4. 1990, Dok. Nr. 256, in: Die Einheit, DzD, S. 1034–1044, hier S. 1039; und Art. 16, Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (WWSUVtr), 18. 5. 1990 in: Bundesgesetzblatt Nr. 20, Teil II, 29. 6. 1990, S. 537–567, hier S. 540. Alle Zitate in: BArch, N 2671, Redemanuskript von Staatssekretär Pickart zur Begründung des Umweltrahmengesetzes anlässlich der 1. Lesung in der Volkskammer am 15. Juni 1990, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/ Rede-URaG.pdf [29. 5. 2022].
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einen die schnelle und wirksame Bekämpfung von Umweltproblemen mittels nachsorgender Umwelttechnologie (Filter, Kläranlagen), zum anderen die Installation vorsorgender Umwelttechnik über Neuanlagen mit der Förderung privater Investitionen im Osten sowie das Vermeiden von „Umweltflüchtlingen“. Über die Schritte Umweltkommission, Umweltrahmengesetz (DDR) und letztlich Umweltunion kam es dazu, dass der Bereich „Umwelt“ im Einigungsvertrag zwischen beiden deutschen Staaten zwar als nicht mehr regelungsbedürftig galt, dennoch pochte das BMU darauf, einen Vertragsartikel zum Umweltschutz in den Einigungsvertrag aufzunehmen. Im Bundeskanzleramt wurde dies nur mit dem „Bedürfnis nach politischen Aussagen“ bewertet.105 Diese Aussage im Artikel 34 war letztlich jedoch ein wichtiges politisches Signal dafür, dass Umwelt- und Naturschutz im Transformationsprozess zur deutschen Einheit eine nicht wegzudenkende, jedoch unter starkem wirtschaftlichem und sozialem Druck stehende Kategorie war.
2.3 Umweltschutzprojekte: Im Labor der ökologischen Modernisierung Zu Beginn der 1990er Jahre rührte Greenpeace massiv die Werbetrommel für den ersten FCKW-freien Kühlschrank der Welt, der im Erzgebirge in einem ehemaligen DDR-Betrieb vom Band lief. Diese Vorreiterrolle Forons, wie der ehemalige VEB sich nannte, blieb jedoch nicht lange erhalten. Westdeutsche Kühlschrankproduzenten rüsteten ebenfalls um, und da es Greenpeace bei Foron durchgesetzt hatte, auf eine Patentklausel zu verzichten, ging das Unternehmen schließlich doch in die Insolvenz.106 Dieses Schicksal des Betriebes steht womöglich stellvertretend für das Unwissen des Ostens im Umgang mit der Marktwirtschaft und der routinierten Wettbewerbspraxis des Westens. Die Umweltunion sollte die administrativen Grundlagen für genau solche „ökologische Modernisierungen“ in der DDR legen. Wie bereits angeklungen, war dies angesichts des dort eingeläuteten Strukturwandels und Arbeitsplatzfrage nicht immer einfach. Gleichzeitig vollzogen sich im Osten Deutschlands mit der Wiedervereinigung Prozesse, die wegweisend für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik sein sollten. Das Gebiet der „Noch“DDR entwickelte sich insofern zu einem „Labor“, indem Reformen, oder in diesem Falle Technik, für die neue gesamte Bundesrepublik ausprobiert wurden.107 105
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Vgl. Vermerk des Regierungsdirektors Lehnguth, Bonn, 17. 8. 1990, Dok. Nr. 384, in: Die Einheit, DzD, S. 1466–1471, hier S. 1470; und Art. 34, Kapitel VII, Einigungsvertrag, 23. 9. 1990, in: Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. Von der Bundeszentrale für politische Bildung, in URL: https://www.bpb.de/nachschlagen/gesetze/einigungsvertrag/44108/ arbeit-soziales-familie-frauen-gesundheitswesen-und-umweltschutz [29. 5. 2022]. Vgl. Christoph Gunkel, Öko-Coup aus Ostdeutschland, in: Der Spiegel Geschichte, 13. 3. 2013, in URL: https://www.spiegel.de/geschichte/oeko-revolution-aus-ostdeutschland-wieforon-den-ersten-fckw-freien-kuehlschrank-der-welt-erfand-a-951064.html [29. 11. 2020]; Brand, Umweltbewegung, S. 239. Vgl. Bösch, Geteilt und verbunden, S. 8 f.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
Der Prozess zur ökologischen Modernisierung, der bereits vor 1989 angestoßen wurde, erfuhr nun im Wiedervereinigungsprozess eine rasche Beschleunigung. Die Pilotprojekte vom Sommer 1989 waren in ihrer Entwicklung auf diesen Vorbildcharakter bereits ausgelegt gewesen. Doch diese wurden obsolet, wenn der Betrieb keine wirtschaftliche Perspektive mehr hatte. Infolge „des hohen Anspruchs der Projekte, der unsicheren Zukunft verschiedener für die Pilotprojekte ausersehener Industriebetriebe sowie der Umstellung der Finanzierungsmodalitäten sind die Projekte in vielen Fällen ins Stocken geraten.“ 108 Mit dem Abschluss der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion galt fortan der Leitsatz, dass staatliche Entscheidungen für Investitionen dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, Effizienzsteigerung, Sparsamkeit, sozialer Belange und den Erfordernissen des Umweltschutzes Rechnung tragen mussten.109 Einer solchen Prüfung hielt beispielsweise der seit Sommer 1989 geplante neue Filter im Heizkraftwerk Magdeburg nicht mehr Stand, weshalb das Projekt „nicht weiter verfolgt“ wurde.110 Auch die Quecksilber-Anlage in Buna war durch den vorgesehenen Strukturwandel, bei dem der Quecksilberanteil im Abwasser und Schlamm entfallen würde, hinfällig geworden – ein neues Detailkonzept musste her.111 Gründe für die Verzögerungen und Unsicherheiten bei den Pilotprojektvereinbarungen seien neben dem wirtschaftlichen Aspekt laut BMU auch der „mangelhaften Infrastruktur der DDRVerwaltung“ geschuldet. Es fehlten Ansprechpartner, die über den Gesamtzustand einer industriellen Anlage Bescheid wüssten, was eine „Überbeanspruchung der Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums“ bewirkte und die DDR-Regierung noch mehr unter Druck setzte.112 In der DDR hinterließen diese politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen wiederum den Eindruck, dass die Bundesregierung spätestens ab Februar/März 1990, als sich der Weg zur schnellen Wiedervereinigung abzeichnete, kaum noch
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BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266–272, hier Bl. 271, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990. Vgl. Gemeinsames Protokoll über Leitsätze zum Vertrag über die Schaffung einer Währungsunion, Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Stand: 17. 4. 1990, Dok. 256 A, in: Die Einheit, DzD, S. 1045–1049, hier S. 1045. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 563–582, Niederschrift über Beratungen zur weiteren Vorbereitung und Realisierung von Umweltschutzpilotprojekten im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland beim Umweltschutz am 7. und 8. Juni 1990 in Berlin. Vgl. ebenda; Sebastian Knauer, „Ein Fluß geht baden“, in: Der Spiegel, Nr. 30, 23. 7. 1990, S. 39–46, hier S. 46. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 463–470, hier Bl. 465, Nächste Sitzung des Kabinettausschusses „Deutsche Einheit“, BMU, 9. 2. 1990. Siehe auch BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266–272, hier Bl. 271, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990; BArch, DK 5, Bd. 4356, Niederschrift über Beratungen, Vorbereitung und Realisierung von Umweltschutz-Pilotprojekten DDR-BRD, Hans Volksdorf (DDR) und Volker Hoffmann (Bundesrepublik), 26./27. 4. 1990, Berlin.
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wirklich verhandeln wollte. So beklagten die Minister ohne Geschäftsbereich gegenüber Kanzleramtschef Seiters, für die „Regierung der nationalen Verantwortung“ stehe keine konkrete Hilfe (gewünscht wurden Kredite) in Aussicht, obwohl dies von Westseite immer wieder erklärt werde. Das sei für viele Ostdeutsche unter anderem der Grund, weshalb in der DDR das Gefühl der Fremdbestimmung durch die Bundesrepublik wachse.113 Die Verhandlungen auf annähernder Augenhöhe waren passé, die Handlungsspielräume, insbesondere für die DDR-Unterhändler, zunehmend eingeschränkt. Das zeigte sich beispielsweise in der Klage des Verkehrsministers Horst Gibtner (CDU) gegenüber dem Grünen Tisch, „es gebe in der DDR keine Chance mehr auf eine eigenständige Verkehrsentwicklung“. Zwar erhielte die DDR in Abstimmung mit Bundesrepublik und EG 90 Mrd. DM für den Schienenverkehr und 80 Mrd. für die Sanierung der Straßen, doch das Tempolimit bei 100 Kilometer pro Stunde sei nicht mehr haltbar; das Ministerium hoffte auf 130.114 In ihrem Umweltbericht hatte die DDR durch die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und Geschwindigkeitsbegrenzungen entstandene positive Entwicklungen bestätigt, durch die die Stickoxidbelastung in den 1980er Jahren gesenkt werden konnte.115 Ab 1990 aber wurden bis 2019 in Gesamtdeutschland 6467 Bahnstreckenkilometer stillgelegt, davon etwa 40 Prozent in Ostdeutschland (2623 Kilometer).116 Statt die Chance der Stunde für eine „Wende in der Verkehrspolitik“, wie sie 1990 noch von den Umweltministern der Länder avisiert wurde, zu nutzen,117 trat das Gegenteil ein: der motorisierte Individualverkehr nahm zu. Damit nicht genug zeichneten sich auch bezüglich des BMU ostdeutsche Enttäuschungen ab: War im Sommer 1989 noch damit zu rechnen, daß beide Seiten die Pilotprojekte zur Hälfte finanzieren würden, wobei die DDR Kreditlösungen vehement abgelehnt hatte, wurde den Ostdeutschen im Februar 1990 „deutlich, daß das Interesse des BMU nachläßt, sich an der Finanzierung von Umweltschutzvorhaben in der DDR direkt zu beteiligen, weil die Förderung einzelner Projekte die flächenwirksame Verbesserung der ökologischen Situation ganzer Territorien nicht ausreichend“ gewährleiste.118 Hierfür spielten mehrere Faktoren aus Finanzen, Modernisierungslogik und Geografie eine Rolle: War 1989 noch ein verlorener Zuschuss vereinbart worden, 113
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Vgl. Gespräch des Bundesministers Seiters mit den Ministern ohne Geschäftsbereich der DDR, Bonn, 13. 2. 1990, Dok. Nr. 178, S. 819–820, hier S. 820, und Delegationsgespräch des Bundeskanzlers Kohl mit Ministerpräsident Modrow, Bonn, 13. 2. 1990, Dok. Nr. 179, S. 821–826, hier S. 821, beide in: Die Einheit, DzD. RHG, KFH, Bd. 39, Protokoll der 2. Sitzung des deutsch-deutschen Grünen Tisches, E. K./ C. S., 14. 5. 1990. Vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 18. Vgl. Knapp 6500 Kilometer Bahnstrecke in Deutschland seit 1990 stillgelegt, in: Die Welt, 10. 6. 2019, in URL: https://www.welt.de/newsticker/news1/article195006379/Linke-Knapp6500-Kilometer-Bahnstrecke-in-Deutschland-seit-1990-stillgelegt.html [29. 5. 2022]. Vgl. Gerd Rosenkranz, Umweltministerrunde: Bunt und einig, in: taz, 24. 11. 1990, S. 4. BArch, DK 5, Bd. 6042, Information über die Abstimmung zwischen dem BMU und dem MfUW, 9. 2. 1990.
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verfolgte das BMU nun die Förderung „privatwirtschaftliche[r] Umweltschutzinvestitionen durch staatliche Garantien“.119 Damit änderten sich für die DDR die finanziellen Rahmenbedingungen. Grund dafür war die geplante Wirtschafts- und Währungsunion, die nur mehr einen Zinszuschuss für die Verbilligung von Darlehen gewähren würde. Wenn ein Investitionszuschuss erfolgte, dann sei dieser nach bundesdeutschen Haushaltsregeln für Projekte zu gestalten. Das hieß, es solle einen bedingt zurückzahlbaren Zuschuss bei Projekten geben, die nach Inbetriebnahme kostendeckende Erlöse erzielten, und nicht zurückzahlbare Zuschüsse bei solchen, die „durch die auch bereits heute in der Bundesrepublik geltende Umweltschutzanforderungen übertroffen werden“.120 So galt von den 1989 anvisierten Pilotprojekten dasjenige der Kläranlage Piesteritz (Wittenberg) als am weitesten fortgeschritten. Es wies einen Plan zur Ausschreibung und zum geplanten Baubeginn im Januar 1992 auf. Hervorgehoben wurde, „daß es sich hier um die erste großtechnische Anwendung einer entsprechenden Technik handelt, die Demonstrationscharakter auch für die Bundesrepublik und die EG hat“, weil industrielle und kommunale Abwässer erstmals gemeinsam geklärt würden.121 Das BMU förderte aus gleichem Grund auch das Sanierungskonzept Bitterfeld-Wolfen als „modellhafte Umweltsanierung eines hochbelasteten Chemiebetriebes“ zur Schaffung einer „ökologisch orientierten Unternehmensführung als Beispiel für vergleichbare DDR-Betriebe“ mit einem Zuschussbetrag von 50 Prozent (ca. 6 Mio. DM).122 Die finanzielle und ideelle Regelung, Umweltschutzprojekte in der DDR dann mit Geld zu unterstützen, das teilweise nicht zurückgezahlt zu werden brauchte, wenn mit ihnen Umweltschutzstandards in der Bundesrepublik übertroffen würden, machte die DDR zu ebendiesem Labor oder Experimentierfeld für neue Technologien. Umweltpolitisch bewies diese Strategie damit jene Kontinuität, die bereits vor 1989 in den deutsch-deutschen Beziehungen von der Bundesrepublik angewandt, im Dezember 1989 einer schnellen Hilfe wegen kurz vernachlässigt und nun wieder hervorgeholt wurde. Neu war die Art der Finanzierung.
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Ebenda. BArch, DK 5, Bd. 4356, Niederschrift über Beratungen, Vorbereitung und Realisierung von Umweltschutz-Pilotprojekten DDR-BRD, Hans Volksdorf (DDR)/Volker Hoffmann (Bundesrepublik), 26./27. 4. 1990 Berlin. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 563–582, hier Bl. 571, Niederschrift über Beratungen zur weiteren Vorbereitung und Realisierung von Umweltschutzpilotprojekten im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland beim Umweltschutz am 7. und 8. Juni 1990 in Berlin; siehe auch o. V., Entwässerungsbetrieb Lutherstadt Wittenberg, Geschichte der Abwasserentsorgung in der Lutherstadt Wittenberg, in URL: https://www.abwasser-wittenberg.de/unternehmen/historie [29. 5. 2022]. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 563–582, hier Bl. 573, Niederschrift über Beratungen zur weiteren Vorbereitung und Realisierung von Umweltschutzpilotprojekten im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland beim Umweltschutz am 7. und 8. Juni 1990 in Berlin.
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Einhergehend mit dem Ziel der Wiedervereinigung fand nach dem Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“ im März 1990 zusätzlich ein Perspektivwechsel statt – von der Grenzregion hin zum Landesinneren der DDR. Auch darüber gerieten Pilotprojekte ins Stocken, da bisherige Umweltsünder von anderen abgelöst wurden. So schlugen die Experten von der Umweltkommission vor, das neue zirkulierende Wirbelschichtverfahren statt im Kraftwerk Staaken bei Berlin in Wählitz bei Halle/Leipzig einzusetzen. Im Raum Leipzig überstiegen die Staub- und Schwefeldioxidkonzentrationen die zulässigen Grenzwerte.123 Statt lokale, innerdeutsch grenzüberschreitende Verbesserungen anzuvisieren, musste nun für das gesamte Gebiet der DDR und dessen umweltproblematische Schwerpunkte gehandelt werden. So waren die Projekte zum Gewässergütemesssystem und zur Smogwarnung weiter in der Realisierung vorangeschritten als nachsorgende Umwelttechnik in einzelnen Betrieben.124 In den Fokus der (Bundes-)Politik rückte nun vermehrt die umweltverpestende, von der Braunkohle abhängige Chemieproduktion der DDR in Halle/Bitterfeld, wie mit einigen ausgewählten Pilotprojekten bereits angedeutet, und die Energiewirtschaft. Acht Pfennig pro Kilowattstunde zahlte die DDR-Bevölkerung für ihren Strom. Das führte dazu, dass der Energieverbrauch pro Kopf in der DDR doppelt so hoch war wie in der Bundesrepublik. Diesem verschwenderischen Verhalten sollte fortan über den Preis begegnet werden.125 Die Subventionen für die Energieversorgung wurden gestrichen, der Betrieb der Braunkohlekraftwerke teilweise gedrosselt, andere sollten über kurz oder lang schließen. Am 2. Juni 1990 fuhren die letzten zwei der vier Reaktoren des Atomkraftwerks Lubmin bei Greifswald auf Beschluss der de Maizière-Regierung herunter. Noch unter dem starken Eindruck Tschernobyls hatte der Physiker und Bürgerrechtler Sebastian Pflugbeil als Minister ohne Geschäftsbereich in der Modrow-Regierung Informationen zum Kernkraftwerk Greifswald gesammelt, die ihn und die Regierung zum Entschluss führten, die sowjetischen WWER-Reaktortypen abzuschalten. Bereits 1986 und 1989 hatte das SAAS in geheimen Gutachten immer wieder darauf hingewiesen, dass die Reaktoren eins bis vier massive Konstruktions-, Wertstoff- und Bedienungsfehler aufwiesen. Nach der Wiedervereinigung wurden 1991 auch die letzten Re-
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Vgl. ebenda. Siehe zu den Grenzwerten: Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 7; zum Nord-Südgefälle von Immissionswerten: Abb. „SO2-Immissionen – Jahresmittelwerte 1989 und 1992 im Vergleich“ und „Gewässergütekarte 1990“, in: Umwelt 1994, Deutscher Bundestag, Drucksache 12/8451, 6. 9. 1994, S. 11, 19; Buck, Umweltpolitik, S. 225. Vgl. zum Smogfrühwarnsystem: o. V., Lebensraum Todesstreifen, in: Der Spiegel, Nr. 50, 11. 12. 1989, S. 53–58, hier S. 53; BArch, DK 5, Bd. 3363, Protokoll über das Treffen der Beauftragten gemäß Artikel 4 der Umweltvereinbarung, 20./21. 12. 1989, Bonn; BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 404–412, hier Bl. 406; Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Referat Z III 3, 31. 1. 1990. Siehe zu den Gewässern: Sebastian Knauer, „Ein Fluß geht baden“, in: Der Spiegel, Nr. 30, 23. 7. 1990, S. 39–46, hier S. 46. Vgl. Buck, Umweltpolitik, S. 232 f.; PA AA, B 224, Bd. 168568, Abbau von Preissubventionen in der DDR, hier: Beschluß des „Runden Tisches“ vom 19. 2. 1990, Afz. Referat 412, Gruber, 21. 2. 1990; o. V., Lebensraum Todesstreifen, in: Der Spiegel, Nr. 50, 11. 12. 1989, S. 53–58, hier S. 56; Matthes, Stromwirtschaft, S. 392.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
aktoren der DDR heruntergefahren, da die sowjetische Bauart nicht die deutschen und westeuropäischen Sicherheitsstandards erfüllte. Die Berichterstattung rund um die Kernkraftwerksstillegung und die damit einhergehende Hervorhebung überlegener Westtechnologie verursachten jedoch in Teilen der Bevölkerung die Auffassung, es handele sich um eine „konzertierte Aktion“ der westdeutschen Energie- und Atomlobby. Die Bedrohung von 5000 Arbeitsplätzen führte in Greifswald Anfang 1990 zu Pro-Atom-Protesten.126 Doch die Abschaltung großer Energieversorger wie des Atomkraftwerks Greifswald oder des Braunkohlekraftwerks Harbke führte zu dem Zwang, den Strom anderweitig zu beziehen. Da die nachsorgende Entschwefelung der übrigen Kohlekraftwerke kostenintensiv und zeitaufwändig sein würde,127 lag die kurzfristige Lösung in einem Energieverbund mit westdeutschen Unternehmen wie der Veba AG, Preußen Elektra oder RWE,128 weshalb sich die DDR aus dem RGW-Verbund lösen und neue Netze geschaffen werden mussten.129 Die Initiative für den Wandel ging zum Teil von den DDR-Kombinaten selbst aus, unter anderem in der Hoffnung auf Unterstützung im Know-How. Doch auch Umwelt- und Energieminister Karl-Hermann Steinberg engagierte sich dafür, dass westdeutsche Energieversorger ein Konzept für die DDR-Energiewirtschaft entwickelten. Er befürchtete, dass die Energieversorgung spätestens im Winter 1990 zusammenbrechen könnte. Der Strombedarf musste schnell umweltgerecht und energiewirtschaftlich abgesichert werden. Dank Einbindung der westlichen Stromversorger und dem Umstand, dass diese bereits einen Teil der DDR-Kombinate übernahmen, konnte Steinberg die nötigen Investitionsmittel aufbringen, die der öffentlichen Hand der DDR nicht mehr zur Verfügung standen. So zeigt sich zumindest für diesen Bereich, dass das MUNER der DDR, eigentlich ohne wirtschaftsleitende Funktion, in diesem Fall strukturgestaltende Kompetenzen an sich zog. Auch galten die Stromverträge als unausweichliche ergänzende Maßnahme zur Einführung der Großfeuerungsanlagenverordnung (GFAVO) der Bundesrepublik in der Umweltunion.130 Das Neue Forum und die West-Grünen waren gegen eine solche Lösung gewesen, da die DDR von überschüssigem Atomstrom abhängig gemacht wurde. Die erhoffte stromwirtschaftliche Neugestaltung im ehemaligen Gebiet der DDR blieb zudem teilweise unerfüllt. Konflikte um die kommunale Stromversorgung sowie solche sowohl zwischen Treuhandanstalt, westlichen Stromversorgern als auch mit den
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Vgl. Stude, Strom für die Republik, S. 163 f. 240–243. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 463–470, hier Bl. 467, Nächste Sitzung des Kabinettausschusses „Deutsche Einheit“, BMU, 9. 2. 1990. Vgl. o. V., Lebensraum Todesstreifen, in: Der Spiegel, Nr. 50, 11. 12. 1989, S. 53–58, hier S. 56; siehe auch Interview der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit KarlHermann Steinberg über die Energiegewinnung der DDR, 2016, in: Aufbruch und Einheit in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/ministerien/muner/ [29. 5. 2022]. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 463–470, hier Bl. 467, Nächste Sitzung des Kabinettausschusses „Deutsche Einheit“, BMU, 9. 2. 1990. Vgl. Matthes, Stromwirtschaft, S. 264 f., 306–309, 326 f., 330 f.
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90
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neuen Bundesländern, etwa wenn es um die Zukunft der Braunkohle ging, verschärften sich in den darauffolgenden Jahren.131 Im Juni 1990 gab es schließlich 18 Verträge zu Projekten in der DDR mit einem Gesamtvolumen von 127,5 Mio. DM, für die das BMU eine Anschubfinanzierung von 52,6 Mio. DM stellte. Insgesamt konnte das Volumen auf 1,5 Mrd. DM mit einem BMU-Anteil von 360 Mio. DM aufgestockt werden. Töpfer sah nun eine „ökologische Sicherheitspartnerschaft“ für Europa im Wachsen begriffen.132 Vor Delegierten des DA in Cottbus konkretisierte er ihre Bedeutung: Menschen in Ost und West leben in derselben Umwelt, deren Belastbarkeit Grenzen gesetzt seien. Zudem sei unter ökonomischen Aspekten jede Entscheidung für Umweltschutzprojekte auf ihre tatsächliche ökologische Wirksamkeit zu prüfen, und es müsse bei jeder Investition zur Verjüngung industrieller Ausrüstungen, auch über Joint Ventures, ein spürbarer Vorteil für die Umweltverbesserung angestrebt werden.133 Waren die Pilotprojekte massiv vom einschlagenden Strukturwandel abhängig, wiesen die Naturschutzprojekte eine weit größere Beständigkeit als politischer Gegenstand auf. Zwar unterlagen hier die politischen als auch finanziellen Zusagen kaum Schwankungen, dennoch blieben auch sie nicht ganz konfliktfrei im Transformationsprozess zur deutschen Einheit.
2.4 Naturschutz: Das „Tafelsilber der deutschen Einheit“ Am 12. September 1990 verabschiedete der Ministerrat der DDR den „Beschluss zu den Verordnungen über die Festsetzung von Nationalparks sowie von Naturschutzgebieten und Landschaftsschutzgebieten von zentraler Bedeutung als Biosphärenreservate und Naturparks“. Die Verordnungen traten am 1. Oktober, also zwei Tage vor der Wiedervereinigung in Kraft. Diese finale Handlung der letzten DDR-Regierung stellte mit fünf Nationalparks, sechs Biosphärenreservaten und drei Naturparks 4,5 Prozent des Staatsgebietes der DDR beziehungsweise 4800 Quadratkilometer unter Naturschutz. Der Zentrale Runde Tisch der DDR sah die im Entstehen begriffenen Naturschutzgebiete als „Form neuer Demokratie“ an. Im Gegensatz zu den industriellen Umweltproblemen konnte die DDR mit den Naturschutzgebieten einen positiven Beitrag zur Wiedervereinigung einbringen, sodass dieser Schachzug mit der Metapher Klaus Töpfers als „Tafelsilber der deutschen Einheit“
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Vgl. ebenda, S. 329–338, 345–347, 446–452, 518–522; und BArch, DK 5, Bd. 3363, Gemeinsame Erklärung des „Neuen Forums“ der DDR und der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie der Grünen, 16. 12. 1989. Vgl. BArch, DK 5, Bd. 6042, Verträge für 18 DDR-Umweltschutzprojekte unter Dach und Fach – Töpfer erwartet schnell wirksame Verbesserungen, BMU Pressemitteilung, 26. 6. 1990; siehe auch o. V., Größte Dreckschleudern werden saniert. Bundesregierung fördert 35 Umweltschutz-Pilotprojekte in Ostdeutschland, in: Neue Zeit, 11. 10. 1990, S. 1. Vgl. o. V., Für eine ökologische Sicherheitspartnerschaft. Gemeinsame Umweltprojekte von DDR und BRD, in: Neue Zeit, 29. 1. 1990, S. 3.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
in die Geschichte einging.134 In bisherigen Darstellungen meist Schlusspunkt einer DDR-Umweltgeschichte, wird dieser Akt überwiegend als heroisches Aufbegehren der letzten ostdeutschen Regierung dargestellt.135 Dem ist nicht grundsätzlich zu widersprechen. Allerdings gab es dazu eine längere deutsch-deutsche Vorgeschichte, die dieses Ergebnis mit beeinflusst hat. Das „Tafelsilber“ ist auch als Erfolgsgeschichte intensiverer deutsch-deutscher Zusammenarbeit zu interpretieren. Bereits vor dem Fall der Mauer im September 1989 wurden Rufe von Naturschützern in Ost und West laut, die Truppenübungsplätze von Bundeswehr und NVA unter Schutz zu stellen. Während die Bundesregierung diesen Appell ignorierte, kam die Modrow-Regierung ihm nach und schützte die Staatsjagdgebiete an der Müritz, NVA-Truppenübungsplätze beispielsweise in der Lausitz,136 sowjetische Liegenschaften sowie das Niemandsland im innerdeutschen Grenzbereich. Insgesamt stellte seine Regierung im März 1990 somit in letzter Amtshandlung 23 Gebiete im Staatsterritorium sicher.137 Schon im Januar 1990 verlangte Hubert Weinzierl (BUND), den innerdeutschen Grenzbereich „zu einer Zone des Friedens und des Naturschutzes auszubauen, als grünes Band des Lebens sozusagen, das sich mitten durch Europa zieht.“ 138 Dem war am 9. Dezember 1989 ein Treffen von 400 Umwelt- und Naturschützern in Hof vorausgegangen, auf dem bereits über die Zukunft dieses „Grünen Bandes“ debattiert wurde.139 Das DDR-Grenzregime hatte die Menschen in 40 Jahren Sozialismus davon abgehalten, Naturgebiete wie Drömling, Brocken, Rhön oder Schalsee zu betreten. Nach dem Mauerfall wehrten sich Naturschützer nun gegen den Ansturm von Befürwortern ökonomischer Entwicklungen. Sie mussten sich im Winter 1989/90 gegen auf Wiesen parkende Autofahrer, Motocrossrennen im Drömling, Bauern, die ihre Felder ins Grenzgebiet ausdehnten, und Tourismusadvokaten behaupten. Ihre Neigung, die Menschen von den frei gewordenen Gebieten wieder fernzuhalten, verursachte neue Konflikte dies- und jenseits der Grenze.140
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Vgl. Jeschke, u. a., Mehr Wildnis wagen!, S. 12–14; Radkau, Ära, S. 526 f. Siehe zum Zentralen Runden Tisch: Helmar Hegewald, 10. Sitzung, 29. 1. 1990, in: Thaysen, Runde Tisch, Bd. III, S. 596. Z. B. Stuhler, Monate der DDR, S. 168–170; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 129; Radkau, Ära, S. 526–528. Vgl. Gensichen, Von der Kirche zur Gesellschaft, S. 179; BArch, DK 5, Bd. 6234, Nationalparkprogramm der DDR als Baustein für ein europäisches Haus, MfUW, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/BArch-DK5-6234. pdf [29. 5. 2022]; Elke Kreischer, Wo einst Kanonen donnerten, zwitschern jetzt die Vögel, in: Neue Zeit, 22. 9. 1990, S. 6. Vgl. Eckert, West Germany, S. 193; Jeschke u. a., Mehr Wildnis wagen!, S. 11. AGG, B.II.1., Bd. 1009, Weinzierl (BUND): Die ökologische Revolution ist überfällig, Rede auf dem Treffen der Umweltverbände aus der DDR und der BRD in Berlin am 27. Januar 1990, S. 1–39, hier S. 32. Vgl. Eckert, West Germany, S. 192. Siehe auch Archiv für Umweltpolitik, Ordner II MR 14, die Pressemitteilung des BUND: Grüne Grenze, 14. 11. 1989, Hubert Weinzierl zur deutschdeutschen Grenzentwicklung: „Statt Todesstriefen: Grüne Streifen des Friedens“. Vgl. Eckert, West Germany, S. 184–190.
2. Umweltpolitische Akzente im Umbruchsjahr 1989/90
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Die Ideen von Nationalparks in der DDR und grenzüberschreitenden gemeinsamen Naturschutzgebieten mit der Bundesrepublik waren indes nicht neu. Im Westen engagierten sich in den 1980er Jahren Naturschützer für die schützenswerten Biotope an der Demarkationslinie, kauften Landstriche auf, erstellten Kartierungen seltener Vogelarten und betrieben Lobbyarbeit bei ihren Landesregierungen. Auf die Pläne der Aktivisten für grenzüberschreitende Naturschutzgebiete westlich von Langer Rhön, Schalsee und Drömling konnten Bund und Landesregierungen demnach in den 1980er Jahren aufbauen, als sie – trotz der ablehnenden Haltung der DDR-Seite – diese zunächst allein weiterentwickelten.141 Im Osten konzipierten die Naturschützer und Biologen Lebrecht Jeschke und Michael Succow sowie der Landschaftsökologe Hans Dieter Knapp bereits 1976 ein Programm, das auf die Einrichtung von Großschutzgebieten abzielte. Einer von ihnen, Michael Succow, wurde im Januar 1990 zum stellvertretenden Minister ins MfUW berufen. Aus dieser Position heraus hatte er die Fäden in der Hand, die einst entworfenen Pläne in die Tat umzusetzen.142 Das nun zu entwickelnde Nationalparkprogramm der DDR war ein gesamtdeutsches Projekt mit Schwerpunkt im Territorium der DDR. Das wird an zwei Punkten ersichtlich: Zum einen hatte das BMU bereits im November 1989 der DDR eine Schutzkonzeption für den Drömling vorgelegt, in der Hoffnung, dass sie im Osten Berücksichtigung fände.143 Zum anderen konnte das von Succow entworfene Naturschutzkonzept der DDR in einem sehr frühen Stadium auf die finanzielle Unterstützung insbesondere des BMU setzen. So war der Naturschutz im beantragten Nachtragshaushalt des westdeutschen Ministeriums für 1990 mit 45 Mio. DM bis 1994 durchaus präsentabel angelegt.144 Laut Auffassung Töpfers und seines Ministeriums sollte 1990 kein „sinnvolles und ausgereiftes Projekt“ im Naturschutz an der Finanzierung scheitern.145 Auch galten die Naturschutzparks Schalsee und Drömling sowie die Biosphärenreservate „Schorfheide – Choriner Endmoränenlandschaft“ und Spreewald für das BMU als „gesamtstaatlich repräsentatives Naturschutzvorhaben“ und wurden demzufolge gefördert. Diese Argumentation bezüglich des Vorbildcharakters im Naturschutzbereich glich annähernd jener bei der ökologischen Modernisierung der Industrie.
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Vgl. ebenda, S. 173–178. Siehe auch BArch-SAPMO, DY 3023, Bd. 1445, Bl. 13–17, Information über Vorschläge der BRD zur Errichtung grenzüberschreitender Naturschutzgebiete, Mittag an Honecker, 23. 2. 1988. Vgl. BMU: Das Nationalparkprogramm der DDR, in URL: https://www.bmuv.de/30 jahrenaturschutz/nationalparkprogramm-der-ddr/ [29. 5. 2022]; und Kirchhof, Nestoren, S. 96 f., 102–104. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 4, Umweltpolitische Konzeption der Bundesregierung in der künftigen Zusammenarbeit mit der DDR, PM des BMU, Bonn, 17. 11. 1989. Siehe auch BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 5, Bl. 404–412, hier Bl. 409 f., Umweltzusammenarbeit mit der DDR, Referat Z III 3, 31. 1. 1990. Vgl. BArch, B 136, Bd. 21563, Teil 4, Bl. 250–254, hier Bl. 252, Schreiben des BMU, Dittrich, an den Bundesminister der Finanzen, Theo Waigel, Nachtragshaushalt 1990, Mehrbedarf für den Einzelplan 16 (BMU), 22. 12. 1989. Zit. nach Eckert, West Germany, S. 193, Anm. 176.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
Weitere Unterstützer einzelner Bereiche des Programms „zur Sicherung der wertvollen Biotope im Grenzbereich“ waren die Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern sowie ihre angrenzenden Bezirke auf der DDR-Seite – so wurde es in deutsch-deutschen Umweltgesprächen am 16. Januar und am 13. Februar 1990 verabredet. Darüber hinaus halfen zivilgesellschaftliche Institutionen wie der Worldwide Fund for Nature (WWF) Deutschland, die Föderation Naturparke und Nationalparke Europas sowie verschiedene Nationalparks, Stiftungen und Vereine finanziell dem Nationalparkprogramm der DDR.146 Dabei war ein intensiverer Informationsaustausch vonnöten, allein schon weil es Missverständnisse in den Begrifflichkeiten zu klären galt: Sagten die Ostdeutschen zum Beispiel „Nationalpark“, so verstanden die Westdeutschen „Naturpark“, was bei ihnen die schwächste Klassifikation eines Naturschutzgebietes darstellte.147 Dank dieser reichen gesellschaftlichen und politischen Unterstützung, der in deutsch-deutscher Zusammenarbeit im Akkord ausgearbeiteten Konzepte, der juristischen Absicherung sowie der finanziellen Zusagen handelte es sich beim Nationalparkprogramm um eine gut vorbereitete Vorlage. Jedes einzelne der ursprünglich anvisierten 23 Gebiete brauchte eine eigene Reservats- oder Schutzgebietsverordnung. Da nun wegen des schnellen Beitritts der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik die Zeit drängte, sollte das Programm statt für ursprünglich etwa 10,8 Prozent der Fläche Ostdeutschlands nur für jene 4,5 Prozent gelten, für die Verwaltungsangestellte und Naturschützer rechtzeitig die Pläne hatten ausarbeiten können.148 Wie bereits Felix Christian Matthes für die Energiepolitik feststellte,149 so ist auch beim Naturschutz zu sehen, dass positive Ergebnisse und das Ausnutzen von Handlungsspielräumen im Transformationsprozess am besten in der komplementären Allianz deutsch-deutscher Akteure zu erzielen waren. Einzelkämpfer konnten sich mit ihren Ideen in der Regel nicht durchsetzen. Trotz der ausgearbeiteten Pläne war die Sache jedoch noch nicht entschieden. Die Nationalparkverordnungen mussten noch im Einigungsvertrag Platz finden, stießen aber sowohl auf den Widerstand der Landwirtschaftsministerien in Ost und West sowie auf den des West-Verkehrsministeriums. Minister des Letzteren war zu dieser Zeit kein anderer als der ehemals für den Umweltschutz zuständige Friedrich Zimmermann (CSU). Die Verordnungen wurden zwar in letzter Minute von den Unterhändlern Wolfgang Schäuble (CDU) und Günther Krause (CDU) in den Einigungsvertrag aufgenommen, jedoch unter der Bedingung des Vorrangs des Bundesverkehrswegeplanes vor den Bestimmungen der Nationalparkverord-
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Vgl. Jeschke, Grüne Grenze, S. 30. Vgl. z. B. Naturpark Hochharz oder Biosphärenreservat Rhön in: BArch, DK 5, Bd. 6234, Nationalparkprogramm der DDR als Baustein für ein europäisches Haus, MfUW, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https://deutsche-einheit-1990.de/ wp-content/uploads/BArch-DK5-6234.pdf [29. 5. 2022]. Vgl. Eckert, West Germany, S. 193. Vgl. Markus Wanzeck, Das Ende war erst der Anfang, in: FR, 20. 11. 2019, in URL: https:// www.fr.de/panorama/ende-erst-anfang-13235736.html [29. 5. 2022]; Eckert, West Germany, S. 193; Jeschke u. a., Mehr Wildnis wagen!, S. 11; Wegener, Bewegte Zeiten, S. 179–184. Vgl. Matthes, Stromwirtschaft, S. 520.
3. Wuchs „zusammen, was zusammen gehört“? – Ausblick auf die 1990er Jahre
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nungen.150 Das schmälerte den Wert dieser Errungenschaft der Naturschützer, doch blieb sie zweifelsohne ein Positivbeispiel, ein enormer Kontrast zur industriellen Umweltverschmutzung der DDR.
3. Wuchs „zusammen, was zusammen gehört“? — Ausblick auf die 1990er Jahre In einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“ am 11. November 1989 sprach Altbundeskanzler Willy Brandt die Hoffnung aus, dass sich die Deutschen nun in einer Situation befänden, in der „wieder zusammenwächst, was zusammen gehört. Das gilt für Europa im Ganzen.“ 151 Diese Naturmetapher ist zu einem geflügelten Wort geworden. An ihr misst die Zunft der Historiker, ob die Wiedervereinigung den vielen Hoffnungen und Ansprüchen gerecht geworden ist. So auch bei der Umweltfrage. Angewandt auf die in dieser Studie behandelten Fallbeispiele erkundet dieses Kapitel deshalb, was aus den ostdeutschen Umweltgruppen und den ökologischen Problemen entlang der innerdeutschen Grenze geworden ist. Hat das Eckwertepapier Töpfers sein Ziel erreicht, in den neuen Bundesländern bis zum Jahr 2000 den gleichen Umweltstandard wie in den alten herzustellen? Fanden die zivilgesellschaftlichen Akteure endlich zueinander? Die Umweltgeschichte der Wiedervereinigung gilt zuweilen als Erfolgsgeschichte.152 Doch worauf beruht dieser Erfolg? Was spielte neben dem offensichtlich erforderlichen Geldfluss und Strukturwandel noch eine Rolle und prägt die geeinte Republik bis heute? Der Blick in die 1990er Jahre offenbart ein etwas ambivalentes Bild. So argumentiert dieses letzte Stück vereinter deutscher Umweltpolitikgeschichte, dass hier – nicht in allen Fällen, doch bei so manchen – eine erstaunliche Kontinuität auf die eine oder andere Weise aus der Zeit der 1980er Jahre und dem Jahr 1990 zu Tage tritt.
3.1 Von Eigenständigkeit und Vernunftehe — Politik und Zivilgesellschaft Der Werdegang der DDR-Umweltgruppen und -verbände im wiedervereinigten Deutschland vermittelt kein eindeutiges Bild – die einen schlossen neue Bündnis-
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Vgl. Kap. XII, 30, Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 18. September 1990, in URL: https://www.gesetze-im-internet.de/ einigvtrvbg/EinigVtrVbg.pdf [29. 5. 2022]. Frank Langrock, Gespräch mit Willy Brandt: In der DDR wird nichts mehr so sein, wie es vor Jahren war, in: Berliner Morgenpost, 11. 11. 1989, S. 1, in: Ash, Es wächst zusammen, S. 47. Vgl. Radkau, Ära, S. 535; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 122.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
se, die anderen bestanden darauf, sich ihre Eigenständigkeit zu bewahren.153 War in den 1980er Jahren noch von einem „Ast am weltweit wachsenden grünen Baum“ die Rede und eine Vereinigung von Umweltgruppen Ost und West naheliegend, schien sich im Kontext der sich ändernden Verhältnisse eher die ostdeutsche „Eigenständigkeit“ in den 1990er Jahren durchzusetzen. Diese wiederum – daran sei hier noch einmal erinnert – speiste sich aus dem Selbstverständnis der Umweltschützer „als selbständige in der DDR wirkende Gruppierung“ Ende der 1980er Jahre.154 Vereinigungen kamen – öfter als gedacht – eher nicht zustande. Dafür gab es verschiedene Gründe: Mit der Wiedervereinigung konkurrierten die Umweltgruppen um finanzielle Zuwendungen. Außerdem fühlte sich die bundesdeutsche Umweltbewegung derjenigen im Osten überlegen. Die Zeit der Wiedervereinigung wurde von ihren Protagonisten somit kaum zur Selbstreflexion genutzt.155 Die Umweltbibliothek gründete 1992 das Matthias-Domaschk-Archiv, das seit 1993 Bestandteil der Robert-Havemann-Gesellschaft (RHG) ist, die wiederum vom Neuen Forum gegründet worden war. Beide bildeten ein Jahr später offiziell das „Archiv der DDR-Opposition“ in der RHG.156 Die „Umweltblätter“ wurden bereits im September 1989 in den heute noch bestehenden „telegraph“ umgewandelt. Dieser bündelte in den schlagartig aufeinander folgenden Ereignissen des Herbstes 1989 die Kräfte der Redaktionen der Samisdat-Blätter „Friedrichsfelder Feuermelder“, „Grenzfall“, „Umweltblätter“ und des Antifa-Infoblatts „Ostberlin“, um mehr als nur einmal alle zwei Monate zu erscheinen. In seiner Selbstdarstellung heißt es heute auf der Webseite: „Als letztes authentisches Projekt der Umweltbibliothek Berlin und damit auch der linken DDROpposition, versucht der telegraph bis heute in einem ihm schon immer eigenen Verhältnis von Kontinuität und Brüchen für die nicht eingelösten Ziele der DDR-Opposition zu streiten. Die Redakteure verstehen sich als Teil der außerparlamentarischen Opposition, nicht als Ex-Oppositionelle und nicht als Opfer.“ 157
Ganz anders verstanden sich die Ostgrünen, die größtenteils aus der Arche158 hervorgingen, von jeher als „normale“ Partei nach Vorbild der West-Grünen. Bereits am 3. Dezember 1990 vereinigten sich die west- und die ostdeutsche Grüne Partei. Die beim Bundestagswahlkampf mit dem Spruch „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“ angetretenen West-Grünen hatten bei der Wahl am 2. Dezember keine Bundestagsmandate errungen. Durch die Vereinigung blieb die Par-
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Siehe auch Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 141. RHG, Opposition SWV, Bd. 2/1, Bl. 11–26, hier Bl. 25, Basispapier zur Ökologiediskussion auf dem 2. Berliner Öko-Seminar, 8.–10. 11. 1985. Siehe zu den ostdeutschen Umweltgruppen Kap. IV.4.2. Vgl. Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 129. Vgl. o. V., Entstehungsgeschichte der RHG, in URL: https://www.havemann-gesellschaft.de/ ueber-uns/entstehungsgeschichte-der-rhg/ [29. 5. 2022]. telegraph (Hrsg.), Über uns. Was ist der telegraph?, in URL: https://telegraph.cc/ueber-uns/ [29. 5. 2022]. Vgl. Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 138, Cooper, „Arche Berlin-Brandenburg (West)“, S. 108 f.; Gespräch der Autorin mit Carlo Jordan am 14. 8. 2018 in Berlin.
3. Wuchs „zusammen, was zusammen gehört“? – Ausblick auf die 1990er Jahre
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tei allerdings mit vier Ostdeutschen im Parlament vertreten. Die Union der Grünen war auf den ersten Blick eine Vereinigung à la „Ast am grünen Baum“. Ihr Votum, am Zentralen Runden Tisch nur Parteien zuzulassen, belastete aber ihr Verhältnis zu den Bürgerbewegungen stark. Dennoch erfolgte 1993 die Fusion der Grünen mit „Bündnis 90“, was die eingangs beschriebene Ambivalenz zwischen ostdeutscher Eigenständigkeit und Neuem in einer Partei zu verkörpern scheint. Letztere verfolgten mit dem Zusammenschluss zu „Bündnis 90/Die Grünen“ den Anspruch, einen originär neuen Ansatz einer deutschlandweiten Demokratiebewegung zu repräsentieren, der sich letztlich auf den zweiten Blick nicht erfüllte und rein symbolisch blieb. So urteilte bereits Radkau, es sei eher eine „Vernunftehe“, doch keine „Liebesheirat“ gewesen.159 Und die Naturschützer? Die GNU nannte sich zunächst in „Bund für Natur und Umwelt beim KB“ (BNU) um. Der Versuch einer Fusion mit dem westdeutschen BUND scheiterte Ende 1990.160 Heute gibt es überall in Ostdeutschland Landesverbände des BUND, allerdings deckt die im Februar 1990 gegründete ostdeutsche „Grüne Liga“ die gleichen Themen ab. Die aus den IG Stadtökologie und kirchlichen Umweltgruppen hervorgegangene Liga bleibt bis heute auf die neuen Bundesländer begrenzt. Sie ist noch immer basisdemokratisch und weniger zentralistisch als der BUND organisiert.161 Aktiv für die Grüne Liga geworben hat Hans-Peter Gensichen. Er gehörte ab 1990 für acht Jahre dem Kuratorium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt an und konnte hierin über seine Funktion als Vertreter für das Sonderprogramm „Neue Länder“ seinen Einfluss auf die ökologische Modernisierung Ostdeutschlands geltend machen. Das KFH wurde als Verein umorganisiert, seine Mitglieder sind in ganz Deutschland zu finden, doch blieb sein Wirken auf den Osten konzentriert. Die ehemals ostdeutsche Aktion „Mobil ohne Auto“ avancierte wiederum zu einer gesamtdeutschen Bewegung, die nach und nach ihren ursprünglich kirchlichen Charakter verlor.162 Eine geglückte Vereinigung ost- und westdeutscher Naturschützer fand im Jahr 1990 zwischen dem westdeutschen DBV und dem stark aus GNU-Gruppen heraus neugegründeten „Naturschutzbund der DDR“ statt. Der Zusammenschluss zum „Naturschutzbund Deutschland e. V.“ (ab 1992 NABU) erfolgte aus der Erkenntnis heraus, dass beide nur mit geeinten Kräften, also als gesamtdeutscher Verband den 159
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Vgl. Radkau, Ära, S. 534 f.; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 140 f.; Hohlfeld, Exkurs 1, S. 395, 401–405; siehe auch o. V., Bye-Bye, „Bündnis 90“, in: Der Spiegel, Nr. 38, 15. 9. 2001, S. 36. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Rolle der Umweltverbände, S. 95. Warnung vor Taktieren, in: Archiv für Umweltpolitik, Order: II MR 14, Sperling an Weinzierl, Warnung Gründung BUND in DDR, 6. 12. 1989. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Rolle der Umweltverbände, S. 95; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 128, siehe auch Irina Grabowski, „Wurzeltreffen“ der Grünen Liga in Potsdam, in: taz, 8. 10. 1990, S. 5. Vgl. Gensichen, Von der Kirche zur Gesellschaft, S. 179–181. Siehe auch o. V., Aktionstag „Mobil ohne Auto“: Ohne Auto entspannt und gesünder ankommen, 13. 6. 2019, in URL: https://www.bund-bawue.de/service/pressemitteilungen/detail/news/aktionstag-mobil-ohneauto-ohne-auto-entspannt-und-gesuender-ankommen/ [29. 5. 2022].
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
Ansturm auf die Naturschätze der DDR zurückschlagen konnte. Erster Vizepräsident wurde Michael Succow. Um dieser „kleinen“ Vereinigung zwischen Ost und West gerecht zu werden, wurden die jeweils positiven Strukturelemente aus beiden Gesellschaftssystemen übernommen: So erhielt der NABU neben der Ortsgruppenstruktur auch diejenige der Fachgruppen wie sie in den Zentralen Fachausschüssen der GNU üblich waren. Für die Übernahme und Akzeptanz dieser durchaus vorteilhaften Fachausschüsse brauchten die westdeutschen Ortsgruppen jedoch einige Zeit.163 Die Chance zur Einheit ergriff letztlich auch die Legislative. Die immer wiederkehrenden Versuche, vor allem westdeutscher politischer Akteure, den Umweltschutz in das Grundgesetz zu bringen, erhielten 1990 allgemein neuen Auftrieb. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 1991 zu sinnvollen Grundgesetzänderungen sprachen sich 85 Prozent der Bevölkerung für die Aufnahme eines Staatsziels Umweltschutz ins Grundgesetz aus.164 Bereits in den innerdeutschen Verhandlungen zur Einheit legte im Juli 1990 das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen einen Entwurf für die Neufassung des Artikels 20a vor, der Staatszielbestimmungen zu Umwelt, aber auch zu Arbeit, Wohnen und sozialer Sicherheit beinhaltete.165 Auch das MUNER hatte das Vorhaben unterstützt, den Umweltschutz ins Grundgesetz aufzunehmen.166 Der Einigungsvertrag sah unter anderem deshalb eine Verfassungskommission vor, die das Grundgesetz an die Konsequenzen der Einheit anpassen sollte. Die dafür gebildete Kommission umfasste entsprechend den Mehrheitsverhältnissen Mitglieder des Deutschen Bundestages und Bundesrates und sollte bei ihrer Arbeit auch den Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches berücksichtigen.167 Strittig bei der Staatszielbestimmung Umweltschutz war jedoch wie in den Jahrzehnten zuvor, ob der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen „anthropozentrisch formuliert und mit einem Gesetzgebungsvorbehalt“ 168 versehen werden sollte. Das heißt, ob der Mensch oder die Umwelt in den Mittelpunkt gestellt und nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung entschieden werden dürfte. Die CDU war für ersteres, da der Umwelt als solcher kein „der Stellung des Menschen gleichgeordneter verfassungsrechtlicher Eigenwert zuerkannt werden“ kann.169 SPD und FDP hielten dagegen, sie wollten, dass der Um-
163
164 165 166 167 168 169
Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Rolle der Umweltverbände, S. 95; NABU (Hrsg.), Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Millennium. NABU-Chronik 1946 bis 1998, in URL: https://www.nabu.de/wir-ueber-uns/organisation/geschichte/00349.html#2 [29. 5. 2022]. Vgl. Renate Köcher, Viel Zündstoff in der Verfassungsdebatte, in: FAZ, 4. 12. 1991, S. 5. Vgl. Anlage 11: Vorschlag Nordrhein-Westfalens, Dok. Nr. 359K, in: Die Einheit, DzD, S. 1395. Vgl. Aufzeichnung des Arbeitsstabes Deutsche Einheit im Bundesministerium des Innern, 30. 7. 1990, Dok. Nr. 374, in: Die Einheit, DzD, S. 1425–1444, hier S. 1427. Vgl. Ernst Gottfried Mahrenholz, Das Volk, abgewickelt, in: Der Spiegel, Nr. 14, 4. 4. 1994, S. 37–45. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, Deutscher Bundestag, Drucksache 12/ 6000, 5. 11. 1993, S. 65. Ebenda, S. 66.
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397
weltschutz auch um seiner selbst willen entgegen den übermächtigen Interessen von Wirtschaft und Verkehr ein Eigengewicht erhalten sollte. Der von CDU/CSU und SPD mit der erforderlichen Zwei-Drittelmehrheit herbeigeführte Kompromiss lautete: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ 170
Die Legislative nutzte somit den revolutionären Umbruch im Osten dazu, im Umweltbereich lange diskutierte Reformen umzusetzen. Dabei handelte es sich jedoch weniger um eine Zusammenführung mit der Verfassung des Runden Tisches als vielmehr um die Einlösung dessen, was seit langem in der alten Bundesrepublik zuvor notwendig geworden schien. Die Frage des gesellschaftlichen und politischen Zusammenwachsens beider Staaten im Umweltbereich hinterlässt demnach eher einen ambivalenten, durchwachsenen Eindruck.
3.2 Bilanz der Umweltprobleme im wiedervereinigten Deutschland Seit 1990 wurden zwischen 80 Mrd. DM171 bis geschätzt 211 Mrd. DM (1990– 2000)172 für Umweltsanierung und -schutz in Ostdeutschland ausgegeben, die unter die Kosten für die Deutsche Einheit fielen. Eine „Bilanz im zehnten Jahr deutscher Einheit“ zeigt, dass die neuen Bundesländer im Jahr 2000 zwar noch nicht durchweg bundesdeutschen Standard erreichten, ihn zuweilen aber sogar übertrafen. Der Aufbau eines modernen Umweltschutzkapitalstocks, der sich bis 1998 etwa verzehnfacht hatte, legt beispielsweise nahe, dass die Modernität von Umweltschutzanlagen in den neuen Bundesländern höher sein könnte als in den alten. Ökologischer und wirtschaftlicher Strukturwandel bedingten sich somit zum Teil gegenseitig, sie setzten durch den Aufbau des Kapitalstocks, moderne Technik, geringeren Ressourcenverbrauch und niedrigere Schadstoffemissionen einen Trend zur Entlastung der Umwelt in Gang.173 Die augenscheinlichste Verbesserung im Luft- und Gewässerbereich trat – wie bereits vielfach angeklungen – durch den Wegfall umweltverschmutzender Industrien durch Stilllegung etc. ein. Hatte das MUNER beispielsweise noch errechnet, dass bis zum Jahr 2000 der Braunkohleeinsatz auf weniger als 160 Mio. Tonnen reduziert werden müsse, um eine Angleichung an die Bundesrepublik zu erreichen,174 so wurde dieser Wert bereits etwa 1991 erzielt, um sich ab 1994 auf unter 170 171 172 173 174
Ebenda, S. 65; siehe zur Abstimmungsergebnisse auch S. 66–68. Vgl. Radkau, Ära, S. 535. Zschiesche, Umweltschutz in Ostdeutschland, S. 33. Vgl. Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 41 f., 45 f. Vgl. BArch, N 2671, Zuarbeit aus dem MUNER für die Regierungserklärung von Lothar de Maizière im April 1990, Prof. Dr. Steinberg, in: Aufbruch und Einheit, in URL: https:// deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/MUNER-Regerkl.pdf [27. 5. 2022].
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
Abb. 11: Umweltschutzinvestitionen (Staat) der Bundesrepublik Deutschland in Mrd. DM 1975–1997 Die Angaben für Umweltschutzausgaben des Staates (absolute Zahlen nicht preisbereinigt; Angaben 1991–1997 für Deutschland gesamt in Preisen von 1995) basieren auf einer Ermittlung im Rahmen der Umweltökonomischen Gesamtrechnung. Angaben umfassen nicht die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben für den Umweltschutz der Bundesrepublik Deutschland wie beispielsweise das produzierende und verarbeitende Gewerbe. Quelle: Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1990, S. 612; Bd. 1998, S. 724; Bd. 2001, S. 718; eigene Darstellung
100 Mio. Tonnen pro Jahr einzupendeln. Durch Nachrüstung, Neubau und Substitutionsprozesse wie Ersetzen der Braunkohle durch Erdgas sank insbesondere der SO2- und Staubanteil an den Emissionen in der Luft. Allerdings traten auch neue Probleme auf, insbesondere im Verkehrsbereich. Weniger Schiene, mehr Individualverkehr führte zur Erhöhung der Ozon- und NOx-Emissionen. Auch die Kohlendioxidemissionen (CO2) wurden zu Beginn der 1990er ein immer wichtiger werdender Faktor, der um 2000 im Osten noch etwa um 20 Prozent höher lag als in den alten Bundesländern. Als zu reduzierendes Treibhausgas war es Bestandteil des 1997 geschlossenen Kyoto-Protokolls, eines Zusatzes zur Ausgestaltung der Rio-Klimarahmenkonvention von 1992, zu dessen vorzeitigem Erfüllen der Zusammenbruch der DDR-Industrie beitrug.175 Ein besonderes Problem im wiedervereinigten Deutschland war die Altlastensanierung. Insgesamt stiegen die Verdachtsflächen im ehemaligen DDR-Gebiet von anfangs 50 000 auf bis zu über 80 000 im Jahr 1997, wobei der Verdacht sich allerdings nur für etwa ein Viertel bestätigte. Eine der Altlastflächen war der Uranbergbau „Wismut“. Die alte Bundesrepublik betrat hier Neuland, da es im Westen
175
Vgl. Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 11, 41 f., 45 f.; Rink, Umwelt, in URL: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47350/ umwelt [11. 6. 2022]; Corson, Hazardscapes, S. 59; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 137.
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nichts Vergleichbares gehabt hatte. 1991 wurde die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut (SDAG, später GmbH) aufgelöst, das Bergbaugelände musste und muss noch heute mit hohen Summen saniert werden, zuletzt kostete es Bund und Länder etwa sechs Milliarden Euro. 1992 schlossen der Bund und die neuen Länder ein Verwaltungsabkommen zur Finanzierung der Altlastensanierung. Diese ist bis heute noch nicht völlig abgeschlossen, gilt aber bereits als Erfolg in der wiedervereinigten deutschen Umweltgeschichte.176 Die in „Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH“ (IAG) umbenannte Deponie Schönberg blieb in den 1990er Jahren ebenfalls in den Schlagzeilen. Doch nicht nur wegen des noch immer stattfinden Mülltransports auf die Deponie, sondern auch weil eine Greenpeace-Studie offenlegte, dass die Stasi im Geschäft mit dem Müll ihre Finger im Spiel gehabt und westdeutsche Politiker korrumpiert hatte.177 Zudem wurde die Deponie in den 1990ern kurz geschlossen, um unter anderem ihre Altbereiche, also diejenigen, die zu Beginn der 1980er Jahre Sondermüll aufnahmen, aber noch nicht über eine Basisabdichtung verfügt hatten, für Millionenbeträge zu sanieren. Die im „Müll-Polit-Tourismus“ oft monierte fehlende Basisabdichtung wurde spätestens mit der TA Abfall vom März 1991 für Gesamtdeutschland gesetzlich Stand der Technik. Noch immer rollen LKW mit Giftmüll nach Selmsdorf; die Argumente von Betreibern und Gegnern sind die gleichen geblieben: „Die Deponie verfüge über einen naturgegebenen Schichtaufbau“ versus „Wasser suche sich seinen Weg, es sei keine Frage des Ob, sondern Wann“. Die Schließung ist für das Jahr 2035 vorgesehen.178 Bis dahin ist die Existenz der Deponie ein Beweis für die weiterhin vorherrschende wirtschaftliche und politische Notwendigkeit – eine Kontinuität aus den 1980er Jahren. Das viel gelobte SERO-System der DDR,179 die Wiederverwertung von Altstoffen wie Glas, Papier etc., konnte sich hingegen – zumindest in seiner vormals be176
177 178
179
Vgl. Radkau, Ära, S. 535; Uekötter, Ökologische Verflechtungen, S. 122 f.; Hentrich/Komar/ Weisheimer, Umweltschutz, S. 39; siehe auch der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Jahresbericht 2020, S. 210 f. Vgl. zu Altlastverdachtsflächen der Bundesrepublik: Grassmück/Unverzagt, Müll-System, S. 152. Vgl. zu den Kosten Rink, Umwelt, in URL: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/ 47350/umwelt [11. 6. 2022]. Vgl. zum Uranbergbau der DDR, Beleites, Dicke Luft, S. 45, 160– 167. Vgl. Baerens/Von Arnswald, Müll-Connection; zu Korruption im Müllgeschäft: Köster, Hausmüll, S. 310. Vgl. Zweite allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz, Teil 1: Technische Anleitung zur Lagerung, chemisch/physikalischen, biologischen Behandlung, Verbrennung und Ablagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen – TA Abfall, 12. 3. 1991, in URL: https://www.umwelt-online.de/recht/abfall/ta_abf/taab_ges.htm [27. 11. 2020]. Siehe zur Basisabdichtung auch Kap. IV.2.3. Vgl. LIKL, Die fast vergessene Skandal-Deponie, in: Schweriner Volkszeitung (SVZ), 3. 2. 2016, in URL: https://www.svz.de/regionales/mecklen burg-vorpommern/die-fast-vergessene-skandal-deponie-id12631511.html [29. 5. 2022]; und Silke Hasselmann, Giftmüll vor der Haustür, Deutschlandfunk Kultur, 13. 12. 2018, in URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/deponie-ihlenberg-giftmuell-vor-der-haustuer.1001.de. html?dram:article_id=435810 [29. 5. 2022]. Vgl. zum SERO-System Kap. IV.2.1.; Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 8, 53–56; Möller, Traum, S. 63; Uekötter, Ende der Gewissheiten, S. 129.
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stehenden Art und Weise – im wiedervereinigten Deutschland nicht halten. Dafür macht Roman Köster folgende Gründe aus: Es war auf eine Gesellschaft mit Rohstoffmangel zugeschnitten und glich eher dem Verwertungssystem aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Außerdem bot es für die Müllprobleme in kapitalistischen Industriegesellschaften keine Lösung; nach dem Mauerfall gingen die abgegebenen Mengen stark zurück, während die Abfallmenge generell anstieg. Auch wurden die Abgabestellen der SERO-Erfassung mit dem alten sozialistischen System der Planwirtschaft in Zusammenhang gebracht und waren somit politisch diskreditiert. Erst 1996 erließ die Bundesregierung ein neues Abfallwirtschafts- und Kreislaufgesetz, das dem von Umweltgruppen und Grünen langersehnten Konzept der Müllvermeidung den Weg ebnen sollte.180 Darüber hinaus bleibt noch die Frage der Gewässer zu klären. Auch Werra und Elbe profitierten, genauso wie die Luft, vom Indutriekollaps in der DDR. Bereits 1990 war in der Elbe ein Anstieg des Sauerstoffgehalts feststellbar.181 1992 nahm die IKSE mit Sitz in Magdeburg die Arbeit auf. Ihr Ziel war und ist es, den Fluss für Trinkwassergewinnung und Landwirtschaft zu nutzen, ein naturnahes Ökosystem und eine gesunde Artenvielfalt zu erreichen sowie die Nordseebelastung nachhaltig zu verringern.182 Zu ihren ersten Amtshandlungen gehörte daher die Einrichtung von 123 Kläranlagen im Elbeeinzugsgebiet.183 Dies erscheint nur logisch und folgerichtig, denn eine ähnliche Maßnahme hatte das MUNER, basierend auf Vorlagen aus dem MfUW, bereits 1990 erarbeitet, da mit dem Ausbau kommunaler Kläranlagen „in diesem Bereich mit dem relativ geringsten Aufwand an Mitteln der relativ größte Erfolg erwartet wird“.184 Auch die EG beteiligte sich im Rahmen des PHARE-Programms (Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies) an der Sanierung des oberen Elbtals (Raum Dresden).185 Kurzfristig führten somit die Betriebsstillegungen und Produktionsrückgänge, langfristig Investitionen in schadstoffarme Technologie und Abwasserreinigungsanlagen zu einer Verbesserung der Gewässerqualität.186 Dennoch blieb das 1987 auf der INSK in
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Vgl. Köster, Hausmüll, S. 384 f., 396; siehe auch Smeddinck, Von Trümmern zu Ressourcen, S. 29; Anpassen der Abfallmengen an das westdeutsche Niveau bei: Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 29–33. Vgl. Sebastian Knauer, „Ein Fluß geht baden“, in: Der Spiegel, Nr. 30, 23. 7. 1990, S. 39–46, hier S. 39. Vgl. PA AA, MfAA, M 50, ZR 927/14, Entwurf für die „Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe“, Schreiben von Steinberg, MfUW, an Markus Meckel, MfAA, 9. 8. 1990. Vgl. Schumann, Elbe, S. 140. Magdeburg von den DDR-Unterhändlern vorgeschlagen: PA AA, MfAA, M 50, ZR 927/14, hs. Protokoll über die 3. Gesprächsrunde zur Elbeschutzkommission am 12. 6. 1990, o. V. BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 266–272, hier Bl. 269, Umweltpolitische Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes, insbesondere bei der Sanierung der Elbe, Meineke Referat 23, BKAmt, 25. 7. 1990. Vgl. ebenda, S. 272. Siehe auch Friedrich-Ebert-Stiftung (FES, Hrsg.), Sanierung der Elbe, S. 32, in URL: https://www.fes.de/fulltext/fo-wirtschaft/00275toc.htm [11. 6. 2022]. Vgl. Hentrich/Komar/Weisheimer, Umweltschutz, S. 17–21.
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London beschlossene Ziel, Schadstoffe – insbesondere Phosphor- und Stickstoffverbindungen – bis 1995 um 50 Prozent zu reduzieren, vom wiedervereinigten Deutschland bloß zum Teil, nämlich nur für die Phosphorbelastung, erfüllt.187 Eine Elbfahrt der Gruppe Greenpeace 1990 ergab zudem, dass der Fluss hauptsächlich durch Eindeichungen im ehemaligen Westteil seine „grüne Lunge“ stark eingebüßt hat, während es um Dessau noch Elbauen gab. Heute geht der Trend ganz im Sinne der Umweltschützer sogar zur Rückverlegung von Deichen, um den Elbauen wieder mehr Raum zu geben.188 Und die Werra? Wurde das umweltfreundlichere ESTA-Verfahren, das die Salzrückstände aus der Kaliproduktion entfernt, auch im Osten eingebaut? Nein. Tatsächlich kam eine Reduzierung der Werrabelastung zu zwei Dritteln auch hier durch die Stilllegung von Werken zustande.189 Die Versalzung der Werra war so eng mit der Kaliindustrie verknüpft, dass hier stärker als bei den anderen Umweltschutzproblemen die Gegensätze Umweltschutz versus Arbeitsplatz in einer kränkelnden Branche zu verzeichnen sind. Auch hier musste vor finanziellen Zusagen für Umweltschutzmaßnahmen geklärt werden, ob die Werke der Kali Werra AG wirtschaftlich überlebensfähig waren. Denn wenn sie geschlossen werden müssten, würde die Salzbelastung ohnehin zurückgehen, allerdings um den Preis mehrerer tausend Arbeitsplätze und „mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe (Sozialplan und Grubenstillegung)“.190 Daher erarbeiteten die Ost- und West-KaliFirmen ein „unternehmerisches Gesamtkonzept“ zur Verringerung der von der Kali Werra AG ausgehenden Umweltbelastungen, das zum Teil auf den westdeutschen Positionen aus den Werra-Verhandlungen der 1980er Jahre beruhte: So sollte in Merkers eine Flotationsanlage installiert und die Kaliabwässer durch einen unterirdischen Pufferspeicher in der Gerstunger und Horschlitter Mulde beseitigt werden. Darüber hinaus war der Plan, unter anderem das Kaliwerk Dorndorf 1991 stillzulegen und die überschüssige Kieseritmenge aus den thüringischen Werken über eine Leitung nach Hattorf (Hessen) zur Weiterverarbeitung zu bringen. Bis
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190
Vgl. Friede/Engelhardt/Henseling, Management von Stoffströmen, S. 32; Brauer, Handbuch des Umweltschutzes, Bd. 2, S. 675; Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 36. Vgl. Brigitte Lehnhoff, Andachten an verseuchten Gewässern, Deutschlandradio Kultur, in URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/umweltschutz-andachten-an-verseuchtengewaessern.1278.de.html?dram:article_id=302671 [29. 5. 2022]; und Ernst Dörfler, Interview, jung&naiv, Folge 457, 23. 2. 2020, Minute 38:20–39:00, in URL: http://www.jungund naiv.de/2020/02/23/oekologe-umweltschuetzer-vogelexperte-ernst-paul-doerfler-folge-457/ [11. 6. 2022]; PM Nr. 247/05 des BMU: „Deichrückbau in Lenzener Elbtalaue Modell für zukunftsweisenden Hochwasser- und Naturschutz“, 12. 9. 2005, in URL: https://www.bmu. de/pressemitteilung/deichrueckbau-in-lenzener-elbtalaue-modell-fuer-zukunftsweisendenhochwasser-und-naturschutz/ [29. 5. 2022]. Vgl. BKAmt, B 136, Bd. 48269, Bremer Kali-Experte überzeugt: Umweltschutz war nur Alibi für Stilllegung in Dorndorf, in: Freies Wort, 9. 10. 1991, in: FragDenStaat, in URL: https:// fragdenstaat.de/dokumente/2347-kanzleramt-kali-akte-1-b136-48269/ [29. 5. 2022], S. 141– 143. BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 297–299, hier S. 299, Verhandlungen über Maßnahmen zur Reduzierung der Werra-Versalzung, 13. 8. 1990, von Berg, Referat II C 2, BMIB.
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1994 sollten diese Maßnahmen zu einer Senkung der Chlorideinleitung von 155 auf 40 Kilogramm pro Sekunde führen, womit die Grenzwerte aus den 1950er Jahren (1500 Miligramm pro Liter Chlorid) wieder eingehalten werden könnten.191 Das Versenken in die Gerstunger Mulde war aber bereits zu DDR-Zeiten umstritten, da es die Trinkwassergewinnung beeinträchtigen würde. Das macht eine Schwachstelle dieses Konzepts, das in weiten Teilen umgesetzt wurde, offensichtlich: Es berieten über die Reduzierung der Umweltbelastung einzig Fachleute der beiden Kali-Firmen „im Interesse der Aufwandsminimierung […] unter Beachtung betriebs- und marktwirtschaftlicher Gesichtspunkte“,192 ohne Beteiligung der Umweltministerien. Ende 1991 stand fest, dass die Kaliwerke Zielitz, Werra und Südharz erhalten blieben und mit 341 Mio. DM von der Treuhandanstalt bis 1993 saniert würden. Ein „beträchtlicher Teil der Investitionssumme“, genauer 30 Mio. DM (acht Prozent), war für den Abbau der Werra-Salzlast vorgesehen.193 Ein Artikel „Umweltschutz nur Alibi für Stilllegung in Dorndorf “ in der südthüringischen Regionalpresse „Freies Wort“ stellt jedoch die Behauptung auf, dass sich insbesondere K + S über Umweltschutzmaßnahmen ihre Sortimentspolitik (Herstellung von Kaliumsulfat) bezahlen ließen und sich als Unternehmen selbst sanierte. So sei die im unternehmerischen Konzept vorgeschlagene Leitung aus Thüringen nach Hattorf (Hessen) von Unternehmen und Politik als Teil der Gewässerreinhaltungsmaßnahmen im 146-Millionen schweren Reinigungsprogramm für Werra und Weser dargestellt und gefeiert worden. Doch bewirkte diese Maßnahme nur eine Reduktion um zwei Prozent. Auch hätten die K + S-Spezialisten die Dorndorfer Produktionsweise vor der Schließung sehr genau begutachtet, um sie anschließend zu kopieren und in Hattorf zu implementieren, da das ostdeutsche Kaliumsulfat hochwertiger gewesen war als das westdeutsche. Der Artikel schlussfolgerte daraus, dass die Umweltschutzmaßnahmen als Vorwand für die Ausschaltung eines Konkurrenten und Aneignung seiner Produktionsweise fungierten.194 Das lässt allgemein die noch zu beantwortende Frage nach der Funktion und Legitimität umweltpolitischer Argumente in der Arbeit der Treuhandanstalt aufkommen. Nach Mark Corson dominierte in den 1990er Jahren die politische Wirt-
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Vgl. ebenda, S. 297 f.; und Bl. 300–302, Bericht über die Verhandlungen zu Fragen, die mit dem Kaliabbau im Werra-Gebiet zusammenhängen, vom 10. 08. 1990 in Fulda; siehe zu Protest und Hungerstreik der Bischofferoder Kumpel: Böick, Treuhand, S. 459–462. BArch, B 136, Bd. 21546, Teil 13, Bl. 303–306, hier Bl. 303, Zweiter Zwischenbericht zum Unternehmerischen Gesamtkonzept zur Verringerung der von Kali-Werra AG ausgehenden Umweltbelastungen, K+S AG, Mitteldeutsche Kali AG, Kali-Werra AG, 10. 8. 1990. Siehe BKAmt, B 136, Referat 421, Bd. 48269, „341 Millionen DM zur Sanierung der Mitteldeutschen Kali AG bewilligt“, PM der Treuhandanstalt, Henry Bren d’Amour, 4. 10. 1991, in: FragDenStaat, in URL: https://fragdenstaat.de/dokumente/2347-kanzleramt-kali-akte-1b136-48269/ [29. 5. 2022], S. 135 f. Vgl. BKAmt, B 136, Referat 421, Bd. 48269, Bremer Kali-Experte überzeugt: Umweltschutz war nur Alibi für Stilllegung in Dorndorf, in: Freies Wort, 9. 10. 1991, in: FragDenStaat, in URL: https://fragdenstaat.de/dokumente/2347-kanzleramt-kali-akte-1-b136-48269/ [29. 5. 2022], S. 141–143.
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schaft und nicht der ökologische Imperativ das Geschehen, was sich auch an diesen Beispielen hier abzeichnete. Als das umweltproblematische Erbe der DDR ab 1993/94 absehbar wurde, drängten BMF und Treuhand dazu (Umwelt-)Kosten einzusparen, was die verantwortlichen neuen Länder in Bedrängnis brachten und abwägen ließen zwischen Umweltsanierung und möglichen Investitionen für neue Industrieinfrastrukturen.195 Außerdem blieben hier – trotz vorhandener ostdeutscher Fachleute – die westdeutschen Experten eher unter sich als von einem Wissensaustausch zu profitieren. Darüber hinaus bestand die Befürchtung, dass neuartige Umweltstandards im Osten auch auf das ehemalige Bundesgebiet übertragen werden müssten.196 Zu all diesen die Transformationszeit betreffenden Fragen bedarf es jedoch noch mehr Forschung und kann hier im Einzelnen nicht mehr betrachtet werden. Die Werraversalzung jedenfalls beschäftigt Umweltschützer und Politiker noch heute. Die 1994 mit der Mitteldeutschen Kaliwerke AG fusionierte Firma K + S versenkte bis vor kurzem (Ende 2021) noch immer die Lauge in die Erde und leitet Überreste weiterhin (voraussichtlich bis 2027) in den Fluss ein. Langsam – mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung – wird wohl auch der vormals salzhaltigste Fluss Europas saniert.197 Die Bewältigung der Umweltprobleme, die zwischen beiden deutschen Staaten verhandelt wurden, weist also ebenfalls ein eher ambivalentes Ergebnis auf. Zwar verbesserte sich die Umweltsituation im Osten von Grund auf, doch die Verbringung von Müll auf die Deponie in Schönberg und die Versalzung der Werra existieren bis heute – beides ökologische Herausforderungen, die von jeher eng mit der bundesdeutschen Wirtschaft verknüpft waren. Fielen etliche Umweltprobleme weg als die veraltete Industrie stillgelegt wurde, so tauchten wieder neue auf. Und auch die Verwirklichung des Traums von grenzüberüberschreitenden Naturschutzgebieten ließ auf sich warten. Das Nationalparkprogramm der DDR wurde kaum auf das Gebiet der alten Bundesrepublik ausgedehnt. Zwar waren der Schalsee und Drömling im Programm von 1990 nur in der niedrigsten Kategorie eines „Naturparks“ geführt, jedoch erreichte der Schalsee Ost 1998 den höherwertigen Status eines UNESCO-Biosphärenreservats. Eine Ausdehnung auf den westlichen Teil, wie noch in den 1980er Jahren geplant, fand bisher nicht statt. Und die „Wiedervereinigung des Harzes“ erfolgte schließlich erst 2006, als ein 16 000 Hektar großes Äquivalent zum ostdeutschen Teil in Niedersachsen geschaffen wurde.198 An der ehemaligen innerdeutschen Grenze bedrohten geplante Verkehrswege, eine invasive Minenräumung (30 000 Minen wurden bis heute nicht gefunden)
195 196 197
198
Vgl. Corson, Hazardscapes, S. 57, 64 f.; Hoffmann, Einleitung, S. 7–26. Vgl. Böick/Goschler/Nietzel, Die beratene Transformation, S. 242 f. Vgl. u. a. „Werra-Versalzung durch Bergbau: K + S baut Abwasser-Pipeline zur Oberweser“, in: Der Spiegel Online, 29. 9. 2014, in URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ werra-versalzung-durch-bergbau-k-s-baut-pipeline-zur-oberweser-a-994483.html [29. 5. 2022]; Pitt von Bebenburg, Umwelt in Hessen und Thüringen: Laugenversenkung geht zuende, in: FR, 27. 12. 2021, in URL: https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/hessen-thueringenlaugenversenkung-geht-zuende-91203373.html [29. 5. 2022]. Vgl. Eckert, West Germany, S. 194; Wegener, Bewegte Zeiten, S. 184–194.
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V. Der Wiedervereinigungsprozess
und Entschädigungsklagen unter anderem von Zwangsumsiedlern die gewünschten Naturschutzgebiete. Dem setzte erst 2002 die rot-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag ein Ende, worin vereinbart wurde, dass ökologisch wertvolles Land nur noch an Naturschutzorganisationen verkauft werden durfte. Drei Jahre später wurde das „Grüne Band“ als „Nationales Naturerbe“ endgültig gesichert. Damit legte das Nationalparkprogramm der DDR den Grundstein dafür, dass aus dem ehemaligen Todesstreifen ein Teil grüner Lunge Europas wurde. Es erfüllte sich somit die Vision Weinzierls und all der anderen Naturschützer aus Ost und West von 1990: Von Travemünde an der Ostsee bis Hof in Bayern entstand entlang der ehemaligen fast 1400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze ein 50 bis 200 Meter breiter grüner Gürtel – der größte Biotopverbund Deutschlands.199 Der Eiserne Vorhang war gelüftet und hinterließ ein Grünes Band, das sich nun an seiner Stelle durch Deutschland und Europa schlängelt.
199
Vgl. Eckert, West Germany, S. 195–197; Rink, Umwelt, in URL: https://www.bpb.de/ geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47350/umwelt [11. 6. 2022]; o. V., Lebensraum Todesstreifen, in: Der Spiegel, Nr. 50, 11. 12. 1989, S. 53–58.
Fazit: Deutsch-deutsche grüne Verflechtungsgeschichte Die Darstellung einer deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte auf dem Themengebiet des Umweltschutzes zeigt, dass Zuschreibungen wie „Saubermann“ und „Schmutzfink“ nicht ausreichen, um der schwierigen Geschichte gerecht zu werden. Sie ist vielschichtig, oftmals paradox, meist nicht-linear und sowohl ambivalent als auch überraschend. Diese Komplexität darzustellen – die wissenschaftlichen Widrigkeiten, die ökologisch-geologischen Umstände, die asymmetrischen Beziehungen, die emotionalen Protesthandlungen und vor allem die politische Kommunikation – war das Anliegen dieser Studie. Die Summe der Faktoren zeichnet ein vielfältiges Bild deutsch-deutscher integrierter Nachkriegsgeschichte im Umweltbereich. Verschiedene technologische, ökologische, gesellschaftliche, medial-vermittelte, politische Wechselwirkungen zwischen Bundesrepublik und DDR wären ohne die Methode der Verflechtungsgeschichte nicht offenzulegen gewesen. Der Blick in die Nischen der Aushandlungsprozesse zwischen Ost und West sowie die drei Tiefenbohrungen offenbaren die jeweiligen Einflüsse eindeutiger als ein themenbezogener Vergleich es je könnte. Nach einer kurzen Zusammenfassung sollen deshalb im Folgenden aus dieser für das Untersuchungsthema neuen Forschungsperspektive Schlussfolgerungen mit Blick auf die hier erzählte Umweltgeschichte im Allgemeinen und der deutsch-deutschen Beziehungen im Besonderen gezogen werden. Die Studie zeigte im Kapitel I die mannigfaltigen Einflüsse auf, die zur Genese der Umweltpolitik selbst führten. Das Politikfeld bildete sich um 1970 und somit zu einem Zeitpunkt heraus, als Bundesrepublik und DDR aufgrund der Deutschen Frage noch nicht in einen Modus Vivendi miteinander gekommen waren. Beide nutzten die neu etablierte Umweltpolitik für ihre eigenen „nationalen“ Ziele: die völkerrechtliche Anerkennung (DDR) oder die Vermeidung derselben (Bundesrepublik). Dieses Politikum, also die deutsche Frage, führte in der internationalen Umweltkonferenz in Prag 1971 zur ideologisch-besetzten Konkurrenz und in Stockholm 1972 zum Boykott der sozialistischen Staaten. Im Kapitel II, das die bilateralen und internationalen Kontakte der Bundesrepublik und DDR zur Umweltpolitik behandelte, wird gezeigt, wie zu Beginn der 1970er Jahre deutsch-deutsche Umweltverhandlungen noch überwiegend aus politischen Gründen (Etablierung des UBA in West-Berlin) sowie aufgrund finanzieller Hürden, die sich auftaten, scheiterten. Die umweltpolitische Zusammenarbeit verlagerte sich in dieser Zeit vollkommen auf die übergreifende internationale Ebene in ECE und KSZE. Ökologische Themen waren hier auf Koalitionen und Kompromissbildungen angewiesen und eng mit der Entspannungspolitik verknüpft. Erst zu Beginn der 1980er Jahre, in der „Krise der Entspannung“ im Kalten Krieg, kam es diesbezüglich zu „kleinen Schritten“ im bilateralen Bereich. Teil III beleuchtete dies anhand der jeweiligen Motive, Hintergründe und Ergebnisse einzelner Verhandlungen zur Gewässer- und Luftverschmutzung in Form von Tiefenbohrungen. Das darauffolgende Kapitel IV ging zu Beginn mit
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Fazit: Deutsch-deutsche grüne Verflechtungsgeschichte
der dritten Tiefenbohrung auf die ökologische Seite des Müllhandels zwischen beiden deutschen Staaten ein. Der dort praktizierte Austausch im „Müll-Polit-Tourismus“ sowie die verstärkten Kontakte zwischen ost- und westdeutschen politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren bereiteten wiederum den Boden für eine allgemeine Umweltvereinbarung, die 1987 geschlossen wurde. Die Ende der 1980er Jahre aufgebauten, vielfältigen Kontakte und ausgearbeiteten Konzepte erleichterten es, im Wiedervereinigungsprozess – Kapitel V – umweltpolitische Akzente zu setzen und Kontinuitäten nachzugehen. Dennoch hinterließen 40 Jahre der Teilung bis weit danach ihre zivilgesellschaftlichen, politischen und ökologischen Spuren. In den Ergebnissen der Studie wird vor allem ein Wandel der deutsch-deutschen Beziehungen im Hinblick auf Interaktion, Kommunikation und Motivation deutlich. Diese Punkte werden im Folgenden gemeinsam mit weiteren Ergebnissen der Untersuchung zusammengefasst und mit einem Ausblick beendet. Die Interaktion zwischen beiden deutschen Staaten änderte sich von einer „Nicht“-Umweltpolitik in den 1970ern hin zu einem reichlich ausdifferenzierten Austausch auf verschiedenen Ebenen Ende der 1980er Jahre. Entsprechend entwickelte sich in dem gut zwanzig-jährigen Betrachtungszeitraum die zwischenstaatliche Kommunikation. Herrschte Anfang der 1970er Jahre wegen des ungeklärten deutsch-deutschen Verhältnisses noch Funkstille beziehungsweise eine Fokussierung auf die ideologische Auseinandersetzung der Systeme, nahm die Verständigung in den 1980er Jahren eine eher wissenschaftlich-rationale, unaufgeregte und sachliche Argumentationsweise an. Dies war zuerst auf der Westseite erkennbar, während die ostdeutschen Genossen noch länger in dem Glauben verhaftet waren, die Bundesrepublik würde über die Umweltbeziehungen ihre Vormachtstellung in der Systemauseinandersetzung ausbauen. Dennoch entwickelte sich zunehmend ein Vertrauensverhältnis zwischen den Mitgliedern der ost- und westdeutschen Abordnungen, manchmal entstanden sogar zwischenmenschliche Beziehungen bis hin zu Männerfreundschaften. Hat also der Kalte Krieg die deutsch-deutsche „ökologische Kommunikation“ gestört? Für die 1970er Jahre ist dies einerseits zu bejahen (Stichwort: UBA); andererseits beschleunigte insbesondere die Verknüpfung zwischen Umwelt- und Entspannungspolitik in dieser Zeit eine internationale Verständigung, die es im deutschen bilateralen Bereich wiederum erlaubte, sich konstruktiv über Probleme auszutauschen. Dem Thema waren also von Anfang an Ambivalenzen und Paradoxien inhärent, wenn sich eigentlich widersprechende Tendenzen gleichzeitig in Erscheinung traten. In ähnlicher Weise wandelten sich ebenso die Akteure und Institutionen. Mit zunehmender Kommunikation und Interaktion traten immer mehr Handelnde auf die deutsch-deutsche Bildfläche. Das MfUW der DDR konnte mit dem Argument bundesdeutscher finanzieller Beteiligung seine schwache Stellung gegenüber der eigenen Führung stärken und somit im Verlauf der 1980er Jahre über die Beziehungen zu westdeutschen Kollegen und internationale Konferenzen seine Zuständigkeiten ausbauen – auch wenn das letzte Wort bis zum Schluss beim Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen Günter Mittag verblieb. Dennoch zeichnet sich anhand der Verflechtungsgeschichte das
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MfUW als ein zunehmend wichtiger, im Hintergrund agierender Akteur ab. Im Gegensatz dazu war die Bundesregierung im Föderalstaat nicht die allein Handelnde in Bezug auf die DDR. Das barg gleichermaßen Chancen und Gefahren für die innerdeutschen Verhandlungen. Intensivierten sich die deutsch-deutschen Beziehungen, so konnten die Länder ihre Expertise einbringen, Vermittlungstätigkeiten übernehmen (z. B. der bayerische Staatsminister für Umweltschutz Alfred Dick) und den rechtlichen Standpunkt des Bundes gegenüber der DDR verdeutlichen. Die Vielfalt der Kontakte Ende der 1980er Jahre wird an den verschiedenen Akteuren von staatlicher und nichtstaatlicher Seite wie der Länderminister, Parteien, Verbände und Umweltgruppen deutlich. Dieser Reichtum an Begegnungen ermöglichte den Fortbestand deutsch-deutscher Umweltbeziehungen (z. B. BBU-Besuch in der DDR) über schwierige Zeiten hinweg (Raketenstationierung, abgesagter Honecker-Besuch 1984). Nahmen diese föderalen „Auswüchse“ jedoch zu, so führten die Bund-Länder-Beziehungen im innerdeutschen Gesamtbild auch zu Intransparenz (Abfall) und zu Streitigkeiten, die die Verhandlungen verzögern konnten (Werra). Zum Teil wurden die deutsch-deutschen Umweltbeziehungen für eigene Interessen der Länder oder sogar von Firmen (K + S) instrumentalisiert. Daher muss in den deutsch-deutschen Beziehungen eigentlich zukünftig stärker die Dreiecksbeziehung – je nach Sachlage – zwischen Bund, Ländern und DDR eruiert werden. Die Motivationen und Interessen, deutsch-deutsche Umweltverhandlungen anzugehen und vorrangig Umweltprobleme an der innerdeutschen Grenze zu lösen, unterlagen im Betrachtungszeitraum ebenso einer Veränderung. Sie reichten von der Stärkung der Entspannungspolitik über die Finanzierung von Projekten bis hin zur Lösung von Umweltproblemen. Wie bereits bekannt, verknüpften beide Seiten das Thema zu Beginn der 1970er Jahre mit ihren oben angeführten eigenen außenpolitischen Ambitionen. Zugleich waren sie innerhalb ihrer Blöcke jedoch dazu angehalten, Umweltpolitik für die Entspannungspolitik beziehungsweise die „friedliche Koexistenz“ zu nutzen, was paradoxerweise zunächst zu einem „antizyklischen“ Verhalten gegenüber den sich annähernden Trends der Supermächte führte. Erst die Aufnahme in die UNO und die KSZE glich beide deutsche Staaten dem internationalen umweltpolitischen Entspannungsprozess an. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde – wiederum entgegen dem Verhalten der Supermächte – von beiden Staaten in der internationalen Krise (Afghanistan, Raketenstationierung) mittels der Umweltpolitik an der Entspannungspolitik festgehalten. Der universale Charakter der grenzüberschreitenden Umweltprobleme eröffnete somit die Möglichkeit das Thema als Proxy beziehungsweise „Kommunikationsschnittstelle“ für andere (politische) Bereiche zu nutzen, so für die bereits genannte Entspannungspolitik oder auch Demokratieforderungen der alternativen Umweltgruppen. Und, nicht zuletzt wurde Umweltpolitik im Wiedervereinigungsprozess als ein Bereich funktionalisiert, in dem vermeintlich schnell Fortschritte erzielt werden konnten. Mittels „kleiner Schritte“, ergo dem pragmatischen Besprechen konkreter Umweltprobleme, wurden sowohl Vertrauen für die Stärkung der Entspannungspolitik gebildet als auch mögliche Finanzierungsmodelle („Mo-
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dell Röden“) für die Umweltbeziehungen eingeübt. Das führte dazu, dass die Umweltpolitik in den 1980er Jahren allgemein gestärkt wurde und nach dem „Wegfall“ der Notwendigkeit, diese für Entspannungspolitik zu nutzen, nicht mehr hinter bereits Ausgehandeltes zurückgewichen werden konnte. Im Gegenteil: Durch das Auftreten weiterer Akteure (z. B. Umweltgruppen), die immer neue Forderungen stellten, gewann (deutsch-deutsche) Umweltpolitik an Kontur. Die Finanzierung von Umweltschutzprojekten mit Hilfe bundesdeutscher Beteiligung stand für die SED-Führung zwar von Anfang an im Vordergrund, stellte aber im deutsch-deutschen Verhältnis keine Besonderheit dar. Sollten Projekte zügig umgesetzt werden, argumentierten die Ostdeutschen mit den Restriktionen des schon bestehenden Fünfjahrplans, um eine finanzielle Beteiligung der Bundesrepublik zu erzwingen. Doch dienten die Einwände gegen schnelle Lösungen der DDR nicht nur als vorgeschobenes Argument, um sich Umwelttechnik vom Westen bezahlen zu lassen oder Zahlungen zu entgehen, sondern längerfristig konzipierte Projekte waren tatsächlich oft nachhaltiger. Dies macht den systemischen Unterschied zwischen Bundesrepublik und DDR deutlich: Unter dem öffentlichen Druck einer liberalen Demokratie stehend bevorzugte die Bundesregierung in der Beziehung zur DDR Anfang der 1980er Jahre eher die kurzfristig umsetzbare Technik, um schnell effektive Maßnahmen zu etablieren. Demgegenüber waren die Machthaber in der Diktatur der DDR auf die gesellschaftliche Resonanz nicht in diesem Sinne angewiesen. In der Bundespolitik machte sich bezüglich der staatlichen Finanzierung von Umweltprojekten in der DDR in den 1980er Jahren zusätzlich ein Wandel hinsichtlich einer Abkehr vom postulierten Verursacherprinzip bemerkbar. Über dieses Prinzip siegte letztlich die Einsicht, dass unbehandelte Umweltprobleme, die aus dem Osten kamen, nachsorgend teurer wurden als eine vorsorgende Beteiligung an Umweltschutzprojekten in der DDR. So kam es zu einem Wechsel von schnell einzusetzender Umwelttechnologie hin zu Pilotprojekten, die, erstmalig in der DDR angewandt, auch der Bundesrepublik neue Erkenntnisse bringen sollte. Die Grenzen des Wissens über Daten und Technik auszuweiten, kann als ein weiteres Motiv für innerdeutsche Umweltbeziehungen ausgemacht werden. Die DDR wollte an wissenschaftlich-technologisches Know-How kommen, um in der Bundesrepublik bereits erprobte Umweltschutztechnologie (Filter in Buschhaus) als Versuchsanlagen für die eigenen Objekte zu betrachten, wodurch sie Entwicklungskosten einsparen konnte. Für die Bundesrepublik wären hingegen die Daten und Erfahrungen aus Pilotprojekten im Osten, wie sie im Sommer 1989 vereinbart worden waren, sowohl für die DDR als auch das eigene Fortkommen hilfreich gewesen. Das Gebiet der (ehemaligen) DDR sollte bereits vor 1990 als „Labor“ für eigene neue Umweltschutztechnologien genutzt werden, was im Wiedervereinigungsprozess mit der ökologischen Modernisierung schließlich praktiziert, ja sogar als Verfahren beschleunigt wurde. Darüber hinaus bezieht sich die Ausweitung des Wissens ebenfalls auf Daten. Hier setzte die Bundesrepublik auf verbesserte Messtechnologien, um die ostdeutsche Geheimhaltungs- und Abschottungspolitik zu umgehen. Spannt man den Bogen zu der eingangs in der Studie angeführten
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Frage Ilko-Sascha Kowalczuks aus der Enquête-Kommission,1 was die Bundesregierung über die Umweltzerstörung in der DDR gewusst habe, so lässt sich sagen, dass die Bundesrepublik nur insofern über die Verhältnisse dort Bescheid wusste, als sie es entweder über Messergebnisse an der Grenze erahnen, über internationale Gremien (ECE) erschließen und gleichzeitig hinterfragen sowie dieses Wissen mittels eines Informationsaustauschs in einzelnen Vereinbarungen (Müllverbrennungsanlage Schöneiche, Smog) explizit festgehalten hatte. Doch im Grunde genommen handelte es sich hier vielfach um eine – zum Teil auch von beiden Seiten bewusst offen gehaltene – Geschichte des Nichtwissens, die sich bis in die 1990er Jahre zieht. Die vielseitige Kommunikation in den 1980er Jahren spiegelt außerdem eine zunehmende Erosion deutschlandpolitischer Standpunkte: Mit Blick auf die DDR zeigte sich dies besonders an den Abweichungen zwischen internen und externen Begründungen für die Ablehnung von Treffen zwischen DDR-Umweltminister Reichelt und westdeutschen Umweltministern. Inoffiziell galt es das UBA und damit die DDR-Ansicht über West-Berlin zu wahren, offiziell wurden den Gesprächspartnern jedoch Terminschwierigkeiten suggeriert. Doch auch in der Bundesrepublik verlor die deutsche Frage und die Wiedervereinigung zunehmend an Bedeutung für die Lebenswirklichkeit der Bundesbürger, insbesondere der jüngeren Generation. So wurde auch im interministeriellen Bereich die mangelnde Einbeziehung West-Berlins durch das BMI beziehungsweise BMU bereits 1984 bei der Münchner Umweltkonferenz ersichtlich. Gleichzeitig führten die administrativen Vorgehensweisen der 1980er Jahre zu einer Paradoxie: War mit der innenpolitisch ausgerichteten „Seveso-Novelle“ die DDR quasi als „Ausland“ anerkannt, mussten bei neuen Anlagen, die mit westdeutscher Hilfe in der DDR erbaut worden waren, bundesdeutsche Gesetze eingehalten werden (z. B. TA Luft in der Müllverbrennungsanlage in Schöneiche). Symbolisierte das Kraftwerk Buschhaus als „Dreckschleuder der Nation“ noch einen gesamtdeutschen Anspruch; so bezeichnet die als „Darmausgang der Nation“ charakterisierte Deponie Schönberg eher den territorialen Abschluss in den Grenzen der alten Bundesrepublik. Demgemäß variierten in Medien und Gesellschaft der Bundesrepublik Mitte der 1980er Jahre diese „nationalen“ Auffassungen je nach Umweltproblem und die Rolle der Grenze verschwimmt in Ambivalenz. Über die deutschen-deutschen Kontakte wird jedoch auch ersichtlich, dass die deutsche Frage für die ostdeutschen Umweltgruppen (ausgenommen die Gruppe der „Ausreiser“) eher von marginaler Bedeutung war. Solche Befunde bestätigen den zu Anfang genannten Einwand Dorothee Wierlings von einer transnationalen Nationalgeschichte, die im deutsch-deutschen Verhältnis offenlässt, ob die „innerdeutsche“ Grenze nicht auch kurze Zeit eine nationale war.2 Eine systematischere Aufarbeitung dessen, was die „[gesamt]deutsche Nation“ ausmachte, erscheint zunehmend unabbringlich. 1 2
Vgl. „Bilanz der ökologischen Hinterlassenschaft der DDR und ihre Bewältigung“, 12. 5. 1997, Protokoll der 33. Sitzung, in: Materialien, Bd. III/1, S. 583. Vgl. Wierling, Über Asymmetrien, S. 116.
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Neben der deutschlandpolitischen Erosion konstatiert diese Studie auch umweltpolitische Kontinuitäten. Im wiedervereinten Deutschland bestehen noch immer, wenngleich in abgeschwächter Form, zwei Umweltprobleme bis in die Gegenwart, die die westdeutsche Wirtschaft bereits vor 1989/90 am meisten tangierten und mit der DDR schon damals nicht gelöst werden konnten: die Werraversalzung und die Deponie Ihlenberg, vormals VEB Deponie Schönberg. Daraus lässt sich ableiten, dass die „systembedingten“ Umweltprobleme östlicherseits zwar durch den Kollaps der veralteten Industrie verschwanden, diejenigen westlicherseits jedoch bestehen blieben. Sicherlich waren Umweltprobleme in der DDR ob der Ineffektivität der Planwirtschaft und der strukturellen Schwäche des MfUW teilweise systembedingt gewesen oder fand im lokalen Protest der Umweltgruppen eine solche Ausprägung (Baumpflanzaktionen). Doch dieses Ergebnis stellt die Frage nach der Systembedingtheit von Umweltproblemen neu. Demnach konnten genau diese beiden Umweltprobleme nicht gelöst werden, weil sie in beiden Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung auf die jeweils eine oder andere Weise mehr als andere die Wirtschaft gefährdeten. Das heißt, vereinfacht gesagt, in diesen beiden Fällen war das ideologische „System“ als solches nicht relevant, wenn es allgemein um den Schutz der Wirtschaftsinteressen ging. Fest steht jedenfalls, dass die Umweltprobleme der DDR zumindest nicht auf diese eine Frage der Systeme zu reduzieren sind, weshalb – wie hier geschehen – nach den verschiedenen Schadstoffen und geologischen Unterschieden wie Niederschlagsmengen, Windrichtungen, Flusssystemen etc. zu fragen war. Von der komplizierten Zusammensetzung ostdeutscher Braunkohle über die unterschiedlichen Schadstoffmengen bei Stickoxiden und Schwefeldioxiden bin hin zu der hohen Schwermetallbelastung der Gewässer – die Untersuchung unterschiedlicher geologischer Voraussetzungen und schadstofflicher Charakteristika ist auch in einer Umweltpolitikgeschichte unabdingbar. Dass der Westen umwelttechnologisch gegenüber dem Osten in der Bekämpfung industrieller Umweltverschmutzung einen großen Vorsprung besaß, vor allem in den 1980er Jahren, war angesichts des generellen technologischen Rückstands der DDR von etwa zehn Jahren nichts Ungewöhnliches. Dieser Rückstand hatte jedoch massive Auswirkungen auf die Zerstörung der Umwelt. Außerdem verschärften unterschiedliche Weichenstellungen im Nachgang der ersten Ölpreiskrise – Energiemix in der Bundesrepublik und Rückkehr zur Braunkohle in der DDR in den 1970ern – diese Entwicklungen. Die Frage wäre, inwiefern dieser technologische Rückstand einerseits systembedingt anzusehen ist, andererseits vielleicht aber auch bedeutet, dass die Umweltprobleme der DDR noch immer einer bestimmten industriellen Phase entsprachen, während die Bundesrepublik diese längst verlassen hatte, und – nach dem Boom – bereits einer Dienstleistungsgesellschaft entgegensah, die industriell geprägte Umweltprobleme schon hinter sich gelassen hatte, dafür aber neuen ins Auge sah. Verschwinden die einen Umweltprobleme, tauchen neue in anderer Form auf: War die Schwermetallbelastung der Elbe Ausdruck industrieller Produktionsverhältnisse, ist ihr heutiges Problem die Überfrachtung mit Medikamen-
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tenrückständen und Hormonen und mit welchen bisher unbekannten Schadstoffen in Zukunft?3 Zuletzt bleibt die Frage zu stellen, was nicht in den Rahmen dieser deutschdeutschen grünen Verflechtungsgeschichte gepasst hatte, dem Fachgebiet aber dennoch weitere nützliche Impulse verleihen kann. Zu nennen wäre die hier nur angedeutete verstärkte umweltpolitische Integration der DDR und anderer Ostblockstaaten im RGW im Zuge der Stockholmer Umweltkonferenz 1972 und danach. Eine DDR-Umweltgeschichte im ostmitteleuropäischen Kontext, die sie definitiv anders als gegenüber der Bundesrepublik positionieren würde, ist aber ein bis dato blinder Fleck.4 Die Bedürfnisse des Ostens unterschieden sich teilweise von denjenigen des Westens, dennoch schafften es die sozialistischen Staaten nicht, diese auf internationalen Treffen wie der Münchner Umweltkonferenz zu formulieren. Dort gaben andere als Schrittmacher den umweltpolitischen Takt vor. Dass sie sich nicht durchsetzen konnten, lag womöglich an Moskaus Diktat und der generellen strukturellen Schwäche ostmitteleuropäischer Umweltministerien begründet. Eine systematische Erfassung osteuropäischer Umweltpolitik im RGW und in der WVO steht bisher weitgehend noch aus, wäre allerdings vielversprechend. Auch die alte Bundesrepublik gilt es im europäischen, hierbei explizit auch im mitteleuropäischen Raum, neu zu verorten und ihre Technik- und Administrationsphilosophien zu untersuchen. So scheint sowohl im ost- als auch westeuropäischen Kontext nicht die DDR, sondern eher die Bundesrepublik mit ihrem Immissionsprinzip beim Gewässerschutz und dem früheren Abrücken von einer Mischdeponie in ihrer Umweltpolitik von anderen Ländern abzuweichen. Hilfreich wäre hier eine quellenbasierte Grundlage bundesdeutscher Umweltpolitik, die deren Ursprünge unter anderem im Gesundheitsministerium und den weiteren Werdegang über 1970 hinaus betrachtet, die es – wie eingangs erwähnt – noch nicht gibt. Darüber hinaus ließen sich im Rahmen der transnationalen Verflechtungsgeschichte als auch im deutsch-deutschen Kontext noch weitere Themengebiete wie beispielsweise die Verhandlungen zum Verkehr, zur Energieversorgung oder zum Strahlenschutz erforschen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Standortwahl für ein nukleares Endlager aktuell wieder offen ist, rücken nun auch ehemalige DDR-Gebiete wie die Lausitz in die engere Auswahl. Und nur im Kontext weiterer deutsch-deutscher Verflechtungsstudien wird sich über ihren Vergleich zeigen, ob und wie die innerdeutschen Verhandlungen zum Umweltschutz vielleicht ein Ausnahmethema darstellten oder nicht. Für den Moment steht diese deutsch-deutsche grüne Verflechtungsgeschichte einerseits für die typische Erzählung von Konkurrenz und Kooperation im Kalten Krieg und der Konfliktmoderation zwischen den Systemen. Andererseits erzählt sie aber auch von Abbrüchen sowie Kontinuitäten, paradoxen Gleichzeitigkeiten
3 4
Vgl. Lange, Elbe, S. 31, in DOI: doi.org/10.5282/rcc/9122 [11. 6. 2022]; siehe zur industriellen Phase, Behrens, Umweltbewegung, S. 318, 322. Erste Ansätze bei Ault, Saving Nature.
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und diversen Ambivalenzen, die ihre damaligen Beziehungen charakterisierten und die deutsche Gesellschaft bis weit in die heutige Zeit prägen. Die verschiedenen Phasen deutsch-deutscher Umweltbeziehungen, ihre durchwachsene Bilanz in der ersten Hälfte der 1980er Jahre und ihre Beschleunigung gegen Ende zeigen, dass Lösungen bilateraler Umweltprobleme zwischen Bundesrepublik und DDR nicht nur von der wichtigen, oftmals dominierenden Geldfrage geprägt wurden. Sie bestanden aus einem faktorreichen Zusammenspiel von zeitlicher Reife, internationalem und gesellschaftlichem Druck sowie innen- und außenpolitischen Verhältnissen, geologischen Voraussetzungen und technologischen Möglichkeiten, aber zuvorderst und vor allem waren sie vom beiderseitigen politischen Willen abhängig. Kurz, Umweltpolitik war ein Seismograf deutsch-deutscher Beziehungen im Kalten Krieg.
Dank Das Verfassen einer Dissertation ist ein Prozess, an dem mehr Menschen beteiligt sind als die Autorin allein. Dahinter stehen Freunde, Familie, Bekannte und Kolleginnen und Kollegen, die einem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Meinen Freunden und Freundinnen sowie meiner Familie möchte ich hiermit besonders Danke sagen, da sie die ellenlangen Tiraden über Müll und Abwasser über mehrere Jahre nun schon ertragen mussten und das äußerst liebevoll getan haben; die mir aber auch Mut zu sprachen und mich motivierten. Während des gesamten Prozesses von der Sammlung von Archivmaterial über die Sichtung von Literatur bis hin zu den ersten Schreibschritten haben mich nicht nur die Archivarinnen und Archivare gut unterstützt, denen hiermit mein Dank gebührt, sondern auch Historikerinnen und Historiker. Sie halfen mir in Kolloquiums-Gesprächen, beim gemeinsamen Essen, über Twitter oder Whatsapp, um noch weitere Literaturhinweise zu geben, Gliederungsprobleme durchzusprechen, Verständnisfragen zu klären oder neue Denkanstöße zu geben. Genannt seien hier vor allem Heike Amos, Christopher Banditt, Iris Borowy, Astrid M. Eckert, Tim Geiger, Bettina und Bernd Greiner, Elizabeth Hameeteman, Astrid M. Kirchhof, Gabriele Metzler, Jan-Henrik Meyer, Elke Seefried, Lauren Stokes, die Kolleginnen und Kollegen vom Berliner Kolleg Kalter Krieg und Institut für Zeitgeschichte München–Berlin und alle anderen, die ich schändlicherweise vergessen habe. Ganz besonderer Dank gilt meiner Mutter Marion Lange und meinem Opa Dieter Lange. Sie haben sich als Fachfremde durch die gesamte Dissertation gekämpft, immer auf der Suche nach unvollständigen Sätzen, Kommafehlern, nicht verständlich geschriebenen Passagen und vielem mehr. Danke auch an meine lieben Freunde und Freundinnen sowie Kolleginnen und Kollegen, die – mal mehr, mal weniger lange – Kapitel kritisch lasen und mit mir besprachen: Livia Bremmel, Nadine Jenke, Helena Gand, Martin Gontermann, Laura Haßler, Martin Kriemann, Kevin Lenk, Thomas Lettang, Thore Menze, Johannes Mühle, Nikolai Okunew, Pascal Pawlitta, Liza Soutschek und Tommy Stöckel. Auch möchte ich den Zeitzeugen für die Hintergrundgespräche danken. Sie halfen mir, manche Dinge besser einzuordnen. Besonders hervorheben möchte ich hier das beherzte Engagement Karl-Heinz Zwirnmanns, der immer auf der Suche nach einer Antwort für meine naturwissenschaftlich-technischen Fragen und bei weiteren Kontaktaufnahmen behilflich gewesen war. So kamen die Gespräche mit dem DDR-Delegationsleiter für die deutsch-deutschen Umweltgespräche Frank Herrmann und dem DDR-Umweltminister Hans Reichelt noch im Herbst 2020 zustande. Bei Ihnen möchte ich mich ebenfalls für die Bereitschaft zum Gespräch bedanken. Zu guter letzt freue ich mich, dass die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur meine Arbeit zwei Jahre lang finanziell unterstützt hat.
Anhang
Abkürzungsverzeichnis AA AAPD AbfG ABM AdG ADN AfS Afz. AG AGG AL AL Anm. APuZ ARGE Elbe B BArch BASF BBH BBNU BBU BC Bd. BIP BKAmt BKK Bl. BM BMA BMBW BMELF BMF BMI BMIB BMJFG BMLF BMU BMV BMVg
Auswärtiges Amt Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland Abfallbeseitigungsgesetz Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Archiv der Gegenwart Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Archiv für Sozialgeschichte Aufzeichnung Arbeitsgruppe Archiv Grünes Gedächtnis Abteilungsleiter Alternative Liste Anmerkung Aus Politik und Zeitgeschichte Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe Bestand Bundesarchiv Badische Anilin- & Soda-Fabrik (ursprünglich) Bergbau-Handel GmbH Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltgestaltung (Hamburg) Bund Bürgerinitiativen Umweltschutz Berlin Consult GmbH Band Bruttoinlandsprodukt Bundeskanzleramt Bereich Kommerzielle Koordinierung (MfS) Blatt Bundesminister Bundesministerium für Arbeit Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium des Inneren Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit Bundesministerium für Landwirtschaft und Forsten Bundesumweltministerium Bundesministerium für Verkehr Bundesministerium der Verteidigung
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Abkürzungsverzeichnis
BMWi BND BRD BSR BStU BT BUND CCMS CDU ČSFR ČSSR CSU DA DA DBD DBV DDR DDT Ders. Dies. DJ DKP DLF DM DNR Dok. DVO DzD EA ECE ECOSOC EEA EG/EWG EKB EMEP EPA ESTA FAZ FCKW FDJ
Bundesministerium für Wirtschaft Bundesnachrichtendienst Bundesrepublik Deutschland Berliner Stadtreinigung Behörde des/der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Bundestag Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschlands Committee for the Challenges of Modern Society Christlich-Demokratische Union (Bundesrepublik)/ChristlichDemokratische Union Deutschlands (DDR) Tschechoslowakei Tschechoslowakische Sozialistische Republik Christlich-Soziale Union Demokratischer Aufbruch Deutschland Archiv Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DDR) Deutscher Bund Vogelschutz Deutsche Demokratische Republik Dichlordiphenyltrichlorethan Derselbe Dieselbe(n) Demokratie Jetzt Deutsche Kommunistische Partei Deutschlandfunk Deutsche Mark Deutscher Naturschutzring Dokument Durchführungsverordnung Dokumente zur Deutschlandpolitik Europa-Archiv Economic Commission for Europe; Europäische Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen Economic and Social Council of the United Nations Organization; Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen Einheitliche Europäische Akte Europäische (Wirtschafts-)Gemeinschaft Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld European Monitoring and Evaluation Programme Environmental Protection Agency (USA) Elektrostatisches Verfahren Frankfurter Allgemeine Zeitung Flourchlorkohlenwasserstoffe Freie Deutsche Jugend
Abkürzungsverzeichnis
FDP F/E FES FR GAL GAU GFAVO GG GNU HA HBK HIS HPM Hrsg. HRT hs. HSS HV A IFM IKSE INF INSK K+S Kap. KB KFH KfW Kfz kg kg/d km KoKo KPdSU KSZE kt l LDPD LKG LKW LN LPG M MAH MD
Freie Demokratische Partei Forschung/Entwicklung Friedrich-Ebert-Stiftung Frankfurter Rundschau Grün-Alternative Liste Größter Anzunehmender Unfall Großfeuerungsanlagenverordnung Grundgesetz Gesellschaft für Natur und Umwelt Hauptabteilung (MfS) Hanseatisches Baustoffkontor GmbH (Archiv des) Hamburger Instituts für Sozialforschung Historisch-Politische Mitteilungen Herausgeber/-in Hochrangige Tagung handschriftlich Hanns-Seidel-Stiftung Hauptverwaltung Aufklärung Initiative Frieden und Menschenrechte Internationale Kommission zum Schutz der Elbe Intermediate Range Nuclear Forces Internationale Nordseeschutzkonferenz Kali und Salz AG Kapitel Kulturbund Kirchliches Forschungsheim Wittenberg Kreditanstalt für Wiederaufbau Kraftfahrzeug Kilogramm kilogramm/day (Kilogramm pro Tag) Kilometer Kommerzielle Koordinierung Kommunistische Partei der Sowjetunion Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kilotonnen Liter Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (DDR) Landeskulturgesetz Lastkraftwagen Lübecker Nachrichten Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Mark der DDR Ministerium für Außenhandel der DDR Metereologischer Dienst (DDR)
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Abkürzungsverzeichnis
MdB MELF MEMK MfAA MfKE MfLF/MfLFN
MfS MfUW MfWT mg Mio. Mrd. MUNER ms. MW N NABU NATO ND NDPD NF NGO NÖS(PL) NRW NSB NSW NVA o. D. OECD
OPEC OPK o. V. ÖSS ÖZU P PA AA PCB PDS PM
Mitglied des Deutschen Bundestags Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali (DDR) Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (DDR) Ministerium für Kohle und Energie (DDR) Ministerium für Landwirtschaft und Forsten (DDR), seit 1971 Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (DDR), Ministerium für Staatssicherheit (Stasi), (DDR) Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (DDR) Ministerium für Wissenschaft und Technik (DDR) Milligramm Millionen Milliarden Ministerium für Umweltschutz, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit (DDR) maschinenschriftlich Megawatt Stickstoff Naturschutzbund Deutschland e. V. North Atlantic Treaty Organization Neues Deutschland National-Demokratische Partei Deutschlands (DDR) Neues Forum Non-Governmental Organization; Nichtregierungsorganisation Neues Ökonomisches System (der Planung und Leitung) Nordrhein-Westfalen Neue Soziale Bewegungen Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet Nationale Volksarmee (DDR) ohne Datum Organisation for Economic Co-operation and Development; Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE) Organization of the Petroleum Exporting Countries Operative Personenkontrolle ohne Verfasser Ökonomisches System des Sozialismus Ökumenisches Zentrum für Umweltarbeit in Wismar Phosphor Politisches Archiv im Auswärtigen Amt Polychlorierte Biphenyle Partei des Demokratischen Sozialismus Pressemitteilung
Abkürzungsverzeichnis
PNK POP PVC RBW RGW RHG RIAS RWE SALT SAAS SAPMO SDAG SDP SED SMVA SO2 SPD STALA StäV StS Stv./stv. SU SZ t TA taz TU TÜV TWI UA UAL UAP UBA UdSSR UNEP UNESCO
UN/UNO US/USA u. U. UVR
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Positiv-Negativ-Katalog Persistent Organic Pollutants Polyvinylchlorid Rheinische Braunkohlenwerke AG Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Robert-Havemann-Gesellschaft Rundfunk im amerikanischen Sektor Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG Strategic Arms Limitation Talks Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut Sozialdemokratische Partei in der DDR Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (DDR) Sondermüllverbrennungsanlage Schwefeldioxid Sozialdemokratische Partei Deutschlands Ständiger Abteilungsleiterausschuss des Bundes Ständige Vertretung Staatssekretär Stellvertreter/-in, stellvertretende/r Sowjetunion Süddeutsche Zeitung Tonnen Technische Anleitung Die Tageszeitung Technische Universität Technischer Überwachungsverein Technik und Wissenschaft (BND) Unterabteilung Unterabteilungsleiter/in Umweltaktionsprogramm Umweltbundesamt Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, auch Sowjetunion United Nations Environmental Programm; Umweltprogramm der Vereinten Nationen United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization; Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur United Nations Organisation; Vereinte Nationen United States of America unter Umständen Ungarische Volksrepublik
422 VEB VfZ VLR (I) VM VRP WHO WP WP WTZ WVO ZA ZFA ZfU zit. ZK ZUG
Abkürzungsverzeichnis
Volkseigener Betrieb Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vortragender Legationsrat (Erster Klasse) Valuta-Mark Volksrepublik Polen World Health Organization (UN); Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen Wahlperiode Warschauer Pakt, auch WVO Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit Warschauer Vertragsorganisation Zwischenarchiv Zentraler Fachausschuss Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht zitiert Zentralkomitee Zentrum für Umweltgestaltung (DDR)
Abbildungen und Tabellen Abb. 1
Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6
Abb. 7 Abb. 8
Abb. 9
Abb. 10
Abb. 11 Tab. 1 Tab. 2 Tab. 3 Tab. 4 Tab. 5 Tab. 6
Erhebung der Häufigkeit der Begriffe „Umweltschutz“ und „Landeskultur“ im Neuen Deutschland 1945–1990 (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Umweltschutzinvestitionen der DDR in Mio. Mark 1970–1990 (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Haushalt des BMI/BMU der Bundesrepublik Deutschland in Mio. DM 1970–1994 (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und Hans Reichelt (DBD) im Klärwerk Nord, Berlin (Bezirk Berlin) DDR, 11. Juli 1988, Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotograf: Klaus Mehner, Bild 88_0711_UMW_Toepfer_12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Fertigstellung der Kläranlage in Sonneberg, Bezirk Suhl (DDR), 2. Oktober 1987, BArch, Fotograf: Helmut Schaar, Bild 183–1987–1002–045 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Abgestorbene Bäume im Erzgebirge, Altenberg, 11. Juli 1987, Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotograf: Klaus Mehner, Bild 87_0711_UMW_ErzGeb_05 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Protest von Robin Wood an der innerdeutschen Grenze, 17. Juni 1985, Ullstein, Bild-Nr. 2270503 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Delegationsmitglieder der Grünen bei Besichtigung des VEB Deponie Schönberg, 4. September 1986, Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotograf: Klaus Mehner, Bild 86_0904_UMW_Deponie_15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Klaus Töpfer und Hans Reichelt unterzeichnen eine gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Bonn, 6. Juli 1989, BArch, Fotograf: Arne Schambeck, Bild 00100900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Gespräche über Fragen der Umweltpolitik, Hans Reichelt, Klaus Töpfer und Hans Otto Bräutigam, 10. Juli 1988, BArch, Fotograf: Hubert Link, Bild 183–1988–0710–008 . . . . . . S. Umweltschutzinvestitionen der Bundesrepublik Deutschland in Mrd. DM 1975–1997 (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Expertengespräche (Runde I und II) zur Werraversalzung (Kapitel III.2.1.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expertengespräche zu den Gewässern Berlins (Kapitel III.2.2.) Expertengespräche zur Röden-Vereinbarung (Kapitel III.2.3.) Expertengespräche zur Elbe 1983 (Kapitel III.2.4.) . . . . . . . . . . . Expertengespräche zur Rauchgasentschwefelung (Kapitel III.3.1.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertreterinnen und Vertreter von Landesministerien, Parteien und Verbänden bei Hans Reichelt in der DDR (kein Anspruch auf Vollständigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
S. S. S. S.
41 42 107
154
161
190 216
248
311
318 398 437 438 439 439
S. 439
S. 440
424 Tab. 7 Tab. 8
Abbildungen und Tabellen
Bilaterale Umweltverhandlungen 1985–1987 (Kapitel IV.4.1.) S. 441 Elbegespräche 1989 (Kapitel IV.4.1.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 442
Personenverzeichnis Albrecht, Ernst (1930–2014), CDU, Diplomvolkswirt, 1976–1990 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Axen, Hermann (1916–1992), SED, Chefredakteur des ND, 1950–1953 und 1966–1989 Sekretär des ZK der SED, ab 1970 Mitglied im Politbüro, 1979–1989 Mitglied der „Arbeitsgruppe BRD“. Bahr, Egon (1922–2015), SPD, Journalist, 1966–1969 Sonderbotschafter und im Range eines Ministerialdirigenten Leiter des Politischen Planungsstabes im Auswärtigen Amt, 1969–1972 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, 1972–1974 Bundesminister für besondere Aufgaben, 1974–1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bahro, Rudolf (1935–1997), Die Grünen (bis 1985), Dissident, Autor von „Die Alternative“ (1977), 1979 aus der DDR ausgebürgert. Bangemann, Martin (1934–2022), FDP, Jurist, 1984–1988 Bundesminister für Wirtschaft. Barzel, Rainer (1924–2006), CDU, Jurist, 4. 10. 1982 bis 30. 3. 1983 Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. Bastian, Gert (1923–1992), Die Grünen, Bundeswehrgeneral, Friedensaktivist, 1983–1987 MdB. Baum, Gerhart (*1932), FDP, Jurist, 1979–1982 Bundesinnenminister. Berg, Michael von, in den 1970er Jahren Leiter der Abteilung U Umweltschutz im BMI, ab 1981–1986 Delegationsleiter für die Werra-Verhandlungen mit der DDR. Bohley, Bärbel (1945–2010), Malerin, Bürgerrechtlerin, 1982 Mitbegründerin der „Frauen für den Frieden“, 1985 Mitbegründerin der IFM, 1989 Initiatorin der Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“. Bohley, Dietrich (*1941), Bürgerrechtler, Theologe, Künstler. Bölling, Klaus (1928–2014), SPD, Publizist, 1981–1982 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin. Brandt, Willy (1913–1992), SPD, 1964–1987 SPD-Parteivorsitzender, 1957– 1966 Regierender Bürgermeister von West-Berlin, 1966–1969 Außenminister, 1969–1974 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Bräutigam, Hans-Otto (*1931), Jurist, 1982–1989 Leiter der StäV der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR in Ost-Berlin. Breschnew, Leonid Iljitsch (1906–1982), 1964–1982 Generalsekretär der KPdSU, 1977–1982 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet (UdSSR). Carter, Jimmy (*1924), Demokratische Partei, 1977–1981 39. Präsident der USA. Caspar, Rolf, SED, Sekretär der GNU im Kulturbund der DDR. Commoner, Barry (1917–2012), US-amerikanischer Biologe, Ökologie, Sachbuchautor und Umweltschützer. Curilla, Wolfgang (*1942), SPD, Jurist, 1978–1986 Präses der Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltgestaltung (BBNU) in Hamburg.
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Personenverzeichnis
Devaux, Ralf-Peter (*1940), 1977–1981 Erster Sekretär der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik Deutschland, Leiter der Residentur der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS der DDR in Bonn. Dick, Alfred (1927–2005), CSU, 1977–1990 Bayerischer Staatsminister für Umweltfragen. Diederich, Peter (1938–2015), DBD, Diplom-Landwirt, 1990 Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR in der Regierung Modrow. Dohnanyi, Klaus von (*1928), SPD, 1981–1988 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Dörfler, Ernst Paul (*1950), Chemiker, Autor, Umweltschützer, Mitbegründer der Grünen Partei der DDR. Ehmke, Horst (1927–2017), SPD, Staatsrechtslehrer, 1969–1972 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Engholm, Björn (*1939), SPD, Diplom-Politologe, 1988–1993 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein. Eppelmann, Rainer (*1943), Theologe, Bürgerrechtler und Politiker des Demokratischen Aufbruchs (DA). Feldhaus, Gerhard (1928–2016), Jurist, seit 1956 im Gesundheitsministerium, ab 1969 Unterabteilungsleiter in der Abteilung U im BMI, Ministerialrat, später als Abteilungsleiter verantwortlich für Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung und Abfallbeseitigung. Fenzlein, Volkmar, Leiter der DDR-Delegation in der Grenzkommission, Sektorenleiter in der Abteilung „BRD“ im MfAA der DDR. Fiedler, Manfred (*1925), Lehrer, ab 1974 Bundessekretär des Kulturbunds. Fiedler, Reinhold, Staatssekretär im MfUW der DDR. Fischer, Oskar (1923–2020), SED, 1975–1989 Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR. Flessner, Günter (1930–2016), CDU, Landwirt, 1975–1988 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Schleswig-Holstein. Flügge, Gerd, Diplom-Ingenieur, Chef der Wassergütestelle Elbe, 1978–1987 Leiter der „Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe“. Franke, Egon (1913–1995), SPD, Tischler, 1969–1982 Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. Füßlein, Peter, 1972–1980 Leiter der Arbeitsgruppe Grenzmarkierung und Leiter des Referats, Grenzkommission im BMI. Gaus, Günter (1929–2004), SPD, Journalist, 1974–1981 Leiter der StäV der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR in Ost-Berlin. Genscher, Hans-Dietrich (1927–2016), FDP, Jurist, 1969–1974 Bundesminister des Inneren, 1974–1992 Bundesminister des Auswärtigen. Gensichen, Hans-Peter (1943–2019), Theologe und Leiter des KFH in Wittenberg, u. a. Co-Autor von „Die Erde ist zu retten“ (1980), 1990 Initiator des Grünen Runden Tisches der DDR. Germelmann, Peter-Christian (1936–2022), Jurist, 1969–2001 im Bundeskanzleramt als Referent und als Referatsleiter für die Deutschland- und Berlinfrage sowie die Beziehungen zur DDR zuständig.
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Geulen, Reiner (*1943), Rechtsanwalt und Buchautor, spezialisiert auf Umweltrecht. Gibtner, Horst (1940–2006), CDU, Diplom-Ingenieur, Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn, 1981–1990 Referent im Ministerium für Verkehrswesen, 1990 Verkehrsminister der DDR. Gilsenbach, Reimar (1925–2001), Schriftsteller und Umweltschützer in der DDR, Mitglied der GNU, 1981 Begründer der Brodowiner Gespräche zum Umweltschutz, 1990 Mitbegründer der Grünen Liga. Gorbatschow, Michail Sergejewitsch (1931–2022), KPdSU, 1985–1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, 1990–1991 Staatspräsident der UdSSR. Harich, Wolfgang (1923–1995), KPD/SED/PDS, Philosoph, Schriftsteller und Journalist in der DDR, Autor von „Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der Club of Rome“ (1975). Hartkopf, Günter (1923–1989), FDP, Jurist, 1969–1983 Staatssekretär im BMI, u. a. zuständig für die Abteilung Umweltschutz. Hasselmann, Wilfried (1924–2003), CDU, 1968–1990 Landesvorsitzender der CDU in Niedersachsen, 1976–1988 Minister für Bundesangelegenheiten, teilweise Leitung des Innenministeriums. Havemann, Robert (1910–1982), Chemiker, Regimekritiker der DDR, Autor von „Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie“ (1980). Hellbeck, Hannspeter (1927), 1980–1986 stellvertretender Leiter der StäV der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR in Ostberlin. Herfeldt, Egon Ferdinand (1926–2015), Jurist, Leiter der Ad-hoc-Gruppe für die Münchner Umweltschutzkonferenz und 1983–1986 Leiter der Abteilung Umweltschutz im BMI und ab 1986 Leiter der Abteilung Z im BMU. Herrmann, Frank (*1948), SED, seit 1975 im MfUW der DDR, ab 1984 Abteilungsleiter Umweltschutz, ab 1987 Stellvertretender Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, bis 1991 im BMU tätig. Hiersemann, Karl-Heinz (1944–1998), SPD, 1976–1998 Mitglied des Bayerischen Landtags und ab 1986 Fraktionsvorsitzender. Hiller, Reinhold (*1949), SPD, Lehrer, 1982 Mitglied der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck, 1983–2002 MdB. Honecker, Erich (1912–1994), SED, 1971–1989 Erster Sekretär/Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, ab 1976 Staatsratsvorsitzender. Israel, Jurij Antonowitsch (1913–2014), Leiter des sowjetischen Staatskomitees für Hydrometereologie und Umweltkontrolle. Jahn, Günther (1930–2015), SED, 1976 bis 1989 Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam. Jahn, Roland (*1953), Journalist, Dissident, 1983 aus der DDR zwangsausgebürgert. Jaruzelski, Wojciech (1923–2014), 1981–1989 Vorsitzender der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, 1981–1985 Ministerpräsident der Volksrepublik Polen, 1985–1990 Staatsoberhaupt.
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Jordan, Carlo (*1951), DDR-Bürgerrechtler, 1986 Mitbegründer der Ostberliner Umweltbibliothek, 1988 Mitbegründer des grün-ökologischen Netzwerks Arche, Redakteur der Samisdatschriften „Umweltblätter“ und „Arche Nova“, Mitbegründer der Grünen Partei der DDR und Teilnehmer am Runden Tisch 1990. Kaysers, Hans Henning (*1937), bis 1980 Leiter des Innerdeutschen- und Berlin-Referats im BMI, 1980–1986 Referatsleiter in der StäV der Bundesrepublik bei der DDR in Ostberlin. Kelly, Petra (1947–1992), Die Grünen, Friedensaktivistin, 1983–1990 MdB. Kenner, Rudolf, Leiter des VEB Deponie Schönberg. Knabe, Wilhelm (1923–2021), Die Grünen, Forstwissenschaftler, 1982–1984 Bundessprecher der Partei, 1987–1990 MdB. Kohl, Helmut (1913–2017), CDU, Historiker, 1969–1976 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, 1973–1998 Bundesvorsitzender der CDU, 1982–1998 Bundeskanzler. Kohl, Michael (1929–1981), SED, Jurist, 1968–1973 Staatssekretär für westdeutsche Fragen beim MfAA, 1974–1978 Leiter der StäV der DDR in der Bundesrepublik Deutschland. Krause, Günther (*1953), CDU, Ingenieur, 1990 Parlamentarischer Staatssekretär beim Ministerpräsidenten der DDR, Verhandlungsführer beim deutschdeutschen Einigungsvertrag. Krenz, Egon (*1937), SED, ab 1983 Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED für Sicherheitsfragen, Jugend, Sport, Staats- u. Rechtsfragen, 18. Oktober bis 6. Dezember 1989 SED-Generalsekretär. Lautenschlager, Hans Werner (1927–2019), 1979–1984 und 1987–1993 Staatssekretär im AA. Leinen, Jo (Josef) (*1948), SPD, 1978–1984 Vorstandssprecher des BBU, 1985– 1999 Mitglied des Landesvorstands der SPD Saar, 1985–1994 Umweltminister im Saarland. Lersner, Heinrich-Ludwig Alexander Karl Robert Freiherr von (1930– 2014), FDP, Anfang der 1970er Jahre Leiter der Unterabteilung U I (Abfall/Wasser) im BMI, 1974–1995 Präsident des Umweltbundesamtes. Lietz, Bruno (1925–2005), SED, 1982–1989 Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR. Lütke, Hans-Albrecht, MfUW, bis 1983 Abteilungsleiter Umweltschutz im MfUW, Direktor des Zentrums für Umweltgestaltung. Maizière, Lothar de (*1940), CDU, letzter, aber erster frei gewählter Ministerpräsident der DDR vom 12. April bis 2. Oktober 1990. Malek, Otto, Diplom-Ingenieur, Delegierter des BMI für die deutsch-deutschen Gespräche zur Werra- und Elbeverschmutzung sowie für das ECE-Wasserkomitee, 1984–1986 Stellvertretender Vorsitzender des Komitees, in den 1990ern dann Mitarbeiter in der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE). Meichsner, Günther, bis 1980 Senatsdirigent beim Berliner Senator für Bundesangelegenheiten bzw. Bevollmächtigten des Landes Berlin beim Bund, 1981–
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1986 Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung II „Deutschlandpolitik“ im BMIB. Melsheimer, Klaus, Leiter der Gewässeraufsicht in West-Berlin bzw. Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz in West-Berlin. Menke-Glückert, Peter (1929–2016), Jurist, FDP, Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftsressourcen bei der OECD in Paris, 1971–1975 Abteilungsleiter für Umwelt-Grundsatzangelegenheiten im BMI, Verfasser des ersten Umweltprogramms der Bundesregierung, 1973 Delegationsleiter für Verhandlungen mit der DDR zu Umweltproblemen, 1978–1982 Abteilungsleiter für Umweltfragen im BMI. Mittag, Günter (1926–1994), SED, 1962–1973 und ab 1976 Sekretär im Zentralkomitee der SED für Wirtschaftsfragen; 1966–1989 Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED. Mitzinger, Wolfgang (*1932), SED, Elektroingenieur, 1979 bis 1989 Minister für Kohle und Energie der DDR. Möbs, Hans, Referatsleiter im BMI, ab 1986 Leiter der Unterabteilung Wasserwirtschaft im BMU. Modrow, Hans (1928–2023), SED, Maschinenschlosser, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaftler, 1973–1989 Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED in Dresden, 1989–1990 Vorsitzender des Ministerrates der DDR. Moldt, Ewald (1927–2019), SED, 1978–1988 Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik Deutschland, 1970–1978 und von 1988–1990 Stellvertretender Außenminister der DDR. Mottek, Hans (1910–1993), 1952–1975 Direktor an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst, 1971–1974 Leiter der Kommission für Umweltforschung bei der Akademie der Wissenschaften. Müller, Edda (*1942), 1973–1975 Planungsabteilung im Bundeskanzleramt, 1975–1977 im BMI, ab 1977 im Umweltbundesamt tätig und 1987 im BMU, ab 1991 Leiterin der Unterabteilung „Grundfragen der Industrie- und Freizeitgesellschaft, Klimapolitik“. Poppe, Gerd (*1941), Bürgerrechtler, Mitbegründer der Initiative für Menschenrechte, Februar bis April 1990 Minister ohne Geschäftsbereich, Sprecher und Vertreter der IFM am Zentralen Runden Tisch. Poppe, Ulrike (*1953), Bürgerrechtlerin, 1982 Mitbegründerin des Netzwerkes „Frauen für den Frieden“, Mitglied bei der Gruppe IFM, Mitbegründerin der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ und als deren Vertreterin Teilnehmerin am Zentralen Runden Tisch. Reagan, Ronald (1911–2004), 1981–1989 40. Präsident der USA. Reichelt, Hans (*1925), DBD, 1972–1990 Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft und Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats in der DDR. Röscheisen, Helmut, 1980–2014 Generalsekretär des DNR. Rottenburg, Irmgard von, BMI, 1978–1987 Leiterin der Delegation der Bundesrepublik in der deutsch-deutschen Grenzkommission.
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Ruckelshaus, William (1932–2019), Jurist, 1970–1973 und 1983–1985 Leiter der US-amerikanischen Environmental Protection Agency. Rüthnick, Rudolf (*1928), SED, Generalforstmeister, 1975–1990 Hauptabteilungsleiter Forstwirtschaft und stellvertretender Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR, 1978–1990 Mitglied des Präsidialrats des Kulturbundes der DDR (KB), 1980–1990 stellvertretender Vorsitzender der GNU. Sahlgren, Klaus (1928–2019), finnischer Diplomat, 1983–1986 Generalsekretär der UN-ECE. Schalck-Golodkowski, Alexander (1932–2015), SED, 1977–1989 Leiter der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Außenhandelsministerium der DDR. Schäuble, Wolfgang (*1942), CDU, Jurist, 1984–1989 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, 1989–1991 Bundesinnenminister, Verhandlungsführer beim deutsch-deutschen Einigungsvertrag. Schefke, Siegbert (*1959), Bauleiter und Journalist, Mitbegründer der Umweltbibliothek. Schewardnadse, Eduard Amwrossijewitsch (1928–2014), KPdSU, sowjetischer und georgischer Politiker, 1985–1990/1991 Außenminister der UdSSR. Schierbaum, Hansjürgen (1924–2011), politischer Beamter, ab 1962 im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen bzw. ab 1969 „für innerdeutsche Beziehungen“, Mitglied der deutsch-deutschen Grenzkommission, 1981–1985 Chef der Berliner Senatskanzlei. Schmidt, Helmut (1918–2015), SPD, Diplom-Volkswirt, 1974–1982 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Schnappertz, Jürgen, Die Grünen, 1987–1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bundestagsfraktion Die Grünen im Arbeitskreis VIII/IX (AFI): deutschdeutsche Beziehungen, DDR, Außen- und Sicherheitspolitik. Schnippenkötter, Swidbert (1915–1972), 1951–1972 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Büro der Vereinten Nationen in Genf. Schumacher, Dieter, Physiker, 1970–1972 Mitarbeiter im Planungsstab des Bundeskanzleramtes. Schürer, Gerhard (1921–2010), SED, 1965–1989 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR und Mitglied des Politbüros des ZK der SED. Seidel, Karl (1930–2022), Diplomstaatswissenschaftler, 1970–1990 Leiter der Abteilung „BRD“ im MfAA der DDR. Seiters, Rudolf (*1937), CDU, Jurist, 1989–1991 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Singhuber, Kurt (1932–2005), SED, 1967–1989 Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali der DDR. Sitzlack, Georg (1923–2006), Arzt, Präsident des Staatlichen Amts für Atomsicherheit und Strahlenschutz beim Ministerrat der DDR. Stanovnik, Janez (1922–2020), 1968–1983 Exekutivsekretär der UN-ECE.
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Starnick, Jürgen (*1937), 1972 Professor für Technische Chemie an der TU Berlin, 1986–1989 Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Steinberg, Karl-Hermann (1941–2021), CDU, Chemiker, 1990 Minister für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit der DDR. Stobbe, Dietrich (1938–2011), SPD, 1973–1977 Senator für Bundesangelegenheiten in West-Berlin, 1977–1981 Regierender Bürgermeister von West-Berlin. Stoltenberg, Gerhard (1928–2001), CDU, Historiker, 1982–1989 Bundesminister der Finanzen, 1989–1992 Bundesminister der Verteidigung. Strauß, Franz Josef (1915–1988), CSU, 1961–1988 Vorsitzender der CSU, 1978–1988 Ministerpräsident im Freistaat Bayern. Succow, Michael (*1941), Biologe, 1990 stellvertretender Minister für Natur-, Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR, verantwortlich für Ressourcenschutz und Landnutzungsplanung. Thomasius, Harald (1929–2007), Forstwissenschaftler, 1968–1992 Leiter der Sektion Forstwissenschaft an der TU Dresden in Tharandt, ab 1980 Vorsitzender der GNU. Thoms, Guido (1924–1999), SED, Ingenieur für Wasserwirtschaft, 1968–1971 Erster Stellvertretender Leiter des Amtes für Wasserwirtschaft, ab 1972 Stellvertreter des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR. Titel, Werner (1931–1971), DBD, Agrarökonom, ab 1967 stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der DDR, 1969 Beauftragter zur Durchführung der ersten Analyse der Regierung zur Umweltgefährdung in der DDR. Tolba, Mustafa (1922–2016), Biologe, 1975–1992 Exekutivsekretär des UNEP. Töpfer, Klaus (*1938), CDU, Diplom-Volkswirt, 1987–1994 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Tschernenko, Konstantin Ustinowitsch (1911–1985), 1984–1985 Generalsekretär der KPdSU und Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets (UdSSR). Ulbricht, Walter (1893–1973), KPD/SED, 1950–1972 Erster Sekretär des ZK der SED. Voigt, Gerhard, Verfahrensingenieur, Sektorenleiter im Amt für Wasserwirtschaft, ab 1972 Abteilungsleiter Gewässeraufsicht im MfUW der DDR, 1990 Leiter der Abteilung Umweltrecht/Umweltverträglichkeitsprüfung im MUNER. Volksdorf, Hans, Diplomingenieur, stellvertretender Abteilungsleiter im MfUW der DDR. Weimar, Karlheinz (*1950), CDU, 1987–1991 hessischer Umweltminister. Weinzierl, Hubert (*1935), Diplom-Forstwirt, 1969–2002 Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, 1983–1998 Vorsitzender des BUND. Williamson, David (1934–2015), 1987–1997 Generalsekretär der Europäischen Kommission. Wilms, Dorothee (*1929), CDU, Diplom-Volkswirtin, 1987–1991 Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen. Winzer, Otto (1902–1975), KPD/SED, 1965–1975 Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR.
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Personenverzeichnis
Wronski, Edmund (1922–2020), CDU, Ingenieur, 1981–1985 Berliner Senator für Arbeit und Betriebe, 1985–1989 Senator für Verkehr und Betriebe. Wyschofsky, Günther (*1929), SED, 1966–1989 Minister für Chemische Industrie. Zillmann, Günter (*1932) Diplomforstingenieur, SED, ab 1971 stellvertretender Minister für Wissenschaft und Technik in der DDR. Zimmermann, Friedrich (1925–2012), Jurist, CSU, 1982–1989 Bundesminister des Innern, 1989–1991 Bundesminister für Verkehr.
Quellenkritik zu Abbildung 2 „Umweltschutzinvestitionen der DDR in Mio. Mark 1970— 1990“ Die oben in der Abbildung 2 (S. 42) veranschaulichten Daten können nur grobe Richtwerte darstellen. Auf den ersten Blick ergänzen sich die aus zwei unterschiedlichen Quellen zusammengestellte Graphen prima, doch passen sie auf den zweiten Blick wirklich zusammen? Eine genaue Erfassung und Rekonstruktion dessen, wieviel die DDR netto in den Umweltschutz investiert hat, wird kaum möglich sein und ist eine komplexe Angelegenheit. Es bleibt die Frage, was wann und wo wie in die allgemeinen Umweltschutzinvestitionen mit einbezogen wird. So ist bei den Angaben von Möller (1971–1979) beispielsweise der Lärmschutz mit einbezogen worden,1 im Statistischen Jahrbuch der DDR (1980–1989) jedoch nicht: „Erfasst werden funktionell zusammengehörende Investitionen, die direkt der Verhinderung, Beseitigung oder Verringerung von Umweltbeeinträchtigungen dienen [z. B.: Luftmessgeräte, Filter, Klärwerke etc.]. Nicht einbezogen sind Investitionen für Produktionsanlagen, Kapazitäten für die Herstellung umweltverträglicher Erzeugnisse sowie für Technologien mit Umweltschutzeffekten [z. B. Hochschornsteine, neue moderne Anlagen, Wiederverwertung von Wasser im Produktionsprozess, Lärmschutz am Arbeitsplatz o. Ä.].“ 2
Die 1990er Ausgabe des Statistischen Jahrbuchs der DDR gilt u. a. insofern als verlässlichere Quelle im Vergleich zu den vorhergehenden, da hier falsche Angaben stillschweigend korrigiert und einige bestimmte Daten wie zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) erstmalig nach westlichen Konzepten berechnet wurden.3 So gab auch der Umweltbericht der DDR vom März 1990 an, dass die DDR einen Anteil an den Umweltschutzausgaben am BIP von 0,4 % (1988) gehabt hatte und verglich dies mit den Angaben westlicher Länder, wie der Bundesrepublik (1,07 %), den Niederlanden (1,34 %), Kanada (1,11 %) und den USA (0,87 %).4 Auch Tobias Huff bezieht sich u. a. auf diese Angabe zu Umweltschutzinvestitionen: Nach ihm investierte die DDR 1973 noch 0,65 % und Ende der 1980er 0,4 % des Nationaleinkommens in Umweltschutzmaßnahmen.5 Solche Zahlen gesamtwirtschaftlicher Leistung seien nach André Steiner jedoch mit Vorsicht zu genießen, da beispielsweise bei der Errechnung des BIP der DDR die Schwierigkeit bestand, dass (ggfs. vor 1989) ein großer Teil der öffentlichen und privaten Dienstleistungen nicht berücksichtigt wurden, der direkte Vergleich von westlichem BIP und DDR-Nationaleinkommen generell schwierig sei und im Nachhinein einen Wechselkurs der
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Möller, Umwelt, S. 225. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Berlin 1991, S. 145. Siehe Steiner, DDR-Statistik, S. 13–17, hier S. 15. Siehe auch Statistisches Bundesamt, DDRStatistik, S. 259. Vgl. Institut für Umweltschutz, Umweltbericht der DDR, S. 7. Vgl. Huff, Umweltpolitik der DDR, S. 552.
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Quellenkritik zu Abbildung 2
DDR-Mark unter marktwirtschaftlichen Verhältnissen zu rekonstruieren, kaum bis hin zu nicht machbar sei.6 Einer anderen Darstellung zufolge habe die DDR-Staatsführung nach Jörg Roesler, der sich wiederum auf eine Quelle aus dem BMIB aus dem Jahr 1985 bezieht, entgegen dem Fünfjahrplan 1975–1980 ab den 1980ern wieder vermehrt in den Umweltschutz investiert.7 Auch diese Aussage stünde dem obigen Befund der Grafik zunächst entgegen, schließlich investierte die DDR kontinuierlich, auch in den 1970er Jahren. Doch zeigt sie ebenso, dass staatliche Umweltinvestitionen in den 1980ern – mit Tiefen zwar – aber grundsätzlich anstiegen und damit zu Roeslers Aussage wieder passen würden. Sie legt dennoch einen gravierenden für die DDRForschung wichtigen Punkt offen, den es zukünftig stärker zu berücksichtigen gilt: Handelte es sich um zusammengestrichene, eigentlich geplante, also zunächst angenommene Investitionen, die aus dem jeweiligen Fünfjahrplan wieder gestrichen wurden, oder um „Netto“-Ausgaben, die tatsächlich getätigt wurden? In letztere Kategorie fiele jedoch die obige Darstellung. So seien nach Roesler in den Fünfjahrplan 1971–1975 finanzielle Ausgaben in Höhe von ca. 7 Mrd. Mark eingeplant gewesen, letztlich wurden jedoch im gesamten Zeitraum von 1971 bis 1979 „netto“ weniger investiert, nämlich nach obigen Daten knapp 6,2 Mrd. M.8 Die Historiker Huff und Roesler lassen zudem offen, welche Bereiche des Umweltschutzes ihre Aussagen umfassen und ob sie den in der DDR vom Umweltschutz separarierten Bereich der Wasserwirtschaft des MfUW miteinschließen oder nicht. Umweltschutz und Wasserwirtschaft waren zwei strukturell unterschiedliche Bereiche in einem Ministerium. Umweltschutzinvestitionen hätten nicht vom MfUW, sondern von den Verursachern, also von den chemischen und landwirtschaftlichen Betrieben geleistet werden müssen (ähnlich wie in der privatwirtschaftlichen Bundesrepublik). Eine diesbezügliche valide Aufstellung müsste also entweder im Archiv gefunden und quellenkritisch analysiert oder von jedem einzelnen Betrieb rekonstruiert werden. Als Planungsorgan erhielt das MfUW zwar für den Bereich der Wasserwirtschaft Investitionstitel. Jedoch nicht genug, da notwendige Investitionen – wie bekannt ist – ausblieben.9 Die grafische Darstellung steht daher schnell im Konflikt mit anderen Ausführungen, wobei genau differenziert werden muss. Ein Beispiel: Wilhelm Thürnagel listete Investitionen der VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung (WAB) auf, worin im Jahr 1988 beispielsweise zwischen 1,7 bis 1,9 Mrd. M ausgegeben wurden,10 was mehr umfasst als oben in der Grafik für dasselbe Jahr für alle Umweltschutzangelegenheiten zusammen angegeben und dargestellt wäre. Allerdings handelte es sich bei den WAB um jene Betriebe, die über Abwasserabgaben Gelder
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Vgl. Steiner, DDR-Statistik, S. 16 f. Vgl. Roesler, Umweltpolitik, S. 46, ähnlich und ausführlicher bei Stief, Staatssicherheit, S. 66 f. Vgl. Roesler, Unterschiede, S. 482; Möller, Umwelt, S. 225. Vgl. Simon/Zwirnmann, Wasserbewirtschaftung, S. 185, 274–275; ähnlich für die Luftreinhaltung bei Stief, Staatssicherheit, S. 67. 10 Vgl. Thürnagel, Trinkwasserversorgung, S. 249, Tab. 21.
Quellenkritik zu Abbildung 2
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einnahmen und diese wieder investieren mussten, und nicht um obige „Staatsausgaben“. Außerdem spielte die reine Wasserversorgung der Bevölkerung nicht in die vom Statistischen Jahrbuch erfassten Umweltschutzausgaben hinein. Ein Abgleich mit anderen Aussagen bezüglich der Umweltschutzinvestitionen ermöglicht deshalb gegebenenfalls eine bessere Einschätzung des in der Grafik abgebildeten Sachverhalts: Nach Würth wurden 1973 ca. 860 Mio. M in den Umweltschutz investiert 11 – eine Abweichung von etwa 200 Mio. M. Nach Stief leistete die DDR zwischen 1976 und 1978 Investitionen im Umfang von 2,2 Mrd. M, die sich auf die Ministerien für Chemie (591 Mio. M), Umwelt (389 Mio. M), Kohle und Energie (294 Mio. M) sowie Erzbergbau, Metallurgie und Kali (274 Mio. M) verteilten.12 Diese Aussage Stiefs weicht wiederum um – eventuell vernachlässigbare (?) – 0,1 Mrd. M von den aus Möllers Angaben errechneten 2,3 Mrd. M für den Zeitraum 1976–1978 ab. Eine finale Aufstellung von Umweltschutzinvestitionen in der DDR bleibt demnach eine schwierige und komplexe Angelegenheit, der sich wohl mehrere Generationen von Historikerinnen und Historikern erst nach und nach annähern können, wenn überhaupt. Es ist daher anzunehmen, nimmt man die Ausgaben der Verursacherbetriebe zum Umweltschutz hinzu, dass die Ausgaben eigentlich viel höher lagen, als hier dargestellt werden konnten. Wichtig ist jedenfalls, stets darauf zu achten, ob es sich nur um geplante oder tatsächlich um (nicht-frisierte) NettoInvestitionen handelte, und ob die Ausgaben für die Wasserwirtschaft in denen für den Umweltschutz integriert worden waren oder nicht.
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Vgl. Würth, Umweltschutz, S. 32. Vgl. Stief, Staatssicherheit, S. 65.
Tabellen zu den Expertengesprächen Tab. 1: Expertengespräche (Runde I und II) zur Werraversalzung (Kapitel III.2.1) 1. Expertengespräch (Runde I) am 19. 9. 1980 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 2. Expertengespräch am 22./23. 10. 1980 in Redoute Bonn-Bad Godesberg 3. Expertengespräch am 17./18. 12. 1980 im MfAA in Ost-Berlin 4. Expertengespräch am 4./5. 2. 1981 in Redoute Bonn-Bad Godesberg 5. Expertengespräch am 26./27. 3. 1981 im MfAA Ost-Berlin 6. Expertengespräch am 10./11. 6. 1981, Mess- und Laborschiff „Argus“ Bonn-Mainz 7. Expertengespräch am 29./30. 9. 1981 im MfAA, Ost-Berlin 8. Expertengespräch am 8.9. 12. 1981 im Niedersächsischen MELF, Hannover 9. Expertengespräch am 18./19. 2. 1982 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 10. Expertengespräch am 24./25. 3. 1982 im Hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik in Wiesbaden 11. Expertengespräch am 3./4. 5. 1982 in Eisenach 12. Expertengespräch am 25./26. 5. 1982 in Bonn, Hessische Landesvertretung 13. Expertengespräch am 16. 6. 1982 im MfAA in Ost-Berlin 14. Expertengespräch am 18./19. 7. 1982 in Bonn-Bad Godesberg/Bad Hersfeld 15. Expertengespräch am 26. 8. 1982 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 16. Expertengespräch am 6. 10. 1982 im BMWi in Bonn 17. Expertengespräch am 30. 5. 1983 im „Bürgerhaus“ Helmstedt 18. Expertengespräch am 1. 11. 1983 im MfAA in Ost-Berlin Nachdem die Delegationsleiter Günter Gaus (Bundesrepublik) und Michael Kohl (DDR) die erste Sitzung eröffnet hatten, verhandelten und nahmen in unterschiedlicher Besetzung (hier zusammengefasst) für die Bundesrepublik daran teil: Hansjürgen Schierbaum (stv. Delegationsleiter), Michael von Berg (BMIB), Otto Malek (BMI), zwei Direktoren von K + S und ein Obermarkscheider sowie weitere Vertreter aus BMI, BMIB, BMWi, der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, dem Hessischen Ministerium für Landesentwicklung, Umwelt, Landwirtschaft und Forsten, dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik, und dem Hessischen Landesamt für Bodenforschung sowie dem Niedersächsischen MELF; für die DDR: Volkmar Fenzlein sowie die stellvertretenden Abteilungsleiter im MEKM, MfUW, und der Obersten Bergbaubehörde, der zweite Sekretär der StäV der DDR in Bonn, ein Vertreter des VEB Kombinat Kali und des MAH. Quellen: PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528, Bd. 132685, Bd. 132686; PA AA, MfAA, M 50, ZR 722/ 14; BArch, B 137, Bd. 11807, Bd. 11808, Bd. 11810. 1. Expertengespräch (Runde II) am 11./12. 10. 1984 in der Hess. Landesvertretung in Bonn 2. Expertengespräch (II) am 19./20. 11. 1984 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 3. Expertengespräch (II) am 13./14. 12. 1984 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 4. Expertengespräch (II) am 11./12. 2. 1985 in Herleshausen 5. Expertengespräch (II) am 25./26. 4. 1985 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 6. Expertengespräch (II) am 20. 6. 1985 im BMI 7. Expertengespräch (II) am 29. 8. 1985 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 8. Expertengespräch (II) am 1./2. 10. 1985 in Goslar
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Tabellen zu den Expertengesprächen
Tab. 1: (fortgesetzt) 9. Expertengespräch (II) am 29. 10. 1985 in im MfAA der DDR in Ost-Berlin 10. Expertengespräch (II) am 20./21. 1. 1986 in der Niedersächsischen Landesvertretung in Bonn 11. Expertengespräch (II) am 6./7. 3. 1986 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 12. Expertengespräch (II) am 1./2. 4. 1986 in Königslutter 13. Expertengespräch (II) am 26.-28. 5. 1986 in Eisenach 14. Expertengespräch (II) am 26./27. 6. 1986 in Braunschweig 15. Expertengespräch (II) am 28./29. 8. 1986 im MfAA der DDR in Ost-Berlin 16. Expertengespräch (II) am 29./30. 9. 1986 in Hildesheim 17. Expertengespräch (II) am 24. 10. 1986 im MfAA der DDR in Ost-Berlin Für die Bundesrepublik verhandelten und nahmen in unterschiedlicher Besetzung (hier zusammengefasst) daran teil: Hansjürgen Schierbaum (stv. Delegationsleiter), Michael von Berg (BMIB), Otto Malek (BMI), zwei Direktoren von K + S und ein Obermarkscheider sowie weitere Vertreter aus BMI, BMIB, BMWi, der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, dem Hessischen Ministerium für Landesentwicklung, Umwelt, Landwirtschaft und Forsten, dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik, und dem Hessischen Landesamt für Bodenforschung sowie dem Niedersächsischen MELF; für die DDR: Volkmar Fenzlein sowie die stellvertretenden Abteilungsleiter im MEKM, MfUW, und der Obersten Bergbaubehörde, der zweite Sekretär der StäV der DDR in Bonn, ein Vertreter sowie der stv. Forschungsdirektor des VEB Kombinat Kali und des MAH. Quellen: BArch, B 137, Bd. 11813–11816.
Tab. 2: Expertengespräche zu den Gewässern Berlins (Kapitel III.2.2) 1. Expertengespräch am 7. 5. 1980 in West-Berlin 2. Expertengespräch am 23. 6. 1980 in Ost-Berlin 3. Expertengespräch am 11. 9. 1980 in West-Berlin 4. Expertengespräch am 4. 11. 1980 in Ost-Berlin, 5. Expertengespräch am 11. 12. 1980 in West-Berlin 8. Expertengespräch am 16. 7. 1981 in West-Berlin 9. Expertengespräch am 25. 9. 1981 in Ost-Berlin 11. Expertengespräch am 16. 6. 1982 in Ost-Berlin 12. Expertengespräch am 3. 8. 1982 in West-Berlin 13. Expertengespräch am 7. 9. 1982 in Ost-Berlin Für West-Berlin verhandelte der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz Klaus Melsheimer sowie ein Vertreter des Senats für Bauen und Wohnen und der Senatskanzlei; für die DDR verhandelten der Abteilungsleiter Gewässeraufsicht Gerhard Voigt und der stellvertretender Abteilungsleiter Hans Volksdorf aus dem MfUW sowie ein Vertreter aus dem MfAA und teilweise ein Vertreter des MAH, der Direktor der Wasserwirtschaftsdirektion Havel, des VEB Projektierung Wasserbau Cottbus und des VEB Projektierung Wasserbau Halle. Quelle: PA AA, B 38, ZA, Bd. 132528 und 132685; das 6., 7. und 10. Expertengespräch waren in den Bänden nicht enthalten.
Tabellen zu den Expertengesprächen
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Tab. 3: Expertengespräche zur Röden-Vereinbarung (Kapitel III.2.3) Zwischensitzungen der Grenzkommission zum Thema „Röden“, am 29. 3. 1983 in Coburg, 17. 5. 1983 in Schwerin, 29. 6. 1983 in Fulda, 26. 7. 1983 in Ost-Berlin und am 8./9. 9. 1983 in Nürnberg und 65. Sitzung der Grenzkommission am 8./9. 6. 1983 in Kiel Für die Bundesrepublik verhandelte Irmgard von Rottenburg (Delegationsleiterin) mit weiteren Vertertern aus dem BMIB, der Bayerischen Staatskanzlei, dem BMI und zwei Oberbürgermeistern; für die DDR verhandelte Volkmar Fenzlein sowie ein weiterer Vertreter aus dem MfAA als auch Hans Volksdorf aus dem MfUW. Quelle: BArch, B 137, Bd. 10377, Teil 4 und 5.
Tab. 4: Expertengespräche zur Elbe 1983 (Kapitel III.2.4) 1. Elbegespräch in Bonn, BMI, 1. 2. 1983 2. Elbegespräch in Hamburg/Cuxhaven, 3.–5. 10. 1983 Für die Bundesrepublik verhandelten in unterschiedlicher Besetzung Gerhard Feldhaus (BMI), Otto Malek (BMI), Hans Möbs (BMI), Michael von Berg (BMIB) sowie Gerd Flügge (Leiter der Gewässergütestelle Elbe) als auch Vertreter des BML, MELF Schleswig-Holstein, MELF Niedersachsen und dem BBNU – Amt für Umweltschutz Hamburg mit den DDR-Vertretern Gerhard Voigt (MfUW), Hans Volksdorf (MfUW) und Volkmar Fenzlein (MfAA). Quelle: PA AA, ZA, B 38, Bd. 132688 (nur Gespräch am 1. 2. 1983); beide Gespräche in: BArch, B 137, Bd. 11833.
Tab. 5: Expertengespräche zur Rauchgasentschwefelung (Kapitel III.3.1) 1. Expertengespräch in Leipzig und Vockerode/Elbe, 22.–23. 6. 1983 2. Expertengespräch im rheinischen Braunkohlerevier, 4.–5. 7. 1983 3. Expertengespräch in Dresden und Senftenberg, 4.–5. 10. 1983 4. Expertengespräch in Bergkamen, Essen und Mannheim, 8.–9. 11. 1983 Für die Bundesrepublik verhandelten teilweise in unterschiedlicher Besetzung Gerhard Feldhaus (BMI), Michael von Berg (BMIB) sowie weitere Vertreter und Vertreterinnen aus dem BMI, der StäV, des Ministeriums für Arbeit und Gesundheit NRW, dem Arbeitsministerium Baden-Württemberg, dem Bundesrats-Min. Niedersachsen, dem Umweltbeauftragten des Bayernwerk Schwandorf, der Berliner Elektrizitätswerke, der Firma Rheinbraun und RWE/RBW. Für die DDR verhandelte ebenfalls in unterschiedlicher Besetzung der Delegationsleiter Franz Löffler (MfKS) mit Unterstützung des Direktors des Instituts für Energetik Leipzig, des Direktors des Instituts für Kraftwerksplanung Vetschau sowie Vertretern des Instituts für Energetik, des Ministeriums für chemische Industrie, dem MfUW, der StäV der DDR in Bonn und vom Chemie-Anlagenbau. Quelle: PA AA, ZA, B 75, Bd. 132137.
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Tabellen zu den Expertengesprächen
Tab. 6: Vertreterinnen und Vertreter von Landesministerien, Parteien und Verbänden bei Hans Reichelt in der DDR (kein Anspruch auf Vollständigkeit) Datum 15. 6. 1983 20. 9. 1983
18. 10. 1983 14.–18. 5. 1984 4.–7. 6. 1984 23. 6. 1984 3.–5. 9. 1984 20.–23. 11. 1984 4. 4. 1985 20. 11. 1985 22. 5. 1986 12.–14. 5. 1987
18. 11. 1987 9. 12. 1987
29.5–1. 6. 1988 10.–13. 7. 1988 19.–22. 9. 1988
Delegationen in die DDR Birgit Breuel (CDU), Ministerin für Wirtschaft und Verkehr in Niedersachsen (1978–1986) Torsten Wolfgramm (FDP), MdB, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion (1978–1991) Die Grünen: Wilhelm Knabe, Christine Muscheler, Charlotte Garbe Alfred Dick (CSU), Staatsminister für Umweltfragen in Bayern (1977–1990) Volker Hauff (SPD), Mitglied der BrundtlandKommission Wilfried Hasselmann, Landesvorsitzender der CDU Niedersachsen (1968–1990) Jo Leinen und 7 Mitglieder des BBU Friedhelm Farthmann (SPD), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen (1975–1985) Wilfried Hasselmann (CDU), Niedersächsischer Minister für Bundesangelegenheiten Torsten Wolfgramm (FDP), MdB Karl-Heinz Hiersemann, SPD-Landesvorsitzender in Bayern Delegation des „Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.“ (BUND) in der DDR: Hubert Weinzierl (Vorsitzender BUND), Ulrike Mehl (Vorsitzende BUND Schleswig-Holstein), Lorenz Graf (Bundesgeschäftsführer), Hubert Weiger (Mitglied des wiss. Beirates und Beauftragter für Nordbayern), Peter Westenberg (Sprecher der Bundesjugendleitung); DDR-Seite: u. a. Manfred Fiedler, Harald Thomasius. Volker Hauff und SPD-Delegation Gespräch einer Delegation des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit Frank Hermann und Hans Reichelt: Dr. Gröhner, Dr. Laufs (CDU/CSU); Bernd Schmidbauer (CDU/CSU), Lieselott Blunck (SPD), Liesel Hartenstein (SPD), Charlotte Garbe (die Grünen) Klaus Matthiesen (SPD), Minister für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft Nordrheinwestfalen in der DDR Klaus Töpfer (CDU), Bundesumweltminister der Bundesrepublik Informationsreise des Ausschusses für Landesentwicklung und Umweltfragen des Bayerischen Landtages in der DDR
Quelle BArch, DK 5, Bd. 4740 BArch, DK 5, Bd. 4740
BArch, DK 5, Bd. 5797 BArch, DK 5, Bd. 3365 BArch, DK 5, Bd. 753 BArch, DK 5, Bd. 3365 BArch, DK 5, Bd. 4740 BArch, DK 5, Bd. 4740
BArch, DK 5, Bd. 3365 BArch, DK 5, Bd. 4740 BArch, DK 5, Bd. 4740 BArch, SAPMO, DY 27, Bd. 915
BArch, DK 5, Bd. 4740 AGG, B.II.1, Bd. 5974; BArch, DK 5, Bd. 2000
BArch, DK 5, Bd. 3365
BArch, DK 5, Bd. 3384 BArch, DK 5, Bd. 3365
Tabellen zu den Expertengesprächen
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Tab. 6: (fortgesetzt) Datum 3. 11. 1989 19. 1. 1989 1. 2. 1989 27. 4. 1989 4.–7. 6. 1989
5. 9. 1989 2. 11. 1989 4. 12. 1989 8. 12. 1989 14. 12. 1989
Delegationen in die DDR Werner Remmers (CDU), Umweltminister Niedersachsens Heiko Hoffmann, Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion von Schleswig-Holstein Björn Engholm (SPD), Ministerpräsident Schleswig-Holstein Ernst Albrecht (CDU), Ministerpräsident Niedersachsen Berndt Heydemann (parteilos), Minister für Natur, Umwelt und Landesentwicklung SchleswigHolstein Henning Voscherau (SPD), Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg Jörg Kuhbier (SPD), Senator sowie Leiter der Umweltbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg Carl Cromme, StS im niedersächsischen Umweltministerium Michaele Schreyer (AL), Westberliner Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz Bundesminister Klaus Töpfer
Weitere waren Uwe Barschel (CDU), Gerhard Schröder (SPD), Annemarie Borgmann und Hannegret Höhne (Die Grünen), ein Besuch von Joschka Fischer (Die Grünen), Umweltminister Hessens, war geplant
Quelle BArch, DK 5, Bd. 3365 BArch DK 5, Bd. 5792, Teil 2 BArch DK 5, Bd. 5792, Teil 2 BArch DK 5, Bd. 5792, Teil 2 BArch DK 5, Bd. 5792, Teil 2 BArch DK 5, Bd. 5792, Teil 2 BArch, DK 5, Bd. 3365 BArch, DK 5, Bd. 3365 BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 1 u. a. BArch, DK 5, Bd. 5792, Teil 1 Aufzeichnung von Hans Reichelt, Privatarchiv Hans Reichelt
Tab. 7: Bilaterale Umweltverhandlungen 1985–1987 (Kapitel IV.4.1) 1. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiterebene am 4./5. 6. 1985 in Berlin (Ost) 2. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiterebene am 2. 7. 1985 in Bonn 3. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 11./12. 9. 1985 in Ost-Berlin 4. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 10.–13. 11. 1985 in der Bundesrepublik in Kempen 5. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 27./28. 1. 1986 Berlin (Ost) 6. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 19.–21. 2. 1986 in Düsseldorf 7. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 29./30. 4. 1986 in Berlin (Ost) 8. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 24. 6. 1986 in Bonn 9. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 15./16. 7. 1986 in Berlin (Ost) 10. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 10. 9. 1986 in Bonn 11. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 3./4. 11. 1986 in Berlin (Ost) 12. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 18. 12. 1986 in Bonn 13. Umweltschutzgespräch auf Abteilungsleiter-Ebene am 29. 4. 1987 in Ost-Berlin 9./10. 6. 1987 Paraphierung in Bonn
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Tabellen zu den Expertengesprächen
Tab. 7: (fortgesetzt) 8. 9. 1987 Unterzeichnung in Bonn Für die Bundesrepublik verhandelten teilweise in unterschiedlicher Besetzung: Egon Herfeldt (Delegationsleiter, BMI/BMU), Dietrich Kupfer (BMI/BMU), Otto Malek (BMI/BMU), Michael von Berg (BMIB) sowie weitere Vertreter und Vertreterinnen aus dem BMWi, dem BMI/BMU, dem BML, der StäV der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Für die DDR verhandelten teilweise in unterschiedlicher Besetzung: Frank Herrmann (Delegationsleiter, MfUW), Hans Lütke (ZUG), Manfred Möller, (KoKo, MAH), Otto Witt (MfAA), Franz Löffler (MfKE), Hans Volksdorf (MfUW) sowie weitere Vertreter. Quellen: PA AA, ZA, B 75. Bd. 132289 und Bd. 132290; BArch DK 5, Bd. 5756 und Bd. 3393; BArch, B 137, Bd. 11795. bis Bd. 11798.
Tab. 8: Elbegespräche 1989 (Kapitel IV.4.1) 1. Expertengespräch in am 30. 3. 1989 in Ost-Berlin 2. Expertengespräch am 31. 5. 1989 im BMU, Bonn 3. Expertengespräch am 26. 9. 1989 in Ost-Berlin 4. Expertengespräch am 8.–10. 11. 1989 in Hamburg Für die Bundesrepublik verhandelten teilweise in unterschiedlicher Besetzung: Otto Malek (Delegationsleiter, BMU) sowie weitere Vertreter aus dem BMU, BMWi, BMIB, der StäV der Bundesrepublik in Ost-Berlin, der Umweltbehörde Freie und Hansestadt Hamburg, des Niedersächsischen Umweltministeriums, des Schleswig-Holsteinischen Umweltministeriums und der Wassergütestelle Elbe. Für die DDR verhandelten u. a.: Gerhard Voigt (Delegationsleiter, MfUW), Hans Volksdorf (MfUW), Otto Witt (MfAA) und ggfs. weitere Vertreter aus dem MfUW. Quellen: BArch, DK 5, Bd. 5751; BArch, B 295, Bd. 32213 und BArch, B 137, Bd. 11838.
Quellen- und Literaturverzeichnis Nicht veröffentlichte Quellen Hintergrundgespräche und E-Mail-Korrespondenz Dr. Klaus Baumgardt, Rettet die Elbe e. V., 8. Dezember 2016, Hamburg. Michael Beleites, E-Mail, 11. September 2019. Dr. Carlo Jordan, 14. August 2018, Berlin. Dr. Frank Herrmann, 22. September 2020, Berliner Kolleg Kalter Krieg, Berlin. Gerhard Propf, Bürgermeister Lindewerra (Thüringen), 24. Januar 2018, Telefonat. Dr. Hans Reichelt, 6. August 2014 und 3. Dezember 2020 in Schöneiche bei Berlin. Dr. rer. nat. Elke und Dr. Karl-Heinz Zwirnmann, 13. August 2020, Müggelheim bei Berlin; und weitere E-Mail-Korrespondenz.
Archiv Grünes Gedächtnis (AGG, Berlin) A Fischer, Joschka A Knabe, Wilhelm A Kelly, Petra A Kuhn, Vollrad B.II.1 (Die Grünen, Bundestagsfraktion, 1983–1990) B.II.2 (Bundestagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen, 1990–1994) B.II.3 (Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsfraktion, 1994–1998) C.II (Landtagsfraktionen)
Archiv für Umweltpolitik (Schloss Wiesenfelden) E 15 (Umweltschutz in der DDR) E 24 (Korrespondenz des DNR in die DDR nach dem Mauerfall 1989) II L41 (u. a. Handakte Hubert Weinzierl zur Unterschutzstellung von naturschutzwürdigen Flächen in der ehemaligen DDR, 1989–2000) II MR14 (u. a. Handakten von Hubert Weinzierl zur DDR 1983–1990; Kosten der Umweltunion 1989/1990; Einrichtung des „Grünen Bandes“ 1990–2004)
Bundesarchiv, Berlin (BArch) DC 20 (Ministerrat der DDR) DF 4 (Ministerium für Wissenschaft und Technik der DDR), Bd. 23646 DF 10 (Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR), Bd. 259 DH 1 (Ministerium für Bauwesen), Bd. 31157 DK 5 (Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft) DL 2 (Ministerium für Post und Fernmeldewesen), Bd. 6273 DL 210 (Betriebe des Bereichs Kommerzielle Koordinierung), Bd. 707 DL 226 (Bereich Kommerzielle Koordinierung) DO 4 (Staatssekretär für Kirchenfragen), Bd. 1458
Bundesarchiv, Koblenz (BArch) B 106 (Bundesministerium des Innern) B 136 (Bundeskanzleramt)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
B 137 (Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) B 288 (Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland) B 295 (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit)
Bundesarchiv, Stasi-Unterlagenarchiv, Berlin (BArch, MfS) MfS Abt. X (Internationale Verbindungen), Bd. 2606 MfS AG BKK (Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung), Bd. 52 MfS BV Bln AG XXII (Bezirksverwaltung Berlin), Bd. 281 MfS HA I (NVA und Grenztruppen), Bd. 15303 MfS HA III (Funkaufklärung und Funkabwehr), Bd. 13120 MfS HA VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel) MfS HA VII (Ministerium des Innern, Deutsche Volkspolizei), Bde. 6498, 6499 MfS HA VIII (Beobachtung, Ermittlung) MfS HA IX (Untersuchungsorgan), Bd. 10362 MfS HA XVIII (Volkswirtschaft) MfS HA XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund), Bde. 12365, 18239 MfS HA XX/ZMA (s. o., Zentrale Materialabgaben), Bd. 1196 MfS HA XXII („Terrorabwehr“) MfS HA KuSch (Kader und Schulung), Bd. 364 MfS ZAGG (Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz), Bd. 292 MfS ZAIG (Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe), Bd. 29841
Hamburger Archiv für Sozialforschung (HIS) SBe 710 G1 (Allgemeines) SBe 711 G1 HH (Wasser, Elbe, Hafen) SBe 715 G1 (Verschiedenes)
Politisches Archiv im Auswärtigen Amt, Berlin (PA AA) B 1 (Ministerbüro) B 2 (Büro Staatssekretäre), Bde. 193, 197 B 9 (Planungsstab), Bd. 178369 B 21 (u. a. Europarat, Europäische politische Integration), Bd. 116187 B 28 (Gesamteuropäische politische Strukturen, KSZE, OSZE) B 30 (Vereinte Nationen) B 38 (Außenpolitische Fragen, die Berlin und Deutschland als Ganzes betreffen) B 40 (Ost-West-Beziehungen), Bd. 199 B 42 (Länderreferate Ostblockländer, Osteuropa und Benelux), Bd. 132793, 133322 B 75 (Internationale Umweltpolitik, Rohstoffpolitik) B 82 (Staats- und Verwaltungsrecht), Bde. 1545, 190804 B 87 (Völkerrechtliche Verträge), Bde. 463132, 310400 B 110 (Organisation), Bd. 134097 B 150 (Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland), Bd. 195 B 200 (Europäische Gemeinschaften Grundsatzangelegenheiten), Bd. 121897 B 201 (Handels- und Agrarpolitik), Bd. 144265 MfAA, M 1 (Zentralarchiv) MfAA, M 39 (Benachbarte Länder und Ungarn), Bde. ZR 1626/90, ZR 2576/85, ZR 1421/84 MfAA, M 44 (Westeuropa), Bd. ZR 44/09 MfAA, M 50 (Rechtsangelegenheiten) MfAA, M 51 (Vertragswesen), Bd. ZR 2779/13 MfAA, M 82 (Andere Organe und Programme der VN), Bde. ZR 2553/84, ZR 2554/84
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Rettet die Elbe e.V., Hamburg Ordner: DDR Dresden Elberat Ordner: Ein Plan für die Elbe Ordner: Elberat I-II Ordner: Privatarchiv Dr. Klaus Baumgardt
Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin (RHG) Matthias-Domaschk-Archiv, PS 023 (Blattwerk) RHG, KFH 35 (Kirchliches Forschungsheim Wittenberg) RHG, KFH 37 (Kirchliches Forschungsheim Wittenberg) RHG, KFH 39 (Kirchliches Forschungsheim Wittenberg) RHG, KFH 40 (Kirchliches Forschungsheim Wittenberg) RHG, KFH 41 (Kirchliches Forschungsheim Wittenberg) RHG, KFH 49 (Kirchliches Forschungsheim Wittenberg) RHG, KFH 56 (Kirchliches Forschungsheim Wittenberg) RHG, Opposition RG B 1–24 (Oppositionelle Gruppen Berlin) RHG, Opposition RG MV 1 (Oppositionelle Gruppen Mecklenburg-Vorpommern) RHG, Opposition RG T 1–5 (Oppositionelle Gruppen Thüringen) RHG, Opposition SWV 1–7 (Seminare/Werkstätten) RHG, OWK 1–12 (Ost-West-Kontakte) RHG, PS 003 (Anstoesse) RHG, PS 009 (Arche Nova) RHG – PS 033 (Hans-Peter Gensichen (Hrsg.): Die Erde ist zu retten. Umweltkrise. Christlicher Glaube. Handlungsmöglichkeiten, Wittenberg, Februar 1985.) RHG, PS 034 (Erfurter Filterpapier) RHG, PS 047 (Grenzfall) RHG, PS 057 (Kontakt) RHG, PS 087 (Plattform) RHG, PS 088 (Pusteblume) RHG, PS 103 (Streiflichter u. a.) RHG, PS 108 (Umweltbrief ) RHG, Th 2 (Thematische Sammlungen)
Robin Wood e.V., Hamburg Ordner: Pressemitteilungen 1983–1986, 1988–1990 Ordner: Pressespiegel 1984–1990 Ordner: Energiekampagne 1986
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin (BArch-SAPMO) DY 27 (Kulturbund der DDR) DY 30 (Zentralkomitee der SED, Büro Walter Ulbricht), Bd. 3668 DY 3023 (Büro Günter Mittag)
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Zeitungen, Zeitschriften und Radiosender Bayernkurier Berliner Zeitung (BZ) Deutsche Zeitung Christ und Welt Deutschlandfunk Deutschlandfunk Kultur The Economist Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Frankfurter Rundschau (FR) Generalanzeiger Kölner Stadtanzeiger Lübecker Nachrichten (LN) Neues Deutschland (ND)
Neue Ruhr Zeitung Essen Neue Zeit Neue Zürcher Zeitung (NZZ) The New York Times Schweriner Volkszeitung (SVZ) Der Spiegel Süddeutsche Zeitung (SZ) Der Tagesspiegel Die Tageszeitung (taz) Die Welt Die Zeit
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Personenregister Adenauer, Konrad 162 Albrecht, Ernst 160, 186, 215, 320, 425, 441 Amerongen, Wolff von 311 Amos, Heike 7 f. Andropow, Juri W. 206 Arndt, Melanie 12, 232 Ault, Julia E. 6, 69 Axen, Hermann 289, 306, 425 Bahr, Egon 7, 64, 72, 74 f., 78, 82, 307, 425 Bahro, Rudolf 32, 425 Bangemann, Martin 323 f., 425 Barschel, Uwe 186, 441 Barzel, Rainer 158, 425 Bastian, Gert 267, 276 f., 425 Baum, Gerhart 115, 118, 120, 137, 172, 191, 425 Beck, Ulrich 110 f., 232 f. Behrens, Hermann 5 Beleites, Michael 287, 345 Berg, Michael von 49, 60, 74, 130, 134–136, 139–145, 147, 178 f., 425, 437–439, 442 Berghofer, Wolfgang 184 Biess, Frank 16 Blüm, Norbert 152 Bock, Thea 249 Bohley, Bärbel 267, 425 Bohley, Dietrich 267, 425 Bölling, Klaus 152, 425 Boroffka, Peter 236 Bösch, Frank 19 Brain, Stephen 32 Brandt, Willy 7, 44 f., 48, 64, 72 f., 82, 122, 393, 425 Brauer, Jochen 216, 278 Bräutigam, Hans-Otto 153, 225–227, 251, 268, 285, 293, 301, 305, 307, 318, 425 Breschnew, Leonid I. 33, 86, 96 f., 425 Brower, David 28 Carson, Rachel 29 Carter, Jimmy 224, 425 Caspar, Rolf 268, 368, 425 Chruschtschow, Nikita S. 33 Commoner, Barry 29, 31, 69, 425 Corson, Mark 402 Curilla, Wolfgang 162 f., 181, 425 Däßler, Hans-Günther 276 De Palma, Samuel 57 Devaux, Ralf-Peter 100, 426
Dick, Alfred 211, 218, 271–275, 305, 358, 407, 426, 440 Diederich, Peter 367, 369 f., 373 f., 376, 426 Dohnanyi, Klaus von 184 f., 301, 337, 426 Dörfler, Ernst Paul 368 f., 426 Eckert, Astrid M. 3, 7, 16, 127, 272 Ehmke, Horst 48 f., 426 Ehrlich, Paul R. 29 Engels, Friedrich 35, 37 Engels, Jens Ivo 7, 25, 51 Engholm, Björn 356, 426, 441 Eppelmann, Rainer 277, 362, 426 Ertl, Josef 264 Falcke, Heiner 282 Feldhaus, Gerhard 174, 198, 426, 439 Fenzlein, Volkmar 79, 130, 134–136, 139, 141–143, 147, 149, 157, 160, 162, 174, 177–179, 182, 247, 254, 266, 273, 426, 437, 439 Fiedler, Manfred 339, 426, 440 Fiedler, Reinhold 153, 426 Fischer, Oskar 180, 366, 426 Fischer, Per 102, 104, 212 Flessner, Günter 245–247, 426 Flügge, Gerd 165, 175, 426, 439 Franke, Egon 120, 153, 426 Fulbrook, Mary 19 Füßlein, Peter 426 Gandhi, Indira 68 Garbe, Charlotte 276, 440 Gaus, Günter 87, 121, 126, 129, 150, 426, 437 Genscher, Hans-Dietrich 45–49, 81–83, 109, 123, 153, 199–201, 364, 426 Gensichen, Hans-Peter 114, 277, 284 f., 315, 343, 368 f., 395, 426 Germelmann, Peter-Christian 137, 229, 234, 243, 379, 426 Geulen, Reiner 216 f., 351, 427 Gibtner, Horst 385, 427 Gille, Zsuzsa 19 Gilsenbach, Reimar 38, 427 Gorbatschow, Michail S. 300, 313, 328, 331, 364, 427 Groeneveld, Sigmar 339 Groll, Götz von 94 Gruhl, Herbert 112 Guillaume, Günter 82
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Personenregister
Hanisch, Anja 97 Harich, Wolfgang 32, 427 Hartkopf, Günter 152, 427 Hasenöhrl, Ute 7 Hasselmann, Wilfried 210, 427, 440 Hässelbarth, Ulrich 84 Hauff, Volker 440 Havemann, Katja 267 Havemann, Robert 32, 427 Hellbeck, Hannspeter 140, 194, 225 f., 301, 427 Henze, Gerhard 88 Herfeldt, Egon Ferdinand 297–299, 302, 304, 319, 324, 427 Herrmann, Frank 8, 216, 251 f., 274, 297– 299, 315, 319, 323 f., 340, 354, 427, 442 Heydemann, Berndt 441 Hiersemann, Karl-Heinz 275, 427, 440 Hiller, Reinhold 336, 427 Hilmer, Adolf 237 Hoffmann, Jens 5 Hoffmann, Julius 100 Honecker, Erich 6, 18, 40 f., 73, 82, 84, 86 f., 93, 120, 123 f., 129, 140, 145, 158, 162, 174, 186, 208, 215, 217, 228, 230, 236, 266 f., 273, 275–280, 282, 285, 292–295, 300 f., 307, 310–313, 319, 335, 338, 358, 362, 406 f., 427 Hopp, Ingrid 243 Hötker, Dieter 61 Huff, Tobias 6, 39 f., 87, 195, 208, 295, 356, 433 f. Hünemörder, Kai F. 25 Huttner, Karltheodor 338 Inglehart, Ronald 25 Israel, Jurij A. 206, 427 Jahn, Günther 352, 427 Jahn, Roland 346, 427 Jarausch, Konrad 16, 19 Jaruzelski, Wojciech 123, 427 Jenninger, Philipp 223, 269, 291 Jeschke, Lebrecht 391 Jordan, Carlo 267, 342, 428 Jungk, Robert 110 Kaysers, Hans Henning 246, 428 Kelly, Petra 267, 276 f., 428 Kenner, Rudolf 255, 428 Kirchhelle, Claas 224 Kirchhof, Astrid M. 113 Kleßmann, Christoph 18 f. Klinkert, Ulrich 3 f. Knabe, Wilhelm 276 f., 428, 440 Knapp, Hans Dieter 391
Kohl, Helmut 1, 3, 120, 153, 188, 199 f., 202, 273, 292, 295, 300, 310 f., 322, 330, 364 f., 428 Kohl, Michael 74, 121, 126, 131, 150, 428, 437 Köster, Roman 7, 230, 400 Kovda, Viktor A. 27 Kowalczuk, Ilko-Sascha 3 f., 409 Krause, Günther 392, 428 Krenz, Egon 335, 362 f., 428 Kretschmann, Erna 113 Kretschmann, Kurt 113 Kristof, Erich 157 Krolikowski, Werner 323 Kroppenstedt, Franz 261, 264 Kuczynski, Jürgen 31 Kuhbier, Jörg 320, 441 Kupfer, Dietrich 90, 94, 301, 442 Kupper, Patrick 33 Lafontaine, Oskar 184 Lange, Jochen 281 Lautenschlager, Hans Werner 201, 269, 428 Leinen, Jo (Josef ) 215, 217, 278–280, 428, 440 Lemke, Eva-Maria 138 Lersner, Heinrich von 80 f., 377, 428 Lietz, Bruno 428 Lindner, Sebastian 8 Lingner, Reinhold 35 Luhmann, Niklas 13 f., 232 f. Lütke, Hans-Albrecht 198, 428, 442 Maizière, Lothar de 364, 387, 428 Malek, Otto 170 f., 428, 437–439, 442 Marx, Karl 35, 37 Matthes, Christian Felix 392 Meadows, Dennis 30 Mehl, Ulrike 440 Meichsner, Günther 161, 226, 428 Melsheimer, Klaus 149, 151, 155, 429, 438 Menke-Glückert, Peter 31, 47, 50, 77, 79, 89, 92, 118, 429 Metzger, Birgit 7 Milder, Stephen 110 Miosga, Margit 342 Mittag, Günter 87, 134, 160, 180, 185, 189, 208, 210, 236–238, 274, 292 f., 301 f., 311, 323, 326 f., 406, 429 Mitzinger, Wolfgang 219, 429 Mladenow, Petar T. 199 Möbs, Hans 178, 182, 429, 439 Modrow, Hans 363, 367, 372, 387, 390, 426, 429 Moldt, Ewald 157, 429 Möller, Christian 5 f., 296, 356, 433, 435
Personenregister Möller, Horst 16 Möller, Manfred 442 Mottek, Hans 37 f., 429 Müller, Edda 23, 429 Müller, Simone 232 Muscheler, Christine 276 Neubert, Erhart 362 Niedhart, Gottfried 93 Nieding, Norbert Nidger von Nixon, Richard 28, 49
81, 83
Obertreis, Julia 16, 32, 268 Oestmann, Heinz 164 Pflugbeil, Sebastian 387 Pickert, Winfried 382 Plaumann, Siegfried 239 Poppe, Gerd 267, 429 Poppe, Ulrike 267, 429 Probst, Lothar 278, 286 Radkau, Joachim 6, 13 f., 24, 71, 109, 267, 395 Reagan, Ronald 331, 429 Reichelt, Hans 43, 66, 79, 87, 100, 115, 118, 154, 159–161, 173, 179, 185, 190 f., 197, 208, 210 f., 217 f., 220, 225–228, 237, 240, 252, 270–277, 279, 282, 289 f., 292– 294, 303, 306, 310–312, 318, 320, 325– 327, 333, 346, 354–356, 367, 372, 409, 429, 440 Roesler, Jörg 41, 86, 434 Röscheisen, Helmut 10, 280, 371, 429 Roth, Margit 326 Rottenburg, Irmgard von 157, 160, 429, 439 Rouget, Werner 59 Ruckelshaus, William 206, 430 Rüthnick, Rudolf 276, 430 Sahlgren, Klaus 269, 430 Saurin, Wolfgang 265 Schalck-Golodkowski, Alexander 129, 237 f., 273, 354, 430 Schattenberg, Susanne 13, 97 Schäuble, Wolfgang 185, 187, 307, 319, 321, 392, 430 Scheel, Walther 53, 64 Schefke, Siegbert 346, 430 Schewardnadse, Eduard A. 331 f., 430 Schieferdecker, Helmut 370 Schierbaum, Hansjürgen 130, 134, 136, 430, 437 f. Schierholz, Henning 248, 306, 327 Schily, Otto 227
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Schindler, Hans 300 Schmidt, Helmut 82, 85, 120, 123 f., 153, 174, 191, 430 Schnappertz, Jürgen 250, 278, 307, 430 Schneider, Dirk 250 Schnippenkötter, Swidbert 57 f., 62, 430 Schott, Peter 281 Schumacher, Dieter 48 f., 430 Schürer, Gerhard 311, 430 Seidel, Karl 87, 430 Seiters, Rudolf 380, 385, 430 Sindermann, Horst 306 Singewald, Arno 141 Singhuber, Kurt 148, 430 Sitzlack, Georg 299, 308, 317, 430 Spranger, Carl-Dieter 265 Stanovnik, Janez 57–60, 105, 118, 430 Starnick, Jürgen 348, 350 f., 356, 431 Steinberg, Karl-Hermann 367, 370 f., 388, 431 Steiner, André 433 Stief, Martin 5 f., 296, 435 Stobbe, Dietrich 84, 150, 431 Stoltenberg, Gerhard 184, 324, 431 Stoph, Willi 189 Strauß, Franz Josef 158–160, 183, 222, 272 f., 431 Strohm, Holger 110 Succow, Michael 368, 391, 396, 431 Thomasius, Harald 280, 431, 440 Thoms, Guido 38, 77, 79, 194, 431 Titel, Werner 38, 43, 53, 66, 431 Tolba, Mustafa 336, 431 Töpfer, Klaus 154, 289, 310 f., 313, 316–319, 322–326, 337, 348, 355, 364–366, 369, 371 f., 376 f., 380, 382, 389, 391, 393, 431, 440 f. Tschernenko, Konstantin U. 295, 431 Uekötter, Frank 6, 14, 144, 224, 267, 335 Ulbricht, Walter 6, 40, 73, 431 Ungerer, Werner 201 Vetter, Horst 210 Voigt, Gerhard 61, 149, 151, 172, 174, 176– 178, 182, 431, 438 f., 442 Volksdorf, Hans 174, 178, 431, 438 f., 442 Vollmer, Antje 275 Vukovich, Martin 335 Wambutt, Horst 303 Ward, Barbara 29, 33 Watzlawick, Paul 13 Weber, Heike 233 Weber, Petra 8
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Personenregister
Weimar, Karlheinz 356, 431 Weinzierl, Hubert 10, 316, 369, 390, 404, 431, 440 Wentker, Hermann 8, 19, 84, 93, 99 Wernadski, Wladimir I. 27 Wierling, Dorothee 19, 409 Wierling, Ludger 61 Williamson, David 380, 431 Wilms, Dorothee 322, 324, 431 Winzer, Otto 56, 63 f., 431 Wirsching, Andreas 16, 224 Wischnewski, Hans-Jürgen 157
Wöbse, Anna-Katharina 17 Wolfgramm, Torsten 172, 440 Wronski, Edmund 348–350, 356, 432 Würth, Gerhard 435 Wyschofsky, Günther 324, 432 Zaagman, Rob 95 Zelko, Frank 7 Zillmann, Günter 59 f., 432 Zimmermann, Falk 346 Zimmermann, Friedrich 160, 200, 210 f., 293 f., 392, 432
Sachregister Aufgenommen wurden nur kapitelübergreifende Begriffe, Orte, Flüsse, Organisationen und Abkommen. Abfallarten siehe Gift-, Haus- und Sondermüll Abfallbeseitigung/-entsorgung 4, 19–21, 45–47, 80, 107, 146, 196, 198, 219, 298, 231–233, 237, 239, 244, 246, 262 f., 265, 272 f., 279, 309, 342, 353, 373, 399, 426 Abfallexport/-geschäft siehe Müllhandel Abfallprodukte/-stoffe 39, 42, 126, 131, 149, 196, 198, 230, 232, 235 f., 250 f., 259, 263, 296, 309, 319, 342, 350, 353 Abfallwirtschaft 76, 210, 231, 239, 298, 302, 400 Abrüstung 14 f., 100, 122, 174, 199, 206, 276, 284 f., 294, 332, 339 Afghanistan 123, 202, 407 Agent Orange 189, 241 Alliierte 83, 125, 153, 162, 187, 304 Ammonium 168, 173, 175, 177–179, 181– 183, 196, 326 Amt für Wasserwirtschaft 36, 431 Anti-Atomkraft-Bewegung 7, 109–111, 224, 278, 349 Arbeiteraufstand in der DDR 35, 282 Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe (ARGE) 164–167, 175 f., 183 Arche Nova 327, 342, 344, 428 ARD 318, 343, 346, 348 Asyl 289, 297, 305–308 Atomkraft 51, 107, 109–111, 177, 181, 253, 287, 338, 353, 367, 387, 388 Ausreise 342, 344, 362, 380, 409 Auswärtiges Amt 10, 59, 69, 91, 95, 104, 106, 130, 133, 140, 152, 201, 203, 206, 269 Bad Hersfeld 135, 437 Basel 225, 240 Bayer 140, 164 Bayern 11, 47, 63 f., 77, 155, 158–160, 183, 193, 197, 211, 270–272, 275, 278, 296, 336, 392, 404, 431, 439, 440 Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltgestaltung in Hamburg (BBNU) 162, 164, 425, 439 Belgien 92, 137 Benzin-Blei-Gesetz 47, 86, 204, 210, 346 Berlin Consult (BC) 234, 353 Berlin-Frage 79, 84, 153, 157, 235, 299 f., 309, 313, 325
Berlin (Ost) 87, 140, 150 f., 153, 155, 192, 212, 217, 225, 243, 245, 250, 259, 276– 278, 286, 293, 297, 304, 306 f., 312–315, 341, 343 f., 362, 366, 372, 425 f., 437 f., 441 f. Berlin (West) 20, 76, 78–84, 93 f., 121, 124, 150–152, 154–156, 182, 193, 210, 213, 215, 234–236, 264, 273 f., 277, 299, 302, 305–307, 309, 312 f., 325, 344, 347–352, 358, 373, 405, 409, 425, 429, 431, 438 Berliner Erklärung 126, 130, 150, 157, 179, 185 Biosphäre 27, 33, 47, 60, 91, 389, 391, 403 Bitterfeld 6, 20, 36, 287, 320 f., 342 f., 373, 386 f. Blei 86, 166, 168, 204, 210, 227 Boehringer 140, 241, 249 Bonn (siehe auch Bundesregierung) 47, 57 f., 74, 77, 83, 121 f., 140, 153, 163, 173 f., 186, 194, 208, 215, 225, 268, 273, 282, 285, 307 f., 310–312, 319, 325, 364, 367, 426, 437–439, 441 f. Bremen 138, 172 f. Budapester Appell 28, 67, 88 Bulgarien 204, 333 f. Buna 283, 321, 324 f., 374, 384 Bund Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) 10, 51, 111, 213, 215 f., 218, 270, 278– 282, 287, 342, 347, 358, 407, 428, 440 Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) 7, 10, 111, 211, 216, 275, 278, 287, 316, 338–340, 365, 369 f., 390, 395, 431, 440 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) 46, 439, 442 Bundesministerium der Finanzen (BMF) 304, 366, 403 Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 9, 46 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMIB) 41, 130, 137, 142, 156, 161, 180, 186, 226, 307, 428, 434, 437–439, 442 Bundesministerium des Inneren (BMI) 9, 31, 45–49, 51, 70, 74–76, 80 f., 86, 89 f., 94–96, 103 f., 106 f., 119 f., 136 f., 152 f., 157 f., 165 f., 170, 172–174, 178, 181– 183, 191, 212, 226 f., 231, 241, 261 f.,
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Sachregister
264 f., 294, 298 f., 301, 304 f., 308, 325, 409, 425–429, 437–439, 442 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) 3, 107, 252, 308, 323 f., 326, 337, 366, 369, 372, 375, 378 f., 382–386, 389, 391, 409, 427, 429, 442 Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) 48, 90, 132, 139, 231, 245, 262, 437, 438, 442 Bundesnachrichtendienst (BND) 9, 132, 167, 225 Bundesregierung 3, 17 f., 20, 45 f., 49, 51, 53, 56, 63 f., 68, 70 f., 73–75, 78, 80, 82– 85, 91–93, 99, 102 f., 107 f., 118 f., 121, 123–130, 132, 134, 137–142, 144, 147 f., 152 f., 155–160, 162–164, 166, 169–171, 173, 182–186, 188, 191–193, 199–202, 212–214, 218, 221–223, 225–228, 245 f., 261–263, 265, 268 f., 271–273, 285, 293, 295 f., 299, 301, 303, 305–308, 312 f., 319, 321 f., 324, 327, 336, 358, 364 f., 375, 380, 384, 390, 399 f., 407–409, 429 Bundestag 3, 44, 46 f., 61, 73, 83, 87, 110, 120, 128, 153, 185, 192, 199, 215, 218, 248, 250, 261, 263, 275 f., 280, 289, 297, 304 f., 307–309, 315, 364, 371, 394, 396, 430, 440 Buschhaus 189, 194, 210–221, 266, 270 f., 278 f., 408 f. Cadmium 164, 166, 168, 175, 178, 180 Československá Socialistická Republika (ČSSR) 6, 11, 27, 53 f., 56, 58 f., 64–66, 86, 95, 98, 101 f., 104, 162, 164, 169–174, 179, 189 f., 211, 287, 296, 302, 321 f., 334, 378 Christlich-Demokratische Union (CDU) 1, 49, 120, 152–154, 158, 160, 162, 165, 181, 184, 186, 210, 225, 236, 245, 248, 251, 258, 265, 272, 275, 278, 289, 305, 308, 310, 322, 324, 356, 363 f., 367, 377, 385, 392, 396 f., 425–428, 430 f., 440 f. Christlich-Soziale Union (CSU) 158, 160, 183, 225, 270, 274, 278, 305, 308, 338 f., 392, 397, 426, 431 f. Ciba-Geigy 219, 240 Club of Rome 30 f., 47, 114, 366, 427 Cuxhaven 178, 439 Dänemark 92, 101, 294 Deetz 235, 264 Demokratie Jetzt (DJ) 362 f., 368, 429 Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) 43, 154, 363, 367, 426, 429, 431
Deponie 1 f., 12, 111, 146, 184, 198, 227, 231–239, 241–260, 263–266, 277, 298, 340, 342, 348, 350, 354–357, 373, 399, 403, 409 f., 428 Deutsche Frage (siehe auch Wiedervereinigung) 23, 54, 57, 63, 80, 88, 163, 187, 405, 409 Deutscher Bund Vogelschutz (DBV) 111, 370, 395 Deutscher Naturschutzring (DNR) 10, 44, 111, 280, 370 f., 429 Deutschlandpolitik 7, 18, 128, 161, 186, 188, 211, 271–273, 275, 289, 341, 428 Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) 29, 47, 175, 260 Dioxin 110, 240 f., 249, 259 f., 262, 264, 349–351 Direkte Aktion 276, 345 Donau 99, 170 Dresden 184, 196, 286 f., 320, 326, 337, 339, 343–345, 363, 373, 400, 429, 431, 439 Drömling 316, 390 f., 403 Dübener Heide 36, 195, 281 Duderstadt 75, 323 Düsseldorf 170 f., 176, 289, 304, 441 ECE siehe United Nations Economic Commission for Europe Elbe 11 f., 77, 124, 140, 154, 161–169, 171– 187, 191, 221 f., 227, 266, 290, 292, 316– 322, 325, 337, 372, 376, 378, 400, 410, 426, 428, 439, 442 Elbe-Grenze 162, 185–187, 266, 298, 305 Elektrostatisches Trockentrennverfahren (ESTA) 136, 141–145, 147–149, 401 Energie 20, 33, 67, 75, 85 f., 97 f., 103, 106– 109, 141, 156, 188 f., 196, 208 f., 218 f., 226, 230, 303, 323, 327, 346, 350, 367, 371 f., 374 f., 387 f., 392, 410 f., 435 England 27, 201, 232, 257 Entschwefelung 95, 102, 118, 192–194, 196– 199, 208–210, 212, 214 f., 218–222, 227, 281, 292, 296, 302 f., 306, 319, 328, 346, 349, 374, 388 Erdgipfel siehe United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) in Rio de Janeiro Erzgebirge 189 f., 195, 362, 383 Espenhain 20, 374 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, z. T. EG) 6, 45, 92, 97 f., 101 f., 104 f., 173, 191, 262, 329, 379 f., 385 f., 400 Europarat 28, 45 European Monitoring and Evaluation Programme (EMEP) 103, 204, 209
Sachregister Evangelische Kirche 72, 112–114, 268, 270, 278, 282, 287, 314 f., 341, 355, 362, 371 Forstwirtschaft 26, 35 f., 189, 430 Frank-Falin-Formel 299, 305, 309 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 10, 312 Frankreich 83, 92, 98, 137, 240, 257, 306 Freiberg 118, 190 Freie Demokratische Partei (FDP) 45, 47, 53, 153, 172, 224, 305, 323, 396, 425– 429, 440 Friedensbewegung 109, 112, 122, 269, 275 f., 278, 281, 287, 291 Geesthacht 167, 178 Geheimhaltung 63, 119, 197, 221, 310, 387 Genf 54 f., 57 f., 72, 94, 96, 100, 104 f., 118 f., 121 f., 174, 191, 209 Geraer Forderungen 162, 186, 228, 307 Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) 6, 10, 113, 268 f., 275, 279 f., 286, 315, 333, 337, 339 f., 368, 370, 395 f., 425, 427, 430 f. Giftmüll 12, 98 f., 101, 172, 181, 196, 225, 229, 231 f., 234, 236–241, 243 f., 249, 251–253, 260, 279, 313, 348 f., 399 Globaler Süden 3, 315 Greenpeace 3, 7, 111, 140, 164, 172, 211 f., 214, 240, 243, 270, 289–291, 340, 344– 347, 356, 383, 399, 401 Grenzfall 306, 314, 394 Grenzkommission 76, 130, 155–157, 161, 193 f., 227, 245, 316, 378, 426, 429 f., 439 Großfeuerungsanlagenverordnung (GFAVO) 188, 212, 214, 388 Grün-Alternative Liste (GAL) 164, 181, 249 Grün-Ökologisches Netzwerk Arche 325, 327 f., 333 f., 340, 342–346, 356, 363, 394, 428 Grundgesetz 46, 52, 60 f., 73 f., 187, 217, 224 f., 357, 371, 392, 396 Grundlagenvertrag 4, 8, 22, 52 f., 64, 71, 73–75, 78 f., 84 f., 115, 118, 156, 295 Grüne Liga 370, 395 Grüne Partei (DDR) 362 f., 368, 394 Grünen, Die 10 f., 112, 127, 143, 181, 186, 192, 218, 224 f., 234, 244, 248–251, 264 f., 267 f., 270, 275–281, 284–286, 289–291, 306 f., 313, 327, 338–343, 345 f., 358, 388, 394 f., 400, 425–428, 430, 440 f. Halle 6, 61, 347, 373, 387, 438 Hallstein-Doktrin 15, 117, 123
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Hamburg 10, 12, 120, 155, 162–169, 172– 174, 177 f., 181–185, 237, 241, 249, 259 f., 264 f., 267, 290, 301, 320, 345, 425 f., 439, 441 f. Hannover 133, 163, 437 Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) 51, 274, 278, 328, 337 f. Hanseatisches Baustoffkontor GmbH (HBK) 237 f., 260 Harbke 189, 193, 213, 215, 218, 388 Hausmüll 7, 229, 234, 237–239, 241, 253– 255 Havel 149, 154, 438 Helmstedt 159, 212–216, 218, 437 Herfa-Neurode 237, 252 f. Hessen 77, 127 f., 130, 134, 152, 237, 252, 354, 370, 392, 401 f., 441 Hochrangige Tagung (HRT) 89, 96, 98–101, 104, 108, 115, 117–119, 170, 121 f., 190 f., 202, 209 Hoechst 237, 354 f. Hof 156, 189, 271, 390, 404 Immissionsprinzip 176, 411 Industrie 11, 27, 31, 33, 36 f., 40, 62, 79, 85 f., 124, 144, 150, 156, 164 f., 177 f., 182, 189, 193 f., 196, 208, 210, 213, 219, 234, 241, 249, 253 f., 271, 281, 287, 310 f., 313, 324, 330, 333, 335–337, 344, 365, 369, 373–375, 381, 384, 391, 397 f., 400, 403, 410 Interdependenz 13, 30, 48, 233, 333, 336 Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) 317, 321, 378 f., 400, 428 Internationale Nordseeschutzkonferenz (INSK) 169, 172 f., 317, 327, 345, 400 Italien 92, 240 Kali + Salz AG 130, 141 f., 146–149, 402 f., 407, 437 f. Kali Werra (VEB) 130, 147 f. Kalk-Stein-Additiv-Verfahren 192, 196, 209, 219 Karl-Marx-Stadt 84, 189 Kiel 163, 439 Kirchliches Forschungsheim (KFH) in Wittenberg 114, 277, 286 f., 315, 343, 368, 395 Kläranlage/-werk 26, 150 f., 154–161, 175, 181 f., 320, 322, 386, 433 Klimawandel 224, 329, 358, 398 Kohlekraftwerk 27, 103, 106, 188, 212, 218, 279, 374, 388 Kommerzielle Koordinierung (KoKo) 129, 231, 237 f., 250, 353–355, 430, 442
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Sachregister
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 10, 18, 21, 71, 87–89, 91, 93–97, 100, 104, 115, 119, 122, 124, 174, 202, 205, 268, 288, 295, 331–334, 359, 405, 407 Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen in Stockholm siehe United Nations Conference on the Human Environment (UNHCE) Kulturbund 6, 112, 268, 275, 279, 338, 425 f., 430 Landeskulturgesetz (LKG) 39 f., 42 f., 47, 60, 69, 78, 141, 143, 168, 175, 193, 196, 230 f., 285, 330 Landwirtschaft 32, 35, 40, 61, 79, 113, 128, 333, 400 Langfristvertrag 234, 236 f., 349 Lärm 42, 45 f., 48, 76, 78, 80, 107, 224, 227, 231, 238, 309, 426, 433 Lauenburg 162, 186 Leipzig 47, 194, 305, 343, 362, 373, 387, 439 London 26, 317, 345, 401 Lübeck 10, 12, 237 f., 241–244, 246 f., 249, 255 f., 258, 260, 354, 427 Luftverschmutzung 6, 21 f., 27, 29, 43 f., 50, 72, 79, 91, 95–103, 105, 115, 117, 121, 187, 190–193, 195, 197–200, 206 f., 211, 213–215, 218, 221, 271, 277, 298, 313, 319, 326, 337, 339, 346, 405 Magdeburg 184, 326, 384, 400 Mecklenburg 250, 259, 357 Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) 10, 78 f., 89, 130, 157, 174, 210, 245–247, 300, 317, 334, 426, 428, 430, 437–439, 442 Ministerium für Außenhandel (MAH) 129, 231, 235, 237, 251, 264, 354, 430, 437 f., 442 Ministerium für Gesundheit (MfG) 7, 36, 190 Ministerium für Kohle und Energie (MfKE) 190 f., 219, 367, 442 Ministerium für Staatssicherheit (MfS, Stasi) 6, 9, 113 f., 132 f., 141, 169, 191, 220, 238, 250 f., 276, 278, 283, 291, 303, 310– 312, 314, 328, 342, 344–346, 353–355, 361, 378, 399, 426 Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (MfUW) 9, 42, 65, 87, 119, 127, 149 f., 153–156, 160, 168 f., 171, 173 f., 179 f., 189–191, 197, 210, 216, 221, 231, 246, 249, 251 f., 264, 270, 273 f., 279, 289, 293, 295 f., 299, 303, 315, 320–323, 339, 342, 352, 354 f., 358,
367, 378, 382, 391, 400, 406 f., 410, 426– 428, 431, 434, 437–439, 442 Moskau (siehe auch UdSSR) 53, 209 f., 212, 295, 300 f., 328, 345, 364 Müllhandel (Müllexport) 11 f., 22, 192, 198, 223, 229–234, 237 f., 240, 242, 244, 262– 266, 340, 347, 349, 352–354, 356–358, 373, 399, 406 Müllverbrennungsanlage 231, 233 f., 241, 252 f., 259, 302, 329, 347–353, 409 Multilaterale Umweltkonferenz in München (MUK) 195, 197, 199 f., 203, 205–208, 212 München 160 f., 195, 197, 199 f., 203, 205– 208, 211 f., 271 f., 337 Nachhaltigkeit 26, 48, 149, 330, 366 f., 408 Nation 1, 3, 16, 18–20, 26, 212, 221, 264– 267, 409 Nationale Volksarmee (NVA) 81, 390 Nationalpark 371, 389, 391 f., 403 f. Naturschutz 7, 10, 21, 26, 28, 32, 38, 43 f., 46, 51, 72, 76, 107, 111, 113, 162, 226 f., 268, 298, 308 f., 316, 319, 338–340, 367 f., 383, 389–393, 395, 403 f. Neubrandenburg 10, 300, 339 Neues Deutschland (ND) 11, 41, 80, 318, 425 Neues Forum (NF) 362 f., 388, 425 Niederlande 137, 343, 356, 433 Niedersachsen 77, 128, 130, 152, 160, 164 f., 173, 210, 238, 252, 270, 320, 323, 392, 403, 425, 427, 439 f. Non-Governmental Organization (NGO) 67 f., 347 Nordische Staaten 97–99, 101 f., 105, 115, 327 Nordrhein-Westfalen (NRW) 45, 61, 193 f., 396, 439 f. Nordsee 127, 129, 169, 172 f., 178, 184, 317, 327, 345, 400 North Atlantic Treaty Organization (NATO) 28, 62, 88, 122, 159, 174, 180, 199, 208, 276, 331, 357 Norwegen 57, 95, 98, 101 f. Nutznießerprinzip 125, 337 Ökologie 6, 13, 27, 29 f., 33, 51, 85, 109, 112, 114, 140, 224, 233, 236, 266, 284, 314, 330, 332, 336, 338, 351, 362–364, 366, 372, 425 Ölpreiskrise 84–86, 106, 120 f., 410 Opposition (DDR) 5, 10, 168, 283, 314 f., 363–365, 367, 369, 374, 394 Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) 28, 47, 191, 429
Sachregister Österreich 57, 294, 299 Ostpolitik 7, 53, 57, 62, 64, 72 f., 80 Ostsee 89, 251, 404 Paris 27, 47, 429 Polen 6, 56, 102, 123, 202, 211, 234, 287, 335, 338, 378, 427 Politbüro 35, 43, 77, 126, 150, 157, 162, 180, 218 f., 228, 235, 237, 273, 293, 306, 312, 323, 362 f., 425, 428–430 Potsdam 339, 352 f., 427 Prag 24, 27, 52, 54, 56, 58 f., 61–66, 69 f., 86, 91 f., 172, 178, 189, 362, 405 Prager Frühling 123, 282 Prager Umweltsymposium siehe United Nations Economic Commission for Europe (ECE) Symposium on Problems Relating to the Environment in Prague Quecksilber 11, 163 f., 166, 168, 173, 175 f., 178, 183, 317, 320 f., 325, 353, 384 Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) 6, 65, 86, 171, 219, 230, 331–333, 388, 411 rationelle Nutzung von Ressourcen 32 f., 37, 39 f., 226, 309, 319 Rauchgasentschwefelung siehe Entschwefelung Reaktorsicherheit 76, 80, 107 Reinhaltung der Gewässer 38, 61, 152 Reinhaltung der Luft 36, 38, 46, 76, 188 Rettet die Elbe e. V. 10, 163 f. Rhein 137 f., 140, 168, 170, 175, 183, 225, 239 Robin Wood 10, 213 f., 216, 370 Röden 77, 124, 127, 155–160, 174, 179, 183, 185, 191, 211, 221 f., 271, 303, 323, 408, 439 Rosenthal in Blankenstein (VEB) 156, 270 f., 274, 277 Rotterdam 140, 183 Ruhrgebiet 44, 61, 163, 194 Saale 124, 156, 214, 265, 347 Saarland 184, 280, 428 Schalsee 316, 390 f., 403 Schleswig-Holstein 64, 77, 164 f., 173, 245– 247, 252, 254, 257 f., 260 f., 263–265, 356, 392, 426, 439, 440–442 Schnackenburg 162, 165–168, 175, 181, 186, 317 Schönberg 12, 184, 198, 229, 233 f., 237– 245, 247–259, 262–265, 277, 298, 313, 354, 357, 373, 399, 403, 409 f., 428
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Schöneiche 235, 264, 329, 347–353, 355, 409 Schwandorf 197, 211, 302, 439 Schweden 27, 57, 68, 95, 101, 188, 200, 294, 353 Schwefeldioxid 1, 35, 95, 103 f., 188, 191 f., 194–196, 204 f., 208 f., 212, 214 f., 218– 220, 271 f., 296, 302, 311, 326, 374, 387, 398, 410 Schwerin 283 f., 339, 439 Schwermetall 11, 95, 162, 164–166, 175– 177, 179, 183, 196, 253, 317, 410 Sekundärrohstoff 192, 196, 219, 221, 236 Sekundär-Rohstofferfassung (SERO) 236, 399 f. Seveso 240 f., 243, 262 Seveso-Novelle 257, 262–265, 357 f., 409 Smog 26, 189, 191, 193, 210, 319, 326, 387, 409 Sondermüll (Industriemüll) 12, 229, 232, 234, 237 f., 241, 243–245, 250, 253 f., 256, 348, 350–355, 357, 373, 399 Sonneberg 124, 155, 157, 159, 161 Sowjetunion siehe UdSSR Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 10, 18, 45, 48 f., 53, 72, 82, 84, 87, 138, 150, 153, 162, 181, 184, 186, 215, 218, 224, 247 f., 274 f., 278, 280 f., 305, 307, 313, 320, 325, 336 f., 356, 364, 377, 396 f., 425–428, 430 f., 440 f. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 2, 7, 11, 31, 34–36, 38, 40 f., 43, 53, 66, 73, 77, 82, 86, 93, 102, 108, 112 f., 118–121, 123, 126, 131, 150, 155, 167, 181, 184, 189, 208, 218, 226, 228–230, 235, 238, 248, 259, 268 f., 273–276, 279, 282, 284, 290 f., 293, 296, 300, 303, 307 f., 312, 315, 318, 326–329, 336–338, 348, 352, 355 f., 358 f., 361–363, 366, 408, 425–432 Spiegel, Der 10, 83, 164, 169, 187, 199, 238, 240, 269, 279, 287, 312 Staaken 326, 387 Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR (SAAS) 20, 299, 308, 353, 367, 387 Städtepartnerschaft 184, 186, 320 Stand der Technik 12, 144, 176, 182, 193, 197, 211 f., 246, 256 f., 349 f., 353, 358, 399 Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin 74, 87, 121, 153, 194, 212, 225 f., 243, 245 f., 251, 285, 293, 300, 328 Ständige Vertretung der DDR in Bonn 74, 131, 293, 367
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Sachregister
Stockholm 24, 28, 34, 42, 49, 52–54, 57, 63– 67, 69, 89, 335, 405, 411 Strahlenschutz 76, 79, 309, 312, 317, 372, 411 Suhl 131, 134, 161, 189 Tageszeitung (taz) 10, 306, 312, 341 Talsperre 76, 136, 145 f. Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) 188, 213, 349 f., 353, 358, 409 Tharandt 35, 277, 431 Thüringen 127, 155, 402 Tschernobyl 308 f., 333, 387 Umweltbibliothek 11, 250, 286, 290, 308, 313–315, 340–342, 345 f., 348, 351, 361, 394, 428, 430 Umweltblätter 11, 308, 313 f., 341 f., 348– 352, 357, 361, 394, 428 Umweltbundesamt (UBA) 8, 22, 78–84, 87 f., 93, 105–107, 115, 121, 125, 165, 167, 174, 193, 200, 202 f., 206, 225, 227 f., 258, 274, 297, 300 f., 309, 349, 358, 377, 405 f., 409, 428 f. Umweltgruppen/-bewegung (Ost) 5 f., 10, 18, 21 f., 31 f., 108, 112, 114 f., 199, 205, 224, 233, 250, 268–270, 275, 277, 279, 281–287, 291, 308, 313–315, 325, 327 f., 333 f., 340–345, 347, 355 f., 358 f., 365, 369, 372, 374, 393–395, 407 f., 410 Umweltgruppen/-bewegung (West) 5, 9 f., 18, 21 f., 29, 32, 51, 72, 108 f., 111, 115, 140, 164, 169, 172, 181, 199, 214, 221, 224, 233 f., 241, 243, 247, 267, 270, 278– 281, 284–287, 289, 291, 338, 341 f., 358, 365 f., 372, 374, 394, 400, 407 f. Umweltsofortprogramm der Bundesregierung 47, 374 Ungarn 19, 56, 91, 123, 287, 299, 334 f., 345 Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) 5, 15, 21, 23, 25, 31–33, 35, 42, 53 f., 56 f., 62–64, 66 f., 70 f., 73 f., 80, 82–84, 86, 92–94, 97–102, 104–106, 121–123, 157, 199 f., 202–204, 206, 208, 222, 268, 278, 292–294, 300 f., 307 f., 329, 332–335, 337, 343, 353, 411, 425, 427, 430 f. United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) in Rio de Janeiro 335, 398 United Nations Conference on the Human Environment (UNCHE) in Stockholm 24, 28, 34, 42, 49, 52–54, 57 f., 62–70, 79, 88 f., 92–94, 137, 335, 405, 411
United Nations Economic Commission for Europe (UN-ECE) 10, 18, 21, 27, 52, 54–60, 62–66, 71, 83, 87–89, 91, 93–98, 100–102, 104–106, 115, 118, 169–172, 176, 191, 193, 202–206, 231, 269, 335, 405, 409, 428, 430 United Nations Economic Commission for Europe (UN-ECE) Symposium on Problems Relating to the Environment in Prague 54, 58–63, 65 f., 86, 91 f., 172 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) 26 f., 47, 403 United Nations Environmental Program (UNEP) 68, 84, 93 f., 336, 431 United Nations Organization (UNO) 24, 27 f., 40, 52 f., 56 f., 63 f., 66–68, 71, 73, 87 f., 97, 407 United States of America (USA) 15, 19, 21, 23, 27–30, 45, 49, 54, 57, 62, 67, 69–71, 80, 83, 102, 114, 122 f., 187, 201 f., 205 f., 208, 224, 231, 239, 253, 278, 294, 327, 334, 425, 429, 433 Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes 4, 223, 300 f., 305, 309–314, 320, 323–325, 327 f., 359, 379 Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland 83, 98, 201, 257 Vereinte Nationen siehe United Nations Organization (UNO) Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik 38, 40, 52, 60 f., 370 Versenkung (auch Verpressung) 126, 128 f., 131, 133–135, 140, 146 f. Verursacherprinzip 50, 68, 125, 127, 131, 137 f., 151 f., 156–158, 160, 180, 183 f., 214, 221 f., 302, 304, 322, 324 f., 328, 334 f., 337, 358, 366, 370, 373 f., 408 Vier-Mächte-Abkommen über Berlin 53, 78, 80–82, 84, 202, 299, 309 Vietnam-Krieg 49, 189 Vockerode 215, 281, 439 Volkskammer der DDR 248, 306, 339, 364, 371, 376 f., 381 Vorketzin 235, 264, 348, 350, 373 Vorsorgeprinzip 50, 92, 227, 322, 324, 358, 366, 370, 373
Sachregister Wakenitz 238, 245, 255 Waldsterben/-schäden 7, 118, 187–189, 191–196, 200, 211, 214 f., 224, 227, 270 f., 277, 287, 298, 309, 319, 337, 346 Warschau 53, 362 Warschauer Vertragsstaaten/-organisation (WVO) 28, 62 f., 65, 70, 88, 92, 98, 331, 411 Wasserhaushalt 36, 43, 55, 100, 150, 350, 376 Wassertribunal 140, 288 Werra 77, 118, 124–131, 134, 136–138, 140 f., 143–145, 147–149, 151, 153 f., 161, 165, 171, 174, 178 f., 183, 191, 221 f., 227, 289 f., 292, 297, 303, 313, 320, 372, 400–403, 407, 410, 425, 428, 437 f. Weser 124, 128, 138, 140, 148, 289 f., 402 Westpolitik (SED) 7, 73 Wiedervereinigung (siehe auch Deutsche Frage) 3, 18 f., 21 f., 24, 63, 74, 112, 182, 187, 266, 341, 361 f., 364, 366, 368,
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371, 378–380, 383–385, 387–389, 393 f., 403, 406–409 Wiener Formel 58, 64 Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion 364, 376, 384, 386 Wirtschaftswachstum 35, 40, 48, 50, 313 f., 324, 339, 366, 369 Wismar 339, 356 Wissenschaftlich-Technische Revolution 34, 90 Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit (WTZ) 56, 58, 65, 301, 310 Wolfen 6, 386 World Health Organization (WHO) 64, 164, 175 Zeit, Die 10, 312 Zentraler Runder Tisch 71, 363, 367–371, 373, 380, 385, 389, 395–397, 426, 428 f. Zentralkomitee der SED 35, 43, 73, 121, 123, 126, 218, 238, 303, 425, 427–431 Zentrum für Umweltgestaltung (ZUG) 190, 260, 442